Selbstverwirklichungsrecht im pluralistischen Kulturstaat: Zum Grundrecht auf Bildung im Grundgesetz [1 ed.] 9783428499519, 9783428099511

Der Glaube, daß der Mensch eine Funktion seiner rechtlichen Verhältnisse ist, führt notwendig zu der Forderung, daß man

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Selbstverwirklichungsrecht im pluralistischen Kulturstaat: Zum Grundrecht auf Bildung im Grundgesetz [1 ed.]
 9783428499519, 9783428099511

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YUE-DIAN HSU Selbstverwirklichungsrecht im pluralistischen Kulturstaat

Tübinger Schriften zum Staats- und Verwaltungsrecht Herausgegeben von Wolfgang Graf Vitzthum in Gemeinschaft mit Martin Heckel, Karl-Hermann Kästner Ferdinand Kirchhof, Hans von Mangoldt Thomas Oppermann, Günter Püttner Michael Ronellenfitsch sämtlich in Tübingen

Band 54

Selbstverwirklichungsrecht im pluralistischen Kulturstaat Zum Grundrecht auf Bildung im Grundgesetz

Von Yue-dian Hsu

Duncker & Humblot · Berlin

Gedruckt mit Unterstützung der Deutschen Forschungsgemeinschaft.

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Hsu, Yue-dian: Selbstverwirklichungsrecht im pluralistischen Kulturstaat : zum Grundrecht auf Bildung im Grundgesetz / von Yue-dian Hsu. Berlin : Duncker und Humblot, 2000 (Tübinger Schriften zum Staats- und Verwaltungsrecht ; Bd. 54) Zugl.: Tübingen, Univ., Diss., 1998 ISBN 3-428-09951-6

D 21 Alle Rechte vorbehalten © 2000 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fremddatenübernahme und Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0935-6061 ISBN 3-428-09951-6 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706 θ

Meiner Frau Hui-chen in Liebe und Dankbarkeit

Vorwort Die vorliegende Arbeit stellt die überarbeitete Fassung meiner Dissertationsschrift dar, die von der Juristischen Fakultät der Eberhard-Karls-Universität Tübingen im Wintersemester 1998/99 angenommen wurde. Aufrichtig danken möchte ich Herrn Prof. Dr. Günter Püttner, der die Arbeit betreut und das Erstgutachten erstellt hat. Ihm ist für den großzügig gewährten Freiraum dieser wissenschaftlichen Arbeit, die stete Anregung und das nachhaltige Interesse zu danken. Sein Fördern, Fordern und Gewährenlassen im Geiste von Toleranz und freundschaftlicher Unterstützung haben diese Arbeit geprägt. Dank für Ermunterung, Hilfe und die Mühe des Zweitgutachens schulde ich Herrn Prof. Dr. Karl-Hermann Kästner, der die ungewöhnlich rasche endgültige Abwicklung meiner Promotion ermöglichte. Mein besonderer Dank gilt ferner dem Herausgeber der Tübinger Schriften zum Staats- und Verwaltungsrecht, Herrn Prof. Dr. Dr. h. c. Wolfgang Graf Vitzthum, für die ehrenvolle Aufnahme der Arbeit in diese Reihe und der Deutschen Forschungsgemeinschaft für die großzügige Unterstützung der Veröffentlichung. Herr Stefan Braig hat mir bei den Korrekturen sehr geholfen. Für freundliche Unterstützung gebührt Dank den Herren Dr. Felix Hammer, Johannes Rux, Ralf Schmidt und Frau Barbara Herr. Von Herzen danke ich schließlich meinen Eltern und meiner Familie. Gewidmet ist das Buch meiner Frau Hui-chen, denn sie hat die Voraussetzungen für seinen Abschluß geschaffen. Ohne ihre Schreibarbeit und ihr Verständnis wäre das Buch in der vorliegenden Form kaum zustande gekommen. Tübingen, im Juni 1999

Yue-dian Hsu

Inhaltsübersicht Einleitung

29 Erstes Kapitel Die Selbstverwirklichung des Menschen als Wesensgehalt aller Grundrechte im Grundgesetz

A. Die Selbstverwirklichung des Menschen I. Die Quellen der Selbstverwirklichung des Menschen als Begriff II. Der sich selbstverwirklichende Mensch B. Art. 2 Abs. 1 GG als die Selbstverwirklichung des Menschen im Grundgesetz I. Die geschichtliche Entwicklung von Art. 2 Abs. 1 GG

41 41 43 51 51

II. Der Inhalt von Art. 2 Abs. 1 GG und die Selbstverwirklichung des Menschen

56

III. Die Schranken von Art. 2 Abs. 1 GG und die Selbstverwirklichung des Menschen

63

IV. Die Funktion von Art. 2 Abs. 1 GG und die Selbstverwirklichung des Menschen

69

C. Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 19 Abs. 2 GG als Wesensgehalt aller Grundrechte und die Selbstverwirklichung des Menschen

75

I. Art. 2 Abs. 1 GG als Integration aller Grundrechte

75

II. Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 19 Abs. 2 GG als Wesensgehaltsgarantie der Selbstverwirklichung des Menschen

78

III. Der sich selbstverwirklichende Mensch als das Menschenbild im Grundgesetz

80

Zweites Kapitel Selbstverwirklichungsrecht des Schülers als Kern des Grundrechts auf Bildung im Grundgesetz A. Die Selbstverwirklichung des Schülers und das Schulwesen I. Im allgemeinen II. Die Bedeutung der Schule für die geistige Selbstverwirklichung des Schülers

88 88 90

6

Inhaltsübersicht III. Die Bedeutung der Schule für die politische Selbstverwirklichung des Schülers

91

IV. Die Bedeutung der Schule für die wirtschaftliche Selbstverwirklichung des Schülers

92

B. Die Stellung des Grundgesetzes zur Selbstverwirklichung des Schülers I. Im allgemeinen

93 93

II. Die Selbstverwirklichung des Schülers als umfassendes Bildungsziel im Grundgesetz

95

III. Art. 2 Abs. 1 GG im engsten Sinne zum Selbstverwirklichungsrecht des Schülers als Kern des Grundrechts auf Bildung im Grundgesetz

97

IV. Die Geltungsprobleme des Selbstverwirklichungsrechts des Schülers

100

C. Der Schutzbereich des Grundrechts auf Bildung im Grundgesetz

107

I. Die Entwicklung vom Schutzbereich des Grundrechts

107

II. Die objektiv-rechtlichen und subjektiv-rechtlichen Funktionen als Schutzbereich des Grundrechts

108

III. Die Bedeutung der Unterscheidung von Grundrecht und grundrechtlich geschützten Rechtsgütern

110

IV. Geschützte Rechtsgüter des Grundrechts auf Bildung im Grundgesetz hinsichtlich der Funktionen des Grundrechts des Schülers auf Selbstverwirklichung ...

111

D. Geschützte Rechtsgüter des Grundrechts auf Bildung im Grundgesetz

113

I. Grundrecht des Schülers auf Selbstverwirklichung als Abwehrrecht

113

II. Grundrecht des Schülers auf Selbstverwirklichung als Teilhaberecht

132

III. Grundrecht des Schülers auf Selbstverwirklichung als objektive Wertordnung 138 IV. Grundrecht des Schülers auf Selbstverwirklichung als institutionelle Garantie 148 V. Grundrecht des Schülers auf Selbstverwirklichung als Organisation und Verfahren

157

Drittes Kapitel Selbstverwirklichungsrecht des Schülers im pluralistischen Kulturstaat A. Kulturstaat im Grundgesetz I. Entwicklung des Kulturstaats II. Inhaltliche Ausgestaltung des Kulturstaats im Grundgesetz III. Gewährleistung des pluralistischen Kulturstaats durch die kulturellen Grundrechte im Grundgesetz

167 167 170 173

Inhaltsübersicht IV. Der pluralistische Kulturstaat als Kulturauftrag sozialer Integration durch die kulturellen Grundrechte im Grundgesetz 176 V. Kulturauftrag und Pluralismus im Kulturstaat nach dem Grundgesetz VI. Kulturstaat als objektiver und pluralistischer Kulturauftrag der Menschenwürde und der Selbstverwirklichung des Menschen im Grundgesetz B. Schule im pluralistischen Kulturstaat I. Entwicklung der Schule im pluralistischen Kulturstaat II. Die Bedeutung der Schulhoheit im pluralistischen Kulturstaat III. Die Erziehungsziele im pluralistischen Kulturstaat

178

180 181 181 184 190

C. Die Bedeutung des pluralistischen Kulturstaats hinsichtlich des Selbstverwirklichungsrechts des Schülers 200 I. Im allgemeinen

200

II. Die objektivrechtliche Bedeutung vom Selbstververwirklichungsrecht des Schülers im pluralistischen Kulturstaat 203 III. Pluralismus als objektive Umwelt des Selbstverwirklichungsrechts des Schülers im Kulturstaat 204 D. Die Prinzipien des Pluralismus im Verhältnis zum Selbstverwirklichungsrecht des Schülers im Kulturstaat 211 I. Die staatliche Neutralität

212

II. Die bürgerliche und staatliche Toleranz

220

Viertes Kapitel Selbstverwirklichungsrecht des Schülers hinsichtlich religiöser Bezüge in der Schule A. Die geschichtliche Entwicklung der religiösen Bezüge in der Schule I. Vom römischen Reich bis zur Reformation II. Das Zeitalter der Reformation und des Absolutismus

225 225 226

III. Vom Allgemeinen Landrecht bis zur Weimarer Verfassung

228

IV. In der Weimarer Reichsverfassung

230

V. Im nationalsozialistischen Staat VI. Religiöse Bezüge in der Schule nach 1945

234 234

8

Inhaltsübersicht VII. Religiöse Bezüge in der Schule hinsichtlich des Kulturverhältnisses zwischen Bund und Land 237

B. Relgiöse Bezüge in der Schule hinsichtlich des Religionsunterrichts nach dem Grundgesetz 239 I. Der Religionsunterricht als ordentliches Lehrfach II. Der Inhalt des Religionsunterrichts

239 242

III. Die Ausnahmeregelung des Art. 141 GG

243

IV. Alternativunterricht an Stelle des Religionsunterrichts

245

V. Religionsunterricht und Ökumene VI. Religionsunterricht und Religionsfreiheit

247 248

VII. Die Rechtsstellung der Schüler, Eltern, Lehrer und Religionsgemeinschaften im Religionsunterricht 252 C. Selbstverwirklichungsrecht des Schülers und religiöse Bezüge in der Schule im pluralistischen Kulturstaat 259 I. Die religiösen Bezüge in der Schule und das Selbstverwirklichungsrecht des Schülers hinsichtlich des Religionsunterrichts 259 II. Die religiösen Bezüge in der Schule und das Selbstverwirklichungsrecht des Schülers hinsichtlich der Religionsfreiheit 266 III. Die religiösen Bezüge in der Schule und das Selbstverwirklichungsrecht des Schülers hinsichtlich der Bekenntnisschulen 269 D. Die Prinzipien des Pluralismus im Kulturstaat und die religiösen Bezüge in der Schule 271 I. Die staatliche Neutralität gegenüber religiösen Bezügen in der Schule

271

II. Die bürgerliche und staatliche Toleranz gegenüber religiösen Bezügen in der Schule 277

Fünftes Kapitel Selbstverwirklichungsrecht des Schülers gesehen am Kruzifix-Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 16.5.1995 A. Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 16. 5. 1995

280

I. Der Sachverhalt

280

II. Die Entscheidung

281

III. Hypothesen und Fragen

287

Inhaltsübersicht Β. Die staatliche Ausstattung von Unterrichtsräumen mit Kreuzen in der Schule im pluralistischen Kulturstaat 289 I. Die staatliche Tätigkeit der Ausstattung von Unterrichtsräumen mit Kreuzen in der Schule 289 II. Die staatliche religiöse Tätigkeit in der Schule hinsichtlich der Gottesklausel in der Präambel des Grundgesetzes 300 III. Die staatliche religiöse Tätigkeit in der Schule und die Verfassungsprinzipien im pluralistischen Kulturstaat

306

C. Grundrechtsanspruch des Schülers im Grundgesetz im Verhältnis zur staatlichen religiösen Tätigkeit in der Schule 317 I. Die Religionsfreiheit

318

II. Die Gewissensfreiheit

324

III. Das Selbstverwirklichungsrecht des Schülers als Kern des Grundrechts auf Bildung im Grundgesetz 328 D. Das Selbstverwirklichungsrecht des Schülers zum Kruzifix-Urteil hinsichtlich der Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts 339 I. Die bisherigen wichtigen Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts II. Kritik an der Entscheidung der christlichen Gemeinschaftsschule III. Kritik am Kruzifix-Urteil des Bundesverfassungsgerichts

339 342 345

Zusammenfassung

356

Literaturverzeichnis

366

Sachwortverzeichnis

415

Inhaltsverzeichnis Einleitung

29

Erstes Kapitel Die Selbstverwirklichung des Menschen als Wesensgehalt aller Grundrechte im Grundgesetz A. Die Selbstverwirklichung des Menschen I. Die Quellen der Selbstverwirklichung des Menschen als Begriff

41 41

1. Existenzphilosophie von Hegel bis Fichte

41

2. Selbstwerdungs-Ethik von Sören Kierkegaard

41

3. Gedanke der Selbstrealisation von Karl Marx

42

4. „Selbst" in der psychologischen Theorie von Carl Gustav Jung

42

5. „Selbstverwirklichung" in der humanistischen Psychologie von Carl R. Rogers und Abraham H. Maslow

43

II. Der sich selbstverwirklichende Mensch

42

1. Der sich selbstverwirklichende Mensch und seine Menschlichkeit

42

2. Der sich selbstverwirklichende Mensch und seine Umwelt

45

3. Der sich selbstverwirklichende Mensch und die Konventionen seiner Umwelt ;

46

4. Der sich selbstverwirklichende Mensch und die pluralistische kulturelle Umwelt

47

5. Der sich selbstverwirklichende Mensch und seine Erziehung und Bildung in der Welt

49

B. Art. 2 Abs. 1 GG als die Selbstverwirklichung des Menschen im Grundgesetz I. Die geschichtliche Entwicklung von Art. 2 Abs. 1 GG

51 51

1. Die Theorie der allgemeinen Handlungsfreiheit

52

2. Die Kernbereichstheorie

53

3. Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts

54

12

nsverzeichnis II. Der Inhalt von Art. 2 Abs. 1 GG und die Selbstverwirklichung des Menschen

56

1. Art. 2 Abs. 1 GG und die Selbstverwirklichung des Menschen

56

2. Art. 2 Abs. 1 GG im weiteren Sinne

57

3. Art. 2 Abs. 1 GG im engeren Sinne

58

4. Art. 2 Abs. 1 GG im engsten Sinne

60

III. Die Schranken von Art. 2 Abs. 1 GG und die Selbstverwirklichung des Menschen

63

1. Die Rechte anderer

64

2. Die verfassungsmäßige Ordnung

65

3. Das Sittengesetz

67

IV. Die Funktion von Art. 2 Abs. 1 GG und die Selbstverwirklichung des Menschen 1. Im allgemeinen

69 69

2. Art. 2 Abs. 1 GG als der grundgesetzliche Grundrechtsleitsatz

70

3. Art. 2 Abs. 1 GG als Verfassungsmäßigkeit der Gesetzgebung

71

4. Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 19 Abs. 2 GG und Art. 20 Abs. 3 GG als Grundrechtsschutzsystem

73

C. Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 19 Abs. 2 GG als Wesensgehalt aller Grundrechte und die Selbstverwirklichung des Menschen I. Art. 2 Abs. 1 GG als Integration aller Grundrechte II. Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 19 Abs. 2 GG als Wesensgehaltsgarantie der Selbstverwirklichung des Menschen III. Der sich selbstverwirklichende Mensch als das Menschenbild im Grundgesetz 1. Rechtsquellen

75 75 78 80 80

a) Art. 1 GG

80

b) Art. 2 Abs. 1 GG

82

2. Die Bedeutung des sich selbstverwirklichenden Menschen als das Menschenbild des Grundgesetzes für die Erziehung und Bildung

85

Zweites Kapitel Selbstverwirklichungsrecht des Schülers als Kern des Grundrechts auf Bildung im Grundgesetz A. Die Selbstverwirklichung des Schülers und das Schulwesen I. Im allgemeinen II. Die Bedeutung der Schule für die geistige Selbstverwirklichung des Schülers

88 88 90

nsverzeichnis III. Die Bedeutung der Schule für die politische Selbstvenvirklichung des Schülers

91

IV. Die Bedeutung der Schule für die wirtschaftliche Selbstverwirklichung des Schülers

92

B. Die Stellung des Grundgesetzes zur Selbstverwirklichung des Schülers I. Im allgemeinen

93 93

II. Die Selbstverwirklichung des Schülers als umfassendes Bildungsziel im Grundgesetz

95

III. Art. 2 Abs. 1 GG im engsten Sinne zum Selbstverwirklichungsrecht des Schülers als Kern des Grundrechts auf Bildung im Grundgesetz

97

IV. Die Geltungsprobleme des Selbstverwirklichungsrechts des Schülers 1. Die Problemlage

100 100

2. Die Grundrechtsfähigkeit und die Selbstverwirklichung des Schülers

102

3. Die Grundrechtsmündigkeit und die Selbstverwirklichung des Schülers

104

C. Der Schutzbereich des Grundrechts auf Bildung im Grundgesetz

107

I. Die Entwicklung vom Schutzbereich des Grundrechts

107

II. Die objektiv-rechtlichen und subjektiv-rechtlichen Funktionen als Schutzbereich des Grundrechts 108 III. Die Bedeutung der Unterscheidung von Grundrecht und grundrechtlich geschützten Rechtsgütern

110

IV. Geschützte Rechtsgüter des Grundrechts auf Bildung im Grundgesetz hinsichtlich der Funktionen des Grundrechts des Schülers auf Selbstverwirklichung ...

111

D. Geschützte Rechtsgüter des Grundrechts auf Bildung im Grundgesetz I. Grundrecht des Schülers auf Selbstverwirklichung als Abwehrrecht

113

1. Die grundrechtstheoretische Grundlage

113

2. Grundrechtlich geschützte Rechtsgüter

115

a) Schülerrecht auf Selbstverwirklichung

115

aa) Im allgemeinen

115

bb) Recht auf Selbstentfaltung

118

cc) Recht auf Selbstbestimmung

121

b) Elternrecht auf Erziehung in der Schule

122

aa) Die Entwicklung des Elternrechts

123

bb) Die Bedeutung von Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG im Schulbereich

124

cc) Die Schranken des Elternrechts auf Erziehung

126

dd) Die Selbstverwirklichung des Kindes als Erziehungsziel von Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG

127

c) Pädagogische Freiheit des Lehrers 2 Hsu

113

129

nsverzeichnis

14

II. Grundrecht des Schülers auf Selbstverwirklichung als Teilhaberecht

132

1. Die grundrechtstheoretische Grundlage

132

2. Grundrechtlich geschützte Rechtsgüter

133

a) Das Recht auf Zugang zu den vorhandenen öffentlichen Bildungseinrichtungen 133 b) Das Recht auf Schaffung der erforderlichen Bildungseinrichtungen

136

III. Grundrecht des Schülers auf Selbstverwirklichung als objektive Wertordnung 138 1. Die grundrechtstheoretische Grundlage

138

2. Grundrechtlich geschützte Rechtsgüter

140

a) Unterrichtssystem

140

b) Bildungspläne und Prüfungsrichtlinien

142

c) Schulbuch

144

d) Lehrerausbildung

146

IV. Grundrecht des Schülers auf Selbstverwirklichung als institutionelle Garantie 148 1. Die grundrechtstheoretische Grundlage

148

2. Grundrechtlich geschützte Rechtsgüter

150

a) Staatliche Schulaufsicht

150

b) Religionsunterricht

152

c) Privatschule

154

V. Grundrecht des Schülers auf Selbstverwirklichung als Organisation und Verfahren

157

1. Die grundrechtstheoretische Grundlage

157

2. Grundrechtlich geschützte Rechtsgüter

159

a) Schulselbstverwaltung

159

b) Schülervertretung

162

c) Elternvertretung

164

Drittes Kapitel Selbstverwirklichungsrecht des Schülers im pluralistischen Kulturstaat A. Kulturstaat im Grundgesetz I. Entwicklung des Kulturstaats II. Inhaltliche Ausgestaltung des Kulturstaats im Grundgesetz III. Gewährleistung des pluralistischen Kulturstaats durch die kulturellen Grundrechte im Grundgesetz

167 167 170 173

IV. Der pluralistische Kulturstaat als Kulturauftrag sozialer Integration durch die kulturellen Grundrechte im Grundgesetz 176

Inhaltsverzeichnis V. Kulturauftrag und Pluralismus im Kulturstaat nach dem Grundgesetz VI. Kulturstaat als objektiver und pluralistischer Kulturauftrag der Menschenwürde und der Selbstverwirklichung des Menschen im Grundgesetz B. Schule im pluralistischen Kulturstaat I. Entwicklung der Schule im pluralistischen Kulturstaat II. Die Bedeutung der Schulhoheit im pluralistischen Kulturstaat 1. Im allgemeinen

15 178 180 181 181 184 184

2. Das föderalistische Prinzip der Schulhoheit

185

3. Die verfassungsrechtliche Grundlage des staatlichen Bildungsauftrags

187

4. Die verfassungsmäßige Ordnung des Grundgesetzes als Grundlage der Bildung zur Gemeinschaft

189

III. Die Erziehungsziele im pluralistischen Kulturstaat 1. Die Erziehungsziele in den Verfassungen und den Schulgesetzen der Länder

190 190

2. Das Problem der Regelung der religiösen positivierten Erziehungsziele .... 193 3. Selbstverwirklichung des Schülers und Anerkennung der verfassungsmäßigen Ordnung als Integration der Erziehungsziele

197

C. Die Bedeutung des pluralistischen Kulturstaats hinsichtlich des Selbstverwirklichungsrechts des Schülers 200 I. Im allgemeinen

200

II. Die objektivrechtliche Bedeutung vom Selbstverwirklichungsrecht des Schülers im pluralistischen Kulturstaat 203 III. Pluralismus als objektive Umwelt des Selbstverwirklichungsrechts des Schülers im Kulturstaat 204 1. Im allgemeinen

204

2. Gesellschaftliche Bezüge

206

3. Kulturelle Bezüge

207

4. Schulische Bezüge

209

D. Die Prinzipien des Pluralismus im Verhältnis zum Selbstverwirklichungsrecht des Schülers im Kulturstaat 211 I. Die staatliche Neutralität

2*

212

1. Im allgemeinen

212

2. Die distanzierende Neutralität des Staates

213

3. Die übergreifende Neutralität des Staates

215

4. Zusammenhang beider Erscheinungsformen der staatlichen Neutralität

216

5. Das Gebot der staatlichen Neutralität in der Schule

218

16

nsverzeichnis II. Die bürgerliche und staatliche Toleranz

220

1. Im allgemeinen

220

2. Das Gebot der bürgerlichen und der staatlichen Toleranz in der Schule

223

Viertes Kapitel Selbstverwirklichungsrecht des Schülers hinsichtlich religiöser Bezüge in der Schule A. Die geschichtliche Entwicklung der religiösen Bezüge in der Schule I. Vom römischen Reich bis zur Reformation II. Das Zeitalter der Reformation und des Absolutismus

225 225 226

III. Vom Allgemeinen Landrecht bis zur Weimarer Verfassung

228

IV. In der Weimarer Reichsverfassung

230

V. Im nationalsozialistischen Staat VI. Religiöse Bezüge in der Schule nach 1945

234 234

VII. Religiöse Bezüge in der Schule hinsichtlich des Kulturverhältnisses zwischen Bund und Land 237 B. Relgiöse Bezüge in der Schule hinsichtlich des Religionsunterrichts nach dem Grundgesetz 239 I. Der Religionsunterricht als ordentliches Lehrfach II. Der Inhalt des Religionsunterrichts

239 242

III. Die Ausnahmeregelung des Art. 141 GG

243

IV. Alternativunterricht an Stelle des Religionsunterrichts

245

V. Religionsunterricht und Ökumene VI. Religionsunterricht und Religionsfreiheit

247 248

1. Die Religionsunterrichtsgewährleistung als institutionelle Garantie

248

2. Die Religionsunterrichtsgewährleistung als subjektive Grundrechtsposition

249

3. Die individuelle und die korporative Religionsfreiheit im Religionsunterricht 250 VII. Die Rechtsstellung der Schüler, Eltern, Lehrer und Religionsgemeinschaften im Religionsunterricht

252

1. Schüler und Eltern

252

2. Lehrer

255

3. Religionsgemeinschaften

256

a) Die Bedeutung der Religionsgemeinschaften im Grundgesetz

256

b) Das Mitgestaltungsrecht der Religionsgemeinschaften

257

nsverzeichnis C. Selbstverwirklichungsrecht des Schülers und religiöse Bezüge in der Schule im pluralistischen Kulturstaat 259 I. Die religiösen Bezüge in der Schule und das Selbstverwirklichungsrecht des Schülers hinsichtlich des Religionsunterrichts 259 1. Die religiösen Bezüge in der Schule im säkularen Kulturstaat hinsichtlich des Religionsunterrichts 259 2. Die religiösen Bezüge in der Schule im pluralistischen Kulturstaat hinsichtlich des Religionsunterrichts 262 3. Die religiösen Bezüge in der Schule zum Selbstverwirklichungsrecht des Schülers hinsichtlich des Religionsunterrichts 264 II. Die religiösen Bezüge in der Schule und das Selbstverwirklichungsrecht des Schülers hinsichtlich der Religionsfreiheit 266 III. Die religiösen Bezüge in der Schule und das Selbstverwirklichungsrecht des Schülers hinsichtlich der Bekenntnisschulen 269 D. Die Prinzipien des Pluralismus im Kulturstaat und die religiösen Bezüge in der Schule 271 I. Die staatliche Neutralität gegenüber religiösen Bezügen in der Schule 1. Im allgemeinen

271 271

2. Trennungsprinzip zwischen Staat und Kirche für den Bereich der religiösen Bezüge in der Schule 273 3. Die staatliche Neutralität zum Religionsunterricht in der Schule

276

II. Die bürgerliche und staatliche Toleranz gegenüber religiösen Bezügen in der Schule 277

Fünftes Kapitel Selbstverwirklichungsrecht des Schülers gesehen am Kruzifix-Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 16.5.1995 A. Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 16. 5. 1995

280

I. Der Sachverhalt

280

II. Die Entscheidung

281

III. Hypothesen und Fragen

287

B. Die staatliche Ausstattung von Unterrichtsräumen mit Kreuzen in der Schule im pluralistischen Kulturstaat 289 I. Die staatliche Tätigkeit der Ausstattung von Unterrichtsräumen mit Kreuzen in der Schule 289 1. Die staatliche Tätigkeit

289

2. Die staatliche Tätigkeit in der Schule

291

nsverzeichnis

18

3. Die staatliche Ausstattung von Unterrichtsräumen in der Schule hinsichtlich der Bedeutung des Kreuzes 293 a) Im allgemeinen

293

b) Die Selbstverständnistheorie und die Definitionsmacht

296

c) Die Ausstattung von Unterrichtsräumen mit Kreuzen in der Schule als staatliche religiöse Tätigkeit 298 II. Die staatliche religiöse Tätigkeit in der Schule hinsichtlich der Gottesklausel in der Präambel des Grundgesetzes 300 1. Die Entwicklung der Präambel des Grundgesetzes

300

2. Die Bedeutung der Gottesklausel in der Präambel des Grundgesetzes im gesellschaftlichen Wandel 302 3. Die Gottesklausel in der Präambel des Grundgesetzes und die staatliche Ausstattung von Unterrichtsräumen mit Kreuzen in der Schule 304 III. Die staatliche religiöse Tätigkeit in der Schule und die Verfassungsprinzipien im pluralistischen Kulturstaat

306

1. Das Prinzip der staatlichen religiös-weltanschaulichen Neutralität

307

a) Im allgemeinen

307

b) In Hinsicht auf die staatliche Ausstattung von Unterrichtsräumen mit Kreuzen in der Schule 308 2. Das Prinzip der bürgerlichen und staatlichen Toleranz a) Im allgemeinen

311 311

b) In Hinsicht auf die staatliche Ausstattung von Unterrichtsräumen mit Kreuzen in der Schule 313 3. Das Prinzip der Geltung von Gewohnheitsrecht

316

C. Grundrechtsanspruch des Schülers im Grundgesetz im Verhältnis zur staatlichen religiösen Tätigkeit in der Schule 317 I. Die Religionsfreiheit

318

1. Im allgemeinen

318

2. In Hinsicht auf die staatliche Ausstattung von Unterrichtsräumen mit Kreuzen in der Schule 320 II. Die Gewissensfreiheit

324

1. Im allgemeinen

324

2. In Hinsicht auf die staatliche Ausstattung von Unterrichtsräumen mit Kreuzen in der Schule 327 III. Das Selbstverwirklichungsrecht des Schülers als Kern des Grundrechts auf Bildung im Grundgesetz 328 1. Im allgemeinen

328

nsverzeichnis 2. In Hinsicht auf die staatliche Ausstattung von Unterrichtsräumen mit Kreuzen in der Schule 331 a) Schülerrecht auf Selbstverwirklichung

331

b) Das Erziehungsrecht der Eltern als Abwehrrecht

333

c) Die Schulaufsicht der Länder als institutionelle Garantie

336

D. Das Selbstverwirklichungsrecht des Schülers zum Kruzifix-Urteil hinsichtlich der Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts 339 I. Die bisherigen wichtigen Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts II. Kritik an der Entscheidung der christlichen Gemeinschaftsschule III. Kritik am Kruzifix-Urteil des Bundesverfassungsgerichts 1. Im allgemeinen

339 342 345 345

2. In Hinsicht auf das Selbstverwirklichungsrecht des Schülers als Kern des Grundrechts auf Bildung im Grundgesetz 352 Zusammenfassung

356

Literaturverzeichnis

366

SachWortverzeichnis

415

Abkürzungsverzeichnis a. Α.

anderer Ansicht

a. a. Ο.

am angegebenen Ort

abgedr.

abgedruckte, er, es)

Abs.

Absatz

abw.

abweichend

a.F.

alte Fassung

AK-GG

Alternativkommentar zum Grundgesetz

allg.

allgemein

Alt

Alternative

Anm.

Anmerkung

AöR

Archiv des öffentlichen Rechts

ArchkathKR

Archiv für katholisches Kirchenrecht

ARSP

Archiv für Rechts- und Sozialphilosophie

Art.

Artikel

Aufl.

Auflage

Bay, bay

Bayern, bayerisch

BayObLG

Bayerisches Oberstes Landesgericht

BayVBl.

Bayerische Verwaltungsblätter

BayVGH

Bayerischer Verwaltungsgerichtshof

Bearb.

Bearbeiter(in), bearbeitete, er, es), Bearbeitung

Begr.

Begründer, begründet, Begründung

BBG

Bundesbeamtengesetz

Bd.

Band

bes.

besonders

Beschl.

Beschluß

betr.

betreffend, betreffs

bez.

bezüglich

BGB

Bürgerliches Gesetzbuch

BGBl.

Bundesgesetzblatt

BGH

Bundesgerichtshof

ΒΚ

Kommentar zum Bonner Grundgesetz (Bonner Kommentar), Hamburg, 1950 ff.

22

Abkürzungsverzeichnis

Brem.

Bremer, bremische(e, er, es)

BT-Drucks.

Bundestags-Drucksache

BVerfG

Bundesverfassungsgericht

BVerfGE

Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts

BVerfGG

Gesetz über das Bundesverfassungsgericht

BVerwG

Bundesverwaltungsgericht

BVerwGE

Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts

BW, bw

Baden-Württemberg, baden-württembergisch

bzw.

beziehungsweise

ca.

circa

CDU

Christlich Demokratische Union

CSU

Christlich Soziale Union

d.

das, der, des, die

DDR

Deutsche Demokratische Republik

ders., dies.

derselbe, dieselbe

d. h.

das heißt

Diss.

Dissertation

DJT

Deutscher Juristentag

DÖV

Die Öffentliche Verwaltung

DRiZ

Deutsche Richterzeitung

dt.

Deutsche(e, er, es)

DtZ

Deutsch-Deutsche Rechts-Zeitschrift

DVBl.

Deutsches Verwaltungsblatt

E

Entscheidung(en) (vgl. BVerfGE bzw. BVerwGE)

ebd.

ebenda

EKD

Evangelische Kirche in Deutschland

EMRK

Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten

Entw.

Entwurf

Erl.

Erlaß

EssGespr.

Essener Gespräche zum Thema Staat und Kirche. Begr. von J. Krautscheidt u. H. Marré, Münster/Westf. 1969 ff.

etc.

et cetera

(Europäische Menschenrechtskonvention)

EU

Europäische Union

EUG

Gesetz über das Erziehungs- und Unterrichtswesen

EuGRZ

Europäische Grundrechte-Zeitschrift

EuR

Europarecht

ev.

evangelische

Abkürzungsverzeichnis e.V.

eingetragener Verein

f.

folgende(Seite); für

FamRZ

Zeitschrift für das gesamte Familienrecht

FDP

Freie Demokratische Partei

Festg.

Festgabe

ff.

fortfolgende

Fn.

Fußnote(n)

FS

Festschrift

G

Gesetz

geänd.

geänderte, er, es)

gem.

gemäß

ges.

gesammelte, er, es)

GesBl.

Gesetzblatt

GG

Grundgesetz

ggf.

gegebenenfalls

GV., GVB1.,

Gesetz- und Verordnungsblatt

H.

Heft

Halbbd.

Halbband

Hamb.

Hamburger, hamburgische(e, er, es)

Hdb.

Handbuch

HdbDStR

Handbuch des Deutschen Staatsrechts. Herausgegeben von Gerhard Anschütz und Richard Thoma. Tübingen. Erster Band 1930, Zweiter Band 1932

HdbStKirchR

Handbuch des Staatskirchenrechts - 1. Aufl., hrsg. von Ernst Friesenhahn u. Ulrich Scheuner in Verbindung mit Joseph Listi. Berlin, Band I 1974, Band II 1975-2. Aufl., hrsg. von Joseph Listi u. Dietrich Pirson. Berlin, Band I 1994, Band II 1995

HessVGRspr.

Rechtsprechung der Hessischen Verwaltungsgerichte

ΗΚ

Herder-Korrespondenz

h.L.

herrschende Lehre

h.M.

herrschende Meinung

hrsg.

herausgegeben

Hrsg.

Herausgeber

HStR

Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, hrsg. von Josef Isensee u. Paul Kirchhof. Heidelberg, 1987 ff.

i.d.F.

in der Fassung

i. d. R.

in der Regel

i.e.S.

im engeren Sinne

insbes.

insbesondere

24

Abkürzungsverzeichnis

i.S.

im Sinne

i.ü.

im übrigen

i.V.m.

in Verbindung mit

i.w.S.

im weiteren Sinne

JA

Juristische Arbeitsblätter

Jb.

Jahrbuch

Jg.

Jahrgang

JGG

Jugendgerichtsgesetz

Jh.

Jahrhundert

JHG

Jugendhilfegesetz

JöR n.F.

Jahrbuch des öffentlichen Rechts der Gegenwart, neue Folge

JöR N. F. 1

Entstehungsgeschichte der Artikel des Grundgesetzes, bearb. von K.-B.

JR

Juristische Rundschau

von Doemming, R. W. Füßlein, W. Matz, in: JöR N. F. Bd. 1 (1951) JRP

Journal für Rechtspolitik

jur.

juristisch

JuS

Juristische Schulung

JWG

Gesetz für Jugendwohlfahrt

JZ

Juristenzeitung

Kap.

Kapitel

kath.

katholische(e, er, es)

KG

Kammergericht

kirchl.

kirchliche(e, er, es)

KirchVerf.

Kirchenverfassung

KJ

Kritische Justiz

Kl.

Klasse

KM

Kultusminister, Kultusministerium

KMK KMK-BeschlS.

Kultusministerkonferenz Sammlung der Beschlüsse der Ständigen Konferenz der Kultusminister der Länder in der Bundesrepublik Deutschland. 4 Bde. 3. Aufl. Neuwied 1982 ff. (Loseblattausgabe) Sekretariat der Ständigen Konferenz der Kultusminister der Länder in der Bundesrepublik Deutschland (Hrsg.): Handbuch für die Kultusministerkonferenz. Bonn 1969 ff.

KMK-Handbuch

Komm.

Kommentar; Kommission

KuR

Kirche und Recht. Zeitschrift für die kirchliche und staatliche Praxis

LABG

Lehrerausbildungsgesetz

Lb.

Lehrbuch

LBiG

Lehrerbildungsgesetz

Abkürzungsverzeichnis LG

Landgericht

Lit.

Literatur

LKV

Landes- und Kommunalverwaltung

Ls.

Leitsatz

LT-Drucks.

Landtags-Durcksache

LVerf

Landesverfassung

m.

mit

M.

Meinung

MB1.

Ministerialblatt

MDR

Monatsschrift für Deutsches Recht

m. w. N.

mit weiteren Nachweisen

Nachdr.

Nachdruck

Nachw.

Nachweise

NC

Numerus clausus

n. Chr.

nach Christus

Nds, nds

Niedersachsen, niedersächsisch

neubearb.

neubearbeitet(e, er, es)

n.F.

neue Fassung

NJW

Neue Juristische Wochenschrift

Nr.

Nummer

NS

Nationalsozialismus, nationalsozialistische(e, er, es)

NSchG

Niedersächsisches Schulgesetz

NVwZ

Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht

NW, nw

Nordrhein-Westfalen, nordrhein-westfälisch

o.

oben

o.ä.

oder ähnliche(e, er, es)

ÖAKR

Österreichisches Archiv für Kirchenrecht

OLG

Oberlandesgericht

OVG

Oberverwaltungsgericht

OWiG

Gesetz über Ordnungswidrigkeiten

pass.

passim

PDS

Partei des Demokratischen Sozialismus

Pr. ALR

Allgemeines Landrecht für die Preußischen Staaten

Preuß.

Preußisch

PschG

Privatschulgesetz

RdJ/RdJB

Recht der Jugend (ab 1965:) und des Bildungswesens

Rdnr.

Randnummer

rechtl.

rechtliche(e, er, es)

Abkürzungsverzeichnis

26 réf.

reformierte, er, es)

RGBl.

Reichsgesetzblatt

RK

Reichskonkordat vom 20. Juli 1933

RKEG

Gesetz über die religiöse Kindererziehung

RP, rp

Rheinland-Pfalz, rheinland-pfälzisch

Rspr.

Rechtsprechung

RWS

Recht und Wirtschaft in der Schule

s.

siehe

S.

Seite(n)

Saarl, saarl

Saarland, saarländisch

SchFG

Schulfinanzgesetz, Schulfinanzierungsgesetz

SchoG

Gesetz zur Ordnung des Schulwesens im Saarland (Schulordnungsgesetz)

SchpflG

Schulpflichtgesetz

SchulG

Schulgesetz

SchulVerfG

Schulverfassungsgesetz

SchVG

Schulverwaltungsgesetz

SED

Sozialistische Einheitspartei Deutschlands (DDR)

SG

Sozialgericht

SGB

Sozialgesetzbuch

SGG

Sozialgerichtsgesetz

SH, sh

Schleswig-Holstein, schleswig-holsteinisch

SMV

Schülermitverwaltung

s.o.

siehe oben

sog.

sogenannt

SPD

Sozialdemokratische Partei Deutschlands

staatl.

staatliche^, er, es)

StGB

Strafgesetzbuch

StGH

Staatsgerichtshof

StPO

Strafprozeßordnung

s.u.

siehe unten

SV

Schülervertretung

T.

Teil

theol.

theologische(e, er, es)

ThürVBl.

Thüringer Verwaltungsblätter. Zeitschrift für öffentliches Recht und öffentliche Verwaltung

u.

und, unten

u. a.

und andere

Abkürzungsverzeichnis u.ä.

und ähnliche(s)

unv.

unveränderte, er, es)

unveröff.

unveröffentlichte, er, es)

Urt.

Urteil

USA

United States of America

usw.

und so weiter

u.U.

unter Umständen

v.

von, vom

Var.

Variante

VBIBW

Verwaltungsblätter für Baden-Württemberg

Verf.

Verfassung

VerfGH

Verfassungsgerichtshof

VerwArch.

Verwaltungsarchiv

VG

Verwaltungsgericht

VGH

Verwaltungsgerichtshof

vgl.

vergleiche

VO

Verordnung

Vol.

Volume

Vorbem.

Vorbemerkung(en)

VoSchG

Volksschulgesetz(Bay)

VR

Verwaltungsrundschau. Zeitschrift für Verwaltung in Praxis und Wissenschaft

VSO

die Schulordnung für die Volksschule(Bay)

VVDStRL

Veröffentlichungen der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer

VwGO

Verwaltungsgerichtsordnung

VwVfG

Verwaltungsverfahrensgesetz

WRV

Weimarer Reichsverfassung

Ζ

Zeitschrift

ζ. B.

zum Beispiel

ZBl

Schweizerisches Zentralblatt für Staats- und Verwaltungsrecht

ZBR

Zeitschrift für Beamtenrecht

ZEE

Zeitschrift für Evangelische Ethik

ZevKR

Zeitschrift für evangelisches Kirchenrecht

ZfkTh

Zeitschrift für katholische Theologie

ZfP

Zeitschrift für Politik

Z. f. Päd.

Zeitschrift für Pädagogik

Ziff.

Ziffer

zit.

zitiert

28

Abkürzungsverzeichnis

ZÖR

Zeitschrift für Öffentliche Recht

ZPO

Zivilprozeßordnung

ZRP

Zeitschrift für Rechtspolitik

ZSR

Zeitschrift für Schweizerisches Recht

z.T.

zum Teil

z.Zt.

zur Zeit

Einleitung Die vorliegende Arbeit ist problemorientiert; sie soll ein für die Gesellschaft aktuelles Problem, nämlich die mangelnde Durchsetzungskraft vom Selbstverwirklichungsrecht des Schülers als Kern des Grundrechts auf Bildung im Grundgesetz im pluralistischen Kulturstaat herausarbeiten, besonders für die religiösen Bezüge in der Schule mit einem Blick auf das Kruzifix-Urteil des Bundesverfassungsgerichts. Damit soll sie einen Beitrag zur verfassungstheoretischen, verfassungsrechtlichen, kulturverfassungsrechtlichen, schulrechtlichen und religionsrechtlichen Behandlung und Bewältigung der Weiterentwicklung der Schule von der Schülerseite leisten. I.

Es ist selbstverständlich, daß das Leben um so weniger gelingt, je mehr es nach einem äußeren Plan gelebt wird. Leben ist um so erfüllter, je näher es seiner inneren Struktur und Qualität entspricht, dem, was man in sich als sein eigenes, sich gemäßes Leben entdeckt1. Es ist natürlich, daß jedem Menschen diese bewußtseinsrichtende und motivierende Kraft zur Selbstverwirklichung als „natürliche Neigung" innewohnt und in ihm wirksam ist. Die Rechtsordnung steht hier vor einem „Normierenmüssen" 2 eines bereits im gesellschaftlichen Zusammensein vorgeprägten menschlichen Wollenmüssens. Schon im gesellschaftlichen Miteinander ist die Selbstverwirklichung des Menschen „instinktiv motiviert". Die Lebensverhältnisse des Menschen in der Gesellschaft tragen, wenn auch mehr oder weniger entwickelt, ihr Maß und ihre Ordnung in sich. Die Rechtsordnung ist um der Selbstverwirklichung des Menschen willen da. Auf sie muß der denkende Jurist zurückgehen, wenn es an einer positiven Norm fehlt oder wenn dieselbe unvollständig oder unklar ist 3 . 1 Jürgen Blattner, Selbstverwirklichung als Leitidee in der Ausbildung seelsorgerlicher Berater, in: K. Hilpert (Hrsg.), Selbstberwirklichung: Chancen, Grenzen, Wege, Mainz 1987, S. 159 ff. 2 Günter Dürig, Art. 2 des Grundgesetzes und die Generalermächtigung zu allgemeinpolizeilichen Maßnahmen, AöR 79 (1953/54), S. 72. 3 Der sich selbstverwirklichende Mensch, der in dieser Arbeit immer beschrieben und betont wird, existiert vielleicht nicht allzu oft. Er ist das theoretische Ziel, der hypothetische Endpunkt persönlicher Entwicklung. Es ist zu beobachten, wie Menschen durch optimale Erfahrungen in Erziehung und Bildung auf dieses Ziel zusteuern. Was man sieht, ist der unvollkommene Mensch, der sich auf dieses Ziel bewegt. Was in dieser Arbeit beschrieben wird, ist die Version diseses Ziels in seiner durch die Erziehung und Bildung durchsetzbaren Form,

3 Hsu

30

Einleitung

Der Wesensgehalt der Rechtsordnung möchte keinen Menschen, der als ein anderer lebt, als der er ist. Und in der Verfassung ist auch selbstverständlich, daß die staatliche Organisation sich nicht auf den selbstentfremdeten, selbstentzweiten Menschen zwischen Anspruch und Wirklichkeit richtet, vielmehr an den Menschen in seiner Eigenheit, in seiner Individualität und in seiner Integration mit der pluralistischen Gesellschaft. Der Rechtsordnung bedarf es, um die Selbstverwirklichung des Menschen in der pluralistischen Gesellschaft durchzusetzen. Hierfür sind die Grundrechte wichtig 4 . Ob der Mensch sich selbst verwirklichen kann, entscheidet sich schon in der Kindheit, deshalb sind die Erziehung und Bildung der Kinder durch die Grundrechte in der Verfassung zu garantieren. Das Ziel der Erziehung und Bildung ist nicht um des Staates willen da, sondern um der Selbstverwirklichung des Menschen in der pluralistischen Gesellschaft willen. Können die Erziehung und Bildung einzelne und Gruppen darauf vorbereiten, in einer Welt zufrieden zu leben, deren vorherrschendes Merkmal der immer schneller werdende Wandel ist? Oder ist es für den Menschen unmöglich, sich anzupassen? Kann der Staat der wachsenden Selbstverwirklichung des Schülers an den öffentlichen Schulen und an den weiterführenden Ausbildungsstätten entsprechen - einer Selbstverwirklichung gegen das soziale Wertsystem, gegen die Unpersönlichkeit der Lerninstitutionen, gegen aufgezwungene Curricula, gegen die staatliche Ausstattung von Unterrichtsräumen mit einem Symbol? Oder wird sich der andersdenkende Schüler aus den „Stätten der Bildung" herausbewegen und sie ausschließlich den Konformisten überlassen? Wird das Bildungssystem als Ganzes - die traditionellste, konservativste, starrste, bürokratischste Institution unserer Zeit - die wirklichen Probleme des modernen Lebens in den Griff bekommen? Oder wird es weiterhin von den gewaltigen staatlichen Zwängen zu Konformität und Rückschritt gefesselt bleiben, die seinen eigenen Traditionalismus noch verstärken? Man kann nicht denselben Menschen auf der einen Seite für frei und selbständig erklären und ihm auf der anderen Seite Ehrfurcht vor Gott, Achtung vor religiöser Überzeugung, dem Christentum oder ähnliche traditionelle religiöse Verhaltensweisen als Erziehungsziele in den öffentlichen Schulen beibringen oder gar abfordern wollen 5 . besonders angesichts der Rechtswissenschaft. Vgl. Gustav Radbruch, Die Natur der Sache als juristische Denkform, in: Festschrift für R. Laun, Hamburg 1948, S. 157 ff. 4 Vgl. Thomas Fleiner, Was sind Menschenrechte, Zürich 1996, S. 11 ff. 5 Der sich selbstverwirklichende Mensch als Ziel der Erziehung und Bildung wird in dieser Arbeit - was offensichtlich ist - um des Versuchs willen beschrieben, Erzieher zu veranlassen, gründlicher über ihre eigenen Zielvorstellungen nachzudenken. Die Auffassung, daß jeder wüßte, was einen„gebildeten Menschen44 ausmacht, war so lange vorherrschend, daß fast nie der Tatsache ins Auge gesehen wurde, daß diese bequeme Definition inzwischen für die moderne Gesellschaft vollkommen irrelevant ist. Daher stellt diese Arbeit eine Empfehlung für die Erzieher aller Stufen dar. Vgl. Gerd Roellecke, Erziehungsziele und der Auftrag der Staatsschule, in: W. Zeidler/Th. Maunz/G. Roellecke (Hrsg.), Festschrift zum Hans Joachim Faller, München 1984, S. 189 ff.

Einleitung

31

Natürlich ist das Problem längst erkannt. Längst hat man auch die naheliegende Lösung verworfen, die Kinder oder Jugendlichen einfach unfrei und unselbständig zu erklären 6. Abgesehen davon, daß Grundrechte aus vielerlei Gründen auch für Kinder oder Jugendliche in der Schule gelten müssen7, verschiebt diese Lösung das Problem nur auf die Ebene des elterlichen Erziehungsrechts. Dort ist es zwar leichter zu ertragen, aber auch schwerer 8 zu lösen.

II.

Eine der wichtigsten Bestimmungen zu diesem Problem ist Art. 2 Abs. 1 GG, der das Recht auf die freie Entfaltung der Persönlichkeit garantiert. Aus ihm lassen sich eine Reihe konkreter Forderungen ableiten, denen die Selbstverwirklichung des Schülers zu genügen hat. Das setzt freilich voraus, daß man erstens den Sinn dieses Grundrechts genügend präzise erfaßt und zweitens klärt, inwieweit sich auch Schüler darauf berufen können9. Menschen besitzen ein natürliches Potential10 zum Lernen. Sie sind neugierig gegenüber ihrer Welt, wenn diese Neugier nicht durch die Erfahrungen, die sie in unserem Bildungssystem machen, abgestumpft wird. Sie sind in selbstverwirklichender Weise begierig, sich zu entwickeln und zu lernen. Als rechtlicher Aspekt kommt Art. 2 Abs. 1 GG das Recht auf die freie Entfaltung der Persönlichkeit hinzu. Damit kann nur gemeint sein, daß jeder über das Ob und Wie der Selbstentfal6 Vgl. Thomas Oppermann, Nach welchen Grundsätzen sind das öffentliche Schulwesen und die Stellung der an ihm Beteiligten zu ordnen? - Gutachten C für den 51. Deutschen Juristentag, München 1976, S. 83. 7 Die rechtlichen Voraussetzungen für die Selbstverwirklichung des Schülers, auch die politischen Kontextbedingungen, sind bei der Arbeit an dieser Aufgabe sicherlich notwendige, in einem bildungstheoretischen Sinne aber noch nicht hinreichende Bedingungen. Die hinreichenden Bedingungen sind erst dann gegeben, wenn sich die Schule als Institution eines modernen Lehrens und Lernens dadurch rechtfertigt, daß sie die Grenzen der Herkunftmilieus durch Zugänge zu pluralen Lebensformen und Denkweisen überschreiten hilft. Auf diese Weise soll sie die Heranwachsenden darin unterstützen, gegen die Zumutungen der sozialen Herkunft und gegen die Präokkupationen, die mit der Schule selbst verbunden sind, eine eigene Lebensform wählen zu können. Aber das Grundrecht auf Bildung ist das Stiefkind im Grundgesetz, in dem sein grundrechtlicher Charakter nicht ausdrücklich garantiert ist. Vgl. Albert Bleckmann, Staatsrecht II - Die Grundrechte, 4. Aufl., Köln 1997, S. 67 ff. 8 Ein Kind lernt von seinen christlichen Eltern, daß Gott die Welt erschaffen und am sechsten Tage, als Krone der Schöpfung, 'nach seinem Bilde', den Menschen ins Leben gerufen habe. Im Biologieunterricht wird dasselbe Kind mit einer anderen Geschichte konfrontiert. Hier gilt nicht das erste Buch Mose, sondern eine der Versionen der Evolutionstheorie als das zu Lernende. Vgl. Adalbert Rang, Pädagogik und Pluralismus, in: F. Hey ting / H.-E. Tenorth (Hrsg.), Pädagogik und Pluralismus, Weinheim 1994, S. 24. 9 Vgl. Ekkehart Stein, Das Recht des Kindes auf Selbstentfaltung in der Schule, Neuwied 1967, S. 67. w Vgl. Jean Houston, Der mögliche Mensch - Handbuch zur Entwicklung des menschlichen Potentials, Basel 1984.

31

32

Einleitung

tung autonom zu bestimmen hat, also bei seiner Selbstentfaltung ein Selbstbestimmungsrecht genießt. Hier gibt es zwei Wesensgehaltselemente bei der Selbstverwirklichung des Menschen in der pluralistischen Gesellschaft, nämlich Selbstentfaltung und Selbstbestimmung. Nur wenn der Mensch in der pluralistischen Gesellschaft sich selbst entfalten kann, kann er die für sich richtigen Entscheidungen treffen. Deshalb muß besonders hervorgehoben werden, daß Art. 2 Abs. 1 GG auch des Recht umschließt, über das Ob und Wie der Selbstentfaltung autonom zu bestimmen 11 . Der schon in seinem Wortlaut klar zum Ausdruck kommende Zweck dieses Grundrechts ist es also, allen die eigene Selbstentfaltung, die „freie" Entfaltung ihrer Persönlichkeit (die Selbstverwirklichung des Menschen), zu ermöglichen. „Das Grundrecht der freien Entfaltung der Persönlichkeit ist die Basis für ein freiheitliches Schulwesen überhaupt" 12. Das herrschende Verständnis des Rechts auf freie Entfaltung der Persönlichkeit bezogen auf das Schulverhältnis, gilt somit über den Charakter eines Abwehrrechts hieraus. Dem Abwehrrecht widerspricht es, den Menschen zum bloßen Objekt im Staate zu machen13, so daß auch „der Jugendliche nicht nur Objekt der staatlichen Erziehung" sein darf. Aber desweiteren ist das Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit auch in dem Sinne zu verstehen, daß der Schüler „von vorneherein und mit zunehmendem Alter in immer stärkerem Maße eine eigene durch Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG geschützte Persönlichkeit" 14 sein darf 15 . In diesem Rahmen gewährleistet Art. 2 Abs. 1 GG ein Kindesgrundrecht auf Selbstverwirklichung auch in der Schule16. Die Rechtsprechung umschreibt das Recht des Kindes auf Selbstverwirklichung in der Schule dahingehend, daß „das einzelne Kind ( . . . ) aufgrund des Art 2 Abs. 1 GG ein Recht auf eine möglichst ungehindert Entfaltung seiner Persönlichkeit und damit seiner Anlagen und Befähigungen (hat)" 17 . Hierbei läßt die Rechtsprechung offen, was das kindliche Selbstverwirklichungsrecht im einzelnen zum Inhalt in der Schule hat, insbesondere inwieweit es Elemente eines Rechts auf Bildung enthält, wie es das Bundesverwaltungsgericht 18 grundsätzlich anerkannt hat. In der Literatur wird dabei unter Bezugnahme auf das vom Bundesverfassungsgericht geschaffene „Menschenbild des Grundgesetzes" der schulische Erziehungs" Vgl. E. Stein, a. a. O. (Fn. 9), S. 20 f.; Winfried Brugger, Persönlichkeitsentfaltung als Grundwert der amerikanischen Verfassung, Heidelberg 1994, S. 1 ff. 12 Frank Hennecke, Ordnungsrecht und Schülerstreik, in: K. Nevermann/I. Richter (Hrsg.); Rechte der Lehrer, Rechte der Schüler, Rechte der Eltern, München 1977, S. 126. »3 BVerfGE 27, 1 (6). h BVerfGE 47,46 (74). 15 Vgl. Frank-Rüdiger Jach, Schulvielfalt als Verfassungsgebot, Berlin 1991, S. 60; Claudia Hartmann-Kurz, Grundrechte in der Schule, Weinheim 1998, S. 162 ff. 16 Vgl. T. Oppermann, a. a. O. (Fn. 6), S. C 14. π BVerfGE 45,400 (417); 58, 257(272); 59, 360 (382); HessStGH DÖV 1983, 546 (548). ι» BVerwGE 47, 201 (206); 56, 155 (158).

Einleitung

prozeß in einer fortführenden Idealisierung dahingehend umschrieben, daß der Schüler „nicht (als) Objekt des Erziehungsprozesses, sondern (als) gleichwertiger Partner" 19 anzusehen sei. Staatliche Schulerziehung sei nicht als ein ,»Prozeß einseitiger Hoheitsausübung, sondern (als) ein Prozeß menschlicher Begegnung und ständiger Kommunikation" 20 anzusehen, die Schule sei um des Schülers Willen da 21 , und von daher stehe die Person des einzelnen Schülers im Bereich der Erziehung und Bildung im Mittelpunkt 22 . All diese Formulierungen vermögen, so sehr ihnen grundsätzlich zuzustimmen ist, nichts über das eigentliche Problem auszusagen, daß nämlich der Schüler mittels Schulpflicht in der Erziehung durch die Schule einer zielgerichteten Formung seiner Subjektivität unterworfen ist und sich insofern die Frage nach Zielrichtung, Inhalt und Umfang dieser Formung stellt. Der Schüler ist faktisch kein gleichberechtigter Partner, sondern in dem Maße, wie er vorgegebenen Erziehungszielen unterworfen wird, zunächst notwendigerweise Objekt der Erziehung und einem Herrschaftsverhältnis unterworfen 23. Soweit es hier angebracht erscheint, einer idealistischen Betrachtungsweise mit Skepsis zu begegnen, so gilt es insbesondere, die Bedeutung des „Menschenbild(s) des Grundgesetzes" in seinem Bezug auf den schulischen Bildungsprozeß hin kritisch zu untersuchen. Insofern ist nicht nur die verfassungsrechtliche Reichweite des Art. 2 Abs. 1 GG hinsichtlich des schulischen Bildungsauftrages aus Art. 7 Abs. 1 GG wichtig, sondern vor allem ist der Begriff des Selbstverwirklichungsrechts des Schülers als Kern des Grundrechts auf Bildung im verfassungsrechtlichen Sinne zu verifizieren und zum Begriff der Selbstverwirklichung des Menschen in Bezug zu setzen. Durch die Grundrechtstheorie wird die theoretische Grundlage der verschiedenen Funktionen des Selbstverwirklichungsrechts des Schülers abgeleitet, zum Beispiel die Abwehrrechte, die Teilhaberechte, die institutionelle Garantie, die objektive Wertordnung, die Organisations- und Verfahrensgarantie ... usw. Hierbei sind Abwehrrechte wichtig, worüber es unterschiedliche Behauptungen von Juristen gibt. Einige Juristen betonen, daß Abwehrrechte auch heute noch eine besonders wichtige Komponente der Grundrechte sind. Demgegenüber bezeichnen andere die Grundrechte nicht in erster Linie als Abwehrrechte, sondern als die Pflicht des 19

Fritz Ossenbühl, Rechtliche Grundfragen der Erteilung von Schulzeugnissen, Berlin 1978, S. 24. 20 F. Ossenbühl, a. a. O. (Fn. 19), S. 23. 21 Vgl. Jörg Berkemann, Die„politischen Rechte" des Schülers, in: K. Nevermann/L Richter (Hrsg.), Rechte der Lehrer, Rechte der Schüler, Rechte der Lehrer, München 1977, S. 106; Bernd Clevinghaus, Recht auf Bildung, Diss., Bremen 1973, S. 152; Frank Hennecke, Staat und Unterricht - Die Festlegung didaktischer Inhalte durch den Staat im öffentlichen Schulwesen, Berlin 1972, S. 12; Lutz Rainer Reuter, Das Recht auf chancengleiche Bildung, Ratingen/Kastellaun/Düsseldorf 1975, S. 146; Ingo Richter, Bildungsverfassungsrecht, Stuttgart 1973, S. 33. 22 Norbert Niehues, Schul- und Prüfungsrecht, München 1976, S. 57.

23 F.-R. Jach, a. a. Ο. (Fn. 15), S. 61.

34

Einleitung

Staates, die Freiheit verwirklichen zu helfen; sie ziehen den Vergleich mit autoritären Wohlfahrtsstaaten, in denen die Grundrechte als Abwehrrechte verkümmert sind 24 . Elternrecht auf Erziehung der Kinder als Abwehrrechte spielen beim Selbstverwirklichungsrecht des Schülers als Kern des Grundrechts auf Bildung im verfassungsrechtlichen Sinne eine sehr wichtige Rolle, weil sie den Eltern i.V.m. dem Schülerrecht auf Selbstverwirklichung zugleich einklagbare subjektive öffentliche Rechte geben. III.

Der moderne Verfassungsstaat, wie er im Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland aufgrund historischer Erfahrung spezifische rechtliche Gestalt gefunden hat, beruht auf einem gesellschaftlichen, politischen, kulturellen Pluralismus, der diesen Staat trägt und von dem dieser Staat abhängig ist. Dieser Pluralismus im Kulturstaat besteht in der Anerkennung der Würde des Menschen, der Selbstverwirklichung des Menschen, der Geltung des Rechts25. Um die Selbstverwirklichung des Menschen in der pluralistischen Gesellschaft durchzusetzen, ist der pluralistische Kulturstaat zu garantieren. Was Erziehung oder Bildung ist, meint jeder zu wissen. Aber was ist Pluralismus im Kulturstaat? Bei der Suche nach einer Antwort kann man an eine Situation denken: Im früheren Jugoslawien (und nicht nur dort) herrscht Bürgerkrieg. Aus dem Miteinanderleben von Menschen unterschiedlichen Glaubens, das über viele Jahre hinweg möglich war, ist ein barbarisches Gegeneinander geworden. An die Stelle tolerierter Pluralität ist die Kriegspolitik der „ethnischen Säuberungen" getreten. In den „gesäuberten" Gebieten soll fortan weltanschauliche, wenn nicht gar völkische „Einheit" herrschen. Menschen, die in diese eindimensionale, teils oktroyierte, teils freiwillig übernommene Identität nicht passen, werden unterdrückt, vertrieben, vergewaltigt, ermordet. Sie gelten als Fremde, als Ausländer im eigenen Land 26 . Pluralismus im Kulturstaat bedeutet politisches, kulturelles, schulisches System oder Gesellschaftslehre, welche die Koexistenz und die Zusammenarbeit verschiedener Leitprinzipien oder Überzeugungen kennt. „Kultureller Pluralismus" könnte dann also auf das gleichzeitige Bestehen verschiedener kultureller Überzeugungen 24 Vgl. Α.. Bleckmann, a. a. O. (Fn. 7), S. 247 ff. 25 Vgl. Wolfgang Hoffmann-Riem, Vorüberlegungen zur rechtswissenschaftlichen Innovationsforschung, in: W. Hoffmann-Riem/J.-P. Schneider (Hrsg.), Rechtswissenschaftliche Innovationsforschung, Baden-Baden 1998, S. 17 ff.; Christoph Gusy, Legitimität im demokratischen Pluralismus, Stuttgart 1987.; Peter Häberle u. a., Wertepluralismus und Wertewandel heute, München 1982.; ders., Die Verfassung des Pluralismus, Athenäum 1980.; Edith Schreyer, Pluralistische Entscheidungsgremien im Bereich sozialer und kultureller Staatsaufgaben, Berlin 1982. 26 Vgl. Adalbert Rang, Pädagogik und Pluralismus, in: E Heyting/H.-E. Pädagogik und Pluralismus, Weinheim 1994, S. 23.

Tenorth (Hrsg.),

Einleitung

und Prinzipien, verschiedener Konzeptionen von gutem Leben in unserer Gesellschaft deuten. Nun wird oft die Tatsache, daß in einer Gesellschaft die Rede von kulturellem Pluralismus ist, als Problem für die Erziehung und die Bildung im pluralistischen Kulturstaat im modernen Verfassungsstaat gesehen27. Staatliche Neutralität, bürgerliche und staatlicher Toleranz, individuelle Grundrechte und Wahrung von Frieden und Recht als Staatsaufgabe sind die konsensualen Existenzbedingungen unserer gegenwärtigen Gesellschaft. Die Rechts-, Friedens· und Freiheitsordnung des säkularen Verfassungsstaates hält, solange der Pluralismus als gesellschaftliche und kulturelle Vorbedingung allgemein anerkannt wird, und sie zerbricht, wenn in der Gesellschaft Mächte aufkommen, die diesen Pluralismus nicht mehr tragen. Die Kraft des Verfassungsstaates zur Konfliktbewältigung folgt indes aus der Überwindung historischer Konflikte; ob diese Kraft aber reicht, die neuartigen Konflikte einer multikulturellen Gesellschaft zu lösen, könnte zur Schicksalsfrage der Gegenwart werden 28. Immer schon sind die inneren Spannungen des säkularen Staates in einem Lebensbereich aufgetreten, in dem individuelle Weltanschauung und staatlicher Machtanspruch in verdichteter Weise aufeinandertreffen. Dieser Lebensbereich ist die Schule. Und nicht ohne Grund ist es bis in die jüngsten Tagesereignisse hinein die öffentliche Schule, in der jetzt die Konflikte einer multikulturellen Gesellschaft vor aller Augen in Erscheinung treten. Das Potential dieser Konflikte und die möglichen Konfliktlösungen könnten zum Modell der künftigen Gestaltung der Gesellschaft im pluralistischen Kulturstaat werden 29. 27 Vgl. Ben Spiecker, Öffentliche Erziehung. Ein konzeptioneller Beitrag zu einer öffentlichen Debatte, in: F. Heyting/H.-E. Tenorth (Hrsg.), Pädagogik und Pluralismus, Weinheim 1994, S. 195; Gerd Roellecke, Zur Zukunft des Verfassungsstaates, JZ 1998, S. 689ff. 28 Frank J. Hennecke, Rechtsprobleme religiöser Mindeheiten im öffentlichen Schulwesen der Bundesrepublik Deutschland, in: Jahrbuch zur Staats- und Verwaltungswissenschaft, Baden-Baden 1996, S. 83 f.; Vgl. auch Ernst-Wolfgang Böckenförde, Begriff und Probleme des Verfassungsstaates, in: R. Morsey/H. Quaritsch/H. Siedentopf (Hrsg.), Staat, Politik, Verwaltung in Europa, Gedächtnisschrift für Roman Schnur, Berlin 1997, S. 137 ff. 29 Die Vielfalt individueller Überzeugungen führt in einer pluralistischen Gesellschaft unausweichlich zur Konfrontation der Erwachsenen und der Minderjährigen mit Meinungen, Einflüssen und Verhaltensweisen, welche mit ihren persönlichen Wertungen möglicherweise nicht in Übereinstimmung stehen. Im gesellschaftlichen Raum treffen sich alle geistigen Richtungen mit all ihrer Ausstrahlung. Von der Konfrontation mit ihnen ausgenommen zu werden, ist mit und ohne staatliche Hilfe schlechthin unmöglich. Die Frage nach einem entsprechenden staatsgerichteten Bewahrungsanspruch ist deswegen wenig zielführend. Er steht nach dem bundesverfassungsgerichtlichen Spruch auch nicht zur Debatte. Eine andere Frage dagegen ist es, ob und wieweit man es zu den Aufgaben des Staates rechnet, solche Konfrontationen zu initiieren, zu fördern, auszuschalten oder zu verhindern. So dient auch dieses Schlagwort nicht der sachlichen Verständigung, zumal gleichfalls nicht hinreichend zwischen der gesellschaftlichen und der staatlichen Öffentlichkeit differenziert wird. Der Staat darf den religiösen Frieden in einer Gesellschaft nicht von sich aus gefährden. Gerade deshalb muß er selbst religiös-weltanschauliche Neutralität und Toleranz wahren. Vgl. F. J. Hennecke, a. a. O. (Fn. 28), S. 84.

36

Einleitung IV.

Wie auch die heftigen Auseinandersetzungen um die Bildungsreform in den siebziger Jahren haben offenkundig werden lassen, hat der Staat aber mit der Staatlichkeit des Schulwesens die Bürde einer unlösbaren Spannung auf sich genommen: Sein Prinzip ist die Neutralität in Fragen der Weltanschauung und Religion; das Prinzip der Erziehung aber, das an der Schule wirkt, ist die Bindung an Werte, an ein Menschenbild, letztlich an weltanschauliche oder religiöse Positionen. Es gibt keine Erziehung, der keine Wertentscheidungen über den Sinn des Lebens zugrunde liegen. Erziehung durch den Staat ist insofern immer ein Widerspruch in sich selbst30. Mit der Festlegung der staatlichen Schulaufsicht in Art. 7 Abs. 1 GG und darüberhinaus mit der staatlichen Fixierung von Erziehungszielen in den Verfassungen der Bundesländer hat der Verfassunggeber selbst diese Problemlage bewußt herbeigeführt. Da es ihm jedoch zugleich um die Ausgestaltung einer freiheitlichen Verfassung ging, hat er auch Wege aufgezeigt und Institutionen geschaffen, die zur Lösung der Spannungslage beitragen 31. Seit jeher problematisch und konfliktträchtig ist die Festlegung weltanschaulicher und christlicher Erziehungsziele in den Verfassungen und Schulgesetzen der Länder 32 . Da nach der föderativen Kompetenzverteilung des Grundgesetzes das Schulwesen in die Zuständigkeit der Länder fällt, sind die Länder selbstverständlich befugt, sowohl auf Landesverfassungs- als auch auf einfacher Gesetzgebungsebene Regelungen über das Schulwesen und seine Inhalte zu treffen. Gebunden sind sie hierbei freilich an die grundgesetzliche Ordnung und damit an das Prinzip der Neutralität und der Toleranz des Staates, das ansonsten ebenfalls in den Landesverfassungen festgelegt ist. So gibt es denn in der Tat eine Spannung zwischen dem Grundgesetz und weltanschaulichen oder christlichen Erziehungszielen in den jeweiligen Ländern 33 . Die Praxis hat jedoch entweder auf die Operationalisierung christlicher Erziehungsziele schlicht verzichtet oder diese in allgemeine Humanitätsideale uminterpretiert, und mit zunehmender Säkularisierung der Gesellschaft nimmt diese Entwicklung auch zu. Diese Humanitätsideale bleiben indes, und hieran hat die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts auch ausdrücklich festgehalten, an die abendländische, christlich geprägte Geistes- und Bildungstradition rückgebunden 34 30 Vgl. hierzu Frank Hennecke, Staat und Unterricht, Berlin 1972, S. 22 ff. 31 F. Hennecke, a. a. O. (Fn. 30), S. 51 ff. 32 Vgl. Gerd Roellecke, Zum Verhältnis von Recht und Erziehung, in: Verantwortlichkeit und Freiheit - Festschrift für Willi Geiger zum 80. Geburtstag, Tübingen 1989, S. 342 ff. 33 Vgl. Ludwig Renck, Religionsfreiheit und das Bildungsziel der Ehrfurcht vor Gott, NJW, 1989, S. 2442 ff. 34 Vgl. BVerfGE 41, 29ff.; 46ff.; 88 ff.; 52, 223 ff.

Einleitung

Die Konflikte zwischen dem prinzipiell neutralen toleranten Staat und der prinzipiell nicht neutralen toleranten Schule spitzen sich zu, wenn Grundrechte ins Spiel kommen. Es ist daher nach einem langen verfassungsrechtlichen Erkenntnisprozeß anerkannt 35, daß immer dann, wenn in der Schule verschiedene Überzeugungen und Anschauungen zusammentreffen, sei es durch den Lehrplan 36 , sei es durch Äußerungen und Bekenntnisakte von Lehrern oder auch Schülern, Toleranz gelten muß, einseitige Beeinflussungen unzulässig sind und Diskriminierungen und Gewissenszwang unterbleiben müssen37. In dem paradigmatischen Rechtsstreit um das Schulgebet wurde letztlich entschieden, daß das Schulgebet als Bekenntnisakt gläubiger Lehrer und Schüler gerade als Grundrechtsausübung zulässig sein müsse, aber keine diskriminierenden Wirkungen haben dürfe 38 . Schulverfassung ist Grundrechtsverfassung mit allen damit verbundenen Spannungen, Beschränkungen und Freiheiten 39. Der pädagogische Lebensraum der Schule wird vom Lebensgefühl der Gegenwart, von gesellschaftlichen Erwartungen und Rollenverständnissen, von öffentlichen Werthaltungen und auch wissenschaftlichen Ansprüchen nachhaltig geprägt. Die staatlichen Schule ist Ausdruck der modernen Gesellschaft 40 und kann gerade wegen ihrer Staatlichkeit gar nichts anderes sein. Die Erziehungsarbeit der Schule folgt, trotz zum Teil entgegenstehender Erziehungsziele in den Landesverfassungen, aufgrund der Entwicklung der Erziehungswissenschaften dem Leitbild einer säkularen und emanzipatorischen Pädagogik41. Emanzipatorisch in bestem Sinne ist auch eine Erziehung, die zur Selbstverwirklichung, zur geistigen Selbständigkeit, zur Mündigkeit, zur Freiheit und auf dieser Grundlage zur Verantwortung führt. Erziehung in diesem Sinne ist und bleibt aber Selbstverwirklichung des Individuums und hat damit einen entschieden individualistischen Kern.

35 Ebenda. 36 Vgl. Ulrich K. Preuß, Lehrplan und Toleranzgebot, RdJB 1976, S. 267 ff.; Günter Püttner, Toleranz und Lehrpläne für Schulen, DÖV 1974, S. 656 ff. 37 Vgl. Thomas Dittmann, Toleranz im Schulrecht der hessischen Landesverfassung, Diss., Augsburg 1982; Gerhard Eiselt, Zur Sicherung des Rechts auf eine ideologisch tolerante Schule, DÖV 1978, S. 866 ff.; Thomas Oppermann, Zum Grundrecht auf eine tolerante Schule, RdJB 1977, S. 44 ff.; Ulrich K. Preuß, Zum Grundrecht auf eine tolerante Schule - Entgegnung zu den Anmerkungen von Th. Oppermann, RdJB 1977, 114 ff. 38 BVerfGE 52, 223 ff. 39 F. J. Hennecke, a. a. O. (Fn. 28), S. 87. 40 Vgl. Ernst-Wolfgang Böckenförde, Religionsfreiheit, Freiburg 1990, S. 74ff. 41 Vgl. als Übersicht Martin Stock, Pädagogische Freiheit und politischer Auftrag der Schule - Rechtsfragen emanzipatorischer Schulverfassung, Heidelberg 1971; kritisch Wolfgang Brezinka, Die Pädagogik der Neuen Linken, 6. Aufl., München 1981.

38

Einleitung V.

Das Kruzifix-Urteil des Bundesverfassungsgerichts hat mittlerweile eine schon umfangreiche Spezialliteratur 42 ausgelöst, deren Ende noch nicht abzusehen ist. Angesichts der ganz außergewöhnlichen Resonanz, die die Entscheidung des 42

Vgl. Peter Badura, Das Kreuz im Schulzimmer. Inhalt und rechtliche Tragweite des Beschlusses des Bundesverfassungsgerichts vom 16. Mai 1995, BayVBl. 1996, S. 33 ff. und 71 ff.; Ernst Benda,,, Das Kruzifix-Urteil ist zu apodiktisch", ZRP 1995, S. 427 ff.; ders., Wirklich Götterdämmerung in Karlsruhe?, NJW 1995, S. 2470f.; Gregor C. Biletzki, Das Kreuz im Klassenzimmer. Zur bundesverfassungsrechtlichen Zuläsigkeit des neuen Art. 7 III BayEUG, NJW 1996, S. 633 f.; Christoph Bohr, Jenseits des Profanen. Die religiösen Grundlagen des freiheitlichen Verfassungsstaates, Die neue Ordnung, 49. Jg. (1995), S. 324 ff.; Michael Brenner, Der Kruzifix-Beschluß des Bundesverfassungsgerichts, ThlirVBl. 1996, S. 145 ff.; Gunther Britz, Das Kreuz - im säkularen Staat nicht mehr zumutbar?, ZRP 1996, S. 232.; Winfried Brugger, Der praktische Fall - Öffentliches Recht: Das störende Kreuz in der Schule, JuS 1996, S. 233 ff.; ders./Stefan Huster (Hrsg.), Der Streit um das Kreuz in der Schule, Baden-Baden 1998; Axel Frhr. v. Campenhausen, Zur Kruzifix-Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, AöR 121 (1996), S. 448 ff.; Gerhard Czermak, Der Kruzifix-Beschluß des Bundesverfassungsgerichts, seine Ursachen und seine Bedeutung, NJW 1995, S. 3348 ff.; ders., Der Kruzifix-Beschluß zwischen Neutralität und Glaubensförderung sowie als Spielball der Emotionen, ZRP 1996, S. 201 ff.; Steffen Detterbeck, Gelten die Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts auch in Bayern?, NJW 1996, S. 426ff.; Holger Fleischer, Kurzbeitrag zum Kruzifix-Urteil, JZ 1995, S. 1001 ff. ; Werner Flume, Das „Kruzifixurteil" und seine Berichtigung, NJW 1995, S. 2904 f.; Hans-Ullrich Gallwas, Dulden wider Willen als Problem der Grundrechtsdogmatik - Ein Aspekt der Kreuzentscheidung, in: F. Ruland/B. B. v. Maydell/H.-J. Papier (Hrsg.), Verfassung, Theorie und Praxis des Sozialstaats, Festschrift für Hans F. Zacher zum 70. Geburtstag, S. 185 ff.; Max-Emanuel Geis, Geheime Offenbarung oder Offenbarungseid? Anm. zum„Kruzifix-Beschluß" des BVerfG, RdJB 1995, S. 373 ff.; Helmut Goerlich, Krieg dem Kreuz in der Schule?, NVwZ 1995, S. 1184 ff.; Walter Gut, Kreuz und Kruzifix in öffentlichen Räumen im säkularen Staat, Z. f. schweizerisches Recht 1997, S. 63 ff.; ders., Kreuz und Kruzifix in öffentlchen Räumen, Zürich 1997; Ulf Häußler, „Schulkreuze" im säkularen Staat, ZevKR 1998 (43), S. 461 ff.; Martin Heckel, Das Kreuz im öffentlichen Raum. Zum„Kruzifix-Beschluß" des Bundesverfassungsgerichts, DVB1. 1996, S. 453 ff.; Dirk Heckmann, Eingriff durch Symbole. Zur Reichweite grundrechtlichen Schutzes vor geistiger Auseinandersetzung, JZ 1996, S. 880ff.; Otfried Höffe, Das Grundgesetz nur auslegen - Wieviel Politik ist dem Verfassungsgericht erlaubt?, JZ 1996, S. 83 ff.; Alexander Hollerbach,„Dtr Staat ist kein Neutrum". Ein Gespräch zum KruzifixUrteil mit dem Staatskirchenrechtler Alexander Hollerbach, HK 1995, S. 536 ff.; Friedhelm Hufen, Urteilsanm., JuS 1996, S. 258 ff.; ders., Anbringen von Kruzifixen in staatlichen Pflichtschulen als Verstoß gegen Art. 4 Abs. 1 GG, in: B. Guggenberger/T. Würtenberger (Hrsg.), Hüter der Verfassung oder Lenker der Politik, 1. Aufl., Baden-Baden 1998, S. 161 ff.; Josef Isensee, Bildersturm durch Grundrechtsinterpretation, ZRP 1996, S. 10 ff.; Karl-Hermann Kästner, Lernen unter dem Kreuz?, ZevKR 41 (1996), S. 241 ff.; ders./Hans Ulrich Anke, Der praktische Fall - Öffentliches Recht: „Kreuzzug" in der Lutherschule, JuS 1996, S. 719 ff.; Peter Karle, Umstrittene Religionsfreiheit, Z. f. schweizerisches Recht 1997, S. 193 ff.; Holger Kremser, Der verfassungsrechtliche Fall zum Ersten Juristischen Staatsexamen: Der Streit um das Kruzifix, NdsVBl. 1996, S. 219 ff.; Peter Lerche, Schule ohne Kreuz?, in: Kirche u. Gesellschaft, hrsg. von der Katholischen Sozialwissenschaftlichen Zentralstelle Mönchengladbach, Köln 1995, S. 16ff.; Christoph Link, Stat Crux? Die„Kruzifix"-Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, NJW 1995, S. 3353 ff.; Hans Maier, Geschichtsblind und schulfremd. Zur kulturpolitischen Bedeutung der„Kreuz-Entscheidung",

Einleitung

Bundesverfassungsgerichts zu Kruzifixen in Schulen gefunden hat, konnte es nicht ausbleiben, daß sich die öffentliche Diskussion ins Prinzipielle ausgeweitet und über den eigentlichen Gegenstand des Verfassungsstreites hinaus die Grundsätze des Verhältnisses von Religion und staatlicher Ordnung, insoweit auch die Rolle des Bundesverfassungsgerichts im Verfassungsgefüge thematisiert und problematisiert hat. Eine rechtliche Beurteilung muß gleichwohl von den konkreten zur Entscheidung stehenden Rechtsfragen ihren Ausgang nehmen. Es geht um das Handeln des Staates in Wahrnehmung seiner Schulhoheit im pluralistischen Kulturstaat, also um eine Rechtsbeziehung zwischen Staat und einzelnen Bürgern. Der Angelpunkt der Begründung liegt somit nach Ansicht des Bundesverfassungsgerichts in den Grundrechtsbereichen - Elternrecht auf Erziehung und Religionsfreiheit im Schulbereich. Das Bundesverfassungsgericht orientierte sich vornehmlich am Grundrecht auf Religionsfreiheit und am elterlichen Erziehungsrecht in seinen religiös-weltanschaulichen Bezügen. Es ging dabei im wesentlichen von folgenden Überlegungen aus: Der Schutzbereich der Religionsfreiheit umfasse das Recht, nach eigenen Glaubensüberzeugungen zu leben und zu handeln. Art. 4 Abs. 1 GG überlasse es dem einzelnen, welche religiösen Symbole er anerkenne und verehre bzw. welche er ablehne. Ferner umfasse das elterliche Recht zur Kindererziehung in religiöser und weltanschaulicher Hinsicht (Art. 4 1 i. V. m. Art. 6 Π S. 1 GG) auch das Recht, die Kinder von für falsch oder schädlich erachteten Glauin: Kirche u. Gesellschaft, hrsg. v. d. kath. Sozialwiss. Zentralstelle Mönchengladbach, Köln 1995, 9ff.; ders.(Hrsg.), Das Kreuz im Widerspruch, Freiburg 1996; Johannes Neumann, Rechts- oder Glaubensstaat?, ZRP 1995, S. 381 ff.; Wolfgang Ockenfels, Karlsruher Wirren, Die neue Ordnung 1995, S. 322 f.; Peter Pappert (Hrsg.), Den Nerv getroffen. Engagierte Stimmen zum Kruzifix-Urteil von Karlsruhe, Aachen 1995; Dietrich Pirson, Urteilsanm., BayVBl. 1995, S. 755 ff.; Anton Rauscher, Abkehr vom Wertekonsens?, in: Kirche u. Gesellschaft, hrsg. v. d. kath. Sozialwiss. Zentralstelle Mönchengladbach, Köln 1995, 3 ff.; Konrad Redeker, „Der moderne Fluch der Versuchung zur Totalität", NJW 1995, S. 3369f.; Hans Reis, Rechts- oder Glaubensstaat? - Eine Erwiderung, ZRP 1996, S. 56 ff.; ders., Zum rechtlichen Gehalt der Kruzifix-Debatte, ZRP 1996, S. 16 ff.; Ludwig Renck, Zum rechtlichen Gehalt der Kruzifix-Debatte, ZRP 1996, S. 16ff.; ders., Bemerkungen zum Schulkreuzgesetz, BayVBl. 1996, S. 492 ff.; Jochen Rozek, Anbringung von Kreuzen oder Kruzifixen in Schulräumen?, BayVBl. 1996, S. 22 ff.; Johannes Rux, Positive und negative Bekenntnisfreiheit in der Schule, Der Staat 1996, S. 523 ff.; Helmuth Schulze- F ielitz, Das Bundesverfassungsgericht in der Krise des Zeitgeists, AöR 122 (1997), S. 2ff.; Stephan Seltenreicht, Urteilsanm., VBIBW 1995, S. 470ff.; Klaus Stern, Die Fehler der Richter, Die politische Meinung 1995, S. 5 ff.; Heinrich Basilius Streithofen, Ansprüche an Verfassungsrichter, Die neue Ordnung 1995, S. 329ff.; ders., Das Kruzifix-Urteil, Frankfurt/M. 1995; Gregor Stricker, Das„Kruzifix-Urteil" in der wissenschaftlichen Diskussion, NJW 1996, S. 440 ff.; Michael Werneke, Das Kreuz mit der Religionsfreiheit, Theologie und Glaube 1995, S. 533 ff.; Markus Winkler, Kruzifix im Klassenzimmer, JA 1995, S. 927ff.; Thomas Würtenherger, „Unter dem Kreuz" lernen, in: D. Merten/R. Schmidt/R. Stettner (Hrsg.), Der Verfassungsstaat im Wandel. Festschrift für Franz Knöpfle zum 70. Geburtstag, München 1996, S. 397 ff.; Walter Ziegler, Der Kampf um die Schulkreuze im Dritten Reich, in: Kirche und Gesellschaft, hrsg. v. d. Kath. Sozialwiss., Zentralst. Mönchengladbach, Köln 1995, S. 23 ff.; Rüdiger Zuck, Kreuz-Züge, NJW 1995, S. 2903 f.

40

Einleitung

bensüberzeugungen fernzuhalten 43. In diese Rechte greife § 13 I S. 3 BayVSO ein. Denn angesichts der allgemeinen Schulpflicht seien die Schulkinder durch diese Vorschrift während des Unterrichts von Staats wegen und ohne Ausweichmöglichkeit mit dem Kreuz konfrontiert und gezwungen, „unter dem Kreuz" zu lernen 44. Das Bundesverfassungsgericht legte seiner Entscheidung verfassungsrechtliche Maßstäbe zugrunde, die der bisherigen Rechtsprechung und der herrschenden Auffassung entsprechen 45, abgesehen von einer verengten Deutung des Selbstverwirklichungsrechts des Schülers als Kern des Grundrechts auf Bildung im verfassungsrechtlichen Sinne und abgesehen von einer extensiven Auslegung und Anwendung der „positiven" Glaubensfreiheit des Staates (der staatlichen religiösen Tätigkeit der Ausstattung von Unterrichtsräumen mit Kruzifixen in der öffentlichen Schule). Die öffentliche Schule sollte weniger als Ort nur einer bestimmten religiösen Erziehung verstanden werden 46. Aufgabe und Pflicht der öffentlichen Schule ist es, durch Unterricht und Erziehung dazu beizutragen, daß der Schüler seine geistigen, seelischen und körperlichen Anlagen entfaltet 47. Diese Arbeit konzentriert sich darauf, den Verfassungsvollzug im öffentlichen Schulwesen kritisch zu prüfen und zu untersuchen, ob und wie das Grundgesetz in seiner maßgeblichen Auslegung beim Selbstverwirklichungsrecht des Schülers als Kern des Grundrechts auf Bildung im verfassungsrechtlichen Sinne durch das Bundesverfassungsgericht in der Praxis und ihrer literarischen Widerspiegelung zur Geltung kommt.

43 BVerfG, NJW 1995, 2477, 2478. 44

Karl-Hermann Kästner, Lernen unter dem Kreuz? Zur Zulässigkeit religiöser Symbole in staatlichen Schulen nach der Entscheidung des BVerfG vom 16. Mai 1995, ZevKR 41 (1996), S. 257. Vgl. Peter Badura, Das Kreuz im Schulzimmer, BayVBl. 1996, S. 35. 46 Vgl. Ludwig Renck, Verfassungsprobleme der christlichen Gemeinschaftsschule, NVwZ 1991, S.116. 4 ? Hans Heckel/Hermann Avenarius, Schulrechtskunde, 6. Aufl., Neuwied 1986, S. 296.

Erstes Kapitel

Die Selbstverwirklichung des Menschen als Wesensgehalt aller Grundrechte im Grundgesetz A. Die Selbstverwirklichung des Menschen I. Die Quellen der Selbstverwirklichung des Menschen als Begriff

1. Existenzphilosophie

von Hegel bis Fichte

Der idealistische Gedanke von Selbst, Selbstsein und Selbstwerden hat vor allem in der Philosophie nach Hegel eine zentrale Rolle gespielt und durch die Existenzphilosophie erneut Relevanz gewonnen. Er hebt sich von früheren anthropologischen Konzeptionen vor allem darin ab, daß er die Realisation des Selbst nicht als faktische Einholung einer naturhaft vorgegebenen idealen Struktur versteht, sondern als etwas, das sich zu allererst im Entwerfen, Begreifen und Aneignen eigener Möglichkeiten konstituiert. Dies ist vor allem in Fichtes Ich-Philosophie auf die Spitze getrieben, insofern dort selbst noch das Bewußtsein1 als reine Tathandlung, also als völliger Akt der Freiheit, gedacht ist; das Ich ist darin vorhanden und besteht darin, daß es sich selbst setzt2.

2. Selbstwerdungs-Ethik

von Sören Kierkegaard

Sorgen Kierkegaard wendet diese Selbsterzeugung des Ich ganz ins Ethische und gelangt so zu einer wirkungsgeschichtlich bedeutsamen Selbstwerdungs-Ethik: Er meint mit „Selbst" dies, daß das Verhältnis, die Synthese zwischen Unendlichem und Endlichem, zwischen Zeitlichem und Ewigem, zwischen Freiheit und Notwendigkeit, als die der Mensch sich vorfindet, sich noch einmal zu sich selbst verhält. Die uneingeschränkte Daseinsaufgabe besteht nach ihm darin, selbst zu sein. Indem der Mensch diese Aufgabe in einem grundlegenden Akt der Wahl übernimmt, entdeckt er sein Selbst-sein-Können und vollzieht es. Diese Grundwahl kann aber nicht ein für allemal an ihrem Ziel sein, sondern muß unter den nicht vom Selbst gesetzten faktischen geschichtlichen Bedingungen je neu und 1

Vgl. Wolf gang Röhl, Sprache und Bewußtsein - Zur Theorie des Selbstbewußtseins, Bonn 1983. 2 Konrad Hilpert, Einführung: Stichwort „Selbstverwirklichung", in: Κ Hilpert (Hrsg.), Selbstverwirklichung: Chancen, Grenzen, Wege, Mainz 1987, S. 11.

42

1. Kap.: Selbstverwirklichung als Wesensgehalt aller Grundrechte

konkret verwirklicht werden. Im Prozeß des Selbstwerdens sieht Kierkegaard nun zugleich die Transzendenz aufbrechen. Der Mensch hat sich die Möglichkeit seines Selbstseinkönnens3 nicht selbst erschaffen, sondern er kann sie nur wählen, was sich besonders dann zeigt, wenn er in bestimmten Situationen der Verzweiflung sein Selbst abschütteln will. Deshalb muß sie von etwas Anderem gesetzt sein, und dieses Andere, in der Selbstbestimmung selbst Bestimmende, nennt er Gott 4 3. Gedanke der Selbstrealisation

von Karl Marx

Auch bei Karl Marx spielt der Gedanke der Selbstrealisation eine wichtige, ja zentrale Rolle. Kierkegaard sieht im Noch-nicht-Selbstsein die grundlegende Herausforderung menschlichen Existierens, deren Entdeckung, Übernahme und Lösung dem einzelnen in ethischen Entscheidungen obliegt. Im Gegensatz dazu deutet Marx die Nicht-Übereinstimmung im Menschen oder - idealistisch ausgedrückt - die Differenz zwischen Freiheit und Notwendigkeit als Widerstreit zwischen individuellem Dasein und gattungsmäßigem Wesen. Dies analysiert er als von den sozioökonomischen Verhältnissen bedingte Entfremdung. Vor diesem Hintergund besagt Selbstrealisation vor allem gesellschaftlich-strukturelle Befreiung der menschlichen Grundkräfte und der individuellen Fähigkeiten. Die Selbstverwirklichung der gesellschaftlichen Individuen kann folglich erst dann und in dem Maße eintreten, wie die ökonomischen Abhängigkeitsverhältnisse aufgehoben sind und die Klassenherrschaft überwunden ist 5 .

4. „ Selbst 44 in der psychologischen Theorie von Carl Gustav Jung Freilich, der nächste Ursprung für die derzeitige Popularität des Selbstverwirklichungsgedankens dürfte weniger in den anspruchsvollen Philosophien des Idealismus und der Existenzphilosophie zu suchen sein als in der neueren Psychologie, wo die Selbstverwirklichungsthematik seit Jahrzehnten bei einer Reihe prominenter Autoren eine eingehende Behandlung erfahren hat6. Offensichtlich war es Carl Gustav Jung, der den Begriff „Selbst" in die psychologische Theorie eingeführt und wohl auch explizit den Terminus „Selbstverwirklichung" geprägt hat. Jung 3 Vgl. Eckhard Niebel, Kulturkritik, Frankfurt/M. 1989, S. 49ff.; Jean Houston, Der mögliche Mensch - Handbuch zur Entwicklung des menschlichen Potentials, Basel 1984. 4 Vgl. Sören Kierkegaard, Die Krankheit zum Tode, übers, u. hrsg. v. L. Richter, Reinbek 1966, S. 13 ff. 5 Vgl. Karl Marx, Nationalökonomie und Philosophie. Über den Zusammenhang der Nationalökonomie mit Staat, Recht, Moral und bürgerlichem Leben, in: ders., Die Frühschriften, hrsg. v. S. Landshut, Stuttgart 1971, S. 225-316, 235. 6

Vgl. Roland Huber, Zur Psychologie der Selbstverwirklichung. Eine vergleichende Betrachtung psychologischer Selbstverwirklichungstheorien, Diss, phil., Zürich 1981; Jürg Willi, Koevolution. Die Kunst gemeinsamen Wachsens, Hamburg 1985, bes. S. 32-77.

Α. Selbstverwirklichung des Menschen

43

verwendete ihn als Synonym für Individuation und begriff diese als jenen innerpsychischen Prozeß, in dessen Verlauf sich ein Mensch die unbewußten Tiefenschichten seiner eigenen Natur bewußt macht, sich mit ihnen auseinandersetzt, sie in ihrer Wirksamkeit anerkennt und sie in seine Persönlichkeit integriert. Grundlegend für diese Sicht ist die Unterscheidung zwischen Selbst und Ich: Während das Ich das umfaßt, was ich von mir weiß und als zugehörig zu mir fühle, ist mit dem Selbst die aus bewußten und unbewußten Inhalten7 bestehende, beides als Einheit begreifende Gesamtpersönlichkeit gemeint. Das Selbst, das zu verwirklichen ist, besagt also einerseits Individualität, insofern die Individuation in Relation mit den schicksalsmäßig gegebenen Anlagen erarbeitet wird; andererseits wird damit der gelungene Aufbau einer Persönlichkeit zum Ausdruck gebracht, die gerade mehr umfaßt, als bloß das im Bewußtsein Festgehaltene8.

5. „ Selbstverwirklichung " in der humanistischen Psychologie von Carl R. Rogers und Abraham H. Maslow „Selbstverwirklichung" hat dann aber vor allem in der aus den USA kommenden, sogenannten humanistischen Psychologie einen programmatischen Stellenwert erhalten. Daß dem Menschen in allem Handeln und Streben eine unabweisbare Tendenz innewohnt, die auf Selbstverwirklichung zielt, ist die zentrale anthropologische Aussage, in der beispielsweise Carl R. Rogers oder Abraham H. Maslow die Erfahrungen mit therapeutischen Prozessen auf einen Nenner bringen. Das Streben nach Selbstverwirklichung wird als die Motivationsbasis aller menschlichen Aktivitäten bestimmt, von der die einzelnen Bedürfnisse und Bestrebungen ausgehen. Psychische Fehlhaltungen werden vor allem damit erklärt, daß Selbstverwirklichung in der kindlichen Entwicklung verhindert worden sei. „Selbstverwirklichung" steht in dieser Persönlichkeitstheorie deshalb vor allem für ein nichtinstrumentelles Verständnis von Therapie: Ziel ist die mit sich übereinstimmende Selbstgestalt, nicht eine vorweg feststehende Verhaltensänderung 9.

II. Der sich selbstverwirklichende Mensch

7. Der sich selbstverwirklichende

Mensch und seine Menschlichkeit

Wo Selbstverwirklichung beschworen wird, geschieht dies meist emphatisch und engagiert für die eigene Person. Zweifellos gehört zur Person Authentizität, 7

Vgl. Carl Gustav Jung, Bewußtes und Unbewußtes, Frankfurt am Main 1957. Vgl. Carl Gustav Jung, Die Beziehungen zwischen dem Ich und dem Unbewußten (1982), in: ders., Gesammelte Werke, Bd. VII, Zürich 1964, 191 ff. 9 Vgl. Carl R. Rogers u. a., Die Klientenzentrierte Gesprächspsychotherapie, München 1972; ders., Entwicklung der Persönlichkeit. Psychotherapie aus der Sicht eines Therapeuten, Stuttgart 1976. 8

44

1. Kap.: Selbstverwirklichung als Wesensgehalt aller Grundrechte

der Wunsch also nach Individualität und Echtheit. Was viele suchen, ist das Besondere inmitten von Egalitärem, die unverwechselbare Eigenart, die nicht einfach bloß die Allgemeinheit auslegt, Identität, die nicht durch vorgegebene Zugehörigkeiten zufällt, sondern aufgebaut und dargestellt wird. Zur Suche nach Originalität gesellt sich das Streben nach Spontaneität. Man will selbst darüber befinden, was man braucht, um zu sich selbst zu kommen und dieser bestimmte Jemand zu sein. Den allgegenwärtigen Einwirkungen von außen, den mannigfaltigen Zwängen und sublimen Verfügungen, ihnen will man sich nicht einfach ausliefern. Weil das Gewirr der tausendfachen Bezüge so unübersichtlich ist, gerät alles Institutionelle und alles Verbindlichkeit Verlangende in den Verdacht der Manipulation. Und da ist schließlich noch die Suche nach Kreativität. Umschlossen und bedrängt von einer synthetischen Alltagswelt, in der das funktionale Nutzenkalkül unerbittlich herrscht und in immer neue, subtilere Bereiche vorzudringen scheint, klingt die Aussicht auf die Möglichkeit von Unverzwecktem und gar auf einen Bereich des Nichtverzweckbaren verlockend 10. Die eigentliche Natur des Menschen ist schöpferisch und zuverlässig zugleich, sofern er voll handlungsfähig ist. Wenn wir den Menschen von seinen Abwehrmechanismen befreien können, so daß er dem breiten Spektrum seiner Bedürfnisse gegenüber ebenso aufgeschlossen ist wie den vielfältigen Anforderungen seiner Umwelt und seiner sozialen Belange, kann man darauf vertrauen, daß seine Handlungsweise positiv, zukunftsorientiert und konstruktiv sein wird 11 . Man braucht die Frage nicht zu stellen, wer ihn sozialisieren soll. Denn eines seiner tiefsten Bedürfnisse ist der Kontakt und die Kommunikation mit anderen. Wenn er vollkommen er selbst ist, kann er nicht anders als wirklich sozialisiert zu sein. Man braucht nicht zu fragen, wer seine aggressiven Impulse kontrollieren wird. Denn wenn er allen inneren Impulsen gegenüber aufgeschlossen ist, ist der Wunsch, von den anderen geliebt zu werden und andere zu lieben, genauso stark wie das Bedürfnis, sich nach außen hin abzugrenzen oder für sich zu sorgen. Er wird in solchen Situationen aggressiv sein, in denen Aggression wirklich notwendig ist, aber seine Aggression wird nicht mit ihm durchgehen. In diesen und anderen Lebensbereichen ist sein gesamtes Verhalten - wenn er für all seine Erfahrungen offen ist - ausgewogen und realistisch. Es ist ein Verhalten, das der Selbstentfaltung und Selbstbestimmung eines sozialen Wesens entspricht 12. Der Mensch ist nicht eingezwängt in niedrige Beweggründe, denen er naturgemäß übergeben ist, vor denen er sich zu bewahren hat 13 . Läßt man den Menschen frei, so entläßt man ihn nicht in den automatischen Regelkreis determinierter "> K. Hilpert, a. a. O. (Fn. 2), S. 9 f. Rudolf Buchmann, Pädagogik und Menschenwürde, Bern / Stuttgart 1985, S. 181 ff. 12 Vgl. Carl R. Rogers, Lernen in Freiheit, 3. Aufl., München 1979, S. 280 f. u Jürgen Blattner, Selbstverwirklichung als Leitidee in der Ausbildung seelsorgerlicher Berater, in: K. Hilpert (Hrsg.), Selbstberwirklichung: Chancen, Grenzen, Wege, Mainz 1987, S. 159. 11

Α. Selbstverwirklichung des Menschen

45

Reaktionen. Er nähert sich vielmehr der expansiven Natur seines Bedürfnisses nach Selbstverwirklichung, der Aufnahme der eigenen inneren Natur, der Verwirklichung der Möglichkeiten, Fähigkeiten und Talente, der Erfüllung einer Berufung, seiner „Menschlichkeit" 14 . So gesehen, muß man den sich selbstverwirklichenden Menschen als einen vom orientierungsentwickelnden Menschlichkeitsbegriff geprägten verstehen.

2. Der sich selbstverwirklichende

Mensch und seine Umwelt

Breite Bereiche unseres Lebens, angefangen von Erziehungspraktiken gegenüber Kindern, über Bedingungen der Arbeitswelt bis hin zu politischen Einstellungen beruhen auf der Annahme, man könne dem Individuum nicht trauen, müsse es vielmehr von außen lenken, belehren, bestrafen und beherrschen. Aber nur freigelassen kann der Mensch das Selbst sein, das er in Wahrheit ist 1 5 . Je mehr eines Menschen Verhalten durch externe Kontrolle manipuliert wird, um so mehr verliert dieser Mensch den Bezug zu sich selbst, seine Möglichkeit zu Selbstentfaltung und Selbstbestimmung. Den Menschen frei zu lassen, das und jenes zu wollen, sich für oder gegen diesen Weg zu entscheiden, für oder gegen diese Handlung, darin liegt die innere Bestimmung des menschlichen Lebens. Der Mensch möchte frei sein, sich die Welt anzueignen, nicht behindert zu wachsen. Männer und Frauen sollten selbstmächtig sein, Leben zu gestalten16. Das Leben ist im besten Fall ein fließender, sich wandelnder Prozeß, in dem nichts starr ist. Diese Erfahrung besagt, daß das Leben kein geschlossenes System von Glaubensinhalten, kein unveränderliches Gebäude von Einstellungen und Prinzipien ist 17 . Indem sich der Mensch sich selbst nähert, eigene Erfahrungen wahrnimmt, sich von ihnen betreffen läßt, wird aus einer statischen Struktur von Verhaltensweisen eine fließende, sich wandelnde Mischung des Selbst in der Persönlichkeit. Durch die Integration ständig neuer Erfahrungen entsteht der Mensch. Entsprechend ist auch Selbstverwirklichung kein abschließender und endgültiger Status, kein Sich-Festmachen in Interessen, Wünschen, Bedürfnissen, vielmehr eine ständige Berührung der äußeren Realität mit der inneren, je eigenen Struktur der Erfahrung 18. »Jeder soll so leben, wie er mag" ist die Maxime eines verbreiteten Lebensstils, der sich nur die eine grundlegende Selbstbeschränkung auferlegt, daß die Bewegung des Mehr-sein-Wollens die Integrität anderer nicht beeinträchtigen dürfe 19 . 14

Abraham H. Maslow, Psychologie des Seins. Ein Entwurf, München 1973, S. 41 ff. 15 J. Blattner, a. a. O. (Fn. 13), S. 160f. 16 Vgl. Paul Michael Zulehner, Leibhaftig glauben, Lebenskultur nach dem Evangelium, 3. Aufl., Freiburg/Basel/Wien 1983, S. 28. π Vgl. R. Buchmann, a. a. O. (Fn. 11), S. 187 ff. is Vgl. J. Blattner, a. a. O. (Fn. 13), S. 161 f.

4 Hsu

46

1. Kap.: Selbstverwirklichung als Wesensgehalt aller Grundrechte

Es gehört zu unserem Leben, daß es Leben von und mit anderen ist, und dies gilt nicht bloß leiblich-elementar, sondern auch seelisch und identitätsmäßig. Der Bedarf an Mitmenschlichkeit für die vielen „Selbste" kann nur gestillt werden, wenn die pluralistische kulturelle Umwelt von genügend vielen in der Weise des Füreinanders zur Verfügung gestellt wird 2 0 .

Mensch und 3. Der sich selbstverwirklichende die Konventionen seiner Umwelt Die überraschendste und folgenreichste Erkenntnis der modernen Psychologie ist die Einsicht in die außerordentlich große seelische Plastizität des Menschen, in seine Bildsamkeit und Lernfähigkeit. Sein Verhalten wird nicht durch organische Gesetzmäßigkeiten starr festgelegt; er ist weitgehend frei von der Instinktgebundenheit der Tiere, er ist plastisch und formbar. Statt der Instinkte besitzt das menschliche Kind eine geradezu unglaubliche Fähigkeit, zu lernen. Die höheren Tiere bringen bei der Geburt fast alle Fähigkeiten fertig mit, die sie brauchen, um sich am Leben zu erhalten. Der Mensch dagegen muß erst durch eigene Erfahrungen erwerben, was er wissen und können muß. Er besitzt eine erbbedingte Plastizität der Anlagen: ihm stehen anfangs viele Möglichkeiten offen, er kann sich den Bedingungen anpassen, die er in seiner Umwelt vorfindet 21 . In dieser seelischen Formbarkeit, in der enormen Lernfähigkeit des Menschen liegt seine größte Chance: er kann stets neue Erfahrungen machen und höhere Fähigkeiten erwerben, er kann umlernen und Fortschritte machen. Darin liegt aber auch eine mögliche Gefahr: die Zeit der größten Lernfähigkeit in der Kindheit kann zu wenig genutzt werden, er kann schlechte Gewohnheiten erwerben, minderwertige Gesinnungen ausbilden, er kann verwahrlosen und zu einer primitiven, haltlosen oder zwiespältigen Persönlichkeit werden 22. Was aus dem heranwachsenden Menschen wird, hängt von den Erlebnissen ab, die ihm widerfahren, und von den Handlungen, die er setzt. Von allem, was er aufnimmt, bleiben Spuren in ihm zurück. Kein Eindruck geht völlig verloren. Alles, was er tut oder unterläßt, baut an seinem Charakter fort. Dadurch nimmt die Bildsamkeit stetig ab. Sein Denken, Fühlen und Handeln, seine Interessen und Wünsche werden mehr und mehr durch die Wirkungen früherer Erfahrungen bestimmt. 19 Verachtung und Unterdrückung lassen die philosophische Wesensbestimmung des Menschen in der Praxis scheitern. Der verachtete Mensch wird sich selber nicht in jener Ebene sehen können, und mit dem Verlust seiner Selbstachtung auch seine Würde verlieren. Vgl. K. Hilpert, a. a. Ο. (Fn. 2), S. 14. 20

Vgl. Hans J. Münk, Zur Selbstverwirklichung des Menschen in Arbeit und Freiheit, in: Κ Hilpert (Hrsg.), Selbstberwirklichung: Chancen, Grenzen, Wege, Mainz 1987, S. 69 ff. Vgl. Wolfgang Brezinka, Grundbegriffe der Erziehungswissenschaft, 5. Aufl., München/Basel 1990, S. 19 ff. 22 Wolf gang Brezinka, Erziehung - Kunst des Möglichen, München / Basel 1988, S. 152.

Α. Selbstverwirklichung des Menschen

47

Wo werden diese Erfahrungen, die den künftigen Charakter bestimmen, gemacht? Von wem wird gelernt? Von den Personen, mit denen das Kind zusammenlebt; von den Trägern der konventionellen Kultur, in die es hineingeboren wird. Die Konventionen der Gesellschaft und der Kultur wirken vom Tag der Geburt an unaufhörlich auf das bildsame Kind ein. Sie lenken den kindlichen Lernprozeß, wie es der herrschenden Überlieferung entspricht 23. Sich selbstverwirklichende Menschen kann man alle als relativ spontan im Verhalten - und weit spontaner als da - in ihrem inneren Leben, Denken, in ihren Trieben und so weiter beschreiben. Ihr Verhalten wird von Einfachheit und Natürlichkeit, sowie vom Mangel an Künstlichkeit oder Effekthascherei charakterisiert. Das bedeutet nicht notwendig ein konsistent unkonventionelles Verhalten. Wenn wir tatsächlich nachrechneten, wie oft sich der sich selbstverwirklichende Mensch unkonventionell verhalten hat, wäre das Ergebnis nicht sehr hoch. Die Unkonventionalität ist nicht oberflächlich, sondern wesentlich und intern 24 . Es sind seine Impulse, sein Denken, sein Bewußtsein, die so ungewöhnlich unkonventionell, spontan und natürlich sind. Weil er erkennt, daß die Welt der Menschen, in der er lebt, dies nicht verstehen oder akzeptieren könnte, und da er niemanden verletzen oder mit niemandem über jede Nichtigkeit streiten will, wird er die Zeremonien und Rituale der Konvention mit einem gutmütigen Achselzucken und mit der bestmöglichen Eleganz auf sich nehmen25. Der Mantel der Konventionalität hängt dem sich selbstverwirklichenden Menschen nur sehr leicht über seinen Schultern und kann sehr leicht abgelegt werden. Was zu tun er für wichtig oder grundlegend hält, wird sich jener Mensch nur selten von der Konvention verbieten lassen. In solchen Augenblicken kommt sein wesentlicher Mangel an Konventionalität zum Vorschein, anders als beim durchschnittlichen Bohemien und Rebellen gegen die Autorität, der aus Trivialitäten große Probleme macht und gegen irgendeine unwichtige Regelung kämpft, als wäre sie weltweit bedeutend26.

4. Der sich selbstverwirklichende die pluralistische kulturelle

Mensch und Umwelt

Eine der Eigenschaften selbstverwirklichender Menschen, die bis zu einem gewissen Ausmaß viel von der, was wir bereits beschrieben haben, streift, ist ihre Selbstbestimmung vor der physischen und sozialen Umwelt. Da sie von Wachs23 Die Persönlichkeit des einzelnen, das Zusammenleben in der Gesellschaft, der Zustand der Kultur: alles ist ständig in Fluß, wechselseitig voneinander abhängig und ebensosehr vom Niedergang bedroht wie zum Besseren, zur höheren Form fähig. Vgl W. Brezinka, a. a. Ο. (Fn. 22), S. 152 f. 24

Vgl. Th. Fleiner, Was sind Menschenrechte, Zürich 1996, S. 11 ff. 5 Abraham H. Maslow, Motivation und Persönlichkeit, Ölten 1977, S. 227.

2 2

* A. H. Maslow, a. a. O. (Fn. 25), S. 227 f.

4*

48

1. Kap.: Selbstverwirklichung als Wesensgehalt aller Grundrechte

tumsmotivation und nicht von Mangelmotivation angetrieben werden, sind selbstverwirklichende Personen in ihren Hauptbefriedigungen nicht von der realen Welt, oder anderen Menschen, oder von der Kultur, oder von Mitteln zum Zweck, oder überhaupt von äußeren Faktoren bestimmt. Eher hängen sie in ihrer eigenen Entwicklung und in ihrem kontinuierlichen Wachstum von ihren eigenen Potentialitäten und latenten Quellen ab 27 . Sich selbstverwirklichende Menschen sind nicht gut angepaßt (im naiven Sinn des Billigens der Kultur und der Identifikation mit ihr). Sie kommen mit der Kultur in verschiedener Weise aus, aber man kann von ihnen allen sagen, daß sie einer bestimmten tiefgehenden und sinnvollen Art der Anpassung widerstehen und eine bestimmte innere Distanz zu der Kultur aufrechterhalten, in der sie sich befinden 28 . Das innere Gefühl der Distanz zur Kultur ist nicht notwendigerweise bewußt. Es wird jedoch von allen gezeigt, besonders in den Diskussionen über die traditionelle Kultur als Ganzes29, in verschiedenen Vergleichen mit anderen Kulturen und in der Tatsache, daß sie sehr häufig imstande zu sein scheinen, von ihr zurückzutreten, als würden sie nicht ganz zu ihr gehören. Die Mischung von Zuneigung oder Billigung und Feindseligkeit und Kritik in verschiedenem Verhältnis deutet darauf hin, daß sie aus der traditionellen Kultur das heraussuchen was ihrer Meinung nach gut ist, und verwerfen, was sie für schlecht halten. Mit einem Wort, sie wägen ab, versuchen, probieren und treffen dann ihre eigene Entscheidung30. Das unterscheidet sich sicherlich sehr von der gewöhnlichen Art und Weise des passiven Nachgebens der kulturellen Formung gegenüber. Es unterscheidet sich auch von der totalen Zurückweisung dessen, was schließlich und endlich eine relativ gute Kultur ist, das heißt, verglichen mit anderen Kulturen, die tatsächlich existieren, und mit dem Phantasiehimmel der Vollkommenheit. Aus diesen Gründen kann man diese Individuen autonom nennen, das heißt, von den Gesetzen beherrscht, die sich aus ihrem eigenen Charakter ergeben und nicht von jenen der Gesellschaft. Und von daher verbleiben sie auch nicht nur im Bewußtsein der eigenen Traditionen, sondern gewinnen mehr als andere Toleranz gegenüber fremden Kultursystemen 31. Dies bedeutet graduelle Verschiedenheit und Plazierung in einem Zusammenhängenden, das von der relativen Akzeptanz der Kultur bis zur relativen Distanz zu ihr reicht. Der Pluralismus von Wertorientierungen, Kulturen und Lebensauffassungen kann in unserer Gesellschaft als der Kontext angesehen werden, in welchem die 27 Vgl. A. H. Maslow, a. a. Ο. (Fn. 25), S. 233; Regina Hirth/Thomas Th. Stiefel, Dein Weg zur Selbstverwirklichung, München 1994, S. 98 ff. 28 Α. H. Maslow, a. a. O. (Fn. 25), S. 246.

Satteiberger/Rolf

29 Vgl. Stefan Zickler, Das entfesselte Ich oder Die Selbstverwirklichung des individuellen Bewußtseins, Florida 1997, S. 341 ff. 30 Vgl. Α. H. Maslow, a. a. O. (Fn. 25), S. 248. 31 Vgl. Α. H. Maslow, a. a. O. (Fn. 25), S. 249.

Α. Selbstverwirklichung des Menschen

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Erziehung und Bildung der folgenden Generationen stattfindet. Der Pluralismus wird daher mit zum Gegenstand erziehungswissenschaftlicher Betrachtungen 32. Der Pluralismus wirkt sich auch auf die Erziehung aus. Auf die Frage, was Kinder lernen sollen, lassen sich keine „eindeutigen und verbindlichen Antworten" mehr geben. Es gibt verschiedene Menschen- und Kinderbilder, verschiedene Wertorientierungen 33. Pluralismus bezieht sich auf Diversität und bezeichnet eine bestimmte Einstellung dazu. Ein pluralistisches Temperament sollte Ausgangspunkt, Wegweiser und Zielpunkt für Unterricht, Lehre und Forschung sein . Sie zu fördern, wird nicht nur für lobenswert, sondern darüber hinaus für notwendig gehalten, um die Selbstverwirklichung des Menschen in der pluralistischen kulturellen Umwelt durchzusetzen34.

5. Der sich selbstverwirklichende Mensch und seine Erziehung und Bildung in der Welt Die Welt wandelt sich mit stetig zunehmender Geschwindigkeit. Wenn unsere Gesellschaft der Herausforderung durch die schwindelerregenden Veränderungen in Wissenschaft, Technologie, Kommunikationsmitteln und sozialen Beziehungen begegnen soll, können wir uns nicht auf den Antworten ausruhen, die die Vergangenheit dafür liefert, sondern wir müssen unser Vertrauen in die Prozesse setzen, mit denen man neuen Problemen begegnen kann 35 . In der Welt, mit der wir es bereits zu tun haben, muß es das Ziel der Erziehung und Bildung sein, Individuen zu entwickeln, die dem Wandel gegenüber offen sind. Nur solche Persönlichkeiten können konstruktiv den Schwierigkeiten einer Welt begegnen, in der Probleme schneller entstehen werden als die Antworten darauf. Das Ziel der Erziehung und Bildung muß eine pluralistische Gesellschaft sein, in der die Menschen mit der Veränderung zufriedener leben können als mit starren Gegebenheiten. In Zukunft wird es wichtiger sein, sich gegenüber Neuen angemessen verhalten zu können, als Altes zu wiederholen, obwohl Altes zu wissen auch wichtig ist 3 6 . 32

Vgl. Frieda Hey ting, Konstruktiver Pluralismus - Diversität als Baustein erziehungswissenschaftlicher Theoriebildung, in: F. Heyting/H.-E. Tenorth (Hrsg.), Pädagogik und Pluralismus, Weinheim 1994, S. 101. 33 Vgl. Wouter van Haaften/Ger Snik, Allgemeinbildung als Entprovinzialisierung des Denkens, in: F. Heyting/H.-E. Tenorth (Hrsg.), Pädagogik und Pluralismus, Weinheim 1994, S. 65. 34 Vgl. A. Rang, Pädagogik und Pluralismus, in: F. Heyting/H.-E. Tenorth (Hrsg.), Pädagogik und Pluralismus, Weinheim 1994, S. 24, 33. 3 * Vgl. Carl. R. Rogers, Der neue Mensch , Stuttgart 1981, S. 1 ff. ; ders., a. a. O. (Fn. 12), S. 290. 36 Vgl. Carl. R. Rogers, Freiheit und Engagement, München 1984, S. 1ff. ; ders., a. a. O. (Fn. 12), S. 291.

50

1. Kap.: Selbstverwirklichung als Wesensgehalt aller Grundrechte

Es muß ein Weg gefunden werden, um innerhalb des gesamten Bildungssystems und seiner einzelnen Bereiche ein Klima zu entwickeln, das freie Persönlichkeitsentfaltung fördert. Innovationen dürfen keine Angst auslösen und die kreativen Kräfte von Administratoren, Lehrenden und Lernenden müssen unterstützt und freigesetzt statt unterdrückt werden. Nur so kann man den schöpferischen Menschen entwickeln, der gegenüber all seiner Erfahrung offen und sich ihrer bewußt ist, der sie akzeptiert und der selbst in einem ständigen Wandlungsprozeß steht. Und nur auf diese Weise kann die kreative Organisation von Erziehung und Bildung hervorgebracht werden, die sich ebenfalls ständig in einem Prozeß der Veränderung befinden wird 3 7 . Es scheint, daß der Schüler, der aus einer theoretisch optimalen Erfahrung persönlichen Wachstums hervorgegangen ist - möglicherweise aus einer schülerzentrierten 38 Bildung - danach ein sich verwirklichender und voll handlungsfähiger Mensch ist. Er ist imstande, in und mit allen und jedem seiner Gefühle und Reaktionen erfüllt zu leben. Er gebraucht seinen Organismus als Mittel, die existentielle Situation in sich und seiner Umwelt so genau wie möglich zu erschließen. Er benutzt alle Daten, die ihm sein Nervensystem zur Verfügung stellen kann; er nutzt sie bewußt, berücksichtigt aber, daß sein Gesamtorganismus vielleicht klüger sein mag - und oft ist - als sein Bewußtsein. Er läßt seinen gesamten Organismus in all seiner Komplexität funktionieren, d. h. aus einer Vielzahl von Möglichkeiten das Verhalten auswählen, das im jeweiligen Augenblick die umfassendste und echteste Befriedigung bringt. Er kann seinem Organismus vertrauen; nicht, weil dieser unfehlbar wäre, sondern weil er den Auswirkungen jeder seiner Aktionen vollkommen offen gegenübersteht und sie berichtigen kann, wenn sie ihn nicht befriedigen 39 . Dieser Schüler ist (nach Rogers) in der Lage, alle seine Gefühle zu erleben, statt Angst vor den eigenen Emotionen zu haben. Er bestimmt sich selbst, ist aber für alle Erfahrungen offen. Er ist ganz damit beschäftigt, er selbst zu sein und zu werden, und entdeckt dabei, daß er ein psychisch gesunder und wirklich sozialer Mensch ist. Er lebt vollkommen für den Augenblick, aber er lernt, daß das das vernünftigste für sein Leben ist. Er ist ein sich ganz verwirklichender und handlungsfähiger Organismus, und auf Grund seines Selbstbewußtseins, das sein Handeln kennzeichnet, ist er auch eine sich verwirklichende und voll handlungsfähige Persönlichkeit 40 . Mit seiner sensiblen Weltoffenheit, mit seinem Vertrauen auf seine Fähigkeit, neue Beziehungen zu seiner Umwelt aufzunehmen 41 , wäre er die Art von Mensch, 37 Vgl. C. R. Rogers, a. a. O. (Fn. 12), S. 291 f. 38 Vgl. C. R. Rogers u. a., Die Klientenzentrierte Gesprächspsychotherapie, München 1972. 39 Vgl. C. R. Rogers, a. a. O. (Fn. 12), S. 277 f.

40 Vgl. C. R. Rogers, a. a. O. (Fn. 12), S. 278 f. Vgl. C. R. Rogers, a. a. O. (Fn. 12), S. 280.

Β. Art. 2 Abs. 1 GG als Selbstverwirklichung des Menschen im GG

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der kreativ produziert und kreatives Leben initiiert. Er wäre nicht notwendigerweise an seine Kultur „angepaßt", und er wäre ziemlich sicher kein Konformist. Aber zu jeder Zeit und in jedem Kulturkreis würde er konstruktiv und in soviel Übereinstimmung mit dieser Kultur leben, wie es eine ausbalancierte Befriedigung seiner Bedürfnisse erforderte. Unter bestimmten kulturellen Bedingungen wäre er in mancher Hinsicht sicher sehr unglücklich, aber er würde weiter er selbst bleiben und sich so verhalten, daß er im höchstmöglichen Maß für die Befriedigung seiner innersten Bedürfnisse sorgt. Solch ein Mensch würde sich veränderten Umweltbedingungen anpassen und überleben. Er wäre fähig, sich vernünftig auf neue wie auf alte Bedingungen einzustellen. Er wäre ein sich selbst verwirklichender Mensch.

B. A r t 2 Abs. 1 GG als die Selbstverwirklichung des Menschen im Grundgesetz Art. 2 Abs. 1 GG: , Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit." Danach hat jeder zunächst ein Recht auf Entfaltung seiner Persönlichkeit, also auf Selbstentfaltung, ein Entfaltungsrecht. Als zweiter Aspekt kommt Art. 2 Abs. 1 GG das Recht auf die freie Entfaltung der Persönlichkeit hinzu, womit nur gemeint sein kann, daß jeder über das Ob und Wie der Selbstentfaltung autonom zu bestimmen hat, also bei seiner Selbstentfaltung ein Selbstbestimmungsrecht genießt42. Hier enthält der Wesensgehalt zwei Elemente der Selbstverwirklichung des Menschen.

I. Die geschichtliche Entwicklung von Art. 2 Abs. 1 GG

Verfassungsrechtliche Garantien der freien Persönlichkeitsentfaltung gibt es erst nach dem Zweiten Weltkrieg. Die weltweit erste Verankerung dieses Grundrechts findet sich in der Verfassung des Landes Hessen von 1946, wo es in Art. 2 Abs. 1 heißt: „Der Mensch ist frei. Er darf tun und lassen, was die Rechte anderer nicht verletzt oder die verfassungsmäßige Ordnung des Gemeinwesens nicht beeinträchtigt." Die Worte „freie Entfaltung seiner Persönlichkeit" finden sich erstmals in Art. 1 Abs. 1 der Verfassung von Rheinland-Pfalz von 1947. Beide Verfassungen standen Pate bei der komplizierten Willensbildung des Parlamentarischen Rates über dieses Grundrecht 43. Die heutige Fassung von Art. 2 Abs. 1 GG geht auf einen Vorschlag von Mangoldts in der 23. Sitzung des Grundsatzausschusses (19. 11. 1948) zurück. Am 42

Vgl. Ekkehart Stein, Das Recht des Kindes auf Selbstentfaltung in der Schule, Neuwied 1967, S. 20ff. 4 3 Dazu Adalbert Podlech, Kommentar zum GG für die Bundesrepublik Deutschland (Reihe Alternativkommentare), Bd. 1, 2. Aufl., Darmstadt 1989, Art. 1 I Rz. 4.

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1. Kap.: Selbstverwirklichung als Wesensgehalt aller Grundrechte

13. 12. 1948 schlug der Allgemeine Redaktionsausschuß statt dessen folgende Formulierung vor 4 4 : »Jedermann hat die Freiheit, zu tun und zu lassen, was die Rechte anderer nicht verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt." Von Mangoldt hatte schon 1949 Art. 2 Abs. 1 GG als Garantie der „allgemeinen Handlungsfreiheit" gedeutet, freilich ohne sich näher über den Sinn dieses Begriffs auszulassen45. Wer sich durch die unüberschaubare Literatur zu Art. 2 Abs. 1 GG hindurchzulesen versucht, findet eine Fülle geistreicher Gedanken zu den Fragen: ob es sich um ein Grundrecht handelt oder nur um eine objektive Verfassungsnorm, die kein subjektives Recht gewährt; in welchem Verhältnis diese Bestimmung zu den übrigen Grundrechtsnormen steht; welche Bedeutung und Tragweite ihr zweiter Halbsatz hat, der als Schranken dieses Rechts „die Rechte anderer" , „die verfassungsmäßige Ordnung" und „das Sittengesetz" aufzählt 46.

1. Die Theorie der allgemeinen Handlungsfreiheit Die herrschende Lehre sieht in Art. 2 Abs. 1 GG eine Garantie der allgemeinen Handlungsfreiheit, d.h des Rechts, zu tun und zu lassen, was man will. Sie kann sich hierfür vor allem auf die Entstehungsgeschichte berufen. Der Vorschlag des Allgemeinen Redaktionsausschusses47(s.o.) wurde lediglich aus sprachlichen und rechtstechnischen Gründen durch den heute geltenden Wortlaut ersetzt. Ein abweichender Sinn war nicht beabsichtigt. Daraus erbigt sich, daß die Urheber dieser Norm mit ihr die allgemeine Handlungsfreiheit garantieren wollten 48 . Die Lehre vom Grundrechtssystem aktualisiert nämlich den Grundrechtsanspruch des Art. 2 Abs. 1 GG keineswegs nur als „allgemeine" Handlungsfreiheit, sondern in Verbindung mit dem „auf seinen Grundrechtsschutz zu überprüfenden Lebenssachverhalt" 49. Sie versteht den Art. 2 Abs. 1 GG im Ergebnis als einen „Inbegriff* von Freiheitsrechten, als „eine Art Summenrecht" 50, in dem einzelne Freiheitsrechte enthalten sind. Der einzelne aus Art. 2 Abs. 1 GG abgeleitete Grund44 Werner Matz, Entstehungsgeschichte der Artikel des Grundgesetzes, in: JöR NF 1 (1951), S. Iff., 54 ff. 45 Hermann von Mangoldt, Grundrechte und Grundsatzfragen des Bonner Grundgesetzes, AöR 75 (1949) S. 273 ff., 280. 46 Vgl. Herbert Wehrhahn, Systematische Vorfragen einer Auslegung des Art. 2 Abs. 1 des Grundgesetzes, AöR 82 (1957), S. 250ff., 267 ff. 47 Vorschlag des Allgemeinen Redaktionsausschusses vom 13. 12. 1948, vgl. JöR NF 1 (1951), S. Iff., 54ff. 4

« Ekkehart Stein, Staatsrecht, 14. Aufl., Tübingen 1993, S. 248.

49

Hans Carl Nipperdey, Freie Entfaltung der Persönlichkeit, in: Κ. A. Bettermann/ H. C. Nipperdey/U. Scheuner (Hrsg.), Die Grundrechte, Bd. 4, Berlin 1960, S. 764. 50 Dazu ausführlich Wilhelm Wertenbruch, Der Grundrechtsbegriff und Art. 2 Abs. 1 GG, DVBl. 1958, S. 484 mit weiteren nachweisen.

Β. Art. 2 Abs. 1 GG als Selbstverwirklichung des Menschen im GG

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rechtsabwehranspruch besteht für die Lehre von vornherein auch als „spezielle" Handlungsfreiheit 51. Deshalb ist Art. 2 Abs. 1 GG der letzte Grundrechtsschutz zur Selbstverwirklichung des Menschen, wenn er keinen formellen Grundrechtsschutz im Grundgesetz finden kann.

2. Die Kernbereichstheorie Gegen die herrschende Lehre wandte sich vor allem Hans Peters 52. Er berief sich darauf, daß die Verfasser des Grundgesetzes in bewußtem Gegensatz zur Weimarer Verfassung keine wertneutrale Freiheit hätten garantieren wollen, sondern von einem wertgebundenen Menschenbild ausgegangen seien. Seinen Inhalt folgerte er aus der geistesgeschichtlichen Entwicklung des Persönlichkeitsideals im Abendland: Es sei der durch Gemeinschaftsideale gebundene, vor Gott verantwortliche Mensch. Hieraus Schloß er auf den Sinn von Art. 2 Abs. 1 GG: Er ermögliche jedem Menschen die Verwirklichung seiner Persönlichkeit, die ihm vom Schöpfer verliehen wurde, und zwar im Sinne echten Menschentums und schütze nur diesen Kernbereich der Persönlichkeit 53. Für diese „Kernbereichs-" oder „Persönlichkeitskerntheorie" kann Peters neben den erwähnten geschichtlichen Gründen auch verfassungspolitische Gesichtspunkte anführen. Wer in Art. 2 Abs. 1 GG eine Garantie der allgemeinen Handlungsfreiheit sieht, muß dieses Grundrecht unter einen inhaltlich unbeschränkten Gesetzesvorbehalt stellen. Denn jedes Gesetz, das sich an Einzelne wendet, berührt ihre Handlungsfreiheit 54. So garantiert auch nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts Art. 2 Abs. 1 GG die allgemeine Handlungsfreiheit nur innerhalb der Schranken jedes verfassungsgemäßen Gesetzes55. Als Konsequenz hiervon besteht die Gefahr, daß das Grundrecht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit praktisch entleert, weitgehend zu einem leerlaufenden Grundrecht wird. Die Kernbereichstheorie dagegen beschränkt zwar den Anwendungsbereich von Art. 2 Abs. 1 GG, vermag aber gerade deshalb seine Schutzwirkung zu erhöhen56. 51 Vgl. Walter Schmidt, Die Freiheit vor dem Gesetz. Zur Auslegung des Art. 2 Abs. 1 des Grundgesetzes, AöR 91 (1966), S. 45. 52 Hans Peters, Das Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit in der höchstrichterlichen Rechtsprechung, Köln/Oplanden 1963, S. 47 ff. 53 So begrüßenswert der Versuch ist, Art. 2 Abs. 1 vor einer Abwertung zu schützen, so gefährlich ist doch die Anknüpfung an ein historisch gewachsenes Menschenbild. Höchster Wert und letztmaßgeblicher Orientierungspunkt ist nach dem Grundgesetz der Mensch selbst in seiner lebendigen Wirklichkeit. Er darf nicht unter ein bestimmtes Menschenbild gepreßt werden. Vgl. E. Stein, a. a. Ο. (Fn. 48), S. 249. 54 H. Peters, a. a. O. (Fn. 52), S. 49. 55 BVerfGE 6, 32 ff.

56 E. Stein, a. a. O. (Fn. 42), S. 12.

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1. Kap.: Selbstverwirklichung als Wesensgehalt aller Grundrechte

Nach der herrschenden objektiven Auslegungstheorie ist zwar die Entstehungsgeschichte für die Auslegung einer Vorschrift von sekundärer Bedeutung57. Ein Autor jedoch, der die historische Begründung, insbesondere die allgemeine Entstehungsgeschichte des Grundgesetzes, so in den Vordergrund stellt wie Peters bei der Begründung seiner Kernbereichstheorie, muß sich diese spezielle Entstehungsgeschichte von Art. 2 Abs. 1 GG entgegenhalten lassen58.

3. Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts Gemäß der Auffangfunktion des Art. 2 Abs. 1 GG war das Bundesverfassungsgericht im Elfes-Urteil bemüht, eine Lücke des Grundrechtskatalogs zu schließen. Entgegen der vorherrschenden Lehre zur Ausreisefreiheit 59 griff das Gericht auf Art. 2 Abs. 1 GG zurück. Im Anschluß an die vorherrschende Lehre zu Art. 2 Abs. 1 GG bezog es diese Verfassungsnorm als das Grundrecht der allgemeinen Handlungsfreiheit im weitesten in ein materielles Grundrechtssystem ein. In den nachfolgenden Entscheidungen trat die Durchsetzung eines solchen Systemdenkens mehr und mehr zutage60. Die Ausfüllung des Art. 2 Abs. 1 GG mit einer aktiven Lebensgestaltung des Grundrechtsträgers 61 (also einer Freiheit zur Selbstverwirklichung) würde den allgemeinen, allergänzenden Charakter der Handlungsfreiheit durchsetzen. Soll die Handlungsfreiheit allgemein geschützt werden 62, wird die „Handlungsfreiheit" umgestaltet zum „Selbstverwirklichungsrecht des Menschen". Das Bundesverfassungsgericht stand also erneut vor der Aufgabe, aus Art. 2 Abs. 1 GG ein Grundrecht zur Selbstverwirklichung des Menschen zu entwickeln. Dabei versteht das Bundsverfassungsgericht das Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit als den „dem einzelnen Staatsbürger verfassungskräftig vorbehaltenen letzten (oder ,engsten*63) Bereich menschlicher Freiheit, der der Einwirkung der gesamte öffentlichen Gewalt entzogen ist" 6 4 . Im Verständnis des Bundesverfas57 BVerfGE 1, 299 ff. (312); 10, 234 ff. (244). 58 Eine ausführlichere und umfassendere Kritik der Kernbereichstheorie übte Hans-Ulrich Ever s, Zur Auslegung von Art. 2 Abs. I des Grundgesetzes, insbesondere zur Persönlichkeitskerntheorie, AöR 90 (1965) S. 88 ff., besonders S. 90 ff. 59 Vgl. Günter Dürig, in: Theodor Maunz/Günter Dürig/Roman Herzog/Rupert Scholz (Hrsg.), Grundgesetz - Kommentar, Art. 11 GG Rdnr. 95, München 1994.; Hermann von Mangoldt/Friedrich Klein/Axel Frhr. von Campenhausen, Das Bonner Grundgesetz, Art. 11 Anm. III 2., Bd. 14, 3. Aufl., München 1991. 60 Vgl. BVerfGE 6, 32 (36); 27, 344 (350f.);32, 373 (379); 33, 367 (376 f.); 34, 238 (245 ff.); 35, 202 (220); 45, 187 (227 f.); 56, 37 (49); 63, 88 (108 0; 65, 1 (46.); 65, 196 (210); 70,1 (25); 74, 129(151). Vgl. BVerfGE 9, 83 (88). 62 Vgl. BVerfGE 9, 83 ff. 63 BVerfGE 6, 389 (433). 64 BVerfGE 8, 274 (328).

Β. Art. 2 Abs. 1 GG als Selbstverwirklichung des Menschen im GG

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sungsgerichts schützt also Art. 2 Abs. 1 GG den „Kernbereich der menschlichen Persönlichkeit" 65, der von „unbedeutenden Freiheitsbeschränkungen" 66 nicht berührt wird und die Selbstverwirklichung des Menschen in die Tat umsetzen kann. Das Bundesverfassungsgericht erblickt einerseits mit der herrschenden Lehre konform in Art. 2 Abs. 1 GG eine Garantie der allgemeinen Handlungsfreiheit, also des Rechts, zu tun und zu lassen, was man will, und weist die Ansicht, jene Vorschrift schütze nur einen Kernbereich der Persönlichkeitsentfaltung, ausdrücklich und entschieden zurück 67 . Auf der anderen Seite nähert es sich doch wieder der von Hans Peters verfolgten Grundlinie, wenn es den zwar nicht alleinigen, aber erhöhten Schutz eines Kernbereichs der Persönlichkeitsentfaltung betont. In der bisherigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zeichnen sich mehrere Teilbereiche ab, denen ein solcher erhöhter verfassungsrechtlicher Schutz zuerkannt wird. Einerseits eine Sphäre privater Lebensgestaltung, ein letzter unantastbarer Bereich menschlicher Freiheit, der der Einwirkung der gesamten öffentlichen Gewalt entzogen ist 6 8 und zum andern die Eigenständigkeit und die Selbstverantwortlichkeit der Person 69. Den erhöhten Schutz dieser Kernbereiche der Persönlichkeitsentfaltung leitet das Bundesverfassungsgericht aus Art. 19 Abs. 2 GG her, wonach der Wesensgehalt jedes Grundrechts unantastbar ist. Es geht also stillschweigend davon aus, daß die Garantie eines letzten unantastbaren Bereichs menschlicher Freiheit sowie der Eigenständigkeit und der Selbstverantwortlichkeit der Person den Wesensgehalt der allgemeinen Handlungsfreiheit ausmacht70. Die Ansicht des Bundesverfassungsgerichts stellt praktisch eine Kombination der Theorie der allgemeinen Handlungsfreiheit und der Kernbereichstheorie dar. Sie vereinigt damit die Vorteile beider, ohne ihre Schwächen zu übernehmen71. Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu Art. 2 Abs. 1 GG darf im Ergebnis wohl für richtig gehalten werden. Sie bedarf jedoch einer überzeugenderen theoretischen Fundierung. Ein überzeugendes theoretisches Fundament hierfür läßt sich unschwer aus dem Wortlaut von Art. 2 Abs. 1 GG herleiten. Dieser gibt über seinen genauen Sinn weit mehr her als die Formel „allgemeine Handlungsfreiheit". Er garantiert dem Menschen das „Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit". Danach setzt das Recht auf die freie Entfaltung der Persönlichkeit schließlich als Wesensgehalt aller Grundrechte den Schutz des Selbstverwirklichungsrechts, also des Selbstentfaltungsrechts und des Selbstbestimmungsrechts des Menschen, voraus. « BVerfGE 10, 55 (59). « BVerfGe 15,235 (243). 67 BVerfGE 6, 32 ff., 36 f. 68 BVerfGE 6, 32 ff., 41; 6, 389 ff., 433; 8, 274 ff., 329; 10, 55 ff., 59. 69 BVerfGE 4, 7 ff., 16; 8, 274 ff., 329. 70 E. Stein, a. a. O. (Fn. 42), S. 14. 71 E. Stein, a. a. O. (Fn. 48), S. 249.

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1. Kap.: Selbstverwirklichung als Wesensgehalt aller Grundrechte II. Der Inhalt von Art. 2 Abs. 1 GG und die Selbstverwirklichung des Menschen

1. Art. 2 Abs. 1 GG und die Selbstverwirklichung

des Menschen

Art. 2 Abs. 1 GG: »Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit." Danach hat jeder zunächst ein Recht auf Entfaltung seiner Persönlichkeit, also auf Selbstentfaltung, ein Entfaltungsrecht. Als zweiter Aspekt kommt Art. 2 Abs. 1 GG das Recht auf di e freie Entfaltung der Persönlichkeit hinzu. Damit kann nur gemeint sein, daß jeder über das Ob und Wie der Selbstentfaltung autonom72 zu bestimmen hat, also bei seiner Selbstentfaltung ein Selbstbestimmungsrecht genießt73. Hier enthält der Wesensgehalt zwei Elemente der Selbstverwirklichung des Menschen in der pluralistischen Gesellschaft, nämlich Selbstentfaltung und Selbstbestimmung. Nur Wenn der Mensch sich in der pluralistischen Gesellschaft selbst entfalten kann, kann er für sich richtig selbst bestimmen. Im Unterschied zu Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG, in dem die Freiheit „der Person" für unverletzlich erklärt wird, verwendet Art. 2 Abs. 1 GG den Begriff der „Persönlichkeit" 74 . Er umschreibt damit nicht nur die Existenz eines Menschen, sondern enthält eine positive Aussage über dessen Individualität 75 . Mit dem Recht auf „Entfaltung" wird ein Freiraum für Verhalten gewährleistet, das dem Menschen personal zurechenbar ist. Demnach läßt sich die Gewährleistung des Art. 2 Abs. 1 GG verstehen als Eröffnung eines Freiraums zu eigener, bewußter und gestaltender Selbstenfaltung 76. Das impliziert die Freiheit zur Entfaltung nach je eigenem Entwurf, eigenen Anlagen und Möglichkeiten 77 . Der Normtext liefert keine Anhaltspunkte für die Vorgabe eines bestimmten, religiös oder weltanschaulich geformten Persönlichkeitsbildes 78. Eine Beschränkung des Regelungsbereichs des Art. 2 Abs. 1 GG auf den Kernbereich einer Persönlichkeitsentfaltung im sittlich-ethischen Sinn läßt sich nicht überzeugend begründen 79. Weder der Verfassungstext 72

Dieser Aspekt mag selbstverständlich erscheinen, da sich auch die meisten anderen Rechte nicht darauf beschränken, das zu schützen, was objektiv im Interesse des Berechtigten liegt, sondern auf den Willen des Berechtigten abstellen. So darf etwa der Eigentümer seine Sache nicht nur zur objektiven Förderung seiner Interessen verwenden, sondern mit ihr „nach Belieben verfahren" (§ 903 BGB). 73 Vgl. Josef M. Wintrich, Zur Auslegung und Anwendung des Art. 2 Abs. I GG, in: Staat und Bürger, Festschrift für Apelt, München 1958, S. 1 ff. 74 Hans-Uwe Erichsen, Allgemeine Handlungsfreiheit, in: J. Isnsee /P. Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. VI, Heidelberg 1989, § 152, S. 1191. 75 Vgl. Ingo v. Münch, in: Ingo von Münch/Philip Kunig (Hrsg.), Grundgesetz - Kommentar, Bd. 1, Aufl. 1, München 1992, Art. 2 Rdnr.13. 76 Vgl. Dieter Suhr, Entfaltung der Menschen durch die Menschen, Berlin 1976, S. 57 m.w. N. 77

Vgl. Niklas Luhmann, Grundrechte als Institutionen, Berlin 1965, S. 78. ™ D. Suhr, a. a. O. (Fn. 76), S. 57; I. v. Münch, GG I, Art. 2 Rdnr. 19. 79 Hans Peters, Die freie Entfaltung der Persönlichkeit als Verfassungsziel, in: D. S. Constantopoulos/H. Wehberg (Hrsg.), Gegenwartsprobleme des internationalen Rechtes und der

Β. Art. 2 Abs. 1 GG als Selbstverwirklichung des Menschen im GG

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noch seine Entstehungsgeschichte legen eine ausschließliche Entfaltung des Menschentums im Sinne einer abendländischen Kulturauffassung, wie sie in der Literatur teilweise befürwortet wurde, nahe80. Soll Art. 2 Abs. 1 GG die personale Selbstverwirklichung des einzelnen und damit die Freiheit seiner Entscheidung gewährleisten, in welcher Betätigung oder Untätigkeit er seine persönliche Entfaltung findet, so ist als Regelungsgegenstand dieser Norm jedes menschliche Verhalten anzusehen. Die damit aufgenommene Bandbreite möglicher Verhaltensformen bedingt ein umfassendes und offenes Konzept der von Art. 2 Abs. 1 GG gewährleisteten Freiheit 81 .

2. Art. 2 Abs. 1 GG im weiteren Sinne Im Anschluß an das Elfes-Urteil des Bundesverfassungsgerichts 82 wird Art. 2 Abs. 1 GG überwiegend im weiteren Sinne einer umfassenden Gewährleistung der Handlungsfreiheit interpretiert 83. Ein Grundrecht der allgemeinen Handlungsfreiheit enthält keine auf den Inhalt der Freiheitsbetätigung abstellende Begrenzung, es ist wegen seines allumfassenden Charakters denknotwendig nicht geschlossen und deshalb für neue Formen der Entfaltung offen. Art. 2 Abs. 1 GG wächst dergestalt die Funktion eines es zu 8 4 , der den Grundrechtskatalog zu einem umfassenden System verfassungsrechtlich geregelter Freiheit abrundet 85. Art. 2 Abs. 1 GG garantiert das Grundrecht umfassender, allgemeiner Handlungsfreiheit. Speziell thematisierte Freiheiten sind dagegen Gegenstand nachfolgende Grundrechte. Daher liegt es nahe, Art. 2 Abs. 1 GG als Auffangtabestand zu begreifen 86. Zwischen dem Freiheitsrecht des Art. 2 Abs. 1 GG und anderen Freiheitsrechten gilt dann der Grundsatz des Vorrangs der spezielleren Norm 87 . Rechtsphilosophie, Festschrift für Rudolf Lann zum 70. Geburtstag, Hamburg 1953, S. 669 (673); ders. y a. a. O. (Fn. 52), S. 16 f., weitere Nachweise bei Jürgen Müller, Auswirkungen der unterschiedlichen Auffassungen zum Rechtscharakter des Art. 2 Abs. 1 GG und zu desen Schranken, Münster 1972, S. 13 Fn. 41. so H.-U. Evers, a. a. O. (Fn. 58); /. v. Münch , GG I, Art. 2 Rdnr. 19. 81 Vgl. BVerfGE 33, 367 (376 f.); 35, 202 (220); 45, 187 (227 f.); 56, 37 (49). 82 BVerfGE 6, 32 (36); aus neuerer Zeit vgl. BVerfGE 63, 88 (108 f.); 65, 196 (210); 70, 1 (25); 74, 129(151). 83 Vgl. etwa G. Dürig, GG, Art. 2 Abs. 1 Rdnr. 6 ff., 11 ; Detlef Merten, Das Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit, JuS 1976, S. 354 f.; Christian Starck, in: v. Mangoldt/Klein/ Starck, GG I, Aufl. 3, Art. 2 Abs. 1 Rdnr. 6; Hans-Uwe Erichsen, Staatsrecht und Verfassungsgerichtsbarkeit I, Aufl. 3, München 1982, S. 139 f. m. w. N. 84 Vgl. BVerfGE 6, 32 (37); H.-U. Erichsen, a. a. O. (Fn. 83), S. 139. 85 H.-U. Erichsen, a. a. O. (Fn. 74), S. 1191. 86 H. C. Nipperdey, a. a. O. (Fn. 49), S. 741 (761 f.) 87 Vgl. etwa BVerfGE 60, 215 (229); 64, 208 (213); 65, 196 (209f.); 65, 237 (248); Ch. Starck, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG I, Art. 2 Abs. 1 Rdnr. 34 f.

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1. Kap.: Selbstverwirklichung als Wesensgehalt aller Grundrechte

So wird teilweise Art. 2 Abs. 1 GG als „totales Auffangrecht" auch in jenen Fällen für anwendbar gehalten, in denen ein besonderes Freiheitsrecht zwar thematisch einschlägig ist, im konkreten Fall aber keinen Schutz gewährt 88. Damit würden jedoch die grundgesetzlichen Differenzierungen der Freiheitsrechte, ihre unterschiedlichen Schutzbereichsbegrenzungen und Gesetzesvorbehalte in bedenklicher Weise relativiert. Die Normierung von Einzelfreiheitsrechten ist nur sinnvoll, wenn sie in positiver und negativer Hinsicht als abschließend gelten89. Besondere Freiheitsrechte schließen daher für den von ihnen erfaßten Regelungsbereich die Anwendung des Art. 2 Abs. 1 GG aus 90 . Diese Überlegungen stehen auch der Ansicht entgegen, die Grundrechte bildeten ein lückenloses Werte- und Anspruchssystem91. „Lücken" im Freiheitsschutz lassen sich vielmehr in personeller und sachlicher Hinsicht aus den Schutzbereichsbegrenzungen vieler Einzelgrundrechte entnehmen, ohne daß in diesen Fällen auf Art. 2 Abs. 1 GG zurückgegriffen werden könnte 92 . 3. Art. 2 Abs. 1 GG im engeren Sinne Die Fassung des Art. 2 Abs. 1 GG im engeren Sinne , sein offener und dynamischer Charakter 93 hindern nicht daran, einzelne unbenannte Freiheitsbereiche herauszugreifen und ähnlich den benannten Freiheitsrechten nach Regelungsbereich und Schutzintensität näher zu konkretisieren. So haben Rechtsprechung94 und Wissenschaft aus Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG ein „allgemeines Persönlichkeitsrecht" mit wiederum vielfältig ausgeformten Schutzgütern entwickelt 95 . Sie haben etwa die Ausreisefreiheit 96, die Sammlungsfreiheit 97, die „negative" Vereinigungsfreiheit bezüglich öffentlich-rechtlicher Zwangsverbände98 und die Vertragsfreiheit 99 als „unbenannte Freiheitsrechte" 100 herausdestilliert. 88 G.Dürig, GG, Art.2Abs. 1 Rdnr. 6, 8; BVerfGE 4,7 (15 ff.); 10, 354 (362 ff.). 89 Ernst Hesse, Die Bindung des Gesetzgebers an das Grundrecht des Art. 2 I GG bei der Verwirklichung einer „verfassungsmässigen Ordnung", Berlin 1968, S. 53 ff.; Walter Krebs, Vorbehalt des Gesetzes und Grundrechte,Berlin 1975,, S. 38 f. 90 BVerfGE 51, 97 (105); 68, 193 (223 f. m. w. N.). 91 G. Dürig, GG, Art. 2 Abs. I Rdnr. 3 ff. 92 H.-U. Erichsen, a. a. O. (Fn. 74), S. 1196. 93 Rupert Scholz, Das Grundrecht der freien Entfaltung der Persönlichkeit in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, AöR 100 (1975), S. 92; S. 288. 94 Vgl. Hans D. Jarass, Die Entwicklung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, in: H.-U. Erichsen/H. Kollhosser/J. Welp (Hrsg.), Recht der Persönlichkeit, Berlin 1996, S. 89 ff. 95 Vgl. Β GHZ 24, 72 (76 ff.); 27, 284 (286 ff.); BVerfGE 34, 238 (246 f.); 54, 148 (153 f.). 96 BVerfGE 6, 32 (41 f.); 72, 200 (245). 97 BVerfGE 20, 150(154). 98 BVerfGE 10,89(102); 10,354(363); 12, 319 (323 f.); 15, 235 (239); 38, 281 (297 f.) 99 BVerfGE 8, 274 (328); 12, 341 (347); 21, 87 (90f.); 65, 196 (210f.); 70, 115 (123); 73, 261 (270); 74. 129 (151 f.). 100 BVerfGE 54, 148(153).

Β. Art. 2 Abs. 1 GG als Selbstverwirklichung des Menschen im GG

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Die Rechtsprechung billigt ihnen zumindest im Ergebnis vielfach den Rang von Spezialfreiheitsrechten zu und läßt für einen grundrechtsübergreifenden Lebenssachverhalt Idealkonkurrenz zu anderen Freiheitsgrundrechten gelten 101 . Entscheidungen, nach denen unbenannte Freiheitsrechte als Spezialnormen die besonderen Freiheitsgrundrechte sogar von der Anwendung ausschließen102, ist nur insoweit zuzustimmen, als damit die Konturen der Regelungsbereiche bestimmt werden. Darüber hinaus bedarf es auch im Hinblick auf die „Kernbereichszone" des Schutzes von Persönlichkeitsrechten in der Privatsphäre 103 einer ergänzenden Heranziehung des Art. 2 Abs. 1 GG als der allgemeineren Norm nicht 1 0 4 . Es ist vielmehr ausschließlich dem Regelungsgehalt des besonderen Freiheitsrechts zu entnehmen, inwieweit es bestimmte Freiheitsbetätigungen im engeren privaten Bereich erfaßt und in Verbindung mit dem Übermaßverbot als der subjektivrechtlichen Komponente der Wesensgehaltsgarantie des Art. 19 Abs. 2 GG eine gesteigerte Schutzwirkung entfaltet 105 . Das Recht der allgemeinen Handlungsfreiheit wird zu einem Grundrecht zwar nicht erst durch diese Konkretisierung einzelner Freiheitsbereiche 106. Die Ausformung unbenannter Freiheitsrechte vermag jedoch im Zuge der dogmatischen Verfeinerung und der damit verbundenen größeren Rechtsklarheit den Bedeutungsgehalt der allgemeinen Freiheitsgarantie für einzelne Lebensbereiche und gegenüber bestimmten staatlichen Handlungsformen zu verdeutlichen und so die Aussagekraft des Grundrechts und seine „Schlagkraft" zu erhöhen 107 . Der Rückgriff auf Art. 2 Abs. 1 GG ist nach alledem erst dann zulässig, wenn keines der im Grundrechtskatalog genannten einzelnen Gleichheits- und Freiheitsrechte und auch nicht der allgemeine Gleichheitsatz des Art. 3 Abs. 1 GG den begehrten Grundrechtsschutz zu gewähren vermögen. Das neuentwickelte Freiheitsrecht tritt sodann neben die schon gewährleisteten Einzelgrundrechte. Es ist, wenn man so will, ebenfalls „spezielles" Freiheitsrecht 108. Das „Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit" umschreibt demgegenüber die Auffangfunktion des Art. 2 Abs. 1 GG für die Fortentwicklung des Freiheitsschutzes. Es ist damit aber noch nicht („allgemeines") materielles Grundrecht, sondern wird zum Grundrecht erst in Verbindung mit dem neuen Freiheitsschutzbereich 109, dessen Durchsetzung gegen ιοί Vgl. etwa BVerfGE 21,73 (86 f.); 25, 230 (234); 35, 382 (399 ff.). 102 Vgl. etwa BVerfGE 35, 35 (39). 103 Vgl. Dietwalt Rohlf, Der grundrechtliche Schutz der Privatsphäre, Berlin 1980. 104 D. Merten, a. a. O. (Fn. 83), S. 348. 105 Dazu H.-U. Erichsen, a. a. O. (Fn. 83), S. 201; ders., Das Übermaßverbot, Jura 1988, S. 387 f. 106 H.-U. Erichsen, a. a. Ο. (Fn. 74), S. 1195. 107 Vgl. etwa die Ausformung eines „Rechts auf informationelle Selbstbestimmung" durch BVerfGE 65,1 ff. 108 Vgl. BVerfGE 3, 32,43. 109 Gerhard Leibholz, Die Gleichheit vor dem Gesetz, 2. Aufl., München 1959, S. 118.

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1. Kap.: Selbstverwirklichung als Wesensgehalt aller Grundrechte

ein entsprechendes Gesetz - wie bei jedem anderen Grundrecht auch - allein dem Bundesverfassungsgericht vorbehalten ist 1 1 0 . Die Gegenüberstellung von „allgemeinem" und „speziellem" Freiheitsrecht sollte daher besser unterbleiben. Soweit es des Rückgriffs auf Art. 2 Abs. 1 GG nicht bedarf, tritt Art. 1 Abs. 1 GG als subsidiär hinter die einzelnen Grundrechte zurück 111 .

4. Art. 2 Abs. 1 GG im engsten Sinne Die Deklaration der Menschenrechte in der Französischen Revolution bezieht sich noch nicht explizit auf die Rechte des Kindes. Indem aber mit der Ablösung des Feudalismus, der Herausbildung der bürgerlichen Gesellschaft und der Entwicklung des Industrialismus der gesellschaftliche Fortschritt institutionalisiert erscheint und die Emanzipation des Individuums vorangetrieben wird, werden die Kinder zu Trägern einer besseren zukünftigen Gesellschaft. Die großen Pädagogen, Comenius, Pestalozzi, Schleiermacher, Fröbel, Ellen Key und Maria Montessori verlangen Respekt vor dem Kind als verletzlichem Wesen, dem die Gesellschaft das Beste schuldet, das sie geben kann 112 . Bei aller Ungleichzeitigkeit der gesellschaftlichen Entwicklungen nach Zeit und Raum setzte sich dieser Gedanke der fundamentalen Verbindlichkeit gegenüber den Kindern immer mehr durch, die die Erreichung des Reiches der Freiheit verbürgen soll. Die UN verabschiedeten 1959 eine Deklaration zu den Rechten des Kindes, die durch die UNO-Kinderkonvention von 1989 113 eine verbindlichere Rechtsgrundlage erhielt. Im Grundgesetz ist vom Kindeswohl 114 und dem Kindesgrundrecht auf Bildung 115 nicht ausdrücklich die Rede. Aber schon früh hat das Bundesverfassungsgericht anerkannt, daß das Kind „ein Wesen mit eigener Menschenwürde und einem eigenen Recht auf Entfaltung seiner Persönlichkeit im Sinne der Art. 1 Abs. 1 und 2 Abs. 1 GG ist" 1 1 6 . Bei der Interpretation des Art. 6 GG, dessen Abs. 2 die Pflege und Erziehung der Kinder als das natürliche Recht der Eltern und die ihnen zuvörderst obliegende Pflicht bezeichnet, wird das Kindeswohl und das Kindesgrundrecht auf Bildung jedoch von Jahrzehnt zu Jahrzehnt mehr zum entscheidenden verfassungsrechtlichen Prinzip aufgewertet 117. Das Elternrecht wird zuneh110

Auch dann noch bleibt Art. 2 Abs. 1 GG offen als verfassungsrechtliche Schutznorm für die Freiheit vor dem Gesetz.Vgl. W. Schmidt, a. a. O. (Fn. 51), S. 85. m W. Schmidt, a. a. O. (Fn. 51), S. 83. 112 Peter Derleder, Die Mündigkeit der Unmündigen. Kindeswohl - Kinderrechte - Kinderpflichten, KJ 1997, S. 279. 113 In Kraft getreten in Deutschland am 5.4. 1992, BT-Drucks, 12/4168. 114 Vgl. P. Derleder, a. a. O. (Fn. 112), S. 279 f. 115 Vgl. Klaus-Dieter Heymann/Ekkehart Stein, Das Recht auf Bildung, AöR 97 (1972), S. 189 f. 116 BVerfGE 24, 119, 144. in Siehe etwa BVerfG NJW 1993, S. 2671.

Β. Art. 2 Abs. 1 GG als Selbstverwirklichung des Menschen im GG

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mend nur noch als Elternpflicht und Elternverantwortung verstanden 118. Der mit dem Gesetz zur Neuregelung der elterlichen Sorge 119 1980 vollzogene Begriffswechsel von der elterlichen Gewalt zur elterlichen Sorge bezieht sich explizit auf das leibliche, geistige und seelische Wohl des Kindes 120 und sollte den umfassenden Pflichtcharakter der elterlichen Rechtsstellung betonen 121 . Nach Art. 2 Satz 1 des Zusatzprotokolls I vom 20. 3. 1952 zur Europäischen 122 Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 4. 11. 1950 darf niemandem das Recht auf Bildung verwehrt werden. Diese Vorschrift ist kraft Ratifikation durch Bundesgesetz vom 20. 12. 1956 123 seit 13. 2. 1957 124 für die Bundesrepublik Deutschland innerstaatlich verbindlich. Um die Selbstverwirklichung des Kindes in der Schule durchzusetzen, beinhaltet die Vorschrift ein Abwehrrecht gegen staatliche Maßnahmen, die den Zugang zu vorhandenen Bildungsmöglichkeiten ohne sachliche Rechtfertigung sperren oder erschweren 125. Das Grundgesetz steht hier im Gegensatz zu vielen anderen Bereichen hinter dem Europarecht zurück. Es enthält keine besondere Garantie des Kindesgrundrechts auf Bildung 1 2 6 . Seine Bedeutung hierfür erschöpft sich vielmehr nahezu in der Geltung nicht bildungsspezifischer Grundrechte auch für den Bildungsbereich. Angesichts der entscheidenden Bedeutung der Bildung für die Freiheitlichkeit einer Staats- und Gesellschaftsordnung ist es kaum verständlich, wie wenig Beachtung die Schöpfer des Grundgesetzes dieser Frage schenkten, obwohl doch der Mißbrauch des Bildungswesens durch den Nationalsozialismus im Gedächtnis war 1 2 7 und man im übrigen das neue Verfassungswerk fast zu einseitig auf die negativen Erfahrungen der jüngsten Vergangenheit gründete. In der Spezialvorschrift für das Schulwesen, dem Art. 7, klingt die Gefahr eines Mißbrauchs der 118 Siehe dazu insb. BVerfGE 56, 363, wo der Pflichtcharakter „als wesensbestimmender Bestandteil" des Elternrechts verstanden wird. H9 SorgeRG vom 18. 7. 1979, BT-Drucks. 8/2788. 120 Siehe § 1666 Abs. 1 Satz 1 BGB.

121 Siehe die Begründung des Rechtsausschusses des Bundestags, BT-Drucks. 8/ 2788 S. 36,43. 122 Im übereuropäischen gibt es zum Recht auf Bildung nur Empfehlungen der Generalversammlung der UN, denen nach überwiegender Meinung nicht rechtliche Verbindlichkeit, sondern lediglich moralische Bedeutung zukommt. Vgl. K.-D. Heymann IE. Stein, AöR 97 (1972), S. 189 f. 123 BGBl. II, S. 1879. 124 Bekanntmachung vom 13. 4. 1957 (BGBl. II, S. 226). 125 K.-D· Heymann/E. Stein, AöR 97 (1972), S. 189. 126 Art. 7 GG beschränkt sich auf die Regelung der Staatsaufsicht über das Schulwesen, des Religionsunterrichts, der Privatschulen und eines Verbots von Vorschulen. Nach Art. 6 Abs. 2 GG sind Pflege und Erziehung der Kinder das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht; über ihre Betätigung wacht die staatliche Gemeinschaft. 127 Vgl. Christoph Führ, Bildungsgeschichte und Bildungspolitik, Köln 1997, S. 116 ff. 5 Hsu

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1. Kap.: Selbstverwirklichung als Wesensgehalt aller Grundrechte

Schule nicht einmal an. Hier werden fast ausschließlich organisatorische Fragen, und auch diese nur bruchstückhaft, geregelt 128 . Art. 2 Abs. 1 GG ermöglicht es, jeden Verfassungsverstoß, durch den einzelne betroffen sind, mit Hilfe einer Verfassungsbeschwerde vor das Bundesverfassungsgericht zu bringen. Nach BVerfGE 65, 297, 303 verstößt die Anwendung einer grundgesetzwidrigen Rechtsnorm stets gegen Art. 2 Abs. 1 GG, soweit kein spezielles Grundrecht betroffen ist. Hierbei ist nach BVerfGE 21, 73, 78 ff. auch eine Verletzung anderer Grundrechtsartikel zu berücksichtigen, ohne daß es darauf ankommt, ob die aus ihnen folgenden Grundrechte des Beschwerdeführers verletzt sind. Zum Verhältnis von Art. 2 Abs. 1 GG zu anderen Grundrechten siehe BVerfGE 19, 206 ff., 225. Danach schließen zwar die besonderen Grundrechtsnormen für ihren Bereich die Anwendbarkeit von Art. 2 Abs. 1 GG aus. Dies gilt aber nicht, wenn Art. 2 Abs. 1 GG unter einem Gesichtspunkt verletzt ist, der nicht in den Bereich besonderer Grundrechtsnormen fällt 1 2 9 . Als Charakteristikum des Bildungswesens steht im Vordergrund nicht Eingriffsverwaltung, sondern als Leistungsverwaltung nach Art. 2 Abs. 1 GG im engsten Sinne i. V. m. Art. 7 GG, nämlich die Vermittlung von Wissen und Bildung. Die Anerkennung der Verantwortlichkeit des Staates für die Volksbildung war eine gewaltige kulturelle Tat, nachdem die Bildung jahrhundertelang als Monopol einer Minderheit gegolten hatte. Durch die Bereitstellung seiner Bildungseinrichtungen erbringt der Staat Leistungen, die für die freie Persönlichkeitsentfaltung des Kindes von entscheidender Bedeutug sind 130 . Er hat deshalb Art. 2 Abs. 1 GG, im engsten Sinne das Selbstverwirklichungsrecht des Kindes in der Schule, gerade auch als Kern des Grundrechts auf Bildung im Grundgesetz zu beachten. Letzters ist somit dem Grundgesetz immanent. Zweck, Wesen, Sinn, und Funktion der Schule darf also unter dem Grundgesetz nur die Förderung der freien Entfaltung der Persönlichkeit der Schüler sein 131 . Aus all den verschiedenen, heute noch vertretenen Theorien über die Einschränkbarkeit der Grundrechte im besonderen Gewaltverhältnis folgt somit, daß in der Schule die Zielrichtung dieses besonderen Gewaltverhältnisses eine Einschränkung von Art. 2 Abs. 1 GG, im engsten Sinne dem Selbstverwirklichungsrecht des Schülers als Kern des Grundrechts auf Bildung im Grundgesetz geradezu verbietet 132 . Die 128 E. Stein, a. a. O. (Fn. 42), S. 6. 129 E. Stein, a. a. O. (Fn. 48), S. 248. 130 E. Stein, a. a. O. (Fn. 42), S. 38. 13 1 Vgl. Ursula Fehnemann, Rechtsfragen des Persönlichkeitsschutzes bei der Anwendung psychodiagnostischer Verfahren in der Schule, Diss., Frankfurt/M. 1976. 132 Gewährt doch Art. 2 Abs. 1 schon nach seinem Wortlaut das Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit dem Einzelnen nur, „soweit er nicht die Rechte anderer verletzt". Kollisionen zwischen den Rechten der einzelnen Schüler auf die freie Entfaltung jeweils ihrer individuellen Persönlichkeit sind nach dem Gleichheitssatz zu lösen. Vgl. Hartmut Hornickel, Gleiche Freiheit des Lernens - Selbstentfaltung und Erziehung im demokratischen Sozial-

Β. Art. 2 Abs. 1 GG als Selbstverwirklichung des Menschen im GG

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Schule ist um der freien Entfaltung der Persönlichkeit ihrer Schüler willen da und darf sie daher nicht behindern. Aus der Doppelnatur des Rechts auf freie Entfaltung der Persönlichkeit als Selbstentfaltungsrecht und Selbstbestimmungsrecht ergibt sich, das die Schule dem Kind nicht nur die bestmögliche Entfaltung seiner Anlagen ermöglichen muß, sondern auch dem Selbstbestimmungsrecht des Schulkindes Rechnung zu tragen hat 1 3 3 . Von den verschiedenen Möglichkeiten zur Gestaltung des Schulwesens sind also nur diejenigen mit dem Grundgesetz vereinbar, die den Schülern die Ausprägung ihrer individuellen Anlagen 134 entsprechend ihren eigenen Neigungen ermöglichen. Denn nur so ist das Selbstverwirklichungsrecht des Schülers (Art. 2 Abs. 1 im engsten Sinne) als Kern des Grundrechts auf Bildung im Grundgesetz durchzusetzen.

ΠΙ. Die Schranken von A r t 2 Abs. 1 GG und die Selbstverwirklichung des Menschen

Da sich ein Grundrechtsträger prinzipiell gegenüber allen Maßnahmen, die ihn in seinen Handlungsmöglichkeiten einschränken, auf Grundrechte berufen kann, gibt es keine grundrechtsfreien Bezirke, die durch extensive Auslegung der einzelnen Schutzgüter geschlossen werden müßten 135 . Aber es dürfte kein Zufall sein, daß sich die Schrankenmetapher und ihre begrifflichen Äquivalente dann finden, wenn bestimmte Handlungsmöglichkeiten - „Freiheiten" - das grundrechtlich geschützte Schutzgut darstellen. Während die Individualsphäre als „unverletzlich" gedacht werden kann, ist jede menschliche Handlung von vornherein in ein Netz von Interaktionen eingefügt und deshalb stets im Zusammenhang mit dem Handeln anderer zu sehen, gehört also notwendig zur Sozialsphäre 136. Die durch die Grundrechte gewährleisteten Handlungsmöglichkeiten werden eingeschränkt, weil sie potentiell mit den Handlungsmöglichkeiten (oder anderen Schutzgütern) anderer kollidieren. Die Schrankenmetapher ist deshalb überaus treffend: der Handlungsspielraum des Einzelnen wird eingeschränkt. Handlungsmöglichkeiten werden durch Schranken begrenzt 137. Die Grundrechtsschranken schränken nicht etwa durch Grundrechte gewährte Handlungsbefugnisse wieder ein; sie ermächtigen vielmehr den Gesetzgeber zur Staat. Eine Untersuchung zur Modellstruktur des Grundrechts auf chancengleiche Erziehung und Bildung, Diss., Bielefeld 1979. 133 Vgl. Bernd Clevinghaus, Recht auf Bildung, Diss., Bremen 1973, S. 152 ff. 134 Vgl. Max-Emanuel Geis, Der Kernbereich des Persönlichkeitsrechts, JZ 1991, S. 112 ff. 135 Vgl. G. Dürig, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 2 Abs. I Rdnr. 3. 136 Vgl. Jörn Ipsen, Staatsrecht II, Rdnr. 142. 137 Jörn Ipsen, Gesetzliche Einwirkungen auf grundrechtlich geschützte Rechtsgüter, JZ 1997, S. 479. 5*

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1. Kap.: Selbstverwirklichung als Wesensgehalt aller Grundrechte

Begrenzung von - natürlichen - Handlungsmöglichkeiten und rechtfertigen beschränkende Gesetze138. 7. Die Rechte anderer Die erste vom Art. 2 Abs. 1 GG selbst aufgestellte Schranke sind die Rechte anderer. Wem es mit dem Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit wirklich ernst ist, der muß anerkennen, daß das, was er für sich verlangt, in gleicher Weise auch anderen zuzubilligen ist. Auch wer für Staat und Volk mehr zu leisten glaubt als andere, darf aus diesem Titel heraus nicht die Rechte anderer verletzen. Wenn dies zum Schutze anderer Grundrechtsträger erforderlich ist, trifft den Gesetzgeber eine verfassungsrechtliche Pflicht, von den entsprechenden Ermächtigungen Gebrauch zu machen 139 . Die Abwehrrechte - und damit die rechtliche Gewährleistung der Freiheit - sind insoweit eingeschränkt 140. Allen Grundrechten ist eine Nichtstörungsschranke immanent, die den grundrechtlichen Schutz auf solche Handlungsmöglichkeiten begrenzt, die nicht auf die Schädigung anderer abzielen 141 . Der in Art. 2 Abs. 1 GG aufgenommene Vorbehalt der „Rechte anderer" läßt erkennen, daß diese Vorschrift nicht nur das Verhältnis Staat-Bürger, sondern zugleich jenes der Bürger untereinander im Blick hat. Dies gilt indes nicht im Sinne einer unmittelbaren Drittwirkung. Der Vorbehalt der „Rechte anderer" in Art. 2 Abs. 1 GG trägt der sozialen Dimension menschlicher Selbstverwirklichung Rechnung 1 4 2 . Es geht dabei um eine Umsetzung der in dieser Norm enthaltenen objektivrechtlichen Wertentscheidung zugunsten freier und optimaler individueller Entfaltung in der Gesellschaft. Diese Umsetzung erfolgt durch Gesetz, indes nicht nur im Rahmen der auf das Staat-Bürger-Verhältnis zielenden verfassungsmäßigen Ordnung 1 4 3 , sondern auch durch Regelungen des Privatrechts 144. Im Vorbehalt der 138 Vgl. zum Begriff der Grundrechtsschranke auch Robert Alexy, Theorie der Grundrechte, 2. Aufl., Frankfurt/M. 1994, S. 249ff., 252f. 139 Vgl. Martin Kriele, Vorbehaltlose Grundrechte und die Rechte anderer, JA 1984, S. 629 ff. 140 J. Ipsen, JZ 1997, S. 479. 141 Vgl. dazu Klaus Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. III/2, München 1994, S. 1028 f., 1060.; vgl. auch G. Dürig, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 2 Abs. I Rdnr. 22,73 ff.; v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Bd. 1, Art. 2 Rdnr. 21 ff.

142 H.-U. Erichsen, a. a. O. (Fn. 74), S. 1201 f. 143 Ob die subjektiven Rechte anderer hier dem öffentlichen oder dem privaten Recht angehören, macht keinen Unterschied. Diese Merkmale zeigen an, innerhalb welcher verfassungsrechtlichen Grenzen sich das neue Freiheitsrecht wie die im Grundgesetz genannten anderen Freiheitsrechte entwickeln kann. Dabei versteht sich die von den bereits bestehenden „Rechten anderer" gezogene Grenze von selbst; sie gilt für jedes Grundrecht. Vgl. H. Peters, a. a. O. (Fn. 79), S. 675. 144 Vgl. D. Rohlf, a. a. O. (Fn. 103).

Β. Art. 2 Abs. 1 GG als Selbstverwirklichung des Menschen im GG

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„Rechte anderer" spiegelt sich dergestalt die objektivrechtliche Regelungsdimension der Freiheitsrechte, soweit sie den zur Gestaltung der Privatrechtsordnung ermächtigen Sozialstaat dirigiert. In dieser Hinsicht sind andere Grundrechte vergleichbar, in denen, wie beispielsweise in Art. 5 Abs. 2 GG, Rechte anderer als „Schranke" benannt werden 145 . Das Nebeneinander von verfassungsmäßiger Ordnung und Rechten anderer gewinnt dann einen Sinn, wenn man die verfassungsmäßige Ordnung, wie einen herkömmlichen grundrechtlichen Gesetzesvorbehalt, auf die Regelung des Verhältnisses zwischen Staat und Bürger beschränkt betrachtet. Rechte anderer können sich dann aus den die Rechtsbeziehungen Privater untereinander bestimmenden Privatrechtsnormen ergeben 146.

2. Die verfassungsmäßige

Ordnung 147

Die verfassungsmäßige Ordnung bildet die zweite Schranke für die Auswirkung der Persönlichkeit 148 . Gemeint sein kann hier nach dem Zusammenhang nur das materielle Verfassungsrecht, insbesondere eben die Ordnung, auf der das Recht der freien Entfaltung der Persönlichkeit basiert. Der Ast, an dem dieses Recht hängt, darf nicht ab- oder auch nur angesagt werden, weil durch Nichtbeachtung dieses Grundsatzes sehr bald gerade das in Art. 2 Abs. 1 geschützte Recht besonders gefährdet wäre 149 . 145

Rudolf Schneider, Die Unmittelbarkeit der Grundrechtsverletzung als Vorbedingung einer erfolgreichen Verfassungsbeschwerde, DVBl. 1969, S. 325 (329). w« H.-U. Erichsen, a. a. O. (Fn. 74), S. 1200. 147 Die Rechtsgestaltung ist durch die soziologischen Grundeigenschaften der Gruppe determiniert. Eine spezifisch rechtliche, ihrerseits auf Rechtsnormen verweisende Eigenschaftsaussage, wie sie sich in dem Wort „verfassungsmäßig" findet, muß dort, wo eine Determiniertheit des Rechts durch soziologische Grundeigenschaften besteht, logischerweise mindestens auch die Aussagen über diese vor dem Recht liegenden soziologischen Grundeigenschaften beinhalten. Wie so oft, erfolgte auch hier der Einbruch der Soziologie in das Recht in Form einer Generalklausel, da auf diesem Wege das Recht am besten an der Beweglichkeit und Elastizität des Lebens Anteil nehmen kann. Der Begriff „verfassungsmäßige Ordnung" in Art. 2 Abs. 1 umfaßt auf jeden Fall auch den Begriff „Die Selbstverwirklichung des Menschen" und ohne die Selbstentfaltung und Selbstbestimmung des Menschen in der Gesellschaft im grundrechtlichen Sinne gibt es keine „verfassungsmäßige Ordnung". Vgl. Günter Dürig, Art. 2 des Grundgesetzes und die Generalermächtigung zu allgemeinpolizeilichen Maßnahmen, AöR 79 (1953/54), S. 74 ff. M Vgl. E. Hesse, a. a. O. (Fn. 89). 149 Würde man mit v. Mangoldt jedes formelle Gesetz als Bestandteil der verfassungsmäßigen Ordnung im Sinne des Art. 2 Abs. 1 ansehen, dann wären bei der zentralen Stellung dieses Rechts sämtliche Grundrechte unter den Gesetzesvorbehalt gestellt und die bei einzelnen Grundrechten im Grundgesetz gewährte Möglichkeit, sie durch Gesetz oder auf Grund formalgesetzlicher Ermächtigung zu beschränken, wäre überflüssig. Damit wäre aber auch die in Art. 1 Abs. 3 vorgesehene Bindung des Gesetzgebers an die Grundrechte sinnlos. Vgl. H. Peters, a. a. O. (Fn. 79), S. 675 f.

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1. Kap.: Selbstverwirklichung als Wesensgehalt aller Grundrechte

Die „Schranke" der verfassungsmäßigen Ordnung hat in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts eine überragende Bedeutung erlangt und die übrigen Elemente der Schrankentrias weitgehend überlagert. Das Bundesverfassungsgericht versteht seit dem Elfes-Urteil unter verfassungsmäßiger Ordnung die „verfassungsgemäße" Ordnung, also die gesamte formell und materiell mit der Verfassung in Übereinstimmung stehende Rechtsordnung 150. So wird die verfassungsmäßige Ordnung durch die Gesamtheit der Verfassungsnormen definiert 151 und es wird auf die elementaren Verfassungsgrundsätze und Grundentscheidungen abgehoben152. Das Verständnis von der verfassungsmäßigen Ordnung schließt besonders auch die Gesetze ein, die in Vollzug bestimmter, kontinuierlich zu vollziehender Verfassungsdirektiven ergehen 153, also werden darunter alle Normen verstanden, die von der Verfassung geforderte Gemeinwohlinteressen verwirklichen 154 . Würde allerdings die Gesamtheit der öffentlich-rechtlichen Normen als Schranke allgemeiner Handlungsfreiheit gelten, wäre diese einem „Rechtsvorbehalt" unterstellt. Auch Gewohnheitsrecht könnte dann Bestandteil der verfassungsmäßigen Ordnung im Sinne des Art. 2 Abs. 1 GG sein 155 . Ein solcher Rechtsvorbehalt läßt sich indes nicht mit der Auffassung vereinbaren, die auf Gewährleistung einer Mitwirkung des Parlaments zielt, daß nämlich das grundrechtsrelevante Netzwerk der staatlichen Rechtsordnung durch Gesetz oder aufgrund eines Gesetzes entstanden sein muß 1 5 6 . Der Vorbehalt der verfassungsmäßigen Ordnung ist in Art. 2 Abs. 1 GG daher im Sinne eines Gesetzesvorbehalts zu verstehen 157. 150 BVerfGE 6, 32 (37); aus der neueren Rechtsprechung BVerfGE 50, 256 (262); 59, 275 (278); 72,200 (245). 151 Karl Doehring, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, 3. Aufl., Frankfurt/M. 1984, S. 287. 152 Fn Klein, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG I, Art. 2 Anm. IV 2a. 153 Peter Lerche, Übermaß und Verfassungsrecht, Köln 1961, S. 299 f. i. V. m. S. 63. 154 G. Dürig, GG, Art. 2 Abs. 1 Rdnr. 18 f.; Günter Erbel, Das Sittengesetz als Schranke der Grundrechte, Berlin 1971, S. 177. 155 So BVerfGE 6, 32 (40); /. v. Münch, GG I, Art. 2 Rdnr. 31 ; D. Merten, a. a. O. (Fn. 83), S. 346. 156 Vgl. dazu Hans-Uwe Erichsen, Elternrecht und staatliche Verantwortung für das Schulwesen, in: FS für Hans Ulrich Scupin, Berlin 1983, S. 721 (731 ff.); Carl-Eugen Eberle, Gesetzesvorbehalt und Parlamentsvorbehalt, DÖV 1984, S. 485 ff.; Michael Kloepfer, Der Vorbehalt des Gesetzes im Wandel, JZ 1984, S. 685 ff.; Günter Püttner, Der Rechtsstaat und seine offenen Probleme, DÖV 1989, S. 137 ff. 157 Die Grenze der „verfassungsmäßigen Ordnung" ist aus einer zeitlich mehr rückwärts gerichteten Betrachtung zu ermitteln. Aus ihr heraus muß das neue Freiheitsrecht auch wie die im Grundgesetz genannten anderen Freiheitsrechte sich entwickeln, doch darf sie für die Zukunft keine undurchdringliche Sperre bilden. Art. 2 Abs. 1 GG im engeren und engsten Sinne (als das neue Freiheitsrecht) kann deshalb nicht mit der „verfassungsmäßigen Rechtsordnung" identisch sein, weil andernfalls jedes formell verfassungsmäßige Gesetz die im Grundrechtskatalog nicht genannten Freiheitsbereiche wirksam eingrenzen und verkürzen könnte. Vgl. W. Schmidt, a. a. O. (Fn. 51), S. 78.

Β. Art. 2 Abs. 1 GG als Selbstverwirklichung des Menschen im GG

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Weist Art. 2 Abs. 1 GG einen - wenn auch offenen - materiellen Garantiegehalt auf, so ist auf alle staatlichen Entscheidungen, die den Regelungsbereich des Art. 2 Abs. 1 GG betreffen, das Übermaßverbot im gleichen Maße anwendbar wie bei anderen Grundrechtsgewährleistungen, die unter Gesetzesvorbehalt stehen 158 . Ein die Freiheit des Art. 2 Abs. 1 GG beschränkendes Gesetz kann daher nur dann zur verfassungsmäßigen Ordnung gehören, wenn es dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit - einer Regelungskomponente des Übermaßverbot - entspricht und damit überwiegende Gründe des Gemeinwohls den Eingriff rechtfertigen oder gar gebieten 159 . Die im Rahmen des Übermaßverbots und damit der subjektivrechtlichen Komponente der Wesensgehaltgarantie des Art. 19 Abs. 2 GG erforderliche Güterabwägung kann dazu führen, daß ein Eingriff in einzelne Freiheitsbereiche nicht in Betracht kommt, weil sie für die Begründung und Verwirklichung der Persönlichkeit essentielle Bedeutung haben. So sieht das Bundesverfassungsgericht durch Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG einen „Kernbereich privater Lebensgestaltung" geschützt, der „der Einwirkung der gesamten öffentlichen Gewalt entzogen" ist 1 6 0 . Als unantastbaren Bereich menschlicher Entfaltungsfreiheit hat es jenen „Innenraum" bestimmt, in dem der einzelne „sich selbst gehört" und zu dem „die Umwelt keinen Zutritt hat" 1 6 1 .

3. Das Sittengesetz Endlich bildet das Sittengesetz die Grenze des in Rede stehenden Rechts. In einer in einem Auflösungsprozeß sittlicher und rechtlicher Vorstellungen begriffenen Gesellschaft 162 wie der gegenwärtigen ist es nicht einfach, den Begriff des Sittengesetzes zu umschreiben. Es scheint hier die Summe derjenigen sittlichen Normen gemeint zu sein, die Allgemeingut der „verfassungsimmanenten Ethik" 1 6 3 sind, um den Menschen sich verwirklichen zu lassen. Das „Sittengesetz" ist auch zukunftsbezogen und ermöglicht es, neuere soziale und sozialpsychologische Veränderungen in die Fortentwicklung des grundrechtlichen Freiheitsschutzes einzubeziehen 164 . Kant hielt zwar an der Sittlichkeit als Bestimmung des Menschen fest, bestand aber darauf, daß Sittlichkeit nicht das Ergebnis staatlichen Zwangs, sondern indivi158 Dazu H.-U. Erichsen, a. a. O. (Fn. 83), S. 13 f.; ders., Jura 1988, S. 387 f. 159 BVerfGE 18, 315 (327); 21, 245 (249); 55, 159 (165); 59, 275 (278). 160 So etwa BVerfGE 6, 32 (41); 27, 344 (350f.);32, 373 (379); 34, 238 (245 ff.); 35, 202 (232); BVerfGE 65, 1 (46). 161 BVerfGE 27, 1 (6); 34, 269 (281). 162 Vgl. H. Peters, a. a. O. (Fn. 79), S. 677. 163 G. Erbel, a. a. Ο. (Fn. 154), S. 261. 164 W. Schmidt, AöR 91 (1966), S. 78.

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1. Kap.: Selbstverwirklichung als Wesensgehalt aller Grundrechte

dueller Freiheit sei. Folglich hatte auch für ihn der Staat Sittlichkeit nicht zu bewirken, sondern nur zu ermöglichen 165 . Dies geschah eben durch die Gewährleistung gleicher Freiheit, in der seine einzige Aufgabe bestand. Auch für die Kultur galt nach diesem Verteilungsprinzip grundsätzlich, daß sie auf die Seite der Gesellschaft wechselte und an deren Autonomie partizipierte 166 . Der Begriff des Sittengesetzes wird duch seine Aufnahme in das Grundgesetz aus seiner vorrechtlichen, religiösen und philosophischen Vorprägung 167 gelöst. Als Begriff des Verfassungsrechts ist das Sittengesetz in verfassungsrechtliche Sinn- und Funktionszusammenhänge eingeordnet und damit auch nach ihrer Maßgabe inhaltlich zu bestimmen 168 . Dabei sind vornehmlich die im Grundgesetz selbst enthaltenen ethischen Wertentscheidungen zugunsten der Menschenwürde, Menschenrechte und Sozialstaatlichkeit einschlägig. Jenseits dieser verfassungsimmanenten Ethik ist der vornehmlich in Art. 4 Abs. 1 GG, 137 Abs. 1 WRV i.V.m. Art. 140 GG niedergelegte Wille der Verfassung zur Offenheit und Neutralität 1 6 9 zu beachten, der ihrer Identifikation mit einer bestimmten Weltanschauung, Religion oder Ethik entgegensteht170. In Betracht kommen nur diejenigen sittlichen Werturteile, die als Teil der tatsächlich feststellbaren Sozialmoral anerkannt sind 171 . Diese sind, wie etwa die Beispiele der nicht-ehelichen Lebensgemeinschaft oder der freiwilligen Sterilisation erweisen 172 , dem Wandel des sittlichen Bewußtseins der Rechtsgemeinschaft unterworfen 173. 165

Vgl. Christian Starck, Das „Sittengesetz" als Schranke der freien Entfaltung der Persönlichkeit, in: G. Leibholz/F. Joachim/ P. Mikat/H. Reis (Hrsg.), Menschenwürde und freiheitliche Rechtsordnung, Festschrift für Willi Geiger zum 65. Geburtstag, Tübingen 1974, S. 259 ff. κ* Dieter Grimm, Kulturauftrag im staatlichen Gemeinwesen, VVDStRL 1984, S. 52. 167 Dazu G. Erbet, a. a. O. (Fn. 154), S. 151 ff. 168 G. Erbel, a. a. O. (Fn. 154), S. 210f., 254ff.; vgl. auch Hans-Uwe Erichsen, Elternrecht-Kindeswohl-Staatsgewalt, Berlin 1985, S. 27 f. 169 Dazu Klaus Schiaich, Neutralität als verfassungsrechtliches Prinzip, Tübingen 1972, S. 236 ff. 170 K. Schiaich, a. a. O. (Fn. 169), S. 172, 187; G. Erbel, a. a. O. (Fn. 154), S. 262 f. πι G. Erbel, a. a. O. (Fn. 154), S. 261; /. v. Münch, GG I, Art. 2 Rdnr. 35. 172 H.-U. Erichsen, a. a. O. (Fn. 74), S. 1202f. 173 Da bei dieser verfassungsrechtlichen Abgrenzung des neuen Freiheitsrechts ein Grundrechtstatbestand noch nicht vorgegeben ist, können die „Rechte anderer", die „verfassungsmäßige Ordnung" und das „Sittengesetz" nicht als Gesetzesvorbehalt angesehen werden, der das Parlament zu beschränkten Eingriffen in das Freiheitsrecht ermächtigt. Ein solcher Gesetzesvorbehalt würde einen bestimmten, in der Verfassung genannten Freiheitsbereich voraussetzen, auf den er dann bezogen wäre. Die Abgrenzungsmerkmale des Art. 2 Abs. 1 GG im engeren und engsten Sinne sind deshalb mit dem Begriff „Gesetzesvorbehalt" oder ähnlichen Begriffsableitungen nicht zu erfassen. Sie können demnach auch nicht allgemeine Vorbehalte für die im Grundgesetz genannten anderen Freiheitsrechte sein. Vgl. dazu H. Peters, a. a. Ο. (Fn. 52), S. 22 in Anm. 35; Peter Häberle, Die Wesensgehaltsgarantie des Art. 19 Abs. 2 Grundgesetz, 3. Aufl., Heidelberg 1983, S. 230; Helmut Ridder/Ekkehart Stein, Die Freiheit der Wissenschaft und der Schutz von Staatsgeheimnissen, in: DÖV 1962, S. 361 ff.

Β. Art. 2 Abs. 1 GG als Selbstverwirklichung des Menschen im GG

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IV. Die Funktion von A r t 2 Abs. 1 GG und die Selbstverwirklichung des Menschen

1. Im allgemeinen Eine verbreitete Auffassung 174 ordnet das 1949 neu geschaffene Grundrecht des Art. 2 Abs. 1 GG den „klassischen" Grundrechten zu, die nach einer noch ganz dem Liberalismus des 19. Jahrhunderts verhafteten, aber auch heute noch beliebten Denkweise ausschließlich als status negativus verstanden werden. Danach beschränkt sich die Funktion all dieser Grundrechte auf die Abwehr von staatlichen „Eingriffen in Freiheit und Eigentum" oder mit anderen Worten auf die Umgrenzung der Sphäre, die der staatlichen Einwirkung entzogen ist. Diese Grundrechte funktionieren als die Festlegung einerseits des engsten Kreises der Intimsphäre 175 , die auch der Regelung durch das (staatliche) Recht entzogen ist, andererseits des weiteren Privatbereichs, der privatrechtlicher Regelung, aber nicht administrativen Einflüssen unterliegt. Da die für den status negativus in Anspruch genommenen Grundrechte insgesamt die gewichtigsten darstellen, weist diese Auffassung den Grundrechten schlechthin in erster Linie die Abgrenzung zwischen dem Privatbereich auf der einen, dem Sozialbereich und dem staatlichen Bereich auf der anderen Seite zu. Danach haben die Grundrechte nur für die Begrenzung, nicht aber für die innere Struktur unserer Staats- und Gesellschaftsordnung Bedeutung 1 7 6 . Typisch für diese Auffassung ist eine mit räumlichen Kategorien arbeitende Denkweise. Die Grundrechtsgewährleistung selbst wird als „Bereich" verstanden, der durch die beigegebenen „Schranken" begrenzt ist. Dringt der Staat in den geschützen Bereich ein, ist die Nichtigkeit seiner Akte die Folge, bleibt er außerhalb dieses Bereichs, ist das einzelne Grundrecht für ihn ohne Belang. Bei Art. 2 Abs. 1 GG fiele der geschützte Bereich weitgehend mit seinem Wesensgehalt zusammen, wenn man mit dem Bundesverfassungsgericht 177 unter der „Schranke" der „verfassungsmäßigen Ordnung" die gesamte verfassungsgemäße Rechtsordnung verstünde. Der Gesetzgeber brauchte sich um dieses Grundrecht nicht zu kümmern, solange er nur nicht den Bereich seines Wesensgehalts beträte und sich an die übrigen Verfassungsbestimmungen hielte 178 . Aber wenn das Grundgesetz zu Beginn seines ersten Abschnitts in Art. 2 Abs. 1 GG unmittelbar nach dem Bekenntnis zu Menschenwürde und Menschenrechten 174 V. Mangoldt/Klein, nr. 26.

GG I, Art. 2 Anm. III, 4; Maunz/Dürig,

GG, Art. 2 Abs. 1 Rand-

175 Vgl. Heinz Holzhauer, Zur Vorgeschichte des allgemeinen Persönlichkeitsrechts, in: H.-U. Erichsen/H. Kollhosser/J. Welp (Hrsg.), Recht der Persönlichkeit, Berlin 1996, S. 51 ff. 176 E. Stein, Fn. 14, S. 23.

177 Vgl. H. D. Jarass, a. a. O. (Fn. 94), S. 89 ff. 178 E. Stein, a. a. O. (Fn. 42), S. 23.

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1. Kap.: Selbstverwirklichung als Wesensgehalt aller Grundrechte

die freie Entfaltung der Persönlichkeit thematisiert und dem allgemeinen Gleichheitssatz und den folgenden Einzelfreiheitsrechten voranstellt, kann damit nur eine grundlegende Wertentscheidung des Verfassungsrechts, eine allgemeine Aussage über die Befindlichkeit des Bürgers im grundgesetzlich verfaßten Gemeinwesen getroffen sein. Mit der Garantie „freier Entfaltung" enthält Art. 2 Abs. 1 GG in diesem Sinne also nicht nur einen „Freiheitsrechtsleitsatz", eine wichtige Auslegungsregel für das verfassungsrechtlich angestrebte Verhältnis Staat-Individuu m 1 7 9 , sondern vielmehr eine Grundentscheidung, die Prägekraft für das Verständnis der gesamten Rechtsordnung hinsichtlich der Selbstverwirklichung des Menschen entfaltet. Da sie auch den Bereich der Gesellschaft betrifft, wirkt sie als Direktive für den duch das Sozialstaatsprinzip ermächtigten und zu freiheitlicher Verfassung der Sozialordnung und Gewährung individueller, realer Freiheitschancen verpflichteten Gesetzgeber 1 8 °. Sie enthält damit die Ausgangsentscheidung für den Prozeß der Abwägung mit anderen Rechts werten 181 - auch im Verhältnis zur Gleichheit - und sie zielt schließlich - entsprechend dem grundgesetzlichen Freiheitsbegriff - auf die Einheit von Freiheit und Verantwortung 182. In diesem Sinne funktioniert der objektivrechtliche Gehalt des Art. 2 Abs. 1 GG in der Verfassungsauslegung als Integration aller Grundrechte.

2. Art. 2 Abs. 1 GG als der grundgesetzliche Grundrechtsleitsatz Eine am Verfassungstext orientierte Auslegung kann indes kaum darüber hinwegsehen, daß Art. 2 Abs. 1 GG von der Formulierung des Art. 1 Abs. 3 GG erfaßt wird, nach der die „nachfolgenden Grundrechte" Gesetzgebung, vollziehende Gewalt und Rechtsprechung binden 183 . Ferner ist auf die Überschrift „Die Grundrechte" des ersten Abschnitts des Grundgesetzes und darauf hinzuweisen, daß Art. 2 Abs. 1 GG ein „Recht" garantiert und damit in der Formulierung vielen Grundrechtsnormen (vgl. Art. 2 Abs. 2, 5 Abs. 1, 8 Abs. 1, 9 Abs. 1, 12 Abs. 1, 17 GG) entspricht, deren subjektivrechtlicher Gewährleistungsgehalt unbestritten ist. Unsicherheiten bei der Bestimmung des Schutzbereichs eines Grundrechts sind im übrigen angesichts der offenen Formulierungen des Grundgesetzes nichts Ungewöhnliches. In der Unbestimmtheit verfassungsrechtlicher Generalklauseln liegt gerade eine Voraussetzung für die Anpassungsfähigkeit der Verfassung an zeitbedingt wechselnde Anforderungen, also ein Mittel ihrer „Verstetigung" 184 . Wie 179 Vgl. auch Günter Dürig, in: Maunz/Dürig, Komm. zu. GG, Art. 2 Abs. 1 Rdnr. 72; Peter Schneider, Prinzipien der Verfassungsinterpretation, VVDStRL 20 (1963), S. 1 (31 ff.); BVerfGE 17, 306 (313 f.). 180 Vgl. allgemein W. Krebs, a. a. O. (Fn. 89), S. 90 ff. lei BVerfGE 17, 306 (313 f.). 182 H.-U. Erichsen, a. a. O. (Fn. 74), S. 1185 ff. 183 Vgl. H.-U. Erichsen, a. a. O. (Fn. 83), S. 135. 184 Hermann Heller, Staatslehre, 6 Aufl., Tübingen 1983, S. 281 ff., 287.

Β. Art. 2 Abs. 1 GG als Selbstverwirklichung des Menschen im GG

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im folgenden zu zeigen sein wird, ist Art. 2 Abs. 1 GG auch durchaus der Konkretisierung einzelner Schutzsegmente zugänglich 185 . Nach einer jüngst vertretenen Auffassung 186 soll es sich bei Art. 2 Abs. 1 GG um die partielle Ausformung der staatliches Handeln und Entscheiden im individuellen Lebensbereich erst „legitimierenden" Norm handeln, nicht hingegen um ein Bedingungen für die verfassungsgemäße Wahrnehmung legitimierter staatlicher Macht. Da der „säkularisierte Verfassungsstaat" als solcher bereits durch den Zwang gekennzeichnet sei, staatliche Macht durch die Verfassung und verfassungsmäßiges Recht zu legitimieren, besage Art. 2 Abs. 1 GG „nichts, was nicht auch ohne diese ausdrückliche Normierung rechtens wäre" 187 . Diese staatstheoretische und staatsrechtliche Gesichtspunkte verknüpfende Argumentation verkennt, daß nach dem grundgesetzlichen Grundrechtsverständnis auch die Freiheit der Bürger im Gemeinwesen einer rechtlichen „Verfassung" bedürfen, Art. 2 Abs. 1 GG daher für den Bereich der „freien Entfaltung der Persönlichkeit" Reichweite und Grenzen staatlicher und individueller Befugnisse quasi „zweiseitig" regelt 188 . In der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts wird Art. 2 Abs. 1 GG teilweise auch eine Ergänzungs- oder Supplementärfunktion 189 oder sogar der Charakter einer spezielleren Norm 1 9 0 zugesprochen. So ist häufiger eine Kombination von Spezialfreiheitsrecht und allgemeiner Handlungsfreiheit gewählt worden, um eine Tätigkeit, grundrechtlich zu erfassen, die im sachlichen Zusammenhang mit der Wahrnehmung eines Spezialfreiheitsrechts steht 191 . Bei näherer Betrachtung wird in diesen Fällen jedoch vielfach lediglich mit der objektivrechtlichen Komponente des Art. 2 Abs. 1 GG als „Grundrechtsleitsatz" argumentiert 192.

3. Art. 2 Abs. 1 GGals Verfassungsmäßigkeit

der Gesetzgebung

Art. 2 Abs. 1 GG im weiteren Sinne wird so zum Grundrecht auf Verfassungsmäßigkeit der Gesetzgebung (Art. 20 Abs. 3 GG). Das gesamte Begriffsinstrumentarium des hergebrachten Prinzips der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung wird übernommen und um eine Stufe hinaufverlagert: das Gesetz tritt an die Stelle des Verwaltungsakts. Es wird dementsprechend als „Eingriff 4 verstanden und in das „Er185 H.-U. Erichsen, a. a. O. (Fn. 74), S. 1190. 186 Günther Barbey, Bundesverfassungsgericht und einfaches Gesetz, Berlin 1986, S. 21 ff. Fn. 35, 37. 187 So G. Barbey, a. a. O. (Fn. 186), S. 22 Fn. 37. 188 H.-U. Erichsen, a. a. O. (Fn. 74), S. 1190. 189 R. Scholz, a. a. O. (Fn. 93), S. 112ff., insb. 117ff. mit zahlreichen Nachweisen; vgl. ferner BVerfGE 42, 234 (236), BVerfGE 76, 100 (142). 190 Vgl. R. Scholz,*, a. O. (Fn. 93), S. 116ff.; BVerfGE57, 170(177ff.). 191 BVerfGE 35, 35 (39); 42, 234 (236). 192 H.-U. Erichsen, a. a. O. (Fn. 74), S. 1197.

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1. Kap.: Selbstverwirklichung als Wesensgehalt aller Grundrechte

messen" des Gesetzgebers gestellt 193 ; die Verfassung tritt an die Stelle des Gesetzes; der gegen die Exekutive gerichtete Vorbehalt des Gesetzes wird zu dem gegen das Parlament gerichteten Vorbehalt der Verfassung - „Eingriffe" in die Freiheit durch Gesetz müssen von der verfassungsmäßigen Ordnung gedeckt werden 194 . Das zum Grundrecht umgeformte Prinzip der Verfassungsmäßigkeit der Gesetzgebung bedarf der Ausfüllung, ehe es auf einen praktischen Fall angewendet werden kann. Dazu verweist es auf die verfassungsmäßige Ordnung. Insoweit ist es eine „Leerform". Die Bestimmung der verfassungsmäßigen Ordnung, an die das Parlament bei der Gesetzgebung gebunden ist, wird damit zum eigentlichen Ziel der mit Art. 2 Abs. 1 GG ausgelösten Normenkontrolle durch das Bundesverfassungsgericht. Das Bundesverfassungsgericht schützt demgemäß mit Art. 2 Abs. 1 GG nicht nur einen konkreten Freiheitsbereich des einzelnen, sondern auch die verfassungsmäßige Ordnung schlechthin 195 . Dazu rechnen (folgerichtig) auch Kompetenznormen, die mit Rücksicht auf das konkrete Handeln des Beschwerdeführers als Schutzgut des Art. 2 Abs. 1 GG geprüft werden 196 . Die Verletzung jedes einzelnen Freiheitsrechts ist zugleich auch ein Verstoß gegen die verfassungsmäßige Ordnung und verletzt deshalb immer auch die „allgemeine Handlungsfreiheit". Folgerichtig müßte das Bundesverfassungsgericht jede einzelne Grundrechtsverletzung im Rahmen des Art. 2 Abs. 1 GG prüfen, wenn es keine im Grundgesetz genannten anderen Freiheitsrechte gäbe 197 . Wie bei jedem benannten Gesetzesvorbehalt ist bei einer Beschränkung von Art. 2 Abs. 1 GG zunächst zu prüfen, ob die Grundrechtsbeschränkung einem (hier allerdings nicht ausdrücklich genannten) vor der Verfassung legitimen Gemeinschaftsinteresse tatsächlich und nicht unwesentlich dient. Hieran hat sich die Prüfung anzuschließen, ob dieses Gemeinschaftsinteresse im konkreten Fall nicht unter stärkerer Rücksichtnahme auf das Recht der Betroffenen auf die freie Entfaltung ihrer Persönlichkeit verfolgt werden kann. Jede Verfassungsinterpretation steht unter dem Gebot optimaler Verwirklichung der Norm: „Diejenige Auslegung ist geboten, die unter den konkreten Bedingungen der gegebenen Sachlage den Sinn der normativen Regelung optimal verwirklicht." 198 Der Gesetzgeber hat also eine Lösung zu suchen, die den Betroffenen einen möglichst großen Spielraum für individuelles Verhalten läßt. Soweit nicht eindeutig festzustellen ist, welche Lösung in diesem Sinne die optimale ist, steht die Entscheidung freilich in seinem Ermessen 199. 193 Vgl. ζ. B. BVerfGE 10, 89 (102); 10, 354 (364); 13,230 (234). 194 Zu diesem Problemkreis R Lerche, a. a. Ο. (Fn. 153), passim. 195 Vgl. G. Dürig, AöR 79 (1953/54), S. 80f. 196 Vgl. Hans Heinrich Rupp, Das Grundrecht der Berufsfreiheit, NJW 1965, S. 993 ff., 994 in Anm. 8. 197 Vgl. W Schmidt, AöR 91 (1966), S. 50. 198 Konrad Hesse, Die normative Kraft der Verfassung, 1959, S. 15. 199 E. Stein, a. a. O. (Fn. 42), S. 26.

Β. Art. 2 Abs. 1 GG als Selbstverwirklichung des Menschen im GG

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So durchdringen die Grundrechte einschließlich Art. 2 Abs. 1 GG die gesamte Staats- und Gesellschaftsordnung. Sie beschränken sich nicht auf die Abwehr staatlicher Eingriffe in bestimmte Bereiche, sondern haben gerade auch dann Bedeutung, wenn staatliche Eingriffe zulässig sind 200 . Mit der zunehmenden Verflechtung aller Gesellschaftsbereiche hat sich notwendig auch der staatliche Einflußbereich immer stärker ausgeweitet und dehnt sich ständig weiter aus. Dabei hat der Staat gewiß .oft die Grenzen des Notwendigen überschritten. Man darf aber nicht verkennen, daß unabhängig von Machtmißbräuchen die Bereiche, in denen ein Eingreifen des Staates zumindest in der Form privatrechtlicher Normierung erforderlich wird, immer mehr zunehmen201. Der größte Teil unseres Alltags spielt sich in dem Sozialbereich ab, der rechtlicher Normierung durch staatlich gesetztes Recht bedarf und diese Normierung gefunden hat. Daher tritt die Bedeutung der Freiheit vor Eingriffen immer stärker hinter der Freiheitlichkeit der Eingriffsgesetzgebung und Eingriffsverwaltung zurück. Der erwähnte Wandel im Grundrechtsverständnis spiegelt somit nur Änderungen der Freiheitsproblematik wider, die aus Entwicklungen im gesellschaftlichen und staatlichen Bereich resultieren. Da der Alltag des Einzelnen immer stärker im Zeichen sozialen und staatlichen Einflusses steht, muß die Freiheitlichkeit in erster Linie in diesem Einflußbereich gewährleistet werden, wenn sie für die Einzelnen noch relevant sein soll 2 0 2 .

4. Art. 2 Abs. 1 GG LV.m. Art. 19 Abs. 2 GG und Art. 20 Abs. 3 GG als Grundrechts Schutzsystem Gewährleistet Art. 2 Abs. 1 GG im weiteren Sinne die Handlungsfreiheit umfassend, so könnte das Grundrecht in Anlehnung an einige Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts 203 als Garantie der Freiheit von allen rechtswidrig belastenden Maßnahmen zu verstehen sein. Art. 2 Abs. 1 GG würde damit zu einem subjektiven Recht der Betroffenen auf Verfassungsmäßigkeit der Gesetzgebung und Gesetz- und Rechtmäßigkeit von Verwaltung und Rechtsprechung. Er würde zur Gewährleistung der Selbstverwirklichung des Menschen 204 . Eine solche Interpretation des Art. 2 Abs. 1 GG würde zum einen Gesetzgebung, vollziehende Gewalt und Rechtsprechung nur auf das verpflichten, was in Art. 20 Abs. 3 GG ohnehin gefordert ist. Sie hätte zudem zur Folge, daß dem regelnden Gesetzgeber im Rah200 Vgl. BVerfGE 7, 198 ff. 201 Vgl. Jürgen Schwabe, Der Schutz des Menschen vor sich selbst, JZ 1998, S. 66 ff. 202 E. Stein, a. a. O. (Fn. 42), S. 26.; vgl. auch Rainer Ρitschas, Verwaltungsrecht im funktionalen Wandel des spätmodernen Staates, in: R. Pitschas (Hrsg.), Entwicklungen des Staatsund Verwaltungsrechts in Südkorea und Deutschland, Berlin 1998, S. 171 ff. 203 BVerfGE 9, 83 (88); 17, 306 (313); 19, 206 (215); 19, 253 (257); 21, 1 (3); 25, 216 (223 f.); 26, 1 (7); 27, 375 (384); 29,402 (408); 31, 145 (173); 33,44 (48); 42, 20(27 f.). 204 Vgl. Roman Herzog, Das Grundrecht auf Freiheit in der Europäischen Menschenrechtskonvention, in: AöR 86 (196), S. 194; Hanns-Rudolf Lipphardt, Grundrechte und Rechtsstaat, EuGRZ 1986, S. 161.

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1. Kap.: Selbstverwirklichung als Wesensgehalt aller Grundrechte

men der Anwendung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit ein abwägungsfähiges, gegenläufiges Schutzgut nicht entgegengehalten werden könnte. Sie würde andererseits zu einer Versubjektivierung des Art. 20 Abs. 3 GG führen. Letztlich ist jeder Bürger von jeder Handlung des Staates - wenn auch nur in entfernter Weise - betroffen und der sozial gestaltende Staat wird regelmäßig gleichzeitig begünstigend wie belastend tätig. Deshalb ließe sich bei dieser Interpretation des Art. 2 Abs. 1 GG kaum eine Handlung des Staates vorstellen, die nicht als grundrechtserheblich zu qualifizieren wäre und bei Verstoß gegen objektives Recht von den Gerichten in den einschlägigen Verfahren zu korrigieren werden müßte 205 . Die Grundrechte verpflichten den Staat bei jeder ihren Regelungsbereich betreffenden Einwirkung, das Allgemeininteresse und das individuelle Freiheitsinteresse abzuwägen und die Entscheidung durch Gesetz oder aufgrund Gesetzes zu treffen 2 0 6 . Die Grundrechte werden verletzt, sofern ein Hoheitsakt der getroffenen Abwägung zuwiderläuft oder es an einer vorgängigen gesetzlichen Entscheidung überhaupt fehlt. Ein grundrechtlicher Abwehranspruch besteht demnach stets bei Verstoß gegen Normen, die den Hoheitsakt in bezug auf jene Interessenabwägung determinieren sollen. Der Abwehranspruch schützt also die Normen, die auf den optimalen Ausgleich zwischen Allgemeinwohl und individuellem Freiheitsinteresse zielen, insoweit freiheitsschützende Funktion haben und dadurch einen Rechtswidrigkeitszusammenhang zwischen dem einfachgesetzlichen Rechtsverstoß und der Beeinträchtigung der grundrechtlich geschützten Freiheit vermitteln 207 . Ein Verständnis des Art. 2 Abs. 1 GG als Garantie der Freiheit von allen rechtswidrig belastenden Maßnahmen würde die allgemeine Handlungsfreiheit demgegenüber zu einem Grundrecht auf Abwehr jeglicher Interessenbeeinträchtigung mutieren lassen. Ein solches Verständnis müßte daher zur Einbeziehung auch der tatsächlichen Bedingungen der Freiheitsausübung in den Gewährleistungsbereich des Freiheitsrechts führen 208 . Dieses Grundrechtsschutzsystem, welches dem Schutzbedürfnis des Bürgers Rechnung trägt und dem Staat die Sachwaltung des Allgemeinwohls ermöglicht, würde durch eine mit Hilfe des Art. 2 Abs. 1 GG i. V. m. Art. 19 Abs. 2 GG bewirkte Versubjektivierung des Art. 20 Abs. 3 GG überrollt, um die Selbstverwirklichung des Menschen durchzusetzen. Art. 2 Abs. 1 GG gewährleistet jedem „das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt." Ihre interpretatorische 205 vgl. H.-U. Erichsen, a. a. O. (Fn. 74), S. 1192. 206 Vgl. auch zum folgenden Walter Krebs, Subjektiver Rechtsschutz und objektive Rechtskontrolle, in: FS für Christian-Friedrich Menger, Köln 1985, S. 191 (203 f.). 207 Vgl. BVerfGE 55, 274 (302); Friedhelm Hufen, Aktuelle Entwicklungstendenzen des Allgemeinen Verwaltungsrechts in der Bundesrepublik Deutschland, in: R. Pitschas (Hrsg.), Entwicklungen des Staats- und Verwaltungsrechts in Südkorea und Deutschland, Berlin 1998, S. 187 ff. 208 H.-U. Erichsen, a. a. O. (Fn. 74), S. 1193.

C. Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 19 Abs. 2 GG als Wesensgehalt aller Grundrechte

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Grundlegung erfuhr diese Verfassungsnorm durch das Elfes-Urteil des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahre 1957 209 . Eine Durchsicht der seit Inkrafttreten des Grundgesetzes erschienenen Rechtsprechung und Literatur vermittelt den Eindruck, daß diese Norm sich trotz einiger engagiert geführter Kontroversen 210 insgesamt doch einer eher zurückhaltenden Aufmerksamkeit erfreut. Dies dürfte zum einen seine Erklärung darin finden, daß die Ergebnisse der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts überwiegend als hinnehmbar angesehen werden. Es dürfte zum anderen der Einsicht zuzuschreiben sein, daß mit der Frage nach dem Rechtsinhalt des Art. 2 Abs. 1 GG als die Selbstverwirklichung des Menschen im Grundgesetz die Integration 211 einer umfassenden Grundrechtssystematik und einer grundlegenden Grundrechtsdogmatik verbunden ist, die beide ihren Ausgangspunkt im grundgesetzlichen Freiheitsverständnis finden 212.

C. A r t 2 Abs. 1 GG i.V.m. A r t 19 Abs. 2 GG als Wesensgehalt aller Grundrechte und die Selbstverwirklichung des Menschen I. Art. 2 Abs. 1 GG als Integration aller Grundrechte

In den Grundrechten sieht Rudolf Smend in erster Linie ein Mittel der „sachlichen Integration" im Dienst gemeinsamer Sinnverwirklichung, für Smend ein Essentiale des Staates. Sie fixieren einen sachlichen Gehalt, der dem Staat aufgegeben ist, ihm Inhalt und Würde gibt und im staatlichen Leben immerfort erneuert und fortgebildet wird. So sind sie Ausdruck eines bestimmten Kultur- und Wertsystems213, das der Sinn des von der konkreten Verfassung konstituierten Staatslebens sein soll 2 1 4 . Smend hat selbst die Konsequenz aus seiner neuen Verfassungslehre für die hier zu beantwortende spezielle Frage gezogen und ausdrücklich hervorgehoben, daß der Grundrechtsgedanke nicht auf das Moment einer gewissen Emanzipation des Individuums vom Staat und seiner Sicherung gegenüber dem Staat, einer vorbe209 BVerfGE 6, 32 ff. 210 Vgl. dazu R. Scholz, AöR 100(1975), S. 80ff., 265 ff.; Gunnar Duttge, Freiheit für alle oder allgemeine Handlungsfreiheit, NJW 1997, S. 3353 ff. 211 H. Peters, a. a. O. (Fn. 79), S. 674. 212 Vgl. H.-U. Erichsen, a. a. O. (Fn. 74), S. 1186. 213 Dieses Wertsystem, das seinen Mittelpunkt in der innerhalb der sozialen Gemeinschaft sich frei entfaltenden menschlichen Persönlichkeit und ihrer Würde findet, muß als verfassungsrechtliche Grundentscheidung für alle Bereiche des Rechts gelten; Gesetzgebung, Verwaltung und Rechtsprechung empfangen von ihm Richtlinien und Impulse. Vgl. BVerfGE 7, 198 ff., 295; Christian Starck, Das Grundgesetz nach fünfzig Jahren: bewährt und herausgefordert, JZ 1999, S. 481 f. 214 Vgl. Rudolf Smend, Verfassung und Verfassungsrecht (1928), unverändert abgedruckt in: ders., Staatsrechtliche Abhandlungen, Berlin 1955, S. 160ff., 260ff.; Wilhelm Hennis, Integration durch Verfassung?, JZ 1999, S. 485 ff.

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1. Kap.: Selbstverwirklichung als Wesensgehalt aller Grundrechte

haltenen außerstaatlichen privaten Sphäre beschränkt bleiben darf. Vielmehr seien die Grundrechte als verbindende Beziehung zwischen Individuum und Staat, als Grundlage politischer Einung zu sehen, und nicht so sehr als trennender Vorbehalt215. Die Hauptbedeutung der Grundrechte 2 1 6 liegt danach nicht in sichtbaren Vorteilen für praktisch denkende einzelne. Sie normieren immer neu aufgegebene Ziele, wobei die Erkenntnis ihrer Verbindlichkeit und die gemeinsame Arbeit an ihrer Verwirklichung dazu beitragen, die Einzelnen zu einer Gemeinschaft werden zu lassen 2 1 7 . So sind alle Grundrechte Bestandteile unserer freiheitlichen demokratischen Grundordnung, deretwegen dieser Staat von der überwältigenden Mehrheit seiner Bürger bejaht w i r d 2 1 8 . Sie konkretisieren die Freiheitlichkeit und verbürgen sie in dieser konkretisierten Gestalt, nicht i m Sinne einer beschreibenden Aussage über das Sein, sondern i m normativen Sinn als ständig von neuem aufgegebenes Ziel. Sie garantieren damit, soweit das bloße Rechtsnormen überhaupt vermögen, daß das Wirken der Staatsorgane auf die Erhaltung und Verwirklichung dieser Freiheitlichkeit gerichtet ist, und sichern ihnen zugleich die Mitarbeit aller, denen an der Freiheitlichkeit unserer Staats- und Gesellschaftsordnung gelegen i s t 2 1 9 . 2!5 Rudolf Smend, Bürger und Bourgeois im deutschen Staatsrecht (1933), in: ders., Staatsrechtliche Abhandlungen Berlin 1955, S. 309 ff., 313 ff.; Auch eine Reihe er Untersuchungen bestätigt dieses Verständnis der Grundrechte. So betont Josef M. Wintrich, daß die Grundrechte sich nicht auf bloße Abwehrrechte beschränkten, sondern einen positiven Gehalt hätten. Als Ausgestaltungen des Grundwerts der Personen würde verkörperten sie Höchstwerte, die nicht nur für den Einzelnen, sondern für das gesamte, insbesondere für das staatliche Gemeinschaftsleben bedeutsam seien und seinen Geist wie seine Struktur bestimmten. Ihm haben sich mehrere namhafte Autoren unterschiedlichster Provenienz angeschlossen, während ihm, soweit zu sehen, noch niemand ausdrücklich widersprochen hat. Auch das Bundesverfassungsgericht scheint dieser Auslegung zuzuneigen. Nach seiner Auffassung hat das Grundgesetz „in seinem Grundrechtsabschnitt auch eine objektive Wertordnung aufgerichtet". Vgl. Josef M. Wintrich, Über Eigenart und Methode verfassungsgerichtlicher Rechtsprechung, in: Verfassung und Verwaltung in Theorie und Wirklichkeit, Festschrift für Wilhelm Laforet, München 1952, S. 227 ff., 235.; Walter Hamel, Die Bedeutung der Grundrechte im sozialen Rechtsstaat, Berlin 1957, S. 15, 20. 216

Vgl. Robert Alexy, Grundrechte als subjektive Rechte und als objektive Normen, Der Staat 1990, S. 49 ff.; Ernst-Wolfgang Böckenförde, Zur Lage der Grundrechtsdogmatik nach 40 Jahren Grundgesetz, München 1989; ders., Grundrechte als Grundsatznormen, Der Staat 1990, S. 1 ff.; Wolfram Höfling, Offene Grundrechtsinterpretation, Berlin 1987; Niklas Luhmann, Grundrechte als Institution, 3. Aufl., Berlin 1986. 217 Vgl. Peter Häberle, Grungrechte im Leistungsstaat, VVDStRL 1972, S. 43 ff. 218 Vgl. Wolfram Höfling, Demokratische Grundrechte - zu Bedeutungsgehalt und Erklärungswert einer Dogmatischen Kategorie, Der Staat 1994, S. 493 ff. 219 Wenn die Grundrechte auch für die freiheitliche Struktur unserer Staats- und Gesellschaftsordnung, nicht nur für ihre Begrenzung, Bedeutung gewinnen sollen, sind sie nicht länger in erster Linie als Abgrenzungen staatsfreier Bereiche, sondern als Entscheidungen von Konflikten zwischen Individual- und Gemeinschaftsinteressen zu interpretieren. Die Grundrechtsgewährleistung normiert den allgemeinen Vorrang eines bestimmten Individualinteresses, der Gesetzesvorbehalt als Ausnahme hiervon den Vorrang bestimmter Gemeinschaftsinteressen. Beim Gebrauch des Gesetzsvorbehaltes ist zu prüfen, ob die beabsichtigte

C. Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 19 Abs. 2 GG als Wesensgehalt aller Grundrechte

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Grundrechtliche Freiheit hat daher auch einen staatspolitischen Zweck 2 2 0 : durch Ausübung von Freiheit im gesellschaftlichen Bereich soll der einzelne auf staatliche Entscheidungen einwirken können, um die Erscheinung des im Grundgesetz verfaßten Gemeinwesens mitzubestimmen221. Grundrechtliche Freiheit ist insofern sozialbezogen, als sie dem einzelnen die Möglichkeit gibt, das Bild des Gemeinwesens mitzuverfassen. Sie ist insofern sozialgebunden, als sie das menschliche Miteinander zur Voraussetzung und Gegenstand hat. Sind die Menschenrechte gemäß Art. 1 Abs. 2 GG die Grundlage der menschlichen Gemeinschaft, so weist dies auf den „genossenschaftlichen Akzent" 2 2 2 grundrechtlicher Verbürgung hin, die nicht nur um des einzelnen, sondern auch um der Gemeinschaft willen verfassungsrechtlich abgesichert ist 2 2 3 . Durch das Sozialstaatsprinzip der Art. 20 Abs. 1, Art. 28 Abs. 1 GG wird der Staat zur Schaffung und Sicherung der Voraussetzungen grundrechtlicher Freiheit ermächtigt und zugleich dafür in die Verantwortung 224

genommen Demnach müssen „Freiheit" und „Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit" begrifflich scharf auseinandergehalten werden. Letzteres steht auf höherer Ebene als erstere. Die im einzelnen in den Art. 2 Abs. 2, Art. 4 ff. GG aufgezählten einzelnen Freiheitsrechte helfen die freie Entfaltung der Persönlichkeit zu sichern; jedoch berührt ihre Einschränkung auf einzelnen Spezialgebieten nicht notwendig Menschentum und Persönlichkeit. Umgekehrt aber stehen sämtliche Freiheitsrechte des Grundgesetzes unter dem stets wirksamen Aspekt der freien Entfaltung der Persönlichkeit. Von dorther erhält die Freiheit, die kein im Weltenraum isoliert schwebendes Abstraktum darstellt, Sinn, Ermächtigung und Begründung. Man kann also davon ausgehen, daß Art. 2 Abs. 1 GG den positivrechtlichen Umschreibungen der Freiheit in den nachfolgenden Grundrechtsbestimmungen 225 übergeordnet ist, weil das Ziel aller einzelnen Freiheitsrechte der Art. 2 Abs. 2, Art. 4, Grundrechtsbeschränkung dem privilegierten Gemeinschaftsinteresse tatsächlich und nicht so unwesentlich dient, daß der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verletzt wäre. Vgl. E. Stein, a. a. O. (Fn. 42), S. 24.; Karl August Bettermann, Grenzen der Grundrechte, Berlin 1968; Walter Krebs, a. a. O. (Fn. 89); Friedrich E. Schnapp, Grenzen der Grundrechte, JuS 1978, S. 729 ff.; Jürgen Seifert, Grundrechte und ihre Einschränkung, Hannover 1976; Thomas Wülfing, Grundrechtliche Gesetzesvorbehalte und Grundrechtsschranken, Berlin 1981. 220 H.-U. Erichsen, a. a. O. (Fn. 74), S. 1188. 221 H.-U. Erichsen, a. a. O. (Fn. 83), S. 77. 222 E. Hesse, a. a. O. (Fn. 89), S. 86. 223 ρ, Häberle, a. a. O. (Fn. 173), S. 17 ff. 224 Ernst-Wolfgang Böckenförde, Grundrechtstheorie und Grundrechtsinterpretation, NJW 1974, S. 1529(1538). 225 Erst wenn man dem Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit die aus der Ideologie des Grundgesetzes folgende Deutung gibt, wenn man es ferner an die Spitze der weiterhin positiv geregelten einzelnen Freiheitsrechte als einen diesen übergeordneten Grundgedanken stellt und wenn man schließlich damit die im „Soweit"-Satz des Art. 2 Abs. 1 enthaltenen Schranken als der gesamten Grundrechtsordnung immanent anerkennt, gelangt man zu einem in sich widerspruchslosen, dem weltanschaulichen System des Grundgesetzes entsprechenden, überdies praktisch brauchbaren Ergebnis. Vgl. H. Peters, a. a. O. (Fn. 79), S. 678. 6 Hsu

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1. Kap.: Selbstverwirklichung als Wesensgehalt aller Grundrechte

5, 8, 9, 10, 12 GG usw. eben letztlich der freien Entfaltung der Persönlichkeit dient, um die Selbstverwirklichung des Menschen durchzusetzen.

Π. Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 19 Abs. 2 GG als Wesensgehaltsgarantie der Selbstverwirklichung des Menschen

Wenn man dem Menschen erlaubt, sich nach Belieben zu verhalten, kann er doch nur das entfalten, was in ihm angelegt ist. In diesem allgemeinen Sinn ist jedes menschliche Handeln ein Verwirklichen von dem Menschen immanenten Möglichkeiten, Selbstverwirklichung 226, oder mit den treffenden Worten des Grundgesetzes: „freie Entfaltung seiner Persönlichkeit" 227 . Auch wer in der Entfaltungsfreiheit eine Garantie des Gesamtbereichs möglicher Selbstverwirklichung sieht, kann nicht darüber hinwegsehen, daß für keinen Menschen die verschiedenen Möglichkeiten der freien Persönlichkeitsentfaltung völlig gleichwertig sind 228 . Für jeden einzelnen sind bestimmte Möglichkeiten der Selbstverwirklichung von zentralerer Bedeutung als andere. Und trotz der Verschiedenheit aller Menschen gibt es doch auch gewisse Gemeinsamkeiten in der Einschätzung von Entfaltungsmöglichkeiten, die es erlauben, ganz allgemein bestimmte zentrale Bereiche herauszuarbeiten, die nach Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 19 Abs. 2 GG eines erhöhten Schutzes bedürfen 229 . Der Konkretisierung dieses Grundgedankens bis hin zur präzisen Umgrenzung des unter erhöhtem Schutz stehenden Kernbereichs der Entfaltungsfreiheit stehen allerdings größte Schwierigkeiten entgegen. Sie beginnen schon bei dem Versuch, den Sinn von Art. 19 Abs. 2 GG zu erfassen. Diese Vorschrift lautet: „In keinem Fall darf ein Grundrecht in seinem Wesensgehalt angetastet werden." Art. 19 Abs. 1 GG bestimmt ergänzend, daß derartige grundrechtsbeschränkende Gesetze allgemein und nicht nur für den Einzelfall gelten müssen und das beschränkte Grundrecht unter Angabe des Artikels zu nennen haben. Abs. 2 ist deutlich hiervon abgehoben. Der „Fall", von dem hier die Rede ist, kann nur eine Wertekollision in dem Sinne sein, wie sie speziell in den Gesetzesvorbehalten der einzelnen Grundrechte und allgemein im vorangehenden Abs. 1 geregelt sind. „In keinem Fall" bedeutet also, daß „bei keiner Wertekollision" ein Grundrecht in seinem Wesensgehalt angetastet werden darf 2 3 0 . Es soll somit ein Mindestgehalt des Grundrechts auch im Falle von Wertekollisionen geschützt werden 231 . Daher sollte Art. 19 226 Werner Erich Aufermann, Die Politik der Selbstverwirklichung, Diss., Hamburg 1988, S. 22 ff. 227 Das betonte schon H. Peters, a. a. O. (Fn. 52), S. 48 f. 228 Vgl. Gerd B. Achenbach, Ethos der Selbstverwirklichung, in: Burkhard Müller/Hans Thiersch (Hrsg.), Gerechtigkeit und Selbstverwirklichung, Freiburg 1990, S. 49 ff. 22

* E. Stein, a. a. O. (Fn. 42), S. 17. Vgl. Hermann von Mangoldt/Friedrich Klein/Axel Frhr. von Campenhausen, Das Bonner Grundgesetz, Art. 19; Herbert Krüger, Der Wesensgehalt der Grundrechte, Hannover 1976; Ρ Häberle, a. a. O. (Fn. 173), S. 234 f. 230

C. Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 19 Abs. 2 GG als Wesensgehalt aller Grundrechte

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Abs. 2 GG als Garantie eines feststehenden Mindestgehalts der Selbstverwirklichung des Menschen verstanden werden. Herbert Krüger kleidet die Wesensgehaltsgarantie in die Frage, was nach Einschränkung eines Grundrechts mit dem verbleibenden Maß an Freiheit sachlich noch ausgerichtet werden kann. Dabei stellt er auf den Zweck der einzelnen Grundrechte ab und fragt, ob dieser Zweck nach der Einschränkung noch erfüllbar ist 2 3 2 . Günter Dürig bestimmt den Kern von Art. 19 Abs. 2 GG mit dem Satz: „Der Grundrechtsträger darf nicht zum Objekt des staatlichen Geschehens gemacht werden." 233 Die Selbstverwirklichung des Menschen als Garantie eines feststehenden Mindestgehalts von Art. 19 Abs. 2 GG enthält das Höchstmaß an Aussagen, die über den Wesensgehalt aller Grundrechte gemacht werden können. Durch den Ansatz beim Zweck des einzelnen Grundrechts leitet sie zugleich die Untersuchung von der Erarbeitung des allgemeinen begrifflichen Rahmens hinüber zur speziellen Untersuchung des einzelnen Grundrechts; nur so lassen sich konkrete Erkenntnisse über den Wesengehalt aller Grundrechte 234 gewinnen. Allgemein kommt es bei der Bestimmung des Wesensgehalts von Art. 2 Abs. 1 GG auf die Ziele jedes Menschen an, die seine Persönlichkeit ausmachen, im Gegensatz zu den Mitteln und konkreten Formen, mit denen diese Ziele verwirklicht werden 235 . Der Gesetzgeber darf bestimmte Mittel verbieten und unter Umständen auch bestimmte Betätigungsformen vorschreiben. Immer aber muß für die Betroffenen zumindest eine einzige Möglichkeit offenbleiben, um alle ihre letzten Ziele inhaltlich so zu verwirklichen, wie sie es wollen 2 3 6 . Dabei muß es sich um eine 231 Diese Zielrichtung der Norm wird unterlaufen, wenn man die Wertekollisionen zum Begriff des Wesensgehalts, also vom Tatbestand zur Rechtsfolge hinüberzieht. Damit unterstellt man dem Verfassunggeber die unsinnige Normierung: " Wenn der Gesetzgeber abwägt, ob es erforderlich ist, ein Grundrecht zugunsten eines anderen Wertes zurücktreten zu lassen, hat er abzuwägen, ob es erforderlich ist, das Grundrecht zugunsten des anderen Wertes zurücktreten zu lassen." Vgl. Ρ Häberle, a. a. O. (Fn. 173), S. 234f.; E. Stein, a. a. O. (Fn. 42), S. 18 f. 232

Herbert Krüger, Der Wesensgehalt der Grundrechte im Sinne des Art. 19 Grundgesetz, DÖV 1955, S. 601. 233 Günter Dürig, Der Grundrechtssatz von der Menschenwürde, AöR 81 (1956), S. 136. 234 Vgl. Eike v. Hippel, Grenzen und Wesensgehalt der Grundrechte, Berlin 1965. 235 Die umfangreiche Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts beschränkte sich dazu anfangs auf die formelhafte Feststellung, „daß dem einzelnen Bürger eine Sphäre privater Lebensgestaltung verfassungskräftig vorbehalten ist, also ein letzter unantastbarer Bereich menschlicher Freiheit besteht, der der Einwirkung der gesamten öffentlichen Gewalt entzogen ist". Dieser Bereich wird gelegentlich auch als „Wesensgehalt" der durch Art. 2 Abs. 1 GG gewährleisteten „allgemeinen Handlungsfreiheit" bezeichnet. Vgl. BVerfGE 6, 32 (41);

E 6, 389 (433); ferner E 8, 274 (329); 10,55 (59); 15, 235 (243). 236

Nicht um die dem verwaltungsgerichtlichen Schutz längst unterworfene Tätigkeit der Behörden in Spezialfragen oder die Verschiedenheit der Länder geht es hier, sondern um die der Menschenwürde entspringende freie Entfaltung der Persönlichkeit. Aber das Landesrecht ignoriert nach wie vor den Grundgesetzesbefehl des Art. 19 Abs. 1 Satz 2 und Art. 19 Abs. 2 GG. Vgl. G. Dürig, AöR 79 (1953/54), S. 58. 6*

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1. Kap.: Selbstverwirklichung als Wesensgehalt aller Grundrechte

Möglichkeit handeln, die zu verwirklichen in der Macht der Betroffenen liegt. Der Wesensgehalt von Art. 2 Abs. 1 GG ist daher verletzt, wenn den Betroffenen keine realisierbare Möglichkeit zur Verfolgung eines bestimmten, für ihre Gesamtpersönlichkeit wichtigen Ziels b l e i b t 2 3 7 .

ΠΙ. Der sich selbstverwirklichende Mensch als das Menschenbild im Grundgesetz 1. Rechtsquellen a) Art. 1 GG Der Staat ist eine Wirkungseinheit, die von allen Menschen 2 3 8 gebildet wird, die in ihm zusammenwirken. Er besteht somit aus der Gemeinschaft der Menschen, die ihn b i l d e n 2 3 9 . Ihre gemeinsamen Interessen sollten vom Staat als seine eigenen Interessen verstanden werden. Vielfach verselbständigt sich jedoch der Staatsapparat gegenüber den Menschen, die den Staat b i l d e n 2 4 0 . Totalitäre Staaten erheben diese Verselbständigung oft sogar zur Staatsideologie 241 und fordern von den Menschen, sich den Staatsinteressen bedingungslos unterzuordnen 2 4 2 . Aber auch in demokratischen 2 4 3 Staaten gibt es innerhalb des Staatsapparats Tendenzen zur Durchsetzung von Apparatinteressen gegen die Interessen der den Staat bildenden Menschen 2 4 4 . 237 E. Stein, a. a. O. (Fn. 48), S. 254f. 238 Die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte der Vereinten Nationen beginnt mit dem Satz: ,ΛΙΙβ Menschen sind frei und gleich an Würde und Rechten geboren" (Art. 1), und gibt jedem Menschen einen Anspruch auf die „für seine Würde und die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit unentbehrlichen wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte" (Art. 22). Das Grundgesetz stellt an seinen Anfang die Garantie der Würde des Menschen. Nach Art. 1 Abs. 2 GG bekennt sich „darum" das deutsche Volk zu unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrechten als Grundlage jeder Gemeinschaft, des Friedens und der Gerechtigkeit in der Welt. Die Würde des Menschen bildet also das Fundament aller Menschenrechte, deren Positivierung in den Grundrechten versucht wird. Vgl. Michael Kloepfer, Grundrechtstatbestand und Grundrechtsschranken in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts - dargestellt am Beispiel der Menschenwürde, in: Christian Starck (Hrsg.), Bundesverfassungsgericht und Grundgesetz, Tübingen 1976, S. 405 ff. 239 Vgl. Detlef Horster, Die staatliche Gemeinschaft angesichts der zunehmenden Individualisierung in der Moderne, Der Staat 1992, S. 481 ff. 240 Vgl. Hans Klein, Öffentliche und private Freiheit, Der Staat 1971, S. 145 ff. 241

Vgl. Rolf Stober, Staatliches Gewaltmonopol und privates Sicherheitsgewerbe, NJW 1994, S. 889 ff. 242 Vgl. Johannes Kunisch, Absolutismus und Öffentlichkeit, Der Staat 1995, S. 183 ff. 243 Demokratie ist kein Chaos, in dem jedermann alles tun und in dem etwa die Mehrheit alles beschließen darf, sondern ein Ordnungssystem - wie jede Staatsform - , freilich ein solches, bei dem der Staatswille von unten nach oben gebildet und die Verantwortlichkeit von oben nach unten realisiert wird. Aber in diesem echten Wertsystem, in dem - jedenfalls heute vom Grundgesetz - Wertneutralität abgelehnt wird, steht die Menschenwürde obenan. Vgl. H. Peters, a. a. O. (Fn. 79), S. 672.

C. Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 19 Abs. 2 GG als Wesensgehalt aller Grundrechte

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Nach Art. 1 Abs. 1 G G 2 4 5 ist bei Konflikten zwischen Staatsinteressen und den Interessen von Menschen die Würde der betroffenen Menschen unantastbar 246. Kein Satz paßt besser an den Anfang einer Verfassung als das Bekenntnis zum Menschen als dem höchsten Wert. Zugleich ist nur diese Deutung in der Lage, das „Darum" des Bekenntnisses zu den unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrechten in Art. 1 Abs. 2 GG zu begründen: Weil der Mensch der höchste Wert ist, bilden die Menschenrechte die Grundlage jeder menschlichen Gemeinschaft. Hiervon hat die gesamte Staatsgewalt auszugehen247. Also ist nicht der Mensch um des Staates willen da, sondern der Staat um des Menschen willen. Dies darf nicht als Entscheidung für einen Individualismus verstanden werden. Damit wird nur eine Verabsolutierung des Staates abgelehnt: Auch der Staat besteht notwendig aus Menschen (weil jede Gemeinschaft die organisatorische Zusammenfassung von Menschen darstellt) und fungiert nur um ihretwillen 248 . Das Normprogramm von Art. 1 Abs. 1 GG beinhaltet somit, daß der Staat bei all seinem Wirken ausschließlich den Menschen zu dienen hat. Für die öffentlichen Interessen bedeutet dies, daß sie zusammenfallen mit den gemeinsamen Interessen der Menschen, die im Staatsgebiet wohnen. Die Durchsetzung einer Staatsraison, die nicht in diesem gemeinsamen Interesse der betroffenen Menschen liegt, ist unter dem Grundgesetz verfassungswidrig 249. Dieses Normprogramm läßt keine Ausnahme zu. Eingriffe in Art. 1 Abs. 1 GG sind daher von vornherein verfassungswidrig. Das ist der Sinn des Wortes „unantastbar". Die Würde 250 des Menschen im Sinne der Vorrangigkeit seines absoluten Werts beruht auf seiner Personalität. Zur Personalität gehören die Fähigkeiten des Be244 Vgl. Ulrich K. Preuß, Rechtsprobleme des Rechtsradikalismus und Rassismus- Staatsbürgerschaft und Zivilgesellschaft, KJ 1993, S. 232 ff. 245 Kraft positiver Verfassungsentscheidung (Art. 1 I) sind die Menschenrechte als höherwertig im Verhältnis zu jedem Staatshandeln und dementsprechend auch zum Polizeihandeln aufzufassen. Ebenso klar positiviert das Grundgesetz im Art. 1 II seine Entscheidung, daß diese Menschenrechte einem vorstaatlichen Bereich angehören. Die Wertentscheidung des Grundgesetzes, wonach der Staat um des Menschen willen, nicht aber der Mensch um des Staates willen da ist, zwingt in jedem Fall dazu, das Staatshandeln gegenüber der menschlichen Feiheit als dem höheren Wert zu rechtfertigen. Vgl. G. Dürig, AöR 79 (1953/54), S. 76 f.; auch Art. 11 Herrenchiemseer Entwurf. 246 Vgl. Gunter Zimmermann, Kann Macht aufsteigen?, Der Staat 1995, S. 454 ff. 247 Vgl. Peter Häberle, Die Menschenwürde als Grundlage der staatlichen Gemeinschaft, in: J. Isensee/P. Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. I, Heidelberg 1987, § 20, S. 815 ff., 839. 248 Vgl. Hans-Heinrich Trute, Die Verwaltung und das Verwaltungsrecht zwischen gesellschaftlicher Selbstregulierung und staatlicher Steuerung, DVB1. 1996, S. 950 ff. 249 Vgl. Michael Stolleis, Staatsraison, Recht und Moral in philosophischen Texten des späten 18. Jahrhunderts, Meisenheim am Glan 1972. 250 Was kann mit „Würde" gemeint sein? Die Substantivform erweckt den Anschein, als beziehe sich der Ausdruck auf einen Gegenstand. Tatsächlich handelt es sich jedoch um die Substantivierung einer Eigenschaft. „Würde" ist ein Abstraktum zum Adjektiv „wert" und

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1. Kap.: Selbstverwirklichung als Wesensgehalt aller Grundrechte

wußtseins mit all den darauf beruhenden seelischen und geistigen Elementen und des selbst bestimmten vernunftgeleiteten Handelns. Der Mensch ist als geistig-sittliches Wesen von Natur darauf angelegt, in Selbstbewußtsein und Freiheit sich selbst zu bestimmen, sich zu gestalten und sich in der Umwelt auszuwirken 251. Daher beinhaltet die Unantastbarkeit der Menschenwürde den Schutz der Personalität des Menschen in dem Sinn, daß der Mensch die Fähigkeiten, die seine Personalität ausmachen, frei betätigen darf. In der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts klingt der hier herausgearbeitete Sinn deutlich an. Meist nennt das Gericht zwar Art. 1 Abs. 1 GG nur zusammen mit Art. 2 Abs. 1 GG, ohne auf die Unterschiede beider Normen einzugehen. Eine Ausnahme macht aber seine Entscheidung über die Verfassungsmäßigkeit einer Repräsentativstatistik (Mikrozensus) über Urlaubs- und Erholungsreisen 252 , in der primär Art. 1 Abs. 1 angewandt wird. Hierzu wird ausgeführt, daß in der Wertordnung des Grundgesetzes die Menschenwürde der oberste Wert sei, ein Grundsatz, der alle Bestimmungen des Grundgesetzes und so auch Art. 2 Abs. 1 GG beherrsche. Danach komme dem Menschen in der Gemeinschaft ein sozialer Wert- und Achtungsanspruch zu. Es widerspricht der menschlichen Würde, den Menschen zum bloßen Objekt im Staat zu machen 253 . Seine erste und wichtigste Verwirklichung findet der Schutz der Menschenwürde in der freien Entfaltung der Persönlichkeit, die - auf der Basis der anerkannten vorstaatlichen Menschenrechte - durch das verfassungsrechtliche System positiver Grundrechtsvorschriften gesichert wird, um die Selbstverwirklichung des Menschen durchzusetzen 254. b) Art. 2 Abs. 1 GG Während der Normbereich von Art. 1 Abs. 1 GG auch die Konflikte zwischen Staatsinteressen und den Interessen anderer menschlicher Gruppen umfaßt, beschränkt sich der Normbereich von Art. 2 Abs. 1 GG auf Konflikte von Interessen bedeutet daher ursprünglich die Eigenschaft als Wert. Art. 1 Abs. 1 GG besagt demnach: Die Eigenschaft des Menschen als Wert ist unantastbar. Da diese Eigenschaft nur durch das Vorschieben anderer Werte angetastet werden könnte, liegt in der Zurückweisung dieser Möglichkeit die Aussage: Der Mensch ist der höchste Wert. Dieser etymologisch gefundene Sinn wird duch den systematischen Zusammenhang von Art. 1 Abs. 1 GG bestätigt. Vgl. E. Stein, a. a. O. (Fn. 48), S. 231 f. 251 Josef M. Wintrich, Zur Problematik der Grundrechte, 1957, S. 15; vgl. auch Ulfrid Neumann, Die Tyrannei der Würde, ARSP 1998, S. 153 ff. 252 BVerfGE 27, 1 6 ff. 253 Vgl. Wolf gang Graf Vizthum, Die Menschenwürde als Verfassungsbegriff, JZ 1985, S. 201 ff. 254 Vgl. Tatjana Geddert-Steinacher, Menschenwürde als Verfassungsbegriff, Berlin 1990, S. 136ff.; Ulrich Walter Diehl, Zur Frage nach dem Wesen, der Würde und der Bestimmung des Menschen, Diss, phil., Heidelberg 1994, S. 203 ff.

C. Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 19 Abs. 2 GG als Wesensgehalt aller Grundrechte

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des Staates mit besonderen Interessen einzelner Menschen. Da der Staat nach Art. 1 Abs. 1 GG keine bloßen Interessen des Staatsapparats wahrnehmen darf, sondern nur gemeinsame Interessen der Menschen, die im Staat leben und seine Wirkungseinheit bilden, verengt sich der Normbereich von Art. 2 Abs. 1 GG auf Konflikte zwischen den gemeinsamen Interessen der im Staat lebenden Menschen und besonderen Interessen einzelner 255 . Bei den besonderen Interessen einzelner geht es hier nur um die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit 256, nämlich die Selbstverwirklichung des Menschen. Nur wenn der Mensch sich in der pluralistischen Gesellschaft selbst entfalten kann, kann er die für sich richtige Entscheidung treffen. Deshalb muß besonders hervorgehoben werden, daß Art. 2 Abs. 1 GG auch des Recht umschließt, über das Ob und Wie der Selbstentfaltung autonom zu bestimmen257. Diese eigene Selbstentfaltung vollzieht sich stets und überall, in allen Lebensäußerungen des Menschen. Jedes Gesetz, das die allgemeine Handlungsfreiheit einschränkt, den einzelnen für ihr Tun und Lassen Vorschriften macht, tangiert daher Art. 2 Abs. 1 GG. Damit ist jedoch nicht gesagt, daß in allen Fällen der Zweck dieses Grundrechts, die Ermöglichung der autonomen Selbstentfaltung, vereitelt wäre. Zwar soll der Gesetzgeber nicht ohne sachlichen Grund das Leben der einzelnen reglementieren und ihnen Vorschriften darüber machen, wie sie sich zu verhalten haben 258 . Das gilt vor allem für Gesetze, die allgemeine Ordnungsnormen für bestimmte Betätigungsgebiete setzen. Einzelregelungen, die die freie Entfaltung der Persönlichkeit auf diesen Gebieten mit bestimmten technischen Auflagen belasten, sind noch verfassungskonform, da sichergestellt werden soll, daß hierdurch andere Personen oder sonstige Werte nicht gefährdet werden 259 . Aber wenn die freie Entfaltung der Persönlichkeit in einer bestimmten Richtung überhaupt verhindert wird, ist der Wesensgehalt von Art. 2 Abs. 1 GG angetastet260. 255 E. Stein, a. a. O. (Fn. 48), S. 247 f. 256 Als „Persönlichkeit" erscheint die Subjektivität, d. h. die sich aus eigener Anlage entfaltende menschliche Gestalt, der selbstherrlich handelnde, wagende und schaffende Mensch. Der Begriff der Persönlichkeit geht von der Ursprünglichkeit des lebendigen, individuellen Seins aus und sucht von dorther die Maßstäbe für alles Handeln zu gewinnen. Vgl. H. Peters, a. a. O. (Fn. 79), S. 670. 257 E. Stein, a. a. O. (Fn. 42), S. 20. 258 Vgl. D. Rohlf, a. a. O. (Fn. 103). 259 Vgl. Ernst Benda, Gefährdungen der Menschenwürde, Opladen 1975. 260 Damit führt dieser Gedankengang zu einer bemerkenswerten Übereinstimmung mit Dürigs Gedanken, wonach der Grundrechtsträger nicht zum Objekt des staatlichen Geschehens gemacht werden darf. Ist doch nach Dürig der Grundrechtsträger dem staatlichen Geschehen vor allem dann als Objekt ausgeliefert, „wenn ihm das Gebrauchmachen von einem Grundrecht durch Voraussetzungen verwehrt wird, auf deren Erfüllung er bei allem Mühen keinen Einfluß hat." Falls eine Grundrechtseinschränkung zu einem solchen „Ausgeliefertsein" führt, nimmt er eine Verletzung des Wesensgehalts dieses Grundrechts an. Dem kann jedenfalls für den Bereich von Art. 2 Abs. 1 GG nur zugestimmt werden, um die Selbstverwirklichung des Menschen zu schützen. Vgl. Günter Dürig, Der Grundrechtssatz von der Menschenwürde, AöR 81 (1956), S. 136; E. Stein, a. a. O. (Fn. 42), S. 22.

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1. Kap.: Selbstverwirklichung als Wesensgehalt aller Grundrechte

Die Betonung der Individualität des einzelnen Menschen genügt jedoch nicht zur Präzisierung des Gemeinten, wenn gesagt wurde, es dürfe nicht die Entfaltung der Persönlichkeit in einer bestimmten Richtung überhaupt verhindert werden 261 . Es geht hierbei um die letzten Zwecke und Interessen des einzelnen Menschen im Gegensatz zu den Mitteln und konkreten Formen, in denen diese Zwecke verwirklicht werden sollen 262 . Der Gesetzgeber darf bestimmte Mittel verbieten und unter Umständen auch bestimmte Betätigungsformen vorschreiben. Immer aber muß für den Einzelnen zumindest eine Möglichkeit offenbleiben, um alle seine letzten Zwecke inhaltlich so zu verfolgen, wie er es will. Dabei muß es sich um eine reale Möglichkeit handeln, die zu verwirklichen in der Macht des Einzelnen liegt 2 6 3 . Ob dieser geistige Gehalt von Art. 2 Abs. 1 GG Bestandteil unserer gelebten Grundordnung wird, hängt nicht nur von den Verfassungsjuristen ab 2 6 4 . Die Verfassung kann „für sich allein nichts bewirken, sondern immer nur eine Aufgabe stellen. Aber sie wird zur tätigen Kraft, wenn diese Aufgabe ergriffen wird, wenn die Bereitschaft besteht, das eigene Verhalten durch die von der Verfassung normierte Ordnung bestimmen zu lassen, wenn die Entschlossenheit vorhanden ist, jene Ordnung gegenüber aller Infragestellung und Anfechtung durch augenblickliche Nützlichkeitserwägungen durchzusetzen, wenn also im allgemeinen Bewußtsein und namentlich im Bewußtsein der für das Verfassungsleben Verantwortlichen nicht nur der Wille zur Macht, sondern vor allem der Wille zur Verfàssung lebendig ist." 2 6 5 Der Wille zur Verfassung wird bei den verantwortlichen Politikern lebendig sein, wenn die Verfassung im Bewußtsein der Öffentlichkeit lebendig ist 2 6 6 . Der Satz, daß jeder gegenüber dem Staat und innerhalb unserer Gesellschafts- und Staatsordnung ein Recht auf freie Entfaltung seiner Persönlichkeit (seine Selbstverwirklichung) hat, bedarf wegen seines allgemeinen Charakters viel stärker als eine Spezialnorm der Verwurzelung im öffentlichen Bewußtsein, um zu einer Realität im Verfassungsleben zu werden 267 . Daher wenden sich die folgenden Ausführungen nicht nur an die Verfassungsjuristen, sondern an die Öffentlichkeit schlechthin als den Hüter der Freiheitlichkeit der Grundordnung. Sie gelten gerade auch all denjenigen, von denen es in erster Linie abhängt, ob die künftigen Aktivbürger ihre Persönlichkeit so entfalten können, daß sie einmal diesen Staat zu tragen vermögen: an Eltern und Erzieher 268 . 261 Vgl. Günter Dürig, in: Theodor Maunz/Günter Dürig/Roman Herzog/Rupert Scholz (Hrsg.), Grundgesetz - Kommentar, Art. 1 Abs. 1, München 1994, S. 24 ff. 262 Vgl. Christoph Degenhart, Die allgemeine Handlungsfreiheit des Art. 2 I Grundgesetzes, JuS 1990, S. 161 ff. *>3 Vgl. Detlef Merten, Das Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit, JuS 1976, S. 345 ff. Vgl. Max-Emanuel Geis, Der Kernbereich des Persönlichkeitsrechts, JZ 1991, S. 112ff. 265 Konrad Hesse, Die normative Kraft der Verfassung, Tübingen 1959, S. 15. 266

Vgl. Wilhelm Henke, Wandel der Dogmatik des öffentlichen Rechts, JZ 1992, S. 541 ff. Vgl. Dieter Suhr, Entfaltung der Menschen durch die Menschen, Berlin 1976. 268 E. Stein, a. a. Ο. (Fn. 42), S. 27. 267

C. Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 19 Abs. 2 GG als Wesensgehalt aller Grundrechte

85

2. Die Bedeutung des sich selbstverwirklichenden Menschen als das Menschenbild des Grundgesetzes für die Erziehung und Bildung Mit der Geltung des Art. 2 Abs. 1 GG als Orientierungspunkt der inhaltlichen Gestaltung des Schulverhältnisses 269 stellt sich insbesondere die Frage, ob sich aus der Verfassung selbst eine inhaltliche Festlegung des schulischen Erziehungsprozesses ergibt, die als umfassender Erziehungsauftrag der Schule zu verstehen 270 wäre, um die Selbstverwirklichung unserer künftigen Aktivbürger durchzusetzen. Ausgangspunkte wären danach das „Menschenbild des Grundgesetzes" und die „Wertentscheidungen der Verfassung". Freilich bedürfte es dabei einer Transformation, um aus einem „Menschenbild" bestimmte Erkenntnisse zu gewinnen, die es ermöglichen, konkrete Anforderungen an die Formung der Persönlichkeit zu stellen und in Erziehungszielen auszudrücken 271. Hierbei ist zu zeigen, daß eine Umdeutung der Grundrechte in Erziehungsziele vor dem Hintergrund eines vermeintlichen Menschbildes und bestimmter Wertentscheidungen der Verfassung nur insoweit mit der schulischen Pluralisierung in Einklang steht, als es um die Sicherung eines zivilisatorischen Mindeststandards geht 272 . Geht man also davon aus, daß es über einen „zivilisatorischen Mindeststandard" hinaus einen „verbindlichen Konsens darüber, worin eine kultivierte Lebensweise besteht, für deren Verbreitung Schulen sorgen müßten", nicht gibt 2 7 3 , und daß die Grundrechte als nicht wertmaterial gebundene Freiheit zu verstehen sind, so kann die Erziehungsarbeit der Schule inhaltlich nicht als irgendwie verfassungsrechtlich determiniert angesehen werden. Sie obliegt stattdessen dem gesellschaftlich-politischen Prozeß, wobei zu untersuchen ist, inwieweit die gesellschaftlichen Kräfte in der Erziehung bestimmte Grundwerte zu bestimmen und zu verwirklichen haben 274 . „Das Grundgesetz legt... nicht etwa einen ethischen Standard im Sinne eines Bestandes von bestimmten weltanschaulichen Prinzipien fest, etwa nach den Maximen, die sich bei den heutigen Kulturvölkern auf dem Boden gewisser übereinstimmender sittlicher Grundanschauungen im Laufe der geschichtlichen Entwicklung herausgebildet haben, und nach denen der Staat den von ihm gestalteten Schulbereich auszurichten hätte. Der ethische Standard des Grundgesetzes ist vielmehr die Offenheit gegenüber dem Pluralismus weltanschaulich-religiöser Anschauungen angesichts eines Menschenbildes, das von der Würde 269 Vgl. Hans Heckel, Das Schulverhältnis, RdJB 1969, S. 8 ff. 270 Vgl. etwa Hans-Joachim Reeb, Bildungsauftrag der Schule, Frankfurt/M. 1981, S. 68; 62 ff. 271 Vgl. Gero Lenhardt, Bürgerlicher Universalismus und staatliche Schule, RdJB 1996, S. 300 ff. 272 Frank-Rüdiger Jach, Schulvielfalt als Verfassungsgebot, Berlin 1991, S. 62; vgl. auch Peter M. Huber, Das Menschenbild im Grundgesetz, Jura 1998, S. 505 ff. 273 Gero Lenhardt, Schule und bürokratische Rationalität, Frankfurt/M. 1984, S. 28. 274 Vgl. Michael Bothe, Zum ersten Beratungsgegenstand: »Erziehungsauftrag und Erziehungsmaßstab der Schule im freiheitlichen Verfassungsstaat4, DVB1. 1994, S. 1346 ff.

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1. Kap.: Selbstverwirklichung als Wesensgehalt aller Grundrechte des Menschen und der freien Entfaltung von Persönlichkeit in Selbstbestimmung und Eigenverantwortung bestimmt ist. In dieser Offenheit bewahrt der freiheitliche Staat des Grundgesetzes seine religiöse und weltanschauliche Neutralität" 275.

Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts liegt der freien menschlichen Persönlichkeit und ihrer Würde als höchstem Rechtswert der verfassungsgemäßen Ordnung die Vorstellung des Menschen als einem geistig-sittlichen Wesen zugrunde, das darauf angelegt ist, in Freiheit als Person zu handeln 276 . In Anknüpfung an die Maxime kantianischen Denkens, wonach der Mensch immer Zweck an sich selbst bleiben muß, besteht danach die Würde des Menschen als Person gerade darin, daß er als selbstverantwortliche Persönlichkeit anerkannt bleibt 2 7 7 . Für Dürig bedeutet dabei „Würde haben heißt Persönlichkeit sein" eine „Gesamtvorstellung, die das Grundgesetz vom Menschen hat" 2 7 8 . Dies muß umsomehr gelten, als der Begriff der Persönlichkeit gerade im Bereich der Erziehung nicht allein als ein abstrakt philosophischer verstanden werden kann, sondern notwendigerweise das psychologische Moment der Persönlichkeitsbildung i.S. der Identitätsfindung in sich aufnehmen muß 2 7 9 . In diesem Sinne ist der Begriff der freien Persönlichkeitsentfaltung nicht als ein wertbezogener moralischer Begriff zu verstehen, sondern wertfrei als dynamischer Prozeß, in dem sich „Persönlichkeit" als das Ensemble individueller Einzigartigkeit in seiner biographischen Entwicklung darstellt 280 . Das Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit ist daher - bezogen auf die Erziehung - zunächst als Anspruch des Individuums auf Findung seiner eigenen Identität zu verstehen, also auf seine Selbstverwirklichung. Als Wertentscheidung der Verfassung bedeutet dieses Recht zugleich, daß es dem Staat verwehrt ist, die freie Persönlichkeitentfaltung des Kindes einseitig an staatlichen Interessen oder einer von ihm als verbindlich geprägten Werthaftigkeit menschlicher Existenz auszurichten 281. Darüber hinaus gibt Art. 2 Abs. 1 GG keine Vorgaben für den Erziehungsauftrag der Schule im Sinne eines verbindlichen Erziehungsziels, sondern postuliert im Gegenteil das zu achtende Gebot der Vielfalt menschlicher Existenz und Identität. Die Grundrechtsgewährleistungen des Grundgesetzes implizieren danach auch vor dem Hintergrund des Art. 2 Abs. 1 GG, wie das Bundesverfassungsgericht in seiner Privatschulsubventionierungsentscheidung richtigerweise konstatiert, die 275 BVerfGE 41, 29 (50). 276 BVerfGE 45, 187(227). 277 BVerfGE 45, 187(228). 278 Günter Dürig, Die Menschenauffassung des Grundgesetzes, JR 1952, S. 260 f. 279 Vgl. Hans Heckel, Rechtsprobleme der Schulpsychologie, RdJB 1966, S. 281 ff. 280 Vgl. Manfred Koch, Die Begriffe Person, Persönlichkeit und Charakter, in: Handbuch der Psychologie in 12 Bd., hrsg. von Ph. Lersch und H. Thomae, Bd. 4: Persönlichkeitsforschung und Persönlichkeitstheorie, Göttingen 1960, S. 21 ff. 281 F.-R. Jach, a. a. O. (Fn. 272), S. 64; vgl. auch Dian Schefold, vermittlung im wertpluralistischen Staat, RdJB 1996, S. 309 ff.

Erziehung als Wert-

C. Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 19 Abs. 2 GG als Wesensgehalt aller Grundrechte

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Offenheit „für die Vielfalt der Erziehungsziele und Bildungsinhalte und für das Bedürfnis seiner Bürger..., in der ihnen gemäßen Form die eigene Persönlichkeit und die ihrer Kinder im Erziehungsbereich der Schule zu entfalten" 282 . In diesem Sinne ist Peter Häberle zuzustimmen, daß Grundrechtssysteme den Namen der Freiheit nur dann verdienen, „wenn sie einem Pluralismus der Orientierungselemente, dem Pluralismus der Leitbilder, auch der Erziehungsziele, Raum lassen". Von daher, so Häberle, müssen auch inhaltlich kulturelle Alternativen zur Wahl stehen 283 , um den Ansprüchen eines freiheitlichen Kulturverfassungsrechts zu genügen 284 . Die Selbstverwirklichung des Menschen als Erziehungsziele vermögen daher nur dann eine freiheitssichernde Dimension zu entfalten 285 , wenn sie dem Prinzip des pluralistischen Kulturstaates in der Schule auch im Hinblick auf die Persönlichkeitsfindung entsprechen.

282 BVerfGE 75,40 (62 f.). 283 ρ Häberle, a. a. O. (Fn. 173), S. 404. 284 Vgl. hierzu ausführlicher Frank-Rüdiger Jach, Vom staatlichen Schulsystem zum öffentlichen Schulwesen - Erziehungsziele und Persönlichkeitsentfaltung in der Schule, Diss., Bremen 1988, S. 178 ff. 285 Vgl. Peter Häberle, Erziehungsziele und Orientierungswerte im Verfassungsstaat, Freiburg/München 1981, S. 65.

Zweites Kapitel

Selbstverwirklichungsrecht des Schülers als Kern des Grundrechts auf Bildung im Grundgesetz A. Die Selbstverwirklichung des Schülers und das Schulwesen I. Im allgemeinen

Der Mensch ist sich in seinen Persönlichkeitsstrukturen nicht von Zeugung bzw. Geburt an gegeben, sondern er bildet sie erst während eines lang andauernden Prozesses im Wechselspiel mit ihm vertrauten Bezugspersonen heraus. „Wir sind, aber wir haben uns nicht." 1 Die Fähigkeit und der Antrieb zur Entwicklung ist weder auf ein allgemeines anthropologisches Muster festgelegt, noch besteht sie in der fortschreitenden Explikation des von Anfang an fertigen Kerns 2. Vielmehr zielt sie auf ein konkretes, individuelles Personbild, das aus der Offenheit der eigenen Potentialitäten und im wechselseitigen Austausch mit Erziehern und Umwelt nach und nach ausgeformt wird 3 . Eine Institution, die freie und selbständige Menschen bilden und erziehen soll, darf nicht selbst unfrei sein. Wo lebendige Menschen mit ihren individuellen Besonderheiten in immer wieder neuen und eigenen Situationen unterrichtet und erzogen werden, dürfen nicht Schema und Befehl herrschen. Daher wird es »Aufgabe der Schulpolitik und einer entsprechenden Gesetzgebung sein, im Rahmen der notwendigen Beschränkungen die Freiheit der Schule rechtlich zu sichern; auf diese Weise wird die Entartungsform der verwalteten Schule am wirksamsten vermieden werden können"4. 1 Helmuth Plessner, Die Frage nach der Conditio humana (1961), in: ders., Gesammelte Schriften, Bd. VIII, Frankfurt/M. 1983, S. 136-217, 190. 2 Vgl. Walter Schäfer/Wolfgang Edelstein/Gerold Becker, Probleme der Schule im gesellschaftlichen Wandel, Frankfurt/M. 1971, S. 95ff. 3 Die zugrundeliegende Plastizität einerseits und die Stabilisierung der erlernten Inhalte und Verhaltensweisen zu einer integrierten Persönlichkeit andererseits schließen grundsätzlich auch die Möglichkeit ein, daß dieser Vorgang partiell mißlingt, vorzeitig abgebrochen wird oder auch in bereits überwundene Entwicklungsstadien zurückfällt. Selbstverwirklichung steht, von daher gesehen, für den elementaren Sachverhalt der Plastizität oder Erziehungsfähigkeit des Menschen, die grundsätzlich niemals gänzlich schwindet, wenn sie auch nach Lebensaltern stark differiert. Vgl. Κ Hilpert, Einführung: Stichwort „Selbstverwirklichung", in: Κ Hilpert (Hrsg.), Selbstberwirklichung, Mainz 1987, S. 16. 4 Hellmut Becker, Die verwaltete Schule (1954), in: ders., Quantität und Qualität. Grundfragen der Bildungspolitik, Freiburg 1962, S. 147 ff.

Α. Selbstverwirklichung des Schülers und das Schulwesen

89

Das rechtliche Verhältnis von Schule und Staat sei zunächst durch die Rechtstatsache bestimmt, daß wir eine freiheitliche Staatsordnung besäßen. Das bedeute vor allem, daß dieses Staatswesen antitotalitär in dem Sinne sei, daß der Staat nicht einfach alles zur Staatsaufgabe machen könne, was er unter irgend einem Aspekt regeln und verwalten wolle. Für die öffentliche Schule folge hieraus, daß sie nicht mehr eine staatliche Veranstaltung sein dürfe, wie es im 18. Jahrhundert gefordert und vom 19. Jahrhundert bis 1945 zunehmend praktiziert worden sei. Dem stehe nicht entgegen, daß das Organisatorische Sache des Staates und daß die Lehrer Beamte bleiben müßten. Die erzieherische Tätigkeit des Lehrers aber beruhe nicht auf seiner Beamtenqualität. Insofern sei die öffentliche Schule in ihrer wesentlichen Aufgabe der verwaltenden Tätigkeit des freiheitlichen Staates von Rechts wegen entzogen5. Die Institution Schule hat eine wichtige Funktion für die Gesellschaft inne. Sie sorgt für Bildung und Erziehung der heranwachsenden Generation. Durch die Weitergabe des kulturellen und sozialen Erbes wird zum einen der einzelne zur Teilhabe an der Gesellschaft befähigt und zum anderen der generationsübergreifende Erhalt der Gesellschaft gewährleistet6. Schule muß also immer vor dem Hintergrund der Gesellschaft, deren Teil sie ist, reflektiert und analysiert werden. Die Gesellschaft stellt hierbei kein statisches Gebilde dar, sondern ist einem ständigen sozialen Wandel unterworfen. Entsprechend ändern sich auch die Anforderungen an die Schule7. Sie muß der heranwachsenden Generation Fertigkeiten, Kenntnisse und Strategien vermitteln, die diese zur Bewältigung zukünftiger, heute noch nicht erkennbarer Entwicklungen befähigen 8. Die Schule hat ihre Bemühungen jedoch nicht nur an den Erfordernissen der Gesellschaft auszurichten, sondern sie ist in besonderem Maße dem einzelnen Kind, seiner allseitigen Förderung und Unterstützung verpflichtet 9. Die Kinder selbst sind nun ebenfalls von den Veränderungen der sie umgebenden Umwelt beeinflußt und tragen diese damit in die Schule hinein. Nimmt die Schule ihre Verpflichtung den Kindern gegenüber ernst, so muß sie deren gegenwärtige Lebenswelt berücksichtigen. Sie muß die Lebensumstände der Kinder, das Aufwachsen in einer zunehmend multikulturellen Gesellschaft aufgreifen, um die Möglichkeit der Selbstverwirklichung des Schülers zu erweitern 10. 5 Wilhelm Geiger, Die verfassungsrechtliche Grundlage des Verhältnisses von Schule und Staat, in: W Geiger/A. Arndt/F. Pöggeler, Schule und Staat, München 1959, S. 11 ff., 30 ff. 6 Vgl. Thomas Oppermann, Humane, verrechtlichte, gerechte Schule?, RdJB 1982, S. 279 ff. 7 Vgl. Sibylle Beetz, Autonomie öffentliche Schule - Diskussion eines Auftrags zur Schulentwicklung, Z. f. Päd. 1997, S. 149 ff. 8 Elke Inckemann, Gestaltungsautonomie - nur eine Frage der Schulkultur?, in: Norbert Seibert (Hrsg.), Anspruch Schulkurltur, Klinkhardt 1997, S. 159. 9 Vgl. Michael Coester, Die Reform des Kindschaftsrechts - ein privatrechtlicher Überblick, RdJB 1996, S. 430 ff. 10

Vgl. Ulf Preuss-Lausitz, Z. f. Päd. 1997, S. 583 ff.

Soziale Ungleichheit, Integration und Schulentwicklung,

90

2. Kap.: Selbstverwirklichungsrecht als Kern des Grundrechts auf Bildung II. Die Bedeutung der Schule für die geistige Selbstverwirklichung des Schülers

In der Schulzeit wirkt der Staat stärker als in jedem anderen Lebensabschnitt auf den Einzelnen ein. Hinzu kommt, daß der Mensch im Kindesalter 11 noch weitgehend formbar ist, weshalb seine Persönlichkeitssphäre schutzlos für alle schulischen Einwirkungen offenliegt 12 . Die Gefahren dieser Formbarkeit der Persönlichkeitsstruktur zeigen sich in den Versuchen totalitärer Staaten, ihren Bürgern in jenem Lebensabschnitt ihre Ideologie ein für alle Mal einzupflanzen, aber auch darin, daß die meisten Menschen ihr ganzes Leben lang in der Glaubensrichtung bleiben, die ihnen im Kindesalter gelehrt wurde 13 . Der Staat hat es allein schon kraft seines Monopols für die Aufstellung von Bildungs-, Lehr- und Stoffplänen in der Hand, bestimmte geistige Strömungen tief im allgemeinen Bewußtsein zu verankern und andere davon fernzuhalten 14. Aber jede Monopolisierung des Auswahlvefahrens kommt einer zentralen Beherrschung des Geisteslebens gleich. Die Beherrschung der Schule als des wichtigsten Ventils, durch das die geistigen Strömungen auf künftige Generationen einwirken können, ist gleichbedeutend mit einer Herrschaft über das Geistesleben des betroffenen Volkes 15 . Von einer Freiheitlichkeit des Geistesleben und der geistigen Selbstverwirklichung der Schulkinder kann nur die Rede sein, wenn sichergestellt ist, daß alle geistigen Strömungen auf die Kinder 16 einwirken und in unmittelbarer Begegnung mit den noch formbaren jungen Menschen ihre innere Überzeugungskraft entfalten können 17 . In jener Lebensphase, in der das Suchen nach einer geistigen Heimat beginnt, muß der einzelne frei von jeder Zensur staatlicher Behörden seine Weltanschauung frei wählen dürfen 18 .

11 Vgl. Peter Derleder, 1996, S. 496 ff.

Verfassungsrechtliche Schutzgebote zum Wohle des Kindes, RdJB

12

Vgl. Heiko Dahle, Verfassungsrechtliche Überlegungen zur freiheitlichen Ordnung des Schulwesens, RdJB 1968, S. 307 ff. 13 Vgl. Reinhart Lempp, Das verwaltete Kind, RdJB 1982, S. 258 ff. 14 Vgl. Lutz Dietze, Nach welchen rechtlichen Grundsätzen sind das öffentliche Schulwesen und die Stellung der an ihm Beteiligten zu ordnen?, DVB1. 1976, S. 593 ff. 15 Vgl. Frank Hennecke, Zum Vorbehalt des Gesetzes für den staatlichen Zugriff auf die Schule, RdJB 1976, S. 254 ff. 16 Vgl. Carsten Rummel, Kindeswohl, RdJB 1989, S. 394 ff.

17 Vgl. Günther Flindt, S. 885 ff.

Über die Rechtsnatur der öffentlichen Schule, DÖV 1960,

ι» Vgl. E. Stein, Das Recht des Kindes auf Selbstentfaltung in der Schule, Neuwied 1967, S. 3 f.

Α. Selbstverwirklichung des Schülers und das Schulwesen

91

ΠΙ. Die Bedeutung der Schule für die politische Selbstverwirklichung des Schülers

Alle wahlberechtigten Staatsbürger waren einmal Schüler, die Schüler werden einmal Aktivbürger sein. Ihre Fähigkeit, sich an der politischen Willensbildung des Volkes zu beteiligen, und ihre politische Grundhaltung können in der Schule stark beeinflußt werden 19. Die Schule hat sich daher an der Aufgabe zu orientieren, die Kinder und die Jugendlichen zu mündigen Staatsbürgern auszubilden, die in der Lage sind, die demokratische Ordnung 20 zu tragen und die Verantwortung für unser politisches Schicksal zu übernehmen. Sie muß die Einsichten in die politischen Zusammenhänge vertiefen und damit die Kritikfähigkeit entwickeln, soll aber auch das Bewußtsein der Mitverantwortung jedes Einzelnen und die Bereitschaft zur Mitarbeit an der Bewältigung der Aufgaben des Gemeinwesens schaffen. Dabei darf sie die politische Einstellung der Kinder nicht einseitig beeinflussen 21, sondern soll sich bemühen, einen repräsentativen Querschnitt durch alle verschiedenen politischen Ansichten zu vermitteln. Schließlich muß sie die Zivilcourage fördern, den Mut, sich notfalls auch gegen das Kollektiv oder gegen eine übergeordnete Persönlichkeit zu stellen, wenn das notwendig ist, um Unheil zu verhüten. All diese Grundsätze klingen wie Gemeinplätze22. Es ist einsichtig, daß die Schule ihrer Aufgabe, die Einzelnen zu selbständigen, kritischen, verantwortungsbewußten Staatsbürgern zu erziehen, zu erfüllen hat 23 . Das Interersse des Schülers ist zugleich auf die politische Realität, auch auf ihre Fehlentwicklungen zu richten. Der Lehrer muß Geist und Sinn der freiheitlichen demokratischen Grundordnung verdeutlichen. Er hat die Einsicht zu vermitteln, 19 Vgl. Jörg Berkemann, Die „politischen Rechte" des Schülers, RdJB 1974, S. 8 ff. 20

Vgl. Peter F duser, Schule und Recht: Schulverfassung. Wege und Umwege zum demokratischen Zusammenwirken in der Schule, RdJB 1987, S. 377ff.; Holubetz Hermann, Die Demokratisierung der österreichischen Schule nach dem Schulunterrichtsgesetz, RdJB 1974, S. 374 ff.; Doris Knab, Schritte auf dem Weg zu einer demokratischen Schul Verfassung, RdJB 1987, S. 248 ff.; Knut Nevermann, Persönlichkeit und Schuldemokratie, RdJB 1993, S. 194 ff.; Wolf gang Perschel, Die Rolle des Rechts bei der Demokratisierung der Schule, RdJB 1969, S. 33 ff.; Ulrich Preuß, Demokratie und Autonomie, RdJB 1993, S. 161 ff.; Ingo Richter, Schule, Schulverfassung und Demokratie, RdJB 1987, S. 254ff.; Robert Streck, Zur „Machbarkeit" demokratischer Verfahren im Schulwesen, RdJB 1972, S. 114ff.; UlrichAlexander Wille, Die Demokratisierung der Schule, Diss., München, 1975. 2 1 Vgl. Thomas Oppermann, Recht- und Staatsschule?, JZ 1969, S. 67 ff. 22

Vgl. Albert Reuter, Ausgangssperre für Schüler?, RdJB 1965, S. 79 ff. Die Schule hat sich immer zur untersten Verwaltungshierarchie entwickelt; sie steht heute auf einer ähnlichen Stufe des Verwaltungsaufbaus wie das Finanzamt, das Arbeitsamt, die Ortspolizei und in einem deutlichen Gegensatz zur Selbstverwaltung der Ortsgemeinde. Die Lehrer entwickeln sich zu Funktionären, und die Schule ist in Gefahr, nur noch Funktionäre zu bilden. Das Bildungsergebnis der modernen Schule wird langsam der konformistische, einfallslose, mühelos gleichschaltbare Mensch, dessen Kenntnisse zwar zum Teil vielseitig, aber qualitativ nicht hochwertig, dafür nachprüfbar sind. Vgl. E. Stein, a. a. O. (Fn. 18), S. 6 ff. 23

9 2 2 .

Kap.: Selbstverwirklichungsrecht als Kern des Grundrechts auf Bildung

daß die Demokratie vom Konflikt, aber auch vom Kompromiß lebt, daß die Lebensfähigkeit des Rechtsstaats24 vom Rechtsgehorsam des Bürgers abhängt, und daß der Staat ein Sozialstaat ist, der der Verwirklichung sozialer Gerechtigkeit zu dienen hat. Bei der Auseinandersetzung mit politischen Fragen braucht der Lehrer mit seiner persönlichen Meinung nicht hinter dem Berge zu halten, er darf sie aber den Schülern nicht aufdrängen 25. Vor allem muß er dafür sorgen, daß auch andere Auffassungen zur Geltung gelangen und daß die Schüler zu selbständigem Urteil finden. Keinesfalls darf der Lehrer sich im Unterricht für bestimmte politische Richtungen einseitig engagieren 26. Aus dem Demokratieprinzip 27 folgt daher in der Schule das Gebot der Erziehung und Bildung zur politischen Selbstverwirklichung des Schülers.

IV. Die Bedeutung der Schule für die wirtschaftliche Selbstverwirklichung des Schülers

So entscheidend die Schule auch für das geistige Leben eines Volkes ist, ihre Bedeutung für die Freiheitlichkeit oder Unfreiheitlichkeit einer Staats- und Gesellschaftsordnung erschöpft sich nicht in diesem Aspekt 28 . Natürlich sind wissenschaftlicher, technischer und wirtschaftlicher Fortschritt nicht nur von der Freiheitlichkeit des Geisteslebens abhängig, sondern etwa auch von den materiellen Mitteln, die hierfür bereitgestellt werden 29. Die Schule ist natürlich nicht nur für den wirtschaftlichen Fortschritt insgesamt, sondern auch für den beruflichen und sozialen Aufstieg eines jeden Einzelnen von entscheidender Bedeutung. In der modernen Gesellschaft hängt die soziale Stellung des Einzelnen weitgehend von seinem Beruf ab. Welche Berufe ihm offenstehen, richtet sich zunächst nach seiner Schulbildung30. 24 Vgl. Heinz Brauburger, Schulreform und Rechtsstaatsgebot, RdJB 1976, S. 398 ff.; Friedhelm Hufen, Die Schule im Rechtsstaat, RdJB 1977, S. 2 ff.; Fritz Ossenbühl, Schule im Rechtsstaat, DÖV 1977, S. 801 ff.; Hermann Seilschopp, Die Stellung der Schule im demokratischen Rechtsstaat, RdJB 1970, S. 48 ff.; Martin Stock, Schule im Rechtsstaat, RdJB 1978, S. 4ff.; Gerd Strum, Die Schule im Rechtsstaat, RdJB 1974, S. 1 ff.; Bernhard Stüer, Schule im Rechtsstaat - Zum 5. Deutschen Verwaltungsrichtertag in Mannheim 1977, RdJB 1978, S. 46 ff. 25 Vgl. Hubert Schuler, Der Lehrer, sein Dienstherr und die demokratische Schule, RdJB 1970, S. 230 ff. 26 Hans Heckel/Hermann Avenarius, Schulrechtskunde, 6. Aufl., Neuwied 1986, S. 358 f. 27 Vgl. Ursula Peukert, Der demokratische Gesellschaftsvertrag und das Verhältnis zur nächsten Generation, Neue Sammlung 1997, S. 277 ff. 28 Vgl. Dietlind Fischer/Hans-Günter Rolff, Autonomie, Qualität von Schulen und staatliche Steuerung, Z. f. Päd. 1997, S. 537 ff. 29 E. Stein, a. a. O. (Fn. 18), S. 4f. 30 Vgl. Hans D. Jarass, Zum Grundrecht auf Bildung und Ausbildung, DÖV 1995, S. 674 ff.

Β. Stellung des Grundgesetzes zur Selbstverwirklichung des Schülers

93

Nach Art. 3 Abs. 1 GG sind alle Menschen vor dem Gesetz gleich. In unserer hochdifferenzierten Gesellschaft aber sind die sozialen und rechtlichen Positionen der einzelnen Individuen denkbar ungleich: Unterschiedliche Berufe sind mit ungleichem Sozialprestige und ungleichem Einkommen verbunden, was die Ungleichheiten der Eigentumsverteilung weiter verstärkt. Der Zugang zu den unterschiedlichen Berufen aber hängt entscheidend von dem Erwerb von Bildungsqualifikationen ab 31 . Die „Schullaufbahn" entscheidet daher gleichzeitig über die spätere berufliche und gesellschaftliche Stellung, über Sozialprestige, Einkommen und Eigentum 32 . Wenn schon die Ungleichheiten der verschiedenen gesellschaftlichen Positionen hingenommen werden, muß dem Gleichheitssatz zumindest insofern Rechnung getragen werden, als die Gleichheit der beruflichen Aufstiegschancen 33 zu gewährleisten ist. Daraus folgt im Bildungswesen die Gewährleistung der Chancengleichheit beim Zugang zu den verschiedenen Bildungseinrichtungen 34, um die wirtschaftliche Selbstverwirklichung des Schülers in der Zukunft zu schützen.

B. Die Stellung des Grundgesetzes zur Selbstverwirklichung des Schülers I. Im allgemeinen

Angesichts dieser entscheidenden Bedeutung der Erziehung und Bildung für die Selbstverwirklichung des Menschen und für die Freiheitlichkeit einer Staats- und Gesellschaftsordnung ist es kaum verständlich, wie wenig Beachtung die Schöpfer des Grundgesetzes dieser Frage schenkten, obwohl doch der Mißbrauch des Bildungswesens durch den Nationalsozialismus noch im Gedächtnis war 35 . In der Spezialvorschrift im Grundgesetz für das Schulwesen, dem Art. 7 GG, klingt die Gefahr eines Mißbrauchs der Schule nicht einmal an. Hier werden fast ausschließlich organisatorische Fragen geregelt 36. Das Grundrecht auf Bildung ist also im Grundgesetz nirgendwo speziell verankert. Der Verfassungsjurist steht daher vor der unerfreulichen Alternative, seine verfassungsrechtliche Garantie entweder überhaupt verneinen oder sie aus der Landesverfassung herleiten zu müssen37. 31

Vgl. Bernd Clevinghaus, Das Recht auf Zugang zu den öffentlichen Bildungseinrichtungen als Konkretisierung eines grundgesetzlichen Bildungsrechtes, RdJB 1974, S. 321 ff. 32 Klaus-Dieter Heymann/Ekkehard Stein, Das Recht auf Bildung, AöR 97 (1972), S. 202. 33 Zum Verhältnis von Gleichheitssatz und Chancengleichheit siehe Heinrich Scholler, Die Interpretation des Gleichheitssatzes als Willkürverbot oder als Gebot der Chancengleichheit, Berlin 1969, besonders S. 51 ff. 34 BVerwGE 23, S. 347 ff. 55 Vgl. Manfred Abelein, Recht auf Bildung, DÖV 1967, S. 375 ff. 3 6 Vgl. Adam Bauer, Recht auf Bildung - Anspruch und Wirklichkeit, RdJB 1973, S. 225 ff.

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2. Kap.: Selbstverwirklichungsrecht als Kern des Grundrechts auf Bildung

Eine freiheitliche Grundordnung in der Zukunft ist heute ohne ein freiheitliches Schulwesen nicht möglich 38 . Wie aber die Freiheitlichkeit im Schulwesen zu verwirklichen ist, läßt sich durch den Schutz des Selbstverwirklichungsrechts des Schülers als Kern des Grundrechts auf Bildung im Grundgesetz in die Tat umsetzen. Vor diesem Hintergrund hat die Prüfung der Konsequenzen zu erfolgen, die Art. 2 Abs. 1 GG für das Schulwesen hat 39 . Er garantiert jedermann „das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfasungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt". Diese Norm ist wie jedes Grundrecht in erster Linie gegen den Staat gerichtet, kommt also vor allem dann zur Anwendung, wenn der Staat auf dem Bereich der freien Persönlichkeitsentfaltung anderer tätig wird. Eingangs wurde festgestellt, daß die Einwirkung des Staates auf die freie Persönlichkeitsentfaltung des Einzelnen am intensivsten in der Schule ist. Art. 2 Abs 1 GG muß daher gerade hier von entscheidender Bedeutung sein. Wenn er jedem Einzelnen das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit garantiert, verpflichtet er den Staat, soweit dieser überhaupt auf das Werden der Persönlichkeit Einfluß nehmen darf, auf ihre freie Entfaltung hinzuwirken 40 . Unterricht und Erziehung müssen daher auf die freie Entfaltung der Persönlichkeit des Schülers gerichtet sein. Art. 2 Abs. 1 GG normiert so die der Schule von der Verfassung vorgeschriebene Zielrichtung und wird damit (ergänzend zu den organisatorischen Regelungen des Art. 7 GG) zur inhaltlichen Grundsatznorm des Schulwesens41. Bevor aber aus Art. 2 Abs. 1 GG bestimmte Konsequenzen für die freiheitliche Ordnung des Schulwesens gezogen werden können, müssen zwei juristische Hürden genommen werden: Zunächst gilt es, den allgemeinen Sinngehalt dieser freien Entfaltung der Persönlichkeit des Schülers als umfassendes Bildungsziel möglichst präzise zu erfassen. Die Ermittlung der genauen Bedeutung einer Generalklausel ist immer eine schwierige Aufgabe; ihr muß besondere Aufmerksamkeit geschenkt werden, weil mit der Tragfähigkeit dieses Fundaments die Haltbarkeit der für das Schulwesen gezogenen Konsequenzen steht und fällt 42 . Alsdann muß untersucht werden, ob Art. 2 Abs. 1 GG überhaupt für Schüler, also für Minderjährige, gilt. 37 Vgl. Ingo Richter/Bernhard Schlink, Grundrechte auf Bildung - Grundrecht auf Ausbildung, RdJB 1980, S. 202 ff. 38 Vgl. Michael Bothe/Armin Dittmann/Wolf gang Mantl/Yvo Hangartner, Erziehungsauftrag und Erziehungsmaßstab der Schule im freiheitlichen Verfassungsstaat, VVDStRL Heft 54 (1995), S.7ff. 39 E. Stein, a. a. O. (Fn. 18), S. 7. 40 Vgl. Hugo Dinter, Forschungen zum Bildungsrecht - Entwicklung und Ergebnisse, RdJ 1967, S. 151 ff. Bernd Clevinghaus, Recht auf Bildung, Diss., Bremen 1973, S. 152 f. 42 E. Stein, a. a. O. (Fn. 18), S. 8.

Β. Stellung des Grundgesetzes zur Selbstverwirklichung des Schülers

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Denn erst, wenn über das Ob und Wie seiner Geltung für Schüler Klarheit gewonnen ist, kann man seine Konsequenzen für die Stellung des Schülers in der Schule richtig erfassen.

II. Die Selbstverwirklichung des Schülers als umfassendes Bildungsziel im Grundgesetz

Vor dem Hintergrund der verfassungsrechtlichen Vorgaben für die Ausübung der staatlichen Schulaufsicht, insbesondere durch Art. 2 Abs. 1 GG, und der Bildungsziele der Landesverfassungen herrscht heute weitgehend Einigkeit über den Bildungsauftrag der Schule, der zusammenfassend mit dem übergeordneten Bildungsziel Selbstverwirklichung des Schülers als gemeinrechtlich geltend festgestellt werden kann. In der Weiterentwicklung der Schule sollten dabei die Erziehungsziele der Landesverfassungen in Verbindung mit den Schulgesetzen der Länder unter Verweis auf das „Menschenbild des Grundgesetzes"43 und die „Wertbezogene Ordnung des Grundgesetzes" 44 entweder explizit als Aufgabe der Bildung zur Selbstverwirklichung und zur Mündigkeit des Schülers interpretiert 45 oder aber als Bildung zur Selbstverantwortlichkeit des Schülers 46 werden. Dem Begriff der Selbstverwirklichung des Schülers wird dabei eine Allumfassenheit und Offenheit unterstellt 47, die die Instrumentalisierung des Bildungsziels zu einer „selbstlosen" staatlichen Bildung ermöglicht, die fiktiv an den Interessen des Schülers und seiner Selbständigkeit ausgerichteten ist 48 . Wenn also die Bildungsaufgabe der Schule ausdrücklich zu betonen ist, dann deshalb, weil nur so eine umfassende freie Persönlichkeitsentfaltung gewährleistet wird. Denn die selbstverständliche reine Wissensvermittlung mit einem allenfalls „notwendigen erzieherischen Annex" 49 erfaßt stets nur den verstandesgemäßen 43 Jörg Berkemann, Die „politischen Rechte" des Schülers, in: K. Nevermann/L Richter (Hrsg.), Rechte der Eltern, Rechte der Schüler, Rechte der Lehrer, München 1977, S. 107; Lutz Rainer Reuter, Das Recht auf chancengleiche Bildung, Ratingen, Kastellaun, Düsseldorf 1975, S. 174, 176. 44 Albrecht Leuschner, Das Recht der Schülerzeitungen, Berlin 1966, S. 68. 45 Vgl. Lutz Dietze, Pädagogisches Elternrecht in: K. Nevermann/I. Richter (Hrsg.), Rechte der Eltern, Rechte der Schüler, Rechte der Lehrer, München, Braunschweig 1976, S. 140; Monika Franke, Grundrechte des Schülers und Schulverhältnis, Darmstadt 1974, S. 39 f.; Siegfried Lang, Das Schulverhältnis als Anstaltsverhältnis, Diss., München 1969, S. 122 f.; Martin Stock, Pädagogische Freiheit und politischer Auftrag der Schule, Heidelberg 1971, S. 149. 46 Vgl. Albert Rau, Emanzipation und politischer Unterricht aus verfassungsrechtlicher Sicht, München 1978, S. 51; Christian Starck, Organisation des öffentlichen Schulwesens, NJW 1976, 1375, 1377. 4

? Vgl. M. Stock, a. a. O. (Fn. 45), S. 157 ff., 186. « Frank-Rüdiger Jach, Schulvielfalt als Verfassungsgebot, Berlin 1991, S. 66. 49 Vgl. insoweit die restriktive Auslegung des Erziehungsauftrages der Schule bei Fritz Ossenbühl, Rechtliche Grundfragen der Erteilung von Schulzeugnissen, Berlin 1978, S. 40ff.; 4

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2. Kap.: Selbstverwirklichungsrecht als Kern des Grundrechts auf Bildung

Persönlichkeitsbereich - und damit nur einen Teilausschnitt der Persönlichkeit. So kann eine Bildung zur Selbstverwirklichung dem Recht des Schülers auf umfassende Selbstverwirklichung seiner Persönlichkeit nur gerecht werden, „wenn die Menschen ihre gesellschaftlichen Vermögen im Kleinen haben entwickeln können. Erst dann kommen Vernunft und Sinne, Verstand und Einbildungskraft wieder zusammen" 50 . Solange Selbstverwirklichung beschränkt bleibt auf den großen Wurf der Vernunft, der Denken und Mathematik in eins setzt, wird sie nur bedingt zur vollständigen Entfaltung aller menschlichen Anlagen und Befähigungen beitragen 51. Indem heute staatlich vorgegeben ist, daß vernünftig ist, was nützlich und zeitgerecht ist, verliert die Erziehung die Möglichkeit einer umfassenden freien Entfaltung der Persönlichkeit des Kindes. Hierbei fallen die Unterwerfung der äußeren und inneren Natur des Menschen zusammen52 und nehmen dem Einzelnen die Möglichkeit individueller und kollektiver aktiver Auseinandersetzung im Verhältnis von Subjekt und Objekt 53 . Jenseits sozialer Praxis hat heute das Bildungsziel „Selbstverwirklichung des Schülers" den Charakter eines wertgebundenen Persönlichkeitsbegriffs, wie er sich allseitig unter der Berufung auf die Vernunft seit der Aufklärung entwickelt hat. Deshalb ist in der staatlichen Schule eine einseitige Ausrichtung der freien Persönlichkeitsentfaltung i.S. abstrakt kognitiv-vernunftmäßiger Bildung und Unterrichtung zu erkennen. Daher ist eine umfassendere Bestimmung des Bildungsprozesses als allein die Zielorientierung „Selbstverwirklichung des Schülers" erforderlich, um dem Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit des Schülers zu entsprechen 54 . Dies macht deutlich, daß die Bildung im Sinne der umfassenden freien Entfaltung der kindlichen Persönlichkeit nicht nur der „Selbstverwirklichung des Schülers" als formell bestimmten Bildungsziels bedarf, das das Kind als eigenständiges Subjekt akzeptiert und einbezieht. Sondern als weiteres wesentliches Merkmal muß eine inhaltliche Form des Lernens und Lebens hinzukommen, die den Zusammenhang von Kopf und Körper, Sinnlichkeit und Verstand, Mensch und Natur erfaßt 55. Die Verpflichtung des Staates, eine umfassende freie Persönlichkeitsentfaltung des Kindes in der Schule zu gewährleisten, verdrängt insofern auch die Ansicht, ders., Schule im Rechtsstaat, DÖV 1977, S. 801 (808); Hans-Uwe Erichsen, Verstaatlichung der Kindeswohlentscheidung - zur verfassungsrechtlichen Bestimmung des schulischen Erziehungsrechtes, Berlin/New York 1979, S. 25. » Max Horkheimer/Theodor W. Adorno, Dialektik der Aufklärung, Fankfurt/M. 1969, S. 35. 51 M. Horkheimer/T. W. Adorno, a. a. O. (Fn. 50), S. 83. 52 Vgl., M. Horkheimer /T. W. Adorno, a. a. O. (Fn. 50), S. 8, 12, 15. 53 F.-R. Jach, a. a. Ο. (Fn. 48), S. 69. 54 Vgl. Hans Heckel, Lücken, Mängel und Möglichkeiten des Bildungsrechts, RdJB 1978, S. 323 ff.; Theodor W. Adorno, Erziehung zur Mündigkeit, Frankfurt/ M 1971. 55 E-R. Jach, a. a. O. (Fn. 48), S. 72.

Β. Stellung des Grundgesetzes zur Selbstverwirklichung des Schülers

97

wonach sich die Verwirklichung pädagogischer Einsichten nach Recht, nicht aber das geltende Recht nach der Pädagogik zu richten habe56. Gerade dies macht die objektivrechtliche Substanz der Bindung des Staates an das Recht des Kindes auf freie Entfaltung seiner Fähigkeiten und Anlagen aus. Hierbei obliegt es dem Gesetzgeber, entweder im staatlichen Schulwesen unterschiedlichen Bildungskonzeptionen Raum zu geben oder diese über eine umfassende Privatschulfinanzierung zu ermöglichen. Erst dann verifiziert sich der hohe Anspruch, daß Art. 2 Abs. 1 GG alle Rechtspositionen schützt, „die für die freie Entfaltung der Persönlichkeit notwendig sind" 57 und Art. 2 Abs. 1 GG im engesten Sinne vor solchen schulorganisatorischen Maßnahmen schützt, die für die gesamte Persönlichkeit des Kindes und sein Verhältnis zur Gemeinschaft offensichtlich nachteilig sind 58 .

ΙΠ. Art. 2 Abs. 1 GG im engsten Sinne zum Selbstverwirklichungsrecht des Schülers als Kern des Grundrechts auf Bildung im Grundgesetz

Der Text des Grundgesetzes erwähnt ein „Recht auf Bildung" nicht 59 . Einige Landesverfassungen garantieren dagegen ein Recht auf Bildung 60 . Daß ein „Recht auf Bildung" im Grundrechtskatalog des Grundgesetzes nicht aufgeführt wird, bedeutet jedoch nicht, daß die Bundesverfassung in diesem Gebiet keine grundrechtlich geschützten Positionen kennt 61 . Die Herausforderung dieses Recht auf Bildung beruht auf grundrechtlichen Entwicklungen, die die traditionellen bildungsverfassungsrechtlichen Grundsätze während der Bildungsreform der sechziger und siebziger Jahre grundsätzlich in Frage stellten. Zu nennen sind zum Beispiel: - Die individuellen Freiheitsrechte der Schüler und die individuellen Bestimmungs- und Wahlrechte der Eltern im Schulwesen, - das Grundrecht auf Bildung im Sinne eines Rechtes auf chancengleiche Förderung aller Lernenden und schließlich - die Selbstverwaltung der Bildungsinstitutionen und die partizipatorische Mitbestimmung der Betroffenen. 56 Vgl. H.-U. Erichsen, a. a. O. (Fn. 49), S. 10f. 57 BVerfGE 34, 239 (246). 58 Ursula Fehnemann, Rechtsfragen des Persönlichkeitsschutzes bei der Anwendung psychodiagnostischer Verfahren in der Schule, Berlin 1976, S. 92. 59

Hans Joachim Faller, Bestand und Bedeutung der Grundrechte im Bildungsbereich (mit besonderer Berücksichtigung des Rechts auf Bildung), EuGRZ 1981, S. 611. 60 Ζ. B. Art. 27 Verf. Bremen: »Jeder hat nach Maßgabe seiner Begabung das gleiche Recht auf Bildung. Dieses Recht wird durch öffentliche Einrichtungen gesichert." 61 Peter Glotz/Klaus Faber, Richtlinien und Grenzen des Grundgesetzes für das BildungsVogel (Hrsg.), Handbuch des Verfassungs Rechts, wesen, in: E. Benda/ W. Maihofer/H.-J. 2. Aufl., Berlin 1994, § 28, S. 1369 f.

9 8 2 .

Kap.: Selbstverwirklichungsrecht als Kern des Grundrechts auf Bildung

So stellt sich die Frage, ob die Freiheitsrechte der Eltern und Schüler, das Recht auf Bildung und das Mitbestimmungsrecht im Zeitalter der Bildungsreform das Bildungswesen auf eine neue Grundlage gestellt haben, die es anhaltend prägt 62 . Diese Ansätze, das Selbstverwirklichungrecht des Kindes und das Bestimmungs- und Wahlrecht der Eltern, waren eine Herausforderung der überkommenen Bildungsverfassung. Sie konnten dennoch das Bildungsrecht nicht auf eine neue Grundlage stellen. Freiheitliche Grundrechte sichern bestimmte Bereiche der Privatsphäre; sie eignen sich nur begrenzt zur Organisation öffentlicher Sphären. Der Staat muß die Gesamtheit gesellschaftlicher Interessen organisieren. Der Anspruch einer individualistischen freiheitlichen Grundrechtsposition kann letzlich nur erfüllt werden, wenn in der Tat jeder Bürger und jede Bürgerin sein bzw. ihr eigenes Interesse verwirklichen kann. Die Grundrechte der Eltern und Kinder sind und bleiben ein Maßstab für die Organisation des öffentlichen Bildungswesens63. Aus dem bisherigen Gang der Untersuchung wird deutlich, daß Art. 2 Abs. 1 GG im engsten Sinne zum Selbstverwirklichungsrecht des Schülers als Kern des Grundrechts auf Bildung in seinem subjektiven und objektiven Gehalt nur dann seine Funktionen ausüben kann, wenn der Begriff der freien Persönlichkeitsentfaltung nicht wertmaterial überlagert wird. Zugleich muß die Vielfalt der Vorstellungen dessen, was Selbstverwirklichung des Schülers in der Schule zum Inhalt hat, strukturell gesichert sein 64 . Der Verfassung obliegt es zwar, auf der Basis der geistig-kulturellen Entwicklung einer Gesellschaft bestimmte, für das soziale Miteinander als unabdingbar erachtete Rechte und Pflichten zu normieren, es kann aber nicht Aufgabe der Verfassung sein, eine bestimmte geistig-kulturelle Entwicklung selbst zu fixieren 65 . Vielmehr muß es Aufgabe des gesellschaftlichen Prozesses bleiben, diese Rechte als Verkehrsformen im geistig-kulturellen Prozeß mit Inhalt zu füllen, so daß die Vielfalt verschiedener Formen geistig-kultureller Existenz und Identität sich entfalten können. Dies muß vor allem deshalb gelten, weil es einen homogenen geistig-kulturellen Entwicklungsstandard nur für die Ebene der Verkehrsformen, jedoch nicht hinsichtlich der Frage geben kann, was menschliche Existenz und Selbstverwirklichung ausmacht. Die Konstatierung eines Wertsystems, welches in der Fixierung bestimmter Werte beansprucht, die Sinnfragen menschlicher Existenz zu beantworten und verfassungsrechtlich zu fixieren, wäre demgegenüber das Ende jeder kulturellen Entwicklung 66 . 62 Vgl. Bericht der Kommission Schulrecht des Deutschen Juristentages, Schule im Rechtsstaat, Bd. 1, Entwurf für ein Landesschulgesetz, München 1981, S. 25 ff. 63 Vgl. Ingo Richter, Bildungsrecht - Was ist das eigentlich?, RdJB 1997, S. 6 ff. « Vgl. Frank Hennecke, Verrechtlichung schulischer Bildung, RdJB 1980, S. 217 ff. 65 Vgl. Ingo Richter, Recht und Verwaltung des Bildungswesens 1948-1968, DÖV 1968, S. 383 ff. 66 Vgl. F.-R. Jach, a. a. O. (Fn. 48), S. 74; Ulrich Hermann, Abschied vom Erziehungsstaat?, Z. f. Päd. 1993, S. 563 ff.

Β. Stellung des Grundgesetzes zur Selbstverwirklichung des Schülers

99

Aus diesem Grund ist der Versuch abzulehnen, aus dem Menschenbild des Grundgesetzes als „geistig-sittliche Person" verfassungsrechtlich statisch festgelegte Erziehungsvorgaben abzuleiten. Ansonsten wäre das Recht des Kindes auf freie Entfaltung seiner Persönlichkeit über eine objektivrechtliche Sichtweise der Grundrechte zu einem rechtspolitischen Machtinstrument gegenüber alternativen Zielorientierungen der Bildung verkehrt. Gegenüber einer wertüberladenen Sicht der Grundrechte auf der Grundlage eines bestimmten Erziehungsziels gilt es grundsätzlich, die Freiheitlichkeit der Verfassung in der Strukturierung von Verkehrsformen des gesellschaftlichen Miteinanders zu sehen und nicht in der Vorgabe eines bestimmten Inhalts der Vergesellschaftung oder der Sinnhaftigkeit von personaler Existenz 67 . In der objektivrechtlichen Dimension des Selbstverwirklichungsrechts des Schülers als Kern des Grundrechts auf Bildung ist das Wertsystemdenken insbesondere im Hinblick auf Art. 2 Abs. 1 GG im engsten Sinne daher nur haltbar, wenn man davon ausgeht, daß sich die „Werttheorie der Grundrechte als solche gegenüber der rechtlichen Freiheit neutral verhält" 68 . So ist davon auszugehen, daß die endgültige Formulierung des Art. 2 Abs. 1 GG im engsten Sinne jedenfalls keine Festlegung auf ein bestimmtes Persönlichkeitsbild bringen, sondern gerade die Freiheit sichern sollte, eigene Persönlichkeit „frei", also nach eigenem Entwurf und Bilde zu entfalten 69. Dementsprechend läßt sich prinzipiell der Begriff der „Persönlichkeit" verfassungsrechtlich nicht als ethisch wertbezogen fixierter Begriff auffassen, sondern obliegt selbst der offenen Definition 70 , um Selbstverwirklichungsrecht des Schülers als Kern des Grundrechts auf Bildung im verfassungsrechtlichen Sinne durchzusetzen. Eine Sichtweise, die den Bildungsprozeß in der Schule objektivrechtlich durch bestimmte schulverfassungsrechtliche Vorgaben inhaltlich wertgebunden determiniert sieht, verwandelt somit das Wesen von Art. 2 Abs. 1 GG im engsten Sinne in eine mit dem Selbstverwirklichungsrecht des Schülers und dem Schulvielfaltsgebot im pluralistischen Kulturstaat nicht zu vereinbarende Organisationsgewalt des Staates71. Zwar ist unbestritten, daß die Verfassung mit der Gewährung von Grundrechten verbindliche inhaltliche Werte im Sinne eines personalen Menschenbildes setzt, dieses personale Menschenbild betrifft jedoch nur das grundsätzliche Verhältnis

67 Vgl. Ulrich K. Preuß, Die Internalisierung des Subjekts, Frankfurt/M. 1979, S. 188ff.; Lutz-Rainer Reuter, Soziales Grundrecht auf Bildung? Ansätze eines Verfassungswandels im Leistungsstaat, DVB1. 1974, S. 7 ff. « Robert Alexy, Theorie der Grundrechte, 2. Aufl., Frankfurt/M. 1994, S. 155 ff. 69 Dieter Suhr, Entfaltung des Menschen durch die Menschen, Berlin 1976, S. 65. 70 F.-R. Jach, a. a. O. (Fn. 48), S. 75. 71 Vgl. Ulrich Hermann, Erziehungsstaat - Staatserziehung - Nationalbildung, Z. f. Päd. 1993, S. 567 ff.

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2. Kap.: Selbstverwirklichungsrecht als Kern des Grundrechts auf Bildung

Individuum - Gemeinschaft 72 und muß innerhalb dessen der Selbstdefinition des Grundrechtsträgers obliegen 73 . Wesentliches Kriterium eines solchen Optimierungsgebots ist im Bereich der Bildung die organisatorische Sicherung eines kulturellen Pluralismusgebots dergestalt74, daß ein bestimmtes Erziehungsziel 75 den pluralistischen Vorstellungen in der Gesellschaft darüber Rechnung trägt, welche Anforderungen an eine umfassende Selbstverwirklichung des Schülers zu stellen sind. Ein bestimmtes Erziehungsziel darf sich also nicht am Ideal einer staatlich vorgegebenen Bildungskonzeption zu vollziehen haben76.

IV. Die Geltungsprobleme des Selbstverwirklichungsrechts des Schülers

1. Die Problemlage Im Mittelpunkt des Bildungsprozesses sollten die Schüler selbst und ihre Entwicklung zur Selbstverwirklichung stehen. Das Maß der Ausrichtung von Erziehung und Bildung in der Schule an Interessen und Neigungen der Schüler hängt nicht zuletzt davon ab, ob dem Minderjährigen Grundrechte zustehen, die der Staat auch im Schulbereich zu beachten hat 77 . Bei Prüfung der Frage, ob die Grundrechte auch für Minderjährige gelten, wird herkömmlich zwischen der Grundrechtsfähigkeit und der Grundrechtsmündigkeit unterschieden. Die Grundrechtsfähigkeit beinhaltet die Fähigkeit, Träger von Grundrechten zu sein. Sie bezeichnet das „Haben" eines Grundrechts. Die Grundrechtsmündigkeit steht für die Fähigkeit, die Grundrechte selbst auszuüben78. Bei der Grundrechtsfähigkeit eines Schulkindes geht es um die Frage, ob auch seine Interessen durch das Grundrecht geschützt sind, bei der Grundrechtsmündig72 Vgl. Frieda Hey ting, Die Stadt als Umwelt der Erziehung, Neue Sammlung 1997, S. 295 ff. 73 Vgl. Detlef Merten, Das Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit, JuS 1976, S. 345 ff. 74 s. unten 3. Kapitel. 75 Hier ζ. B. Ehrfurcht vor Gott, Achtung vor religiöser Überzeugung oder das Christentum ... usw. 76

Vgl. Johannes A. van der Wen, Kontingenz und Religion in einer säkularisierten und multikulturellen Gesellschaft, in: J. A. van der Ven/H.-G. Ziebertz (Hrsg.), Religiöser Pluralismus und Interreligiöses Lernen, S. 15 ff. 77 Vgl. Klaus Laubenthal, Schutz sexuell mißbrauchter Kinder durch Einsatz von Videotechnologie im Strafverfahren, JZ 1996, S. 335 ff. 78 Vgl. Bernd Jeand'Heur, Verfassungsrechtliche Schutzgebote zum Wohl des Kindes und staatliche Interventionspflichten aus der Garantienorm des Art. 6 Abs. 2 Satz 2 GG, Berlin 1993; F. Neddenriep-Hanke, Umgangsrecht und Kindeswohl, Stuttgart 1987; Dieter Reuter, Kindesgrundrechte und elterliche Gewalt, Berlin 1968; Caroline Steindorff (Hrsg.), Vom Kindeswohl zu den Kindesrechten, Neuwied 1994.

Β. Stellung des Grundgesetzes zur Selbstverwirklichung des Schülers

101

keit dagegen darum, ob es diesen rechtlichen Schutz selbständig, d. h. ohne Mitwirkung des gesetzlichen Vertreters, geltend machen kann 79 . Einigkeit besteht darin, daß sowohl die Frage nach der Grundrechtsfähigkeit wie die nach der Grundrechtsmündigkeit nicht für alle Grundrechte einheitlich zu beantworten ist. Bei jedem einzelnen Grundrecht ist gesondert zu prüfen, ob und von welchem Alter ab es für ein Schulkind gilt und von welchem Alter ab es selbständig geltend gemacht werden kann. Hierbei geht es um die Maßgeblichkeit des Willens eines Kindes gegenüber dem Staat, nicht gegenüber den Eltern 80 . Auch unter Berücksichtigung der Besonderheiten der Lebensphase Kindheit läßt sich das Recht des Kindes auf freie Persönlichkeitsentfaltung nicht zu einem Recht auf Entwicklung und Erziehung zu einer eigenverantwortlichen und sozial verantwortungsbewußten Persönlichkeit verkürzen. Vielmehr steht nach der hier vertretenen Grundthese auch Kindern unabhängig von ihrem Alter und ihrer Reife Recht auf selbstbestimmte Ausübung ihrer Rechte und Wahrnehmung ihrer Selbstentfaltung zu. Damit sind Einschränkungen des Selbstverwirklichungsrechts des Kindes, die der besonderen Situation von Kindern und der Notwendigkeit ihres Schutzes sowie des Schutzes der Eltern-Kind-Beziehung Rechnung tragen, auf der Ebene der Grundrechtsschranken nicht ausgeschlossen. Ein völliger Ausschluß des Kindes von der Möglichkeit einer selbstbestimmten Wahrnehmung seiner Selbstentfaltungsrechte zugunsten einer fremdbestimmten Wahrnehmung seiner Interessen durch einen gesetzlichen Vertreter kommt aber auch unter Berücksichtigung der Wertentscheidung des Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG nur in Betracht, soweit selbstbestimmungsschonendere Möglichkeiten der Unterstützung des Kindes bei der Ausübung seiner Selbstverwirklichungsrechte unter den gegebenen Umständen nicht bestehen81. Jedoch ist die Gewährung von „Grundrechten" der Kinder gegen ihre Eltern und umgekehrt so weit von der Problematik der Verfaßtheit des Staates entfernt, daß dem Verfassunggeber nicht ohne weiteres eine Entscheidung hierüber unterstellt werden kann. Im Grundgesetz finden sich jedenfalls keine Anhaltspunkte für eine derartige Ausdehnung des verfassungsrechtlich geregelten Bereichs 82. Pflege und Erziehung der Kinder sind das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht. Über ihre Betätigung wacht die staatliche Ge79 Vgl. Stefan Engels, Kinder- und Jugendschutz in der Verfassung, AöR 1997, S. 212ff.; Fritz G. Rehmert, Verwaltungsgerichtliche Probleme des Schülerrechts, DÖV 1958, S. 437 ff. 80 Vgl. Ursula Nelle s, Persönlichkeitsrecht und Pflichten kindlicher Zeugen im Strafprozeß, in: H.-U. Erichsen/H. Kollhosser/J. Welp (Hrsg.), Recht der Persönlichkeit, Berlin 1996, S. 211 ff. 81 Vgl. Caroline Steindorff-Classen, Das subjektive Recht des Kindes auf seinen Anwalt, Neuwied 1998, S. 44. 8 2 Joachim Gernhuben Elterliche Gewalt heute, FamRZ 1962, S. 89f.; Hans Hechel, Schulrecht und Schulpolitik, Neuwied/Berlin 1967; E. Stein, a. a. O. (Fn. 18), S. 29; vgl. auch Hildegard Krüger, Grundrechtsausübung durch Jugendliche (Grundrechtsmündigkeit) und elterliche Gewalt, FamRZ 1956, S. 329 ff.

1 0 2 2 . Kap.: Selbstverwirklichungsrecht als Kern des Grundrechts auf Bildung

meinschaft (Art. 6 Abs. 2 GG). Diese Rechtsstellung richtet sich aber nicht gegen das Kind (wie sich dessen Rechte aus Art. 2 Abs. 1 im engsten Sinne nicht gegen die Eltern wenden), sondern gegen den Staat und alle Versuche, von dessen Seite aus den Einfluß der Eltern zurückzudrängen 83. Hinzu kommt, daß sich Elternrecht und Kindesgrundrecht auch inhaltlich nicht widersprechen, sondern einander ergänzen 84. Wesentlicher Bestandteil des Elternrechts ist die Entscheidungsmacht darüber, wie die Selbstverwirklichung des Kindes optimal gefördert werden kann, also die rechtliche Verantwortung für die freie Entfaltung der Persönlichkeit des Kindes. Das Elternrecht dient so der freien Entfaltung der Persönlichkeit des Kindes, seiner Selbstverwirklichung 85. Die Eltern dürfen also nicht unter Berufung auf ihr Erziehungsrecht die freie Entfaltung der Persönlichkeit ihres Kindes hemmen86.

2. Die Grundrechtsfähigkeit

und die Selbstverwirklichung

des Schülers

Die Grundrechtsfähigkeit des Schülers für Art. 2 Abs. 1 GG im engsten Sinne mit anderen Worten: die Geltung dieses Grundrechts für Schulkinder aller Altersstufen - wird in der Literatur durchweg bejaht 87 . Das Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit umfaßt zwei Elemente, das Selbstentfaltungsrecht und das Selbstbestimmungsrecht: Rechtlich geschützt wird erstens die Möglichkeit, seine Persönlichkeit zu entfalten, zweitens die Möglichkeit, über das Ob und Wie der Entfaltung autonom zu bestimmen. Wenn man die 83 Vgl. Ursula Fehnemann, Bemerkungen zum Elternrecht in der Schule, DÖV 1978, S. 489ff.; dies., Die Bedeutung des grundgesetzlichen Elternrechts für die elterliche Mitwirkung in der Schule, AöR 105 (1980), S. 529ff.; dies., Eltermrecht und Schule, RdJB 1988, S. 444 ff.; Ottmar Friedrich, Die Erziehungsrechte der Eltern, des Staates und der Kirche in der Volksschule, Diss., Marburg 1958; Kerstin Reiserer, Das Elterliche Erziehungsrecht und die Eigenentscheidung des Heranwachsenden Minderjährigen im Deutschen und Französischen Recht, Regensburg 1990; Klaus Schwitzke, Verfassungsrechtliche Probleme des Elternrechts im Schulwesen, RdJB 1974, S. 97 ff. 84 Vgl. Walter Becker, Weichendes Elternrecht-wachsendes Kindrecht, RdJB 1970, S. 364ff.; Hans-Peter Füssel, Das Recht der Eltern auf Sonderung - das Recht der Eltern auf Integration, RdJB 1985, 187 ff.; Erwin Stein, Elterliche Mitbeteiligung im deutschen Schulwesen, JZ 1957, S. 11 ff.

m s. hierzu BVerfGE 4,52 ff. 86 J. Gernhuber, Elterliche Gewalt heute, FamRZ 1962, S. 92; vgl. auch E. Stein, a. a. O. (Fn. 18), S. 29. 87 Vgl. Monika Franke, Grundrechte des Schülers und Schulverhältnis, Neuwied/Berlin 1974, S. 11 ff.; Hans Heckel/Hermann Avenarius, Schulrechtskunde, Aufl. 6, Neuwied 1986, S. 299 ff.; Hans Carl Nipperdey, Freie Entfaltung der Persönlichkeit, in: Κ. A. Bettermann/ H. C. Nipperdey/U. Scheuner (Hrsg.), Die Grundrechte, Bd. 4, Berlin 1960, S. 776; Wolfgang Ρ er schei, Grundrechtsmündigkeit und Elternrecht, RdJ 1963, S. 33 ff.; ders., Grundrechtsmünkigkeit, Elternrecht und Schulgewalt, RWS 1963, S. 129 ff.; E. Stein, a. a. O. (Fn. 18), S. 32; Ekkehart Stein/Monika Roell, Handbuch des Schulrechts, Köln 1988, S. 50ff.

Β. Stellung des Grundgesetzes zur Selbstverwirklichung des Schülers

103

Grundrechtsfähigkeit des Kindes für Art. 2 Abs. 1 GG im engsten Sinne zum Selbstverwirklichungsrecht des Schülers als Kern des Grundrechts auf Bildung im Grundgesetz ohne Einschränkung bejaht, spricht man sich also dafür aus, daß sowohl die Selbstentfaltung des Schülers unter verfassungsrechtlichen Schutz gestellt werden, als auch sein Wille, der das Ob und Wie der Entfaltung betrifft 88 . Ein verfassungsrechtlicher Schutz der Entfaltung des Kindes ist nicht nur unbedenklich, sondern im Rahmen einer Verfassung, die versucht, eine umfassende freiheitliche Grundordnung zu konstituieren, unumgänglich. Entfaltet sich doch die Persönlichkeit des Menschen am stärksten in der Kindheit, wie umgekehrt in diesem Lebensabschnitt jede Behinderung der Entfaltung dauernde strukturelle Schäden hinterläßt und später nie mehr ganz ausgeglichen werden kann 89 . Im Selbstbestimmungsrecht liegt dagegen eine Respektierung der autonomen Willensbildung des Einzelnen, die notwendig eine gewisse Reife voraussetzt. Das Selbstbestimmungsrecht ist ja ein Aspekt des Grundrechts auf freie Entfaltung der Persönlichkeit, soll also die Selbstentfaltung fördern 90. Hieraus ergibt sich, daß es erst dann gewährt werden darf, wenn das Kind die nötige Reife erlangt hat, um wenigstens auf bestimmten Gebieten die Vor- und Nachteile einer Alternative richtig beurteilen zu können. Eine Einräumung von Selbstbestimmung zu einem früheren Zeitpunkt würde seine Selbstentfaltung nicht fördern, sondern gefährden 91. Im Interese der Rechtssicherheit muß der Übergang von der Unbeachtlichkeit zur Beachtlichkeit des kindlichen Willens an leicht erkennbare Kriterien gebunden werden. Dies schließt es aus, auf die nie exakt bestimmbare individuelle Reife abzustellen. Willensfähig und damit fähig zu beschränkter Selbstbestimmung ist das Kind schon von klein auf. Die Garantie des Selbstbestimmungsrechts gebietet eine möglichst weitgehende Rücksichtnahme auf diese tatsächliche Fähigkeit zur Selbstbestimmung. Eine solche liegt jedoch nicht vor: Das heranwachsende Kind ist schon sehr bald in der Lage, sein Verhalten selbst zu bestimmen, und auch an einem nachdrücklichen Willen hierzu fehlt es nicht. Woran es fehlt, ist die Fähigkeit, die Folgen der eigenen Entscheidungen hinreichend klar zu erkennen. Dieser Mangel hält aber nicht als tatsächliches Hindernis unmittelbar das Kind vom Gebrauch des Selbstbestimmungsrechts ab, sondern veranlaßt nur Eltern und Staat, dem Kind das Selbstbestimmungsrecht vorzuenthalten 92. 88 E. Stein, a. a. O. (Fn. 18), S. 32. 89 Vgl. Frieda Hey ting, Die Stadt als Umwelt der Erziehung, Neue Sammlung 1997, S. 295 ff. 90 Vgl. Christoph Degenhart, Die allgemeine Handlungsfreiheit des Art. 21 Grundgesetzes, JuS 1990, S. 161 ff.; Dieter Reuter, Kindesgrundrechte und elterliche Gewalt, Berlin 1968. 91 Vgl. Thomas Oppermann, Nach welchen Grundsätzen sind das öffentliche Schulwesen und die Stellung der an ihm Beteiligten zu ordnen? - Gutachten C für den 51. Deutschen Juristentag, München 1976, S. 81 ff. 92 Vgl. St. Engels, Kinder- und Jugendschutz in der Verfassung, AöR 1997, S. 212 ff.; Ursula Fehnemann, Die Innehabung und Wahrnehmung von Grundrechten im Kindesalter, Berlin 1983.

1 0 4 2 . Kap.: Selbstverwirklichungsrecht als Kern des Grundrechts auf Bildung

Wenn also auch Kinder und Jugendliche grundrechtsfähig sind, so bedeutet das für den Staat, gegen den sich die Grundrechte ja richten, daß er die Grundrechte des Minderjährigen ebenso achten muß wie die des Volljährigen. Er darf also die Grundrechte des Minderjährigen nur im Rahmen der allgemein geltenden Grundrechtsschranken sowie der Regelungen beschränken, die das Grundgesetz ausdrücklich im Interesse des Jugendschutzes enthält (Art. 5 Abs. 2, Art. 11 Abs. 2, Art. 13 Abs. 3 GG) 9 3 . Es ist keine neue Erkenntnis, daß die Fähigkeit zu verständigem Handeln dem Menschen nicht in die Wiege gelegt, sondern in einem komplizierten Prozeß der aktiven Umweltaneignung allmählich erworben wird. Auch dem Verfassunggeber war diese Tatsache nicht fremd, wie die Regelung des Erziehungsrechts der Eltern in Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG verdeutlicht. Gleichwohl sah er sich nicht veranlaßt, Kindern die Grundrechte bis zum Erreichen eines bestimmten Alters bzw. eines bestimmten Maßes an Einsichtsfähigkeit gegerell vorzuenthalten. Lediglich das Wahlrecht hat er an ein Mindestalter bzw. den Eintritt der Volljährigkeit geknüpft (vgl. Art. 38 Abs. 2 GG) 9 4 . Diese punktuelle Regelung läßt den Gegenschluß zu, daß die übrigen Grundrechte in den vom Tatbestand jeweils gezogenen persönlichen Schutzbereichsgrenzen Kindern und Erwachsenen in gleicher Weise zustehen sollen. Dementsprechend ist heute nahezu einhellig anerkannt, daß die Grundrechtsfähigkeit, also die Fähigkeit, Träger der im Grundgesetz verbürgten Grundrechte zu sein, spätestes mit Vollendung der Geburt beginnt. Demgegenüber ist die Frage, ab wann Kinder ihre Grundrechte selbständig ausüben können, weiterhin umstritten 95.

3. Die Grundrechtsmündigkeit

und die Selbstverwirklichung

des Schülers

Umstritten ist hingegen, ob Minderjährige grundrechtsmündig sind, also die Grundrechte selbst (auch ohne Einwilligung der Eltern) ausüben dürfen. Nach der herrschenden Meinung ist der Mensch grundsätzlich erst mit Eintritt der Volljährigkeit berechtigt, seine Grundrechte selbst auszuüben. Ausnahmsweise wird jedoch die Grundrechtsmündigkeit entweder für einzelne Grundrechte oder aber für begrenzte Lebensbereiche vor die Volljährigkeit verlegt. Dabei wird insbesondere darauf abgestellt, ob der Jugendliche fähig ist, die Vor- und Nachteile seines Handelns richtig einzuschätzen. Soweit dies nicht der Fall ist, wird den Eltern aufgrund des Elternrechts (Art. 6 Abs. 2 Satz 2 GG) das Recht und die Pflicht zugesprochen, die Grundrechte ihres Kindes für dieses auszuüben96. w E. Stein/ M. Roell, a. a. O. (Fn. 87), S. 51. 94 Dazu aus kritischer Perspektuve Hans Hattenhauer, Über das Minderjährigenwahlrecht, JZ 1996, S. 15 f. 95 Vgl. Monika Roell, Grundrechtsmündigkeit - eine überflüssige Konstruktion, RdJB 1988, S. 382.

* Vgl. Albert Bleckmann, Staatsrecht II - Die Grundrechte, 4. Aufl., Köln 1997, S. 507 ff.; E. Stein/M. Roell, a. a. O. (Fn. 87), S. 51.

Β. Stellung des Grundgesetzes zur Selbstverwirklichung des Schülers

105

Man könnte weiter daran denken, daß dem Kind an sich das Selbstverwirklichungsrecht zusteht, daß es aber dieses zunächst nicht selbst ausüben kann 97 , sondern hierbei durch seine Eltern vertreten wird. Hieran ist richtig, daß das Kind sein Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit und folglich auch dessen zweiten Aspekt, das Selbstbestimmungsrecht, erst nach seinem Eintritt in die Schule selbst ausüben kann, und zwar bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres auch nur mit Zustimmung seines gesetzlichen Vertreters. Während aber beim Selbstentfaltungsrecht eine Ausübung durch die Eltern möglich ist, wäre sie beim Selbstbestimmungsrecht ein Widerspruch in sich. Schutzgut des Selbstbestimmungsrechts ist der Wille, und zwar beim Selbstbestimmungsrecht des Kindes dessen Wille 9 8 . Die Eltern könnten behilflich sein, daß sich der Wille des Kindes durchsetzt. Wenn sie aber ihren Willen an die Stelle des Willens des Kindes setzen, üben sie nicht ein Recht aus, das den Willen des Kindes für beachtlich erklärt, sondern schieben dieses Recht beiseite. Das Selbstbestimmungsrecht ist also ein höchstpersönliches Recht. Die Bestimmung des Ob und Wie der Selbstentfaltung des Kindes durch die Eltern ist keine Wahrnehmung von dessen Selbstbestimmungsrecht, weil die - notwendig heteronome - Wahrnehmung des Selbstbestimmungsrechts durch einen Vertreter ein Widerspruch in sich wäre 99 . Die altersmäßig abgestufte Grenzziehung der Grundrechtsmündigkeit bereitet Schwierigkeiten, zumal sich allgemeingültige Kriterien zur Feststellung der Reife eines Minderjährigen kaum finden lassen 100 . Grundsätzliche Bedenken gegen die 97 Das Kind kann aber sein Selbstbestimmungsrecht, wie wir gesehen hatten, erst nach dem Eintritt in die Schule - beschränkt - selbst geltend machen. Bis zu diesem Zeitpunkt wäre die Annahme eines Selbstbestimmungsrechts ohne jede rechtliche Bedeutung, da niemand es geltend machen könnte. Zudem widerspricht der im Selbstbestimmungsrecht liegenden Achtung vor der Willensbildung des Einzelnen die Unreife des Kleinkindes, die noch keine so weitgehende Beachtung verdient, und die rechtliche Mißachtung seines Willens, die darin zum Ausdruck kommt, daß man ihm in jenen ersten Lebensjahren keinerlei rechtliche Bedeutung beimißt. Unter diesen Umständen wäre die Annahme, daß das Kind schon von seiner Geburt an ein Selbstbestimmungsrecht genießt, eine durch nichts zu rechtfertigende Fiktion. Die Grundrechtsfähigkeit für das Selbstbestimmungsrecht, die Selbstbestimmungsfähigkeit, beginnt daher erst zu dem Zeitpunkt, da das Kind sein Selbstbestimmungsrecht auch geltend machen kann, wenn auch vorerst nur beschränkt, d. h. mit dem Schuleintritt oder, wenn man diesem Vorschlag nicht folgen will, mit der Vollendung des 7. Lebensjahres. Vgl. E. Stein, a. a. O. (Fn. 18), S. 34.; M. Franke, a. a. O. (Fn. 87), S. 11 ff.

98 Vgl. Max-Emanuel Geis, Der Kernbereich des Persönlichkeitsrechts, JZ 1991, S. 112ff. w E. Stein, a. a. O. (Fn. 18), S. 34. loo Daraus folgt, daß unter den Voraussetzungen, unter denen ein Minderjähriger verbindlich Rechtsgeschäfte abschließen kann, auch seine sonstigen Entscheidungen über seine Selbstentfaltung beachtlich sein müssen. Fraglich kann daher nur sein, ob sich diese Beachtlichkeit auf den zivilrechtlichen Bereich beschränkt oder auch für die Grundrechte, also gegenüber dem Staat gilt. Irgendwelche Gesichtspunkte, die gegen ihre Beachtlichkeit im Bereich von Art. 2 Abs. 1 im engsten Sinne zum Selbstverwirklichungsrecht des Schülers als Kern des Grundrechts auf Bildung im Grundgesetz sprechen, sind jedoch nicht zu erkennen. Daher sollte die beschränkte Grundrechtsmündigkeit für dieses Grundrecht spätestens mit der Vollendung des 7. Lebensjahres, dem Beginn der beschränkten Geschäftsfähigkeit,

1 0 6 2 . Kap.: Selbstverwirklichungsrecht als Kern des Grundrechts auf Bildung

Lehre von der Grundrechtsmündigkeit aber bestehen deshalb, weil das Grundgesetz selbst keine Anhaltspunkte für eine Differenzierung zwischen Volljährigkeit und Minderjährigkeit bietet. Die Gesetzesvorbehalte der Grundrechte und die grundrechtsimmanenten Schranken reichen im übrigen aus, um den Minderjährigen selbst und andere vor Schaden zu bewahren, der durch die Grundrechtsausübung des Minderjährigen entstehen könnte. Der Konstruktion einer Grundrechtsmündigkeit als Voraussetzung der Grundrechtsausübung durch Kinder und Jugendliche bedarf es deshalb nicht. Denn die Grundrechtsmündigkeit des Kindes ist gerade für die Schule von Bedeutung, wo das Kind am stärksten staatlichen Einflüssen ausgesetzt ist 1 0 1 . Schulkinder werden zwar formal allgemein als Grundrechtsträger anerkannt. Das Recht auf Selbstverwirklichung als Kernbestandteil aller Grundrechte wird jedoch zumeist mit unterschiedlichen Begründungen an die ungeschriebene Voraussetzung der Mündigkeit bzw. Einsichts- oder Selbstverwirklichungsfähigkeit des Kindes geknüpft. Das Einsichtserfordernis ergibt sich jedoch weder aus der „Natur der Sache", noch läßt es sich auf dem Boden eines restriktiven Freiheitsbegriffs mit der besonderen Schutzbedürfigkeit der zu einsichtigem Handeln noch nicht fähigen Minderjährigen begründen. Eine tatbestandliche Beschränkung des Selbstverwirklichungsrechts auf einsichtsfähige Minderjährige läßt sich auch nicht mit dem Bedürfnis nach einer Harmonisierung von kindlichem Selbstverwirklichungsrecht und Elternrecht rechtfertigen. Dem Gesichtspunkt der Schutzbedürftigkeit des Kindes und der Notwendigkeit eines Ausgleichs zwischen kindlichem Selbstverwirklichungsrecht und Elternverantwortung kann vielmehr auf der Ebene der Schranken des Kindesgrundrechts in hinreichender und angemessener Weise Rechnung getragen werden. Eine überzeugende Begründung, das Selbstverwirklichungsrecht des Kindes bereits auf der Schutzbereichsebene über das ungeschriebene Tatbestandsmerkmal der Einsichtsfähigkeit zu verkürzen, ist folglich nicht ersichtlich. Kindern ist deshalb das Recht auf selbstverwirklichte Wahrnehmung ihrer Rechte und Interessen unabhängig von Alter und Reife grundsätzlich in demselben Umfang zuzubilligen wie Erwachsenen 102. einsetzen. Vgl. E. Stein, a. a. O. (Fn. 18), S. 31; M. Franke, a. a. O. (Fn. 87), S. 11 ff.; Wolfgang Ρ er schei, Die Meinungsfreiheit des Schülers, Berlin /Neuwied 1962. ιοί Viele Gesetze enthalten aber Ansätze zur Gewährung voller Selbständigkeit an Minderjährige auf Teilbereichen, was auch bei der Ermittlung der Grundrechtsmündigkeit zu beachten ist. So läßt sich aus dem Gesetz über die religiöse Kindererzichung herleiten, daß die volle Grundrechtsmündigkeit in bestimmten höchstpersönlichen Angelegenheiten schon lange vor Erreichen der Volljährigkeit eintreten kann: Vom 14. Lebensjahr ab darf das Kind selbst entscheiden, zu welchem religiösen Bekenntnis es sich halten will, aber schon vom 12. Lebensjahr ab kann es nicht gegen seinen Willen in einem anderen Bekenntnis als bisher erzogen werden (§ 5 Sätze 1 und 2). Man kann hieraus den allgemeinen Grundsatz ableiten, daß in allen Angelegenheiten, die einen ähnlich persönlichen Charakter tragen wie die Religionszugehörigkeit, die bestehenden Verhältnisse gegen den Willen des Kindes schon nach Vollendung seines 12. Lebensjahres nicht mehr verändert werden dürfen. Vgl. E. Stein, a. a. O. (Fn. 18), S. 31 f.; E. Stein/M. Roell, a. a. O. (Fn. 87), S. 51; M. Franke, a. a. O. (Fn. 87), S. 11 ff.; Monika Roell, Die Geltung der Grundrechte für Minderjährige, Berlin 1984.

. c h t z e e c h des Grundrechts auf Bildung im GG

107

C. Der Schutzbereich des Grundrechts auf Bildung im Grundgesetz I. Die Entwicklung vom Schutzbereich des Grundrechts

Daß nicht jeder Mensch die gleichen Handlungsmöglichkeiten besitzt, sondern individuelle Faktoren wie psychische oder physische Disposition, Begabung, Neigung und objektive Gegebenheiten sie begründen und begrenzen, steht außer Frage. Entscheidend ist indes, daß diese Handlungsmöglichkeiten dem Menschen als solchem eigen, anthropologisch begründet und damit unabhängig von der Form und der Verfassung des Verbandes sind, in dem er lebt 1 0 3 . Die Summe menschlicher Handlungsmöglichkeiten kann - Georg Jellinek folgend - als „natürliche Freiheit" bezeichnet werden 104 . Sie ist im ureigensten Sinne „vorstaatlich" 105 . Die Annahme einer natürlichen Freiheit als Summe menschlicher Handlungsmöglichkeiten ist logische Voraussetzung und zugleich Substrat der Grundrechte. Carl Schmitt hat scharfsinnig erkannt, daß die Grundidee der bürgerlichen Freiheit darin besteht, daß die Freiheitssphäre des Einzelnen als etwas vor dem Staat Gegebenes vorausgesetzt und als prinzipiell unbegrenzt angesehen wird. Also sei die Befugnis des Staates zu Eingriffen in diese Sphäre prinzipiell begrenzt 106 . Dies ist keine naturrechtliche Position, die die Geltung vorstaatlicher Rechte postulierte. Gemeint ist vielmehr, daß die Grundrechtsinhalte nicht erst durch die Verfassung geschaffen werden, sondern ihr vorgegeben sind. Dies gilt nicht nur für das Leben, die körperliche Unversehrtheit und andere essentialia menschlicher Existenz, sondern auch für die dem Menschen eigene Fähigkeit, durch Handeln seine Umwelt zu verändern 107. 102 Die Regelung einer vertretungsweisen Wahrnehmung der Interessen des Minderjährigen durch Eltern oder den Staat ist darüber hinaus nur unter der Voraussetzung verfassungsrechtlich unbedenklich, daß weniger eingriffsintensive, aber gleichermaßen wirksame Alternativen zur Verwirklichung des jeweiligen Schutzzwecks fehlen. Zeigt sich demgegenüber, daß der Schutzzweck durch bestimmte, das Selbstbestimmungsrecht des Kindes stärker schonende Maßnahmen der Beratung oder Unterstützung des Kindes bei der eigenständigen Ausübung seines Selbstbestimmungsrechts ebenso gut erreicht werden könnte wie durch eine Vertrutungsregelung, ohne daß durch diese Maßnahmen zugleich das Elternrecht oder andere schutzwürdige Interessen stärker beeinträchtigt werden, stellt die weitergehende Vertretungslösung eine Verletzung des kindlichen Selbstbestimmungsrechts dar. Der Grundsatz „Hilfe vor Eingriff 4, der für das Verhältnis zwischen Elternrecht und staatlichem Wächteramt durch § 1666a BGB und die vielfältigen Beratungs- und Unterstützungsangebote des SGB VIII konkretisiert wurde, muß also auch für das Verhältnis zwischen kindlichem Selbstbestimmungsrecht und staatlicher bzw. elterlicher Fürsorge Geltung beanspruchen. Vgl. C. Steindorff-Classen, a. a. O. (Fn. 81), S. 52 ff.

m» Vgl. Jörn Ipsen, Staatsrecht II, Neuwied 1997, Rdnr. 63. !04 Vgl. Georg Jellinek, System der subjektiven öffentlichen Rechte, 2. Aufl., Tübingen 1919, S. 45. 105 Zum Freiheitsbegriff vgl. Goerg Haverkate, Verfassungslehre, München 1992, S. 155 f. 106 Vgl. Carl Schmitt, Verfassungslehre, 3. Aufl., Berlin 1957, S. 126. 107

Dieser Ansatz auch bei G. Haverkate,

Verfassungslehre, S. 155.

1 0 8 2 . Kap.: Selbstverwirklichungsrecht als Kern des Grundrechts auf Bildung

Die umfassende Handlungsfreiheit des Menschen wird von den Grundrechten in einzelnen Ausstrahlungen reflektiert, segmentiert und in subjektive Rechte umgeformt 1 0 8 . Grundrechte sind deshalb keine Befugnisse - Erlaubnisse, Titel, Genehmigungen, Privilegien oder Konzessionen - , mit denen der Staat vermöge seiner Verfassung Äußerungsmöglichkeit menschlicher Existenz gestattet. Den jeweiligen Grundrechtsinhalt bilden vielmehr unterschiedliche Rechtsgüter - namentlich segmentierte Freiheiten - , die aufgrund der geschichtlichen Erfahrungen vom Verfassunggeber als schutzwürdig und schutzbedürftig angesehen worden sind 109 . Die Rechtsfigur des „Eingriffs" bildet geradezu ein grundrechtsdogmatisches Axiom und läßt aufgrund dieses axiomatischen Wesens kaum die Frage zu, ob es einen „Eingriff* in „Grundrechte" überhaupt geben kann 110 . Diese Frage nämlich scheint insbesondere für die verfassungsgerichtliche Judikatur von vornherein geklärt, weil in den - jeweils zu ermittelnden - Schutzbereich des Grundrechts eingegriffen wird 1 1 1 . So steht neben dem „Eingriff gewissermaßen als zweite Säule der Grundrechtsdogmatik der „Schutzbereich" 112, wozu als dritte die Rechtfertigungsbedürftigkeit tritt, wenn in den Schutzbereich eingegriffen wird 1 1 3 . Den Grundrechten kommt insoweit eine Vergewisserungsfunktion zu, die geeignet ist, Untertanengeist und obrigkeitsstaatliche Attitüde zu überwinden 114, um den Schutzbereich der Selbstverwirklichung des Menschen in der Verfassung zu garantieren, also um den Menschen sich verwirklichen zu lassen.

Π . Die objektiv-rechtlichen und subjektiv-rechtlichen Funktionen als Schutzbereich des Grundrechts

Die Grundrechtsgewährleistung liegt hauptsächlich in der aktiven Grundrechtsverwirklichung. So sind die Bürger selbst Gestalter und Garanten der Grundrechte. Dementsprechend sind die staatlichen Organe, die Betriebe und sonstigen Einrichtungen gehalten, die Grundrechte der Bürger zu achten, zu schützen und fortzuentwickeln 115 . los Vgl. J. Ipsen, Staatsrecht II, Rdnr. 64. 109

Vgl. Jürgen Schwabe, Probleme der Grundrechtsdogmatik, Darmstadt 1977, S. 41. no Vgl. zum Grundrechtseingriff Horst Dreier, in: Horst Dreier (Hrsg.), Grundgesetz Kommentar, Bd. I, Tübingen 1996, Vorb. Rdnr. 80f.; Bodo Pieroth/Bernhard Schlink, Grundrechte, 12. Aufl., Heidelberg 1996, Rdnr. 256 ff.; Michael Sachs, in: Klaus Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. III/2, München 1994, S. 76ff. m Vgl. statt aller B. Pieroth/B. Schlink, Grundrechte, Rdnr. 243 ff. 112 Vgl. zum Schutzbereich etwa BVerfGE 80, 137 (154f.) zu Art. 2 Abs. 1 GG; /. v. Münch, in: v. Münch/Kunig (Hrsg.), GG Bd. 1 Vorb. Art. 1 - 1 9 Rdnr. 48 ff. 113 Vgl. H. Dreier, in: H Dreier (Hrsg.), GG Bd. I Vorb. Rdnr. 84; B. Pieroth/B. Schlink, Grundrechte, Rdnr. 273 ff.; Knut Amelung, Die Einwilligung in die Beeinträchtigung eines Grundrechtsgutes, Berlin 1981. 114 So J. Ipsen, Staatsrecht II, Rdnr. 61.

. c h t z e e c h des Grundrechts auf Bildung im GG

109

Als Bestandteil der Verfassung, die in der Normenhierarchie den höchsten Rang einnimmt, stellen die Grundrechte objektives Recht dar. Aufgrund ihrer Bindung an Gesetz und Recht, die durch Art. 1 Abs. 3 GG im Hinblick auf die Grundrechte besonders hervorgehoben wird, sind die Staatsorgane gehindert, Grundrechte zu verletzen 116 . Wenn der Gesetzgeber die ihm durch die Grundrechte gezogenen Grenzen zu überschreiten droht, könnte das betreffende Gesetz im Verfahren der abstrakten oder konkreten Normenkontrolle vom Bundesverfassungsgericht auf seine Übereinstimmung mit den Grundrechten überprüft werden 117 . Würden sich die Grundrechte in dieser objektiv-rechtlichen Wirkung erschöpfen, könnte sich der Einzelne - mangels subjektiver Berechtigung - nicht auf sie berufen und individuelle Rechtsverletzungen nicht geltend machen. Das Bundesverfassungsgericht würde die Überprüfung von Gesetzen an den Grundrechten „an sich" prüfen, nicht aber von einzelnen Bürgern angerufen werden können 118 . Der Begriff des „Rechts" bezeichnet wie beim objektiven Recht die strikte Verbindlichkeit und schließt aus, daß Grundrechte zu Zielbestimmungen oder Programmsätzen denaturiert werden 119 . Die subjektive Qualität steht im Gegensatz zum „objektiven Recht", räumt dem Einzelnen also eine bestimmte Rechtsmacht ein, die notwendig eine prozessuale Entsprechung haben muß 1 2 0 . Subjektiv-öffentliche Rechte sind schließlich dadurch gekennzeichnet, daß sie - ausschließlich gegenüber dem Staat und anderen Verwaltungsträgern geltend gemacht werden können 121 . Die Wirkungsweise der Grundrechte als subjektive Rechte - die Gewährleistungstechnik 122 - besteht folglich darin, daß sie staatlichem Handeln entgegengesetzt werden können und es dadurch begrenzen 123. Die objektiv-rechtlichen und subjektiv-rechtlichen Funktionen des Grundrechts 124 als die grundrechtlichen Schutzgüter werden somit durch die Begrenzung 115 Vgl. Hans Herbert v. Arnim, Gemeinwohl und Gruppeninteressen, Frankfurt/M. 1977, S. 36; Peter Unruh, Zur Dogmatik der grundrechtlichen Schutzpflichten, Berlin 1996. 116 Vgl. Peter Badura, Staatsrecht, 2. Aufl., München 1996, A Rdnr. 13; Michael Sachs, in: Michael Sachs (Hrsg.), Grundgesetz - Kommentar, München 1996, Vor Art. 1 Rdnr. 16. 117 Vgl. Hans Lechner/Rügiger Zuck, Bundesverfassungsgerichtgesetz, 4. Aufl., München 1996, vor § 76 Rdnr. 17. 118 Jörn Ipsen, Gesetzliche Einwirkungen auf grundrechtlich geschützte Rechtsgüter, JZ 1997, S. 473. Π9 Vgl. v. Mangoldt/Klein/Starck, GG Bd. 1, Art. 1 Rdnr. 122 ff.; K. Stern, Staatsrecht I I I / 1 (1988), S. 1191 ff. 120 Die gerichtliche Durchsetzbarkeit („Klagbarkeit") gehört zu den Kennzeichen des subjektiven Rechts, vgl. Klaus F. Röhl, Allgemeine Rechtslehre, Köln 1994, S. 360 ff.

121 Hartmut Maurer, Allgemeimes Verwaltungsrecht, 10. Aufl., München 1995, § 8 Rdnr. 2. 122 Vgl. J. Ipsen, Staatsrecht II, Rdnr. 60 ff. 123 Vgl. Rainer Wahl, Die doppelte Abhängigkeit des subjektiven öffentlichen Rechts, DVB1. 19%, S. 641 ff. 124 Vgl. Robert Alexy, Grundrechte als subjektive Rechte und als objektive Normen, Der Staat 1990, S. 49 ff. 8 Hsu

110

2. Kap.: Selbstverwirklichungsrecht als Kern des Grundrechts auf Bildung

staatlicher Machtbefugnisse geschützt. Grundrecht und grundrechtlich geschützte Rechtsgüter sind strikt voneinander zu unterscheiden 125.

ΠΙ. Die Bedeutung der Unterscheidung von Grundrecht und grundrechtlich geschützten Rechtsgütern

Aus der Unterscheidung zwischen Grundrecht und grundrechtlich geschütztem Rechtsgut folgen wichtige dogmatische Konsequenzen. Da die objektiv-rechtlichen und subjektiv-rechtlichen Funktionen des Grundrechts als Schutzgut der Grundrechte nicht vom Staat gewährt, sondern durch das Grundrecht als subjektiv-öffentliches (Abwehr-)Recht gewährleistet werden, folgt hieraus zwingend, daß rechtlich alles erlaubt ist, was nicht durch Rechtssatz ausdrücklich verboten wird 1 2 6 . Bei der Frage nach der Grundrechtsmündigkeit darf das Schutzgut ebenfalls nicht mit dem Grundrecht verwechselt werden. Der Umstand, daß Minderjährige vielfach zu grundrechtlich geschützten Handlungen tatsächlich - noch - nicht in der Lage sind, beeinträchtigt ihre Grundrechtsträgerschaft nicht. Von Grundrechtsmündigkeit könnte deshalb nur die Rede sein, wenn das Grundgesetz die Rechtsausübung an ein Mindestalter knüpfte, was indes nicht der Fall ist 1 2 7 . Die Differenzierung zwischen Grundrecht und grundrechtlich geschütztem Rechtsgut verändert auch die Perspektive hinsichtlich der viel diskutierten Grundrechtskollisionen. In der Sache handelt es sich - auch bei den „echten" Grundrechtskollisionen 128 - um Handlungen, die unverträglich mit anderen Handlungen oder sonstigen Schutzgütern sind. Einen solchen Konflikt beizulegen, ist seit jeher Aufgabe des einfachen Rechts, dessen Konfliktlösungspotential nicht dadurch erweitert wird, daß man menschliches Handeln als „Grundrechtsgebrauch" mißversteht. Die Konfliktlösungen erfordern regelmäßig die gesetzliche Einschränkung von Grundrechten 129. Zu einer Grundrechtskollision aber käme es nur dann, wenn die Grundrechte an denselben Adressaten in derselben Situation zwei widerstreitende Gebote richteten. Ein solcher Fall ist zwar theoretisch vorstellbar, jedoch nicht wirklichkeitsnah, weil Grundrechtsschranken und Abwägung regelmäßig eine gerechte Lösung ermöglichen 130 . 125

Vgl. auch J. Schwabe, Probleme der Grundrechtsdogmatik, S. 73. 126 Vgl. Bartin Borawski, Prinzipien als Grundrechtsnormen, ZÖR 1998, S. 307 ff.; Martin Kriele, Vorbehaltlose Grundrechte und die Rechte anderer, JA 1984, S. 629 ff. 127 Vgl. M. Sachs, in: M. Sachs (Hrsg.), a. a. O. (Fn. 116), Vor Art. 1 Rdnr. 52 m. w. N. 128 Vgl. zu den „echten" Grundrechtskollisionen M. Sachs, in: K. Stern, a. a. Ο. (Fn. 110), S. 629 ff. 129 Vgl. Wolfgang Rüfner, Grundrechtskonflikte, in: Christian Starck (Hrsg.), Bundesverfassungsgericht und Grundgesetz, Tübingen 1976, S. 453 ff. 130 J. Ipsen, JZ 1997, S. 476.

C. Schutzbereich des Grundrechts auf Bildung im GG

111

Die Unterscheidung zwischen Grundrecht und grundrechtlich geschütztem Rechtsgut legt die Annahme nahe, daß das durch Art. 2 Abs. 1 GG im engsten Sinne geschützte Grundrecht des Schülers auf Selbstverwirklichung durch die Funktionen dieses Grundrechts in eine Mehrzahl verselbständigter grundrechtlich geschützter Rechtsgüter aufgespalten werden kann, die dann den „Schutzbereich" des Grundrechts auf Bildung im Grundgesetz bilden.

IV. Geschützte Rechtsgüter des Grundrechts auf Bildung im Grundgesetz hinsichtlich der Funktionen des Grundrechts des Schülers auf Selbstverwirklichung

Die Geltung der Grundrechte als unmittelbar geltendes Recht, die in der Idee grundrechtlicher Gewährleistungen angelegt und in Art. 1 Abs. 3 GG ausdrücklich festgelegt ist, verleiht der Grundrechtsinterpretation eine besondere, weittragende Bedeutung 131 . Wenn die Grundrechte gleichwohl als unmittelbar geltendes Recht effektiv werden sollen, bedürfen sie in anderer Weise als normale Gesetzesbestimmungen einer nicht nur explikativen, sondern ausfüllenden Interpretation, die nicht selten die Form einer Ausdeutung oder Konkretisierung annimmt 132 . Eine solche ausdeutende und den Inhalt erst konkretisierende Interpretation findet in Wortfassung, Sprachsinn und Regelungszusammenhang keinen hinreichenden Anknüpfungspunkt. Sie wird - bewußt oder unbewußt - von einer bestimmten Grundrechtstheorie geleitet und bestimmt. Grundrechtstheorie bedeutet dabei eine systematisch orientierte Auffassung über den allgemeinen Charakter, die normative Zielrichtung und die inhaltliche Reichweite der Grundrechte 133. Die verschiedenen Grundrechtstheorien werden als Problemlösungsgesichtspunkte wahlweise benutzt, um ein nach dem jeweiligen Vorverständnis „optimales" Ergebnis im konkreten Fall zu erzielen 134 . Die gemeinsame Voraussetzung ist auch hier die weniger geäußerte, aber praktizierte Auffassung, daß die verschiedenen Grundrechtstheorien von der Verfassung her dem Interpreten grundsätzlich zur Auswahl stehen, keine von ihnen ausgeschlossen ist, und die Grundrechtsinterpretation daher - generell oder von Fall zu Fall - die eine oder andere zugrunde legen kann 135 . 131 Vgl. Gerd Roellecke, Prinzipien der Verfassungsinterpretation in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, in: Christian Starck (Hrsg.), Bundesverfassungsgericht und Grundgesetz, Tübingen 1976, S. 22 ff. 132 Vgl. Hans Huber, Die Konkretisierung von Grundrechten, in: Der Staat als Aufgabe. Gedächtnisschrift für Max Imboden, Basel/Stuttgart 1971, S. 191 ff. 133 Ernst-Wolfgang Böckenförde, Grundrechtstheorie und Grundrechtsinterpretation, NJW 1974, S. 1529. 134 Vgl. Ernst-Wolfgang Böckenförde, Grundrechte als Grundsatznormen, Der Staat 1990, S. Iff. 135 Vgl. Reinhold Zippelius, Verfassungskonforme Auslegung von Gesetzen, in: Christian Starck (Hrsg.), Bundesverfassungsgericht und Grundgesetz, Tübingen 1976, S. 108 ff.

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1 1 2 2 . Kap.: Selbstverwirklichungsrecht als Kern des Grundrechts auf Bildung

Grundrechtstheorien sind Ausdruck bestimmter Staatsauffassungen und Grundvorstellungen über das Beziehungsverhältnis der einzelnen zur staatlichen Gemeinschaft; hinter ihnen steht eine bestimmte Idee der Verfassung, insoweit diese die grundlegende rechtliche Ordnung des Verhältnisses der einzelnen und der Gesellschaft zum Staat darstellt 136 . Dem Staat ist damit von Verfassungs wegen eine Verantwortung für die Schaffung und Sicherung der notwendigen sozialen Voraussetzungen grundrechtlicher Freiheit zuerkannt. Das Verhältnis von individueller Selbstverwirklichung bzw. gesellschaftlicher Selbststeuerung und staatlicher Regulierungs- und Lenkungsmacht ist damit grundlegend modifiziert 137 . Die Bindung des Staates an das Recht des Kindes auf freie Entfaltung seiner Persönlichkeit in der Schule ist heute allgemein anerkannt. Unter der Geltung des Grundgesetzes kann seit Ekkehart Stein 138 die Selbstentfaltung des Kindes zur freien Entfaltung seiner Persönlichkeit gem. Art. 2 Abs. 1 GG als Rechtfertigung und Zielnorm staatlicher Schulerziehung angesehen werden 139 . Verfassungsrechtlich findet dies seinen Ausdruck darin, daß der Staat in der Schule in Abkehr von der Vorstellung einer unbegrenzten staatlichen Schulhoheit unter der Geltung des Grundgesetzes an das Recht des Kindes auf freie Entfaltung seiner Persönlichkeit gebunden ist. Nachdem die Entwicklung eines Schülerrechts in der juristischen Diskussion erst in der Nachkriegszeit eingesetzt hat 1 4 0 , und bis in die 60er Jahre hinein das Kindes- und Schülerinteresse nur als nachrangiger Aspekt bei den Erziehungsstreitigkeiten zwischen Eltern und Staat über das „Erziehungsobjekt" Kind angesehen wurde 141 , ist es heute allgemeine Auffassung, daß das Grundrecht des Schülers auf freie Entfaltung der Persönlichkeit keineswegs durch die staatliche Schulhoheit verdrängt worden ist 1 4 2 . Danach ist die Schule „um des Schülers willen da" 1 4 3 und das oberste Leitziel der Bildungs- und 136 Vgl. Friedrich Müller, Die Positivität der Grundrechte, Berlin 1969; Höfling, Wolfram, Offene Grundrechtsinterpretation, Berlin 1987. Die leitende Idee dieser Ausgestaltung ist unschwer zu erkennen: die Aufnahme und Durchführung rechtsstaatlicher, auf dem Verteilungsprinzip beruhender Freiheitsgewährleistung, die die Freiheit als staatlichem Zugriff prinzipiell vorausliegend begreift und sie auf der Ebene des Rechts nicht als bestimmten und umgrenzten Wert, als objektiviertes Institut oder als Mittel zu demokratischen oder öffentlichen Zwecken, sondern um ihrer selbst willen, eben als Freiheit gewährleistet. Vgl. Katharina Sobota, Das Prinzip Rechtsstaat, Tübingen 1997, S. 65 ff. 138 Vgl. Ekkehart Stein, Das Recht des Kindes auf Selbstentfaltung in der Schule, Neuwied 1967. 139 F.-R. Jach, a. a. Ο. (Fn. 48), S. 59. no Thomas Oppermann, Kulturverwaltungsrecht, Tübingen 1969, S. 157, Anm. 42. 141 B. Clevinghaus, Recht auf Bildung, Diss., Bremen 1973, S. 340; J. Berkemann, a. a. O. (Fn. 19), S. 103. 142 N. Niehues, Schul- und Prüfungsrecht, 2. Aufl. 1983, S. 46. 143 Frank Hennecke, Staat und Unterricht - Die Festlegung didaktischer Inhalte durch den Staat im öffentlichen Schulwesen, Berlin 1972, S. 125.

D. Geschützte Rechtsgüter des Grundrechts auf Bildung im GG

113

Erziehungsaufgabe der Schule soll das Recht des Schülers auf Selbstverwirklichung sein 144 . Denn heute ist allgemein anerkannt, daß die freie Entfaltung der Kindespersönlichkeit in einem freien und humanen Sinn, insbesondere unter Einbeziehung des Verfassungsgebots, die Menschenwürde zu achten, die eigentliche Zielsetzung und Rechtfertigung staatlicher Schulerziehung sei 1 4 5 . Durch die verschiedenen Grundrechtstheorien wird die theoretische Grundlage der unterschiedlichen Funktionen des Selbstverwirklichungsrechts des Schülers als geschützte Rechtsgüter des Grundrechts auf Bildung im Grundgesetz abgeleitet: zum Beispiel als Abwehrrechte, als Teilhaberechte, als die institutionelle Garantie, als objektive Wertordnung, als Organisations- und Verfahrensgarantie.

D. Geschützte Rechtsgüter des Grundrechts auf Bildung im Grundgesetz I. Grundrecht des Schülers auf Selbstverwirklichung als Abwehrrecht

1. Die grundrechtstheoretische

Grundlage

Der Kerngehalt der grundrechtlichen Freiheit bleibt gegenüber verfassungsrechtlich zugelassenen Begrenzungs- oder Eingriffsmöglichkeiten durch den Gesetzgeber gesichert. Das ist eine unmittelbare Folgerung aus dem grundrechtstheoretischen Ausgangspunkt, daß die Freiheit des einzelnen, rechtlich gesehen, prinzipiell unbegrenzt, die Befugnis des Staates zu Eingriffen hingegen prinzipiell begrenzt ist. „Jede gesetzliche Normierung, jede behördliche Intervention, jeder staatliche Eingriff muß prinzipiell begrenzt, meßbar, berechenbar, jede staatliche Kontrolle ihrerseits wieder kontrollierbar sein." 146 Nicht das einschränkende oder einen Gewährleistungsvorbehalt ausfüllende Gesetz kann dem Grundrecht Maß und Inhalt setzen, sondern umgekehrt muß ein solches Gesetz 147 Maß und Inhalt von der grundrechtlichen Freiheitsgewährleistung empfangen 148. 144 So ζ. B. Hans-Ulrich Evers, Die Befugnis des Staates zur Festlegung von Erziehungszielen in der pluralistischen Gesellschaft, Berlin 1979, S. 62. M5 Ebenda, S. 58.

M Carl Schmitt, Verfassungsrechtliche Aufsätze, Berlin 1958, S. 208,209. 1 47 Selbstverwirklichung kann also nicht in einer angeblich erträumten Unabhängigkeit von Naturgesetzen erfolgen, sondern nur in der Erkenntnis dieser Gesetze und in der damit gegebenen Möglichkeit, sie planmäßig zu bestimmten Zwecken wirken zu lassen. Indem freie Entfaltung nur in der Unterordnung unter objektive Gesetzmäßigkeiten möglich ist trägt Bildung zur Selbstverwirklichung bei, wenn ihre Gestaltung objektiven Entwicklungsgesetzen entspricht. Das Erkenntnismonopol zur Wahrnehmung und Umsetzung dieser objektiven Entwicklungsgesetze, vor allem des historischen Materialismus liegt bei der Partei und ihrer Führung. Indem der einzelne entsprechend den angeblich objektiven Gesetzmäßigkeiten sich selbst frei entfaltet, unterliegt er der Macht derer, die in Kenntis dieser Gesetzmäßigkeiten zu Freiheit und Selbstverwirklichung auf der Grundlage der Interessenharmonie verhelfen. Vgl. Hans-Georg Fey, Selbstverwirklichung und Sicherheit durch Arbeit und Beruf nach dem Grundgesetz und der Verfassung der DDR, Diss., Gießen 1982, S. 285 ff.

1 1 4 2 . Kap.: Selbstverwirklichungsrecht als Kern des Grundrechts auf Bildung

Auf dem Hintergrund der historischen Entwicklung, insbesondere der freiheitlich-liberalen Grundrechtskonzeption, ist die Ausgrenzung individueller Freiheitsräume, einer „staatsfreien Privatsphäre", maßgebliche Aufgabe der Grundrechte. Als Abwehrrechte des Bürgers gegen den Staat i.S. von Bürger-Staat-gerichteten Rechten räumen sie dem einzelnen einen subjektiv-öffentlichen Anspruch auf einen autonomen Bereich eigener Lebensgestaltung ein, weitgehend verschont von staatlichen Eingriffen, Einengungen und Reglementierungen. Die Grundrechte bilden demnach Schranken für das staatliche Handeln und geben dem einzelnen zugleich einklagbare subjektiv-öffentliche Rechte. Mit deren Hilfe kann er den Hoheitsträger, der den einzelnen in Anspruch nehmen will, zurückdrängen, in Schranken verweisen, eben „abwehren" 149 . Hierin kommt auch besonders deutlich der besondere Sinn und Zweck der Grundrechte als Abwehrrechte zum Ausdruck; sie dienen in erster Linie zum Schutz des Bürgers vor Mißbrauch staatlicher Gewalt. Die Grundrechte schützen einen Bereich individueller und gesellschaftlicher Freiheit vor staatlicher Beeinträchtigung und Eingriffs-Reglementierung. Die Aktualisierungskompetenz liegt bei den einzelnen und der Gesellschaft selbst. Das Individuum wird als autark vorausgesetzt, verfügend über einen „beherrschten Lebensrraum" und die bürgerliche „Selbständigkeit" 150 . Unter diesen Prämissen ist zur rechtlichen Sicherung der Realisierungsmöglichkeit von Freiheit die Abwehr und Ausgrenzung staatlicher Eingriffe hinreichend; die Grundrechte gewähren den Schutz des sozial bereits vorhandenen oder sich bildenden realen Freiheitsbestandes151. Die liberale Grundrechtstheorie betrachtet die Grundrechte in erster Linie als Freiheitsrechte des einzelnen gegenüber dem Staat 152 . Die Garantie eines der autonomen individuellen Gestaltung überlassenen Raumes erfolgt mit Hilfe subjektiver öffentlicher Abwehrrechte 153 . Abwehrfunktion von Grundrechten bedeutet die Möglichkeit, Eingriffe anderer, insbesondere des Staates, in die verbürgte Frei148 E.-W. Böckenförde, NJW 1974, S. 1531. 149 BVerfGE 50, 290, 337; vgl. auch Detlef Horster, Die Staatliche Gemeinschaft Angesichts der Zunehmenden Individualisierung in der Moderne, Der Staat 1992, S. 481 ff.; Hans Gerber, Freiheit und Bindung der Staatsgewalt, Tübingen 1932. 150 Ernst-Wolfgang Böckenförde, Entstehung und Wandel des Rechtsstaatsbegriffs, in: Festschrift für Adolf Arndt, Frankfurt/M.1969, S. 56 f.; vgl. auch Dieter Grimm, Die Zukunft der Verfassung, 2. Aufl., Frankfurt/M. 1994, S. 221 ff. 151 Vgl. Gunter Zimmermann, Kann Macht aufsteigen?, Der Staat 1995, S. 454 ff.; ErnstWolfgang Böckenförde, Zur Lage der Grundrechtsdogmatik nach 40 Jahren Grundgesetz, München 1989. 132 E.-W. Böckenförde, NJW 1974, S. 1530; Hans Klein, Öffentliche und private Freiheit, Der Staat 1971, S. 164; ders., Grundrechte in demokratischen Staat, Stuttgart 1972, S. 38, 72; Hans Maier, Die Grundrechte des Menschen im modernen Staat, Osnabrück 1973, S. 23. 153 Zum Begriff des subjektiven Rechts, vgl. Reinhold Zippelius, Einführung in die juristische Methodenlehre, 2. Aufl., München 1974, S. 36; J. Schwabe, Probleme der Grundrechtsdogmatik, S. 17 ff.; Maunz/Dürig/Herzog/Scholz, Art. 1 III, Rdnr. 96.

D. Geschützte Rechtsgüter des Grundrechts auf Bildung im GG

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heitssphäre des Individuums abzuwehren 154. Auf einen solchen Inhalt könnte bereits der Wortlaut von Art. 2 Abs. 1 GG hindeuten, wo es heißt: „Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit." Art. 2 Abs. 1 GG im engsten Sinne ermöglicht in dieser Sicht die Abwehr staatlicher Eingriffe in die Sphäre von Erziehung und Bildung in der Schule. Das Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit in Art. 2 Abs. 1 GG im engsten Sinne als Abwehrrecht dient dem Grundrecht des Schülers auf Bildung. Damit ist die Frage nach den grundrechtlich geschützten Rechtsgütern des Selbstverwirklichungsrechts des Schülers gestellt.

2. Grundrechtlich

geschützte Rechtsgüter

a) Schülerrecht auf Selbstverwirklichung aa) Im allgemeinen Der Mensch unterscheidet sich grundsätzlich von allen Tieren durch seine extrem große Lern- und Anpassungsfähigkeit 155. Das Tier erhält den größten Teil der Verhaltensmuster, die es zur Selbstbehauptung in gefährlicher Umwelt braucht, schon mit dem Erbgut; es ist infolgedessen psychisch weitgehend fixiert. Der Mensch kommt dagegen auch psychisch unfertig zur Welt, ausgestattet mit einer nur bruchstückhaften Triebstruktur und daher psychisch zunächst hilflos, aber damit auch offen und formbar 156 . Für ihn treten an die Stelle des über die Triebe wirksamen Erbguts weitgehend geistiges Material, Erfahrungen und Traditionen, die er in einem Lernprozeß von seinen Eltern und der Gemeinschaft, in die er hineingeboren ist, übernimmt 157 . Das Bedürfnis nach Schulbildung 158 entstand, sobald das Ideenmaterial einer konkreten menschlichen Gemeinschaft zu umfangreich geworden war, um noch von jedermann beherrscht, geschweige denn weitergegeben werden zu können. Die Schule fungiert als Vermittler zwischen dem in der Vergangenheit wurzelnden 154 Vgl. Rainer Wahl, Die doppelte Abhängigkeit des subjektiven öffentlichen Rechts, DVBl. 1996, S. 641 ff. 155 Vgl. Leo Kofier, Zur Geschichte der bürgerlichen Gesellschaft, 4. Aufl., Neuwied/Berlin 1971, S. 356 ff. 156 Vgl. Karl Jaspers, Psychologie der Weltanschauungen, 2. Aufl., München/Zürich 1994, S. 8 ff. 157 Vgl. Karl Jaspers, Was ist Erziehung, 2. Aufl., München/Zürich 1992, S. 18 ff. *58 Die Begriffe „Ausbildung", „Erziehung" und „Bildung" meinen verschiedene Aspekte dieser Mittlerfunktion. Bei „Ausbildung" ist nur an die Übermittlung geistigen Materials gedacht, bei „Erziehung" an die hierdurch bewirkte Formung des Kindes, während der Ausdruck „Bildung" teils synonym für Erziehung, häufiger aber als Oberbegriff für Ausbildung und Erziehung gebraucht wird. Ausbildung und Erziehung ergänzen sich gegenseitig. Vgl. E. Stein, a. a. O. (Fn. 18), S. 43 f.

1 1 6 2 . Kap.: Selbstverwirklichungsrecht als Kern des Grundrechts auf Bildung

Geistesgut und dem offenen, lernfähigen und auf Lehren angewiesenen Kind 1 5 9 . Das Kind kann sich die Erfahrungen und Kenntnisse früherer Generationen nicht aneignen, wenn es nicht seine Aufnahmefähigkeit und seine Einsicht in die Zusammenhänge stufenweise zu entfalten versteht, und es kann seine Anlagen nicht entfalten, wenn es sich nicht jene Erfahrungen und Kenntnisse zu eigen macht 160 . Wegen dieser Wechselbezüglichkeit führt die Vermittlung einseitiger Ansichten und tendenziös ausgewählten Wissens notwendig zu einer einseitigen Entfaltung des Kindes, wie die Vorenthaltung ganzer Erfahrungsbereiche die Verkümmerung der entsprechenden Teile seiner Anlagen zur Folge hat 1 6 1 . Wegen der Offenheit des jungen Menschen hat es die Schule weitgehend in der Hand, ihre Schüler durch Auswahl der vermittelten geistigen Strömungen zu formen 162 . Damit sind die Menschen zugleich für ihr ganzes Leben in gewisser Weise fixiert, da sie nach Durchlaufen der Schule nicht mehr leer und offen, sondern mit mannigfachen Verhaltensmustern ausgestattet sind und sich innerlich nur noch in begrenztem Umfang zu wandeln vermögen 163 . Schließlich müßte auch durch die Art und Weise des Schulunterrichts wie der Prüfungen innerhalb jedes Fachs stärker die individuelle freie Entfaltung der Schüler angestrebt werden. Diese sind nach Kräften zur selbständigen Arbeit anzuleiten und zur stärkeren Ausprägung ihrer persönlichen Gaben und Interessen zu ermutigen 164 . Insgesamt darf also die Schule nicht die verschiedenen Begabungen und Neigungen der Schüler zu einem Einheitstyp des mit dem Zeugnis der Reife versehenen Gebildeten nivellieren, sondern hat die persönlichen Stärken jedes Einzelnen voll zur freien Entfaltung zu bringen 165 . Nicht zuletzt hat sie die Schüler auf die Differenzierung vorzubereiten, die von ihnen nach dem Schulabschluß verlangt wird: auf die Berufswahl. Gewiß kann und soll die Schule nicht eine spezielle Berufsausbildung vermitteln. Aber sie muß den Schülern helfen, zu ausgeprägten Persönlichkeiten zu werden, die ihre individuellen Gaben vollentfaltet in den Dienst der Gesamtheit stellen können 166 . In der Schule geht es hier insbesondere darum, inwieweit der Bildungsprozeß durch Maßnahmen des Lehrers gelenkt wird und inwieweit die Kinder ihren eigenen Willen gebrauchen dürfen. Dem entspricht die Ebene der Frage nach der 159 Vgl. Freitz Loser/Ewald Terhart (Hrsg.), Theorien des Lehrens, Stuttgart 1977, S. 37 ff. 160 Vgl. William Damon, Die soziale Welt des Kindes, Frankfurt/M. 1990, S. 244ff. 161 Vgl. Ludwig Salgo, Der Anwalt des Kindes, Frankfurt/M. 1996. S. 405 ff. 162 Vgl. Robert Dreeben, Was wir in der Schule lernen, Frankfurt/M. 1980, S. 42ff. 163 E. Stein, a. a. O. (Fn. 18), S. 44. 164 Vgl. Niklas Luhmann/Karl Eberhard system, Frankfurt/M. 1988, S. 115ff., S. 288ff. 165 Vgl. Niklas Luhmann/Karl Eberhard Frankfurt/M. 1990, S. 73ff. 166 E. Stein, a. a. O. (Fn. 18), S. 65.

Schorr, Reflexionsprobleme im ErziehungsSchorr (Hrsg.), Zwischen Anfang und Ende,

D. Geschützte Rechtsgüter des Grundrechts auf Bildung im GG

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Selbstverwirklichungsmöglichkeit von Schulkindern, die auf die Programmierung des Kindeswillens zielt: Inwieweit geht die Willensrichtung auf Umwelteinflüsse zurück und inwieweit ist sie das Ergebnis eigener Urteile 167 ? Entsprechendes gilt für das Selbstentfaltungsrecht. Bei den Erwachsenen beinhaltet dieses ein Recht auf individuelles Verhalten, also auf Durchsetzung der eigenen Individualität. Beim Kind befindet sich dagegen die Individualität erst noch im Werden. Sein Entfaltungsrecht richtet sich daher vor allem auf die Erlangung und Ausprägung der eigenen Individualität 168 , beinhaltet also ein Recht auf Entwicklung eines Selbst. Die Gewährung eines Rechts auf freie Entfaltung der Persönlichkeit setzt jedenfalls unter dem Selbstverwirklichungsaspekt eine gewisse Urteilsfähigkeit voraus. Die Entwicklung der Urteilsfähigkeit ist aber gerade eine zentrale Bildungsaufgabe. Daraus folgt, daß bei Einräumung jenes Rechts an Kinder ein anderer Aspekt im Vordergund steht als bei Erwachsenen 169. Den Erwachsenen wird von der Verfassung das Recht zur Bestimmung des Ob und Wie ihrer Selbstverwirklichung deshalb eingeräumt, weil ihre Urteilsfähigkeit vorausgesetzt wird. Aus dem Selbstbestimmungsrecht für Kinder folgt dagegen vor allem das Recht auf Entwicklung ihrer eigenen Urteilsfähigkeit, die eine Voraussetzung des Gebrauchmachens nicht nur vom Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit, sondern von allen Freiheitsrechten ist 1 7 0 . Dem Recht auf Ausübung der Selbstbestimmungsfähigkeit bei Erwachsenen entspricht so bei Kindern ein Recht auf Erlangung der Selbstbestimmungsfähigkeit, also ein Recht auf Selbstbestimmung. Wie der gesamte Art. 2 Abs. 1 GG können auch die Rechte auf Selbstentfaltung und Selbstbestimmung durch Gesetze beschränkt werden 171 . Solange nur ihr Wesensgehalt nicht angetastet wird, bleibt die Wirkungskraft jener Rechte aber voll erhalten. Vor allem bilden sie die oberste Richtnorm des gesamten Bildungswesens: Schulen und berufliche Lehrstätten haben ihre Schüler in den Stand zu setzen, als mündige Menschen in Familie, Beruf und Staat Mitverantwortung zu tragen und durch Ausprägung ihrer unterschiedlichen Lernfähigkeiten und Interessen zu differenzierten Individuen zu werden. Diesen Leitideen sind alle anderen Ausbildungsziele unterzuordnen. Die gesamte Bildungsgesetzgebung hat sich an diesen Zielen der Erziehung zur Selbstentfaltung und zur Selbstbestimmung zu orientieren 172 . Bei jeder Einschränkung jener Grundsätze ist zu prüfen, ob sie 167 Vgl. Niklas Luhmann/Karl-Eberhard Schorr (Hrsg.), Zwischen System und Umwelt, Frankfurt/M. 1996, S. 75 ff. 168 K-D. Heymann/E.. Stein, AöR 97 (1972), S. 213.

1 69 Vgl. Ludwig von Friedeburg, Bildungsreform in Deutschland, Frankfurt/M. 1992, S. 213 ff. no K-D. Heymann/E. Stein, AöR 97 (1972), S. 213. πι BVerfGE 6, S. 32 ff., 37 ff. 172 Vgl. Raimund Wimmer, Die Rechtspflicht zur öffentlichen Bildungsplanung, RdJB 1970, S. 65 ff.; Ingo Richter, Die Schule auf dem Boden des Grundgesetzes, RdJB 1970, S. 1 ff., 5 f.; M. Stock, a. a. O. (Fn. 45), S. 87 ff.

1 1 8 2 . Kap.: Selbstverwirklichungsrecht als Kern des Grundrechts auf Bildung

einem vor der Verfassung legitimen Gemeinschaftsinteresse dienen und ob der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gewahrt ist 1 7 3 . bb) Recht auf Selbstentfaltung Nach Art. 2 Abs. 1 GG hat jeder „das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit". Während beim Erwachsenen vorausgesetzt werden kann, daß er eine individuelle Persönlichkeit ist, hat der junge Mensch einen Anspruch darauf, Individuum zu werden, d. h. gerade auch diejenigen Fähigkeiten und Eigenschaften zu entwickeln, die seine Besonderheit ausmachen und ihn von anderen unterscheiden 1 7 4 . Für die Bildung folgt daraus, daß die Schule nicht die unterschiedlichen Lernfähigkeiten und Interessen der Schüler zu einem Einheitstyp des mit dem Zeugnis der Reife versehenen Gebildeten nivellieren darf, sondern durch ein differenziertes Bildungsangebot gerade die Bildung von individuellen Leistungsschwerpunkten zu fördern hat. Dies ist auch um.der Gesellschaft willen unabdingbar, weil diese zunehmend auf ausgebildete Kräfte angewiesen ist, die einen Leistungsschwerpunkt haben und den unterschiedlichen Anforderungen der verschiedenen beruflichen Rollen gerecht werden 175 . Bisher war der Anspruch auf individuelle Selbstentfaltung vor allem durch die häufig allzu dirigistischen Lehr- und Bildungspläne bedroht, die zudem mancherorts in einer ungebrochenen Tradition stehen 176 . Hier brauchen wir schon die Motive und Argumente für eine grundlegende Reform der Curricula. Gesteigerte Ansprüche sind erforderlich geworden durch die Wissensexplosion und die Verwissenschaftlichung der modernen Welt, durch die rasche Veränderung beruflicher Anforderungen und durch erhöhte gesellschaftlich-politische Verantwortung des Einzelnen 177 . Danach können die Schüler sich durch die Erweiterung der Lernmöglichkeiten entfalten. Die Frage nach adäquaten Kodifikationsformen für ein Curriculum betrifft die Funktion des Curriculums in der Schule und die Rolle des Lehrers. „Unterrichts173 K.-D· Heymann/E. Stein, AöR 97 (1972), S. 214. 174 Vgl. Norbert Elias, Die Gesellschaft der Individuen, Frankfurt/M. 1991, S. 15 ff. 175 Vgl. Gero Lenhardt, Schule und bürokratische Rationalität, Frankfurt/M. 1984, S. 250 ff. 176 So wird die Entdeckung des klassichen Altertums aus einem historischen Ereignis in einen Dauerzustand transformiert; von jedem jungen Menschen wird erwartet, daß er inmitten einer Umgebung, die längst das alte Kurturgut in sich aufgenommen hat, beim wortweisen Übersetzen von Urtexten dasselbe Entzücken empfindet wie diejenigen, die sie erstmals für die Neuzeit erschlossen. Und wer immer einen „höheren" Beruf ergreifen, muß es sich gefallen lassen, daß seine individuellen Gaben zunächst auf das Prokrustesbett von Pflichtfächern gespannt und nach dem Stereotyp der „klassischen Bildung" zu rechtgestutzt werden. Vgl. Empfehlungen und Gutachten des Deutschen Ausschusses für das Erziehungs- und Bildungswesen, Gesamtausgabe 1966, S. 52. 177 Vgl. Doris Knab, Ansätze zur Curriculumreform der Bundesrepublik Deutschland, in: Betrifft: Erziehung, 1971, Heft 2, S. 15.

D. Geschützte Rechtsgüter des Grundrechts auf Bildung im GG

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planung setzt Curricula voraus, die einen eindeutigen Zusammenhang von Zielen, ihnen entsprechenden Lernerfahrungen und deren Realisierungsbedingungen, möglichst auch Verfahren der Erfolgskontrolle aufweisen 178. Es fragt sich jedoch, ob das zu einer Materialsammlung des Curriculum in fertigen Arbeitsmitteln und -anweisungen zwingt, wie sie in den USA entwickelt worden ist. Vielmehr sollte eine Darstellung der Variationsbreite von Zielen und der einem Ziel entsprechenden Mittel es dem Lehrer möglich machen, die für seine Lerngruppe geeigneten Lernerfahrungen und Lernhilfen zu wählen und zu kombinieren" 179 . Wenn Lernziele für einen bestimmten Bildungsgang „definiert" werden, werden sie jedoch nicht nur beschrieben, sondern für die Absolventen dieses Bildungsgangs 180 verbindlich festgelegt. Damit aber enthüllt sich die zunächst mit dem Erfordernis nach wissenschaftlicher Genauigkeit begründete Forderung nach klarer Definition der Lernziele als Forderung nach Heteronomie der Bildung. Diese Tendenz wird auch durch die gleichzeitige Forderung nach verstärkten Wahlmöglichkeiten zwischen verschiedenen Bildungsgängen und selbst zwischen verschiedene Curricula mehr verdeckt als abgemildert 181 . Nach dem, was eingangs zum Recht auf Selbstentfaltung ausgeführt wurde, bedarf es keiner weiteren Begründung, daß die Einräumung eines größtmöglichen Wahlrechts zwischen verschiedenen Bildungsgängen und innerhalb jedes Bildungsgangs zwischen verschiedenen Curricula nicht nur erwünscht, sondern ver178 Mehrere Möglichkeiten bieten sich an, um die Schule besser den individuellen Gaben der Schüler anzupassen. Man sollte mit einer Reform der Abschlußprüfungen, also vor allem des Abiturs, beginnen. Zunächst einmal wird niemand geschädigt, wenn man es den Schülern freistellt, ob sie überhaupt eine Abschlußprüfung ablegen wollen, und ihnen im übrigen die Wahl der Prüfungsfächer freistellt. Es muß ja nicht jeder nach dem Besuch der höheren Schule studieren. Für alle aber, die sich an einer Hochschule weiterbilden wollen, empfiehlt sich eine stärker differenzierende Regelung. Jede Fakultät oder Fachrichtung sollte diejenigen Schulfächer benennen, die für ein bestimmtes Fachstudium Voraussetzung sind, in denen also Kenntnisse nachgewiesen werden müssen. Die Schüler könnten dann die Prüfungsfächer je nach Begabung und Neigung selbst wählen und hätten es in ihrer Hand, sich - bei einseitiger Begabung - schon hierbei auf die Wahl eines bestimmten Berufs festzulegen oder - bei vielseitiger Begabung - sich eine Reihe von Möglichkeiten offenzuhalten. Vgl. E. Stein, Neuwied 1967, S. 64. iw Vgl. D. Knab, in: Betrifft: Erziehung, 1971, Heft 2, S. 25. 180 Nach einer derartigen Auflockerung der Abschlußprüfungen könnte man leicht auch bei der Festlegung der Unterrichtsfächer stärker auf die Begabung der Schüler Rücksicht nehmen. Die möglichen Wege hierzu sind durch die verschiedenen Formen der zusätzlichen Unterrichtsveranstaltungen auf der Oberstufe vorgezeichnet. Die größte Variationsbreite unter geringstem personellen Aufwand wird erreicht, wenn von der Bindung der Kurse an bestimmte Jahrgänge abgegangen wird, wenn also ähnlich wie im Vorlesungssbetrieb der Universitäten auf ein Jahr befristete Kurse für Schüler aller Altersstufen, die hierfür die nötigen Voraussetzungen mitbringen, abgehalten werden. Die technische Durchführung macht also keine besonderen Schwierigkeiten, sofern nur der Wille da ist, den Schülern das Recht auf individuelle Entfaltung einzuräumen. Vgl. E. Stein, a. a. O. (Fn. 18), S. 64.

181 Vgl. Wolf gang Michel, Schul(verwaltungs)rechtliches Curriculum für Pädagogen, ein Desiderat, RdJB 1977, S. 354 ff.

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2. Kap.: Selbstverwirklichungsrecht als Kern des Grundrechts auf Bildung

fassungsrechtlich geboten ist. Die Wahl eines Bildungsgangs ist jedoch ein einmaliger A k t , während das Durchlaufen des gewählten Bildungsgangs regelmäßig ein langjähriger Prozeß ist. Für die Verwirklichung des Rechts auf Selbstentfaltung ist daher der Freiheitsspielraum innerhalb jedes Bildungsgangs von weit größerer Bedeutung als die Freiheit der Wahl zwischen den einzelnen Bildungsgängen. Auch die A u s w a h l 1 8 2 zwischen mehreren Curricula ist ein einmaliger Akt. Hier kommt hinzu, daß diese Entscheidung nicht durch den Einzelnen, sondern nur durch die Lerngruppe als ganze getroffen werden k a n n 1 8 3 . A l l das spricht nicht gegen die Notwendigkeit der Entwicklung von wissenschaftlich haltbaren Curricula. Es begründet lediglich die Unzulässigkeit einer Verbindlichkeit eines Curriculum oder auch eines Bündels von zur Auswahl gestellten Curricula 1 8 4 . Curricula sind wie Literatur und anderes Lehrmaterial als Hilfsmittel für die Lernenden zu verstehen, die um so wertvoller sind, j e weniger ein Zwang zu ihrer Befolgung ausgeübt wird, weil dann ihre Wirkung ausschließlich von ihrer sachlichen Überzeugungskraft abhängt 1 8 5 . Jeder Versuch aber, sie mit den Mitteln des Rechts oder der Macht durchzusetzen, verletzt nicht anders als überdetaillierte Lehr- und Bildungspläne 1 8 6 das Recht auf Selbstentfaltung.

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Diese Auswahl darf aber nicht heteronom durch eine außenstehende Instanz festgelegt werden, sondern sollte im Laufe des Bildungsgangs in lebendiger Kommunikation innerhalb der jeweiligen Bildungsgruppe Schritt für Schritt erarbeitet werden, abgestimmt auf die vom Lehrenden einzubringenden fachlichen Gesichtspunkte und auf die besonderen Interessen der dieser Gruppe angehörenden Lernenden. So kann gleichzeitig der Gefahr begegnet werden, daß die Bildungsziele nicht mehr dem neuesten Stand der Wissenschaft entsprechen, weil sowohl der Prozeß ihrer Festlegung und laufenden Anpassung als auch der Bildungsprozeß selbst hierfür zu lange dauern. Vgl. Niklas Luhmann/Karl Eberhard Schorr (Hrsg.), Zwischen Intransparenz und Verstehen, Frankfurt/M. 1986, S. 167ff. !83 K.-D. Heymann/E. Stein, AöR 97 (1972), S. 225 f.; vgl. auch Nikolaus Piontek, Zur Entwicklung eines Rechtswissenschaftlichen Curriculums für Pädagogen, RdJB 1977, S. 46 ff. 1 84 Die Wurzel des Übels liegt nicht in der Schule, sondern in der Gesellschaft mit ihren an der Vergangenheit orientierten Idealen. An ihrem Widerstand sind die meisten Bemühungen gescheitert, die Schule den Anforderungen unserer Zeit anzupassen, und das Wenige, das reformiert werden konnte, wurde gegen den Widerstand all derer durchgesetzt, die in ihrer eigenen Schulzeit zu stark geprägt wurden, um noch die Zeitbedingtheit des Prägestempels sehen zu können. Immerhin ist mit der Auflockerung des Unterrichts auf der Oberstufe ein erster Schritt in die notwendige Richtung geglückt. Wir kennen alle aus eigener Erfahrung jene bemitleidenswerten Klassenkameraden, die durch ihre hohe Begabung auf einem Einzelgebiet prädestiniert für die Universität sind, denen aber leider die mathematische oder die Sprachbegabung völlig abgeht. Warum zwingt man sie zur Aneignung der Materie, für die sie nun einmal kein Organ haben? Es läßt sich nicht absehen, wie viele Hochbegabte hierdurch schon von der Lebenstätigkeit, für die sie berufen waren, ferngehalten worden sind. Vgl. E. Stein, a. a. O. (Fn. 18), S. 63 f. 18 5 Vgl. Lutz Dietze, Verfassungsfragen lernzielorientierter Curricula, DVBl. 1975, S. 389 ff. 186 K.-D. Heymann/E. Stein, AöR 97 (1972), S. 226.

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cc) Recht auf Selbstbestimmung Das gewichtigste Bedenken dagegen, schon Schülern ein Selbstbestimmungsrecht einzuräumen, gründet sich auf ihre begrenzte Urteilsfähigkeit. Wenn aber die Schüler einmal erwachsen geworden sind, kann ihnen der volle Gebrauch aller Rechte nicht länger vorenthalten werden. Dazu bedarf es vor allem anderen einer guten Urteilsfähigkeit. Sie ist unabdingbare Voraussetzung für alle Bereiche, in denen der Erwachsene eigene Entscheidungen zu treffen hat, vor allem in Familie, Beruf und Staat. Wenn sie fehlt, nützen auch die besten Spezialkenntnisse nichts. Aus den Verfassungsbestimmungen, die den Staatsbürgern ein Recht zur selbstverantwortlichen Gestaltung ihrer verschiedenen Lebensbereiche garantieren, folgt daher als erste zentrale Leitidee der Bildung ein Recht auf Selbstbestimmung, auf Selbstverwirklichung zur Mündigkeit 187 . Wie das Angewiesensein des Kindes auf die Hilfe von Eltern und Erziehern lediglich die Folge seiner Hilflosigkeit gegenüber der Umwelt schlechthin ist, so zielt auch die Selbstbestimmung auf die Befreiung von Zwängen aller Art. Gerade unter dem Aspekt der Vorbereitung auf den Beruf darf sich Bildung nicht auf die Vermittlung der Voraussetzung eines bloßen Funktionierens im Beruf beschränken. Bildung hat anstelle von Funktionären Menschen heranzubilden, die in der Lage sind, die Auswirkungen ihrer beruflichen Tätigkeit kritisch zu reflektieren und so die Gesellschaftsordnung von ihrer Position im Beruf aus partiell weiterzuentwickeln. Das erfordert, daß die Bildung dem zunehmenden Druck zur Anpassung entschieden entgegenwirkt und besonderes Gewicht auf die Entwicklung derjenigen Fähigkeiten legt, die zur kritischen Reflexion von Gruppennormen und zur Einnahme einer kritischen Distanz gegenüber der gesellschaftlichen Wirklichkeit erforderlich sind 1 8 8 . Schließlich umfaßt die Leitidee der Selbstbestimmung in einem demokratischen Staat auch die Erziehung zur politischen Mündigkeit 189 . Die Schule selbst stellt das Konfliktfeld dar, auf dem die Schüler ihre Rolle als Aktivbürger zu erlernen haben 190 . Um mit Vollendung des achtzehnten Lebensjahres ihrer Verantwortung als Aktivbürger gerecht werden zu können, müssen die Schüler schon vor diesem Zeitpunkt Gelegenheit gehabt haben, in einem überschaubaren Gesellschaftsbereich Konflikte zu erkennen, zu analysieren und auszutragen 191.

187 Vgl. M. Stock, a. a. O. (Fn. 45), S. 148 f., 157 ff. 188 Vgl. Niklas Luhmann/Karl Eberhard Schorr (Hrsg.), Zwischen Absicht und Person, Frankfurt/M. 1992, S. 102ff. 189

Vgl. Knut Nevermann, Persönlichkeit und Schuldemokratie, RdJB 1993, S. 194 ff. 1 90 Vgl. Peter Fauser, Schule und Recht: Schulverfassung. Wege und Umwege zum demokratischen Zusammenwirken in der Schule, RdJB 1987, S. 377 ff. 191 Vgl. Ulrich Preuß, Demokratie und Autonomie, RdJB 1993, S. 161 ff.; Ingo Richter, Schule, Schulverfassung und Demokratie, RdJB 1987, S. 254ff.; Robert Streck, Zur „Machbarkeit" demokratischer Verfahren im Schulwesen, RdJB 1972, S. 114 ff.

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Kap.: Selbstverwirklichungsrecht als Kern des Grundrechts auf Bildung

Das Recht auf Selbstbestimmung ist bei der gesetzlichen Ausgestaltung und bei der interpretatorischen Ausdeutung des Rechtsverhältnisses der Schüler zur Schule zu Grunde zu legen 192 . Aus der Notwendigkeit, die Schüler zur Selbstverwirklichung in Familie, Beruf und Staat zu erziehen, folgt, daß sie mit wachsendem Alter zunehmend Gelegenheit erhalten müssen, eigenverantwortlich gesellschaftliche Aufgaben zu bewältigen und ihre eigenen Interessen kritisch zu reflektieren und zu realisieren 193. Im demokratischen Staat bemißt sich die Eignung einer Person zur Besetzung einer Führungsrolle allein danach, wie stark sie die Wähler von ihrer Qualifikation zu überzeugen vermag. Entsprechend dürfte im Schulwesen grundsätzlich die führende Rolle des Lehrers nicht weiter gehen als seine Überzeugungskraft. Der Versuch, letztere notfalls durch disziplinarische Maßnahmen zu ersetzen, widerspricht dem Bildungsziel der Selbstverwirklichung zur Mündigkeit, insbesondere zur politischen Selbstverwirklichung 194. Denn der junge Mensch darf nicht dann, wenn er mit Vollendung des achtzehnten Lebensjahrs in völliger Gleichberechtigung mit den anderen Aktivbürgern die Verantwortung für das Schicksal des Staates übernimmt, zum erstenmal einer völligen Entscheidungsfreiheit ohne sanktionsbewehrte Korrekturmöglichkeiten ausgesetzt werden. Um ihn auf diese Verantwortungslast vorzubereiten, muß man ihm Gelegenheit geben, sich zuvor im ebenfalls selbständigen Tragen von Verantwortung mit seiner eigenen Selbstbestimmung in einem kleineren, leichter zu überblickenden Kreis zu üben 195 .

b) Elternrecht auf Erziehung in der Schule Pflege und Erziehung der Kinder sind das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht. Über ihre Betätigung wacht die staatliche Gemeinschaft.(Art. 6 Abs. 2 GG) In diesem Zusammenhang stehen die Landesverfassungen (und die ihnen folgenden Landesschulgesetze) nicht im Widerspruch zum Elternrecht auf Erziehung der Kinder. Wichtig aber ist das Elternrecht auf Erziehung der Kinder als ein subjektives öffentliches Abwehrrecht gegen den Eingriff des Bildungsauftrags des Staates, um die Selbstverwirklichung der Kinder in der Schule durchzusetzen.

192 Vgl. Hermann Seilschopp, Die Stellung der Schule im demokratischen Rechtsstaat, RdJB 1970, S. 48 ff. 193 K.-D. Heymann/E. Stein, AöR 97 (1972), S. 219 f. 194 Vgl. Wolf gang Ρ er schei, Die Rolle des Rechts bei der Demokratisierung der Schule, RdJB 1969, S. 33 ff.; Ulrich-Alexander Wille, Die Demokratisierung der Schule, Diss., München 1975. 195 K.-D. Heymann/E. Stein, AöR 97 (1972), S. 220.

D. Geschützte Rechtsgüter des Grundrechts auf Bildung im GG

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aa) Die Entwicklung des Elternrechts Von all den geschilderten Rechtspositionen ist das Elternrecht schon in seiner Ausgestaltung z. Zt. am meisten umstritten. Am klarsten ist noch der katholische Standpunkt196. Seiner Herkunft nach ein Naturrecht 197 , erstreckt sich das Elternrecht primär auf Erziehung und Unterweisung 198 , reicht damit in die Schule hinein. Von evangelischer Seite kann ebenfalls auf eine jahrhundertelange, bis auf Luther zurückgehende Diskussion um das Elternrecht verwiesen werden 199 . Da das protestantische Elternrecht den Erziehungsauftrag des Staates nie bestritten hatte, bezog sich hier das Elternrecht auch auf eine Eltern-Staat-Kooperation im Erziehungswesen. Der Gedanke, die Eltern mit zu den maßgeblichen Trägern der Schule zu machen, wird in Deutschland seit Anfang des 19. Jahrhunderts auf politischer Ebene vertreten 200 ; der Idee nach stammt er aus der französischen Revolution 201 . Hier wird das Modell einer partnerschaftlichen kooperativen, gemeindehaften Schulverwaltung erkennbar, das von der Pädagogik aufgegriffen und neu begründet wurde 202 . Allerdings darf man nicht vergessen, daß damals Erziehung in Elternhaus und Schule unter den einheitlichen Klammern einer christlichen Erziehung gesehen wurde. Auch pädagogisches und konfessionelles Elternrecht bildeten begrifflich noch eine Einheit 203 . Davon konnte nicht mehr ausgegangen werden, als mit der Weimarer Republik die Idee des christlichen Staates keine verfassungsrechtliche Fortsetzung erfuhr. Allerdings fand in Art. 120 WRV das Elternrecht Grundrechtanerkennung 204. Seinem Charakter nach war es ein (deklamatorisches) Abwehrrecht gegenüber dem Staat. Doch Elternbeiratsgesetze folgten 2 0 5 . Wenn zahlreiche Länderverfassungen in der Nachkriegszeit das Elternrecht so stark in die Verfassung eingebaut haben, so geschah dies als Reaktion auf Erfahrungen mit dem Nationalsozialismus. Obwohl damals das konfessionelle Elternrecht im Vordergrund stand und heute eher das pädagogische, so liegt doch beiden die Vorstellung zugrunde, daß trotz aller mangelhaften Erziehung durch ungebilde-

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Axel Frhr. von Campenhausen, Erziehungsauftrag und staatliche Schulträgerschaft, Göttingen 1967, S. 109 ff. 197 Friedrich Lehmann, Das Elternrecht in der modernen Volksschule, 2. Aufl., München 1969, S. 5 f.; vgl. auch Willi Geiger, Das Elternrecht, sein Inhalt und seine Anwendung heute im Bereich der Schule, in: Schulreform und Recht, Köln 1967, S. 33 ff. i9» F. Lehmann, a. a. O. (Fn. 197), S. 5 f. i " Α.. v. Campenhausen, a. a. O. (Fn. 195), S. 129 ff. 200 Hans Ulrich Evers, Verwaltung und Schule, VVDStRL 23 (1966), S. 147 ff. 201 F. Lehmann, a. a. O. (Fn. 197), S. 1 f. 202 Vgl. Lutz Dietze, Schulverfassung und Grundgesetz, Diss., Mainz 1972, S. 87 f. 203 Vgl. T. Oppermann, a. a. O. (Fn. 140), S. 263 f. 204 F. Lehmann, a. a. O. (Fn. 197), S. 6 f. 205 Vgl. Ingeborg Röbbelen, Zum Problem des Elternrechts, Heidelberg 1966, S. 31 ff.

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2. Kap.: Selbstverwirklichungsrecht als Kern des Grundrechts auf Bildung

te, unpädagogische, autoritäre u. ä. Eltern das persönliche Interesse an der Entwicklung hier stärker vorhanden ist als irgendwo sonst 206 . Es ist praktisch für das Kind gut, wenn Eltern über soziale Kontakte mit anderen Eltern und Bemühungen mit Pädagogen oder Psychologen über die Schule (oder die Vorschule und den Kindergarten) informiert werden und sich damit beide Erziehungsebenen stärker als bisher überschneiden 207. Problematisch ist dabei jedoch der Gedanke, ob die aus Elternindividuen bestehende Elternschaft einen Vertretungsanspruch für die Kinder in der Schule besitzt, d. h. an ihrer Stelle Mitbestimmungsrechte wahrnehmen darf, welche Mitbestimmungsrechte der Schüler verdrängen 208. In wesentlich stärkerem Umfang als gegenüber den Lehrern mußte die staatliche Schulgestaltungsmacht unter der gegenwärtigen demokratischen Bildungsverfassung in Gestalt elterlicher Mitwirkung einem anderen legitimen Erziehungsträger Raum geben. Das Grundgesetz hat allerdings, indem es in Art. 6 Abs. 2 Satz 1 das natürliche Recht der Eltern auf Pflege und Erziehung der Kinder besonders hervorhob, damit nicht eine Rangordnung zwischen elterlichen und staatlichen Erziehungsbefugnissen hergestellt. Art. 6 Abs. 2 Satz 2 GG und - für den schulischen Bereich - Art. 7 Abs. 1 GG stehen dem entgegen209. Beide Erziehungsberechtigten sind nebeneinander gestellt; weder bricht das Elternrecht generell das staatliche Schulrecht noch umgekehrt 210 . Die Deutung des beiderseitigen Verhältnisses läßt sich nicht als Rang-, sondern nur als Abgrenzungsfrage verstehen. Damit wurde insbesondere eine Ableitung des einen aus dem anderen Erziehungsrecht (d. h. vor allem schulischer Erziehung im Sinne einer Art Ergänzung für diejenige der Familie) ausgeschlossen211.

bb) Die Bedeutung von Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG im Schulbereich Wie die Mehrzahl der Landesverfassungen 212 anerkennt Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG die Erziehung der Kinder als ein natürliches Recht der Eltern und als ihnen zuvörderst zustehende Pflicht. Damit bestätigt das Grundgesetz, daß „der Mensch sich als Person auch in der Familie verwirklicht und zu dieser Verwirklichung Recht und Pflicht zur Erziehung der Kinder zählen" 213 . 206 L. Dietze. a. a. O. (Fn. 202), S. 241 f. 207 Vgl. Raimund Wimmer, Das pädagogische Elternrecht, DVBl. 1967, S. 809 ff. 208 Vgl. Ursula Fehnemann, Die Bedeutung des grundgesetzlichen Elternrechts für die elterliche Mitwirkung in der Schule, AöR 105 (1980), S. 529 ff. 209 Vgl. T. Oppermann, a. a. O. (Fn. 140), S. 262 f. 210 Vgl. Erwin Stein, Elterliche Mitbeteiligung im deutschen Schulwesen, JZ 1957, S. 11 ff. 211 Vgl. T. Oppermann, a. a. O. (Fn. 140), S. 262 f. 212 Vgl. T. Oppermann, Nach welchen rechtlichen Grundsätzen sind das öffentliche Schulwesen und die Stellung der an ihm Beteiligten zu ordnen? Gutachten C für den 51. DJT, München 1976. 213 BVerfGE 24, 119(143).

D. Geschützte Rechtsgüter des Grundrechts auf Bildung im GG

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Das elterliche Erziehungsrecht umfaßt die Sorge für die geistige, seelische und körperliche Existenz des Kindes und beschränkt sich nicht auf den häuslichen Bereich 214 . Über die nähere Zuordnung des Art. 7 Abs. 3 GG (Religionsunterricht) zu dem von Art. 7 Abs. 1 GG angeordneten Erziehungsrecht des Staates in einem staatlichen Schulsystem ist zu entnehmen, daß die Erziehungsberechtigten das Recht haben, über die Teilnahme des Kindes am Religionsunterricht zu bestimmen. Daß es sich hierbei um ein singuläres, dem Grundrecht der Glaubensfreiheit zuzuordnendes Bestimmungsrecht handelt, verdeutlicht die Gesetzgebung und die Rechtsprechung 215. Sie gestehen den Eltern nicht die Möglichkeit zu, allein aus pädagogischen Gründen über die Teilnahme des Kindes am Schulunterricht oder einzelnen Unterrichts Veranstaltungen zu bestimmen216. Der Sphäre des elterlichen Erziehungsrecht zugeordnet wurde, neben dem konfessionellen Bestimmungsrecht und den individuellen Mitwirkungs- und Anhörungsrechten in der Schule, das Recht auf Wahl des Bildungsweges und der Schule. Es darf allerdings immer nur im Rahmen der vom Staat zur Verfügung gestellten Schulformen geltend gemacht werden 217 . Indessen führt die Sphärentheorie nicht weiter, wenn in Frage steht, ob der Staat bei Wahrnehmung seiner Organisationsgewalt dem Elternrecht hinreichend Rechnung getragen hat. Wenn gar bezweifelt werden kann, ob er das Wahlrecht der Eltern nicht „mehr als notwendig" begrenzt 218 , hilft die Sphärentheorie nicht aus. Sie muß vollends bei der hier wesentlichen Frage nach dem staatlichen Bildungsauftrag zur Bestimmung von Erziehungszielen versagen 219. Wenn es richtig ist, daß Art. 6 Abs. 2 Satz 1 und Art. 7 Abs. 1 GG das Kind sowohl der elterlichen als auch der staatlichen Erziehung unterstellen, beide Erziehungsfunktionen aber im Dienste der Selbstverwirklichung des Kindes stehen, dann ist bei der näheren Abgrenzung der staatlichen Befugnisse mit dem Bundesverfassungsgericht 220 davon auszugehen, daß die Erziehung des Kindes eine gemeinsame Aufgabe von Eltern und Schule ist, die nur in einem sinnvoll aufeinander bezogenen Zusammenwirken erfüllt werden kann.

214 A. v. Campenhausen, a. a. O. (Fn. 195), 33 f. 215 Den Eltern wird auch kein Recht auf eine bestimmte Ausgestaltung der Schule oder auf Eröffnung oder Schließung bestimmter Schulen oder Klassen zugestanden. Auch die Entscheidung über die weltanschauliche und konfessionelle Prägung der Schule überläßt das GG der Landesgesetzgebung, ohne den Eltern, wie dies noch in Art. 146 Abs. 2 WRV vorgesehen war, ein Antragsrecht auf Errichtung von Weltanschauungs- und Bekenntnisschulen zuzugestehen. Vgl. BVerfGE 34,165 (192). 216 Vgl. BVerfGE 22,235 (237). 217 Vgl. BVerwGE 5, 153 (156). 218 BVerfGE 34, 165(185). 219 Vgl. H. U. Evers, a. a. O. (Fn. 144), S. 70 f. 220 Vgl. BVerfGE 34,165 (183); 47,46 (73). 9 Hsu

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2. Kap.: Selbstverwirklichungsrecht als Kern des Grundrechts auf Bildung

cc) Die Schranken des Elternrechts auf Erziehung Das den Eltern gewährleistete Recht ist ihnen zugleich als Pflicht auferlegt. Die Pflicht zur Ausübung der Erziehung ist Voraussetzung der ausschließlichen Überantwortung des Kindeswohls an die Eltern. Denn das Kind ist keine Sache, über die freie Verfügungsgewalt besteht und deren Obhut in das elterliche Belieben gestellt werden kann. Das Kind bedarf der ständigen Fürsorge der Erwachsenen und kann sich unter elterlicher Verantwortung nur entwickeln, wenn die Eltern das ihnen zustehende Recht nicht nur bei dessen Ausübung im Interesse des Kindes, sondern überhaupt und ständig wahrnehmen 221. Anders als bei Art. 14 Abs. 2 GG, der eine Pflichtbindung grundsätzlich nur bei der Ausnutzung des Eigentums bestimmt, nicht hingegen den Gebrauch des Eigentums vorschreibt, besteht beim Elternrecht neben der Bindung bei der Ausübung der Erziehung daher stets auch eine Pflicht zur Ausübung dieses Rechts 222 . Die Pflicht zur Wahrnehmung von Erziehung ist ein wesensbestimmender Bestandteil des Elternrechts. Somit wird die sachliche Gewährleistung des Elternrechts auf den Inhalt der von den Eltern tatsächlich wahrgenommenen Erziehungsverantwortung beschränkt 223. Da das Kind unabhängig davon, ob die Eltern ihrer Pflicht nachkommen (können), erzogen werden muß, überträgt das Grundgesetz ihnen diese nur zuvörderst. Den Staat trifft damit eine nachrangige Erziehungspflicht, soweit die Eltern ihre Verantwortung nicht wahrnehmen 224. Das Wort „zuvörderst" weist den Eltern hingegen nicht ein nur vorrangiges Erziehungsrecht zu 2 2 5 . Eine solche Auslegung widerspricht dem Wortlaut des Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG, der „zuvörderst" nur auf die Pflicht, nicht aber auf das Recht der Eltern bezieht. Innerhalb des von Art. 6 Abs. 1 GG geschützten Lebenskreises steht den Eltern das alleinige Erziehungsrecht zu. Da das Grundrecht die elterliche Erziehung ohnehin nur gegen eine Einflußnahme des Staates ausgrenzt, bedeutete ein den Eltern nur zuvörderst zustehendes Recht für die familiäre Erziehung eine gleichzeitige, mit Art. 6 Abs. 1 GG nicht zu vereinbarende Beschränkung der vor staatlichen Eingriffen geschützen Privatspähre der Familie 226 . Die Möglichkeit einer dem Kind und den Eltern auf221 Vgl. Thomas Vormbaum, Zur Forderung nach gesetzlicher Beseitigung des elterlichen Züchtigungsrechts, RdJB 1977, S. 373 ff. 222 Vgl. Hans-Walter Schlie, Elterliches Erziehungsrecht und staatliche Schulaufsicht im Grundgesetz, Frankfurt/M. 1986, S. 45ff. 22 3 Vgl. BVerfGE 24,119 (143). 224 Vgl. BVerfGE 24, 119 (144); 60, 79 (88). 22 5 Vgl. A. v. Campenhausen, a. a. Ο. (Fn. 195), S. 33 f. 226

Soweit andere Erziehungsträger, wie insbesondere die Religionsgemeinschaften, ein Erziehungsrecht für sich beanspruchen, bleibt es den Eltern überlassen, inwieweit sie das ihnen gewährleistete Recht gemeinsam mit Dritten ausüben wollen. Vgl. Ernst Gottfried Mahrenholz, Elternrecht und Schulreform, RdJB 1976, S. 272ff.; Ottmar Friedrich, Die Erziehungsrechte der Eltern, des Staates und der Kirche in der Volksschule, Diss., Marburg

D. Geschützte Rechtsgüter des Grundrechts auf Bildung im GG

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gedrängten Erziehung durch den Staat wollte der Verfassunggeber aber gerade auch unter dem Eindruck der Jugenderziehung unter der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft ausschließen227. Die Entscheidung darüber, ob die Voraussetzungen für einen Eingriff des Staates in das Elternrecht vorliegen, kann im Interesse des Kindes nicht nur den Eltern, sondern auch dem Staat zustehen228. Um einen Mißbrauch der Ausübung des Wächteramtes im staatlichen Eigeninteresse auszuschließen, muß bereits die Entscheidung über die (teilweise) Entziehung des Erziehungsrechts dem Vormundschaftsgericht zustehen. Dem entsprechen die Regelungen der §§ 1666 und 1666a BGB. Der Staat ist darüber hinaus auch bei der Übernahme seiner nachrangigen Erziehungspflicht an den Inhalt der den Eltern übertragenen Verantwortung gebunden. Er erhält im Falle elterlichen Versagens kein eigenes Erziehungsrecht, sondern übernimmt die den Eltern vom Grundgesetz übertragene Erziehungspflicht und gibt diese an einen dafür geeigneten Vormund weiter 229 . Das Wohl des Kindes und sein insoweit unmittelbar bestehender Anspruch auf Erziehung zu leiblicher, seelischer und gesellschaftlicher Selbstverwirklichung bleiben damit in diesem Falle die Richtschnur für die von der staatlichen Gemeinschaft anstelle der Eltern wahrgenommen Erziehungsverantwortung 230.

dd) Die Selbstverwirklichung des Kindes als Erziehungsziel von Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG So ist heute weithin anerkannt, daß auch der noch aus der Monarchie stammende Ausdruck „elterliche Gewalt" unter dem Grundgesetz keine Herrschaftsrechte über das Kind zu rechtfertigen vermag, sondern daß das Elternrecht in Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG ausschließlich im Interesse der Selbstverwirklichung des Kindes gewährleistet wird 2 3 1 . Die Erziehungsziele, die sich Elternhaus und Schule teilen, gelten einer unteilbaren Persönlichkeit. Mit Recht wird deshalb vor aller „Abgrenzung" in erster 1958; Josef Mandl, Das Elternrecht, in: Johannes Vincke (Hrsg.), Freiburger Theologische Studien, Freiburg 1960. 227 H.-W. Schlie, a. a. O. (Fn. 222), S. 47 f. 228 H.-W. Schlie, a. a. O. (Fn. 222), S. 57f. 229 Vgl. Johannes Münder, Forum: Elterliche Gewalt und schulische Ausbildung des Jugendlichen, JuS 1976, S. 74ff.; Walter Schmitt Glaeser, Das elterliche Erziehungsrecht in staatlicher Reglementierung, Bielefeld 1980; Bruno Kremer, Der Einfluß des Elternrechts aus Art. 6 Abs. II, III GG auf die Rechtmäßigkeit der Maßnahmen des JGG, Diss. Mainz 1984; Helmut Roewer, Rechte und Pflichten junger Menschen zwischen Elternrecht und Staatlicher Einflußnahme, Diss. Konstanz 1982; Wilhelm Surwald, Das Erziehungsrecht der Eltern und des Staates nach dem Grundgesetz, Diss., Tübingen 1961. 230 Vgl. § 1 Jugendwohlfahrtgesetz. 231 M. Stock, a. a. O. (Fn. 45), S. 96 f., D. Reuter, Kindesgrundrechte und elterliche Gewalt, 1968, S. 51 ff. *

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2. Kap.: Selbstverwirklichungsrecht als Kern des Grundrechts auf Bildung

Linie diese „Gemeinsamkeit" der Zielstellung betont. Denn jede Zwietracht zwischen Elternhaus und Schule beeinträchtigt den Erziehungsprozeß und wirkt negativ auf das Kind zurück 232 . Das Bundesverfassungsgericht verwendet deshalb seit langem in seinen Entscheidungen eine Kooperationsformel, die die notwendige Gemeinsamkeit zwischen Elternhaus und Schule beschwört. Sie lautet wie folgt: „Die gemeinsamen Erziehungsziele von Eltern und Schule, welche die Bildung der einen Persönlichkeit des Kindes zum Ziel haben, lassen sich nicht in einzelne Kompetenzen zerlegen. Die ist vielmehr in einem sinnvoll aufeinander bezogenen Zusammenwirken zu erfüllen." 233 Das juristische Problem entsteht erst beim Dissens zwischen Elternhaus und Schule im Einzelfall, erst dann, wenn die Meinungen beispielsweise über das Verhalten und Versagen eines Kindes auseinandergehen, wenn die Auffassungen über anzuwendende Erziehungsmittel und anzustrebende Erziehungsziele differieren 234. Ein solcher Dissens zwischen Elternhaus und Schule im Einzelfall läßt sich aber durch die Kooperationsformel nicht mehr beheben. Die Kooperationsformel setzt immer ein gegenseitiges Arrangement voraus, kann aber naturmäßig nicht das Entscheidungspatt, das sich bei völliger Verhärtung beider Seiten einstellen wird, beheben. In diesem Falle versagt die Kooperationsformel als Verfahrensprinzip. Der Rückgriff auf materielle Abgrenzungsmaßstäbe ist unvermeidlich. Verfahrensrechtliche Kooperation muß durch materiellrechtliche Konkordanz der Erziehungsverantwortungen ersetzt werden 235 . Bewegen sich die Konflikte zwischen Elternhaus und Schule nicht mehr nur im Bereich individuell-konkreter Grundrechtsprobleme oder Erziehungsfragen, sondern betreffen sie eine Mehrheit von Schülern (Klassen, Schulen, Schülergenerationen) gleichermaßen, wie dies beispielsweise bei der Festlegung von Erziehungszielen oder bei der Einführung neuer Unterrichtsfächer der Fall ist, so steht der Staat mehreren Elternhäusern mit unterschiedlichen Erziehungskonzeptionen gegenüber 236 . Ein Ausgleich unterschiedlicher Standpunkte bedeutet in diesem Falle nicht nur die Suche nach praktischer Konkordanz zwischen staatlicher und individueller elterlicher Erziehungskonzeption. Vielmehr ergibt sich in einem multipolaren Verhältnis die Schwierigkeit, auch die unter Umständen gegensätzlichen, jedenfalls aber nicht stets völlig übereinstimmenden Erziehungsvorstellungen ver232 Vgl. Klaus Schwitzke, Verfassungsrechtliche Probleme des Elternrechts im Schulwesen, RdJB 1974, S. 97 ff. 233 BVerfGE 34, 165 (183); 47,46 (74). 234 Fritz Ossenbühl Das elterliche Erziehungsrecht im Sinne des Grundgesetzes, Berlin 1981, S. 118 f.; vgl. Stephanie Bock-Pünder, Rechtsanspruch auf Besuch eines Kindergartens, Berlin 1998, S. 80 ff. 235 Ebenda. 236 Vgl. Ursula Fehnemann, Bemerkungen zum Elternrecht in der Schule, DÖV 1978, S. 489ff.; dies., Elternrecht und Schule, RdJB 1988, S. 444ff.; Knut Nevermann, Der Griff nach der Schulmacht, RdJB 1982, S. 184 ff.

D. Geschützte Rechtsgüter des Grundrechts auf Bildung im GG

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schiedener Elternhäuser, von denen sich jedes auf sein individuelles Elternrecht berufen wird, unter einen Hut bringen zu müssen237. Nach J. Gernhuber sichert das Elternrecht auf Erziehung dem Kind die sinnvolle freie Entfaltung in Lebensphasen; die Eltern seien dem Zweck jener Norm gerecht geworden, wenn sie dem Mündiggewordenen zur Fähigkeit verholfen hätten, als selbstverantwortliche Persönlichkeit zu bestehen238. Das Elternrecht hat also dem Interesse des Kindes zu dienen und darf nicht gegen die Kindesinteressen ausgespielt werden, um auf Sinn und Zweck des Rechts auf Selbstverwirklichung des Kindes abzustellen. Und was für die Erziehung durch die Eltern gesagt wurde, gilt nicht weniger für die Bildung durch die Schule. Auch jeder Lehrer hat zu bedenken, daß er seine Schüler nicht auf ihrem ganzen Lebensweg begleiten kann und daher seine vornehmste Aufgabe darin sehen muß, sie zur Selbstverwirklichung zu führen. c) Pädagogische Freiheit des Lehrers Der Staat kann sich des Kindes nicht bemächtigen, indem er seine Vorstellungen von richtiger Erziehung an ihm durch seine Organe verwirklicht 239 . Zwischen ihm, dem freiheitlichen Staat, und dem Kinde steht im Feld der Erziehung der Lehrer, der insoweit nicht Vollzugsorgan des Staates, sondern schöpferische, freie, in gewissem Sinne unabhängige Erzieherpersönlichkeit ist 2 4 0 . In der Schule hält jeder Lehrer seinen Unterricht selbst 241 . Der Umstand, daß die Kinder dem Einfluß vieler verschiedener Lehrer ausgesetzt werden, ist schon eine Annäherung an die erstrebte Vermittlung der wichtigsten geistigen Strömungen. Erst recht gilt dies, wenn man auf die Schuljugend eines Landes als ganze 237 Vgl. Hans-Peter Füssel, Das Recht der Eltern auf Sonderung - das Recht der Eltern auf Integration, RdJB 1985, S. 187 ff.; Hermann Avenarius I Bernd Jeand'Heur, Elternwille und staatliches Bestimmungsrecht bei der Wahl der Schullaufbahn, Berlin 1992. 238 J. Gernhuber, Elterliche Gewalt heute, FamRZ 1962, S. 89 ff., 92; s. auch Frank-Rüdiger Jach, Elternrecht, staatlicher Schulerziehungsauftag und Entfaltungsfreiheit des Kindes, KJ 1984, S. 85 ff. 239 Vgl. Ilse Staff, Schulaufsicht und pädagogische Freiheit des Lehrers, DÖV 1969, S. 627 ff. 240 Hieraus zieht W. Geiger zwei Konsequenzen. Erstens sei der Staat nicht frei in der Bestimmung der Erziehungsziele; es sei ganz allgemein unzulässig, die Erziehung in öffentlichen Schulen als Mittel zu einem anderen Zweck als dem der Heranbildung eigenverantwortlicher, freier, sittlicher Persönlichkeiten zu gebrauchen. Zweitens sei die staatliche Einwirkung auf die erzieherische Tätigkeit des Lehrers rechtlich begrenzt. Die staatliche Schulverwaltung könne zwar im Rahmen des Notwendigen Unterrichtsstoff, Lehrmittel, Stundenzahl, Klassenziel und äußere Schulzucht regeln. Sie sei aber bei der Beaufsichtigung und disziplinarischen Überwachung des Lehrers auf die Beanstandung des offenkundig Unvertretbaren beschränkt und dürfe keinesfalls in die erzieherische Tätigkeit des Lehrers dirigistisch, aktiv gestaltend eingreifen. Vgl. W. Geiger, a. a. O. (Fn. 5), S. 32 ff. 241 Vgl. Andreas Looser, Die Wissenschaftsfreiheit des Lehrers und die Verfassungstreue des Beamten, RdJB 1980, S. 55 ff.

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2. Kap.: Selbstverwirklichungsrecht als Kern des Grundrechts auf Bildung

schaut 242 . Jeder Versuch, den Lehrern die Freiheit der Unterrichtsgestaltung zu entziehen und höhere Instanzen zu schaffen, die den Unterricht inhaltlich festlegen - sei es auch in der Absicht, seine neutrale Ausgestaltung sicherzustellen - , birgt notwendig die Gefahr, die Tendenz des Unterrichts zu bestimmen, und erhöht die Wahrscheinlichkeit einer einseitigen Ausrichtung des Unterrichts 243 . Die relativ beste Gewähr gegen die einseitige Vermittlung einer Idologie in der Schule wäre daher ein Schutz der Lehrer gegen alle Versuche, ihren Unterricht von außen zu beeinflussen. Dabei versteht es sich von selbst, daß sich jeder Lehrer um Neutralität und Objektivität zu bemühen hat 2 4 4 . Schwere Verstöße hiergegen wären disziplinarisch zu ahnden, wobei die Möglichkeit der Überleitung des Disziplinarverfahrens in ein disziplinargerichtliches Verfahren vor einem Mißbrauch der Disziplinargewalt schützt 245 . Der Lehrer kann aber seine Schüler zur Selbstverwirklichung nur dann erziehen, wenn er sie frei unterrichten darf. Deshalb wird die Schulgesetzgebung die pädagogische Freiheit, die dem Wesen und der Bedeutung der Bildung entspricht, einmal rechtlich sichern müssen 246 . Schülerorientierter Unterricht kann nur stattfinden, wenn der Lehrer einen gewissen Freiraum bei der Auswahl der Unterrichtsinhalte, der Unterrichtsmethoden und der Leistungsbewertung hat 2 4 7 . Sinnvolle Unterrichts- und Erziehungsarbeit setzt voraus, daß dem Lehrer im Unterricht der Spielraum verbleibt, den er braucht, um seiner pädagogischen Verantwortung gerecht zu werden 248 . Aus diesem Grund wird in den Landesschulgesetzen die pädagogische Freiheit des Lehrers gewährleistet, d. h. das Recht des Lehrers, im Rahmen der geltenden Vorschriften eigenverantwortlich zu unterrichten 249. Um einen Kernbestand der pädagogischen 242

Vgl. Martin Stock, Pädagogische Freiheit in erziehungswissenschaftlicher Sicht, RdJB 1988, S. 335 ff. 243 Vgl. Martin Stock, Die pädagogische Freiheit des Lehrers im Lichte des schulischen Bildungsauftrags, RdJB 1986, S. 212 ff. 244 Vgl. Ursula Fehnemann, Pädagogische Freiheit und politischer Auftrag der Schule, DÖV 1972, S. 376 ff. 245 Vgl. Hans Heckel, Pädagogische Freiheit und Gehorsamspflicht des Lehrers, ZBR 1957, S. 217 ff. 246 In die gleiche Richtung gehen die Ausführungen Claus Wilhelm Hoffmanns, Freiheit und Erziehungsprobleme der „verwalteten Schule41, RWS 1962, S. 325 ff., der (auf S. 326) schreibt: „Unser Staatsdenken geht davon aus, daß Kultur nur in Freiheit gedeihen und sich entwickeln kann. Aus dieser Autonomie des kulturellen Bereichs ist lediglich die öffentliche Schule ausgeschlossen. Während es längst eine Staatsreligion, eine Staatskunst nicht mehr gibt und auch den Universitäten die notwendige Selbstverwaltung weitgehend zugestanden wurde, steht das gesamte öffentliche Schulwesen nach wie vor unter der Organisationsgewalt des Staates, der die Kontrolle über jeden Winkel des Bereichs ausübt." 247 Vgl. Theodor Maunz, Gestaltungsfreiheit des Lehrers und Schulaufsicht des Staates, in: H. Maurer (Hrsg.), Das akzeptierte Grundgesetz, Festschrift für Günter Dürig zum 70. Geburtstag, München 1990, S. 269 ff. 248 BVerfGE 47,46, 83.

D. Geschützte Rechtsgüter des Grundrechts auf Bildung im GG

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Freiheit zu sichern, muß deshalb der Gesetzgeber die Kompetenzen der Schulaufsichtsbehörden begrenzen. Dieser Forderung sind einige Länder bereits nachgekommen 250 . Die pädagogische Freiheit findet ihren Grund und ihre innere Rechtfertigung in der Erziehungsaufgabe des Lehrers. Sie ist ihm nicht um seiner selbst, sondern um seiner Funktion willen gewährleistet 251. Die pädagogische Freiheit wird dem Lehrer nicht im eigenen Interesse, sondern im Interesse der Schüler gewährt 252 . Der Lehrer soll seine Arbeit auf die Individualität seiner Schüler ausrichten. Es handelt sich in ihrem Kern nicht um eine personale, sondern um eine auf den Schulzweck, auf die Bildungsinteressen der Schüler bezogene Freiheit 253 . Damit ist auch ihr verfassungsrechtlicher Standort bestimmt. Die pädagogische Freiheit wurzelt in dem Recht der Schüler auf ihre vom Lehrer zu fördernde Selbstverwirklichung (Art. 2 Abs. 1 GG) 2 5 4 . Der Lehrerstand ist mehr als jeder andere dazu berufen, ein Anwalt der Jugend zu sein, aber auch ein Anwalt der pluralistischen Kultur, insbesondere der Selbstverwirklichung des Schülers, und der schülerzentrierten Bildung 255 . Er steht außerhalb der wirtschaftlichen Interessenverbände und der Tagespolitik. Die Tätigkeit der Lehrer sollte auf das Wesentliche und Dauernde gerichtet sein, auf die Bedingungen für die Selbstverwirklichung des Schülers 256. Wie kann ein guter Lehrer seinen Wunsch, den Schülern ihre Selbstverwirklichung zu ermöglichen, in die Tat umsetzen? Er sollte seine persönlichen und objektiven Einstellungen, die für die Schaffung eines entsprechenden Klimas der Selbstverwirklichung des Schülers wesentlich sind, äußern 257. Außerdem wird der Lehrer, der dabei ist, diese Einstellungen zu erlangen, ohne Zweifel seinem eigenen Stil angepaßte Methoden entwickeln, mit denen er Freiheit in seiner Klasse herstellt - Methoden, die aus der eigenen freien und direkten Auseinandersetzung mit seinen Schülern erwachsen. So wird er eine eigene, sich ständig erweiternde 249

Vgl. Wolfgang Gabler, Zum Verhältnis von Verrechtlichung und pädagogischer Freiheit, RdJB 1982, S. 216 ff. 250 Vgl. Frank Hennecke, Versuche einer juristischen Begründung von pägagogischer Freiheit, RdJB 1986, S. 233 ff. 251 Gerhanl Eiselt, Schulaufsicht im Rechtsstaat, DÖV 1981, S. 825; Fritz Ossenbühl, Die pädagogische Freiheit und die Schulaufsicht, DVB1. 1982, S. 1151. 252 VGH Mannheim SPE N.F. 1,514 Nr. 5. 253 Vgl. H.-U. Evers, VVDStRL 23 (1966), S. 147 ff. (181); Dietmar Hantke, Meinungsfreiheit des Lehrers, München 1973, S. 82 ff. 254 G. Eiselt, DÖV 1981, S. 825; vgl. auch Ingo von Münch, Die pädagogische Freiheit des Lehrers, DVB1. 1964, S. 789 ff.; Romberg, Helga, Wissenschaftliche Lehrfreiheit in der Schule, RdJB 1984, S. 134 ff. 255 Vgl. Martin Stock, Pädagogische Freiheit und Schulbuchreglement, RdJB 1992, S. 241 ff. 256 Wolfgang Brezinka, Erziehung - Kunst des Möglichen, München/Basel 1988, S. 157. 257 Vgl. Wolfgang Perschel, Die Lehrfreiheit des Lehrers, DÖV 1970, S. 34 ff.

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2. Kap.: Selbstverwirklichungsrecht als Kern des Grundrechts auf Bildung

Methodologie entwickeln, was unbezweifelbar die beste Strategie ist 2 5 8 . Wichtig ist hier sein pädagogisches Freiheitsrecht auf Selbstverwirklichung des Schülers als ein subjektives öffentliches Abwehrrecht gegen den Eingriff des indoktrinativen Bildungsauftrags des Staates, um die Selbstverwirklichung des Schülers in der Schule durchzusetzen.

Π. Grundrecht des Schülers auf Selbstverwirklichung als Teilhaberecht

1. Die grundrechtstheoretische

Grundlage

Ausgangspunkt der sozialstaatlichen Grundrechtstheorie sind zum einen die Folgewirkungen der liberalen Grundrechtstheorie und der auf ihr aufbauenden bürgerlichrechtsstaatlichen Freiheitsorganisation 259, zum andern die Ersetzung des beherrschten Lebensraums individueller Autarkie durch den sozialen Lebensraum effektiver Sozialleistungen und Sozialbeziehungen260, hervorgerufen durch die allgemeine gesellschaftliche Entwicklung. Die sozialstaatlichen Grundrechtstheorie beruht auf der Erkenntnis, daß für die Mehrzahl der Bürger die sozialen Voraussetzungen zur Realisierung der Grundrechte nicht gegeben sind, sie also weitgehend leere Formeln darstellen, wenn der Staat nicht erst die Voraussetzungen zum Freiheitsgebrauch durch soziale Leistungen schafft. Die Grundrechte müssen daher zugleich in einem gewissem Umfang Leistungsansprüche an den Staat gewähren. Die Grundrechte haben für die Grundrechtstheorie nicht weiter nur negativ-ausgrenzenden Charakter, sondern vermitteln zugleich soziale Leistungsansprüche an den Staat. Als Gewährleistungsinhalt erscheint nicht nur die rechtlich-abstrakte, sondern die reale Freiheit 261 . Auf diesem Hintergrund hat das Bundesverfassungsgericht ausgeführt, daß sich Grundrechte dann zu positiven Teilhaberechten verdichten können, wenn die Grundrechtsverwirklichung eben nur durch staatliche Leistungen garantiert wird, und der Gesetzgeber eine grundrechtskonforme Anspruchsregelung ohne sachliche Gründe nicht getroffen hat 2 6 2 . Ein Recht auf Teilhabe wird vor allem in den Bereichen angenommen, in denen der Staat ein faktisches Monopol besitzt wie etwa im Schul- und Hochschulbereich. Teilhaberechte sind demnach zu verstehen als Rechte auf verhältnismäßige, alle Nutzungsmöglichkeiten ausschöpfende und an Art. 3 Abs. 1 GG orientierte, gleiche Teilhabe an Leistungen und Einrichtungen, die vom Staat bereitgestellt sind 263 . 258 Vgl. Carl R. Rogers, Lernen in Freiheit, Aufl. 3, München 1979, S. 131. 259 Vgl. Manfred Spieker, Sozialstaat contra Rechtsstaat? Der Staat 1984, S. 329 ff. 260 Vgl. Dieter Suhr, Rechtsstaatlichkeit und Sozialstaatlichkeit: Der Staat 9 (1970), S. 83 ff.; Ernst Forsthoff (Hrsg.), Rechtsstaatlichkeit und Sozialstaatlichkeit, Darmstadt 1968. 261 Vgl. Stefan Koslowski, Vom Socialen Staat zum Sozialstaat, Der Staat 1995, S. 221 ff. 262 BVerfGE 35, 79,114f.; vgl. auch 33, 303,330ff.; 39,1,42. 263 E.-W. Böckenförde, NJW 1974, S. 1536; vgl. auch Volker Neumann, Sozialstaatsprinzip und Grundrechtsdogmatik, DVB1.1997, S. 92 ff.

D. Geschützte Rechtsgüter des Grundrechts auf Bildung im GG

133

Die konkrete Grundrechtsgewährleistung wird abhängig von den verfügbaren staatlichen Finanzmitteln. „Wirtschaftliche Unmöglichkeit" erscheint als - notwendige - Grenze grundrechtlicher Verbürgung 264. Aus der Sozialpflichtigkeit des Staates ergibt sich nicht, wie der Staat im einzelnen diese Aufgabe zu bewältigen hat. Aus ihr folgt lediglich das Minimum dessen, was der Staat auf dem Gebiet des Schulwesens zu gewährleisten hat 2 6 5 . Bei der genaueren Bestimmung dieses Minimums ist die Sozialstaatsklausel im Zusammenhang mit den anderen für das Schulwesen bedeutsamen Verfassungsbestimmungen zu sehen, insbesondere mit Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 12 Abs. 1 GG 2 6 6 . Aus Art. 12 Abs. 1 GG folgt, daß der Staat jedem Kind den Besuch derjenigen Schulen ermöglichen muß, deren Durchlaufen Voraussetzung eines Berufs ist, den das Kind wählen kann, der ihm also nicht durch das Fehlen notwendiger persönlicher Voraussetzungen versagt ist 2 6 7 . Aus Art. 2 Abs. 1 GG im engsten Sinne ergeben sich noch weitergehende Folgerungen. Danach muß die Sozialpflichtigkeit des Staates generell auf die Verantwortlichkeit für eine ausreichende Zahl von Schulen aller Schularten ausgedehnt werden 268 , um die Selbstverwirklichung des Schülers durchzusetzen.

2. Grundrechtlich

geschützte Rechtsgüter

a) Das Recht auf Zugang zu den vorhandenen öffentlichen Bildungseinrichtungen Aus dem allgemeinen Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) 2 6 9 in Art. 12 Abs. 1 GG ergibt sich, daß die Aufnahme in eine öffentliche Bildungseinrichtung nur aus Gründen abgelehnt werden darf, die in der Person des Antragstellers liegen und eine unterschiedliche Behandlung der abgelehnten und der aufgenommenen Per264 Wolfgang Martens, Grundrechte im Leistungsstaat, VVDStRL 1972, S. 30; Peter Häberle, Grundrechte im Leistungsstaat, VVDStRL 1972, S. 139. 265 Vgl. Günter Püttner, Grundbedingungen des Haushaltsrechts im Bildungswesen, RdJB 1993, S. 19 ff. 266 Vgl. Ingo Richter, Ausbildungsplätze - eine Planung des Mangels oder eine mangelhafte Planung?, RdJB 1977, S. 94ff.; ders., Berufsbildungsgesetzgebung, RdJB 1981, S. 434ff.; ders., Öffentliche Verantwortung für berufliche Bildung, Stuttgart 1970. 267 Vgl. Ulrich K. Preuß, Ausbildungsfreiheit und Ausbildungsstreik, RdJB 1975, S. 161 ff. 268 Vgl. Hugo Dinter, Die Gesetzgebungskompetenz für die Berufsbildung und ihre Förderung, RdJB 1968, S. 105 ff. 269 Vgl. Hans Heinrich Rupp, Art. 3 GG als Maßstab verfassungsgerichtlicher Gesetzeskontrolle, in: Christian Starck (Hrsg.), Bundesverfassungsgericht und Grundgesetz, Tübingen 1976, S. 364ff.; Werner Böckenförde, Der allgemeine Gleichheitssatz und die Aufgabe des Richters, Berlin 1957; Michael Kloepfer, Gleichheit als Verfassungsfrage, Berlin 1980; Gerhard Leibholz, Die Gleichheit vor dem Gesetz, 2. Aufl., Berlin 1959.

134

2. Kap.: Selbstverwirklichungsrecht als Kern des Grundrechts auf Bildung

sonen rechtfertigen 270. Das Verbot einer staatlichen Einflußnahme auf die Wahl der Schulart bei weiterführenden Schulen läßt sich aber hieraus nicht herleiten; setzt doch jene Einflußnahme gewöhnlich gerade bei den unterschiedlichen Fähigkeiten der Schüler ein, eine Differenzierung, die mit Art. 3 Abs. 1 GG vereinbar ist. Jenes Verbot folgt aber aus Art. 12 Abs. 1 GG, der das Recht garantiert, neben Beruf und Arbeitsplatz auch die Ausbildungsstätte frei zu wählen 271 . Es ist umstritten, ob die Schulen unter den Begriff der Ausbildungsstätten fallen. Die offenbar herrschende Meinung differenziert und rechnet nicht die Volksschulen, aber die weiterführenden Schulen zu den Ausbildungsstätten im Sinne jener Vorschrift 272 . Hierfür spricht, daß bei diesen weiterführenden Schulen (und nur bei ihnen) mit der Schulwahl eine Vorentscheidung für die Berufswahl fällt. Wegen des Zusammenhangs von Ausbildung und Beruf aber hat das Grundgesetz nicht nur die Freiheit der Berufswahl, sondern auch die Freiheit der Wahl der Ausbildungsstätte garantiert. Der Besuch einer weiterführenden Schule ist notwendige Voraussetzung für die Wahl vieler Berufe, so daß jede Beschränkung des Zugangs zugleich faktisch die Freiheit der Berufswahl verkürzt. Ein Kind, dem der Besuch einer höheren Schule nicht gestattet ist, ist damit in der Regel von fast allen höheren Berufen ausgeschlossen273. Der Kerngedanke von Art. 12 Abs. 1 GG, daß der berufliche und soziale Aufstieg ausschließlich von den persönlichen Fähigkeiten jedes Einzelnen abhängig sein soll, gebietet daher die Einbeziehung der weiterführenden Schulen in die Freiheit der Wahl der Ausbildungsstätte274. Der zwangloseste Weg zur Begründung des Verbots staatlicher Einflußnahme auf die Wahl der Schulart bei weiterführenden Schulen ist also die Subsumierung dieser Schulen unter den Begriff „Ausbildungsstätte"275. Am Ergebnis ändert es nichts, da die Bedeutung der Schulwahl für die spätere Berufswahl offenkundig ist. Beispielsweise könnte ein Schüler durch seine Zuweisung an eine nicht zum Abitur führende Schule an der Wahl aller Berufe gehindert werden, die ein Studium voraussetzen. Auch das in Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG garantierte Recht der Eltern auf Pflege und Erziehung ihrer Kinder steht einer staatlichen Einflußnahme auf die Wahl der Schulart entgegen276. Wenn man in den weiterführenden Schulen Ausbildungsstätten im Sinne von Art. 12 Abs. 1 GG sieht, sind die Eltern nicht nur in 270 Vgl. Bernd Clevinghaus, Das Recht auf Zugang zu den öffentlichen Bildungseinrichtungen als Konkretisierung eines grundgesetzlichen Bildungsrechtes, RdJB 1974, S. 321 ff. 271 Vgl. Gero Lenhardt, Gleichheit und Freiheit, RdJB 1993, S. 165 ff. 272

So v. Mangold/Klein, Art. 12 Anm. III 4, und Andreas Hamann/Helmut Lenz, Das Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland vom 23. Mai 1949, 3. Aufl., Neuwied /Berlin 1970, Art. 12 Anm. Β 4. 27 3 Vgl. Manfred Abelein, Ausbildungsforderung im demokratischen Rechtsstaat, RdJB 1969, S. 103 ff. 274

Vgl. Ralf Holland, Die Bedeutung des Grundrechts der Berufsfreiheit im Schulrecht, RdJB 1969, S. 259 ff. 27 5 Vgl. BVerwGE 10, 136 ff., 137; BVerwGE 7, 125 ff., 137; 7, 287 ff., 288. 2 ™ BVerwGE 5, 153 ff., 155.

D. Geschützte Rechtsgüter des Grundrechts auf Bildung im GG

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der Wahl der Schulart frei, sie haben vielmehr im Rahmen der allgemeinen Schranken dieses Grundrechts ein Recht auf die Wahl der konkreten weiterführenden Schule 277 . Mittelbar ergibt sich hieraus ein Recht jedes Einzelnen auf Zugang zu den vorhandenen öffentlichen Bildungseinrichtungen 278. Denn man kann seine grundrechtlich geschütze Entscheidung, einen bestimmten Beruf zu ergreifen, nur verwirklichen, wenn man Zugang zu den Ausbildungsstätten hat, von deren Besuch der Staat die Ergreifung des gewählten Berufs abhängig macht. Jenes Recht ergibt sich somit schon aus dem Grundgesetz 279. Die verschiedenen Bestimmungen in den Landesverfassungen, die es ausdrücklich garantieren, haben nur deklaratorischen Charakter 280 . Jenes Recht ist aber nicht voraussetzungslos. Bevor der Verfassungsjurist diese Voraussetzungen durch eigene Zweckmäßigkeitserwägungen zu bestimmen sucht, hat er die Wertentscheidungen des Grundgesetzes zu berücksichtigen. Da jede Bildung der Persönlichkeitsformung dient, ist wiederum bei Art. 2 Abs. 1 GG anzusetzen 281 , aus dem sich ergibt, daß jede Einflußnahme auf die Persönlichkeitsformung die freie Entfaltung der Persönlichkeit der Einzelnen zu fördern hat 2 8 2 . Der Staat muß daher seine Bildungseinrichtungen nach den verschiedenen Anlagen der Kinder differenzieren. Hieraus folgt, daß jeder die Zulassung nur zu denjenigen öffentlichen Bildungseinrichtungen verlangen darf, die geeignet sind, die freie Entfaltung gerade seiner individuellen Persönlichkeit zu fördern 283 .

277 E. Stein, a. a. O. (Fn. 18), S. 40; vgl. auch Walter Becker, Das Recht auf Erziehung und Berufsausbildung, RdJB 1966, S. 174 ff. 278 Ernst-Werner Fuß, Verwaltung und Schule, VVDStRL 23 (1966), S. 199ff., hier vor allem Leitsatz 4 a (S. 243). 279 BVerwGE 5, 153 ff., 155 ff. 280 E . Stein, a. a. O. (Fn. 18), S. 40. 281 BVerwGE 5, 164 f. 282 Vgl. Knut Nevermann/Ingo Richter, Einleitung: Zur Rechtsstellung der Lehrer, Schüler und Eltern nach dem Grundgesetz, in: Knut Nevermann/Ingo Richter (Hrsg.), Rechte der Lehrer, Rechte der Schüler, Rechte der Eltern, München 1977, S. 19 ff. 283 Der Zugang zu einer höheren Schule darf daher auch, aber nicht nur mit der Begründung verweigert werden, ein Kind würde seine Mitschüler mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit empfindlich hemmen. Zulässig ist auch die Begründung, daß die Schule zur freien Entfaltung der Persönlichkeit eines bestimmten Kindes nicht hinreichend geeignet ist (auch das ist eine „negative Auslese"), nicht aber die Behauptung, eine andere Schule könne die Entfaltung jenes Kindes etwas besser fördern („positive Auslese"): Zwischen den Schulen, die hinreichend geeignet sind, die freie Entfaltung des Kindes zu fördern, haben Kinder und Eltern ein Teilhaberecht. Vgl. BVerwGE 5, 153 ff., 160ff.; H. Becker, a. a. O. (Fn. 4), S. 149 f.

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2. Kap.: Selbstverwirklichungsrecht als Kern des Grundrechts auf Bildung

b) Das Recht auf Schaffung der erforderlichen Bildungseinrichtungen Wenn die vorhandenen Bildungseinrichtungen überfüllt sind, darf der Staat gleichwohl nicht einem Kind die ihm gemäße Ausbildung verweigern. Er hat vielmehr rechtzeitig Vorkehrungen zu treffen, um sicherzustellen, daß jeder die Schule seiner Wahl besuchen kann, sofern er hierfür genügend qualifiziert ist 2 8 4 . Im Bildungswesen ist zu beachten, daß auch bei einer Korrektur des Ausleseverfahrens nicht alle Kinder eine weiterführende Schule oder gar eine Hochschule besuchen können, weil sie womöglich die hierfür erforderlichen Fähigkeiten nicht besitzen 285 . Diese Kinder werden gerade durch die Verwirklichung der Gleichheit der Aufstiegschancen benachteiligt, da ihnen die Voraussetzungen für einen sozialen Aufstieg fehlen 286 . Im Bereich der Vertragsfreiheit 287 hat man längst erkannt, daß es nicht genügt, einer sozial schwächeren Person genauso wie der sozial überlegenen das Recht zu geben, so günstige Vertragsbedingungen wie möglich auszuhandeln288: Die sozial schwächere Person kann mit diesem Recht nichts anfangen, da ihr die dazu erforderliche Sozialmacht fehlt 2 8 9 . Die formale Gleichberechtigung der Verhandlungspartner unter Vernachlässigung ihrer unterschiedlichen Sozialmacht ermöglicht daher, daß der sozial überlegene Partner die Vertragsbedingungen diktiert 290 . Ebenso wenig hilft aber einem Kind, dessen Lernfähigkeit nicht genügend groß ist, das Recht, bei Nachweis einer größeren Lernfähigkeit eine hinreichende Bildung zu erhalten. Das zum Besuch einer weiterführenden Schule nicht geeignete Kind hat ein geeignetes Recht auf Bildung wie das lernfähigere Kind 2 9 1 . Dem Gleichheitssatz kann deshalb hier nur dadurch Genüge getan werden, daß neben der Verwirklichung der Gleichheit der Aufstiegschancen auch die Bildungsmöglichkeiten der weniger lernfähigen Kinder verbessert werden 292 . 284 E. Stein, a. a. O. (Fn. 18), S. 47. 285 Vgl. Ursula Fehnemann, Gleichheitssatz und Bildungsplanung, RdJB 1976, S. 360 ff. 286 Vgl. Ulf Preuss-Lausitz, Soziale Ungleichheit, Integration und Schulentwicklung, Z. f. Päd. 1997, S. 583 ff. 287 Vgl. Ludwig Raiser, Vertragsreiheit heute, JZ 1958, S. 1 ff., 5 f. 288 Vgl. Anneliese Dick/Erika Dingeldey, „Der Verwirklichung des Grundgesetzes eine Chance ...", RdJB 1988, S. 79 ff. 289 Vgl. Len Barton, Die Schuld liegt beim Opfer: Die Unterdrückung behinderter Menschen, in: Heinz Sünker/Dieter Timmermann/Fritz-Ulrich Kolbe (Hrsg.), Bildung, Gesellschaft, soziale Ungleichheit, Frankfurt/M. 1994, S. 306ff. 290 BVerwGE 3, 303 f. 291 Vgl. Gerhard Kluchert, Die soziale Einheitsschule, in: H. Becker/G. Kluchert (Hrsg.), Die Bildung der Nation, Stuttgart 1993, S. 183 ff. 292 Von erziehungswissenschaftlicher Seite wird zunehmend Kritik geübt an der bildungspolitischen Leitvorstellung „sozialer Aufstieg" und an dem Ansatz der „kompensatorischen Erziehung". So hat eine Reihe empirischer Untersuchungen über die Folgen individuellen Aufstiegs ergeben, daß gerade die mit dem individuellen Aufstieg verknüpften Folgen alles andere als geeignet sind, beim Individuum emanzipatorische Prozesse in Gang zu setzen. Im

D. Geschützte Rechtsgüter des Grundrechts auf Bildung im GG

137

So läßt sich ein allmählicher Abbau der sozialen Unterschiede nicht nur durch individuelle Selbstverwirklichung einzelner besonders begabter Unterschichtsangehöriger erreichen, sondern auch durch eine Verbesserung der sozialen Lage der Unterschicht als ganzer 2 9 3 . Geht man von der Annahme aus, daß zwar pädagogisches Handeln nicht schon die Emanzipation zu bewirken v e r m a g 2 9 4 , daß es aber Aufgabe der Pädagogik sein kann, einige wenige der notwendigen Bedingungen dafür zu schaffen 2 9 5 , dann müßte emanzipatorische Bildung darauf abzielen, Arbeiterkinder nicht etwa an die Standards der Mittelschicht anzupassen, sondern sie auf die Selbstbehauptung in einem unterprivilegierten Beruf vorzubereiten 2 9 6 . So würden die Voraussetzungen für eine allmähliche kollektive Emanzipation dieser Schicht geschaffen 2 9 7 . Hierzu gehört die Vermittlung des Wissens, wo sie in dieser Gesellschaft stehen, und die Entwicklung derjenigen Fähigkeiten, die es ihnen ermöglichen, aus jenem Wissen Konsequenzen für das eigene soziale Verhalten zu ziehen 2 9 8 . Das Selbstverwirklichungsrecht des Schülers als Teilhaberecht 2 9 9 hat daher i m Bildungswesen nicht nur einen passiven Aspekt i m Sinne der Gleichberechtigung Gegenteil weisen die Beobachtungen darauf hin, „daß das aufgestiegene Individuum gesellschaftlichen Zwängen ausgeliefert ist, die seiner 'Selbstverwirklichung' vielleicht in noch größerem Maße entgegenstehen als die restringierten Bedingungen seiner Herkunftsschicht". Von dieser Basis aus wird jede auf Steigerung des outputs gerichtete Bildungsreform kritisiert, weil sie nichts anderes als eine Forcierung der schulischen Mobiltät mit Hilfe eines Wettbewerbssystems darstelle. Entsprechende Kritik wird an allen „kompensatorischen" Bildungsprogrammen geübt. Bei aller gebotenen Vorsicht gegenüber dieser Interpretation der empirisch gewonnenen Daten scheint uns doch die Folgerung gerechtfertigt, daß die Reduktion der Gleichheit der Bildungschancen auf eine bloße Gleichheit der Aufstiegschancen eher zu einer Verhärtung der gegenwärtigen sozialen Schichtung als zu einer sozialen Umstrukturierung führt.Vgl. K.-D. Heymann/E. Stein, AöR 97 (1972), S. 207 f. 293 Vgl. Hans-Georg Roth, Demokratisierung der Schule, 2. Aufl., Alfter-Gielsdorf 1977, S. 16 ff. 294 Vgl. Peter Leisink, Bildungspolitik, Spaltung des Arbeitsmarktes und Emanzipation, in: Heinz Sünker/Dieter Timmermann/Fritz-Ulrich Kolbe (Hrsg.), Bildung, Gesellschaft, soziale Ungleichheit, Frankfurt/M. 1994, S. 145 ff. 295 Vgl. Margret Kraul, Gleichberechtigung im Spannungsfeld zwischen Emanzipation und Geschlechtscharakter:Höhere Mädchenbildung im 19. Jahrhundert, RdJB 1988, S. 36 ff. 296 Vgl. Norbert Weber, Privilegien durch Bildung über die Ungleichheit der Bildungschancen in der Bundesrepublik Deutschland, Frankfurt/M. 1973, S. 115ff. 297 Vgl. Lutz Dietze, Nach welchen rechtlichen Grundsätzen sind das öffentliche Schulwesen und die Stellung der an ihm Beteiligten zu ordnen?, DVBl. 1976, S. 593 ff.; Hagen Weiler, Politische Emanzipation in der Schule, Düsseldorf 1973.; ders., Politische Erziehung oder sozialwissenschaftlicher Unterricht? Frankfurt/M. 1985; ders., Erziehungs- und /oder Bildungsauftrag der staatlichen Schule? RdJB 1993, S. 452 ff. 298 Theodor Geiger, Klassenlage, Klassenbewußtsein und öffentliche Schule, in: ders., Arbeiten zur Soziologie, Neuwied 1962, S. 331. 299 Der erwähnte Aspekt vom Selbstverwirklichungsrecht des Schülers als Teilhaberechte (Chancengleichheit) zeigt auch den engen Zusammenhang zwischen Gleichheit und Freiheit im Bildungswesen: Die Gleichheit der Bildungschancen mit dem Ziel einer Verminderung der Ungleichheiten der Chancen zur Selbstverwirklichung in den verschiedenen Berufen und

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2. Kap.: Selbstverwirklichungsrecht als Kern des Grundrechts auf Bildung

bei der Entgegennahme staatlicher Bildungsleistungen300(das Recht auf Zugang zu den vorhandene öffentlichen Bildungseinrichtungen). Auch und vor allem beinhaltet das Teilhaberecht hier einen aktiven Aspekt im Sinne eines Rechts auf Förderung der Entwicklung (das Recht auf Schaffung der erforderlichen Bildungseinrichtungen) gerade derjenigen Fähigkeiten, die erforderlich sind 301 , um sich auch in einem unterprivilegierten Beruf Möglichkeiten für Selbstentfaltung und Selbstbestimmung zu erkämpfen 302 .

ΠΙ. Grundrecht des Schülers auf Selbstverwirklichung als objektive Wertordnung

7. Die grundrechtstheoretische

Grundlage

Der Inhalt der Werttheorie der Grundrechte läßt sich wie folgt charakterisieren. Wie der Staat selbst in seinem sozialen Sein sich als beständiger Integrationsvorgang, und zwar als Integrationsvorgang einer Erlebnis-, Kultur- und Wertgemeinschaft darstellt, so erscheinen die Grundrechte als maßgeblich konstituierende Faktoren dieses Vorgangs, sind Elemente und Mittel der Staatshervorbringung 303. Sie legen grundlegende Gemeinschaftswerte fest, normieren ein Wert- oder Kultursystem, durch das die einzelnen einen materialen Status erhalten, der ihn befähigt, sich in ein Volk nationaler Eigenart zu integrieren 304 . Ihren objektiven Gehalt erhalten sie als Ausfluß der Wertgrundlage des staatlichen Gemeinwesens und Ausdruck einer Wertentscheidung, die dieses Gemeinwesen für sich selbst trifft. Das hat Auswirkungen für den Inhalt der grundrechtlichen sozialen Positionen, auf die das Bildungswesen vorzubereiten hat, läßt sich nur durch eine stärkere Verwirklichung des Prinzips der Freiheit im Bildungswesen erreichen, in diesem Fall durch Entwicklung und Stärkung der Fähigkeiten, die zur Erkenntnis, zur Artikulation und zur besseren Durchsetzung der persönlichen Interessen erforderlich sind. Vgl. Theodor Maunz, Die Chancengleichheit im Bildungsbereich, in: G. Leibholz/F. Joachim/ P. Mikat/H. Reis (Hrsg.), Menschenwürde und freiheitliche Rechtsordnung, Festschrift für Willi Geiger zum 65. Geburtstag, Tübingen 1974, S. 545 ff.; Max Wallerath, Das Recht auf Bildung im Sonderschulbereich, RdJB 1972, S. 129ff.; Annette Birke, Gleichberechtigung in der Schule, Diss., Regensburg 1993. 300 Vgl. Peter Wild, Die Probleme der Bildungsfinanzierung aus Ländersicht, in: W. Böttcher/H. Weishaupt/M. Weiß, Wege zu einer neuen Bildungsökonomie, München 1997, S. 41 ff. 301 Vgl. Lutz-Rainer Reuter, Soziales Grundrecht auf Bildung? Ansätze eines Verfassungswandels im Leistungsstaat, DVB1. 1974, S. 7 ff. 302 K.-D. Heymann/E. Stein, AöR 97 (1972), S. 209; vgl. auch Lutz-Rainer Reuter, Das Recht auf chancengleiche Bildung, Düsseldorf 1975.

303 Rudolf Smend, Verfassung und Verfassungsrecht (1928), unverändert abgedruckt in: Staatsrechtliche Abhandlungen, Berlin 1955, S. 189ff., 264f.; Herbert Krüger, Staatslehre, 2. Aufl., Stuttgart 1966, S. 540 f. 304 Vgl. R. Smend, a. a. O. (Fn. 303), S. 264, 265.

D. Geschützte Rechtsgüter des Grundrechts auf Bildung im GG

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Freiheit. Sie ist jeweils Freiheit zur Realisierung der in den Grundrechten ausgedrückten Werte und im Rahmen der durch die Grundrechte insgesamt aufgerichteten Wertordnung; sie liegt dem werthaft verstandenen staatlichen Ganzen, wie es sich in den Wertentscheidungen der Verfassung ausspricht, nicht voraus, sondern ist von vornherein in es einbezogen305. Die Bestimmung des Grundrechtsinhalts wird eine Frage der Sinnermittlung des darin ausgedrückten Wertes, was nur geisteswissenschaftlich-intuitiv erreichbar erscheint, sowie der Einfügung dieses Wertes in das zugrunde liegende Wertsystem, was nur durch Korrelation mit dem geistig-kulturellen Wertbewußtsein der Zeit ermittelbar ist. Die einzelne grundrechtliche Freiheit wird durch die Wertbeziehung jeden Grundrechts in besonderer Weise relativiert. Aus der Wertbeziehung des Grundrechts ist sie auf die Verwirklichung und Erfüllung des im und durch das Grundrecht ausgedrückten Wertes determiniert 306 . Als „roter Faden" und Grundorientierung für die Selbstverwirklichung des Menschen in der Grundrechtsordnung steht die innerhalb der multikulturellen Gesellschaft sich frei entfaltende menschliche Persönlichkeit. Grundrechte sind unverzichtbarer Bestandteil eines demokratischen Rechtsstaates, der die Selbstverwirklichung des Menschen achtet und sich zur sozialen Gerechtigkeit bekennt. Die in den Grundrechten enthaltenen objektiven Wertentscheidungen, die Leitprinzipien jeder Rechtssetzung und Rechtsauslegung bilden, sind aller staatlichen Gewalt zur größtmöglichen Verwirklichung aufgegeben 307. Eine solche säkulare objektive Wertordnung, die demokratisch konsensfähig ist, trägt der Vielfalt der Selbstverwirklichung des Menschen im pluralistischen Kulturstaat Rechnung. Grundrechte sind folglich nicht nur Abwehr-, sondern auch den Staat verpflichtende objektive Wertordnung, die Selbstentfaltung und die Selbstbestimmung des Menschen zu verwirklichen. Der Staat hat im Rahmen des Möglichen und unter Berücksichtigung des gesetzgeberischen Ermessens die Aufgabe, die rechtlichen, organisatorischen und finanziellen Voraussetzungen zu schaffen, aufgrund derer für die Menschen die Wahrnehmung und Ausübung der Grundrechte faktisch im 305 Ernst-Wolf gang Böckenförde, Das Grundrecht der Gewissensfreiheit, VVDStRL 29 (1970), S. 58.; vgl. auch R. Smend, a. a. O. (Fn. 303), S. 265 f.; H. Krüger, a. a. O. (Fn. 303), S. 542; Udo Di Fabio, Das Recht offener Staaten, Tübingen 1998, S. 75 ff. 306 E.-W Böckenförde, NJW 1974, S. 1534; vgl. auch Peter Häberle, Wertepluralismus und Wertewandel heute, München 1982; Jan Schopp, Grundrechte als Wertordnung, JZ 1998, S. 913 ff. 307 Die Grundrechte statuieren zugleich hier eine objektive Wertordnung, die als verfassungsrechtliche Grundentscheidung für alle Bereiche des Rechts gilt und Richtliien und Impulse für Gesetzgebung, Verwaltung und Rechtsprechung gibt. Die in den Grundrechten verbürgten Leitprinzipien sind aller staatlichen Gewalt als verpflichtender Auftrag zur größtmöglichen Verwirklichung aufgegeben; sie sind Maßstab und Auslegungsregel, aber auch Kompetenzbestimmung und Machtbegrenzung für die rechtsetzende, die vollziehende und die rechtsprechende Gewalt. Vgl. BVerfGE 7, 198, 205; 21, 362, 372; 39, 1, 41.; Ralf Dreier, Recht - Staat - Vernunft, 1. Aufl., Frankfurt/M. 1991, S. 73 ff.

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2. Kap.: Selbstverwirklichungsrecht als Kern des Grundrechts auf Bildung

pluralistischen Kulturstaat ermöglicht wird 3 0 8 . Die Wertentscheidung der Grundrechte lassen sich nur mit Hilfe des Wertbewußtseins der Zeit ergründen, so daß die normierte Freiheit solchen Wandlungen unterworfen ist. Nach Aussage von Art. 2 Abs. 1 GG im engsten Sinne wäre also Erziehung und Bildung in der Schule vom gegenwärtigen Wertbewußtsein im pluralistischen Kulturstaat geprägt, um die Selbstverwirklichung des Schülers durchzusetzen.

2. Grundrechtlich

geschützte Rechtsgüter

a) Unterrichtssystem Nach dem Maß an Selbstverwirklichung, das dem Kind in der Schule zugestanden wird, lassen sich drei typische Unterrichtssysteme unterscheiden. 1) Dem Idealtyp des vollautonomen Unterrichtssystems kommen die Montessori-Schulen nahe. Hier bestimmt der einzelne Schüler weitgehend selbst die Richtung seiner Selbstverwirklichung. Das wird durch bereitstehendes Arbeitsmaterial ermöglicht, mit dessen Hilfe der Schüler nach eigener Wahl sich das Bildungsgut selbst erarbeiten kann. Der Lehrer unterstützt hierbei jeden einzelnen Schüler individuell. 2) Das halbautonome Unterrichtssystem hat mit dem vollautonomen das Ziel gemein, den Schülern eine möglichst individuelle Selbstverwirklichung ihrer Gaben zu ermöglichen; daher wird auch hier den Schülern nicht ein bestimmtes Bildungsziel aufoktroyiert, sondern möglichst weitgehend auf das, was in ihnen selbst zur freien Entfaltung drängt, Rücksicht genommen. Die Vermittlung des Stoffs erfolgt aber im Gegensatz zum vollautonomen System durch einheitliche Unterrichtung der Klassen, weshalb auf den einzelnen Schüler weniger Rücksicht genommen werden kann. Nicht auf ihn, sondern auf die ganze Klasse kommt es an. Aber auch hier sind die Schüler, nicht die Lehrenden oder eine hinter ihnen stehende Instanz der maßgebende Orientierungspunkt. 3) Das heteronome Unterrichtssystem zielt dagegen auf die Vermittlung eines von außen festgelegten Bildungsideals. Die Methode der Stoffvermittlung unterscheidet sich nicht prinzipiell vom halbautonomen System. Es geht aber letztlich nicht um die Selbstverwirklichung der Schüler nach den ihnen immanenten Maßstäben, sondern um ihre Ausrichtung und Anreicherung mit geistigen Gehalten nach Maßstäben, die von außen an sie herangetragen werden. Das prägt sich besonders deutlich in der Art und Weise der Prüfungen aus, die der Ermittlung dienen, inwieweit der Prüfling den verlangten Stoff beherrscht 309 .

308 Vgl. BVerfGE 31, 314, 326; 33, 303, 331; 39, 1, 41 ff.; 46, 160, 164ff.; 53, 30, 71 ff.; vgl. auch Dian Schefold , Erziehung als Wertvermittlung im wertpluralistischen Staat, RdJB 1996, S. 309 ff. 309 E. Stein, a. a. O. (Fn. 18), S. 51; vgl. auch Frank Hennecke, Staat und Unterricht - Die Festlegung didaktischer Inhalte durch den Staat im öffentlichen Schulwesen, Berlin 1972, S. 22 ff.

D. Geschützte Rechtsgüter des Grundrechts auf Bildung im GG

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Der Versuch, die Selbstverwirklichung von außen in eine bestimmte Richtung zu drängen, verletzt den Wesengehalt von Art. 2 Abs. 1 GG im engsten Sinne. Auch die Schule ist ein Mittel der Selbstverwirklichung, das dem Kind von der öffentlichen Hand zur Verfügung gestellt wird, damit sich denjenigen Teil des überkommenen Ideenguts aneignen kann, den es für sein Leben braucht. Wie wir gesehen hatten, vollzieht sich in der Begegnung mit verschiedenen geistigen Strömungen, in der Identifizierung mit oder Distanzierung von ihnen, ein wesentlicher Teil der Ausformung des Einzelnen zu einer individuellen Persönlichkeit 310. Das Bemühen, in dieser Weise zu einer individuellen Persönlichkeit mit einem ganz persönlichen Standort im geistigen Kraftfeld der Gesellschaft zu werden, gehört zu den letzten Zwecken und Interessen des Menschen, deren Verwirklichung der Staat nicht vereiteln darf. Jede Festlegung der Schule auf die Vermittlung eines bestimmten Bildungsideals und jeder Versuch, die Selbstverwirklichung der Schulkinder in eine bestimmte Richtung zu drängen, beeinträchtigen weitgehend die Verfolgung jenes letzten Ziels 3 1 1 . Die Schwere dieses Eingriffs folgt aus der weitgehenden Abhängigkeit der zur Selbstverwirklichung drängenden Kinder von der Schule. Außerhalb von ihr finden sie nicht genügend Möglichkeiten zur Selbstbildung, wie allein schon die Notwendigkeit der schulischen Ausbildung aller Jugendlichen beweist 312 . Daher sind alle Formen des Unterrichts verfassungswidrig, die ganz oder teilweise die Richtung der Selbstverwirklichung von außen festzulegen suchen, die also zwischen den Idealtypen des halbautonomen und des heteronomen Unterrichtssystems liegen 313 . Dagegen läßt sich eine gewisse nivellierende Behandlung aller Kinder je einer Klasse aus praktischen Gründen nicht ganz vermeiden. Der Idealtyp des vollautonomen Unterrichtssystems ist daher nicht rein zu verwirklichen. Aus dem Recht auf individuelle Selbstverwirklichung folgt zwar, daß der Gesetzgeber sich bemühen muß, dem vollautonomen Unterrichtssystem möglichst nahe zu kommen; im übrigen steht aber die konkrete Ausgestaltung des Schulwesens in seinem Ermessen 314 . Um seinen Ermessensspielraum nicht zu sehr einzuengen, wird man wohl alle Formen des Unterrichts, die zwischen dem vollautonomen und dem halbautonomen Unterrichtssystem liegen, für verfassungsgemäß ansehen müssen315. 310 Vgl. Rainer Bubenzer, Unterrichtsrecht, RdJB 1989, S. 207 ff. 311 Vgl. Georgios Gounalakis/Lydia Klose-Mokroß, Rechtsfragen des Nachhilfeunterrichts, RdJB 1994, S. 50 ff. 312 Vgl. Thomas Oppermann, Reform der öffentlich-rechtlichen Wahlfachgruppen?, DÖV 1979, S. 632 ff. 313 Vgl. Walter Buschmann, Der Rechtsunterricht an Schulen, RdJB 1975, S. 315 ff.; Hans Hechel, Rechtsprobleme des Fernunterrichts- und Fernschulwesens, RdJB 1965, S. 85 ff. 314 Vgl. Hagen Weiler, Das verfassungsrechtliche Gebot der Toleranz im politischen Unterricht, RdJB 1978, S. 423 ff. 315 Vgl. Bernhard Stüer, Recht auf unverkürzten Unterricht, RdJB 1986, S. 282 ff. 10 Hsu

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2. Kap.: Selbstverwirklichungsrecht als Kern des Grundrechts auf Bildung

b) Bildungspläne und Prüfungsrichtlinien Der Staat besitzt Schulaufsicht an allen öffentlichen Schulen, übt die Schulhoheit aus und darf damit selbst darüber bestimmen, welche geistigen Strömungen den Schülern vermittelt und in welcher Weise die Kinder in der Schule geformt werden sollen 316 . Das wichtigste Instrument zur staatlichen inhaltlichen Beeinflussung der freien Persönlichkeitsentfaltung in der Schule und des Unterrichts sind die Bildungspläne (Richtlinien, Lehr- und Stoffpläne für die einzelnen Fächer). Sie werden heute vom Kultusminister des Landes bzw. von einer durch ihn beauftragten Stelle festgelegt 317 . Die geltenden Bildungspläne legen nicht nur die Stoffgebiete, sondern weitgehend auch die einzelnen zu behandelnden Gegenstände, ja sogar die Tendenz ihrer Behandlung fest. Ihre Wirkung auf den Unterricht wird ergänzt durch die Prüfungsrichtlinien 318. Da alle weiterführenden Schulen auf bestimmte Prüfungen vorzubereiten haben, wird die Richtung des Unterrichts hier weitgahend durch die Prüfungsanforderungen festgelegt 319. Wer die Bildungspläne und Prüfungsrichtlinien erläßt, beherrscht damit die gesamte Schule. Auch die Schulselbstverwaltung darf jedoch nicht durch eine zuweitgehende zentrale Reglementierung des Unterrichts die freie Selbstentfaltung der Schüler gefährden 320. Als Teil der öffentlichen Verwaltung ist sie ebenso wie die staatliche Verwaltung an die Grundrechte gebunden. Auch sie darf daher die freie Entfaltung der Persönlichkeit der Schüler nur insoweit durch allgemeinverbindliche Richtlinien einschränken, als dies zur Erreichung eines mit dem Grundgesetz zu vereinbarenden Ziels erforderlich ist 3 2 1 . Die zentrale Festlegung der Unterrichtslinie durch Bildungspläne wird gewöhnlich mit der Notwendigkeit einer Vereinheitlichung des schulischen Unterrichts zu 316 Vgl. Heinz Brauburger, Reform der Bildungsverwaltung im Strukturplan des Bildungsrates, RdJB 1971, S. 225ff.; Ulrich K. Preuß, Bildung und Herrschaft, Frankfurt/M. 1975. 317 Vgl. Willi Geiger, Über die verfassungsrechtlichen Grundsätze, nach denen in der Bundesrepublik Deutschland die rechtliche Ordnung im Bereich des Bildungswesens zu gestalten ist, in: Schulreform und Recht, Köln 1967, S. 9 ff. 318 Vgl. Jörg Berkemann, Die »eingeschränkte* richterliche Kontrolle schulischer Leistungsbewertungen- Ursprünge und Ideologien, RdJB 1986,. S, 258 ff.; Hans-Ulrich Evers, Parlamentszuständigkeit zur inhaltlichen Gestaltung von Prüfungs- und Versetzungsordnungen - dargestellt am Beispiel des Schulgesetzes für Baden-Württemberg - , RdJB 1982, S. 336ff.; Ursula Fehnemann, Schultests im Schulrecht, RdJB 1979, S. 266ff.; Hans Heckel, Die Rechtsqualität der Reifeprüfung und der übrigen Schulprüfungen, in: ders./ G. Grüner/ W. Georg /E. Czy borra, Reifeprüfung, berufliche Vollzeitschulen, Berufsausbildung im öffentlichen Dienst, Stuttgart 1976, S, 9ff.; Hermann Hummel, Gerichtsschutz gegen Prüfungsbewertungen, Berlin 1969; Stiebeier Walter, Das Bundesverfassungsgericht und die Entwicklung des Beurteilungsspielraums in Prüfungsangelegenheiten, RdJB 1992, S. 404 ff. 319 Vgl. Robert Brehm, Rechtsstaatliche Prüfungen?, RdJB 1992, S. 87 ff. 320 Vgl. Hermann Avenarius, Schulische Selbstverwaltung-Grenzen und Möglichkeiten, RdJB 1994, S. 256 ff. 321 Vgl. Raimund Wimmer, 1970, S. 65 ff.

Die Rechtspflicht zur öffentlichen Bildungsplanung, RdJB

D. Geschützte Rechtsgüter des Grundrechts auf Bildung im GG

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rechtfertigen gesucht. Ein Bedürfnis nach Einheitlichkeit des Schulwesens besteht zweifellos, soweit es um die Organisation geht, d. h. um alles, was die Unterrichtung einer bestimmten Klasse durch einen bestimmten Lehrer erst ermöglicht 322 : die Gewährleistung der äußeren Voraussetzungen des Unterrichts; die fachliche Gliederung der verschiedenen Schularten und damit verbunden die Anstellung der erforderlichen Fachkräfte; die zeitliche Gliederung der Schulausbildung und damit verbunden die Festlegung, welcher Fachlehrer wann welche Klasse zu unterrichten hat 3 2 3 . Auf diesem organisatorischen Gebiet stehen der Vereinheitlichung des Schulwesens keinerlei verfassungsrechtliche Bedenken entgegen, sofern nur die Zuständigkeit der Länder für das Schulwesen beachtet wird 3 2 4 . Vieles, was in den Richtlinien steht, könnte im Rahmen eines Lehrbuchs für den Lehrer von Nutzen sein 325 . Dagegen ist die Freiheit der Selbstverwirklichung tangiert, wenn es darum geht, - ob und wie weit - über die Vereinheitlichung des organisatorischen Rahmens hinaus auch den Inhalt der einzelnen Unterrichtsstunden und damit die Richtung der auf die freie Persönlichkeitsentfaltung ausgeübten Einflüsse einheitlich zu regeln. Das Bedürfnis nach Vereinheitlichung auf diesem Gebiet hängt davon ab, wie stark der Unterricht von heteronomen Elementen durchsetzt ist 3 2 6 . Somit rechtfertigt das Bedürfnis nach einer gewissen Vereinheitlichung des Schulwesens nicht die Aufstellung von zur detaillierten Bildungsplänen. Diese dürfen dem Lehrer keine Vorschriften darüber machen, welches Ideengut er in jedem Teilbereich seines Fachs zu behandeln hat und dürfen ihn nicht auf eine Tendenz der Darstellung festlegen 327. Auch wenn es staatsunabhängige Stellen sind, die Rahmenpläne und Prüfungsrichtlinien aufstellen, ist jeder Perfektionismus fehl am Platze. An Stelle der Stundentafeln und der genauen Vorschriften über die Stoffverteilung genügen einfache Richtlinien, statt der nachprüfbaren vergleichbaren 322

Vgl. Hans Heckel, Skizze eines Ordnungs- und Organisationsmodells für die Bildungsinstitution, RdJB 1972, S. 1 ff. 323 Vgl. Lutz Dietze, Zum gegenwärtigen Verarbeitungsstand des Schulrechts in Fachbüchern - Eine Übersicht, RdJB 1977, S. 121 ff. 324 Vgl. Christian Starck, Die Entwicklung des Bildungswesens in der Bundesrepublik seit 1945, in: Staat, Schule, Kirche in der Bundesrepublik Deutschland und in Frankreich, Kehl a. Rhein 1982, S. 3 ff. 32 5 Vgl. Walter Schmidt, Bürgerinitiativen - politische Willensbildung - Staatsgewalt, JZ 1978, S. 293 ff. 326

Vgl. Hans Heckel, Gemeinsamkeiten und Gegensätze in der Bildungspolitik der Bundesländer, RdJB 1968, S. 1 ff. 327 In Großbritanien ist die Aufstellung von Bildungsplänen nicht Sache der Kreise und kreisfreien Städte, denen im übrigen die konkrete Verwaltung des Schulwesens obliegt, sondern liegt theoretisch bei den Lehrerkollegien der einzelnen Schulen. Praktisch wird freilich die Entscheidung der Lehrerkollegien und die Stoffauswahl der einzelnen Lehrer weitgehend durch die Rücksicht auf die Prüfungsrichtlinien bestimmt. So ist sichergestellt, daß der Staat zwar seinen Standpunkt vertreten, aber seinen Einfluß nicht mißbrauchen kann. Vgl. E. Stein, a. a. O. (Fn. 18),S.55. 1*

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2. Kap.: Selbstverwirklichungsrecht als Kern des Grundrechts auf Bildung

Ergebnisse eine freie Prüfung der erworbenen Fähigkeiten 328 . Nur dann verbleibt dem einzelnen Lehrer der nötige Spielraum, um gemäß Art. 2 Abs. 1 GG im engsten Sinne stets denjenigen pädagogischen Methoden 329 und Sachgehalten den Vorzug geben zu können, die den Schülern in der konkreten Unterrichtssituation am stärksten die freie Entfaltung ihrer Persönlichkeit ermöglichen 330.

c) Schulbuch In der Praxis 331 wurden Schulbücher zum Ausgangspunkt von Verwaltungsstreitverfahren. Als ein herausragendes didaktisches Medium bedürfen sie der Zulassung durch die für das Schulwesen zuständigen Landesministerien 332. Da staatlich verordneter Unterricht und Erziehung in öffentlichen Schulen ein außergewöhnlich umfassendes und tiefgreifendes Einwirken des Staates auf die davon betroffenen Staatsbürger - noch dazu auf die minderjährigen - darstellen 333 , umfassender, tiefgreifender und folgenreicher als die Wahrnehmung vieler anderer Staatsaufgaben 334, liegt die Möglichkeit von Eingriffen in Grundrechte nahe (insbesondere das Persönlichkeitsentfaltungsrecht des Kindes aus Art. 2 Abs. 1 GG und elterliches Erziehungsrecht aus Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG) 3 3 5 . Wie das Bundesverwaltungsgericht zunächst zutreffend feststellte 336, hat die Schulverwaltung bei ihrer Entscheidung über die Zulassung eines Schulbuchs337 zum Unterrichtsgebrauch den verfassungsrechtlichen Grundsatz staatlicher Neutralität und Toleranz in der Bildung zu beachten. Dies schließt die Verwendung indoktrinierender Schulbücher aus. Das Bundesverfassungsgericht bestätigte die Auffas328 H Becker, a. a. O. (Fn. 4), S. 157. 329 Vgl. Heinrich Dietz, Veränderung der Gesellschaft - Auftrag an die Pädagogik? RdJB 1972, S. 193 ff. 330 Vgl. Hans Heckel/Paul Seipp, Schulrechtskunde, 5. Aufl., Neuwied/Darmstadt 1976, S. 42 ff., 295 ff. 331 Vgl. Hans-Jörg Birk, Schulbuchzulassung - Rechtsfragen der Praxis, in: H.-J. Birk/ Α.. Dittmann/M. Erhardt (Hrsg.), Kulturverwaltungsrecht im Wandel, Professor Dr. Dr. h. c. Thomas Oppermann zum 50. Geburtstag, Stuttgart 1981, S. 47 ff. 332 N. Niehues, Schul- und Prüfungsrecht, 2. Aufl. 1983, Rdnr. 346 b. 333 Vgl. Michael Sauer, Von der „Negativkontrolle44 zur „Schulbuchpolitik44, RdJB 1991, S. 182 ff. 334 Vgl. Frank Hennecke, Schulbücher - Objekt des Ärgers und der Staatsverwaltung, RdJB 1984, S. 461 ff. 335 Albrecht Friesecke /Gisela Friesecke, Rechtliche Grenzen emanzipatorischer Erziehung im staatlichen Schulwesen, DÖV 1996, S. 640. 336 BVerwGE 79, 298 (301 ff.) und Leitsatz 1. 337 Vgl. Dorothea Brinkmann-Herz* Von der Schulbuchgenehmigung zur Kontrolle des Unterrichts: Neue Dimensionen der staatlichen Lernmittelzulassung, RdJB 1980, S. 74 ff.; Brun-Otto Bryde, Anforderungen an ein rechtsstaatliches Schulbuchgenehmigungsverfahren, Frankfurt/M. 1984.; Gerd Stein, Verrechtlichung von Schulbuchgenehmigung und -auswahl: Sicherung pädagogischer Freiheit vor Ort? RdJB 1982, S. 238 ff.

D. Geschützte Rechtsgüter des Grundrechts auf Bildung im GG

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sung, daß ein Eingriff in grundrechtlich geschützte Positionen von Eltern und Kindern erst dann vorliegt, wenn der Staat in der schulischen Erziehung die gebotene Neutralität und Toleranz vermissen läßt, indem eine gezielte Beeinflussung oder gar Agitation im Dienste einer bestimmten politischen, ideologischen oder weltanschaulichen Richtung stattfindet 338 . Die Verwendung der Schulbücher sollte im Hinblick auf etwa entgegenstehende Grundrechte von Schülern und Eltern und im Hinblick auf objektive Wertordnungen der Verfassung im pluralistischen Kulturstaat geprüft werden. Von Bedeutung sind dabei die Abwehrfunktion der Grundrechte von Schülern und Eltern 339 , sowie weiterhin Erziehungsziele 340, die aus objektiv-rechtlichen Wertentscheidungen des Grundgesetzes herzuleiten oder ausdrücklich, vor allem im Landesrecht, geregelt sind 3 4 1 . Die Funktion der Neutralität und der Toleranz stellt sicher, daß die Schule auf der Grundlage einer den Verfassungen und Gesetzen entsprechenden objektiven Wertordnung die angemessene Rücksichtnahme auf die in einer pluralen Gesellschaft 342 unterschiedlichen Kindes- und Elternauffassungen wahrt 343 . Das Bundesverwaltungsgericht beschreibt Indoktrination als einen Mißbrauch staatlicher Bildungsgewalt344. Der „Anspruch auf Selbstverwirklichung und die Entwicklung eigener LebensSinnbestimmungen"345 werden zum Ausgangspunkt des Bildungsverständnisses. Die „kritische Prüfung von gesellschaftlich anerkannten Orientierungen und Wer338 BVerfG, NVwZ 1990, S. 54 - Lesebuch. 339 Vgl. Martin Rehborn, Rechtsfragen der Schulbuchprüfung, in: Klaus Stern (Hrsg.), Studien zum öffentlichen Recht und zur Verwaltungslehre, Band 37, München 1986, S. 53 ff. 340 Vgl. Michael Bothe, Zum ersten Beratungsgegenstand: »Erziehungsauftrag und Erziehungsmaßstab der Schule im freiheitlichen Verfassungsstaat4, DVBl. 1994, S. 1346 ff.; ders. / A. Dittmann/W. Manti /Y. Hangartner, Erziehungsauftrag und Erziehungsmaßstab der Schule im freiheitlichen Verfassungsstaat, VVDStRL Heft 54 (1995), S. 7 ff.; Max-Emanuel Geis, Erziehungsauftrag und Erziehungsmaßstab der Schule im freiheitlichen Verfassungsstaat, RdJB 1996, S. 110ff.; Peter M. Huber, Erziehungsauftrag und Erziehungsmaßstab der Schule im freiheitlichen Verfassungsstaat, BayVBl. 1994, S. 545 ff.; Bodo Pieroth, Erziehungsauftrag und Erziehungsmaßstab der Schule im freiheitlichen Verfassungsstaat, DVBl. 1994, S. 949 ff. 341 Vgl. Wolfgang Hainer, Überforderter Bildungsföderalismus - Schulbuchzulassung und Lehrplan als negative Aspekte regionaler Schulpolitik, RdJB 1980, S. 84 ff. 342 Vgl. Hagen Weiler, Erziehungs- und/oder Bildungsauftrag der staatlichen Schule? RdJB 1993, S. 452ff.; ders., Politische Erziehung oder sozialwissenschaftlicher Unterricht?, Frankfurt/M. 1985. 343 Vgl. Frank-Rüdiger Jach, Die Bedeutung des Neutralitäts- und Toleranzgebotes bei der Entscheidung über die Zulassung eines Schulbuchs zum Unterrichtsgebrauch, RdJB 1989, S.219 ff. 344 BVerwGE 79,298 (301). 345 Bildungskommission Nordrhein-Westfalen (Hrsg.), Denkschrift der Kommission „Zukunft der Bildung - Schule der Zukunft" beim Ministerpräsidenten des Landes NordrheinWestfalen, 1995, S. 31.

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2. Kap.: Selbstverwirklichungsrecht als Kern des Grundrechts auf Bildung

ten" begegnet als unbezweifelter Bestandteil der Bildung 346 . Die Suche nach mehr Gemeinsamkeit in den handlungsleitenden Werten muß die historische Erfahrung berücksichtigen, daß Werte dann Geltung und Wirkung erlangen können, wenn die konkreten gesellschaftlichen Strukturen und Lebensformen ihnen Glaubwürdigkeit geben 347 . Das Bundesverwaltungsgericht beschreibt das Wesen der Emanzipatorischen Pädagogik348dahin, sie wolle im Schüler hauptsächlich die Voraussetzungen zur Selbstverwirklichung entwickeln und ihn dazu befähigen, Gegebenes nicht unkritisch hinzunehmen349. Selbstverwirklichung als Erziehungsziel dieser Denkrichtung bedeutet nicht die Fähigkeit, vernünftig zu handeln, sich selbst zu beherrschen, seine Selbstbezogenheit zu überwinden und sich dem Sittengesetz freiwillig unterzuordnen, sondern die Fähigkeit zur Überwindung von Fremdbestimmung und zur Befriedigung der eigenen Bedürfnisse 350.

d) Lehrerausbildung Fast noch entscheidender als von den Bildungsplänen und Prüfungsrichtlinien hängt die Art und Weise der Bildung, die das Kind in der Schule erfährt, von der Ausbildung ab, die seine Lehrer genossen oder erlitten haben 351 . Die Lehrerausbildung sollte sich bemühen, eine Fülle praktischer Erfahrungen und Beschreibungen von Methoden vorzustellen, die alle dazu eingesetzt werden, 346 Bei der Frage, welche Werte in Bildung und Schule Geltung beanspruchen müssen, findet sich in eine eindrucksvolle Antwort in der Emanzipatorischen Pädagogik, nämlich deren Ziel, die Bindung an bestehende Werte, auch die im Recht vorgegebenen, zu relativieren und damit zu lösen. Vgl. Denkschrift, a. a. Ο. (Fn. 345), S. 71. 347 Denkschrift, a. a. O. (Fn. 345), S. 30. 348 Vorrangiges Ziel der Emanzipatorischen Pädagogik ist die Selbstverwirklichung des Menschen durch die Befreiung von Bindungen an Normen, Herrschaftsverhältnisse, Glaubensüberzeugungen und Institutionen der Gesellschaft. Emanzipatorische Erziehung ist am gesellschaftlichen Konflikt orientiert. Somit ist ein Hauptmerkmal der „emanzipierten" Persönlichkeit die Fähigkeit und Bereitschaft zur Gesellschafts- und Ideologiekritik; diese soll die Distanzierung von kulturellen Bindungen und sozialen Rollen bewirken. Weiteres zentrales Merkmal ist die Fähigkeit und Bereitschaft zur Befriedigung der eigenen individuellen Bedürfnisse. Vgl. W. Brezinka, Die Pädagogik der Neuen Linken, 6. Aufl. 1981, S. 117,150,154. 349 Vgl. BVerwGE 79, 298 (306); Bernd R. Protzner, Das Problem der Lernmittelfreiheit, Klinkhardt 1977, S. 22 ff. 350 Vgl. W. Brezinka, a. a. O. (Fn. 347), S. 153 ff. m. Nachw. 351 Vgl. Wolf gang W. Mickel, Praktische Pädagogik zwischen Recht und Verwaltung, RdJB 1966, S. 10ff.; ders. , Die Position des Lehrers im Schulrecht der Bundesrepublik, RdJB 1975, S. 353 ff.; Günter Püttner, Die Rechtsprechung zur Kündigung von Lehrern aus der ehemaligen DDR, RdJB 1995, S. 22 ff.; Ingo Richter, Die gesetzliche Regelung des Lehrerstatus, RdJB 1979, S. 250 ff.; Gerd Roellecke, Die Exekutionsmacht des Lehrers und ihre Rechtfertigung, DÖV 1976, S. 515 ff.; Hubert Schuler, Der Lehrer, sein Dienstherr und die demokratische Schule, RdJB 1970, S. 230ff.

D. Geschützte Rechtsgüter des Grundrechts auf Bildung im GG

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Lernenden die Freiheit der Selbstverwirklichung zu geben 352 . Deshalb hängt die Selbstverwirklichung des Schülers auch davon ab, ob die Lehrerausbildung 353 in der objektiven Wertordnung funktioniert. Moderne Schule ist schließlich rückbezogen auf objektive Wissenschaft. Dies zeigt sich in der inzwischen konsequent eingeführten wissenschaftlichen Ausbildung der Lehrer, in der Expansion der Erziehungswissenschaften, in der Verwandlung des Lehrplans in das „Curriculum" und in dem Ausbau jeweiliger Fachdidaktiken 3 5 4 . Schule hätte daher an der Entwicklung der Wissenschaft inhaltlich und methodisch unmittelbar teil, wenn die objektive und pluralistische wissenschaftliche Ausbildung der Lehrer verwirklicht würde 355 . Hieraus ergeben sich zwei wichtige Anforderungen, die an die Lehrerausbildung gestellt werden müssen 356 . Erstens muß ihre ideologische Neutralität garantiert sein. Zweitens müssen die künftigen Lehrer in den Lehrerbildungseinrichtungen den Geist der Freiheit aufnehmen können, den sie später in den Schulen verbreiten sollen 357 . Jede einseitige Beeinflussung der Auswahl des Stoffes, den sie sich hier erarbeiten, muß zu einer Einseitigkeit bei der Weitergabe des Bildungsguts in den Schulen führen 358 . Auch bei den Lehrerprüfungen dürfen keine einseitigen Schwerpunkte gesetzt werden. Wird hier in erster Linie ein bestimmtes Wissen abgefragt, darf man sich nicht darüber beklagen, wenn die so ausgebildeten Lehrer später ihren Unterricht auf die Vermittlung eines bestimmten Standard-Wissens beschränken 359.

352 Vgl. Carl R. Rogers, Lernen in Freiheit, Aufl. 3, München 1979, S. 156; Wolf gang Kramp, Studien zur Theorie der Schule, München 1973, S. 116 ff. 353 Vgl. Hermann Giesecke, Effizienzprobleme der Lehrerausbildung, in: W. Böttcher/ H. Weishaupt/M. Weiß, Wege zu einer neuen Bildungsökonomie, München 1997, S. 302 ff.; Jürgen Oelbers, Lehrerbildung - ein ungelöstes Problem, Z. f. P. 1998, S. 3 ff. 354 Vgl. Wolfgang W Michel, Schulrecht und Lehrerbildung, RdJB 1970, S. 259ff.; ders., Das Schulrecht in der Lehrerbildung, RdJB 1975, S. 257 ff. 355 Vgl. Klaus Altermann, Pädagogischer Pluralismus in der akademischen Lehrerinnenbildung Ostmitteleuropas - am Beispiel Lettlands, in: E-R. Jach/S. Jenhner (Hrsg.), Autonomie der staatlichen Schule und freies Schulwesen, Festschrift zum 65. Geburtstag von Johann Peter Vogel, Berlin 1998, S. 157 ff.; Johannes Bechi Lothar Schmidt, Schulreform oder Der sogenannte Fortschritt, Frankfurt/M. 1970, S. 53 ff.; Ulrich Hammer ! Hubert Kutsch, Die Entwicklung der Lehrerrechte in Ausbildung und Beruf, RdJB 1979, S. 85 ff.; Andreas von Prondcynsky, Universität und Lehrerbildung?, Z. f. P. 1998, S. 61 ff. 356 E. Stein, a. a. O. (Fn. 18), S. 62. 357 Vgl. Hans-Peter Schneider, Lehrerbildung im Bundesstaat, RdJB 1979, S. 117 ff. 358 Vgl. Rudolf Knapp, Angelegenheiten der Lehrerfortbildung, RdJB 1982, S. 295 ff. 359 Vgl. Hans Hechel, Die Rechtsstellung des Lehrers zwischen Staat und Gemeinde, ZBR 1956, S. 378 ff.; Friedhelm Hufen, Zur »verrechtlichung4 der Lehrinhalte - Tendenzwende durch eine »pedagogical-puestion-Doktrin* des Bundesverfassungsgerichts? RdJB 1978, S. 31 ff.; Klaus Klemm, Lehrerbedarfsplanung, RdJB 1995, S. 154ff.; Eggert Winter, Lehrerbildung vor Gericht, RdJB 1979, S. 141 ff.

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2. Kap.: Selbstverwirklichungsrecht als Kern des Grundrechts auf Bildung IV. Grundrecht des Schülers auf Selbstverwirklichung als institutionelle Garantie

7. Die grundrechtstheoretische

Grundlage

Der Begriff „Institution" ist unscharf, zumindest mehrdeutig. Seine Wurzeln reichen in die Soziologie, in die Rechtsphilosophie und die Rechtstheologie. So erscheint im spätkonstitutionellen System das Rechtsinstitut der einzelnen Freiheit als deren (objektiv-rechtliche) gesetzliche Ausgestaltung (Freiheit nach Maßgabe des Gesetzes). In diesem Zusammenhang von Rechtsinstituten, in denen das Recht primär Ordnung ist, kann die Freiheit im Sinne einer dem einzelnen verliehenen Berechtigung nur eine Seite dieser Ordnung sein - mit der Folge, daß die gesetzliche Ordnung Vorrang vor der Freiheit des einzelnen hat 3 6 0 . Unter dem Grundgesetz schließlich ist von der ausdrücklichen Verfassungsentscheidung für den Vorrang der einzelnen Freiheitsrechte vor dem Gesetz auszugehen; hier kann das „institutionelle Grundrechtsverständnis" nur mehr Auslegungshilfe für ein besseres Verfassungsverständnis sein 361 . Das Gesetz wie jede rechtsnormative Regelung im Grundrechtsbereich erscheint nicht primär als Beschränkung und Eingriff in die grundrechtliche Freiheit, sondern eher als Ermöglichung und Verwirklichung dieser Freiheit 362 . Inhaltsbestimmende und -ausformende Gesetze können auch dort ergehen, wo ein Grundrecht keinen oder keinen entsprechenden Einschränkungsvorbehalt vorsieht. Die Einbindungen und Beschränkungen der Handlungsfreiheit, die die Gesetze vornehmen, stellen keine „Eingriffe" dar, weil sie der institutionell vorhandenen Freiheit schon begrifflich zugehören 363. Indem die institutionelle Freiheitsgewährleistung wesentlich auf die konkrete Ausformung der Freiheit in realen Ordnungen, Einrichtungen, gestalteten Rechtsund Lebensverhältnissen abstellt, ruft sie zwei scheinbar gegenläufige, in der Sache jedoch zusammengehörige Tendenzen hervor. Die erste ist die Tendenz zur Unantastbarkeit vorhandener Besitzstände oder entstandener einfachgesetzlicher Regelungen. Diese erscheinen, wiewohl in ihrem Verhältnis zum Grundrecht kontingent, einmal vorhanden, leicht als sachgegebene oder gar sachnotwendige „institutionelle Ausformung" 364 oder Realisierung des Gründrechts. Darüber nehmen sie - global oder beschränkt auf den sog. Kerngehalt - an der erhöhten Bestands360 Vgl. Ernst-Wolfgang Böckenförde, Grundrechte als Grundsatznormen, Der Staat 1990, S. 1 ff.; Niklas Luhmann, Grundrechte als Institution, 3. Aufl., Berlin 1986. 361 Walter Schmidt, Die Freiheit vor dem Gesetz. Zur Auslegung des Art. 2 Abs. 1 des Grundgesetzes, AöR 91 (1966), S. 63. 362 Vgl. P. Häberle, Die Wesensgehaltsgarantie des Art. 19 Abs. 2 Grundgesetz, 3. Aufl., Heidelberg 1983, S. 180 ff. ** E.-W. Böckenförde, NJW 1974, S. 1532. 364 Carl Schmitt, Freiheitsrechte und institutionelle Garantie der Reichsverfassung, Berlin 1931, S. 171.

D. Geschützte Rechtsgüter des Grundrechts auf Bildung im GG

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kraft des Grundrechts, der Unangreifbarkeit durch den Gesetzgeber, teil. Das ist der Weg von der Freiheit über die institutionelle Freiheit zum Privileg - die Absicherung des jeweiligen Status quo 3 6 5 . Der Lehre von den institutionellen Garantien geht es um den Schutz wesentlicher, freiheitlich gestalteter privater Lebensbereiche oder öffentlich-rechtlicher Einrichtungen. Durch sie sollen solche Einrichtungen des öffentlichen, staatlichen, politischen, religiösen und privaten Lebens, die der Verfassunggeber für so wertvoll erachtete, daß er sie in einem typusbestimmenden Kern auch gegen legislative Veränderungen abschirmen wollte, verfassungsrechtlich garantiert werden. Die Bedeutung der institutionellen Garantien für den Gesetzgeber liegt darin, daß er sie zwar weitgehend konkretisieren und gestalten kann, daß es ihm aber von Verfassungs wegen verwehrt ist, das „Institut" als solches zu beseitigen oder es in seinem Wesensgehalt, in seinem elementaren verfassungsrechtlich geschützten Bestand, anzutasten366. Grundrechte bezwecken in ihrer institutionellen Sicht gerade nicht, die Grundrechte als subjektiv-öffentliche Rechte zu beeinträchtigen, sondern ihre freiheitliche und demokratische Bedeutung i.S. einer Effektuierung, einer möglichst allgemeinen Verwirklichung der Grundrechte und der faktischen Möglichkeit ihrer Inanspruchnahme zu fördern und zu sichern. Nach dem institutionellen Grundrechtsverständnis haben die Grundrechte vor allem den Charakter objektiver Ordnungsprinzipien für die von ihnen geschützten Lebensbereiche. Das Grundrecht als Institut hängt vom Verhalten der Vielzahl von Individuen und den Willensakten dieser einzelnen ab, so daß sein Freiheitsbereich durch Gebrauch immer von neuem zur Wirklichkeit im Tatsächlichen wird 3 6 7 . Durch gleichförmige Verhaltensweisen im Bereich von Erziehung und Bildung in der Schule, etwa orientiert am vorhandenen Bildungssystem, wird Art. 2 Abs. 1 GG im engsten Sinne zum Institut, dessen Freiheitsbereich in erster Linie zum Zweck eines Vollzuges des institutionellen Gehalts (ζ. B. staatliche Schulaufsicht, Religionsunterricht, Privatschule) normiert ist, um die Selbstverwirklichung des Schülers durchzusetzen.

365 Die andere Tendenz ist die zur Einbindung der subjektiven Freiheit des einzelnen Grundrechtsträgers in grundrechtsbezogene institutionelle Rahmenordnungen, rechtlich gestaltete Lebensverhältnisse u. ä., weil diese zum „Inhalt" der institutionellen Freiheit gehören. Sie stellen daher keine Freiheitsbeschränkung dar, weswegen gegen sie kein Grundrechtsschutz stattfindet. Das ist der Weg von der Freiheit über die institutionelle Sinnerfüllung der Freiheit zur Pflicht, er ist dem Weg von der Freiheit über die institutionelle Freiheit zum Privileg komplementär. Vgl. E.-W. Böckenförde, NJW 1974, S. 1533. 366 Vgl. BVerfGE 24,367,389. 367 Heinhard Steiger, Institutionalisierung der Freiheit? Zur Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts im Bereich der Grundrechte in: H. Schelsky (Hrsg.), Zur Theorie der Institution 2. Aufl., Düsseldorf 1973, S. 110 ff.

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2. Kap.: Selbstverwirklichungsrecht als Kern des Grundrechts auf Bildung

2. Grundrechtlich

geschützte Rechtsgüter

a) Staatliche Schulaufsicht Im Sinne des Art. 7 GG „steht das gesamte Schulwesen unter der Aufsicht des Staates". Aber das Grundgesetz normiert keinen Bildungsauftrag des Staates368. Mit Ausnahme der bereits zitierten „Aufsicht des Staates über das gesamte Schulwesen" enthält der einzige Schulrechtsartikel (Art. 7 GG) lediglich Einzelregelungen zum Religionsunterricht und zu Privatschulen. Aus weiteren Bestimmungen des Grundgesetzes (Art. 30, 142 GG) folgt, daß das Schulwesen Ländersache ist. Dem Bund kommt hier nicht einmal eine Rahmengesetzgebung zu. Allerdings dürfen gem. Art. 142 i.V.m. Art. 31 GG die Länderverfassungen (und die ihnen folgenden Länderschulgesetze) nicht im Widerspruch zu den Grundrechten im Sinne des Grundgesetzes stehen 369 . Nach Art. 7 Abs. 1 GG steht das gesamte Schulwesen unter der Aufsicht des Staates. Diese Verfassungsnorm wird allgemein als institutionelle Garantie 370 für die Staatsaufsicht über alle, d. h. auch private Schulen verstanden 371. Schulaufsicht des Staates meint insoweit nicht die Aufsicht i.S. einer Staatsaufsicht über eine Selbstverwaltungskörperschaft (Schule), sondern umfaßt im Bereich der staatlichen Schulen eine unmittelbare staatliche Gestaltungsbefugnis sowohl über die Verwaltung der Schule als auch ihre inhaltliche Ausrichtung 372 und wird als Inbegriff des staatlichen Bildungsauftrags zur Organisation, Planung, Leitung und Beaufsichtigung des Schulwesens verstanden 373. Art. 7 Abs. 1 GG ermächtigt danach den Staat sowohl zur Ausübung der Schulaufsicht i.S. der behördlichen Überwachung der inneren und äußeren Schulangelegenheiten als auch zur Ausübung der Schulhoheit 374 . Auch impliziert Art. 7 Abs. 1 368 Vgl. Jürgen Baumert, Bürokratie und Selbständigkeit - Zum Verhältnis von Schulaufsicht und Schule, RdJB 1980, S. 437 ff. 369 Vgl. Gerhard Eiselt, Ein höchst gefährlicher Vorschlag: Schulaufsicht als reine Rechtsaufsicht, RdJB 1981, S. 168 ff.; Gunnar Folke Schuppert, Staatsaufsicht im Wandel, DÖV 1998, S. 831 ff. 370 Friedrich Klein, Das Bonner Grundgesetz, Kommentar, Bd. 1, 2. Aufl., Berlin 1957, Art. 7 Anm. III 1 b, 2; Bruno Schmidt-Bleibtreu/Franz Klein, Kommentar zum GG, 5. Aufl., Bonn 1980, Art. 7 Rdnr. 3; Hans Peters, Elternrecht, Erziehung, Bildung und Schule, in: Κ Α. Bettermann/ H. C. Nipperdey/U. Scheuner (Hrsg.), Die Grundrechte, Bd. 4, Berlin 1960, S. 369 (403). 371 F. Klein, Art. 7, Anm. III 2; Potrykus, Gerhard, Private Unterrichtserteilung und Staatsaufsicht, RdJB 1966, S. 41 ff.; B. Schmidt-Bleibtreu/F. Klein, Art. 7, Rdnr. 8; BVerfGE 27,

201.

372 Vgl. A. v. Campenhausen, a. a. O. (Fn. 195), S. 21; H.-U. Evers, a. a. O. (Fn. 144), S. 55; F. Hennecke, a. a. O. (Fn. 309), S. 108 f.; M. Stock, a. a. O. (Fn. 45), S. 77. 373 BVerfGE 47, 46 (80); BVerwGE 47, 194 (198); Vgl. N. Niehues, a. a. O. (Fn. 332), S. 9 f. 374 H. Heckel/ H. Avenarius, a. a. O. (Fn. 26), S. 165; E. Stein/M. Roell, a. a. O. (Fn. 87), S. 24.

D. Geschützte Rechtsgüter des Grundrechts auf Bildung im GG

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GG nach dem herrschenden Schulverfassungsverständnis die zentrale Organisationsplanung und -gestaltung, also Struktur, Aufbau und Trägerschaft der Schulwesens in seiner Gesamtheit; die inhaltliche Ausrichtung der Schule durch Normierung der Bildungsziele, Lernziele und -inhalte, durch Entwicklung und Revision verbindlicher Richtlinien, Curricula und Lehrpläne 375 ; die Festlegung zentraler Leistungs- und Bewertungsstandards; die Ordnungen der Schulverfassung, der Rechtsstellung des Lehrers, der Schulpflicht und des Schulverhältnisses mit allen seinen Inhalten und Folgerungen 376; die Zulassung von Schulbüchern und sonstigen Lernmitteln, die Bekanntgabe der Stundentafeln und der Lehrpläne in ihren Einzelheiten, die Festlegung der Mindestanforderungen für Bau und Ausstattung der Schulen und zahlreiche andere Maßnahmen normierender und gestaltender A r t 3 7 7 . Die Vorschrift des Art. 7 Abs. 1 GG wird so in ihrer Grundkonzeption als die Fortführung der Staatsbezogenheit des Schulwesens angesehen, die Unterricht und Bildung in den Schulen grundsätzlich als öffentlich-rechtliche Tätigkeit in der Verantwortung des Staates betrachtet 378. Insofern gehe Art. 7 Abs. 1 GG mit der Schulaufsicht des Staates auch von einem staatlichen Bildungsauftrag aus 379 , so daß unter staatlicher Schulaufsicht immer auch ein Bildungsauftrag zu verstehen sei 3 8 0 . Dementsprechend gehen höchstrichterliche Rechtsprechung und Schrifttum durchweg davon aus, daß die staatliche Erziehung in der Schule in Art. 7 Abs. 1 GG ihre grundsätzliche verfassungsrechtliche Grundlage findet 381. Dem Staat obliegt danach in der Schule nicht nur die Unterrichtung und Bildung der Kinder in Form der Vermittlung von Wissen, sondern ebenso die Erziehung der Schüler 382 . 375 Vgl. Hans Heckel, Umfang und Grenzen der Schulaufsicht, DÖV 1952, S. 617 ff.; ders., Schulfreiheit und Weisungsrecht der Schulaufsichtsbehöreden, ZBR 1966, 84ff. 376 Vgl. Lutz R. Reuter, Schulaufsicht und Schulvielfalt, RdJB 1992, S. 378 ff. 377 H. Heckel/ H. Avenarius, a. a. O. (Fn. 26), S. 165 f. 378 Vgl. A. v. Campenhausen, a. a. O. (Fn. 195), S. 23; N. Niehues, a. a. O. (Fn. 332), S. 7; T. Oppermann, a. a. O. (Fn. 140), S. 237, 252. 379 N. Niehues, a. a. O. (Fn. 332), S. 22. 380 u. Fehnemann, Bemerkungen zum Elternrecht in der Schule, DÖV 1978, S. 489 (491) m. w. N. 381 / Berkemann, a. a. O. (Fn. 19), S. 102 (107); Ernst-Wolfgang Böckenförde, Zum Ende des Schulgebetsstreits, DÖV 1980, S. 323; B. Clevinghaus, a. a. O. (Fn. 41), S. 348 b; L Dietze, Schulverfassung und Grundgesetz, Diss. Mainz 1973, S. 262; H.-U. Evers, a. a. O. (Fn. 144), S. 35; H. Heckel/P. Seipp, a. a. O. (Fn. 330), S. 266; Jürgen Kohl, Schule und Eltern in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, in: W. Zeidler/Th. Maunz/ G. Roe Hecke (Hrsg.), Festschrift zum Hans Joachim Faller, München 1984, S. 201 (202 f.); N. Niehues, a. a. O. (Fn. 332), S. 10; T. Oppermann, a. a. O. (Fn. 140), S. 190; Fritz Ossenbühl, Rechtliche Grundfragen der Erteilung von Schulzeugnissen, Berlin 1978, S. 40. 382 Die extensive Interpretation des Begriffs der staatlichen Schulaufsicht basiert letztlich auf der alten Angst der , Kulturpolizei ' vor gesellschaftlichem Einfluß auf das Schulwesen und der vermeintlichen Gefahr, die Kontrolle über die Bürger und ihr Verhalten zu verlieren. Vgl. F.-R. Jach, a. a. O. (Fn. 48), S. 12; Fritz Ossenbühl, Zur Erziehungskompetenz des Staates, in: W. J. Habscheid/H. F. Gaul (Hrsg.), Festschrift für Friedrich Wilhelm Bosch zum 65. Geburtstag, Bielefeld 1976, S. 751 ff.

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2. Kap.: Selbstverwirklichungsrecht als Kern des Grundrechts auf Bildung

In diesem Sinn führt das Bundesverfassungsgericht aus, daß sich „der Lehr- und Erziehungsauftrag der Schule nicht darauf beschränkt, nur Wissen zu vermitteln. ... Die Aufgaben der Schule liegen auch auf erzieherischem Gebiet" 383 . Dem staatlichen Erzeihungsauftrag entsprechend gehört danach zum staatlichen Gestaltungsbereich auch die Festlegung der Unterrichts- und Erziehungsziele 384. Der Auftrag der Schule, den Art. 7 Abs. 1 GG nach der Auffassung des Bundesverfassungsgerichts voraussetzt, hat neben der Aufgabe, Wissensstoff zu vermitteln, insoweit „auch zum Inhalt, das einzelne Kind zu einem selbstverantwortlichen Mitglied der Gesellschaft heranzubilden" 385. Die Institution Schule ist demnach nicht notwendig nur eine Anstalt zur Erschließung und Förderung von Begabungen, sie soll auch zur Selbstverwirklichung des Schülers und zu seiner Eingliederung in die Gesellschaft durch die Anerkennung der verfassungsmäßigen Ordnung beitragen 386 , weil sie eine institutionelle Garantie vom Selbstverwirklichungsrecht des Schülers als Kern des Grundrechts auf Bildung im verfassungsrechtlichen Sinne ist 3 8 7 . b) Religionsunterricht Art. 7 Abs. 3 Satz 1 GG bedeutet für den einfachen Gesetzgeber eine institutionelle Garantie im Sinne der Gewährleistung einer im öffentlichen Recht verwurzelten Einrichtung 388 . Abgesehen von vertragsrechtlichen Bindungen könnte eine solche institutionelle Garantie nur im Wege der Verfassungsänderung beseitigt werden 389 . Der Religionsunterricht hat schon in der alten Bundesrepublik immer wieder gerechtfertigt 390 werden müssen. Diese Notwendigkeit wird in den östlichen Bundes383 BVerfGE 47,46 (72). 384 Vgl. BVerfGE 47,46 (71 f.). 385 BVerfGE 47,46 (72). 386 Unter Bereitstellung von Erziehungs- und Bildungseinrichtungen stellt die Schulaufsicht dabei sicher, daß das Schulwesen nicht einzelnen gesellschaftlichen Gruppen oder individuellen Interessen ausgeliefert wird, sondern alle wesentlichen gesellschaftlichen Gruppen und Richtungen Berücksichtigung finden. Vgl. BVerfGE 34, 165 (188). 387 Vgl. Hans Heckel, Schulfreiheit und Schulaufsicht, ZBR 1965, S. 129ff.; Karl-Heinz Ladeur, Schulvielfalt und staatliche Schulaufsicht, RdJB 1991, S. 263 ff. 388 Vgl. Ingo Richter, Der Religionsunterricht als institutionelle Garantie, RdJB 1996, S. 295 ff. 389 Axel Frhr. von Campenhausen, Christlicher Religionsunterricht an öffentlichen Schulen, in: Wolfgang Greive (Hrsg.), Gott im Grundgesetz?, Rehburg-Loccum 1994, S. 96. 390 Sittliche Erziehung hat ihre Verwurzelung auch in der Religion. Hieraus kann man auch ein Element der Rechtfertigung ableiten, das die traditionelle Begründung des Religionsunterrichts in Deutschland hinter sich läßt und eine weltliche Begründung im säkulären modernen Staat erlaubt. Wenngleich Art. 7 Abs. 3 S. 1 GG eine Organisationsnorm darstellt, ist doch anerkannt, daß Art. 7 Abs. 3 S. 2 GG, wonach der Religionsunterricht in Übereinstimmung mit den Grundsätzen der Religionsgemeinschaften ist. Vgl. Alexander Holler-

D. Geschützte Rechtsgüter des Grundrechts auf Bildung im GG

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ländern noch stärker empfunden werden, wo Religionsangehörige im Verhältnis zu Dissidenten eine Minderheit darstellen 391 . In ganz Deutschland gilt, daß der freiheitlich demokratische Staat das Recht besitzt, die Freiheit seiner Staatsbürger zu schützen und zu fördern. Da in Deutschland Schulpflicht besteht, gehört zu den hier zu beachtenden Freiheiten in ganz besonderem Maße die Religionsfreiheit 392. Es besteht ein Recht darauf, daß die Kinder nicht von Staats wegen zwangsweise so erzogen werden, als gäbe es weder Gott noch Kirche noch religiöse Tradition. Die Religionsfreiheit gilt auch in öffentlichen Anstalten 393 . Das Bundesverfassungsgericht hat in einer Reihe von Entscheidungen auf die in die Grundrechtssphäre hineinreichende Legitimation des Religionsunterrichts hingewiesen. Der Zusammenhang von staatlicher Pflichtschule und Religionsunterricht in derselben stehen in engem Zusammenhang394. Das Gericht hat dabei wiederholt zum Ausdruck gebracht, daß das Grundgesetz innerhalb des Gesamtbereichs Erziehung das individualrechtliche Moment verstärkt und den Eltern einen Erziehungseinfluß eingeräumt hat. Es spricht in diesem Zusammenhang von der gemeinsamen Erziehungsaufgabe von Eltern und Schule, welche die Bildung der eigenen Persönlichkeitsentfaltung des Kindes zum Ziel hat 3 9 5 . Die Teilnahme am Religionsunterricht ist freiwillig 396 . Es handelt sich also um Lehrveranstaltungen speziell für die Angehörigen bestimmter Religionsgemeinschaften. Damit entfällt die Verpflichtung des Lehrers zur Neutralität gegenüber den Kindern, die nicht dieser Religionsgemeinschaft angehören 397. bach, Grundlagen des Staatskirchenrechts, in: J. Isensee/P. Kirchhof (Hg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 6, Heidelberg 1989, § 138 Rdnr. 36, Rdnr. 43. 391 Vgl. Michael Frisch, Die Bremer Klausel und die neuen Bundesländer, DtZ 1992, S. 144f.; Sven Leistikow/Hans-Jürgen Krzyweck, Der Religionsunterricht in den neuen Bundesländern, RdJB 1991, S. 308 ff.; Ludwig Renck, Religionsunterricht in den neuen Bundesländern, LKV 1993, S. 88 f.; ders., Rechtsfragen des Religionsunterrichts an den öffentlichen Schulen der neuen Bundesländer, ThürVBl. 1993, S. 102ff.; Bernhard Schlink, Religionsunterricht in den neuen Ländern, NJW 1992, S. 1008 ff.; Eckart Schwerin, Die Einrichtung des Religionsunterrichtes in den neuen Ländern, RdJB 1992, S. 311 ff.; Jörg Winter, Zur Anwendung des Art. 7 III GG in den neuen Ländern der Bundesrepublik Deutschland, NVwZ 1991, S. 753 ff.; Wolf Reinhard Wrege, Zum Religionsunterricht in den neuen Ländern (Art. 7III 1, 141 GG), LKV 1996, S. 191 ff. 392 Vgl. Hartmut Albers, Glaubensfreiheit und schulische Integration von Ausländerkindern, DVB1. 1994, S. 984 ff. 393 Es wäre zynisch, wollte der Staat einerseits Schulpflicht verordnen und damit die Lebenskraft der Kinder im bildungsfähigen Alter ganz in Beschlag nehmen, gleichzeitig aber den Bereich der Religion ignorieren und religiöse Informationen im Rahmen der allgemeinen Wissensvermittlung ausblenden. Vgl. A. v. Campenhausen, a. a. O. (Fn. 389), S. 96 ff. 394 Vgl. Heinz Brauburger, Religionsunterricht in der Rechtsprechung, RdJB 1989, S. 251 ff. 395 BVerfGE, 34, 165 (254), BVerfGE 53, 360 (379). 396 Vgl. Dieter Carmesin, Die Anhörung im brandenburgischen Landtag zur Einführung des Unterrichtsfachs „Lebensgestaltung - Ethik - Religionskunde", RdJB 1996, S. 351 ff.

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2. Kap.: Selbstverwirklichungsrecht als Kern des Grundrechts auf Bildung

Der Auftrag, Religionsunterricht zu erteilen, ist also kein Freibrief für den religiösen Zwang der Kinder im Sinne einer bestimmten Einzellehre 398 . Die großen Religionsgemeinschaften sind weit genug, um jedem Kind Raum für die Entwicklung einer persönlichen, ihm gemäßen Glaubenshaltung zu bieten 399 . Der Religionslehrer hat diesen Raum nicht zu beschneiden, hat dem Kind nicht die vielen möglichen Wege durch Beschränkung auf einen einzigen zu verdecken, sondern ihm behutsam Hilfe zu leisten 400 , um auch auf diesem Gebiet sein Selbstverwirklichungsrecht als Kern des Grundrechts auf Bildung im verfassungsrechtlichen Sinne durchzusetzen. c) Privatschule Für pädagogische Alternativen als Ausdruck von Selbstverwirklichung des Schülers sind Eltern und Kinder derzeit allein auf Schulen in freier Trägerschaft, sogenannte Privatschulen, angewiesen, die damit eine wesentliche gesellschaftliche Auffangfunktion wahrnehmen 401. Diese tragen wesentlich dazu bei, ein Schulsystem zu gewährleisten, welches den verschiedenen Wertvorstellungen über die Erziehung in der Gesellschaft entspricht und nicht nur religiös-weltanschauliche, sondern insbesondere auch pädagogische Alternativen gegenüber dem Unterricht im staatlichen Schulsystem mit seiner primär intellektuell - kognitiven Ausrichtung eröffnet 402 . Mit der Gewährung des Rechts auf Errichtung privater Schulen gemäß Art. 7 Abs. 4 GG haben die Eltern zunächst die Wahl und das freie Entscheidungsrecht zwischen staatlicher und privater Schule 403 . Dieses Wahlrecht ermöglicht es den 397

Vgl. Klaus Goßmann, Religionsunterricht in ökumenischer Offenheit, MD 1994, S. 46 ff.; Helmut Hanisch/Detlef Pollack, Der Religionsunterricht im Freistaat Sachsen, ZEE 39(1995), 243 ff. 398

Vgl. Stefan Muckel/Reiner Tillmanns, „Lebensgestaltung-Ethik-Religionskunde" statt Religionsunterricht?, RdJB 1996, S. 360ff.; Karl Ernst Nipkow, Religionsunterricht im künftigen Europa, in: U. Nembach (Hrsg.), Informationes Theologiae Europae, Frankfurt/M. 1995, S. 357 ff. 399 Vgl. Holger Kremser, Das Verhältnis von Art. 7 Abs. 3 Satz 1 GG und Art. 141 GG im Gebiet der neuen Bundesländer, JZ 1995, S. 928 ff. 400 Vgl. Ludwig Renck, Zur grundrechtlichen Bedeutung von Art. 7 III GG, NVwZ 1992, S. 1171 f. 401 Vgl. Hans Heckel, Entwicklungslinien im Privatschulrecht, DÖV 1964, 595 ff.; Ingo Richter, Die Privatschule als „Schule der Zukunft"?, in: F.-R. Jach/S. Jenkner (Hrsg.), Autonomie der staatlichen Schule und freies Schulwesen, Festschrift zum 65. Geburtstag von Johann Peter Vogel, Berlin 1998, S. 17 ff.; Elmar Schlaf, Die Aufsicht über Privatschulen, Diss., Münster 1968.; Johann Peter Vogel, Zu einem Recht der freien Schule, RdJB 1970, 11 ff.; ders., Der Status der Schulen in freier Trägerschaft nach dem Entwurf des Deutschen Juristentags für ein Landesschulgesetz, RdJB 1981, S. 214 ff. 402 Vgl. Hermann Avenarius, Gesetzesvorbehalt und Privatschulrecht, in: Gutachten für die Kommission Schulrecht des Deutschen Juristentages, Schule im Rechtsstaat, Bd. 2, München 1980, S. 153 ff.; Jochen Abr. Frowein, Zur verfassungsrechtlichen Lage der Privatschulen, Berlin 1979.

D. Geschützte Rechtsgüter des Grundrechts auf Bildung im GG

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Eltern in gewissem Rahmen, ihren Kindern eine nach eigenen Vorstellungen geprägte Erziehung und Bildung in der Schule zu vermitteln. Insofern korrespondiert das Recht der Eltern (auch mit anderen Träger) zur Errichtung von Privatschulen mit dem elterlichen Erziehungsrecht 404, um die Selbstverwirklichung ihrer Kinder zu schützen, und ist als eine grundsätzliche Absage an ein staatliches Schulmonopol zu verstehen 405. Das Bundesverfassungsgericht hat insoweit in seiner grundlegenden Entscheidung zur Privatschulsubventionierung 406 den freiheitssichernden Aspekt der institutionellen Garantie der Institution des privaten Ersatzschulwesens deutlich herausgearbeitet: „Die Privatschulfreiheit 407 ist im Blick auf das Bekenntnis des Grundgesetzes zur Würde des Menschen (Art. 1 Abs. 1 GG), zur freien Entfaltung der Persönlichkeit in Freiheit und Selbstverantwortlichkeit (Art. 2 Abs. 1 GG), zur Religions- und Gewissensfreiheit (Art. 4 Abs. 1 GG), zur religiösen und weltanschaulichen Neutralität des Staates und zum natürlichen Elternrecht (Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG) zu würdigen 408 . Diesen Prinzipien entspricht der Staat des Grundgesetzes, der für die Vielfalt der Erziehungsziele und Bildungsinhalte und für das Bedürfnis seiner Bürger offen sein soll, in der ihnen gemäßen Form die eigene Persönlichkeit und die ihrer Kinder im Erziehungsbereich der Schule zu entfalten." 409 Mit der institutionellen Garantie der Privatschule korrespondiert daher das Recht des Schulträgers, einen eigenverantwortlich geprägten und gestalteten Unterricht insbesondere auch in Hinsicht auf die Erziehungsziele, die weltanschauliche Basis sowie die Lerninhalte und Lernmethoden verwirklichen zu können. Die Absage an ein staatliches Schulmonopol verbietet deshalb zugleich, daß gleichwertige Ersatzschulen 410 gegenüber den entsprechenden staatlichen Schulen allein wegen ihrer andersartigen Erziehungsform und -inhalte benachteiligt werden 411 . 403 Vgl. BVerfGE 4, 52 (56); BVerwGE 5, 153 (155); H. Heckel/P. Seipp, a. a. O. (Fn. 330), S. 264. 404 Vgl. Bernd-Otto Kuper! Gisela Lenz, Zur Berücksichtigung der Privatschulfreiheit und des Elternrechts im Rahmen des § 3 BSHG, RdJB 1983, S. 192ff.; Bruno Mascello, Elternrecht und Privatschulfreiheit, Diss., St.Gallen 1995; Ingo Richter, Privatschulen - Das Thema der achtziger Jahre in den Vereinigten Staaten, RdJB 1983, S. 199ff. 405 BVerfGE 27, 195(201). 406 Vgl. Theodor Maunz, Die staatliche Subventionierung freier Schulen, in: Essener Gespräche zum Thema Staat und Kirche, Bd. 9 (1975), S. 63 ff. 407 Vgl. Klaus Blau, Bedeutung und Probleme der Privatschulfreiheit, JA 1984, S. 463 ff.; Lothar Theodor Lemper, Privatschulfreiheit, Diss. , Köln 1984; Ingo Richter /Bernd-Martin Groh, Privatschulfreiheit und gemeinsame Grundschule, RdJB 1989, S. 276 ff. 408 Vgl. Fritz Ossenbühl, Rechtliche Grundlagen und Probleme der Privatschulfreiheit (1978), in: M. Scholler/W. Löwer/U. E. Fabio/Th. v. Danwitz (Hrsg.), Freiheit Verantwortung Kompetenz (Gesammelte Schriften für Fritz Ossenbühl), Köln 1994, S. 901 ff. 409 BVerfGE 75, 40 (62 f.). 410 Vgl. Wolf-Dieter Hauenschild, Chancengleichheit für Schüler privater Ersatzschulen beim Abitur?, RdJB 1990, S. 307 ff.; BVerfG, Urteil vom 8. 4. 1987,1 BvL 8/84,1 BvL 16/ 84 - Schutzpflicht des Staates gegenüber Ersatzschulen, RdJB 1987, S. 386 ff.

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2. Kap.: Selbstverwirklichungsrecht als Kern des Grundrechts auf Bildung

Danach ist es den Schulen in freier Trägerschaft 412 zwar grundsätzlich möglich, Erziehung und Unterricht in der Schule im Hinblick auf die Persönlichkeitsbildung des Kindes selbständig zu bestimmen. Jedoch gilt diese Freiheit des Unterrichts nur innerhalb der einzuhaltenden Genehmigungsvoraussetzungen insbesondere im Hinblick auf die Anforderungen des Art. 7 Abs. 4 Satz 3 GG, wonach die Genehmigung nur zu erteilen ist, wenn die entsprechende Ersatzschule in ihren Lehrzielen nicht hinter staatlichen Schulen zurücksteht 413. Das Problem der eigenverantwortlich geprägten Unterrichts- und Erziehungsarbeit in den Schulen in freier Trägerschaft liegt daher primär in der inhaltlichen Bestimmung des Kriteriums der Gleichwertigkeit und der sonstigen Genehmigungsvoraussetzungen für diese auch der staatlichen Schulaufsicht unterliegenden Ersatzschulen 414. Deutlich wird die Verhinderung von Schulvielfalt selbst im privaten Ersatzschulwesen durch die Genehmigungspraxis der Schulverwaltung, sichtbar nicht nur an dem Streit um die Zulassung im Rahmen des Art. 7 Abs. 5 GG bzw. an der restriktiven Zulassungspraxis für sogenannte „Freie (Alternativ-) Schulen" im Grundschulbereich bei der Frage der Anerkennung eines besonderen pädagogischen Interesses 415, sondern auch im Rahmen der allgemeinen Genehmigungsvoraussetzungen des Art. 7 Abs. 4 Satz 3 GG. Es ist bezeichnend, daß Schulen in freier Trägerschaft, wenn sie die Genehmigung erhalten wollen, inhaltlich und organisatorisch wesentlich nach dem Bild des öffentlichen Schulwesens modelliert werden müssen 416 . Mit der Formulierung derartiger Gleichwertigkeitsanforderungen wird die Unterrichtsfreiheit der Schulen in freier Trägerschaft in verfassungsrechtliche bedenklicher Weise relativiert. Die Unterrichtsverwaltung ist daher gehalten, bei der rechtlichen Beurteilung, ob Schulen in freier Trägerschaft eine in den Lehrzielen den staatlichen Schulen gleichwertige Bildung vermitteln, die Pluralität der Erziehungs- und Bildungsvorstellungen in der Gesellschaft mit zu berücksichtigen, so daß etwa Anforderungen an bestimmte Lehrziele und Unterrichtsinhalte auf ein Minimum zu beschränken sind 4 1 7 .

411 BVerfGE 27, 195 (200 f.). 412 Vgl. Johann Peter Vogel, Kommentare der Schulverwaltungsbeamten zum Privatschulrecht in Bayern und Niedersachsen, RdJB 1985, S. 130ff. 413 Vgl. Karl-Heinz Ladeur, Genehmigung privater Konfessionsschulen, RdJB 1993, 282ff.; Johann Peter Vogel, Erichtungsrecht und Errichtungsfinanzierung von Ersatzschulen, RdJB 1995, S. 175 ff. 414 BVerfGE 27, 195 (204); vgl. auch Bernd Jeand'Heur, Zulassung privater Grundschulen, in: F.-R. Jach/S. Jenkner (Hrsg.), Autonomie der staatlichen Schule und freies Schulwesen, Festschrift zum 65. Geburtstag von Johann Peter Vögel, Berlin 1998, S. 105 ff. 415 Vgl. dazu ausführlich Frank-Rüdiger Jach, Privatschulfreiheit am Scheideweg - Vielfalt oder institutionelle Erstarrung, DÖV 1990, S. 507 ff. 416 Vgl. Friedrich Müller, Das Recht der Freien Schule nach dem Grundgesetz, Berlin 1982; Johann Peter Vogel, Zur Errichtung von Grundschulen in freier Trägerschaft, DÖV 1995, S. 587 ff. 417 F.-R. Jach, a. a. Ο. (Fn. 48), S. 49f.

D. Geschützte Rechtsgüter des Grundrechts auf Bildung im GG

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Verfassungsrechtlich bedenklich ist insoweit auch die privilegierte Stellung sogenannter anerkannter Ersatzschulen im Vergleich zu lediglich genehmigten Ersatzschulen. Eine Ersatzschule erhält die Anerkennung durch die Unterrichtsverwaltung in der Regel dann, wenn ihr Unterricht im wesentlichen dem des staatlichen Schulsystems entspricht, während eine genehmigte Ersatzschule in der Regel durch einen eigenständig geprägten Unterricht gekennzeichnet ist 4 1 8 . Im Gegensatz zu den genehmigten Ersatzschulen sind anerkannte Ersatzschulen befugt, eigenständig staatliche Berechtigungen in Form von Zeugnissen zu erteilen, während die Schüler genehmigter Ersatzschulen sogenannte Externenprüfungen ablegen müssen. Angesichts dieser für den Bildungsweg des Schülers entscheidenden Ungleichbehandlung419 wird ein ständiger und unzulässiger Anpassungsdruck auf die nicht anerkannten, lediglich genehmigten Ersatzschulen ausgeübt. Die institutionelle Garantie des Art. 7 Abs. 4 GG unter dem Gesichtspunkt des Selbstverwirklichungsrechts des Schülers als Kern des Grundrechts auf Bildung im verfassungsrechtlichen Sinne wird in der Praxis somit weitgehend nicht ganz durchgesetzt 420.

V. Grundrecht des Schülers auf Selbstverwirklichung als Organisation und Verfahren

7. Die grundrechtstheoretische

Grundlage

Die Grundrechte erhalten ihren Sinn und ihre prinzipielle Bedeutung als konstituierende Faktoren eines freien Prozesses demokratischer, d. h. von unten nach oben verlaufender Staatshervorbringung 421 - darin liegt die Gemeinsamkeit mit der Integrationslehre - und eines demokratischen Prozesses politischer Willensbildung 422 . Die Gewährleistung grundrechtlicher Freiheitsbereiche erfolgt primär, um diese Prozesse zu ermöglichen und zu schützen423. Die Grundrechte sind dem Staatsbürger nicht nur zur freien Verfügung eingeräumt, sondern in seiner Eigenschaft als Glied der Gemeinschaft und damit auch im öffentlichen Interesse 424. 418 Vgl. Heinz Brauburger, Privatschule und Schulreform, RdJB 1969, S. 203 ff. 419 Vgl. E. Stein/ M. Roell, a. a. O. (Fn. 87), S. 106; Frank-Rüdiger Jach, Die Zulässigkeit von Landeskinderklauseln im Privatschulrecht, DÖV 1995, S. 925 ff. 420 F.-R. Jach, a. a. O. (Fn. 48), S. 50. 421 Vgl. Rainer Eckertz, Bundesstaat und Demokratie, in: R. Grswert/B. Schlink/R. Wahl/J. Wieland (Hrsg.), Offene Staatlichkeit, Festschrift für Ernst-Wolfgang Böckenförde zum 65. Geburstag, Berlin 1995, S. 13 ff.; Werner Thieme, Demokratie, DÖV 1998, S. 751 ff. 422 Vgl. Dieter Grimm, Politik und Recht, in: Eckart Klein (Hrsg.), Grundrechte, soziale Ordnung und Verfassungsgerichtsbarkeit, Festschrift für Ernst Benda zum 70. Geburtstag, Heidelberg 1995, S. 91 ff. 423 Vgl. Wilhelm Henke, Demokratie als Rechtsbegriff, Der Staat 1986, S. 157 ff.; Ulrich Scheuner, Das Mehrheitsprinzip in der Demokratie, Opladen 1973. 424 Vgl. BVerfGE 14, 21 (25); s. ferner //. Krüger, a. a. O. (Fn. 303), S. 542. 11 Hsu

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2. Kap.: Selbstverwirklichungsrecht als Kern des Grundrechts auf Bildung

Die einzelgrundrechtliche Freiheit ist, ebenso wie bei der institutionellen Grundrechtsauffassung und der Werttheorie der Grundrechte, nicht eine Freiheit schlechthin, sondern eine „Freiheit um zu" 4 2 5 . Ihre Einbindung und Objektivierung wird freilich wesentlich intensiver. Denn es wechselt der maßgebliche Bezugspunkt, das Subjekt der grundrechtlichen Gewährleistung, von dem her sich der Inhalt der Grundrechtsgewährleistung bestimmt. Ist dies bei der institutionellen Grundrechtstheorie und, wenngleich in abgeschwächtem Maß, bei der Werttheorie der Grundrechte weiterhin die Freiheit, wenn auch eine objektivierte, institutuinell gebundene bzw. wertbezogene, so wird es hier der demokratische politische Prozeß 426. Die Freiheitsgewährleistung wird ein Mittel zur Ermöglichung und Sicherung dieses Prozesses 427. In der neueren Grundrechtsdiskussion, die im wesentlichen vom Diskurs über die Reichweite der objektiv-demokratischen Dimension der Grundrechte geprägt ist, kommt dabei der „Grundrechtsverwirklichung und -Sicherung durch Organisation und Verfahren" 428 entscheidende Bedeutung zu. Über den Charakter von Abwehrrechten hinaus betont das Bundesverfassungsgericht damit Schutzpflichten des Staates zugunsten des jeweiligen Grundrechtsträgers. Die Organisation von Hochschule 429 und Rundfunk 430 wird damit nicht dem alleinigen politischen Gestaltungswillen der jeweiligen parlamentarischen Mehrheit und ihren Ordnungsvorstellungen überlassen, sondern durch die Freiheitsverbürgung des jeweiligen Grundrechts inhaltlich determiniert. Versteht man wie R. Alexy die in der objektiven Dimension der Grundrechte zum Ausdruck gekommenen Grundentscheidungen als „Prinzipien mit Optimierungsgebot", so ist für eine Inpflichtnahme des Staates über den politischen Willensbildungsprozeß hinaus folgendes entscheidend: Grundrechte manifestieren Positionen, „die so wichtig sind, daß ihre Gewährung oder Nichtgewährung nicht der parlamentarischen Mehrheit überlassen werden kann" 4 3 1 und die verfassungskonforme Begründung von Schutzpflichten oder Leistungsrechten zielt darauf ab, dieser Indisponabilität Rechnung zu tragen 432 . 425 E.-W. Böckenförde, NJW 1974, S. 1535. 426 Vgl. Walter Leisner, Antithesen-Theorie für eine Staatslehre der Demokratie, JZ 1998, S. 861 ff.; Helmut Simon, Grundrechte im demokratischen und sozialen Rechtsstaat, in: Eckart Klein (Hrsg.), Grundrechte, soziale Ordnung und Verfassungsgerichtsbarkeit, Festschrift für Ernst Benda zum 70. Geburtstag, Heidelberg 1995, S. 337 ff. 427 Vgl. Wolfram Höfling, Demokratische Grundrechte - zu Bedeutungsgehalt und Erklärungswert einer Dogmatischen Kategorie, Der Staat 1994, S. 493 ff.; Werner Heun, Das Mehrheitsprinzip in der Demokratie, Berlin 1983. 428 Vgl. R. Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 430 m. w. N.; Hans Hattenhauer/Werner Kaltefleiter (Hrsg.), Mehrheitsprinzip, Konsens und Verfassung, Heidelberg 1986. 429 BVerfGE 35, 79 (119). 430 BVerfGE 57, 295,322 f. 431 R. Alexy, a. a. O. (Fn. 68), S. 406.; vgl. auch Lameyer, Johannes, Streitbare Demokratie, Berlin 1978.

D. Geschützte Rechtsgüter des Grundrechts auf Bildung im GG

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Auch wenn die vom Bundesverfassungsgericht entwickelten Grundsätze zur Wissenschafts- und Rundfunkfreiheit nicht uneingeschränkt auf den Bereich der Schule übertragbar sind, so können hiervon gleichwohl gewichtige Impulse für die Gestaltung des Schulwesens ausgehen. Die Grundrechte von Eltern und Kindern begründen danach im Rahmen der Schule ein Recht auf solche Maßnahmen organisatorischer Art, die ihnen eine freie Persönlichkeitsentfaltung des Kindes nach ihren Wertvorstellungen und frei von staatlichen Zweckinteressen ermöglichen 433 . Dies gilt es nachstehend anhand des durch Art. 2 Abs. 1 GG im engsten Sinne verbürgten Selbstverwirklichungsrechts des Schülers näher durchzugehen. Im demokratischen Grundrechtsverständnis haben Grundrechte ihren Sinn und ihre Bedeutung als konstituierende Faktoren eines Prozesses demokratischer, d. h. von unten nach oben verlaufender Staatshervorbringung sowie politischer Willensbildung. Der Bürger ist nicht nur Grundrechtsträger als Selbstzweck, sondern auch als Glied der Gemeinschaft und damit auch im öffentlichen Interesse 434. Art. 2 Abs. 1 GG im engsten Sinne konstituiert für den Bereich von Erziehung und Bildung in der Schule diesen Prozeß, der den einzelnen in die staatlich Schule integriert und gleichzeitig durch Organisation und Verfahren die Staatlichkeit der pluralistischen Demokratie darstellt und gestaltet435.

2. Grundrechtlich

geschützte Rechtsgüter

a) Schulselbstverwaltung Was die demokratisch-institutionelle Seite schulisch organisierter 436 Erziehungs- und Bildungsprozesse betrifft, kommt es heute offensichtlich darauf an, 432 Vgl. R. Alexy, a. a. O. (Fn. 68), S. 409; Otto Depenheuer, Setzt Demokratie Wohlstand voraus? Der Staat 1994, 329 ff.; Ekkehart Stein, Der Mensch in der pluralistischen Demokratie, Frankfurt/M. 1964. 433 Vgl. F.-R. Jach, a. a. O. (Fn. 48), S. 33. 434 E.-W. Böckenförde, NJW 1974, S. 1534. 435 Das bedeutet zunächst, daß sie die Entscheidungen der demokratisch legitimierten Staatsorgane - des Parlaments, der Regierung und der Gerichte - zu befolgen hat. Darüber hinaus ist es Aufgabe der Schule, die Schüler im demokratischen Geist zu erziehen. Sie müssen lernen, daß im parlamentarisch-repräsentativen System der Bundesrepublik die Mehrheit entscheidet, es aber zugleich einen Schutz der Minderheit gibt, daß die Demokratie einerseits von der offenen Auseinandersetzung, vom Konflikt lebt, andererseits des Interessenausgleichs und des Konsenses bedarf. Es gilt, die Fähigkeit der Schüler zu verantwortlicher Mitwirkung in Staat und Gesellschaft zu entwickeln. Ziel ist die Selbstverwirklichung der mündigen Bürger. Dazu bedarf es eines Schulklimas, das auf Toleranz und Offenheit angelegt ist. Vgl. Reinhold Zippelius, Der Weg der Demokratie - ein Lernprozeß, NJW 1998, S. 1528 ff. 436 Zum Problembereich der Schul Verwaltung oder der Schulorganisation: Vgl. Hermann Avenarius, Bildung und Verwaltung, RdJB 1981, S. 443 ff.; Bernhard Bergmann, Die Schule im Spannungsfeld von Staat und Gemeinde, DÖV 1956, S. 590ff.; Armin Dittmann, Das Bil11*

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2. Kap.: Selbstverwirklichungsrecht als Kern des Grundrechts auf Bildung

schulisch organisierte Bildungsprozesse nicht allein durch ihre Verknüpfung mit sozialen Milieus zu legitimieren. Es gilt, das Eigenrecht der Schule selbständig zu begründen und ihre Leistungen i m Hinblick auf die vorgegebene Pluralität von Lebensformen und Kulturen explizit auszuweisen 4 3 7 . Und was ihre demokratischindividuelle Seite betrifft, so muß die Autonomie und Eigenlogik der pädagogischen Arbeit nicht allein reformpädagogisch eingefordert werden, sondern die Schule selbst muß bildungstheoretisch als eine Institution für solche Lehr-Lernprozesse legitimiert werden, die ohne die Schule in der modernen Gesellschaft gar nicht möglich w ä r e n 4 3 8 . Aus dem Grundgesetz lassen sich nicht die Einzelheiten der für das Schulwesen zu treffenden Regelung herleiten. Es gibt eine Reihe von Möglichkeiten, dem Grundgesetz Genüge zu tun. Aus dem Recht des Schülers auf freie Entfaltung seiner Persönlichkeit folgt lediglich, daß nach einer Lösung zu suchen ist, die jede einseitige Beeinflussung des Unterrichts, in erster Linie durch den Staat, ausschließt 4 3 9 . Aus der staatlichen Verwaltung herausgenommen werden müssen daher vor allem alle Entscheidungen, die mit der inhaltlichen Gestaltung des Unterrichts zusammenhängen. Sie sind in einem freiheitlichen Schulwesen notdungswesen im föderalistischen Kompetenzgefüge - eine kritische Bestandsaufnahme, RdJB 1978, S. 168 ff.; Dirk Ehlers, Die Organisation der inhaltlichen Entscheidungsprozesse auf dem Gebiet des öffentlichen Schulwesens im Spiegel der Rechtsprechung, DVBl. 1976, S. 615 ff.; Hans-Peter Füssel, Kooperativer Föderalismus im Bildungswesen, RdJB 1989, S. 430ff.; Hans Heckel, Mitwirkung und Mitbestimmung der Gemeinden im Schulwesen, DÖV 1951, S. 568 ff.; ders., Gegenwartsprobleme des Schulrechts und der Schul Verwaltung, DVBl. 1957, S. 482ff.; ders., Schule und Schulverwaltung als Aufgabe der Verwaltungspolitik, DÖV 1968, S. 371 ff.; Andreas Laaser, Die Gleichwertigkeit von Schulabschlüssen in demföderalen Bildungssystem des Grundgesetzes - eine Skizze - , RdJB 1982, S. 352 ff.; Günter Püttner, Die Sprengelpflicht, RdJB 1992, S. 230ff.; ders. , Alternative Rechtsformen kommunaler Einrichtungen, RdJB 1995, S. 187 ff.; Ingo Richter, Die Mängelbeseitigung im Bildungswesen - ohne Kompetenzverschiebungen zwischen Bund und Ländern, RdJB 1978, S. 406ff.; Hermann Seilschopp, Schule und Staatsverwaltung, RdJB 1966, S. 122 ff.; Werner Sewerin, Schuljuristen und Bildungsföderalismus, RdJB 1983, S. 383 ff.; Heinrich Siedentopf, Schulträgerschaft und kommunale Gebietsreform, RdJB 1979, S. 29 ff.; Oskar Spaniol, Das Verhältnis zwischen Staat und Kommunen auf dem Gebiet des Schulwesens in der Bundesreprblik, Diss., Marburg 1960; Christian Starck, Organisation des öffentlichen Schulwesens, NJW 1976, S. 1375 ff.; Hans Peter Widmaier, Organisationsprobleme der Kultusverwaltung bei der langfristigen Programmierung des Bildungswesens, RdJB 1965, S. 121 ff. 437 Vgl. Lutz Dietze, Zum Recht am eingerichteten und Ausgeübten Schulbetrieb, RdJB 1976, S. 38 ff.; Hans Heckel, Schulverwaltung im Zeichen der Bildungsreform - Wirklichkeit und Möglichkeiten RdJB 1974, S. 29 ff.; Hermann Sellschopp, Strukturreform und Bildungsverwaltung, RdJB 1970, S. 303 ff. 438 Dietrich Benner/Heinz-Elmar Tenorth, Bildung zwischen Staat und Gesellschaft, Z. f. Päd. 42 (1996), S. 12; vgl. auch Hans-Peter Füssel, Von den Schwierigkeiten im Umgang mit der „Schulautonomie4' - ein Versuch, sich einem komplizierten Gegenstand zu nähern, in: H. Döbert/G. Geißler (Hrsg.), Schulautonomie in Europa, Baden-Baden 1997, S. 11 ff. 439 Vgl. Gerhard Kluchert, Bürokratie und Autorität, in: H. Becker/G. Kluchert (Hrsg.), Die Bildung der Nation, Stuttgart 1993, S. 28 ff.; Johann Peter Vogel, Verfassungsrechtliche Bemerkungen zur Verselbständigung der Schule, Z. f. Päd. 1995, S. 39 ff.

D. Geschützte Rechtsgüter des Grundrechts auf Bildung im GG

161

wendige Selbstverwaltungsangelegenheiten440 (bzw. Angelegenheiten des einzelnen Lehrers), was den Aufbau einer Schulselbstverwaltung - durch Ausbau der teils mehr, teils weniger weit gediehenen Ansätze hierzu - erforderlich macht 441 . Die Bildungskommission des Bildungsrates hatte zu Beginn der 70er Jahre empfohlen, die Selbständigkeit der Schule in den pädagogischen und administrativen Bereichen durch Kompetenzverlagerungen nach unten zu verstärken. Ihre Entscheidungsspielräume bei Planung und Gestaltung des Unterrichts sollte danach durch weitgehenden Abbau der Weisungsbefugnisse der Schulaufsicht erweitert und ihre Mitwirkung bei der zentralen Curriculum-Entwicklung institutionalisiert werden. Die Schulen wären als rechtlich selbständige Verwaltungseinheiten zu etablieren und ihnen finanzielle Mittel zur eigene Bewirtschaftung zuzuweisen442. Der Bildungsrat forderte darüber hinaus weitgehende Einschränkung der Fachaufsicht und insbesondere Reduzierung der zentralen Lehrpläne und Curricula auf Rahmenrichtlinien, die es den Schulen ermöglichen sollten, praxisnahe eigene Curricula zu erstellen 443 . Die Notwendigkeit der Reduzierung der umfassenden staatlichen Schulaufsicht in Form einer Fach-, Dienst- und Rechtsaufsicht war deshalb schon bei der Formulierung des Musterentwurfs für ein Landesschulgesetz durch die Schulrechtskommission des Deutschen Juristentages 1981 erkannt worden 444 . Dabei hat K. Never mann allerdings zu Recht darauf hingewiesen, daß allein eine Reduzierung der Schulaufsicht auf eine Rechtsaufsicht dann keine positiven Ansätze zugungsten pädagogischer Autonomie entfalten kann, wenn - wie im Gesetzentwurf vorgesehen - die Lehrpläne durch Rechtsverordnungen weitestgehend vorbestimmt sind 4 4 5 . Die Freiheit der Schule ist nur dann mehr als ein formales Rechtsinstitut, wenn sie von starken Persönlichkeiten getragen wird. Nicht zuletzt kommt es auch auf das Verhalten der Schulaufsichtsbehörden an, die durch Beratung und Unterstützung zur Selbstverantwortung und Eigenständigkeit der Schule eher beitragen 440 Vgl. Hermann Avenarius, Schulische Selbstverwaltung-Grenzen und Möglichkeiten, RdJB 1994, S. 256 ff.; Günter Püttner, Weiches Recht hat Bestand, RdJB 1997,40 ff.; Martin Stock, »Materielle Selbstverwaltung' der öffentlichen Schule?, AöR 96 (1971), S. 392 ff. 441

Vgl. Gert Geißler, Schule, Recht und Verwaltung in Deutschland, in: H. Döbert/ G. Geißler (Hrsg.), Schulautonomie in Europa, Baden-Baden 1997, S. 67 ff.; Frank-Rüdiger Jach, Schulverfassung und Bürgergesellschaft in Europa, Berlin 1999, S. 6Iff.; Harm Paschen, Theorien der Schulautonomie, RdJB 1994, S. 5 ff.; ders., Schulautonomie in der Diskussion, Z. f. Päd. 1995, S. 45 ff. 442 Deutscher Bildungsrat, Strukturplan für das Bidlungswesen. Stuttgart 1970. 443 Deutscher Bildungsrat, Zur Förderung praxisnaher Curriculum-Entwicklung, Stuttgart 1974. 444 Vgl. § 73 des Entwurfs, RdJB 1981, S. 224 ff. 445 Vgl. Knut Nevermann, Autonomie der Schule, Kompetenz der Lehrer, Partizipation der Eltern und der staatliche Bildungsauftrag, in: Sebastian Müller-Rolli (Hrsg.), Das Bildungswesen der Zukunft, Stuttgart 1987, S. 188.

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2. Kap.: Selbstverwirklichungsrecht als Kern des Grundrechts auf Bildung

können als durch Weisungen und Eingriffe 446 . Eine administrative und finanzielle Verselbständigung der Schule ließe sich im übrigen nur dann verwirklichen, wenn es gelänge, ihre Verwaltungskraft zu stärken. Das aber erforderte die Zuweisung zusätzlichen Verwaltungspersonals und zusätzlicher Finanzmittel. Dies wiederum ließe sich mit den gegenwärtigen Rationalisierungstendenzen und Sparzwängen in der öffentlichen Verwaltung kaum vereinbaren 447. Die nähere Ausgestaltung der Schulselbstverwaltung steht im Ermessen des Gesetzgebers 448. Hierbei stellt sich auch die Frage, inwieweit Schulselbstverwaltung in einer pluralistischen Gesellschaft unter dem Gesichtspunkt der Verpflichtung des Staates449, das Selbstverwirklichungsrecht des Schülers bei der Gestaltung des Schulwesens zu beachten 450 .

b) Schülervertretung Als Träger des Grundrechts auf Bildung(Selbstverwirklichung) müssen vor allem die Schüler die Möglichkeit haben 451 , in allen für ihre Bildung relevanten Fragen in wirkungsvoller Form auf die hierzu ergehenden Entscheidungen mitzubestimmen . Hierbei ist letztlich eine Entscheidungsstruktur anzustreben, in der sich Schule und Schüler als gleichberechtigte Partner gegenüberstehen453. Das ließe sich dadurch erreichen, daß die Repräsentanten der Schüler entweder ein Vetorecht haben 446 Vgl. Ernst Wilhilm Luthe, Rechtliche Autonomie im Verwaltungsinnenbereich, RdJB 1991, S. 194 ff.; Hermann Lange, Schulautonomie, Z. f. Päd. 1995, S. 21 ff. 447 Vgl. Dieter Timmermann, Abwägen heterogener bildungsökonomischer Argumente zur Schulautonomie, Z. f. Päd. 1995, S. 49 ff. 448

Vgl. Ingo Richter, Kommunale und schulische Selbstverwaltung, RdJB 1972, S. 8 ff.; Klaus Stern, Autonomie der Schule?, in: Der Verwaltungsstaat im Wandel, FS für Franz Knöpfle zum 70. Geburstag, München 1996, S. 333 ff. 449

Vgl. Sibylle Beetz, Autonomie öffentliche Schule - Diskussion eines Auftrags zur Schulentwicklung, Z. f. Päd. 1997, S. 149ff.; Dietlind Fischer/Hans-Günter Rolff, Autonomie, Qualität von Schulen und staatliche Steuerung, Z. f. Päd. 1997, S. 537 ff.; Friedhelm Hufen, Verfassungsrechtliche Möglichkeiten und Grenzen schulischer Selbstgestaltung, in: F.-R. Jach/S. Jenkner (Hrsg.), Autonomie der staatlichen Schule und freies Schulwesen, Festschrift zum 65. Geburtstag von Johann Peter Vogel, Berlin 1998, S. 51 ff. 450 Christian Tomuschaft, Der staatlich geplante Bürger, in: Festschrift für Eberhart Menzel, Berlin 1975, S: 21 (31). 4 *i Vgl. Walter Becker, Die Eigen-Entscheidung des jungen Menschen, in: W. J. Habscheid/H. F. Gaul (Hrsg.), Festschrift für Friedrich Wilhelm Bosch zum 65. Geburtstag, Bielefeld 1976, S. 37 ff. 452 Vgl. Sibylle Schneider, Kritische Bemerkungen zur Schülermitverwaltung, RdJB 1968, S. 54ff.; Ernst-Heinrich Hethey, Auf dem Wege zur innerschulischen Mitbestimmung der Schüler? RdJB 1970, S. 72 ff. 453 Vgl. Kultusministerkonferenz, Zur Stellung des Schülers in der Schule, RdJB 1973, S. 235 ff.

D. Geschützte Rechtsgüter des Grundrechts auf Bildung im GG

163

oder als bessere Lösung nicht weniger als die Hälfte der stimmberechtigten Mitglieder der zuständigen Entscheidungsgremien stellen 454 . Dabei ist davon auszugehen, daß Kinder in den ersten Schuljahren ausschließlich, später partiell durch ihre Eltern kraft verfassungsrechtlich garantierten Elternrechts vertreten werden, solange nicht sichergestellt ist, daß sie allein ihre Interessen ausreichend wahrnehmen können 455 . Auch in diesem Punkt soll nicht versucht werden, einer gesetzlichen Regelung durch eine allzusehr in die Details gehende Verfassungsinterpretation vorzugreifen. Abschließend sei jedoch festgehalten, daß das Selbstverwirklichungsrecht des Schülers als Kern des Grundrechts auf Bildung im verfassungsrechtlichen Sinne nicht ausreichend gesichert ist, solange die Lernenden nicht durch ein Recht auf demokratische 456 Mitwirkung an den Bildungsentscheidungen die Möglichkeit haben, um ihr künftiges demokratisches Leben zu lernen 457 . Bei der Vertretung der Schülerinteressen im Schulbereich geht es vor allem um die Geltendmachung von Wünschen und Forderungen und um die Wahrnehmung von Rechten bei Gestaltung des Unterrichts, Auswahl der Lernstoffe und Lernmittel, Gestaltung der Schul- und Hausordnung, Regelung des Schulalltages sowie Durchführung besonderer Veranstaltungen 458. Besonders wichtig ist die Mitwirkung der Schülervertretung in Konfliktfällen und bei Ordnungsmaßnahmen, die den betroffenen Schüler vor etwa allzu rigorosen Entscheidungen der Lehrerkonferenzen schützen soll 4 5 9 . Der Umkreis der in der Interessenvertretung liegenden Aufgabenmöglichkeiten ist in seiner Vielfalt und Fülle kaum ein- und abgrenzbar. - Zur Vertretung der Schülerinteressen in und gegenüber der Öffentlichkeit gehört auch das Recht zur Abgabe von Erklärungen und zu Veröffentlichungen in der Presse 460.

454 Vgl. Albert Reuter, Ausgangssperre für Schüler? RdJB 1965, S. 79 ff. 455 So wird das Verhältnis der Mitwirkungsrechte der Schüler zu dem ihrer Eltern auch im Strukturplan des Bildungsrates (S. 262 f.) gesehen. 456 Vgl. Evelyn Gomm-Doll, Das demokratische Element der Schülermitverantwortung, RdJB 1987, S. 351 ff.; Wolfgang Perschel, Die Rechtslage der Schülermitverwaltung, RdJB 1966, S. 57 ff. 457 K.-D. Heymann/E. Stein, AöR 97 (1972), S. 232. 458 Vgl. Horst Czymek, Schülermitverwaltung oder Schülermitverantwortung?, RdJB 1968, S. 42 ff. 459 Vgl. Wilhelm M. Rißmann, Entwicklung der Schülervertretung in Niedersachsen unter dem Niedersächsischen Schulgesetz, RdJB 1987, S. 277 ff. 460 H. Heckel/ H. Avenarius, a. a. O. (Fn. 26), S. 87; vgl. auch Axel Tiemann, Der Vertrieb von Schülerzeitungen auf dem Schulgelände, in: H.-J. Birk/A. Dittmann/M. Erhardt (Hrsg.), Kulturverwaltungsrecht im Wandel, Professor Dr. Dr. h. c. Thomas Oppermann zum 50. Geburtstag, Stuttgart 1981, S. 143 ff.

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2. Kap.: Selbstverwirklichungsrecht als Kern des Grundrechts auf Bildung

c) Elternvertretung Heute besteht die Übereinstimmung 461, daß in der Schule elterliches Erziehungsrecht und staatliche Schulaufsicht gleichgeordnet nebeneinander stehen und sinnvoll zusammenwirken müssen 462 . Im Hinblick auf die gemeinsame Erziehungsaufgabe von Schule und Eltern erscheint aber ein Mindestmaß an verfahrensrechtlicher Teilhabe und Mitwirkung von Elternvertretungen auf allen Ebenen schulischer Entscheidungsfindung - und sei es nur in Form der Information bzw. der Anhörung - zur Gewährleistung effektiven Grundrechtsschutzes erforderlich 463 . Dieser Forderung sind die Landesgesetzgeber durch den Erlaß einschlägiger Vorschriften bereits in einem Umfang nachgekommen, daß das verfassungsrechtlich gebotene Mindestmaß kollektiver elterlicher Mitwirkung als erfüllt angesehen werden kann. Dennoch ist es verfassungsrechtlich nicht bedeutungslos, daß kollekitve Formen elterlicher Mitwirkung auch an der Verfassungsgarantie des elterlichen Erziehungsrechts teilhaben 464 . Dem Grundsatz nach scheint das Verhältnis von staatlicher Schulaufsicht 465 und elterlichem Erziehungsrecht verfassungsrechtlich geklärt zu sein. Seine Konkretisierung im Einzelfall bereitet aber nach wie vor Schwierigkeiten. Dabei sind im Bereich der schulorganisatorischen Maßnahmen weniger Probleme zu verzeichnen, weil aufgrund des bestehenden, sehr ausdifferenzierten Schulsystems dem elterlichen Bestimmungsrecht weitestgehend Rechnung getragen werden kann 466 . 461 Zwar scheint die Formulierung in Art. 7 Abs. 1 und in Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG eine Trennung zwischen Erziehung in der Familie einerseits und Erziehung in der Schule andererseits nahezulegen, wobei im ersteren Falle ausschließlich die Eltern und im letzteren ausschließlich die Schule zuständig wäre. Dieses Separationsprinzip kann aber spätestens seit der grundlegenden Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur hessischen Förderstufe durch Urteil vom 26. 9. 1972 keine verfassungsrechtliche Geltung mehr beanspruchen. Vgl. BVerfGE 34, 165, (182 ff.); Zum Separationsprinzip vgl. insbesondere Ingo Richter, Elternrecht, in: K. Nevermann/L Richter (Hrsg.), Verfassung und Verwaltung der Schule, Stuttgart 1979, S. 384 ff. (349). 462 Vgl. Heinz Brauburger, Elternrecht in der Förderstufe, RdJB 1968, 261 ff.; ders., Förderstufenurteil des Bundesverfassungsgerichts, RdJB 1973, 172 ff.; Lutz Dietze, Anmerkung zur Förderstufe, RdJB 1973, S. 180ff.; Ursula Fehnemann, Das hessische Förderstufen-Abschlußgesetz, RdJB 1985, S. 459 ff. 463

Vgl. Lutz Dietze, Elternbeiratsarbeit als Problem der Schulrechtsreform und der Erwachsenenbildung, RdJB 1975, S. 36 ff. 464 / Kohl, a. a. O. (Fn. 381), S. 214. 465 Das Recht und die Pflicht der Schulaufsicht, bei Verstößen gegen die der schulischen Freiheit gesetzten Grenzen einzuschreiten, müssen im Interesse der betroffenen Schüler und Eltern sowie der Allgemeinheit gewahrt bleiben. Ferner sind Wille und Interesse der Beteiligten insoweit zu beachten. Vgl. Hans Heckel, Autonomie, Demokratie und Partizipation in der Schule, RdJB 1971, S. 129 ff. 466 Vgl. U. Fehnemann, Die Bedeutung des grundgesetzlichen Elternrechts für die elterliche Mitwirkung in der Schule, AöR 105 (1980), S. 529 ff.; Walter Schmitt Glaeser, Das elterliche Erziehungsrecht in staatlicher Reglementierung, Bielefeld 1980.

D. Geschützte Rechtsgüter des Grundrechts auf Bildung im GG

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Dagegen bestehen bezüglich der schulischen Inhalte und Anforderungen auch in der Zukunft schwierige Abgrenzungsfragen. Sie dürften allerdings aufgrund des sehr weiten Gestaltungsspielraums des Staates als Träger des Schulwesens meist zu Lasten, d. h. im Sinne eines Zurücktretens elterlicher Bestimmungs- und Entscheidungsbefugnisse gelöst werden 467 . Aber auch hier haben sich über das verfassungsrechtlich gebotene Mindestmaß hinaus Formen des Zusammenwirkens von Schule und Eltern entwickelt, die eine ausreichende Beachtung elterlicher Rechte

AfSt

garantieren . Die Verfassungsgarantie des Elternrechts auf Erziehung gebietet dabei eine Beteiligung von Vertretern der Eltern. Gegen eine Mitwirkung staatlicher Stellen bestehen keine Bedenken, sofern nur sichergestellt ist, daß sie kein Übergewicht über die anderen Beteiligten erlangen können. Es sei noch einmal klargestellt, daß alle Angelegenheiten, die keine Beziehung zur inhaltlichen Gestaltung des Unterrichts haben, bei staatlichen Stellen verbleiben können 469 . Dem Landesgesetzgeber steht es aber offen, Elterngremien mit Mitwirkungsrechten auszustatten. Dementsprechend enthalten einige Landesverfassungen (Art. 17 Abs. 4 der Verfassung des Landes Baden-Württemberg; Art. 56 Abs. 6 der Verfassung des Landes Hessen; Art. 10 Abs. 2 der Verfassung des Landes Nordrhein-Westfalen) sowie die Schulverfassungs- und Schulverwaltungsgesetze aller Länder in unterschiedlichem Umfang und in vielfältiger Ausgestaltung Regelungen über die kollektive Mitwirkung der Eltern auf schulischer und überschulischer Ebene 470 . Die Wahrnehmung des Selbstverwirklichungsrechts des Schülers als Kern des Grundrechts auf Bildung im verfassungsrechtlichen Sinne kann nur durch den erziehungsberechtigten Elternteil in einem Gremium der Elternvertretung gut funktionieren und ausgeübt werden 471 . Von besonderer Bedeutung ist auch hier die Mitwirkung in Konfliktfällen und bei Ordnungsmaßnahmen gegen Schüler.

467 Vgl. E. Stein, Elterliche Mitbeteiligung im deutschen Schulwesen, JZ 1957, S. 11 ff. 468 / Kohl, a. a. O. (Fn. 381), S. 214f.; vgl. auch Sieglinde Krichbaum (Hrsg.), Elternrecht und Elternvertretung in der Bundesrepublik Deutschland, Villingen 1980; Fritz Marz/Friedhelm Zubke (Hrsg.), Elternmitwirkung in der Schule, Stuttgart 1981; Dieter Mohrhart, Elternmitwirkung in der Bundesrepublik Deutschland, Frankfurt/M. u. a. 1979. 469 E. Stein, a. a. O. (Fn. 18), S. 58. 470 Vgl. E. Stein/ M. Roell, a. a. O. (Fn. 87), S. 155. 471 Vgl. Klaus Vlich, Schule als Familienproblem?, Frankfurt/M. 1989, S. 110ff.

Drittes Kapitel

Selbstverwirklichungsrecht des Schülers im pluralistischen Kulturstaat Der objektiv-funktionelle Kern der Selbstverwirklichung des Menschen im modernen Verfassungsstaat ist die Garantie des pluralistischen Kulturstaats. Die Garantie des pluralistischen Kulturstaats ist als rein objektiv-rechtliches Prinzip ein Pendant zum subjektiven Selbstverwirklichungsrecht des Menschen (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 Satz 2 GG). Hieraus folgen die objektiven Prinzipien des Pluralismus für die Selbstentfaltung des Menschen, um den Menschen im pluralistischen Kulturstaat die Möglichkeit zu geben, sich selbst zu bestimmen. Die moderne Kulturstaatlichkeit steht wie die Rechtsstaatlichkeit in der Tradition der Aufklärung. Dem aufklärerischen Bild des autonomen, entwicklungsfähigen Individuums entsprach eben nicht nur ein ausschließlich auf die Rechtsbewahrung gerichtetes, liberales Staatskonzept, nach welchem die Grundlage für die Bildung des einzelnen ausschließlich in der Familie gelegt wird oder in anderen gesellschaftlichen Gruppen. Auch die Vorstellung eines jedenfalls im Bildungsbereich aktiven pluralistischen Kulturstaates ist in der aufklärerischen Staatsidee enthalten: Der Glaube an die Selbstverwirklichung des Menschen1 wurde verknüpft mit der Forderung an die pluralistische Gesellschaft, die Voraussetzungen dafür zu schaffen, daß ein jeder in die Lage versetzt wird, sich als geistig-sittliches Wesen möglichst umfassend zu entfalten. Diese Sicht kommt bereits in der konstitutionellen Entwicklung des Kulturstaats zum Ausdruck 2.

1 Vgl. Gerd Gerhardt, Kritik des Moralverständnisses - Entwickelt am Leitfaden einer Rekonstruktion von „Selbstverwirklichung" und „Vollkommenheit", Bonn 1989, S. 31 ff. 2 Die Achtung der Würde und der Selbstverwirklichung des Menschen, seines Anspruchs auf Selbstentfaltung, Selbstbestimmung und auf anderweitigen grundrechtlichen Schutz, ein demokratischer politischer Prozeß und eine freie öffentliche Meinung gehören zu den Leitideen eines freiheitlichen Staates. Diese sind im Grundgesetz und im pluralistischen Kulturstaat ebenso wie in der Verfassungslehre ausführlicher entfaltet worden. Vgl. Karl-Peter Sommermann, Staatsziele und Staatszielbestimmungen, Tübingen 1997, S. 230.

Α. Kulturstaat im Grundgesetz

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Α. Kulturstaat im Grundgesetz I. Entwicklung des Kulturstaats

Als Staat und Kultur zu Beginn des 19. Jahrhunderts in der Formel vom Kulturstaat erstmals begrifflich miteinander verknüpft wurden 3, befanden sich ihre traditionellen Bindungen gerade in Auflösung. Er gewinnt bezeichnenderweise in einer Zeit an Verbreitung, in der der staatsrechtliche Positivismus die Staatstätigkeit neuen Aufgaben, neuen „Kulturzwecken" 4, öffnet. In das positive Verfassungsrecht fand der Begriff „Kulturstaat" erstmals nach dem Zweiten Weltkrieg Eingang, und zwar in die Bayerische Landesverfassung von 19465. In einem ähnlich grundsätzlichen Sinne sprach später die portugiesische Verfassung von 1976 von einer „kulturellen Demokratie" 6. Die Verwendung des Wortes „Kulturstaat", das auch in den italienischen und spanischen Sprachraum Eingang gefunden hat, bedeutet indes nicht, daß es als Rechtsbegriff genau definiert wäre 7. Als Staat, der die Aufgabe annimmt, die Kultur seiner Bürger zu fördern, bleibt die Reichweite des Kulturstaats konzeptionell an den sich wandelnden Kulturbegriff gebunden, der ebenso offen ist wie die Vielfalt der Entwicklungsmöglichkeiten des Menschen8. Die Entwicklung war von der Kultur ausgegangen, die im Staat ein ihr fremdes Prinzip verkörpert sah und sich als System mit eigener Zweckbestimmung und eigener Sachlogik von ihm abzugrenzen begonnen hatte. Der Ablösungsprozeß war im Bereich der Kunst am weitesten vorangeschritten 9, ergriff aber auch Bildung und Wissenschaft und berührte ebenfalls die Religion 10 . Die Bildung blieb bei diesem von der Staatsraison bestimmten Maß indessen nicht stehen. Von Rousseau aufgeklärt und von Pestalozzi angeleitet, proklamierte sie ausgangs des Jahr3 Zur Begriffsgeschichte vgl. Ottmar Jung, Die Entwicklung des Kulturstaatsbegriffs von J. G. Fichte bis zur Gegenwart, Diss, iur., Würzburg 1973; ders., Zum Kulturstaatsbegriff, Meisenheim am Glan 1976. 4 Georg Jellinek, Allgemeine Staatslehre, 3. Aufl., 1913 (Neudruck Kronberg i. Ts. 1976), S. 258 ff. 5 Siehe dort Art. 3 Abs. 1. 6

Unter den neuen deutschen Bundesländern definiert sich etwa der Freistaat Sachsen als „demokratischen, dem Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen und der Kultur verpflichteten sozialen Rechtsstaat" (siehe Art. 1 der Verfassung von 1992); ähnlich Art. 2 der brandenburgischen Verfassung. 7 K.-P. Sommermann, a. a. Ο. (Fn. 2), S. 232 f. s H. Krüger, Allgemeine Staatslehre, Stuttgart 1966, S. 808. Bei der Förderung von Bildung und Wissenschaft blieb der Staat des 19. Jahrhunderts nicht stehen. Im Bereich der Kunst - neben den bildenden Künsten etwa auch Architektur, Musik, Theater und Literatur - nahm zunehmend der Staat die Rolle an, die einst das Mäzenatentum der Höfe ausgefüllt hatte, wobei dem bürgerlichen Bildungsideal im Ausgangspunkt das Prinzip der Freiheit der Kunst immanent war. Vgl. im einzelnen Ulrich Scheuner, Die Kunst als Staatsaufgabe im 19. Jahrhundert, in: E. Mai/St. Waetzoldt (Hrsg.), Kunstverwaltung, Bau- und Denkmal-Politik im Kaiserreich, Berlin 1981, S. 13-46. 10 Dieter Grimm, Kulturauftrag im staatlichen Gemeinwesen, VVDStRL42 (1984), S. 47. 9

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3. Kap.: Selbstverwirklichungsrecht im pluralistischen Kulturstaat

hunderts statt der Nützlichkeit des Untertanen die Selbstverwirklichung des Menschen als Erziehungsziel 1 1 . Anders als die Bildung war die Religion keine treibende Kraft i m Ausdifferenzierungsprozeß kultureller Lebensbereiche. Sie erlitt ihn eher, weil er sie aus ihrer Funktion sinnhafter Weltdeutung und gesellschaftlicher Integration zunehmend verdrängte 12 . Die Religion blieb als Sinngeber für das rational Unerklärbare und die Grenzsituationen des Menschen zurück. Sie wurde dadurch tendenziell privatisiert 1 3 und aus dem Alltag verdrängt. In dieser Beschränkung konnte sie nun ihrerseits eine eigene Autonomie ausbilden 14 . Die Ortsbestimmungen, welche innerhalb des bundesstaatlichen Gefüges des Grundgesetzes für die pluralistische Kulturordnung getroffen wurden, erwiesen sich als ein entscheidender Bestandteil des erneuerten deutschen pluralistischen Föderalismus 15 . Das stellte verfassungsgeschichtlich gesehen keinen Zufall dar. Unter der Reichsverfassung von 1871 und weitgehend auch noch i m Weimarer Staat fand die staatliche Befassung mit Bildung, Wissenschaft und Kunst ganz überwiegend in den Ländern statt, wobei es allerdings unter dem damaligen hegemonialen Föderalismus Preußens in vielem möglich war, reichsrepräsentative Aufgaben mitzuübernehmen. Auch der 1933/34 beginnende Aufbau einer Reichsh Vgl. Peter Häberle, Erziehungsziele im Verfassungsstaat, RdJB 1980, S. 368 ff. 12 Diese Entwicklung hatte bereits im Mittelalter eingesetzt und ihre für die Kirche entscheidende Wende mit der Glaubensspaltung genommen, die eine religiöse Legitimierung politischer Herrschaft nicht mehr erlaubte und zur Ausdifferenzierung des Staates auf säkularer Grundlage zwang. Gleichwohl blieb unter der Herrschaft des cuius regio eius religio eine enge Verbindung zwischen Staat und Religion erhalten, die den Kirchen auch eine Reihe öffentlicher Funktionen beließ. Indessen erhoben die Kirchen nicht mehr ihren einstigen Führungsanspruch. Vielmehr ging die Entwicklung dahin, daß der erstarkende Staat die Kirchen zunehmend in seine säkularen Zwecke einplante. Vgl. Ernst-Wolfgang Böckenförde, Die Entstehung des Staates als Vorgang der Säkularisation, in: ders., Staat - Gesellschaft - Freiheit, Frankfurt/M. 1976, S. 42; Niklas Luhmann, Funktion der Religion, Frankfurt/M. 1977; Ulrich Scheuner, Kirche und Staat in der neueren deutschen Entwicklung, in: ders., Schriften zum Staatskirchenrecht, Berlin 1973, S. 121. ι 3 Kulturinstitutionen in freier Trägerschaft nehmen ihre „kulturelle Verantwortung" oder ihren „Kulturauftrag" aus ihrem Selbstverständnis heraus wahr. Dieses Selbstverständnis kann der Staat lediglich anerkennen und gegebenenfalls direkt oder indirekt fördern, »frei" sind solche Institutionen nicht nur durch die Staatsfreiheit der Willensbildung. Sie sind auch nicht durch die Verfassung gehalten, sich nach den Maßstäben zu organisieren oder an den Maßstäben zu orientieren, die das freiheitliche Element der staatlichen Kulturarbeit bewirken. Vgl. Udo Steiner, Kulturauftrag im staatlichen Gemeinwesen, VVDStRL 42 (1984), S. 25 f. 14 D. Grimm, VVDStRL 42 (1984), S. 52. 15 Vgl. Ernst Benda u. a., Probleme des Föderalismus, Tübingen 1985; Wolf gang Loschelder, Kommunale Selbstverwaltungsgarantie und gemeindliche Gebietsgestaltung, Berlin 1976; Eberhard Schmidt-Aßmann, Die kommunale Rechtsetzung im Gefüge der administrativen Handlungsformen und Rechtsquellen, München 1981; Georg Christoph v. Unruh/Werner Thieme/ Ulrich Scheuner, Die Grundlagen der kommunalen Gebietsreform, 1. Aufl., Baden-Baden 1981; Werner Weber, Selbstverwaltungskörperschaften in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, in: Christian Starck (Hrsg.), Bundesverfassungsgericht und Grundgesetz, Tübingen 1976, S. 331 ff.

. Kulturstaat im Grundgesetz

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kulturverwaltung umfänglicheren Stils vollzog sich zunächst weitgehend über ein Aufgehen preußischer Einrichtungen im Reich, vor allem seines Kultusministeriums. Dabei darf selbst für den damaligen Staat die Effizienz der reichseinheitlichen Verwaltung, etwa in der Schulpolitik, im Verhältnis zu den süddeutschen Ländern nicht überschätzt werden 16. Andererseits kann kein Zweifel bestehen, daß bei einer Gesamtbetrachtung der Zeit 1871-1945 der machtvolle Zug der inneren Unitarisierung des Reiches vor der Kulturverwaltung nicht haltgemacht hatte. Die Vereinheitlichung nach 1933 bedeutete zwar eine überstürzte und in ihrer ideologischen Enge unheilvolle Wendung. Mit der verstärkten Zusammenfassung der leitenden Befugnisse beim Reich konnte sie jedoch unübersehbar an ältere, oft vergeblich gebliebene Anläufe in dieselbe Richtung anknüpfen. Solche Versuche waren beispielsweise schon im kaiserlichen Interesse an Grundfragen der Bildungsstruktur (Gymnasialmonpol) um die Jahrhundertwende und an der Wissenschaftsförderung (Gründung der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft 1911) zum Ausdruck gekommen oder später unter der Republik in der Reichsschulkonferenz von 1920 und im jahrelangen Ringen um das Reichsvolksschulgesetz im Reichstag. Daß die Vorstellungen gesamtstaatlicher Kulturverwaltung auch außerhalb des nationalsozialistischen Regimes durchaus bejaht wurden, kann an den Idee der im 20. Juli 1944 gipfelnden Opposition und Widerstandsbewegung zur Staats- und Verfassungsreform deutlich abgelesen werden 17. Trotz dieser unbestreitbaren Tendenzen war es verständlich, daß bei der Rückkehr zur Bundesstaatlichkeit 1949 die öffentliche pluralistische Kulturordnung, ganz besonders in den Bereichen von Bildung und Wissenschaft, vom Verfassunggeber zum Kernstück der eigenständigen Ländergewalt gemacht wurde 18 . Das verfassungs- und verwaltungsgeschichtlich vorgeformte Bild der pluralistischen kulturellen Angelegenheiten in der staatlichen Organisationsgestaltung, ist diejenige Sphäre, in welcher der Staat sich mit der Welt des Geistes besonders eng verbindet, die gerade in der pluralistischen Gesellschaft in vielfältiger Form in Erscheinung tritt. Sie umfaßt die drei Hauptbereiche Bildung, Wissenschaft und Kunst 19 . Herkömmlicherweise wird mit der Ordnung des Verhältnisses des Staates zu den Religionsgemeinschaften ein weiteres Gebiet einbezogen. Die Begriffe „Kulturstaat uund „Kultur" 2 0 können variieren. Der Kulturstaat wird im folgenden 16 Rolf Eilers, Die nationalsozialistische Schulpolitik, Köln 1963, bringt verschiedentlich Beispiele dafür, wie es dem RMWEV(Reichsminister für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung) nach 1934 oft nur sehr beschränkt möglich war, formal erlassene Maßnahmen der Reichsschulreform in Süddeutschland, besonders Bayern, tatsächlich zum Tragen zu bringen. 17 Vgl. T. Oppermann, Kulturverwaltungsrecht, Tübingen 1969,551 f. is Vgl. BVerfGE 6, 309 ff. ; 12,205 ff.

19 T. Oppermann, a. a. Ο. (Fn. 17), 8 f. 20

Noch problematischer erweist sich die Bestimmung von „Kultur". Wenn auch mittlerweile in Rechtsprechung und Literatur anerkannt ist, daß ein Rechtsbegriff „Kultur" nicht lediglich unter Anknüpfung an außerjuristische, insbesondere philosophisch-idealistische Vorgaben definiert werden darf, so herrscht doch im übrigen große Uneinigkeit: Meist behilft

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3. Kap.: Selbstverwirklichungsrecht im pluralistischen Kulturstaat

als Staat mit Verantwortung und Aufgaben i m Bereich der pluralistischen Kultur i m engeren Sinne verstanden 21 .

II. Inhaltliche Ausgestaltung des Kulturstaats im Grundgesetz Wer das Gelände des „Kulturstaats" betritt, bewegt sich auf dogmatisch unsicherem Grund. Zwar hat dieser i m Grundgesetz fehlende Begriff schon relativ früh Eingang i n die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts gefunden 22 . Und in der Literatur findet sich viel zum Kulturstaat 2 3 , doch höchst Diverses. Es geht zum einen um die „Verfassungslehre als Kulturwissenschaft" 2 4 , also um eine Untersuchung von Recht und Staat aus der Perspektive der K u l t u r 2 5 . Zum anderen wird das Verhältnis von Staat und Kultur aus der Perspektive des Rechts betrachtet. Hier wiederum wird einerseits eine Beschreibung und rechtliche Bewertung des tatsächlichen Zustands versucht 2 6 , andererseits eine Festlegung normativer Vorgaben im Sinne einer Staatszielbestimmung 27 . Desweiteren divergieren die Auffassungen darüber, ob der als Staatszielbestimmung verstandene Kulturstaat nur die Freiheit der Kultur zu sichern 2 8 oder gleichermaßen kulturelle Teilhabe seiner Bürger zu ermöglichen habe 2 9 . sich das öffentliche Recht in Fragen der Kompetenzabgrenzung mit einem sog. „additiven" Kulturbegriff, der die traditionell gewachsenen Gebiete Kunst, Wissenschaft und Bildung, insbesondere im Schul- und Hochschulwesen, zusammenfaßt. Freilich besteht hier die Gefahr, daß wesentliche Bereiche ausgeklammert werden, beispielsweise im Medien- und Sportbereich.Vgl. Max-Emanuel Geis, Die „Kulturhoheit der Länder", DÖV 1992, S. 524. 21 U. Steiner, VVDStRL 42 (1984), S. 42. 22 BVerfGE 35, 79 (114); BVerfGE 36, 321 (331): Dort heißt es, Art. 5 III GG stelle „dem modernen Staat, der sich im Sinne einer Staatszielbestimmung auch als Kulturstaat versteht, zugleich die Aufgabe ..."; vgl. auch Frank Fechner, Geistiges Eigentum und Verfassung, Tübingen 1999, S. 359 ff. 23 „Kulturstaat" setzt die Legitimation des Staates zur „Pflege" bereits im Wort voraus, noch ehe sie überhaupt diskutiert wird. Angesichts der Unbestimmtheit von „Kultur" kann man überdies sagen, jeder Staat sei ein Kulturstaat, weil der Staat selbst ein Stück Kultur sei, so wie man gesagt hat, jeder Staat sei ein Rechtsstaat, weil sich jeder Staat nur durch Recht organisieren können. Vgl. Carl Schmitt, Verfassungslehre, 3. Aufl., Berlin 1957, S. 129; ders., Legalität und Legitmität, in: ders., Verfassungsrechtliche Aufsätze aus den Jahren 1924-1954, 1958, S. 263,274. 24

So der Titel einer Monographie von Peter Häberle. 25 Vgl. Peter Häberle, Verfassungslehre als Kulturwissenschaft, Berlin 1982. 26 Siehe dazu etwa Thomas Köstlin, Die Kulturhoheit des Bundes, Berlin 1989, insb. S. 24 ff., S. 62 ff. 27 Siehe dazu die Beratungen der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer zu dem Thema „Kulturauftrag im staatlichen Gemeinwesen" 1983 (VVDStRL 42), mit den Referaten von U. Steiner und D. Grimm. 28 Kritisch zu einer solchen Reduktion des Kulturstaats „auf eine Art kulturellen Rechtsstaat, der sich selbst als Staat aller Eingriffe in die Kultur zu enthalten und deren Autonomie allenfalls gegen Dritte zu schützen" habe, Werner Maihofer, Kulturelle Aufgaben des moder-

Α. Kulturstaat im Grundgesetz

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In der Rechtswissenschaft werden vor allem zwei Kulturbegriffe verwendet: ein enger, der die traditionellen Bereiche staatlicher Kulturpolitik (Bildung, Wissenschaft, Kunst) zusammenfaßt, sowie ein weiterer Kulturbegriff. Dieser schießt sich an gängige soziologische bzw. anthropologische Definitionen an und umfaßt so ziemlich alles, was der Mensch aus der Natur macht, einschließlich Recht und Staat 3 0 . Unter Zugrundelegung dieses Kulturbegriffs von einem „Kulturstaat" zu sprechen, mag deshalb als Pleonasmus 31 erscheinen, aber nur bei oberflächlicher Betrachtung, und zwar nicht nur, weil Kultur mehr ist als der Staat 3 2 . Das spricht für die Verwendung eines weiteren Kulturbegriffs, für ein offenes Kulturkonzept als Konsequenz der pluralistischen Struktur des politischen Gemeinwesens 33 . Damit aus dem alles umfassenden Kulturbegriff keine Allzuständigkeit des Staates wird, bedarf das Kulturstaatsprinzip einer mehrfachen Begrenzung. Zunächst folgt schon aus der Verankerung des Kulturstaatsprinzips in der Menschenwürde, daß der Staat die Kultur nur als Voraussetzung für die freie Entfaltung seiner Bürger zu schützen h a t 3 4 . Denn der Staat ist auch i m Bereich der Kultur um der Menschen willen da und darf nicht seine Bürger zu Werkzeugen bei der Verwirklichung seiner kulturellen Zwecke machen. Aus einem in der Menschenwürde verankerten Kulturstaatsprinzip kommt deshalb dem Staat keine eigenen Staates, in: E. Benda /ders./H.-J. Vogel (Hrsg.), Handbuch des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Berlin 1994, § 25, Rdnr. 4. 29 Dezidiert in diesem Sinne Peter Häberle, in: ders., Kulturstaatlichkeit und Kulturverfassungsrecht, Darmstadt 1982, S. 1 (6). 30 D. Grimm, VVDStRL 42 (1984), S. 59. 31 „Ein solches Ineinssetzen von Staat und Kultur erzeugt aber einen Nebel, in dem das Preußen Wilhelm von Humboldts, das „Dritte Reich", die DDR und die Bundesrepublik Deutschland ununterscheidbar werden. Wie die historische Erfahrung lehrt, bekommt das weder dem Staat noch der Kultur sehr gut. Ähnlich verhält es sich mit dem „Kultruverfassungsrecht". Wenn alles Verfassung wird - das, was in den Wolken steht, ebenso wie das, was man in den einfachen Gesetzen lesen kann - gibt es keine Verfassung mehr und vermutlich nur noch wenig Kultur. Das Verfassungsrecht scheint gegen seine Instrumentalisierung für einzelne Lebensbereiche sogar noch wehrloser als der Staat. Neben dem Kulturverfassungsrecht soll es noch ein Arbeits-, Bildungs-, Familien-, Geld-, Kommunikations-, Medien-, Wirtschafts- und anderes Verfassungsrecht geben. Es fehlt nur noch ein Verfassungsverfassungsrecht. Deshalb ist auch das Gerede vom Kulturstaat und vom Kulturverfassungsrecht weniger erhellend als verschleiernd und nicht ungefährlich." Gerd Roellecke, Kulturauftrag im staatlichen Gemeinwesen, DÖV 1983, S. 654. 32

Wolf gang Kopke, Rechtschreibreform und Verfassungsrecht, Tübingen 1995, S. 386; vgl. auch Jutta Wermke, Von „Konsum" zu „Kultur", Z. f. P. 1998, S. 85 ff. 33 P. Häberle, a. a. O. (Fn. 29), S. 32; ders., a. a. O. (Fn. 25), S. 16f.; vgl. auch Hans Herbert v. Arnim, Gemeinwohl und Gruppeninteressen, Frankfurt/M. 1977, S. 148ff. 34 Vgl. Bodo Pieroth/Anja Siegert, Kulturelle Staatszielbestimmungen, RdJB 1994, S. 438 ff.; Peter Häberle, Kulturpolitk in der Stadt - ein Verfassungsauftrag, Heidelberg 1979; ders., Kulturverfassungsrecht im Bundesstaat, Wien 1980; ders., Feiertagsgarantien als kulturelle Identitätselemente des Verfassungsstaates, Berlin 1987; ders., Der Sonntag als Verfassungsprinzip, Berlin 1988; ders., Das Menschenbild im Verfassungsstaat, Berlin 1988; ders., Europäische Rechtskultur, Baden-Baden 1994.

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3. Kap.: Selbstverwirklichungsrecht im pluralistischen Kulturstaat

ne Kulturgestaltungsmacht zu. Nur um die Selbstverwirklichung des Menschen durchzusetzen, darf der Staat Kultur gestaltend tätig sein. Kulturgestaltungsmacht kann sich nur aus rechtlichen Kompetenzen ergeben, wie ζ. B. aus Art. 7 Abs. 1 oder 91a Abs. 1 Nr. 1 GG 3 5 . Eine ausdrückliche Kulturstaatsklausel, wie sie die Sachverständigenkommission „Staatszielbestimmungen/Gesetzgebungsaufträge" jetzt in Ergänzung von Art. 20 und 28 GG vorschlägt, hätte unter diesen Umständen keine konstitutive Bedeutung. Sie schlösse eine Textlücke, aber keine Rechtslücke. Davon geht die Kommission auch aus, wenn sie ihre Empfehlung als „grundsätzliche Verdeutlichung des kulturellen Auftrags des Gesamtstaats" versteht und unter anderem mit der Vollständigkeit der Verfassung rechtfertigt 36. Was rechtlich gilt, soll auch textlich vorkommen. Indessen könnte die deklaratorisch gemeinte Änderung angesichts der Vernachlässigung kulturstaatlicher Gesichtspunkte in der Verfassungsinterpretation faktisch durchaus verstärkende und appellative Wirkungen entfalten, die vorwiegend der Grundrechtsinterpretation zugute kämen 37 . Außerdem ist unstrittig, daß durch die Landesverfassungen Wichtiges zum Grundgesetz hinzukommt, indem mit dem Bereich der Kultur geradezu eine weitere Dimension des menschlichen Lebens neben wirtschaftlich-sozialem Handeln ins Blickfeld des Verfassungsrechts gelangt. Das Grundgesetz hat in seinem Grundrechtsindividualismus vorwiegend das sich selbst entfaltende Individuum im Blick. Es geht von der individuellen Person aus, von dem über sich selbst entscheidenden Einzelnen, der Meinungen, Gewissen, Religiosität oder weltanschauliche Orientierung hat 38 . So gesehen sind die meisten Grundrechte des Grundgesetzes das, was das selbständig gewordene Individuum mit den gewährleisteten Freiheiten anfangen kann. Die Voraussetzungen jedoch, die Sozialisationsprozesse, durch die der einzelne zu einer freien, sich selbst bestimmenden Person wird und bleibt, treten in den Grundrechten des Grundgesetzes zurück. In und durch pluralistische Bildung 39 , in und durch Aneignung von kulturellem Pluralismus gelangt der einzelne zu Weltdeutungen, zu einem Sinnverständnis und zu Wertorientierungen. Sie sind die Voraussetzungen, die der einzelne erst erwerben muß, damit er die weiteren Grundrechte überhaupt wahrnehmen kann 40 . 35 W. Kopke, a. a. O. (Fn. 32), S. 387. 36 Bericht der Sachverständigenkommission „Staatszielbestimmungen/Gesetzgebungsaufträge", 1983, S. 97 ff., das Zitat S. 112, das Argument der Vollständigkeit der Verfassung, S. 122. 37 D. Grimm, VVDStRL 42 (1984), S. 67. 38 Vgl. Martin Heckel, Zur Errichtung theologischer Fakultäten und Studiengänge im Spannungsfeld von Kulturverfassungsrecht und Staatskirchenrecht, in: R. Bartlsperger/D. Ehlers/W. Hofmann/D. Pirson (Hrsg.), Rechtsstaat Kirche Sinnverantwortung, Festschrift für Klaus Obermayer zum 70. Geburtstag, München 1986, S. 181 ff. 39 Vgl. Thilo Ramm, Bildung, Erziehung und Ausbildung als Gegenstand von Grundrechten, in: H. Avenarius/H. Engelhardt/H. Heussner/F. v. Zezschwitz (Hrsg.), Festschrift für Erwin Stein zum 80. Geburtstag, Bad Homburg vor der Höhe 1983, S. 239 ff.

Α. Kulturstaat im Grundgesetz

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Es kann ernsthaft nicht in Frage gestellt werden, daß die Landesverfassungen mit der Kultur einen grundlegenden Sachbereich regeln und das Grundgesetz um Wichtiges ergänzen. Ob diese Regelungsmaterien den Ländern aber Substanz an materiellem Verfassungsrecht erbringen, hängt wesentlich davon ab, ob Kultur dabei von der Sache her für Pluralismus und Unterschiedlichkeit geeignet ist. Diese Überlegungen können für den Gesamtbereich der „Kultur" generalisiert werden. Der Staat ist auf die Werthaltungen und Sinnorientierungen angewiesen, die von den einzelnen, der Gesellschaft, den Religions- oder Weltanschauuungsgemeinschaften in Pluralismus und Unterschiedlichkeit geprägt werden 41. „Der freiheitliche, säkularisierte Staat lebt von Voraussetzungen, die er selbst nicht garantieren kann." 42 Unter diesen Voraussetzungen nimmt die Kultur, der Inbegriff von Werthaltungen und Sinnorientierungen eine wichtige Rolle im Sinne des Grundlegenden und Fundierenden ein. Dies gilt auch für die plurale Erscheinungsweise, in der pluralistischen Werthaltungen, Sinnorientierungen und Glaubensüberzeugungen in der Neuzeit dem einzelnen gegenübertreten. Für den einzelnen geht es dabei um die pluralistischen kulturellen Grundlagen seiner Individualität und damit um die Voraussetzungen für die Wahrnehmung der meisten Grundrechte. Die Lebenswelt des einzelnen sollte pluralistisch kulturell konstituiert sein 43 . Die Erfüllung des Kulturauftrags richtet sich nach den kulturellen Grundrechten, die geistige Prozesse sowie deren spezifische Ausdrucksformen schützen und dadurch die kulturelle Kommunikation offen und ihre Hervorbringungen im Kulturstaat pluralistisch erhalten 44.

ΠΙ. Gewährleistung des pluralistischen Kulturstaats durch die kulturellen Grundrechte im Grundgesetz

Die in der Bundesrepublik bestehende pluralistische kulturelle Gesellschaft findet ihre verfassungsrechtliche Grundlage im Grundgesetz und zwar in den kulturellen Grundrechten. Diese Grundrechte gewährleisten die freie Entfaltung individueller kultureller Identität, und zwar in ihren wesentlichen Äußerungsformen 45. Die Kunstfreiheit des Art. 5 Abs. 3 GG ist am stärksten geschützt, weil sie durch den Staat nur eingeschränkt werden darf, um andere Verfassungsgüter zu schützen. 40 Rainer Wahl, Grundrechte und Staatszielbestimmungen im Bundesstaat, AöR 112 (1987), S. 47; vgl. auch Josef Isensee, Die alte Frage nach der Rechtfertigung des staates, JZ 1999, S. 275 ff. 41 Vgl. R. Wahl, AöR 112 (1987), S. 47 ff.; Helmut Klages/Peter Schäfer, Organisation kommunaler Kulturverwaltung, Speyer 1983. 42 Ernst-Wolfgang Böckenförde, Staat, Gesellschaft, Freiheit, Frankfurt/M. 1976, S. 60. 43 R. Wahl, AöR 112 (1987), S. 48. 44 D. Grimm, VVDStRL42 (1984), S. 81. 45 Vgl. Ingo Richter, Multireligiöser Religonsunterricht in einer multikulturellen Gesellschaft?, RdJB 1993, S. 258 f.

12 Hsu

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3. Kap.: Selbstverwirklichungsrecht im pluralistischen Kulturstaat

Sie ermöglicht die Entfaltung künstlerischer Vielfalt, von der Alltagsgestaltung bis zur hohen Kunst 46 . Die Wissenschaftsfreiheit - nach Art. 5 Abs. 3 GG ebenso stark geschützt wie die Kunsfreiheit - gewährleistet nicht nur die Erforschung der Besonderheit kultureller Gruppen, sondern auch die Verbreitung in der Form der Lehre - sei es an eigenen akademischen Einrichtungen dieser Gruppen, sei es an den staatlichen Universitäten 47. Die Meinungs-, Presse-, Funk- und Fernsehfreiheit in den Grenzen der allgemeinen Gesetze nach Art. 5 Abs. 1 und 2 GG gibt ein Recht insbesondere auf eigene Zeitungen, Rundfunk- und Fernsehstationen. Auch das Recht auf die Berücksichtigung der Interessen kultureller Gruppen im Rahmen öffentlich-rechtlicher Organisationsformen 48 ist hier enthalten. Die Privatschulfreiheit des Art. 7 Abs. 4 GG gibt den kulturellen Gruppen das Recht zur Gründung und Unterhaltung eigener Schulen, die allerdings in ihren allgemeinen Lernzielen nicht hinter den öffentlichen Schulen zurückstehen dürfen, was jedoch die Wahrung der kulturellen Vielfalt nicht nur nicht ausschließt, sondern erfordert 49. Die Eltern können aufgrund ihres Elternrechts nach Art. 6 Abs. 2 GG ihre Kinder in der Familie nach ihren eigenen kulturellen Vorstellungen erziehen 50 und ihren Einfluß auch im Schulwesen geltend machen, ζ. B. durch die Wahl einer Privatschule oder einer bestimmten öffentlichen Schule51. Und schließlich ist die Religionsfreiheit des Art. 4 Abs. 1 und 2 GG das älteste Grundrecht kultureller Viefalt 52 . Über allem wölbt sich das Grundrecht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit nach Art. 2 Abs. 1 GG, womit auch und in erster Linie die freie Entfaltung, und zwar die nach Art. 3 Abs. 1 und Abs. 3 GG gleiche Entfaltung kultureller Interessen gemeint ist 5 3 . Diese Grundrechte stehen nun nicht nur den deutschen Staatsbürgern zu, sondern allen Menschen. Es können sich deshalb auch alle in Deutschland lebenden Ausländer auf diese Grundrechte berufen 54. Diese Grundrechte stehen auch nicht nur den Individuen zu, sondern nach Art. 19 Abs. 3 GG auch gesellschaftlichen Organisatio46 47 48 49 50

BVerfGE 30, 173. Grundlegend BVerfGE 35,79. BVerfGE 12, 205; auch 57, 295; 73,118; 74, 297. Grundsätzlich BVerfGE 75,40. BVerfGE 7, 320; 47,46.

51 BVerfGE 34, 165. 52 Vgl. Hanns Engelhardt, Staatskirchentum und Religionsfreiheit, in: H. Avenarius/ ders./H. Heussner/F. v. Zezschwitz (Hrsg.), Festschrift für Erwin Stein zum 80. Geburtstag, Bad Homburg vor der Höhe 1983, S. 13 ff. 53 Zur freien Entfaltung der Persönlichkeit gehören insbes. alle diejenigen kulturellen Bereiche, die nicht durch die besonderen Grundrechte der Kunst-, Wissenschafts-, Meinungssowie der pädagogischen Freiheit erfaßt werden, also insbes. die ,Alltagskultur" wie ζ. B. Hobbies und Kleidung, Feiern und Feste und vieles andere mehr. Art. 3 III GG untersagt insbes. die Benachteiligung wegen der Zugehörigkeit zu einer bestimmten kulturellen Gruppe, wenn diese in der Abstammung, der Rasse, der Sprache, der Heimat und Herkunft oder im Glauben ihren Ausdruck findet. 54 /. Richter, RdJB 1993, S. 258.

Α. Kulturstaat im Grundgesetz

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nen, soweit diese organisatorische Selbständigkeit besitzen und soweit die Grundrechte „ihrem Wesen nach" - so der Wortlaut des Art. 19 Abs. 3 GG - auf sie anwendbar sind. Die kulturellen Rechte sind nun z.T. eher Individualrechte, wie ζ. B. die freie Entfaltung der Persönlichkeit oder das Elternrecht, z.T. aber deutlich auch Kollektivrechte, wie ζ. B. die Privatschulfreiheit oder die Fernsehfreiheit. Es kommt also ganz auf den Charakter der Grundrechte an, ob sie für die freie kulturelle Entfaltung in kollektiver Form in Anspruch genommen werden können55 . Eins aber ist deutlich: Diese Grundrechte sind ihrem Ursprung und Wesen nach Freiheitsrechte, d. h. sie gewähren im kulturellen Bereich den Menschen die Freiheit der freien kulturellen Entfaltung, sei es, daß diese Freiheit einzeln oder gemeinsam wahrgenommen wird. Das bedeutet zunächst negativ, daß der Staat in diese kulturelle Freiheit nicht eingreifen darf, solange sich die Grundrechtsausübung im Rahmen der allgemeinen Gesetze bewegt. Es bedeutet auch, daß die kulturelle Freiheit der einen nicht durch die kulturelle Freiheit der anderen eingeschränkt werden darf, weil der Staat die Aufgabe hat, in einer pluralistischen kulturellen Gesellschaft die Ausübung der kulturellen Freiheit durch alle Gruppen zu gewährleisten 56. Die Gewährung von Freiheitsrechten wirkt aber darüber hinaus auch positiv, indem die Bürger das Recht haben, von ihrer kulturellen Freiheit Gebrauch zu machen und indem der Staat die Aufgabe hat, die Ausübung dieser Grundrechte zu schützen und zu fördern, - auch wenn sich daraus Ansprüche auf konkrete, insbesondere finanzielle Leistungen nicht ableiten lassen57. Die Gewährleistung dieser Grundrechte ermöglicht es den kulturellen Gruppen, eine eigene kulturelle Identität zu entwickeln und zu erhalten. Insoweit gewährleistet das Grundgesetz die Existenz einer pluralistischen kulturellen Gesellschaft, auch wenn sie ausdrücklich im Grundgesetz nicht vorgesehen ist. Aus dem Charakter dieser Grundrechte als Freiheitsrechte ergibt sich aber auch, daß sich die kulturellen Gruppen darauf beschränken können, in ihrer je eigenen Kultur zu leben; das Grundgesetz zwingt sie nicht dazu, auch die Kultur der jeweils anderen Gruppen zu vermitteln 58 . Sie dürfen einseitig sein, solange sie die allgemeinen Gesetze beachten und die Rechte der anderen Gruppen nicht beeinträchtigen. Das Grundgesetz verlangt keinen Binnenpluralismus im Außenpluralismus 59. Die Kul55 BVerfGE 4,96. 56 BVerfGE 73, 261; vgl. auch Otfried Höffe, Vernunft und Recht, 1. Aufl., Frankfurt/M. 1996, S. 49, 53 ff., 91 ff. 57 BVerfGE 12, 205; BVerfGE 35, 79; BVerfGE 43, 291; vgl. auch Denise Buser, Dimensionen einer kulturellen Grundrechtssicht, ZSR 1998, S. 1 ff. 58 Vgl. Stefan Kadelbach, Kommunaler Kulturbetrieb, Freiheit der Kunst und Privatrechtsform, NJW 1997, S. 1114 ff.; Peter Häberle, Wahrheitsprobleme im Verfassungsstaat, 1. Aufl., Baden-Baden 1995, S. 79 ff. 59 Da interner Pluralismus den modernen Staat auf das Legitimationsmodell „Gefahrenabwehr" beschränkt, dürfte es so etwas wie einen „Kulturauftrag im staatlichen Gemeinwesen" nicht geben. Andererseits ist nicht zu leugnen, daß der Staat nicht nur Gefahren abwehrt, son12*

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3. Kap.: Selbstveirklichungsrecht im pluralistischen Kulturstaat

tur darf mit sich selbst identisch sein. Die Sorben dürfen sorbisch und die Anthroposophen anthroposophisch sein; niemand kann die Sorben zwingen, Sachsen zu werden oder ihre eigene Kultur zugunsten der gemeindeutschen Kultur aufzugeben, und niemand darf die Anthroposophen zwingen, sich in die christlichen Kirchen einzugliedern. Die Wahrung der freien pluralistischen kulturellen Entfaltung ist eine Aufgabe des Staates, die dieser jedoch nicht durch die Unterdrückung der kulturellen Identität der Gruppen im Staat erfüllen darf 60 .

IV. Der pluralistische Kulturstaat als Kulturauftrag sozialer Integration durch die kulturellen Grundrechte im Grundgesetz

Die soziale Integration, die der Staat zu gewährleisten hat, hängt nicht allein vom Funktionieren seiner Institutionen, sondern auch von der Existenz einer kulturell gegründeten Integrationsbasis ab. Und selbst das Funktionieren der Institutionen beruht nicht ausschließlich auf staatlicher Leistung, sondern bedarf zusätzlich gesellschaftlicher Legitimation, die wiederum kulturell erzeugt wird 61 . Diese Zusammenhänge machen rückblickend auch klarer, warum der Staat den Prozeß der Verselbständigung von Kultur zunächst als bedrohlich empfinden mußte: in Bestand und Funktion auf kulturelle Vorleistungen angewiesen, hatte er bei autonomer Kultur seine eigenen Existenzbedingungen nicht mehr in der Hand. Darin liegt zugleich der Grund für die ständige Bedrohung kultureller Autonomie 62 durch den Staat und die geringe Verbreitung des kulturstaatlichen Modells. Die Ausbildung kultureller Autonomie ist Teil des umfassenderen Vorgangs funktionaler Differenzierung der Gesellschaft. Dieser Prozeß verweist die verschiedenen Sozialbereiche auf ihnen spezifische Rationalitätskriterien und verdrängt den Staat aus seiner allzuständigen Führungsposition 63. Die Kulturautonomie ist in der grundrechtlich geschützten Freiheit der einzelnen im Grundgesetz umfassend verankert, eine eigene Kulturgestaltungsmacht des Staates dagegen nicht 64 . dem auch - mit unterschiedlichem Erfolg - hegt und pflegt. Vgl. Gerd Roellecke, Kulturauftrag im staatlichen Gemeinwesen, DÖV 1983, S. 653. » Vgl. /. Richter, RdJB 1993, S. 259. 61

Vgl. Norbert Wimmer, Kulturauftrag im staatlichen Gemeinwesen, VVDStRL 42 (1984), S. 83ff.; Ulrich Κ Preuß, Revolution, Fortschritt und Verfassung, Frankfurt/M. 1994, S. 107 ff. 62 Vgl. Michael Kilian, Auswärtige Kurturverwaltung zwischen kultureller Autonomie und staatlicher Lenkung, in: H.-J. Birk/A. Dittmann/M. Erhardt (Hrsg.), Kulturverwaltungsrecht im Wandel, Professor Dr. Dr. h.c. Thomas Oppermann zum 50. Geburtstag, Stuttgart 1981, S. 111 ff. ω D. Grimm, VVDStRL 42 (1984), S. 80.; vgl. auch Peter Häberle, Aspekte einer kulturwissenschaftlich-rechtsvergleichenden Verfassungslehre in „weltbürgerlicher Absicht" - die Mitverantwortung für Gesellschaften im Übergang, in: R. Pitschas (Hrsg.), Entwicklungen des Staats- und Verwaltungsrechts in Südkorea und Deutschland, Berlin 1998, S. 25 ff.

Max-Emanuel Geis , Kulturstaat und kulturelle Freiheit, Baden-Baden 1990, S. 215 f.; vgl. auch Gregor Thüsing, Kirchenautonomie und Staatsloyalität, DÖV 1998, S. 25 ff.

Α. Kulturstaat im Grundgesetz

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Noch schärfer läßt sich der Kulturauftrag herausarbeiten 65, wenn man von der verfassungsrechtlichen Stellung des einzelnen ausgeht. Das Grundgesetz spricht ihm an der Spitze seiner Bestimmungen eine unantastbare Würde zu. Die Funktion des Staates wird auf die Menschenwürde bezogen. Diese Grundentscheidung konkretisiert sich sowohl in den Grundrechtsgarantien als auch in der Staatsorganisation. Die Grundrechte konstituieren einen Bereich individueller Freiheit, in dem sich personale Würde realisieren kann. Ihr Ziel ist die Selbstverwirklichung des Einzelnen. Diese schützt die Verfassung aber, wie insbesondere die Sozialstaatsklausel 66 zeigt, nicht nur als formales Ideal, sondern unter Einschluß ihrer materiellen Voraussetzungen. Die Grenze bildet allein die, freilich ebenfalls materiell verstandene, gleiche Freiheit der anderen. Das Grundgesetz bindet die Ausübung politischer Herrschaft an einen befristeten gesellschaftlichen Auftrag, verteilt sie auf verschiedene, in ihren Entscheidungen unabhängige Organe und gestaltet gleichzeitig den Entscheidungsprozeß durchsichtig und offen. Dadurch versucht es auch organisatorisch sicherzustellen, daß die aus der individuellen Freiheit folgenden Meinungs- und Interessenunterschiede nicht unter ein vorgegebenes Gemeinwohl gezwungen werden. Die gleichwohl unerläßliche Einheitsbildung soll in einem diskursiven Prozeß vor sich gehen, der prinzipiell unabgeschlossen ist und prinzipiell nicht die Freiheit aufheben darf. Staatliche Kulturpflege hat der grundrechtlich gesicherten Autonomie der pluralistischen kulturellen Lebensbereiche Rechnung zu tragen. Sie muß selbst von Steuerung nach politischen Motiven frei sein und die Kultur vor kulturexternen Einflüssen von dritter Seite in Schutz nehmen . Ist das Selbstverständis der Menschen als Individuen aber durch den pluralistischen kulturellen Entwicklungstand der Gesellschaft bedingt, dann ergeben sich daraus Rückwirkungen auf eine Verfassung, die vom Individuum ausgeht und den Staat der personalen Freiheit dienstbar macht. Die Verfassungsinterpretation muß berücksichtigen, daß diejenigen Bestimmungen, welche das Grundgesetz zum Schutz der Individualität trifft, ihren Zweck verfehlen und im Extremfall obsolet werden können, wenn die pluralistischen kulturellen Grundlagen der Individualität nicht mit gesichert werden 68 . Das betrifft namentlich die Grundrechte als wichtig65

Vgl. Thomas Fleiner-Gerster, Kulturauftrag im staatlichen Gemeinwesen, VVDStRL 42 (1984), S. 90 ff. 66 Kulturstaatliches Handeln ist kein Konkretisierungsfall des Sozialstaatsprinzips, sondern folgt aus einem inhaltlich eigenständigen politischen oder verfassungsrechtlichen Auftrag. Kulturelle Präferenzen setzt das Sozialstaatsprinzip nicht. Der Sozialauftrag des Grundgesetzes bezieht sich auch auf die soziale Situation des kulturellein Bereichs und auf die Zugangsbedingungen zur öffentlichen Kultur unter dem Gesichtspunkt sozialer Hindernisse. Er berechtigt den Staat nicht,die öffentliche Kunst- und Wissenschaftsförderung allgemein mit dem Kriterium der „sozialen Akzeptanz" oder der „sozial-gesellschaftlichen Relevanz" zu verknüpfen. Vgl. U. Steiner, VVDStRL 42 (1984), S. 42 ff. 67 D. Grimm, VVDStRL 42 (1984), S. 65 f. (81). 68 Vgl. Günter Rager (Hrsg.), Beginn, Personalität und Würde des Menschen, München 1997, S. 170 ff.

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3. Kap.: Selbstverwirklichungsrecht im pluralistischen Kulturstaat

ste Garantien von Personalität und Individualität. Was hinsichtlich der sozialen Defizite des klassischen Grundrechtsverständnisses theoretisch heute großenteils aufgeholt ist, steht für ihren pluralistischen kulturellen Aspekt noch weitgehend aus. Darin liegt die Berechtigung der von Peter Häberle geforderten kulturstaatlich erweiterten Grundrechtstheorie 69.

V. Kulturauftrag und Pluralismus im Kulturstaat nach dem Grundgesetz

Nach herkömmlicher Auffassung ist ein Charakteristikum des deutschen Bundesstaates die „Kulturhoheit" der Länder 70 . Doch ist diese Formel nicht unproblematisch: Der typisch deutsche Begriff der „Hoheit", der noch dem Vokabular des vordemokratischen Staates entstammt, suggeriert eine natürliche staatliche Kulturgestaltungsmacht, bei der die Befugnis zum Eingriff in Rechte seiner Bürger aus der staatlichen Aufgabe folgt 71 . Dieses Staatsverständnis ist aber mit einem freiheitlichen Staat nicht vereinbar 72. Besser ist es, die dienende Funktion des Staates für das Individuum und die Gemeinschaft deutlich zu machen und von einem verfassungsrechtlichen Kulturauftrag der Länder zu sprechen 73. Diejenigen Kompetenzen, die den einzelnen individuell besonders betreffen, die von prägender Bedeutung für die Selbstverwirklichung und Identitätsbildung des Individuums sind, sollen von den hierzu besser geeigneten Einzelstaaten wahrgenommen werden 74 . Versteht man den Staat schlechthin als Instrument zur Verwirk69

In dieser Verfassungsinterpretation werden die als wesentlich für das Staatsleben erachteten Rechte der einzelnen und ihre gesellschaftlichen Verbindungen verbürgt. Dabei sind diese Rechte nicht nur als verfassungsrechtliche Begrenzung staatlicher Macht zu verstehen, sondern konstituieren auch die im Grundgesetz festgelegte staatlich-demokratische wie gesellschaftlich-soziale Rechtsordnung. Vgl. Ρ Häberle, Die Wesensgehaltsgarantie des Art. 19 Abs. 2 GG, Aufl. 3, Heidelberg 1983, S. 385 ff. 70 Beispiele: BVerfGE 6, 309 ff. LS 7; 37, 314 ff. (322). So v. a. Ernst Rudolf Huber, Zur Problematik des Kulturstaats, Tübingen 1958, S. 12 ff.; Dagegen W. Maihofer, a. a. O. (Fn. 28), S. 953 ff. (983); M.-E. Geis, a. a. O. (Fn. 64), S. 222 Fn. 512ff. 72 Angesichts dieser Entwicklung scheint die Formel von der „Kulturhoheit der Länder" eher realitätsfern. Ihr eigentlicher Gehalt erschließt sich erst im Zusammenhang mit dem Bundesstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 1 i.V.m. 79 Abs. 3 GG. Im Bundesstaat des Grundgesetzes bedarf die Erhaltung der Staatlichkeit der Länder nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts eines Kernbereichs unentziehbarer Aufgaben und Kompetenzen bestimmter Qualität als „Hausgut". Vgl. BVerfGE 1, 14 (34); 6, 309 ff. (346 f,); 14, 197 (234); 34,9 (21,44 f); 36, 341 (360 ff.); 38, 281 ff. (309). 73 P. Häberle, Kulturverfassungsrecht im Bundesstaat, 1980, S. 55; vgl. auch Friedhelm Hufen, Kulturauftrag als Selbstverwaltungsgarantie, NVwZ 1983, S. 516; Dieter Grimm, Recht und Staat der bürgerlichen Gesellschaft, 1. Aufl., Frankfurt/M. 1987, S. 104ff.; Günter Püttner, Mitbestimmung und demokatische Legitimation insbesondere im Kulturbereich, DÖV 1988, S. 357 ff. 74 Wilhelm A. Kewenig, Kooperativer Föderalismus und bundesstaatliche Ordnung, AöR 93 (1968), S. 433 ff. (481).

Α. Kulturstaat im Grundgesetz

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lichung größtmöglicher Freiheit in Gleichheit und der Menschenwürde aller, so wird deutlich, daß die identitätsbildende Funktion länderstaatlicher Kulturpolitik für den einzelnen geradezu das wesentliche Merkmal der Staatlichkeit der Länder ausmacht75. Kultur ist untrennbar mit der Personalität des Menschen verbunden; sie ist letztlich in der Menschenwürdegarantie des Art. 1 Abs. 1 GG mitbegründet 76. Es ist kein Zufall, daß die kulturellen Elemente des Grundgesetzes (Wissenschaft, Kunst, Bildung, Religion) vor allem im Grundrechtsteil enthalten sind. Dies zeigt: Kultur ist freiheitliche Kultur und zugleich Kultur der Freiheit. Staatliches Handeln darf daher kein Selbstzweck sein, sondern muß der Selbstverwirklichung des Individuums dienen 77 . Dies wird gerade im Bildungsbereich sehr deutlich: Staatliche Indoktrination zur Formung eines ideologisch determinierten Menschen ist verfassungswidrig. Dieser Funktion entspricht nur ein „offenes" Kulturverständnis, das zum einen die überlieferten Identitätsfaktoren schützt, das zum zweiten die individuelle, kreative Freiheitsentfaltung umgreift und das zum dritten den Pluralismus kultureller Manifestationen als Realität akzeptiert und prinzipiell als gleichberechtigt anerkennt 78. Freiheitlicher Pluralismus ist einmal durch die Struktur kultureller Grundrechte als Ordnungsprinzip vorgegeben; besonders deutlich wird dies bei der Kunst- und Wissenschaftsfreiheit des Art. 5 Abs. 3 GG, bei der Privatschulfreiheit des Art. 7 Abs. 4 GG und auch bei der Glaubensfreiheit des Art. 4 Abs. 1 GG. Der freiheitliche Pluralismus ist Konsequenz aus der Erkenntnis, daß staatliches Handeln auf dem Gebiet der Kultur auf letztlich nicht objektivierbaren Kriterien und Wertungen beruhen muß, sei es beispielsweise in der Bewertung, welches Schulbuch pädagogisch besonders geeignet ist, sei es in der Frage, welches künstlerische Schaffen besonders förderungswürdig ist. Zum anderen ist kultureller Pluralismus die notwendige Voraussetzung für die Funktionsfähigkeit des kulturellen Pro79

zesses . Die Entscheidung des Grundgesetzes für eine freiheitliche, pluralistische Kulturordnung wird damit zu einer Direktive für die Ausgestaltung staatlicher Organisationsstrukturen insgesamt und damit auch für die Konkretisierung des Bundesstaatsprinzips des Art. 20 Abs. 1 GG. Wenn Individualität und Pluralismus wesentliche Elemente der Kultur sind, so muß die Auslegung und Anwendung der bundesstaatlichen Kompetenzordnung diesen Elementen Rechnung tragen. Auch daraus läßt sich eine Pflicht zur Restriktion gesamtstaatlicher Kulturkompetenzen ableiten. Die pluralistische „offene Gesellschaft" des Grundgesetzes wird so in doppelter Weise garantiert: Während die kulturellen Grundrechte die individuelle 75 76 77 78 79

R Häberle, a. a. O. (Fn. 34), S. 54. D. Grimm, VVDStRL 42 (1984), S. 65. Max-Emanuel Geis, Die „Kulturhoheit der Länder", DÖV 1992, S. 525. Vgl. R Häberle, a. a. Ο. (Fn. 34), S. 21ff.; ders., a. a. O. (Fn. 29), S. 14f. M.-E. Geis, DÖV 1992, S. 525.

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3. Kap.: Selbstverwirklichungsrecht im pluralistischen Kulturstaat

Vielfalt schützen, schützt das Bundesstaatsprinzip gleichsam als Querstrebe die regionale Vielfalt 80 .

VI. Kulturstaat als objektiver und pluralistischer Kulturauftrag der Menschenwürde und der Selbstverwirklichung des Menschen im Grundgesetz

Der um der Menschen willen existierende Staat hat kulturelle Prozesse, die sich aus der Selbstverwirklichung (freien Entfaltung) seiner Bürger ergeben, zu achten und zu schützen, wie in Anlehnung an Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 Satz 2 GG formuliert werden soll. Kulturstaat als der verfassungsrechtlich objektive und pluralistische Kulturauftrag der Menschenwürde und der Selbstverwirklichung des Menschen im Grundgesetz bezieht sich auf die Sicherung der pluralistischen kulturellen Grundlagen von Person und Gesellschaft, die Ermöglichung kreativer pluralistischer kultureller Prozesse und die objektive und pluralistische Verbreitung kultureller Güter 81 . Konstitutiv für die Würde des Menschen ist daher nicht nur, daß der Mensch mit dem Vermögen der individuellen Selbstformierung ausgestattet ist (Aspekt der Subjektivität), sondern auch, daß ihm die Fähigkeit zukommt, Kultur zu interpretieren und zu rezipieren (Aspekt der Intersubjektivität) 82. Sofern alle staatliche Gewalt dazu verpflichtet ist, die Würde des Menschen zu achten und zu schützen (Art. 1 Abs. 1 Satz 2 GG), ist sie daher unmittelbar auf das Kulturstaatsprinzip als Optimierungsgebot verpflichtet. Es besagt, daß ein möglichst reichhaltiger Fundus an Kultur bewahrt werden soll, um dem menschlichen Individuum möglichst vielfältige und reichhaltige Selbstverwirklichung zu bieten 83 . Nach Gröschners Ansicht folgt nämlich aus der Pflicht, die Menschenwürde zu achten, die Verpflichtung des Staates, Bedingungen zu schaffen, die eine möglichst vollkommene Entfaltung der würdekonstitutiven Fähigkeiten ermöglichen ... im Sinne eines Optimierungsgebotes" 84. Das „Optimierungsgebot, worauf alle 80

Josef Isensee, Idee und Gestalt des Föderalismus im .Grundgesetz, in: J. Isensee/P. Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. IV, Heidelberg 1990, § 98, Rdnr. 246. 81 Eine freiheitliche und pluralistische Gesellschaft kann sich nur auf dem Boden allseits akzeptierter Grundwerte entfalten, zu denen u. a. die Menschenwürde, freie Entfaltung der Persönlichkeit und Pluralismus im Kulturstaat gehören. Vgl. D. Grimm, VVDStRL 42 (1984), S. 68. 82

Begreift man Kultur als die Summe der Kommunikationsprozesse, die für das einzelne Individuum in seiner Gemeinschaft identitätsstiftend sind, so ist es eines der Medien, das den Menschen zur individuellen, unverwechselbaren Person formt. Kultur ist daher untrennbar mit der Personalität des Menschen verbunden; sie ist letztlich in der Menschenwürdegarantie des Art. 1 Abs. 1 GG mitbegründet. Vgl. W. Kopke, a. a. Ο. (Fn. 32), S. 381 ff. 83 Rolf Gröschner, Menschenwürde und Sepulkralkultur in der grundgesetzlichen Ordnung, Stuttgart 1995, S. 42 f.

Β. Schule im pluralistischen Kulturstaat

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staatliche Gewalt laut Art. 1 Abs. 1 Satz 2 GG verpflichtet ist, fordert daher die Erhaltung und Vermehrung des kulturellen Reservoirs, mit anderen Worten: die Förderung dessen, was man allgemein als Multikulturalität bezeichnet"85. Entscheidend ist die dogmatische Fundierung eines Kulturstaatsprinzips in der Menschenwürde, die - um den kulturellen Aspekt vervollständigt - verstanden werden soll als die Fähigkeit des Menschen, sein Leben in Auseinandersetzung mit Kultur selbstbestimmt zu gestalten. Kultur ist daher eine Grundvoraussetzung für das Gebrauchmachen von Freiheitsrechten 86, die um der Menschenwürde willen gewährleistet sind. Die Grundrechte könnten leerlaufen, wenn es dem Staat erlaubt wäre, nach Belieben Kultur zu zerstören. Nimmt man die durch Art. 1 Abs. 1 Satz 2 GG normierte Verpflichtung ernst, muß der Staat um der Menschenwürde willen auch die kulturellen Grundbedingungen menschlicher Selbstverwirklichung achten und schützen. Diese Pflicht sei als Kulturstaatsprinzip bezeichnet87. Es können aber auch die Staatszielbestimmungen und ihre Konkretisierung in den Organisationsnormen berührt sein, soweit sie die Konstituierung, Kompetenz und Prozedur der Staatsorgane gerade im Hinblick auf die Wahrung individueller Freiheit regeln. Die verfassungsrechtliche Entscheidung für Individualfreiheit enthält also gleichzeitig eine Anerkennung des staatlichen Kulturauftrags. Die Stelle einer Kulturstaatsklausel, die im Grundgesetz nicht ausdrücklich vorkommt, nehmen gewissermaßen stellvertretend Art. 1 Abs. 1 Satz 2 und Art. 2 Abs. 1 GG ein 88 . Da der oberste verfassungsrechtliche Zielwert der Menschenwürde und die auf ihn bezogene Selbstverwirklichung des Menschen nur unter pluralistischen kulturellen Voraussetzungen realisierbar sind, erteilt das Grundgesetz dem Staat auch ohne ausdrückliche Kulturstaatsklausel einen objektiven und pluralistischen Kulturauftrag der Menschenwürde und der Selbstverwirklichung des Menschen.

B. Schule im pluralistischen Kulturstaat I. Entwicklung der Schule im pluralistischen Kulturstaat

Das Schulwesen hatte vor allem in den evangelischen Territorien des Reiches durch die Reformation wesentliche Bedeutung erlangt. Martin Luther hatte 1524 und dann noch einmal 1530 der Obrigkeit zur Pflicht gemacht, Kinder zur Schule anzuhalten. Um die Verbesserung des Unterrichts machte sich vor allem Phillip Melanchton als „praeceptor Germaniae" verdient, dessen Leitbild die Herstellung 84

R. Gröschner, a. a. O. (Fn. 83), S. 47, mit Bezug auf Robert Alexy, Theorie der Grundrechte, 2. Aufl., Frankfurt/M. 1994, S. 71 ff. 85 R. Gröschner, a. a. O. (Fn. 83), S. 48. 86 R. Wahl, AöR 112 (1987), S. 47 f. 87 W. Kopke, a. a. O. (Fn. 32), S. 384f. 88 Vgl. D. Grimm, VVDStRL 42 (1984), S. 66 f. (81).

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3. Kap.: Selbstveirklichungsrecht im pluralistischen Kulturstaat

einer Einheit von evangelischer Lehre und humanistischer Erziehung unter dem Schutz von weltlicher Obrigkeit war 89 . In Preußen kam es allerdings erst unter König Friedrich Wilhelm I. und unter dem Einfluß August-Hermann Frankes sowie des Pietismus zu durchgreifenden pädagogischen Maßnahmen. Der König erkannte die Bedeutung einer elementaren Schulbildung für die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit der Bevölkerung seiner Staaten weit besser als seine Vorgänger und die meisten seiner Zeitgenossen. Durch Verordnung vom 28. September 1717 wurde nicht nur der Schulzwang in altpreußischen Staaten eingeführt, sondern auch Bestimmungen zu seiner Durchsetzung erlassen. Die Maßnahmen wurden mit der Aufgabe des Staates begründet, dem „höchstverderblichen Übel der Unwissenheit, sowohl was das Lesen, Schreiben und Rechnen betrifft, als auch in denen zu ihrem Heil und Seligkeit dienenden höchst Stücken" abzuhelfen. Nichtsdesto weniger bedurfte es noch einer längeren Zeit, bis sich diese Prinzipien überall verwirklichen ließen. Deshalb verfolgte das am 12. August 1763 erlassene General-Landschul-Reglement das Ziel, „das Schulwesen auf dem Lande in allen Provinzen auf einen besseren Fuß als bisher zu setzen und zu verfassen" 90. Da der Monarch, welcher den Auftrag zur Kodifikation 1789 erteilte, dem Schul- und Bildungswesen besondere Bedeutung für die Kultur eines Volkes einräumte, nimmt es nicht Wunder, wenn diese Fachbereiche in dem Gesetzbuch eine ausführliche Regelung erfuhren. So schrieb der Monarch im Oktober 1772 an d'Alembert : , Je älter man wird, desto mehr wird man inne, wie sehr die Vernachlässigung der Jugenderziehung der bürgerlichen Gesellschaft schadet. Ich tue alles Mögliche, um diesem Übel abzuhelfen. Ich reformiere die Gymnasien, die Universitäten und auch die Dorfschulen. Über 30 Jahre gehören dazu, um Früchte zu erkennen" 91 . Kernstück des Schulwesens sind seit jeher die verschiedenen Schulzweige. Die sonstigen Sachbereiche, wie etwa Jugend- und Erwachsenenbildung, entwickelten sich im wesentlichen erst mit dem Ende des 19. Jahrhunderts. Kennzeichnend für das deutsche Schulwesen, wie es sich in den Anfängen des zweiten Kaiserreiches bereits in weitgehend durchgeformter, wenn auch landesrechtlich differenzierter Eigenart darbietet, ist allerorts die Verbindung zum Staat92. Nach den berühmten Worten von Teil Π Titel 12 Pr. ALR, die, wie die preußische Entwicklung überhaupt, in der grundsätzlichen Richtung stellvertretend für die Tendenz innerhalb 89 Vgl. Georg-Christoph v. Unruh, Die „Schule der Rechts- Staats- Lehrer" und ihre Vorläufer in vorkonstitutioneller Zeit, in: N. Achterberg/W. Krametz/D. Wyduckel (Hrsg.), Recht und Staat im sozialen Wandel, Festschrift für Hans Ulrich Scupin zum 80. Geburtstag, Berlin 1983, S. 251 ff. 90 Georg-Christoph v. Unruh, Der bildungsrechtliche Gehalt des Preußischen Allgemeinen Landrechts von 1794 mit seinen geistigen und pragmatischen Grundlagen, RdJB 1 (1995), S. 45 f. G.-Ch. v. Unruh, a. a. O. (Fn. 90), S. 45. 92 Vgl. Christoph Führ, Bildungsgeschichte und Bildungspolitik, Frankfurt/M. 1997, S. 69 ff.

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Deutschlands stehen, sind Schulen „Veranstaltungen des Staates", die nur mit seinem „Vorwissen und Genehmigung" errichtet werden sollten 9 3 . Die einzige Macht, welche den staatlichen Ausschließlichkeitsanspruch gerade i m Volksschulwesen in bemerkenswertem Umfang zu modifizieren vermochte, waren die Kirchen. Infolge der engen Verschwisterung jeweils bestimmter Konfessionen mit der weltlichen Gewalt bis 1918 galten derartige Einflüsse jedoch staatlicherseits häufig sogar als erwünscht, wie die Kirchen i m Schulwesen geschichtlich gesehen überhaupt weithin Vorläuferinnen der staatlichen Anteilnahme gewesen waren 9 4 . Die Schule, insbesondere soweit sie Pflichtschule ist, erweist sich als die natürliche Stätte für die Pflege staatsbürgerlicher Erziehung. Dies entspricht einem Schulaufsichtsbegriff, der in seinen historischen Ursprüngen von der Notwendigkeit einer Erziehung der Gesellschaft und der Bürger durch den Staat ausging und in Preußen seinen Höhepunkt fand 9 5 . Der Willensbildungsprozeß der Gesellschaft sollte sich danach auf staatlich gelenkten Bahnen vollziehen, denn die Kulturstaatsidee des 18./19. Jahrhunderts war j a keinesfalls auf die Kinder und die Schule beschränkt 96 . Ein solches Verständnis steht jedoch i m diametralen Gegensatz zu einer demokratischen Gesellschaft und deren Willensbildungs- und Selbstverwirk93 T. Oppermann, a. a. O. (Fn. 17), S. 40 f. 94

Im wesentlichen äußerte sich kirchlich-religiöse Präsenz in den Volksschulen in drei, seit der Weimarer Zeit weithin nur noch in zwei Formen: geistliche Schulaufsicht und Religionsunterricht. 1) Die geistliche Schulaufsicht war ein Überrest aus der „vorstaatlichen" Epoche der Elementarschulen, die zwar weniger von den Kirchen gegründet, aber von ihnen zunächst doch aufs stärkste beeinflußt wurden. Im 18. und 19. Jahrhundert ging der Umfang klerikaler Inspektion allmählich zurück und reduzierte sich besonders in Preußen in dem unter Kulturkampfauspizien entstandenen Schulaufsichtsgesetz v. 11. 3. 1872 eindeutig auf nebenamtliche Kreis- und Ortsschulaufsicht in staatlichem Auftrag. Mit der stärkeren Distanzierung zwischen Kirche und Staat 1918/19 entfiel dann die geistliche Mitwirkung an der Schulinspektion in allen deutschen Landen vollends, von einigen staatskirchenrechtlichen Regelungen abgesehen. 2) Der Religionsunterricht ist in seiner traditionellen Verankerung im deutschen Schulrecht als ordentliches Lehrfach der staatlichen Schule ein gutes Beispiel dafür, daß in der deutschen Entwicklung die Gegensätzlichkeit zwischen staatlicher und kirchlicher Erziehung trotz immer wiederkehrender Spannungen nie absolut empfunden wurde. Lag auch im Übergang von der „Leitung" des religiösen Unterrichts in der Volksschule (ζ. B. Art 24 Abs. 2 Preußische Verfassung 1850) oder seiner Besorgung" (vgl. § 40 Abs. 2 Badisches Schulgesetz v. 7. 10. 1910, GVB1., 357 f.) durch die Religionsgesellschaften bis zur „Erteilung" im Rahmen der Schulgesetzgebung in Übereinstimmung mit den Grundsätzen der Religionsgesellschaften unbeschadet des Aufsichtsrechts des Staates (vgl. Art. 149 Abs. 1 WRV 1919) eine sich allmählich verstärkende Betonung der staatlichen Positionen, so war abgesehen von den Jahren 1933-1945 die Wahrnehmung solcher kirchlichen Funktion im Rahmen des staatlichen Unterrichtsorganismus in Deutschland niemals ernsthaft gefährdet. Vgl. T. Oppermann, a. a. O. (Fn. 17), S. 44 f. 95 Vgl. Walter Rüegg, Bildung und Gesellschaft im 19. Jahrhundert, in: Hans Steffen (Hrsg.), Bildung und Gesellschaft, Göttingen 1972, S. 28 ff. 96 Vgl. Hans-Georg Herrlitz/Wulf Hopf/Hartmut Titze, Deutsche Schulgeschichte von 1800 bis zur Gegenwart, München 1993, S. 13ff.; Frank-Rüdiger Jach, Schulvielfalt als Verfassungsgebot, Berlin 1991, S. 12.

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3. Kap.: Selbstverwirklichungsrecht im pluralistischen Kulturstaat

lichungsprinzipien. Diese gehen davon aus, daß sich Willensbildung und Selbstverwirklichung in Unabhängigkeit von staatlichen Interessen zu vollziehen haben. Nur vor diesem Hintergrund läßt sich ein für das Grundgesetz systemgerechter Schulaufsichtsbegriff entwickeln und rechtfertigen. Hinter einer solchen entwickelten Denkweise verbirgt sich in preußisch-absolutistischer Tradition die Vorstellung vom Staat als kulturellem Selbstzweck, in den sich die Bürger schlicht einzuordnen haben. Daß „in einem weltanschaulich neutralen Staat... Toleranz gegenüber der Pluralität der Eltern- und der Schülermeinungen und -Weltanschauungen und -glaubensrichtungen herrschen" muß 97 und gerade in der kulturellen Vielfalt einer Gesellschaft der Reichtum und das Essentielle des freiheitlich demokratischen Rechtsstaates liegt, scheint in diesem Denken zumindest im Bereich der schulischen Erziehung substantiell wenig ausgeprägt. Dieses Ideal wäre hier allenfalls durch das Gebot staatlicher Neutralität und Toleranz in weltanschaulich-religiösen Fragen realisierbar. Demgegenüber gilt es, die Sicherung gesellschaftlicher Pluralität als sinnstiftendes Element von Staatsgewalt im Bereich der schulischen Erziehung im pluralistischen Kulturstaat anzuerkennen98.

II. Die Bedeutung der Schulhoheit im pluralistischen Kulturstaat

7. Im allgemeinen Unter Schulhoheit versteht man die umfassende Verantwortung des Staates für alle öffentlichen Schulen und seine Verpflichtung zur Beaufsichtigung der Privatschulen. Die Schulhoheit ergibt sich aus Art. 7 Abs. 1 GG. Dieses Bestimmungsrecht des Staates im Schulbereich wird vom Grundgesetz nicht uneingeschränkt gewährleistet. Die Schule ist nach dem Grundgesetz nicht mehr ausschließlich Sache des Staates. Die Grundrechte der Schüler, das Elternrecht (Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG), die Privatschulgarantie (Art. 7 Abs. 4 GG) und das Selbstverwaltungsrecht der Gemeinden (Art. 28 Abs. 2 GG) begrenzen die staatliche Schulhoheit99. 97

Hans W. Albers, Neue Religionen und Beamtenrecht - Sannyasin als Lehrer, NVwZ 1984, S. 92 (94). 98 Die Schule wird unter der Geltung des Art. 7 Abs. 1 GG weithin als eine Domäne des Staates angesehen. Die Vermittlung kultureller Werte und Handlungsorientierungen ist noch immer durch ein etatistisches Schulverfassungsverständnis geprägt. Sie lebt damit in der preußisch-absolutistischen Tradition einer umfassenden Gestaltungsbefugnis des Staates im Bereich der schulischen Erziehung, ungeachtet der in der Gesellschaft vorherrschenden pluralistischen Wertvorstellungen. Dahinter verbergen sich jedoch grundlegende Fragen eines freiheitlichen Kulturverfassungsverständnisses, welches die Tradition der Veranstaltung von Schule als eine primär staatliche Schulhoheit in Frage stellt. Damit wird versucht, dem kulturellen Pluralismus einer demokratischen Gesellschaft auch im Bereich der Schule gerecht zu werden und dem Selbstverwirklichungsrecht des Schülers in ausreichender Weise im pluralistischen Kulturstaat Geltung zu verschaffen. Vgl. F.-R. Jach, a. a. O. (Fn. 96), S. 13. 99 Vgl. Christian Starck, Freiheitlicher Staat und staatliche Schulhoheit, in: Essener Gespräche zum Thema Staat und Kirche, Bd. 9 (1975), S. 9 ff.

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Was mit Schulhoheit gemeint ist, ergibt sich nicht nur aus Art. 7 Abs. 1 GG, wonach das „gesamte Schulwesen" staatlicher Aufsicht unterstellt ist, sondern auch aus der Gegenüberstellung von öffentlichen und privaten Schulen in Abs. 3 bis 5: Wenn nach Abs. 4 die privaten Ersatzschulen staatlicher Genehmigung bedürfen und den Landesgesetzen unterstehen, ergibt sich daraus erst recht die alleinige Zuständigkeit des Staates für Einrichtung und Ordnung der öffentlichen Schulen. Was bei den privaten Schulen Voraussetzung staatlicher Genehmigung ist, fällt bei den öffentlichen Schulen unter die Regie des Staates selbst: inhaltliche Bestimmung der Lehrziele und Einrichtungen, wissenschaftliche Lehrerausbildung, Zugänglichkeit für Schüler, Sicherung der wirtschaftlichen und rechtlichen Stellung der Lehrkräfte usw. 100 . Die staatliche Schulhoheit ist allgemein bedingt und beschränkt durch Art. 1 Abs. 3, 20 Abs. 2 und 3 GG, sowie durch die Rechte der in Art. 7 GG besonders erwähnten Rechtssubjekte. Das sind die Eltern oder andere Erziehungsberechtigte des Kindes in Art. 7 Abs. 2 und 5 GG, die Religionsgemeinschaften und Lehrer in Art. 7 Abs. 3 GG und die Träger von Privatschulen in Art. 7 Abs. 4 und 5 GG. Staat im Sinne des Art. 7 GG ist allgemein der schulaufsichtausübende Staat im eigentlichen Sinne des Art. 20 GG; da dem Bund eine Gesetzgebungskompetenz für das Schulwesen fehlt (Art. 70 ff. GG), ist er Aufsichtsorgan nur im Sinne seiner Verfassungsgerichtsbarkeit, insbesondere mit der Möglichkeit, über die Einhaltung der in Art. 7 GG festgelegten Grundsätze die Normenkontrolle in Gang zu bringen (Art. 93 Abs. 1 Ziff. 2 GG), mit Gesetzeskraft durchzuführen 101 und notfalls mit Bundeszwang zu vollstrecken (Art. 37 GG) 1 0 2 .

2. Dasföderalistische Prinzip der Schulhoheit Das Prinzip ,»Föderalismus" legitimiert sich daher nicht schon durch sich selbst, sondern bedarf einer normativen Umsetzung in eine konkrete Verfassungsordnung, die ein bestimmtes System zentraler und dezentraler Steuerung konstituiert 103 . Dies gilt auch für das Verhältnis zwischen Bund und Ländern in der Bundesrepublik: Die Legitimation und Ausformung des deutschen Bundesstaats wird - gerade auch auf dem Gebiet der Bildung - von den Regelungen des Grundgesetzes her bestimmt 104 . loo Vgl. P. M. Huber, Erziehungsauftrag und Erziehungsmaßstab der Schule im freiheitlichen Verfassungsstaat, BayVBl. 1994, S. 545 ff.; Ludwig Wolfgang Müller (Hrsg.), Der Erziehungs- und Bildungsauftrag der Schule, 1. Aufl., Passau 1983. ιοί §§ 31 in Verbindung mit 13 Ziff. 6 BVerfGG. 1°2 Davon abgesehen sind als „Staat" i. S. des Art. 7 nur die in Art. 7 Abs. 4 bereits angesprochenen Länder zu verstehen (Art. 30 GG). Nicht aber sind hier die Kirchen Inbegriffen; denn die Unvereinbarkeit von Staat und Kirchen wird in Art. 7 nicht grundsätzlich aufgehoben, die Religionsgemeinschaften treten mit den ihnen in Art. 7 Abs. 3 gegebenen Einwirkungsmöglichkeiten dem Staat als verschieden von ihm gegenüber. Vgl. BVerfGE 66,147 (149). 103 Μ.Έ. Geis, Die „Kulturhoheit der Länder", DÖV 1992, S. 524. 104 J. Isensee, a. a. Ο. (Fn. 80), Rdnr. 265.

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3. Kap.: Selbstverwirklichungsrecht im pluralistischen Kulturstaat

Die Gesetzgebungskompetenz für das Schulwesen steht nach Art. 70 Abs. 1 GG den Ländern zu (weil diese Kompetenz vom Grundgesetz nicht ausdrücklich dem Bund zugewiesen wurde). Dabei ist der Landesgesetzgeber nach Art. 20 Abs. 3 GG an die Regelungen des Grundgesetzes gebunden105. Sollte ζ. B. ein Schulgesetz gegen ein Grundrecht verstoßen, das den Schülern nach dem Grundgesetz zusteht, wäre es insoweit nichtig, weil Bundesrecht Landesrecht bricht (Art. 31 GG). Nach dieser Bestimmung geht das Grundgesetz auch den Verfassungen der Länder vor. Bei Widersprüchen zwischen Schulbestimmungen einer Landesverfassung und dem Grundgesetz gilt also ausschließlich das Grundgesetz 106. Das Grundgesetz hat das Schulwesen - vorbehaltlich eines Zusammenwirkens von Bund und Ländern bei der Bildungsplanung gemäß Art. 91a GG - der ausschließlichen Zuständigkeit der Länder zugewiesen. Der Bund hat auf diesem Gebiet weder eine Gesetzgebungsbefugnis (Art. 70 GG) noch eine Verwaltungshoheit (Art. 30 GG). Aus der Gesetzgebungsbefugnis der Bundesländer im Schulwesen ergibt sich ihre weitgehend eigenständige Gestaltungsfreiheit bei der Festlegung der Schulorganisation sowie der Erziehungsprinzipien und der Unterrichtsgegenstände 107 . Sie ist nur eingeschränkt, soweit übergeordnete Normen des Grundgesetzes ihr Grenzen setzen 108 . Zu den Grenzen des Grundgesetzes zählen die bildungsrelevanten Grundrechte sowie die Verfassungsstrukturprinzipien 109. Die in Art. 7 GG enthaltene Regelung einzelner Fragen des Schulrechts bindet das Landesrecht. Den gleichen Vorrang besitzen die sonstigen Vorschriften des Grundgesetzes. Hier ist außer den Grundrechten besonders zu nennen Art. 28 GG, der die Länder auf die Form des demokratischen und sozialen Rechtsstaats verpflichtet, dessen Grundsätze mithin auch für die Landesschulgesetzgebung gelten. Der Vorrang des Grundgesetzes erfährt durch Art. 142 GG und auch Art. 141 GG eine Einschränkung zugunsten grundgesetzkonformer Grundrechtsbestimmungen der Landesverfassungen 110. Nach der Kompetenzverteilung des Grundgesetzes111 sind ausschließlich die Länder für die Schulgesetzgebung und die Schulverwaltung zuständig. Sie haben 105 Vgl. Christian Jülich, Kooperativer Bildungsföderalismus und Gesetzesvorbehalt im Schulrecht, in: N. Achterberg/W. Krawietz/D. Wyduckel (Hrsg.), Recht und Staat im sozialen Wandel, Festschrift für Hans Ulrich Scupin zum 80. Geburtstag, Berlin 1983, S. 755 ff. 106 E. Stein/M. Roell, Handbuch des Schulrechts, Köln 1988, S. 12.

107 Vgl. Ingo Richter, Alternativen zur Kompetenzverschiebung im Bildungsföderalismus, DÖV 1979, S. 185 ff. 108 Bruno Mascello, Elternrecht und Privatschulfreiheit, Diss. St Gallen 1995, S. 203 f. 109 F.-R. Jach, a. a. Ο. (Fn. 96), S. 28 f. no H. Heckel/ H. Avenarius, Schulrechtskunde, 6. Aufl., Neuwied 1986, S. 15 ff. m Vorerst stellt sich grundsätzlich die Frage nach der Kompetenzverteilung zwischen den verschiedenen staatlichen Schulträgern. Art. 30 GG regelt die Befugnisse der Länder: „Die Ausübung der staatlichen Befugnisse und die Erfüllung der staatlichen Aufgaben ist Sache der Länder, soweit dieses Grundgesetz keine andere Regelung trifft oder zulässt." Ansonsten bricht Bundesrecht Landesrecht (Art. 31 GG). Die Grundrechte der Länderverfassungen blei-

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dabei aber die einschlägigen Bestimmungen des Grundgesetzes, insbesondere die Grundrechte der Schüler und das Elternrecht zu beachten.

3. Die verfassungsrechtliche

Grundlage des staatlichen Bildungsauftrags

Anders als den Eltern in Art. 6 Abs. 2 GG weist das Grundgesetz dem Staat in Art. 7 Abs. 1 GG einen Bildungsauftrag nicht ausdrücklich zu, sondern beschränkt sich darauf, das Schulwesen unter die Aufsicht des Staates zu stellen. Die staatliche Schulaufsicht beinhaltet damit einen den Unterricht voraussetzenden Bildungsauftrag unmittelbar nur, soweit die Vermittlung von Wissen in einem geordneten Schulsystem nicht ohne Berücksichtigung der Selbstverwirklichung der Schüler möglich ist 1 1 2 . Wenn Art. 2 Abs. 1 GG jedem Menschen das Recht auf eine freie Entfaltung seiner Persönlichkeit garantiert, folgt daraus eine Verpflichtung des Staates, die schulischen Möglichkeiten zur Beeinflussung der Persönlichkeitsentfaltung nicht manipulativ zu mißbrauchen, sondern eine möglichst freie, d. h. autonome Entwicklung der Persönlichkeit zu fördern. Dabei ist zu berücksichtigen, daß jede Bildung in der Auseinandersetzung mit mannigfachen pluralistischen Kulturleistungen aus Vergangenheit und Gegenwart besteht113. Dies setzt notwendig Entscheidungen darüber voraus, welches geistige Material den Schülern nahegebracht werden soll. Bei diesen Auswahlentscheidungen ist das Recht der Schüler auf freie Entfaltung ihrer Persönlichkeit zu berücksichtigen. Daraus folgt, daß die Schule unser Kulturgut in einer repräsentativen und unverzerrten Auswahl zu berücksichtigen hat und den Schülern ermöglichen muß, ihre Persönlichkeit in ihrer besonderen Individualität zu entwickeln 114 . Mit dem Recht der Schüler auf freie Entfaltung ihrer Persönlichkeit korrespondiert die Verpflichtung des Staates zu kultureller Neutralität. Sie ist nicht ausdrücklich im Grundgesetz ausgeprochen, ergibt sich aber aus einer ganzen Reihe von Verfassungsbestimmungen. Hierzu gehören die Religionsfreiheit, die Freiheit der Meinungsbildung und die Freiheit von Kunst und Wissenschaft. Daraus folgt, daß die Schule jeden Versuch einer Indoktrinierung der Jugendlichen unterlassen muß 1 1 5 . ben insoweit in Kraft, als sie mit den Art. 1 - 1 8 GG übereinstimmen (Art. 142 GG). Vgl. Hans-Ulrich Evers, Verfassungsrechtliche Determinanten der inhaltlichen Gestaltung der Schule, in: Essener Gespräche zum Thema Staat und Kirche, Bd. 12 (1977), S. 104 ff. 112

Vgl. H.-U. Evers, Die Befugnis des Staates zur Festlegung von Erziehungszielen in der pluralistischen Gesellschaft, Berlin 1979, S. 56 f. 113 Vgl. Jochen Ahr. Frowein, Erziehung zum Widerstand?, in: G. Leibholz/F. Joachim/ P. Mikat/H. Reis (Hrsg.), Menschenwürde und freiheitliche Rechtsordnung, Festschrift für Willi Geiger zum 65. Geburtstag, Tübingen 1974, S. 579 ff. in E. Stein/M. Roell, a. a. Ο. (Fn. 106), S. 59. us BVerfGE 47,46, 77.

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3. Kap.: Selbstverwirklichungsrecht im pluralistischen Kulturstaat

Angesichts der divergierenden Wertvorstellungen, die in der pluralistischen Gesellschaft aufeinanderstoßen und miteinander konkurrieren, drängt sich die Frage auf, ob der Staat überhaupt berufen ist, durch seine Schulen zu erziehen. Die Bedenken gegen den staatlichen Bildungsauftrag gründen vor allem in dem Argument, der Staat dürfe wegen der ihm aufgegebenen Neutralität in den Auseinandersetzungen um die für jede Bildung konstitutiven Grundwerte nicht Partei ergreifen. Demgemäß wird etwa gefordert: Der Staat müsse sich in den öffentlichen Schulen nach Möglichkeit auf Wissensvermittlung beschränken, er habe die inhaltliche Gestaltung des Unterrichts den Schulen als Selbstverwaltungsangelegenheit zu überlassen116. Er solle die Bildungsaufgabe einer Vielzahl unabhängiger Einrichtungen überlassen, unter denen die Eltern nach dem Marktmodell durch Einlösung staatlich finanzierter Bildungsgutscheine frei wählen könnten 117 . Die Kultusminister haben in ihrer Erklärung vom 25. 5. 1973 118 jedoch die weitgehende Übereinstimmung der unterschiedlichen Formulierungen festgestellt und den gemeinsamen Bildungsauftrag der Schule in neun Punkten zusammengefaßt: ,,Die Schule soll - Wissen, Fertigkeiten und Fähigkeiten vermitteln, - zu selbständigem kritischem Urteil, eigenverantwortlichem Handeln und schöpferischer Tätigkeit befähigen, - zu Freiheit und Demokratie erziehen, - zu Toleranz, Achtung vor der Würde des anderen Menschen und Respekt vor anderen Überzeugungen erziehen, - friedliche Gesinnung im Geist der Völkerverständigung wecken, - ethische Normen sowie kulturelle und religiöse Werte verständlich machen, - die Bereitschaft zu sozialem Handeln und zu politischer Verantwortlichkeit wecken, - zur Wahrnehmung von Rechten und Pflichten in der Gesellschaft befähigen, - über die Bedingungen der Arbeitswelt orientieren."

Der so umschriebene Bildungsauftrag ist verfassungsrechtlich vorgegeben und verkörpert einen ethischen, weltanschaulichen und politischen Mindestkonsens über Grundwerte. Über diesen Mindestkonsens hinaus muß in einer freiheitlichen demokratischen Ordnung ein Pluralismus der Werte akzeptiert werden. Das aber heißt, daß das staatliche Bildungsprogramm für die verschiedenen in der Gesellschaft vorhandenen Wertauffassungen offen sein muß, daß der Staat keine missionierende Schule betreiben darf. Der Staat hat - in den Worten Adolf Arndts - zwei Grenzen zu beachten: „Ausschließlichkeit seines Wirkens im Erziehungswesen F. Ossenbühl, Schule im Rechtstaat, DöV 1977, S. 801 ff. (808). 117 Johann Peter Vogel, Der Bildungsgutschein - eine Alternative der Bildungsfinazierung, Neue Sammlung 1972, S. 514. ne KMK-BeschlS. Nr. 824.

Β. Schule im pluralistischen Kulturstaat

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und ( . . . ) Entfremdung von Wahrheiten, über die er nicht Richter ist" 1 1 9 , muß er unbedingt vermeiden.

4. Die verfassungsmäßige Ordnung des Grundgesetzes als Grundlage der Bildung zur Gemeinschaft Soweit das Grundgesetz selbst das soziale und kulturelle Zusammenleben der Bürger regelt, bestimmt sich der Inhalt staatlicher Schulerziehung zur Eingliederung der Jugend in die Gemeinschaft 120 nach den unmittelbar von der Verfassung vorgegebenen Werten (die verfassungsmäßige Ordnung) 121. Mit Erreichen der Volljährigkeit hat der Jugendliche auch an der dem Volk übertragenen Staatsgewalt (Art. 20 Abs. 2 GG) teil. Er nimmt damit nicht nur die sich daraus herleitenden Rechte wahr, sondern muß sich auch an die demokratischen Spielregeln der Gemeinschaft halten 122 . Ebenso wie die Schule die Jugend zur aktiven Teilnahme an der Demokratie zu erziehen 123 hat, trägt sie somit auch unmittelbare Verantwortung für die Achtung der Gemeinschaftsinteressen im demokratischen Meinungsbildungsprozeß 124. Das Elternrecht des Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG ist wie jedes Grundrecht begrenzt durch das gleiche Recht anderer sowie durch die gleich- und höherrangigen Verfassungswerte. Neben dem gleichen Recht des anderen Elternteils und dem in Art. 7 Abs. 1 GG verankerten staatlichen Bildungsauftrag findet die individuelle Erziehungsfreiheit der Eltern damit letztlich ihre Grenzen in dem Inhalt der Schranken, die nach der bestehenden verfassungsmäßigen Ordnung Voraussetzung für die Wahrnehmung des Rechts aus Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG sind 125 . 119 Adolf Arndt, Aufgaben und Grenzen der Staatsgewalt im Bereich der Schulbildung, in: Wilhelm Geiger/Adolf Arndt/Franz Pöggeler, Schule und Staat, München 1959, S. 81 f. 120 Das Grundgesetz will die Ordnung des Gemeinwesens zwar außerhalb der von Art. 79 Abs. 3 GG verbürgten Grundsätze nicht endgültig regeln, soll aber dennoch in seiner Gesamtheit die dauerhafte Grundlage des Gemeinschaftslebens bilden und untersteht daher nach Art. 79 Abs. 2 GG auch besonderen Anforderungen hinsichtlich seiner Abänderbarkeit. Vgl. Theodor Maunz, Gemeinschaftsaufgaben im Bildungsbereich, in: H. Kipp/F. Mayer/A. Steinkamm (Hrsg.), Um Recht und Freiheit, Festschrift für Friedrich August Freiherr von der Heydte zur Vollendung des 70. Lebensjahres, Berlin 1977, S. 1053 ff. 121 Josef Isensee, Verfassungsgarantie ethischer Grundwerte und gesellschaftlicher Konsens, NJW 1977, S. 551. 122 Vgl. Hans Maier, Zur inhaltlichen Gestaltung der Schule aus der Sicht von Politik und Verwaltung, in: Essener Gespräche zum Thema Staat und Kirche Bd. 12 (1977), S. 11 ff. 123 Gesamtgesellschaftlich gesehen ist auch Erziehung ein Interdependenzproblem wie der Umweltschutz, weil Erziehung zunächst auf nichts anderes gerichtet sein kann als auf Teilnahme am Kommunikationsprozeß in der Gesamtgesellschaft. Vgl. Gerd Roellecke, Kulturauftrag im staatlichen Gemeinwesen, DÖV 1983, S. 653. 124 H.-W. Schlie, Elterliches Erziehungsrecht und staatliche Schulaufsicht im Grundgesetz, Bern 1986, S. 79 f. ι 2 * Vgl. H.-W. Schlie, a. a. O. (Fn. 124), S. 63 ff.

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3. Kap.: Selbstverwirklichungsrecht im pluralistischen Kulturstaat

Eine Erziehung ihres Kindes zur Anerkennung der bestehenden verfassungsmäßigen Ordnung (vor allem durch die Gemeinschaftsordnung) kann allein den Eltern danach nicht aufgegeben sein. Zwar hat auch die Gemeinschaft ein Interesse an der Erziehung der Jugend 126 , soweit dieses Interesse aber nicht ohnehin mit dem Anspruch des Kindes auf Erziehung zu einem lebenstüchtigen Menschen identisch ist, können die Gemeinschaftsbelange nur die äußersten Grenzen des den Eltern übertragenen Rechts bilden 127 . Die den Eltern für den Inhalt der Erziehung gesetzten Schranken ergeben sich damit erst aus den „Mindestanforderungen elementarer Sozial Verträglichkeit" 128, die auch den „Vorstellungskreis dessen bilden, was in der gegenwärtigen Gesellschaftsordnung als noch tragbar anerkannt wird." 1 2 9 Die Eingliederung des Kindes in die staatliche Gemeinschaft gebietet damit letztlich zum einen die Erzeugung eines den Bestand der verfassungsmäßigen Ordnung des Staates erst ermöglichenden Gemeinsinns beim Schüler und zum anderen das Hinwirken auf seine Bereitschaft, sich als mündiger Bürger in die von der Verfassung geprägte Ordnung einzupassen130. Diese Aufgabe kann der Staat in der Schule nur erfüllen, wenn ihm auch der Bildungsauftrag zusteht, in diesem Sinne die Selbstverwirklichung des Schülers in die Tat umzusetzen131.

ΙΠ. Die Erziehungsziele im pluralistischen Kulturstaat

1. Die Erziehungsziele in den Verfassungen und den Schulgesetzen der Länder Unter dem Einfluß konfessioneller Auseinandersetzungen hatten sich einige Landesverfassungen in ihrer Ursprungsfassung mit ausführlichen Bestimmungen für die Bekenntnisschule als Regelschule entschieden; in den sechziger Jahren haben diese Länder jedoch durch Verfassungsänderung die christliche Gemeinschaftsschule als einzige Schulform, in Nordrhein-Westfalen als Regelschulform, vorgesehen und die Vorschriften über die Konfessionalität der Volksschullehrerbildung aufgehoben. Seitdem gehen alle Verfassungen von der gemeinsamen Erziehung der Schüler unabhängig von ihrer Religionszugehörigkeit oder ihrer 126 Vgl. BVerfGE 24, 119 (144). 127 Vgl. Thomas Schmid (Hrsg.), Entstaatlichung, Berlin 1988, S. 75 ff., 117 ff. 128 Peter Häberle, Erziehungsziele und Orientierungswerte im Verfassungsstaat, Freiburg/München 1981, S. 56f. 129 Freiheit versteht das Grundgesetz allerdings nicht nur als diejenige eines selbstherrlichen, sondern auch als die eines gemeinschaftsbezogenen Individuums. Dies bedeutet aber gleichzeitig, daß auch in der Gemeinschaft grundsätzlich jeder einzelne als gleichberechtigtes Glied mit Eigenwert anerkannt werden muß. Vgl. Walter Schmitt Glaeser, Das elterliche Erziehungsrecht in staatlicher Reglementierung, Bielefeld 1980, S. 42 f. 130 Vgl. R. Smend, Staatsrechtliche Abhandlungen und andere Auflätze, 2 Aufl., Berlin 1968, S. 136 ff. 131 Vgl. H-W Schlie, a. a. Ο. (Fn. 124), S. 80.

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Weltanschauung aus 132 . Die Verfassungen der Länder südlich der Main-Linie und längs der Westgrenze betonen aber den christlichen Charakter der Gemeinschaftsschule oder verpflichten zu Unterricht und Erziehung auf der Grundlage christlicher Bildungs- und Kulturwerte. Diese Verfassungen positivieren auch im christlichen Glauben formulierte Erziehungsziele. In den Verfassungen der anderen Länder klingen diese in ihren säkularen Erscheinungsformen nach, ζ. B. in den Erziehungszielen „sittliche Persönlichkeit" oder „Nächstenliebe", und finden auch in den Schulgesetzen dieser Länder einen Niederschlag 133. Anders als die Landesverfassungen enthalten die Schulgesetze aller deutschen Bundesländer einen Katalog von Erziehungszielen, oft ergänzt durch Handlungsanweisungen an den Lehrer und Aussagen zu einzelnen Unterrichtsfachern wie Sexualerziehung und Staatsbürgerkunde bzw. Gesellschaftslehre. Sie sind ausführlicher gehalten als die Kataloge der Landesverfassungen, bleiben aber ebenfalls auf hohem Abstraktionsniveau. Wie die Erziehungsziele der Landesverfassungen können auch die Ziele der Schulgesetze systematisch gegliedert werden in allgemeine Persönlichkeitsmerkmale und die Einstellung des Menschen in verschiedenen Beziehungsgefügen des Gemeinschaftslebens 134. Mit der Bayerischen 135 Verfassung aus dem Jahr 1946 ist in Bayern eine grundlegende Norm für Staat und Gesellschaft festgelegt und auf demokratischem Weg in Kraft gesetzt worden. Diese in weitestem Umfang seit einem halben Jahrhundert immer noch geltende und akzeptierte Verfassung gibt neben allgemein gültigen Normen im Artikel 131 für die Schulen noch gesondert Erziehungsaufgaben vor. Ein von jeher für Schulen wesentlich erachteter Aufgabenbereich wurde damit als Verfassungsauftrag vorgeschrieben 136. Von den Schulen, deren Besuch in Bayern seit 1802 verpflichtend ist, wurde und wird immer erwartet, daß sie auch Erziehungsaufgaben übernehmen. So bringt der nach der Einführung der Schulpflicht in Bayern 1804 veröffentlichte Lehrplan für die Volksschule an erster Stelle der Unterrichtsgegenstände die Religions- und Tugendlehre mit der Zielsetzung einer sittlichen und religiösen Erziehung der Kinder. Auch die nachfolgenden Lehrpläne sahen trotz aller Unterschiede (vor allem in der unterschiedlichen Betonung der Realien) in der Erziehung eine wesentliche Aufgabe der Volksschule 137 . 132 Vgl. Alexander Höllerbach Die Kirchen unter dem Grundgesetz, VVDStRL 26 (1968), S. 57 ff. 133 H.-U. Evers, a. a. O. (Fn. 112), S. 30ff. 134 Vgl. P. Häberle, a. a. O. (Fn. 29), S. 12 ff. 135 Hier wird die Bayerische Verfassung und das Bayerisches Gesetz über das Erziehungs und Unterrichtswesen diskutiert, weil später auf den Kruzifix-Beschluß in Bayern zu kommen sein wird. s. u. Kapitel 5. 136 Vgl. Wolfgang Götzfried, Der Artikel 131, Absatz 1 - 3 der Bayerischen Verfassung als Erziehungsauftrag an die Grund- und Hauptschule, Frankfurt/M. 1992, S. 13 f. 137 W. Götzfried, a. a. O. (Fn. 136), S. 14ff. 1

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3. Kap.: Selbstverwirklichungsrecht im pluralistischen Kulturstaat

Während in der Volksschultradition bis in die 60er Jahre hinein Erziehung im engen Sinn weithin als genuines Ziel der Volkschule betrachtet worden war, geriet dieses Anliegen in der Zeit der Bildungsreform bis Mitte der 70er Jahr etwas außerhalb des Blickfeldes. Von da an rückten aber die Erziehungsziele der Schule wieder verstärkt in die öffentliche Diskussion. Dies geschah nicht zuletzt auch als Antwort auf vorausgegangene schulreformerische Bemühungen138. Bei Überlegungen zu den Erziehungszielen der Schule nimmt man aus dem bayerischen Raum in den letzen Jahren betont auf die Artikel 131 und 135 der Bayerischen Verfassung Bezug. Diese Artikel mit den obersten Erziehungszielen und der christlichen Ausrichtung der Volksschulen sind auch den derzeitigen Lehrplänen für die Grund- und Hauptschule vorangestellt 139. Welche Erziehungsziele gibt es jetzt konkret in Freistaat Bayern? Art. 1 Abs. 1 BayEUG (Bayerisches Gesetz über das Erziehungs- und Unterrichtswesen) 140 lautet: „Die Schulen haben den in der Verfassung des Freistaates Bayern verankerten Bildungs- und Erziehungsauftrag zu verwirklichen. Sie sollen Wissen und Können vermitteln sowie Geist und Körper, Herz und Chararkter bilden. Oberste Bildungsziele sind Ehrfurcht vor Gott, Achtung vor religiöser Überzeugung und vor der Würde des Menschen, Selbstbeherrschung, Verantwortungsgefühl und Verantwortungsfreudigkeit, Hilfsbereitschaft und Aufgeschlossenheit für alles Wahre, Gute und Schöne. Die Schüler sind im Geiste der Demokratie, in der Liebe zur bayerischen Heimat und zum deutschen Volk und im Sinne der Völkerversöhung zu erziehen." Aufgrund der in diesem Punkt maßgeblichen bayerischen schulgesetzlichen Formulierung der Erziehungsziele werden die vom christlichen Glauben geprägten Wertvorstellungen in die staatliche Schulerziehung einbezogen141. Eine Ausrichtung des Schulwesens auf solche Ziele ist, wie das Bundesverfassungsgericht in seinen Urteilen über die Möglichkeit christlicher Gemeinschaftsschulen entschieden hat, mit dem Verfassungsrecht des Bundes einschließlich der Glaubensfreiheit vereinbar, sofern das Erziehungsziel „nicht christlich konfessionell fixiert" ist, sondern die Bedeutung des Christentums als „prägenden Kultur- und Bildungsfaktor" im Auge hat 1 4 2 . Von den materiellen Schulrechtsbestimmungen ist jedenfalls Art. 13 BayVSO erwähnenswert. Er ermuntert die Schule, die Erziehungsberechtigten bei der religiösen Erziehung der Kinder durch Schulgebet, Schulgottesdienst und Schulandacht zu unterstützen (S. 1); außerdem verpflichtet er dazu, in jedem Klassen138 Vgl. Hans Maier, Erziehung in unserer Zeit, in: ders., Kulturpolitik. Reden und Schriften, München 1976, S. 62 f. ι 3 9 W. Götzfried, a. a. O. (Fn. 136), S. 19f. 140

Vgl. Bernd Becker, Bayerisches Gesetz über das Erziehungs- und Unterrichtswesen (BayEUG), 3. Aufl., München / Oldenbourg 1985. 141 Vgl. Hans Maier, Der Bayerische Schulentwicklungsplan, in: P. Lerche/H. Zacher/P. Badura (Hrsg.), Festschrift für Theodor Maunz zum 80. Geburtstag, München 1981, S. 229 ff. Vgl. BVerfGE 41, 29(51); 41,65 (84).

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zimmer ein Kreuz anzubringen (S. 2) und ermahnt, bei all dem die religiösen Empfindungen aller zu achten (S. 3). Es soll hier beileibe der Kampf um das Schulgebet nicht wieder aufgenommen werden, in welchem das Bundesverfassungsgericht 143 bislang zwar das letzte Wort, aber sicher nicht die letzte Überzeugungskraft hatte 144 . Jedoch soll wenigstens angeregt werden zu überlegen, wie eine öffentliche Schule, die nach der Weisung des Bundesverfassungsgerichts weder missionarisch zu wirken noch für die Verbindlichkeit der Glaubensinhalte einzustehen hat, „Unterstützung bei der religiösen Erziehung" zu leisten imstande ist. Sie hat keinen bestimmten religiösen Auftrag. Sie hat Staatsbürger, aber keine bestimmten Gläubigen zu erziehen. Sie hat Bildung, auch Charakterbildung, aber keine bestimmten Glaubensüberzeugungen anzubieten. Sie kann daher schwerlich Kinder dazu anhalten, einen bestimmten Glauben zu bekennen. Und es ist wohl auch nicht so einfach ihre Sache, sich zum Kreuz als einem Glaubenssymbol zu bekennen. Ihre legalen Möglichkeiten bei der einen bestimmten religiösen Kindererziehung sind problematisch 145. Letzteres gilt prinzipiell für das Schulwesen in allen Bundesländern und wird am Beispiel Bayerns anhand des Kruzifix-Urteils des Bundesverfassungsgerichts besonders deutlich, wie die unter Kapitel 5 erfolgende Diskussion zeigen wird.

2. Das Problem der Regelung der religiösen positivierten

Erziehungsziele

Wenn man den Menschen als frei und selbständig versteht, können ihm nicht gleichzeitig traditionelle religiöse Verhaltensweisen, wie Ehrfurcht vor Gott 1 4 6 , Achtung vor religiöser Überzeugung oder dem Christentum 147 , als Erziehungsziele beigebracht werden 148 . 143 BVerfGE 52, 223. 144 Vgl. Ernst-Wolfgang Böckenförde, Zum Ende des Schulgebetsstreits, DÖV 1980, 323 ff.; Christoph Link, Die Schulgebetsentscheidung des Bundesverfassungsgerichts, JZ 1980,S. 564 ff. 145 Vgl. Ludwig Renck, Verfassungsprobleme der christlicen Gemeinschaftsschule, NVwZ 1991, S. 118. 146 Vgl. Hans-Martin Pawlowski, Ehrfurcht vor Gott als schulisches Bildungsziel in Bayern, NJW 1989, S. 2240ff. 147 Die Verfassung Baden-Württembergs sagt: „In christlichen Gemeinschaftsschulen werden die Kinder auf der Grundlage christlicher und abendländischer Bildungs- und Kulturwerte erzogen" (Art. 16 Abs. 1 Satz lVerf. BW). Die Verfassung von Nordrhein-Westfalen formuliert: , Jn Gemeinschaftsschulen werden Kinder auf der Grundlage christlicher Bildungsund Kulturwerte in Offenheit für die christlichen Bekenntnisse und für andere religiöse und weltanschauliche Überzeugungen gemeinsam unterrichtet und erzogen" (Art. 12 Abs. 6 Satz 1 Verf. NRW). Schulartikel anderer Länder verzichten auf die besondere Hervorhebung der christlichen Bildungs- und Kulturwerte (ζ. B. Art. 28, 30 Verf. Brbg) oder betonen das Toleranzgebot, so beispielsweise außer Bayern (Art. 136 Abs. 1 BayVerf) Mecklenburg-Vorpommen, in dessen Verfassung es heißt: „Die Schulen achten die religiösen und weltanschaulichen Überzeugungen der Schüler, Eltern und Lehrer" (Art. 15 Abs. 5 Verf. MV).

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3. Kap.: Selbstverwirklichungsrecht im pluralistischen Kulturstaat

Nachdem diese Problematik lange erfaßt ist, will auch niemand mehr Kinder und Jugendliche für unfrei und unselbständig erklären 149 . Nicht nur daß die Grundrechte aus verschiedenen weiteren Gründen auch für Kinder und Jugendliche in der Schule gelten müssen 150 , auch würde diese Lösung das Problem lediglich auf die Ebene des elterlichen Erziehungsrechts verlagern. Hier ist es zwar leichter zu ertragen, aber auch schwerer 151 zu lösen. Leichter zu ertragen ist es, weil sich Eltern weniger beschweren als Kinder. Eltern sitzen nicht in der Schule und wissen nicht, wie gut oder schlecht, gerecht oder ungerecht der Lehrer oder die Schule ihrer Kinder ist. Sie möchten es mit dem Lehrer oder der Schule auch nicht verderben, zumal sie noch andere Sorgen haben als die Sorge um ihre Kinder. Schwerer zu lösen ist das Problem, weil Eltern noch weniger als Lehrer oder Schule Gewähr dafür bieten, ihr Amt als Volkserzieher oder ihre Erziehungsziele als staatliche Schulaufsicht auszuüben152. Eltern können Christen und fromme Demokraten sein, aber auch Nichtchristen oder gar Atheisten. Und Nichtchristen oder Atheisten sollen die Kinder oder Jugend in Ehrfurcht vor Gott, Achtung vor religiöser Überzeugung oder Christentum erziehen? Das heißt, auf der Ebene Schule /Eltern werden die religiösen positivierten Erziehungsziele 153, wenn man sie ernst nimmt, durch das Selbstverwirklichungsrecht des Schülers und durch das Elternrecht auf Erziehung in Frage gestellt 154 . we Es gibt sehr unterschiedliche Vorstellungen, was Persönlichkeitsentfaltung ausmacht und welche kulturellen Werte es zu überliefern und an die Kinder in öffentlichen Schulen weiterzugeben gilt. Angesichts dessen fragt es sich allerdings, ob nicht überhaupt auf die normative Formulierung von Erziehungszielen als fùnktionale Bezugspunkte zu verzichten ist. Vgl. Gerd Roellecke, Erziehungsziele und der Auftrag der Staatsschule, in: W. Zeidler/Th. Maunz/ders. (Hrsg.), Festschrift Hans Joachim Faller, München 1984, S. 189. 149 Vgl. T. Oppermann, Nach welchen Grundsätzen sind das öffentliche Schulwesen und die Stellung der an ihm Beteiligten zu ordnen? - Gutachten C für den 51. Deutschen Juristentag, München 1976, S. 83. 150 Vgl. Albert Bleckmann, Allgemeine Grundrechtslehren, Köln 1979, S. 67,295. 151 Ein Kind lernt von seinen christlichen Eltern, daß Gott die Welt erschaffen und am sechsten Tage, als Krone der Schöpfung, ,nach seinem Bilde', den Menschen ins Leben gerufen habe. Im Biologieunterricht wird dasselbe Kind mit einer anderen Geschichte konfrontiert. Hier gilt nicht das erste Buch Mose, sondern eine der Versionen der Evolutionstheorie als das zu Lernende. Vgl. Adalbert Rang, Pädagogik und Pluralismus, in: F. Heyting/H.-E. Tenorth (Hrsg.), Pädagogik und Pluralismus, Weinheim 1994, S. 24. 152 G. Roellecke, a. a. O. (Fn. 148), S. 189. 153 Der Staat und damit auch die Schule müssen die knappen Mittel für das Erziehungswesen sachgerecht verteilen, die Wissensvermittlung organisieren und Gefahren für das Gemeinwohl abwehren. Das alles kann man besser oder schlechter machen. Insofern mag die Reform der Schulen eine ständige Aufgabe sein. Nur, rechtlich dürfen Staat und Schule lediglich aus drei Gründen auf die Jugend einwirken: Streitentscheidung, Organisation und Gefahrenabwehr. Denn „die Schule darf... keine missionarische Schle sein". Vgl. BVerfGE 41, 29 (51); G. Roellecke, a. a. O. (Fn. 148), S. 195 f. 154 Vgl. F. Ossenbühl, DÖV 1977, S. 801, 807 ff.

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Wenn man Erziehungsziele so weit religiös 155 regelt und generalisiert, wird auch eine selten gestellte Frage relevant: Was geschieht mit den Nichtchristen oder gar Atheisten? Dieses Problem der religiösen positivierten Erziehungsziele verfolgt eine sehr einfache Methode. Sie fragt, ob diese Erziehungsziele ähnlich anwendbar sind wie eine bürger-, verwaltungs- oder strafrechtliche Norm. Sie sind es nicht. Unterscheidet man mit ihrer Hilfe zwischen rechtmäßigem und unrechtmäßigem Verhalten, so widersprechen sie grundlegenden Freiheiten und Rechtsprinzipien. Versucht man, dem Widerspruch dadurch auszuweichen, daß man sie schlechthin verallgemeinert und Recht und Freiheit selbst zu Erziehungszielen erklärt, kann man nicht mehr zwischen rechtmäßigem und nichtrechtmäßigem Verhalten unterscheiden. Die üble Folge wäre, daß diejenigen, die den verallgemeinert-religiösen Erziehungszielen nicht genügen oder sie gar schlechthin ablehnen, negiert, letztlich: zu Nichterziehbar-Menschen erklärt werden müssen156. Der Grund für die juristische Unanwendbarkeit von religiösen positivierten Erziehungszielen liegt darin, daß Rechtsnormen nur möglich sind, wenn und soweit zwischen Recht und Unrecht unterschieden werden kann. Diese verfassungsrechtlich 1 5 7 religiösen positivierten Erziehungsziele - Erfurcht vor Gott, Achtung vor religiöser Überzeugung oder Christentum - sind aber religiöse Prinzipien, nach denen persönliche Achtung, Achtung vor Gott, Achtung vor dem Christentum, zugeteilt oder entzogen wird 1 5 8 . Da die Person weitgehend durch Achtung konstituiert wird, dürfen Achtungsprinzipien nicht so formalisiert werden wie Recht 159 . 155 Schule repräsentiert bei Hegel auch das ,Allgemeine* als höhere Stufe gegenüber dem besonderen' und «Partikularen* der auf Individualität Rücksicht nehmenden bürgerlichen Familienerziehung. Vgl. Hegels Gymnasialreden und seine Rechtsphilosophie, in: Heinz Schujfenhauer/Werner Schuffenhauer, Pädagogisches Gedankengut bei Kant, Fichte, Schelling, Hegel, Feuerbach, Berlin 1984, S. 404 ff. 156 Vgl. G. Roellecke, a. a. O. (Fn. 148), S. 191; Wolfgang Brezinka, Glaube, Moral und Erziehung, München /Basel 1992, S. 29 ff. 157 Wenn man also überhaupt von einem Verfassungsauftrag der Schule sprechen will, dann ist dieses sein Kern: Die Schule muß durch Organisation, Streitentscheidung und Gefahrenabwehr dafür sorgen, daß die Interessen des gemeinen Wohls im konkreten Erziehungsverhältnis zwischen Lehrer und Schüler angemessen zur Geltung kommen. Vgl. G. Roellecke, a. a. O. (Fn. 148), S. 196.

158 Vgl. Thomas Oppermann, Elterliches Erziehungsrecht und staatliche Schulerziehung, in: Kurt Aurin/Erich E. Geißler/Bernd Neumann/Thomas Oppermann/Alois Graf von Waldberg-Zeio/Rudolf Willecke (Hrsg.): Die Schule und ihr Auftrag, Mainz 1979, S. 80f. 159 Denn Werte wirken über Moral. Das heißt, sie legen den Handelnden auf sich selbst fest und machen die Zuteilung und den Entzug persönlicher Achtung von ihrer Anerkennung abhängig. Die Zuteilung und der Entzug persönlicher Achtung sind nun selbst wieder höchstpersönliches Handeln und deshalb weder regel- noch kontrollierbar. Trotzdem sind sie außerordentlich wirksam, unter Umständen gegen das Recht, gegen wissenschaftliche Erkenntnisse, auch wider das eigene Wissen. Da er weder regel- noch kontrollierbar ist, ist der öffentliche religiöse Erziehungsauftrag eine Gefahr. Er trifft Gerechte und Ungerechte. Deshalb muß er durch die relative Verselbständigung des Rechtes, etwa durch formalisierte Verfahren,

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3. Kap.: Selbstverwirklichungsrecht im pluralistischen Kulturstaat

Denn sonst könnte der Status von Personen in Zweifel gezogen werden, die aufgrund anderer religiöser Überzeugungen jenen religiösen gesetzlich positivierten Werten natürlicherweise keine oder nur geringe Achtung entgegenbringen. Die Anwendung von Achtungsprinzipien muß diffus, halböffentlich und unkontrolliert bleiben 160 . Befragt man die Schulentscheidungen des Bundesverfassungsgerichtes nach dem Verfassungsauftrag der Schule, so erhält man keine Antwort. Das Gericht spricht nur vom Erziehungsauftrag des Staates. Die Schule erscheint allenfalls als Medium des Staates, als Staatsschule. Das beruht nicht etwa darauf, daß das Bundesverfassungsgericht nur mit dem Grundgesetz zu tun hat, und das Grundgesetz nur von staatlicher Schulaufsicht spricht 161 . Der staatliche Schulzwang bedarf der Rechtfertigung und der entscheidende Einfluß des Staates auf die Schule der Sicherung. Wegen des hohen moralischen Anspruches von Menschenwürde, Persönlichkeitsentfaltung und „Pflege und Erziehung" konnte der staatliche Schulzwang nicht mehr einfach mit der allgemeinen staatlichen Organisationsgewalt gerechtfertigt werden. Art. 7 GG genügte insofern bei weitem nicht mehr. Eine solche totale Erziehungswelt kann man dann tatsächlich nicht mehr „in einzelne Kompetenzen zerlegen" 162 . Die religiösen positivierten Erziehungsziele des Staates sind tendenziell eher zu vertreten, wenn man eine totale Erziehungswelt annimmt. Und eine totale Erziehungswelt muß man annehmen, wenn man alle Einflüsse auf jedes einzelne Kind vom Standpunkt „der einen Persönlichkeit des Kindes" aus betrachtet. Ein solcher Standpunkt kann nur zu einem totalen, holistischen Erziehungsbegriff 163 führen. Ein solcher Erziehungsbegriff ist aber weder mit den prinzipiellen Freiheitsrechten jedes Bürgers vereinbar - deshalb konnte ihn das Bundesverfassungsgericht 164 konterkariert werden. Es gibt jedoch Bereiche, in die das Recht nicht hineinreicht. Dazu gehört der Glaube, dazu gehört aber vor allem die Lehre, die konkrete Interaktion zwischen Lehrer und Schüler. Von sich aus ist ein modernes Recht ohnehin nicht in der Lage, personale religiöse Beziehungen gezielt zu beeinflussen. Vgl. G. Roellecke, a. a. O. (Fn. 148), S. 197. »60 G. Roellecke, a. a. O. (Fn. 148), S. 191. 161 Vgl. Jörg-Detlef Kühne, Zum Vollzug landesverfassungsrechtlicher Erziehungsziele am Beispiel Nordrhein-Westfalens, DÖV 1991, S. 763 ff. 162 BVerfGE 34 S. 165, 183.

163 Im Falle der Staatsschule tauchen jedoch Zurechnungsprobleme auf, sobald sich der Staat als Rechtsstaat versteht: vom Auseinanderfallen der öffentlichen religiösen Erziehungsziele über die Massenhaftigkeit des Schulunterrichtes bis zur unerläßlichen Bürokratisierung der Schulorganisation. Der Staat muß daher sich und die Lehrer von diesen Problemen entlasten. Das tut er, indem er für die Schulen religiöse Erziehungsziele positiviert. Diese religiösen positivierten Erziehungsziele haben also fast den Sinn, den Pädagogen ihnen zuschreiben. Sie sollen dem Lehrer das religiöse Argumentieren erleichtern. Das leisten sie auch. Die Lehrer können sich gegenüber den Schülern auf die Erziehungsziele der Verfassung berufen, ohne fürchten zu müssen, mit Achtungsentzug bestraft zu werden. Soweit der Sinn von religiösen positivierten Erizehungszielen. Vgl. G. Roellecke, a. a. O. (Fn. 148), S. 198. 164 Vgl. BVerfGE 34 S. 165, 183.

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auch nicht durchhalten - noch hat er irgendetwas mit einer arbeitsteiligen, pluralistischen Gesellschaft zu tun. Im Gegenteil. Ein holistischer Erziehungsbegriff widerspricht eklatant der Ausdifferenzierung eines Teiles des Erziehungssystems, das heißt, der relativen Autonomie von Unterricht und Pädagogik165.

3. Selbstverwirklichung des Schülers und Anerkennung der verfassungsmäßigen Ordnung als Integration 166 der Erziehungsziele Nach Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG ist die Erziehung des Kindes „das ... Recht" der Eltern. Wenn Art. 7 Abs. 1 GG andererseits einen eigenen Bildungsauftrag des Staates und zudem die Befugnis zur Bestimmung einer Schulpflicht enthält, so bedeutet dies, daß das den Eltern scheinbar umfassend gewährleistete Recht zumindest nicht die schulische Erziehung des Kindes umfassen kann. Denn die Erziehung des Kindes in der Schule gemeinsam mit anderen Kindern schließt notwendig die gleichzeitige Einwirkung der Eltern auf ihr Kind aus 167 . Der Staat verpflichtet das Kind auch bei einem möglicherweise entgegenstehenden Willen der Eltern zum Schulbesuch und setzt die Erziehungsinhalte und -methoden zugunsten der Selbstverwirklichung des Schülers unabhängig von den Vorstellungen der Eltern fest 168 . Eine zwangsläufige Beschränkung des natürlichen Erziehungsrechts der Eltern durch ein staatliches Erziehungsziel ergibt sich bereits aus dem Inhalt der von Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG verbürgten Rechtsposition. Der Staat könnte den Eltern gar nicht die alleinige Erziehung ihres Kindes überlassen, da das Kind einerseits einen weitergehenden Anspruch auf Erziehung hat, als die Eltern ihn in aller Regel erfüllen können und sich das Kind zudem nicht als isoliertes Einzelwesen, sondern als Mitglied einer nach vorgegebenen Regeln geordneten Gemeinschaft entfaltet 1 6 9 . Wenn die Gemeinschaft erwarten kann und muß, daß sich das Kind in das bestehende Gemeinwesen einschließlich der damit verbundenen Pflichten einpaßt und andererseits den Eltern die Inhalte der Erziehung nicht vorgibt, so muß auf 165 Vgl. Jochen Abr. Frowein, Erziehung zum Widerstand?, in: G. Leibholz/F. Joachim/ P. Mikat/H. Reis (Hrsg.), Menschenwürde und freiheitliche Rechtsordnung, Festschrift für Willi Geiger zum 65. Geburtstag, Tübingen 1974, S. 579 ff. 166 Wenn es wirklich in den grundsätzlichen Fragen „Kultur (oder hier Erziehung) und Kulturstaat" Pluralismus geben soll, dann müßte man ein Nebeneinander von Kulturen dulden können und dulden wollen, deshalb liegt in den Grundsätzen der Ton auf Integration. Vgl. Günter Püttner, Aussprache und Schlußworte zum Kulturauftrag im staatlichen Gemeinwesen, VVDStRL 42 (1984), S. 137. 167

Vgl. Dietrich V. Simon, Die Reform des Rechts der elterlichen Sorge, in: Essener Gespräche zum Thema Staat und Kirche Bd. 14 (1980), S. 128 ff. 168 Vgl. H.-W. Schlie, a. a. O. (Fn. 124), 63 ff. 169 Vgl. Willi Geiger, Kraft und Grenze der elterlichen Erziehungsverantwortung unter den gegenwärtigen gesellschaftlichen Verhältnissen, in: Essener Gespräche zum Thema Staat und Kirche, Bd. 14 (1980), S. 9 ff.

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3. Kap.: Selbstverwirklichungsrecht im pluralistischen Kulturstaat

andere Weise gewährleistet sein, daß das Kind die von der Gemeinschaft verlangte verfassungsmäßige Ordnung erlernt. Das Elternrecht untersteht damit notwendig einem Gemeinschaftvorbehalt 170, der den Staat zur Übernahme von Erziehungszielen berechtigt, soweit die Eltern die Erziehung des Kindes nicht ganz selbst wahrnehmen können. Art. 7 Abs. 1 GG enthält einen Bildungs- und Erziehungsauftrag des Staates. Die Schulen sind somit nicht auf die Wissensvermittlung beschränkt, sondern sollen die Kinder zu selbstverantwortlichen Mitgliedern der Gesellschaft unter der verfassungsmäßigen Ordnung heranbilden 171. Es ist Aufgabe der Länder, die Ziele und Methoden der Erziehung in den öffentlichen Schulen festzulegen 172. Als demokratischer und sozialer Rechtsstaat basiert der Staat auf bestimmten Rechts- und Wertvorstellungen (Würde des Menschen, freie Entfaltung der Persönlichkeit etc.). Er ist auf die Zustimmung der Bürger zu diesen Vorstellungen angedes Bürgers interessiert sein, derzuwiesen und muß an einer Selbstverwirklichung folge die Menschen in freier Selbstbestimmung aus Vernunftgründen die Grundund Menschenrechte ihres Gemeinwesens verteidigen, ihre allgemeine Geltung in allen gesellschaftlichen Bereichen reklamieren und aktiv ausgestalten. Die grundrechtlichen Rechts- und Wertvorstellungen sind argumentativ in der Schule zu vermitteln 173 . Wenn die Schule bei der nachfolgenden Generation die Akzeptanz und den Einsatz für die Menschenrechte fördern soll, dann ist dies erstmal eine Aufgabe für alle Bereiche der Schule. Schulen sind Lebensräume, deren Gestaltung möglicherweise prägender ist als alle inhaltlichen Vermittlungs- und Erziehungsbemühungen der Lehrkräfte zusammen. Wenn Grundrechte und -werte verstärkt im Unterricht behandelt werden sollen, gilt dies im Prinzip für alle Unterrichtsfächer 174 . 170 ist der staatliche Bildungsauftrag Inhalt dieses Gemeinschaftvorbehalts, so bedeutet das gleichzeitig aber auch, daß staatliche Bildung auf die Felder begrenzt ist, welche die Eltern entweder aus dem Interesse des Staates an der Integrierung des jungen Menschen in die Gemeinschaft oder dem Erziehungsanspruch des Kindes nicht erfüllen können. Vgl. H.-W. Schlie, a. a. O. (Fn. 124), 67 f. πι BVerfGE 47,46 (72). 172 Einzelne Kerne des freiheitlichen Verfassungsstaates wie Menschenwürde, freie Persönlichkeitsentfaltung, Demokratie, Republik, Pluralismus im Kulturstaat oder Volkerfreundlichkeit müssen als Erziehungsziele kraft einer pädagogischen Verfassungsinterpretation wirken können. Der Verfassungsstaat westlicher Prägung fordert und setzt jene pädagogische Kraft voraus, die die genannten Erziehungsziele zur Grundlage der Sozialisation der jungen Generation macht. Nur so läßt sich ihre Integration in die verfassungsstaatliche Ordnung mit der bewährten Selbstverwirklichung des Menschen erreichen. Die Orientierung des Schulunterrichts auch an diesen Erziehungszielen ist eine wesentliche Voraussetzung des pluralistischen Kulturstaates und einer breiten Akzeptanz der verfassungsstaatlichen Ordnung. Vgl. BVerfGE 34, 165 (181); 47,46 (71). 173 Christoph Th. Scheilke, Religion in der Schule einer pluralen Gesellschaft, RdJB 1996, S. 342. 174 Vgl. Gerhard Priesemann, Schule als Institution der Erziehung, in: Essener Gespräche zum Thema Staat und Kirche, Bd. 12 (1977), S. 58 ff.

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pluralistischen Kulturstaat

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Die Durchsetzung der Selbstverwirklichung des Schülers und damit zumindest mittelbare Erziehung bedeutet indes bereits die Festlegung der in der Schule vermittelten Bildungsinhalte durch den Staat. Zwar bleibt es nicht der alleinigen Bestimmung des Staates - genauer: vorbehaltlich des Art. 91b GG den für die Kultur ausschließlich zuständigen Ländern, Art. 70 ff., Art. 30 GG - überlassen, welchen Wissensstoff die Kinder in der Schule erlernen sollen. Denn mit der Bereitstellung von Schulen erfüllt der Staat zugleich einen Anspruch des Kindes auf eine zur Selbstverwirklichung befähigende Bildung 175 . In einem gemeinschaftlichen Unterricht hat das Kind jedoch hinzunehmen, daß der Staat die Unterrichtsinhalte zugunsten der Selbstverwirklichung des Kindes im einzelnen selbst auswählt und nach der von ihm für die Selbstverwirklichung des Kindes richtig gehaltenen Methode vermittelt 176 . Die Schule kann ihr Erziehungsziel überhaupt erst dadurch erfüllen, daß sie eigene, nicht aus dem Elternrecht abgeleitete Aufgaben in der Erziehung des Kindes übernimmt. Zwar ist es im Interesse der Selbstverwirklichung des Kindes geboten, elterliche und staatliche Erziehung weitestmöglich aufeinander abzustimmen177. Bei widerstreitenden Auffassungen kann jedoch auch keine „Pflicht zu einem sinnvoll aufeinander bezogenen Zusammenwirken von Schule und Elternhaus bei der einen Persönlichkeit des Kindes" 178 eine Ausrichtung staatlicher Erziehungsinhalte an den Vorstellungen der Eltern bewirken. Um die Kinder zu selbstverantwortlichen Mitgliedern der Gesellschaft unter der verfassungsmäßigen Ordnung heranzubilden, setzt die Durchsetzung staatlicher Bildungsinhalte vielmehr notwendig ein eigenes Erziehungsziel der Schule voraus, daß „in seinem Bereich dem elterlichen Erziehungsrecht nicht nach-, sondern gleichgeordnet ist." 1 7 9 Der Staat ist verpflichtet, auch in der Schule die Verantwortung der Eltern für den Gesamtplan der Erziehung ihrer Kinder zu achten und für die Vielfalt der Anschauungen in Erziehungsfragen so weit offen zu sein, als es sich mit einem geordneten staatlichen Schulsystem verträgt 180 . Dieses verfassungsrechtliche Gebot der Toleranz und Rücksichtnahme, welches mit dem Gebot der Neutralität des Staates korrespondiert 181, ermöglicht - als maßgebende Konfliktlösungsmaxime - eine 175 Vgl. Erwin Stein, Bildung im Dienste des Wohlstandsidols?, in: G. Leibholz/F. Joachim/P. Mikat/H. Reis (Hrsg.), Menschenwürde und freiheitliche Rechtsordnung, Festschrift für Willi Geiger zum 65. Geburtstag, Tübingen 1974, S. 561 ff.

™ Vgl. H.-W. Schlie, a. a. O. (Fn. 124), S. 70ff. 1 77 Vgl. BVerfGE 59, 360 (383). "8 BVerfGE 34, 165 (183). 1™ BVerfGE 34, 165 (183); 41, 29(44); 59, 360 (379). 180 Vgl. Hans-Uwe Erichsen, Elternrecht und staatliche Verantwortung für das Schulwesen, in: N. Achterberg/W. Krawietz/D. Wyduckel (Hrsg.), Recht und Staat im sozialen Wandel, Festschrift für Hans Ulrich Scupin zum 80. Geburtstag, Berlin 1983, S. 721 ff. isi Vgl. hierzu G. Püttner, Toleranz und Lehrpläne für die Schulen, DÖV 1974, S. 656ff.; ders., Schulrecht und Schulkämpfe unter dem Grundgesetz, in: H. Maurer (Hrsg.), Das akzeptierte Grundgesetz, Festschrift für Günter Dürig zum 70. Geburtstag, München 1990, S. 289 f.

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3. Kap.: Selbstverwirklichungsrecht im pluralistischen Kulturstaat

optimale Berücksichtigung divergierender Interessen. Insofern sind die Schulen mit den öffentlichrechtlichen Rundfunkanstalten vergleichbar 182. Ebenso wie der Rundfunk muß die Schule allen gesellschaftlich relevanten Kräften gerecht werden und darf nicht nur einer gesellschaftlichen Gruppe oder Partei überlassen werden. Die Schule soll die gesellschaftlich relevanten Probleme und Auffassungen vermitteln, erläutern, kommentieren, auch bewerten, aber sie darf sich nicht mit ihnen identifizieren und sie zum Ausgangspunkt einer Indoktrination wählen 183 . Die Formel eines sinnvollen Zusammenwirkens der Erziehungsziele scheint auf der Basis der Integration des Erziehungsrechts der Eltern mit der Verantwortung des Staates unter der verfassungsmäßigen Ordnung für die freie Entfaltung der Persönlichkeit der Kinder der beste Lösungsansatz, dessen inhaltliche Bestimmung jedoch konkret vorgenommen werden muß 1 8 4 . Eine Zusammenarbeit beider Erziehungsträger, die der Selbstverwirklichung des Kindes dient, setzt ungeachtet der Befugnis des Staates zur Festsetzung eines Mindeststandards schulischer Erziehung grundsätzlich voraus, daß für die Eltern über die Gewährung von Abwehrrechten gegenüber unzulässigen Eingriffen hinaus die Möglichkeit besteht 185 , eine schulische Erziehung für ihr Kind im pluralistischen Kulturstaat zu wählen, die ihren Wertvorstellungen entspricht. Zusammenarbeit beider Erziehungsträger setzt also Wahlmöglichkeiten hinsichtlich der weltanschaulichen, bekenntnismäßigen oder pädagogischen Ausrichtung der Schule voraus 186 .

C. Die Bedeutung des pluralistischen Kulturstaats hinsichtlich des Selbstverwirklichungsrechts des Schülers I. Im allgemeinen

Der einzelne erfährt seine Erweiterung erst im Miteinander, im Bezug zu und Kontakt mit anderen als „Bedingungen, Mittel, Verstärker und Vervielfältiger" eigener Freiheit 187 . Selbstverwirklichung ist somit auch eine interaktionistische 182 Vgl. BVerfGE 57, 295 ff. 183 J. Kohl, Schule und Eltern in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, in: W. Zeidler/Th. Maunz/G. Roellecke (Hrsg.), Festschrift Hans Joachim Faller, München 1984, S. 210 f. 184 Vgl. F.-R. Jach, a. a. O. (Fn. 96), S. 40. 185 Bei Interessenkonflikten im Verhältnis Eltern/Kind/Schule muß also eine Güterabwägung zwischen dem in Art. 6 Abs. 2 GG garantierten Erziehungsrecht, dem in Art. 7 Abs. 1 GG verankerten Recht des Staates zur Entscheidung über das Schulsystem und den Grundrechten des Kindes (hier besonders das Selbstverwirklichungsrecht, Ait. 2 Abs. 1 GG) vorgenommen werden. Vgl. Ernst-Wolfgang Böckenförde, Elternrecht - Recht des Kindes - Recht des Staates. Zur Theorie des verfassungsrechtlichen Elternrechts und seiner Auswirkung auf Erziehung und Schule, in: Essener Gespräche zum Thema Staat und Kirche, Bd. 14 (1980), S. 54 ff. 186 Vgl. BVerfGE 47,46 (76).

C. Bedeutung des pluralistischen Kulturstaats

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und kommunikative, sie braucht die Beziehung zum Mitmenschen und hat sie zum Gegenstand188. Diese soziale Dimension menschlicher Selbstverwirklichung ist angewiesen auf die Gewährung von Mechanismen zu mehrseitiger und interaktiver Entfaltung und eine rechtliche Harmonisierung der Freiheitsbetätigung der Bürger. Der objektivrechtliche auf Gewährung individueller, realer Selbstverwirklichungsmöglichkeiten angelegte Gehalt des Art. 2 Abs. 1 GG verlangt nach einer Rechtsordnung, die die sozialen Entfaltungszusammenhänge durch Zuweisung von Rechtsmacht, Gewährung von Handlungsformen und Bestimmung von Verhaltensanforderungen gestaltet und begrenzt 189 . Diese hat sich am Wert höchstmöglicher personaler Entfaltung jedes einzelnen zu orientieren und muß zugleich den Gedanken der prinzipiell gleichen Ausübung und Ausübungschance für alle Grundrechtsträger verwirklichen 190 . So wäre der Staat, wenn Art. 2 Abs. 1 GG nur das Selbstverwirklichungsrecht schützen würde, nicht daran gehindert, den Einzelnen zu bevormunden und seinen Lernprozeß ohne Rücksicht auf seinen Willen voranzutreiben. Besonders in einem totalitären Staat, dem es um ein Maximum an Leistung geht, läge es nahe, alle Staatsbürger auf ihre spezielle Befähigung zu untersuchen, zu prüfen, in welcher Hinsicht sie am meisten leisten können, und dann die Nutzung jener leistungsträchtigen Disposition zwangsweise durchzusetzen 191. Gegen eine derartige Verplanung der Selbstverwirklichung des einzelnen Menschen würde das nackte Selbstverwirklichungsrecht nicht helfen, vorausgesetzt, daß die optimale Leistungsfähigkeit objektiv tatsächlich auf der vom Staat erzwungenen Linie läge. Es handelt sich auch nicht um ein Problem der Geltendmachung des Selbstverwirklichungsrechts, der sogenannten Grundrechtsmündigkeit. Denn durch Geltendmachung des Selbstverwirklichungsrechts kann eine Förderung der Leistungsfähigkeit auch dann nicht verhindert werden, wenn sie zwangsweise erfolgt 192 . Deshalb muß besonders hervorgehoben werden, daß Art. 2 Abs. 1 GG auch das Recht umschließt, über das Ob und Wie der Selbstverwirklichung autonom zu bestimmen. Der schon in seinem

187 Dieter Suhr, Freiheit durch Geselligkeit, EuGRZ 1984, S. 529 (535); vgl. auch Korothea Bender-Szymanski/Barbara Lueken/Andreas Thiele, Lernen durch Kulturkontakt, Z. f. Päd. 1998, S. 679 ff. 188 Vgl. G. Dürig, in: T. Maunz/ders./R. Herzog/R.. Scholz (Hrsg.), Grundgesetz - Kommentar, München 1994, Art. 19 Abs. III Rdnr. 1 mit Fn. 3. ι»9 Vgl. Dieter Suhr, Die Freiheit vom staatlichen Eingriff als Freiheit zum privaten Eingriff?, JZ 1980, S. 166 (173 f.). 190 H.-U. Erichsen, Allgemeine Handlungsfreiheit, in: HBStR Bd. VI, § 152, S. 1194f.

191 Vgl. Klaus Stern, Menschenwürde als Wurzel der Menschen- und Grundrechte, in: N. Achterberg/W. Krawietz/D. Wyduckel (Hrsg.), Recht und Staat im sozialen Wandel, Festschrift für Hans Ulrich Scupin zum 80. Geburtstag, Berlin 1983,627 ff. 192 Vgl. Henrich Henkel, Die Selbstbestimmung des Menschen als rechtsphilosophisches Problem, in: G. Paulus/U. Diederichsen/C.-W. Canaris (Hrsg.), Festschrift für Karl Larenz zum 70. Geburtstag, München 1973, S. 3 ff.

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3. Kap.: Selbstverwirklichungsrecht im pluralistischen Kulturstaat

Wortlaut klar zum Ausdruck kommende Zweck dieses Grundrechts ist es also, jedem die autonome Selbstverwirklichung, die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, zu ermöglichen 193 . Zunächst ist klarzustellen, daß dieses Grundrecht formal ein subjektiv öffentliches auf Unterlassung gegen den Staat ist und daß es gemäß Art. 1 Abs. 3 GG bereits jetzt bindend für Gesetzgebung, Verwaltung und Rechtsprechung gilt. Das bedeutet, daß es nicht bloß ein von der Staatsgewalt künftig zu verwirklichendes Programm darstellt, aus dem nicht heute bereits Folgerungen für die Rechtsmäßigkeit oder Rechtswidrigkeit staatlicher Maßnahmen gezogen werden könnten 194 . Aber wenn es auch - wie alle Grundrechte - aus geschichtlichen Gründen nur Front gegen den Staat und die Gewalt nimmt, deutet seine zentrale objektivrechtliche Stellung im Aufbau unseres öffentlichen Lebens doch darauf hin, daß es in die heute geltenden allgemeingültigen Grundanschauungen mit aufgenommen, also zum Bestandteil unseres pluralistischen Kulturstaates erklärt ist 1 9 5 . In der Gegenwart wetteifern verschiedenen Menschenbilder 196 miteinander um den Anspruch auf Richtigkeit und Verbindlichkeit. Die Freiheitlichkeit unserer Verfassung liegt gerade im pluralistischen Kulturstaat darin, daß sie nicht versucht, eines von ihnen zum allgemeingültigen zu erheben 197. Darin liegt nicht eine „Wertneutralität", sondern eine Verschiebung in der Wertbindung gegenüber dem bekenntnisgebundenen Mittelalter: Verbindlich gemacht werden nicht bestimmte Ansichten über den Menschen und die sie tragende Ideologie, sondern ein bestimmtes Verhältnis von Mensch und Gesellschaft, nämlich die Ausrichtung des Gesellschaftslebens auf den Menschen als solchen als höchsten Wert und damit das Verbot jeden Mißbrauchs von Menschen als Mittel zum Zweck 1 9 8 . Hiergegen verstößt schon der Versuch, den Menschen an ein bestimmtes Menschenbild zu binden 199 . 193 K.-D. Heymann/E. Stein, Das Recht auf Bildung, AöR 97 (1972), S. 210f. 194 Vgl. H. Peters, Die freie Entfaltung der Persönlichkeit als Verfassungsziel, in: D. S. Constantopoulos/H. Wehberg (Hrsg.), Gegenwartsprobleme des internationalen Rechtes und der Rechtsphilosophie, Festschrift für Rudolf Laun zum 70. Geburtstag, Hamburg 1953, S. 672 f. 195 Das vom pluralistischen Kulturstaat geprägte Menschentum begründet seinen Anspruch auf freie Entfaltung der Persönlichkeit auf einer anderen, viel höheren Ebene als darin, jeden beliebigen Weg jederzeit zu benutzen oder eine bestimmte wirkungsvolle Reklame zu machen. Vgl. H. Peters, a. a. O. (Fn. 194), S. 673. 196 Vgl. Heinrich Hubmann, Das Menschenbild unserer Rechtsordnung, in: R. Dietz/ H. Hübner (Hrsg.), Festschrift für Hans Carl Nipperdey zum 70. Geburtstag, Berlin 1965, S. 37 ff. 197 Vgl. Günther Küchenhoff, Persönlichkeitsschutz kraft Menschenwürde, in: G. Leibholz/F. Joachim/P. Mikat/H. Reis (Hrsg.), Menschenwürde und freiheitliche Rechtsordnung, Festschrift für Willi Geiger zum 65. Geburtstag, Tübingen 1974, S. 45 ff. 198 Vgl. Johannes Messner, Die Idee der Menschenwürde im Rechtsstaat der pluralistischen Gesellschaft, in: G. Leibholz/F. Joachim/ Ρ Mikat/H. Reis (Hrsg.), Menschenwürde und freiheitliche Rechtsordnung, Festschrift für Willi Geiger zum 65. Geburtstag, Tübingen 1974, S. 221 ff.

C. Bedeutung des pluralistischen Kulturstaats

203

Nicht die Menschen sind einem Menschenbild anzupassen, sondern alle Menschenbilder sind als historisch bedingte Leitideen immer von neuem an den Menschen als realen Gegebenheiten im pluralistischen Kulturstaat zu über prüfen 200 .

Π. Die objektivrechtliche Bedeutung vom Selbstverwirklichungsrecht des Schülers im pluralistischen Kulturstaat

Die objektivrechtliche Bindung des Staates an die Grundrechte bei der Gestaltung des Schulwesens ist unter der Geltung des Grundgesetzes insoweit unbestritten, als heute über den negatorischen Charakter der Grundrechte als Abwehrrechte gegen den Staat „über die institutionelle oder wertmäßige Sicht des Grundrechtsteiles weithin anerkannt (ist), daß sich die Bedeutung der Grundrechte in den Individualpositionen nicht erschöpft" 201 . Ferner ist es „weithin Gemeingut, daß die Grundrechte über ihren individualrechtlichen Aspekt hinaus im indirekten Sinne einer aufgestellten Wertordnung Ausstrahlungswirkungen entfalten, an denen sich die staatliche Tätigkeit mit auszurichten hat" 2 0 2 . Dies hat zur Konsequenz, daß der Staat bei der Gestaltung des Schulwesens insbesondere an das Grundrecht des Kindes auf freie Entfaltung seiner Persönlichkeit nach Art. 2 Abs. 1 GG und das elterliche Erziehungsrecht nach Art. 6 Abs. 2 GG in Verbindung mit der Religionsfreiheit nach Art. 4 Abs. 1 und Abs. 2 GG dergestalt gebunden ist 2 0 3 , daß er nicht in die Eigensphäre des jeweiligen Grundrechtsträgers eingreifen darf. Darüber hinaus folgt, daß er das Schulwesen im Sinne eines staatlichen Handlungsauftrags im pluralistischen Kulturstaat in einem Maße zu ordnen und zu gestalten hat, daß die Grundrechte der Schüler und Eltern optimal zur Geltung gelangen204. Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts geht insoweit davon aus, „daß das Grundgesetz, das keine wertneutrale Ordnung sein will, in seinem Grundrechtsabschnitt auch eine objektive Wertordnung aufgerichtet hat, und daß gerade hierin eine prinzipielle Verstärkung der Geltungskraft der Grundrechte zum Ausdruck kommt. Dieses Wertsystem, das seinen Mittelpunkt in der innerhalb der sozialen Gemeinschaft sich frei entfaltenden menschlichen Persönlichkeit und ihrer Würde findet, muß als verfassungsrechtliche Grundentscheidung für alle Bereiche des Rechts gelten; Gesetzgebung, Verwaltung und Rechtsprechung empfangen von ihm Richtlinien und Impulse" 205 . Danach sind in der Verfassung die Wertvorstel199 Vgl. Ferdinand Kopp, Das Menschenbild im Recht und in der Rechtswissenschaft, in: R. Bartlsperger/D. Ehlers/W. Hofmann/D. Pirson (Hrsg.), Rechtsstaat Kirche Sinnverantwortung, Festschrift für Klaus Obermayer zum 70. Geburtstag, München 1986, S. 53 ff. 200 BVerfGE 4, S. 7 ff., 15 f.

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T. Oppermann, a. a. O. (Fn. 149), S. C 14. T. Oppermann, a. a. O. (Fn. 149), S. C 37. F.-R. Jach, a. a. O. (Fn. 96), S. 30. Vgl. R, Alexy, a. a. O. (Fn. 84), S. 75 ff. BVerfGE 7, 198 (205 f.).

204

3. Kap.: Selbstverwirklichungsrecht im pluralistischen Kulturstaat

lungen fixiert, „die das Volk in einem bestimmten Zeitpunkt seiner geistig-kulturellen Entwicklung erreicht" hat 2 0 6 . Die Verfassung des Grundgesetzes hat sich danach für zentrale Grundwerte entschieden, die sie in ihren Schutz nimmt und dem Staat aufgibt, sie zu sichern und sie zu gewährleisten 207, und aus denen sich unabhängig von subjektiven Abwehrrechten des Einzelnen als objektivrechtlicher Gehalt der Verfassung bestimmte Schutz- und Handlungspflichten des Staats ergeben 2 0 8 .

ΙΠ. Pluralismus als objektive Umwelt des Selbstverwirklichungsrechts des Schülers im Kulturstaat

1. Im allgemeinen Pluralismus, d. h. die zum Begriff geronnene und zur sozialen Struktur verfestigte Vielfalt von Normen und Lebensformen, Theorien und Ideen, Begründungsmustern und Philosophien gehört zu den unbestrittenen Merkmalen der gegenwärtigen gesellschaftlichen und kulturellen Wirklichkeit 209 . Damit erweist der Pluralismusbegriff sich in einem doppelten Sinne als relativ: Er impliziert zum einen eine subjektive - die Differenzierung allererst ermöglichende und zugleich bestimmende - und eine objektive - außersubjektiv vorfindliche, „feststellbare" Komponente 210 . Die unterschiedlichen Welten des Pluralismus sind weder Subjekt- noch gruppenabhängig. Menschen können sehr wohl einen Perspektivenwechsel vornehmen 2 1 1 . Das fordert zur Diskussion, zur Explikation und zum Vergleich von Argumenten heraus. In diesem Sinne kann pluralistische Diversität als Baustein pluralistischer kulturstaatlichen Theoriebildung gelten. Aussagekraft und Konsistenz der jeweils benutzten Perspektiven können dabei nur gewinnen 212 . Pluralismus verweist hier nicht nur auf die in unserer Kultur anzutreffende Diversität, sondern in erster Linie auf die Vorstellung, daß diese Diversität nicht auf dem Weg der Rationalität auf Einheit zurückführbar sei 2 1 3 . Möglich verschie206 BVerfGE 7, 199 (206). 207 BVerfGE 39, 334 (349). 208 Vgl. BVerfGE 39, 1 (42). 209 Frieda Heyting/H.-Elmar Tenorth, Pädagogik und Pluralismus. Zur Einleitung in diesen Band, in: F. Heyting/H.-E. Tenorth (Hrsg.), Pädagogik und Pluralismus, Weinheim 1994, S. 5. 210 Helmut Heid, Plädoyer für erziehungswissenschaftlichen Pluralismus, in: F. Heyting/ H.-E. Tenorth (Hrsg.), Pädagogik und Pluralismus, Weinheim 1994, S. 121. 211 Vgl. Peter L Berger/Thomas Luckmann, Modernität, Pluralismus und Sinnkrise, Gütersloh 1995, S. 30 ff. 212 Vgl. Frieda Heyting, Konstruktiver Pluralismus - Diversität als Baustein erziehungswissenschaftlicher Theoriebildung, in: F. Heyting/H.-E. Tenorth (Hrsg.), Pädagogik und Pluralismus, Weinheim 1994, S. 118.

C. Bedeutung des pluralistischen Kulturstaats

205

den können aber nicht nur bewußtseinsjenseitige physikalische Gegenstände, sondern auch solche Gegenstände unserer Wahrnehmung, unseres Denkens und unserer Aussagen sein, die verschiedene bzw. differierende Interpretationen von Wirklichkeit zum Inhalt haben, beispielsweise verschiedene Theorien über die Entwicklung oder Erziehung des Menschen 214 . Erziehung ist ja diejenige soziale Tatsache, in der die moderne Gesellschaft das Problem löst, wie sie angesichts des kontinuierlichen Wechsels der Generationen nicht nur ihren Bestand über die Zeit sichert 215 , sondern zugleich auch das Maß an kollektiver Identität bewahren kann, das zu ihrem Bestand notwendig ist (oder doch zumindest unentbehrlich scheint). Die Realisierung auch der öffentlichen Erziehung ist also selbst Teil der pluralen Kultur, als die sich die Gesellschaft der Moderne realisiert 216 . Über Erziehung und Pluralismus kann man deshalb auch nicht allein abstrakt und systematisch, sondern am ehesten im Blick auf differente Kulturen sprechen 217. In Erziehung und Unterricht versuchen wir dazu beizutragen, daß die Entwicklung der Heranwachsenden über die Konzentration auf die sachlichen und sozialen Anforderungen unserer Kultur hin zu dem verläuft, was Piaget Dezentrierung nennt. Diese Anforderungen wurden und werden (auch heute noch) in der Regel als eindeutige präsentiert. Die von den Erwachsenen arrangierte Lernpraxis stand und steht insofern im Zeichen von stabilisierender Synthesis. Und das scheint dann sowohl subjektiv mit bestimmten Ordnungs- und Eindeutigkeitsbedürfnissen von Heranwachsenden als auch objektiv mit den Stabilitäts-, Sicherheits- und Vereinheitlichungsbedürfnissen der Gesellschaft zu korrespondieren. Hierbei ist der Versuch zu unternehmen, eine den Selbstverwirklichungsrechtsgewährleistungen des Schülers im Grundgesetz adäquate Theorie der objektiven Dimension der Grundrechte im Bereich der Schulverfassung zu entwerfen, welche in einem gesellschaftlichen, kulturellen und schulischen Pluralismusgebot im Kulturstaat ihren Ausdruck finden wird 2 1 8 . 213

Diese Voraussetzung wird indessen dort nicht mehr gemacht, wo davon ausgegangen wird, daß Menschen sich offen verhalten und lernen könnten, ihre jeweiligen Standpunkte und Überzeugungen nicht mehr als entweder richtige oder falsche, sondern als mögliche Standpunkte anzusehen. Vgl. F. Heyting, a. a. O. (Fn. 212), S. 101 f. 214 Vgl. H. Heid, a. a. O. (Fn. 210), S. 122. 215 Die Dominanz der älteren Generation und die normierenden und normalisierenden, bei aller Differenzierung und Individualisierung immer auch auf Vereinheitlichung gerichteten Tendenzen des öffentlich-sozialen Systems Schule wirken einer solchen pluralistischen Entwicklung entgegen. Vgl. A. Rang, a. a. O. (Fn. 151), S. 41. 216 Vgl. Annedore Prengel, Pädagogik der Vielfalt, 2. Aufl., Opladen 1995, S. 29 ff. 217 F. Heyting/H.-E. Tenorth, a. a. Ο. (Fn. 209), S. 8 . 218 Vgl. Thomas Vesting, Von der liberalen Grundrechtstheorie um Grundrechtspluralismus Elemente und Perspektiven einer pluralen Theorie der Grundrechte, in: C. Grabenwarter/ S. Hammer/A. Pelzl/E. Schulev-Steindl/E. Wiederin (Hrsg.), Allgemeinheit der Grundrechte und Vielfalt der Gesellschaft, Stuttgart 1994, S. 9 ff. 14 Hsu

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3. Kap.: Selbstverwirklichungsrecht im pluralistischen Kulturstaat

2. Gesellschaftliche

Bezüge

Der Frage, was sich aus der „Interdependenz von Gesellschaftsverfassung und Bildungsinstitution" an Konsequenzen für Verhältnisbestimmungen zwischen Bildungssystem und Gesellschaft, Bildungspolitik und der Reproduktion gesellschaftlicher Ungleichheit sowie für die gesellschaftliche Formbestimmtheit von Bildungsprozessen und deren Realisierung in empirischen Individuen ergibt, galten in den letzten zwanzig Jahren vielfältige disziplinäre wie interdisziplinäre Analysen 219 . Ein entscheidendes Problem ist dabei bis heute geblieben, die Beteiligten gerade wegen ihrer unterschiedlichen Ansätze und Interessen in einen Diskurs miteinander zu bringen, der es erlaubt, die Bearbeitung des gemeinsamen Gegenstandes ,3ildung, Individuum und Gesellschaft" - als Vermittlung von Bildungstheorie und Bildungssoziologie - mit Hilfe einer disziplinenübergreifenden, gesellschaftsgeschichtlich orientierten und multikulturell interessierten Perspektivenverschränkung voranzutreiben 220. Darum gilt es, das Verhältnis von Bildung, Individuum und Gesellschaft zu rekonstruieren und die Chancen einer „Verwirklichung" der kritischen Bildungsidee(n), die im „Projekt des Menschen" ihr Zentrum hat, - vor allem in ihrer multikulturell relevanten Ausrichtung als der Basis eines realen Pluralismus von Lebensformen - auszuloten221. Im Kontext von Bildungstheorien, deren Gemeinsamkeit sich durch ein gesellschaftskritisches Verfahren und die Vorstellung praktischer Relevanz menschlichen Handelns für gesellschaftliche Entwicklungen bestimmt, führt dies zum einen zur geschichtstheoretisch auszufüllenden Frage nach dem Verhältnis von Wirklichkeit und Möglichkeit und zum anderen zu der nach Form und Gehalt möglicher Vermittlungen von Gattung und Individuum - als dem Kern des Pluralismusproblems 222. Die Ziele der Erziehung zu Selbstverwirklichung können freilich die Abhängigkeit jedes Einzelnen von seiner gesellschaftlichen Umgebung und den in ihr herrschenden Normen und Anschauungen ebenso wenig aufheben wie die Abhängigkeit jeder Bildung von der Gesellschaft, in der sie erfolgt 223 . Allerdings darf die Gesellschaftsabhängigkeit der Bildung nicht auch als unaufhebbare Determination des Bildungsinhalts durch die jeweiligen gesellschaftlichen Verhältnisse verstanden werden 224 . 219 Heinz-Joachim Heydorn, Zu einer Neufassung des Bildungsbegriffs, in: ders.: Ungleichheit für alle, Frankfurt/M. 1980, S. 99. 220 Vgl. dazu Heinz-Joachim Heydorn, Über den Widerspruch von Bildung und Herrschaft, Frankfurt/M. 1979.

221 Vgl. Heinz Sünker, Bildung, Alltag und Subjektivität. Weinheim 1989. 222 Heinz Sünker, Pluralismus und Utopie der Bildung, in: F. Heyting/H.-E. Tenorth (Hrsg.), Pädagogik und Pluralismus, Weinheim 1994, S. 182. 223 Vgl. Emile Durkheim, Erziehung, Moral und Gesellschaft, Frankfurt/M. 1984, S. 143 ff., 157 ff. 224 K.-D. Heymann/E. Stein, AöR 97 (1972), S. 214.

C. Bedeutung des pluralistischen Kulturstaats

207

Die Vielfalt der Aussagen über die Wirklichkeit, die Vielfalt der Kenntnisse und Vorurteile, Wertungen und Gefühlshaltungen bildet das Reservoir des Bildungsinhalts, nach dem sich die Möglichkeiten und Grenzen dessen, was durch Bildung vermittelt werden kann, bestimmen 225 . Dieses Reservoir an möglichen Bildungsgehalten ist so unendlich viel größer als das, was ein noch so lernfähiger Mensch aufnehmen kann, so daß die Festlegung der Auswahl zum zentralen Kriterium jedes Bildungssystems wird 2 2 6 . Dabei ist die von der Verfassung gebotene Freiheit der Selbstverwirklichung darauf gerichtet, den Einfluß der die Gesellschaft beherrschenden Gruppen auf die Auswahlproz'esse zurückzudrängen 227. Erziehung ist nicht nur ein System als wahr oder falsch beurteilbarer Aussagen, sie ist auch ein System gesellschaftlichen Handelns. Damit sind die Voraussetzungen und Umstände der Erzeugung wahrheitsfähiger Aussagen angesprochen, für die sich die Pluralismusthematik auf spezifische Weise und mit größerer Berechtigung stellt. Denn Pluralismus ist eine gesellschaftliche Kategorie, eine Kategorie der Praxis, der Viefalt der Interessen 228. Immerhin ermöglicht eine ausgewogene Einflußstruktur im Bildungswesen die Erkenntnis der Vielfalt der konkurrierenden Standpunkte und ihrer Interessenabhängigkeit 229 und fördert damit das Bewußtwerden der eigenen Interessen als Voraussetzungen einer autonomen Selbstverwirklichung 230 .

3. Kulturelle Bezüge Die menschliche Kultur steht im Plural, und es gibt mithin eine polyvalente und kontroverse Vielfalt von Welt- und Subjektkonzeptionen, politischen, moralischen und religiösen Auffassungen, wissenschaftlichen Theorien und ästhetischen Produktionen 231 . Pluralismus ist eine wichtige und notwendige Vorbedingung für die Möglichkeit der Kritik an anderen Positionen und Situationen. Kultureller Pluralismus kann zu 225 Vgl. Theodor Maunz, Der Bildungsanspruch in verfassungsrechtlicher Sicht, in: H. Hablizel/M. Wollenschläger (Hrsg.), Recht und Staat, Festschrift für Günther Küchenhoff zum 65. Geburtstag, Berlin 1972, S. 605 ff. 226 Vgl. Wolfgang Mitter, Wandel und Kontinuität im Bildungswesen der beiden deutschen Staaten, in: H. Avenarius/H. Engelhardt/H. Heussner/F. v. Zezschwitz (Hrsg.), Festschrift für Erwin Stein zum 80. Geburtstag, Bad Homburg vor der Höhe 1983, S. 453 ff. 227 K.-D. Heymann/E. Stein, AöR 97 (1972), S. 215. 228 Vgl. H. Heid, a. a. O. (Fn. 210), S. 129. 229 Das kollektive Interesse wurde dem persönlichen Interesse untergeordnet und gesellschaftliche Gruppen haben ihre normierende Funktion verloren. Vgl. Ben Spiecker, Öffentliche Erziehung. Ein konzeptioneller Beitrag zu einer öffentlichen Debatte, in: F. Heyting/ Η.Έ. Tenorth (Hrsg.), Pädagogik und Pluralismus, Weinheim 1994, S. 190. 230 K.-D. Heymann/E. Stein, AöR 97 (1972), S. 215. 231 Vgl. H. Sünker, a. a. O. (Fn. 222), S. 175. 14»

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3. Kap.: Selbstverwirklichungsrecht im pluralistischen Kulturstaat

einer potentiellen Verstärkung der kritischen Funktionen von Kultur und damit zur Kräftigung der Wertvielfalt beitragen 232 . Es ist nicht nur unerwünscht, die Vielgestaltigkeit auf einen Nenner zu bringen, sondern auch unmöglich. An dieser Stelle schlägt freilich die Relativität, das Gebundensein von Sichtweisen an die verschiedenen Kulturen, in einen kulturellen Relativismus um, d. h. in eine Auffassung von Pluralismus in dem Sinne, daß Vielfalt sich prinzipiell nicht auf eine irgendwie geartete Einheit zurückführen läßt. In unserem Zusammenhang bedeutet das: Wir verfügen nicht über gemeinsame Rationalitätskriterien und Maßstäbe, anhand derer die verschiedenen Sichtweisen miteinander verglichen und beurteilt werden könnten. Die verschiedenen Kulturen in der heutigen Gesellschaft weichen derart fundamental voneinander ab, daß es nicht nur unerwünscht, sondern auch unmöglich ist, vergleichende Werturteile zu fällen 233 . Plädiert wird hiermit für eine Überwindung verdinglichter pluralistischer kultureller Strukturen des Alltagslebens durch eine emphatisch verstandene menschliche Praxis. Es handelt sich mithin um einen Begriff von Kulturpluralismus des Alltagslebens, mit dessen Hilfe nicht allein die Abschaffung überfälliger Totalitätsstrukturen gedacht werden kann, sondern mit dem zugleich auf die Möglichkeit der freien Entfaltung emanzipatorischer menschlicher Bedürfnisse insistiert wird, die im Rahmen der existierenden Gesellschaftsformation nicht eingelöst werden 234 . Der Staat kann die integrative Wirkung von Kultur zwar nicht erzwingen, aber doch schützen, so vor allem durch die Weitergabe kultureller Traditionen in der Schule. Er darf diese nicht aus seinem „Wesen" als Kulturstaat „fließende", sondern durch Art. 7 Abs. 1 GG gegebene Kompetenz jedoch nicht dazu mißbrauchen, selbst Kultur verändern zu wollen. Der Staat darf nicht unbeschränkt an Traditionen festhalten und so die Fortentwicklung der Kultur verhindern 235 . Im Einzelfall mag die Entscheidung zwischen Bewahrung und Wandel schwierig sein - um so wichtiger ist es, die dienende Funktion des Staates im Bereich der Kultur in den Vordergrund zu rücken und in Bereichen, in denen der Staat aufgrund besonderer Kompetenzen kulturgestaltend auftritt, der pluralistischen Struktur der Gesellschaft Rechnung zu tragen 236 . Kultureller Pluralismus als unabdingbares Konstitutionselement des freiheitlichen Verfassungsstaates erfordert auch schulische Vielfalt und das Recht der Bürger, innerhalb des Rahmens des „zivilisatorischen Mindeststandards" einer Gesell232 Vgl. F. Heyting, a. a. O. (Fn. 212), S. 103 f. 233 Vgl. Wouter van Haaften/Ger Snik, Allgemeinbildung als Entprovinzialisierung des Denkens, in: F. Heyting/H.-E. Tenorth (Hrsg.), Pädagogik und Pluralismus, Weinheim 1994, S. 67 f. 234 Vgl. dazu Theodor W. Adorno, Negative Dialektik, Frankfurt/M. 1966, S. 97f.; Henri Lefebvre, Einführung in die Modernität, Frankfurt/M. 1978, S. 107ff.; H. J. Heydorn, a. a. O. (Fn. 220), S. 12 f.; ders., a. a. O. (Fn. 219), S. 165. 235 W. Maihofer, a. a. O. (Fn. 28), Rdnr. 25, 34 f., 48; P. Häberle, a. a. O. (Fn. 25), S. 12. 236 W. Kopke, a. a. O. (Fn. 32), S. 390 f.

C. Bedeutung des pluralistischen Kulturstaats

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schaft die Bildung in der Schule im Wege der Selbstverwirklichung zu bestimmen 2 3 7 . Allein diese Bedeutung grundrechtlicher Freiheit kann auch die Rechtfertigung dafür geben, eine mit der objektivrechtlichen Sicht der Grundrechte einhergehende Verlagerung der Rechtsgestaltung im Schulwesen vom parlamentarischpolitischen Prozeß auf die verfassungsrechtliche Rechtsbildung zu akzeptieren 238. Denn Grundrechte wie das Recht des Kindes auf umfassende freie Entfaltung seiner Persönlichkeit erfordern es, auch vor Gefährdungen ihrer Realisierung gerade durch den politischen Prozeß geschützt zu werden. Hierbei gilt es zu verhindern, daß die umfassende Gestaltungsbefugnis des Landesgesetzgebers in grundlegenden Fragen der Erziehungsziele, der pädagogischen Konzepte und der Schulformen 239 in einer von pluralistischen Wertvorstellungen geprägten Gesellschaft letztendlich zu einer „autoritativen Wertzuweisung" dergestalt führt, daß die jeweilige parlamentarische Mehrheit über die Minderheit entscheidet240.

4. Schulische Bezüge Um den Menschen zu bilden, muß man den Menschen kennen. Nur wer die Natur des Menschen kennt, kann ihn richtig erziehen. Wer die eine Natur des Menschen beschrieben hat, der kann nur eine Erziehung als die richtige akzeptieren, während die Objekte der Erziehung offenbar nur vielfältig gedacht werden können 241 . Wenn Erziehung nur einen natürlichen Anfang und ein natürliches Ende hat, dann können alle sozialen Erfahrungen, die so bezeichnet werden, nur pluraler Natur sein 242 . Die plurale Natur selbst kann nicht erzogen werden, aber „plurale Natur" soll die Grundlage der Erziehung sein 243 . Angesichts mannigfacher Aussagen über das Verhältnis von „Bildung und Utopie" ist es notwendig, noch einmal oder erst recht die Potentiale einer gesell237 Vgl. Gottfried Winkler, Materielle Bildungsgarantien in der österreichischen Rechtsordnung, in: O. Martinek/E. Migsch/K. Ringhofer/W. Schwarz/M. Schwimann (Hrsg.), Arbeitsrecht und soziale Grundrecht, Festschrift für Hans Fioretta zum 60. Geburtstag, Wien 1983, S. 309 ff. 238

Vgl. hierzu E.-W. Böckenförde, S. 24 ff.

Grundrechte als Grundsatznormen, Der Staat 1990,

239 Vgl. Dietrich Goldschmidt, Bildungsplanung und Bildungsforschung, in: P. v. Oertzen (Hrsg.), Festschrift für Otto Brenner zum 60. Geburtstag, Frankfurt/M. 1967, S. 447ff. 240 Theodor Hanf, Vom pädagogischen Kulturkampf und seiner Vergeblichkeit, in: Festschrift für Erwin Stein, Bad Homburg v.d.H. 1983, S: 421. (429 f.). 241 Vgl. Jürgen Oelkers, Hat jeder Mensch nur eine Erziehung?, in: F. Heyting/H.-E. Tenorth (Hrsg.), Pädagogik und Pluralismus, Weinheim 1994, S. 207. 242 Niklas Luhmann/Karl Eberhard Schorr (Hrsg.), Zwischen Anfang und Ende. Fragen an die Pädagogik., Frankfurt/M. 1990. 243 Vgl. J. Oelkers, a. a. O. (Fn. 241), S. 209; Irena Wojnar, Die kulturelle Dimension der Erziehung als eine Chance, in: S. Bandau/T. Lewowicki/S. Mieszalski/M. S. Szymanski (Hrsg.), Schule und Erziehungswissenschaft um Umbruch, Frankfurt/M. 1996, S. 37ff.

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3. Kap.: Selbstverwirklichungsrecht im pluralistischen Kulturstaat

schaftskritisch argumentierenden Bildungstheorie darzustellen und zu diskutieren, die die Möglichkeiten - eben als plurale Möglichkeiten - des Menschen in der Geschichte thematisiert 244 . Bildung wird dabei verstanden als Aktualisierung der Potentialität, so daß der Mensch Mensch werden kann, „sein eigener Täter" 2 4 5 . Als Leitmotiv gilt die Einschätzung: Der ursprüngliche Ansatz des Bildungsgedankens macht ihn als Verständigung des Menschen über seine eigene Freiheit erkennbar, als Versuch, seine Auslieferung an die Gewalt zu beenden 246 . Selbstverwirklichung des Menschen ist Erfüllung des humanistischen Traums und dialektisch-rationales Korrelat der Entwicklung. Konkret wird Bildung damit zur Verteidigung des einzelnen Menschen als freies Individuum, und weiter intendiert sie die umfassende empirische Selbstverwirklichung des Menschen als Gattung, deren Möglichkeit sie im Gegenüber erfährt 247 . Zwar ist die Schule - wie Art. 7 Abs. 1 GG zeigt - nicht in gleichem Maße als „staatsfreier" Raum wie etwa der Bereich des Rundfunks zu verstehen, doch lassen sich mit der Anerkennung der Geltung der Grundrechte von Eltern und Schülern im Schulverhältnis, die der Freiheit der Erziehung und der zweckungebundenen freien Entfaltung der Persönlichkeit des Kindes dienen sollen, zumindest partiell Elemente von Staatsfreiheit 248 auch im Schulwesen nicht negieren. Hinzu kommt, daß in einer freiheitlichen Gesellschaft auch die Bestimmungsgewalt des Staates in der Schule stets eine dienende Freiheit zugunsten des Schülers sein muß. Also kann für den Bereich des Schulwesens zwar nicht der Grundsatz der generellen Staatsfreiheit, gleichwohl aber der Grundsatz des Pluralismus gleichermaßen wie im Rundfunkrecht Geltung beanspruchen. Insofern verbinden sich im Pluralismusgebot die objektiv-institutionelle Dimension einer freiheitlichen Schulverfassung und die subjektivrechtliche Dimension des Schülers und der Eltern als Grundrechtsträger in ihrem Anspruch, die Selbstverwirklichung des Schülers nach ihrem eigenen Entwurf zu bestimmen 249 . Der Grundsatz des Pluralismus im Schulwesen ist für den Gesetzgeber nicht wegen der Schulhoheit der Länder als völlig unverbindliche Leitlinie zu verstehen. Als Elemente objektiver Ordnung setzen die Grundrechte des Schülers und der Eltern auch im Bereich der Schule objektive Richtlinien und Maßstäbe für die Planung und Herstellung jener Voraussetzungen, die die Organe der politischen Willensbildung bei aller Freiheit als Minimum für die Gestaltung im einzelnen nicht unberücksichtigt lassen dürfen 2 5 0 . Danach hat der Gesetzgeber durch norma-

244 Vgl. Jürgen Oelkers, Utopie und Wirklichkeit, Z. f. P. 1990, S. 1 ff. 245 H. J. Heydorn, a. a. O. (Fn. 219), S. 164. 246 H J. Heydorn, a. a. O. (Fn. 220), S. 32. 247 H. J. Heydorn, a. a. O. (Fn. 220), S. 322 ff. 248 Vgl. hinsichtlich der Rundfunkfreiheit BVerfGE 75, 295 (320). 249 Vgl. Werner Boppel/Udo Kollenberg, Mitbestimmung in der Schule, Köln 1981, S. 65 f., 105 f., 164 ff., 207 ff.

D. Prinzipien des Pluralismus im Verhältnis zum Selbstverwirklichungsrecht

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tive Regelungen dafür Sorge zu tragen, daß Schulvielfalt, insbesondere pädagogische Vielfalt hinsichtlich verschiedener pädagogischer Konzepte, entweder im staatlichen Schulsystem selbst verwirklicht werden kann oder aber eine ausreichende Förderung von Schulen in freier Trägerschaft mit besonderer pädagogischer Prägung erfolgt, die dem Pluralismus im Kulturstaat gerecht wird 2 5 1 . Diese objektivrechtliche Dimension vom Selbstverwirklichungsrecht des Schülers ist nicht nur als Recht auf Erhaltung bestehender Schulformen zu begrenzen, sondern verpflichtet den Staat konsequenterweise darüber hinaus zur grundsätzlichen Gewährleistung schulischer Vielfalt, wobei ihm zweifellos ein weiter Gestaltungsspielraum für die Realisierung derselben zukommt 252 .

D. Die Prinzipien des Pluralismus im Verhältnis zum Selbstverwirklichungsrecht des Schülers im Kulturstaat Entscheidungen in kulturellen Fragen (wie Kunst an öffentlichen Gebäuden, die Voigabe von Prüfungsthemen und die Aufstellung von Lehrplänen) verlangen letztlich immer Stellungnahmen zu Inhalten, die dem Staat, dem politisch-administrativen System, zugerechnet werden. Diese Zurechnung scheint die Ausdifferenzierung des politisch-administrativen Systems, die der Gewinn der liberalen Rechtsstaatstheorie ist, wieder aufzuheben. Auch insofern ist das Verhältnis zwischen Kulturstaat - staatlichem Kulturauftrag und Rechtsstaat - rechtliche Regelung von Interdependenz ein Problem. Für die Lösung dieses Problems wird eine Konzeption vorgeschlagen, die man mit „Pluralismus" bezeichnet253. Der pluralistische Zusammenhang, der pluralistische Denkstil bedürfen natürlich eines Materials, das man kennengelernt haben muß, will, oder soll man sich pluralistisch darauf beziehen können 254 . Woraus besteht es, wo ist es zu finden? Die Antwort ist beinahe tautologisch: Es besteht gerade auch in der Pluralität und Diversität der Erscheinungen, Probleme und Auffassungen, mit denen wir uns konfrontiert sehen 255 . Diese Konfrontation mit unterschiedlichen Gesichtspunkten, 250 Vgl. Hans-Georg Roth, Demokratisierung der Schule, 2. Aufl., Alfter-Gielsdorf 1977, S. 9ff.; Otto Wenger, Schülerleistung und Mitverantwortung in der Schule, München 1977, S. 58 ff. 251 F. -R. Jach, a. a. O. (Fn. 96), S. 44; vgl. auch Hans-Peter Füssel, Multikulturelle Schule?, KJ 1994, S. 500 ff. 252 Vgl. hierzu Karl-Heinz Ladur, Elternrecht, kulturstaatliches Vielfaltgebot und gesetzliche Regelung der Schulschließung, DÖV 1990, S. 949. 253 Gerd Roellecke, Kulturauftrag im staatlichen Gemeinwesen, DÖV 1983, S. 654. 254 Vgl. Ernst-Joachim Lampe, Was ist Rechtspluralismus?, in: E.-J. Lampe (Hrsg.), Rechtsgleichheit und Rechtspluralismus, Baden-Baden 1995, S. 8ff.; Karl Ernst Nipkow, Der pädagogische Umgang mit dem weltanschaulich-religiösen Pluralismus auf dem Prüfstein, Z. f. Päd. 1996, S.57ff. 255 A. Rang, a. a. O. (Fn. 151), S. 33 ff.

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3. Kap.: Selbstverwirklichungsrecht im pluralistischen Kulturstaat

Beschreibungsformen und Interpretationen im pluralistischen Kulturstaat braucht die Prinzipien der staatlichen Neutralität und der bürgerlichen und staatlichen Toleranz. Die staatliche Neutralität und die bürgerliche und staatliche Toleranz sind zugusten der Selbstverwirklichung des Schülers im pluralistischen Kulturstaat um so dringender geboten. Beherrschen diese Pluralismusprinzipien nicht das kulturelle Klima in einer Gesellschaft und sind sie nicht allseits akzeptiert, so laufen die verfassungsrechtlichen Verbürgungen des pluralistischen Kulturstaates ins Leere. I. Die staatliche Neutralität

7. Im allgemeinen Die Pluralismuskonzeption ist gemeint, die eine Vielfalt und Offenheit der Maßstäbe im Verhältnis zu staatlichen Entscheidungen postuliert 256 . Und darin besteht denn auch heute die staatliche Neutralität: nicht in der Ausgrenzung und dem Sich-Selbst-Überlassen, sondern in einer freiheitlichen Art und Weise der Hereinnahme des Kulturellen in das Staatsverständnis zum Zwecke der Förderung nach dessen eigenen pluralen Maßstäben und Selbstverständnissen257. Generell bedeutet die staatliche Neutralität Enthaltung von Parteilichkeit und Parteinahme des Staats hinsichtlich der plural existierenden und konkurrierenden Richtungen des religiösen und weltanschaulichen Spektrums der freien, offenen Gesellschaft. Im modernen Verfassungsrecht ist sie unter dem Maßstab der Freiheit und Gleichheit aller Bürger vor allem in zwei unterschiedlichen Formen von der staatlichen Neutralität herausgebildet worden 258 . Die religiös-weltanschauliche Neutralität des Staates ergibt sich aus einer Zusammenschau der Garantie der Glaubens-, Gewissens- und Bekenntnisfreiheit in Art. 4 GG, dem Verbot der Staatskirche in Art. 140 GG/Art. 137 I WRV und der damit verfügten Trennung von Staat und Kirche und schließlich aus dem Diskriminierungsverbot aus religiösen Gründen gemäß Art. 33 ΠΙ GG 2 5 9 . Der Gleichheitssatz erfordert als objektives Wertprinzip der Verfassung die einheitliche und gleiche Interpretation der Begriffe. Der Staat muß als „Heimstatt aller Staatsbürger" 260 alle 256 Vgl. Dietrich Hoffmann, Pluralismus als Wissenschaftsprinzip oder wie man aus der Not eine Tugend macht, in: R. Uhle/D. Hoffmann (Hrsg.), Pluralitätsverarbeitung in der Pädagogik, Weinheim 1994, S. 191 ff. 257 Klaus Schiaich, Neutralität als verfassungsrechtliches Prinzip, vornehmlich im Kulturverfassungs- und Staatskirchenrecht, Tübingen 1972, S. 259. 258 Martin Heckel, Das Kreuz im öffentlichen Raum. Zum „Kruzifix-Beschluß" des Bundesverfassungsgerichts, DVB1. 1996, S. 472. 259 Axel Frhr.von Campenhausen, Der heutige Verfassungsstaat und die Religion, in: J. Listi/ D. Pirson (Hrsg.), Handbuch des Staatskirchenrechts der Bundesrepublik Deutschland, 2. Aufl., Bd. I, Berlin 1994, § 2, S. 47, 77. 260 BVerfGE 19, 206 (216).

D. Prinzipien des Pluralismus im Verhältnis zum Selbstverwirklichungsrecht

213

staatskirchenrechtlichen Begriffe nicht nach konfessionellen oder weltanschaulich gebundenen, sondern nach neutralen und allgemeingültigen Gesichtspunkten interpretieren 261 . In einem ersten Sinn bedeutet die staatliche Neutralität ein an den Staat gerichtetes Gebot des „Nicht-Eingriffs" in religiös-weltanschauliche Angelegenheiten. Sie begrenzt den Staat gegenüber der „Pluralität der Wertvorstellung seiner Bürger" 2 6 2 . Diese Verhaltensanforderung ist ein doppeltes Identifikationsverbot. Der Staat darf sich weder was den institutionellen Aspekt angeht (Verbot der Staatskirche) noch was die Bekenntnishaltung angeht (Verbot des Glaubens- oder Weltanschauungsstaates) mit einer Religions- oder Weltanschauungsgemeinschaft identifizieren. Er hat kein Mandat für oder gegen ein religiöses oder weltanschauliches Bekenntnis. In diesem Sinn entfaltet sich die staatliche Neutralität als „distanzierende Neutralität" 263 . In einem zweiten Sinn kommt aber dem Begriff die Bedeutung der staatlichen „Aufgabenwahrung und Garantenstellung" gegenüber den „pluralistischen und so auch religiösen Mächten" zu 2 6 4 . Unter diesem Gesichtspunkt entfaltet sich Neutralität als „übergreifende Neutralität" 265 , die die freie Entfaltung(oder die Selbstverwirklichung) religiös-weltanschaulicher Überzeugungen innerhalb der staatlichen Rechtsordnung gewährleistet.

2. Die distanzierende Neutralität des Staates Einmal entfaltet sich die staatliche Neutralität als distanzierende Neutralität des Staates i.S. der Nichtidentifikation des Staates mit religiös-weltanschaulichen Positionen bei gleichzeitigem Auftrag des Staates zur Wahrung des inneren Friedens angesichts vorhandener weltanschaulich-religiöser Differenzen in der Gesellschaft 266 . Sie verwehrt dem Staat, sich mit einer Kirche, Religions- oder Weltanschauungsgemeinschaft zu identifizieren, und zwar sowohl was die institutionelle Seite angeht als auch was die Glaubens- oder weltanschauliche Überzeugung, die Lehre, angeht. Der Staat regelt die religiös-weltanschaulichen Fragen als solche nicht, bleibt ihnen gegenüber „neutral", nimmt in den Wahrheitsfragen zwischen den Konfessionen und Weltanschauungen nicht Partei 267 ; er schützt vor Übergrif261 BVerfGE 12, 45 (54); 19, 226 (238 ff.); 24, 236 (247 f.). Hierzu Alexander Hollerbach, Grundlagen des Staatskirchenrechts, in: J. Isnsee/P. Kirchhof (Hrsg.), HStR. Bd. VI, Heidelberg 1989, § 138 Rdnr. 95. 262 κ. Schiaich, a. a. O. (Fn. 257), S. 131. 263 Ernst-Wolfgang Böckenförde, Kreuze (Kruzifixe) in Gerichtssälen?, ZevKR 20 (1975), S. 119, 130. 264 κ. Schiaich, a. a. O. (Fn. 257), S. 131, 134. 265 E.-W. Böckenförde, ZevKR 20 (1975), S. 119, 131. 266 Zur Neutralität und Nicht-Identifikation vgl. etwa H. Kruger, 2. Aufl., Stuttgart 1966, S. 178 ff.

Allgemeine Staatslehre,

267 Vgl. Klaus Schiaich, Zur weltanschaulichen und konfessionellen Neutralität des Staates - Eine staatsrechtliche Problemskizze, in: Essener Gespräche zum Thema Staat und

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3. Kap.: Selbstverwirklichungsrecht im pluralistischen Kulturstaat

fen der Kirchen oder Weltanschauungsgemeinschaften und gestaltet seine eigene Ordnung als weltliche Ordnung, unabhängig von den religiös-weltanschaulichen Unterschieden und Besonderheiten und gleichartig für alle Bürger, gleich welcher Konfession oder Weltanschauung sie anhängen oder nicht anhängen268. War diese distanzierende, auf Vermeidung jeder Art von Identifikation zielende Neutralität während des 19. Jahrhunderts, vor allem in Preußen, nur eine konfessionelle Neutralität (zwischen den christlichen Bekenntnissen), nicht aber eine solche gegenüber der christlichen Religion überhaupt 269, so ist sie seit dem Übergang zur Weimarer Verfassung und ebenso im Grundgesetz eine religiös-weltanschauliche Neutralität; der Staat des Grundgesetzes ist nicht mehr nur bekenntnisneutral, d. h. christlich-paritätisch und im übrigen tolerant, sondern religionsneutral 270. Die Neutralität der gleichen Distanzierung des Staates von Religionen und Ideologien ist dort geboten, wo der Staat als „Heimstatt aller Bürger" für alle gleichmäßig ohne Ansehung der Religion und Weltanschauung die demokratische Willensbildung organisiert und die elementaren Funktionen der allgemeinen weltlichen Existenzsicherung und Wohlfahrtsförderung wahrnimmt. Neutralität abstrahiert hier von der Religion, da der Staat kein Staatsbekenntnis und keine Staatskirche besitzt und sich auf säkulare Staatsziele und Rechtsformen zu beschränken hat 2 7 1 . Diese Neutralitätsform findet sich vor allem in der konfessionell neutralen Ausgestaltung der öffentlichen Ämter und Rechte ohne Rücksicht auf die Konfession. Sie schaltet sachfremde religiöse Einflüsse aus, dient der klaren Rollentrennung und der Integrität der staatlichen und kirchlichen, weltlichen und geistlichen Funktionen. Diese distanzierende Form der Neutralität sichert die Emanzipation des Staates aus konfessionellen Bindungen und die Emanzipation des Bürgers von religiöser wie ideologischer Fremdbestimmung durch die Staatsgewalt und durch fremde Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften 272.

Kirche, Bd. 4 (1970), S. 25 f.; Friedrich v. Zezschwitz, Staatliche Neutralitätspflicht und Schulgebet, JZ 1966, S. 337 ff. (339). 268 E.-W. Böckenförde, ZevKR 20 (1975), S. 130; vgl. auch BVerfGE 12, 45 (54) und 19, 206 (216); H. Krüger, a. a. O. (Fn. 266), S. 178 ff. 269 Gerhard Anschütz, Die Verfassungsurkunde für den preußischen Staat. Ein Kommentar für Wissenschaft und Praxis, Berlin 1912, S. 260 ff.; vgl. Josef Listi, Das Grundrecht der Religionsfreiheit in der Rechtsprechung der Gerichte der Bundesrepublik Deutschland, Berlin 1971, S. 10. 270 Vgl. K. Schiaich, a. a. O. (Fn. 257), S. 171.; Martin Heckel, Staat Kirche Kunst, Tübingen 1968, S. 208 f. 271 Vgl. Ralf Roger, Die Religionsfreiheit des Richters im Konflikt mit der staatlichen Neutralitätspflicht, DRiZ 1995, S. 471 ff. 272 M. Heckel, DVBl. 1996, S. 472.

D. Prinzipien des Pluralismus im Verhältnis zum Selbstverwirklichungsrecht

3. Die übergreifende

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Neutralität des Staates

Zum andern entfaltet sich die staatliche Neutralität als übergreifende Neutralität. Dies in der Weise, daß die staatliche Rechtsordnung gewährleistet, daß sich religiöse und weltanschauliche Überzeugungen - wiewohl der Staat als solcher sich mit keiner von ihnen identifiziert - doch innerhalb des Staates frei entfalten können. Das Grundrecht der Glaubens- und Bekenntnisfreiheit, der Freiheit der Religionsausübung (Art. 4 I und Π GG), die Garantie kirchlicher und religionsgesellschaftlicher Selbstbestimmung im Rahmen der für alle geltenden Gesetze (Art. 140 GG/137 ΙΠ WRV) bringen diese Seite der staatlichen Neutralität zum Ausdruck 273 . Der Kern dieser übergreifenden, offenen Neutralität liegt darin, daß Religion und Weltanschauung, wiewohl ohne Teilhabe am Allgemeinen des Staates, doch als Ausdruck der Besonderheit und Eigenart der Bürger, als tragende Lebensmächte für die Bürger, anerkannt und demgemäß in ihrer Entfaltungsfreiheit geschützt sind 2 7 4 . Der Staat darf seine eigene Indifferenz, sein ausdrückliches „Nicht-Bekennen" in religiösen und weltanschaulichen Fragen, nicht auch seinen Bürgern verordnen; vielmehr muß der einzelne „sich in seiner Eigenart als geistige und sittliche Persönlichkeit in seinem Staat unberührbar und geborgen" 275 wissen können 276 . Diese Form der übergreifenden Neutralität des modernen Verfassungsstaats aber des Religiözeigt sich in dessen vorurteilsfreier Offenheit für Selbstverwirklichung sen, in der Achtung der Religionsfreiheit als objektiver Wertentscheidung und subjektiven Grundrechts und folglich in der Respektierung der Autonomie und Eigengesetzlichkeit des religiösen Lebens und der religiös qualifizierten Kulturphänomene 277 . Neutralität äußert sich im Religionsrecht und in weiten Bereichen des Kultur- und Sozialstaats gerade durch die - gleichmäßige - Berücksichtigung des unterschiedlichen religiösen Selbstverständnisses der Religionsgesellschaften wie ihrer unterschiedlichen kulturellen und sozialen Erscheinungsformen und Aktivitäten. Neutralität kann hier nicht in der gleichmäßigen Eliminierung oder Nivellierung konfessioneller Unterschiede, sondern nur in der gleichmäßigen Respektierung der verschiedenen Bekenntnis- bzw. Weltanschauungspositionen bestehen. Ihre Konturen sind vor allem an den religiös qualifizierten Kulturbereichen entwickelt worden 278 . 273 E.-W- Böckenförde, 274 Vgl. Ernst-Wolfgang 28(1970), S. 55.

ZevKR 20 (1975), S. 131. Böckenförde, Das Grundrecht der Gewissensfreiheit, VVDStRL

275 H. Krüger, a. a. O. (Fn. 266), S. 181, 183. 276 E.-W. Böckenförde, ZevKR 20(1975), S. 131; ferner/ Listi, a. a. O. (Fn. 269), S. 15. 277 Vgl. Gerhard Czermak, Der Kruzifix-Beschluß zwischen Neutralität und Glaubensförderung sowie als Spielball der Emotionen. Zu den Attacken von Reis und Petermann gegen Neumann sowie zum Beitrag von Hammen, ZRP 1996, S. 201 ff. 278 Vgl. M. Heckel, DVBl. 1996, S. 472 f.

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3. Kap.: Selbstverwirklichungsrecht im pluralistischen Kulturstaat

4. Zusammenhang beider Erscheinungsformen

der staatlichen Neutralität

Beide Erscheinungsformen der staatlichen Neutralität können auf eine gemeinsame Wurzel zurückgeführt werden: Der Staat, als weltliches Gemeinwesen für weltliche Zwecke, soll „Heimstatt aller Staatsbürger ohne Ansehen der Person" 279 , ihrer Religion bzw. Weltanschauung sein. Daraus ergibt sich als Konsequenz einerseits die Nichtidentifikation des Staates mit einer bestimmten Religion oder Weltanschauung und die daraus hervorgehende distanzierende Neutralität, andererseits die Notwendigkeit, innerhalb des Staates die Möglichkeit offen zu halten, daß sich Religion oder Weltanschauung oder genauer: die Bürger in ihrer religiösen oder weltanschaulichen Überzeugung (oder NichtÜberzeugung) frei entfalten können 2 8 0 Die beiden Formen der staatlichen Neutralität stehen nicht beziehungslos oder gegensätzlich nebeneiander. Zwar scheint die erste die Konsequenz der säkularen Gleichheit und ihrer Privilegienbeseitigung in der Demokratie zu sein, die zweite aber die Folge der liberalen Freiheit und ihrer Differenzierungswirkung im Rechtsstaat widerzuspiegeln. Doch stehen beide in innerem Zusammenhang, weil der freiheitlliche Rechtsstaat die Gleichheit in ihrem liberalen Grundsinn und Kernbereich als gleiche Freiheit, die Freiheit aber als Gleichheit der freien Entfaltungschancen bestimmt 281 . Zwar dominiert die staatliche Neutralität der Distanzierung von den religiösen Phänomenen dort, wo der Staat als Hoheitsträger sich aus den Wahlen konstituiert und seine Hoheitsfunktionen der rechtsstaatlichen Ordnungswahrung und sozialstaatlichen Daseinsvorsorge ohne Ansehung der Religion für alle gleich erfüllt 282 . Die andere Form der staatlichen Neutralität i.S. der gleichen Respektierung und Berücksichtigung der Selbstverwirklichung (Selbstentfaltung und Selbstbestimmung) des Religiösen aber prägt vor allem die Beziehungen des Staates zur Gesellschaft. Der moderne Kultur- und Sozialstaat trifft in diesen Beziehungen ordnend, pflegend und fördernd mit den verschiedensten gesellschaftlichen Richtungen der Bürger und mit ihren Religionsgesellschaften zusammen und muß dabei jeweils ihrer unterschiedlichen Religionsausübung nach ihrem differenzierenden Selbst279 BVerfGE 19,206 (216). 280 E.-W. Böckenförde, ZevKR 20 (1975), S. 131. 281 M. Heckel, DVB1. 1996, S. 473. 282 Da beide Erscheinungsformen der staatlichen Neutralität zu durchaus unterschiedlichen praktischen Konsequenzen führen, ist die entscheidende Frage, in welchen Bereichen staatlicher oder staatlich getragener Tätigkeit die eine oder die andere Erscheinungsform zu gelten hat, damit der aufgezeigte Grundsinn religiös-weltanschaulicher Neutralität sich verwirklicht. Hier führt die Unterscheidung weiter, ob der Staat als Träger ursprünglicher und nicht auswechselbarer staatlicher Hoheitsfunktionen auftritt, oder ob er bestimmte Bereiche gesellschaftlichen Lebens in seine Obhut nimmt, seiner Leitung unterstellt und eventuell selbst organisiert. Im erstgenannten Bereich ist die distanzierende, auf Nichtidentifikation beruhende Neutralität, im letztgenannten die übergreifende Neutralität vorherrschend oder allein angebracht. Vgl. E.-W. Böckenförde, ZevKR 20 (1975), S. 131.

D. Prinzipien des Pluralismus im Verhältnis zum Selbstverwirklichungsrecht

217

Verständnis in Achtung ihrer Freiheit und Eigenständigkeit gerecht werden 283 . Neutralität kann hier eben nur in der gleichwertigen Differenzierung und in der Rücksichtnahme auf die jeweils verschiedenen religiösen Bedürfnisse und Wünsche der religiösen bzw. weltanschaulichen Gruppen der Gesellschaft bestehen. Das Gebot der religiös-weltanschaulichen Neutralität verbietet gerade, daß der säkulare Staat das religiöse Eigenprofil der Religionsgesellschaften und ihrer Anhänger nivellierend neutralisiert und säkularisiert, statt ihnen die divergente Entfaltungsmöglichkeit der freien Religionsausübung einzuräumen 284. Beide Formen der staatlichen Neutralität ergänzen sich vielfältig. Die Distanzierung und Unabhängigkeit des Staates von einer Staatskirche und Staatskonfession - gemäß der Trennung von Staat und Kirche, der Unabhängigkeit der Ämter und öffentlichen Rechte vom Bekenntnis und des Privilegierungs- und Diskriminierungsverbots in Art. 3 ΙΠ, 33 III, 140 GG/137 I WRV - ermöglicht unparteilich allen Bürgern wie allen Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften die gleiche Freiheit der religiösen und religionsgesellschaftlichen Selbstbestimmung nach ihrem Selbstverständnis gemäß Art. 4, 140 GG/137 ΙΠ WRV 2 8 5 . Sie schließt die religiös-weltanschauliche Benachteiligung und Beeinträchtigung zugunsten fremder Religionen und Weltanschauungen aus. Die distanzierende Neutralität des Staates dient so zwar einerseits der Emanzipation der demokratischen Staatsgewalt wie auch der Bürger von religiöser Fremdbestimmung 286. Andererseits ist die distanzierende Neutralität auch die notwendige Voraussetzung und das unentbehrliche Instrument, um jene andere Neutralitätsform der positiven Berücksichtigung der Selbstverwirklichung des Religiösen und der Bezugnahme des Staates auf das unterschiedliche Selbstverständnis der Religionsgesellschaften durch eine neutrale, unparteiische Staatsverwaltung zum Zuge kommen zu las0

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sen Erst im Zusammenspiel der Neutralität staatlicher Distanzierung und Respektierung der Selbstverwirklichung des Religiösen wird die allgemeine, gleiche Religionsfreiheit für jedermann und die volle, freiheitliche Gleichheit in religiöser und weltanschaulicher Hinsicht garantiert 288 . Die beiden Formen der Neutralität sind also nicht beziehungslos oder antagonistisch getrennt, sondern verweisen aufeinander und bedingen einander in mehrfacher Hinsicht. Der Staat klammert das Religiöse aus, weil er es den gesellschaftlichen Gruppen zur Selbstentfaltung und 283

Vgl. Friedrich Müller, Christliche Gemeinschaftsschule und weltanschauliche Neutralität des Staates, DÖV 1969, S. 441 ff. 2 «4 M. Heckel, DVBl. 1996, S. 473 f. 285 Vgl. Ludwig Renck, Rechtsfragen des Religionsunterrichts im bekenntnisneutralen Staat, DÖV 1994, S.27ff. 28 6 Vgl. Hanna-Renate Laurien, Werteorientierte Erziehung in der pluralen Gesellschaft, in: Johannes Brune (Hrsg.), Freiheit und Sinnsuche, Berlin 1993, S. 9 ff.

™ Vgl. M. Heckel, DVBl. 1996, S. 473 f. 288 Vgl. Lutz R. Reuter, Religionsunterricht zwischen Weltanschauungskunde und konfessioneller Unterweisung, RdJB 1976, S. 121 ff.

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3. Kap.: Selbstverwirklichungsrecht im pluralistischen Kulturstaat

Selbstbestimmung überläßt 289 und ihre Aktivitäten wiederum in den einschlägigen öffentlichen Institutionen respektiert, ihrer freien Entfaltung „Raum gibt", ihnen in paritätischer Gleichheit Schutz und Förderung anbietet und dabei mit den Religionsgemeinschaften notwendigerweise kooperiert, soweit das Religiöse sich in der vom Staat geordneten Welt frei entfaltet und zu weltlichen Wirkungen und Regelungsbedlirfnissen führt 2 9 0 .

5. Das Gebot der staatlichen Neutralität in der Schule Die Ableitung des staatlichen Neutralitätsprinzips aus dem Zusammentreffen der grundrechtlichen (Art. 4 I und II, 3 ΠΙ GG) und der staatskirchenrechtlichen Perspektive (Art. 140 GG/Art. 137 I WRV) hat zum Konzept der pluralistischoffenen Neutralität des Staates geführt. Für die Schule bedeutet dies offene Neutralität bzw. neutrale Offenheit des staatlichen Schulwesens291. Der Staat darf seine distanzierende Neutralität nicht auch den Schülern verordnen. Die „Offenheit gegenüber dem Pluralismus weltanschaulich-religiöser Anschauungen" entspricht nach dem Bundesverfassungsgericht 292 dem „ethische(n) Standard des Grundgesetzes" und einem Menschenbild, „das von der Würde des Menschen und der freien Entfaltung der Persönlichkeit in Selbstbestimmung und Eigenverantwortung bestimmt ist" 2 9 3 . Die Lehrenden sind verpflichtet, den Schülern einen ausgewogenen Querschnitt, eine repräsentative Auslese der wichtigsten geistigen Strömungen zu vermitteln 294 . Heute wird die Auslese des Bildungsstoffs, den die Schule zu vermitteln hat, weitgehend durch staatliche Stellen getroffen. Daß der Staat bei der Festsetzung der Bildungspläne zu ideologischer Neutralität verpflichtet ist, wird niemand bestreiten wollen 2 9 5 . Ob aber gerade der Staat ein geeigneter Garant für die ideologische Neutralität des Schulwesens ist, steht in Zweifel. Gingen doch in unserem Jahrhundert alle Versuche, die Schule zur Propagierung einer bestimmten Geistesrichtung zu mißbrauchen, von der Staatsgewalt aus. Warnende Beispiele auf deutschem Boden sind der Hitler-Staat und die DDR 2 9 6 . 289 Vgl. Ekkehart Stein, Weltanschauung und Religion im Schulunterricht, RdJ 1967, S. 29 ff. 290 Vgl. M. Heckel, DVB1. 1996, S. 473 f. 291 BVerfGE 27, 195(201). 292 BVerfGE E 41, 29, (50). 293 Athanasios Gromitsaris, Laizität und Neutralität in der Schule. Ein Vergleich der Rechtslage in Frankreich und Deutschland, AöR 121 (1996), S. 365. 294 Vgl. Hubert Schuler, Der Lehrer, sein Dienstherr und die demokratische Schule, RdJB 1970, S. 230 ff. 295 Vgl. Friedhelm Hufen, Zur ,Verrechtlichung' der Lehrinhalte - Tendenzwende durch eine ,pedagogical-puestion-Doktrin' des Bundesverfassungsgerichts?, RdJB 1978, S. 31 ff. 296 E. Stein, Das Recht des Kindes auf Selbstentfaltung in der Schule, Neuwied 1967, S. 53.

D. Prinzipien des Pluralismus im Verhältnis zum Selbstverwirklichungsrecht

219

Wenn sich das Grundgesetz 297 in bewußter Frontstellung gegen den Nationalsozialismus zu einer freiheitlichen Grundordnung bekennt, ist die Ablehung eines Mißbrauchs des Schulwesens zur Propagierung einer Staatsideologie einbegriffen. Aus dem Recht des Kindes auf freie Entfaltung seiner Persönlichkeit folgt, daß das Kind in der Schule nicht der Gefahr 298 einer einseitigen Beeinflussung im Sinne der jeweiligen Regierung ausgesetzt werden darf. Dabei ist auch hier eine Auslegung geboten, „die unter den konkreten Bedingungen der gegebenen Sachlage den Sinn der normativen Regelung optimal verwirklicht" 299 . Die Verfassung gebietet daher eine Gestaltung des Schulwesens, die gewährleistet, daß eine ideologisch intolerante Regierung die Schüler nicht einseitig beeinflussen kann 300 . Es genügt nicht, in irgendein Gesetz zu schreiben, daß der Staat zur unparteiischen Vermittlung einer repräsentativen Auslese der wichtigsten geistigen Strömungen verpflichtet sei. Welche Sicherungen gäbe es, wenn sich eine Regierung nicht an diese Verpflichtung hielte? Vielmehr muß faktisch sichergestellt werden, daß die verschiedenen geistigen Strömungen auf das Bildungswesen einwirken können 301 . Vor allem muß verhütet werden, daß einzelne Gruppen einen übermäßigen Einfluß auf die Schule erlangen und in den Stand gesetzt werden, alle anderen Richtungen zu verdrängen 302. Diese Gefahr ist bisher nur deshalb nicht ins allgeneime Bewußtsein gedrungen, weil sich die Länderregierungen der Bundesrepublik eingedenk der jüngsten geschichtlichen Erfahrungen bei der Regelung des schulischen Unterrichts stark zurückgehalten und sich bemüht haben, auf die wichtigsten gesellschaftlichen Gruppen Rücksicht zu nehmen 303 . Diese augenblickliche Zurückhaltung der Lan29

? Im Grundgesetz kommt an verschidenen Stellen die Einsicht zum Ausdruck, daß der Staat gerade auf kulturellem Gebiet als ein schlechter Garant für ideologische Neutralität angesehen wird. So sichert es in Art. 5 die Pressefreiheit und die Freiheit der Berichterstattung durch Rundfünk und Film, die Freiheit der Kunst und die Freiheit der Wissenschaft. Auch die allgemeine Freiheit der Meinungsäußerung ist Ausdruck des Mißtrauens gegen die ideologische Neutralität des Staates bei der Verbreitung von Geistesgut. Alle diese Vorschriften begnügen sich nicht damit, dem Staat bei Einmischungen in den kulturellen Bereich ideologische Neutralität zu gebieten, sondern gehen einen Schritt weiter und schützen den kulturellen Bereich gegen staatliche Einmischungsversuche. Vgl. E. Stein, a. a. O. (Fn. 296), S. 53. 298

Vgl. Hans Georg Zapotoczky, Religionsunterricht und die religiöse Kindererziehung als Gefahrenquelle für die psychische Gesundheit der Kinder, in: Klaus Porstner/Nikolaus Severinski (Hrsg.), Religionsunterricht und „Offene Gesellschaft" , Wien 1984, S. 69 ff. 299 Κ Hesse, Die normative Kraft der Verfassung, Tübingen 1959, S. 15. 300 Vgl. Q Eiselt, Zur Sicherung des Rechts auf eine ideologisch tolerante Schule, DÖV 1978, S. 866 ff. 301 Vgl. Ute Sacksofsky, Religion und öffentliche Schule: Die Rechtsprechung des Supreme Court der Vereinigten Staaten von Amerika, RdJB 1988, S. 228 ff. 32 E. Stein, a. a. O. (Fn. 296), S. 54. 303 Vgl. Dirk Ehlers, Schule, Weltanschauung und Religion, RdJB 1975, 136ff.; ders., Entkonfessionalisierung des Religionsunterrichts, Neuwied und Berlin 1975.

220

3. Kap.: Selbstverwirklichungsrecht im pluralistischen Kulturstaat

desregierungen ist jedoch eine schwache Sicherung gegen Mißbräuche der Schulen durch den Staat in der Zukunft. Die gegenwärtige Schwäche der im Umgang mit der Macht weniger skrupulösen politischen Strömungen berechtigt nicht zur Vernachlässigung organisatorischer Sicherungen für den Fall, daß eine von ihnen einmal an die Macht kommt. Wenn diese Möglichkeit erst einmal zu einer akuten Gefahr geworden ist, ist es zu spät für eine freiheitliche Reform 304 . Dann wären die Schüler bei ihren heutigen Schulen das erste Opfer 305 .

II. Die bürgerliche und staatliche Toleranz

7. Im allgemeinen Wenn es wirklich in den grundsätzlichen Fragen „Kultur und Kulturstaat" Pluralismus geben soll, dann müßte man ein Nebeneinander von Kulturen dulden können und dulden wollen 3 0 6 . In einer multikulturellen Gesellschaft kann eine Minderheit(sgruppierung) immerhin behaupten, daß ihre Regeln des Handelns durch eine große Mehrheit der eigenen Mitglieder (eine Minderheit der Gesellschaft) anerkannt werden. Das Individuum dieser Minderheit kann seine Überzeugung sowohl mit derselben, von der Mehrheit anerkannten Lebensüberzeugung, als auch mit einer anderen (also mit der einer Minderheit) begründen 307. Diese persönliche Auffassung kann das Individuum in der Öffentlichkeit vertreten, und es kann versuchen, andere mit Argumenten davon zu überzeugen, daß seine Überzeugung werter ist als die gängige Überzeugung von großen Teilen der Bevölkerung 308 . Die Tatsache, daß es einen Unterschied zwischen der Überzeugung von großen Teilen der Bevölkerung und der persönlichen Überzeugung gibt, hat zur Folge, daß kultureller Pluralismus in einer Gesellschaft nicht unausweichlich zu Problemen in der Erziehung im pluralistischen Kulturstaat führen muß 3 0 9 . Kultureller Pluralismus setzt Toleranz gegenüber alternativen handlungsleitenden Prinzipien oder Überzeugungen und der Art und Weise, wie diese gerechtfertigt werden, voraus. Und wer diese Form des Pluralismus in der Gesellschaft befürwortet, muß dafür sorgen, daß die Vorraussetzungen geschaffen werden (unter 304 E . Stein, a. a. O. (Fn. 296), S. 54. 305

Vgl. Hans-Ludwig Freese, Sind Kinder Philosophen?, in: Johannes Brune (Hrsg.), Freiheit und Sinnsuche, Berlin 1993, S. 23 ff. 306 G. Püttner, Aussprache und Schlußworte zum Kulturauftrag im staatlichen Gemeinwesen, VVDStRL (42) 1984, S. 137. 307 Vgl. Martin Kutscha, Grundrechte als Minderheitenschutz, JuS 1998, S. 673 ff.; Gerd Joachim Sieger, Toleranz im Staat, Hannover 1965, S. 11 ff. 308 Vgl. Konrad Hilpert/Jürgen Werbick (Hrsg.), Mit den Anderen leben - Wege zur Toleranz, Düsseldorf 1995, S. 7 ff. 3 09 Vgl. B. Spiecker, a. a. O. (Fn. 229), S. 193 ff.

D. Prinzipien des Pluralismus im Verhältnis zum Selbstverwirklichungsrecht

221

anderem in Erziehung und Unterricht), die diesen ermöglichen 310 . In einer Gesellschaft, die durch kulturellen Pluralismus gekennzeichnet ist, müssen Kinder nicht mehr nur in den Basis- und variablen Regeln der Überzeugung von großen Teilen der Bevölkerung geübt werden. Das Erwerben einer persönlichen Überzeugung macht das Kind auch zum Mitglied einer Lebensgemeinschaft 311. Ohne die Erfordernisse des Pluralismus, der Toleranz und der Großzügigkeit kann eine demokratische Gesellschaft nicht bestehen. Gerade ein freiheitlich verfaßter Staat ist besonders auf eine Haltung persönlicher Toleranz bei seinen Bürgern angewiesen. Denn wenn dieser Staat die geistigen, sittlichen und sozialen Überzeugungen, von denen er lebt, zu kontrollieren und zu erzwingen beginnt, gerät er in Gefahr, seine freiheitlich-demokratische Identität zu verlieren. Im Sinne der berühmten Formulierung Böckenförde s gehört Tolernz zu jenen geistigen Voraussetzungen, von denen der freiheitlich-demokratische Verfassungsstaat lebt, ohne daß er sie zu schaffen noch zu garantieren vermag 312 . Dieses Zitat hat Böckenförde dahingehend ergänzt, daß die Ressourcen, die eine freiheitliche Ordnung tragen und von denen wir leben, nicht von Natur aus da sind und sich nicht aus selbst forttragen, es bedarf somit einer steten Einübung in Toleranz 313 . Obwohl der „moderne Staat in Weltanschauungsfragen darin modern (ist), daß er nicht mehr selbst Partei ist" 3 1 4 , ist der Staat damit doch auch zum Hüter der Toleranz geworden. Dies gilt vor allem für das Kulturverfassungsrecht, zu dem neben Wissenschaft, Bildung und Kunst auch der Bereich der Religion gehört. Soweit er im Kulturbereich tätig wird, ist er daher durch die Grundrechte an ein offenes Kulturkonzept gebunden. Nur auf diese Weise kann der Staat die pluralistische kulturstaatliche Verpflichtung wahrnehmen 315. Der pluralistische Kulturstaat ist ohne Toleranz als Grundhaltung nicht denkbar und lebbar. Die Bedeutung der praktizierten Toleranz ist nicht zu unterschätzen, weil sie die Einübung in eine von kulturellen Wahrheitsansprüchen abgekoppelte politische Koexistenz unterschiedlicher Bekenntnisse bewirkte und diese Koexistenz auf Dauer nicht als Bedrohung, sondern umgekehrt als Förderung des

310

Vgl. Jürgen Werbick, Toleranz und Pluralismus, in: /. Broer/R. Schlüter (Hrsg.), Christentum und Toleranz, Darmstadt 1996, S. 107 ff. 311 Vgl. Volker Winterfeldt, Minderheiten: Ein Problemaufriß, in: ders./M. W. Fischer, Toleranz und Repression, Zur Lage religiöser Minderheiten in modernen Gesellschaften, Frankfurt/M. 1987, S. 60ff. 312 Vgl. Ernst-Wolfgang Böckenförde, in: Säkularisation und Utopie, FS- Forsthoff (65), abgedr. in: ders., Staat, Gesellschaft, Freiheit, Frankfurt/M. 1976, S. 42ff. (60). 313 H. Kalb/R. Potz/ Β. Schinkele, Das Kreuz im Klassenzimmer. Darstellung der österreichischen Rechtslage aus Anlaß der Entscheidung des BVerfG v. 16. Mai 1995, 1 BvR 1087/91, in: ÖAKR 43 (1994), S. 66. 314 K. Schiaich, a. a. O. (Fn. 257), S. 254. 315 Vgl. N. Wimmer, Kulturauftrag im staatlichen Gemeinwesen Österreichs, VVDStRL 42 (1984), S. 84.

15 Hsu

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3. Kap.: Selbstverwirklichungsrecht im pluralistischen Kulturstaat

innerstaatlichen Friedens empfunden wurde 316 . Toleranz kommt daher auch heute noch unverändert als denk- und handlungsbestimmender Wertbegriff stets dann ins Spiel, wenn im Wett- und Widerstreit konkurrierender Rechtsgüter, mit denen verfassungsmäßige Freiheitsansprüche von Individuen, Gruppen und Verbänden verknüpft sind, ein Ausgleich gefunden werden muß 3 1 7 . In einer rechtsstaatlichen Ordnung, die mit der Anerkennung von Grund- und Freiheitsrechten über die Gewährung bloßer staatlicher Toleranz längst hinausgegangen ist, bleibt also ein mit dem Toleranzprinzip verbundener Anspruch bestehen. Das Toleranzprinzip ist gewissermaßen die Kehrseite dieser Freiheiten, indem es „die Rechte, die jemand für sich fordert, auch anderen zugesteht, und zwar soweit, daß der Bestand sowohl des eigenen als auch des fremden Rechtes gesichert ist" 3 1 8 . In diesem Sinne gebietet das Toleranzprinzip immer einen sorgfältigen Abwägungsprozeß, grundrechtsdogmatisch eingebunden in die Verhältnismäßigkeitsprüfung. Dabei ist der Stellenwert der der Menschenrechtsidee inhärenten Garantie für den einzelnen und für Minderheiten zu beachten319. Sobald es um das Grundrecht der Religionsfreiheit der dissentierenden Minderheit von Schülern gemäß Art. 4 Abs. 1 GG und deren Verhältnis zu Grundrechten anderer geht, fällt regelmäßig das Gebot der bürgerlichen Toleranz 320. Unter dem Gebot der bürgerlichen Toleranz stehen jedoch sowohl die positive als auch die negative Religionsfreiheit 321. Keine von beiden vermag als Obergrundrecht die Grundrechtsausübung anderer prinzipiell zu verdrängen 322. Aus dem Gebot der bürgerlichen Toleranz gegenüber einer kleinen Minderheit darf keine Intoleranz gegenüber der großen Mehrheit werden. Aus dem bürgerliche Toleranzgebot im pluralistischen Kulturstaat kann daher sehr wohl die Einschränkung einer unbegrenzten Inanspruchnahme der negativen und der positiven Religionsfreiheit zumutbar sein 323 . Das Gebot der bürgerlichen und der staatlichen Toleranz als objektives Wertprinzip 324 im pluralistischen Kulturstaat und das Verbot der Diskriminierung aus reli316 Vgl. Johannes Neumann, Toleranz als grundlegendes Verfassungsprinzip, in: ders./M. W. Fischer, Toleranz und Repression, Zur Lage religiöser Minderheiten in modernen Gesellschaften, Frankfurt/M. 1987, S. 75.

3" H. Kalb/R.. Potz/B. Schinkele, ÖAKR 43 (1994), S. 67.; vgl. auch Markus Winkler, Toleranz als Verfassungsprinzip, in: /. Erberich u. a. (Hrsg.), Frieden und Recht, Stuttgart 1998, S. 53 ff. 3» / Neumann, a. a. Ο. (Fn. 316), S. 73. 319 H. Kalb/R.. Potz/ B. Schinkele, ÖAKR 43 (1994), S. 67 f. 520 Vgl. BVerfGE 41,29 (51); 52, 223 (237). 321 Vgl. BVerfGE 52,223 (251). 322 Jörg Müller-Volbehr, Positive und negative Religionsfreiheit, JZ 1995, S. 999. 323 Vgl. BverfGE 52, 223 (247); vgl. auch Jürgen Blattner, Toleranz als Strukturprinzip, Freiburg 1985, S. 74 ff. 324 Dagegen Matthias Jestaedt, Das Kreuz unter dem Grundgesetz, Journal f. Rechtspolitik 3, 1995, S. 261: ,Abgesehen davon, daß sich das Toleranzgebot nicht in die her-

D. Prinzipien des Pluralismus im Verhältnis zum Selbstverwirklichungsrecht

223

giösen Gründen in Art. 4 Abs. 1, Abs. 2, Art. 3 Abs. 3 GG verpflichtet Mehrheit (das Gebot der bürgerlichen Toleranz) und Staat (das Gebot der staatlichen Toleranz.), die religiösen und weltanschaulichen Positionen der dissentierenden Minderheit von Schülern zu berücksichtigen 325. Das Gebot der bürgerlichen und der staatlichen Toleranz gehört zu jenen Voraussetzungen326 des pluralistischen Kulturstaats, von denen der freiheitliche pluralistische Verfassungsstaat lebt. Bürgerliche und staatliche Toleranz ist also ein Verfassungsgebot an die Grundrechtsausübung, als solche Thema der Prinzipien des Pluralismus zum Selbstverwirklichungsrecht des Schülers im Kulturstaat.

2. Das Gebot der bürgerlichen und der staatlichen Toleranz in der Schule Das Schulmodell des säkularen Verfassungsstaates, wie es in Deutschland nach Maßgabe des Grundgesetzes in spezifischer Weise verwirklicht ist, war niemals frei von Konflikten. Es ist gerade dadurch gekennzeichnet, daß es vor der prinzipiellen Unvereinbarkeit von Staat und Erziehung gleichsam einen ausgefeilten Kanon von Konfliktlösungen bereitstellt 327 . Dieser Kanon reicht nicht immer aus, um allseits befriedigende Lösungen zu schaffen; so bergen auch die Kennzeichnungen der modernen Schule -Wissenschaftsbezug und Religionsbezug - durchaus weiteres Konfliktpotential 328 . Die öffentliche Schule zeichnet sich durch eine pluralistisch-offene hereinnehmende Neutralität aus. Konsequenz dieses Neutralitätsverständnisses ist die Funktion, die der Begriff der Toleranz wahrnimmt 329 . Einerseits bezieht sich der Begriff auf ein an den Staat und die Mehrheit gerichtetes Gebot, in Fragen der Religion und Weltanschauung Toleranz walten zu lassen. Das Toleranzgebot verpflichtet kömmliche Grundrechtsdogmatik fügt - als schutzbereichsimmanente Begrenzung? als ungeschriebene Grundrechsschranke sui generis? - , wird dessen Funktion verkannt: Von Toleranz dort zu sprechen, wo es eigentlich nur um die Respektierung bestehender rechtlicher Grenzen der eigenen Rechtsausübung geht, ist sinnlos und öffnet der Mißdeutung Tür und Tor."; vgl. auch ders., Karlsruhe im Kreuz-Feuer, in: Die Neue Ordnung, 1997, S. 26 ff. 325 Vgl. M. Heckel, DVB1. 1996, S. 477. 326 Josef Isensee, Grundrechts voraussetzungen und Verfassungserwartungen an die Grundrechtsausübung, in: ders./R Kirchhof (Hrsg.), HStR. Bd. V, Heidelberg 1992, § 115 Rdnr. 163 ff. 327 Vgl. Rank-Olaf Radtke, Das Pluralismusdilemma und die Pädagogik, in: R. Uhle/D. Hoffmann (Hrsg.), Pluralitätsverarbeitung in der Pädagogik, Weinheim 1994, S. 101 ff. 328 Immerhin aber hat auch die verfaßte Schule nach dem Grundgesetz, die den beiden großen christlichen Kirchen in Deutschland Privilegien einräumt, jedenfalls die Probleme mit den gleichsam dissentierenden Minderheiten einigermaßen zu lösen vermocht. Vgl. F. J. Hennecke, Rechtsprobleme religiöser Mindeheiten im öffentlichen Schulwesen der Bundesrepublik Deutschland, in: Jahrbuch zur Staats- und Verwaltungswissenschaft, Baden-Baden 1996, S. 89. 329 Athanasios Gromitsaris, AöR 121 (1996), S. 365 f. 15*

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3. Kap.: Selbstverwirklichungsrecht im pluralistischen Kulturstaat

Staat (Das Gebot der staatlichen Toleranz) und Mehrheit (das Gebot der bürgerlichen Toleranz) dazu, auf die religiösen Bedürfnisse von Minderheiten Rücksicht zu nehmen. Das Gebot der bürgerlichen und staatlichen Toleranz kommt in Art. 1 Abs. 1, 2 Abs. 1, 3 Abs. 3 und 4 Abs. 1 GG im pluralistischen Kulturstaat zum Ausdruck 330 und „gilt insbesondere gegenüber Minderheiten und Sekten, die nach den vorliegenden tatsächlichen Erfahrungswerten schon zahlenmäßig nicht ins Gewicht fallen" 3 3 1 . Das bürgerliche und staatliche Toleranzgebot muß zugunsten der Minderheit garantiert werden können. Darüber hinaus ist es wichtig im pluralistischen Kulturstaat, einer kleinen Minderheit, die sich provoziert fühlt (besonders vom Staat 332), eine Möglichkeit zu gewährleisten, ihren Abwehranspruch als Unterlassungsanspruch zu verwirklichen. Das bürgerliche und staatliche Toleranzgebot verlangt nicht Standortlosigkeit der Erziehungsziele, wohl aber hinreichende Mäßigung vor der Selbstverwirklichung des Schülers und der Anerkennung der verfassungsmäßigen Ordnung als Integration der Erziehungsziele im pluralistischen Kulturstaat, damit die öffentliche Schule die Heimstatt aller Kinder bleiben kann 333 . Stehen sich desintegrierte religiöse und ethnische Minderheiten in einer multikulturellen Gesellschaft gegenüber, ist der innere Friede in Gefahr. Es ist essentielle Aufgabe des Staates, diesen Frieden zu wahren, gerade um der Freiheit der ethnischen und religiösen Minderheiten willen. Ort für diese Friedens- und Freiheitsbewahrung ist auch die öffentliche Schule 334 . Die öffentliche Schule muß das Mindestmaß eines toleranten Raumes 335 unter dem bürgerlichen und staatlichen Toleranzgebot im pluralistischen Kulturstaat garantieren, das den Dissidenten nicht diskriminiert und nicht zur Duldung gewissenswidriger Handlungen zwingt, um die individuelle Selbstverwirklichung und individuelle Mündigkeit und Eigenverantwortung des Schülers unter der verfassungsmäßigen Ordnung durchzusetzen 336. 330 Vgl. Peter Badura, Der Schutz von Religion und Weltanschauung durch das Grundgesetz, Tübingen 1989, S. 88. 331 BVerfGE 33, 23 (32); vgl. auch Ingrid Gogolin/Ursula Neumann/Lutz Reuter, Schulbildung für Minderheiten, Z. f. Päd. 1998, S. 663 ff. 332 in Bayern gibt es ζ. B. den § 13 Abs. 1 Satz 3 VSO, der die Anbringung von Kreuzen in sämtlichen Klassenzimmern der bayerischen Volksschulen vorschreibt. 333 Vgl. Thomas Oppermann, Schule und berufliche Ausbildung, in: J. Isensee/P. Kirchhof (Hrsg.), HStR. Bd. VI, Heidelberg 1989, § 135 Rdnr. 86. 334 F. J. Hennecke, a. a. O. (Fn. 328), S. 99. 335 Vgl. T. Dittmann, Toleranz im Schulrecht der hessischen Landesverfassung, Diss. Augsburg 1982; G. Eiselt, DÖV 1978, S. 866 ff.; T. Oppermann, Zum Grundrecht auf eine tolerante Schule, RdJB 1977, S. 44 ff.; U. K. Preuß, Zum Grundrecht auf eine tolerante Schule - Entgegnung zu den Anmerkungen von Th. Oppermann, RdJB 1977, S. 114 ff. 336 im pluralistischen Kulturstaat können auch die Gruppierungen des gesellschaftlichen Bereichs bestimmen, an welchen Zielen sich die Erziehung der Jugend unter der verfassungsmäßigen Ordnung ausrichtet. Vgl. Reinhard Uhle, Pluralismus als Autoritätsproblem der Moderne und die Lösung der geisteswissenschaftlichen Pädagogik, in: R. Uhle/D. Hoffmann (Hrsg.), Pluralitätsverarbeitung in der Pädagogik, Weinheim 1994, S. 83 ff.

Viertes Kapitel

Selbstverwirklichungsrecht des Schülers hinsichtlich religiöser Bezüge in der Schule A. Die geschichtliche Entwicklung der religiösen Bezüge in der Schule Die Schule, in der Neuzeit stets Mittelpunkt der Bemühungen um die Weitergabe des bestehenden geistigen Erbes, mußte daher unter dem Einfluß der bestehenden geistigen und politischen Strömungen stehen. Einerseits werden sich in ihr die geschichtlichen Entwicklungen widerspiegeln und andererseits ist die heutige Lage der religiösen Bezüge in der Schule in Deutschland ohne die geschichtliche Entwicklung nicht voll verständlich 1.

I. Vom römischen Reich bis zur Reformation

Im römischen Reich bedienten sich die Christen des vorhandenen Schulsystems. Selbst nach dem Toleranzedikt von Mailand (313 n. Chr.) und nach der Erhebung des Christentums zur Staatsreligion unter Konstantin dem Großen (324-337) schickten weiterhin christliche Eltern ihre Kinder in die allgemeinen Schulen, die den Anhängern der verschiedenen Religionen offenstanden. Außerdem vermittelten sie das religiöse Gedankengut und Brauchtum im Hause und in der kirchlichen Glaubensgemeinschaft 2. Das Bildungs- und Erziehungswesen in Deutschland war dagegen von seinen Anfängen unter Karl dem Großen bis zum Beginn des 12. Jahrhunderts fast ausschließlich mit der Kirche als alleinigem Bildungsträger verbunden. Stifts-, Kloster- und Domschulen nahmen sich nicht nur des künftigen Nachwuchses der Kirche, sondern auch der Knaben aus dem Adel und allmählich auch aus dem bürgerlichen Patriziat an, um sie in den elementaren Fächern des Schreibens, Lesens und Rechnens sowie in den sieben freien Künsten zu unterrichten 3. Die staatliche Organisation erhob keinerlei Erziehungsanspruch. Die geistliche Autorität war unangefochten alleiniger Erziehungsträger, zumal die weltliche Macht sich im ι Wolfgang Keim, Schule und Religion, Hamburg 1967, S. 65. Johannes van den Driesch/Josef Esterhues, Geschichte der Erziehung und Bildung, Bd. I, Von den Griechen bis zum Ausgang des Zeitalters der Aufklärung, 5. Aufl., Paderborn 1960, S. 120,123. 3 Vgl. Dieter Deuschle, Kirche und Schule nach dem Grundgesetz, Diss., Tübingen 1968. 2

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4. Kap.: Selbstverwirklichungsrecht hinsichtlich religiöser Bezüge in der Schule

wesentlichen als Schützerin des abendländischen Christentums verstand und daher, selbst wenn sie Bildungsaufgaben zu ihrem Wirkungskreis gezählt hätte, es doch nur als Anwalt der Kompetenzverteilung des kanonischen Rechts hätte tun können. Gegensätze zwischen Kirche, Eltern und Staat tauchten dementsprechend nicht auf. Die Einheit der Erziehung war gegeben durch die universal-christliche Bildung, die von der Kirche vermittelt wurde 4. In allen Bildungs- und Erziehungseinrichtungen des Mittelalters war die religiöse Erziehung, die auf ein Leben nach christlicher Lehre hinzielte, Kernstück der Bemühungen. Bildung und Erziehung waren durchformt und durchdrungen vom Christentum, das das ganze Leben gestaltete. Erziehungsziel und Bildungsgut waren von der Kirche im Anschluß an die Antike überliefert. Die öffentliche Gewalt erhob keinerlei Erziehungsrechte, sie überließ die Ausbildung der Jugend den Eltern und der Kirche 5 .

Π. Das Zeitalter der Reformation und des Absolutismus

Das 16. Jahrhundert brachte zunächst einen Rückschlag des Bildungswesens. Denn überall da, wo die Reformation die bisherige kirchliche Ordnung auflöste 6, schwand mit der kirchlichen Autorität, die bisher Trägerin der Schulen gewesen war, auch der geordnete Schulbetrieb, der bereits im Mittelalter dazu geführt hatte, daß weite Volkskreise eine schulische Erziehung erhalten hatten. Zahlreiche städtische Schulen schlossen in den Wirren der Zeit - oft auch wegen der religiösen Auseinandersetzungen7. Mit dem Sendschreiben „An die Bürgermeister und Ratsherren der deutschen Städte, daß sie christliche Schulen halten und aufrichten sollen" (1524) trat Luther diesem Verfall mit einem Schulprogramm entgegen, das durch seine religiös-ethische Begründung zu starker Wirkung gelangte. Es sollte die Grundlage der evangelischen Erziehungslehre und des modernen Erziehungsystems legen. Luther geht von dem natürlichen Erziehungsrecht der Eltern aus, weshalb Erziehung und Bildung der Kinder Pflicht und Recht der Eltern seien. Da aber Eltern aus Ungeschick, aus bösem Willen oder aus tatsächlicher Unmöglichkeit ihre Aufgabe nicht stets erfüllten, müsse die Obrigkeit hilfsweise und ergänzend eingreifen 8. Aber neben dieser von den Eltern abgeleiteten Erziehungstätigkeit wird der Erziehungs4

Aloys Fischer, Das Elternrecht an der Schule in Vergangenheit und Gegenwart, Die deutsche Schule 1924, S. 205. 5 W. Keim, a. a. O. (Fn. 1), S. 66. 6 Vgl. Helmut Lecheler, Kirchen und staatliches Schulsystem, in: J. Listl/D. Pirson (Hrsg.), Handbuch des Staatskirchenrechts der Bundesrepublik Deutschland, 2. Aufl., Bd. II, Berlin 1995, § 53, S. 415. 7 W. Keim, a. a. O. (Fn. 1), S. 66 f. 8

Günther Holstein, Elternrecht, Reichsverfassung und Schul Verwaltungssystem, AöR 12 (1927), S. 208.

Α. Geschichtliche Entwicklung

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anspruch und die Erziehungspflicht des Staates von Luther unmittelbar abgeleitet aus der Regierungspflicht, für das Wohl des Ganzen zu sorgen. So wurde die Schulgründung zur sittlichen Pflicht der staatlichen Gemeinschaft. Folgerichtig befürwortete Luther in der Schrift „Ein Sermon oder Predigt, daß man solle die Kinder zur Schule halten" (1530) einen staatlichen Schulzwang. Unmißverständlich machte Luther allerdings klar, daß Schulen von christlichem Geist durchdrungen sein und der Religionsunterricht im Mittelpunkt stehen müsse, wenn er schreibt: „Die Schule muß die nächste bei der Kirche sein. Wo die Heilige Schrift nicht regiert, da rate ich niemand, daß er sein Kind hintue."9 Das Volksschulwesen erfuhr durch die Reformation keine Umgestaltung. Auch weiterhin bestanden die Deutschschulen und Schreibschulen in den Städten und die Küsterschulen auf dem Lande. Diese Schulen wurden auch weiterhin von den Kirchen getragen 10. Der Staat nahm sich zwar der Schulen an, sah sie aber nicht als ihm unterstellte Einrichtungen, sondern als Organ der Kirche an und regelte die Schulangelegenheiten bezeichnenderweise durch die Kirchenordnungen. Selbst im Westfälischen Frieden (1648) wurden die Schulen noch als „annexum ecclesiae" angesehen11. Daneben entstanden im protestantischen Deutschland auf Grund von Melanchtons Bemühungen zahlreiche Lateinschulen aus einer Synthese von Reformation und Humanismus, die im wesentlichen an die vorreformatorischen Lateinschulen anknüpften. Christliche Frömmigkeit und klassische Beredsamkeit waren ihr Erziehungsziel. Im katholischen Teil Deutschlands gründeten die wiedererstandenen Lehrorden und die Kirche, die vom Staat beauftragt und gefördert wurden, neue Schulen12. Erst im 17. Jahrhundert nahm der Staat Erziehungs- und Bildungsaufgaben für sich in Anspruch und bildete ein öffentliches Schulwesen mit Unterrichts- und Schulzwang aus, ein System, das durch die Reformation geistig vorbereitet war. Der Staat verstand sich als Herr und Schützer der Kirche und hatte sich die Förderung des christlichen Glaubens zu eigen gemacht, ein Gedanke, der sich vor allem in der Schule auswirken mußte. Probleme in bezug auf verschiedene Bekenntnisse der Schüler traten wegen der weitgehenden religiösen Geschlossenheit der einzelnen Gebiete nicht auf 13 . Der fortschreitende Ausbau des öffentlichen Schulwesens schloß die Beteiligung der Kirchen an der Kindererziehung in den Schulen nicht aus. Es gelang dem absolutistischen Staat, die Kirchen endgültig seiner Autorität zu unterstellen und sie dadurch zu einem der Schule in gewissem Sinne nebengeordneten Erziehungsträger 9

J. van den Driesch/ J. Esterhues, a. a. O. (Fn. 2), S. 233. Vgl. Wolfgang Loschelder, Kirchen als Schulträger, in: J. Listl/D. Pirson (Hrsg.), Handbuch des Staatskirchenrechts der Bundesrepublik Deutschland, 2. Aufl., Bd. II, Berlin 1995, §55, S. 511 ff. u J. van den Driesch/J. Esterhues,a. a. O. (Fn. 2), S. 239. 12 Hans Heckel, Deutsches Privatschulrecht, Berlin 1955, S. 14. 13 W Keim, a. a. O. (Fn. 1), S. 67 f. 10

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4. Kap.: Selbstverwirklichungsrecht hinsichtlich religiöser Bezüge in der Schule

herabzudrücken 14. Dementsprechend wurde angeordnet, daß alle, denen die Erziehung der Jugend obläge, die Kinder vom 5. bis zum 13. und 14. Lebensjahr in die Schule schicken müßten. Die weitaus größte Zahl der Wochenstunden wurde der religiösen Unterweisung vorbehalten, wie überhaupt die Schulen dieser Zeit vom Geist des jeweiligen Bekenntnisses durchformt waren 15. Die Gründe für diese Betonung der religiösen Unterweisung durch Friedrich den Großen, der fest auf dem Boden der Aufklärung stand und der vom Religionsunterricht behauptete, „er beschäftige sich nur damit, Vorurteile und Irrtümer dem zarten Gehirn der Jugend einzuprägen" 16sind darin zu sehen, daß dieser zugleich durch große Toleranz ausgezeichnet war. Sie erlaubte es ihm zu schreiben: „Es ist eine Vergewaltigung, wenn man den Vätern die Freiheit nimmt, ihre Kinder nach ihrem Willen zu erziehen; es ist eine Vergewaltigung, wenn man Kinder in die Schule der natürlichen Religion schickt, während die Väter wollen, daß sie katholisch werden, wie sie selber." Diese Entwicklung, die in Preußen typisch und richtungsweisend für ganz Deutschland war, vollzog sich mehr oder weniger schnell in allen Ländern Deutschlands. Ziel der Erziehung war überall die Heranbildung tüchtiger Untertanen auf der Grundlage des religiösen Bekenntnisses der Bevölkerung 17.

I I I . Vom Allgemeinen Landrecht bis zur Weimarer Verfassung

Die erste umfangreiche und grundlegende Regelung des ganzen Bildungswesens enthielt das Pr. ALR (Allgemeines Landrecht für die preußischen Staaten) im Teil I I Titel 12, das die aufgezeigte Entwicklung zusammenfaßte und sowohl den absolutistischen Ideen wie auch aufgeklärten, konstitutionell-rechtsstaatlichen Gedanken huldigte 18 . Die öffentlichen Schulen waren ohne Rücksicht auf die Konfessionen zugänglich (§ 10 I I 12 ALR). Die Möglichkeit einer Simultanschule wurde damit im öffentlichen Schulwesen eröffnet. Da aber an Orten, wo wegen verschiedener Bekenntnisse mehrere Schulen errichtet waren, jeder Einwohner nur zur Unterhaltung des Schullehrers seiner Konfession verpflichtet war (§ 30 Π 12 ALR), bestanden in der Regel Bekenntnisschulen und gehörten Simultanschulen in Preußen zu den Seltenheiten, obwohl das ALR weder Bekenntnis- noch Gemeinschaftsschulen vorschrieb 19. Immerhin war der Religionsunterricht an öffentlichen Schulen Pflichtfach für alle Kinder. Schüler, die einem anderen Bekenntnis als dem angehörten, welches w Α. Fischer, a. a. O. (Fn. 4), S. 212. Vgl. Leonhard Froese, Deutsche Schulgesetzgebung (1763-1952), Weinheim 1953. J. van den Driesch/ J. Esterhues,,a. a. O. (Fn. 2), S. 382. " w Keim, a. a. O. (Fn. 1), S. 68. 18 Gerhard Anschütz, Die Religionsfreiheit, in: Anschiitz/Thoma, schen Staatsrechts, Bd. 2, Tübingen 1932, S. 395. 19

Handbuch des Deut-

Eduard Kern, Staat und Kirche in der Gegenwart, Hamburg/Berlin/Bonn 1951, S. 131.

Α. Geschichtliche Entwicklung

229

in der Schule gelehrt wurde, konnten zu dem Unterricht der anderen Konfession nicht angehalten werden (§ 11 I I 12 ALR). In der preußischen Schulverwaltung galt allerdings der Grundsatz, daß kein Kind ohne religiöse Unterweisung aufwachsen dürfe, weil für alle Schüler ein gleichmäßiger Unterricht zu erteilen sei, der auch die religiöse Schulung einschließe20. Die Verwaltung hielt sich daher für berechtigt, Kinder von Eltern, die keiner der beiden christlichen Hauptkonfessionen oder dem Judentum angehörten -,»Dissidentenkinder"-, zum Besuch des Religionsunterrichts der von ihnen besuchten öffentlichen Schule zu zwingen 21 . Die Erklärung der Menschenrechte in der französischen Revolution und deren Auswirkungen, die aufkommenden liberalen Erziehungsvorstellungen und die später auftretenden „sozialistischen" Vorstellungen führten zu einer Erschütterung der Grundlagen des absolutistischen Erziehungswesens und zu einer „labilen Koexistenz zwischen Staat, Kirche und Eltern" 22 . Die Auseinandersetzungen zwichen liberaler, konservativer, lutherischer und katholischer Schulpolitik beherrschten das 19. Jahrhundert. Die liberale Erziehungspolitik huldigte einem rationalistischen Fortschrittsglauben und forderte grundsätzliche Freiheit der Erziehung von Staat und Kirche, eine Forderung, die hinsichtlich der Freiheit von kirchlichem Einfluß von sozialistischen Wortführern aufgegriffen wurde. Die konservative Haltung sah im Bunde mit der politischen und religiösen Romantik und der spekulativen Philosophie die öffentliche Erziehung als eine durch Religion und Staatsgesetz auferlegte heilige und notwendige Verpflichtung des Staates an 23 . Die katholische Kirche kämpfte für die konfessionelle Schule, die nach der religiösen Überzeugung der Eltern einzurichten sei, da die Eltern die Grundpfeiler der Erziehung überhaupt seien, ein Verlangen, das auch von der evangelischen Kirche und konservativen Kreisen unterstützt wurde 24 . Die Verfassungsurkunde vom 31. Januar 1850 Schloß sich in wesentlichen Punkten dem Entwurf der Reichsverfassung von 1849 an, die sie sich teils sogar wörtlich zum Vorbild nahm. Ohne Vorbild in der Reichsverfassung war lediglich Artikel 24 der Preußischen Verfassung, der die religiös-weltanschauliche Seite der Schulerziehung dadurch regelte, daß er vorschrieb 25: (I) ,3ei der Einrichtung der öffentlichen Volksschule sind die konfessionellen Verhältnisse möglichst zu berücksichtigen." 20 Vgl. Max v. Brauchitsch, Verwaltungsgesetze für Preußen, Bd. VI: Schulrecht, 1. Halbbd., Berlin 1933, S. 34 ff. 21 Gerhard Anschütz, Die Verfassungsurkunde für den Preußischen Staat vom 31. Januar 1850, Bd. 1, Berlin 1912, S. 338,233 ff. 22 Erwin Stein, Die rechtsphilosophischen und positiv-rechtlichen Grundlagen des Elternrechts, in: Stein/Joe st/Dombois, Elternrecht, Studien zu seiner rechtsphilosophischen und evangelisch-theologischen Grundlegung, Heidelberg 1958, S. 5. 2 3 E . Stein, a. a. O. (Fn. 22), S. 6.

W. Keim, a. a. O. (Fn. 1), S. 70. ^ G. Anschütz, a. a. O. (Fn. 21), S. 381.

230

4. Kap.: Selbstverwirklichungsrecht hinsichtlich religiöser Bezüge in der Schule

(Π) „Den religiösen Unterricht in der Volksschule leiten die betreffenden Religionsgesellschaften." Bei der Aufnahme dieses Artikels ging man davon aus, daß Religionsunterricht als obligatorisches Fach beizubehalten sei, und hat dabei an zweierlei gedacht: daran, daß die Volksschulen regelmäßig als Konfessionsschulen einzurichten seien, wie es praktisch bereits der Fall war. Zweitens beabsichtigte man, daß den Kirchen ein irgendwie gearteter Einfluß nicht nur auf den Religionsunterricht - auf diesen aber auf Grund ihrer überlegenen Sachkenntnis besonders - , sondern auch auf die inneren Schulangelegenheiten überhaupt erhalten bleiben würde. Ein solcher Einfluß bestand bereits, ohne daß dadurch die staatliche Schulaufsicht berührt werden würde 26 . Dem Pr. ALR war nicht zu entnehmen, daß die Schule neben der Vermittlung nützlicher Kenntnisse die Aufgabe einer vaterländischen und einer christlichen Erziehung hatte. Die vaterländische Erziehungsaufgabe verstand sich gleichsam von selbst; die christliche Erziehungsaufgabe ergab sich aus den fortgeltenden Provinzialschulreglements des 18. Jahrhunderts, die endgültig erst in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts durch staatliche Regulative ersetzt wurden. Die christliche Erziehung war aber auch mittelbar durch die konfessionelle Gliederung und Prägung der Schule und die Übertragung von Aufgaben der Schulaufsicht auf die Geistlichkeit gewährleistet 27. Wie in Preußen waren auch in vielen anderen Staaten Deutschlands die Kirchen in der Regel dadurch an der Schulaufsicht beteiligt, daß Geistlichen staatliche Ämter der Schulaufsicht als Nebenamt übertragen wurden. So war in Bayern die Aufsicht über den Religionsunterricht den Kirchen übertragen. Er wurde nach geistlicher Anordnung, unter kirchlicher Überwachung und regelmäßig durch Geistliche erteilt. Daneben waren die Distrikts-, Lokal- und Stadtschulinspektoren in der Regel Geistliche 28 .

IV. In der Weimarer Reichsverfassung

Die Ausrufung der Republik und der Sturz der Monarchie, der auch die Klammer zwischen Kirche und Staat aufhob, der militärische und wirtschaftliche Zusammenbruch und die Impulse zum Neuanfang nötigten zur Neuordnung der Schule in einem Gemeinwesen, das sich nicht mehr als christlicher Staat, sondern als Volksstaat begriff. Zudem vertraute dieser Staat seine künftige Gestalt vorbehaltlos der Mehrheitsentscheidung an. Erstmals konnten auch die beiden sozia26 G. Anschütz, a. a. O. (Fn. 21), S. 438 f. 27 H.- U. Evers, Die Befugnis des Staates zur Festlegung von Erziehungszielen in der pluralistischen Gesellschaft, Berlin 1979, S. 16 ff. 28 Vgl. Robert Piloty, Das Recht der Volksschulaufsicht in Bayern. Beilage zu: Archiv des öffentlichen Rechts, Tübingen 1911, S. 92,108f.; 138,145, 159f., 152; 171.

Α. Geschichtliche Entwicklung

231

listischen Parteien ihre schulpolitischen Vorstellungen wirksam zur Geltung bringen 29 . Der Kampf um die Gestalt der neuen Schule entbrannte bereits in den ersten unruhigen Wochen der neuen Republik, als in Preußen durch Proklamationen und Verordnungen der Volksbeauftragten eine grundlegende Reform der Schule eingeleitet wurde. Als durch den Erlaß über die Aufhebung des Religionszwanges in der Schule vom 29. November 1918 das Schulgebet aufgehoben und den Schülern der Besuch, den Lehrern die Erteilung des Religionsuntterrichts freigestellt wurde, erhob sich ein solcher Sturm der Entrüstung, daß das Ministerium sich gehalten sah, den Erlaß wieder aufzuheben 30 . Die Schöpfer der W R V sahen sich vor dieselben Probleme gestellt, die bereits während des 19. Jahrhunderts die Auseinandersetzung um das Schulwesen beherrscht hatten. Ob nämlich die öffentliche Schule nach Bekenntnissen getrennt oder für alle oder doch mehrere Bekenntnisse gemeinsam zu errichten seien, ob und wie der Religionsunterricht in den öffentlichen Schulen durchzuführen sei, und ob und wie der Einfluß der Kirchen gesichert oder ausgeschaltet sein sollte. Auf der einen Seite stand der Simultanschulgedanke mit seiner grundsätzlichen Forderung nach Zusammenfassung der Kinder in Schulen ohne Rücksicht auf ihr Bekenntnis. Der Simultanschulgedanke war in der Aufklärung entstanden, vom liberalen Gedankengut aufgenommen und später von der um 1870 aufkommenden „Einheitsschulbewegung"31 und den liberalen und sozialistischen Parteien vertreten worden. Auf der anderen Seite stand die von der katholischen, aber auch von der evangelischen Kirche vertretene und von den positiv-kirchlichen Kreisen unterstützte Auffassung, daß die Schule auf der religiösen Erziehung und der alten Tendenz bekenntnismäßiger Absonderung beruhen müsse 32 . Hinzu kam die Schwierigkeit, daß die Schulsysteme der einzelnen Länder sich verschieden entwickelt hatten. Während Preußen, Bayern, Württemberg, Oldenburg, Lippe und die beiden Mecklenburgs mehr oder weniger streng von der Konfessionsschule ausgingen, kannten Sachsen, Baden, Hessen, Thüringen, Anhalt, Schaumburg-Lippe und die drei Hansestädte grundsätzlich nur Simultanschulen, meist christliche Simultanschulen, die für die Angehörigen der beiden großen christlichen Kirchen bestimmt waren. In einigen Ländern waren es aber auch allgemeine Simultanschulen, die für Angehörige aller Bekenntnisse und Weltanschauungen bestimmt waren 33 . 29 H.-U. Evers, a. a. O. (Fn. 27), S. 23 f. 30 In Bayern kam es zu ähnlichen Entwicklungen. Vgl. Christoph Führ, Zur Schulpolitik der Weimarer Republik. Darstellung und Quellen, Weinheim 1970, S. 31 ff. 31 Vgl. Volker Nitzschke, Die Auseinandersetzung um die Bekenntnisschule in der Weimarer Republik im Zusammenhang mit dem bayerischen Konkordat, Diss, phil., Berlin 1965, S. 31 ff. 32 Helmuth Kittel, Evangelische Schulpolitik, Die Sammlung 1954, S. 429. 33 Walter Landé, Die Schule in der Reichsverfassung, ein Kommentar, Berlin 1929, S. 93, Anm. 299-302.

232

4. Kap.: Selbstverwirklichungsrecht hinsichtlich religiöser Bezüge in der Schule

Die ersten Entwürfe für die neue Reichsverfassung beschränkten sich auf einige allgemeine Sätze. Alle großen schulpolitischen Streitfragen - Konfessionsschule, Privatschule, Religionsunterricht, Verhältnis von Schule und Kirche überhaupt, Lehrerbildung usw. - blieben unerwähnt, sie sollten wie bisher dem Landesrecht überlassen bleiben 34 . Dieser Standpunkt beherrschte die 1. Lesung im Plenum der Nationalversammlung. Im Laufe der Verhandlungen der Nationalversammlung setzte sich allerdings die Überzeugung durch, daß das Schulrecht eine eingehende Regelung erfahren müsse, da alle Seiten ihren Forderungen nicht ausreichend Platz eingeräumt sahen. Damit wurden die weiteren Verhandlungen „gekennzeichnet durch die plötzliche Verquickung der Schulfrage mit der großen Politik" 35 . In vertraulichen Verhandlungen zwischen den beiden Regierungsparteien, Sozialdemokraten und Zentrum, kam der erste Weimarer Schulkompromiß zustande. Er ging von der grundsätzlichen Gleichberechtigung dreier Schularten aus: der Bekenntnisschule, der Simultanschule und der hier ganz neu erstmals eingeführten „bekenntnisfreien (weltlichen) Schule" als Schule ohne Religionsunterricht. Die Erziehungsberechtigten wurden als entscheidender Faktor eingeführt. Die Teilnahme am Religionsunterricht wurde von der ausdrücklichen Erklärung der Erziehungsberechtigten abhängig gemacht36. Schließlich kam es vor der zweiten Lesung der Reichsverfassung - unter dem Druck der politischen Situation vor der Unterzeichnung des Versailler Vertrages zu einem Kompromiß zwischen Sozialdemokraten und Zentrum. Dieser sogenannte Erste Weimarer Schulkompromiß wurde vor der dritten Lesung unter Mitbeteiligung auch der Demokratischen Partei noch einmal modifiziert. Kern des Kompromisses war, daß die Gemeinschaftsschule als Regelschule verstanden, aber die Einrichtung von Volksschulen als Bekenntnis- oder Weltanschauungsschulen auf Antrag der Erziehungsberechtigten zugelassen wurde 37 . Die nähere Regelung war Aufgabe der Landesgesetzgebung nach den Grundsätzen eines Reichsgesetzes (Art. 146 Π WRV). Art. 174 WRV bestimmte, daß es bis zum Erlaß dieses Reichsgesetzes bei der bestehenden Rechtslage bleiben sollte. Damit war zunächst die Bekenntnisschule für die Mehrheit der Länder gesichert, die Einrichtung von Weltanschauungsschulen zunächst verhindert. Da aber infolge der weltanschaulichen Gegensätze ein solches Reichsgesetz nie zustande gekommen ist, war auch die Landesgesetzgebung blockiert. Dies wiederum stand der Fortentwicklung des Rechts der Volksschulen und ihrer Verwaltung in den Ländern entgegen38. In den bayerischen und badischen Konkordaten und Kirchenverträgen von 1924 bzw. 34

W. Lande, a. a. Ο. (Fn. 33), S. 30; vgl. auch Severinski, Nikolaus, Der Kampf um den Religionsunterricht in Geschichte und Gegenwart, in: Klaus Porstner/Nikolaus Severinski (Hrsg.), Religions Unterricht und „Offene Gesellschaft", Wien 1984, S. 45 ff. 35 W. Landé, a. a. O. (Fn. 33), S. 39. 36 W. Landé, a. a. O. (Fn. 33), S. 30 ff. 37 Vgl. Christoph Führ, Bildungsgeschichte und Bildungspolitik, Frankfurt/M. 1997, S. 116 ff. 38 Ch. Führ, a. a. O. (Fn. 30), S. 50 f.

Α. Geschichtliche Entwicklung

233

1932 wurde aber die Frage des Religionsunterrichts aufgegriffen und dieser in Entsprechung zu Art. 149 WRV als ordentliches Lehrfach bestätigt. Die bayerischen Verträge bestimmten darüber hinaus, daß Erziehung und Unterricht nur solchen Lehrkräften anvertraut werden sollten, die geeignet und bereit sind, in zuverlässiger Weise die jeweilige Religionslehre zu unterrichten und im Geiste des katholischen bzw. evangelischen Glaubens zu erziehen 39. Nicht nur Art. 146 II, 174 WRV zeigten, daß die WRV, ungeachtet der in ihr angelegten Neutralität des Staates, die Trennung von Staat und Kirche nicht scharf durchgeführt hatte. Zwar nahm die Verfassung die Schule für Staat und Gemeinde in Anspruch (Art. 143 WRV), behielt die Schulaufsicht den hauptamtlich tätigen, fachlich qualifizierten Beamten vor (Art. 144 WRV) und beseitigte damit die Restbestände geistlicher Schulaufsicht. Aber Art. 149 WRV gewährleistete, daß der Religionsunterricht weiterhin grundsätzlich ordentliches Lehrfach blieb 40 , wobei die Grundsätze der betreffenden Religionsgesellschaft maßgebend sein sollten. Ferner öffnete sie dem kirchlichen Schulwesen ein Betätigungsfeld im Bereich der Privatschule, die Art. 147 WRV nicht wenig begünstigte41. Im Streit um die konfessionelle Gliederung der Schule nahmen die großen Kirchen eine unterschiedliche Haltung ein. Während die evangelische Seite nach der Lösung des Bündnisses von Thron und Altar nicht mehr mit derselben Festigkeit auf der öffentlichen Bekenntnisschule bestand, setzte sich die katholische Kirche mit aller Entschiedenheit unter Berufung auf das Elternrecht 42 für eine bekenntnismäßige Gliederung der Schule, insbesondere der Volksschule ein. Die Frage nach der konfessionellen Prägung der mittleren und höheren Schulen wurde nicht ausdiskutiert. All dies führte dazu, daß das Gewicht der christlichen Erziehungskomponente der Schule von Land zu Land, in Preußen sogar von Provinz zu Provinz erheblich differierte. Der Schulaufsicht und den Rektoren und Direktoren der Schulen blieb ein Spielraum, den Geist der konkreten Schule nach ihren religiösen und weltanschaulichen Überzeugungen und pädagogischen Vorstellungen zu prägen 43.

39 H.-U. Evers, a. a. O. (Fn. 27), S. 24 f. 40

Vgl. Christoph Link, Religionsunterricht, in: J. Listl/D. Pirson (Hrsg.), Handbuch des Staatskirchenrechts der Bundesrepublik Deutschland (i. folg.: HdbStKirchR), 2. Aufl., Bd. II, Berlin 1995, § 54, S. 439 ff. 41 H.-U. Evers, a. a. Ο. (Fn. 27), S. 24f. 42 Vgl. Matthias Jestaedt, Das elterliche Erziehungsrecht im Hinblick auf Religion, in: J. Listl/D. Pirson (Hrsg.), Handbuch des Staatskirchenrechts der Bundesrepublik Deutschland, 2. Aufl., Bd. II, Berlin 1995, § 52, S. 371 ff. 43 Vgl. Clemens Menze, Bildung und Bildungswesen Aufsätze. Zu ihrer Theorie und ihrer Geschichte, Hildesheim 1980, S. 40 ff.

234

4. Kap.: Selbstverwirklichungsrecht hinsichtlich religiöser Bezüge in der Schule V. Im nationalsozialistischen Staat

Der nationalsozialistische Staat garantierte im Reichskonkordat von 1933 erneut die Bekenntnisschule, setzte dann aber alsbald dazu an, sie auch gegen den Widerstand der Elternschaft zu beseitigen44. Als autoritärer, später totalitärer Staat nahm er für sich in Anspruch, die Erziehungsziele der Schule aus seiner Weltanschauung abzuleiten und mit Absolutheitsanspruch in Geltung zu setzen. Daher erteilte er den individualistischen Bildungsvorstellungen eine scharfe Absage und verlangte, den Schüler „auf dem Baugrund von Blut und Boden, Volksgemeinschaft und Religiosität zum charaktervollen Menschen" zu erziehen; bei dieser „Formung des nationalsozialistischen Menschen" sollte der „Rassesinn und das Rassegefühl trieb- und verstandesgemäß in Herz und Gehirn" der Jugend „hineingebrannt" werden 45. Nationalistisches und völkisch-rassisches Gedankengut machten sich in Unterricht und Unterrichtsmaterial breit; „Mein Kampf 4 wurde Pflichtlektüre, die Vererbungslehre obligatorisches Prüfungsthema in der Reifeprüfung. Daß die nationalsozialistische Weltanschauung zum „Fundament des Unterrichts" geworden ist, daß das Erziehungsziel „Erziehung zum nationalsozialistischen Menschen" in der Wirklichkeit des Unterrichts die tradierten Bildungsgüter und Erziehungsziele überwunden und Erziehungsarbeit nach ihren Eigengesetzlichkeiten nachhaltig ausgeschlossen hat, wird sich nicht nachweisen lassen46. Erstrebt wurde eine Schule, die bereit und fähig war, als Instrument der Weltanschauung der herrschenden Parei zu dienen. Die religiöse Erziehung wurde demgemäß aus der Schule verdrängt. Vielfach wurde auch der Religionsunterricht durch einen ausgesprochen nationalsozialistischen Weltanschauungsunterricht ersetzt47. Die Hitlerjugend erhielt im Laufe der Jahre erzieherische Bedeutung, die das Elternrecht zurückdrängte. Somit wurden hier die Unterscheidungen zwischen Konfessions- und Simultanschulen zugunsten einer weltanschaulichen Einheitsschule weitgehend aufgehoben 48.

VI. Religiöse Bezüge in der Schule nach 1945

Wie soll man es sich erklären, daß in der Nachkriegszeit „Religion" aus dem politischen, aber auch dem wissenschaftlichen Diskurs ausgeklammert war? Die gängige Erklärung, daß der Prozeß der Säkularisierung dafür verantwortlich sei, 44

Vgl. R. Eilers, Die nationalsozialistische Schulpolitik, Köln 1963. 45 Vgl. BVerfGE 6,132, 156 ff. 46 H.-U. Evers, a. a. O. (Fn. 27), S. 29ff. 47 E. Kern, a. a. O. (Fn. 19), S. 133. 48 Werner Weber, Die Gegenwartslage des deutschen Staatskirchenrechts, VVDStRL (11) 1954, S.163.

Α. Geschichtliche Entwicklung

235

verlangt zumindest nach einer Präzisierung des Säkularisierungsbegriffs. Der Verzicht der Politik auf religiöse Überhöhungen war eine der wichtigen Lektionen aus den Jahren 1933 - 1945. Politik sollte pragmatisch und rational sein. Diese freiwillige Selbstbegrenzung, dieser Verzicht auf „legitimatorische Selbstbedienung" sollte der Religion wie der Politik zugute kommen. Darüber herrschte Konsens: Religion gehört in die Religionsgemeinschaften, nicht ins Parlament. Man muß sich den Prozeß der Säkularisierung vielmehr als einen Prozeß der Verkirchlichung vorstellen. Religion wird im Prozeß der Ausdifferenzierung der Gesellschaft auf die Religionsgemeinschaften beschränkt. Das Problem ist, wie private und konfessionelle Religionen und die Zivilreligion des Gemeinwesens so aufeinander bezogen werden können, daß einerseits die Religionsfreiheit nicht eingeschränkt, andererseits die Integrationsbedürfnisse des Gemeinwesens nicht übersehen werden. Gerade in multireligiösen Gesellschaften wird diese Verhältnisbestimmung immer drängender 49. Nach Art. 7 Abs. 3 GG ist der Religionsunterricht ein ordentliches Lehrfach an den öffentlichen Schulen, das in Übereinstimmung mit den Grundsätzen der Religionsgemeinschaften unterrichtet wird. Art. 7 Abs. 3 GG entspricht weitgehend Art. 149 WRV. Nach diesem Artikel sollten die öffentlichen Regelschulen im Deutschen Reich christliche Gemeinschaftsschulen sein. Der Kompromiß bestand also darin, daß zwar einerseits eine Gemeinschaftsschule bestand, daß in dieser Gemeinschaftsschule aber andererseits ein kirchlich bestimmter Religionsunterricht im Kulturstaat angeboten wurde. Die Zulässigkeit religiöser Bezüge in der christlichen Gemeinschaftsschule wird vom Bundesverfassungsgericht mit zwei unterschiedlichen Argumentationslinien begründet, die sich ergänzen, aber in ihren Rechtsfolgen gabeln: zum einen mit dem Erziehungsziel des Staates, zum anderen mit dessen Hilfsfunktion für die Religionsfreiheit der Bürger 50 . Erstens: Soweit die Zulässigkeit religiöser Bezüge in der christlichen Gemeinschaftsschule sich auf die staatliche Kulturverantwortung und die daraus folgenden Erziehungsziele stützt, ist ihre Umsetzung eine originäre Aufgabe und Kompetenz des Staates. Sie ist inhaltlich vom zuständigen Staatsorgan zu bestimmen und demokratisch zu verantworten. Deshalb ist die Schulaufsicht auch zur religiösweltanschaulichen Neutralität verpflichtet 51. Folglich kann auch die Religion der Mehrheit nicht ohne erhebliche Einschränkung zum Gegenstand und Maßstab der staatlichen Erziehung in den profanen Pflichtfächern werden. Andererseits können die religiösen Bezüge aus letzteren nicht verbannt werden, ohne das Bild der Kul-

49 Vgl. Rolf Schieder, Das prekäre Verhältnis von Politik und Religion. Eine historische Skizze, in: W. Brugger/S. Huster (Hrsg.), Der Streit um das Kreuz in der Schule, BadenBaden 1998, S. 233. 50 Vgl. BVerfGE 41, 29ff.; M. Heckel, Das Kreuz im öffentlichen Raum. Zum „KruzifixBeschluß" des Bundesverfassungsgerichts, DVBl. 1996, S. 460.

51 Ernst-Wolfgang S. 30 ff.

Böckenförde,

Religionsfreiheit und öffentliches Schulgebet, DöV 1966,

236

4. Kap.: Selbstverwirklichungsrecht hinsichtlich religiöser Bezüge in der Schule

tur zu verfälschen und die Erziehung zum wertbestimmten Verhalten zu vernachlässigen52. Zweitens aber soll die Zulässigkeit religiöser Bezüge in der christlichen Gemein· schaftsschule gerade auch der Verwirklichung der Religionsfreiheit des Art. 4 Abs. 1 und Abs. 2 GG dienen. Die Forderung nach strikt religionsloser Erziehung durch den Staat wird also in diesem Zusammenhang unter Berufung auf die positive Religionsfreiheit ausdrücklich abgelehnt53. Der Staat gibt in der Schule „Raum für die aktive Betätigung der Glaubensüberzeugung" und ihre Verwirklichung seitens der Grundrechtsträger. Er macht sich damit die Religion seiner Bürger nicht zu eigen. Der Staat beschränkt sich hier vielmehr auf den äußeren Rahmen. D.h. er übt lediglich institutionelle Intendanturfunktionen seiner kulturellen Daseinsvorsorge aus, die den Grundrechtsträgern weltliche Rahmenbedingungen für die Ausübung ihrer freien religiösen Persönlichkeitsentfaltung zur Verfügung stellt. Der Staat hält sich dabei von einer inhaltlichen Bestimmung in religiösen Fragen strikt zurück 54 . So entspricht es ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, daß religiös-weltanschauliche Bezüge in der staatlichen Pflichtschule auch im Lichte des Gebotes zu religiös-weltanschaulicher Neutralität und Toleranz ihren legitimen Platz haben können 55 . Die Schule dürfe jedoch keine missionarische Schule sein und keine Verbindlichkeit für Glaubensinhalte beanspruchen. Die müsse auch für andere weltanschauliche und religiöse Werte offen sein 56 . Das staatliche Erziehungsziel in den weltlichen Fächern „darf nicht christlich konfessionell fixiert sein" 57 . Soweit die religiösen Bezüge der christlichen Gemeinschaftsschule sich in äußeren Hilfs- und Rahmentätigkeiten realisieren, ist jede staatliche Inhaltsbestimmung und Teilnahmeverpflichtung hinsichtlich der religiösen Gehalte und Funktionen ausgeschlossen58. Für jedermann ist deshalb die Freiwilligkeit der Teilnahme nicht nur am Religionsunterricht, sondern auch an Schulgottesdiensten, Andachten, Schulgebeten zu gewährleisten. Dadurch ist aber die Zumutbarkeit der religiösen Bezüge auch für die Andersdenkenden voll gewahrt. Für den Religionsunterricht ergibt sich dies aus den Sonderbestimmungen der Verfassung in Art. 7 Abs. 3 GG, die eine Konkretisierung der positiven und negativen Religionsfreiheit in Art. 4 Abs. 1 und 2 GG enthalten59.

52 53 54 55

M. Heckel, a. a. O. (Fn. 50), S. 460. Vgl. BVerfGE 41, 29 (49); 41,65 (78); 41, 88 (107). Vgl. M. Heckel, a. a. O. (Fn. 50), S. 460. Vgl. BVerfGE 52, 223 ff.

56

M. Jestaedt, Das Kreuz unter dem Grundgesetz, Journal f. Rechtspolitik 3, 1995, S. 245. 57 BVerfGE 41, 29 (50 f., 62 f.).

58 Vgl. P. Badura, Das Kreuz im Schulzimmer, BayVBl. 1996, S. 73 ff. 59 Vgl. M. Heckel, a. a. O. (Fn. 50), S. 462.

Α. Geschichtliche Entwicklung

237

VII. Religiöse Bezüge in der Schule hinsichtlich des Kulturverhältnisses zwischen Bund und Land

Das Verhältnis von Staat und Kirche ist geregelt durch Vorschriften aus dem Jahre 1919. Diese Artikel sind nach dem Sturz der Monarchie und dem Sturz des Episkopats in die Weimarer Reichsverfassung gelangt, und da man im Parlamentarischen Rat dieses schwerwiegende Thema nicht erneut debattieren wollte, hat man sie einfach übernommen 60. Und welche Bedeutung diese Übernahme hat, diese Inkorporation der Weimarer Kirchenartikel, ist ein lang diskutiertes und hochkompliziertes Thema des Staatsrechts, um das es zwar in letzter Zeit ein bißchen ruhiger geworden ist, das aber doch immerhin nach wie vor, wie man auch an der Kruzifix-Entscheidung 61 sieht, von Gewicht geblieben ist 6 2 . Das Verhältnis von Staat und Kirche ist in der Bundesverfassung geregelt, das heißt, die Länder können hier nicht beliebig anders verfahren 63. Es ist ein wesentliches und auch damals mit offenen Augen angestrebtes Ziel gewesen, daß dieses wichtige Thema, das Verhältnis von Staat und Kirche 64 , nicht den Ländern überlassen, sondern durch Reichsrecht und heute durch Bundesrecht geregelt wird. Damit ist den Ländern also die Möglichkeit genommen, sich hier beliebig zu entfalten oder unterschiedliche Verhältnisse für richtig zu halten. Und zweitens ist es nicht der Gesetzgebung überlassen, sondern in der Verfassung geregelt worden 65 . Von Land zu Land können aber unterschiedliche Schulverfassungen bestehen, und auch die religiösen Bezüge66 können sich innerhalb der Schulen von Land zu Land unterscheiden. Die Theorie des Bundesstaates ist vom Kulturverfassungsrecht als „Seele" des Föderalismus her neu zu überdenken. Die Geschichte des Föderalismus in Deutschland ist eine Form der Geschichte des Kulturstaates 67. Jedenfalls sollte die Beschäftigung mit dem Bundesstaat kulturstaatliche Untersuchungen nicht nur als „Nebenprodukte" zur Folge haben. Die spezifisch föderalistische und damit pluralistische Kulturstaatlichkeit ist schon in sich eine Garantie 60

Vgl. Ernst-Wolfgang Böckenforde, Der deutsche Katholizismus im Jahre 1933, Freiburg 1988; ders., Kirchlicher Auftrag und politisches Handeln, Freiburg 1989. 61 s. unten 5. Kapitel. 62 Dazu vgl. auch Axel Frhr. von Campenhausen, Zur Kruzifix-Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, AöR 121 (1996), S. 452 f. 63 Hierzu vgl. Huber, Ernst Rudolf/ Huber, Wolf gang, Staat und Kirche im 19. und 20. Jahrhundert, Berlin 1988. 64

Vgl. Joseph Listi, Wieder offene Fragen zwischen Kirche und Staat, in: Die Neue Ordnung 1997, S.17 ff. 65 Vgl. Peter Badura, Auszüge aus der Podiumsdiskussion, in Wertekonsens in der Demokratie, Politische Studien Sonderheft, München 1995, S. 49. 66 Vgl. Helmut Lecheler, Staat, Schule, Kirche in der Bundesrepublik, in: Staat, Schule, Kirche in der Bundesrepublik Deutschland und in Frankreich, Kehl a. Rhein 1982, S. 53 ff.; Hermann Weber, Schule, Staat und Religion, Der Staat 1969, S. 493 ff. 67 Vgl. Adolf Kell, Schulverfassung, München 1973, S. 42 ff.

16 Hsu

238

4. Kap.: Selbstverwirklichungsrecht hinsichtlich religiöser Bezüge in der Schule

der „Freiheit der Kultur" im Kulturstaat. Im Konkordatsurteil vom 26. März 1957 hat das Bundesverfassungsgericht den Kulturauftrag als „das Kernstück der Eigenstaatlichkeit der Länder" 6 8 bezeichnet. Das gleiche Gericht hat im Fernsehurteil vom 28. Februar 1961 mit aller Deutlichkeit zum Ausdruck gebracht, daß auch gesamtstaatliche Interessen es nicht rechtfertigen, dem Bund für überregionale kulturelle Aufgaben eine Zuständigkeit einzuräumen, die er nach dem Grundgesetz nicht besitzt 69 . Eine Bundeskompetenz im Schulwesen könnte nur durch Änderung des Grundgesetzes begründet werden 70 . Es ist zu Recht auf den Kulturauftrag der Länder hingewiesen worden. Aber es ist natürlich klar, daß dieser Kulturauftrag eingebettet sein muß in den Gesamtrahmen der deutschen Rechtsgemeinschaft und unserer Verfassungsordnung, und es geht nicht einfach um eine Konfrontation zwischen Bund und Land, sondern es geht auch um ein Problem der Gemeinschaftlichkeit zwischen Bund und Land 7 1 . Das Bundesverfassungsgericht hat in diesem Punkt, wie in anderen Bereichen auch, die bundesstaatliche Kompetenzverteilung zwischen Bund und Ländern sozusagen überholt oder überlagert, indem dieses Bundesorgan in den Kernbereichen der landesrechtlichen Kompetenz seine Sprüche auf der Basis der Grundrechte des Grundgesetzes fällt. Im Bereich der Schul- und Religionsverfassung garantiert es die Grundrechte auf diese Art und Weise also bundesrechtlich 72. Natürlich ist es richtig, daß die Rahmenbedingungen und die Religionsfreiheit bundesrechtlich garantiert sind. Und kein Land ist berechtigt, sich über die bundesrechtlich garantierte Religionsfreiheit, die Gewissensfreiheit und das Selbstverwirklichungsrecht des Schülers hinwegzusetzen. Auch soweit das Schulwesen eine landesrechtliche Angelegenheit ist, muß sich der Landesgesetzgeber an die bundesrechtlichen Vorgaben halten. Und was das Bundesrecht ausspricht, das muß der Landesgesetzgeber und auch der Landesverfassungsgesetzgeber eben respektieren 73. Das Verfassungsrecht soll ja nicht nur ein Bollwerk oder eine Schranke sein, sondern es soll ein fruchtbares pluralistisches Zusammenleben ermöglichen 74. Das ist nur dann möglich, wenn auch ein Ausgleich der verschiedenen Freiheiten und sonstigen Gemeinschaftswerte in der freiheitlichen pluralistischen Schule stattfindet 75.

68 BVerfGE 6, 309 ff. 69 BVerfGE 12, 205 ff. 70 Hans Heckel, Nutzen und Nachteil des Kulturföderalismus, RdJ 1967, S. 254 f. 71 P. Radura, a. a. Ο. (Fn. 65), S. 61. 72 D. Grimm, Kulturauftrag im staatlichen Gemeinwesen, VVDStRL 42 (1984), S. 46 ff. 73 Vgl. P. Radura, a. a. O. (Fn. 65), S. 50. 74 Vgl. Peter Häberle, Verfassung als öffentlicher Prozeß, Berlin 1978; Ulrich K. Preuß, Zum staatsrechtlichen Begriff des Öffentlichen, Stuttgart 1969; Helmuth Schulze-Fielitz, Der informale Verfassungsstaat, Berlin 1984. 75 Vgl. P. Badura, a. a. O. (Fn. 65), S. 63.

Β. Religiöse Bezüge hinsichtlich des Religionsunterrichts nach dem GG

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B. Religiöse Bezüge in der Schule hinsichtlich des Religionsunterrichts nach dem Grundgesetz Wegen der in Art. 7 Abs. 1 GG schon traditionell enthaltenen Ablehnung geistlicher Schulaufsicht, wegen des in Art. 7 Abs. 3 Satz 1 und 2 GG fixierten Verhältnisses von Staat und Religionsgemeinschaften im Bereich des Religionsunterrichts76 und wegen der Notwendigkeit zum Vorbehalt von Freiheitsgrundrechten der beteiligten Personen 77 in Art. 7 Abs. 2, Abs. 3 Satz 3 GG könnten diese Absätze systematisch mindestens ebensogut in einem Abschnitt des Grundgesetzes stehen, der Verfassungsreligionsrecht hinsichtlich religiöser Bezüge in der Schule enthält. Durch die Stellung der den Religionsunterricht betreffenden Sätze im Grundrechtskatalog erfahren die in Art. 7 GG enthaltenen Freiheitsrechte hinsichtlich religiöser Bezüge in der Schule eine besondere Hervorhebung 78.

I. Der Religionsunterricht als ordentliches Lehrfach

Der Charakter des Religionsunterrichts als ordentliches Lehrfach (Art. 7 Abs. 3 S. 1 GG) bedeutet, daß er Bestandteil des Bildungsprogramms der Schule ist und zu ihren Pflichtfächern gehört 79 : Seine Einrichtung an den öffentlichen Schulen ist für den Staat verbindlich. Die Schüler sind grundsätzlich verpflichtet, an einem ihrem Bekenntnis entsprechenden Religionsunterricht teilzunehmen80. Eine Ausnahme gilt für die wenigen bekenntnisfreien Schulen. Das sind die Schulen, die auf jede religiöse Bindung verzichten, d. h. die weltlichen und die Weltanschauungsschulen. Nicht bekenntnisfrei, also zur Erteilung von Religionsunterricht verpflichtet, sind außer den Bekenntnisschulen auch die Gemeinschaftsschulen. Allerdings können Schule und Schulverwaltung die Erteilung des Religionsunterrichts im konkreten Fall davon abhängig machen, daß eine Mindestzahl von Schülern daran teilnimmt 81 .

76 Vgl. Janbernd Ο ebbecke, Reichweite und Voraussetzungen der grundgesetzlichen Garantie des Religionsunterrichts, DVBl. 1996, S. 336 ff. 77 Der Ausgleich zwischen divergierenden Schülerwünschen (auch Elternwünschen) und dem staatlichen Erziehungsauftrag wurde als Teil der Kulturhoheit der Länder als Aufgabe des demokratischen Landesgesetzgebers erkannt, wobei „die konfessionelle Zusammensetzung der Bevölkerung und ihre mehr oder weniger starke religiöse Verwurzelung durch religiöse Erziehung berücksichtigt werden können". Vgl. BVerfGE 41,29 (51). 78 Reinhart v. Drygalski, Die Einwirkungen der Kirchen auf den Religionsunterricht an öffentlichen Schulen, Göttingen 1967, S. 59 f. 79 BVerwGE 42, 346, 349. 80 Vgl. Christoph Link/Armin Pahlke, Religionsunterricht und Bekenntniszugehörigkeit. Die Teilnahme katholischer Schüler, die sich vom Religionsunterricht der eigenen Konfession abgemeldet haben, am evangelischen Religionsunterricht der Sekundarstufe II nach niedersächsischem Schulrecht, in: Joseph Listi (Hrsg.), Der Religionsunterricht als bekenntnisgebundenes Lehrfach, Berlin 1983, S. 17 ff.

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4. Kap.: Selbstverwirklichungsrecht hinsichtlich religiöser Bezüge in der Schule

Es kennzeichnet den Religionsunterricht als ordentliches Lehrfach 82, daß er - wie die übrigen Fächer - der staatlichen Aufsicht unterliegt (Art. 7 Abs. 1, Abs. 3 S. 2 GG). Der Staat, nicht die jeweilige Kirche, ist „Unternehmer" des Religionsunterrichts. Er hat die erforderlichen organisatorischen, personellen und finanziellen Voraussetzungen zu schaffen und trägt darüber hinaus die Verantwortung für den Inhalt der Lehrtätigkeit. Letztere freilich nur im eingeschränkten Sinne, da er die Übereinstimmung mit den Grundsätzen der Religionsgemeinschaft zu wahren hat (Art. 7 Abs. 3 S. 2 GG) 8 3 . Als ordentliches Lehrfach und damit als integrierender Bestandteil der öffentlichen Schule muß der Religionsunterricht auf wissenschaftlicher Grundlage erteilt werden und der Wissensvermittlung dienen. Es geht daher nicht an, daß er ausschließlich als Verkündigung im Sinne einer „Kirche in der Schule" verstanden wird 8 4 . Aus der Normierung „ordentliches Lehrfach" wird in der rechtswissenschaftlichen Literatur fast einhellig der Schluß gezogen, daß der Religionsunterricht zu benoten ist 8 5 . Das Grundgesetz gebietet indes nicht, daß die Note bei Versetzungsentscheidungen zu berücksichtigen ist, verbietet dies aber auch nicht, sondern beläßt insoweit den Ländern einen Spielraum. Die Befreiungsmöglichkeit nach Art. 7 Abs. 2 GG steht der Zulässigkeit der versetzungserheblichen Benotung des Religionsunterrichts jedenfalls nicht entgegen86. Für den Religionsunterricht müßte eine angemessene Wochenstundenzahl festgelegt werden, die jedenfalls eine sinnvolle, dem Umfang des Lehrstoffs entsprechende Lehrplangestaltung erlaubt. Als ordentliches Lehrfach darf der Religionsunterricht gegenüber anderen Fächern nicht diskriminiert werden. Es muß ihm daher eine angemessene Stundenzahl eingeräumt werden. Es geht ferner nicht an, daß er durch prinzipielle Zuweisung von Eckstunden marginalisiert wird 87 . Weiterhin bedingt die Stellung als ordentliches Lehrfach, daß die Religionslehrer Sitz und Stimme in der Lehrerkonferenz haben, und zwar auch dann, wenn sie dem Kollegium nicht im dienstrechtlichen Sinne angehören88. Große Probleme ergeben sich daraus, daß in zahlreichen Schulen nicht genügend Religionslehrer zur Verfügung stehen. Der Personalmangel, der vor allem an 81 Wilhelm Rees, Der Religionsunterricht und die katechetische Unterweisung in der kirchlichen und staatlichen Rechtsordnung, Regensburg 1986, S. 253. 82

Vgl. Friedrich Müller /Bodo Pieroth, Religionsunterricht als ordentliches Lehrfach, Berlin 1974. m Reinhaft Schmoeckel, Der Religionsunterricht, Neuwied 1964, S. 64. * Vgl. BVerwGE 42, 346, 350. m W. Rees, a. a. O. (Fn. 81), S. 258. 86 BVerwGE 42, 346 ff. 87 Hermann Avenarius, Religionsunterricht und Verfassungsrecht, Die höhere Schule 1992, S. 124. 88 Chr. Unk, a. a. O. (Fn. 40), S. 461 f.

Β. Religiöse Bezüge hinsichtlich des Religionsunterrichts nach dem GG

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den berufsbildenden Schulen zu bedenklichen Auswirkungen führt, ist häufig darauf zurückzuführen, daß Lehrer sich unter Berufung auf Art. 7 Abs. 3 S. 3 GG weigern, diesen Unterricht zu erteilen, obwohl sie die Religionsfakultas und die kirchliche Bevollmächtigung besitzen. Nicht selten beruht der Ausfall indes darauf, daß der Staat es unterläßt, eine ausreichende Zahl von Religionslehrern einzustellen 89 . Auch insoweit gilt der Grundsatz der Gleichbehandlung des Religionsunterrichts. Dem Staat ist es von verfassungswegen verwehrt, dieses Fach bei der Ausstattung mit dem erforderlichen Lehrpersonal gegenüber anderen Fächern zu benachteiligen. Gewiß kann der Religionsunterricht von den Folgen einer restriktiven Finanzpolitik, die Schule und Unterricht insgesamttreffen, nicht verschont bleiben. Er darf aber bei solchen Personaleinsparungen nicht zur leichten Beute gemacht und stärker als die übrigen Fächer zur Ader gelassen werden 90. Der Religionsunterricht ist zwar herkömmlich den beiden christlichen Bekenntnissen zugeordnet. Eine verfassungsrechtliche Ausschließlichkeit zugunsten der evangelischen und katholischen Konfession besteht hingegen nicht. Diese Feststellung ist vor allem mit Rücksicht auf Kinder mohammedanischen Glaubens bedeutsam 91 . Sofern eine ausreichende Zahl von Schülern dieses Bekenntnisses vorhanden ist, muß die Schule grundsätzlich islamischen Religionsunterricht in ihren Lehrplan aufnehmen. Auch hier kann der religiös-weltanschaulich neutrale Staat aber die zu vermittelnden Glaubensinhalte nicht bestimmten. Er ist auf islamische Religionsgemeinschaften 92 als Partner angewiesen, mit deren Grundsätzen der Religionsunterricht übereinstimmen muß (Art. 7 Abs. 3 S. 2 G G ) 9 3 . Andererseits trägt der Staat kraft seines Aufsichtsrechts die Verantwortung auch für den islamischen Religionsunterricht. Er muß deshalb darauf achten, daß dieser nicht in Widerspruch zu den Erziehungszielen der Schule, insbesondere zum Toleranzprinzip, gerät 94 . Der Religionsunterricht ist als ordentliches Lehrfach ein Gegenstand der allgemeinen Schulpflicht. Jeder Schüler, der einer Religionsunterricht anbietenden Religionsgemeinschaft angehört, unterliegt dieser Schulpflicht. Der Religionsunterricht wird also nicht aufgrund einer Anmeldung besucht. Umgekehrt ist aufgrund 89

Vgl. Werner Kurt Bräm, Religionsunterricht als Rechtsproblem in Rahmen der Ordnung von Kirche und Staat, Zürich 1978. » H. Avenarius, Die höhere Schule 1992, S. 124. 91 Vgl. Hartmut Albers, Glaubensfreiheit und schulische Integration von Ausländerkindern, DVB1. 1994, S. 984 ff.; Axel Spies, Verschleierte Schülerinnen in Frankreich und Deutschland, NVwZ 1993, S. 637ff.; ders., Nochmals: „Verschleierte Schülerinnen", NVwZ 1994, S. 1193 f. 92 Vgl. Wolfgang Loschelder, Der Islam und die religionsrechtliche Ordnung des Grundgesetzes, in: Essener Gespräche zum Thema Staat und Kirche, Bd. 20 (1986), S. 149 ff. 93 Vgl. Gerhard Eiselt, Islamischer Religionsunterricht an öffentlichen Schulen in der Bundesrepublik Deutschland, DÖV 1981, S. 205 ff.; Ibrahim Çavdar, Islamischer Religionsunterricht an deutschen Schulen, RdJB 1993, S. 265 ff. 94 Vgl. Hans-Peter Füssel, Islamischer Religionsunterricht an deutschen Schulen, RdJB 1985, S. 74 ff.; Wolfgang Kahl, Der praktische Fall - Öffentliches Recht: Koran und Schulsport, JuS 1995, S. 904 ff.

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4. Kap.: Selbstverwirklichungsrecht hinsichtlich religiöser Bezüge in der Schule

einer Abmeldung Befreiung möglich. Er ist mit Recht ein „Pflichtfach mit verfassungsverbürgter Befreiungsmöglichkeit" genannt worden 95. Die Abmeldemöglichkeit ist Ausdruck der Religionsfreiheit des Schülers sowohl wie der Eltern. Die Entscheidung wird bis zur Religionsmündigkeit von den Erziehungsberechtigten, danach vom Schüler selbst getroffen 96. Als ordentliches Lehrfach steht der Religionsunterricht den anderen Lehrfächern der öffentlichen Schule gleich: als integraler Bestandteil des Unterrichtsprogramms, in die Schulorganisation einbezogen, von Mitgliedern des Lehrkörpers erbracht, vom Staat finanziert, den vom Staat bestimmten Leistungsanforderungen und deren Sanktionen verpflichtet und der staatlichen Schulaufsicht unterworfen 97. Der Religionsunterricht wird als Pflichtfach eingerichtet und darf nicht zum Wahlfach im Sinne der allgemeinen schulrechtlichen Terminologie abgestuft werden 98.

II. Der Inhalt des Religionsunterrichts

Der Religionsunterricht ist trotz seines wissenschaftlichen Charakters kein wertneutrales Fach, etwa nach Art einer Religionskunde, einer vergleichenden Betrachtung religiöser Lehre. Er wird vielmehr in Übereinstimmung mit den Grundsätzen der Religionsgemeinschaften erteilt (Art. 7 Abs. 3 S. 2 GG) und beruht somit auf „konfessioneller Positivität und Gebundenheit"99. Das Übereinstimmungsgebot bezieht sich auf die inhaltliche Gestaltung des Religionsunterrichts, d. h. auf den dargebotenen Stoff und die Art und Weise der Darbietung 100 . Mit dieser konfessionellen Bindung läßt es sich nicht vereinbaren, daß der Religionsunterricht in eine Gesellschaftslehre, Sozialkunde oder eine andere höchst weltliche Lehrveranstaltung umfunktioniert wird. Eine von den Bekenntnisgrundlagen losgelöste Erörterung individueller Lebensfragen und gesellschaftlich-politischer Entwicklungen ist von der Verfassungsgarantie des Art. 7 Abs. 3 GG nicht gedeckt. Gewiß bedeutet das nicht, daß der Religionslehrer einen streng dogmatisch geprägten Unterricht zu erteilen und gesellschaftliche Fragen auszuklammern hätte. Doch muß er diese Probleme stets in den Zusammenhang der zentralen Glaubens- und Sittenlehren seiner Religionsgemeinschaft einbinden 101 . Dabei ist es mit einem bloßen Rück95 Chr. Unk, a. a. O. (Fn. 40), S. 503 ff. 96

RKEG § 5; vgl. auch A. v. Campenhausen, Christlicher Religionsunterricht an öffentlichen Schulen, in: W. Greive (Hrsg.), Gott im Grundgesetz?, Rehburg-Loccum 1994, S. 96. 97 Ernst Friesenhahn, Religionsunterricht und Verfassung, in: Essener Gespräche zum Thema Staat und Kirche, Bd. 5 (1971), S. 67 (74 ff.). 98 BVerfGE74, 244(25Iff.). 99 Gerhard Anschiitz, Die Verfassung des Deutschen Reiches vom 11. August 1919. Unveränd. Nachdruck der 14. Aufl. 1933, Bad Homburg 1960, Art. 149. Anm. 4. 100 Chr. Link/A. Pahlke, a. a. Ο. (Fn. 80), S. 17. ιοί Vgl. Wilhelm Geiger, Wer bestimmt über die Teilnahme eines Schülers am Religionsunterricht in einer öffentlichen Schule, Mönchengladbach 1966.

Β. Religiöse Bezüge hinsichtlich des Religionsunterrichts nach dem GG

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bezug nicht getan. Eine Gestaltung des Religionsunterrichts, die ausschließlich auf wechselnde Situationen, auf aktuelle Ereignisse in Gesellschaft und Politik 1 0 2 ausgerichtet ist, widerpricht seinem Charakter als dem eines ordentlichen Lehrfachs. Der Religionsunterricht darf sich also nicht in der »Aufarbeitung" dieser oder jener Einzelfragen des gesellschaftlichen und politischen Lebens erschöpfen 103. Dies ist der Punkt, in dem sich der Religionsunterricht von der Religionskunde unterscheidet. Diese wird auch nicht dadurch zum Religionsunterricht, daß sie zwei oder mehr Konfessionen berücksichtigt. Ökumenische Zusammenarbeit und Ausrichtung ist möglich. Wie weit die Religionsgemeinschaften hier gehen wollen, unterliegt ihrer Disposition, läßt aber zugleich Grenzen erkennen: Es sind theologische Grundsätze, welche den Rahmen des Unterrichts abstecken. Die konfessionelle Gebundenheit und die normative Fixierung des Rechtsbegriffs „Religionsunterricht" zeigt sich auch in der eindeutigen Zuordnung der Schüler zu dem für sie vorgesehenen Unterricht 104 . Lehrer müssen nicht nur der betreffenden Konfession angehören, sondern auch eine Lehrbefugnis von der Religionsgemeinschaft haben. Hierüber stehen die Entscheidungen der Religionsgemeinschaft allein zu 1 0 5 . Die Konfessionalität äußert sich auch in der Beteiligung der Religionsgemeinschaften bei der Bestimmung der Lehrpläne, der Erarbeitung und Einführung von Lehrbüchern und Lernmitteln sowie bei der Entwicklung methodischer und didaktischer Konzepte. Der Charakter des Religionsunterrichts als einer gemeinsamen Angelegenheit von Staat und Religionsgemeinschaften äußert sich in der Wahrnehmung der allgemeinen Schulaufsicht durch den Staat. Sie schließt die Überwachung der Übereinstimmung des Unterrichts mit den Grundsätzen der Religionsgemeinschaften ein 1 0 6 .

I I I . Die Ausnahmeregelung des A r t 141 GG

Die Garantie des Religionsunterrichts als ordentliches Lehrfach erfährt durch Art. 141 GG, die sogenannte ,3remer Klausel", eine Einschränkung 107. Danach 102 Vgl. Wolf gang Sander, Politische Bildung in Religionsunterricht, Stuttgart 1980. 103 Wenngleich daran festzuhalten ist, daß der Religionsunterricht vorrangig der Wissensvermittlung dient, ist der Religionslehrer gerade in den unteren Klassen nicht gehindert, die Schüler in Formen religiöser Praxis einzuführen. Das ist um so wichtiger, als viele Kinder bestimmte Zeichen und Gebete, die Ausdruck ihres Bekenntnisses sind, im Elternhaus nicht mehr erlernen. Unter diesen Umständen müssen die Grundlagen, auf denen der Religionsunterricht aufbaut, überhaupt erst geschaffen werden. Deshalb gehört beispielsweise das Einüben des Vaterunser oder des Kreuzzeichens in der Grundschule zum legitimen Bestand des Religionsunterrichts. Vgl. H. Avenarius, Die höhere Schule 1992, S. 124 f. 104 Es steht nicht im Belieben von Lehrern und Schülern, wer welchen Unterricht gibt oder nimmt. Vgl. A. v. Campenhausen, a. a. O. (Fn. 96), S. 101 f. 105 Vgl. VG Aachen, Urt. v. 27. 6. 1972, BVB1. 1974, S. 57.

106 Vgl. A. v. Campenhausen, a. a. Ο. (Fn. 96), S. 102. 107 Vgl. Michael Frisch, Die Bremer Klausel und die neuen Bundesländer, DtZ 1992,144 f.

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4. Kap.: Selbstverwirklichungsrecht hinsichtlich religiöser Bezüge in der Schule

findet die institutionelle Garantie des Religionsunterrichts keine Anwendung in einem Land, in dem am 1. Januar 1949 eine andere landesrechtliche Regelung bestanden hat 1 0 8 . Betroffen sind einmal jene Länder, die einen konfessionellen Religionsunterricht nicht kannten, unabhängig davon, ob dies für das gesamte Land oder nur einen Landesteil zutraf. Zum anderen werden von Art. 141 GG auch jene Länder erfaßt, in denen für eine bestimmte Schulgattung, wie ζ. B. die Berufsschulen, kein Religionsunterricht vorgesehen war 1 0 9 . Ersteres trifft vor allem für das Land Bremen zu. Art. 32 Brem Verf. vom 21. Oktober 1947 schreibt einen bekenntnismäßig nicht gebundenen Unterricht in Biblischer Geschichte auf allgemein christlicher Grundlage als ordentliches Lehrfach vor 1 1 0 . Den Kirchen und Religionsgesellschaften bleibt es überlassen, konfessionellen Religionsunterricht außerhalb der Schulzeit zu erteilen 111 . Die Bestimmung des Art. 141 GG gilt ebenfalls für Berlin. Auch hier ist der Religionsunterricht nach § 23 BerlSchG vom 26. Juni 1948 Sache der Kirchen, Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften. Diese erhalten aber für die Erteilung des Religionsunterrichts, im Unterschied zu Bremen, von der Schulverwaltung eine wesentliche Unterstützung 112. Art. 141 GG formuliert für den Religionsunterricht eine Ausnahme. Durch seine Geltung kann der Religionsunterricht in der beschriebenen Gestalt entfallen. Diese Regelung ist in den Verhandlungen des parlamentarischen Rates energisch gefordert worden; sie wurde in dieser Form schließlich als Kompromiß ausgehandelt. Nach ihm ist die Rechtswirklichkeit in Bremen und Berlin gestaltet. Wesentlich ist im Bremer Fall die konfessionsungebundene Gestaltung des Bibelunterrichts, die nicht von den Kirchen gesteuert werden kann, im Berliner Fall die Staatsferne des in den Schulen durchgeführten Religionsunterrichts der Kirchen. 113 Genau dieses Argument der Staatsferne hat nach 1989 zunächst die Diskussion in den Landeskirchen der neuen Länder bestimmt. Zuletzt haben die Kirchen jedoch einheitlich die Einrichtung des Religionsunterrichts nach dem Modell des Art. 7 Abs. 3 GG gefordert, vier der neuen Länder haben einen solchen Unterricht inzwischen eingerichtet. Das Potsdamer Parlament hat sich anders entschieden, der Geltung des Art. 141 GG ist somit zunächst nur noch für das Land Brandenburg zu diskutieren 114 . los Vgl. H. Holtkotten, in: Bonner Komm., Art. 141, S. 1 - 4 . 109 Vgl. Th. Maunz, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 141, Rdnr. 4 und 5. no Vgl. Holger Kremser, Das Verhältnis von Art. 7 Abs. 3 Satz 1 GG und Art. 141 GG im Gebiet der neuen Bundesländer, JZ 1995, S. 928 ff. in Christoph Link, Die Rechtsnatur des bremischen „Unterrichts in Biblischer Geschichte auf allgemein christlicher Grundlage" und die sich daraus für die religionspädagogische Ausbildung im Lande Bremen ergebenden Konsequenzen, ZevKR 24 (1979), S. 54 ff. 112 W. Rees, a. a. O. (Fn. 81), S. 229. 113 Hinnerk Wißmann, Art. 141 GG als „Brandenburger Klausel"?, RdJB 1996, S. 369. 114 Vgl. Martin Heckel, Religionsunterricht in Brandenburg, Berlin 1998, S. 40 ff.; Ludwig Renck, Staatliche Grundrechtsvorsorge und Bekenntnisunterricht, ZRP 1999, S. 137 ff.; Ingo

Β. Religiöse Bezüge hinsichtlich des Religionsunterrichts nach dem GG

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IV. Alternativunterricht an Stelle des Religionsunterrichts

In einigen Ländern 115 ist der Schüler, der am Religionsunterricht nicht teilnimmt, verpflichtet, ethischen Ersatzunterricht zu besuchen116. Gemäß dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts enthält Art. 7 Abs. 1 GG einen umfassenden schulischen Bildungs- und Erziehungsauftrag. Dieser gebe dem Staat die Befugnis, neue und zusätzliche Unterrichtsfächer wie den Ethikunterricht einzuführen. Der Ethikunterricht müsse von seinem Inhalt her weltanschaulich und religiös neutral unterrichtet werden. Die Vermittlung der für das Zusammenleben essentiellen und unerläßlichen Grundwerte sei dadurch nicht ausgeschlossen. Der Ethikunterricht dürfe auch ausschließlich für die nicht am Religionsunterricht teilnehmenden Schüler verpflichtend eingerichtet werden. Geschehe dies, so müsse das Unterrichtsfach Ethik als ein dem ordentlichen Lehrfach Religion gleichwertiges Fach ausgestaltet werden 117 . Durch diesen Ethikunterricht bringt der Staat seine Verantwortung für die sittliche Erziehung zum Ausdruck 118 . Vermutlich wollten die Verfassunggeber in jenen Ländern sicherstellen, daß die Schule die ihr obliegende Erziehungsaufgabe in sittlicher und charakterlicher Hinsicht auf jeden Fall erfüllen kann. Tatsächlich wird diese Erziehung ja zu einem erheblichen Teil im Religionsunterricht geleistet 119 . Fällt dieser Unterricht für den einzelnen Schüler weg - da die Teilnahme Richter, Wie muß ein Lernbereich Lebensgestaltung-Ethik-Religion /en verfassungskonform gestaltet werden? Gibt es juristische Notwendigkeiten zur Einbeziehung von Religions- und Weltanschauungsgesellschaften? Wie sind die Bezüge zum Art. 4 des Grundgesetzes?, in: Werteerziehung im Unterricht, Dokumentation des Kolloquiums vom 3. 4. 1995 im Potsdam (hrsg. vom Ministerium für Bildung, Jugend und Sport [NBJS], S. 58 ff. (63).; Arnd Ohle, Das brandenburgische Lehrfach „Lebensgestaltung - Ethik - Religionskunde", Kirche u. Recht 1996, Heft 1, S. 1 ff.; Wolf Reinhard Wrege, Zum Religionsunterricht in den neuen Ländern (Art. 7 III 1, 141 GG), LKV 1996, S. 191 ff. 115 In den westlichen Bundesländern ist die Teilnahme am Ersatzunterricht verpflichtend in Bayern (Art. 137 Abs. 2 Bayer. Verf), in Rheinland-Pfalz (Art. 35 Abs. 2 Rheinl.Pfalz Verf), in Baden-Württemberg beruht das Ersatzfach auf einfachem Gesetz, hier § 100 a SchulG. in der Fassung ν. 1. 8. 1993 (Gbl. S. 397) zul. geänd. durch Art. 5 Ges. v. 4. 6. 1991 (Gbl. S. 299). 116 Vgl. Gerhard Czermak, Das Pflicht-Ersatzfach Ethikunterricht als Problem der Religionsfreiheit, "des Elternrechts und der Gleichheitsrechte, NVwZ 1996, S. 450ff.; Gitta Werner, Verfassungsrechtliche Fragen des Ersatzunterrichts zum Religionsunterricht, Diss., Bonn 1998, S. 95 ff. in BverwG, Urteil v. 17. 6. 1998-6 C 11. 97; VBIBW 1999, S. 53ff. (m. Anm. v. Johannes Rux ); JZ 1999, S. 353 ff. (m. Anm. v. Stefan MücU).

us Dieser Ersatzunterricht muß selbst ein Interesse an sittlichen Elementarkenntnissen und Grundeinstellungen haben. Gerade die freiheitlich demokratische Verfassung setzt ein gewisses Mindestmaß an sittlicher Einsicht bei den Staatsbürgern voraus. Vgl. A. v. Campenhausen, a. a. O. (Fn. 96), S. 103; Wolfgang Huber, Religion und Ethik in der Schule, ZEE 1996, S. 82ff. H 9 Vgl. Thomas Rentsch, Ethikuntenricht versus Religionsunterricht, ZEE 39 (1995), 5. 298 ff.

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4. Kap.: Selbstverwirklichungsrecht hinsichtlich religiöser Bezüge in der Schule

daran freiwillig ist - , fehlt der Schule auch eine Möglichkeit der Einwirkung auf die sittliche Entwicklung des Schülers 120. Von der geschriebenen Verfassungsurkunde bis zur Verwirklichung ist es allerdings gerade hier ein weiter Weg 1 2 1 . Die Schwierigkeiten, die sich der Einführung dieses Faches entgegenstellen, sind erheblich 122 . Das beginnt schon bei der Frage, welches denn nun die „allgemein anerkannten Grundsätze der Sittlichkeit" oder des „natürlichen Sittengesetzes" sein sollen 123 . Denn einmal hat jede Zeit und jede Kulturgemeinschaft ihre eigenen Sittengesetze, die sich erheblich unterscheiden, ja widersprechen können. Zum anderen gibt es die verschiedensten Begründungen der ethischen Normen bei den einzelnen philosophischen Systemen. Und schließlich erhebt sich noch die Frage, auf welches oder auf welche dieser philosophischen Systeme der Unterricht in den Grundsätzen der Sittlichkeit aufgebaut werden soll 1 2 4 . Dieser Ethikunterricht ist nur für die Schüler vorgesehen, die nicht an einem Religionsunterricht (oder Weltanschauungsunterricht) teilnehmen. Infolgedessen darf sich der Ethikunterricht im Grunde nicht an ein religiöses oder weltanschauliches System anlehnen, das Gegenstand eines eigenen Religions- oder Weltanschauungsunterrichts sein könnte 125 . Andererseits lassen sich aber die „allgemein anerkannten Grundsätze des natürlichen Sittengesetzes" kaum anders herausarbeiten als durch eine vergleichende Betrachtung der verschiedenen Religionen und Weltanschauungen. Der Ethikunterricht, wenn er überhaupt durchgeführt wird, kommt daher ohne eine geschichtliche Darstellung des Wesens der wichtigsten (christlichen und nichtchristlichen) Religionsgemeinschaften nicht aus. Dabei ist aber zu beachten, daß diese Darstellung bekenntnismäßig neutral sein muß 1 2 6 . Sie braucht also nicht wie im Religionsunterricht die Lehren des betreffenden Be120 R. Schmoeckel, a. a. O. (Fn. 83), S. 112. 121 Der Ersatzunterricht läßt eine entgegengesetzte Haltung erkennen zu dem, was in der DDR üblich war, solange es noch religiöse Unterweisung an den Schulen gab: Damals wurde der Religionsunterricht an die Randstunden verlegt, um das Schwänzen oder Sichabmelden für die Schüler besonders attraktiv zu machen. Vgl. David Seeber, Ethik versus Religion?, in: Herder-Korrespondenz 1995, S. 453 ff. 122 Vgl. Chr. Link, a. a. O. (Fn. 40), S. 445 ff. 123 Vgl. Martin Schockenhoff, Ist Ethikunterricht verfassungswidrig?, BayVBl. 1993, S.737 ff. 124 Als letzte Schwierigkeit für die praktische Durchführung dieses Ethikunterrichts, soweit dessen Inhalt betroffen ist, kommt hinzu, daß die geringen Erfahrungen mit einem derartigen Schulfach noch keinen brauchbaren Lehrplan hervorbringen konnten, der es ermöglichte, die weitgehend abstrakten Fragen einer religiös nicht gebundenen Ethik den Schülern in einer ihrem Alter angemessenen Form nahezubringen. Vgl. Dietrich Goldschmidt, Lebensgestaltung, Ethik, Religionskunde (LER) in Brandenburg - eine zeitgamäße Lösung?, Neue Sammlung 1997, S. 187ff.; R. Schmoeckel, a. a. O. (Fn. 83), S. 113ff. 125 Vgl. Ludwig Renck, Zur grundrechtlichen Bedeutung von Art. 7 III GG, NVwZ 1992, S. 1171 f.; ders., Verfassungsprobleme des Ethikunterrichts, BayVBl. 1992, S. 519ff. 126 Vgl. Ludwig Renck, Nochmals: Verfassungswidriger Ethikunterricht?, BayVBl. 1994, S. 432 f.

Β. Religiöse Bezüge hinsichtlich des Religionsunterrichts nach dem GG

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kenntnisses als die allein richtige Wahrheit hinzustellen. Sie darf aber andererseits auch nicht dieses Bekenntnis ausdrücklich als falsch bezeichnen oder gar lächerlich machen. Letzteres würde nicht nur dem Wesen dieses Ethikunterrichtes widersprechen, sondern auch gegen den Grundsatz verstoßen, den einige Landesverfassungen ausdrücklich, die anderen stillschweigend als eines der wichtigsten Prinzipien des Unterrichts bezeichnen: „An allen Schulen sind beim Unterricht die religiösen Empfindungen aller zu achten" 127 .

V. Religionsunterricht und Ökumene

Angesichts der abnehmenden Zahl der am Religionsunterricht teilnehmenden Schüler besteht vor allem in der gymnasialen Oberstufe häufig die Tendenz, das Fach für Schüler des anderen Bekenntnisses zu öffnen. Auch streben Schüler und Eltern nicht selten mit Rücksicht auf wissenschaftlich-pädagogische Qualitätsunterschiede ein Überwechseln in den fremdkonfessionellen Religionsunterricht an 1 2 8 . Hier stellt sich die Frage, ob sich aus der gebotenen Übereinstimmung des Religionsunterrichts mit den Grundsätzen der Religionsgemeinschaften das Prinzip einer konfessionellen Schülerhomogenität ergibt, ob also die Schüler dem jeweiligen Bekenntnis angehören müssen 129 . Da die Teilnahme fremdkonfessioneller Schüler geeignet ist, die innere Gestaltung des Religionsunterrichts zu beeinflussen, sind die Grundsätze der Religionsgemeinschaften unmittelber betroffen. Diese haben darüber zu entscheiden, ob und in welchem Umfang bekenntnisfremden Schülern die Teinahme am Religionsunterricht gestattet wird 1 3 0 . Doch genügt eine einseitige Öffnung des Religionsunterrichts nicht. Sie verstößt gegen seinen bekenntnisgebundenen Pflichtfachcharakter. Überdies würde der Staat, der eine einseitige Öffnung sanktionierte, die Abwerbung bzw. Abwanderung von Schülern aus dem Religionsunterricht ihres Bekenntnisses begünstigen und dadurch dem Prinzip seiner religiös-weltanschaulichen Neutralität zuwiderhandeln 131. Es bedarf deshalb in solchen Fällen des Einverständnisses beider Religionsgemeinschaften. Etwas anderes gilt dann, wenn sich im Überwechseln des Schülers zum Religionsunterricht einer anderen Konfession eine Richtungsänderung in der religiösen Erziehung äußert. In diesem Fall handelt es sich um die Ausübung des Bestimmungsrechts der Eltern bzw. des Kindes gem. Art. 7 Abs. 2 GG 1 3 2 . >27 Vgl. Art. 136 Abs. I Bay Verf., ähnlich Art. 33 Brem Verf. 128 Vgl. Achim Leschinsky, Vorleben oder Nachdenken?, Frankfurt/M. 1996, S. 11 ff. 129 Axel Frhr. von Campenhausen, Staatskirchenrechtliche Rückwirkungen der Reform der gymnasialen Oberstufe, DVBl. 1976, S. 609 ff. 130 BVerwGE 68, 16 (19 f.); BVerwGE 74,244 (253 ff.). 131 Chr. Link/A. Pahlke, a. a. O. (Fn. 80), S. 34 ff. 132 Ulrich Scheuner, Öffnung des Religionsunterrichts auf der Sekundarstufe für Schüler der anderen Konfession, in: J. Listi (Hrsg.), Der Religionsunterricht als bekenntnisgebundenes Lehrfach, Berlin 1983, S. 63 ff.

248

4. Kap.: Selbstverwirklichungsrecht hinsichtlich religiöser Bezüge in der Schule

Immer wieder wird die Frage erörtert, ob im Zeichen der zunehmenden Entchristlichung der Gesellschaft das Beharren auf der konfessionellen Ausrichtung des Religionsunterrichts noch zeitgemäß ist. Da liegt die Forderung nahe, der Religionsunterricht solle, von ökumenischem Geist geprägt, interkonfessionell durchgeführt werden 133 . Diesem Postulat ist entgegenzuhalten, daß das Fach prinzipiell bekenntnisgebunden ist. Eine Umwandlung des bislang konfessionell veranstalteten in einen überkonfessionellen Religionsunterricht ist dem religiös-weltanschaulich neutralen Staat verwehrt; sie betrifft die Grundsätze der Religionsgemeinschaften 134. Es bleibt den Kirchen allerdings unbenommen, ihre Grundsätze in der Weise fortzubilden, daß das Fach in bestimmten Fällen, Klassen, Schulstufen oder Schularten fortan ganz oder teilweise auf ökumenischer Basis, d. h. auf der Grundlage der übereinstimmenden Lehren beider Kirchen, erteilt wird 1 3 5 . Dazu genügt freilich nicht eine Absprache der an der Schule tätigen Religionslehrer; auch pragmatische Duldung der beteiligten Kirchen reicht nicht aus. Vielmehr sind ein förmliches Einvernehmen der Kirchen und eine förmliche Erklärung gegenüber der jeweiligen Landesregierung erforderlich, daß der interkonfessionelle Unterricht mit ihren Grundsätzen übereinstimme 136.

VI. Religionsunterricht und Religionsfreiheit

1. Die Religionsunterrichtsgewährleistung

als institutionelle

Garantie

Art. 7 Abs. 3 Satz 1 GG bedeutet für den einfachen Gesetzgeber eine institutionelle Garantie 137 im Sinne der Gewährleistung einer im öffentlichen Recht verwur133

Vgl. Klaus Goßmann, Religionsunterricht in ökumenischer Offenheit, MD 1994, S. 46 ff.; Heinrich Döring u. a., Ist die Ökumene am Ende?, Regensburg 1994, S. 27 ff. 134 Vgl. Horst Gloy, Dem interreligiösen Religionsunterricht gehört die Zukunft, Neue Sammlung 1997, S. 23Iff. 13 5 Vgl. Johannes Brune, Sinnfindung in Freiheit - Katholischer Religionsunterricht und Lebensbildung, in: ders. (Hrsg.), Freiheit und Sinnsuche, Berlin 1993, S. 63 ff.; Rudolf Lennert, Immer noch: Der evangelische Religionsunterricht in der Schule, Neue Sammlung 1997, S. 271 ff.; Gottfried Adam, Evangelische ΒildungsVerantwortung heute, in: FS f. Kurt Niederwinner, Die Kirche als historische u. eschatologische Größe, Frankfurt/M. 1994, S. 245 ff. 136 Vgl. Joseph Listi , Zur Frage, ob einer Öffnung des bisher nach Konfessionen getrennt erteilten Religionsunterrichts für Schüler eines anderen Bekenntnisses in der Sekundafstufe II des Landes Baden-Württemberg rechtliche Bedenken entgegenstehen, in: ders. (Hrsg.), Der Religionsunterricht als bekenntnisgebundenes Lehrfach, Berlin 1983, S. 73 ff. 137 Einhellig wird die Gewährleistung des Religionsunterrichts als Einrichtungsgarantie angesehen. Vgl. BVerfGE 74, 244(252 f.); K. Stern, Das Staatsrecht der Bundesreprblik Deutschland, Bd. III/1,1988, S. 768, 775, 797, 799f., m. eingehenden Nachweisen S. 799f. Fn. 231; Chr. Link, a. a. Ο. (Fn. 40), S. 496; Alexander Hollerbach, Grundlagen des Staatskirchenrechts, in: J. Isensee/P. Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland (i. folg.: HdBStR), Bd. 6, Heidelberg 1989, § 138 Rdnr. 36; ders., Freiheit kirchlichen Wirkens, ebd. § 140 Rdnr. 34.

Β. Religiöse Bezüge hinsichtlich des Religionsunterrichts nach dem G G 2 4 9

zelten Einrichtung. Abgesehen von vertragsrechtlichen Bindungen könnte eine solche institutionelle Garantie, die jedenfalls den Staat zur Erteilung von Religionsunterricht als ordentliches Lehrfach verpflichtet, nur im Wege der Verfassungsänderung beseitigt werden 138 . Umstritten war jedoch bereits im Geltungszeitraum der Weimarer Verfassung, ob sich darüber hinaus aus dieser Gewährleistung ein subjektives Recht von Eltern und Religionsgemeinschaften auf eine derartige Einrichtung ergab 139 . Diese Kontroverse setzte sich auch nach 1949 fort, wenn sie sich auch angesichts fehlender aktueller Konflikte vor dem Beitritt der DDR weniger auf die Grundsatzfrage einer Erteilung von Religionsunterricht selbst konzentriete, als vielmehr auf die Sicherung von dessen Übereinstimmung mit den Grundsätzen der jeweiligen Religionsgemeinschaft (Art. 7 Abs. 3 Satz 2 GG). Dabei greift es indes zu kurz, wenn generell Eltern bzw. Schülern und Religionsgemeinschaften ein „Grundrecht auf Religionsunterricht" abgesprochen wird 1 4 0 . Zwar läßt sich allein aus der Aufnahme der Religionsunterrichtsgarantie in den Grundrechtsteil der Verfassung ein solches Grundrecht nicht herleiten, da Art. 7 GG - entsprechend deutscher Verfassungstradition - Einrichtungsgarantien, Grundrechtsnormen und Auslegungsregeln für den Bereich des Schulrechts enthält 1 4 1 . Für Art. 7 Abs. 3 GG wird indes allgemein den Religionsgemeinschaften eine Grundrechtsposition im Hinblick auf die Wahrung des Übereinstimmungsgebotes nach Satz 2 zuerkannt. Wenn dies auch noch nicht einen Anspruch auf Einrichtung von Religionsunterricht begründet, so zeigt sich daran doch, daß der institutionellen Garantie subjektive Berechtigungen auch außerhalb von Art. 7 Abs. 2 und Abs. 3 Satz 3 GG korrespondieren 142. 2. Die Religionsunterrichtsgewährleistung als subjektive Grundrechtsposition Zwar begründet das Religionsausübungsrecht des Art. 4 Abs. 1 und 2 GG für sich genommen keine unmittelbaren Leistungsansprüche an den Staat. Wo indes die Leistungspflicht bereits kraft objektiven Verfassungsrechts besteht, muß das Verfassungsgebot an den Schulgesetzgeber auch von den Begünstigten eingefordert werden können 143 . Gegenstand eines solchen Anspruchs ist aber im Geltungsbereich des Art. 7 Abs. 3 Satz 1 GG der Religionsunterricht als ordentliches Lehrfach, nicht nur als Veranstaltung der Religionsgemeinschaften in Schulräumen. Da >38 A. v. Campenhausen, a. a. Ο. (Fn. 96), S. 96. >39 Vgl. W. Landé, a. a. O. (Fn. 33), S. 25 ff. >40 So A. Hollerbach, a. a. O. (Fn. 137), § 140 Rdnr. 34. 141 BVerfGE 6, 309 (355). 142 Chr. Link, a. a. O. (Fn. 40), S. 496. 143 Vgl. Engelbert Groß, Die wichtigsten Gerichtsurteile zum Problem „Religion in der Schule", Kevelaer 1975.

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4. Kap.: Selbstverwirklichungsrecht hinsichtlich religiöser Bezüge in der Schule

seine Einrichtung als Pflichtfach für den Schulträger obligatorisch ist, korrespondiert das Recht der Religionsgemeinschaften aus Art. 4 Abs. 1 und 2 i. V. m. Art. 7 Abs. 3 Satz 1 GG gerade dieser Verpflichtung 144 . Nur eine solche Betrachtungsweise wird auch einer differenzierten dogmatischen Bestimmung des Rechtsgehalts von Einrichtungsgarantien gerecht. Im neueren Schriftum ist weitgehend anerkannt, daß nicht nur Instituts-, sondern auch institutionelle Garantien grundsätzlich eine subjektive Schutzberechtigung verleihen können. Sie „sind nicht nur um der Institution willen geschaffen, sondern dienen in den meisten Fällen auch individuellen Rechtssubjekten"145. Auch hinsichtlich der Privatschulen hat die Rechtsprechung über die Gründungsfreiheit hinaus subjektive Berechtigungen aus der institutionellen Garantie des Privatschulwesens hergeleitet 146. Die Religionsunterrichtsgarantie besteht daher nicht um ihrer selbst willen, sondern will Eltern, Schülern und Religionsgemeinschaften die Freiheit einer religiösen Erziehung sichern 147 . Ohne die rechtliche Möglichkeit, sie vom Gesetzgeber einzufordern, bliebe sie eine lex imperfecta. Daher ist eine Auslegung des Art. 7 Abs. 3 Satz 1 GG geboten, die die Wirkungskraft dieser Norm am stärksten entfaltet. Und das kann allein die Auslegung einer aus Art. 7 Abs. 3 Satz 1 GG abgeleiteten subjektiven Schutzberechtigung sein, die insoweit auch die grundrechtlichen Schutzpflichten des Gesetzgebers durch die Erfüllung des konkreten Verfassungsgebots in der allein zulässigen Form (Einrichtung als ordentliches Lehrfach) geltend zu machen vermag 148 .

3. Die individuelle und die korporative im Religionsunterricht

Religionsfreiheit

Die religionsrechtliche Ordnung in der Bundesrepublik Deutschland verbindet auf der Grundlage einer institutionellen und organisatorischen Trennung von Staat und Kirche und betonter religiöser und weltanschaulicher Neutralität des Staates die Gewähr einer umfassenden individuellen Religionsfreiheit mit der Garantie der freien Betätigung der Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften 149. Eine 144 BVerfGE 74, 244 (251). 145 K. Stern, a. a. O. (Fn. 137), S. 874. 146 BVerwGE 23, 347 (349 f.); 70,290 (292); vgl. auch BVerfGE 74,40 (61 f.); offengelassen in BVerfGE 90, 107 (114). 147 Vgl. Götz Doye/Christoph Scheilke, Bildung und Religion in der allgemeinbildenden Schule für alle Kinder und Jugendlichen - Zur Debatte um LER, Neue Sammlung 1997, S. 165 ff. 148 Chr. Link, a. a. O. (Fn. 40), S. 496ff. 149 Vgl. Martin Honecker, Religionsfreiheit und evangelische Glaubensüberzeugung, Der Staat 1984, S. 481 ff.; Jörg Müller-Volbehr, Neue Minderheitenreligionen - aktuelle verfassungsrechtliche Probleme, JZ 1981, S. 41 ff.; ders., Das Grundrecht der Religionsfreiheit und seine Schranken, DÖV 1995, S. 301 ff.

Β. Religiöse Bezüge hinsichtlich des Religionsunterrichts nach dem GG

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ausschließliche Interpretation des religiös-politischen Systems des Grundgesetzes vom Grundrecht der individuellen Glaubens- und Gewissensfreiheit her würde zu einer mehr oder weniger radikalen Privatisierung des religiös-weltanschaulichen Seinsbereichs führen. Damit würde dem Religionsunterricht im staatsrechtlich fixierten Bereich des Öffentlichen die Basis entzogen. Er müßte der Sache nach auf die von Elternhaus und Religionsgemeinschaften zu leistende religiöse Unterweisung beschränkt bleiben 150 . Art. 4 Abs. 1 und 2 GG, der die individuelle und die korporative Religionsfreiheit gewährleistet, erklärt damit die Religion nicht zur „Privatsache". Wie sämtliche Grundrechte, ist auch die Religionsfreiheit in allen individuellen und korporativen Erscheinungsformen in erster Linie um ihrer „positiven Ausübung willen" gewährleistet 151. Der Religionsunterricht als ordentliches Lehrfach erscheint damit als ,Ausfluß der positiven Religionsfreiheit" 152 . Da die Verfassung keine Hierarchie ihrer Normen kennt, stellt Art. 7 Abs. 3 GG keine schwächere Norm gegenüber Art. 4 Abs. 1 und 2 GG dar. Mit dem Bundesverfassungsgericht ist vielmehr davon auszugehen, daß die Einheit der Verfassung als eines logisch-teleologischen Sinngebildes das vornehmste Interpretationsprinzip für jede Verfassungsauslegung darstellt 153 . Erst das „Prinzip praktischer Konkordanz" verhilft beiden verbürgten Rechtsgütern zu optimaler verfassungsintendierter Wirksamkeit 154 . Aus dem religiös und weltanschaulich neutralen Chrarkter des Staatswesens der Bundesrepublik folgt, daß das Grundrecht der Religionsfreiheit nicht nur das Recht auf freie positive Religionsausübung, sondern gleichermaßen auch die Inanspruchnahme dieses Grundrechts in seiner negativen Erscheinungsform, d. h. die „negative Religionsfreiheit", gewährt. Bestandteil der negativen Religionsfreiheit ist vor allem das Recht, nicht zu religiösen Handlungen gezwungen zu werden. Das Grundgesetz läßt weder eine Absolutsetzung der positiven noch der negativen Religionsfreiheit zu, sondern fordert in dem ungeschriebenen Verfassungsgrundsatz der Toleranz einen ausgewogenen Ausgleich 155 . Auf dem Gebiet des Religionsunterrichts wird dieser Ausgleich dadurch erzielt, daß das Grundgesetz einerseits den Religionsunterricht an allen öffentlichen Schulen mit Ausnahme der bekenntnisfreien Schulen zum ordentlichen Lehrfach erklärt (Art. 7 Abs. 3 Satz 1 GG), daß es aber andererseits bestimmt, daß kein Schüler gelso W. Rees, a. a. O. (Fn. 81), S. 233. 151 Konrad Hesse, Zur Frage der Vereinbarkeit eines Schulgebetes an öffentlichen Volksschulen mit Art. I und II GG, ZevKR 25 (1980), S. 241; vgl. auch Christian Hillgruber, Der deutsche Kulturstaat und der muslimische Kulturimport, JZ 1999, S. 538 ff. 152 E. Friesenhahn, a. a. 0.(Fn. 97), S. 70. 153 BVerfGE 19, S. 206(220). 154 Konrad Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, 14. Aufl., Heidelberg 1984, Nr. 72, S. 27 mit Anm. 30. 155 Vgl. Meinhard Fehlau, Die Schranken der freien Religionsausübung, JuS 1993, S. 441 ff.; Peter Häberle, Grenzen aktiver Glaubensfreiheit, DÖV 1969, S. 385 ff.; Ludwig Renck, Über positive und negative Bekenntnisfreiheit, NVwZ 1994, S. 544 ff.

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4. Kap.: Selbstverwirklichungsrecht hinsichtlich religiöser Bezüge in der Schule

zwungen werden darf, gegen seinen Willen bzw. den seiner Erziehungsberechtigten am Religionsunterricht teilzunehmen (Art. 7 Abs. 2 GG). Dadurch wird dem Interesse derjenigen, für die die Religion die Grundlage der Erziehung bedeutet, ebenso Rechnung getragen, wie den Wünschen derjenigen, die der Religion ablehnend gegenüberstehen. Dieses Verfassungsverständnis berücksichtigt zugleich auch das Interesse der Religionsgemeinschaften an einer religiösen Erziehung und stellt die Integration dieser Erziehung in die gesamte Unterrichtskonzeption durch die staatliche Schulaufsicht sicher 156 . Weder aus dem Verbot der Staatskirche noch aus der daraus folgenden Pflicht zu religiöser und weltanschaulicher Neutralität, noch aus dem Grundrecht der Glaubens- und Gewissensfreiheit ergibt sich daher eine rechtliche Möglichekeit oder gar Notwendigkeit, den Religionsunterricht von der Schule fernzuhalten 157. Der Religionsunterricht wird auch vom Schutzbereich der Religionsfreiheit gedeckt, die den Religionsgemeinschaften als korporativen Grundrechtsträgern zusteht (Art. 4 Abs. 1 und 2 i.V. m. Art. 19 Abs. 3 GG) 1 5 8 . Das Grundrecht steht nicht unter Gesetzesvorbehalt. Es gelten nur die verfassungsimmanenten Schranken 159.

V I I . Die Rechtsstellung der Schüler, Eltern, Lehrer und Religionsgemeinschaften im Religionsunterricht

7. Schüler und Eltern Der Religionsunterricht ist Pflichtfach, muß also grundsätzlich von den Schülern der jeweiligen Konfession besucht werden. Diese Verpflichtung stößt indes gerade wegen der bekenntnismäßigen Ausrichtung des Faches auf die durch das Grundrecht der Glaubens- und Gewissensfreiheit (Art. 4 GG) gezogenen Grenzen. In Ausprägung dieses Grundrechts spricht Art. 7 Abs. 2 GG den Erziehungsberechtigten das Recht zu, über die Teilnahme des Kindes am Religionsunterricht zu bestimmen. Sie können den Schüler abmelden 160 . Die Einzelheiten ergeben sich aus dem Gesetz über die religiöse Kindererziehung (RKEG) vom 15. 7. 1921, das gemäß Art. 125 Nr. 1 i. V. m. Art. 74 Nr. 1 GG 156 Davon, daß durch die Erteilung des Religionsunterrichts die Gewissensfreiheit verletzt werde, kann daher keine Rede sein. Durch das von der Verfassung verbürgte Abmelderecht der Schüler und das Recht des Lehrers, die Erteilung des Religionsunterrichts zu verweigern, wird jeder Möglichkeit vorgebeugt, daß Religionsunterricht zu einem „Gewissenszwang" werden kann. Vgl. Joseph Listi, Glaubens-, Gewissens-, Bekenntnis- und Kirchenfreiheit, in: ders. /D. Pirson (Hrsg.), Handbuch des Staatskirchenrechts der Bundesrepublik Deutschland, 2. Aufl., Bd. I, Berlin 1994, § 14, S. 368 ff. 157 W. Rees, a. a. 0.(Fn. 81), S. 235. 158 Vgl. BVerfGE 24,236 (246 f.). 159 Vgl. BVerfGE 32,98 (107 f.); 33, 23 (28 ff.); 44, 37 (50); 52, 223 (246 ff.). ι 6 0 Vgl. Stefan Mückl, Staatskirchenrechtliche Regelungen zum Religionsunterricht, AöR 122(1997), S. 532 ff.

Β. Religiöse Bezüge hinsichtlich des Religionsunterrichts nach dem GG

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als Bundesrecht fortgilt 161 . Dies bedeutet: Zunächst bestimmen die Eltern über die Teilnahme am Religionsunterricht (§ 1 RKEG). Nach Vollendung des zwölften Lebensjahres darf das Kind nicht gegen seinen Willen in einem anderen Bekenntnis als bisher erzogen, also auch nicht vom Religionsunterricht ab- oder in den eines anderen Bekenntnisses umgemeldet werden (§ 5 S. 2 RKEG). Vom 14. Lebensjahr an ist der Schüler religionsmündig; er entscheidet allein über seine Teilnahme am Religionsunterricht (§ 5 S. 1 RKEG). In Bayern und im Saarland kann der Schüler den Religionsunterricht erst mit 18 Jahren ablehnen (Art. 137 Abs. 1 bayer. Verf., Art. 25 Abs. 3 BayEUG; Art. 29 Abs. 2 saarl. Verf., § 14 SchoG) 162 . Auch die Verfassung des Landes Rheinland-Pfalz gewährt dem Schüler ein Abmelderecht erst mit 18 Jahren (Art. 35); die rheinland-pfälzischen Schulordnungen halten jedoch im Interesse des religionsmündigen Schülers an dieser Altersgrenze nicht fest und räumen ihm bereits mit Vollendung des 14. Lebensjahres die Befugnis ein, die Teilnahme am Religionsunterricht abzulehnen163. Die Religionsmündigkeit des minderjährigen Schülers bedeutet nicht, daß das elterliche Erziehungsrecht auf religiösem Gebiet schlechthin erlischt. Vielmehr gewährt das aus Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG folgende Recht auf Pflege und Erziehung des Kindes trotz seiner Reduzierung durch § 5 RKEG den Eltern weiterhin die Befugnis, den Schüler in seinen religiösen Bemühungen zu unterstützen und Rechte, die er auf diesem Gebiete zu haben glaubt, mit der verwaltungsgerichtlichen Klage auch im eigenen Namen geltend zu machen 164 . Die Abmeldung vom Religionsunterricht hat in der Regel schriftlich zu erfolgen; in Baden-Württemberg müssen religionsmündige Minderjährige ihre Erklärung persönlich vor dem Schulleiter abgeben (§ 100 Abs. 2 SchulG). Regelungen, die eine Abmeldung nur zu einem bestimmten Zeitpunkt, ζ. B. zu Beginn des Schuljahres, zulassen, erscheinen aus verfassungsrechtlicher Sicht bedenklich. Schulorganisatorische Gesichtspunkte, so einleuchtend sie sein mögen, dürfen mit Rücksicht auf die überragende Bedeutung des Grundrechts der Glaubens- und Gewissensfreiheit nicht dazu führen, daß auch nur vorübergehend ein Teilnahmezwang ausgeübt wird. Diese Feststellung ändert nichts daran, daß die Abmeldung auch ohne Berufung auf weltanschauliche oder Gewissensgründe zulässig ist 1 6 5 . 161

Vgl. Thomas Würtenberger, Religionsmündigkeit, in: R. Bartlsperger/D. Ehlers/W. Hofmann/D. Pirson (Hrsg.), Rechtsstaat Kirche S inn Verantwortung, Festschrift für Klaus Obermayer zum 70. Geburtstag, München 1986, S. 113 ff. 162 Es ist umstritten, ob Landesverfassungsvorschriften eine von den Regelungen des RKEG abweichende Altersgrenze festsetzen können. Nach Ch. Link, a. a. O. (Fn. 40), 441 ff. kommt dem als Bundesrecht fortgeltenden RKEG wegen Art. 31 GG („Bundesrecht bricht Landesrecht") Vorrang zu. 163

H. Avenarius, Religionsunterricht und Verfassungsrecht, Die höhere Schule 1992, S. 126. 164 BVerwGE 68, 16(19); vgl. auch Michael Rupp, Die auf Art. 2 Abs. 1 GG gestützte Klagebefugnis gegen verfahrensfehlerhafte Verwaltungsakte, Diss., Saarland 1990. 165 Vgl. E. Stein, Weltanschauung und Religion im Schulunterricht, RdJ 1967, S. 29 ff. 17 Hsu

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4. Kap.: Selbstverwirklichungsrecht hinsichtlich religiöser Bezüge in der Schule

Art. 7 Abs 2 GG steht zwar in Zusammenhang mit Art. 4 Abs. 1 GG, sieht jedoch - im Unterschied zum Grundrecht der Kriegsdienstverweigerung (Art. 4 Abs. 3 GG) - davon ab, nach der Art der Motive zu differenzieren. Daher sind Eltern und Schüler nicht verpflichtet, die Gründe ihrer Entscheidung mitzuteilen. Der Sache des Religionsunterrichts wäre zu dem nicht damit gedient, wenn sie ihre Erwägungen offenbaren müßten. Die Schüler würden entweder nur widerwillig am Unterricht teilnehmen oder aber Glaubens- und Gewissensgründe vorspiegeln 166. Das Bundesverfassungsgericht hat offengelassen, ob aus dem Prinzip der Konfessionalität des Unterrichts auch das der konfessionalen Homogenität der Schüler abzuleiten ist. Es hat lediglich festgestellt, daß durch die Teilnahme von Schülern einer anderen Konfession am Religionsunterricht das in Art. 7 Abs. 3 S. 2 GG gewährleistete Selbstbestimmungsrecht berührt ist. Denn die Zusammensetzung des Teilnehmerkreises hat unmittelbare Rückwirkungen auf die Unterrichtsgestaltung. Namentlich beim Religionsunterricht liegt es auf der Hand, daß die Vermittlung von Glaubenssätzen gegenüber Angehörigen eines fremden Bekenntnisses inhaltlich und didaktisch einen anderen Ablauf der Lehrveranstaltung erfordern kann als bei Konfessionszugehörigen 167. Daraus hat das Bundesverfassungsgericht mit Recht abgeleitet, daß die Entscheidung über die Zulassung nicht konfessionsangehöriger Schüler von der betreffenden Religionsgemeinschaft zu treffen ist. „Ihnen darf kein Angehöriger einer anderen Konfession gegen ihren Willen aufgedrängt werden" 1 6 8 . Damit ist die Auffassung bestätigt, daß die Verfassung nur von einem Abmelderecht, nicht aber von einem Ummelderecht ausgeht. Es gibt keinen Anspruch des Schülers, in einem Religionsunterricht der anderen Konfession zugelassen zu werden 169 . Entgegen immer wieder vorgetragener Vermutung ist der Religionsunterricht kein Vorrecht der beiden großen christlichen Kirchen. Die Zulassung eines Religionsunterrichts ist auch nicht davon abhängig, daß die betreffende Religionsgemeinschaft den Status einer Körperschaft des öffentlichen Rechts genießt. Grundsätzlich ist der Unterricht auch für Minderheiten und Angehörige nicht christlicher Religionen einzurichten, sofern überhaupt genügend Schüler der betreffenden Konfession vorhanden sind 170 . Das Elternrecht des Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG, das i.V.m. Art 4 Abs. 1 und 2 GG die religiöse und weltanschauliche Erziehungsfreiheit einschließt, endet nicht vor den 166

H. Heckel/H. Avenarius, S. 361 f. 167 BVerfGE 74, 244.

Schulrechtskunde, 6. Aufl., Neuwied, Darmstadt 1986,

168 BVerfGE 74, 244 (254 f.). 169 H. Avenarius, Die höhere Schule 1992, S. 125 f. 170 Ausschlaggebend ist hier also kein religiöser Gesichtspunkt, sondern ein religiös neutraler, daß nämlich eine Mindestzahl von Schülern vorhanden sein muß, damit der Aufwand gerechtfertigt werden kann. In Baden-Württemberg genügt schon die Anzahl von acht Schülern an einer Schule (§ 96 Abs. 3 SchulG in der Fassung v. 1. 8. 1983, Gbl. S. 397, zul. geänd. durch Art. 5 Ges. v. 4. 6. 1991, Gbl. S. 299).

Β. Religiöse Bezüge hinsichtlich des Religionsunterrichts nach dem GG

255

Schultoren, es ist auch dem in Art. 7 Abs. 1 GG verankerten staatlichen Erziehungsauftrag nicht etwa nach-, sondern gleichgeordnet. Gegenüber der die Weimarer Reichsverfassung beherrschenden Vorstellung einer im wesentlichen unbeschränkten staatlichen Schulhoheit hat das Grundgesetz das individualrechtliche Moment im gesamten Erziehungsbereich verstärkt und den Eltern damit auch gegenüber der schulischen Erziehung größeren Einfluß eingeräumt 171.

2. Lehrer Der Staat darf mit Rücksicht auf die gebotene Übereinstimmung des Religionsunterrichts mit den Grundsätzen der Religionsgemeinschaften nur solche Personen als Religionslehrer einsetzen, denen durch ihre jeweilige Religionsgemeinschaften eine Bevollmächtigung verliehen worden ist. Der Entzug der Bevollmächtigung der Religionsgemeinschaften hat zur Folge, daß die staatliche Schulbehörde den Lehrer nicht länger mit der Erteilung des Religionsunterrichts betrauen darf 172 . Umgekehrt ist ein Lehrer, selbst wenn er über die Religionsfakultas verfügt, nicht verpflichtet, gegen seinen Willen Religionsunterricht zu erteilen (Art. 7 Abs. 3 S. 3 GG). Dieses Grundrecht ist wie das Abmelderecht der Schüler und Eltern Ausdruck der durch Art. 4 GG verbürgten Glaubens- und Gewissensfreiheit. Auf welchen Gründen die Weigerung beruht, ist ohne Belang 173 . Auch braucht der Lehrer die der Ablehnung zugrunde liegenden Motive nicht mitzuteilen; das folgt schon aus dem Umstand, daß nach Art. 140 GG i.V.m. Art. 136 Abs. 3 S. 1 WRV niemand zur Offenbarung seiner religiösen Überzeugung verpflichtet ist. Aus der Weigerung dürfen dem Lehrer keine dienstlichen und persönlichen Nachteile erwachsen. Nicht nur eine Entlassung ist ausgeschlossen. Auch das berufliche Weiterkommen darf nicht behindert werden. Das Benachteiligungsverbot ergibt sich aus der Erwägung, daß andernfalls die Grundrechtsverbürgung nur auf dem Papier stünde 174 . Keineswegs aber ist der Lehrer befugt, nun seine persönlichen Überzeugungen mit dem ganzen Gewicht seiner Autorität den Schülern aufzudrängen. Wie jeder Lehrer im allgemeinen Unterricht für die ganze staatliche Gemeinschaft zu handeln und ihre geistigen Strömungen angemessen zu berücksichtigen hat, ist der Religionslehrer verpflichtet, objektiv für seine ganze Religionsgemeinschaft einzutreten und alle Strömungen in ihr den Kindern neutral und ohne Stellungnahme für eine von ihnen darzustellen 175. Das ist umso schwieriger, je verschiedener die πι BVerfGE 34, 165 (183); 41, 29 (44ff.); 47,46 (72); 52,223 (236); 59, 360 (379). 172 Η. Avenarius, Die höhere Schule 1992, S. 126. 173 Vgl. /. v. Münch, Grundgesetz-Kommentar, Bd. 1, 4. Aufl., München 1992, Art. 7 Rdnr. 28. 174 Vgl. Th. Maunz, in: Maunz/Dürig: Kommentar zum Grundgesetz, Art. 7 Rdnr. 55. 175 Vgl. Bernd Martin Groh, Lehrer und Jugendreligionen- Zwischen Indoktrination und Religionsfreiheit, RdJB 1984, S. 109 ff. 17*

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4. Kap.: Selbstverwirklichungsrecht hinsichtlich religiöser Bezüge in der Schule

Ansichten sind, die innerhalb einer Religionsgemeinschaft vertreten werden. Der Lehrer darf weder die Positionen eines „liberalen" Flügels noch die hiergegen geäußerten Bedenken eines „konservativen" Flügels verschweigen und muß sich bemühen, das Für und Wider sachlich zu schildern, ohne das Gewicht seines Einflusses auf die Kinder in die eine oder andere Waagschale zu werfen 176 .

3. Religionsgemeinschaften a) Die Bedeutung der Religionsgemeinschaften im Grundgesetz Die Rechtsstellung der Religionsgemeinschaften im Hinblick auf den Religionsunterricht ist mit derjenigen von Eltern und Schülern notwendigerweise eng verknüpft. Diese können das Recht auf Religionsunterricht nur dann einfordern, wenn sich die jeweilige Religionsgemeinschaft zu einer Mitwirkung gem. Art. 7 Abs. 3 Satz 2 GG bereitfindet 177 . Die Religionsgemeinschaften erfüllen ihre Aufgabe als eigenständige Bildungsbeauftagte, erfüllen ihren ureigenen Auftrag einer Unterrichtung der Heranwachsenden in der Religionslehre und den sich daraus ergebenden individual- wie sozialethischen Konsequenzen. Ist also die Religionsunterrichtsgewährleistung des Art. 7 Abs. 3 Satz 1 GG auf Schüler- und Elternseite nur im Kontext von Religionsfreiheit und Elternrecht auszulegen, so gilt dies im Hinblick auf die Religionsfreiheit gleichermaßen für die Religionsgemeinschaften. Auch im wissenschaftlichen Schriftum ist ein grundrechtlicher Anspruch der Religionsgemeinschaften auf Einrichtung des Religionsunterrichts ganz überwiegend anerkannt 178. Zwar ist der Religionsunterricht als ordentliches Lehrfach - anknüpfend an die traditionelle Ausgestaltung des deutschen Schulrechts - staatliche Lehrveranstaltung, d. h. der jeweilige öffentlich-rechtliche Schulträger ist „Unternehmer" des Religionsunterrichts 179. Dies schließt eine auch organisationsrechtliche Verkirchlichung aus. Es bedeutet aber nur, daß die Religionsgemeinschaften insoweit kein Recht auf die Schule haben, nicht aber, daß ihnen - auch außerhalb von Art. 7 Abs. 3 Satz 2 GG - keine Rechte in der Schule zukommen. Religionsunterricht ist deshalb sicher nicht allein eine Funktion der Freiheit der Religionsgemeinschaf176 Vgl. E. Stein, Das Recht des Kindes auf Selbstentfaltung in der Schule, Neuwied 1967, S. 68 f. 177 Vgl. J. Oebbecke, Reichweite und Voraussetzungen der grundgesetzlichen Garantie des Religionsunterrichts, DVB1. 1996, S. 336ff.; Christoph Link, Zeugen Jehovas und Körperschaftsstatus, ZevKR 43 (1998), S. 2 ff. 178 Vgl. Jörg Winter, Zur Anwendung des Art. 7 III GG in den neuen Ländern der Bundesrepublik Deutschland, NVwZ 1991, S. 753 ff. (754 f.); Th. Maunz, GG, Art. 7 Rdnr. 47; K. Hemmrick, in: v. Münch-Kunig (Hrsg.), Bd. 1, 4. Aufl. 1992, Art. 7 Rdnr. 23; Chr. Link, a. a. O. (Fn. 40), S. 441; J. Oebbcke, DVB1. 1996, S. 339; W. Rees, a. a. O. (Fn. 81), S. 228 m.w. N. 179 Chr. Link, a. a. O. (Fn. 40), S. 459 ff.

Β. Religiöse Bezüge hinsichtlich des Religionsunterrichts nach dem G G 2 5 7

ten, sondern primär Ausdruck wahrgenommener Religionsfreiheit der Eltern und Schüler 180 .

b) Das Mitgestaltungsrecht der Religionsgemeinschaften Der Religionsunterricht wird „in Übereinstimmung mit den Grundsätzen der Religionsgemeinschaften erteilt" ( Art. 7 Abs. 3 Satz 2 GG). Das bedeutet - wie es bisher schon allgemein vertretene Auffassug war und wie nunmehr auch das Bundesverfassungsgericht festgestellt hat - , daß grundsätzlich die Vorstellungen der Religionsgemeinschaften über Inhalt und Ziel der Lehrveranstaltung maßgeblich sind. Das Bundesverfassungsgericht hat auch die damit einhergehende Implikation offen ausgesprochen: »Ändert sich deren Verständnis vom Religionsunterricht, muß der religiös neutrale Staat dies hinnehmen." 181 Allerdings sind diesem inhaltlichen Gestaltungsrecht der Religionsgemeinschaften auch verfassungsrechtliche Grenzen gesteckt. Die eine Grenze ist durch den Verfassungsbegriff „Religionsunterricht" gezogen, wie das Bundesverfassungsgericht - wiederum im Anschluß an die herrschende Lehre - richtig erkannt hat: ,Auch wenn dieser Begriff nicht in jeder Hinsicht festgelegt ist, sondern wie der übrige Inhalt der Verfassung in die Zeit hinein offen bleiben muß, um die Lösung von zeitbezogenen und damit wandelbaren Problemen zu gewährleisten, verbietet sich eine Veränderung des Fachs in seiner besonderen Prägung, also in seinem verfassungsrechtlich bestimmten Kern." 1 8 2 Die andere Grenze wird vom Bundesverfassungsgericht nicht eigens genannt, ist aber nicht weniger deutlich normiert: das Gestaltungsrecht der Religionsgemeinschaften besteht nur „unbeschadet des staatlichen Aufsichtsrechtes". Außerdem setzt die Herbeiführung einer " Übereinstimmung" voraus, daß zwei mitzureden haben. Ebensowenig wie der Staat verpflichtet ist, „jede denkbare Definition der Religionsgemeinschaften als verbindlich anzuerkennen", muß er jede inhaltliche Gestaltung hinnehmen. Insbesondere gelten die grundlegenden Erziehungsziele auch für den Religionsunterricht 183. Diese sind in Landesverfassungen und Schulgesetzen normiert, werden aber auch aus dem Grundgesetz abgeleitet und verpflichten die Schulen zu einer „Erziehung zu toleranter, demokratischer Gesinnung und sozialer Verantwortlichkeit auf der Grundlage individueller Selbstbestimmung der Menschen" 184 bzw. Erziehung zu Toleranz und Verhinderung der Verletzung der Gefühle Andersdenkender 185. 180 J. Winter, NVwZ 1991, S. 754. 181 BVerfGE 74, 244 (252). 182 BVerfGE 74 (252 f.). 183 Vgl. F. Müller/B. Pieroth, Religionsungerricht als ordentliches Lehrfach, Berlin 1974. 184 F. Müller, Das Recht der Freien Schule nach dem Grundgesetz, Berlin 1982, S. 135. 185 Vgl. H.-U. Evers, a. a. Ο. (Fn. 27), S. 154.

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4. Kap.: Selbstverwirklichungsrecht hinsichtlich religiöser Bezüge in der Schule

Die Erziehungsziele des Religionsunterrichts werden grundsätzlich festgelegt von der jeweiligen Religionsgemeinschaft. Sie richten sich aus auf ein ganzheitliches Konzept von Wahrheit, Sittlichkeit und Lebenssinn. Sie greifen weiter als die schulischen Erziehungsziele des Staates, der, durch Säkularität und Neutralitätsgebot begrenzt, sich mit keiner Religion und Weltanschauung identifiziert, der aber die für alle zumutbaren Toleranzbedingungen eines gedeihlichen Zusammenlebens in der pluralistischen Gesellschaft pädagogisch einwerben und das ethische Fundament der Freiheit sichern w i l l 1 8 6 . Voraussetzung für die inhaltliche Gestaltung durch die Religionsgemeinschaften ist allerdings - neben den bereits genannten verfassungsrechtlichen Grenzen des Begriffs „Religionsunterricht" und der Einhaltung der grundlegenden staatlichen Erziehungsziele - , daß die zuständigen Organe der jeweiligen Religionsgemeinschaft eine eventuelle inhaltliche Neuorientierung rechtsverbindlich zum Ausdruck bringen. Die Religionslehrer dürfen also nicht auf eigene Faust handeln, auch wenn sie die Rückendeckung der religionspädagogischen Wissenschaft haben sollten 1 8 7 . Aus Gründen der Rechtsklarheit ist auch zu fordern, daß entsprechende Akte förmlich erklärt werden; eine bloße Duldung der beteiligten Religionsgemeinschaften reicht also nicht aus 188 . Für die Frage, inwieweit eine Öffnung des Religionsunterrichts, etwa als konfessionell-kooperativer, bikonfessioneller, interkonfessioneller oder multikonfessioneller Religionsunterricht 189, zulässig ist, kommt es auf die Qualifizierung der Entscheidung über den Teilnehmerkreis an: als organisatorische unterläge sie der staatlichen Schulaufsicht, als inhaltliche fiele sie in das Mitgestaltungsrecht der Religionsgemeinschaften. Die Bestimmung der Teilnehmer hat immer einen organisatorischen Aspekt, weil sie verfahrensmäßig in Raum und Zeit bewältigt werden muß 1 9 0 . >86 Vgl. H.-U. Evers, a. a. O. (Fn. 27), S. 73 ff. !87 Vgl. Günter Stachel, Ansätze empirischer Religionspädagogik, in: Klaus Porstner/ Nikolaus Severinski (Hrsg.), Religionsunterricht und „Offene Gesellschaft", Wien 1984, S. 12 ff. 188 Bodo Pieroth, Die verfassungsrechtliche Zulässigkeit einer Öffnung des Religionsunterrichts, ZevKR 38 (1993), S. 196 f. 189

Vgl. Karl Ernst Nipkow, Ziele interreligiösen Lernens als mehrdimensionales Problem, in: J. A. van der Ven/H.-G. Ziebertz (Hrsg.), Religiöser Pluralismus und Interreligiöses Lernen, Weinheim 1994, S. 197 ff.; Johannes A. van der Ven/Hans-Georg Ziebertz, Auf dem Weg zu einer Interreligiösen Kommunikation, in: ders. (Hrsg.), Religiöser Pluralismus und Interreligiöses Lernen, Weinheim 1994, S. 7 ff. 190 Nach Th. Maunz, GG, Art. 7, Rdnr. 50, ist die Zusammensetzung des Kreises der Schüler „als eine organisatorische Maßnahme Sache des Staates". Das Bundesverfassungsgericht hat hierbei aber auch die Grundsätze der Religionsgemeinschaften als berührt angesehen: Denn die Zusammensetzung des Teilnehmerkreises hat unmittelbare Rückwirkungen auf die Unterrichtsgestaltung. Namentlich beim Religionsunterricht liegt es auf der Hand, daß die Vermittlung von Glaubenssätzen gegenüber Angehörigen eines fremden Bekenntnisses inhaltlich und didaktisch einen anderen Ablauf der Lehrveranstaltung erfordern kann als bei Konfessionszugehörigen. Vgl. BVerfGE 74, 244 (254 f.)

C. Selbstverwirklichungsrecht und religiöse Bezüge im pluralistischen Kulturstaat

259

Das Mitgestaltungsrecht der Religionsgemeinschaften umfaßt - bei Wahrung eines ordnungsgemäßen Schulbetriebs - die Öffnung des Religionsunterrichts. Das Verfassungsrecht steht einem bikonfessionellen, interkonfessionellen, multikonfessionellen und ökumenischen Religionsunterricht nicht entgegen. Es besteht also durchaus Spielraum für religionspädagogische Reformen. Nur müssen sie religionsgemeinschaftenintern formuliert und durchgesetzt werden 191 .

C. Selbstverwirklichungsrecht des Schülers und religiöse Bezüge in der Schule im pluralistischen Kulturstaat I. Die religiösen Bezüge in der Schule und das Selbstverwirklichungsrecht des Schülers hinsichtlich des Religionsunterrichts

1. Die religiösen Bezüge in der Schule im säkularen Kulturstaat hinsichtlich des Religionsunterrichts Es ist die Säkularität des Staates, die aus den Religionskämpfen der frühen Neuzeit und aus der Aufklärung hervorgegangen ist. Diese Säkularität wahrt in der modernen Gesellschaft die Freiheit. Und diese Freiheit ist allemal auch die Freiheit des Andersdenkenden und die von Minderheiten. Mittel zur Sicherung der Freiheit und des Friedens aber ist das Recht 192 . Indem freilich der moderne, säkulare Verfassungsstaat an das Recht gebunden wird, das Recht als Steuerungsmittel der Gesellschaft einsetzt, sich als Rechtsstaat konstituiert, bleibt er an den Begriff des Rechtes rückgebunden, bleibt ihm trotz aller Neutralität gleichsam ein Restbestand an inhaltlicher Wertbindung, der über die Neutralität hinausträgt. Auch der säkulare Staat ist nicht wertfrei 193 . Seine Grundwerte kommen wiederum aus der Menschenwürde. Sie finden ihren Ausdruck in den Menschenrechten, die auch im Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland positiviert sind und dort eine spezifische Ausprägung gefunden haben. Hinter allen Grundrechten steht die Idee der Menschenwürde als der nicht mehr hinterfragbaren Selbstverwirklichung des Individuums im säkularen Verfassungs- und Kulturstaat 194 . 191 Β. Pieroth, a. a. 0.(Fn. 188), S. 201. 192 Hierzu grundlegend Ernst-Wolfgang Böckenförde, Die Entstehung des Staates als Vorgang der Säkularisation, in: ders.: Recht, Staat, Freiheit, Frankfurt/M. 1991, S. 92ff.; vgl. auch Klaus Schiaich, Konfessionalität - Säkularität - Offenheit. Der christliche Glaube und der freiheitlich-demokratische Verfassungsstaat (1985), in: M. Heckel/W. Heun (Hrsg.), Gesammelte Aufsätze für Klaus Schiaich, Tübingen 1997, S. 423 ff. 193 Vgl. hierzu Emst-Wolfgang Böckenförde, Der Staat als sittlicher Staat, Berlin 1978; Thomas Würtenberger, Zu den Voraussetzungen des freiheitlichen, säkularen Staates, in: W. Brugger/S. Huster (Hrsg.), Der Streit um das Kreuz in der Schule, Baden-Baden 1998, S. 277 ff. 194 Vgl. F. J. Hennecke, Rechtsprobleme religiöser Mindeheiten im öffentlichen Schulwesen der Bundesrepublik Deutschland, in: Jahrbuch zur Staats- und Verwaltungswissenschaft, Baden-Baden 1996, S. 83.

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4. Kap.: Selbstverwirklichungsrecht hinsichtlich religiöser Bezüge in der Schule

Die Staatsorgane des säkularen Staates besitzen keine Kompetenz zur eigenen etatistischen Bestimmung und Bewertung der religiösen Gehalte. Dies ist vom Bundesverfassungsgericht in einer festen Judikatur als bestimmende Grundlinie des Religionsrechts an ganz unterschiedlichen Ausgangsfällen entwickelt worden, die darin ihre einheitliche Klammer finden 195. Dies gilt nicht nur hinsichtlich der individuellen Religionsfreiheit in Auslegung des Art. 4 GG, sondern auch hinsichtlich der korporativen Religionsfreiheit bei der Bestimmung der „eigenen Angelegenheiten" der Religionsgemeinschaften gemäß Art. 4,140 GG /137 ΠΙ WRV 1 9 6 . Wo der säkulare Kulturstaat mit religiösen Phänomenen zu tun bekommt, darf er den religiösen Sinngehalt nicht eliminieren bzw. ignorieren 197 , sondern muß ihn in den verfassungsrechtlich gebotenen Grenzen respektieren. Denn dies gebietet die Ausstrahlungswirkung der Religionsfreiheitsgarantie als subjektives Recht und als Teil der „objektiven Wertordnung" bzw. „wertentscheidende Grundsatznorm". Seine Kompetenz ist dabei auf die Ordnung der weltlichen Rahmenbedingungen und die Entscheidung der weltlichen Aspekte und Maßstabskriterien beschränkt, während er die Bestimmung der spezifisch religiösen Inhalte und Maßstäbe den betroffenen Grundrechtsträgern, Individuen wie Religionsgemeinschaften zu überlassen hat 1 9 8 . Die fehlende Kompetenz der Staatsorgane zur Bestimmung und Bewertung des Religiösen ist die Folge des großen Säkularisierungsprozesses der Neuzeit, durch den der christliche Staat zum säkularen, konfessionell-neutralen Staat geworden ist 1 9 9 . Das Religionsrecht hat sich zu säkularen Rahmennormen für alle Religionen und Weltanschauungen einschließlich der Religionslosigkeit und Religionsfeindschaft verwandelt 200 . Die traditionsschweren Begriffe „Glaube", ,3ekenntnis", „Freiheit", „Religionsausübung", „Gottesdienst", „Seelsorge", „kirchliches A m t " 2 0 1 , haben ihre alte theologische Bedeutung i.S. des früheren Staatsbekenntnisses abgestreift und sind zu offenen säkularen Rahmenbegriffen des weltlichen Rechts für die verschiedensten Religionsgemeinschaften geworden 202 . Nach der 195 Vgl. BVerfGE 12, 1 (4) ; 12, 45 (56) ; 32, 98 (106) ; 33, 23 (29) ; 41, 65 (84) ; 42, 312 (330); 52,223 (289); 74, 244 (252). 196 M. Heckel, a. a. O. (Fn. 50), S. 465. 197 Vgl. Johannes A. van der Ven, Kontingenz und Religion in einer säkularisierten und multikulturellen Gesellschaft, in: ders./H.-G. Ziebertz (Hrsg.), Religiöser Pluralismus und Interreligiöses Lernen, Weinheim 1994, S. 15 ff. 198 Martin Heckel, Die theologischen Fakultäten im weltlichen Verfassungsstaat, Tübingen 1986, S. 23 f. 199 M. Heckel, a. a. O. (Fn. 50), S. 465. 200 Vgl. Dirk Ehlers, Rechtstheologische und säkulare Aspekte des evangelischen Kirchenrechts, in: R. Bartlsperger/ders./W. Hofmann/ D. Pirson (Hrsg.), Rechtsstaat Kirche Sinnverantwortung, Festschrift für Klaus Obermayer zum 70. Geburtstag, München 1986, S. 275 ff. 201 Vgl. Ralf Dreier, Das kirchliche Amt, München 1972.

C. Selbstverwirklichungsrecht und religiöse Bezüge im pluralistischen Kulturstaat

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Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist es allein die Sache der Bürger und der Religionsgemeinschaften, als Grundrechtsträger den Sinn, den Inhalt und die Ausübungsformen ihrer Religionsfreiheit ohne Zwang und Fremdbestimmung durch den Staat und durch andere Religionsgemeinschaften zu bestimmen 203 . Der Säkularisierungsprozeß ist so im freiheitlichen Verfassungsstaat durch seine Offenheit für die Freiheit des Religiösen bestimmt. Die Säkularisierung hat deshalb die Machtansprüche und Zwangsstrukturen des Konstantinischen Verbundsystems aufgelöst und das konfessionell geschlossene Staatskirchenrecht des christlichen Staates zu religiös relativierten Rahmenformen erweitert. Aber sie gibt in der Offenheit ihrer religiös neutralen Rahmennormen Freiheit zur religiösen Selbstverwirklichung, indem sie sich eben in säkularer Selbstbeschränkung auf die säkularen Rahmenbedingungen und Maßstäbe beschränkt 204. Der Religionsunterricht soll für den säkularen Verfassungsstaat deshalb insgesamt als „tolerant-religiöser Lernprozeß" dienen 205 . Hier sollen die Andersgläubigen und die Atheisten, die nicht daran teilnehmen, keiner unzulässigen religiösen Missionierung durch den religiös neutralen Staat ausgesetzt sein 206 . Der Religionsunterricht als tolerant-religiöser Lernprozeß in der staatlichen Pflichtschule soll dabei nur kulturgeschichtliche Erinnerungen an die vergangenen, im Säkularisierungsprozeß überwundenen religiösen Ursachen der Gegenwartskultur wachhalten. Der Religionsunterricht als tolerant-religiöser Lernprozeß hat auch einen weiteren Sinn und eine tiefere Bedeutung sowohl für das Kultur- wie für das Staatsverständnis: der weltliche Staat der freien und offenen Verfassung hat sich nicht einem religionslosen oder religionsfeindlichen Kulturbegriff als Leitbild seiner Erziehung und seiner Kulturpflege verschrieben, sondern er darf und will durch den Religionsunterricht seine Kulturverantwortung 207 für die freie Entfaltung der religiösen Erziehung wahrnehmen 208. Der Religionsunterricht als tolerant-religiöser Lernprozeß in der staatlichen Pflichtschule ist also nicht um der christlichen Religion willen da, auch nicht um der christlichen Kirchen willen. Er ist um der Bürger (also um ihrer religiösen Selbstverwirklichung) im säkularen pluralistischen Kulturstaat willen da 2 0 9 . 202 Martin Heckel, Gleichheit oder Privilegien? Der Allgemeine und der Besondere Gleichheitssatz im Staatskirchenrecht, Jus Ecclesiaticum Bd. 47, Tübingen 1993, S. 39 ff. 203 Vgl. R. Herzog, Art. 4, in: Maunz/Dürig, GG Kommentar, Rdnr. 105. 204 Vgl. M. Heckel, a. a. O. (Fn. 50), S. 466 f. 205 Vgl. Michael Tiedtke/Andeas Wernet, Säkularisierte Prophetie, Z. f. Päd, 1998, S. 737 ff.; Heinz-Günther Stobbe, Ehrfurcht und Achtsamkeit. Religiöse Grundlagen der Toleranz, in: /. Broer/R. Schlüter (Hrsg.), Christentum und Toleranz, Darmstadt 1996, S. 122 ff. 206 Vgl. M. Heckel, a. a. O. (Fn. 50), S. 464. 207 D. Grimm, VVDStRL 42 (1984), S. 46 ff. 208 Vgl. M. Heckel, a. a. O. (Fn. 50), S. 468. 209 Vgl. J. Isensee, Bildersturm durch Grundrechtsinterpretation. Der Kruzifix-Beschluß des BVerfG, ZRP 1996 , S. 15.

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4. Kap.: Selbstverwirklichungsrecht hinsichtlich religiöser Bezüge in der Schule

2. Die religiösen Bezüge in der Schule im pluralistischen hinsichtlich des Religionsunterrichts

Kulturstaat

Der religiöse Pluralismus im Kulturstaat ist ein umfassender objektiver weltlicher Ausgleichsgrundsatz in Frieden, Freiheit und Gleichheit 210 , der einerseits die Menschenwürde der Bürger im religiösen Kernbereich zur religiösen Selbstverwirklichung bringt, andererseits die Konkurrenz und die Konflikte der disparaten und divergenten Religionen, Konfessionen und Ideologien zum allseits zumutbaren Ausgleich führt 211 . Die Kulturbedeutung des Religionsunterrichts im pluralistischen Kulturstaatsbereich und im allgemeinen Erziehungsziel der staatlichen Pflichtschule ist für alle Bürger und gesellschaftlichen Gruppen im gerade aufgezeigten Sinn als tolerantreligiöser Lernprozeß inhaltlich gleich und von gleicher Verpflichtungskraft 212. Der Religionsunterricht als tolerant-religiöser Lernprozeß ist entgegen immer wieder vorgebrachtem Verdacht auch kein Verstoß gegen den Grundsatz religiös-weltanschaulicher Neutralität des Staates. Neutralität schließt zwar die Identifikation des Staates mit einer Religion oder Weltanschauung aus. Sie bedeutet aber zugleich Offenheit für die Meinungen und religiösen Optionen, die bei den Staatsbürgern vorkommen. Dabei wird die Statistik nicht unberücksichtigt bleiben können. Der Staat ist pluralistisch und offen für alle Optionen, für alle Institutionen, Religionsgemeinschaften, und auch für den Bildungskanon, welcher durch die konkrete Geschichte der Menschenwürde geprägt worden ist. Der religiös neutrale Staat ist der Staat aller Bürger und der in ihm lebenden Gruppen und Institutionen. Darin findet er seine Identität 213 . Der Gang der Untersuchung hat gezeigt, daß der Religionsunterricht als tolerant-religiöser Lernprozeß durch die Verfassung im pluralistischen Kulturstaat besonders geschützt ist 2 1 4 . Kein anderes Lehrfach ist im Grundgesetz abgesichert und wird so bevorzugt behandelt wie der Religionsunterricht. Keine gesellschaftliche Organisation hat im öffentlichen Schulwesen soviel Einflußmöglichkeiten wie die Religionsgemeinschaften im pluralistischen Kulturstaat. Die verfassungsrechtliche Garantie des Religionsunterrichts als tolerant-religiöser Lernprozeß kann seine Existenz nur dann sichern, wenn er von Schülern, Eltern und Lehrern

210 Vgl. M. Heckel, a. a. O. (Fn. 202). 211 Vgl. Martin Heckel, Religionsfreiheit im säkularen pluralistischen Verfassungsstaat, in: B. Ziemske/T. Langheid/H. Wilms/G. Haverkate (Hrsg.), Festschrift für Martin Kriele zum 65. Geburtstag, Staatsphilosophie und Rechtspolitik, München 1997, S. 300. 212 Vgl. M. Heckel, a. a. O. (Fn. 50), S. 468. 213 Vgl. Josef Isensee, Gemeinwohl und Staatsaufgaben im Verfassungsstaat, in: J. Isensee/P. Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. III, Heidelberg 1989, § 57, Rdnr. 7 ff. 214 Vgl. Jürgen Werbick, Toleranz und Pluralismus, in: /. Broer/R. Schlüter (Hrsg.), Christentum und Toleranz, Darmstadt 1996, S. 107 ff.

C. Selbstverwirklichungsrecht und religiöse Bezüge im pluralistischen Kulturstaat

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sowie - das muß man heute hinzufügen - von den Religionsgemeinschaften ernstgenommen und angenommen wird 2 1 5 . Ob Schüler zur Teilnahme am Religionsunterricht nur der eigenen Konfession zugelassen sind, ist eine Frage, welche nur die Religionsgemeinschaften beantworten können. Der Rechtsbegriff des Religionsunterrichts setzt freilich voraus, daß grundsätzlich Religionsunterricht der eigenen Konfession Pflicht ist. Dafür spricht, daß der konfessionell neutrale Staat im pluralistischen Kulturstaat für eine Verpflichtung, die in den Bereich von Glauben und Religion hineinreicht, überhaupt nur an das Moment der formellen Konfessionszugehörigkeit anknüpfen darf 216 . Die Verfassungsgarantie des Religionsunterrichts als tolerant-religiöser Lernprozeß im pluralistischen Kulturstaat trägt dem Umstand Rechnung, daß der Verfassungsstaat aus Voraussetzunggen, auch solchen religiöser und ethischer Art, lebt, die er von sich aus nicht garantieren kann 217 . Doch wenn er sie um der Freiheit willen nicht von sich aus zu erzwingen vermag, so vermag er doch, mit gesellschaftlichen Kräften zu kooperieren, die leisten können, was ihm verwehrt ist. Diese sind ihrerseits durch Grundrechte legitimiert und nicht durch Neutralitätspflichten beengt und können so den vorrechtlichen Grundkonsens kräftigen. Eben dazu tragen die Religionsgemeinschaften bei, wenn sie im Religionsunterricht religiöse und sittliche Grundlagen festigen, Sinnorientierung anbieten und Wissen über die Herkunft der religiösen Kultur weitergeben 218. Darin liegt ein Dienst der Religionsgemeinschaften für das weltliche Gemeinwesen, mag er aus ihrer Sicht auch nicht Ziel ihres Wirkens sein, sondern nur dessen Folge. Mit der verfassungsrechtlichen Garantie des Religionsunterrichts als tolerant-religiöser Lernprozeß im pluralistischen Kulturstaat verbindet sich die vorrechtliche Verfassungserwartung, daß Staat und Religionsgemeinschaften in ihrem unterschiedlichen Erziehungsauftrag zusammenfinden und einander ergänzen 219. Der Religionsunterricht in der öffentlichen Schule im pluralistischen Kulturstaat versinnbildlicht beides zugleich: einerseits als religiöser Erziehungsfaktor für alle Schüler die Gemeinsamkeit des von der Menschenwürde und der Selbstverwirklichung des Menschen geprägten Kulturzusammenhangs und religiösen Pluralismus - und zugleich andererseits als tolerant-religiöser Lernprozeß für die Gläu215 Vgl. H. Avenarius, a. a. O. (Fn. 87), S. 127. 216

Vgl. A. Hollerbach, Freiheit kirchlichen Wirkens, in: J. Isensee/P. Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. VI, Heidelberg 1989, § 140, Rdnr. 39. 217 Vgl. Emst-Wolfgang Böckenförde, Die Entstehung des Staates als Vorgang der Säkularisation (1967), in: ders., Recht, Staat, Freiheit, Frankfurt/M. 1991, S. 92 (112). 218 Vgl. Norbert Mette, Das umstrittene Konfessionalitätsprinzip - Anmerkungen zur aktuellen Auseinandersetzung um den Religionsunterricht, Neue Sammlung 1997, S. 207 ff. 219 Josef Isensee, Verfassungsstaatliche Erwartungen an die Kirche, in: Essener Gespräche Bd. 25 (1991), S. 104 (110ff.); ders., Grundrechtsvoraussetzungen und Verfassungserwartungen an die Grundrechtsausübung, in: J. Isensee/P. Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. V, Heidelberg 1992, § 115, Rdnr. 261,263.

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4. Kap.: Selbstverwirklichungsrecht hinsichtlich religiöser Bezüge in der Schule

bigen die Fülle und Tiefe ihres Glaubens, ohne die andersdenkenden Bürger durch staatliche Zwangsmissionnierung zur Bekehrung, Bekreuzigung, Kniebeugung zu zwingen 220 . Für den säkularen Verfassungsstaat als der pluralistische Kulturstaat kann - gegenüber den profanen Unterrichtsfächern der öffentlichen Pflichtschule - der Religionsunterricht als tolerant-religiöser Lernprozeß sich im aufgezeigten Sinn als religiöser Erziehungsfaktor 221 entfalten. Der säkulare Verfassungsstaat der Gegenwart wird dadurch nicht zum „christlichen Staat" 222 , der Religionsunterricht als tolerant-religiöser Lernprozeß dient nicht mehr nur als das einzige religiöse Monopol des christlichen kulturellen 223 Charakters in der öffentlichen Pflichtschule. Vielmehr benützt der Verfassungsstaat den Religionsunterricht als tolerant-religiösen Lernprozeß in der öffentlichen Schule, um den Pluralismus der religiösen Bezüge in der Schule des Kulturstaates umzusetzen, weil er sich zur besseren Erfüllung seiner pluralistischen Kulturaufgaben die Auswirkungen religiöser Kräfte zu vermehrter Toleranz zunutze machen soll 2 2 4 .

5. Die religiösen Bezüge in der Schule zum Selbstverwirklichungsrecht des Schülers hinsichtlich des Religionsunterrichts Die Einsichten in religiöse Entwicklungsprozesse bei Jugendlichen haben in Verbindung mit entwicklungspsychologischen Überlegungen erneut auf die besondere Bedeutung einer subjektorientierten 225 Wahrnehmung von Kindern und 220 Vgl. Ernst Rudolf Huber, Deutsche Verfassungsgeschichte seit 1789, Bd. IV, Stuttgart 1969, S. 360 ff. 221 Vgl. BVerfGE 41,29 (50 ff.); 41,65 (78 ff.); 41, 88, (108 ff.). 222 Vgl. Lothar Krappmamm, Der Einfluß des Christentums auf die Erziehung in Schule und Familie, Neue Sammlung 1997, S. 255 ff. 223 Historisch-politisch gesehen ist Kultur ein Ergebnis der Gleichheitsideologie der Aufklärung. Sie mußte das ersetzen, was bis dahin der Ehre Gottes, dem Ruhm des Fürsten oder einfach dem frohen oder besinnlichen Feiern diente. Da die Allgemeinverbindlichkeit der ständischen Schichtung und der Religion entfiel, mußte Kultur das alles dem Menschen als Menschen zugänglich machen. Sie bildete eine Ebene der Verständigung, auf der etwa der Protestant die katholische Messe nicht mehr als Blendwerk des Teufels, sondern als kulturelles Ereignis würdigen konnte. Im 18. Jahrhundert wurden Messen dann auch häufig weniger als religiöse, denn als künstlerische Ereignisse abgehalten, wie die prächtigen Mozart-Messen belegen. Diese neue Ebene der Verständigung wurde notwendig, weil seit der Aufklärung alle Menschen von Natur aus als gleich, vor allem als gleich erziehbar galten. Rousseaus „nackter Wilder" bedeutete deshalb: Erziehung für alle, Massenerziehung. Das heißt, Beteiligung aller Bürger an den Wohltaten des Staates. Vgl N. Luhmann/K.-E. Schorr, Reflexionsprobleme im Erziehungssystem, Frankfurt/M. 1979, S. 29ff.; Niklas Luhmann, Politische Theorie im Wohlfahrtsstaat, München 1981, S. 25 ff. 224 Vgl. M. Heckel, a. a. O. (Fn. 50), S. 467 f. 225 Vgl. Jan van der Lans, Religiöse Universalien in der Psychologie des Selbst, in: J. A. van der Ven/H.-G. Ziebertz (Hrsg.), Religiöser Pluralismus und Interreligiöses Lernen, Weinheim 1994, S. 71 ff.

C. Selbstverwirklichungsrecht und religiöse Bezüge im pluralistischen Kulturstaat

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Jugendlichen aufmerksam gemacht. Deren Ziel ist es, „die jeweiligen Handlungsmöglichkeiten von Jugendlichen zu analysieren, um das stützen zu können, was sie brauchen für autonomes Handeln in konkreten Situationen" 226 . Diese subjektorientierte Wahrnehmung ist ein kritisches Prinzip der verschiedenen Religionsdidaktiken, die seit den siebziger Jahren entwickelt wurden 227 . Es war 1958 kein leichter Schritt, als sich die Evangelische Kirche in Deutschland zu einem „freien Dienst an einer freien Schule" verpflichtet hat. Die Erfahrungen mit staatlicher Indoktrination in den Schulen der Nazizeit und mit der Zeitgeistreligion der deutschen Christen waren noch in Erinnerung. Deswegen war es damals auch wichtig, gleich zu Anfang des Dokuments festzuhalten: „Erziehung kann nur in Freiheit und in Wahrhaftigkeit geschehen. Deshalb erklärt die Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland, daß über Schule und Lehrer keinerlei kirchliche Bevormundung ausgeübt werden darf. Die sittliche und wissenschaftliche Verantwortung der Erzieher für alle Lehrgehalte und das gesamte Schulleben duldet keine weltanschauliche Bevormundung, gleich welcher Art." 2 2 8 Der Religionsunterricht in der Schule hat schon in der alten Bundesrepublik immer wieder gerechtfertigt 229 werden müssen. Diese Notwendigkeit wird in den östlichen Bundesländern noch stärker empfunden werden, wo Religionsangehörige im Verhältnis zu Dissidenten eine Minderheit darstellen. In ganz Deutschland gilt, daß der freiheitlich demokratische Staat das Recht besitzt, die Freiheit seiner Staatsbürger zu schützen und zu fördern. Da in Deutschland Schulpflicht besteht, gehört zu den hier zu beachtenden Freiheiten in ganz besonderem Maße die Religionsfreiheit (das religiöse Selbstverwirklichungsrecht). Es besteht ein Recht darauf, daß die Kinder nicht von Staats wegen zwangsweise so erzogen werden, als gäbe es weder Gott noch Kirche noch religiöse Tradition 230 . 226

Dietlind Fischer/Albrecht Schöll, Lebenspraxis und Religion. Fallanalysen zur subjektiven Religiosität von Jugendlichen, Gütersloh 1994, S. 280. 22 7 Christoph Th. Scheilke, Religion in der Schule einer pluralen Gesellschaft, RdJB 1996, S. 341. 22 8 Wort der Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland zur Schulfrage. (1958) In: Die Denkschriften der Evangelischen Kirche in Deutschland, hrsg. von der Kirchenkanzlei der Evang. Kirche in Deutschland, Bd 4 /1. Bildung und Erziehung, Gütersloh 1987, S. 37. 229 Sittliche Erziehung hat ihre Verwurzelung in der Religion. Hieraus kann man ein Element der Rechtfertigung ableiten, das die traditionelle Begründung des Religionsunterrichts in einem christlichen Staat hinter sich läßt und eine weltliche Begründung im säkulären modernen Staat erlaubt. Wenngleich Art. 7 Abs. 3 S. 1 GG eine Organisationsnorm darstellt, ist doch anerkannt, daß Art. 7 Abs. 3 S. 2 GG, wonach der Religionsunterricht in Übereinstimmung mit den Grundsätzen der Religionsgemeinschaften ist. Wenn nun die mangelhafte Übereinstimmug des Religionsunterrichts mit den Grundsätzen der Religionsgemeinschaften diese in ihren verfassungskräftigen Rechten verletzt, dann gilt das erst recht, wenn nicht bloß mangelhafter, sondern überhaupt kein Religionsunterricht angeboten wird. Vgl. A. Hollerbach, a. a. O. (Fn. 137), Rdnr. 43. 230 Vgl. Fritz Oser/ Anton A. Bucher, Konvergenz von Religiosität und Freiheit, Z. f. Päd. 1992, S. 253 ff.

266

4. Kap.: Selbstverwirklichungsrecht hinsichtlich religiöser Bezüge in der Schule

Das religiöse Selbstverwirklichungsrecht gilt auch in öffentlichen Anstalten 231 . Das Bundesverfassungsgericht hat in einer Reihe von Entscheidungen auf die in die Grundrechtssphäre hineinreichende Legitimation des Religionsunterrichts hingewiesen. Der Zusammenhang von staatlicher Pflichtschule und Religionsunterricht in derselben stehen in engem Zusammenhang. Das Gericht hat dabei wiederholt zum Ausdruck gebracht, daß das Grundgesetz innerhalb des Gesamtbereichs Erziehung das individualrechtliche Moment verstärkt und den Eltern einen Erziehungseinfluß eingeräumt hat. Es spricht in diesem Zusammenhang von der „gemeinsamen Erziehungsaufgabe von Eltern und Schule, welche die Bildung der einen Persönlichkeit des Kindes zum Ziel hat." 2 3 2 In diesem Sinne ist der Religionsunterricht durch die gemeinsame religiöse Erziehungsaufgabe von Eltern und Schule sowohl als tolerant-religiöser Lernprozeß als auch als religiöse Selbstverwirklichung um des Schülers willen da.

II. Die religiösen Bezüge in der Schule und das Selbstverwirklichungsrecht des Schülers hinsichtlich der Religionsfreiheit

Art. 4 Abs. 1 und Abs. 2 GG gewährleisten die Religionsfreiheit als Glaubens-, Bekenntnis- und Religionsausübungsfreiheit. Auch hierbei handelt es sich nicht nur um Individualgrundrechte, sondern unbestritten um Grundrechte, die auch den Religionsgemeinschaften zukommen 233 , und zwar unabhängig davon, ob diese den Status der öffentlich-rechtlichen Körperschaften haben oder nicht 2 3 4 . Die Religionsgemeinschaften besitzen darüber hinaus nach Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 III WRV das Recht der Selbstverwaltung, das nach Art. 137 V I I WRV auch den sog. Weltanschauungsgemeinschaften zukommt. Diese Religionsfreiheit und dieses Selbstverwaltungsrecht genießen nicht nur die christlichen Kirchen, sondern alle Religionsgemeinschaften, die großen Weltreligionen wie auch die Vielzahl ausländischer Sekten mit ihren Anhängern in Deutschland235. Für die Religionsfreiheit als Fundament und zentrales Kriterium des Religionsrechts spricht vor allem, daß sie von staatlicher Verleihung unabhängig ist, daß sie 231 Es wäre zynisch, wollte der Staat einerseits Schulpflicht verordnen und damit die Lebenskraft der Kinder im bildungsfähigen Alter ganz in Beschlag nehmen, gleichzeitig aber den Bereich der Religion ignorieren und religiöse Informationen im Rahmen der allgemeinen Wissensvermittlung ausblenden. Vgl. Norbert Mette, Religion(en) im Bildungsauftrag öffentlicher Schulen, in: J. A. van der Ven/H.-G. Ziebertz (Hrsg.), Religiöser Pluralismus und Interreligiöses Lernen, Weinheim 1994, S. 277 ff. 232 BVerfGE, 34, 165 (254), BVerfGE 53, 360 (379). 233 Vgl. Joseph Listi, Die Religionsfreiheit als Individual- und Verbandsgrundrecht in der neueren deutschen Rechtsentwicklung und im Grundgesetz, in: Essener Gespräche zum Thema Staat und Kirche, Bd. 3 (1969), S. 34 ff. 234 Grundsätzlich BVerfGE 19, 1; BVerfGE 24, 236. 235 /. Richter, Multireligiöser Religonsunterricht in einer multikulturellen Gesellschaft?, RdJB 1993, S. 259.

C. Selbstverwirklichungsrecht und religiöse Bezüge im pluralistischen Kulturstaat

267

kein Privileg allein für Christen, sondern eines der vornehmsten vorstaatlichen allgemeinen Menschenrechte ist 2 3 6 . Die Ökumene hat schon seit langem die zentrale Bedeutung dieses Menschenrechts für das Verhältnis zwischen Staat und Kirche anerkannt. Hier weiß man, daß dieses Recht auf die Dauer für die Kirche um so lebenswichtiger wird, je mehr die Weltchristenheit in die Minderheitssituation gerät 237 . Die Religionsfreiheit hat die Säkularisierung des Staates und die Trennung von Staat und Kirche als historische Folge des FreiheitsVerlangens ausgelöst238. Die Religionsfreiheit schützt religiösen Pluralismus und religiöse Selbstverwirklichung gegen die weltliche Durchsetzung religiöser Absolutheitsforderungen und Intoleranz mit Hilfe des weltlichen Rechts 239 . Sie erlaubt auch Religionslosigkeit, ja religionsfeindliche Betätigung. Aber sie wurde primär um der Freiheit des Religiösen willen garantiert: Sie schaft den äußeren Freiheitsrahmen durch den freiheitlichen Rechtsstaat, damit der Mensch in der Unantastbarkeit seiner Menschenwürde seinen Glauben frei leben und in der Freiheit dieses seines Glaubens sein Heil suchen kann 240 . Außerdem wird durch die Religionsfreiheitsgarantie die „Offenheit" des Verfassungssystems für die freie Entfaltung des Religiösen 241 nicht auf den staatsfreien Bereich des Individuums und der Gesellschaft beschränkt und ausgegrenzt, sondern auch im pluralistischen Kultur- und Sozialbereich der Nation garantiert, der zunehmend von der intensivem staatlichen Ordnung der pluralistischen Gesellschaft bestimmt ist. So ist die Einbeziehung der gesellschaftlichen Gruppen und Individuen in sein Rechtssystem charakteristisch für den modernen pluralistischen Leistungsstaat, in dessen Formen sich die enorm ausgedehnte Kulturstaats- und Sozialverantwortung manifestiert 242. Die Religionsfreiheit ist also um der Religion willen garantiert, die sie in pluralistischer Freiheit, Vielfalt und Gleichheit schützt. Das Freiheitsrecht zur eigenen Ausübung religiöser Positionen darf nicht als Ermächtigung des Staates zur Behinderung der religiösen Lebensäußerungen der Bürger umgedeutet werden 243 . Auch 236 Vgl. Heribert Franz Köck, Menschenrechte in der Kirche. Mit Bezug auf die in der EMRK enthaltenen europäischen Grundrechtsstandards, in: Zeitschrift für Rechtsvergleichung, Int. Privatrecht und Europarecht [ZfRV], 37. Jg. (1996), S. 89 ff. 237 Helmut Simon, Freie Kirche im demokratischen Staat, ZevKR 42 (1997), S. 165. 238 Vgl. Axel Frhr. von Campenhausen, Staatskirchenrecht, 3. Aufl., München 1996, S. 60 ff. 239 Vgl. J. A. van der Yen, a. a. O. (Fn. 197), S. 15 ff. 240 Vgl. M. Heckel, a. a. O. (Fn. 211), S. 299. 241 BVerfGE 41, 29 (50). 242 Vgl. Martin Heckel, Zur Ordnungsproblematik des Staatskirchenrechts im säkularen Kultur- und Sozialstaat, JZ 1994, S. 425 ff. 243 Vgl. Axel Frhr. von Campenhausen, Religionsfreiheit, in: J. Isensee/P. Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. VI, Heidelberg 1989, § 136, S. 369 ff.

268

4. Kap.: Selbstverwirklichungsrecht hinsichtlich religiöser Bezüge in der Schule

ist daraus kein objektives Rechtsprinzip bzw. Rechtsgebot zur generellen Negierung und Eliminierung des Religiösen im Recht des Staates abzuleiten. Religionsfreiheit ist nach dem Sinn der Verfassung ein freiheitlicher pluralistischer Augleich der Bürger, nicht ein ideologisches Kampfinstrument des Staates244. Religionsfreiheit erlaubt jedem Bürger Religionslosigkeit, ja Religionspluralismus, darin liegt jedoch keine Wertentscheidung des „freiheitlichen" Staates selbst für eine bestimmte Religion seiner verfassungsrechtlichen Institutionen und Funktionen, auch kein Verfassungsauftrag zu staatlich verordneter allgemeiner Religion im öffentlichen, staatlich geordneten Raum 245 . Religionsfreiheit muß allerdings in dem umfassenden Sinn verstanden werden, wie ihn das Bundesverfassungsgericht herausgearbeitet hat 2 4 6 . Danach schützt dieses Grundrecht nicht allein die Freiheit der persönlichen Glaubensüberzeugung, sondern auch deren aktive und kollektive Betätigung in Wort und Tat 2 4 7 . Auf der anderen Seite gebietet dieses Grundrecht, daß der weltanschauliche Bereich frei bleiben muß von Zwängen und Benachteiligungen für Andersdenkende. Darauf hat die verfassungsgerichtliche Rechtsprechung immer wieder gedrungen, insbesondere in Entscheidungen zur Besteuerung bei Kirchenaustritten 248, in denen die Freiheit Andersdenkender sorgsam respektiert wird 2 4 9 . Auf der gleichen Linie liegen die Entscheidungen über die Ausstattung von Gerichtssälen und Schulräumen mit Kruzifixen 250 . Andere Entscheidungen zur christlichen Gemeinschaftsschule und zum Schulgebet dürften sich hingegen unter Überbetonung der positiven Bekenntnisfreiheit eher an der Grenze des Vertretbaren bewegen 251 . Sie erklären sich aus Besonderheiten des Schulrechts, für das der Staat nicht alleine zuständig ist. In ihnen wird aber nicht deutlich genug, daß die positive Religionsfreiheit ein Recht der Schüler und Eltern ist und nicht etwa den Staat berechtigt, seinerseits die Glaubensüberzeugungen der Mehrheit zum Nachteil andersdenkender Minderheiten durchzusetzen, wie dies in fundamentalistischen islamischen Staaten geschieht252. 244 Vgl. BVerfGE 42, 212 (330); Johannes Hellermann, Multikulturalität und Grundrechte - am Beispiel der Religionsfreiheit, in: C. Grabenwarter/S. Hammer/A. Pelzl/E. SchulevSteindl/E. Wiederin (Hrsg.), Allgemeinheit der Grundrechte und Vielfalt der Gesellschaft, Stuttgart 1994, S. 129ff. 245 Vgl. BVerfGE 41, 29 (50). 246 Vgl. Herbert Scholtissek, Die Religionsfreiheit in der Verfassungsrechtsprechung, in: Essener Gespräche zum Thema Staat und Kirche, Bd. 3 (1969), S. 96 ff. 247 BVerfGE 24, 236 ff.; vgl. auch Martin Heckel, Rechtscharakter und Funktionen der Religionsfreiheit, in: R. Morsey/H. Quaritsch/H. Siedentopf (Hrsg.), Staat, Politik, Verwaltung in Europa, Gedächtnisschrift für Roman Schnur, Berlin 1997, S. 205 ff. 248 Vgl. Ulf Häußler, Keine Verfassungsprobleme durch die Formalisierung des Kirchenaustritts, DÖV 1995, S. 985 ff. 249 BVerfGE 44, 37; 44, 59; 55, 32. 250 BVerfGE 35, 306; 93, 1. 251 BVerfGE 41, 29; 41, 64; 41, 88 und 52, 223.

C. Selbstverwirklichungsrecht und religiöse Bezüge im pluralistischen Kulturstaat

269

Religionsfreiheit verlangt freiheitliche Offenheit staatlichen Rechts zur divergenten religiösen Selbstverwirklichung ( Selbstentfaltung und Selbstbestimmung). Sie verbietet die intolerante Mehrheit des Religiösen durch die unneutrale öffentliche Gewalt 253 . In der freiheitlichen pluralistischen Schule ist die religiöse Selbstverwirklichung des Schülers auch durch die Religionsfreiheit zu garantieren.

ΙΠ. Die religiösen Bezüge in der Schule und das Selbstverwirklichungsrecht des Schülers hinsichtlich der Bekenntnisschulen

Auf den ersten Blick scheint es, als widerspreche die hier geforderte religiöse Selbstverwirklichung des Kindes in der Schule dem Grundprinzip der Bekenntnisschule, wonach „Kinder möglichst eines Bekenntnisses von Lehrern grundsätzlich dieses Bekenntnisses und im Geiste dieses Bekenntnisses zu unterrichten sind" 2 5 4 . Ein Widerspruch besteht sicher dann, wenn beabsichtigt ist, das Kind um jeden Preis im Glauben der betreffenden Religionsgemeinschaften festzuhalten und so die religiöse Selbstverwirklichung des Kindes in der Schule auf jene bestimmte Richtung festzulegen 255. So wird dem Kind nur ein kleiner Ausschnitt aller geistigen Strömungen erschlossen mit der Folge, daß sein Blickkreis gegenüber dem Schüler einer bekenntnisfreien Schule stark eingeengt bleibt. Ein so erzogenes Kind muß den einen ihm vermittelten Aspekt verabsolutieren 256. Hier geht es um die Frage der Vereinbarkeit mit dem Grundgesetz 257. Aus ihm aber läßt sich kein allgemeines Verbot von Bekenntnisschulen herleiten. Wohl aber ergeben sich aus ihm Anforderungen, die an alle Schulen, also auch an Bekenntnisschulen, gestellt werden müssen. Ihnen kann nur eine Form der Bekenntnisschule gerecht werden, die auf der Überlegung basiert, daß es nicht genügt, dem Schüler das gesicherte Wissen von der Welt und einen Überblick über die verschiedenen geistigen Strömungen zu vermitteln, gibt es doch gerade in den grundlegenden philosophischen und religiösen Fragen kaum ein gesichertes Wissen. Nicht jeder 252 H. Simon, ZevKR 42 (1997), S. 165.; vgl. auch Claudia M. Roebers/Anita Mecheril/ Wolfgang Schneider, Migrantenkinder in deutschen Schulen, Z. f. Päd. 1998, S. 723 ff. 253 Hier ζ. B. die staatliche religiöse Tätigkeit der Ausstattung von Unterrichtsräumen mit Kreuzen (Kruzifixen) in der öffentlichen Schule; vgl. auch M. Heckel, a. a. O. (Fn. 211), S. 300. 254 BVerwGE 17, 267 ff.; vgl. auch BVerwGE 10, 136ff., 137. 255 Vgl. Gerhard Kluchert, Bekenntnisschule, Gemeinschaftsschule, weltliche Schule, in: H. Becker/G. Kluchert (Hrsg.), Die Bildung der Nation, Stuttgart 1993, S. 159ff. 256 Die Begrenztheit der menschlichen Einsicht, die keine absoluten Aussagen erlaubt, wird ihm verbogen bleiben, und es wird ihm nicht nur an echtem Verständnis für die anderen Geistesrichtungen fehlen, sondern es wird darüber hinaus zeitlebens den Anschauungen seines eigenen Bekenntnisses einseitig verhaft bleiben. Vgl. E. Stein, a. a. O. (Fn. 176), S. 69f. 257 Vgl. Hans Heckel, Zur Frage der Vereinbarkeit der Bekenntnisschule mit dem Grundgesetz, DÖV 1953, S. 593ff.; ders., Zur Frage der Vereinbarkeit der Bekenntnisschule mit dem Grundgesetz, DÖV 1954, S. 144. 18 Hsu

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4. Kap.: Selbstverwirklichungsrecht hinsichtlich religiöser Bezüge in der Schule

Schüler aber ist in der Lage, sich hierüber selbständig eine eigene Meinung zu bilden. Die Anhänger der Bekenntnisschule258 in diesem Sinne wollen in diesem Punkt dem Schüler zu Hilfe kommen und ihm zusätzlich zu dem, was alle Kinder in der Schule geboten bekommen, also zusätzlich zu dem Überblick über das gesicherte Wissen und die wichtigsten geistigen Strömungen, noch eine bestimmte Lehre so detailliert und überzeugend darstellen, daß der Schüler in ihr Halt finden kann. Hier wird also der Gesichtskreis des Schülers nicht verengt, sondern vertieft. Es wird dem Schüler nichts verschwiegen, nichts vorenthalten, sondern vom Bekenntnisstandpunkt Antwort auf Fragen gegeben, die sich von einem neutralen Standpunkt nicht beantworten lassen, weil es keine Einigkeit über die Antwort gibt259.

In einer guten Bekenntnisschule wird die religiöse Selbstverwirklichung des Schülers also nicht beeinträchtigt. Es wird nichts unternommen, was den Schüler hindern soll, sich später doch für eine andere Glaubensrichtung zu entscheiden260. Die zugrunde liegende Lehre einer Religionsgemeinschaft dient vielmehr dazu, um gleichsam nur exemplarisch zu veranschaulichen, daß sich von einem persönlichen Standpunkt aus viele beunruhigende Fragen beantworten lassen, über die wir noch kein allgemeingültiges Wissen haben 261 . Daß diese Bekenntnisschulen mit dem Grundgesetz vereinbar sind, ergibt sich aus folgenden Zusammenhängen: Die Forderung nach der Bekenntnisschule stützt sich auf das Elternrecht 262 . So hatten wir gesehen, daß sich das Elternrecht des Grundgesetzes nicht gegen das Kind richtet, kein Beherrschungsrecht über das Kind zum Vorteil der Eltern zum Inhalt hat, sondern ausschließlich dem Wohl des Kindes zu dienen bestimmt ist 2 6 3 . Insbesondere umschließt es nicht die Befugnis, die freie Entfaltung der Persönlichkeit des Kindes zu hemmen und das Kind nach den Wunschvorstellungen der Eltern zu formen, ihm ihre Persönlichkeit aufzuzwingen 264 . Es zielt vielmehr ganz auf die freie Entfaltung der eigenen Persönlichkeit des Kindes und trägt nur dessen begrenzter Einsicht in die Folgen seines Tuns Rechnung, weshalb die Eltern zunächst allein, vom 7. Lebensjahr ab zusammen mit dem Kind für die Entscheidungen über das Ob und Wie der religiösen Selbstverwirklichung verantwortlich sind 265 . 258 Vgl. Gerhard Rambow, Das Grundgesetz und die bekenntnismäßige Gestaltung der öffentlichen Schulen, Diss., Köln 1966. 259 E. Stein, a. a. O. (Fn. 176), S. 70 f. 260 Vgl. Friedrich v. Zezschwitz, Glaubensfreiheit und schulische Erziehung, JZ 1971, S. 11 ff.

261 E. Stein, a. a. O. (Fn. 176), S. 71. 262 Vgl. Helmut Lecheler, Die Rechtsstellung der Bekenntnisgemeinschaften im Schulrecht, BayVBl. 1994, S. 41 ff. 263 Erwin Stein, Die rechtsphilosophischen und positivrechtlichen Grundlagen des Elternrechts, in: ders./W. Joest/H. Dombois, Elternrecht, Heidelberg 1958, S. 40. 264 Vgl. Raimund Wimmer, Das pädagogische Elternrecht, DVB1. 1967, S. 809 ff. 265 E. Stein, a. a. O. (Fn. 176), S. 71.

D. Prinzipien des Pluralismus im Kulturstaat und religiöse Bezüge

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Diese inneren Bindungen des Elternrechts kann diese auf es gestützte Bekenntnisschule nicht abstreifen. Aus eigenem Bildungsauftrag dürfte der Staat wegen seiner Verpflichtung zur konfessionellen Neutralität niemals Bekenntnisschulen einrichten. Er darf es nur auf Wunsch und im Einverständnis mit den betroffenen Eltern. Soweit eine Schule bekenntnismäßigen Charakter trägt, wird dies also nicht durch staatliche Befugnisse, sonder durch das Elternrecht legitimiert 266 . Der bekenntnismäßige Einfluß der Schule darf daher nicht weiter gehen als der Einfluß, den die Eltern kraft ihres Elternrechts auf ihr Kind haben. Hieraus folgt, daß in den Bekenntnisschulen die freie Entfaltung der Kinder nicht behindert werden darf, auch soweit es um Bekenntnisfragen geht 267 . Der Unterschied der Bekenntnisschulen gegenüber sonstigen Schulen hat daher unter dem Grundgesetz nicht in einer Behinderung, sondern nur in einer Verstärkung der freien Persönlichkeitsentfaltung auf Gebieten zu liegen, auf denen der Staat normalerweise wegen seiner Verpflichtung zur bekenntnismäßigen Neutralität nicht so tief auf das Kind einwirken darf 2 6 8 . Die Wirklichkeit wird freilich diesen verfassungsrechtlichen Anforderungen nur unvollkommen gerecht. Gegenüber den Kirchen wie gegenüber dem Staat steht es um das Recht des Schülers auf die religiöse Selbstverwirklichung nicht immer zum besten 269 . Daher sollte dem Meinungsstreit um kirchlichen oder staatlichen Einfluß in der Schule durch die Abwehr jeglichen äußeren Einflusses auf die religiöse Selbstverwirklichung des Schülers der Boden entzogen werden 270 .

D. Die Prinzipien des Pluralismus im Kulturstaat und die religiösen Bezüge in der Schule I. Die staatliche Neutralität gegenüber religiösen Bezügen in der Schule

1. Im allgemeinen Die verfassungsrechtlichen Grundlagen der pluralistischen kulturellen Gesellschaft gelten nun auch für die pluralistische religiöse Gesellschaft. Historisch betrachtet ist es sogar umgekehrt: Die verfassungsrechtliche Grundlage einer plura266 Vgl. Willi Geiger, Die Einschulung von Kindern verschiedenen Bekenntnisses in eine öffentliche Bekenntnisschule, Berlin 1980. 267 Vgl. Ludwig Renck, Die Rechtsstellung der Bekenntnisgemeinschaften im Schulrecht, BayVBl. 1994, S. 39 ff.; ders., Nochmals: Die Rechtsstellung der Bekenntnisgemeinschaften im Schulrecht, BayVBl. 1994, S. 713 ff. 268 Vgl. BVerwGE 17, 267 ff., 278 f. 269 Vgl. Erwin Stein, Die Kirche als Trägerin von Schulen, in: H.-G. Jung /Η.Ή. F. v. Schlotheim/W. Weispfenning (Hrsg.), Autonomie der Kirche, Symposion für Armin Füllkrug, Neuwied 1979, S. 66 ff. 270 Vgl. H. Becker, Die verwaltete Schule. (1954), in: ders., Quantität und Qualität. Grundfragen der Bildungspolitik, Freiburg 1962, S. 167 f. 18"

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4. Kap.: Selbstverwirklichungsrecht hinsichtlich religiöser Bezüge in der Schule

listischen kulturellen Gesellschaft hat sich aus der verfassungsrechtlichen Religionsfreiheit und den Prinzipien des Religionsrechts entwickelt 271 . Zur Religionsfreiheit gehört auch die Freiheit, den Inhalt des Glaubens zu bestimmen. Dem Staat ist es folgerichtig verwehrt, den Inhalt des Glaubens zu bestimmen. Der Staat kann zwar - letztlich durch seine Gerichte - festlegen, welche Organisationen in den Genuß der Religionsfreiheit kommen 272 ; gegenüber dem Inhalt des Glaubens muß der Staat jedoch neutral sein, d. h. der Staat darf den Religionsgemeinschaften weder bestimmte Glaubenssätze vorgeben, noch gar sich mit ihnen identifizieren 273 . Religionsfreiheit und Staatsneutralität bedingen sich wechselseitig, denn Religionsfreiheit kann nur bestehen, wenn sich der Staat in religiöse Angelegenheiten nicht einmischt und Neutralität ist nur denkbar, wenn sich der Staat mit keiner der bestehenden Religionsgemeinschaften einläßt 274 . Das ist der Sinn der Aufhebung der Staatskirche durch Art. 137 Abs. 1 WRV und der grundsätzlichen Trennung von Kirche und Staat nach dem Bonner Grundgesetz 275. Das Gebot der staatlichen Neutralität im pluralistischen Kulturstaat gilt auch für den weltanschaulich-religiösen Bereich in der Schule. Er steht hier unter erhöhtem verfassungsrechtlichen Schutz. Art. 4 Abs. 1 GG garantiert ganz allgemein die Freiheit des Glaubens und die Freiheit des religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisses276. Mit der Freiheit des Glaubens unvereinbar sind alle Versuche, das Kind in der Schule einseitig in einer bestimmten Richtung zu beeinflussen. Selbstverständlich darf ein Lehrer in jedem Fach die Bezüge zu den zentralen Fragen der Stellung des Menschen in der Welt und seiner Beziehung zu Gott beleuchten. Er muß sich aber hierbei ganz besonders um Objektivität bemühen und hat sich auf eine sachliche Darstellung der verschiedenen vertretenen Ansichten zu beschränken, ohne sie von seinem persönlichen Standpunkt aus zu kommentieren 277. Er muß sich bewußt sein, daß er, wenn ihm die Schüler vertrauen, einen außergewöhnlichen Einfluß auf die Formung ihres Bewußtseins hat, den er nicht zur Verbreitung seiner persönlichen Ansichten mißbrauchen darf. Er hat dem Kind nur 27 1 /. Richter, Multireligiöser Religonsunterricht in einer multikulturellen Gesellschaft?, RdJB 1993, S. 259; vgl. auch Klaus G. Meyer-Teschendorf, Staat und Kirche im pluralistischen Gemeinwesen, Tübingen 1979, S. 155 ff.; Michael Welker, Kirche im Pluralismus, Gütersloch 1995, S. 13 ff. 272 BVerfGE 24, 236.

273 Zum Identifikationsverbot grundsätzlich H. Krüger, Allgemeine Staatslehre, 2. Aufl., Stuttgart 1966, S. 178 ff. 274 Vgl. Hanns Engelhardt, Staatskirchentum und Religionsfreiheit, in: H. Avenarius/H. Engelhardt/H. Heussner/F. v. Zezschwitz (Hrsg.), Festschrift für Erwin Stein zum 80. Geburtstag, Bad Homburg vor der Höhe 1983, S. 13 ff. 275 /. Richter, RdJB 1993, S. 260. 276 Vgl. Friedrich Müller, Christliche Gemeinschaftsschule und weltanschauliche Neutralität des Staates, DÖV 1969, S. 441 ff. 277 Vgl. Paul Feuchte/Peter Daliinger, Christliche Schule im neutralen Staat, DÖV 1967, S. 361 ff.

D. Prinzipien des Pluralismus im Kulturstaat und religiöse Bezüge

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das Material zu liefern, und zwar möglichst vollständig, um es in den Stand zu setzen, sich durch Aneignung des ihm gemäßen Gedankenguts einen individuellen Standpunkt zu erarbeiten 278. 2. Trennungsprinzip zwischen Staat und Kirche für den Bereich der religiösen Bezüge in der Schule Das Verhältnis von Staat und Religion stellt in einer Gesellschaft, die in religiös-weltanschaulicher Hinsicht keineswegs mehr homogen ist, sondern sich zunehmend pluralistisch ausdifferenziert, ein permanentes Problem dar. Die Vielzahl der aktuellen Fragen aus diesem Bereich beweist dies: Können oder müssen muslimische Schülerinnen vom Sportunterricht in der staatlichen Pflichtschule befreit werden? Darf eine Lehrerin islamischen Glaubens während des Unterrichts ein Kopftuch tragen? Darf das religiös motivierte Schächten aus Gründen des Tierschutzes untersagt werden? Müssen die Zeugen Jehovas als Religionsgemeinschaft mit öffentlichrechtlichem Körperschaftsstatus anerkannt werden? Kann im Land Brandenburg der Religionsunterricht durch ein Fach ,»Lebenskunde - Ethik - Religion" (LER) ersetzt werden? Das Trennungsprinzip zwischen Staat und Kirche wird ganz i.S. der bisherigen Entscheidungen zitiert 279 , die die Privilegierung bestimmter Bekenntnisse untersagen, das Paritätsprinzip betonen und die Identifikation des Staates mit bestimmten Religionsgemeinschaften verbieten 280 . Das Trennungsprinzip war 1919 und 1949 als Instrument umfassender Emanzipation gedacht, das den Staat von konfessioneller Bevormundung, desgleichen die Kirchen von der Staatshoheit und außerdem die Bürger von der Vereinnahmung in ein öffentliches Religionssystem befreien und schützen sollte 281 . Die Trennung zwischen Staat und Kirche sollte als Komplementärgarantie zur Religionsfreiheit und Religionsgleichheit allen Religionsgemeinschaften den gleichen rechtlichen Entfaltungsraum im Staat einräumen 282. Mit der enormen Ausdehnung des Staates im alle Bereiche der Gesellschaft und durch den umfassenden Ausbau des Sozialstaats- und Kulturstaatssystems ist der Staat mit den Religionsgesellschaften 283 wie mit anderen Trägern der Gesellschaft in zahlreiche neue Kontakte mit sachbedingten Koordinierungs- und Kooperationsnotwendigkeiten geraten 284 . Sie folgen gerade aus der Säkularisierung der Staats278 E. Stein, a. a. O. (Fn. 176), S. 66. 279 Vgl. BVerfGE 19, 206 (216) ; 24,236 (246) ; 33,23 (28) ; 41, 29 (49) 280 M. Heckel, a. a. O. (Fn. 50), S. 471. 281 Vgl. Ludwig Renck, Die Trennung von Staat und Kirche, BayVBl. 1988, S. 225 ff.; ders., Probleme der Rechtsangleichung im Staatskirchenrecht, ThürVBl 1992, S. 177 ff. 282 M. Heckel, a. a. O. (Fn. 50), S. 471. 283 Vgl. Wolfgang Schatzschneider, Legitimation und Grenzen staatlich-kirchlicher Kooperation im Meldewesen NJW 1983, 255 ff.; Herbert Schambeck (Hrsg.), Kirche und Staat, Berlin 1976.

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4. Kap.: Selbstveirklichungsrecht hinsichtlich religiöser Bezüge in der Schule

zwecke und Staatsfünktionen und andererseits aus den Freiheitsgarantien 285: Nachdem früher der „christliche" Obrigkeitsstaat die religiösen Aspekte und Maßstäbe der religiös qualifizierten Kultur- und Sozialphänomene in eigener staatlicher Regie entschied, beschränkt sich heute die staatliche Kompetenz auf die genannten weltlichen Rahmenbedingungen, während die religiösen Inhalte der Kompetenz der betroffenen Religionsgemeinschaft nach ihren religiösen Maßstäben überlassen bleiben 286 . Nach Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 1 WRV besteht keine Staatskirche. Das Trennungsgebot des Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 1 WRV verbietet zwar jede Identifikation des Staates mit einer bestimmten Religion oder Weltanschauung, es darf jedoch nicht als Verfassungsgebot einer im laizistischen Sinne verstandenen totalen 287 Bereichsscheidung in einen absolut-getrennten staatlichen und religionsgemeinschaftlichen Bereich mißdeutet werden 288 . Schon der Wortlaut der Präambel des Grundgesetzes läßt erkennen, daß die Bundesrepublik Deutschland sich nicht absolut als laizistisches Staatswesen versteht, das den Religionsgemeinschaften den Raum des Öffentlichen verschlösse 289 und sie unter Verkennung ihrer Bedeutung im öffentlichen Leben auf das Feld der individuellen Entfaltung religiöser Freiheit zu verweisen suchte 290 . Dem Religionsrechtssystem der Bundesrepublik Deutschland liegt daher nicht ein absolutes Trennungsmodell im Sinne des ersten Amendments zur amerikanischen Bundesverfassung zugrunde 291. Das Grundgesetz statuiert damit ein Identifikationsverbot des Staates im Sinne einer institutionellen Verbindung mit einer oder mehreren privilegierten Kirchen in der Form, wie sie bis 1918 in Deutschland im staatlichen Kirchenregiment bei den evangelischen Landeskirchen bestanden hat 2 9 2 . Vereinzelt wird versucht, aus 284 Vgl. Heiner Marre, Zur Koordination von Staat und Kirche, DVB1. 1966, S. lOff.; ders., Die Kirchenfinanzierung in Kirche und Staat der Gegenwart, 3 Aufl., Essen 1991; Theodor Maunz, Die Kooperation von Staat und Kirche, BayVBl. 1988, S. 231 ff. 285 Vgl. Paul Mikat, Gegenwartsaspekte im Verhältnis von Kirche und Staat in der Bundesrepublik Deutschland, in: Essener Gespräche zum Thema Staat und Kirche, Bd. 2 (1969), S. 47 ff.

286 M. Heckel, a. a. O. (Fn. 50), S. 471 f. 287 Vgl. Hermann Weber, Gelöste und ungelöste Probleme des Staatskirchenrechts, NJW 1983, S. 2541 ff. 288 Martin Heckel, Die Kirchen unter dem Grundgesetz, VVDStRL 26 (1968), S. 31. 289 Vgl. Wilhelm Kewenig, Das Grundgesetz und die staatliche Förderung der Religionsgemeinschaften, in: Essener Gespräche zum Thema Staat und Kirche, Bd. 6 (1972), S. 9 ff. 290 w. Rees, a. a. O. (Fn. 81), S. 231. 291 Vgl. Charles L Glenn, Schule und Religion in den Vereinigten Staaten, RdJB 1996, 322 ff.; Jörg Bewersdorf, Die Rechtsprechung des United States Supreme Court zur Bedeutung des Prinzips der Trennung von Staat und Kirche im Bereich der öffentlichen Schulen, Diss., Bamberg 1968; Manfred Kwiran, Religionsunterricht in USA - ein Vergleich, Frankfurt/M. 1987; Gerhard Robbers, Das Verhältnis von Staat und Kirche in rechtsvergleichender Sicht, in: W. Brugger/S. Huster (Hrsg.), Der Streit um das Kreuz in der Schule, Baden-Baden 1998, S. 59ff.

D. Prinzipien des Pluralismus im Kulturstaat und religiöse Bezüge

275

Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 1 WRV auch ein Verbot des schulischen Religionsunterrichts herzuleiten. Aber Art. 7 Abs. 3 GG enthält auf der Grundlage dieser Verfassungsinterpretation einen durch die Verfassung selbst anerkannten Widerspruch zum absoluten Trennungsgrundsatz 293. Eine Reihe von Bestimmungen, insbesondere über den konfessionellen Religionsunterricht in den öffentlichen Schulen, zeigt eindeutig, daß Staat und Kirche in der Bundesrepublik Deutschland auch auf Kooperation angelegt sind 294 . Aus dem Verbot der Staatskirche die Verfassungswidrigkeit jeder religionsgemeinschaftlichen Beteiligung am öffentlichen Schulwesen ableiten zu wollen, erscheint daher sinnwidrig, da das Grundgesetz gleichermaßen Elemente einer Trennung und der Kooperation zwischen Staat und Religionsgemeinschaften 295 und insbesondere auch die religionsgemeinschaftliche Beteiligung am Religionsunterricht ausdrücklich anerkennt und zuläßt 296 . Die absolute Trennung von Kirche und Staat wird in der Verfassungsgarantie des Religionsunterrichts modifiziert durch ein Kondominium beider, eine Arbeitsteilung, in der jede Seite, ohne ihre Eigenzuständigkeit und Unabhängigkeit aufzugeben, ihren besonderen Beitrag leistet und mit der anderen zusammenwirkt 297. Der Religionsunterricht gehört zu den sogenannten gemeinsamen Angelegenheiten von Staat und Religionsgemeinschaften, bei denen die Verantwortungsbereiche beider Institutionen eng miteinander verknüpft sind. Ungeachtet der sich daraus ergebenden Pflicht zur Kooperation und gegenseitigen Rücksichtnahme müssen die jeweiligen Zuständigkeiten streng voneinander geschieden sein 298 . 292 Vgl. G. Anschütz, a. a. O. (Fn. 99), Art. 137, S, 631. 293 Erwin Fischer, Volkskirche ade!: Trennung von Staat und Kirche, 4. Aufl., Aschaffenbunrg 1993, S. 154. 294 Vgl. Heinrich Geissler, Die Praxis des Zusammenwirkens von Staat und Kirchen auf dem Gebiet des Bundessozialhilfe- und Jugendwohlfahrtsgesetzes, in: Essener Gespräche zum Thema Staat und Kirche, Bd. 8 (1974), S. 95 ff.; Ulrich Scheuner, Die karitative Tätigkeit der Kirchen im heutigen Sozialstaat. Verfassungsrechtliche und staatskirchenrechtliche Fragen, in: Essener Gespräche zum Thema Staat und Kirche, Bd. 8 (1974), S. 43 ff.; Manfred Baldus, Kirchliche Fachhochschulen und staatliches Hochschulrecht, in: Essener Gespräche zum Thema Staat und Kirche, Bd. 9 (1975), S. 112ff.; Walter Leisner, Das kirchliche Krankenhaus im Staatskirchenrecht der Bundesrepublik Deutschland, in: Essener Gespräche zum Thema Staat und Kirche, Bd. 17 (1983), S. 127ff.; Dietrich Pirson, Die Seelsorge in staatlichen Einrichtungen als Gegenstand des Staatskirchenrechts, in: Essener Gespräche zum Thema Staat und Kirche, Bd. 23 (1989), S. 4ff.; Hans Maier, Dienste der Kirche am Staat. Entwurf einer Typologie, in: Essener Gespräche zum Thema Staat und Kirche, Bd. 25 (1991), S. 5 ff. 295 Vgl. Paul Mikat (Hrsg.), Kirche und Staat in der neueren Entwicklung, Darmstadt 1980; Hans-Martin Pawlowski, Das Verhältnis von Staat und Kirche im Zusammenhang der pluralistischen Verfassung, Der Staat 1989, S. 351 ff. 296 w. Rees, a. a. O. (Fn. 81), S. 231. 297 Vgl. Martin Honecker, Der Auftrag der Kirche und die Aufgabe des Staates, in: Essener Gespräche zum Thema Staat und Kirche, Bd 25 (1991), S. 49 ff.; Josef Isensee, Verfassungsstaatliche Erwartungen an die Kirche, in: Essener Gespräche zum Thema Staat und Kirche, Bd. 25 (1991), S. 104ff. 298 Vgl. BVerfGE 74, 244 (251).

276

4. Kap.: Selbstverwirklichungsrecht hinsichtlich religiöser Bezüge in der Schule

3. Die staatliche Neutralität zum Religionsunterricht

in der Schule

Die verfassungsrechtliche Gewährleistung des Religionsunterrichts als eines ordentlichen Lehrfachs in den öffentlichen Schulen läuft nicht nur den Tendenzen des säkularistischen Zeitgeistes zuwider. Sie scheint auf den ersten Blick auch mit der religiös-weltanschaulichen Neutralität des Staates in Widerspruch zu stehen, die ja ihrerseits durch das Grundgesetz, insbesondere durch das Grundrecht der Glaubens- und Gewissensfreiheit (Art. 4 GG) und das Verbot der Staatskirche (Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 1 WRV), verbürgt ist 2 9 9 . Gewiß sind Staat und Kirche getrennt, und selbstverständlich ist es dem Staat verwehrt, sich mit bestimmten religiösen Auffassungen zu identifizieren. Der Staat des Grundgesetzes ist ein weltlicher Staat; er verfolgt weltliche Zwecke 300 . Das heißt aber nicht, daß er in religiösen Angelegenheiten indifferent wäre, daß er das Wirken der Religionsgemeinschaften ablehnte und ihnen mit Zurückweisung begegnete301. Im Gegenteil: Gerade der neutrale Staat bejaht die Bedeutung des religiös-weltanschaulichen Bereichs für das Zusammenleben der Menschen, weil er zur Entfaltung und Sinnerfüllung menschlichen Lebens hinzugehört 302 . Deswegen kommt es dem Staat darauf an, daß dieser Bereich sich um der religiös-weltanschaulichen Selbstverwirklichung der Menschen willen frei entfalten kann und daß er aus schulischem Unterricht und schulischer Erziehung, die auf die menschliche Wirklichkeit im ganzen bezogen sind, nicht ausgespart wird 3 0 3 . Die sich aus der Loslösung des Staates aus der früheren Verbindung mit bestimmten Bekenntnissen ergebende Distanz wird in der Rechtslehre und Rechtsprechung als religiöse und weltanschauliche Neutralität bezeichnet304. Ohne daß dieser Begriff als solcher ausdrücklich im Grundgesetz erscheint, bildet der Grundsatz der religiösen und weltanschaulichen Neutralität des Staates ein „tragendes Element der staatskirchenrechtlichen Ordnung der Verfassung" 305. In der rechtswissenschaftlichen Literatur wurde von einzelnen Vertretern aus der Verpflichtung des Staates zu religiöser und weltanschaulicher Neutralität dessen Verpflichtung gefolgert, religiöse und weltanschauliche Einflüsse von der Schule fernzuhalten 306. 299 Vgl. E. Friesenhahn, a. a. O. (Fn. 97), S. 67 ff. 300

Vgl. Axel Frhr. von Campenhausen, Das bundesdeutsche Modell des Verhältnisses von Staat und Kirche - Trennung und Kooperation, ZevKR 42 (1997), S. 169 ff. 301 Vgl. Karl Ernst Nipkow, Die Herausforderung aus Brandenburg, Zeitschrift f. Theologie und Kirche 93 (1996), S. 124 ff. 302 Vgl. Jörg Albertz (Hrsg.), Gesellschaft und Religion, Berlin 1991; Karl-Fritz Daiber, Religion in Kirche und Gesellschaft, Stuttgart 1997; Uwe Stenglein-Hektor, Religion im Bürgerleben, Münster 1997, S. 48 ff. 303 H. Avenarius, a. a. O. (Fn. 87), S. 123. 304 BVerfGE 19, 206 (216). 305 K. Schiaich, Zur weltanschaulichen und konfessionellen Neutralität des Staates. Eine staatsrechtliche Problemskizze, in: Essener Gespräche zum Thema Staat und Kirche, Bd. 4 (1973), S. 9 ff. 306 w. Keim, a. a. O. (Fn. 1), S. 131.

D. Prinzipien des Pluralismus im Kulturstaat und religiöse Bezüge

277

Da der Staat sowohl die Kosten trage als auch die Religionslehrer für die Veranstaltung des Religionsunterrichts bereitstelle, müsse der Staat gegenüber unterschiedlichen religiösen und weltanschaulichen Vorstellungen (oder Gemeinschaften) in der öffentlichen Schule neutral sein 307 . Die ganz überwiegend herrschende Auffassung in der Staatsrechtslehre geht jedoch davon aus, daß sich im demokratischen Gemeinwesen des Grundgesetzes die religiöse und weltschauliche Neutralität des Staates nicht mit religiöser und weltanschaulicher Indifferenz ineinssetzen lasse 308 . Als freiheitsverbürgendes und freiheitssicherndes Prinzip schließt religiöse und weltanschauliche Neutralität die Erteilung eines konfessionellen Religionsunterrichts in den öffentlichen Schulen nicht aus 309 . Der Staat des Grundgesetzes wird jedoch durch die den Religionsgemeinschaften gewährte Förderung nicht zu einem „christlichen" Staat; er bleibt nach wie vor ein „religiös und weltanschaulich neutrales Staatswesen". Aus der Verpflichtung des Staates zu religiöser und weltanschaulicher Neutralität folgt, daß er sich auf die Ermöglichung des Religionsunterrichts in der Schule beschränken muß, ohne ihn inhaltlich beeinflussen zu dürfen 310 .

Π. Die bürgerliche und staatliche Toleranz gegenüber religiösen Bezügen in der Schule

Ausgangspunkt bleibt hier auch das Grundrecht auf Glaubens- und Gewissensfreiheit des Schülers. Die Glaubens- und Gewissensfreiheit ist ein Grundrecht der einzelnen Person. Sich hierauf zu berufen, steht jedermann selbstverständlich frei. Wer sich hierauf beruft, ist damit nicht zwangsläufig auch ein Dissident oder gar 307 Friedrich v. Zezschwitz, Staatliche Neutralitätspflicht und Schulgebet. Zum Urteil des HessStGH v. 27. 10. 1965, JZ 1966, S. 342. 308 Das Axiom einer völligen Gleichgültigkeit der Religion für den Staat und die Praxis eines absoluten Desinteresses des Staates an religiösen Vorgängen und Einrichtungen würden eine einseitige Stellungnahme des Staates zugunsten der ,Areligiosität", also gerade einen „Bruch der Neutralität", bedeuten. Der Staat hätte dadurch den „Neutralismus zur Weltanschauung erhoben". Religiöse und weltanschauliche Neutralität erfordert nicht die Gleichgültigkeit gegenüber den Werten, die die christlichen Konfessionen für das Gemeinwohl darstellen und gegenüber ihren Einflüssen und ihrer Wirksamkeit im Bereich des gesellschaftlichen und kulturellen Lebens. Neutralität bedeutet vielmehr „Offenheit für die Entscheidung der Bürger", nicht aber „Nötigung zur Standpunktlosigkeit" oder „Oktroyierung laizistischer Ignoranz". Vgl. Konrad Hesse, Freie Kirche im demokratischen Geseinwesen. Zur Gegenwartslage des Verhältnisses von Staat und Kirche in der Bundesrepublik, in: ZevKR 11 (1964/65), S. 356; Theodor Maunz, Die religiöse Neutralität des Staates, in: AfkKR 139 (1970), S. 439 f. 309 Vgl. Paul Schladoth, Der Religionsunterricht in den öffentlichen Schulen aus der Sicht des katholischen Religionspädagogen, in: Essener Gespräche zum Thema Staat und Kirche, Bd. 5 (1972), S. 31 ff.; Klaus Wegenast, Der Religionsunterricht in den öffentlichen Schulen aus der Sicht des evangelischen Religionspädagogen, in: Essener Gespräche zum Thema Staat und Kirche, Bd. 5 (1972), S. 9 ff. 310 W. Rees, a. a. O. (Fn. 81), S. 232 f.

278

4. Kap.: Selbstverwirklichungsrecht hinsichtlich religiöser Bezüge in der Schule

Mitglied einer Minderheit. Auch der Einzelne ist geschützt, wenn er an der staatlichen Schule seinen Glauben und sein Gewissen berührt sieht 311 . Es ist nun durchaus denkbar, daß sich eine einzelne Person in der öffentlichen Schule mit Unterrichtsinhalten, Erziehungszielen, Bekenntnisakten oder Unterrichtsräumen konfrontiert sieht, die seinem autonom und höchstpersönlich gebildeten Glauben oder Gewissen zuwiderlaufen. In der Wirklichkeit ist es jedoch viel häufiger der Fall, daß der Einzelne als Exponent einer bestimmten Weltanschauung oder eines bestimmten Bekenntnisses, also als Mitglied einer Gruppe oder einer „Minderheit" auftritt, die zu der kirchlichen oder christlichen Bestimmtheit des öffentlichen Schulwesens im Gegensatz steht 312 . Solche Minderheiten sind ζ. B. die Juden und christliche Sekten. Auch freireligiöse und freidenkerische Gruppen und Personen haben sich seit jeher artikuliert. Auch der Atheismus hat seine überzeugten Anhänger. Die grundrechtliche Freiheit des Glaubens und Gewissens all dieser Personen steht außer Frage 313 . Die Konfrontationspunkte mit den genannten Minderheiten, Gruppen und Personen sind im öffentlichen Schulwesen der Religionsunterricht, christliche Erziehungsziele, Bekenntnisakte andersgläubiger Lehrer und Schüler und ein Kreuz oder Kruzifix in den Unterrichtsräumen 314. Die öffentliche Schule muß das Mindestmaß eines toleranten Raumes unter dem bürgerlichen und staatlichen Toleranzgebot im pluralistischen Kulturstaat garantieren, das den Dissidenten nicht diskriminiert und nicht zur Duldung gewissenswidriger Handlungen zwingt 3 1 5 . In der konsequent säkularen Schule des neutralen Staates ist von vorneherein kein Raum für religiöse Bekundung; ein Glaubenskonflikt in der öffentlichen Schule ist daher von Anfang an ausgeschaltet. Es ist die Glaubensdemonstration als solche, die den Raum der Neutralität, der Toleranz und des sozialen Friedens stört 316 . Die Ordnung der Welt ist nicht die Ordnung des Reiches Gottes, sondern das Hilfsmittel der Menschen, um sich in der Welt selbstzuverwirklichen. Um die Tiefe der Differenzen deutlich zu machen und zugleich zu erklären, darf nochmals her311 F. J. Hennecke, a. a. O. (Fn. 194), S. 90. 312 Vgl. Wolfgang Waldstein, Demokratie und „totalitäre Toleranz", in: J. Listl/H. Schambeck (Hrsg.), Demokratie in Anfechtung und Bewährung, Festschrift für Johannes Broermann, Berlin 1982, S. 251 ff. 313 F. J. Hennecke, a. a. O. (Fn. 194), S. 90. 314 Vgl. hierzu L. Renck, Über positive und negative Bekenntnisfreiheit, NVwZ 1994, S. 544ff.; ders., Verfassungsprobleme der christlichen Gemeinschaftsschule, NVwZ 1991, S. 116 ff.; Hans-Peter Füssel, Multikulturelle Erziehung in Deutschland, RdJB 1993, S. 228 ff. 315 Diese Garantie religiöser Bezüge in der Schule darf keinesfalls in einer Art und Weise geschehen, die eine, wenn auch nur symbolische, Ausschlußwirkung für diejenigen Schüler mit sich bringt, die der Mehrheitsreligion nicht angehören. Dies würde die neutrale tolerante Rechtfertigung dieser Garantie - die Berücksichtigung der religiösen und weltanschaulichen Interessen der Minderheit - untergraben. Vgl. Eugen Lemberg, Ideologie und Gesellschaft, Stuttgart/Berlin/Köln 1971, S. 241 ff., 267ff. 316 Vgl. H.-G. Stobbe, a. a. O. (Fn. 205), S. 122 ff.; J. Werbick, a. a. Ο. (Fn. 214), S. 107 ff.

D. Prinzipien des Pluralismus im Kulturstaat und religiöse Bezüge

279

vorgehoben werden, daß die öffentliche Schule in charakteristischer Weise an die moderne Gesellschaft 317 und an die Ordnung des freiheitlichen und säkularen Verfassungsstaates rückgebunden ist: Weltliche und religiöse Ordnung sind getrennt, wenn auch in gewisser Weise aufeinander bezogen. Die Schule folgt einer toleranten Pädagogik 318 der individuellen Selbstverwirklichung und individueller Mündigkeit und Eigenverantwortung des Schülers unter dem bürgerlichen und staatlichen Toleranzgebot im pluralistischen Kulturstaat.

317

Vgl. Christa Lohmann (Hrsg.), Schule als soziale Organisation, 1. Aufl., Bad Heilbrunn/Obb 1978, S. 23 ff. 318 Vgl. Karl Ernst Nipkow, Der pädagogische Umgang mit dem weltanschaulich-religiösen Pluralismus auf dem Prüfstein, Z. f. Päd. 1996, S. 57 ff.

Fünftes Kapitel

Selbstverwirklichungsrecht des Schülers gesehen am Kruzifix-Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 16.5.1995 A. Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 16.5.1995 I. Der Sachverhalt

Das Bundesverfassungsgericht hat in einem Verfassungsbeschwerdeverfahren entschieden, das von einem Elternpaar im eigenen Namen und als Vertreter dreier minderjähriger Kinder angestrengt worden war. Die Eltern sind Anhänger der anthroposophischen Weltanschauung nach der Lehre Rudolf Steiners und erziehen ihre Kinder in diesem Sinne. Seit der Einschulung der Kinder hatten die Eltern sich dagegen gewandt, daß in den Klassenräumen Kruzifixe bzw. Kreuze ohne Korpus angebracht worden waren. Sie machten geltend, daß durch diese Symbole, insbesondere durch die Darstellung eines „sterbenden männlichen Körpers", im Sinne des Christentums auf ihre Kinder eingewirkt werde 1. Die Eltern forderten von der Schulbehörde wiederholt, daß das Kreuz abgenommen werde, wobei es gelegentlich zu Kompromissen des Inhalts kam, daß ein größeres Kruzifix gegen ein kleineres, nicht unmittelbar im Sichtfeld angebrachtes Kreuz ausgewechselt wurde. Die Schulverwaltung gab indessen keine Zusage, diesen Kompromiß bei jedem Klassenwechsel einzuhalten. Im Februar 1991 erhoben die Beschwerdeführer im eigenen Namen und im Namen ihrer Kinder vor dem Verwaltungsgericht Klage gegen den Freistaat Bayern mit dem Ziel, daß aus sämtlichen von ihren Kindern im Rahmen ihrer Schullaufbahn besuchten und noch aufzusuchenden Räumen in öffentlichen Schulen die Kreuze entfernt würden. Zugleich beantragten sie den Erlaß einer einstweiligen Anordnung bis zum Abschluß des Klageverfahrens auf Entfernung von Kruzifixen 2. Das zunächst angerufene Verwaltungsgericht Regensburg lehnte den Eilantrag mit der Begründung ab, die negative Bekenntnisfreiheit habe keinen Vorrang gegenüber der positiven Bekenntnisfreiheit derjenigen Schüler, die in einem religiösen Bekenntnis erzogen würden und sich dazu bekennen wollten 3 . ι Vgl. BVerfGE 93, 1 (2). 2 Vgl. BVerfGE 93, 1 (3). 3 VG Regensburg, BayVBl. 1991, S. 345 (346).

Α. Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 16. 5. 1995

281

Gegen die Entscheidung des Verwaltungsgerichts Regensburg erhoben die Eltern Beschwerde beim Bayerischen Verwaltungsgerichtshof, die jedoch zurückgewiesen wurde. Das Gericht sah ein Spannungsverhältnis zwischen negativer und positiver Religionsfreiheit, das nach dem Gebot der Toleranz aufzulösen sei4. Die bloße Kreuzesdarstellung verlange weder eine Identifikation mit den dadurch verkörperten Ideen oder Glaubensvorstellungen noch ein irgendwie darauf gerichtetes aktives Verhalten. Es sei in keiner Weise geeignet, die neben der Schule eigenständige elterliche Erziehung zu beeinträchtigen5. Es könne hinzu, daß die Antragsteller die Gestalt Jesu Christi als solche nicht ablehnten, sondern sich nur gegen die nach ihrer Meinung zu einseitige und schädliche Betonung des leidenden Christus wandten. Wörtlich heißt es in dem Beschluß, daß die Schule im Rahmen der hier vorzunehmenden Abwägung der negativen Religionsfreiheit mit anderen verfassungsrechtlich geschützten Gütern einem „extrem übersteigerten Subjektivismus" nicht Rechnung zu tragen brauche6. Die Eltern erhoben gegen diesen Beschluß Verfassungsbeschwerde beim Bundesverfassungsgericht und stellten gleichzeitig einen Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung.

II. Die Entscheidung

Das Bundesverfassungsgericht stellt fest, daß sowohl die Eltern in ihren Grundrechten aus Art. 4 Abs. 1 i.V.m. Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG als auch die von ihnen vertretenen Kinder in ihren Grundrechten aus Art. 4 Abs. 1 GG verletzt seien und § 13 Abs. 1 Satz 3 der Schulordnung für die Volksschule in Bayern mit Art. 4 Abs. 1 des Grundgesetzes unvereinbar und nichtig sei7. Der Senat führt aus, daß zur Glaubensfreiheit nicht nur die Freiheit gehöre, einen Glauben zu haben, sondern auch die Freiheit, nach den eigenen Glaubensüberzeugungen zu leben und zu handeln8. Insbesondere gewährleiste die Glaubensfreiheit die Teilnahme an den kultischen Handlungen, die ein Glaube vorschreibe oder in denen er Ausdruck finde. Dem entspreche umgekehrt die Freiheit, kultischen Handlungen eines nicht geteilten Glaubens fernzubleiben. Diese Freiheit beziehe sich ebenfalls auf die Symbole, in denen ein Glaube oder eine Religion sich darstelle. Art. 4 Abs. 1 GG überlasse es dem Einzelnen zu entscheiden, welche religiösen Symbole er anerkenne und verehre und welche er ablehne. Zwar habe er in einer Gesellschaft, die unterschiedlichen Glaubensüberzeugungen Raum gebe, kein Recht darauf, von fremden Glaubensbekundungen, kultischen Handlungen und religiösen Symbolen verschont zu bleiben. Davon zu unterscheiden sei aber 4 BayVGH, NVwZ 1991, S. 1099(1100). 5 BayVGH, NVwZ 1991, S. 1099(1100). 6 BayVGH, NVwZ 1991, S. 1099(1101). 7 BVerfGE 93, 1 (15 f.). » Vgl. BVerfGE 32,98, 106 (= JZ 1972, 83 m. Anm. K. Peters).

282

5. Kap.: Selbstverwirklichungsrecht gesehen am Kruzifix-Urteil

eine vom Staat geschaffene Lage, in der der Einzelne ohne Ausweichmöglichkeiten dem Einfluß eines bestimmten Glaubens, den Handlungen, in denen dieser sich manifestiere, und den Symbolen, in denen er sich darstelle, ausgesetzt sei. Insofern entfalte Art. 4 Abs. 1 GG seine freiheitssichernde Wirkung gerade in Lebensbereichen, die nicht der gesellschaftlichen Selbstorganisation überlassen seien, sondern vom Staat in Vorsorge genommen worden seien9. Dem trage auch Art. 140 GG i.V.m. Art. 136 Abs. 4 WRV dadurch Rechnung, daß er ausdrücklich verbiete, jemanden zur Teilnahme an religiösen Übungen zu zwingen 10 . Aus der Glaubensfreiheit des Art. 4 Abs. 1 GG folge im Gegenteil der Grundsatz staatlicher Neutralität gegenüber den unterschiedlichen Religionen und Bekenntnissen. Der Staat, in dem Anhänger unterschiedlicher oder gar gegensätzlicher religiöser und weltanschaulicher Überzeugungen zusammenlebten, könne die friedliche Koexistenz nur gewährleisten, wenn er selber in Glaubensfragen Neutralität bewahre. Er dürfe daher den religiösen Frieden in einer Gesellschaft nicht von sich aus gefährden. Dieses Gebot finde seine Grundlage nicht nur in Art. 4 Abs. 1 GG, sondern auch in Art. 3 Abs. 3, Art. 33 Abs. 1 sowie Art. 140 GG i.V.m. Art. 136 Abs. 1 und 4 und Art. 137 Abs. 1 WRV. Sie würden die Einführung staatskirchlicher Rechtsformen verwehren und die Privilegierung bestimmter Bekenntnisse ebenso wie die Ausgrenzung Andersgläubiger untersagen11. Auf die zahlenmäßige Stärke oder die soziale Relevanz komme es dabei nicht an 12 . Der Staat habe vielmehr auf eine am Gleichheitssatz orientierte Behandlung der verschiedenen Religions· und Weltanschauungsgemeinschaften zu achten13. Auch dort, wo er mit ihnen zusammenarbeite oder sie fördere, dürfe dies nicht zu einer Identifikation mit bestimmten Religionsgemeinschaften führen 14. Im Verein mit Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG, der den Eltern die Pflege und Erziehung ihrer Kinder als natürliches Recht garantiere, umfasse Art. 4 Abs. 1 GG auch das Recht zur Kindererziehung in religiöser und weltanschaulicher Hinsicht. Dem entspreche das Recht, die Kinder von Glaubensüberzeugungen fernzuhalten, die den Eltern falsch oder schädlich erschienen 15. Vor diesem Hintergrund bewertet das Bundesverfassungsgericht die durch § 13 Abs. 1 Satz 3 Bay VSO vorgeschriebene Anbringung von Kreuzen in sämtlichen Klassenzimmern der bayerischen Volksschulen. Wörtlich heißt es: „Zusammen mit der allgemeinen Schulpflicht führen Kreuze in Unterrichtsräumen dazu, daß die Schüler während des Unterrichts von Staats wegen und ohne Ausweichmöglichkeit 9 Vgl. BVerfGE 41,29,49. 10 BVerfGE 93, 1 (16). u BVerfGE 93, 1 (16); vgl. auch BVerfGE 19, 206, 216; 24, 236, 246; 33, 23, 28 (= JZ 1972,515 m. Anm. K. Peters). 12 Vgl. BVerfGE 32, 98, 106. 13 Vgl. BVerfGE 19, 1, 8; 19, 206, 216; 24, 235, 246. 14 BVerfGE 93, 1 (16); vgl. auch BVerfGE 30,415,422 (= JZ 1971, 373). 15 BVerfGE 93, 1 (17).

Α. Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 16. 5.1995

283

mit diesem Symbol konfrontiert sind und gezwungen werden, unter dem Kreuz zu lernen. Dadurch unterscheidet sich die Anbringung von Kreuzen in Klassenzimmern von der im Alltagsleben häufig auftretenden Konfrontation mit religiösen Symbolen der verschiedensten Glaubensrichtungen. Zum einen geht diese nicht vom Staat aus, sondern ist eine Folge der Verbreitung unterschiedlicher Glaubensüberzeugungen und Religionsgemeinschaften in der Gesellschaft. Zum anderen besitzt die nicht denselben Grad von Unausweichlichkeit. Zwar hat es der Einzelne nicht in der Hand, ob er im Straßenbild, in öffentlichen Verkehrsmitteln oder beim Betreten von Gebäuden religiösen Symbolen oder Manifestationen begegnet. Es handelt sich in der Regel jedoch um ein flüchtiges Zusammentreffen, und selbst bei längerer Konfrontation beruht diese nicht auf einem notfalls mit Sanktionen durchsetzbaren Zwang."16

Der Senat verneint ausdrücklich, daß das Kreuz allein Ausdruck der vom Christentum mitgeprägten abendländischen Kultur sei. Zwar seien über die Jahrhunderte zahlreiche christliche Traditionen in die allgemeinen kulturellen Grundlagen der Gesellschaft eingegangen, denen sich auch Gegner des Christentums und Kritiker seines historischen Erbes nicht entziehen könnten. Von diesen müßten aber die spezifischen Glaubensinhalte der christlichen Religion oder gar einer bestimmten christlichen Konfession einschließlich ihrer rituellen Vergegenwärtigung und symbolischen Darstellung unterschieden werden. Ein staatliches Bekenntnis zu diesen Glaubensinhalten, dem auch Dritte bei Kontakten mit dem Staat ausgesetzt würden, berühre die Religionsfreiheit. Davon ist das Bundesverfassungsgericht schon in der Entscheidung über die Verfassungsmäßigkeit der Simultanschulen mit christlichem Charakter im überlieferten badischen Sinne ausgegangen. Hier stellte es fest, daß die zulässige Bejahung des Christentums sich in erster Linie auf die Anerkennung des prägenden Kultur- und Bildungsfaktors beziehe, wie er sich in der abendländischen Geschichte herausgebildet habe, nicht dagegen auf die Glaubenswahrheiten der christlichen Religion. Nur bei einer solchen Begrenzung sei diese Bejahung auch gegenüber dem Nichtchristen durch das Fortwirken geschichtlicher Gegebenheiten legitimiert 17 . Das Kreuz gehöre nach wie vor zu den spezifischen Glaubenssymbolen des Christentums und sei geradezu sein Glaubenssymbol schlechthin. Es versinnbildliche „die im Opfertod Christi vollzogene Erlösung des Menschen von der Erbschuld, zugleich aber auch den Sieg Christi über Satan und Tod und seine Herrschaft über die Welt, Leiden und Triumph in einem." 18 Für den gläubigen Christen sei es deswegen in vielfacher Weise Gegenstand der Verehrung und der Frömmigkeitsübung. Die Ausstattung eines Gebäudes oder eines Raums mit einem Kreuz werde bis heute als gesteigertes Bekenntnis des Besetzers zum christlichen Glauben verstanden. Für den Nichtchristen oder den Atheisten werde das Kreuz gerade wegen der Bedeutung, die ihm das Christentum beilegt und die es in der Ge16 BVerfGE 93, 1 (18). π BVerfGE 93, 1 (18 f.); vgl. auch BVerfGE 41,29, 52. ι» BVerfGE 93, 1 (19).

284

5. Kap.: Selbstverwirklichungsrecht gesehen am Kruzifix-Urteil

schichte gehabt habe, zum sinnbildlichen Ausdruck bestimmer Glaubensüberzeugungen und zum Symbol ihrer missionarischen Ausbreitung 19. Dem Kreuz könne auch die Einwirkung auf die Schüler nicht abgesprochen werden. Der Senat räumt ein, daß mit der Anbringung des Kreuzes in Klassenzimmern kein Zwang zur Identifikation oder zu bestimmten Ehrbezeugungen und Verhaltensweisen einhergehe 20. Ebensowenig folge daraus, daß der Sachunterricht in den profanen Fächern von dem Kreuz geprägt oder an den von ihm symbolisierten Glaubenswahrheiten und Verhaltensanforderungen ausgerichtet werde. Darin erschöpften sich die Einwirkungsmöglichkeiten des Kreuzes aber nicht. Die schulische Erziehung diene nicht nur der Erlernung der grundliegenden Kulturtechniken und der Entwicklung kognitiver Fähigkeiten. Sie solle auch die emotionalen und affektiven Anlagen der Schüler zur Entfaltung bringen. Das Schulgeschehen sei darauf angelegt, ihre Persönlichkeitsentwicklung umfassend zu fördern und insbesondere auch das Sozialverhalten zu beeinflussen. In diesem Zusammenhang gewinne das Kreuz im Klassenzimmer seine Bedeutung: ,3s hat appellativen Charakter und weist die von ihm symbolisierten Glaubensinhalte als vorbildhaft und befolgungswürdig aus. Das geschieht überdies gegenüber Personen, die aufgrund ihrer Jugend in ihren Anschauungen noch nicht gefestigt sind, Kritikvermögen und Ausbildung eigener Standpunkte erst erlernen sollen und daher einer mentalen Beeinflussung besonders leicht zugänglich sind."21

Das Bundesverfassungsgericht stellt fest, daß das Grundrecht der Glaubensfreiheit vorbehaltlos gewährleistet sei. Das bedeute aber nicht, daß es keinerlei Einschränkungen zugänglich wäre. Diese müßten sich jedoch aus der Verfassung selbst ergeben. Eine Errichtung von Schranken, die nicht bereits in der Verfassung angelegt seien, stehe dem Gesetzgeber nicht zu. Verfassungsrechtliche Gründe, die den Eingriff zu rechtfertigen vermöchten, seien hier aber nicht vorhanden. Aus Art. 7 Abs. 1 GG ergebe sich eine solche Rechtfertigung nicht. Allerdings erteile Art. 7 Abs. 1 GG dem Staat einen Erziehungsauftrag 22. Er habe nicht nur das Schulwesen zu organisieren und selbst Schulen zu errichten, sondern dürfe auch die Erziehungsziele und Ausbildungsgänge festlegen. Dabei sei er von den Eltern unabhängig23. Deswegen könnten nicht nur schulische und familiäre Erziehung in Konflikt geraten. Es sei vielmehr auch unvermeidbar, daß in der Schule die unterschiedlichen religiösen und weltanschaulichen Überzeugungen der Schüler und ihrer Eltern besonders intensiv aufeinander träfen. Dieser Konflikt zwischen verschiedenen Trägern eines vorbehaltlos gewährleisteten Grundrechts sowie zwischen diesem Grundrecht und anderen verfassungsrechtlich geschützten Gütern sei nach dem Grundsatz praktischer Konkordanz zu lösen, der fordert, daß nicht eine 19 BVerfGE 93, 1 (19 f.). 20 BVerfGE 93, 1 (20). 21 BVerfGE 93, 1 (20); vgl. auch BVerfGE 52, 223, 249. 22 Vgl. BVerfGE 34, 165, 181. 23 Vgl. BVerfGE 34, 165, 182; 47, 46, 71 f.

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der widerstreitenden Rechtspositionen bevorzugt und maximal behauptet werde, sondern alle einen möglichst schonenden Ausgleich erführen 24. Ein solcher Ausgleich verlange vom Staat nicht, daß er bei der Erfüllung des von Art. 7 Abs. 1 GG erteilten Erziehungsauftrags auf religiös-weltanschauliche Bezüge völlig verzichte. Auch ein Staat, der die Glaubensfreiheit umfassend gewährleiste und sich damit selber zu religiös-weltanschaulicher Neutralität verpflichte, könne die kulturell vermittelten und historisch verwurzelten Wertüberzeugungen und Einstellungen nicht abstreifen. Auch deshalb nicht, weil auf diesen der gesellschaftliche Zusammenhalt beruhe und auch die Erfüllung seiner eigenen Aufgaben davon abhänge. Der christliche Glaube und die christlichen Kirchen seien dabei, wie immer man ihr Erbe heute beurteilen möge, von überragender Prägekraft gewesen. Die darauf zurückgehenden Denktraditionen, Sinnerfahrungen und Verhaltensmuster könnten dem Staat nicht gleichgültig sein. Das gelte in besonderem Maß für die Schule, in der die kulturellen Grundlagen der Gesellschaft vornehmlich tradiert und erneuert würden. Überdies dürfe der Staat, der die Eltern verpflichte, ihre Kinder in die staatliche Schule zu schicken, auf die Religionsfreiheit derjenigen Eltern Rücksicht nehmen, die eine religiös geprägte Erziehung wünschen. Das Grundgesetz habe das anerkannt, indem es in Art. 7 Abs. 5 GG staatliche Weltanschaungs- oder Bekenntnisschulen gestattet, Religionsunterricht als ordentliches Lehrfach vorsehe (Art. 7 Abs. 3 GG) und darüber hinaus Raum für aktive Betätigung der Glaubensüberzeugung lasse25. Allerdings sei es in einer pluralistischen Gesellschaft unmöglich, bei der Gestaltung der öffentlichen Pflichtschule allen Erziehungsvorstellungen voll Rechnung zu tragen. Insbesondere ließen sich die negative und die positive Seite der Religionsfreiheit nicht problemlos in ein und derselben staatlichen Institution verwirklichen. Daraus folge, daß sich der Einzelne im Rahmen der Schule nicht uneingeschränkt auf Art. 4 Abs. 1 GG berufen könne. Das unvermeidliche SpannungsVerhältnis zwischen negativer und positiver Religionsfreiheit unter Berücksichtigung des Toleranzgebotes zu lösen, obliege dem Landesgesetzgeber, der im öffentlichen Willensbildungsprozeß einen für alle zumutbaren Kompromiß zu suchen habe. Er könne sich bei seiner Regelung daran orientieren, daß einerseits Art. 7 GG im Bereich des Schulwesens religiös-weltanschauliche Einflüsse zulasse, andererseits Art. 4 GG gebiete, bei der Entscheidung für eine bestimmte Schulform religiösweltanschauliche Zwänge so weit wie irgend möglich auszuschalten. Beide Vorschriften seien zusammen zu sehen und in der Interpretation aufeinander abzustimmen, weil erst die Konkordanz der in den beiden Artikeln geschützten Rechtsgüter der Entscheidung des Grundgesetzes gerecht werde 26. Das Bundesverfassungsgericht hat daraus den Schluß gezogen, daß dem Landesgesetzgeber die Einführung christlicher Bezüge bei der Gestaltung der öffentlichen 24 BVerfGE 93, 1 (21 f.); vgl. auch BVerfGE 28, 243, 260f.; 41, 29, 50; 52, 223, 247, 251. 25 BVerfGE 93, 1 (22); vgl. auch BVerfGE 41, 29,49; 52, 223, 240f. 26 BVerfGE 93, 1 (22 f.); vgl. auch BVerfGE 41, 29, 50 f. 19 Hsu

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5. Kap.: Selbstverwirklichungsrecht gesehen am Kruzifix-Urteil

Volksschulen nicht schlechthin verboten sei, auch wenn Erziehungsberechtigte, die bei der Erziehung ihrer Kinder dieser Schule nicht ausweichen können, keine religiöse Erziehung wünschten. Voraussetzung sei jedoch, daß damit nur das unerläßiche Minimum an Zwangselementen verbunden sei. Das bedeute insbesondere, daß die Schule ihre Aufgabe im religiös-weltanschaulichen Bereich nicht missionarisch auffassen und keine Verbindlichkeit für christliche Glaubensinhalte beanspruchen dürfe 27 . Die Bejahung des Christentums beziehe sich insofern auf die Anerkennung des prägenden Kultur- und Bildungsfaktors, nicht auf bestimmte Glaubenswahrheiten. Zum Christentum als Kulturfaktor gehöre gerade auch der Gedanke der Toleranz für Andersdenkende. Deren Konfrontation mit einem christlich geprägten Weltbild führe jedenfalls so lange nicht zu einer diskriminierenden Abwertung nichtchristlicher Weltanschauungen, als es nicht um Glaubensvermittlung, sondern um das Bestreben nach Verwirklichung der autonomen Persönlichkeit im religiös-weltanschaulichen Bereich gemäß der Grundentscheidung des Art. 4 GG gehe28. Das Bundesverfassungsgericht hat deshalb die Regelung über die christliche Gemeinschaftsschule in Art. 135 Satz 2 der Bayerischen Verfassung nur aufgrund einer verfassungskonformen Auslegung für mit dem Grundgesetz vereinbar erklärt und in bezug auf die Simultanschule mit christlichem Charakter im überlieferten badischen Sinne betont, daß es sich nicht um eine bikonfessionelle Schule handele29. Die Begründung kulminiert in der Feststellung, daß die Anbringung von Kreuzen in Klassenzimmern die danach gezogene Grenze religiös-weltanschaulicher Ausrichtung der Schule überschreite. Wie bereits festgestellt, könne das Kreuz nicht seines spezifischen Bezugs auf die Glaubensinhalte des Christentums entkleidet und auf ein allgemeines Zeichen abendländischer Kulturtradition reduziert werden. Es symbolisiere den wesentlichen Kern der christlichen Glaubensüberzeugung, die zwar insbesondere die westliche Welt in vielfacher Weise geformt habe, aber keineswegs von allen Gesellschaftsgliedern geteilt, sondern von vielen in Ausübung ihres Grundrechts aus Art. 4 Abs. 1 GG abgelehnt werde. Seine Anbringung in der staatlichen Pflichtschule sei daher mit Art. 4 Abs. 1 GG unvereinbar, soweit es sich nicht um christliche Bekenntnisschulen handelt30. Die Anbringung des Kreuzes rechtfertige sich auch nicht aus der positiven Glaubensfreiheit der Eltern und Schüler christlichen Glaubens. Die positive Glaubensfreiheit komme allen Eltern und Schülern gleichermaßen zu, nicht nur den christlichen. Der daraus entstehende Konflikt lasse sich nicht nach dem Mehrheitsprinzip lösen, denn gerade das Grundrecht der Glaubensfreiheit bezwecke in besonderem Maße den Schutz von Minderheiten. Überdies verleihe Art. 4 Abs. 1 GG den Grundrechtsträgern nicht uneingeschränkt einen Anspruch darauf, ihre Glaubens27 28 29 30

BVerfGE BVerfGE BVerfGE BVerfGE

93, 93, 93, 93,

1 1 1 1

(23). (23); vgl. auch BVerfGE 41, 29, 51 f.; 41, 65, 85 f. (23 f.); vgl. auch BVerfGE 41, 29, 62. (24).

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Überzeugung im Rahmen staatlicher Institutionen zu betätigen. Soweit die Schule im Einklang mit der Verfassung dafür Raum lasse, wie beim Religionsunterricht, beim Schulgebet und anderen religiösen Veranstaltungen, müßten diese vom Prinzip der Freiwilligkeit geprägt sein und Andersdenkenden zumutbare, nicht diskriminierende Ausweichmölichkeiten lassen. Das sei bei der Anbringung von Kreuzen in Klassenzimmern, deren Präsenz und Anforderung sich der Andersdenkende nicht entziehen könne, nicht der Fall. Schließlich wäre es mit dem Gebot praktischer Konkordanz nicht vereinbar, die Empfindungen Andersdenkender völlig zurückzudrängen, damit die Schüler christlichen Glaubens über den Religionsunterricht und freiwillige Andachten hinaus auch in den profanen Fächern unter dem Symbol ihres Glaubens lernen könnten31.

ΠΙ. Hypothesen und Fragen

Das Schulkreuz-Urteil fällt in eine Zeit, in der allerorten gefragt wird, was den neuzeitlichen Staat und die moderne Gesellschaft zusammenhält. Zu den in dieser neuen Wertedebatte als erforderlich festgestellten Integrationsfaktoren könnten auch die religiösen und weltanschaulichen Überzeugungen der Bürger gehören. Damit wird die Frage unausweichlich, in welcher Weise sich der Staat zu diesen Überzeugungen verhalten muß. Es ist nicht eindeutig, ob und inwieweit das Bundesverfassungsgericht die Religion aus der Schule heraushalten und zur reinen Privatangelegenheit erklären will. Die Entscheidung könnte auch in dem Sinne interpretiert werden, daß nur eine einseitige Beeinflussung der Schüler in religiös-weltanschaulicher Hinsicht verboten ist. In einem Gemeinwesen, in dem Bürger mit unterschiedlichen Überzeugungen leben, wirft dies allerdings die Frage auf, in welcher Weise die Pluralität der Bekenntnisse in das Schulleben integriert werden kann 32 . Das Bundesverfassungsgericht legte seiner Entscheidung verfassungsrechtliche Maßstäbe zugrunde, die der bisherigen Rechtsprechung und der herrschenden Auf31 BVerfGE 93, 1 (24). 32 Wenn das Bundesverfassungsgericht daher in der mittelbaren religiösen Beeinflussung, die mit dem staatlich etabierten Kreuz/Kruzifix zwangsläufig verbunden ist, ohne weiteres eine Grundrechtsbeeinträchtigung sah, kann das nach all dem nicht verwundern. Das Ergebnis mußte ihm um so selbstverständlicher erscheinen, als seine Rechtsprechung ja schon mehrmals im Schulbereich einseitige ideologische Parteinahmen des Staates für unzulässig erklärt hat, ohne deshalb angegriffen zu werden. Verfassungsrechtlich war das Kruzifix-Urteil unausweichlich. Es stimmt überein auch mit der Rechtsprechung des obersten Schweizer Gerichts. Wie schon das Schweizer Bundesgericht, so hat auch das Bundesverfassungsgericht ernst damit gemacht, daß Grundrechte hauptsächlich zum Minderheitenschutz durchgesetzt worden sind und daß auf den religiös-weltanschaulichen Bereich keine staatlichen Zwänge wirken dürfen und Andersdenkende nicht von freiheitsbeschränkenden Vorschriften betroffen werden dürfen. Dies gehört zu den erlittenen Erfahrungen der abendländischen Kultur und müßte eigentlich in der Kirche der Reformation breite Zustimmung finden. Vgl. Winfried Brugger/Stefan Huster, Einleitung, in: W. Brugger/S. Huster (Hrsg.), Der Streit um das Kreuz in der Schule, Baden-Baden 1998, S. 7 f. 19*

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5. Kap.: Selbstverwirklichungsrecht gesehen am Kruzifix-Urteil

fassung entsprechen 33, abgesehen von einer verengten Deutung des Selbstverwirklichungsrechts des Schülers als Kern des Grundrechts auf Bildung im verfassungsrechtlichen Sinne und einer extensiven Auslegung und Anwendung der „positiven" Glaubensfreiheit des Staates (der staatlichen religiösen Tätigkeit der Ausstattung von Unterrichtsräumen mit Kruzifixen in der öffentlichen Schule). Im vom Bundesverfassungsgericht zu entscheidenden Fall konnte deshalb auch keine „Abwägung" zwischen „negativer" und „positiver" Religionsfreiheit helfen, noch konnten Mehrheitsverhältnisse den Ausschlag geben34. Das nicht entwickelte argumentative grundrechtsdogmatische Problem ist deshalb ein anderes und vom Senat nicht bezeichnet worden: ob nämlich das Grundrecht aus Art. 2 Abs. 1 GG, im engsten Sinne das Selbstverwirklichungsrecht des Schülers als Kern des Grundrechts auf Bildung, die staatliche religiöse Tätigkeit der Ausstattung von Unterrichtsräumen mit Kreuzen (Kruzifixen) in der öffentlichen Schule im pluralistischen Kulturstaat verbietet. Das hier zu behandelnde Problem wirft zwei Rechtsfragen 35 auf: Einmal, ob diese staatliche religiöse Tätigkeit der Ausstattung von Unterrichtsräumen mit Kreuzen (Kruzifixen) in der öffentlichen Schule nach den Bestimmungen des Grundgesetzes im pluralistischen Kulturstaat objektiv verfassungsmäßig ist (B.), zum andern, ob und inwieweit ein mit der Verfassungsbeschwerde durchsetzbarer Grundrechtsanspruch des Schülers im Grundgesetz (hier vor allem die Religionsfreiheit des Schülers und das Selbstverwirklichungsrecht des Schülers als Kern des Grundrechts auf Bildung im verfassungsrechtlichen Sinne) besteht, daß Unterrichtsräume nicht vom Staat mit einem Kreuz (Kruzifix) ausgestattet werden (C.).

33 Vgl. Peter Badura, Das Kreuz im Schulzimmer, BayVBl. 1996, S. 35. 34 Jörn Ipsen, Glaubensfreiheit als Beeinflussungsfreiheit? - Anmerkungen zum „Kruzifix-Beschluß" des Bundesverfassungsgerichts - , in: B. Ziemske/T Langheid/H. Wilms /G. Haverkate (Hrsg.), Festschrift für Martin Kriele zum 65. Geburtstag, Staatsphilosophie und Rechtspolitik, München 1997, S. 311. 35 Eine Fülle von Rechtsfragen standen zur Klärung bzw. möglichst überzeugenden Darstellung an, die durch im Verfassungsrecht geläufige Probleme gekennzeichnet werden können: religionsrechtliche Kompetenz des Staates; weltanschaulich-religiöse Neutralität des Staates; Wesen der verfassungsrechtlichen Toleranz allgemein und im grundrechtlichen Bereich; demokratisches Mehrheitsprinzip und Minderheitenschutz; Grundrechtsposition der Schüler, Eltern und Lehrer; Verhältnis des staatlichen zum elterlichen Erziehungsrecht; Problem des Rechtsanspruchs auf Religionsausübung; allgemeines Verbot einseitiger ideologischer Beeinflussung und Missionierungsverbot; Grundrechtskollisionen; Rechtsfigur der positiven und negativen Religionsfreiheit; Bindungswirkung der Bayern betreffenden Schulentscheidung aus dem Jahr 1975. Vgl. Gerhard Czermak, Der Kruzifix-Beschluß des Bundesverfassungsgerichts, seine Ursachen und seine Bedeutung, NJW 1995, S. 3350.

Β. Staatliche Ausstattung von Unterrichtsräumen mit Kreuzen in der Schule

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B. Die staatliche Ausstattung von Unterrichtsräumen mit Kreuzen in der Schule im pluralistischen Kulturstaat Steht diese staatliche religiöse Tätigkeit der Ausstattung von Unterrichtsräumen mit Kreuzen (Kruzifixen) in der öffentlichen Schule mit dem geltenden Verfassungsrecht im pluralistischen Kulturstaat im Einklang? Um diese Frage zu beantworten, bedarf es zunächst der Klärung, um welchen Bereich staatlicher Tätigkeit es sich bei der Ausstattung von Unterrichtsräumen mit Kreuzen (Kruzifixen) handelt. Das ist nicht ohne weiteres eindeutig. Erst wenn dies festgestellt ist, kann weiter untersucht werden, ob und welche verfassungsrechtlichen Bindungen für diese Art staatlicher religiöser Tätigkeit bestehen und ob solche verfassungsrechtlichen Bindungen im konkreten Fall verletzt sind.

I. Die staatliche Tätigkeit der Ausstattung von Unterrichtsräumen mit Kreuzen in der Schule

1. Die staatliche Tätigkeit Die Art der staatlichen Tätigkeit, die hier in Frage steht, ist der Bereich der Selbstdarstellung des Staates. Von einer solchen Selbstdarstellung des Staates läßt sich dann sprechen, wenn die Wahrnehmung staatlicher Funktionen über die Gewährleistung des einfachen Funktionierens hinaus in besonderer Weise gestaltet und in eine Form gebracht wird 3 6 . Staatliche Selbstdarstellung in diesem Sinn geschieht, unmittelbar anschaulich, durch die staatlichen Symbole (Flagge, Wappen, Siegelzeichen), ferner durch die Nationalhymne und, soweit vorhanden, durch einen Nationalfeiertag 37. In ihnen findet die Einheit des Staates, die staatliche Zusammengehörigkeit, über die verschiedenen gesellschaftlichen und politischen Gruppierungen hinweg sinnfälligen Ausdruck. In den staatlichen Symbolen kommt darüber hinaus auch die dem Staat bzw. im Rahmen der staatlichen Zuständigkeitsordnung den einzelnen staatlichen Oiganen und Ämtern eigene Hoheitsgewalt zur Präsentation38. Wie die staatliche Selbstdarstellung positiv zum Ausdruck zu bringen ist, läßt sich demgegenüber aus den tragenden Verfassungsprinzipien und -entscheidungen nicht unmittelbar entnehmen. Zwar entfalten diese eine gewisse Direktivwirkung, geben eine Richtung an. Sie sind aber für eine Vielfalt von Möglichkeiten der

36 E.-W. Böckenförde, Kreuze (Kruzifixe) in Gerichtssälen?, ZevKR 20 (1975), S. 122. 37 Vgl. Helmut Quaritsch (Hrsg.), Die Selbstdarstellung des Staates, Tübingen 1977. 38 Vgl. Eckart Klein, Staatssymbole, in: J. Isensee/P. Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. I, Heidelberg 1987, § 17 Rdnr. 7 ff.; v. Mangoldt/Klein, GG, Art. 22; Maunz/Dürig, GG, Art. 22 Rdnr. 1 ff.; v. Münch, GG Bd. II, Art. 22 Rdnr. 7 ff.

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5. Kap.: Selbstverwirklichungsrecht gesehen am Kruzifix-Urteil

Sichtbarmachung und Konkretisierung offen, über die zu befinden, je nach Funktionsbereich, Sache des Gesetzgebers oder der verwaltenden Organe ist 39 . Aber alle Staatsgewalt hat dem Wohl des Volkes zu dienen. Das gehört zu den Grundvoraussetzungen des demokratischen 40 Verfassungsstaats. Der Staat ist kein Selbstzweck, und schon gar nicht darf er von den Regierenden für ihre Zwecke instrumentalisiert werden. Der Staat und alle Personen, derer er sich in seinen Ämtern bedient, sind um der Bürger willen da und haben eine rein dienende Funktion 41 . Menschen leben nicht nur ihr privates, sondern auch ihr allgemeines, öffentliches Leben aus ihren Sinnverständnissen, selbst wenn diese für die Bedienung einer Maschine, den Erlaß eines Verwaltungsaktes, den Abschluß eines völkerrechtlichen Vertrages, etc. ohne Bedeutung ist. Aber die oft viel entscheidendere Vorfrage, ob dies oder jenes getan werden soll, ζ. B. eine Operation vorgenommen oder unterlassen werden soll, kann oft nur von dem Welt- und Ich-Verständnis beantwortet werden 42. Aber ganz allgemein gilt, wie ein Mensch sich gibt, sich allgemein verhält, zu anderen, im gewöhnlichen Umgang wie in Krisen, wird letztlich getragen und geprägt von seinem Verständnis der Welt, seiner selbst und der anderen. Der Mensch läßt sich nicht spalten in einen öffentlichen und einen privaten Menschen. Er lebt auch in der Gesellschaft, in der Öffentlichkeit, im Staat von, mit und in seinen privaten Vorstellungen und Vorprägungen 43. Der neutrale Staat hat keinen Ansatzpunkt der Sinndeutung in sich selbst. Denn Sinndeutung geht auf Wahrheit zurück. Der neutrale Staat ist gegenüber der Wahrheitsfrage keineswegs gleichgültig. Aber er kann sie nicht selbst beantworten. Er kann lediglich zivile, bürgerliche, republikanische Tugenden lehren und vermitteln, wie sie für das Zusammenleben in einem säkularisierten Staat erforderlich und geboten sind. Aber er kann nicht die Sinnhaftigkeit von Leben und Tod des einzelnen wie der vielen verstehbar machen44. Die Herkunft dieser Sinngebungen ist wiederum sehr verschieden, ebenso sind es ihre Inhalte. Da sie aber immer Anspruch auf Wahrheit erheben, kann es zwar auch zu Konflikten in der Gesellschaft kommen. Das kann aber nicht bedeuten, daß der Staat diese Sinngebung für sich in Anspruch nehmen sollte oder auch nur 39 E.-W. Böckenförde, ZevKR 20 (1975), S. 126. 40 Vgl. Martin Kriele, Das demokratische Prinzip im Grundgesetz, VVDStRL 29 (1971), S. 46ff.; Werner v. Simson, Das demokratische Prinzip im Grundgesetz, VVDStRL 29 (1971), S. 3 ff. 41

Hans Herbert von Arnim, Staat ohne Diener, München 1993, S. 9 ff. H e inhard Steiger, Religion und Religionsfreiheit im neutralen Staat, in: B. Ziemske/ T. Langheid/H. Wilms /G. Haverkate (Hrsg.), Festschrift für Martin Kriele zum 65. Geburtstag, Staatsphilosophie und Rechtspolitik, München 1997, S. 117. 4 3 Vgl. Werner Erich Aufermann, Die Politik der Selbstverwirklichung, Diss., Hamburg 1988, S. 12 ff. 44 H. Steiger, a. a. O. (Fn. 42), S. 117 f. 42

Β. Staatliche Ausstattung von Unterrichtsräumen mit Kreuzen in der Schule

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dürfte. Denn dann würde der Staat eindeutig seine Neutralität überschreiten. Vor allem aber würde er sich der Gefahr inneren Zerfalls bis hin zum Bürgerkrieg aussetzen, was wiederum die Gegengefahr der Diktatur auslösen könnte. Er müßte im Extremfall diejenigen, die seiner Wahrheit nicht anhängen, verfolgen. Allenfalls Neutralität und Toleranz, zumindest Gleichgültigkeit wären möglich 45 . Seine modernen Aufgaben (vor allem Bildung in der öffentlichhen Schule) wären gefährdet, wenn er auch Sinngebung und Weltbedeutung in einer bestimmten Religion auf sich nehmen wollte 46 .

2. Die staatliche Tätigkeit in der Schule Für die Aktualisierung der verfassungsrechtlichen Bindungen staatlicher Selbstdarstellung ist die Frage nach dem ihr eigenen Ort von Bedeutung. Ist staatliche Selbstdarstellung überall im Spiel, wo staatliche Aufgaben erledigt, staatliche Funktionen vollzogen werden, oder nur an bestimmten, besonders ausgezeichneten Orten? Inwieweit tritt, etwa in staatlichen oder staatlich getragenen Institutionen (ζ. B. Schulen, Bundeswehr, Krankenhäusern), neben die staatliche Selbstdarstellung auch eine davon unterschiedene der Mitglieder, von sozialen Gruppen oder einzelnen47? Bestimmte Bereiche des gesellschaftlichen Lebens nimmt der Staat in seine Obhut. Er unterstellt sie mehr oder minder seiner Leitung und organisiert sie eventuell selbst. Das ist etwa beim öffentlichen Schulwesen48 und auch in etlichen der sog. besonderen Gewaltverhältnisse 49 der Fall. Bei diesen Institutionen und Einrichtungen handelt es sich nicht um staatliche Ämter, sondern um soziale Gebilde, von denen allenfalls die Leitungsorgane staatliche Ämter bzw. Amtsverwalter sind. Deren Mitglieder sind jedoch nicht als Rollenträger in die staatliche Ämterorganisation einbezogen, sondern bleiben Zivilpersonen, Bürger 50 . Sie bleiben eventuell einigen besonderen, aus dem Einrichtungszweck sich ergebenden Verhaltenspflich4

5 Vgl. Hermann Lübbe, Religion nach der Aufklärung, Graz 1886, S. 127 ff. 46 H. Steiger, a. a. Ο. (Fn. 42), S. 118. 47 E.-W. Böckenförde, ZevKR 20 (1975), S. 126f. 48 Vgl. Bernd Löhning, Der Vorbehalt des Gesetzes im Schulverhältnis, Berlin1974, S. 84ff.; Hermann Seilschopp, Das Schulverhältnis und der Gesetzesvorbehalt, DÖV 1971, S. 413 ff.; s. auch Gesetzesvorbehalt im Schulverhältnis, - BVerfG Beschluß vom 6. Februar 1984,1 BvR 1294/83, RdJB 1984, S. 370ff. 49 Vgl. Winfried Brohm, Verwaltungsvorschriften und besonderes Gewaltverhältnis, DÖV 1964, S. 238 ff.; ders., Die Dogmatik des Verwaltungsrechts vor den Gegenwartsaufgaben der Verwaltung, VVDStRL 30 (1972), S. 245 ff.; Hans Jecht, Die öffentliche Anstalt, Berlin 1963; Hugo Kellner, Zum gerichtlichen Rechtsschutz im besonderen Gewaltverhältnis, DÖV 1963, S. 418 ff.; Siegfried Lang, Das Schulverhältnis als Anstaltsverhältnis, Diss., München 1969. so Vgl. Walter Krebs, Vorbehalt des Gesetzes und Grundrechte, Berlin 1975; Thomas Wülfing, Grundrechtliche Gesetzesvorbehalte und Grundrechtsschranken, Berlin 1981.

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5. Kap.: Selbstverwirklichungsrecht gesehen am Kruzifix-Urteil

ten unterworfen. Staatliche Ämterorganisation und gesellschaftliche (bürgerliche) Freiheit begegnen sich in diesen Institutionen und Einrichtungen. Beide suchen sich in deren Ausgestaltung und dem Raum ihrer Öffentlichkeit Ausdruck zu verschaffen 51. Die Selbstdarstellung ist demzufolge hier nicht nur als staatliche möglich und zulässig, sondern auch als Selbstdarstellung aus gesellschaftlicher und bürgerlicher Freiheit, die zwar im Hinblick auf den verfassungsrechtlich legitimierten Zweck der Einrichtung in ihrer Ausübung eingeschränkt, aber nicht aufgehoben werden kann 52 . So ist im Bereich gesellschaftlicher und bürgerlicher Freiheit die Identifizierung mit einem bestimmten religiösen Bekenntnis ausdrücklich geschützt (Art. 4 I GG), im Bereich der staatlchen Tätigkeit ist sie untersagt 53. Die Bereitstellung von Unterrichtsräumen und ihre Ausstattung in der öffentlichen Schule ist eine Voraussetzung für die staatliche Schulverwaltungstätigkeit. Diese Tätigkeit gehört zum Bereich der sogenannten Schulverwaltung 54. Im Bereich der Schulverwaltung gehört die Bereitstellung und Ausstattung von Unterrichtsräumen zu den tatsächlichen Verwaltungshandlungen der staatlichen Tätigkeit. Sie unterliegt als solche den Anforderungen technisch-funktionaler Geeignetheit für den Ablauf von Schulunterricht. Aber alle Schulverwaltung hat der Selbstverwirklichung des Schülers zu dienen. Das gehört zu den Grundrechtsfunktionen des Selbstverwirklichungsrechts des Schülers. Die Schulverwaltung ist kein Selbstzweck, und schon gar nicht darf sie von den Schülern für ihre Zwecke instrumentalisiert werden. Die Schulverwaltung und alle Personen, derer sie sich in ihren Ämtern bedient, sind um der Schüler willen da und haben eine rein dienende Funktion, um ihrer Selbstverwirklichung zu helfen. Hieraus ergibt sich, um das Selbstverwirklichungsrecht des Schülers als Kern des Grundrechts auf Bildung im verfassungsrechtlichen Sinne durchzusetzen, daß die Ausstattung von Unterrichtsräumen mit Kreuzen (Kruzifixen) eine andere Sache ist und anderen rechtlichen Gesichtspunkten und Bindungen unterliegt als etwa die Ausstattung von Gerichtssälen oder Krankenzimmern in staatlichen Krankenhäusern mit Kreuzen (Kruzifixen).

51 E.-W. Böckenförde, ZevKR 20 (1975), S. 127. 52 Hans-Uwe Erichsen, Grundrechtseingriffe im bes. Gewaltverhältnis, Verwaltungsarchiv 1972, S. 441 ff.; BVerfGE 33, 1 ff. 53 E.-W. Böckenförde, ZevKR 20 (1975), S. 128. 54 Vgl. H. Avenarius, Bildung und Verwaltung, RdJB 1981, S. 443 ff.; H.-U. Evers, Verwaltung und Schule, VVDStRL 23 (1966), S. 147 ff.; E.-W. Fuß, Verwaltung und Schule, VVDStRL 23 (1966), S. 199 ff.

Β. Staatliche Ausstattung von Unterrichtsräumen mit Kreuzen in der Schule

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3. Die staatliche Ausstattung von Unterrichtsräumen in der Schule hinsichtlich der Bedeutung des Kreuzes a) Im allgemeinen Symbole sind Sinnzeichen, die eine komplexe Idee allgemein verkörpern, ihre eigentliche Kraft aber nur in Verbindung mit einer persönlichen Haltung des Betrachters konkret entfalten. Ihre Bedeutung können sie daher nur durch Änderungen im persönlichen Bereich ändern. Daher kann weder die allgemeine noch gar die konkrete Symbolbedeutung von wem auch immer wegdefiniert werden. Auch legislatorisch kann die Suggestivwirkung von Symbolen, ihre entscheidende Bedeutung, nicht durch Umdefinition beseitigt werden 55. Bei den fast zahllosen Versuchen, die vielfältigen Aspekte des Kreuzsymbols zu beleuchten, bleibt die Sichtweise speziell nicht-religiöser Menschen meist außer Betracht, und daraus resultiert auch die geringe Resonanz dieser Versuche bei den zahlreicher werdenden Anhängern nichtreligiöser Weltverständnisse. Immerhin sind es über 25 Mio. Bürger in Deutschland, die formell überhaupt keiner religiösen Gemeinschaft angehören, und auch in Bayern sind es bereits ca. 1,5 Millionen. Die - zwar rechtlich, aber nicht psychologisch unerhebliche - Behauptung, die Mehrheit der bundesdeutschen Bevölkerung sei für das Kreuz in der Schule56, ist im übrigen empirisch nicht belegt. Versuche, das Kreuz als Element der staatlichen Selbstdarstellung oder der Identität des Gemeinwesens aufzufassen, verschärfen das Problem eher. Es gibt eine Reihe unverdächtiger Symbole, durch deren Anbringung im Schulzimmer die staatliche Allgemeinheit verkörpert werden kann: Die Bundesflagge (vgl. Art. 22 GG), Art. 1 des Grundgesetzes, eine Karte der Bundesrepublik, der Text der Nationalhymne, usw.. Daß die Allgemeinheit des Staates gerade durch das Kreuz - oder gar ein Kruzifix - angemessen versinnbildlicht werden kann, das gleichzeitig das Symbol einer bestimmten religiösen Ausrichtung darstellt, wird man mit Blick auf das Neutralitätsprinzip nicht behaupten können. Die Gleichsetzung von Inhalten der staatlichen Erziehung mit Gedankengut der christlichen Tradition ist weder historisch noch sachlich zutreffend: Nicht alles, was christlich ist, gehört in die Wertevermittlung in der staatlichen Pflichtschule; und nicht alles, was diese Wertevermittlung erfaßt, ist christlich. Die christliche Tradition ist ein wichtiger und vielfach prägender, aber gewiß nicht der einzige Bestandteil der Tradition 57 . 55 Vgl. Dirk Heckmann, Eingriff durch Symbole, JZ 1996, S. 880ff. 56 In Bergkreuzen ζ. B. ist wohl in einem sehr unverbindlichen Sinn ein Glaubenssymbol zu sehen. Dies ist aber unproblematisch, handelt es sich doch um den freien gesellschaftlichen Bereich. Daher nimmt daran auch niemand Anstoß. Den allgemeinen gesellschaftlichen Einflüssen ist schließlich jedermann ausgesetzt, ohne daß es hierzu irgendwelcher staatlicher Korrekturen bedürfte. Anders in der öffentlichen Schule, einer staatlichen Veranstaltung. Vgl. Gerhard Czermak, zur Unzulässigkeit des Kreuzes in der Schule aus verfassungsrechtlicher Sicht, in: W. Brugger/S. Huster (Hrsg.), Der Streit um das Kreuz in der Schule, Baden-Baden 1998, S. 23 ff.

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5. Kap.: Selbstverwirklichungsrecht gesehen am Kruzifix-Urteil

Den Kritikern der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts wäre auch sonst allenfalls dann zuzustimmen, wenn das Kreuz (Kruzifix) als Symbol der christlichen Traditionen tatsächlich die gesamte gesellschaftliche Wertordnung repräsentieren würde 58 , auf der das Grundgesetz beruht. Die deutsche und europäische Geschichte ist ohne Zweifel entscheidend vom Christentum und von den christlichen Religionsgemeinschaften geprägt worden. Die Wertordnung des Grundgesetzes kann aus diesem Grund unter Bezugnahme auf die christlichen Traditionen vermittelt werden. Trotz des prägenden Charakters des Christentums besteht aber keine völlige Deckungsgleichheit mit der Wertordnung des Grundgesetzes: Zunächst ist zu beachten, daß die christlichen Kirchen keineswegs immer eine positive Rolle in der Geschichte gespielt haben. Sie stehen nicht nur für die Zehn Gebote und die Bergpredigt, sondern auch für Kreuzzüge, Inquisition, Hexenverbrennungen und andere Verbrechen. Dennoch steht fest, daß das Kreuz auch diese negativen Aspekte des Christentums repräsentiert. Vor allem beruht die Wertordnung des Grundgesetzes nicht ausschließlich auf den christlichen Geboten und Traditionen 59. Das Kreuz mag Bekenntnis - und nicht nur Brauchtum - sein, wenn es von Gläubigen in ihrem häuslichen Lebensbereich aufgestellt wird. Soweit der Staat das Kreuz zum Einrichtungsgegenstand öffentlicher Schulen macht, handelt es sich fraglos nicht nur um ein „Bekenntnis", möge dies auch bei einzelnen Schülern angeregt werden, sondern das Kreuz verbreitet auch im übrigen eine Atmosphäre der Frömmigkeit 60 . Ein Schüler darf wegen seiner negativen Religionsfreiheit nicht

57 Anstelle des Kreuzes brauchte keineswegs die kahle Wand zu treten, sondern könnten Landeswappen und Bundesadler oder weltanschaulich unproblematische Sinnsprüche angebracht werden. Vgl. Stefan Huster, Die religiös-weltanschauliche Neutralität des Staates. Das Kreuz in der Schule aus liberaler Sicht, in: W. Brugger/S. Huster (Hrsg.), Der Streit um das Kreuz in der Schule, Baden-Baden 1998, S. 88 f. 58 Vgl. Klaus Berger, Das Kreuz als öffentliches Symbol, in: W. Brugger/S. Huster (Hrsg.), Der Streit um das Kreuz in der Schule, Baden-Baden 1998, S. 165 ff.; Horst Bürkle, „Unter dem Kreuz"- Das Urteil von Karlsruhe: Gebot der Toleranz oder Verbeugung vor dem Zeitgeist?, in: Wertekonsens in der Demokratie, Politische Studien Sonderheft, Müchen 1995, S. 18; Hans Maier, Leidlose Welt? Zwölf Thesen aus katholischer Sicht zu Kreuz, Konfession und Schule, in: W. Brugger/S. Huster (Hrsg.), Der Streit um das Kreuz in der Schule, Baden-Baden 1998, S. 173 ff.; Dirk Schildmann, Die straßenrechtliche Zulässigkeit von Kreuzen am Straßenand, NJW 1998, S. 272 ff. 59

Der Einfluß der Religionsgemeinschaften - und der Religion an sich - auf Gesellschaft und auf das Alltagsleben ist seit dem 18. und 19. Jahrhundert stetig zurückgegangen. In diesem Prozeß der Säkularisierung haben auch solche Weltanschauungen an Bedeutung gewonnen, die nicht im Christentum oder anderen Religionen verwurzelt sind. Die Bekenntnisfreiheit selbst ist eine Ausprägung des Toleranzgebots, das sich in einer ausschließlich christlich geprägten Gesellschaft überhaupt nicht hätte entwickeln können. Toleranz mag ein christliches Gebot sein, sie setzt aber voraus, daß verschiedene Überzeugungen existieren und aufeinanderstoßen. Vgl. Johannes Rux, Positive und negative Bekenntnisfreiheit in der Schule, Der Staat 1996, S. 538 ff.; Achim Leschinsky/Kai Schnabel, Ein Modellversuch am Kreuzweg, Z. f. Päd. 1996, S. 31 ff.

Β. Staatliche Ausstattung von Unterrichtsräumen mit Kreuzen in der Schule

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dazu gezwungen werden, unter einem vom Staat im Unterrichtsraum angebrachten Symbol, dessen entsprechendem Glauben er nicht anhängt und das seinem religiösen Selbstverständnis widerspricht, unterrichtet zu werden 61. Aus Art. 4 Abs. 1 GG folgt bei wörtlicher Interpretation die negative Religionsfreiheit, an religiöse Symbole nicht zu „glauben" und sich zu ihnen nicht zu „bekennen". Das reflexive und intransitive Verb „sich bekennen" macht das Anliegen der Bekenntnisfreiheit wie das der Grundrechte überhaupt deutlich: den Rückbezug auf das Subjekt. Der grundrechtliche Schutz des Sichbekennens, Sichäußerns, Sichinformierens, Sichverheiratens, Sichversammelns oder Sichvereinigens meint Freiheit als Freiheit für das Individuum, dessen Selbstbestimmung und Selbstverantwortung innerhalb einer sozialen Gemeinschaft die Grundrechte garantieren, wie sie es ihm ermöglichen, „das eigene Leben nach eigenen Entwürfen zu gestalten" 62 . Sich zu einem Glauben oder Glaubenssymbol zu bekennen oder nicht zu bekennen, bedeutet eine Entscheidung mit Wirkung für sich und nicht mit Wirkung für oder gegen andere 63, weshalb sich eine auf Art. 4 GG gestützte »Ausübung" oder »Ablehnung" nur auf den Grundrechtsträger selbst beziehen kann 64 , nicht auf den Staat! Die negative Religionsfreiheit bedeutete bislang, keinen Glauben haben, sich nicht zu seinem Glauben bekennen oder nicht an kultischen Handlungen teilnehmen zu müssen. Probleme entstehen, wenn die so verstandene negative Religionsfreiheit kombiniert wird mit der subjektiven Definitionsmacht des Grundrechtsträgers. Er also selbst bestimmt, wann seine negative Religionsfreiheit verletzt ist. Da die negative Religionsfreiheit einen Abwehranspruch gewährt, könnte dies dazu führen, daß eine subjektivistisch verstandene Religionsfreiheit - verbunden mit einem Abwehranspruch - zu einer erheblichen Beschränkung der Staatstätigkeit in Sonderrechts Verhältnissen führt 65 .

60 Vgl. J. Ipsen, a. a. O. (Fn. 34), S. 311; Hermann Timm, Symbolverschleiß. Quasiprotestantische Nachgedanken zum Kruzifix-Streit, in: W. Brugger/S. Huster (Hrsg.), Der Streit um das Kreuz in der Schule, Baden-Baden 1998, S. 183 ff. 61 Vgl. Heinrich Wilms, Selbstverständnistheorie und Definitionsmacht bei Grundrechten, dargesetllt am Beispiel der Glaubensfreiheit, in: B. Ziemske/T. Langheid/H. Wilms/G. Haverkate (Hrsg.), Festschrift für Martin Kriele zum 65. Geburtstag, Staatsphilosophie und Rechtspolitik, München 1997, S. 342. 62 BVerfGE 60, 253 (268); vgl. auch BVerfGE 5, 85 (204); 45, 187 (227); 48,127 (163); 50, 290 (339). 63 Ähnlich J. Isensee, Bildersturm durch Grundrechtsinterpretation, ZRP 19%, S. 10. 64

Vgl. Detlef Merten, Der „Kruzifix-Beschluß" des Bundesverfassungsgerichts aus grundrechtsdogmatischer Sicht, in: J. Burmeister (Hrsg.), Festschrift für Klaus Stem zum 65. Geburtstag, München 1997, S. 993. 65 Vgl. Η, Wilms, a. a. Ο. (Fn. 60), S. 341.

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5. Kap.: Selbstverwirklichungsrecht gesehen am Kruzifix-Urteil

b) Die Selbstverständnistheorie und die Definitionsmacht Rechtswissenschaftlich werden diese Fragen noch von der besonderen Verfassungsdogmatik des Religionrechts überlagert, die die Ausübung religiöser Freiheitsrechte bekanntlich weitgehend vom Selbstverständnis der jeweiligen Grundrechtsträger aus definiert. So stellt sich unbeschadet der sprachwissenschaftlichen Problemaufbereitung die Frage, ob nicht wenigstens im Hinblick auf Art. 4 GG bzw. unter Beachtung von Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 1 und 3 WRV die Verwendung religiöser Symbole, genauer: deren Sinngehalt und Bedeutungsumfang vom Standpunkt des Schülers - um einen Terminus aus der Selbstverständnistheorie zu benutzen - betrachtet werden muß 66 . Selbstverständnistheorie und Definitionsmacht sind Begriffe, die schon seit langem in die wissenschaftliche Diskussion eingeführt worden sind, so ζ. B. in der Arbeit von Martin Morlock mit dem Titel „Setlbstverständnis als Rechtskriterium" und in der bereits vor zwanzig Jahren von Josef Isensee verfaßten Schrift „Wer definiert die Freiheitsrechte?". Daß das Selbstverständnis des Grundrechtsträgers bei manchen Grundrechten heranzuziehen ist, ist seit langem auch Gegenstand der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts. Das gilt vor allem für die Religionsfreiheit 67. Der Rückgriff auf das „Selbstverständnis" bei der Auslegung der Religionsfreiheit ist grundsätzlich unproblematisch und geboten. Dies ergibt sich zunächst aus dem Gebot der Neutralität des Staates in religiösen Fragen. In zweifelhaften Grenzbereichen ist der Staat auf das Selbstverständnis der Religionsgemeinschaften und auch des einzelnen Gläubigen verwiesen. Anders wäre der Grundrechtsbegriff „Glauben" kaum interpretierbar 68. Der Selbstverständnisgedanke ist also zumindest bei der Religionsfreiheit unverzichtbar. Doch hat er sich inzwischen zu einem Topos der Grundrechtsinterpretation ausgeweitet, der für fast alle Grundrechte diskutiert wird 6 9 . Im Kern geht es darum, daß das Selbstverständnis des Grundrechtsträgers den Schutzbereich der Religionsfreiheit entscheidend mitbestimmen soll. Es geht also darum, wer den Schutzbereich verbindlich feststellt; oder anders gesagt, wer die Definitionsmacht über den Grundrechtsinhalt hat, der Grundrechtsträger selbst oder in letzter Instanz das Bundesverfassungsgericht 70. 66

Vgl. Bernd Jeand'Heur, Bedeutungstheorie in Sprachwissenschaft und Rechtswissenschaft. Der Kruzifix-Beschluß aus rechtslinguistischer Sicht, in: W. Brugger/S. Huster (Hrsg.), Der Streit um das Kreuz in der Schule, Baden-Baden 1998, S. 156. 67 H Wilms, a. a. O. (Fn. 60), S. 341. 68 Vgl. Λ. v. Campenhausen, Religionsfreiheit, in: HStR VI, § 136, Rdnr. 69. 69

Vgl. dazu im einzelnen Martin Morlock, Selbstverständnis als Rechtskriterium, Tübingen 1993, S. 69 ff.; Wolfram Höfling, Offene Grundrechtsinterpretation, Berlin 1987, S. 145 f.; Martin Stock, „Selbstverständnisse" im Verfassungsstaat - Altes und Neues, ARSP 1998, S. 546 ff. 70 Vgl. Josef Isensee, Wer definiert die Freiheitsrechte, Heidelberg 1990, S. 10.

Β. Staatliche Ausstattung von Unterrichtsräumen mit Kreuzen in der Schule

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Nach dem herrschenden Verständnis stellen die Grundrechtsverbürgungen des Art. 4 Abs. 1 und 2 GG ein einheitliches Grundrecht dar 71 . Sie umfassen die Freiheit, einen Glauben zu haben, zu äußern und demgemäß zu handeln72. Da das Grundgesetz keinen Glaubensbegriff kennt, ist für den Inhalt des Glaubens grundsätzlich das Selbstverständnis des Gläubigen heranzuziehen. Dieses „Definitionsverbot" ist freilich nicht grenzenlos. Es führt nicht dazu, daß alles, was der Grundrechtsträger zum Glauben erklärt, auch Glaube im Rechtssinn ist. Die bloße Behauptung einer religiösen Motivation reicht nicht aus. Das Bundesverfassungsgericht zieht eine Grenze. Eine individuelle Überzeugung wird nur dann als Glauben geschützt, wenn sie eine mit der Person des Menschen verknüpfte Gewißheit über den Bestand und den Inhalt bestimmter Wahrheiten zum Gegenstand hat 73 . Außerdem traf bisher den Grundrechtsträger eine Darlegungspflicht hinsichtlich der Ernsthaftigkeit, daß das, was er zum Glauben deklariert, für ihn auch Glaube ist 74 . Bedeutet aber die negative Religionsfreiheit, daß der Schüler 1. keinen Glauben haben muß, 2. seinen Glauben nicht bekennen und 3. nicht an kultischen Handlungen teilnehmen muß, so ist nur schwer nachvollziehbar, wie die Religionsfreiheit des Schülers durch das Kruzifix überhaubt tangiert sein soll. Zu einem Glauben wird der Schüler nicht gezwungen. An kultischen Handlungen muß er nicht teilnehmen. Übrig bleibt nur, daß er seinen Glauben - hier seine anthroposophische Grundüberzeugung - hätte bekennen müssen. Aber konnte ihn das Kreuz zu einem solchen Bekenntnis zwingen? Das wäre nur denkbar, wenn er einem Glauben anhinge, der eine negative Einstellung zu diesem Glaubenssymbol zu einem wesentlichen Bestandteil des Glaubens macht 75 . Nach der bisherigen Rechtsprechung hätte der Schüler also vortragen müssen, er sei durch das Kreuz zum Bekenntnis zu seiner anthroposophischen Grundhaltung gezwungen worden. Er hätte glaubhaft darlegen müssen, daß es wesentliches Element dieser Weltanschauung sei, Glaubenssymbole allgemein oder zumindest dieses Glaubenssymbol abzulehen, und er hätte schlüssig begründen müssen, wieso es infolge dieser Grundhaltung für ihn unerträglich sei, daß sich ein Kreuz im Klassenzimmer befinde 76 . So BVerfGE 24, 236, (254 f.); Jarass/Pieroth, GG, Art. 4 Rdnr. 1 ; kritisch dazu v. Mangoldt/Klein/Starck, Das Bonner Grundgesetz, Art. 4 Abs. 1, 2; Rdnr. 3; /. v. Münch, Rdnr. 1 zu Art. 4, in: /. v. Münch/Kunig, GGK1,4. Auflage 1992. 72 Vgl. Pieroth/Schlink, Staatsrecht II, Rdnr. 562. 73 BVerfGE, 32, 98, (107). 74 H. Wilms, a. a. Ο. (Fn. 60), S. 344. 75 H. Wilms, a. a. O. (Fn. 60), S. 347. 76 H. Wilms, a. a. O. (Fn. 60), S. 347 f.

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5. Kap.: Selbstverwirklichungsrecht gesehen am Kruzifix-Urteil

Es ging um nicht weniger als die Frage - aber auch nur darum - , ob der Staat anordnen darf, daß in Räumen, in denen jeder Schüler verweilen muß, bestimmte religiöse Symbole aufzuhängen sind mit der Folge, daß alle, die der Schulpflicht unterliegen, bzw. alle, die dort unterrichten, täglich mit einer solchen religiösen Manifestation konfrontiert sind und sich bekennen müssen77.

c) Die Ausstattung von Unterrichtsräumen mit Kreuzen in der Schule als staatliche religiöse Tätigkeit Nach einer weitgehend unreflektierten Religiosität im Kindesalter intensiviert sich das religiöse Erleben und bildet sich religiöse Kompetenz mit fortschreitender intellektueller Reife. Erst mit gesteigerter Fähigkeit des Verallgemeinerns können abstraktere religiöse Begriffe gebildet und Symbolformen verstanden werden 78. So gesehen kann das Symbol des Kreuzes in Schulklassen für jene eine appellative Funktion entfalten, die ohnehin im christlichen Glauben erzogen werden. Aber auch für die nichtchristlichen Jugendlichen und Heranwachsenden geht von der Konfrontation mit diesem Symbol eine religiöse Prägung aus 79 . Für den christlichen Glauben ist das Kreuz,,Mitte der Offenbarung" und Symbol für die Erlösung der Welt, als Teil der christologischen Glaubensartikel Aussage des christlichen Glaubensbekenntnisses, als Prozessions-, Vortrags- oder Altarkreuz Gegenstand christlicher Liturgie und als Hauskreuz, Grabkreuz oder Wegekreuz Ausdruck christlicher Frömmigkeit 80 . Die im Grundgesetz verankerte religiöse und weltanschauliche Neutralitätspflicht des Staates zeigt überdeutlich, daß dem Grundgesetz eine säkulare Wertordnung zugrundeliegt. Der „ethische Standard" des Grundgesetzes ist offen gegenüber dem Pluralismus der Glaubensrichtungen und Weltanschauungen81. Das Kreuz als Symbol des Christentums und der christlichen Kirchen kann diese Wertordnung ebensowenig vollständig repräsentieren wie irgendein anderes religiöses Symbol. Wenn in den Klassenräumen öffentlicher Schulen Kreuze angebracht wer77 Johannes Neumann, Rechts- oder Glaubensstaat?, ZRP 1995, S. 382. 78 Vgl. Peter Biehl, Symbole - ihre Bedeutung für menschliche Bildung, Z. f. Päd. 1992, S. 193 ff. 79 Vgl. Thomas Würtenberger, „Unter dem Kreuz" lernen, in: D. Merten/R. Schmidt/R. Stettner (Hrsg.), Festschrift für Franz Knöpfle zum 70. Geburtstag, Der Verwaltungsstaat im Wandel, München 1996, S. 402. 80 Jede Lösung, die ihre Grundlage darin hat, daß das Kreuz auf ein säkulares, die abendländische Geistesgeschichte vergegenwärtigendes Symbol bzw. auf seinen theologischen Gehalt und damit auf das Glaubenssymbol des Christentums schlechthin reduziert wird, übersieht die Interpretationsbedürftigkeit des Kreuzes als eines sinnvariierenden Symbols. Derartige Reduktionen führen zwar - wie immer in solchen Fällen - zu einfachen und scheinbar stringenten Lösungen, werden jedoch in fundamentaler Weise der vernetzten Vielschichtigkeit der Problematik nicht gerecht. Vgl. D. Merten, a. a. O. (Fn. 64), S. 991. 81 BVerfGE 41, 29 (50); 41,65 (84).

Β. Staatliche Ausstattung von Unterrichtsräumen mit Kreuzen in der Schule

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den, dann dient das nach alldem nicht nur dem Schmuck des Raumes. Der Staat identifiziert sich durch die Anordnung, Kreuze in den Klassenzimmern öffentlicher Schulen anzubringen, zwar nicht unbedingt82 mit einem bestimmten christlichen Bekenntnis, wohl aber mit dem Christentum an sich 83 . Möglicherweise ist diese Identifikation nicht beabsichtigt. Dadurch, daß der Staat die Anbringung der Kreuze anordnet, läßt er sich jedoch zumindest mit den christlichen Glaubensinhalten identifizieren 84. Der Staat verletzt seine Neutralitätspflicht allerdings nur dann, wenn diese Identifikation mit dem Christentum zumindest dazu geeignet ist, Schüler im Sinne dieses Glaubens zu beeinflussen. Die bloße „Zurschaustellung" christlicher Symbole ist noch keine aktive Missionierung. Es steht schließlich jedem Bürger frei, sich mit diesen Symbolen auseinanderzusetzen oder sie zu ignorieren. Die Konfrontation mit einem christlich geprägten Weltbild und einer von den Kirchen (mitbestimmten Geschichte ist keine Abwertung der Nicht-Christen 85. Zu beachten ist aber hier das besondere Verhältnis zwischen Schülern und Lehrern in der Schule. Die Schüler haben ihre persönliche Entwicklung noch nicht abgeschlossen und sind daher in der Regel leicht beeinflußbar. Sie bringen der Institution Schule und ihren Lehrern ein besonderes Vertrauen entgegen und verlassen sich darauf, daß das, was ihnen in der Schule vermittelt wird, richtig ist. Dieses Vertrauensverhältnis ist unabdingbare Voraussetzung dafür, daß die Schule ihren Bildungs- und Erziehungsauftrag erfüllen kann. An anderer Stelle hat die Rechtsprechung aus diesem Grund die strikte religiöse und weltanschauliche Neutralität der Schule betont: Lehrern wurde es verboten, im Unterricht Plaketten mit politischen Aufschriften zu tragen oder sich so zu kleiden, wie es ihre Glaubensüberzeugung von ihnen verlangt 86. Selbst wenn der Lehrer sich jeder aktiven Missionierung enthält, hat sein Verhalten „Appellcharakter". Sein Einfluß als Vorbild für die Schüler ist aufgrund seiner persönlichen Autorität besonders groß. Es gibt auch keinen Anlaß, christliche Symbole zu privilegieren 87. Es reicht für die Unzulässigkeit des Kreuzes aus, daß die Schule als Institution sich mit den vom Kreuz repräsentierten Glaubensinhalten zumindest identifizieren läßt. Schon aufgrund der abstrakten Autorität der Institution Schule wird auf die besonders leicht manipulierbaren Schüler Einfluß ausgeübt. Zu beachten ist vor 82

Das Kruzifix ist allerdings in erster Linie ein Symbol der katholioschen Kirche, das von den protestantischen Religionsgemeinschaften nicht benutzt wird. Vgl. J. Rux, Der Staat 1996, S. 539. 83 BVerfGE 35, 366 (374). 84

In seiner jüngsten Entscheidung hat das BVerfG zu Recht darauf verwiesen, daß auch ein an einem Privatgebäude angebrachtes Kreuz auf eine besondere Verbundenheit des Besitzers mit dem Christentum hindeutet. Es ist nicht erkennbar, wieso für den Staat etwas anderes gelten sollte. Vgl. J. Rux, Der Staat 1996, S. 539. 85 BVerfGE 41, 29 (52). 86 Vgl. BVerwG, NVwZ 1988, S. 937. 87 J. Rux, Der Staat 1996, S. 540.

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5. Kap.: Selbstverwirklichungsrecht gesehen am Kruzifix-Urteil

allem, daß die Institution Schule dem Schüler als Gesamtheit gegenübertritt. Sie wird durch die Lehrer verkörpert, deren persönliche Autorität daher auch hier zum Tragen kommt. Dies wird besonders deutlich, wenn die Schüler die Bedeutung des Kreuzes hinterfragen: Bekennt ein Lehrer sich zum Christentum, dann kann von ihm nicht ernsthaft erwartet werden, daß er in diesem Fall neutral bleibt. Im Ergebnis hat das Bekenntnis der Schule als Institution zu bestimmten Wertvorstellungen daher unter Umständen eine wesentlich größere appellative Wirkung als das Bekenntnis eines einzelnen Lehrer 88 . Dem Anblick - und damit dem Einfluß - eines im Klassenzimmer angebrachten Kreuzes können die Schüler sich nicht in zumutbarer Weise entziehen. Die Rechte derjenigen, die sich zu nicht-christlicher oder keiner Religions- oder Weltanschauungsgemeinschaft bekennen wollen, wären aber weiterhin durch die staatliche religiöse Tätigkeit 89 verletzt oder zumindest gefährdet. Eine Ausnahme besteht nur dann, wenn es sich um eine Bekenntnisschule handelt. Diese zeichnet sich durch eine konfessionelle Prägung aus. Es entspricht dieser Prägung, wenn die Symbole der jeweiligen Konfession auch deutlich gezeigt werden 90.

Π. Die staatliche religiöse Tätigkeit in der Schule hinsichtlich der Gottesklausel in der Präambel des Grundgesetzes

1. Die Entwicklung der Präambel des Grundgesetzes Das Grundgesetz beginnt mit den Worten „Im Bewußtsein seiner Verantwortung vor Gott...". Diese Eingangsformel war schon in der ursprünglichen Präambel des Grundgesetzes von 1949 enthalten und wurde auch nach der Herstellung der Einheit Deutschlands und den einigungsbedingten Verfassungsänderungen beibehalten 91 . Die Bedeutung der Gottesklausel des Grundgesetzes ist in erster Linie darin zu sehen, daß totalitären Staatsmodellen zumindest symbolisch eine Absage erteilt und das Recht in überpositive Zusammenhänge gerückt wird 9 2 . Die Schöpfer des Grundgesetzes wollten mit der Gottesklausel zum Ausdruck bringen, daß es keine bindungslose Staats- oder Volkssouveränität bei der Verfassunggebung gibt, sondern daß auch die verfassunggebende Gewalt des Volkes Grenzen findet 93. Die 88 Vgl. Jörg Müller-Volbehr, Positive und negative Religionsfreiheit, JZ 1995, S. 999. 89 Es ist in einem religiös-weltanschaulichen Gemeinwesen nicht Sache des Staates, über die Glaubensinhalte der christlichen Bekenntnisse zu befinden, was auch für kirchliche Symbole zu gelten hat. Vgl. D. Merten, a. a. O. (Fn. 64), S. 999. 90 J. Rux, Der Staat 1996, S. 541 f. 91 Durch das Einigungsvertragsgesetz vom 23. 9. 1990 (BGBl. II, S. 885); vgl. auch Jörg Ennuschat, „Gott" und Grundgesetz, NJW 1998, S. 953 ff. 92 /. von Münch, GG I, Präambel Rdnr. 8. 93 Th. Maunz, in: Th. Maunz/G. Dürig, Kommentar zum Grundgesetz, München 1994, Präambel Rdnr. 17.

Β. Staatliche Ausstattung von Unterrichtsräumen mit Kreuzen in der Schule

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„Verantwortung vor Gott" ist insoweit die Absage an einen relativistischen Gesetzespositivismus, der alles - unabhängig vom Inhalt der Norm - als Recht und damit auch als rechtmäßig ansieht, was als Gesetz beschlossen ist. Mit der Verantwortlichkeit gegenüber Gott werden diese Grenzen nicht unbedingt religiös definiert, vielmehr steht der Gottesbegriff nur stellvertretend für die Existenz eines höheren - überpositiven - Rechts94. Der Inhalt dieser überstaatlichen Normen wird nicht genauer angegeben, er ist daher argumentativ schwer handhabbar. Jedenfalls wird die Anerkennung der unverbrüchlichen Menschenrechte und das Prinzip der Gerechtigkeit zum Ausdruck gebracht. Die Gottesklausel des Grundgesetzes ist insoweit vor dem Hintergrund der jüngeren deutschen Geschichte zu sehen. Angesichts der Erfahrungen mit der Herrschaft des Nationalsozialismus, der Perversion des Rechtsstaates in Deutschland sowie der gigantischen Vernichtung, die das Dritte Reich nach 1945 hinterließ, bemühten sich die Länder und dann 1949 auch der Bund um eine be wußte Abgrenzung zu diesem Unrechtsregime 95. Innerhalb der Literatur ist umstritten, ob die Begrenzung der Volkssouveränität im Sinne einer rechtlichen Verpflichtung des Verfassunggebers zu verstehen ist 9 6 , oder ob sich der Verfassunggeber nur auf einer moralischen Ebene an eine überpositive Instanz gebunden fühlte 97 . Der Wortlaut der Verfassung ist keineswegs eindeutig. „Verantwortung" kann sowohl im Rechtssinne als auch im Sinne einer ethischen Gewissenspflicht gemeint sein. Im ersten Fall würde die Präambel zum Ausdruck bringen, daß der Grundgesetzgeber sich rechtlich an vorgegebene Naturrechtssätze gebunden glaubte. Die andere Bedeutung wäre, daß er nicht ein beliebiges, willkürliches Gesetz machen wollte, sondern ein Gesetz, daß er in seinem Gewissen vor Gott und den Menschen verantworten konnte 98 . Die Gottesklausel stellt daher weniger einen rechtskraftentfaltenden normativen Passus dar, sondern eher eine Kundgabe und Rechtfertigung der Mitglieder des parlamentarischen Rates, mit welcher Intention sie das Grundgesetz verfassen wollten. Ihre Wirkung liegt auf moralischer Ebene, indem sie eine ethische Verantwortung der Verfassunggeber zum Ausdruck bringt 99 .

94 Hans Hofmann, Das Grundgesetz ohne Gott - aber mit Mitmenschlichkeit?, ZRP 1994, S. 215 (217). 95 Peter Häberle, „Gott" im Verfassungsstaat?, in: Walther Fürst/Roman Herzog/Dieter C. Umbach (Hrsg.), Festschrift für Wolfgang Zeidler, Band 1, Berlin 1987, S. 3 (11). 96 /. von Münch, GG I, Präambel Rdnr. 7 f. 97

So ζ. B. Markus H. Müller, Der Gottesbezug in der Präambel der Verfassung des Freistaats Thüringen, ThürVBl. 1994, S. 176(177). 98 Rolf-Oliver Schwemer, Der Gottesbezug in Verfassungspräambeln, Recht und Politik 1996, S. 12. 99

20 Hsu

R.-O. Schwemer, Recht und Politik 1996, S. 13.

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5. Kap.: Selbstverwirklichungsrecht gesehen am Kruzifix-Urteil

2. Die Bedeutung der Gottesklausel in der Präambel des Grundgesetzes im gesellschaftlichen

Wandel

Unbeschadet der prinzipiellen Öffnung der staatlichen Ordnung in religiöser und weltanschaulicher Hinsicht, wie sie im Prozeß der Säkularisierung eingetreten ist, ist das Grundgesetz in ein bestimmtes geistesgeschichtlich und kulturell geprägtes Umfeld hinein erlassen worden 100 . Der Staat und auch die Verfassung sind insofern keine geschichtslosen Kunstgebilde, sondern Produkte einer Geschichte, zu der auch zweitausend Jahre Christentum in Europa gehören 101. Zur Vermeidung von Mißverständnissen ist jedoch festzuhalten: Auch wenn zahlreiche christliche Wertvorstellungen in gleichsam säkularisierter Form Eingang in die weltliche Ordnung gefunden haben, so sind die christlichen Wertvorstellungen aber eben deshalb für den heutigen Staat doch keine religiösen Grundsätze, sondern weltliche geschichtliche Kulturwerte 102 . Daher darf ein solcher geschichtlicher Traditionsbezug nicht dazu führen, daß sich der Staat in seiner Rechtsordnung und in seinen Institutionen mit bestimmten religiösen Überzeugungen identifiziert. Er wird trotz der Verwurzelung in der Tradition des abendländischen geschichtlichen Kulturkreises nicht zum christlichen Staat, sondern bleibt säkular 103 . Das aus der Religionsfreiheit abzuleitende Gebot der religiös-weltanschaulichen Neutralität des Staates führt notwendig zum Verbot jeder religiös motivierten Parteinahme des Staates zugunsten oder zuungunsten bestimmter Religionen und Bekenntnisse. Folglich gilt auch das Verbot jeder Differenzierung zwischen einzelnen Bürgern, aber auch zwischen Religionsgemeinschaften im Hinblick auf deren unterschiedliche religiöse Überzeugungen oder Bekenntnisse104. Für die Auslegung der Gottesklausel in der Präambel ergibt sich daraus zunächst, daß hierin eine Charakterisierung der Bundesrepublik als eines „christlichen" Staates nicht zum Ausdruck kommen kann 1 0 5 . Von der Frage der Säkularisierung des Staates zu trennen ist die Tatsache, daß das Grundgesetz zu einer Zeit verfaßt wurde, in der in bezug auf sittliche und religiöse Normen und Überzeugungen ein wesentlich stärkerer Konsens herrschte als heute. Es bestand ein gemeinsamer christlicher Hintergrund, der heute nicht mehr 100 Vgl. Wolf gang Greive (Hrsg.), Die Macht der Religion in der Politik, Loccum 1988; ders. (Hrsg.), „Gott im Grundgesetz?", Reburg-Loccum 1994. 101 Vgl. Karl-Hermann Kästner, „Säkulare" Staatlichkeit und religionsrechtliche Ordnung in der Bundesrepublik Deutschland, ZevKR 1989, S. 260 (284). 102 Vgl. Jürgen Hach, Gesellschaft und Religion in der Bundesrepublik Deutschland, Heidelberg 1980, S. 165 ff. 103 R.-0. Schwemer, Recht und Politik 1996, S. 14. !04 Hermann Weber, Die rechtliche Stellung der christlichen Kirchen im modernen demokratischen Staat, ZevKR 1991, S. 253 (260). 105 C. Starck, Bonner GG, Präambel Rdnr. 25; I. von Münch, GG I, Präambel Rdnr. 10.

Β. Staatliche Ausstattung von Unterrichtsräumen mit Kreuzen in der Schule

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existent ist 1 0 6 . Die Bundesrepublik hat einen gesellschaftlichen Wandel durchlaufen, der sich auch und gerade in der Frage der religiösen Bindung und Überzeugung niederschlägt. Gehörten 1967 noch etwa 95 Prozent der Gesamtbevölkerung der Bundesrepublik der katholischen oder der evangelischen Kirche an 1 0 7 , so waren es 1987 nur noch etwa 85 Prozent 108 . Durch die am 3. Oktober 1990 erfolgte Wiedervereinigung schließlich ist der prozentuale Gesamtanteil der Angehörigen der katholischen und evangelischen Kirche an der Gesamtbevölkerung auf ca. 70 Prozent im Jahre 1992 geschrumpft. Ein Viertel der Gesamtbevölkerung der Bundesrepublik gehört heutzutage keiner Religionsgemeinschaft mehr an 1 0 9 . Die Bundesrepublik ist heute stärker denn je zuvor gekennzeichnet durch eine pluralistische Gesellschafts- und Lebensordnung. Daraus resultiert der Anspruch und die Notwendigkeit, Heimstätte für alle Bürger zu sein, die hier leben, seien es Christen, Atheisten, Mohammedaner, Buddhisten oder Angehörige sonstiger, beispielsweise lateinamerikanischer, vorderasiatischer oder fernöstlicher Religionsgemeinschaften. Auch die Gottesklausel in der Präambel des Grundgesetzes ist, wie an späterer Stelle noch aufzuzeigen sein wird, infolge der gesellschaftlichen Entwicklung und dem gewandelten verfassungsrechtlichen Verständnis heute anders als noch vor 50 Jahren zu interpretieren 110. Der gesellschaftliche Wandel sollte auch bei der Auslegung der Präambel des Grundgesetzes berücksichtigt werden. Die Funktion einer Verfassung und insbesondere ihrer Präambel besteht nicht zuletzt darin, eine gesellschaftliche Identität zu stiften und die Bevölkerung zu integrieren, nicht auszugrenzen. Bei Aufrechterhaltung eines christlichen Gottesverständnisses würden andere religiöse Vorstellungen und auch Weltanschauungen ausgeschlossen, was nicht im Sinne der Präambel oder des Grundgesetzes als Ganzen läge 111 . Aber auch, wenn man hiervon absieht: Keinesfalls kann diesen Formulierungen der Präambel des Grundgesetzes die Bevorzugung einer bestimmten theistischen Religion, etwa der christlichen, und ihrer Symbole gegenüber anderen Religionen entnommen werden, die die Verantwortung vor Gott ebenfalls bejahen, aber andere Symbole haben oder Symbole überhaupt ablehnen112.

106 Vgl. Klaus Obermayer, Staat und Religion, Berlin 1977; Joachim Wieland, legenheiten der Religionsgesellschaften, Der Staat 1986, S. 321 ff. 107

Die Ange-

Adolf Wilhelm Ziegler, Das Verhältnis von Kirche und Staat in Europa, 2. Band, München 1972, S. 20. los Vgl. Joseph Listi, Das Staatskirchenrecht in den neuen Ländern der Bundesrepublik Deutschland - Die Entwicklung von 1989 bis 1994 - , in: Essener Gespräche zum Thema Staat und Kirche (29), 1995, S. 160 (165). 109 Vgl. /. Listi, a. a. Ο. (Fn. 108), S. 160 (165). no R.-O. Schwemer, Recht und Politik 1996, S. 11. m R.-O. Schwemer, Recht und Politik 1996, S. 14. 112 E.-W. Böckenförde, Kreuze (Kruzifixe) in Gerichtssälen? ZevKR 1975, S. 134. 20*

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5. Kap.: Selbstverwirklichungsrecht gesehen am Kruzifix-Urteil

3. Die Gottesklausel in der Präambel des Grundgesetzes und die staatliche Ausstattung von Unterrichtsräumen mit Kreuzen in der Schule Die Gottesklausel in der Präambel des Grundgesetzes besitzt keinen rechtlichen Regelungsgehalt. Weder bedeutet sie eine Verpflichtung des einzelnen auf das Christentum noch charakterisiert sie die Bundesrepublik Deutschland als christlichen Staat 113 . Sie dokumentiert vielmehr das moralische Grundverständnis der Mitglieder des Parlamentarischen Rates, daß es übergesetzliche Normen und Werte gibt, über die auch der Verfassunggeber nicht verfügen kann 114 . Es sei ein Gebot der Toleranz, das auch gerade Christen beherzigen müßten, die Verfassung so zu gestalten, daß sich in ihr alle Menschen wiederfänden. Die Verfassung dürfe anders- oder nichtgläubige Minderheiten nicht ausgrenzen. Das ethische Fundament der Verfassung werde nicht durch die Religion, sondern durch die Menschenrechte und die anderen obersten Verfassungsgrundsätze gebildet 115 . Damit es infolge der gesellschaftlichen Entwicklung in der Bundesrepublik nicht zu einer Ausgrenzung Andersgläubiger kommt, ist dem Gottesbegriff heute nicht mehr ein christliches, sondern ein offenes Gottesverständnis zugrunde zu legen. Diese Offenheit des Gottesverständnisses hat positive Auswirkungen auf die allgemeine Konsensfähigkeit und auf die allgemeine Akzeptanz der Gottesklausel im Grundgesetz 116. Das mit Verfassungsrang ausgestattete Grundprinzip religiöser und weltanschaulicher Neutralität wird nicht durch die in der Präambel des Grundgesetzes enthaltene Bezugnahme auf Gott relativiert: Die dort betonte Verantwortung des deutschen Volkes „vor Gott und den Menschen" kann unabhängig von der Frage nach der Bindungswirkung der Präambel allenfalls als ein Grundbekenntnis zu einer im wesentlichen theistisch geprägten Gesellschaftsform verstanden werden, keinesfalls aber als eine Identifizierung des Grundgesetzes mit einer bestimmten Religionsform 117 . Dies wurde unlängst auch wieder in der Verfassungsreformdiskussion deutlich, in der ein Antrag von Bündnis 90/Die Grünen und der PDS auf Streichung der Bezugnahme auf Gott in der Präambel mit breiter Mehrheit abgelehnt wurde 118 , denn: „... die Präambel bedeute weder eine Verpflichtung des einzelnen auf das Christentum noch charakterisiere sie die Bundesrepublik Deutschland als christlichen Staat. Eine solche H3 Vgl. H. Hofmann, ZRP 1994, S. 215 ff. u 4 R.-O. Schwemer, Recht und Politik 1996, S. 15. 115 Vgl. Niedersächsischer Landtag, Drucksache 12/5840, S. 2. n 6 Vgl. A. Hollerbach, Grundlagen des Staatskirchenrechts, in: J. Isensee/P. Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 6, Heidelberg 1989, § 138 Rdnr. 83. in So auch E.-W. Böckenförde, ZevKR 1975, S. 119, 134.

il® Ralf Roger, Die Religionsfreiheit des Richters im Konflikt mit der staatlichen Neutralitätspflicht, DRiZ 1995,474 f.

Β. Staatliche Ausstattung von Unterrichtsräumen mit Kreuzen in der Schule

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Deutung der Präambel verbiete sich schon im Hinblick auf die in Art. 4 GG verbürgte individuelle und kollektive Glaubensfreiheit. Vielmehr... handele [es] sich um eine Selbsterinnerung an die Grenzen menschlichen Tuns ... Damit sollte das Grundverständnis der Mitglieder des Parlamentarischen Rates dokumentiert werden, daß es überstaatlcihe Normen und Werte gebe, über die auch der Verfassunggeber nicht verfügen könne."119

Es wird deutlich, daß der christliche Staat, dem man in Deutschland von Rechts wegen eigentlich schon mit der Weimarer Reichsverfassung abgeschworen hat 1 2 0 , im republikanischen Schulrecht des Landes Bayern einen komfortablen Austrag findet. In einem Gemeinwesen freilich, das allen seinen Bürgern ohne Rücksicht auf ihre individuellen Überzeugungen eine Heimstatt bietet 121 , sollte es auf die Dauer damit doch nicht sein Bewenden haben. Gewiß das staatliche Schulwesen hat schon immer ein beachtliches Beharrungsvermögen entwickelt. Es braucht nur daran erinnert zu werden, wie lange es gedauert hat, diesem Ressort, das G. Anschütz 122 noch im Jahre 1912 als eine „Insel des Absolutismus" zu kennzeichnen Grund hatte, den Gesetzesvorbehalt aufzunötigen 123. Der Staat ist allerdings nicht dazu verpflichtet, Bekenntnis-, Gemeinschaftsoder Weltanschauungschulen einzurichten. Zwar nennt das Grundgesetz in seiner Präambel ausdrücklich das Bekenntnis zur „Verantwortung vor Gott" an erster Stelle. Auch in den Landesverfassungen von Baden-Württemberg, Bayern, Niedersachsen124, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz und Sachsen-Anhalt finden sich vergleichbare Formulierungen. Diese sind aber nicht als Bekenntnis zu den christlichen Religionen zu verstehen. Die Präambeln drücken vielmehr in erster Linie die Überzeugung aus, daß die dem Grundgesetz zugrundeliegenden Werte von vornherein gelten und nicht alleine das Produkt des menschlichen Intellekts sind. Das Bekenntnis zur Verantwortung vor Gott soll verdeutlichen, daß ohne den Glauben an eine höhere Ordnung ein geregeltes Zusammenleben der Menschen nicht vorstellbar ist. Aus den Präambeln des Grundgesetzes und der genannten Landesverfassungen läßt sich daher keine Verpflichtung zur Vermittlung „christlicher Werte" ableiten, sondern allenfalls das „Erziehungsziel", den Schülern den Sinn und die Notwendigkeit einer übergeordneten Wertordnung zu vermitteln. Alles andere wäre mit der Glaubensfreiheit des Art. 4 Abs. 1 und Abs. 2 GG unvereinbar. Wie schon dargelegt wurde, zwingen weder die positive Bekenntnisfreiheit noch das Erziehungsrecht staatliche Stellen dazu, sich das Bekenntnis- bzw. die Erzie119 Bericht der Gemeinsamen Verfassungskommission, BT-Drucks. 12/6000 vom 5. 11. 1993, S. 110. 120 Art. 135 ff. WRV.

121 So die ergreifende Formulierung in BVerfGE 19, 206 (216). 122 Die Verfassungsurkunde für den Preußischen Staat vom 31. 1. 1850, Bd. I, 1912, Art. 26 Anm. 5. 123 Ludwig Renck, Verfassungsprobleme der christlicen Gemeinschaftsschule, NVwZ 1991, S. 120. 124 Dort wurde die Präambel der erst 1993 verabschiedeten neuen Landesverfassung aufgrund des Drucks aus der Bevölkerung nachträglich entsprechend geändert.

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5. Kap.: Selbstverwirklichungsrecht gesehen am Kruzifix-Urteil

hungsziele der einzelnen zu eigen zu machen oder ihre Missionierungsversuche aktiv zu unterstützen 125. Der Hinweis auf die Verfassungspräambel ist ferner ungeeignet, die anstehende Verfassungsfrage nach der staatlichen religiösen Tätigkeit der Ausstattung von Unterrichtsräumen mit Kreuzen (Kruzifixen) in der öffentlichen Schule zu klären. Darüber, daß die Präambel keine unmittelbaren Rechtsgrundlagen in welcher Richtung auch immer abgibt, braucht nicht mehr gestritten zu werden 126 . Konfessionelle oder überkonfessionelle Christlichkeit wird durch sie nicht verbürgt. Die Möglichkeit eine humane Ethik ohne Gott zu leugnen, wie es der bayerischen Präambel und den bayerischen religiösen Erziehungszielen entspricht, stellt andererseits eine grundgesetzwidrige staatliche Wertäußerung dar. Sie muß auf alle diejenigen Bürger des Freistaates desintegrierend wirken, die nach ihrem Gewissen kein das pluralistische Weltgeschehen leitendes transzendentes Prinzip zu erkennen vermögen. Diese Präambel sollte nicht verletzend verstanden werden. Es läßt sich durchaus in gemeinverträglicher Weise darstellen, daß der Selbstverwirklichung des Menschen sittliche oder religiöse Grenzen gesetzt sind 127 . Für die staatliche religiöse Tätigkeit der Ausstattung von Unterrichtsräumen mit Kreuzen oder Kruzifixen in der öffentlichen Schule, die nicht Symbole eines irgendwie gearteten Gottesglaubens, sondern Symbole eines spezifischen, nämlich des christlichen Gottes- und Offenbarungsglaubens sind, läßt sich also unter keinem Gesichtspunkt aus der Präambel des Grundgesetzes und denen der angeführten Landesverfassungen eine Rechtfertigung finden.

ΙΠ. Die staatliche religiöse Tätigkeit in der Schule und die Verfassungsprinzipien im pluralistischen Kulturstaat

Entscheidend für das Kruzifix-Urteil ist - nach dem bisher Dargelegten - , ob diese staatliche religiöse Tätigkeit der konkreten Ausstattung von Unterrichtsräumen als Räumen repräsentativer, staatsdarstellender Öffentlichkeit 128 in Widerspruch zu tragenden Verfassungsprinzipien des Grundgesetzes gerät. Als ein solches tragendes Verfassungsprinzip steht die religiös-weltanschauliche Neutralität und die bürgerliche und staatliche Toleranz im pluralistischen Kulturstaat in Frage.

125 J. Rux, Der Staat 1996, S. 535. 126 Vgl. etwa Maunz, in: Maunz/Dürig,

GG, Präambel Rdnr. 8 ff.

127 Ludwig Renck, Zum rechtlichen Gehalt der Kruzifix-Debatte, ZRP 19%, S. 19. 128 Vgl. Jörgen Habermas, Strukturwandel der Öffentlichkeit, Neuwied 1962, S. 17 ff.

Β. Staatliche Ausstattung von Unterrichtsräumen mit Kreuzen in der Schule

1. Das Prinzip der staatlichen religiös-weltanschaulichen

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Neutralität

a) Im allgemeinen Die Religionsausübung des einzelnen wird unter Freiheitsgesichtspunkten in Art. 4 Abs. 1 und 2 GG und unter Gleichheitsgesichtspunkten in Art. 3 Abs. 3 GG geschützt. Neben diesen an einer Trennung von Staat und Gesellschaft orientierten bürgerlichen Freiheits- und Gleichheitsansprüchen des einzelnen gegenüber dem Staat ist für die staatliche religiöse Tätigkeit der Ausstattung von Unterrichtsräumen mit Kreuzen (Kruzifixen) in der Schule die religiös-weltanschauliche Neutralität des Staates zu beachten. Diese garantiert den Umfang der Freiheits- und Gleichheitsansprüche des einzelnen 129 im Hinblick auf die erstrebte religiös-weltanschauliche Selbstverwirklichung im staatlichen Innenbereich 130. Das Grundgesetz hat sich, wie die zuvor schon genannten Garantien der Art. 4 Abs. 1 und 2, Art. 3 Abs. 3, Art. 33 Abs. 2 GG und auch Art. 136 f. WRV i.V.m. Art. 140 GG zeigen 131 , für die Einräumung eines staatlicher Steuerung entzogenen Freiraumes religiöser und weltanschaulicher Betätigung der Bürger entschieden. Die Wahrung dieses Freiraumes verlangt aber im Umkehrschluß den Verzicht des Staaates auf eine eigene „staatliche" Identifikation mit einer bestimmten Religion oder Weltanschauung132. Damit der Staat seine ihm durch die grundrechtliche Garantie der Religionsfreiheit zukommende Funktion erfüllen kann, auch und gerade im religiös-weltanschaulichen Bereich „Heimstatt aller Staatsbürger ohne Ansehen der Person" 133 sein zu können, muß er selbst in diesen Bereichen neutral sein 134 . Die Pflicht des Staates, sich selbst gerade nicht auf eine bestimmte weltanschauliche oder religiöse Position festzulegen, stellt das staatsrechtliche Gegenstück zur grundrechtlich verbürgten Einräumung gesellschaftlicher Freiheit im religiös-weltanschaulichen Bereich dar 1 3 5 . Das Bundesverfassungsgericht hat dies im „Kruzifix-Urteil" nochmals verdeutlicht mit der Formulierung: „Der Staat, in dem Anhänger unterschiedlicher oder gar gegensätzlicher religiöser und weltanschaulicher Überzeugungen zusammenleben, kann die friedliche Koexistenz nur gewährleisten, wenn er selber in Glaubensfragen Neutralität bewahrt" 136 . Religiös-weltanschauliche Neutralität wird immer wieder als Kennzeichen der Staatsordnung der Bundesrepublik angeführt. Als Grenzlinie möglicher staatlicher Selbstdarstellung kommt sie nur dann in Betracht, wenn sie nicht nur ein kenn129 So die Formulierung bei Kunig, in: von Münch/Kunig, Rdnr. 15. 130 Vgl. Maunz, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 33 Rdnr. 24 ff.

131 Vgl. BVerfGE 19, 206, 216 ff. 132 Vgl. R. Roger, DRiZ 1995, S. 473 f. 133 BVerfGE 19, 206, 216. 134 Vgl. BVerfGE 18, 385, 386; 19, 206, 216; 24, 236, 246. 135 R. Röger, DRiZ 1995, S. 474. 136 BVerfGE 93, 1 (15 f.).

GG, 3. Aufl., Bd. 2, Art. 33

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5. Kap.: Selbstverwirklichungsrecht gesehen am Kruzifix-Urteil

zeichnendes Merkmal ist, das man der Bundesrepublik wegen verschiedener Einzelregelungen ihrer Verfassung zuerkennen kann, sondern selbst ein tragendes strukturbestimmendes Verfassungsprinzip für die Staatsordnung der Bundesrepublik darstellt 137 . Ob und wieweit die staatliche Öffentlichkeit der individuellen oder kollektiven religiösen Selbstverwirklichung dient, ist gerade die wichtigste Frage des religiösweltanschaulich neutralen Staates. Man sollte die konsequente Umsetzung der staatlichen religiös-weltanschaulichen Neutralität nicht als religionsfeindlichen Akt, sondern als Charakter des modernen pluralistischen Gemeinwesens und als die vom Grundgesetz verbürgte Freiheits- und Friedensordung im pluralistischen Kulturstaat verstehen 138. Der Staat kann die Rechte der Individuen nur wahren, wenn er sich religiös und weltanschaulich strikt neutral verhält. Diese religiöse und weltanschauliche Neutralität des Staates äußert sich darin, daß er sich trotz der Kooperation mit Religionsgemeinschaften nicht mit deren Zielen, Inhalten und Verfahren identifiziert. Der Staat muß alle Glaubensgemeinschaften grundsätzlich gleich behandeln. Dies kann es wiederum notwendig machen, Minderheiten besonders zu schützen 139 . Die religiös-weltanschaulich neutralen Schulverwaltungen sehen sich nicht mehr mit einer allmächtigen Kirche, sondern mit einer Pluralität der Wertmaßstäbe konfrontiert. Unter der objektiven Geltung des Prinzips der staatlichen Neutralität besteht der erste Prüfungsschritt immer darin, festzustellen, ob der Staat durch die Verbindung staatlicher Leistungen mit Religiös-Weltanschaulichem seine Neutralitätspflicht verletzt hat 1 4 0 .

b) In Hinsicht auf die staatliche Ausstattung von Unterrichtsräumen mit Kreuzen in der Schule Angesichts der Tatsache, daß sich der Staat im Falle der Ausstattung seiner Schulen mit religiösen Symbolen objektiv im Bereich von Religion und Weltanschauung betätigt, bietet sich als Prüfungsmaßstab insoweit vor allem das Prinzip der staatlichen religiös-weltanschaulichen Neutralität an 1 4 1 . Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 1 WRV verwehrt die Einführung staatskirchlicher Rechtsformen 142. Damit wurden nach einhelliger Meinung nicht nur die im Jahre 1919 noch vorhan137 Vgl. E.-W. Böckenförde, ZevKR 1975, S. 128. 138 L Renck, Zum rechtlichen Gehalt der Kruzifix-Debatte, ZRP 1996, S. 17. 139 / Rux, Der Staat 1996, S. 529. 1 40 A. Gromitsaris, Laizität und Neutralität in der Schule. Ein Vergleich der Rechtslage in Frankreich und Deutschland, AöR 121 (1996), S. 400f. 141 Hierauf ist denn auch in Stellungnahmen zu der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 16. Mai 1995 teilweise verwiesen worden. Vgl. dazu K.-H. Kästner, Lernen unter dem Kreuz?, ZevKR 41 (1996), S. 249. 142 BVerfGE 19, 206 (216).

Β. Staatliche Ausstattung von Unterrichtsräumen mit Kreuzen in der Schule

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denen Reste des Staatskirchentums und des landesherrlichen Kirchenregiments aufgehoben, sondern es wurde zugleich die organisatorische Trennung von Staat und Kirchen etabliert 143 . Darüber hinaus untersagt die Vorschrift dem Staat im Zusammenspiel mit Art. 3 Abs. 3 GG, Art. 33 Abs. 3 GG und Art. 140 GG i.V.m. Art. 136 Abs. 1 und Abs. 4 WRV die Privilegierung oder Abstufung einzelner Bekenntnisse144. Das Bundesverfassungsgericht hat sich in seiner Begründung der Verfassungswidrigkeit von Art. 13 Abs. 1 S. 3 BayVSO auch auf das Gebot staatlicher Neutralität in religiös-weltanschaulicher Hinsicht bezogen 145 . Das Religionsrecht schließt Zusammenarbeit des Staates mit den Religionsgemeinschaften und ihre Förderung nicht aus. Daraus ergibt sich allenfalls eine Pflicht zu paritätischer Förderung unter Wahrung staatlicher ,Äquidistanz", nicht aber läßt sich aus diesem allgemeinen Förderungsgebot eine bevorzugte Behandlung einer bestimmten Religionsgemeinschaft ableiten 146 . Es zeigt sich wieder einmal, daß die Anerkennung des Neutralitätsprinzips vielfach nur nominell in der Entscheidung erfolgt. Man sehe nur, wie etwa 1 4 7 das zunächst akzeptierte „tragende Verfassungsprinzip" der Neutralität in nur wenigen Zeilen in eine Gemengeerscheinung aus Schulhoheit, Elternrecht und Religionsfreiheit samt zugehöriger »Abwägungsprozesse" mit ungewissem Ausgang überführt wird. Dieser Vorgang wirkt auch nicht dadurch klärender, daß das Resultat als „positive Neutralität" angeboten wird 1 4 8 . Die notwendigen praktischen Folgerungen aus dem Neutralitätsprinzip werden vielfach nicht gezogen 149 . Wenn nun das Neutralitätsprinzip akzeptiert worden ist, dann ergibt sich aus ihm nachgerade zwingend, daß der Staat sich bei einer Hoheitsäußerung nicht mit einer Religion identifizieren dürfe. Anderenfalls wären Bürger einer zwangsweisen staatlichen Einwirkung im Sinne einer bestimmten Religion ausgesetzt. Eine Abweichung vom Neutralitätsprinzip enthielte also einen objektiven Verfassungsverstoß 150 . Ein Verstoß gegen das Gebot staatlicher Neutralität läge in der Ausstattung von Schulräumen mit Kreuzen oder Kruzifixen dann vor, wenn dadurch die Offenheit für andere Anschauungen nicht mehr gewährleistet wäre. Das könnte der Fall sein, 143 Vgl. dazu A. v. Campenhausen, Staatskirchenrecht, München 1996, S. 67. 144 BVerfGE 19, 206 (216). 145 BVerfGE 93, 1 (15 ff.). 146 Arnulf Schmitt-Kammler, In hoc signo - Zur „Schulkreuz-Erkenntnis" des Bundesverfassungsgerichts, in: R. Wendt/W. Höfling/U. Karpen/M. Oldiges (Hrsg.), Staat, Wirtschaft, Steuern, Festschrift für Karl Heinrich Friauf zum 65. Geburtstag, Heidelberg 19%, S. 344. 147 Bei / Müller-Volbehr, Positive und negative Religionsfreiheit, JZ 1995, S. 996. 148 Vgl. M. Jestaedt, Das Kreuz unter dem Grundgesetz, Journal f. Rechtspolitik 3, 1995, S. 254, Fn. 115. 149 Vgl. R. Zuck, Kreuz-Züge, NJW 1995,2903 (2904). 150 Vgl. A. Schmitt-Kammler, a. a. O. (Fn. 146), S. 345.

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5. Kap.: Selbstverwirklichungsrecht gesehen am Kruzifix-Urteil

wenn sich der Staat durch die ausdrückliche Anordnung, Kreuze in Räumen öffentlicher Schulen anzubringen, mit christlichem Glaubensgut identifizierte und die damit verbundenen Inhalte als befolgungswürdig auswiese151. Es geht um die Frage: Darf ein öffentlicher Raum, in dem der Staat Zwangsveranstaltungen abhält, mit religiös-weltanschaulichen Symbolen dekoriert werden, die den Verdacht nahelegen können, eben dieser Staat würde sich mit ihnen mehr oder weniger identifizieren 152 . Der Staat hat als interpretierende Instanz die Möglichkeit, das Schulkreuz als Zeichen für die Voraussetzungen der staatlich verfaßten Allgemeinheit für seine Selbstdarstellung in Anspruch zu nehmen. Entscheidend ist hierbei, daß über die bloße Ordnung des (gesetzmäßigen) Funktionierens hinaus ein objektiver geistiger Sinnzusammenhang, die leitende Idee, der verpflichtende Auftrag oder auch das Legitimationsprinzip der staatlichen Tätigkeit im Rahmen einer Öffentlichkeit sichtbar gemacht, dargestellt und repräsentiert wird. Die religiös-weltanschuliche Neutralität verwehrt es allerdings dem Staat, im Bereich staatlicher Selbstdarstellung über den Anschluß an eine bestimmte Religion soziale Integration zu postulieren 153 . Das Kreuz im Schulraum vermag die transzendenz- oder traditionsbezogene staatliche Selbstdarstellung zu symbolisieren und zu leisten. Nach staatlichem Selbstverständnis fungiert es als Symbol der staatlichen Leitidee und inkorporiert das Absolutsetzen eines Parteistandpunktes. Die Grundrechtsträger können verlangen, daß ihnen Raum für die staatliche Selbstdarstellung im Hinblick auf den verfassungsrechtlich legitimierten Zweck der Schule gewährt wird 1 5 4 . Da jedoch die staatliche Selbstdarstellung die Umweltsicht der Schüler weder ersetzen kann noch darf, kann auch das Kreuz seine Eigenschaft als Symbol des Christentums nicht verlieren 155 . Für die staatliche religiöse Tätigkeit der Ausstattung von Unterrichtsräumen mit Kreuzen (Kruzifixen) in seiner Bildungsfunktion läßt sich jedenfalls feststellen, daß sie vor allem an das religiös-weltanschauliche Neutralitätsprinzip in der Form 151 K.-H. Kästner, ZevKR 41 (1996), S. 252. 152 Was wäre das für ein Neutralitätsprinzip, das dem Staat innerhalb seines Kompetenzbereichs eine Einmischung in eine bestimmte religiöse Richtung gestattete oder gar einen Rechtsanspruch einer bestimmten religiösen oder weltanschaulichen Gruppierung einräumte, für ihre Glaubensüberzeugungen vom Staat spezielle Unterstützung zu erhalten? Denn wer bezüglich staatlicher Verhaltensweisen deutlich vom Neutralitätsprinzip spricht, muß automatisch die Frage nach der Kompetenz des Staats für umstrittene Handlungen stellen. Vgl. /. Neumann, Rechts- oder Glaubensstaat?, ZRP 1995, S. 386. 153 Der Staat verletzt seine Neutralitätspflicht nur dann, wenn er nicht nur vermittelt, wie diese Fragen von den unterschiedlichen Glaubensgemeinschaften religiös bewertet werden, sondern selbst Stellung im Sinne bestimmter Religionsvorstellungen nimmt. Vgl. A. Gromitsaris, AöR 121 (1996), S. 373. 154 E.-W. Böckenförde, ZevKR 1975, S. 127 f. 155 Vgl. P. Badura, Das Kreuz im Schulzimmer, BayVBl 1996, 33, 39.

Β. Staatliche Ausstattung von Unterrichtsräumen mit Kreuzen in der Schule

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der übergreifenden Neutralität der freien Entfaltung des Schülers gebunden ist. In der öffentlichen Schule bringt sich zugleich ein Bereich gesellschaftlichen Lebens zur freien Entfaltung, der nur in staatliche Obhut genommen ist 1 5 6 . Der Bereich der öffentlichen Schule unterliegt aber, weil der Staat hier bestimmte Bereiche des gesellschaftlichen Lebens in seine Obhut und Leitung nimmt, von vornherein primär nicht nur der distanzierenden, auf Nichtidentifikation abzielenden Neutralität, sondern auch der übergreifenden, auf Verbürgung der Selbstverwirklichung des Schülers ausgerichteten Neutralität. Staatliche Schulhoheit, elterliches Erziehungsrecht, Bekenntnis- und Religionsfreiheit der Bürger, bilden hier eine verfassungsrechtliche Gemengelage, die i.S. der übergreifenden Neutralität der freien Entfaltung des Schülers zum Ausgleich gebracht werden muß 1 5 7 . Staatliche religiöse Selbstdarstellung im Bereich der öffentlichen Schule, die Symbole einer bestimmten Konfession, Religion oder Weltanschauung verwendet und die Selbstverwirklichung des Schülers verhindert, widerspricht daher dem verfassungsrechtlichen religiös-weltanschaulichen Neutralitätsgebot.

2. Das Prinzip der bürgerlichen und staatlichen Toleranz a) Im allgemeinen Die Toleranz des Staates bezieht sich somit auf das Vorhandensein religiöser Pluralität in seinen Schulen, während die Toleranz der Schüler die Bekenntnishaltungen andersdenkender Mitschüler betrifft 158 . Das zeigt zunächst der fortwährend bemühte Toleranzgedanke. Natürlich ist die Toleranz ein Rechtswert, dessen Bedeutung für ein gedeihliches Zusammenleben im staatlichen Gemeinwesen nicht unterschätzt werden darf. Zu tolerieren ist jedoch immer nur, was auch rechtmäßig ist. Dafür allerdings liefert die Toleranz keine Rechtsgrundlage, es sei denn, man wolle einen Zirkelschluß zum religionsrechtlichen Grundsatz nehmen 159 . Die Toleranz stand daher dem Bundesverfassungsgericht als Maßstab für die Prüfung, ob und wieweit ein bestimmtes staatliches Verhalten dem Verfassungsgebot der staatlichen religiös-weltanschaulichen Neutralität entspricht, nicht zur Verfügung. Natürlich hat das Toleranzargument auch ein Stimmungselement. Wer möchte es sich heute noch leisten, religiös-weltanschaulich intolerant zu sein? Aber selbst wenn man die Duldsamkeit gegenüber Andersgläubigen gerade aus der Wurzel des Christentums als Kulturfaktor erwachi * Vgl. E.-W. Böckenförde, ZevKR 1975, S. 132. 157 Vgl. F. Müller, Christliche Gemeinschaftsschule und weltliche Neutralität des Staates, DÖV 1969, 441 ff.(443); auch E.-W. Böckenförde, Religionsfreiheit und öffentliches Schulgebet, DÖV 1966, 30 ff. (37). 158 A. Gromitsaris, AöR 121 (1996), S. 401. 159 Vgl. Ludwig Renck, Staatliche Religionsneutralität und Toleranz - BVerfGE 35, 366 und 52, 233, JuS 1989, S. 451 ff.

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5. Kap.: Selbstverwirklichungsrecht gesehen am Kruzifix-Urteil

sen sieht 160 , war auch die Unduldsamkeit christlich verwurzelt. Dem unendlich mühsamen Entwicklungsprozeß der Toleranz wird mit solcher Geschichtsdarstellung nicht gedient, und dem Rechtsproblem staatlich verordneter religiöser Symbole ist mit ihr nicht beizukommen 161 . Im Zusammenhang mit Toleranz und positiver und negativer Bekenntnisfreiheit wird regelmäßig auf die Statistik rekurriert, als ob Rechtsfragen durch Abzählen entschieden werden könnten 162 . Immerhin müßte bei konsequenter Betrachtung auf diesem Boden in den neuen Bundesländern schon aus Gründen der bloßen Anzahl ein anderes Religionsrecht als in den Altländern der Bundesrepublik gelten, weil es dort christliche Mehrheiten nicht mehr gibt. Im Hinblick auf die Toleranz hat das Mehrheitsargument inzwischen ohnehin eine bemerkenswerte Wandlung erfahren 163. Galt sie früher als eine Tugend der Mehrheit, wird sie gegenwärtig gerne als Last der Minderheit beansprucht. Nicht mehr die Rücksicht auf die Wenigen, sondern der Vorrang der Zahlreicheren zählt. Im Bereich der Grundrechte kann es aber keine Majorisierung geben 164 . Es ist selbstverständlich, daß sich in Rechtsfragen nicht unbedingt die Mehrheit der Bevölkerung durchsetzt, wie etwa der Abtreibungsstreit zeigt. Grundrechtsentscheide sind aus guten Gründen nicht demokratisierbar 165. Die Schüler können aus ihrer positiven Bekenntnisfreiheit keine die staatlichen Toleranz- und Neutralitätsschranken durchbrechenden Leistungsansprüche gegenüber der Schulverwaltung ableiten, selbst wenn der Schutz der Minderheit unter Berücksichtigung des Toleranzgebotes gewährleistet ist 1 6 6 . Da der Staat nicht jedem Schülerwunsch und jedem Elternwunsch nach religiöser oder weltanschaulicher Ausgestaltung der Schule entsprechen kann, darf er nur unter Beachtung der Religionsfreiheit und des Prinzips der Toleranz die Schule als eine pluralistische offene Gemeinschaftsschule einrichten 167 .

160 Vgl. J. Mülle r-Volbehr,

JZ 1995, S. 999.

161 Wer schließlich Toleranz von anderen einfordert, ohne selbst sie überzeugend zu üben, zeigt lediglich, daß er sie nur als ein taktisches Manöver mißbraucht und daher im Grunde nichts von ihr hält. Vgl. L. Renck, Zum rechtlichen Gehalt der Kruzifix-Debatte, ZRP 1996, S. 17 f. 162 Vgl. J. Neumann, ZRP 1995, S. 385; R. Zuck, NJW 1995, S. 2903. 163 Vgl. L Renck, JuS 1989, S. 451. 164 Vgl. Ulrich Scheuner, Verfassungsrechtliche Fragen der christlichen Gemeinschaftsschule, in: H. Spanner/R Lerche/H. Zacher/P. Badura/A. v. Campenhausen (Hrsg.), Festgabe für Theodor Maunz zum 70. Geburstag, München 1971, S. 325.; E. Fischer, Volkskirche ade!, S. 40f. 165 L Renck, Zum rechtlichen Gehalt der Kruzifix-Debatte, ZRP 1996, S. 17. 166 Vgl. A. Gromitsaris, AöR 121 (1996), S. 403. 167 Vgl. A. v. Campenhausen, Zur Kruzifix-Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, AöR 121 (1996), S. 452; Hermann Lübbe, Zivilreligion und der „Kruzifix-Beschluß" des deutschen Bundesverfassungsgerichts, in: W. Brugger/S. Huster (Hrsg.), Der Streit um das Kreuz in der Schule, Baden-Baden 1998, S. 248 ff., 254.

Β. Staatliche Ausstattung von Unterrichtsräumen mit Kreuzen in der Schule

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b) In Hinsicht auf die staatliche Ausstattung von Unterrichtsräumen mit Kreuzen in der Schule Fraglich könnte dennoch sein, ob nicht der Umstand, daß sich die Mehrheit der Bevölkerung zu einer der christlichen Konfessionen als zugehörig bekennt, einen Grund dafür abgibt, die Ausstattung von Unterrichtsräumen mit Kreuzen (Kruzifixen), ungeachtet der bestehenden staatlichen Neutralitätspflicht für die öffentliche Schule, als zulässig anzusehen. Da die Erziehung der öffentlichen Schule durch die Ausstattung der Unterrichtsräume mit Kreuzen (Kruzifixen) sachlich-inhaltlich nicht beeinflußt oder geändert werde, so wird argumentiert, könne den nicht-christlichen Bürgern aus Toleranzgründen zugemutet werden, diese Art der Ausstattung, an der der christlichen Mehrheit der Bevölkerung viel liege, hinzunehmen168. Eine solche Argumentation 169 , wenngleich sie im Sinne eines praktischen „common sense" zunächst naheliegen mag, ist in sich widersprüchlich und verkennt auch den Sinn des bürgerlichen und staatlichen Toleranzprinzips. Wenn eingeräumt und davon ausgegangen wird, daß die Anbringung von Kreuzen (Kruzifixen) in Unterrichtsräumen keinen Einfluß auf die Erziehung der öffentlichen Schule und die Selbstverwirklichung des Schülers hat und haben darf, ist nicht einzusehen, warum dieser Art der Ausstattung ein besonderer Wert für die christlichen Schüler zukommen soll 1 7 0 . Ein rechtfertigender Grund für die Anbringung von Kreuzen (Kruzifixen) in Unterrichtsräumen läßt sich also aus dieser Argumentation in keiner Weise gewinnen. Wenn die überwiegende Mehrheit der Bürger sich zu einer Religion, der christlichen in ihren beiden Bekenntnissen, bekennt, bedarf es im Sinne des Toleranzgedankens nicht einer zusätzlichen Vorkehrung für diese Mehrheit, damit sie sich ihrer eigenen Überzeugung und Position versichern kann, sondern umgekehrt des besonderen Schutzes der Minderheit, damit nicht ihr Vertrauen in die Neutralität der staatlichen Rechtspflege in Frage gestellt wird 1 7 1 . Genausowenig wie das Kreuz - je nach Lage - vom Glaubenssysmbol zum bloßen Traditionszeichen mutieren kann, wird ein Klassenzimmer durch Mehrheitsbeschluß von einem staatlich organisierten Raum zu einem Privatraum. Die staatliche Schule ist öffentlicher Raum; für sie gilt deshalb das Prinzip der bürgerte Vgl. BayVerfGH, Entscheid, v. 1. 8. 1997, NJW 1997, S. 3157 ff. (= EuGRZ 1997, S. 447 ff.); Winfried Brugger, Zum Verhältnis von Neutralitätsliberalismus und liberalem Kommunitarismus. Dargestellt am Streit über das Kreuz in der Schule, in: W. Brugger/S. Huster (Hrsg.), Der Streit um das Kreuz in der Schule, Baden-Baden 1998, S. 110 ff. 169

Dies ist nicht so zu verstehen, daß durch „Beschluß" der Mehrheit von Bürgern ganz allgemein jeglicher staatliche „Raum" nach Belieben gewissermaßen privatisiert und der Geltung verfassungsrechtlicher Grundsätze entzogen werden könne. Vgl. A. Schmitt-Kammler, a. a. O. (Fn. 146), S. 348. 170 Vgl. Wolf gang Rüfner, S. 491 ff. πι Vgl. BVerfGE 33, 23.

Anmerkung zum Kruzifix im Gerichtssaal-Urteil, NJW 1974,

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5. Kap.: Selbstverwirklichungsrecht gesehen am Kruzifix-Urteil

liehen und staatlichen Toleranz 172 im pluralistischen Kulturstaat strikt, um die offene pluralistische Gesellschaft zu entwickeln 173 . Der aus eigenem Recht mit den Eltern konkurrierende Erziehungsträger Staat hat nach der Meinung des Bundesverfassungsgerichts 174 die Aufgabe, die im Bereich des Schulwesens angesichts der Pluralität der Gesellschaft unvermeidlichen Spannungen zwischen „negativer" und „positiver" Religionsfreiheit unter Berücksichtigung des grundgesetzlichen Gebots der Toleranz miteinander zum Ausgleich zu bringen. Denn erst die „Konkordanz" der in Art. 7 und 4 GG geschützten Rechtsgüter werde der Entscheidung des Grundgesetzes gerecht 175 . Noch nie übrigens hat das Bundesverfassungsgericht den Begriff der Toleranz richtig geklärt, und gerade in diesem Fall wäre das so notwendig gewesen. Während das historisch-klassische Verständnis des Toleranzbegriffs 176 unparitätisch ist und allenfalls eine Duldung in gewissen Grenzen eines niedrigeren Rechtsstatus bedeutet 177 , bedeutet Toleranz im Zusammenhang mit der Religionsfreiheit der westlichen Hemisphäre im Gefolge der Aufklärung etwas prinzipiell anderes: einen sittlichen Wert an sich, der auf der „Achtung vor dem Eigenstand der Person" 1 7 8 und somit der Würde der Einzelperson beruht. Man kann dann etwa mit Horst Woesner sagen: „Toleranz ist nicht Nachsicht um ihrer selbst willen und erst recht kein Zurückweichen vor der Entscheidung, sondern das bewußte Anerkennen des anderen in seiner geistigen, sittlichen, religiösen und politischen Gebundenheit. Sie läßt den anderen gewähren, weil sie sein Recht zum Anderssein bejaht. Sie verzichtet auf den uneingeschränkten Gebrauch der Macht, da sie deren Grenzen erkennt und billigt, und stellt sich schützend vor die Minorität." 179 Gerade im Hinblick darauf wäre es wichtig, daß der Staat entsprechend dem Prinzip der Nichtidentifikation in jedem Fall auf die Anbringung des Kreuzessymbols als einziges Symbol verzichtet, um Dissidenten nicht gegen ihren wahren Willen zum Nachgeben zu veranlassen 180. Dadurch würde gegebenenfalls auch ein unwürdiges Aufund Abhängen des Kreuzes - je nach Mut der Eltern und Schüler - vermieden. 172 s. o. 3. Kapitel D. II. und 4. Kapitel D. II. 173 Vgl. Wolf-Dieter Aries, Das Kreuz in der Schule aus islamischer Sicht, in: W. Brugger/S. Huster (Hrsg.), Der Streit um das Kreuz in der Schule, Baden-Baden 1998, S. 191 ff.; J. Neumann, ZRP 1995, S. 386. 174 BVerfGE 41, 65 (78). 175 L. Renck, Verfassungsprobleme der christlicen Gemeinschaftsschule, NVwZ 1991, S. 116. 176 Zur Begriffsgeschichte Ulrich Eisenhardt, Der Begriff der Toleranz im öffentlichen Recht, JZ 1968, S. 214 ff.; John Locke, Ein Brief über Toleranz, Hamburg 1957; Günter Püttner, Toleranz als Verfassungsprinzip, Berlin 1977. 177 So sieht man das offenbar weithin in Bayern und im Katholizismus und so kommt es auch in § 13 I BayVSO zum Ausdruck. 178 Friedrich E. Schnapp, Toleranzidee und Grundgesetz,, JZ 1985, S. 857 (859). 179 Horst Woesner, Grundgesetz und Strafrechtsreform, NJW 1966, S. 1729 (1731). 180 Geradezu ergreifend formuliert ein evangelischer Pfarrer aus Bayern: „... Wenn aber auch nur einer in der Klasse ist, dem das Kreuz gegen sein Gewissen geht? Auch eine 99pro-

Β. Staatliche Ausstattung von Unterrichtsräumen mit Kreuzen in der Schule

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Oft erhoben wird der Vorwurf 1 8 1 , die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts mache es einer „intoleranten" Minderheit möglich, „der Mehrheit ihren Willen aufzuzwingen" und „privilegiere damit die Bekenntnislosigkeit" 1 8 2 . Die Minderheit habe aber „Toleranz" zu üben, sich um Kompromisse zu bemühen und die Mehrheitsüberzeugung „zu respektieren" 1 8 3 . - Diese Forderungen laufen zum einen schon dem Wesen der Grundrechte gerade auch als Schutzrechte für Minderheiten diametral zuwider. Wenn Grundrechte verletzt werden, kommt es nicht darauf an, ob es sich bei den Betroffenen um eine Minderheit handelt 1 8 4 . Zum anderen läßt diese Argumentation den bereits objektiv verfassungswidrigen Charakter des staatlichen Tuns gänzlich beiseite und verwischt die Tatsache, daß hier nicht ein Konflikt zwischen einer Mehrheit und einer Minderheit von Bürgern, sondern zwischen dem Staat und Grundrechtsträgern zu lösen i s t 1 8 5 . Dieser Konflikt kann aber nicht dadurch gelöst werden, daß man „Toleranz" für ein rechtswidriges grundrechtsbeeinträchtigendes staatliches Verhalten einfordert 1 8 6 .

zentige Mehrheit von Euch darf nicht beschließen, daß das Kreuz bleibt. Ihr habt es leichter als der, der mit seinem Gewissen gegen alle anderen steht. Helft ihm, schützt ihn, tretet für sein Recht ein! Dann habt Ihr das Kreuz wirklich verstanden. Ihr könnt Euren Glauben ohne Kreuz im Klassenzimmer leben wie bisher. Er aber, dieser Eine, kann das mit dem Kreuz nicht..Dieser Mann hat auch verstanden, was Glaubensfreiheit rechtlich bedeutet. Was ist das demgegenüber für eine gewalttätige liberalitas bavarica, wonach die Mehrheit bestimmt und die Minderheit so tolerant sein darf, nach ihrer Pfeife zu tanzen? Vgl. G. Czermak, Der Kruzifix-Beschluß des Bundesverfassungsgerichts, seine Ursachen und seine Bedeutung, NJW 1995, S. 3351 f. 181 Insbesondere wäre es unter diesem Aspekt hilfreich gewesen, einige speziell (aber nicht nur) in Bayern nicht immer selbstverständliche Selbstverständlichkeiten zu erwähnen bzw. näher auszuführen. So hätte etwa - vor allem wegen speziell christlich gefärbter landesverfassungsrechtlicher Regelungen in manchen Bundesländern - der Umstand Erinnerung verdient, daß die Bundesrepublik insgesamt kraft Bundesrechts (Art. 31 GG) kein christlicher, sondern ein pluralistischer Staat mit formaler Gleichberechtigung aller religiös-weltanschaulichen Gemeinschaften ist, und zwar unabhängig von ihrer Größe (vgl. insb. Art. 3 III, 41, 33 III GG; Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 VII WRV). Das wurde durch jüngste Untersuchungen besonders deutlich gemacht. Die in Extremfällen auftauchenden Probleme eines erforderlich werdenden staatlichen Schutzes für das Individuum (fundamentalistische Bewegungen, Sonderfälle) ändern nichts am Prinzip der formalen Gleicheit. Vgl. G. Czermak, NJW 1995, S. 3350.

ι»2 Siehe etwa J. Müller-Volbehr,

Positive und negative Religionsfreiheit, JZ 1995, S. 999.

183

Abw. M., BVerfGE 91, 33; Vgl. P. Lerche, Verfassungsrechtliche Anmerkungen zur „Kreuz-Entscheidung", in: Kirche u. Gesellschaft, hrsg. v. d. kath. Sozialwiss. Zentralstelle Mönchengladbach, Köln 1995, S. 18. 184 Vgl. Felix Ermacora, Rechtspluralismus und universelle Menschenrechte, in: E.-J. Lampe (Hrsg.), Rechtsgleichheit und Rechtspluralismus, Baden-Baden 1995, S. 124 ff. »85 A. Schmitt-Kammler, 186

a. a. Ο. (Fn. 146), S. 356.

Tolerant sein kann der Staat und zwar der Staat, der sich mit bestimmten weltanschaulichen Vorstellungen identifiziert, - tolerant gegen »Abweichler" von diesen Vorstellungen. Von „Intoleranz" zu reden, wenn sie sich auf ihre Grundrechte beruft, macht daher keinen Sinn. Natürlich kann jedermann auf die Ausübung von Grundrechten verzichten; doch liegt darin keine „Toleranz" im genannten Sinne, und es besteht hierfür auch keinerlei verfas-

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5. Kap.: Selbstverwirklichungsrecht gesehen am Kruzifix-Urteil

3. Das Prinzip der Geltung von Gewohnheitsrecht Es handelt sich bei der hier in Frage stehenden Ausstattung der Unterrichtsräume mit Kreuz oder Kruzifix in der öffentlichen Schule um eine wenn auch nicht überall, so doch in Bayern schon lange geübte Gewohnheit. Mag es sich um eine gewohnheitsrechtliche Praxis handeln; Gewohnheitsrecht, das nicht selbst Verfassungsrang hat, kann Geltung nur im Rahmen, d. h. in Übereinstimmung mit der Verfassung entfalten. Ebenso wie durch eine neue Verfassung ältere Gesetze überholt und außer Kraft gesetzt werden, sofern sie mit der neu geschaffenen verfassungsrechtlichen Lage nicht übereinstimmen, verliert auch eine bis dahin unbestrittene gewohnheitsrechtliche Praxis ihre Gültigkeit im pluralistischen Kulturstaat, wenn sie neuen verfassungsrechtlichen Entscheidungen widerspricht 187 . Was gefährdet ist oder sein könnte, muß, so will es die Logik, zunächst einmal existieren. Art. 31 BVerfGG gibt einen Hinweis auf die Autorität des Bundesverfassungsgerichts: Seine Entscheidungen haben institutionelle Folgen. Als wichtigste wird dort die Verbindlichkeit genannt. Art. 35 BVerfGG ergänzt diese um den Gesichtspunkt der Vollstreckung. Von den Verfassungsgenossinnen und -genossen sowie vor allem von den anderen öffentlichen Gewalten wird Gehorsam erwartet. Deshalb fällt hinhaltender Widerstand des Gesetzgebers, der Aufträge aus Karlsruhe nicht erfüllt 1 8 8 , unangenehm auf 1 8 9 . Verfassungsgerichtsbarkeit ist das Schwert, das dem Recht gegenüber der Politik verliehen ist. Das Recht enthält objektive rationale Vorgaben gegenüber der Politik. Es kann im Grundsatz nichts Verwerfliches daran entdeckt werden, daß die Verfassung (mit all den Werten, die durch sie verkörpert werden: Menschenwürde, Selbstverwirklichung des Menschen, grundrechtlicher Schutz, Rechtmäßigkeit, pluralistischer Kulturstaat, Neutralität, Toleranz, Sicherheit ... usw.) als Rahmen für- und Rammbock gegen das rauhe Tagesgeschäft der Politik wirkt 1 9 0 . Die Abnahme der staatlichen Schulkreuze mag für viele praktizierende Christen wegen ihrer Gewohnheit zunächst psychologisch nicht leicht zu verkraften sein. Aber sie soll ja, was den Staat anbelangt, nicht aus Gegnerschaft zum Christentum erfolgen (der Staat hat sich da herauszuhalten), sondern wegen der für alle unter großen Opfern nach Jahrhunderten erkämpften Religionsfreiheit und wegen des Selbstverwirklichungsrechts des Schülers als Kern des Grundrechts auf Bildung im sungsrechtliche Verpflichtung. Vgl. E.-W. Böckenförde, ZevKR 20 (1975), S. 135; A. Schmitt-Kammler, a. a. Ο. (Fn. 146), S. 356 f. 187 Vgl. E.-W. Böckenförde, ZevKR 20 (1975), S. 137 f.; Wolfgang Lipp, Tradition, Gemeinschaften, soziale Moral. Was bedeuten sie soziologisch, und was haben sie mit dem „Kreuz" zu tun?, in: W. Brugger/S. Huster (Hrsg.), Der Streit um das Kreuz in der Schule, Baden-Baden 1998, S. 255 ff. iss Vgl. BVerfGE 8, 210 (216); 17, 148 (155); 22, 163 (172) und 25, 167 ff. 189 Günter Frankenberg, Hüter der Verfassung einer Zivilgesellschaft, KJ 1996, S. 6. 190 Vgl. Ulrich R. Haltern, Demokratische Verantwortlichkeit und Verfassungsgerichtsbarkeit, Der Staat 1996, S. 553.

C. Grundrechtsanspruch des Schülers im GG

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verfassungsrechtlichen Sinne. Das könnte unter veränderten Verhältnissen auch zugunsten der Christen von Bedeutung sein. Und Gefühle haben alle: Christen wie Nichtchristen 191 . Rechtliche Gesichtspunkte, die das für die religiöse Tätigkeit des Staates im Bereich der öffentlichen Schule geltende Neutralitätsgebot, Toleranzgebot und Gewohnheitsrechtsprinzip im Hinblick auf die Ausstattung von Unterrichtsräumen mit Kreuzen (Kruzifixen) in der Schule modifizieren oder Ausnahmen davon begründen, sind nicht ersichtlich. Die staatliche religiöse Tätigkeit der Ausstattung von Unterrichtsräumen mit Kreuz oder Kruzifix in der öffentlichen Schule ist weil sie im Widerspruch zum Neutralitätsgebot, daher objektiv verfassungswidrig, zum Toleranzgebot und zum Gewohnheitsrechtsprinzip im pluralistischen Kulturstaat steht und weil sie für die religiöse Tätigkeit des Staates in der Religionsfreiheit, Gewissensfreiheit und vor allem im Selbstverwirklichungsrecht des Schülers als Kern des Grundrechts auf Bildung im verfassungsrechtlichen Sinne Geltung hat.

C. Grundrechtsanspruch des Schülers i m Grundgesetz i m Verhältnis zur staatlichen religiösen Tätigkeit in der Schule

Die moderne Grundrechtsdogmatik sieht, über den klassischen Eingriffsbegriff hinausgehend, auch in „mittelbaren" oder „faktischen" Einwirkungen eine Grundrechtsbeeinträchtigung, insbesondere wenn diese sich wegen ihrer Finalität oder ihres Effekts grundrechtsbehindernd auswirken 192 . Auf diese faktische Grundrechtsbeeinträchtigung scheinen die Entscheidungsgründe zu zielen 193 , wenn sie die fehlende Ausweichmöglichkeit und die Unvermeidbarkeit der Begegnung mit dem Kreuz hervorheben 194. So haben auch Verfassungsbeschwerdeführer geltend gemacht, daß Kreuze und Kruzifixe, letztere durch die Darstellung eines „sterbenden männlichen Körpers", im Sinne des Christentums auf ihre Kinder einwirkt e « 195

ten Nur der Staat kommt als Urheber eines Eingriffs in Betracht. Dieser ist es denn auch, der im Fall des bayerischen Schulkreuzes handelte. Zutreffend rechnet ihm das Bundesverfassungsgericht das Symbol zu. Im schulischen Raum ist stets zu unterscheiden, ob eine Maßnahme dem grundrechtsgebundenen Staat zuzurechnen ist oder den grundrechtsberechtigten Schülern und Eltern 196 . 191 Vgl. G. Czermak, NJW 1995, S. 3352; Burkhard Gladigow, Pluralismus, Rigorismus und religiöse Alternativen in der Religionsgeschichte der Neuzeit, in: W. Brugger/S. Huster (Hrsg.), Der Streit um das Kreuz in der Schule, Baden-Baden 1998, S. 218 ff. 192 Vgl. Rolf Eckhoff, Der Grundrechtseingriff, Köln 1992, insbes. S. 175 ff.; BVerwGE 90, 112 (121 f.); 82, 76 (81 ff.). 193 D. Merten, a. a. O. (Fn. 64), S. 999. 194 BVerfGE 93, 1 (18). 195 BVerfGe 93, 1 (2). 2

Hsu

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5. Kap.: Selbstverwirklichungsrecht gesehen am Kruzifix-Urteil

Maßstab der Verfassungsbeschwerde, die den Gegenstand des Kruzifix-Urteils bildet, sind die Grundrechte und andere ihnen ausdrücklich gleichgestellte subjektive Rechte des Grundgesetzes. Als einschlägige Grundrechte nennt das Bundesverfassungsgericht die Religionsfreiheit (Art. 4 Abs. 1 GG) der Eltern i.V.m. dem Elternrecht (Art. 6 Abs. 2 GG) und die Religionsfreiheit der Kinder. Diskutiert wird jedoch allein die Religionsfreiheit 197. Im folgenden wird untersucht, ob und inwieweit ein mit der Verfassungsbeschwerde durchsetzbarer Grundrechtsanspruch des Schülers im Grundgesetz - Religionsfreiheit, Gewissensfreiheit, und vor allem Selbstverwirklichungsrecht des Schülers als Kern des Grundrechts auf Bildung im verfassungsrechtlichen Sinne besteht, daß Unterrichtsräume nicht mit einem Kreuz vom Staat ausgestattet werden.

I. Die Religionsfreiheit

1. Im allgemeinen „Glaube" im Sinne von Art. 4 Abs. 1 und 2 GG sind die „Überzeugungen des einzelnen von der Stellung des Menschen in der Welt und seiner Beziehung zu höheren Mächten und tieferen Seinsschichten"198. Auch wer nicht an einen Gott oder eine gottgegebene Ordnung glaubt, hat ethische Überzeugungen, die von Art. 4 Abs. 1 und 2 GG erfaßt und geschützt werden 199 . Aus dem in Art. 1 Abs. 1 GG festgeschriebenen Grundsatz der Unantastbarkeit der Menschenwürde, der das gesamte Verfassungsrecht prägt 200 , folgt allerdings zwingend, daß Art. 4 Abs. 1 GG dem einzelnen kein Recht gibt, andere im Sinne seines Glaubens zu manipulieren. Das „Recht zur Mission" umfaßt daher keine Berechtigung zur Zwangs-Missionierung gegen den Willen des anderen 201. Denn Art. 4 Abs. 1 GG enthält kein blankettartiges Grundrecht, dessen Schutzbereich der individuellen Beliebigkeit und bloß behaupteten religiös-weltanschaulichen Betroffenheit offenstünde. Sondern es muß jeweils derjenige, der sich auf Art. 4 Abs. 1 GG beruft, nachvollziehbar darlegen, daß in seiner persönlichen Rechtssphäre eine konkrete religiöse oder weltanschauliche Position im Sinne des 196 Josef Isensee, Religionsfreiheit vor dem Kreuz - Der Kruzifix-Beschluß des Bundesverfassungsgerichts und die Regeln der Grundrechtsauslegung, in: Wertekonsens in der Demokratie, Politische Studien Sonderheft, München 1995, S. 25 f. 197 J. Isensee, a. a. O. (Fn. 196), S. 22.

198 E. Stein, Staatsrecht, 14. Aufl., Tübingen 1993, S. 259. 199 /. v. Münch, in: v. Münch/Kunig Rdnr. 23.

(Hrsg.), GG, Bd. 1, 4. Aufl., München 1994, Art. 4,

200 Dazu grundlegend: G. Dürig, Der Grundrechtssatz von der Menschenwürde, AöR 81 (1956), S. 117(127). 201 J. Rux, Der Staat 1996, S. 527.

C. Grundrechtsanspruch des Schülers im GG

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Grundgesetzes betroffen und somit der Tatbestand des Art. 4 Abs. 1 GG erfüllt ist 2 0 2 . Die Religionsfreiheit gewährleistet nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts „einen von staatlicher Einflußnahme freien Rechtsraum in dem jeder sich eine Lebensform geben kann, die seiner religiösen und weltanschaulichen Überzeugung entspricht" 203 . Deshalb umfaßt „Freiheit als Freisein vom Zwang in religiösen Dingen" immer das Recht, (positiv) den Glauben nach eigener Überzeugung wählen zu dürfen und (negativ) sich nicht zu einer anderen Lehre bekennen zu müssen 204 . Die negative Freiheit, keinen Glauben zu haben, wird auch durch die (positive) Freiheit des areligiösen Gewissens oder einer atheistischen Weltanschauung gesichert 205 . Die negative Bekenntnisfreiheit schützt jeden davor, von staatlichen Stellen im Sinne eines bestimmten Glaubens beeinflußt oder gar manipuliert zu werden. Sie setzt nicht voraus, daß der jeweilige Grundrechtsträger feste Glaubensüberzeugungen hat 2 0 6 . Geschützt werden daher insbesondere auch solche Personen, die keine Glaubensüberzeugungen entwickelt haben. Unzulässig ist auch die mittelbare Einflußnahme: Der Staat darf nicht zulassen, daß ein Mensch durch nicht-staatliche Stellen zu einem bestimmten Bekenntnis gezwungen oder im Sinne eines bestimmten Glaubens manipuliert wird 2 0 7 . Jede der beiden Seiten des einen Rechts auf „Freiheit des religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisses" - reicht genau so weit wie das andere Recht oder die andere Seite dieses Rechts und unterliegt den gleichen Schranken des Anwendungsbereichs 208. Weder die positive noch die negative Seite der Religionsfreiheit vermitteln staatsgerichtete Leistungsansprüche auf Religionsausübung oder darauf, daß andere die Betätigung ihres eigenen Bekenntnisses unterlassen. Vielmehr ist der beiden Seiten dieses Freiheitsrechts gemeinsame status negativus allein darauf gerichtet, freiheitsbeschränkende Eingriffe des Staates in die Freiheit des Bekenntnisses oder des Nichtbekenntnisses abzuwehren 209. Das in Art. 4 Abs. 1 und 2 GG umfassend garantierte Grundrecht bedingt auf staatlicher Seite Bekenntnisneutralität 210. Ohne staatliche Bekenntnisneutralität 202 K.-H. Kästner, ZevKR 41 (1996), S. 258. 203 BVerfGE 30, 415 (423). 204 Siehe auch BVerfGE 41, 29 (49). 205 R. Herzog, GG, Art. 4 Rdnr. 55; /. v. Münch, GG, Art. 4 Rdnr. 23. 206 L Renck, Über positive und negative Bekenntnisfreiheit, NVwZ 1994, NVwZ 1994, S. 544; J. Neumann, ZRP 1995, S. 381 (385). 207 j. Rux, Der Staat 1996, S. 528. 208 R. Herzog, GG, Rdnr. 121; J. Neumann, ZRP 1995, 381 (385). 209 Max Dietlein, Föderative Schulhoheit und Religionsfreiheit in der Schule - zur Auslegung des Art. 12 Abs. 6 Landesverfassung NRW, in: J. Burmeister (Hrsg.), Festschrift für Klaus Stern zum 65. Geburtstag, München 1997, S. 448 f. 210 κ. Obermayer, in: Bonner GG-Kommentar, Art. 140 Rdnr. 76 m. Nachw. 2

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5. Kap.: Selbstverwirklichungsrecht gesehen am Kruzifix-Urteil

gibt es keine Bekenntnisfreiheit. Die Bekenntnisneutralität 211 ist die zum Staat gewendete Seite der Bekenntnisfreiheit 212 und ein Essentiale unserer staatlichen Ordnung. Ihre überragende Bedeutung ist evident, und sie wird auch grundsätzlich von niemandem in Frage gestellt. Nur über die Reichweite dieses Verfassungsgrundsatzes im Einzelfall bestehen Differenzen 213. Die Bekenntnisneutralität verordnet dem Staat Inkompetenz in religiös-weltanschaulichen Fragen. Der Staat hat kein Bekenntnis, er wirbt nicht für ein Bekenntnis, er verteidigt oder bekämpft kein Bekenntnis, er hat schlechthin kein religiös-weltanschauliches Mandat 214 . Mit der entschlossenen Ausrichtung an der Religionsfreiheit wäre es sicherlich unvereinbar, wenn sich der Staat seinerseits mit einer bestimmten Religion identifizieren würde. Demgemäß hat das moderne Religionsrecht den Grundsatz der Nichtidentifikation entwickelt. Darin ist einbeschlossen der Verzicht auf eine spezifisch-christliche Prägung der für Christen und Nichtchristen gleichermaßen verbindlichen Rechtsordnung 215.

2. In Hinsicht auf die staatliche Ausstattung von Unterrichtsräumen mit Kreuzen in der Schule Zur Religionsfreiheit gehöre nicht nur die Freiheit, einen Glauben zu haben, sondern auch die Freiheit, nach den eigenen Glaubensüberzeugungen zu leben und zu handeln 216 . Der so umrissene „Tatbestand" des Art. 4 Abs. 1 GG hätte bei methodologisch folgerichtigem Vorgehen zur Prüfung führen müssen217, ob die staatlich verordnete Anbringung eines Kreuzes das Grundrecht einschränkt und - wenn ja - ob diese Einschränkung zu rechtfertigen ist 2 1 8 . 211

Ihr kommt im staatlichen Integrationsprozeß eine dreifache Bedeutung zu: sie garantiert den inneren, religiösen und weltanschaulichen Frieden, sie sichert die religiös-weltanschauliche Selbstverwirklichung des Bürgers und seiner Bekenntnisgemeinschaften, und sie ist schließlich die Voraussetzung dafür, daß sich der Bürger mit seinem Staat identifizieren kann- nur durch sie wird der Staat zur Heimstatt aller Bürger. Vgl. BVerfGE 19, 206

(216).

212 Zu den Funktionen der Bekenntnisfreiheit K. Obermayer, a. a. O. (Fn. 210), Art. 140 Rdnr. 77. 213 Ludwig Renck, Rechtsfragen des Religionsunterrichts im bekenntnisneutralen Staat, DÖV 1994, S. 30. 2U F. v. Zezschwitz, Staatliche Neutralitätspflicht und Schulgebet, JZ 1966, S. 339 ff. 215 H. Simon, Freie Kirche im demokratischen Staat, ZevKR 42 (1997), S. 166. BVerfGE 93, 1 (15); vgl. auch Martin Heckel, Religionsfreiheit, in: Κ Schiaich (Hrsg.), Gesammelte Schriften für Martin Heckel, Tübingen 1997, S. 647 ff.; Karl-Hermann Kästner, Hypertrophie des Grundrechts auf Religionsfreiheit?, JZ 1998, S. 974 ff. 21 7 Vgl. Hiroshi Nishihara, Gewissensfreiheit in der Schule, Der Staat 32 (1993), S. 569 (570); vgl. auch A. v. Campenhausen, a. a. Ο. (Fn. 67), Rdnr. 93; D. Heckmann, JZ 1996, S. 880 (883 ff.). 218 J. Ipsen, a. a. O. (Fn. 34), S. 312.

C. Grundrechtsanspruch des Schülers im GG

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Im Ergebnis ist der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zuzustimmen. Die staatliche Anordnung, Kreuze in den Klassenzimmern öffentlicher Schulen anzubringen, die keine Bekenntnisschulen sind, verletzt die Neutralitätspflicht des Staates, da sie geeignet ist, die negative Bekenntnisfreiheit derjenigen Schüler zu verletzen, die sich nicht zum christlichen Glauben bekennen. Da Art. 4 Abs. 1 GG keine Vorbehalte enthält, muß der Anspruch auf Erfüllung der Schulpflicht auch insofern jedenfalls dann grundsätzlich zurückstehen, wenn der Schutzbereich der Bekenntnisfreiheit berührt wird 2 1 9 . Die negative Religionsfreiheit ist erst dann berührt, wenn die religiösen Bezüge einen verfassungsrechtlich unzulässigen Zwang darstellen, denn gemäß Art. 140 GG i.V.m. Art. 136 IV WRV darf niemand zur Teilnahme an religiösen Übungen gezwungen werden. Das ist dann der Fall, wenn religiöse Bezüge und Symbole einen derart aufdringlichen Charakter haben, daß sie von Andersdenkenden als eine unzumutbare Einwirkung und innere Belastung bzw. als Zwang der Teilnahme an religiösen Handlungen empfunden werden. In der Sache kommt es dann im Schulkreuz-Fall auf das Verständnis und den Symbolgehalt des Kreuzeszeichens in der christlichen Gemeinschaftsschule an. Entscheidend ist nämlich, ob das Kreuz als unterrichtsbezogenes Lehrmittel christlich geprägtes Bildungsgut und die Bejahung des Christentums symbolisiert oder ob es ein Bekenntnis zur christlichen Religon und gar eine missionarische Tendenz zum Ausdruck bringt, die mit einer religiös-weltanschaulich neutralen Schule nicht vereinbar ist 2 2 0 . Auch die Religionsfreiheit der Eltern und Kinder christlichen Glaubens rechtfertigt den Eingriff nicht 2 2 1 . Denn der Anspruch auf Glaubensbetätigung im Rahmen staatlicher Institutionen ist beschränkt durch die Glaubensfreiheit Andersdenkender und deshalb nur zu gewährleisten, wenn die Freiwilligkeit der Teilnahme und zumutbare, nicht diskriminerende Ausweichmöglichkeiten für Andersdenkende sichergestellt sind. Das andersdenkende Schulkind kann sich wegen der Schulpflicht dem Kreuz im Klassenzimmer jedoch nicht entziehen, so daß diese Voraussetzungen hier nicht gegeben sind 2 2 2 . Aus Art. 4 Abs. 2 GG können die Schüler daher kein Recht ableiten, ein Kreuz oder ein anderes religiöses Symbol so durch den Staat (oder die Regelung der Schulordnung des Staates) im Klassenzimmer anbringen zu lassen, daß es von allen Mitschülern ebenfalls zur Kenntnis genommen werden muß. Unberührt bleiben die Rechte der Schüler, ein Symbol ihres Glaubens am Körper bzw. an der Kleidung zu tragen. Im übrigen haben sowohl die Eltern als auch die Schüler selbst das Recht, die Mitschüler zu missionieren, aber nicht mit Gewalt oder unlauteren Mitteln 2 2 3 . 219 J. Rux, Der Staat 1996, S. 545. 220 A. Gromitsaris, AöR 121 (1996), S. 373 f. 221 Vgl. K -Η. Kästner, ZevKR 41 (1996), S. 257 f. 222 Vgl. BVerfGE 93,1 (18). 223 j. Rux, Der Staat 1996, S. 543.

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5. Kap.: Selbstverwirklichungsrecht gesehen am Kruzifix-Urteil

Die negative Religionsfreiheit von Schülern wäre allerdings erst in dem Augenblick betroffen, in dem sie durch die positive Grundrechtsbetätigung von Mitschülern genötigt würden, gegen ihren Willen „mitzutun". Wenn die Mitschüler gezwungen werden, sich mitzuverhalten im Sinne der Sich-Betätigenden, dann also, wenn das Verhalten der Mitschüler auf eine die Entscheidungsfreiheit beeinträchtigende „Grundrechts-Nötigung" hinausliefe, den Rahmen zulässiger religiöser Werbung also sprengte, widerführe der negativen Religionsfreiheit eine unzulässige Verletzung. Dies wäre etwa der Fall, wenn Mitschüler religiöse Symbole außerhalb ihres Verfügungsraumes als Privatpersonen (ζ. B. an der Wand des Klassenzimmers 224) anbrächten, wo sie dann für alle Schüler „Geltungsanspruch" erhöben, also andere Schüler zwingen wollten, „unter" diesem religiösen Symbol zu arbeiten. Hiergegen könnten sich die „Genötigten" völlig unabhängig von bestehenden Mehrheitsverhältnissen zur Wehr setzen. Zudem würde es die grundrechtliche Schutzpflicht dem Staate gebieten, ihre Grundrechtssphäre gegen solche Einwirkungen abzuschirmen. Bei alledem geht es also um positive und negative Religionsfreiheit der Schüler, um deren Kollision und Ausgleich, um ein im Notfalle erfolgendes staatliches Eingreifen im Interesse dieses Ausgleichs. Es ist aber klar, daß damit die hier eigentlich zu erörternde Problematik von Staats wegen angebrachter Schulkreuze noch gar nicht berührt worden ist 2 2 5 . Es ist deshalb nun zu fragen: Was ergibt sich aus dem oben zur positiven und negativen Religionsfreiheit Gesagten für das Verhältnis von staatlicher Schule zu ihren Schülern im Falle der von Staats wegen geplanten Anbringung eines Kreuzes im Klassenraum? Jetzt interessiert nicht mehr die positive oder negative Einwirkung Privater aufeinander 226, sondern die Einwirkung auf Private von Seiten des Staates. Der Staat macht sich jetzt ein religiöses Symbol und seine Aussage zu eigen und „wirbt" auf diese Weise religiös-weltanschaulich. Dies ist ihm aber wegen seiner religiös-weltanschaulichen Neutralität untersagt 227. Er ist insoweit in einer ganz anderen Lage als eine Privatperson. Nicht nur hat der Bürger das Recht, staatliche religiös-weltanschauliche Werbung zu ignorieren oder sich ihr zu entziehen, sondern sie hat von vornherein zu unterbleiben. Erfolgt staatliche Werbung

224 Insoweit zutreffend M. Jestaedt, Das Kreuz unter dem Grundgesetz, Journal f. Rechtspolitik 3, 1995, S. 259 f. 22 5 A. Schmitt-Kammler, a. a. O. (Fn. 146), S. 354. 226 Hat niemand einen Grundrechtsanspruch auf ein Kreuz oder anderes Symbol, so kann die Nichtanbringung irgendwelcher religiös-weltanschaulicher Symbole niemandes Rec verletzen. Mangels Vorliegens einer Grundrechtskollision können daher rechtlich Fragen der Toleranz, der Tradition und des Verhältnisses von (empirisch festzustellender!) Mehrheit und Minderheit keine Rolle spielen. Unproblematisch wäre es natürlich, auch von Staats wegen gleichberechtigt verschiedene religiöse-weltanschauliche Symbole anzubringen, vielleicht verbunden mit religiös - philosophischstaatsbürgerlichen Merksätzen (etwa: Glaubens- und Meinungsfreiheit ist immer auch die Freiheit des Andersdenkenden). Vgl. G. Czermak, Der Kruzifix-Beschluß des Bundesverfassungsgerichts, seine Ursachen und seine Bedeutung, NJW 1995, S. 3351. 22 ? A. Schmitt-Kammler, a. a. O. (Fn. 146), S. 354.

C. Grundrechtsanspruch des Schülers im GG

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dennoch, so ist sie nicht nur objektiv rechtswidrig, sondern weil von diesem rechtswidrigen Handeln Auswirkungen auf die Grundrechtssphäre ausgehen, hat jeder Betroffene auch einen Anspruch darauf, daß es unterbleibe 228. Für die Lösung des Konfliktes zwischen dem in seinem Grundrecht Betroffenen und dem in rechtswidriger Weise dieses Grundrecht tangierenden Staat ist es nun aber völlig unerheblich, ob es etwa andere Personen gebe, die die staatliche Maßnahme religiöser Werbung begrüßen. Ein Verstoß gegen objektives Verfassungsrecht und gegen Grundrechts-Positionen wird nicht dadurch rechtlich unbedenklich, daß er von anderen Personen gebilligt oder begrüßt wird. Ohne daß es hierauf im geringsten ankäme, hat diese Maßnahme deshalb zu unterbleiben 229. Es bleibt hier kein Raum für eine Abwägung zwischen Grundrechtspositionen der Religionsfreiheit. Man hat es nicht zu tun mit dem Verhältnis von Grundrechtsträgern zueinander. In Streit steht nicht ein religiös geprägter Vorgang, der in einem privaten Verhalten von (Mit-)Schülern bestünde, sondern eine staatliche Veranstaltung. Es ist nichts als Begriffsverwirrung, wenn man eine staatlich verordnete und vorgenommene Kreuzesanbringung verbiegt zu einem Vorgang der (positiven) Ausübung von Grundrechten durch Privatpersonen 230. Der Konflikt wird auf diese Weise auf eine für seine Lösung nicht einschlägige Ebene verschoben. Die „Kreuzesgegner" greifen nicht in die Grundrechtsphäre der Kreuzesbefürworter ein; sie verlangen lediglich, der Staat möge nicht (durch einen Verstoß gegen das Neutralitätsprinzip) in rechtswidriger Weise ihre Grundrechtssphäre beeinträchtigen 231. Von Interesse ist hier nur das Verhältnis zwischen „Kreuzesgegner" und Staat. Die Grundrechtssphäre der Kreuzesbefürworter wird durch die Nichtanbringung eines Kreuzes nicht betroffen. Art. 4 GG gibt keinen Anspruch gegen den Staat auf „Leistungen" i.S. der religiösen Überzeugungen des Grundrechtsträgers 232. Scheitern muß schließlich auch der Versuch, die Berufung der Beschwerdeführer („Kreuzesgegner") auf das Grundrecht des Art. 4 GG dadurch zu verhindern, daß auf „immanente Schranken" dieses Grundrechts zurückgegriffen wird 2 3 3 . Dabei 228 Vgl. Stefan Muckel, Religiöse Freiheit und staatliche Letztentscheidung, Berlin 1997, S. 71 ff. 22 9 A. Schmitt-Kammler, a. a. O. (Fn. 146), S. 355. ao J. Neumann, ZRP 1995, S. 381 (385); R. Roger, DRiZ 1995, S. 476. 231 Vgl. Friedhelm Hufen, Anbringen von Kruzifixen in staatlichen Pflichtschulen als Verstoß gegen Art. 4 Abs. 1 GG, in: B. Guggenberger/T. Würtenberger (Hrsg.), Hüter der Verfassung oder Lenker der Politik, 1. Aufl., Baden-Baden 1998, S. 161 ff. 232 So wird gerügt, Religionsfreiheit sei kein „Recht zur Verhinderung von Religion". Dieser Einwand trifft die Problematik aber überhaupt nicht. Niemand fordert eine Einengung der (positiven) religiösen Betätigungsfreiheit von Mitschülern. Daß diese sich als Privatpersonen im Rahmen des Anstaltszweckes jederzeit religiös betätigen können, ist oben gezeigt worden. Inhalt religiöser Freiheit kann es aber niemals sein, den Staat für die Erreichung eigener religiöser Ziele einzusetzen. Nur mit der Unterbindung solcher Aktivitäten des Staates (der ja außerdem überhaupt nicht Träger der Grundrechte aus Art. 4 GG ist) hat man es aber in dem hier zu lösenden Konflikt zu tun. Vgl. A. Schmitt-Kammler, a. a. O. (Fn. 146), S. 355 f.; Abw. M., BVerfGE 91, 32.

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5. Kap.: Selbstverwirklichungsrecht gesehen am Kruzifix-Urteil

begegnen solche Formulierungen wie die, die Ausübung des Grundrechts sei „von Haus aus eingebunden in die Zumutbarkeit, dem Kreuz Respekt zu erweisen" 234 . Nun hat unstreitig auch die Religionsfreiheit ihre „immanenten" Schranken 235. Eine solche Schranke wird aber eindeutig nicht errichtet durch ein etwaiges Mißbehagen anderer Bürger anläßlich der Berufung eines Grundrechtsträgers auf sein Grundrecht. Die genannten Stellungnahmen würden aber ganz in diesem Sinne auf eine Art „christlicher Sozialbindung" der Religionsfreiheit hinauslaufen, für die weder Art. 4 GG noch die Art. 136 ff. WRV das geringste hergeben. Zudem: ein bereits objektiv rechtswidriges staatliches Handeln kann niemals mit irgendwelchen immanenten Schranken des von diesem Handeln betroffenen Grundrechts gerechtferitgt werden 236 . Jeder kann seine religiösen Bekenntnisse ablegen, wo er will, und religiöse Symbole zeigen, wie er es für richtig hält, aber niemand darf beanspruchen, daß es der Staat für ihn in öffentlichen Räumen t u t 2 3 7 ! Der Staat darf auf die Religionsfreiheit nicht durch die staatliche religiöse Tätigkeit der Ausstattung von Unterrichtsräumen mit Kreuzen (Kruzifixen) in der öffentlichen Schule einwirken.

II. Die Gewissensfreiheit

7. Im allgemeinen Eine Verletzung des Grundrechts der Gewissensfreiheit für den Schüler in den Unterrichtsräumen mit Kreuzen (Kruzifixen) in der öffentlichen Schule setzt zunächst voraus, daß die Gewissensfreiheit neben der Glaubens- und Bekenntnisfreiheit und der Freiheit der Religionsausübung als eigenes Grundrecht garantiert ist 2 3 8 und nicht in der Glaubens- und Bekenntnisfreiheit inhaltlich aufgeht 239 . Man kann Gewissen und Sich-dem-Gewissen-gemäß-verhalten-können nicht trennen, wenn die Gewissensfreiheit des Art. 4 Abs. 1 GG ihren realen und den gemeinten Sinn behalten soll. Mit Recht weist W. Keim darauf hin, daß das Gewissen, das lediglich für sich Entscheidungen treffen darf, ohne sie auch in der Welt verwirklichen zu können, ebenso verkümmern muß wie der Glaube, der nicht bekannt werden darf 2 4 0 . Demgemäß muß, mit der in der Literatur überwiegenden 233 / Müller-Volbehr, JZ 1995, S. 997 f.; M. Jestaedt, Journal f. Rechtspolitik 1995, S. 254, Fn. 113. 234 R Lerche, a. a. O. (Fn. 183), S. 20. 235 Vgl. Λ. v. Campenhausen, a. a. O. (Fn. 67), Rdnr. 82. 236 A. Schmitt-Kammler, a. a. Ο. (Fn. 146), S. 357. 237 / Neumann, ZRP 1995, S. 386. 238 Vgl. Rainer Eckertz, Die Säkularisierte Gewissensfreiheit zum Verhältnis von Gewissen, Staat und Religion, Der Staat 1986, S. 251 ff. 239 Vgl. E.-W. Böckenförde, ZevKR 20 (1975), S. 140. 240 w. Keim, Schule und Religion, Hamburg 1967, S. 121.

C. Grundrechtsanspruch des Schülers im GG

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Meinung, davon ausgegangen werden, daß die Gewissensfreiheit nicht nur die Freiheit, ein Gewissen zu haben, sondern ebenso die Freiheit, sein Gewissen betätigen zu können, umfaßt 241 . Inhalt der Gewissensfreiheit ist demnach einmal die Freiheit, daß nicht in Bestand und Funktion des Gewissens (psychonarkotisch) eingegriffen wird und daß die Bildung von Gewissensüberzeugungen sich frei, d. h. ohne Beeinträchtigung durch Maßnahmen der öffentlichen Gewalt, vollziehen kann. Weiterhin gehört zur Gewissensfreiheit die Freiheit, von der öffentlichen Gewalt innerhalb bestimmter, im einzelnen zu bestimmender äußerster Grenzen der Gemeinverträglichkeit nicht zu einem Verhalten gezwungen zu werden, das den Geboten des eigenen Gewissens widerspricht 242 . Das Bundesverfassungsgericht führt in seiner zitierten Entscheidung, in der es das Gewissensproblem grundsätzlich erörtert, drei Merkmale als für das Gewissen in diesem Sinn bestimmend an. Das Gewissen sei (1.) ein real erfahrbares seelisches Phänomen, dessen Forderungen, Mahnungen und Gebote für den Menschen sich als unmittelbar evidente Gebote unbedingten Sollens darstellten; seine Entscheidungen würden (2.) stets angesichts einer bestimmten Lage getroffen, in der es unabweisbar würde, sich zu entscheiden; sie hätten (3.) den Charakter eines unabweisbaren, die ganze Persönlichkeit ergreifenden Gebots 243 . Das Gewissen hat die Bedeutung eines inneren moralischen Regulativs: Es trägt und reguliert die konsistente moralische Selbstdarstellung des einzelnen als sittliche Persönlichkeit und sucht ihn durch seine Gebote und Warnungen davor zu bewahren, seine Identität als diese Persönlichkeit zu verlieren, dem untreu zu werden, was für ihn die Normen seines Lebens ausmachen und sich dadurch preiszugeben 244. An dieser Funktion zeigt sich die enge Beziehung des Gewissens und des Lebens nach den Geboten des eigenen Gewissens zur Würde des Menschen: Im ungebrochenen Vollzug der eigenen moralischen Selbstdarstellung, wie das Gewissen sie dirigiert und kontrolliert, hat und realisiert der einzelne seine Würde 245 . Wird ihm diese Möglichkeit genommen, indem sein Gewissen als die regulierende Instanz außer Funktion gesetzt oder durch übermächtigen Druck „gebrochen" wird, wird er auch in seiner Würde verletzt oder zerstört; es kommt zur Erscheinung der „gebrochenen Persönlichkeit", des „menschlichen Wracks" 246 . 241 Vgl. Ernst-Wolfgang Böckenförde, Das Grundrecht der Gewissensfreiheit, VVDStRL 28(1970), S. 53 mit Anm. 65. 242 E.-W. Böckenförde, VVDStRL 28 (1970), S. 63/64.

243 BVerfGE 12,45 (54/55).; dazu vgl. auch E.-W. Böckenförde, ZevKR 20 (1975), S. 143. 244 Grundlegend dazu Niklas Luhmann, Die Gewissensfreiheit und das Gewissen, AöR 90 (1965) S. 257-286, insbes. 264-270; und E.-W. Böckenförde, VVDStRL 28 (1970), S. 67. 245 Vgl. Christian Starck, Der verfassungsrechtliche Schutz des ungeborenen menschlichen Lebens, JZ 1993, S. 816 ff.; Wolfgang Waldstein, Das Menschenrecht zum Leben, Berlin 1982. 246 N. Luhmann, Grundrechte als Institution, Berlin 1965, S. 68 ff., 76.

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5. Kap.: Selbstverwirklichungsrecht gesehen am Kruzifix-Urteil

Alles Verhalten, sofern es die Persönlichkeit in ihrer Identität oder ihre konsistente moralische Selbstdarstellung kritisch betrifft, kann gewissensrelevant werden 2 4 7 . Das Kriterium für das Vorliegen einer wirklichen Gewissensentscheidung kann deshalb weder nach dem Gegenstand oder Inhalt der Entscheidung noch nach ihrer Übereinstimmung mit allgemeinen Rechtsgrundsätzen, dem allgemeinen sittlichen Bewußtsein oder einer angenommenen Wertordnung u.ä. bestimmt werden 2 4 8 . Vielmehr kann es, wie auch das Bundesverfassungsgericht betont, nur darauf ankommen, ob das, was sich nach außen als Gewissensentscheidung kundgibt, auch wirklich den Charakter eines unabweisbaren, die Persönlichkeit in ihrer Identität kritisch betreffenden Gebotes hat, dem nicht ohne Gefahr des Verlustes dieser Identität zuwidergehandelt werden kann 249 . Nicht jede Gewissensposition, die als solche tatsächlich vorliegt, ist freilich schon aus sich heraus rechtlich beachtlich 250 . Wenngleich die Gewissensfreiheit in Art. 4 Abs. 1 GG ohne Einschränkungsvorbehalt gewährleistet ist, ist sie doch, wie jede rechtliche Freiheit, nicht völlig schrankenlos. Sie muß mit anderen, verfassungsrechtlich gewährleisteten Freiheiten anderer zusammen bestehen können 251 . Auf die schwierige Frage, wie diese notwendigen, sog. immanenten Schranken für die Gewissensfreiheit zu bestimmen sind, ohne die von der Verfassung intendierte Unverletzlichkeit des Gewissens wieder aufzuheben, und ebenso auf die Frage, inwieweit die Berufung auf eine beachtliche Gewissensposition jeweils zur ersatzlosen Freistellung des Betroffenen führt oder nur zur Eröffnung einer anderen Verhaltensalternative für ihn 2 5 2 , braucht indessen im vorliegenden Zusammengang nicht eingegangen zu werden. Wie immer diese Schranken zu bestimmen sein mögen und die Frage der Verhaltensalternativen zu beantworten ist, in jedem Fall ist dann, wenn der Gewissenskonflikt durch eine objektiv verfassungswidrige Lage verursacht wird, diese objektive verfassungswidrige Lage zu beseitigen253.

247 Vgl. Gerard Eduard Langemeijer, Gedanken zur Gewissensfreiheit, in: G. Leibholz/ F. Joachim/P. Mikat/H. Reis (Hrsg.), Menschenwürde und freiheitliche Rechtsordnung, Festschrift für Willi Geiger zum 65. Geburtstag, Tübingen 1974, S. 3 ff. 248 Vgl. Hans Weizel, Gesetz und Gewissen, in: E. v. Caemmerer/E. Friesenhahn/R. Lange (Hrsg.), Hundert Jahre deutsches Rechtsleben, Festschrift zum hundertjährigen Bestehen des deutschen Juristentages (1860-1960), Karlsruhe 1960, S. 383 ff. 249 BVerfGE 12, 45 (55 f.); zum Problem femer E.-W. Böckenförde, VVDStRL 28 (1970), S. 67/70 m.w. N. 250 Vgl. Udo Steiner, Der Grundrechtsschutz der Glaubens- und Gewissensfreiheit (Art. 4 I, II GG), JuS 1982, S. 157 ff. 251 Vgl. Richard Bäumlin, Das Grundrecht der Gewissensfreiheit, VVDStRL 1970, S. 3 ff. 252 Vgl. E.-W. Böckenförde, VVDStRL 28 (1970), S. 53-62 m. w. N. 253 Vgl. E.-W. Böckenförde, ZevKR 20 (1975), S. 145.

C. Grundrechtsanspruch des Schülers im GG

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2. In Hinsicht auf die staatliche Ausstattung von Unterrichtsräumen mit Kreuzen in der Schule Mit Eintritt des Kindes in die Schule geht es um ein Spannungsverhältnis zwischen dem staatlichen Bildungsauftrag (Art. 71 GG) einerseits und dem Elternrecht (Art. 6 I I GG) und der Gewissensbildungsfreiheit des Kindes (Art. 4 I GG) andererseits 254. Die Teilnahmeverpflichtung am Unterricht führt bei religiösen Minderheiten nicht nur Gewissenskonflikte herbei 255 , sondern sie kann auch eine Auseinandersetzung zwischen Schulbehörde und Familie hervorrufen. Zwar ist der Gewissensbildungsprozeß des Schülers vor staatlichen Eingriffen auch deswegen zu schützen, weil er auch eine freie Entfaltungsmöglichkeit der Persönlichkeit des Schülers und eine Ausübung des Erziehungsrechts seiner Eltern darstellt 256 . Das Elternrecht ist jedoch nicht nur ein Abwehrrecht gegen den Staat. Es schließt auch den positiven Anspruch ein, vom Staat neutrale Erziehungseinrichtungen und Erziehungsmaßnahmen verlangen zu können 257 . Diese Leistungsansprüche führen unausweichlich zu einer Kollision mit der Grundrechtsausübung anderer Eltern. Auf diese Weise wird der soziale Druck auf das Kind nur noch erhöht. Dem kann durch Rückgriff auf die Funktion der Gewissensfreiheit ausgewichen werden 258 . Bekanntlich schützt das Grundrecht der Gewissensfreiheit nicht nur das Resultat der Gewissensentscheidung, sondern auch den inneren Prozeß der Gewissensbildung. Die Freiheit der Gewissensentscheidungen ist gegen Einflüsse freizuhalten 2 5 9 . Es geht um das jedermann gewährleistete Recht, bei der Bildung religiösweltanschaulicher Wert- und Unwertbegriffe unbeeinflußt von staatlichem Zwang oder sozialem Druck seine eigenen Überzeugungen im Rahmen der verfassungsmäßigen Ordnung zu verwirklichen 260 .

254 Hierzu: Β. H. Nishihara, Gewissensfreiheit in der Schule, Der Staat 1993, S. 572. 255 Vgl. Hans Martin Müller, Das Grundrecht auf Gewissensfreiheit und die Toleranz gegenüber dem Kriegsdienstverweigerer im Lichte eines evangelischen Gewissensbegriffs, ZevKR 27 (1982), S. 1 ff. 256 Vgl. Heinrich Scholler, Die staatliche Warnung vor religiösen Bewegungen und die Garantie der Freiheit der Religion, in: B. Ziemske/T. Langheid/H. Wilms/G. Haverkate (Hrsg.), Festschrift für Martin Kriele zum 65. Geburtstag, Staatsphilosophie und Rechtspolitik, München 1997, S. 339; ders., Die Freiheit des Gewissens, Berlin 1958. 257 Th. Maunz, in: ders./Dürig, Komm. z. GG, Art. 6, Rdnr. 31.; vgl. auch Theodor Maunz, Die Schule in der Sicht der Rechtsprechung, in: ders. (Hrsg.), Verwaltung und Rechtsbindung, Festschrift zum hundertjährigen Bestehen des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofes, München 1979, S. 239ff. 258 A. Gromitsaris, AöR 121 (1996), S. 389. 259 R. Herzog, in: Maunz/Dürig, Komm. z. GG., Art. 4, Rdnr. 130. 260 y. Usti, Glaubens-, Gewissens-, Bekenntnis- und Kirchenfreiheit, in: ders./D. Pirson (Hrsg.), Handbuch des Staatskirchenrechts der Bundesrepublik Deutschland, 2. Aufl., Bd. I, Berlin 1994, § 14, S. 439,468.

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5. Kap.: Selbstverwirklichungsrecht gesehen am Kruzifix-Urteil

Die verfassungsrechtliche Gewährleistung der Gewissensfreiheit erweitert den Spielraum für Handlungsalternativen und bietet einen Ausweg, wenn die Rechtsordnung den einzelnen vor die Alternative stellt, gewissenskonform und rechtswidrig oder gewissenswidrig und rechtmäßig zu handeln 261 . Ausweichmöglichkeiten werden dann nicht bereitgestellt, wenn es Alternativlösungen nicht gibt oder mögliche Alternativlösungen für den Staat und die Gesamtheit nicht tragbar sind 262 . Dieses Ergebnis bedeutet freilich nicht, daß der Schüler unter Berufung auf seine Gewissensfreiheit verlangen kann, daß Kreuze (Kruzifixe) aus Unterrichtsräumen überhaupt entfernt werden. Da die Gewissensfreiheit, neben dem Bestand von Gewissen als solchem, individuelle Gewissenspositionen gerade in ihrer Individualität, ohne Rücksicht auf ihre Generalisierbarkeit, schützt, führt sie aus sich heraus auch nur zur Beseitigung der individuellen Konfliktlage 263 . Aufgrund von Art. 4 Abs. 1 GG könne daher ein in seinem Gewissen betroffener Schüler nur verlangen, daß er eine Ausweichmöglichkeit in einem mit nicht Kreuz oder Kruzifix ausgestatteten Unterrichtsraum hat, um seine Schulpflicht zu erfüllen 264 . Religions- und Gewissensfreiheit, immerhin das älteste Grundrecht überhaupt und in Art. 4 Abs. 1 GG ohne Vorbehalt verbürgt, verböten es 2 6 5 , einer bestimmten - hier: der christlichen - Glaubensüberzeugung „mit staatlicher Unterstützung Ausdruck zu verleihen" und die andersgläubigen Schüler zu zwingen, „unter dem Kreuz zu lernen" 266 .

ΙΠ. Das Selbstverwirklichungsrecht des Schülers als Kern des Grundrechts auf Bildung im Grundgesetz

7. Im allgemeinen Hier interessiert uns vor allem Art. 2 Abs. 1 GG im engsten Sinne zum Selbstverwirklichungsrecht des Schülers als Kern des Grundrechts auf Bildung im verfassungsrechtlichen Sinne. Seine Anwendung auf die Frage, welchen Einfluß die öffentliche Gewalt auf die Vermittlung von Geistesgut durch die Schule haben darf, führt zu wesentlich konkreteren und gleichzeitig zwingenderen Konsequenzen als der Ansatz bei der Freiheitlichkeit im allgemeinen267. 261 Vgl. Paul Tiedemann, Gewissensfreiheit und Demokratie, Der Staat 1987, 371 ff. 262 Zu den verschiedenen Schrankenmodellen Matthias Herdegen, Gewissensfreiheit, in: J. Listi /D. Pirson (Hrsg.), Handbuch des Staatskirchenrechts der Bundesrepublik Deutschland, 2. Aufl., Bd. I, Berlin 1994, § 15, S. 481,494 ff. 263 Vgl. BVerfGE 35, 366. 264 Vgl. Erhard Becker, Das Kruzifix im Gerichtssaal, DRiZ 1973, S. 426 (427). 265 Vgl. Jochen Ahr. Frowein, Die Bedeutung des die Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit garantierenden Artikels 9 der Europäischen Menschenrechtskonvention, in: Essener Gespräche zum Thema Staat und Kirche, Bd. 27 (1993), S. 46 ff. 266 BVerfGE 93, 1 (18).

C. Grundrechtsanspruch des Schülers im GG

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Mit dem Recht auf dit freie Entfaltung der Persönlichkeit kann nur gemeint sein, daß jeder über das Ob und Wie der Selbstentfaltung autonom zu bestimmen hat, also bei seiner Selbstentfaltung ein Selbstbestimmungsrecht genießt. Dies mag zunächst selbstverständlich erscheinen, weil sich auch die meisten anderen Rechte nicht darauf beschränken, das zu schützen, was objektiv im Interesse des Berechtigten liegt, sondern auf den Willen des Berechtigten abstellen. Aber auch das Selbstverständliche muß begrifflich erfaßt werden, zumal sich aus seiner Vernachlässigung schwerwiegende Konsequenzen ergäben. So wäre der Staat, wenn Art. 2 Abs. 1 GG nur das Entfaltungsrecht schützen würde, nicht daran gehindert, die einzelnen Menschen zu bevormunden und ihnen vorzuschreiben, in welche Richtung sie sich zu entfalten haben. Gegen eine staatliche Verplanung der Selbstentfaltung würde das Selbstentfaltungsrecht allein nicht helfen 268 . Wir hatten gesehen269, daß Art. 2 Abs. 1 GG zum Selbstverwirklichungsrecht zwei Elemente enthält, das Selbstentfaltungsrecht und das Selbstbestimmungsrecht. Beide richten sich, wie alle Grundrechte, in erster Linie gegen den Staat. Aus dem Selbstentfaltungsrecht folgt lediglich, daß der Staat durch die Schule keinen die Persönlichkeitsentfaltung hemmenden Einfluß ausüben darf. Dagegen ist ein die Persönlichkeitsentfaltung fördernder Einfluß durch das Selbstentfaltungsrecht nicht verboten, ja durch es geradezu legitimiert 270 . Die Förderung des Selbstbestimmungsrechts, nämlich durch den Staat, muß aber dem Selbstentfaltungsrecht des Schülers in der freiheitlichen und pluralistischen Schule Rechnung tragen. Wie der gesamte Art. 2 Abs. 1 GG kann freilich auch das Selbstverwirklichungsrecht des Schülers durch Gesetz beschränkt werden. Das bedeutet aber nicht, daß das Grundrecht außerhalb seines Wesensgehalts leerlaufen dürfe. Vor allem muß bei jeder Beschränkung des Selbstverwirklichungsrechts geprüft werden, ob sie einem vor der Verfassung legitimen Gemeinschaftsinteresse dient. Es ist festzustellen, ob die Beschränkung des Selbstverwirklichungsrechts eine so wesentlich bessere Verfolgung jenes Gemeinschaftsinteresses erlaubt, daß der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gewahrt ist, und ob jenes Gemeinschaftsinteresse nicht unter stärkerer Rücksichtnahme auf das Selbstverwirklichungsrecht der Betroffenen verfolgt werden könnte 271 . Die Notwendigkeit der Achtung vor dem Recht des Schülers auf freie Selbstentfaltung hat bei der Vermittlung geistiger Gehalte Konsequenzen für beide Aspekte 267

E. Stein, Das Recht des Kindes auf Selbstentfaltung in der Schule, Neuwied 1967, S. 49. 268 E. Stein, Staatsrecht, 14. Aufl., Tübingen 1993, S. 252. 269 Vgl. auch oben 1. Kapitel Β. I I / I I I . 270 Vgl. Walter Roemer, Zum Grundrecht der Freien Entfaltung der Persönlichkeit, in: E. v. Caemmerer/E. Friesenhahn/R. Lange (Hrsg.), Hundert Jahre deutsches Rechtsleben, Festschrift zum hundertjährigen Bestehen des deutschen Juristentages (1860-1960), Karlsruhe 1960, S. 545 ff. 271 Vgl. Ch. Degenhart, Die allgemeine Handlungsfreiheit des Art. 2 I Grundgesetzes, JuS 1990, S. 161 ff.

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5. Kap.: Selbstverwirklichungsrecht gesehen am Kruzifix-Urteil

dieses Prozesses, für das Lehren und für das Lernen. Die freie Entfaltung der Persönlichkeit vollzieht sich ja in der Schule vor allem durch die geistige Verarbeitung des vermittelten Bildungsgutes. Das Kind entwickelt mit Hilfe der ihm dargebotenen Erfahrungen und Einsichten seine eigenen Gedanken über die Welt, in der es steht, und über sein Verhalten zu ihr. Es identifiziert sich mit einem Teil der ihm vermittelten Ideen, sieht in ihnen zutreffende Aussagen über die Wirklichkeit und damit ein Wissen, während es andere als zweifelhafte oder gar falsche Ansichten registriert. So wächst es selbst in das geistige Leben seiner Gemeinschaft hinein und wird allmählich zum Mitträger bestimmter Strömungen 272. Das Ideal wäre die unvoreingenommene Übermittlung des gesamten geistigen Erbgutes der Menschheit 273 . Da sich das schon wegen der begrenzten Aufnahmefähigkeit eines Menschen nicht verwirklichen läßt, muß wenigstens versucht werden, den Schülern einen ausgewogenen Querschnitt, eine repräsentative Auslese von Gedanken der wichtigsten geistigen Strömungen zu bieten 274 . Die öffentliche Schule hat also ideologisch neutral zu sein. Im Gegensatz hierzu werden bei einer unneutralen Bildung die Schüler nur mit einem einzigen Standpunkt vertraut gemacht. So wird ihnen die Möglichkeit genommen, sich zwischen mehreren Standpunkten zu entscheiden und damit zugleich die Relativität jedes von ihnen zu erkennen 275. Ein weiteres wichtiges Wesensmerkmal einer freien Bildung, bei der die Schüler als individuelle Menschen mit dem Recht auf Selbstverwirklichung behandelt werden, ist, daß der Schüler die Richtung seines geistigen Wachstums an den entscheidenden Stellen selbst bestimmen kann: Er hat ein Recht auf individuelle freie Entfaltung. Vor allem muß er in der Lage sein, in möglichst weitem Umfang zwischen den verschiedenen Bildungsmöglichkeiten frei zu wählen 276 . Die Antwort auf die Frage nach der Zulässigkeit der staatlichen religiösen Tätigkeit der Anbringung eines Kruzifixes in der öffentlichen Schule kann nicht aus 272 Dieser Prozeß kann sich nur dann in Selbstverwirklichung des Schülers vollziehen, wenn dem Kind eine Reihe verschiedener geistiger Standpunkte so dargeboten wird, daß es selbst zwischen ihnen wählen kann. Vgl. E. Stein, a. a. Ο. (Fn. 267), S. 50; H. Hornickel, Gleiche Freiheit des Lernens - Selbstentfaltung und Erziehung im demokratischen Sozialstaat, Eine Untersuchung zur Modellstruktur des Grundrechts auf chancengleiche Erziehung und Bildung, Diss., Bielefeld 1979. 273 Vgl. Gerhard Kluchert, Allgemeine Menschenbildung und Bildung der Nation, in: H. Becker/G. Kluchert (Hrsg.), Die Bildung der Nation, Stuttgart 1993, S. 49 ff. 274 Vgl. Emile Durkheim, Erziehung, Moral und Gesellschaft, 1. Aufl., Frankfurt/M. 1984, S. 143 ff. 27 5 Vgl. M.-E. Geis, Der Kernbereich des Persönlichkeitsrechts, JZ 1991, S. 112ff.; U. Fehnemann, Rechtsfragen des Persönlichkeitsschutzes bei der Anwendung psychodiagnostischer Verfahren in der Schule, Diss., Frankfurt/M. 1976. 27 6 Das beginnt bei der Wahl der Schulart der weiterführenden Schulen, umfaßt ferner eine gewisse Freiheit bei der Wahl der Fächer und sollte auch einen Einfluß auf den zu behandelnden Stoff einschließen. Im übrigen prägt das Recht auf individuelle Entfaltung entscheidend die schulische und häusliche Mitarbeit der einzelnen Schüler. Vgl. E. Stein, a. a. Ο. (Fn. 267), S. 50 f.

C. Grundrechtsanspruch des Schülers im GG

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Art. 4 Abs. 1 GG allein gewonnen werden 277 , sondern aus Art. 2 Abs. 1 GG zum Selbstverwirklichungsrecht des Schülers als Kern des Grundrechts auf Bildung im Grundgesetz insgesamt. Der einzelne hat nicht nur einen Anspruch darauf, daß der Staat ihn nicht im Sinne eines bestimmten Glaubens beeinflußt, unzulässig ist es auch, wenn ihm durch den Staat eine Pflicht auferlegt wird, bei deren Erfüllung er schutzlos den religiösen Beeinflussungsversuchen des Staates ausgesetzt ist 2 7 8 .

2. In Hinsicht auf die staatliche Ausstattung von Unterrichtsräumen mit Kreuzen in der Schule a) Schülerrecht auf Selbstverwirklichung Das Bundesverfassungsgericht hat den Schutzbereich des Art. 4 Abs. 1 GG nicht hinreichend deutlich bestimmt. Daher hat es verkannt, daß nicht alle irgendwie religiös oder weltanschaulich geprägten Verhaltensweisen von diesem Grundrecht erfaßt werden, sondern nur diejenigen, die auf einem bestimmten Gebot des Glaubens beruhen. Auch wenn sich im Einzelfall kein solcher Glaubenssatz nachweisen läßt, ist das Verhalten des Individuums aber jedenfalls durch die allgemeine Handlungsfreiheit des Art. 2 Abs. 1 GG geschützt279. Allerdings muß der Staat aufgrund von Art. 2 Abs. 1 GG die einzelnen lediglich gewähren lassen. Es besteht keinesfalls ein Anspruch, daß der Staat etwa einen bestimmten Raumschmuck vorschreiben müßte. Zu beachten ist vor allem, daß Art. 2 Abs. 1 GG durch die entgegenstehenden Rechte Dritter beschränkt wird 2 8 0 . Ein auf Art. 2 Abs. 1 GG beruhender Anspruch muß daher stets zurücktreten, wenn durch die Verwirklichung dieses Anspruchs die Grundrechte anderer Personen verletzt werden. Dies trifft hier insbesondere die negative Bekenntnisfreiheit der Mitschüler 281 . Der Schutzbereich des Art. 2 Abs. 1 GG umfaßt grundsätzlich alle möglichen Handlungen der einzelnen 282 . Es wurde aber bereits ausgeführt, daß dieses Grundrecht unmittelbar durch die Grundrechte der übrigen Mitschüler beschränkt ist. Es ist daher unzulässig, ein religiöses Symbol als Raumschmuck anzubringen, sofern 277 Vgl. A. v. Campenhausen, a. a. O. (Fn. 67), Rdnr. 97 278 Vgl. J. Rux, Positive und negative Bedenntnisfreiheit in der Schule, Der Staat 1996, S. 544. 279 Auf dieses Grundrecht können die Eltern und Schüler sich ζ. B. berufen, wenn sie das Bedürfnis haben, das Klassenzimmer aus ästhetischen Gründen oder aufgrund bestimmter Traditionen auf eine bestimmte Art und Weise zu schmücken, ζ. B. auch mit einem Kreuz oder einem anderen religiösen Symbol. Vgl. J. Rux, Der Staat 1996, S. 533. 280 Vgl. H. C. Nipperdey, Freie Entfaltung der Persönlichkeit, in: Κ. A. Bettermann/ H. C. Nipperdey/U. Scheuner (Hrsg.), Die Grundrechte, Bd. 4, Berlin 1960, S. 741 ff. 281 Art. 2 Abs. 1 GG im weiteren Sinne muß weiterhin auch dann zurücktreten, wenn die Erfüllung des staatlichen Bildungs- und Erziehungsauftrags übermäßig beeinträchtigt wird. Vgl. J. Rux, Der Staat 1996, S. 533. 282 Vgl. D. Merten, Das Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit, JuS 1976, S. 345 ff.

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5. Kap.: Selbstverwirklichungsrecht gesehen am Kruzifix-Urteil

ein Schüler dadurch in seiner negativen Bekenntnisfreiheit verletzt wird. Aufgrund seiner Neutralitätspflicht, die dem Art. 2 Abs. 1 GG ebenfalls vorgeht, ist der Staat verpflichtet, daß solche Symbole jedenfalls nicht so angebracht werden, daß er sich mit den von diesem Symbol verkörperten Glaubensauffassungen identifizieren lassen muß 2 8 3 . Die Schule gibt auf diese Weise Raum für die Entfaltung von Freiheitsrechten, wie dies zu Recht immer wieder gefordert wird. Doch ist es wichtig zu sehen: Es steht hier in Rede nur die Entfaltung von Freiheitsrechten Privater, der Schüler eben. Ein positives Handeln von Staats wegen wird dadurch in keiner Weise gefordert oder gedeckt 284 . Der Wesensgehalt von Art. 2 Abs. 1 GG endet in diesem Bereich erst dort, wo einer der Beteiligten des staatlichen Schutzes bedarf, weil andere Beteiligte eine überlegene Macht besitzen und die Gefahr eines Machtmißbrauchs besteht 285 . Selbstverständlich ist es wichtig, jedem Schüler die Möglichkeiten einer individuellen Entwicklung zu gewährleisten. Selbstverständlich sollen religiöse Werte und Grundüberzeugungen des Schülers in der öffentlichen Schule nicht vom Staat gewaltsam oktroyiert werden 286 . Grundrechtliche Freiheit des Schülers in der öffentlichen Schule bedeutet seine Selbstverwirklichung (Selbstentfaltung und Selbstbestimmung). Diese bezieht sich auf den eigenen Glauben, das eigene Bekenntnis, das eigene religiöse Handeln 287 des Schülers, aber nicht des Staates! Deshalb darf der Staat keine eigene religiöse Umwelt ausstatten. Einseitige Bestimmung des Staates über die Umwelt führte unvermeidlich zur Fremdbestimmung über andere Grundrechtsträger und über die staatlich verfaßte Neutralität. Einseitige Verfügung des Staates über die räumliche Umwelt wird grundrechtlich nur geschützt, soweit es sich um privaten Raum handelt und dieser Eigentum des Verfügenden ist. Es gibt aber kein Privateigentum des Staates am öffentlichen Raum der Schule 288 . Wenn der Staat einseitig über die Ausstattung des Schulraums bestimmen könnte, geriete er leicht in Widerspruch zu bestimmten Schülern und Eltern. Wäre es aber eine grundrechtliche Frage, so könnte sie auch nicht durch Mehrheitsentscheid gelöst werden, weil die Ausübung des Gundrechts des Schülers auf Selbstverwirklichung nicht der Abstimmung unterliegt 289 . Wenn die öffentliche Schule auch im Zeichen des Kreuzes als christliche Staatsanstalt fungieren würde, würde 283 / Rux, Der Staat 1996, S. 544. 284 Das verkennt die abw. M., BVerfGE 93, 30 (31). 285 E. Stein, a. a. O. (Fn. 268), S. 254. 286 Vgl. H. Zehetmair, Das Kreuz: Symbol christlichabendländischer Kultur, in Wertekonsens in der Demokratie, Politische Studien Sonderheft, München 1995, S. 42. 287 Vgl. J. Isensee, a. a. O. (Fn. 196), S. 24. 288 Vgl. J. Isensee, a. a. Ο. (Fn. 196), S. 24 f. 289 Vgl. J. Berkemann, Die „politischen Rechte" des Schülers, RdJB 1974, S. 8 ff.

C. Grundrechtsanspruch des Schülers im GG

333

diese religiöse Tätigkeit des Staates in der Tat vor allem mit dem Selbstverwirklichungsrecht des Schülers als Kern des Grundrechts auf Bildung im verfassungsrechtlichen Sinne kollidieren. Allerdings ist es in einer pluralistischen Gesellschaft unmöglich, bei der Gestaltung der öffentlichen Pflichtschule allen Erziehungsvorstellungen voll Rechnung zu tragen. Das unvermeidliche Spannungsverhältnis zwischen negativer und positiver Religionsfreiheit von verschiedenen Schülern und Eltern muß durch den Landesgesetzgeber gelöst werden. Zum Christentum als Kulturfaktor gehört gerade auch der Gedanke der Toleranz für Andersdenkende. Deren Konfrontation mit einem christlich geprägten Weltbild führt jedenfalls solange nicht zu einer diskriminierenden Abwertung nichtchristlicher Weltanschauungen, als es nicht um Glaubensvermittlung, sondern um das Bestreben nach Verwirklichung der eigenen Persönlichkeit des Schülers in der öffentlichen Schule geht 290 . Bei genauerer Betrachtung zeigt sich jedoch, daß sich die Schulpflicht als rechtliches, notfalls mit staatlichem Zwang durchzusetzendes Gebot in der Pflicht zum Besuch einer Schule erschöpft und der notfalls anzuwendende Schulzwang in der zwangsweisen Zuführung des Schulpflichtigen zur Schule besteht. Diese imperativen Einwirkungen stellen zwar einen Grundrechtseingriff dar 2 9 1 , beeinträchtigen jedoch die Schüler in ihrem Selbstverwirklichungsrecht im Bildungssinne (Art. 2 Abs. 1 G G ) 2 9 2 und die Eltern in ihrem Erziehungsrecht (Art. 6 Abs. 2 GG) nur, um die Selbstverwirklichung ihres Kind durchzusetzen.

b) Das Erziehungsrecht der Eltern als Abwehrrecht Die Eltern sind von Verfassungs wegen die Treuhänder der grundrechtlichen Belange ihres noch nicht grundrechtsmündigen Kindes 293 . Das Erziehungsrecht der Eltern nach Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG umfaßt auch die religiöse und weltanschauliche Erziehung. Die Eltern können ihre Kinder auch vom Einfluß bestimmter Glaubensüberzeugungen fernhalten 294 . 290

Vgl. Friedhelm Hufen, Urteilsanm. zum Kruzifix im Klassenzimmer, JuS 1996, S. 260. Vgl. Hans D. Jarass/Bodo Pieroth, Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, 3. Aufl., München 1995, Vorbem vor Art. 1 Rdnr. 20. 292 Der Staat darf mangels religiöser Kompetenz gerade keine Gruppierung einseitig unterstützen. Niemand hat einen grundrechtlichen Anspruch gegenüber dem Staat darauf, daß in der Schule im Gegensatz zu Andersdenkenden gerade sein Religionssymbol in staatlicher ungleicher Religionsförderung etabliert wird. Jedem Schüler bleibt es überdies unbenommen, bis zur Grenze der unvertretbaren Störung des Schulfriedens religiöse Symbole oder Kleidungsstücke zu tragen. Liegt aber keine Kollision von Trägern der Grundrechte der Glaubensfreiheit bzw. des Elternrechts vor, so kann sich unter diesem Aspekt auch keine Rechtfertigung der Grundrechtseinschränkung ergeben. Vgl. G. Czermak, zur Unzulässigkeit des Kreuzes in der Schule aus verfassungsrechtlicher Sicht, S. 34 ff. 293 / Isensee, a. a. O. (Fn. 196), S. 23. 294 j. Rux, Der Staat 1996, S. 530. 291

22 Hsu

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5. Kap.: Selbstverwirklichungsrecht gesehen am Kruzifix-Urteil

Als Abwehrrecht umfaßt Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG einen Anspruch der Eltern, daß der Staat sich nicht in die Erziehung der Kinder in der Familie einmischt 295 . In bezug auf die religiöse und weltanschauliche Erziehung ist dies dann der Fall, wenn die Kinder in den öffentlichen Schulen gegen den Willen der Eltern im Sinne eines bestimmten Glaubens manipuliert werden - wobei es nicht darauf ankommt, ob diese Manipulation 296 vom Staat ausgeht oder nur von ihm geduldet wird. Daß der Staat sich in den öffentlichen Schulen grundsätzlich 297 jeder Einflußnahme im Sinne eines bestimmten Glaubens zu enthalten hat, folgt somit primär nicht aus dem Erziehungsrecht der Eltern, sondern vielmehr aus dem Selbstverwirklichungsrecht des Schülers als Kern des Grundrechts auf Bildung im Grundgesetz. Denn dieses verpflichtet den Staat zur strikten Neutralität in Bildungs- und Weltanschauungssfragen. Bislang ist unberücksichtigt geblieben, daß nicht nur die Eltern Träger von Grundrechten sind, sondern auch die Kinder selbst 298 . Allerdings können diese eine Verletzung ihrer Grundrechte nicht ohne weiteres selbst geltend machen. Durch Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG hat der Verfassunggeber grundsätzlich den Eltern die Aufgabe zugewiesen, an Stelle ihrer Kinder zu handeln und zu entscheiden. Bei Ausübung ihres Erziehungsrechts haben die Eltern allerdings als „Sachwalter des Kindes" 2 9 9 zu handeln, welche diesem die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit ermöglichen sollen und ihm nicht ihre eigene Persönlichkeit aufzwingen dürfen 300 . An dieser Stelle greift Art. 6 Abs. 2 GG ein: Danach überwacht der Staat, ob die Eltern ihren Erziehungsauftrag erfüllen. Die staatlichen Stellen müssen einschreiten, wenn ihnen bekannt wird, daß die Eltern die Rechte ihres Kindes verletzen. Der Staat erfüllt seine Überwachungspflicht in erster Linie dadurch, daß 29 5 Der Anspruch des Staates auf Erfüllung der Schulpflicht und sein Recht zur autonomen Definition von Bildungs- und Erziehungszielen muß grundsätzlich hinter dem vorbehaltlos gewährten Recht der Eltern aus Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG zurücktreten, vor allem wenn es um das Selbstverwirklichungsrechts des Schülers als Kern des Grundrechts auf Bildung im verfassungsrechtlichen Sinne geht. Vgl. F. Ossenbühl, Das elterliche Erzeihungsrecht im Sinne des Grundgesetzes, Berlin 1981, S. llOff.; BVerfGE 34,165 (182f./197). 296 z.B. zum Kruzifix-Urteil: Auf Antrag der Schulbehörde ordnete das AG Schwandorf daraufhin die zwangsweise psychiatrische Untersuchung des Vaters im Bezirkskrankenhaus Regensburg an. Nach eingehender Untersuchung durfte er nach etlichen Tagen nach Hause zurückkehren. Gleichwohl erwogen die Kreisbehörden den Entzug des elterlichen Sorgerechts. Vgl. J. Neumann, Rechts- oder Glaubensstaat?, ZRP 1995, S. 382.

297 Mit Ausnahme des Religionsunterrichts; vgl. Theo Mayer-Maly, Die Kreuze in den österreichischen Schulklassen, in: B. Ziemske/T. Langheid/H. Wilms/G. Haverkate (Hrsg.), Festschrift für Martin Kriele zum 65. Geburtstag, Staatsphilosophie und Rechtspolitik, München 1997, S. 1489. 298 Vgl. BVerfGE 41,29 (47). 299 Wer schon gehalten ist, sein Kind der staatlichen Zwangseinrichtung zuzuführen, der braucht dabei außerstaatliche Ingerenzen, die sein Kind und er nicht wünschen, nicht hinzunehmen. Vgl. Ludwig Renck, Verfassungsprobleme der christlicen Gemeinschaftsschule, NVwZ 1991, S. 117. 300 Vgl. BVerfGE 24, 119 (143); 42, 122 (137); 59, 360 (377/382); 64,180 (189).

C. Grundrechtsanspruch des Schülers im GG

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er Kindern entsprechend ihrer wachsenden Einsichtsfähigkeit die Möglichkeit gibt, Verletzungen ihrer Rechte selbst geltend zu machen - gegebenenfalls auch gegenüber den eigenen Eltern. Das Recht der Eltern aus Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG tritt also mit der wachsenden Selbstbestimmungsfähigkeit ihres Kindes immer weiter zurück 3 0 1 . Das Kind ist bei der Durchsetzung seiner Rechte gegenüber Dritten allerdings nicht notwendigerweise auf sich allein gestellt. Quasi als Nachwirkung ihres Erziehungsrechtes steht es den Eltern zu, ihr Kind zu beraten und ζ. B. auch vor Gericht zu unterstützen 302. Das Kind muß mit dieser Hilfe aber einverstanden sein. Das Bundesverfassungsgericht erwähnt 303 das Recht der Eltern, auf ihre Kinder in bestimmtem Sinne einzuwirken oder sie von bestimmten Einwirkungen seitens Dritter fernzuhalten. Dieses Recht besteht in der Tat, und zwar als Teil des Elternrechts i.S. d. Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG. Das Gericht meint nun aber, dieses elterliche Recht bestehe kraft Art. 4 Abs. 1 GG („i.V.m. Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG") 3 0 4 . Das trifft nicht zu. Quelle dieses Rechts ist vielmehr Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG, welcher Eltern die Möglichkeit gibt, die Selbstverwirklichung ihrer Kinder gegen die staatliche Schulhoheit zu sichern. Art. 4 Abs. 1 GG fügt dem nichts hinzu. Art. 4 Abs. 1 GG erlaubt jedem Grundrechtsträger eine vom Staate ungestörte weltanschauliche Werbung bei Dritten; das ist etwas völlig anderes als eine erzieherische Einwirkung. Art. 4 Abs. 1 GG gibt niemandem das Recht zu religiöser Erziehung anderer Personen. Denn das Elternrecht i.V.m. Art. 4 Abs. 1 GG umfaßt wesentlich das Recht der Eltern, „ihren Kindern die eigene religiöse oder weltanschauliche Überzeugung zu vermitteln" 305 . Daher wirkt in religiös-weltanschaulicher Hinsicht das Elternrecht in die Schule in dem Sinn hinein, daß schulische Erziehung grundsätzlich der häuslichen Erziehung zwar notwendig selten voll entsprechen kann, ihr jedoch zumindest grundsätzlich nicht entgegenarbeiten darf. Das staatliche Erzeihungsmandat umfaßt gerade nicht die religiös-weltanschauliche Erziehung der Kinder 306 . Vielmehr hat die Staatsschule sowohl Vorsorge zu treffen, daß dem einzelnen weder Religion noch Weltanschauung aufgedrängt wird, als auch dafür, daß niemandem seine Religion oder Weltanschauung despektierlich gemacht wird 3 0 7 . 301 BVerfGE 59, 360 (382), 302 BVerwG, NJW 1983, S. 2585. 303 BVerfGE 91, 17. 304 M. Jestaedt, Journal f. Rechtspolitik 1995, S. 256. 305 Da auch das elterliche Erziehungsrecht keinen eigentlichen Schrankenvorbehalt, sondern in Art. 6 Abs. 2 Satz 2 nur eine Art Mißbrauchsklausel kennt, ist die Einschränkbarkeit der Glaubensfreiheit und des Elternrechts hinsichtlich der religiös-weltanschaulichen Erziehung der Kinder von vornherein stark erschwert und bedarf zwingender Gründe. Vgl. G. Czermak, zur Unzulässigkeit des Kreuzes in der Schule aus verfassungsrechtlicher Sicht, S. 37 ff. 306 Vgl. J. Rux, Der Staat 1996, S. 544. 307 Daß die Eltern ihre weltanschaulichen Vorstellungen auf ihre Kinder übertragen dürfen, ergibt sich vielmehr aus der durch Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG vermittelten Einwirkungs22*

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5. Kap.: Selbstverwirklichungsrecht gesehen am Kruzifix-Urteil

c) Die Schulaufsicht der Länder als institutionelle Garantie Die Länder haben bei der Ausübung der Schulaufsicht selbstverständlich im Rahmen des Grundgesetzes zu verbleiben, das die Schulaufsicht der Länder als institutionelle Garantie des Selbstverwirklichungsrechts des Schülers sowie die religiöse und weltanschauliche Neutralität des Staates, und damit auch die eines jeden deutschen Landes fordert. Schulhoheit ist Freiheit innerhalb dieses Rahmens, nicht aber Freiheit zu seiner Sprengung. „Traditionen" der Abweichung von diesem Grundsatz vermögen hiergegen nichts 308 . Die Geltung des Neutralitätsprinzips für den Bereich der öffentlichen Schule läßt sich auch nicht mit dem Hinweis auf die staatliche Schulaufsicht i.S. d. Art. 7 Abs. 1 GG relativieren, in der Weise etwa, daß dieser Norm ein eigenständiges „freies" staatliches Erziehungsmandat zu entnehmen wäre. Ein staatliches Erziehungsmandat wird sich bejahen lassen. Doch wird dieses Mandat in Art. 7 Abs. 1 GG seinem Umfange nach nicht umschrieben. Sein Umfang kann nun nicht beliebig festgelegt werden, sondern muß auf Grund allgemeiner Grundsätze 309 der Schulaufsicht der Länder als institutionelle Garantie des Selbstverwirklichungsrechts des Schülers ermittelt werden, und dabei gelangt man notwendigerweise wieder zum staatlichen Neutralitätsprinzip im pluralistischen Kulturstaat 310 . Die Spielarten des religiösen Selbstverwirklichungsrechts des Schülers i.V.m. individueller Bekenntnisfreiheit im Verhältnis der Staatsbürger in der staatlichen Schule untereinander haben mit der Respektierung der Bekenntnisneutralität durch die Schulverwaltung primär nichts zu tun, es sei denn, man begreift die staatliche Schule als eine Einrichtung, die gerade der freien Entfaltung der individuellen Bekenntnisfreiheit dient. Damit aber würden den Elterm und /oder Schülern Einwirkungsmöglichkeiten mit Anspruchscharakter auf den tatsächlichen Schulablauf eröffnet, von denen man sonst eigentlich nichts hält, weil sie die Schulaufsicht der Länder 311 erheblich relativieren würden 312 . Juristisch unergiebig ist der häufig anzutreffende Rückgriff auf das staatliche Organisationsrecht, das im Bereich des Schulwesens unstreitig in den Händen der Länder liegt 3 1 3 . Das schließe nicht aus, daß der Staat jedem einen Betätigungsraum komponente des Elternrechts, um die Selbstverwirklichung ihrer Kinder gegen die staatliche Schulhoheit zu verteidigen. Art. 7 Abs. 1 GG enthält kein Mandat für die Länder, öffentliche Schulerziehung allgemein nach speziell religiösen, areligiösen oder sonstwie ideologischen Mustern - ausgenommen den Prinzipienrahmen des Grundgesetzes - auszurichten. Vgl. A. Schmitt-Kammler, a. a. O. (Fn. 146), S. 357 f. 308 E.-W. Böckenförde, ZevKR 20 (1975), S. 134 f.; R. Roger, DRiZ 1995, S. 475. 309 s. o. 2. Kapitel D. IV. 2. a) u. 3. Kapitel B./D. 310 Vgl. A. Schmitt-Kammler, a. a. Ο. (Fn. 146), S. 346. 311 Vgl. Art. 7 I GG. 312 L Renck, Zum rechtlichen Gehalt der Kruzifix-Debatte, ZRP 1996, S. 18. 313 Ebenda.

C. Grundrechtsanspruch des Schülers im GG

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gewährleistet, in dem sich die Persönlichkeit auf weltanschaulich-religiösem Gebiet frei entfalten kann. Er habe dafür zu sorgen, daß die konkurrierenden Glaubensrichtungen und Gruppen sich nicht gegenseitig angreifen oder behindern. So sehr jeder darauf vertrauen dürfe, daß er unter dem Schutz des Staates seinen eigenen Glauben ungehindert bekennen und ausüben könne, so habe doch niemand einen Anspruch darauf, seine Glaubensüberzeugung mit staatlicher Unterstützung auszudrücken, vielmehr folge aus Art. 4 Abs. 1 GG „im Gegenteil der Grundsatz staatlicher Neutralität gegenüber den unterschiedlichen Religionen und Bekenntnissen" 314 . Es kann als gesichert gelten, daß dieses Organisationsrecht der Länder nur nach Maßgabe der bundesverfassungsrechtlichen Grundrechtsordnung besteht. Insoweit ergibt sich die richtige Antwort bereits auf dem durch Art. 31 GG festgeschriebenen Vorrang der Bundesverfassung. Mit dem staatlichen Organisationsrecht der Länder kann jedenfalls die Geltung individueller Grundrechte nicht verändert werden 315 . Ebenso abseitig ist es, für die Zulässigkeit von Schulkreuzen die kulturstaatliche Länderzuständigkeit zu beanspruchen 316, auch wenn diese in besonderer Weise Ausdruck der föderativen Aufgabenverteilung im deutschen Bundesstaat ist. Es ist eine blanke Selbstverständlichkeit, daß auch dieser Aspekt einzelstaatlicher Individualität eingebunden ist in den übergreifenden Zusammenhang der bundesstaatlichen Grundrechtsordnung. Betrifft das Kreuz im Klassenzimmer die staatliche Bekenntnisneutralität und damit die Grundrechte von Eltern und Schülern, so wird die Geltung von Art. 4 Abs. 1 und Abs. 2 GG nicht von partikulären Besonderheiten eingeschränkt, mögen sie historisch noch so alt und kulturgeschichtlich noch so charakteristisch sein. Über die neueste verfassungsrechtliche Eselsbrücke, die den Komplex des einzelstaatlichen Schulrechts wegen der Schulhoheit der Länder der Kollisionsnorm des Art. 31 GG entzogen sieht 317 , läßt sich entgegen dem Geist des Art. 28 Abs. 1 GG das Kreuz ebenfalls nicht in die Klassenzimmer tragen. Diese Sicht demontiert das Grundrecht der Bekenntnisfreiheit als bundeseinheitliches Recht und etabliert im Rahmen der gliedstaatlichen Struktur der Bundesrepublik Länder unterschiedlich strenger Bekenntnisneutralität. Für eine derartige partikuläre Mehrklassen-Religionsfreiheit lassen sich Anhaltspunkte im Verfassungsrecht des Grundgesetzes nicht gewinnen 318 . Der Freistaat Bayern kann sich nach Bundesverfassungsrecht nicht als Bundesland mit einer aus geschichtlicher Tradition minderen staatlichen Bekenntnisneutralität profilieren. Die grundrechliche Topographie der Bundesrepublik ergibt kein 3w Neumann, Rechts- oder Glaubensstaat?, ZRP 1995, S. 383. 315 L Renck, ZRP 1996, S. 18. 316 Dafür aber J. Müller-Volbehr, JZ 1995, S. 997. 317 Vgl. Max-Emanuel Geis, Zur Zulässigkeit des Kreuzes in der Schule aus verfassungsrechtlicher Sicht, in: W. Brugger/S. Huster (Hrsg.), Der Streit um das Kreuz in der Schule, Baden-Baden 1998, S. 53 ff.; J. Müller-Volbehr, JZ 1995, S. 997. 318 Vgl. Neumann, ZRP 1995, S. 385.

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5. Kap.: Selbstverwirklichungsrecht gesehen am Kruzifix-Urteil

Flickwerk abgestufter Grundrechtsgeltung 319. Der Freistaat Bayern würde bei den heutigen bayerischen Verhältnissen einen Teil der Schüler außerhalb der Verfassungsgarantie ansiedeln, ihn - statt zum Subjekt von Freiheit der Selbstverwirklichung - zum Objekt bloßer staatlicher „Schulhoheit" machen. Es wäre dies das Ende des pluralistischen Kulturstaats und die Neu-Etablierung hoheitlich-allgemeinverbindlicher Wahrheiten 320. Regelungen, die die Landesverfassungen oder Landesschulgesetze für die Bereiche der öffentlichen Schule treffen, sind daher einer Verallgemeinerungsregelung der staatlichen religiösen Tätigkeit der Ausstattung von Unterrichtsräumen mit Kreuzen (Kruzifixen) in der öffentlichen Schule nicht fähig 321 . Sie ignorieren die Interpretation des Grundgesetzes durch das Bundesverfassungsgericht, die nach Art. 31 BVerfGG Gesetzeskraft hat. Das ist in sich bereits ein nicht akzeptabler Vorgang der Rechtsverletzung 322. Das Bundesverfassungsgericht argumentiert folgendermaßen: Der Eingriff lasse sich nicht aus Art. 7 Abs. 1 GG rechtfertigen. Nach Art. 7 Abs. 1 GG hat der Staat einen eigenständigen Erziehungsauftrag. Dabei kann der Staat auch, grundsätzlich unabhängig von den Eltern, Erziehungsziele festlegen. Daraus können sich Konflikte zwischen schulischer und familiärer Erziehung ergeben, die nach dem Prinzip des schonendsten Ausgleichs zu lösen sind. Das gilt auch für die religiös-weltanschaulichen Bezüge, auf die auch der insoweit neutrale Staat keineswegs zu verzichten braucht 323 . Für die Auflösung des Spannungsverhältnisses zwischen den Art. 2 Abs. 1,4 Abs. 1 und 7 Abs. 1 GG heißt das: Obwohl dem Landesgesetzgeber die Einführung christlicher Bezüge ,glicht schlechthin verboten" ist, sondern er im Rahmen des „Bestreben(s) nach Verwirklichung der autonomen Persönlichkeit im religiös-weltanschaulichen Bereich" das Christentum als prägenden Kultur- und Bildungsfaktor - ohne Diskriminierung anderer Anschauungen - berücksichtigen darf, muß er dabei „religiös-weltanschauliche Zwänge so weit wie irgend möglich aus(zu)schalten"324. Trotz der Schulhoheit der Länder müssen die Gesetzgeber der Länder durch die Regelungen des Bildungsauftrags des Staates in den Landesver319 L Renck, ZRP 1996, S. 19. 320 Vgl. A. Schmitt-Kammler, a. a. O. (Fn. 146), S. 345. 321 E.-W. Böckenförde, ZevKR 20 (1975), S. 134. 322 Mit (1) der negativen Religionsfreiheit, (2) der Trennung von Staat und Kirche in einer säkularisierten Gesellschaft und dem (3) daraus sich ergebenden Prinzip der weltanschaulichen Nichtidentifikation sowie (4) dem Grundsatz der Parität von Kirchen und Bekenntnissen sind die verfassungsrechtlichen Markierungspunkte vorgezeichnet. Der staatliche Schulherr hat sie bei der Veranstaltung von Schule zu respektieren. Regionale Traditionen oder Erziehungsziele in Landesverfassungen, wie die bayerische Ehrfurcht vor Gott (Art. 131 II BV), erlangen auch im Durchgang durch dasföderalistische Prinzip nicht die Kraft, bundesverfassungsgesetzlich verbürgte Grundrechte einzuschränken. Vgl. G. Frankenberg, Hüter der Verfassung einer Zivilgesellschaft, KJ 1996, S. 6; J. Neumann, ZRP 1995, S. 382. 323 Vgl. Gerhard Czermak, Der Kruzifix-Beschluß zwischen Neutralität und Glaubensförderung sowie als Spielball der Emotionen, ZRP 1996, S. 203. 324 BVerfGE 41, 65.; 52, 223, 240f.

D. Selbstverwirklichungsrecht hinsichtlich der Entscheidungen des BVerfG

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fassungen oder Landesschulgesetzen dem Selbstverwirklichungsrecht des Schülers als Kern des Grundrechts auf Bildung im verfassungsrechtlichen Sinne dienen. Die heute, im Zusammenhang mit dem Kruzifix-Urteil, wieder vertretene Auffassung, Art. 7 Abs. 1 GG relativiere Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 4 Abs. 1 GG, würde die gesamte Entwicklung um 30 Jahre zurückwerfen 325. Art. 7 Abs. 1 GG ist eine kompetenzbegriindende Norm, Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 4 Abs. 1 GG aber eine Kompetenzbindungsnorm. Die staatliche Schulhoheit ist aber schon strukturell als Schranke der genannten Grundrechte kaum geeignet. Dabei ist Art. 7 Abs. 1 GG eine institutionell-organisatorische Kompetenzvorschrift und nach Entstehungsgeschichte und Gesamtzusammenhang nicht geeignet, eines der zentralen Grundrechte auszuhöhlen.

D. Das Selbstverwirklichungsrecht des Schülers zum Kruzifix-Urteil hinsichtlich der Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts I. Die bisherigen wichtigen Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts

Das Bundesverfassungsgericht hat völlig in der Tradition der jüngeren Rechtsentwicklung 326 zur Religionsfreiheit und zum Verbot einseitiger ideologischer Beeinflussung entschieden327. Das Kruzifix-Urteil des Bundesverfassungsgerichts stützt sich bei einer seiner Kernausssagen auf den 1973 ergangenen Beschluß zum Fall „Kreuz im Gerichtssaal" 328 . Zwei an einem verwaltungsgerichtlichen Verfahren beteiligte Personen jüdischen Glaubens hatten verlangt, während der Verhandlung das Kreuz abzuhängen; sie konnten nicht „unter dem Kreuze" verhandeln. Das Bundesverfassungsgericht gab ihnen recht 329 . Aber nur unter besonderen Bedingungen hatte das 325 Vgl. G. Czermak, zur Unzulässigkeit des Kreuzes in der Schule aus verfassungsrechtlicher Sicht, S. 37 ff. 326 Daß „unter dem Kreuz" Handlungen von verfassungsrechtlichem Belang geschehen können, stellte das BVerfG bereits lange zuvor in seiner Entscheidung zu Kreuzen in Gerichtssälen fest. Es kann also keine Rede davon sein, die Kruzifix-Mehrheit des Ersten Senats habe „mit der Brechstange argumentiert", wie ein ehemaliger Verfassungsrichter meinte, kundtun zu müssen. Im Gegenteil ist jenem BVerfG, das unter aktiver Mitwirkung eben dieses Kritikers das Vor-Urteil zum Kruzifix-Beschluß fällte, vorzuwerfen, daß es in puncto „christlicher Gemeinschafts (?) schule" nicht den Mut hatte, die Säkularisierungsgewinne des GG argumentativ einzulösen, statt dessen ein Exerzitium zur Unbestimmtheit des Rechts vorführte. Vgl. G. Frankenberg, Hüter der Verfassung einer Zivilgesellschaft, KJ 1996, S. 6. 327 G. Czermak, Der Kruzifix-Beschluß des Bundesverfassungsgerichts, seine Ursachen und seine Bedeutung, NJW 1995, S. 3352. 328 BVerfGE 35, 366. 329 Peter Lerche, Die Kreuz-Entscheidung - Kontinuität oder Bruch bisheriger Entscheidungslinien des Bundesverfassungsgerichts?, in: Wertesens in der Demokratie, Politische Studien Sonderheft, München 1995, S. 33.

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5. Kap.: Selbstverwirklichungsrecht gesehen am Kruzifix-Urteil

Gericht - die Beschwerdeführer waren Juden und gerade wegen der Geschichte der Juden nicht bereit, „unter dem Kreuz" zu verhandeln - das Kreuz im Gerichtssaal als verfassungswidrig abgelehnt: es war davon ausgegangen, daß ein Kruzifix oder Kreuz im Gericht in der Regel als zumutbar empfunden werde, da es weder eine Identifizierung mit den darin symbolisierten Inhalten noch sonst ein Verhalten verlange 330 . Es hatte in diesem Zusammenhang sogar angedeutet, daß in anderen Bereichen staatlicher Verwaltung bei einem Konflikt zwischen dem Minderheitswunsch nach Entfernen eines Kruzifixes und dem Mehrheitswunsch nach Anbringen eines Kruzifixes anders zu entscheiden sein könnte 331 . Die jetzige Entscheidung sucht das zu verwerten und bemerkt wörtlich 332 : „Schon in dem Zwang, entgegen den eigenen religiösen oder weltanschaulichen Überzeugungen einen Rechtsstreit unter dem Kreuz zu führen, hat das Bundesverfassungsgericht ... einen Eingriff in die Glaubensfreiheit eines jüdischen Prozeßbeteiligten gesehen, der darin eine Identifikation des Staates mit dem christlichen Glauben erblickte ...".

Wenn also schon in dem damaligen Fall das Kreuz abgehängt werden mußte, dann doch erst recht in den Klassenzimmern, meint die jetzige Entscheidung333. Außerdem versucht sich die jetzige Entscheidung im Blick auf die frühere mit einer zusätzlichen Argumentation. Sie sagt der Sache nach 334 : Wenn schon im Gerichtssaal das Kreuz abgehängt werden muß, dann erst recht in den Klassenzimmern, weil - so wörtlich - die Wirkung von Kreuzen in Unterrichtsräumen „nach Dauer und Intensität" größer sei als die Wirkung von Kreuzen in Gerichtssälen. Damit berühren unsere Überlegungen eine zweite judikative Linie. Diese tritt beispielsweise in dem 1979 ergangenen Schulgebets-Beschluß hervor. Zu urteilen war über die Zulässigkeit des Schulgebets außerhalb des Religionsunterrichts in öffentlichen Pflichtschulen, wenn die Eltern eines Schülers dem Gebet widersprechen 335 . Gleichwohl urteilt der Schulgebetsbeschluß unter Erwägung weiterer Gesichtspunkte, daß ein freiwilliges Schulgebet grundsätzlich verfassungsrechtlich zulässig sei 3 3 6 . Wenn im konkreten Fall ein Schüler oder seine Eltern der Abhaltung des Gebets widersprechen, bleibe es bei der Zulässigkeit des Schulgebets337, denn der andersdenkende Schüler könne - etwa durch Fernbleiben oder Nicht-Mitsprechen - dem Gebete ausweichen338. Das Bundesverfassungsgericht hat im Konflikt zwischen einer Minderheit von Eltern und Schülern, die das gemeinsame 330 331 332 333 334 335 336 337 338

BVerfGE 35, 388/375. BVerfGE 35, 366/376. BverfGE 91, 1 (18). R Lerche, a. a. O. (Fn. 329), S. 33. BverfGE 91, 1 (18). BVerfGE 52, 223. BVerfGE 52, 223 (245). BVerfGE 52, 248 ff. BVerfGE 52, 248.

D. Selbstverwirklichungsrecht hinsichtlich der Entscheidungen des B V e r f G 3 4 1

Schulgebet ablehnten, und der Mehrheit, die es durchführen wollte, zugunsten der Mehrheit entschieden339. Auch diese Entscheidung wird von der jetzigen - an sich zutreffend - mehrfach zitiert. Im Gegensatz zur Schulgebetsentscheidung von 1979 stellt es die Frage der (fehlenden) religiösen Kompetenz des Staates heraus - wenn auch noch nicht klar genug - und nimmt Abschied von der verfehlten Rechtsfigur der (höherwertigen) positiven und (minderwertigen) negativen Religionsfreiheit 340. Eine verfassungsrechtlich auch nur annähernd gleichwertige Alternative bestand nicht. Die jetzige Entscheidung nimmt keinem Christen etwas weg, worauf er grundrechtlich einen Anspruch hätte, und läßt im übrigen sehr deutlich erkennen, welch hohen Wert er der Möglichkeit der Glaubensverwirklichung auch in der Schule - für alle gleichermaßen - beimißt. Die Eliminierung des bestimmten religiösen Symbols aus der Schule und die angeblich drohende Indifferenz gegenüber Werten hat das Bundesverfassungsgericht eindeutig und zu Recht verurteilt 341 . Der Schulgebetsbeschluß knüpft an noch ältere Entscheidungen an 3 4 2 . Diese besagen343, die christliche Gemeinschaftsschule als Pflichtschule sei im Staate der Gegenwart zulässig; sie dürfe jedoch keine missionarische Schule sein; sie müsse sich auch anderen weltanschaulichen und religiösen Inhalten und Werten öffnen 344 . Zu den gewichtigsten gegen das Bundesverfassungsgericht angeführten Argumenten gehört die angebliche Widersprüchlichkeit seiner Judikatur. Nachdem es im Jahre 1975 Art. 135 S. 2 BayVerf. gebilligt habe 345 , der die christliche Gemeinschaftsschule als ausschließliche Schulart in Bayern vorschreibt, werde es sich untreu, wenn es der Entfernung der Kreuze, die diese Christlichkeit dokumentieren, das Wort rede 346 . Aber das Bundesverfassungsgericht hat im Hinblick auf Art. 4 Abs. 1 und 2 GG die Christlichkeit dieser Schule säkularisiert und ihren religiösen Bezug auf die Vermittlung christlich geprägter allgemein anerkannter Kultur- und Bildungswerte reduziert. Das ist der tiefere Sinn der vom Bundesverfassungsgericht für richtig gehaltenen verfassungskonformen Auslegung. Sie allein kann zur Abgleichung des bayerischen Verfassungstextes mit den Implikationen der Bekenntnisfreiheit führen 347 . 339

Bernhard Schlink, Zwischen Säkularisation und Multikulturalität, in: Rolf Stober (Hrsg.), Recht und Recht, Festschrift für Gerd Roellecke zum 70. Geburtstag, Stuttgart /Berlin /Köln 1997, S. 301 f. L Renck, Über positive und negative Bekenntnisfreiheit, NVwZ 1994, S. 544. 341 Die jetzige Entscheidung ist juristisch sauber begründet und enthält vereinzelt wichtige dogmatische Korrekturen. Vgl. G. Czermak, NJW 1995, S. 3352. 542 BVerfGE 52, 223 (236 f.). 543 BVerfGE 41, 29 (44 ff.); 41,65 (77 ff.). 544 Vgl. R Lerche, a. a. O. (Fn. 329), S. 35. 345 BVerfGE 41, S. 65 ff. 546 In diesem Sinne/. Müller-Volbehr, JZ 1995, S. 997f. 547 L Renck, Zum rechtlichen Gehalt der Kruzifix-Debatte, ZRP 1996, S. 19.

342

5. Kap.: Selbstverwirklichungsrecht gesehen am Kruzifix-Urteil

Es kann sich bei dieser Auslegung nicht um Glaubensinhalte oder gar Glaubenswahrheiten handeln, weil über sie zu befinden ohnehin nicht Sache des „neutralen" Staates sein kann. Vielmehr fallen darunter „die Werte und Normen . . . , die, vom Christentum maßgeblich geprägt, auch weitgehend zum Gemeingut des abendländischen Kulturkreises geworden sind" 3 4 8 . Die christliche Gemeinschaftsschule in Bayern ist folglich nicht deshalb christlich, weil sie christliches Glaubensgut oder christliche Glaubensüberzeugung vermittelt. Das wäre verfassungswidrig und würde die Bindungswirkung der bundesverfassungsgerichtlichen Entscheidung verletzen. Sie ist nur insofern verfassungsgemäß christlich, als sie christlich geprägtes Kulturgut anbietet und damit allen Grundrechtsträgern zugemutet werden kann, auch wenn sich deren Bildungsvorstellungen nicht mit denen des Staates decken 349 . Auch in den christlichen Gemeinschaftsschulen muß der Staat die negative Bekenntnisfreiheit der Schüler respektieren. Er muß seine Pflicht zur Neutralität in Glaubensfragen bei der konkreten Ausgestaltung des Schulwesens berücksichtigen 3 5 0 . Auch die christliche Gemeinschaftsschule darf in Glaubensfragen unter keinen Umständen Zwang auf die Schüler ausüben oder missionarisch tätig werden. Sie darf sich nicht mit den Glaubenssätzen des Christentums identifizieren, sondern muß sich darauf beschranken, die prägende Bedeutung des Christentums und der christlichen Kirchen für die Entwicklung der gesellschaftlichen Werte zu vermitteln. Dabei muß sie sich auch für nicht-christliche weltanschaulich Inhalte und Werte öffnen 351 . Eine staatliche Anordnung, Kreuze in den Klassenzimmern öffentlicher Schulen anzubringen, ist somit unzulässig, wenn zumindest die Möglichkeit besteht, daß dadurch die Religionsfreiheit, die Gewissensfreiheit und vor allem das Selbstverwirklichungsrecht einzelner Schüler verletzt wird.

II. Kritik an der Entscheidung der christlichen Gemeinschaftsschule

Das Bundesverfassungsgericht bewegt sich folglich nicht in den Bahnen der Logik, wenn es die Zulässigkeit christlicher Elemente der Gemeinschaftsschulen mit der Toleranzpflicht der Grundrechtsträger untereinander rechtfertigt 352 . Die Wahrheit ist: nicht die jetzige Entscheidung, sondern die früheren Entscheidungen sind falsch gewesen. Sie haben mit der religiös-weltanschaulichen Neutralität des Staates nicht wirklich ernst gemacht. Sie haben vielmehr geglaubt, in der vermeintlich guten Tradition des ,3undesabwägungsgerichts", das Problem lasse 348 BVerfGE 41, 65 (78), zur Neutralität ferner BVerfGE 19, 1 (8), u. BVerfGE 19, 206

(216).

349 L. Renck, Verfassungsprobleme der christlichen Gemeinschaftsschule, NVwZ 1991, S. 117. 350 Vgl. BVerfGE 41,29(46). 351 Vgl. BVerfGE 41,29(51 f.); 52,223 (236 f.). 352 L. Renck NVwZ 1991, S. 116 f.

D. Selbstverwirklichungsrecht hinsichtlich der Entscheidungen des BVerfG

343

sich bewältigen durch ein begrifflich unscharfes Lavieren zwischen erlaubter christlicher Ausrichtung der Schule einerseits und deren „NichtVerbindlichkeit" andererseits und durch Abwägung dort, wo schwer abzuwägen ist 3 5 3 . Der Umstand, daß das Bundesverfassungsgericht seinerzeit auf den problematischen Ausweg verfiel, den Begriff „Christliche Gemeinschaftsschule" durch eine verfassungskonforme Auslegung zu retten 354, die Sache selbst aber in den Gründen eindeutig zu untersagen, ist wahrscheinlich juristisch die eigentliche Ursache der z.T. maßlosen Empörung gegen das Kruzifix-Urteil. Das Bundesverfassungsgericht sah ja die Christlichkeit der Schule schon 1975 „nur" in einer besonderen Betonung des Christentums als überkommenes Kulturgut neben anderen geistig-kulturellen Strömungen. Dies erachtete es ausdrücklich wegen Art. 4 Abs. 1 GG im Hinblick auf die Legitimation gegenüber Nichtchristen und die möglichst eigene Selbstverwirklichung der Schüler für erforderlich. Diese offene Diskrepanz zwischen Tenor und Gründen 355 hat die Bayerische Staatsregierung und Schulverwaltung weidlich ausgenutzt. Sie hat stets und nachdrücklich auf allen Ebenen die Verfassungsmäßigkeit der Christlichen Gemeinschaftsschule und die spezifisch christliche Tendenz der schulischen Erziehung betont, den eigentlichen Sinngehalt der gem. Art. 31 BVerfGG alle Staatsorgane bindenden Entscheidung aber doch mißachtet. Die z.T. offene Diskriminierung nichtchristlicher Lehrer in Bayern wird heute viel beklagt 356 . All dies kann hier nur beispielhaft angedeutet werden. So ist der Verfassungsbruch geradezu zu einem Erziehungsprinzip geworden 357 . Das Bundesverfassungsgericht ist sich der mißlichen Lage wohl bewußt. Es fehlt ihm aber offenbar der Mut, sich zu offen zu einer Abkehr von der älteren Rechtsprechung zu bekennen, und so veranstaltet es eine „rückwirkende authentische Uminterpretation" seiner früheren Entscheidungen, die aber nicht überzeugt: Das Bundesverfassungsgericht versucht, das früher in der Schule zugelassene „Christliche" für nicht konfessionell, sondern für bloß „kultur-christlich" zu erkläElternrecht und schulisches 353 Durchgehend kritisch hierzu Arnulf Schmitt-Kammler, Erziehungsrecht, Berlin 1983. 354 Beim Versuch einer Lösung der einander widerstreitenden Positionen sah sich das Gericht noch einer anderen Schwierigkeit gegenüber: Gemäß seiner verfassungskonformen Auslegung des Art. 135 S. 2 Bay Verf. und seiner Rechtsprechung zur „Simultanschule mit christlichem Charakter im überlieferten Sinne" hatte es festgestellt, daß die Schule nicht missionarisch sein und keine Verbindlichkeit für christliche Glaubensinhalte beanspruchen dürfe. Die Bejahung des Christlichen beziehe „sich insofern auf die Anerkennung des prägenden Kulturund Bildungsfaktors, nicht auf bestimmte Glaubenswahrheiten". Vgl. BVerfGE 41, 65 (66, 79 ff.); Johannes Neumann, Rechts- oder Glaubensstaat?, ZRP 1995, S. 385. 355 κ. Obermayer, Staat und Religion, Berlin 1977, S. 15 f. 356 Die Lehrerausbildung wird durch 21 Konkordatslehrstühle angereichert, die betonte Christlichkeit von Lehrern in der Personalpolitik stark berücksichtigt. Vgl. G. Czermak, NJW 1995, S.3351. 357 Vgl. Gerhard Czermak, Verfassungsbruch als Erziehungsmittel? Zur schulischen Zwangsmission in Bayern, KJ 1992, S. 46; ders., NJW 1995, S. 3351; L. Renck, NVwZ 1991, S. 116.

344

5. Kap.: Selbstverwirklichungsrecht gesehen am Kruzifix-Urteil

ren 3 5 8 . Das widerspricht aber zumindest dem Tenor der früheren Entscheidungen: Unzweifelhaft geht es bei einer Erziehung nach christlichen Grundsätzen um anderes und um mehr als solche allgemeinen Kulturphänomene. - Davon abgesehen: Wenn schulische Erziehung nach christlichen Grundsätzen sich als bloßer Ausdruck der historischen Verwurzelung des Landes im Christentum ansehen ließe, dann wäre nicht einzusehen, wieso im bloßen Vorhandensein eines Kreuzes nunmehr ein intensiver-konfessionelles Element zu sehen sein sollte 359 . Es zeigt sich: Die frühere schwammige 360 Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist dem Neutralitätsprinzip (und dem Grundrecht aus Art. 2 Abs. 1 im engsten Sinne und Art. 4 GG) nicht gerecht geworden, mit der Folge, daß auch so manches Bundesland sich von diesen Gesichtspunkten nicht ernstlich betroffen fühlen mußte 361 . Im Hinblick darauf wäre es nur folgerichtig gewesen, das Bundesverfassungsgericht hätte von vornherein die Verfassungswidrigkeit dieser Regelung attestiert. Sein Konzept, die frühere Entscheidung mit einer die Christlichkeit säkularisierenden 3 6 2 verfassungskonformen Auslegung rechtlich am Leben zu halten, konnte nicht aufgehen 363. Trotz dieser historischen und methodischen Irrungen 364 kommt das Bundesverfassungsgericht wegen des spezifischen Bezugs des Kreuzes auf die Glaubensinhalte des Christentums, von denen es nicht zu trennen sei, zu der Feststellung, daß die Anbringung von Kreuzen in Klassenzimmern die gebotene Grenze der religiösweltanschaulichen Ausrichtung der Schule überschreite. Soweit es sich nicht um christliche Bekenntnisschulen handelt, ist daher seine Anbringung in der staatlichen Pflichtschule mit Art. 4 Abs. 1 GG unvereinbar 365. Das Bundesverfassungsgericht hat in logischer, klarstellender Ergänzung der allgemein anerkannten Entscheidungen von 1975 zu den christlichen Gemeinschaftsschulen der Glaubensfrei358 Unter Berufung auf Leitsatz 1 Satz 2 zu BVerfG 41,65. 359 Vgl. A. Schmitt-Kammler, a. a. O. (Fn. 146), S. 351. 360 Disparates läßt sich schwer fassen und angreifen. Unklarheit bietet guten Schutz vor Kritik. Vgl. / Isensee, a. a. O. (Fn. 196), S. 21. 361 Vgl. A. Schmitt-Kammler, a. a. O. (Fn. 146), S. 351. 362 Vgl. L Renck, NVwZ 1991, S. 117. 363 L Renck, Zum rechtlichen Gehalt der Kruzifix-Debatte, ZRP 1996, S. 17. 364 Art. 135 S. 2 Bay Verf., der die christliche Gemeinschaftsschule als einziges verfassungsgängiges Modell vorhält, sollte den Kirchen den Abschied von der wegen der tatsächlichen Verhältnisse notwendig verfassungswidrigen Konfessionsschule erleichtem. Deshalb war a priori daran gedacht, die gemeinsamen Grundsätze der christlichen Bekenntnisse, die das Wesen der christlichen Gemeinschaftsschule darstellen sollten, von den Kirchen maßgeblich konkretisieren zu lassen. Im übrigen verfährt die Praxis bis heute tatsächlich verfassungswidrig auf diese Weise. Vgl. Ludwig Renck, Aktuelle Probleme der christlichen Gemeinschaftsschule - dargestellt am Beispiel des bayerischen Schulrechts - , KJ 1994, S. 494 ff. 365 j, Neumann, Rechts- oder Glaubensstaat?, ZRP 1995, S. 385.

D. Selbstverwirklichungsrecht hinsichtlich der Entscheidungen des BVerfG

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heit nur in einem weiteren (kleinen) Teilbereich zum Durchbruch verholfen - theoretisch jedenfalls.

I I I . Kritik am Kruzifix-Urteil des Bundesverfassungsgerichts

7. Im allgemeinen Das Bundesverfassungsgericht hat ebenfalls damit ernst gemacht, daß das Kreuz das markante Symbol des christlichen Glaubens ist, während es im Streit um die Ausstattung von Schulen auf ein neutralisiertes Brauchtumssymbol reduziert wurde. Um das Kreuz in den Schulzimmern zu retten, wurde sein Inhalt von Kreuzesbefürwortern verleugnet. Eine wirklich selbstbewußte Kirche hätte dem Bundesverfassungsgericht dafür gedankt, daß es einer solchen Abwertung zentraler Glaubenssymbole durch staatlichen Organe entgegengetreten ist. Dieses Verhalten kann man sich nur als Angstreaktion erklären, die auf der Befürchtung beruht, das für die Kirchen so überaus vorteilhafte derzeitige kirchenpolitische System freundschaftlicher Partnerschaft mit dem Staat könnte zu Ende gehen und von einem System absoluter Trennung abgelöst werden. Das Kruzifix-Urteil wird als Alarmsignal für solche Veränderungen empfunden und als solches heftig bekämpft. Die Kirche hätte aber viel gelassener darauf reagieren können, hätte sie sich rechtzeitig mit der Frage auseinandergesetzt: Was ist die legitime Rolle einer freien Kirche in und gegenüber einer demokratisch verfaßten, pluralistischen und mündigen Gesellschaft? Welche Position ist einzunehmen angesichts einer Entwicklung, die auf längere Sicht von der herkömmlichen Volkskirche in die Minderheitensituation führt und für die das Nebeneinander mehrerer Konfessionen und Religionen kennzeichnend ist 3 6 6 ? Wenn der leidige Streit um das Kruzifix-Urteil zu einer Klärung dieser Frage Anlaß geben würde, dann könnte er sich doch noch als Gewinn erweisen. Denn diese führt nicht etwa zwangsläufig zu absoluter Trennung zwischen Staat und Kirche und einem Abbau aller günstigen Regelungen oder zu einer gleichgültigen Distanzierung. Die Antwort führt wohl aber dazu, das Verhältnis von Staat und Kirche konsequent auf der Grundlage der Grundrechte der Religionsfreiheit, der Gewissensfreiheit und vor allem des Selbstverwirklichungsrechts des Schülers als Kern des Grundrechts auf Bildung im verfassungsrechtlichen Sinne und einer umfassenden Selbstverwirklichung des Menschen im demokratischen Rechtsstaat zu bestimmen 3 6 7 . Im Rahmen einer solchen zukunftsweisenden Neuorientierung bleibt der Kirche alles erhalten, was sie zur Ausrichtung ihres Auftrags braucht; sie behält weiterhin breite öffentliche Wirkungsmöglichkeiten und ein Selbstbestimmungsrecht über eigene Angelegenheiten; es bleibt Raum zur Kooperation mit dem Staat zugunsten des Gemeinwesens und auch für eine staatliche Förderung der Kirchen 366 Vgl. H. Simon, Freie Kirche im demokratischen Staat, ZevKR 42 (1997), S. 155 f. 367 s. oben C. dieses Kapitels.

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5. Kap.: Selbstverwirklichungsrecht gesehen am Kruzifix-Urteil

als wesentlicher Faktor der abendländischen Kultur. Die Grenzen wären erst erreicht, und dann allerdings strikt einzuhalten, wo sich der Staat mit einer bestimmten Religion identifiziert oder diese einseiteig privilegiert, und insbesondere dort, wo der Staat in religiösen Fragen Zwang auf Andersgläubige ausübt 368 . Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts ist auf starke Kritik gestoßen und hat zum Teil sehr heftige Ablehnung erfahren 369. Daß die Resonanz und Empörung so groß waren, hat einen Grund darin, daß die der Kruzifix-Entscheidung vorausgegangene Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts durchaus auch eine andere, das Anbringen von Kruzifixen und Kreuzen in Schulräumen akzeptierende Entscheidung erwarten ließ 3 7 0 . In der Öffentlichkeit wird aber größtenteils die Frage diskutiert, ob „der Staat" durch Gesetz anordnen darf, daß in Schulräumen Kreuze hängen müssen 371 . Diese Frage würde aber zu einer Diskussion über den Umfang der staatlichen Tätigkeit führen. Der Staat übt nun diese religiöse Tätigkeit auf die Kinder und Jugendlichen in der „öffentlichen Schule" aus. Deshalb sollte man darauf eingehen, was das Selbstverwirklichungsrecht des Schülers als Kern des Grundrechts auf Bildung im Grundgesetz ist 3 7 2 . Die Bekenntnisneutralität des Staates stellt zu allererst eine sittliche Errungenschaft dar, ohne die ein gedeihliches Zusammenleben im Staat schlechthin unmöglich ist. Auf dieser Grundtugend des weltlichen Gemeinwesens beruht nicht zuletzt der innere, vom Staat und nur von ihm gewährleistete Friede. Der moderne säkulare Staat, dessen geistige Anfänge in die Bestialitäten der französischen Glaubenskriege zurückreichen, hat unter unvorstellbaren Opfern erlernen müssen, daß keine weltliche Gewalt die Richtigkeit von religiös-weltanschaulichen Überzeugungen zu verbürgen vermag und daß die in seiner Würde wurzelnde religiös-weltanschauliche Selbstverwirklichung des Menschen keiner staatlichen Pflegschaft 373 bedarf, 368 s. oben Β. I I / I I I . dieses Kapitels. 369 Vgl. P. Badura, Das Kreuz im Schulzimmer. Inhalt und rechtliche Tragweite des Beschlusses des Bundesverfassungsgerichts vom 16. Mai 1995, BayVBl. 1996, S. 33 ff. und 71 ff.; A. v. Campenhausen, Zur Kruzifix-Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, AöR 121 (1996), S. 448 - 464.; M. Heckel, Das Kreuz im öffentlichen Raum. Zum „Kruzifix-Beschluß" des Bundesverfassungsgerichts, DVBl. 1996, S. 453 - 482.; J. Isensee, Bildersturm durch Grundrechtsinterpretation, ZRP 1996, S. 10 ff. 370 B. Schlink, a. a. Ο. (Fn. 339), S. 301 f. 371 H. Wilms, a. a. O. (Fn. 60), S. 346. 372 s. oben C. III. dieses Kapitels. 373 Endlich wird zuweilen angeführt, daß es keinen Anspruch gegen den Staat gebe, vor der Begegnung mit dem Religiösen bewahrt zu bleiben. (/. Müller-Volbehr, JZ 1995, S. 999.) Dieser Satz ist ebenso richtig wie rechtlich nichtssagend. Eine soche Auffassung von der staatlichen Ansicht läßt sich allerdings weder mit der Entstehungsgeschichte des Grundrechts auf Religionsfreiheit noch mit dessen aktuellem Schutzzweck in Einklang bringen. Religionsfreiheit meint nach bisher überwiegender und zutreffender Auffassung persönliche Freiheit des Grundrechtsträgers in seiner religiösen oder weltanschaulichen Entscheidung und Entfaltung, nicht aber Freiheit des Staates zur Manipulation fremden religions- oder weltanschauungsbezogenen Verhaltens. Vgl. K.-H. Kästner, ZevKR 41 (1996), S. 261; J. Neumann, ZRP 1995, S.383.

D. Selbstverwirklichungsrecht hinsichtlich der Entscheidungen des BVerfG

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die staatliche Sicherung des für eine freie religiös-weltanschauliche Entfaltung notwendigen Freiraums ausgenommen. Er hat deshalb die Religion grundsätzlich in die Öffentlichkeit der Gesellschaft verwiesen und seine eigene Öffentlichkeit davon tunlichst freigehalten 374. Das Bundesverfassungsgericht stellt dazu zu Recht fest, das Kreuz sei „Symbol einer bestimmten Überzeugung und nicht etwa nur Ausdruck der vom Christentum mitgeprägten abendländischen Kultur." Das Bundesverfassungsgericht differenziert hier ausdrücklich zwischen einer grundsätzlich zulässigen Anerkennung des Christentums als eines „prägenden Kultur- und Bildungsfaktors", wie es sie in der früheren Rechtsprechung in der Simultanschule christlichen Charakters in badischem Sinne gesehen hat 3 7 5 , und dem Kreuz als spezifisch christlichen Glaubenssymbol schlechthin. Darum werde auch die »Ausstattung eines Raumes oder Gebäudes mit einem Kreuz... bis heute als gesteigertes Bekenntnis des Besitzers zum christlichen Glauben verstanden". Gerade wegen dieser Bedeutung, die das Christentum dem Kreuz beilegt - und die es auch als Macht- und Herrschaftssymbol hatte und hat - , ist es auch für Nichtchristen und Atheisten sinnbildlicher „Ausdruck bestimmter Glaubensüberzeugungen" und Symbol christlicher „missionarischer Ausbreitung" 376 . Das Kreuz im Klassenzimmer habe - im Kontext der schulischen Erziehung zur Erlernung auch emotionaler und affektiver Fähigkeiten - „appellativen Charakter" und weise „die von ihm symbolisierten Glaubensinhalte als vorbildhaft und befolgungswürdig aus", so die Argumentation des Bundesverfassungsgerichts. Dies erfolge zudem „gegenüber Personen, die aufgrund ihrer Jugend in ihren Anschauungen noch nicht gefestigt sind, Kritikvermögen und Ausbildung eigener Standpunkte erst erlernen sollen und daher einer mentalen Beeinflussung besonders leicht zugänglich sind." 3 7 7 Der Versuch, das Vorhandensein einer „Einwirkung" des Schülers zu bestreiten, widerlegt sich am Ende selbst. Ginge wirklich von dem christlichen Symbol eine Einflußnahme nicht aus, weshalb dann der leidenschaftliche Kampf 3 7 8 gegen seine Entfernung? Die behauptete „Erschütterung der Grundfesten des abendländischen Staates" könnte doch wohl schwerlich Folge der 374

s. oben B. III. 1. dieses Kapitels. 375 BVerfGE 41, 29 (52). 376 BVerfGE 91, 1 (19 f.). 377 BVerfGE 91,1 (20); BVerfGE 52,223 (249). 378 Der Streit um den Kruzifix-Beschluß legt politisch-kirchliche Denk- und Machtstrukturen offen. Den scharfen politischen Gegnern der Entscheidung geht es, meinen viele Beobachter, um einen mittelfristig befürchteten Machtverlust. Mehr noch als um wenig reflektierte religiöse Gefühle in einem stark und sinnfällig immer noch von der Gegenreformation beeinflußten Land geht es darum: In einem symbolträchtigen Fall wurde die enge staatlich-kirchliche Symbiose in schwieriger werdender Zeit in Frage gestellt. Daher die eigenartige, mit Drohungen unterschiedlicher Art verbundene Auslegung von „Toleranz". Richtig ist: Nicht derjenige stört den Frieden, der die Intoleranz offenbar werden läßt, sondern derjenige, der Intoleranz übt. Vgl. G. Czermak, NJW 1995, S. 3352.

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5. Kap.: Selbstverwirklichungsrecht gesehen am Kruzifix-Urteil

Wegnahme eines Gegenstandes aus den Schulzimmern sein, dem jegliche Auswirkung auf Geist und Psyche der Schüler von vornherein abzusprechen wäre 379 . Die Unterscheidung der Religionsfreiheit des Schülers in eine positive und eine negative Komponente trägt zur Beantwortung der Frage nicht klar bei, ob und in welchem Umfange sich der Staat bei der Erfüllung seiner Aufgaben religiöser Momente bedienen darf. Es hätte noch klarer herausgearbeitet werden können, daß gerade kein Fall einer Grundrechtskollision vorliegt. Weder Christen noch Angehörige anderer Religionen oder nichtreligiöser Weltanschauungen haben einen grundrechtlichen Anspruch auf Etablierung jeweils gerade ihres Symbols in der öffentlichen Schule, schon gar nicht einseitig zulasten Anderer 380 . Die genauere Herausarbeitung des entscheidenden Gesichtspunkts des Verbots jeglicher einseitiger Beeinflussung in religils-weltanschaulich-politischer Hinsicht, ansonsten eigentlich allseits begrüßt, wäre geeignet gewesen, der Kritik besser zu begegnen. Sogar das Tragen einer Anti-Atomkraft-Plakette durch einen Lehrer im Schuldienst hat das Bundesverwaltungsgericht untersagt, weil das eine demonstrative Indoktrination darstelle 381 . Auch die umfangreiche Rechtsprechung insbesondere des Bundesverfassungsgerichts zum Rundfunkrecht betont stets den weltanschaulichideologischen Pluralismus vor allem des öffentlichen Rundfunks auf der Basis der grundsätzlichen Gleichberechtigung 382. Das Bundesverfassungsgericht scheint mit seinem Kruzifix-Urteil ein Argumentationsschema aufgegeben zu haben, nach welchem bislang die Zulässigkeit von neutralitätswidrigem staatlichen Handeln abgehandelt wurde. Nicht die Konkurrenz von Grundrechten, sondern die Reichweite der staatlichen Neutralität im pluralistischen Kulturstaat 3* 3, durch die das Selbstverwirklichungsrecht des Schülers als Kern des Grundrechts auf Bildung im Grundgesetz objektiv garantiert wird, ist das eigentliche Problem 384 . Der andere umstrittene Gesichtspunkt, der dem Kruzifix-Urteil und seiner Rezeption exemplarische Bedeutung verleiht, geht weit über das immer spannungsvolle Verhältnis Verfassungsgerichtsbarkeit - Gesetzgeber hinaus 385 . Man erfaßt ihn, wenn man das Bundesverfassungsgericht nicht als Schiedsinstanz, sondern emphatisch als „Hüter der Grundrechte, besonders der Minderheit" begreift und demgegenüber den Gesetzgeber als Instrument des politischen Mehrheitswillens 386 . Vernachlässigt man einmal, daß die vom Bundesverfassungsgericht für 379 Vgl. Λ. Schmitt-Kammler, a. a. O. (Fn. 146), S. 350. 380 s. oben C. I. 2. dieses Kapitels. 381 BVerwGE 84, 292. 382 G. Czermak, NJW 1995, S. 3351. 383 S. oben B. III. 1. dieses Kapitels, 3. Kapitel D. I. und 4. Kapitel D. I. 384 Vgl. Ludwig Renck, Positive und negative Bekenntnisfreiheit und Glaubens- oder Rechtsstaat, ZRP 1996, S. 205. 385 Vgl. Bay VerfGH, Entscheidung vom 1. 8. 1997, EuGRZ 1997, S. 447 ff. (= NJW 1997, S. 3157 ff.)

D. Selbstverwirklichungsrecht hinsichtlich der Entscheidungen des BVerfG

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nichtig erklärte Norm (§13 Abs 1, S. 3) der Bayerischen Volksschulordnung vom 21. 6. 1983 nicht selbst vom Parlament erlassen, sondern im Wege der Rechtsverordnung ergangen war 3 8 7 , dann kann man einen großen Teil der Urteilskritik als Ausdruck des Erschreckens, ja des Entsetzens der Mehrheit darüber begreifen, daß sie einer Minderheit, hier durch ein einziges Elternpaar mit schulpflichtigen Kindern verkörpert, weichen soll. Wird hier nicht das Grundprinzip demokratischer Entscheidungsfindung pervertiert? Liegt dieser Fall der Durchsetzung „negativer" Religionsfreiheit weniger einzelner deshalb nicht wesentlich anders als der Streit um die optimale Lebensschutzregelung durch eine Abtreibungsgesetzgebung, die 1992 mit beträchtlicher parteienübergreifender Mehrheit beschlossen, dann jedoch von einer ebenfalls beträchtlichen parlamentarischen Minderheit vor dem Verfassungsgericht erfolgreich angefochten worden war? 388 Hier muß man unbedingt wissen: In Grundrechtsfragen gibt es keine Mehrheitsentscheidungen. Begründungspsychologisch ungeschickt389 war es, nicht sekundär näher auf die Toleranz- und Minderheitenproblematik einzugehen. Gerade insoweit ist die Entscheidung für viele Menschen mit ihrem starken Traditionsbewußtsein und bayerischen Selbstwertgefühl völlig unverständlich. Die Einsicht, daß das demokratische Mehrheitsprinzip für individuelle Grundrechte nicht gilt, sondern daß Grundrechte, abgesehen von echten Kollisionen, niemals majorisiert werden dürfen - ein Kernbestandteil unseres Grundrechtssystems 390 - scheint weithin unbekannt. Selbst Juristen haben damit gelegentlich Probleme, insbesondere im religiös-weltanschaulichen Bereich. Das ist es ja gerade, was so viele empört: daß auch in diesem Zusammenhang ein Einzelner sein Grundrecht gegen die gesamte Staatsmacht durchsetzen kann, auch dann, wenn diese (rechtswidrig) eine Mehrheit privile386

Vgl. Gerhard Czermak, Crux bavarica - Der BayVerfGH, das BVerfG, das Kreuz im Klassenzimmer und die religiös-weltanschauliche Neutralität, KJ 1997, S. 490ff.; ders., Das bayerische Kruzifix-Gesetz und die Entscheidung des BayVerfGH vom 1. 8. 1997, DÖV 1998, S. 107 ff. 387 Erhard Denninger, Der Einzelne und das allgemeine Gesetz, KJ 1995, S. All. 388 Das Schwangeren- und Familienhilfegesetz vom 27. Juli 1992 wurde in namentlicher Abstimmung mit 357 Ja-Stimmen gegen 284 Nein-Stimmen bei 16 Enthaltungen bechlossen. Vgl. BVerfGE 88, 203, 223. 389 Das Rezept des BVerfG, den Schulcharakter mit dem Toleranzgedanken zu moderieren, ist in der Tat nicht befriedigend. Denn genau betrachtet geht es hier nicht um ein Problem der Grundrechtskonkurrenz. Bei der Bestimmung des Schulcharakters widerstreiten nämlich nicht primär die divergierenden Entfaltungsinteressen der Eltern und der Schüler. Vielmehr stehen der aus der staatlichen Schulhoheit resultierenden Gestaltungsbefugnis die Eltern- und Schülerrechte entgegen. Zwischen dem Staat einerseits und allen Eltern und Schülern andererseits verläuft die Front, nicht aber zwischen ihnen gegenseitig. Eltern und Schüler haben Glaubensmanifestationen anderer im Rahmen staatlicher Gewaltverhältnisse nur zu tolerieren, wenn sie vom Staat rechtmäßig zugelassen sind. So ist die Toleranz weder eine Rechtsgrundlage noch ein Argument für die Verfassungsmäßigkeit staatlichen Vorgehens. Vgl. L Renck NVwZ 1991, S. 116f. 390 Hierzu sehr eingängig und prägnant F. E. Schnapp, Toleranzidee und Grundgesetz, JZ 1985, S. 857 (860 ff.).

23 Hsu

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5. Kap.: Selbstverwirklichungsrecht gesehen am Kruzifix-Urteil

giert 3 9 1 . Daß die Anwendung des Mehrheitsprinzips auf Individualgrundrechte letztlich die Abschaffung der Grundrechte bedeutet, muß aber auch 46 Jahre nach Inkrafttreten des Grundgesetzes vielen Bürgern, auch Lehrern und insbesondere etlichen Kirchenvertretern, durchaus noch erklärt werden 392 . Das Minderheitsvotum dreier Richter formuliert zwar geschickt, hat aber juristisch dem Mehrheitsvotum nichts entgegenzusetzen. Verfehlt geht es statt von den Grundrechtsproblemen von der Schulhoheit der Länder und von den landesspezifischen Besonderheiten aus 393 . Mit dem Neutralitätsprinzip sei das Schulkreuz zu vereinbaren, da es nicht missioniere und den Unterricht nicht unmittelbar beeinflusse, auch deswegen, weil das Kreuz im bayerischen Leben generell üblich sei 3 9 4 . Das Votum scheint davon auszugehen, daß eine Art Anspruch auf Etablierung des Kreuzes zur Ausübung der Glaubensfreiheit bestehe. Andererseits heißt es: „Die psychische Beeinträchtigung und mentale Belastung, die nichtchristliche Schüler durch die zwangsläufige Wahrnehmung des Kreuzes im Unterricht zu erdulden haben, hat nur ein verhältnismäßig geringes Gewicht." 395 Das heißt doch: Die Einschränkung des Grundrechts der Glaubensfreiheit gilt bei Nichtchristen als nicht vorhanden, wenn Christen der Meinung sind, Nichtchristen würden nur verhältnismäßig gering beeinträchtigt, zumindest, wenn sie ein normales Empfinden haben. Demgegenüber bleibt festzuhalten: Grundrechte gelten individuell, eine Grundrechtskollision liegt nicht vor. Welche Auswirkungen ein nicht akzeptiertes Symbol für jemand hat, kann zunächst nur dieser selbst entscheiden396. Kein Christ hat aber, trotz aller ohne weiteres zulässiger kulturchristlicher Unterrichtsbezüge, gegenüber dem gleichwohl weltanschaulich neutralen Staat mit seiner Schulhoheit einen verfassungsrechtlichen Anspruch auf Anbringung gerade seines Glaubenssymbols in der öffentlichen Schule. Somit wird keinem Christen ein Recht abgesprochen, das er bisher innegehabt hätte. Keiner wird angegriffen, keinem wird aber auch ein unerwünschtes Symbol von Staats wegen aufgedrängt 397 . Liegt aber keine Grundrechtskollision vor - so auch das Bundesverfassungsgericht - und wird dabei niemand einem einseitigen Einfluß ausgesetzt, so ist das rechtlich eine einfache, vollkommen gerechte und verfassungsrechtlich die einzig mögliche Lösung, bei der die Toleranzfrage mangels einer Rechtskollision gar keine Rolle spielt. Wovon Abschied genommen werden muß, ist eine lange, aber 391 Es ist doch nicht hinzunehmen, sagen sie, daß ein einzelner „Querulant" seinen absonderlichen Willen allen Anderen aufzwingt. Das sei der Gipfel der Intoleranz. Vgl. G. Czermak, NJW 1995, S. 3351. 392 s. oben B. III. 2./C. I. 2. dieses Kapitels, 3. Kapitel D. II. und 4. Kapitel D. II. 393 Abw. M., BVerfGE 91, 1 (25 ff.). 394 Abw. M., BVerfGE 91, 1 (29 f.). 395 Abw. M., BVerfGE 91,1 (33). 396 Ober würde gläubigen Christen die staatliche Zwangskonfrontation mit einem einzigen islamischen, jüdischen oder atheistischen Symbol gar nichts ausmachen? Vgl. G. Czermak, NJW 1995, S. 3352. 397 s. oben C. I. 2. dieses Kapitels

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heute verfassungswidrig gewordene Tradition, die aus glaubensstaatlichen Zeiten s t a m m t 3 9 8 . Die Pflichten der öffentlichen Schule sollen der Aufgabe dienen, das Recht des Schülers auf freie Persönlichkeitsentfaltung zu verwirklichen 3 9 9 . Heute das Kreuz noch mit Zwang und Joch („unter dem Kreuz") zu verbinden, ist abwegig. Hier zeigt sich das R i s i k o 4 0 0 , das der freiheitliche Verfassungsstaat gerade um der Freiheit aller seiner Bürger willen eingeht. Er lebt bekanntlich von Voraussetzungen, die er selbst nicht garantieren kann . Er gewährt die Freiheit jeder Religion und jedes Bekenntnisses, lebt aber zugleich in seinen Grundfesten von der Lebendigkeit christlicher Geltungen und Haltungen 4 0 1 . Das Kruzifix-Urteil darf nach alledem (nicht immer in der Begründung, wohl aber i m Ergebnis) als richtig gelten. Dennoch ist es nicht klar genug 402 gewesen. Angesichts der früheren Rechtsprechung des Gerichtes hat dieses Urteil als unvor398 Von daher ist davon auszugehen, daß die bloße Konfrontation mit einem Schulkreuz - ebenso wie die Wahrnehmung anderer religiöser oder weltanschaulicher Symbole in der Schule - im Regelfall zu beträchtlichen psychischen Belastungen oder konkreten Beeinträchtigungen persönlicher Glaubensüberzeugungen führt. Ein solches Maß an Einflußnahme aber ist auch Christen unter Zugrundelegung des Toleranzprinzips grundsätzlich zumutbar. Im allgemeinen hingegen sind etwaige aus einer betont individuellen Sichtweise erwachsende Abwehrinteressen in ihrer Tragweite objektiv und vom staatlichen bzw. gesellschaftlichen Kontext her zu beurteilen. Hier darf das Land den spezifischen Verhältnissen, Schultraditionen und religiösen Anschauungen nur unter Grundrechtsschutz und den Prinzipien des pluralistischen Kulturstaates in seiner Bevölkerung Rechnung tragen. Dabei ist eine angemessen verallgemeinernde Betrachtung im Rahmen des legislatorischen Gestaltungsspielraums angesichts der vielfältigen Aufsplitterung der religiös-weltanschaulichen Überzeugungen in der pluralistischen Gesellschaft nicht zu beanstanden. Vgl. Gerhard Czermak Der KruzifixBeschluß zwischen Neutralität und Glaubensförderung sowie als Spielball der Emotionen, ZRP 1996, S. 204. 399

H. Heckel/H. Avenarius, Schulrechtskunde, Aufl. 6, Neuwied 1986, S. 297. Vgl. Walter Schmitt Glaeser, Verfassungsstaat, Grundkonsens, Christentum-Gleichklang oder Dissonanz?, in: Wertekonsens in der Demokratie, Politische Studien Sonderheft, München 1995, S.7ff. 400

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s. oben B. III. dieses Kapitels. Es fällt auf, daß der Senat die Probleme zwar der Sache nach alle in seine Begründung einbezieht, aber viele dieser Begriffe, die mit bestimmten fachlichen Denkmustern verknüpft sind und auf die der Jurist wartet, tauchen nicht auf und werden offenbar dem Gesichtspunkt der Lesbarkeit für den Nichtjuristen geopfert: ein grundsätzliches Dilemma. Das führt, so scheint es, in diesem Grundsatzfall zu einem gewissen Verlust an juristischer Schärfe. Das mögen auch eher Geschmacksfragen sein. Was schwerer wiegt, ist die praktisch fehlende Auseinandersetzung mit absehbaren Gegenargumenten, Scheinargumenten und der in der bayerischen Realität wurzelnden Erwartungshaltung. Dabei hätten schon die Art und Weise der Verteidigung des Schulkreuzes durch die bayerischen und nordrhein-westfälischen Gerichte sowie die vom Institut für Staatskirchenrecht der Diözesen Deutschlands und vom Kirchenrechtlichen Institut der EKD sowie durch den Bayerischen Ministerpräsidenten vorgelegten Gutachten bzw. Stellungnahmen und die Kontroverse innerhalb des Ersten Senats Anlaß für eine vorbeugende Argumentation sein müssen. Zu sehr hat das Gericht offenbar auf die Überzeugungskraft der eigenen Position vertraut und dabei die hohe Bedeutung der Gefühle und des Sinns für Tradition und Selbstbewußtsein des katholischen Bayern sowie die machtpolitische Bedeutung der Angelegenheit verkannt. Vgl. G. Czermak, NJW 1995, S. 3350. 402

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5. Kap.: Selbstverwirklichungsrecht gesehen am Kruzifix-Urteil

bereiteter „Paukenschlag"403 empfunden werden können. Dennoch muß der Kruzifix-Streit die Verfassungsinstitution unbedingt unangetastet lassen. Er darf wenigstens im Rechtsbereich nicht zum Kreuzzug 404 werden.

2. In Hinsicht auf das Selbstverwirklichungsrecht des Schülers als Kern des Grundrechts auf Bildung im Grundgesetz Man sollte beachten, daß das Bundesverfassungsgericht selbst in seiner Urteilsbegründung die Eigenlogik der Erziehung und Bildung (von der Seite der Selbstverwirklichung des Schülers) in einer eminent starken Weise beansprucht. Anlaß für die Aufnahme der Überlegungen des Selbstverwirklichungsrechts des Schülers in die juristische Argumentation war die Klage des Antragstellers, daß seine Kinder durch das „Lernen unter dem Kreuz" in ihrer Entwicklung zu ihrem Nachteil, nämlich religiös, beeinflußt würden. Das Bundesverfassungsgericht folgt in seiner Argumentation diesen Klagen des Antragstellers ganz eindeutig: „Zusammen mit der allgemeinen Schulpflicht führen Kreuze in Unterrichtsräumen dazu, daß die Schüler während des Unterrichts von Staats wegen und ohne Ausweichmöglichkeit mit diesem Symbol konfrontiert sind und gezwungen werden, »unter dem Kreuz4 zu lernen." 405 Es ist aber nicht allein die „Unausweichlichkeit" und „Unvermeidbarkeit der Begegnung mit dem Kreuz in Schulräumen", die diese Situation für das Bundesverfassungsgericht unakzeptabel macht, sondern auch die - ζ. B. im Vergleich mit Kruzifixen in Gerichtssälen - vermutete qualitativ andere Wirkung: ,»Nach Dauer und Intensität ist die Wirkung von Kreuzen in Unterrichtsräumen noch größer als diejenige von Kreuzen in Gerichtssälen" 406, - und schon das war - wie in einem älteren Urteil des Bundesverfassungsgerichts ausgeführt - nicht hinnehmbar 407. Diese Begründungen für die Rechtswidrigkeit der staatlichen religiösen Tätigkeit der Ausstattung von Unterrichtsräumen mit Kreuzen (Kruzifixen) in der Schule sind aus der Perspektive der Selbstverwirklichung des Schülers richtig. 403 Vgl. A. Schmitt-Kammler,

a. a. O. (Fn. 146), S. 359.

404 Aus dem engeren Kontext des Kruzifix-Beschlusses ist nicht recht zu ersehen, was genau es war, das die Deiche der (wohl überwiegend geheuchelten) Empörung anstach. Dem Bruch mit der Rechtsprechung zu Schulgebet und Gemeinschaftsschulen, wiewohl beachtlich, fehlt für sich genommen die hinreichende Brisanz. Auch wegen dieses Bruchs nunmehr befürchtete Einflußverluste der Kirchen erklären nicht angemessen das teilweise hysterische Gezeter über die möglicherweise kreuzesfreie Zone Schule. Daß Politiker mit rechtspopulistischen Neigungen, denen die ganze Richtung des Ersten Senats oder das Verfassungsgericht als Kontrolleur nicht paßt, als Trittbrettfahrer des Kreuzzuges gegen Karlsruhe auf billige Zustimmung aus waren führt zurück zur Frage nach der gefährdeten Autorität des Verfassungsgerichts. Vgl. G. Frankenberg, Hüter der Verfassung einer Zivilgesellschaft, KJ 1996, S. 6. 405 BVerfGE 93, 1 (18). 406 Ebenda. 407 Vgl. BVerfGE 35, 366.

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Das Bundesverfassungsgericht diskutiert dann auch eigens das Wirkungsproblem, und zwar in einer Weise, die erkennen läßt, daß den Begründungen des Urteils die pädagogische Problematik, die Vieldimensionalität des Lernens und die Selbstverwirklichung des Schülers als Kern der Bildung in einer Schulkalsse nicht fremd, sondern vertraut ist. Das geschieht zunächst in der Abwehr von Argumenten, die untere Instanzen zur Rechtfertigung von Kruzifixen in Schulen vorgetragen hatten: „Dem Kreuz kann auch die Einwirkung auf die Schüler nicht abgesprochen werden, wie das die angegriffenen Entscheidungen tun. Zwar ist es richtig, daß mit der Anbringung des Kreuzes in Klassenzimmern kein Zwang zur Identifikation oder zu bestimmten Ehrbezeugungen und Verhaltensweisen einhergeht. Ebensowenig folgt daraus, daß der Sachunterricht in den profanen Fächern von dem Kreuz geprägt oder an den von ihm symbolisierten Glaubenswahrheiten und Verhaltensanforderungen ausgerichtet wird. Darin erschöpfen sich die Einwirkungsmöglichkeiten des Kreuzes aber nicht."408

Es ist also nicht die religiöse Durchdringung der Themen des Unterrichts, das alte Konfessionsschulproblem, oder der unmittelbare Zwang, mit dem das Bundesverfassungsgericht sein Urteil begründet, sondern die Beachtung der Selbstverwirklichung des Schülers als Kern der Bildung selbst: , JDie schulische Erziehung dient nicht nur der Erlernung der grundlegenden Kulturtechniken und der Entwicklung kognitiver Fähigkeiten. Sie will auch die emotionalen und affektiven Anlagen der Schüler zur Entfaltung bringen. Das Schulgeschehen ist darauf angelegt, ihre Persönlichkeitsentwicklung umfassend zu fördern und insbesondere auch das Sozialverhalten zu beeinflussen. In diesem Zusammenhang gewinnt das Kreuz im Klassenzimmer seine Bedeutung. Es hat appellativen Charakter und weist die von ihm symbolisierten Glaubensinhalte als vorbildhaft und befolgungswürdig aus. Das geschieht überdies gegenüber Personen, die aufgrund ihrer Jugend in ihren Anschauungen noch nicht gefestigt sind, Kritikvermögen und Ausbildung eigener Standpunkte erst erlernen sollen und daher einer mentalen Beeinflussung besonders leicht zugänglich sind."409

Eine unzulässige „mentale Beeinflussung" ist daher schon mit der Situation gegeben, entgegen den eigenen religiösen oder weltanschaulichen Überzeugungen „unter dem Kreuz" lernen zu müssen. Und diese Situation, so das Bundesverfassungsgericht, ist mit dem gesetzlichen „Schulzwang" nicht vereinbar. Denn der damit ausgeübte „unausweichliche Zwang" erlaubt nur „das unerläßliche Minimum an Zwangselementen"410. Die Schule darf nicht „missionarisch" sein und „keine Verbindlichkeit für christliche Glaubensinhalte beanspruchen". 411 Der Präsenz religiöser Symbole kommt in der Schule daher eine andere Funktion zu als in der Öffentlichkeit. Die Schule bringt den Lernenden in „eine vom 408 BVerfGE 93, 1 (20). 409 Ebenda. 410 BVerfGE 93, 1 (23). 411 Ebenda.

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Staat geschaffene Lage, in der Einzelne ohne Ausweichmöglichkeiten dem Einfluß eines bestimmten Glaubens, den Handlungen, in denen dieser sich manifestiert, und den Symbolen, in denen er sich darstellt, ausgesetzt ist." 4 1 2 In dieser Lage ist es von „freiheitssichernder Wirkung", dem Lernenden die Symbole christlichen Glaubens nicht zuzumuten, nicht nur, weil die Schule sonst eine „missionarische Schule" zu werden droht, sondern auch, weil hierdurch die ,»Neutralitätspflicht des Staates" verletzt wird 4 1 3 . Die Kirchen haben in ihren Schriftsätzen versucht, solche starken Unterstellungen abzuwehren. Die protestantische Kirche sieht das Symbol gerechtfertigt, weil es „anders als das Schulgebet ... den einzelnen Schüler nicht zu einer Entscheidung im Sinne der Teilnahme oder Nichtteilnahme heraus (fordert)", die katholische Kirche verweist auf „die Möglichkeit der rein passiven Nichtbeachtung" und betont von daher die Harmlosigkeit des Kreuzessymbols 414. Gegen diese Argumentation der Kirchen (und der Bayerischen Landesregierung) wandte das Bundesverfassungsgericht ein, man dürfe den Gehalt und die Bedeutsamkeit von Symbolen nicht verharmlosen, denn „als bloßen Ausdruck abendländischer Tradition oder als kultisches Zeichen ohne spezifischen Glaubensbezug"415 werde das Kruzifix nicht angemessen verstanden, sondern in seinem religiösen Gehalt geradezu verfehlt. In den Minderheitsvoten des Bundesverfassungsgerichts wird die „Wirkung des Kreuzes bei den einzelnen Schülern" ebenfalls gering bewertet; sie habe „nur ein verhältnismäßig geringes Gewicht", „das Minimum an Zwangselementen ... wird nicht überschritten" 416. In den genannten Argumentationen wird also die Zulässigkeit oder auch Nichtzulässigkeit des Kreuzes im Klassenzimmer nicht nur allein staatlich und kirchlich durch eine Auslegung des Grundgesetzes begründet. Die Begründung wird zugleich auch rechtswissenschaftlich und erfahrungswissenschaftlich gemäß der Selbstverwirklichung des Schülers im Rückgriff auf Annahmen aufgestellt, die nicht zuletzt auch auf erziehungswissenschaftlich aufzuklärende pädagogische Sachverhalte verweisen 417 . Die eigentliche pädagogisch und schulrechtlich wichtige Bedeutung des Kruzifix-Urteils des Bundesverfassungsgerichts besteht letztlich aber darin, daß in Staat oder Schule das reformpädagogisch-schülerzentrierte Denken der modernen Pädagogen durchzusetzen ist 4 1 8 . Nur unter dem schülerzentrierten Denken in der Schule könnte das Selbstverwirklichungsrecht des Schülers als 412 BVerfGE 93, 1 (16). 413 Ebenda. 414 Dietrich Benner/Heinz-Elmar Tenorth, Bildung zwischen Staat und Gesellschaft, Z. f. Päd. 42 (1996), S. 9. 415 BVerfGE 93, 1 (20). 416 BVerfGE 93,1 (23). 417 D. Benner/H-E. Tenorth, Z. f. Päd. 42 (1996), S. 9. 418 Vgl. Erich E. Geißler (Hrsg.), Autorität und Freiheit, Bad Heilbrunn/Obb 1977, S. 74 ff.

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Kern des Grundrechts auf Bildung im verfassungsrechtlichen Sinne in die Tat umgesetzt werden 419 . Danach wäre die symbolische Strukturierung der schulischen Zwangswelt zu beseitigen.

419 Vgl. Heinz Neber/Angelika C. WagnerI Wolfgang Einsiedler (Hrsg.), Selbstgesteuertes Lernen, Weinheim/Basel 1978, S. 132 ff.

Zusammenfassung 1. Der Glaube, daß der Mensch eine Funktion seiner rechtlichen Verhältnisse ist, führt notwendig zu der Forderung, daß man die Rechtsordnung humanisieren muß, um dem Menschen zu seinem von Natur guten Wesen zu verhelfen. Die Selbstverwirklichung der Menschen ist der Kern aller Rechtsordnung geworden. Erziehung zur Selbstverwirklichung der Menschen wird mit aufklärerischer Begeisterung neu zum rechtlichen Programm verkündet. Nun sollte die Reform kommen, das Recht weiter säkularisiert und vermenschlicht, - human werden. Wieder einmal erschallt der Ruf nach einem Recht, das das Leben widerspiegeln und dadurch selbst lebendig werden sollte. 2. Die Funktionsgesetze müssen in Bezug auf das Menschsein reflektiert werden, wenn der Mensch nicht zum reinen Handlungsobjekt werden soll. Der Mensch ist mehr als die Gesamtheit seines Funktionierens. Seine Freiheit und seine Würde bezieht er nicht aus dieser Ebene! Fragen wir dagegen, was die Würde des Menschen ausmacht und wie sie entsteht, sind wir auf die Möglichkeiten jedes einzelnen verwiesen, an „höheren Ganzheiten" teilzuhaben: Stichworte aus der philosophischen Anthropologie wie Selbstverwirklichung, Freiheit, Transzendenz tauchen auf. Diese Möglichkeiten sind aber praktisch nur erfüllt, wo das Individuum selber wieder sozial eingebettet ist durch die Achtung, die ihm entgegengebracht wird. Die praktische Erfahrung zeigt, daß der Mensch durch Einwirkung entsprechender Verhältnisse zur „Menschmaschine" gemacht werden kann. Sie zeigt aber auch, daß er selbst in der Person des Schwachbegabten durch Achtung der Umwelt zu Würde und Selbstverwirklichung fähig ist und sich dadurch über die Ebene der „Menschmaschine" erheben kann. 3. Achtung und Schutz der Menschenwürde gehören zu den tragenden Konstitutionsprinzipien des Grundgesetzes und der gesamten objektiven Wertordnung des Staates. Die freie menschliche Persönlichkeit und ihre Würde stellen den höchsten Rechtswert innerhalb der verfassungsmäßigen Ordnung dar. Der Staatsgewalt ist in allen ihren Erscheinungsformen die Verpflichtung auferlegt, die Würde des Menschen und die Selbstverwirklichung der Menschen zu achten und sie zu schützen. Die unverlierbare Würde des Menschen als Person besteht gerade darin, daß er als selbstverantwortliche Persönlichkeit anerkannt bleibt, Subjekt staatlichen Handelns ist. Der Staat ist primär für den Menschen da und nicht umgekehrt. Dem liegt ein ganz bestimmtes Menschenbild des Grundgesetzes zugrunde, nämlich die Vorstellung vom Menschen als einem selbstverantwortlichen Wesen, das darauf angelegt ist, in Freiheit sich selbst zu bestimmen und sich zu entfalten.

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4. In Art. 2 Abs. 1 GG kommt das Recht auf die freie Entfaltung der Persönlichkeit hinzu. Dies bedeutet zwangsläufig, daß jeder über das Ob und Wie der Selbstentfaltung autonom zu bestimmen hat. Hier gibt es zwei Wesensgehaltselemente bei der Selbstverwirklichung des Menschen in der pluralistischen Gesellschaft, nämlich Selbstentfaltung und Selbstbestimmung. Für jeden einzelnen sind bestimmte Möglichkeiten der Selbstverwirklichung von zentralerer Bedeutung als andere. Und trotz der Verschiedenheit aller Menschen gibt es doch auch gewisse Gemeinsamkeiten in der Einschätzung der freien Entfaltungsmöglichkeiten, die es erlauben, ganz allgemein bestimmte zentrale Bereiche herauszuarbeiten. Diese bedürfen nach Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 19 Abs. 2 GG eines erhöhten Schutzes, um die Wesensgehaltsgarantie aller Grundrechte durchzusetzen. Ob dieser geistige Gehalt von Art. 2 Abs. 1 GG Bestandteil unserer gelebten Grundordnung wird, hängt nicht nur von den Verfassungsjuristen ab. Der Wille zur Verfassung wird bei den verantwortlichen Politikern lebendig sein, wenn die Verfassung im Bewußtsein der Öffentlichkeit lebendig ist. Daher wenden sich die obigen Ausführungen nicht nur an die Verfassungsjuristen, sondern an die Öffentlichkeit schlechthin als den Hüter der Freiheitlichkeit der Grundordnung. 5. Mädchen und Jungen, behinderte und nichtbehinderte Menschen, Angehörige verschiedener Kulturen, Subkulturen und Gesellschaftsschichten: Ihnen allen steht Bildung zu. All den verschiedenen Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen in ihren je unterschiedlichen Lebenslagen sollen die Einrichtungen des Bildungswesens gerecht werden, insbesondere in der Schule. Aus dem bisherigen Gang der Untersuchung in dieser Arbeit wird deutlich, daß Art. 2 Abs. 1 GG im engsten Sinne zum Selbstverwirklichungsrecht des Schülers als Kern des Grundrechts auf Bildung in seinem subjektiven und objektiven Gehalt nur dann seine Funktionen ausüben kann, wenn der Begriff der freien Persönlichkeitsentfaltung nicht wertmaterial überlagert wird. Zugleich muß die Vielfalt der Vorstellungen dessen, was Selbstverwirklichung des Schülers in der Schule zum Inhalt hat, strukturell gesichert sein. Art. 2 Abs. 1 GG im engsten Sinne normiert so die der Schule von der Verfassung vorgeschriebene Zielrichtung und wird damit (ergänzend zu den organisatorischen Regelungen des Art. 7 GG) zur inhaltlichen Grundsatznorm des Schulwesens. 6. Grundrechte sind die in der Verfassungsurkunde enthaltenen Gewährleistungen zugunsten des einzelnen Staatsbürgers, aus denen sich ergibt, daß der Bürger sich gegenüber dem Staat auf diese Rechte berufen, ihre Beachtung verlangen und gegebenenfalls gerichtlich durchsetzen kann. Begrifflich können die Grundrechte also umschrieben werden mit den Elementen subjektiv-öffentlicher Abwehrrechte, mit den Elementen objektiver Wertordnung, sowie als Teilhaberechte, institutionelle Garantien, Organisations- und Verfahrensgarantien, überhaupt als alle objektiven Verfassungsnormen, welche das Verhältnis der Bürger zum Staat regeln und an die der Staat gebunden ist. Hier ist nochmals zu betonen, daß die verschiedenen einzelnen Bedeutungsinhalte der Grundrechte weder isoliert gesehen werden noch sich verselbständigen dürfen, sondern Bestandteile eines konkreten einheitlichen

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Grundrechts sind. Die einzelnen Elemente ergänzen und stützen sich gegenseitig und verstärken so die Geltungskraft der Grundrechtsverbürgungen insgesamt. 7. Die Grundrechte haben primär den Charakter staatsbezogener Abwehrrechte des einzelnen zur Sicherung eines Bereichs individueller und gesellschaftlicher Freiheit gegen Bedrohung durch die Staatsmacht. Gegenüber dieser gewährleisteten Freiheitssphäre ist der Staat auf Gewährleistungs-, Sicherungs- und Regulierungsaufgaben begrenzt. Grundrechtstheoretischer Ausgangspunkt ist, daß die Freiheit des einzelnen - rechtlich gesehen - prinzipiell unbegrenzt, die Befugnis des Staates zu Eingriffen hingegen prinzipiell begrenzt ist. Das hat zur Folge, daß die Grundrechte weitgehend Abwehr- und Ausgrenzungscharakter haben, und der Mensch zum sich selbstverwirklichenden Individuum wird. Hier bestehen grundrechtlich geschützte Rechtsgüter des Selbstverwirklichungsrechts des Schülers als Abwehrrecht, um die Selbstverwirklichung des Schülers gegen den Eingriff der staatlichen Schulhoheit durchzusetzen: das Schülerrecht auf Selbstverwirklichung sowie das Elternrecht auf Erziehung in der Schule und die pädagogische Freiheit des Lehrers. 8. Die Grundrechte sind nicht nur Abwehrrechte gegen staatliche Eingriffe, sondern müssen gleichzeitig Teilhaberechte an staatlichen Leistungen sein, damit ein Grundrecht Anspruch auf Realität erhalten kann und nicht leerzulaufen droht. Je stärker der moderne Staat sich der sozialen Sicherung und kulturellen Förderung der Bürger zuwendet und sich vom Interventions- zum Leistungsstaat entwickelt, desto mehr tritt im Verhältnis Bürger-Staat neben das ursprüngliche Postulat der Freiheitssicherung vor dem Staat die komplementäre Forderung nach grundrechtlich verbürgter Teilhabe an den staatlichen Leistungen. Hier bestehen die grundrechtlich geschützten Rechtsgüter des Selbstverwirklichungsrechts des Schülers als Teilhaberecht: das Recht auf Zugang zu den vorhandenen öffentlichen Bildungseinrichtungen und das Recht auf Schaffung der erforderlichen Bildungseinrichtungen. 9. Die Grundrechte statuieren zugleich eine objektive Wertordnung, die als verfassungsrechtliche Grundentscheidung für alle Bereiche des Rechts gilt und Richtlinien und Impulse für Gesetzgebung, Verwaltung und Rechtsprechung gibt. Die in den Grundrechten verbürgten Leitprinzipien sind aller staatlichen Gewalt als verpflichtender Auftrag zur größtmöglichen Verwirklichung aufgegeben. Sie sind Maßstab und Auslegungsregel, aber auch Kompetenzbestimmung und Machtbegrenzung für die rechtsetzende, die vollziehende und die rechtsprechende Gewalt. Grundrechte sind folglich nicht nur Abwehrrechte, sondern auch den Staat verpflichtende objektive pluralistische Wertordnung, um die Selbstentfaltung und die Selbstbestimmung des Menschen zu verwirklichen. Hier bestehen die grundrechtlich geschützten Rechtsgüter des Selbstverwirklichungsrechts des Schülers als objektive Wertordnung, die in Unterrichtssystem, Bildungsplänen, Prüfungsrichtlinien, Schulbuch und Lehrerausbildung im pluralistischen Kulturstaat zur Geltung kommt.

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10. Die in den Grundrechten als wertentscheidende Grundsatznormen zum Ausdruck kommende objektiv-rechtliche Dimension findet in den institutionellen Garantien eine weitere Ausdehnung und Verstärkung. Die institutionelle Sicht der Grundrechte bezweckt gerade nicht, die Grundrechte als subjektiv-öffentliche Rechte zu beeinträchtigen. Es geht vielmehr darum, durch die staatlichen oder gesellschaftlichen Institutionen die freiheitliche und demokratische Bedeutung der Grundrechte i.S. einer möglichst weitgehenden Umsetzung der Selbstverwirklichung des Menschen und i.S. der faktischen Möglichkeit ihrer Inanspruchnahme zu fördern und zu sichern. Hier bestehen grundrechtlich geschützte Rechtsgüter des Selbstverwirklichungsrechts des Schülers als institutionelle Garantie, manifestiert in der staatlichen Schulaufsicht, im Religionsunterricht und in der Privatschulfreiheit. 11. Damit Grundrechte ihre Funktion in der gewandelten sozialen Wirklichkeit gleichwohl erfüllen können, bedürfen die materiell-rechtlichen Grundrechtspositionen einer organisations- und verfahrensrechtlichen Abstützung und in Teilbereichen auch einer offenen, pluralistischen und damit freiheitsfördernden Organisation. Ausgangspunkt dieser Lehre ist das demokratische Verständnis der Grundrechte von ihrer öffentlichen und politischen Funktion her. Ausschlaggebend sind hier vor allem die Gewährleistung des demokratischen Prozesses der öffentlichen Willensbildung als Verfassungsprinzip sowie politische Teilnahmerechte. Die Schule ist eingebunden in der Organisations- und Verfahrensgarantie der Demokratie. Der Erziehung im Geist der Demokratie entspricht es, wenn die Schulverfassung partizipatorisch ausgestaltet ist und den Schülern und Eltern Mitwirkungsrechte einräumt. Hier bestehen grundrechtlich geschützte Rechtsgüter des Selbstverwirklichungsrechts des Schülers in der Organisations- und Verfahrensgarantie Schulselbstverwaltung, Schülervertretung und Elternvertretung. 12. In einer pluralistischen Gesellschaft hat jeder das Recht, in weltanschaulichen, religiösen, ethischen, kulturellen, sozialen und ökonomischen Fragen eine unterschiedliche Meinung zu haben und sich auch danach zu verhalten. Eine pluralistische Gesellschaft ist damit zu einem guten Teil durch Dissens geprägt. Die Möglichkeit zum Dissens ist das pluralistische Programm der Freiheit. Eine freiheitliche Rechts- und Verfassungsordnung, die nicht durch eine an der Idee der Freiheit orientierte Selbstverwirklichung des Menschen erfüllt wird, bleibt geltungsschwach. Anders gewendet: Eine Rechts- und Verfassungsordnung ist nur dann das rechtliche Programm einer freiheitlichen Ordnung, wenn der Geist der Freiheit das pluralistische gesellschaftliche Leben beherrscht. Diese Problematik der normativen Kraft einer freiheitlichen Verfassungs- und Rechtsordnung lenkt den Blick auf die Voraussetzungen eines pluralistischen Kulturstaates. 13. Der pluralistische Kulturstaat ist nicht der Staat einer Einheitspartei und auch nicht der Staat einer bestimmten Weltanschauung. Weder Weltanschauungen noch Stellungnahmen zu ethischen Fragen oder zu politischen Theorien werden vom Staat dogmatisiert oder als einzig richtig bezeichnet. Ein Staat ist nur dann kulturell

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pluralistisch, wenn Pluralismus sich in der Gesellschaft durchsetzen und im Kulturstaat garantieren läßt. Davon abgesehen ist der Staat nach historischer Erfahrung und staatsphilosophischer Erkenntnis auch gar nicht immer in der Lage, mit seinem Machtapparat die Pluralismusprinzipien als wichtige Leitideen des gesellschaftlichen Lebens zu schützen. Eine offene und multikulturelle Gesellschaft bedarf eines Mindestmaßes an Homogenität in den Pluralismusprinzipien - das Neutralitätsprinzip und das Toleranzprinzip sind unabdingbar, um ein freiheitliches Miteinander unterschiedlicher Kulturen zu ermöglichenDaß der pluralistische Kulturstaat sich für seine Neutralität und Toleranz schützend und stützend einsetzen und nach der an der Idee der Freiheit orientierten Selbstverwirklichung des Menschen streben soll, ist in der Garantie des pluralistischen Kulturstaates durchaus anerkannt. 14. Der pluralistische Kulturstaat bedarf der Durchsetzung und Weitergabe insbesondere durch die staatlichen Institutionen. Ist man sich einig, daß es eine staatliche Aufgabe ist, für die Pluralismusprinzipien im Kulturstaat einzutreten, so stellt sich die weitere Frage, mit welchen konkreten Maßnahmen der pluralistische Kulturstaat auf den Fortbestand und die Fortbildung seiner freiheitlichen Ordnung hinwirken kann; ob Neutralitäts- und Toleranzprinzip Maßstab für die rechtliche Ausgestaltung der freiheitlichen Ordnung sein können und sollten und ob der Staat zu einer bestimmten religiösen und weltanschaulichen Überzeugung seiner freiheitlichen Ordnung Position beziehen darf. Hier soll der Erziehungsauftrag der staatlichen Schulen im Zusammenwirken mit dem pluralistischen gesellschaftlichen Bereich erfüllt werden. Seine richtunggebende Funktion im bildungspolitischen Bereich kann der Staat durch Neutralitäts- und Toleranzprinzip durchsetzen. Die öffentliche Erziehung ist selbstverständlich kein Monopol des Staates, sondern geschieht gleichsam in gemeinsamer Verantwortung von Staat und Gesellschaft. 15. Eine schulische Erziehung zur Selbstverwirklichung des Menschen und zur verfassungsmäßigen Ordnung des freiheitlichen Verfassungsstaates ist nicht eine Indoktrination eines bestimmten Ethos, sondern muß für unterschiedliche Positionen und für Wandlungen im pluralistischen Kulturstaat offen sein. So gesehen entfaltet sich im Schulunterricht ein ganz besonderer Erziehungsauftrag des Staates. Auch der religiös-weltanschaulich neutrale Staat hat zur Aufgabe, den verfassungsmäßigen Basiskonsens hinsichtlich der unverzichtbaren Werte des pluralistischen gesellschaftlichen Lebens zu pflegen. Eine Erziehung zu den Wesengehalten des freiheitlichen und pluralistischen Kultur- und Verfassungsstaates ist zwar eine weltanschaulich prägende Erziehung, da sie sich an einem besonderen Menschenbild, nämlich dem des sich selbstverwirklichenden Menschen, orientiert. Dies verstößt aber nicht gegen das Gebot der Weltanschauungsneutralität des Staates. Dieses verpflichtet den Staat nicht zur Weltanschauungsfreiheit bei der Gestaltung des öffentlichen Unterrichts, sondern zum Weltanschauungspluralismus und zur Toleranz bei der Darstellung und Vermittlung weltanschaulicher Fragen. 16. Die Regelung von Erziehungszielen darf nicht einseitig von jeweiligen politischen Mehrheitsverhältnissen her erfolgen. Daher gilt es, ein Schulsystem zu

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schaffen, das hiervon unabhängig die Persönlichkeitsentfaltung des Kindes gewährleistet, indem es ihm gleichzeitig die verschiedenen Wertvorstellungen in der Gesellschaft nahebringt. Demnach bedeutet Grundrechtsgewährleistung für Eltern und Schüler zwar nicht die Einklagbarkeit einer bestimmten Form schulischer Erziehung. Jedoch hat der Staat die Pflicht, den Eltern und Kindern eine inhaltliche Wahlmöglichkeit zu geben, indem er das Schulwesen pluralistisch organisiert. Dem Staat obliegt dabei die Verpflichtung, durch organisatorische und finanzielle Maßnahmen das Selbstverwirklichungsrecht des Schülers im Sinne der Umsetzung verschiedener pädagogischer Erziehungskonzeptionen zu gewährleisten. Für die Organisation des Schulwesens bestehen nun Richtlinien, die den Staat durch die grundrechtliche Anerkennung der Rechte der Kinder und auch der Eltern in bestimmter Weise verpflichten: der Staat muß die Voraussetzungen dafür schaffen, daß die Erziehungsprozesse verschiedenen Anschauungen darüber Raum geben, unter welchen Bedingungen Erziehung die Selbsverwirklichung des Kindes garantiert. 17. Das Pluralismusgebot regt kulturschöpferische Kräfte und ihre freie Entfaltung im Bereich normativ geprägter Bildungs- und Erziehungsvorgänge an. Somit gilt es vor allem auch, den vielfältigen säkularisierten, vom staatlichen Schulwesen abweichenden Vorstellungen Raum zur Verwirklichung zu schaffen. Das Lernen ist in der Konfrontation unterschiedlicher Kulturen längst Alltag. Individuelle Bildung ist nur im Kontext einer Mannigfaltigkeit möglich, die sich im alltäglichen Lernen selbst zeigen und auswirken können muß. Hierfür ist die plurale Struktur der pädagogischen Welt selbst unentbehrlich und eine Vielfalt methodischer Zugänge ebenso unverzichtbar wie eine Vielfalt thematischer Aspekte, unter denen die Inhalte des Schullernens eröffnet und strukturiert werden. Die Selbsverwirklichung des Schülers in der modernen Gesellschaft ist, wie historische Untersuchungen zeigen, ohne eine Vielgestaltigkeit an Referenzen des Lernens gar nicht möglich. 18. Die Regelung des Erziehungsrechts der Eltern im Art. 6 Abs. 2 GG und der Schulaufsicht des Staates und des Schulwesens im Art. 7 GG existieren, um das Selbstverwirklichungsrecht des Schülers als Kern des Grundrechts auf Bildung im verfassungsrechtlichen Sinne durchzusetzen. Das Elternrecht auf Erziehung ist kein Herrschaftsrecht über das Kind. Konfliktlagen in den Eltern-Kind-Beziehungen sind vorrangig zugunsten des Kindes und seines Wohles zu entscheiden. Elternrecht und staatliche Schulaufsicht müssen zum Ausgleich gebracht werden. Die gemeinsame Erziehungsaufgabe von Eltern und Schule, welche die Bildung und den Schutz der freien Persönlichkeitsentfaltung des Kindes zum Ziele hat, läßt sich nicht in einzelne Komponenten zerlegen. Sie ist in einem sinnvoll aufeinander bezogenen Zusammenwirken zu erfüllen. 19. Aufgabe eines freiheitlichen Schulwesens muß es sein, verschiedenen Vorstellungen Raum zur Verwirklichung zu geben. Gerade dies ist die funktionale Essenz staatlicher Schulaufsicht in einer freien Gesellschaft. Staatliche Schulaufsicht kann heute nicht mehr Selbstzweck staatlicher Erziehungsherrlichkeit sein,

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sondern allein Gewährleistungsgarantie eines Prozesses, der aufgrund der Schutzbefohlenheit der Kinder öffentlicher Aufsichtskontrolle bedarf. Damit wandelt sich der Schulaufsichtsbegriff notwendigerweise von der umfassenden Fach-, Dienstund Rechtsaufsicht zur Aufsicht im klassischen Sinne, zur Rechtsaufsicht. Schulaufsicht unter der Geltung des Grundgesetzes bedeutet danach eine Gewährleistungsgarantie i.S. der Rechtsaufsicht über die Beachtung der Grundrechtsgewährleistungen im schulischen Erziehungsprozeß für Schüler und Eltern. Es wird gewährleistet, daß die Rechte der am schulischen Erziehungsprozeß Beteiligten, insbesondere das Recht des Kindes und des Jugendlichen auf Findung seiner eigenen Identität, gewahrt werden. 20. Der Pluralismus im Kulturstaat wendet sich also nicht grundsätzlich dagegen, daß religiöse Bezüge in der schulischen Erziehung Berücksichtigung finden. Im Gegenzug müssen dann aber sowohl das Neutralitätsprinzip als auch das Toleranzprinzip als Pluralismusprinzipien unbedingt beachtet werden: Der freihheitliche Staat kann gerade nicht mit den Mitteln des Rechts versuchen, die inneren Regulierungskräfte der Freiheit durch die Privilegierung umstrittener religiöser Anschauungen zu garantieren, ohne seine Freiheitlichkeit und Allgemeinheit aufzugeben. Er kann seine gundlegenden Prinzipien deklarieren. Allein, mit einer religiösen oder weltanschaulichen Deutung darf er sie nicht identifizieren. Er kann die Befürwortung von Religionen und Weltanschauungen durch seine Büiger achten, aber er darf keine Religion oder Weltanschauung in der Organisation staatlichen Rechts oder staatlicher Institutionen eine wie auch immer gesonderte Stellung geben. 21. Die aktuelle Tendenz, Bildungsfragen eher auch wieder unter religiöse Gesichtspunkten zu stellen, bestätigt sich auch an der Diskussion über das KruzifixUrteil des Bundesverfassungsgerichts. Die bisherige öffentliche Wahrnehmung dieses Urteils legt sogar die Interpretation nahe, als habe das höchste Gericht der Religion jegliche öffentliche Bedeutung für die Bildung abgesprochen. Die gegenwärtig von vielen favorisierte Lösung, die Schule aus der Obhut des Staates in die Gewalt gesellschaftlicher Gruppen oder in die Entscheidungsbefugnisse der Eltern zu überführen, enthält weitaus mehr problematische Implikationen und Konsequenzen, als zur Zeit öffentlich diskutiert werden. Man sollte nicht übersehen, daß das Bundesverfassungsgericht in der Argumentation seiner Entscheidung stark auf die der Erziehung und Bildung immante große Bedeutung der Selbstverwirklichung des Schülers zurückgreift. Das umstrittene Kruzifix-Urteil wirkt dann in der modernen pluralistischen Gesellschaft als Beitrag zur kulturellen Pluralisierung des Schulwesens. 22. In Kruzifix-Urteilen haben das Bundesverfassungsgericht in Deutschland und das Bundesgericht in der Schweiz entschieden, daß in gewissen Fällen Kruzifixe in der Schule der staatlichen Neutralität entgegenstehen. Die Empörung in Deutschland und in der Schweiz gegen diese Urteile zeigen, daß ein solches Neutralitätsbewußtsein in der Bevölkerung noch kaum allgemein anerkannt ist. Wer

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das Grundrecht auf Religionsfreiheit aber ernst nimmt, muß anerkennen, daß in der pluralistischen Gesellschaft nur der gegenüber den Religionen neutrale Staat das Grundrecht der Glaubens- und Gewissensfreiheit für alle religiösen Bekenntnisse in gleicher Weise schützen und achten kann. Nur im religiös-weltanschaulich neutralen Staat können verschiedene Religionsgemeinschaften friedlich miteinander leben, weil sie letztlich alle gleich behandelt werden und keine Religionsgemeinschaft davon ausgehen muß, die staatliche Macht könne von einer anderen Gemeinschaft für religiöse Zwecke mißbraucht werden. 23. Der Staat darf den religiösen Frieden in einer Gesellschaft nicht von sich aus gefährden. Gerade deshalb muß er selbst religiös-weltanschauliche Neutralität wahren. Völlig zu Recht verweist das Bundesverfassungsgericht in diesem Zusammengang auch auf Art. 3 Abs. 3, Art. 33 Abs. 1 sowie Art. 140 GG i.V.m. Art. 136 Abs. 1 und Abs. 4 und Art. 137 Abs. 1 WRV. Sie verwehren die Einführung staatskirchlicher Rechtsformen und untersagen die Privilegierung bestimmter Bekenntnisse ebenso wie die Ausgrenzung Andersgläubiger. Es ist wichtig, daß das Bundesverfassungsgericht ebenso die tatsächliche Ausgrenzung Andersdenkender durch staatliche Maßnahmen erwähnt, wie es feststellt, daß es bei der Verwirklichung des Gleichheitssatzes nicht auf die zahlenmäßige Stärke oder die gesellschaftliche Relevanz einer Gruppe ankommt. Selbst dort, wo der Staat mit religiösen oder weltanschaulichen Gruppen im konkreten Fall und aus sachlichem Anlaß zusammenarbeitet oder sie fördert, darf dies nicht zu einer Identifikation mit ihnen führen. 24. Die richtige Deutung des Kreuzessymbols ist Voraussetzung für die Erörterung der Frage des Grundrechtseingriffs und seiner etwaigen Rechtfertigung. Im Ergebnis bleibt es dabei: das Kreuz im Bereich staatlicher Kompetenz ist vorrangig, jedenfalls wesentlich auch ein Glaubenssymbol. Das Bundesverfassungsgericht war gehalten, einen ganz speziellen Sachverhalt nach primär juristischen Kriterien zu beurteilen, nicht nach primär theologischen oder kulturphilosophischen. Es hatte ausschließlich die Rechtsfrage zu beantworten. Wie ist es nach subjektivem und objektivem Bundesverfassungsrecht zu beurteilen, wenn die öffentliche Hand - in der Diskussion verkürzend: „der Staat" - als Rechtssubjekt veranlaßt, daß in Klassenzimmern öffentlicher Schulen Kreuzessymbole angebracht werden? Dabei spielt es selbstverständlich keinerlei Rolle, ob die Kreuze aufgrund einer besonderen Rechtsnorm oder ohne eine solche angebracht werden. Entscheidend ist die hoheitliche Veranlassung. Unter der plausiblen Voraussetzung, daß auch in bayerischen Schulen nicht nur Christen unterrichtet werden, liegt darin wiederum ein Verstoß gegen das Neutralitätsprinzip, das die Privilegierung einer bestimmten Religion gegenüber anderen Religionen und Weltanschauungen verbietet. 25. Das Verbot einseitiger staatlicher Beeinflussung in religiös-weltanschaulichen Fragen ist ein notwendiges Erfordernis der freien Überzeugungsbildung. Deren grundrechtliche Garantie insbesondere in Art. 4 GG ist in der bundesrepu-

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blikanischen verfassungsrechtlichen Literatur heute weithin anerkannt. Einer rechtlichen Regelung ist die Religionsfreiheit nur insofern zugänglich, als es dem zu religiös-weltanschaulicher Neutralität verpflichteten Staat schlechthin verwehrt ist, auf die Bildung von Glaubensüberzeugungen Einfluß zu nehmen. In diesem Sinne verbietet das Neutralitätsprinzip staatliche Einflußnahme auf die Bildung von Glaubensüberzeugungen und jeden staatlichen Glaubenszwang, auch mittelbarer oder tatsächlicher Art. Die Freiheit der Glaubenswahl gehört mit allen Vorstadien der Meinungsbildung, der Informationsbemühungen und der suchenden Zuwendung zu einer Glaubensgemeinschaft ebenso dazu wie das Recht, den Glauben zu wechseln oder aufzugeben. 26. Das spezifische Komplement zum staatlichen Neutralitätsprinzip ist dabei das Toleranzsprinzip. Nicht nur der demokratische Staat selbst ist tolerant. Die Toleranz der Bürger gebietet zunächst, die durch das staatliche Recht geschützte Freiheit anderer auch dann zu achten, wenn man den Gebrauch mißbilligt, den andere - in den Grenzen des Rechts - von dieser Freiheit machen. Eine Toleranzdiskussion müßte begreiflich machen, was bürgerliche und staatliche Toleranz gebietet: daß nämlich jede religiös-weltanschauliche Richtung in der staatlichen allgemeinen Schule, sei sie nun im Sinn des Bundesverfassungsgerichtes kulturchristlich akzentuiert oder nicht, darauf verzichtet, ein weltanschauliches Symbol den Andersdenkenden aufzudrängen. Wenn es darum geht, den jeweils Anderen in seinem Anderssein als gleichberechtigten Bürger zu akzeptieren, kann der Staat keine religiös aufgeladenen Symbole in der staatlichen Schule verwenden. Sie sind daher im religiös-weltanschaulich neutralen Staat des Grundgesetzes nicht nur unzulässig, sondern auch pädagogisch schlicht ungeeignet. 27. In Grundrechtsfragen gibt es keine Mehrheitsentscheidungen. Grundrechte haben von ihrer Grundidee her die Aufgabe, Minderheiten, insbesondere religiöse Minderheiten, gegenüber der Mehrheit zu schützen. Die Minderheit hat gegenüber der politischen Mehrheit überhaupt keine Chance, ihre Überzeugung politisch in die Waagschale zu werfen. Sie kann sich letztlich nur über den Gerichtsentscheid vor unzulässigen Eingriffen der Mehrheit in ihre Rechte schützen. Weder Religionsgemeinschaften noch Bürger haben einen Anspruch aus Art. 4 Abs. 1 GG, daß gerade jeweils ihre Glaubensüberzeugung staatliche Unterstützung in der öffentlichen Schule erfährt. Das alles bezieht sich auf den Bereich der vom Staat geschaffenen Lage. Der Staat ist generell verpflichtet, dem Bürger Raum zur Betätigung der freien Entfaltung der Persönlichkeit auf religiös-weltanschaulichem Gebiet zu sichern, d. h. ihn ggf. auch vor Angriffen anderer zu schützen. 28. Grundrechte gelten in Bund und Land gleich und unmittelbar. Sie schränken damit die Gestaltungsmöglichkeit des Landesgesetzgebers ein, auch in der Landesdomäne des Schulrechts. Die Interpretation des Grundrechts steht freilich im Spannungsverhältnis zwischen Freiheitsgewährleistung und föderalistischer Kompetenzzuweisung. Dieses kommt hier zur Ausprägung als Spannungsverhältnis zwischen der Religionsfreiheit, der Gewissensfreiheit sowie dem Selbstverwirklichungsrecht

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derer, die das Kreuz ablehnen, und der Schulregelungskompetenz des Staates, der das Kreuz in der Schule als Symbol einer erlaubtermaßen den christlichen Erziehungszielen verpflichteten christlichen Gemeinschaftsschule versteht. Obwohl das Schulwesen Ländersache ist, müssen die Gesetzgeber der Länder durch die Gestaltung der Landesverfassungen oder Landesschulgesetze dem Selbstverwirklichungsrecht des Schülers als Kern des Grundrechts auf Bildung im verfassungsrechtlichen Sinne dienen. 29. Je vielfältiger und komplizierter unser Dasein wird, um so mehr bemächtigt sich der Staat und das von ihm gesetzte Recht jeder Lebensbeziehung. Ein wichtiges Beispiel dafür ist die Schule. Zur Bedeutung der Grundrechte für das Schulverhältnis und für die Gestaltung des Schulwesens wird zunächst auf das Selbstverwirklichungsrecht des Schülers verwiesen. Von besonderem Gewicht im Grundgesetz ist das Recht des Schülers auf freie Entfaltung seiner Persönlichkeit (Art. 2 Abs. 1 GG), d. h. auf Entwicklung seiner geistigen, seelischen und körperlichen Anlagen. Kraft dieses Rechts kann er von der Schule eine seinen Fähigkeiten und Neigungen entsprechende, ihm ein Höchstmaß an Können und Wissen vermittelnde Ausbildung und Erziehung beanspruchen. Der Schule ist es mit Rücksicht darauf verwehrt, den jungen Menschen nach wie auch immer gearteten Doktrinen auszurichten. Wo der Staat im schulischen Bereich Regelungen zu treffen hat, die in die Grundrechtssphäre hineinreichen, ist ihm ein Geflecht von Freiheit, Ordnung und Förderung vorgegeben, welches angesichts des im Zentrum stehenden Selbstverwirklichungsrechts des Schülers besondere Behutsamkeit in Gesetzgebung und Vollziehung verlangt. 30. Nur eine schulische Erziehung, die ohne zu missionieren Verständnis und Respekt vor dem Wesensgehalt des Verfassungsstaates vermittelt und die geistigen Grundlagen der pluralistischen Gesellschaft auch in ihrer kulturellen Dimension präsent werden läßt, schafft die Basis für ein fruchtbares Miteinander unterschiedlicher Kulturen im pluralistischen Kulturstaat. Nur unter dem schülerzentrierten Denken in der Schule kann das Selbstverwirklichungsrecht des Schülers als Kern des Grundrechts auf Bildung im verfassungsrechtlichen Sinne in die Tat umgesetzt werden. Verfassungen können nicht versteinern, sondern unterliegen - ebenso wie kirchliche Lehren - einem Wandel. Dogmatische Wissenschaften wie die Jurisprudenz und die Theologie tragen zu einem solchen Wandel bei. Ohnehin bleibt es dann Aufgabe der Wissenschaft, sowohl die dogmatische Feinkommentierung als auch die Einbettung der punktuellen Verfassungsinterpretation durch das Bundesverfassungsgericht in den gesamten Kontext der rechtlichen und gesellschaftswissenschaftlichen Theoriediskussion zu leisten. Es werden immer Wertungen in die Kritik an diesem Kruzifix-Urteil eingeführt werden, die in der pluralistischen weltanschaulichen und kulturellen Begründungsmöglichkeit der freien Wissenschaftlerpersönlichkeit liegen, weil die Selbstverwirklichung des Menschen im pluralistischen Kulturstaat garantiert wird.

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Sachwortverzeichnis Aktivbürger 84,91, 121 Aufstiegschance 136 Ausbildungsstätte 134 f. Ausleseverfahren 136 Autonomie 160,168 Bayerische Verfassung 191 Bayerisches Gesetz über das Erziehungsund Unterrichtswesen 192 Bekenntnisfreiheit 295, 336 Berufsausbildung 116 Berufswahl 116,134 f. Besonderes Gewaltverhältnis 62,291 f. Bildung 30, 85 ff., 167 - Bildungsaufgabe 95,188 - Bildungsauftrag 95, 151, 181 f., 198,271 - Bildungseinrichtung 133 ff., 138 - Bildungsmöglichkeiten 330 - Bildungspläne 142 ff. - Bildungsprogramm 188 - Bildungsreform 36,97,192 - Bildungssystem 149 - Bildungsverfassung 124 - Bildungsverständnis 145 - Bildungswesen 62,93 f., 137, 357 - emanzipatorische Bildung 137 Bildungskommission des Bildungsrates 161 Bundesstaatlichkeit 169 Bundesstaatsprinzip 179,238 Bundesverfassungsgericht 32, 38 f., 53 f., 60 f., 66 f., 69 f., 73 f., 82, 86, 109, 125, 128, 132, 144, 152 f., 155, 159, 170, 192, 196, 203, 235 f., 238 f., 251, 254, 257, 260, 266 f., 268, 281 f., 284 ff., 294, 297, 307f., 311, 314f., 317ff., 325f., 331, 335, 338 ff., 341 ff., 345 ff., 352, 354 - Normenkontrolle 72, 109, 185 - Verbindlichkeit 316 - Verfassungsbeschwerde 281, 318 Bundesverwaltungsgericht 32,144 f. 27»

Chancengleichheit 93 Christ 283, 304,316 Christentum 192,225, 283 f., 286,294, 304 - als prägender Kultur- und Bildungsfaktor 192,286 - christliche Erziehung 230 - christliche Erziehungskomponente der Schule 233 Christliche Bildungs- und Kulturwerte 191 Christliche Gemeinschaftsschule 192, 235 f., 286, 341 ff. Christlicher Staat 230, 304 f. Definitionsmacht 296 ff. Demokratieprinzip 92 Demokratischer und sozialer Rechtsstaat 198 Demokratisches Mehrheitsprinzip 349 Divergierende Wertvorstellungen 188 Eingriff 71 f., 108, 113, 127, 144, 148, 317, 321 Elternrecht 60f., 102f., 123f., 174, 189, 199, 254, 270, 335 - als Abwehrrecht 123 ff., 333 ff. - als Sachwalter des Kindes 334 - Anhörungsrecht 125 - Entwicklung 123 f. - konfessionelles Bestimmungsrecht 135 - Kooperationsformel 128 - materiellrechtliche Konkordanz 128 - Mitwirkungsrecht 125 f. - religiöse und weltanschauliche Erziehungsfreiheit 54, 333 - Schranken 126 ff. - Sphärentheorie 125 - Treuhänder 333 Elternvertretung 164 f. Emanzipation 137 Emanzipatorische Pädagogik 146

416

Sachwortverzeichnis

Erziehung 30, 85 ff., 205 f., 209 - Erziehungsaufgabe 191 - Erziehungsauftrag 152, 198, 255, 284, 360 - Erziehungsbefügnis 124 - Erziehungsberechtigte 125,185, 252, 286 - Erzeihungsmandat 336 f. - Erziehungsstreitigkeiten 112 - Erziehungsverantwortung 126 ff. - Erziehungsziel 36 f., 85, 95, 127 ff., 145 f., 190 ff., 197 ff., 234 f., 257, 360 Ethischer Standard des Grundgesetzes 298 Europarecht 61

Freiheit der Wahl der Ausbildungsstätte 134 f. Gedanken der wichtigsten geistigen Strömungen 330 Gemeinschaftsinteresse 72 f., 118,189, 329 Gemeinschaftsschule 232, 235 Gemeinschaftswerte 138 Gesamtbevölkerung 303 Gesellschaftlicher Wandel 303 Gesellschaftsverfassung und Bildungsinstitution 206 f. - Gesellschaftsabhängigkeit der Bildung

Föderalismus 168, 185 f., 237 Freie Entfaltung der Persönlichkeit 31, 51 ff., 94 ff., 174, 187, 329, 357 - allgemeine Handlungsfreiheit 52 ff., 66, 74, 83, 331 - allgemeines Persönlichkeitsrecht 58 - Auffangfunktion 54 - Auffangtatbestand 57 - benannte Freiheitsrechte 58 f. - bürgerliche Freiheit 107 - Elfes-Urteil 57,66, 75 - Gesamtheit der Verfassungsnormen 66 - geschichtliche Entwicklung 51 f. - Handlungsmöglichkeiten 63,107 - Kernbereich der Persönlichkeitsentfaltung 55 f. - Kernbereich privater Lebensgestaltung 67 - Kernbereichstheorie 53 f. - neuentwickeltes Freiheitsrecht 59 - Persönlichkeitskerntheorie 53 - Rechte anderer 64 f. - Schranken 63 f. - Sittengesetz 67 f., 246 - spezielle Handlungsfreiheit 53 - Spezialfreiheitsrechte 59 - Summenrecht 52 - totales Auffangrecht 58 - unbenannte Freiheitsrechte 58 f. - verfassungsimmanente Ethik 67 f. - verfassungsmäßige Ordnung 65 ff., 189 f., 197 f. - Wesengehalt aller Grundrechte 79 - Wesensgehaltsgarantie 59, 67, 79

Gesetzespositivismus 301 Gesetzesvorbehalt 66,72,106,252 Gesetzmäßigkeit der Verwaltung 71 Gewissensfreiheit 324 ff. - Gewissen 324 - Gewissensbildungsfreiheit 327 - Gewissensbildungsprozeß 327 - Gewissensentscheidung 326 f. - Gewissensposition 326, 328 - Inhalt 325 Gewohnheitsrecht 66, 316 f. Glaube 318 Glaubensfreiheit 281 ff. Glaubenssymbol 283,297 Gleichberechtigung 136 Gleiche Entfaltung kultureller Interessen 174 Gleichheitssatz 93, 133, 136, 212 Gottesklausel des Grundgesetzes 300 ff. - Bedeutung 300 - moralisches Grundverständnis 304 - offenes Gottesverständnis 304 - übergesetzliche Normen und Werte 304 - überpositive Instanz 301 - vorgegebene Naturrechtssätze 301 Grundgesetzgeber 301 Grundrecht 63,69 ff. - Anspruch 74, 317 - demokratisches Grundrechtsverständnis 159 - Dogmatik 317 - Freiheit 77,113, 140 - Funktionen 108 ff. - geschützte Rechtsgüter 150 f.

206

arverzeichnis -

Hauptbedeutung 76 Individualismus 172 Inhalt 107 Integrationslehre 75 ff., 157 Interpretation 111 institutionelle Freiheitsgewährleistung 148 - institutionelles Grundrechtsverständnis 149 f. - keine Majorisierung 312, 364 - Kollision 110, 349 - liberale Grundrechtstheorie 114 - Lehre von den institutionellen Garantien 149 - Nötigung 322 - objektiv-demokratische Dimension 158 - objektive Wertordnung 138 ff., 203 - objektiv-rechtliche Bindung des Staates 203 - objektiv-rechtliche Wirkung 109 - Rechts- und Wertvorstellungen in der Schule 198 - Schranken 64,106, 323, 326 - Schutzbereich 108 ff. - Schutzpflicht 158, 250, 322 - sozialstaatliche Grundrechtstheorie 132 - subjektiv-öffentliches Recht 109, 114 - System 74, 87 - Theorien 111 ff. - Träger 106, 110, 201, 310, 315, 323 f. - umfassende Handlungsfreiheit 108 - Verwirklichung 132 - Werttheorie 99,138,158 Grundsatz der Verhältnismäßigkeit 67, 74, 118 Heranwachsende 89, 205 Individualität 44, 84, 117, 177, 187 Indoktrination 145, 179, 187, 200 Integrationsvorgang 138 Integration der Erziehungsziele 197 ff. - Formel eines sinnvollen Zusammenwirkens der Erziehungsziele 200 - Zusammenarbeit beider Erziehungsträger

200 Interpretierende Instanz 310

Jugendschutz 104 Kindesgrundrecht 60 ff., 102,159 - Schranken 106 Kindesinteresse 129 Kindeswohl 60,126 f., 270 Kindheit 101 Kirche 183,226 ff. - im Schulwesen 183,233 Kompetenzbegründende Norm 339 Kompetenzbindungsnorm 339 Kompetenzverteilung des Grundgesetzes

186 Kreuz 280, 282 ff., 293 ff., 298 ff., 309, 320, 332, 345 ff., 363 Kreuz im Gerichtssaal 339 Kruzifix-Urteil 38 ff., 193, 280 ff., 286 f., 306, 339 ff., 345, 348, 351, 362 ff. Kultur 47 f., 169 f., 179 Kulturbegriff 167, 171 Kulturelle Gruppen 175 Kulturelle Grundrechte 173 ff. - als Ordnungsprinzip 179 - Freiheit der freien kulturellen Entfaltung 175 - Individualrechte 175 - Kollektivrechte 175 - kulturelle Freiheit 175 Kulturelle Pluralisierung des Schulwesens 362 Kulturhoheit 178 Kulturpolitik 178 Kulturstaat 34 f., 166 ff., 170, 216 - Entwicklung 167 ff. - Formel 167 - freiheitliche Kultur 179, 235 - freiheitliche pluralistische Kulturordnung 179 - Kulturauftrag 173,176 f., 238 - kulturelle Autonomie 176 - kulturelle Vielfalt 184 - Kulturgestaltungsmacht 127 f., 178 - offenes Kulturverständnis 179 - pluralistische offene Gesellschaft 179 - soziale Integration 176 ff. - Staatszielbestimmung 170 f. - staatliche Kulturpflege 177 Kulturstaatliche Länderzuständigkeit 337

418

Sachwortverzeichnis

Kulturstaatlichkeit 166,237 Kulturstaatsklausel 172,181 Kulturstaatsprinzip 171,180 Kultursystem 75, 138 Kulturverfassungsrecht 87,221,237 Kulturverwaltung 169 Kultusminister 142,188 Kunst 167,169 Kunstfreiheit 174 Landesgesetzgeber 164, 186f., 285, 333, 364 - Gesetzgebungskompetenz für das Schulwesen 185 Landesregierung 219 f., 248 Landesschulgesetz 150, 161,191,338 Üben 29 Lehr- und Bildungspläne 118 Lehrer 129 ff. Lehrerausbildung 146 f. - ideologische Neutralität 147 - Lehrerbildungseinrichtung 147 - Lehrerprüfung 147 - objektive Wissenschaft 147 - wissenschaftliche Ausbildung 147 Lehrende 218 Lehr-Lernprozeß 160 Urnfähigkeit 46,115ff., 136f. Lerngruppe 120 Lernprozeß 115 Lernziel 119 Meinungs-, Presse-, Funk- und Fernsehfreiheit 174 Menschenbild des Grundgesetzes 85 ff., 95, 99,202 f., 218, 356 Menschenrecht 81, 259 Menschenwürde 81 ff., 171, 177, 180, 218, 259, 325,356 Minderheitsvotum 350, 354 Minderjährige 100 ff., 104 ff., 110, 253 - Einsichtsfähigkeit 104 ff. - Einsichtserfordernis 106 - Grundrechtsfähigkeit 100 ff. - Grundrechtsmündigkeit 100 f., 104 ff., 110 - Minderjährigkeit 106 - Mündigkeit 106 - Schutzbedürfigkeit 106 f.

- Volljährigkeit 104 f., 189 - Wahlrecht 104 Monarch 182 Monopolisierung des Auswahlverfahrens 90 Multikulturalität 181 Nationalsozialismus 61,93,123,219, 301 Nationalsozialistische Weltanschauung 234 Nationalversammlung 232 Neutraler Staat 290 Neutralität 68, 86, 212 ff., 233, 247, 259, 271 ff., 276 ff., 282 f., 285, 291, 299, 302, 307 ff., 319, 322, 332,336 ff., 346 ff., 353, 360, 362 f. - als distanzierende Neutralität 213 ff., 311 - als übergreifende Neutralität 215 f., 311 - doppeltes Identifikationsverbot 213 - Emanzipation des Bürgers 214 - Emanzipation des Staates 214 - Nichtidentifikation 213 - religiös und weltanschaulich neutrales Staatswesen 277 - Zusammenhang beider Erscheinungsformen 216 ff. Objektiv-rechtliche Wertentscheidung 145 Öffentlichkeit 306 Optimierungsgebot 100,158,180 Ordnung der Welt 278 Pädagogische Autonomie 161 Pädagogische Freiheit 129 ff. - Disziplinarverfahren 130 - Erziehungsaufgabe des Lehrers 131 - Freiheit der Unterrichtsgestaltung 130 - Lehrerstand 131 - neutrale Ausgestaltung 130 - Neutralität und Objektivität 130,153 - pluralistische Kultur 131 - schülerorientierter Unterricht 130 - schülerzentrierte Bildung 131 - unabhängige Erzieherpersönlichkeit 129 Persönlichkeit 86 f., 99 - Formung 135 - Struktur 88,90 f. Plurale Struktur der pädagogischen Welt 361

arverzeichnis Pluralismus 85 f., 172 f., 204 ff., 362 - Außenpluralismus 175 - Begriff 204 - Binnenpluralismus 175 - freiheitlicher Pluralismus 179 - Kern des Pluralismusproblems 206 - religiöser 261, 266 Pluralistische Demokratie 159 Pluralistische Gesellschaft 359 Politische Willensbildung 91,157 Präambel des Grundgesetzes 300 ff. Praktische Konkordanz 128,284, 287 Preußen 182, 228 f. Preußisch-absolutistische Tradition 184 Preußische Schulverwaltung 229 Preußische Verfassung 229 Privatschule 154 ff. - Errichtung privater Schulen 154 - Ersatzschule 155 ff., 185 - Genehmigungspraxis 156 - pädagogische Alternativen 154 - Privatschulfinanzierung 97 - Privatschulfreiheit 155, 174 - Privatschulsubventionierungsentscheidung 87, 155 - Schule in freier Trägerschaft 154 f. - staatliches Schulmonopol 155 Prüfungsrichtlinien 142 ff. Rechtsaufsicht 161 f. Rechtssicherheit 103 Reformpädagogisch-schülerzentriertes Denken 354, 365 Reichskonkordat 234 Religiöse Bezüge in der Schule 225 ff., 237 ff., 362 - absolutistischer Staat 227 - Allgemeines Landrecht für die preußischen Staaten 228 ff. - Bildungs- und Erziehungseinrichtungen des Mittelalters 226 - Entwicklung 225 ff. - Kulturverhältnis zwischen Bund und Land 237 ff. - Reformation 226 - römisches Reich 225 Religiöse Erziehung 226 Religiöse Selbstverwirklichung 266, 336

Religiöser Entwicklungsprozeß 264 Religiöser Frieden 363 Religiöses positiviertes Erziehungsziel 193 ff. Religion 167,267 Religionsausübung 307 Religionsdidaktik 265 Religionsfreiheit 39 f., 153, 174, 235, 261, 266, 272, 288, 294f., 302, 318ff„ 363, 384 - Ausstrahlungswirkung 260 - individuelle 250 f. - korporative 251 f. - negative 251, 285, 294f., 297, 319, 321 ff. - positive 251,285 f., 312,319, 322 - religiöses Selbstverwirklichungsrecht 265 Religionsgemeinschaft 153,241,252ff. - als korporativer Grundrechtsträger 252 - Lehre 270 - Mitgestaltungsrecht 257 f. - Rechtsstellung 256 Religionskunde 242 Religionslehrer 154, 240,255,272 - Benachteiligungsverbot 255 - Objektivität 272 - Personalmangel 240 Religionsmündigkeit 242,253 Religionsrecht 266,296,309,320 Religionsunterricht 125, 152 f., 228, 234, 239 ff., 276 f. - Abmelderecht 253 - als ordentliches Lehrfach 239 ff. - als religiöser Erziehungsfaktor 263 - als subjektive Grundrechtsposition 249 ff. - als tolerant-religiöser Lernprozeß 261 ff. - Alternativunterricht 245 f. - Ausnahmeregelung 243 - Brandenburg 244 - Bremer Klausel 243 - Ersatzunterricht 245 - Inhalt 242 ff. - islamischer 241 ff. - Konfessionalität 243 - konfessionelle Gebundenheit 243 - konfessionelle Schülerhomogenität 247 - Kulturbedeutung 262 - Öffnung 258

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Sachwortverzeichnis

- Ökumene 247 ff., 267 - Pflichtfächer 239 - Rechtsbegriff 263 - Rechtswirklichkeit 244 - Übereinstimmungsgebot 242, 249 Religionsverfassung 238 Säkularisierung 234,273 Schüler 162 f. - Mitwirkung der Schülervertretung 163 - Recht auf demokratische Mitwirkung 163 - Repräsentanten der Schüler 162 - Schülervertretung 163 f. - Träger des Grundrechts auf Bildung 162 - Vertretung der Schülerinteressen 163 Schule 35 ff., 90 ff. - administrative und finanzielle Verselbständigung 162 - Bekenntnisschule 269 ff. - Einheitsschulbewegung 231 - Heimstatt aller Kinder 224 - Pluralisierung 85 - preußische Entwicklung 182 - Schulaufsicht 95, 150ff., 161, 164f., 183, 187, 235, 336 ff., 361 - Schulbuch 144 ff. - Schulgebet 193, 340 - Schulgesetzgebung 193, 340 - Schulhoheit 112, 184 ff., 337 f. - Schullaufbahn 93 - Schulpflicht 153, 241,282, 298, 321, 333 - Schulpolitik 88 - Schulselbstverwaltung 142,159 ff. - Schulverfassung 37, 151,210,237 f. - Schulverhältnis 85,210,365 - Schulverwaltung 144,156, 186, 292, 308 - Schulvielfalt 99, 156,211 - Schulwesen 36, 61, 88 ff., 93 ff., 122, 156, 160, 181 ff., 210, 218 f., 231, 361, 365 - Staatswesen 89 - toleranter Raum 278 - Volksschule 191, 227 - weiterführende Schule 136 f., 142 Selbstbestimmung 32,44, 103, 117, 357 Selbstbestimmungsrecht 51, 56 f., 63, 102 f., 105 f., 117, 254, 329 Selbstbestimmungsrecht des Schülers 121 ff. - Entscheidungsfreiheit 122

- politische Mündigkeit 121 - Urteilsfähigkeit 117,121 Selbstentfaltung 31 f., 44, 83, 117, 329 f., 357 Selbstentfaltungsrecht 51, 55 f., 63, 101, 105 f., 117, 329 Selbstentfaltungsrecht des Schülers 118 ff. - Bildungsgang 119 - Curricula 119 ff. - Einheitstyp 116,118 Selbstverständnistheorie 296 ff. Selbstverwirklichung 29, 31 - Quelle 41 ff. - Existenzphilosophie 41 - Gedanken 42 f. - humanistische Psychologie 43 - psychologische Theorie 42 - Selbstrealisation 42 - Selbstseinkönnen 42 - Selbstwerdungs-Ethik41 Selbstverwirklichung des Religiösen 215 f. Selbstverwirklichung des Schülers 90 ff., 199 - Formbarkeit 90 f. - geistige Selbstverwirklichung 90 f. - mündige Staatsbürger 91 - Persönlichkeitssphäre 90 - politische Selbstverwirklichung 92 f., 122 - Zivilcourage 91 - wirtschaftliche Selbstverwirklichung 93 f. Selbstverwirklichungsrecht 55 f., 105 f., 201, 328 f. Selbstverwirklichungsrecht des Schülers 94 ff., 113 ff., 288, 292, 328 ff., 352 f., 358, 365 - Kern des Grundrechts auf Bildung 62 ff., 97 ff., 114 ff., 328 ff., 352 f., 357 - Selbstbestimmungsfähigkeit 117, 335 - Selbstverwirklichungsmöglichkeit 117 - Wesensgehalt 332 Sich selbstverwirkiichender Mensch 42 ff. - Erziehung und Bildung 49 f. - Innovationen 50 - Konventionen 46 f. - Leben 45 f. - Menschenbild 80 ff. - Menschlichkeit 43 ff. - Pluralismus 48 f.

arverzeichnis - pluralistische Kultur 47 ff. - Schülerzentrierte Bildung 50 - Umwelt 44 f. Sinndeutung 290 Sinngebung 290 Sinnverständnis 290 Sozialmacht 136 Sozialstaat 92, 132 ff., 273 Sozialstaatsprinzip 70, 77 Staatliche Gestaltungsbefugnis 150 Staatliche religiöse Selbstdarstellung 311 Staatliche Schulverwaltungstätigkeit 292 Staatliche Selbstdarstellung 289 ff. Staatliches Organisationsrecht 236 Staatliches Selbstverständnis 310 Staatliche Tätigkeit 289 ff. Staatliche Wertäußerung 306 Staatsfreie Privatsphäre 114 Staatsfreiheit 210 Staatsgewalt 290 Staatshervorbringung 138,157 Staatsraison 81 Symbol 280 ff., 293 - Suggestivwirkung 293 - Wertevermittlung 293 Tolerante Pädagogik 279 Toleranz 212, 220 ff., 277 ff., 304, 311 ff. - Bedeutung der praktizierten Toleranz 221 - Duldsamkeit 311 - Frieden 224 - Hüter der Toleranz 221 - Überzeugung von großen Teilen der Bevölkerung 220 Toleranzprinzip 222 ff., 241, 285, 313, 360, 362 Totalitärer Staat 80,90 Trennungsprinzip zwischen Staat und Kirche 273 ff., 345

-

Identifikationsverbot 274 Komplementärgarantie 273 Paritätsprinzip 273 Verbot der Staatskirche 275 Verhältnis von Staat und Kirche 237, 345

Übermaßverbot 59,67 Überwachungspflicht 334 Unterrichtslinie 142 Unterrichtssystem 140 ff. Unterrichtsverwaltung 156 Unterschicht 137 Unterschichtsangehöriger 137 Verbot einer staatlichen Einflußnahme 134 Verfassungsinterpretation 177 Verfassungsprinzipien 306 Verfassungsreformdiskussion 304 Verfassungssta'at 34 f., 221 - Heimstatt aller Bürger 214, 303, 307 - ethisches Fundament der Verfassung 304 Vertragsfreiheit 136 Vertrauensverhältnis 299 Volksstaat 230 Volljährige 104 Vorbehalt der Verfassung 72 Vorrang des Grundgesetzes 186 Weimarer Schulkompromiß 232 Wertordnung des Grundgesetzes 294 Wertsystem 75,98, 139, 203 Westfälischer Friede 227 Wille zur Verfassung 84 Willensbildungsprozeß der Gesellschaft 183 Wissenschaft 169 Wissenschaftsfreiheit 174 Zivilisatorischer Mindeststandard 85 f., 208