Richterliche Rechtserkenntnis: Zum Zusammenhang von Recht, richtigem Urteil und Urteilsfolgen im pluralistischen Staat [1 ed.] 9783428467372, 9783428067374

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Richterliche Rechtserkenntnis: Zum Zusammenhang von Recht, richtigem Urteil und Urteilsfolgen im pluralistischen Staat [1 ed.]
 9783428467372, 9783428067374

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STEFAN SMID

Richterliche Rechtserkenntnis

Schriften zum Prozess recht Band 92

Richterliche Rechtserkenntnis Zum Zusammenhang von Recht, richtigem Urteil und Urteilsfolgen im pluralistischen Staat

Von

Dr. Stefan Smid

Duncker & Humblot . Berlin

CIP-Titelaufnahme der Deutschen Bibliothek

Smid, Stefan: Richterliche Rechtserkenntnis: zum Zusammenhang von Recht, richtigem Urteil und Urteilsfolgen im pluralistischen Staat / von Stefan Smid. - Berlin: Duncker u. Humblot, 1989 (Schriften zum Prozessrecht; Bd. 92) ISBN 3-428-06737-1 NE:GT

Alle Rechte vorbehalten © 1989 Duncker & Humblot GmbH, Berlin 41 Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin 61 Printed in Germany ISSN 0582-0219 ISBN 3-428-06737-1

Vorwort Die nachfolgende Untersuchung setzt sich mit der Frage auseinander, in welchem Zusammenhang die Rechtsprechung und ihre Tätigkeit zur Gesellschaft - den Folgen der von der Rechtsprechung produzierten Entscheidungen steht. Diese Frage scheint zunächst auf sozial wissenschaftliche Problemstellungen und Methoden zu verweisen. Es zeigt sich aber alsbald, daß sozialwissenschaftliche Ansätze nur Teilaspekte materiell rechtsprechender Tätigkeiten beleuchten können und damit notwendig abstrakt bleiben. Im pluralistischen Staat der Glaubens- und Gewissensfreiheit können nämlich nur das Recht und die Rechtsdogmatik angeben, welchen wechselseitigen "Einfluß" Rechtsprechung und Gesellschaft aufeinander nehmen können. Erst die Betrachtung der prozeßrechtlich geordneten Struktur von Entscheidungen der Rechtsprechung gibt den Blick darauf frei, wie Rechtsprechung funktioniert - und damit darauf, wie und welche Folgen ihrer Entscheidungen sie in ihren Urteilen berücksichtigen kann. Damit stellt sich die Frage nach der Orientierung des Richters an den Folgen seiner Entscheidung als eine rechtsdogmatische Frage des Prozeßrechts heraus. Die im folgenden diskutierten Fragen zeitigen Konsequenzen für die Einordnung und Beurteilung insbesondere von Verfahren der nichtstreitigen frei willigen Gerichtsbarkeit. Ich habe dies an anderer Stelle (Rechtsprechung. Zur Unterscheidung von Rechtsfürsorge und Prozeß. Prozeßrechtliche Abhandlungen Heft 74, 1989) eingehend ausgeführt. Meinem akademischen Lehrer, Prof. Dr. H.-M. Pawlowski verdanke ich die Anregung zu dieser Untersuchung. Seine kritischen Hinweise haben mir ebenso geholfen wie unsere gemeinsame Arbeit in unserem interdisziplinären Projekt "Rationalität, Steuerung und Bindung unter den Bedingungen des naturwissenschaftlich-technischen Fortschritts im pluralistischen Verfassungsstaat". Für ihren freundschaftlichen Rat habe ich im übrigen Hermann Deichfuß und Volker Lipp herzlichen Dank zu sagen. Schließlich danke ich dem Verlag Duncker & Humblot, der diese Untersuchung großzügig in seine prozeßrechtliche Reihe aufgenommen hat. Mannheim, im Sommer 1989 Stefan Smid

Inhaltsverzeichnis I. Einleitung ......................................................................

11

1. Problemstellung .......................................................... . . .

11

2.

Schwieri~~eiten der ".Wertung~jurisp'rudenz" mit den Kriterien ,,Rechtserkenntnis und "Streitentscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

17

11. Richterliche Streitentscheidung im pluralistischen Staat .................

20

1. Problemstellung .............................................................

20

2. Rechtsprechung als Ausspruch von Mehrheitsüberzeugungen? ...... .....

21

3. Legitimation technischer Rechtsprechung im pluralistischen Staat .......

22

111. Soziale Steuerung durch die Rechtsprechung? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

24

1. Soziale Folgen als Entscheidungskriterien? ................................

24

a) Rechtsprechung und Gesellschaft ......................................

24

b) Verfolgung sozialpolitischer Zwecke durch die Rechtsprechung? ...

26

2. Funktionswandel des Zivilprozesses? ......................................

29

a) Abkehr vom "liberalen" Prozeß ........................................

29

b) Prozeßrecht und Zweifel an der Privatautonomie .....................

32

c) Schwierigkeiten mit Richtigkeitskriterien von Urteilen...............

36

IV. Verfolgung öffentlicher Interessen als Prozeßzweck? ............. ..... ...

39

1. Anlässe im geltenden Wirtschaftsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

39

2. Beteiligung von Vertretern von "Gruppeninteressen" am Verfahren.....

41

3. Konsequenzen ...............................................................

42

V. Zur Struktur der Folgenorientierung der Rechtsprechung - die Orientierung an der dogmatischen Konsistenz von Entscheidungen ...........

44

1. Zur Folgenselektion durch die Rechtsprechung ...........................

44

2. Rechtsprechung: Verfahren der Entscheidung abgeschlossener Sachverhalte ......................................................................

50

3: Richterliche Eingriffe in die Abwicklung von Verträgen.................

52

8

Inhaltsverzeichnis VI. Rechtsprechung als Rechtserkenntnis .......................................

55

1. Rechtsprechung als Konfliktbewältigung ..................................

56

a) ,,Konfliktregulierung" als sozialpsychologischer Erklärungsansatz ..

56

b) Prozessuale Konsequenzen .... ............ .............................

57

2. Verfahren der Rechtsprechung als Verfahren der Feststellung des zwischen den Parteien geltenden Rechts ..............................................

58

a) "Volitive" Rechtssetzung oder ,,kognitive" Rechtsanwendung durch den Richter ..............................................................

58

b) Kritik "freirechtlicher" Konzeptionen .................................

59

3. Rechtserkenntnis und Volkssouveränität ............ .............. .........

62

a) Zusammenhang von Legitimität des Rechts und seiner Erkenntnis ..

62

b) Verbindlichkeit des Rechts und seine Erkenntnis.....................

63

c) Prozeß und Rechtsmacht des Bürgers .......... .......................

65

4. Imperativenmodelle des Rechts ............................................

67

a) Die Lehre H. Isays .......................... . . .. . . .. . .. . . .. . . .. . .. . .. . .

67

b) Zur Kritik an Montesquieus Darstellung des Richters ................

68

c) Das Gegenbild: Der Richter als falscher Souverän - zum Problem des Richterrechts ........................................................

71

d) Zur Stellung des BVerfG ........................ ...... .................

71

5. Zur Frage der Rechtsfortbildung durch das Rechtsgespräch von Gericht und Parteien .................................................................

73

a) Zum Problem des ,,neuen" Rechts .....................................

73

b) Zur Beachtlichkeit von Präjudizien ........................ ............

76

c) Rechtsanwendung im Prozeß und Verhältnismäßigkeitsgrundsatz ...

76

6. "Input"-Orientierung der Rechtsprechung .................................

78

a) Selektion von Urteilskriterien ..........................................

78

b) Ausschluß inadäquater und dysfunktionaler Entscheidungsfolgen ...

81

7. Kriterien bei der Beurteilung der Richtigkeit von Entscheidungen der Rechtsprechung und der Verwaltung ...... ................ .................

84

VII. Die unterschiedliche Kostenorientierung von Verwaltung und Rechtsprechung als Kriterium ihrer Unterscheidung ............................

86

1. Kosten/Nutzen-Relationen in der Verwaltungsentscheidung ..............

86

2. Selbstkontrolle der Verwaltung durch Effizienzprüfung ..................

89

3. Prozeßökonomie und Privatautonomie .....................................

90

4. Rationalisierung des Verfahrens und Einsparung von Mitteln............

92

Inhaltsverzeichnis

9

VIII. Zur Struktur des streitentscheidenden Urteils - "Freiheit" und "Bindung" des Richters ............................................................

96

1. Ennessen als Problem der Differenzierung von Rechtsprechung und Verwaltung ......................................................................

96

2. Rechtsfrage und Tatfrage ................ ............................ .......

101

3. Ennessen und Zweckmäßigkeit .................... ........................

104

a) Ennessen und Rechtsschutz ..................................... .......

104

b) Zum "Beurteilungs spielraum" .................... ......................

105

4. Administrativer Gesetzesvollzug ...........................................

108

IX. Folgenorientierung des Strafurteils? .............. ............. .............

109

1. Problemstellung

109

a) Strafzwecke

109

b) Zweckverfolgung oder unparteiische Rechtskenntnis durch den Richter im Strafprozeß ......................................................

110

c) Prozessuale Struktur des Strafprozesses ...............................

114

2. Schlußfolgerung .............................................................

116

X. Schluß ..........................................................................

118

Literaturverzeichnis ..................................................................

120

J. Einleitung 1. Problemstellung

Die nachfolgenden Überlegungen sind das Ergebnis von Untersuchungen, die im Schnittpunkt zweier miteinander korrespondierender Arbeitsfelder stehen. Sie verdanken sich einerseits Diskussionen um die Frage, welche institutionellen und prozeduralen Voraussetzungen sichergestellt sein müssen, um die Verbindlichkeit (die Normativität) des Rechts in einem pluralistisch verfaßten Staat der Glaubensfreiheit sicherzustellen. Eine derartige Fragestellung verweist juristische Arbeiten auf die Auseinandersetzung mit unterschiedliche Problemzusammenhänge sozialwissenschaftlicher Akzeptanzforschung oder auch philosophischer Diskussionen mit der Möglichkeit der Artikulation ethischer Geltungsansprüche. Sie hat aber wesentlich auch einen spezifisch juristischen Bezug. Die Rechtswissenschaft muß der Frage nachgehen, wie das Recht verfaßt sein muß, um in einer Gesellschaft Geltung beanspruchen und Leistungen der Friedensstiftung erbringen zu können, deren Bürger heute z.T. höchst unterschiedlichen "Wert"vorstellungen, Weltbildern und Glaubenskonzeptionen anhängen. Denn das Recht erkennt diese Verschiedenartigkeit an; Minderheiten werden nicht allein toleriert, während das Recht "eigentlich" auf der Religion der Mehrheit beruht und seiner Legitimität aus ihr zieht. Um in einer pluralistischen Gesellschaft (vgl. unten 11.) "Ordnungsleistungen" erbringen zu können, muß das Recht gegenüber weltanschaulichen, religiösen Vorentscheidungen neutralisiert funktionieren. Es muß also seine Regelungsleistungen technisch-dogmatisch aus sich selbst beziehen. Das verweist nicht zuletzt auch auf die Verfahren, in denen das Recht angewendet, erkannt und festgestellt wird. Hierin berührt sich der Ansatz bei der Frage nach der Bindungskraft des Rechts im pluralistischen Staat mit dem zweiten Forschungsansatz, dessen Problemstellung in der folgenden Darstellung zum Tragen gekommen ist. Die Funktionsweise des Rechts bezieht sich stets auf die Verfahren, in denen es angewendet wird. Für die Art der Anwendung des Rechts ist es daher u.a. von Bedeutung, ob es in administrativen oder materiell rechtsprechenden Verfahren angewendet wird, ob von den Behörden, die in einem Verfahren mit dem Recht umgehen, (Verwaltungs-)Zwecke verfolgt werden oder ob allein zweckfrei das Recht angewendet wird. Die folgenden Betrachungen verdanken sich prozeßrechtlichen Studien über die Unterscheidung materieller Rechtsprechung von materiell administrativem

12.

I. Einleitung

Handeln der Gerichte in nichtstreitigen Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit 1. Dort geht es um die Frage, welche prozessualen Konsequenzen die Heterogenität richterlicher Tätigkeiten je nachdem haben, ob der Richter Streitentscheidungen vornimmt oder ob er staatliche Register führt und beaufsichtigt, über die Wahrnehmung der elterlichen Sorge die staatliche "Obervormundschaft" führt, Verteilungen vornimmt u.dgl.m. Stellt man diese Frage nach der Bedeutung der strukturellen Verschiedenartigkeit richterlicher Tätigkeit, so betrachtet man die Tätigkeit der Justiz nicht mehr allein von der Qualifikation und dem Status des in ihr beschäftigten Personals her. Ausschlaggebend ist dann nämlich für die Qualifikation einer Staatstätigkeit als "Rechtsprechung" nicht mehr allein, daß ein unabhängiger Richter entschieden hat. Entscheidend wird vielmehr für die Grenzziehung zwischen materieller Rechtsprechung und materieller Verwaltung die Art der Kriterien, die der jeweils zu treffenden Entscheidung zugrundegelegt werden (bzw. normativ zugrundegelegt werden dürfen 2). Das verweist auf die Frage nach der Funktion, die mit einer bestimmten Art der richterlichen Tätigkeit jeweils wahrgenommen wird. Die Dramatisierung der Unterscheidung von Rechtsprechung und Verwaltung durch das Richtermonopol des Art. 92 GG macht es erforderlich, der Struktur rechtsprechender Tätigkeiten näher auf den Grund zu gehen, oder, wie es NLuhmann 3 einmal salopp ausgedrückt hat, danach zu fragen, unter welchen Bedingungen Iustititia ihr Schwert schwingt. Denn die verfassungsrechtliche Normierung eines "Richtermonopols" einerseits - der Zuweisung materieller Rechtsprechungstätigkeiten ausschließlich an Richter - und die Eröffnung des Rechtswegs gegen Akte der Verwaltung - d.h. die Eröffnung der Möglichkeit, Rechtsstreitigkeiten um die Rechtmäßigkeit des Verwaltungshandelns zu führen, Streitentscheidungen über das Verwaltungshandeln auszutragen - andererseits, legt es nahe, daß die Gewalten "Rechtsprechung" und "Verwaltung" nicht allein personell, sondern durch die grundsätzlich andere Art ihrer AufgabensteIlung wie durch die Art, wie diese Aufgaben zu erledigen sind, voneinander unterschieden werden müssen. Denn auch die vom Richter wahrgenommenen Tätigkeiten sind nicht einheitlicher Art. Sie lassen sich vielmehr danach unterscheiden, ob sie sich der Sache nach materiell - als Wahrnehmung von Aufgaben der Rechtsprechung oder der Verwaltung darstellen 4. Das macht es erforderlich, nach der Art der Orientierung der Entscheidungstätigkeit des Richters in einem konkreten Verfahren zu fragen. Seit beinahe einem Vierteljahrhundert wird in Prozeßrechtslehre und Rechtssoziologie darum gestritten, ob und in welcher Weise die gesellschaftlichen, wirtschaftlichen oder politi1 SI. Smid, Rechtsprechung. Zur Unterscheidung von Rechtsfürsorge und Prozeß, ProzRAbh. H. 74, 1989. 2 Ebda. § 1 I et passim. 3 Öffentlich-rechtliche Entschädigungsansprüche, rechtspolitisch betrachtet, 1965, S.123. 4 Vgl. hier allein K. A. Bettermann, Iellinek-GS S. 361 ff. und Lent-FS, S. 17 ff.

1. Problemstellung

13

sehen Folgen eines Urteils bei der Urteilsfindung im Prozeß zu berücksichtigen seien. In einer Reihe gerichtlicher Verfahren ist es nachgerade der Entscheidung wesenseigen, daß der Richter in ihr die Folgen seiner Entscheidung mitbedenkt: So hat der Vormundschaftsrichter die Aufgabe, das Kindeswohl zu hüten - der Schutz des Kindeswohl ist staatlicher ,.zweck" des vormundschaftsgerichtlichen Verfahrens - , der Registerrichter hat bei seinen Verfügungen die Sicherheit des Rechtsverkehrs zu beachten u.s.f. In nichtstreitigen Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit hat der Richter daher die zu erwartenden Folgen seiner Maßnahmen bei seiner Entscheidung zu berücksichtigen. Er hat die gedeihliche Entwicklung des Kindes abzuschätzen, hat zu fragen, ob eine Genehmigung über ein Rechtsgeschäft nach § 1822 BGB der künftigen Entwicklung des Kindesvermögens schaden könne u.s.f. Kurz: In nichtstreitigen Verfahren verfolgt der Richter (nicht als Privatperson, sondern in Wahrnehmung seines Amtes) bestimmte Zwecke, und er hat bei seiner Entscheidung stets zu bedenken, ob sie tauglich ist, diese ihm normativ vorgegebenen Zwecke zu erreichen. Die Orientierung und Struktur der Entscheidung des Richters an ihm aufgegebenen Zwecken unterscheidet sich insofern (ungeachtet aller verfahrensrechtlichen Besonderheiten, die aus der Übertragung derartiger Aufgaben an Gerichte erwachsen) nicht von derjenigen der Verwaltung. Hilft es bei der Qualifikation eines Verfahrens als Rechtsprechung oder Verwaltung nicht mehr weiter, danach zu fragen, wer in ihm tätig geworden istob ein Richter oder ein Verwaltungsbeamter - muß danach gefragt werden, was der Richter im Verfahren macht, wie er seine Aufgaben erledigt. Entweder handelt es sich dabei um eine empirische, rechtssoziologische Frage. Dann wird der Herkunft, der Sozialisation, den Attitüden u.dgl.m. des Richters nachgegangen.1m folgenden soll die Struktur der richterlichen Urteilstätigkeit rechtsdogmatisch untersucht werden. Es wird hier also danach gefragt, unter welchen rechtlichen Bedingungen der Richter materiell Recht spricht. Darüber wird schon lange mit Nachdruck gestritten. Die Argumente dieser Auseinandersetzung werden im folgenden zur Diskussion gestellt. Prüfstein für ihre Tauglichkeit zur Beschreibung der Tätigkeit des Richters im Prozeß soll dabei die Stellung sein, die der Richter im Prozeß einnimmt. Dabei ist stets mitzubedenken, daß der Richter sein Amt in einer konkreten Gesellschafts- und Rechtsordnung ausübt. Auch wenn die Analyse der verschiedenen Tätigkeiten des Richters zur Erkenntnis allgemeiner Strukturprinzipien führt, sind doch die konkreten historischen Bedingungen zu bedenken, unter denen Recht gesprochen wird. In der Bundesrepublik Deutschland wie in den meisten westlichen Staaten sind diese Bedingungen maßgeblich dadurch bestimmt, daß diese Staaten pluralistisch verfaßt sind und demzufolge das richterliche Urteil einer anderen Rechtfertigung bedarf, als sie mit dem Rekurs auf einen herrschenden Staatsglauben möglich wäre.

I. Einleitung

14

Der Verwaltungsbeamte und der Richter in nichtstreitigen Verfahren verfolgen bestimmte, ihnen vorgegebene Zwecke. Zwar müssen sie dabei "unparteilich" verfahren - keinen Bürger durch ihre Verfahrensführung benachteiligen. Das bedeutet aber nicht, daß ihre "Unparteilichkeit" strukturell dieselbe wäre wie die des Richters, der im Prozeß über einen Rechtsstreit zwischen zwei Parteien urteilt. Die Verwaltung und auch der administrativ tätige Richter sind nämlich deshalb strukturell "Parteien" in den von ihnen geführten Verfahren, weil sie amtlich vorgegebene Zwecke gegenüber dem Bürger verfolgen. Indem sie bestimmte Zwecke mit dem jeweiligen Verfahren - der Genehmigung eines Bauvorhabens, der Entziehung des elterlichen Sorgerechts u.dgl.m. - verfolgen, stehen sie dem beteiligten Bürger nicht "unbeteiligt" gegenüber, sondern insofern als Partei, als die Verwaltung und der administrativ tätiger Richter gleichermaßen an dem Verfahrensausgang interessiert sind. Sowohl die Verwaltung als auch der administrativ tätige Richter sind "interessiert" daran, die ihnen vorgegebenen Zwecke zu erreichen. Der Richter in nichtstreitigen Gerichtsverfahren ist daher iudex in sua causa: er entscheidet in eigener, ihm kraft seines Amtes obliegender Sache 5. Die These der nachfolgenden Überlegungen lautet, daß demgegenüber die Streitentscheidung im Prozeß gerade dadurch ausgezeichnet ist, daß der Richter sich dem Ergebnis des Streits gegenüber gleichgültig verhält: Die Unparteilichkeit des Richters im Prozeß beruht wesentlich darauf, daß er nicht daran interessiert ist, welche der Parteien im Prozeß obsiegen wird. Die Rolle des streitentscheidenden Richters im Prozeß ist eindimensional verfaßt. Montesquieu 6 sprach in diesem Zusammenhang davon, der Richter sei allein bouche qui prononce les paroles de la lois. Damit war nicht gemeint, daß der Richter "bloßer Subsumtionsautomat" sei oder sein sollte, wie heute nicht selten als Kritik an Montesquieus Auffassungen ausgeführt wird. Vielmehr ging es Montesquieu darum zu zeigen, daß der Richter, der im Prozeß zwischen zwei Parteien entscheidet, Recht erkennt und spricht, nicht zugleich eigene Zwecke mit seiner Entscheidung verfolgen kann, die über den der ,,reinen" Erkenntnis des Rechts selbst hinausweisen und auf wirtschaftliche, soziale u.dgl. Folgen des Urteils gerichtet wären 7 • Das setzt aber voraus, daß der Richter nach der Art der Anforderungen, die an seine Entscheidung im Prozeß (bei der Entscheidung von Rechtsstreitigkeiten) gestellt werden, auch tatsächlich anders entscheiden kann als in administrativen Gerichtsverfahren oder als dem Verwaltungsbeamten aufgegeben ist. Das hängt aber davon ab, wie das Prozeßrecht mit dem materiellen Recht in Verbindung steht und wie das materielle Recht selbst verfaßt ist. In einer Reihe von Fällen scheint nämlich der Richter geradezu darauf verwiesen zu werden, "folgenorientiert" zu entscheiden. Der Richter wird also in der Tat oder - häufiger 5

6 7

SI. Smid, Rechtsprechung § 7. De I' esprit des lois, T.l p. 171. Unten V 1.

1. Problemstellung

15

scheinbar in einer Reihe von Verfahren aufgrund des materiellen Rechts darauf verwiesen, vorgegebene Zwecke zu verfolgen. Das Wirtschaftsrecht, aber auch das Strafrecht sind hierfür paradigmatisch. Für den Verwaltungsgerichtsprozeß leuchtet es dagegen ein, daß dort das Gericht nicht die Verwaltungsentscheidung schlechthin durch ihre Kontrolle reproduziert: Der Verwaltungsrichter macht "etwas anderes" als der Verwaltungsbeamte - und zwar nicht nur deshalb, weil er Verwaltungsrichter ist, sondern weil er nicht selber folgenorientierte Zweckmäßigkeitserwägungen anstellt wie es die Verwaltung tut. Dies ist freilich im Verwaltungsrecht heute nicht immer anerkannt, was in der Diskussion um Prognoseentscheidungen im Bereich besonders der Gefahrenabwehr von immitierenden Großanlagen zum Tragen kommt. Dieser Diskussion soll und braucht hier nicht weiter nachgegangen zu werden. Im Ergebnis läßt sich schon heute vom Prozeßrecht her sagen, daß die Eröffnung des Rechtswegs gegen Akte der öffentlichen Gewalt gern. Art. 19 IV GG nicht zu einer bloßen Verdoppelung strukturell administrativer Entscheidungen durch den Einsatz von Richtern führen kann, versteht man Art. 19 IV GG als eine sinnvolle Vorschrift. Eine nähere Klärung des materiellen Verwaltungsrechts und der prozessualen Bedingungen seiner Erkenntnis und Feststellung wird hier Klarheit schaffen 8 • Hier soll daher weithin auf Verweise auf den Verwaltungsgerichtsprozeß verzichtet werden 9 • Weitere Probleme treten im Zusammenhang des Verfahrens vor dem BVerfG auf. Gerade das BVerfG scheint die Aufgabe zu haben, "folgenorientiert" zu entscheiden. Freilich ist weder die Stellung des BVerfG noch die prozessuale Struktur der vor ihm durchgefochtenen Verfahren in einem solchen Maße geklärt, daß heute bereits die Bedeutung einer Folgenorientierung von Verfahren vor dem BVerfG in einer befriedigenden Weise mit der Qualifikation der Struktur dieser Verfahren als politischer Entscheidungsverfahren oder als Prozeß verbunden werden könnten 10. Die nachfolgenden Überlegungen beschränken sich daher im wesentlichen auf die Überprüfung der Frage, wie sich in den ,,klassischen" Verfahren materieller Rechtsprechung - dem Zivilprozeß und dem Strafprozeß - die ,,Programmierung" der Entscheidungstätigkeit der Gerichte begreifen läßt. Ausschlaggebend für die Qualifikation gerichtlicher Verfahren als Rechtsprechung oder - administrativer - Rechtsfürsorge ist die Zeitstruktur der Entschei8 Die Dogmatik von Verwaltungsrecht und Verwaltungsprozeßrecht mitihrer starken Orientierung an den Klagarten, die dem Bürger zur Verfügung stehen, scheint sich noch in Problemzusammenhängen zu bewegen, die im Zivilprozeßrecht als "actionenrechtliches" Denken überwunden sind; darüber hinauszukommen, ist Aufgabe des Verwaltungsrechts. 9 Eine nähere Auseinandersetzung mit der materiellen Rechtsprechungsqualität des Verwaltungsgerichtsprozesse findet sich dagegen bei St. Smid, Rechtsprechung, § 4. 10 Vgl. nur die Hinweise unten.

I. Einleitung

16

dungen, die in diesen Verfahren getroffen werden 11. Verwaltungstätigkeit ist final strukturiert. Sie ist an der Erreichung von Zielen und an der Verfolgung von Zwecken ausgerichtet. Verwaltung beschäftigt sich daher mit künftigen, unabgeschlossenen Sachverhalten 12. Die Verwaltung muß also Entscheidungen fällen, durch die sie die weitere Entwicklung in einer Weise beeinflußt, die der Verwaltung nicht gleichgültig ist: Die Verwaltung kann ihre Aufgaben i.d.R. nur dann und dadurch effizient wahrnehmen, wenn sie auch nach ihrem ersten Tätigwerden noch eingreifen kann. Verwaltung muß also die Folgen ihrer Entscheidungen und Maßnahmen nicht allein "berücksichtigen" - also gleichsam als prognostische Tatbestandsmerkmale, von denen etwa im Zusammenhang des § 323 ZPO z.T. auch im Zivilprozeßrecht die Rede 13 ist, sondern muß auf die Folgen ihrer Entscheidungen reagieren können. Im Prozeß - in Verfahren materieller Rechtsprechung - hat es der Richter dagegen grundsätzlich mit abgeschlossenen Sachverhalten zu tun. Der streitentscheidende Richter hat an diesen Sachverhalten kein eigenes (amtliches) Interesse. Der interessierte Richter und sogar der, der allein als Zeuge in das streitige Geschehen verwickelt ist, sind vom Richteramt ausgeschlossen (§ 41 ZPO). Die Parteien sind am Urteil und seinen sozialen, wirtschaftlichen usf. Folgen interessiert; dem Gericht obliegt obliegt dagegen im Prozeß allein die Anwendung des Rechts. Derartige Behauptungen sind geeignet, in der heutigen Diskussion nachgerade Ärgernis zu erwecken. Wir werden noch sehen, daß auf diese Weise - zu einem großen Teil freilich nur scheinbar - eine Vielzahl von Verfahren aus dem Rechtsprechungsbegriff ausgeschlossen ist. Fundamentaler noch wird es seit bald einem viertel Jahrhundert heftig bestritten, daß Rechtsprechung" "nur" die Rechtserkenntnis durch den Richter sei. Eine beachtliche Anzahl von Autoren behauptet, der Richter orientiere sich in seinen Urteilen an deren Folgen (oder solle dies doch wenigstens tun). Mit diesen Behauptungen bzw. Forderungen müssen wir uns näher auseinandersetzen. Denn sie stellen die allgemeinen Prämissen in Frage, von denen aus wir von Rechtsprechung handeln.

11 12 13

Eingehend St. Smid, Rechtsprechung § 2. Zum administrativen Gesetzesvollzug unten VIII. H. Roth NJW 1988 S. 1233.

2. Schwierigkeiten der "Wertungsjurisprudenz"

17

2. Schwierigkeiten der "Wertungsjurisprudenz" 14 mit den Kriterien "Rechtserkenntnis" und "Streitentscheidung" Mit der Beschreibung materieller Rechtsprechung als uninteressierter, "zweckfreier" Rechtserkenntnis wird auf das Kriterium der Streitentscheidung als Konstitutivum von Rechtsprechung zuTÜckverwiesen. Nun sind es freilich nicht allein historisch begründete Schwierigkeiten aus der überkommenen Zuweisung durchaus heterogener Arbeits- und Aufgabenbereiche an die Gerichte, die dazu beitragen, daß "Streitentscheidung" als Kriterium für die QualifIkation einer staatlichen Funktion als Rechtsprechung die Zweifel erweckt, die auch seine Protagonisten veranlaßt, bei einem ,,historisch-tradierten" 15 Bestand von Rechtsprechung Zuflucht zu suchen; und zwar trotz der Attraktivität der "Einfachheit" dieser Beschreibung. Der Grund dieser Unklarheit liegt nicht zuletzt darin, daß es zur sinnvollen Abgrenzung von Staats funktionen gegeneinander einer prozessualen Unterscheidung ihrer Funktionen bedarf. Hier freilich setzen die Schwierigkeiten für die überkommene Dogmatik erst ein. So kann etwa H.Westermann l6 zwar von der Streitentscheidung als der "wertenden Ordnung" und der "ordnenden Wertung" durch den Richter sprechen, um Rechtsprechung zu beschreiben. Damit bewegt sich Westermann zwar im Rahmen des Sprachgebrauchs der heute herrschenden "Wertungsjurisprudenz" 17. Es liegen in dieser Art der Darstellung jedoch die unterschiedlichsten Bestimmungen beschlossen~'Streitentscheidung stellt sich auf diese Weise nämlich als ein Prozeß -dar. ~er sich aus der permanenten "Abwägung" von Gerechtigkeits- 18 und Zweckmäßigkeitsgesichtspunkten 19 zusammensetzt 20 , die dem Richter durch das Gesetz vorgegeben sein soll. Welche sachlichen Probleme allerdings diese Elemente der Abwägung im einzelnen 14 Besonders K. Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, S. 117 ff. hat die heute vorherrschende Art der Rechtswissenschaft als "Wertungsjurisprudenz" bezeichnet, deren grundlegende Gemeinsamkeit darin liegt, daß sie das Geschäft des Juristen als das Fällen rsp. das Nachvollziehen von "Werturteilen" in einem bestimmten Fall beschreibt (vgl. dazu auch W. Fikentscher, Methoden des Rechts, Bd.4 S. 390 ff. und F. Bydlinski, Juristische Methodenlehre und Rechtsbegriff, S. 123 ff. krit. H.-M. Pawlowski, Methodenlehre für Juristen Rdnm. 118 ff.). Damit sind Weichenstellungen für die Darstellung der Tätigkeit des Richters verbunden, denen ein Großteil der Schwierigkeiten bei der Auseinandersetzung mit der Differenzierung von ~~chtsprechung und Verwaltung geschuldet ist, auf die wir im bisherigen Gang unserer Uberlegungen gestoßen sind. 15 Vgl. allein W. Habscheid, Freiwillige Gerichtsbarkeit § 5 11 4. 16 Wesen und Grenzen der richterlichen Streitentscheidung im Zivilprozeß S. 12. 17 Zu den verschiedenen Strömungen innerhalb der "Wertungsjurisprudenz" vgl. statt vieler m.N. vgl. H.-M. Pawlowski, Methodenlehre für Juristen, Rdnm. 118 ff. 18 H. Westemrann (Fn. 16) S. 16. 19 Ders. (Fn. 16) S. 20. 20 Vgl. auch Darstellungen, die vom Standpunkt kalkülisierter Rechtslogik her wieder zu diesen Radbruchsehen Kategorien zurückkehren (E. Bund, Juristische Logik und Argumentation, 1983 S. 152).

2 Smid

I. Einleitung

18

ansprechen, in welchem Verhältnis 21 sie zueinander stehen und ob sie sich auf die prozessuale Ausgestaltung des jeweiligen Verfahrens auswirken, bleibt dabei dunkel. Schließlich scheint sich nur eine unausweisbare "Abwägung" zwischen beiden Momenten zu empfehlen. Und das bedeutet, daß sich ein sachlicher Unterschied von Rechtsprechung gegenüber dem Handeln der Exekutive nicht mehr ausmachen läßt. Sowohl die Rechtsprechung als auch die Verwaltung "entscheiden", betrachtet man sie vom Standpunkt der "Wertungsjurisprudenz" allein undifferenziert als Vorgänge der "Abwägung". Streitentscheidung kann dann nicht mehr als Abgrenzungskriterium von Rechtsprechung und Verwaltung dienen. Andererseits fällt der Versuch, prozessuale Schlußfolgerungen aus der hervorgehobenen Stellung der Rechtsprechung zu ziehen, mit dem Verschwinden angebbarer Differenzen von Judikative und Exekutive in ihrer Darstellung durch die Wertungsjurisprudenz in sich zusammen 22. So macht der methodische Ansatz etwa von Arbeiten wie der Dissertation E. Lefringhausen 23 deutlich, weiche Probleme sich aus der herrschenden "Wertungsjurisprudenz" ergeben. Lefringhausen rekurriert auf J. Stahls 24 Darstellung, für die Rechtspre-

chung sei "Gerechtigkeit" der Zweck ihres Handeins, während die Gerechtigkeit in der Verwaltungstätigkeit die Funktion einer Schranke übernähme. Für die Verfassungsordnung des Konstitutionalismus war diese Darstellung Stahls durchaus noch verständlich, heute dagegen bereitet sie Probleme. Rechtsprechung soll sich danach dadurch auszeichnen, daß sie Gerechtigkeit dadurch "verwirkliche", daß sie die im Gesetz festgelegten "Werte" realisiere 25 • Unversehens führt Lefringhausen damit seinen eigenen Ansatz ad absurdum. Denn zu keiner Zeit wurde behauptet, es sei von Verfassungs wegen eine "ungerechte" Verwaltung eingerichtet. Lefringhausen führt denn auch immer wieder aus, auch die Verwaltung sei an "Gerechtigkeit" orientiert 26 • Doch entgleitet ihm durch seinen Ansatz der Beschreibung der Tätigkeit der Rechtsprechung als "Wertung" die Möglichkeit, zu Strukturunterschieden von judikativen und administrativen Verfahren vorzudringen, die deren "materielle" Unterscheidung nach Leistungen ermöglichten. Dagegen haben die zur Vorüberlegung vorangestellten Skizzen die Vermutung nahe gelegt, daß sich hinter der "pauschalen" Beschreibung von Rechtsprechung als Streitentscheidung ein komplexes System von strukturellen Eigenheiten Funktionen - dieser besonderen Staatsgewalt verbirgt, das auch prozessual folgenreich sein kann. Mit anderen Worten ausgedrückt: Die Funktion des Prozes21 Wenngleich H. Westermann (Fn. 16) doch einräumt, es handle sich bei der Frage nach der Zweckmäßigkeit einer Entscheidung ,,nicht einmal um einen der wichtigsten (!) Bewertungsfaktoren", der dem Richter zur Verfügung stünde. 22 N. Achterberg führt diese Begriffslosigkeit eindrücklich mit einer Auflistung der ,,nur-begrifflichen" Definitionsversuche von Rechtsprechung durch die überkommene Dogmatik vor, Bonner Kommentar, GG, Art. 92 Rdnrn. 60 ff. 23

S. 10 ff.

Philosophie des Rechts Bd. 2 2. Abt. S. 608; E. Lefringhausen, Diss. S. 27 - 29. 25 Lefringhausen, Diss. S. 11 f. 26 S. 23. Für die Rechtsprechung soll eine "wesensmäßige" Bindung an Gerechtigkeit bestehen, für die Verwaltung hingegen nicht (S. 24). In dem Rückgriff auf "das Wesen" von Verfahren scheint freilich weniger eine Klärung als eine Kapitulation vor der Aufgabe der Bestimmung genauerer prozessualer Kategorien zu liegen. 24

2. Schwierigkeiten der ..Wertungsjurisprudenz"

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ses wird zum Problem. Die Rede von der richterlichen Wertung im Streit zwischen den Parteien deutet dabei allein an, welche Schwierigkeiten sich in diesem Zusammenhang ergeben. Stellt sich der Prozeß als das Verfahren zur Durchsetzung einer - vorgegebenen? - Gerechtigkeit dar? Ist der Prozeß ein Verfahren zur Ermittlung einer ,,materiellen" (objektiven) Wahrheit? Werden im Prozeß staatliche (öffentliche, "überindividuelle") Zwecke verfolgt? Oder müssen wir heute von einer "sozialen" Rechtsprechung ausgehen, deren Aufgabe durch den Zustand unserer Gesellschaft und deren "Verbesserung" bestimmt wird? Die Kriterien der Wertungsjurisprudenz verhalten sich zu all diesen Fragestellungen beliebig. Die Auflösung normativer (rechtlicher) Entscheidungskriterien in die "Wertung" des Richters birgt die Gefahr der Aufhebung von Rechtsprechung als gleichförmiger, Gleichbehandlung gewährleistender Entscheidung in sich 27 • Und dies auch dann, wenn die richterliche "Wertung" überhaupt noch auf das geltende Recht Bezug nimmt. Um Rechtsprechung darstellen zu können - und damit unserer Verfassung dadurch Genüge zu tun, daß sie im Hinblick auf den Prozeß ernst genommen wird - , gilt es daher, auf die Voraussetzung zuzugreifen, die von der Wertungsjurisprudenz unterstellt werden, ohne daß sie von ihr aufgearbeitet würden.

27 Aus der umfangreichen Literatur vgl. hier statt aller H.-M. Pawlowski, Methodenlehre für Juristen, Rdnr. 421. Pawlowski greift die Sprechweise von ..Wertungen" an, da sie auf die Subjektivität des Entscheidenden (seine Attitüden) verweist und dabei die normativen Voraussetzungen von Entscheidungen vernachlässigt; vgl. ferner J. Rödig, Theorie des gerichtlichen Erkennntnisverfahrens S. 151, der gegen das ..Werten" vorbringt, dieses lasse sich nicht in der Form ,,richterlichen Schließens" darstellen, wobei Rödig freilich anders als Pawlowski den richterlichen "Schluß" nicht als Produkt einer prozessualen Interaktion, sondern als eine formallogisch darstellbare Reaktion auflegislatorische Imperative begreift.

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11. Richterliche Streitentscheidung im pluralistischen Staat 1. Problemstellung

Die richterliche Streitentscheidung hat immanente Bedingungen, die aus dem Zusammenhang des Prozeßrechts und, in zunehmenden Maße, auch der verfassungsrechtlichen Absicherung der in ihm normierten Garantien liegen. Es steht aber auch in einem gleichsam äußeren Kontext, der sich nicht unmittelbar und allein auf das Prozeßrecht bezieht. Die Erkenntnis des Rechts im Prozeß steht stets unter den bestimmten Bedingungen der jeweiligen Rechtsordnung, in der die Parteien um ihr Recht streiten. Die Art, in der eine konkrete Rechtsordnung verfaßt ist, hat nachhaltigen Einfluß darauf, welche Argumente und welche Kriterien bei der Rechtserkenntnis erheblich sind oder von vornherein ausscheiden. Die Bundesrepublik Deutschland 1 ist ein pluralistisch verfaßter Staat 2 • Nach E.-WBöckenförde 3 Wort kennzeichnet es den modernen Staat, daß er seine eigenen (weltanschaulichen und religiösen) Grundlagen nicht selber kontrolliert und gewährleistet. Der moderne Staat ist weltanschaulich und religiös "neutral". Er trifft keine Aussagen darüber, was die Bürger von Rechts wegen glauben und für richtig halten sollen. Die pluralistische Verfassung erkennt die Glaubensund Gewissensfreiheit der Bürger an. Sie toleriert nicht nur "abirrende" Glaubensrichtungen. Vielmehr garantiert sie die Freiheit dazu, einen von den Überzeugungen der Mehrheit abweichenden Glauben zu haben und dazu, nach diesem abweichenden Glauben zu leben. Als eine der drei Staatsgewalten ist auch die Rechtsprechung in die "Vorgaben" eingebunden, die ihr durch die pluralistische Struktur der Verfassung der Bundesrepublik gesetzt wird. Die Konsequenzen, die sich daraus ergeben, sind freilich im einzelnen umstritten. Es wird nämlich im folgenden noch zu zeigen sein (III - VL), daß heute eine Anzahl von Rechtstheoretikern einem als "Sozialingenieur" auftretenden Richter das Wort reden. Der Richter soll nach diesen Konzeptionen ökonomische, soziale und politische Zwecke verfolgen - was im übrigen notwendig eine Ausrichtung des Richters an den Entscheidungsfolgen bedingt. 1 sowie die nordamerikanischen und die überwiegende Zahl der westeuropäischen Staaten. 2 P. Häberle, Die Verfassung des Pluralismus, 1980; H.-M. Pawlowski, in: Pawlowski / Smid / Specht, Die Philosophie Schellings und die gegenwärtige Rechtsphilosophie, 1989; St. Smid Der Staat Bd. 23 (1985) S. 3 ff. 3 Staat, Gesellschaft, Freiheit, 1976, S. 40.

2. Rechtsprechung als Ausspruch von Mehrheitsüberzeugungen?

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Daß die Verwaltung in dieser Weise handelt, ist unmittelbar einsichtig. Denn die Verwaltung hat konkrete Zwecke - die Errichtung von Straßen und Schulen, die öffentliche Sicherheit, die Krankenfürsorge usf. - zu verfolgen. Es würde indes bereits Anstoß erregen, wenn die Verwaltung sich dabei an (bestimmten) Glaubensüberzeugungen (z. B. einer Mehrheit) orientieren würde. So muß die Verwaltung etwa auch eine Art von Schulunterricht bereitstellen, an dem Mohammedaner teilnehmen können, ohne in ihrem Glauben verletzt zu werden (etwa durch die Einrichtung des Schulsports oder des Religionsunterrichts).

2. Rechtsprechung als Ausspruch von Mehrheitsüberzeugungen? Eine Rechtsprechung, die sich an herrschenden Glaubensüberzeugungen orientieren würde, wäre nachdrücklich anstößig und im pluralistischen Staat dysfunktional 4 • Denn die Rechtsprechung kann ihre Funktion, inter partes ungewisses Recht mit dem Anspruch auf Verbindlichkeit festzustellen, gerade auch im pluralistischen Staat nur dann erfüllen, wenn sie nicht auf Prämissen zurückgreift, die unter den Bürgern keine ungeteilte Zustimmung erfahren 5 • Vindiziert man aber der Rechtsprechung die Aufgabe, konkrete eigene Ziele auf der Basis von bestimmten Glaubensüberzeugungen zu verfolgen, so geht die aus der Technizität und Unparteilichkeit der Judikatur folgende Legitimität und Verbindlichkeit richterlicher Entscheidungen verloren. So bietet das Referat Petevs 6 auf der münsteraner Tagung "Rechtsprechungslehre" im Jahre 1984 einen guten Einblick in die Schwierigkeiten, die mit einer derartigen Konzeption vom "Zwecke" und ,,ziele" verfolgenden Richter im pluralistischen Staat verbunden sind. Er meint nämlich, daß unter den Bedingungen offener demokratischer Gesellschafter der Richter zu eigenen "Wertungen" aufgerufen sei. Damit meint er nun keine "Wertungen", wie sie der Richter anzustellen hat, um z. B. ein Urteil nach § 315 Abs.3 BGB feiBen zu können. Petev ist vielmehr daran interessiert, wie unter den Bedingungen eines pluralistischen Staates von einer Verbindlichkeit der Entscheidungen des Richters gesprochen werden könne, anders ausgedrückt, woher die Autorität? des Richterspruches abgeleitet werden könne. Da das Recht (und damit auch der Richterspruch) sich nicht selber die Voraussetzungen schafft, unter denen es als rational und 4 Vgl. auch St. Smid ZZP Bd. 102 (1989) S. 111 ff. (Besprechung des von Achterberg 1986 herausgegebenen Bandes ,,RechtsprechungslehreU). 5 St. Smid (Fn. 2). 6 Die spezifische Rationalität der richterlichen Entscheidungstätigkeit, in: Achterberg (Hrsg.), Rechtsprechungslehre, S. 565 ff. 7 Petev meint allerdings, richterliche Entscheidungen seien keine autoritativen Akte, weil andre Richter zu anderen Ergebnissen im Einzelfall kommen könnten (ebd. [Fn. 6] S. 574). Er reflektiert dabei aber nicht auf Fragen des Rechtsmittelrechts: Ohne einen Rechtsmittelzug wären willkürliche Entscheidungen wahrscheinlicher - auch wenn Rechtsmittel empirisch nicht ergriffen werden.

11. Richterliche Streitentscheidung im pluralistischen Staat

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damit als sinnvoll begriffen werden kann 8 , ist die Fragestellung Petevs nachvollziehbar. Denn Petev meint, Rechtsprechung "deute soziale Handlungen"; das ist auch plausibel. Rechtsprechung refonnuliert Probleme sozialen Handeins mit Instrumentarien des Rechts. Seine Konzeption vennag dagegen nicht zu überzeugen. Petev meint nämlich, der Richter müsse sich an der herrschenden Sozialmoral 9 - den Wertüberzeugungen und Weltbildern - der Mehrheit in einem pluralistischen Staat wie am Recht orientieren, damit seine Entscheidungen Autorität genießen. Damit werde der Richter zwar beinahe überlastet 10. Dennoch sei ein Anschluß an die etablierten sozialen Werte 11 erforderlich, da andernfalls das richterliche Urteil nicht akzeptiert werden könne. Diese Art der Darstellung ist freilich außerordentlich problematisch. Sie würde für die Rechtsprechung eines Glaubensstaates überzeugen, für die Beschreibung der richterlichen Tätigkeit im pluralistischen Staat der Glaubens- und Gewissensfreiheit überzeugt sie dagegen nicht. Zum einen ist es schon außerordentlich fragwürdig, woher die Rechtfertigung für die von Petev erhobene Forderung kommen könnte, der Richter solle sich in seinen Urteilen an Wertüberzeugungen der Mehrheit orientieren, die ja eventuell nicht seine eigenen sind. Und die Richtergesetze lassen eine Personalauswahl nach Glaubenskriterien nicht zu. Zum anderen wäre auch die Begründung von richterlichen Streitentscheidungen aus Wertüberzeugungen einer Mehrheit im pluralistischen Staat ausgeschlossen. Denn einmal wechseln in parlamentarischen Demokratien die Mehrheiten - und sollen auch wechseln. Zum anderen würde die Friedensfunktion von Recht und Rechtsprechung zwangsläufig aufgehoben, würde man den Richter in seiner Entscheidungstätigkeit darauf festlegen, den Überzeugungen der Mehrheit zu folgen. Das Recht (und seine Erkenntnis durch die Rechtsprechung) entfalten ihre friedensstiftende Wirkung im pluralistischen Staat gerade dadurch, daß sie von den verschiedenen Weltbildern der Rechtsgenossen abstrahieren. Würden Urteile auf eine Moral, eine Wertüberzeugung gestützt, so müßte sich dies als Akt der Herrschaftsausübung gegen die dissentierende Minderheit darstellen, die doch durch das Recht geschützt werden soll.

3. Legitimation technischer Rechtsprechung im pluralistischen Staat Freilich: Die Legitimität einer technisch funktionierenden Rechtsprechung wird heute nicht zuletzt in der Öffentlichkeit immer mehr in Frage gestellt. Das drängt die Frage danach auf, woraus Legitimitätsdefizite ausgeglichen werden können, wenn der unmittelbare Rückgriff der Rechtsprechung auf herrschende Wertüberzeugungen selbst eine delegitimierende Wirkung zeitigen muß. E.-W. Böckenförde (Fn. 3). H. Henkel, Rechtsphilosophie, 2. Aufl.1977, S. 71 ff. 10 Petev (Fn. 6) S. 570 ff. 11 Petev (Fn. 6) S. 575 f.

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3. Legitimation technischer Rechtsprechung im pluralistischen Staat

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Wenn der modeme (zumal der pluralistische) Staat seine eigenen Voraussetzungen nicht selber gewährleisten kann, hat es keinen Sinn, die Staatsgewalten, nicht zuletzt die Rechtsprechung, mit der Beschaffung von "Sinn" zu belasten. Ob die Bürger ihren Staat und seine Institutionen als sinnvolle Einrichtungen erleben, hängt davon ab, ob sie über "Weltbilder" verfügen, die ihnen einen intellektuellen Zugang zu den differenzierten technischen Leistungen moderner Institutionen vermitteln. Diese Voraussetzung zu schaffen ist die Aufgabe von Glaubensgemeinschaften - den Kirchen --, die den Glauben der Bürger "verwalten" und ausbilden. Allerdings läßt sich nicht übersehen, daß an deren Leistungsfähigkeit unter den Bedingungen des pluralistischen Staates gesteigerte Anforderungen gestellt werden 12.

Das Bild des Zwecke verfolgenden und sich an den Folgen seiner Entscheidung orientierenden Richters verliert mit der pluralistischen Staatsverfassung also nachdrücklich an Boden. Der "politische" Richter ist nämlich von Verfassungs wegen ausgeschlossen, der Mehrheitsüberzeugungen zum Durchbruch verhelfen will.

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Vgl. zum Ganzen St. Smid (Fn. 2) m. w.N.

111. Soziale Steuerung durch die Rechtsprechung? Bereits die bisherigen Überlegungen haben in Umrissen deutlich gemacht, wie sich Verfahren der Rechtsprechung LS.d. Art. 92, 19 IV GG als Rechtsschutzgewährung spezifisch durch Streitentscheidung von solchen der Verwaltung nach Struktur und Leistung unterscheiden lassen. Die damit angesprochene Differenzierungslinie wird durch die Frage angegeben, wie in dem jeweiligen Verfahren die Folgen der zu fällenden Entscheidung berücksichtigt werden. Gegenüber diesem Bild von Verwaltung, wie es soeben in groben Umrissen vorgestellt wurde, scheint sich eine Beschreibung funktionaler Rechtsprechung als "tatbestandsorientierte" - uninteressierte - Tätigkeit abzuheben, die sich allein als ,,reine Rechtsanwendung" (KA. Bettermann 1) darstellte. Andererseits hat sich bereits in unseren einleitenden Überlegungen 2 gezeigt, daß Richtern vielfach heterogene Aufgaben auferlegt sind, die sich nicht als streitentscheidende Urteile beschreiben lassen. In unterschiedlichen Zusammenhängen kommen Richter dabei mit folgen orientierten Entscheidungen in Berührung. Und dabei stellen sich nicht allein Probleme der "Kontrolldichte" richterlicher Entscheidungen gegenüber Verwaltungsentscheidungen 3 • Unmittelbare Relevanz gewinnt die Orientierung der Verwaltung an den Folgen (der Zweckmäßigkeit) ihrer Entscheidungen als Abgrenzungskriterium der Rechtsprechung in Verfahren, in denen der Richter selbst in einer strukturell vergleichbaren Weise tätig wird: Hier mag der Hinweis auf die Entscheidungen über das "Kindeswohl" in vormundschaftsgerichtlichen Verfahren oder "zukunftsorientierte" Entscheidungen wie die in Verfahren vorläufigen Rechtsschutzes zunächst genügen. Es ist daher nunmehr eingehender die Frage zu diskutieren, ob die Orientierung an Zweckmäßigkeitsgesichtspunkten die Zukunfts- oder Folgenbezogenheit von Entscheidungen zu Möglichkeiten führt, Verfahren der Rechtsprechung von solchen materieller Verwaltung zu unterscheiden.

1. Soziale Folgen als Entscheidungskriterien? a) Rechtsprechung und Gesellschaft Ein derartiger Differenzierungsansatz hat sich freilich mit "modemen" Theorien auseinanderzusetzen, die den Anspruch erheben, eine Funktionsanalyse von Rechtsprechung aus dem Verhältnis heraus geben zu können, den die Rechtsprechung zur Gesellschaft einnimmt. Eine Forderung der sechziger Jahre 4 lautete, Iellinek-GS S. 361 f., 365; Fr. v. d. Heydte, ebda. S. 493 ff., 507. Eingehend unten. I, 11 sowie St. Smid, Rechtsprechung § 1. 3 Vgl. hier vorerst W. Hoppe BVerwG-F S. 295 ff., 300 ff.; F. Ossenbühl, BVerfGF. S. 459 ff. Näher unten zum richterlichen Ermessen und Verwaltungsermessen. 1

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1. Soziale Folgen als Entscheidungskriterien?

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hinter die "Bewegungsgesetze" der Gesellschaft dadurch zu kommen, daß ihre Funktionsträger und Organisationen auf ihre "ideologischen" Funktionen hin untersucht wurden. Zum einen wurden damit Überlegungen erneut aufgegriffen, die in den zwanziger Jahren ideologiekritisch gegen einen "Klassencharakter" der als interessiert-bürgerlich denunzierten Justiz argumentierten 5 • Zum anderen mehrten sich aber auch Ansätze sozialwissenschaftlicher Analysen nicht allein der Schichtzugehörigkeit der Richter, sondern auch ihrer spezifischen Arbeitsweisen. Derartige Ansätze scheinen gegenüber den "ontologischen" Darstellungsversuchen der heutigen Wertungsjurisprudenz den Vorzug für sich reklamieren zu können, daß sie funktionale Merkmale von Rechtsprechung aus deren sozialer Stellung ableiten können. Und ein derartiges Vorgehen verspricht zunächst den Gewinn auch einer sozialgeschichtlichen Dimension der Aspekte von Rechtsprechung. Die Unsicherheiten, die durch die überkommene "Wertungsjurisprudenz"6 hervorgerufen werden, scheinen so durch den Nachweis objektivierbarer 7 Kriterien für den Rechtsprechungscharakter von Verfahren aufgehoben zu werden. Die Beleuchtung der sozialen Funktion von Rechtsprechung vermag nach der Auffassung der Protagonisten einer solchen Analyse sozialer Folgen von Rechtsprechung die Subjektivität auszuschalten 8, die der Analyse anhaftet, wenn das Gewicht auf die Betonung eines volitiven 9 oder finalen Charakters der richterlichen Entscheidung gelegt wird. Insbesondere für die Gesetzgebungsarbeit 10 werden sich derartige Ansätze oftmals empfehlen. Insofern soll auch nicht bestritten werden, daß es sinnvoll ist, empirische Daten aus den unterschiedlichsten Zusammenhängen in Gesetzgebungsverfahren einzubringen. Hier geht es aber um die dogmatischen Folgen der Funktion von Rechtsprechung. Und bei deren Entwicklung sich an Ansätzen einer sozialen Funktionenanalyse von Rechtsprechung wegen deren partieller und deshalb stets nur scheinbarer Vorzüge von vornherein zu verschreiben wäre ein Hemmnis der weiteren Untersuchung. Es geht nicht 4 Und zwar getragen von dem "emanzipatorischen" Interesse, sich gegenüber "Systemzwängen" zu behaupten (V gl. J. Habermas, Legitimationsprobleme des Spätkapitalismus, 1973). Im Gefolge des Rechtspositivismus H. Kelsens machte Rechtssoziologie Karriere. Diese versucht zu sagen, was ,,hinter" Entscheidungen steht. 5 Vgl. K. Marx, Über das Holzdiebstahlsgesetz, Marx-Engels-Werke Bd. 1 S. 109, 145. 6 Vgl. oben I. 7 Nämlich durch Attitüdenmessungen, statistische Erfassung von Herkunft und Karrieren u.dgl.m. 8 So bereits O. Bülow, Gesetz und Richteramt, 1885, insbes. S. 16 ff.; W. Sauer, Juristische Elementarlehre, 1944 S. 17; ders., Allgemeine Prozeßrechtslehre, § 2 I S. 8 ff versucht, eine soziologische Orientierung der Beschreibung von Rechtsprechung einer ,,formalen" Darstellung des Richters als einem "Subsumtionsautomaten" entgegenzustellen. 9 Vgl. J. Esser, Vorverständnis und Methodenwahl, bes. S. 128 ff. und im folgenden. Wegen weiterer N. vgl. BK-Achterberg, GG, Art. 92 Rdnrn. 211, 128, 129. 10 Vgl. hier allein m. w.N. G. Baumgärtel ZZP Bd. 86 (1973) S. 169 ff. (,,Rechtstatsachenforschung und Justizreform") sowie P.Gilles, in: ders. (Hrsg.), Effektivität des Rechtsschutzes und verfassungsmäßige Ordnung S. 105 ff.

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III. Soziale Steuerung durch die Rechtsprechung?

darum, der von ihnen selbst reklamierten Modernität rechtssoziologischer Theorieansätze zu entsprechen, sondern um eine vorbehaltlose dogmatische Aufarbeitung. Wenn das Verhältnis von Rechtsprechung und Gesellschaft zur Grundlage der Untersuchung der Strukturrnerkmale von Rechtsprechung gemacht wird, so ist verständlich, daß sich ein derartiger Ansatz nicht damit zufrieden geben kann, Rechtsprechung allein als Streitentscheidung zu beschreiben. Es wird vielmehr erforderlich, den Bereich prozeßrechtlicher Kategorien zu verlassen, um den gesamten sozialen Kontext erfassen zu können, in dem sich Rechtsprechung bewegtlI. Und mit der Betrachtung des Verhältnisses von Rechtsprechung und Gesellschaft gewinnt die Frage an Interesse, welches die Folgen der rechtsprechenden Tätigkeit in der Gesellschaft sind, welche sozialen Wirkungen richterliche Entscheidungen zeitigen. So setzt denn ein Großteil moderner Erklärungsversuche dabei an, der Rechtsprechung zu empfehlen, sich an den Folgen ihrer Entscheidung zu orientieren 12. Die "Folgenorientierung" soll nach diesen Vorstellungen dem Richter helfen, seine "Entscheidungsnot" zu lindern. Was heißt das? Anders als bei einer Orientierung der Rechtsprechung an ,,Recht und Gesetz" stehen ja die Folgen von Entscheidungen als Entscheidungskriterien niemals unproblematisch zur Verfügung. WeIche Folgen aus einer Entscheidung - wer immer sie auch fällen mag - erwachsen können, ist prinzipiell ungewiß. Wird also einem sozialen Entscheidungssystem zugemutet, sich an den Folgen seiner Tätigkeit zu orientieren, liegt darin ein Verweis auf anzustellende Zweckmäßigkeitserwägungen über diese möglicherweise eintretenden und zu erwartenden Folgen. b) Verfolgung sozialpolitischer Zwecke durch die Rechtsprechung? Die Voraussetzungen eines derartigen Ansatzes liegen in einem Konzept von Recht als einer hoheitlichen Anordnung des Gesetzgebers, die - im Wege der Auslegung - durch den Richter konkretisiert, auf den Einzelfall angewandt wird 13. Danach soll der Gesetzgeber mit dem Gesetz bestimmte (soziale, ökonomische usf.) Zwecke verfolgen, denen der Richter in seiner Tätigkeit (sei sie nun streitentscheidend oder nicht wie im Rahmen nichtstreitiger Verfahren der II E. Kisch, Iudicium Bd. 1 (1928/29) S. 1 ff., 19 ff. hielt demgegenüber noch an einer Konstruktion des Zivilprozesses als eines Kampfverfahrens gegen Versuche seiner Uminterpretation in ein soziales Ausgleichsverfahren fest (S. 26) und betont demgegenüber die friedensstiftende Funktion des Vergleichs. Dagegen Volkmar ZAkDR 1937 S. 634 ff. 12 Bernhard, Rosenberg-F. 1949 S. 9 ff., 33 ff. will aus einer sozialen Ausgleichsfunktion des Zivilprozesses Folgerungen für den Vorrang von Wahrheitsermittlung gegenüber der Verhandlungsmaxime ableiten (hierzu näher unten; vgl. krit. J. Costede ZZP Bd. 82 (1969) S. 438 ff., 450); M. Rottleuthner ARSP-Beih. 14 S. 87 ff. sowie ders. ARSPBeih. 13 S. 97 ff.; G. Teubner Rechtstheorie Bd.6 S. 179 ff.; Th. Wälde, Juristische Folgenorientierung, 1979 S.79 m.N. der amerikanischen Diskussion; B. Schlink, JbRSozRth. 1972 S. 342 m. w. N.; vgl. krit. K.H. Dinslage, Die Unabhängigkeit des Richters, ein Cappenberger Gespräch, S. 27 ff. 13 Umfassend H.-M. Pawlowski, Methodenlehre für Juristen Rdnrn. 415 ff. m. w.N.

I. Soziale Folgen als Entscheidungskriterien?

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freiwilligen Gerichtsbarkeit) verpflichtet sei. Und diese, als Verpflichtung zur Erfüllung bestimmter vom Gesetzgeber vorgegebener Zwecke interpretierte Bindung des Richters an das Gesetz soll dazu führen, daß die richterliche Entscheidung immer bezogen werden kann auf die von ihr erreichten Folgen. Die richterliche Tätigkeit kann von diesem Konzept aus in einer strukturell vergleichbaren Weise dargestellt werden wie dies oben (I.) im Hinblick auf die Arbeitsweise der Verwaltung 14 skizziert wurde. Zur Begründung seiner Entscheidung hätte dann der Richter nicht anders als jeder andere Beamte unter Berücksichtigung von Effizienzgesichtspunkten Überlegungen über die sozialen Auswirkungen seines Handeins anzustellen, die an den Folgen seiner Entscheidungen orientiert sind, und auf deren Basis seine Entscheidung zu treffen 15. Dies scheint sogar einen nachdrücklichen Vorteil zu haben: Ob die gesetzgeberischen Zwecke von der Rechtsprechung erreicht werden, kann dann im Wege einer ,,Rückkoppelung" durch Folgenkontrolle erfaßt werden. Über die "Messung" der sozialen Auswirkungen scheint dann die Effizienz der Rechtsprechung feststellbar zu sein. So wurden im Rahmen der Reform des Konkursrechts Regelungen vorgeschlagen, nach denen der Richter das jeweilige insolvente Unternehmen sanieren soll 16. D.h.: Dem Richter sollte die Aufgabe überantwortet werden, mittels wirtschaftlich-planerischer Entscheidungen das jeweilige Unternehmen auf dem Markt weiterzuführen, dessen Erwerbs- rsp. Verwertungschancen abzuschätzen usf. Es ist nicht zu leugnen, daß es erstrebenswert wäre, wenn dadurch ein Insolvenzverfahren hätte eingerichtet werden können, in dem wirtschaftliche Werte nicht zerschlagen würden, sondern schnell und effizient durch den Ausschluß von Gesellschaftern zweifelhafter Kreditwürdigkeit sanierungswürdigere und vor allem: -fähigere Gemeinschuldner gebildet werden könnten, für deren Reorganisation dann die erforderlichen finanziellen Mittel leichter beschafft werden könnten. Freilich bleibt dabei weithin undiskutiert, daß die Rechtsprechung - wie noch näher unten bei der Darstellung der prozessualen Konsequenzen aus der Beschreibung der Rechtsprechung als Streitentscheidung durch Rechtsanwendung zu zeigen sein wird - nicht über ein organisatorisches Instrumentarium verfügt, derartige (wirtschaftliche) folgenorientierte Entscheidungen 17 überhaupt sinnvoll fällen zu können - und zwar auch ganz abgesehen davon, daß der Ausbildungsstand der Richter derartige Entscheidungen wenigsten auf absehbare Zeit kaum wird zulassen können 18. Gegenüber dem eher vorsichtigen Versuch der Wertungsjurisprudenz, die Folgen richterlicher Tätigkeit dadurch in den Blick zu fassen, daß sie eine nicht Vgl. St. Smid, Rechtsprechung § 2 I, 11. ZU dieser Frage im Kontext des Strafprozesses unten IX. 16 Zu den prozessualen Ausgestaltungen näher St. Smid, Rechtsprechung Teil 2. 17 Näher im folgenden. Zu den organisatorischen Bedingungen prognostischer Tätigkeit der Verwaltung vgl. die Übersicht bei W. Michalski I A. Gerberding in: U. Becker / W. Thieme, Hrsg., Hdbch. HA.3. Die prozeßrechtliche Diskussion verläuft demgegenüber häufig in einem schlechten Sinne in "idealistischen" Bahnen: Es wird nicht selten über Absichten und Zwecke gesprochen, die mit Verfahren verbunden sein sollen, ohne daß auf die technischen Voraussetzungen ihrer Verwirklichung reflektiert wird. 18 Zum Diskussionsbericht über einen Entwurf einer InsolvenzO durch das BMJ St. Smid, Protokolldienst der Ev.Akad. Bad Boll 3/89. S. 79 ff. 14

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III. Soziale Steuerung durch die Rechtsprechung?

näher bestimmte Zweckmäßigkeit (und d.h.: deren Geeignetheit im Hinblick auf die Erreichung bestimmter Folgen!) der Entscheidungen der Rechtsprechung als einen "Wertungsgesichtspunkt" unter vielen zuließ 19, deren Beschaffenheit dabei so ungeklärt blieb wie ihr Verhältnis zueinander dabei, erscheinen die modernen Ansätze zu einer Folgenorientierung der Rechtsprechung als Schritt hin zur Ausrichtung der Rechtsprechungstätigkeit an ihrer "Sachgerechtigkeit" - und zwar LS.v. Zweckmäßigkeit. Damit soll die Realität, mit der es Rechtsprechung zu tun hat, besser in den Griff genommen werden können als mit Richtigkeitskriterien. Ob eine Entscheidung richtig sei, ob überhaupt zwischen richtigen und falschen Entscheidungen noch unterschieden werden könne oder ob sich Entscheidungen insgesamt vor dem Hintergrund ihrer unterschiedlichen gesellschaftlichen Folgen als "vertretbar" darstellen, ist der modernen Theorie zweifelhaft geworden, wenn es nicht überhaupt abgelehnt wird, von ,,richtigem" Recht (K. Larenz) zu sprechen 20 • Daß wir an richtigen (oder "wahren") Entscheidungen interessiert sind, hat H.-M. Pawlowski 21 durch einen Vergleich der Modalitäten der Auswahl von Schöffen einerseits und der Findung des (richtigen) Urteils andererseits deutlich gemacht. Bei der Auswahl der Schöffen wird auf das Los als unparteilichem Entscheidungsinstrument schlechthin zurückgegriffen, was im Zusammenhang der Erkenntnis des Rechts als willkürlich angesehen würde, weil das ,,ziel" der Rechtserkenntnis das richtige Urteil ist. Umgekehrt ist aber die Richtigkeit oder Wahrheit von Urteilen keine naturwissenschaftliche Größe. Es geht im Urteil nicht um die Feststellung einer "an sich"-seienden Rechtslage, aber auch nicht um die Ermittlung von Wahrscheinlichkeiten, die Folgenerwägungen zu unterlegen wären. Folgenerwägungen sind in dieser Hinsicht ebenso zuflillig wie das Los! Sie mögen zwar methodisch richtig oder unrichtig sein (und sind insofern verwaltungsgerichtlich überpTÜfbar). Es geht in ihnen aber um die Opportunität oder Inopportunität von Handlungen. Wenn aber dogmatische Unterscheidungen, die eine Beurteilung von Entscheidungen als richtig oder falsch erlauben, nicht mehr akzeptiert werden, muß sich dies auf die Beschreibung der richterlichen Urteilstätigkeit niederschlagen. Dann kann das Recht nämlich nicht mehr zweifelsfrei den verbindlichen Maßstab der Richtigkeit von Urteilen ausmachen. Und es scheint sich anzubieten, in einer solchen Lage den "Wert" einer Entscheidung von ihrem Ergebnis her zu bestimmen. Es geht dann allein noch darum, ob eine Entscheidung, gemessen an ihren sozialen Folgen, "als befriedigend oder unbefriedigend, als sachgerecht oder nicht sachgerecht. .. kritisiert werden" 22 kann.

19 Vgl. E. Lejringhausen, Diss.S. 11; H. Westermann (Wesen und Grenzen richterlicher Streitentscheidungen im Zivilprozeß, passim). . 20 So Säcker, Grundprobleme der kollektiven Koalitionsfreiheit, 1969 S. 113; ders., MünchKomm zum BGB, Einleitung Rdnrn. 62, 63. 21 Die Autorität des Richterspruches, Preprint der Forschungsstelle gesellschaftliche Entwicklungen (FGE) in Mannheim, 1988/1989. 22 Säcker, MünchKomm ebda. (Fn. 20).

2. Funktionswandel des Zivilprozesses?

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Dies ist nur konsequent, wenn die Rechtsprechung als Vollzugsorgan von gesetzgeberischen Befehlen konzipiert wird. Denn die Richtigkeit von Entscheidungen einer derart begriffenen Organisation steht nicht in Frage oder tritt doch nur als Kompetenzproblem in den Blick: Richtigkeit betrifft dann nur die Zuständigkeit der gesetzgebenden Organe.

2. Funktionswandel des Zivilprozesses? a) Abkehr vom "liberalen" Prozeß Dabei glauben die Vertreter derartiger Auffassungen 23 sich auf historische Gründe für ihre Darstellung der Rechtsprechung berufen zu können: Es soll sich nämlich ein "Funktionswandel" der Rechtsprechung vollzogen haben 24. Während der "liberale" 25 Prozeß als Entscheidung des Streits von Parteien durch den Richter von der neutralen Warte eines "Kampfrichters"26 über die autonome Auseinandersetzung der Parteien angesehen und konstruiert worden sei, die, unter ideologischer Verkennung ihrer Ungleichheit - als "waffengleich"27 gesetzt worden seien, hätte sich diese Situation heute geändert. Dieser Befund kulminiert dann in der Behauptung, der Richter könne nicht länger unbeteiligter Dritter gegenüber dem Streit sozial ungleicher Parteien sein, die nicht weiter als gleichberechtige Rechtsträger angesehen werden könnten. Die Forderung nach einer ..unabhängigen, von persönlichen Wertungen freien, vorurteilslosen" Rechtsprechung (so das BVerfG28) kann von diesen Positionen her als eine ideologische Täuschung kritisiert werden: Den "vorurteilslosen" Richter gibt es in einer von sozialen Konflikten durchzogenen Gesellschaft nicht und es könne ihn nicht geben, so lautet die Argumentation 29. Weshalb eine solche Art der Darstellung nicht allein 23 A. Podlech, Gehalt und Folgen des allgemeinen verfassungsrechtlichen Gleichheitssatzes, 1971 S. 107 f.; ders. AöR Bd.95 (1970) S.201; Winter, Rechtstheorie Bd.2 (1971) S. 178 f.; Rottleuthner, Rechtswissenschaft als Sozialwissenschaft, 1973; K. Adomeit ZRP 1970 S. 179; Schwerdtner, Rechtstheorie Bd.2 (1971) S. 87; W. Dütz ZZP Bd.87 (1974) S. 361 ff.; G. Teubner Rechtstheorie Bd.6 (1975) S. 179 ff.; J. Hagen JbRsozRth 1976 S. 138 ff.; Th. Sambuc, Folgenerwägungen im Richterrecht, 1977, S. 16 ff., der von einem "Stilwandel" der Rechtsprechung spricht; Hoffmann / Riem, in: Fr. Kübler (Hrsg.) Medienwirkung und Medienverantwortung, 1975 S. 24; Lüscher, ebd. S. 87; alle m. w.N. 24 So R. Bender ZRP 1974 S. 238 ff. 25 Vgl. U. SpeIlenberg, Vom liberalen zum sozialen Privatrecht? in: M. Rehbinder, Recht im sozialen Rechtsstaat, Kritik Bd. 5, 1973 S. 23 ff., 48 ff.; K. Göbel, Prozeßzweck der AGB-Klage und herkömmlicher Zivilprozeß, 1980 S. 4 ff., 55 ff. M. Schatz-Bergfeld, Verbraucherinteressen im politischen Prozeß, 1984, beschreibt in ihrer frankfurter Diss. den Verbandsprozeß nach § 13 AGBG gar ausdrücklich als politisches Verfahren. 26 Hahn Mot.zur CPO, Bd. I S. 115; Planck, Lb. Bd. I S. 197. 27 Diese Kritik nimmt freilich keinen Einfluß auf das Prozeßrecht: Daß dort der Grundsatz der Waffengleichheit Geltung beanspruchen kann, ist unbestritten, vgl. E. Bötticher, Gleichbehandlung und Waffengleichheit, 1979. 28 BVerfG (Vorpriifungsausschuß) B. v. 30. 8. 1983 (Politische Meinungsäußerung durch Richter). 29 So jüngst wieder - m. w.N. - als Stimme aus der Richterschaft ehr.Strecker ZRP 1984 S. 122, 126, der freilich ausführt, vom Richter sei das ,,redliche Bemühen

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III. Soziale Steuerung durch die Rechtsprechung?

rechtlich bedenklich, sondern unerhört ist, wird kaum thematisiert: Denn es wird nicht mehr und nicht weniger als der unverantwortliche, willkürlich entscheidende Richter gefordert, der sich allenfalls vor einer der Parteien sozialer Konflikte (einer sozialen Klasse) verantwortet 30• H.-M. Pawlowski betont, daß der sozialplanerisch entscheidende Richter im pluralistischen Staat wenigstens dann unzumutbar ist, wenn er mit dem Status unverantwortlicher Unabhängigkeit ausgestattet ist. Häufig behilft sich die überkommene Dogmatik daher mit einem Rückgriff auf eine Verantwortlichkeit des Richters ..vor seinem Gewissen"31. Nun mag eine derartige Verantwortung vor dem eigenen Gewissen für die Ethik eine Bedeutung haben - der hier freilich nicht nachgegangen werden kann. Da es im Kontext des Rechts jedoch um die Organisation von äußeren Pflichtund Verantwortlichkeitsbeziehungen geht, hilft ein Rückgriff auf das Gewissen als die innere Instanz nicht weiter. Das Gewissen ist nämlich der Ort, an dem sich das Subjekt vor sich rechtfertigt, und nicht dazu gezwungen ist, institutionell vor anderen Rechenschaft abzulegen 32. Bereits C. Schmitt 33 hat in diesem Zusammenhang darauf hingewiesen, daß richterliche Unabhängigkeit notwendig auf der Bindung des Richters an ein allgemeines Gesetz beruhen muß, das selbst also weder ..Maßnahmegesetz" noch Aufforderung an den Richter zum social engineering sein kann. C. Schmitt hat dies eindrücklich damit ausgedrückt, der Richter sei dem Gesetz, nicht aber dem Gesetzgeber unterworfen 34. Der Richter ist daher nach Ansicht der Vertreter dieser Auffassungen aufgrund des sozialen Wandels als umfassend planender, soziale Verhältnisse gestaltender "Sozialingenieur" 35 zu begreifen, dessen Aufgabe es ist, soziale Konflikte "angemessen" - zweckmäßig - zu lösen (oder mit anderen Worten: zu therapieren)36. Insbesondere das Wirtschaftsrecht wird - häufig von Theorieansätzen aus, die dieses Recht kritisch als Produkt des "Spätkapitalismus" verstehen - als Steuerungsinstrument des Staates begriffen 3? um Unabhängigkeit und Ehrlichkeit gegenüber sich selbst" zu verlangen. Stehen schon keine prozessualen Kriterien zur Verfügung, so verlegt man sich eben wie Strecker (der hier damit für viele steht) auf ethische Postulate - die freilich mit dem Recht nichts mehr zu tun haben und deren Folgenlosigkeit oben bereits eingehend dargestellt wurde. Auf der Basis dieser hochstehenden Ethik eines irrelvanten guten Willens läßt sich dann ungehindert Politik treiben (oder, um den signifikanteren Ausdruck zu gebrauchen: räsonnieren). Kraft seiner Ethik wird der unverantwortliche Richter als Sozialingenieur gegenüber allen Anforderungen des Prozesses immunisiert. 30 H.-M. Pawlowski, Methodenlehre für Juristen, bes. Rdnr. 422. 31 Vgl. K. Peters, Das Gewissen des Richters und das Gesetz, in: Gegenwartsprobleme des Rechts, Bd. I, 1950 S. 23 ff. 32 s.a. J. Rödig, Theorie des gerichtlichen Erkenntnisverfahrens S. 303 f. und hierzu St. Smid. Rechtsprechung § 1. Vgl. freilich auch die Konzeption des Verhältnisses von Gewissen und Recht bei R. Eckertz, Die Kriegsdienstverweigerung aus Gewissensgründen, S. 108 ff. 33 Unabhängigkeit der Richter. Gleichheit vor dem Gesetz und Gewährleistung des Privateigentums nach der WRV, 1926, S. 9-10. 34 Ebd. S. 10. 35 Grundlegend R . Pound, The Administrative Application of Legal Standards, 1919, p. 445 ff. 36 Vgl. J. Hagen ZZP Bd. 84 (1971) S. 385 ff.. 390 ff. 3? Näher bei J. Habermas, Legitimationsprobleme des Spätkapitalismus, passim.

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Der Prozeß wird häufig als Instrument der Konfliktregelung betrachtet 38 • Dies ist er zweifellos. Es gerät jedoch dabei aus dem Blick, welche Art von Konflikt und kraft welcher Instrumentarien der Richter ,,regelt". Damit liegt es dann nicht mehr fern, den Richter als einen "planerisch" am Prozeß "Beteiligten" zu konzipieren. D. Brüggemann 39 führt diese Entwicklung auf die Ausdifferenzierung des materiellen vom Prozeßrecht zurück. Lag im Actionenprozeß4O eine Beurteilung des Prozesses als Positionalkampf der Parteien und der richterlichen Rolle als dessen Beobachtung nahe 41 , tritt mit der Ausbildung eines vom Prozeß wenigstens äußerlich eigenständigen materiellen Rechts die gegenüber den Parteien tendenziell verselbstständigte Rechtserkenntnis des Richters hervor 42.

Insbesondere das Wirtschaftsrecht 43 erscheint so als der markanteste Einfallspunkt "öffentlicher Interessen"44 (und damit "neuer", für Streitverfahren atypischer rechtlicher Elemente) in den Prozeß, die der Richter zu verfolgen hätte 45. Die Struktur der Rechtsprechung erfährt dadurch einen nachdrücklichen Wandel: An die Stelle der Rechtsanwendung durch den unbeteiligten Richter tritt damit die interessierte Zweckverfolgung, die nicht zuletzt mit dem Appell zur Bildung eines (richtigen) politischen Bewußtseins verbunden wird 46 • Die Ausarbeitung von Rechtsgebieten wie dem Arbeits- und Wirtschaftsrecht 47 mit ihren sozialrechtlichen 48 Normierungen neben den privatautonomen Regelungen des 38 Vgl. allein E. Blankenburg JbfRsozRth Bd. 4 (1976) S. 84 ff.; dagegen die Kritik E. Wolfs, in: Bruns-GS S. 221 ff., 226. 39 Iudex statutor und iudex investigator, S. 47 ff. Vgl. ferner D. Leipold JZ 1982 S. 441 ff. mit einer eingehenden Darstellung der Entwicklung unterschiedlichster ideologischer Einflüsse auf den Zivilprozeß. 40 Brüggemann ebd. S. 334. 41 ders. ebd. S.41. 42 Unter dem Titel der Auflösung "fester" rechtlicher Begrifflichkeit in "Generalk1ausein", die den Richter zu "Wertungen" aufzufordern scheinen vgl. D. Brüggemann ebd. S. 50 ff. 43 Näher im folgenden. Es soll also vermittels der Rechtsprechung ein Instrument der staatlichen Wirtschaftlenkung in Gang gesetzt werden; der Sache nach gehören derartige Maßnahmen in den Bereich funktionaler Verwaltung (vgl. allein R. lsay, in: SchmidtRimpler-F. 1957 S. 403, 406; O. Mühl, in: Bärmann-F. S. 689 ff. - Mühl sieht in der Vorgabe wirtschaftsverwaltungsrechtlicher Ziele an die Rechtsprechung scheinbar ein Indiz für die Verbindung von materiellem und Prozeßrecht, wobei er sich auf W. Henckels Untersuchungen (Prozeßrecht und materielles Recht) beruft, S. 689 ff., 691. Dies ist freilich wenigstens mißverständlich. Gemeint sein kann allenfalls ein materiell-administratives Handeln der Gerichte, nicht aber die Einheit von materiellem und Rechtserkenntnisrecht). Zu den strukturellen Schwierigkeiten einer Implementation von Aufgaben der Wirtschaftsverwaltung i.w.S. in den Zivilprozeß vgl. jüngst D. Leipold, in P.Gilles (Hrsg.), Effektivität des Rechtsschutzes und verfassungsmäßige Ordnung S. 57 ff. 44 K. Thiere, Die Wahrung überindividueller Interessen im Zivilprozeß, 1980 S. 28 ff.; Groenendijk, ZfRSoz 1982 S. 240 ff. und bereits EJ. Cohn, Zur Ideologie des Zivilprozesses, M.GTÜnhut-Errinnerungsgabe, 1964 S. 131, 132.; A.Berges KTS Bd. 75 S. 209 ff., 226 ff. spricht von einer ,,Agonie" des Zivilprozesses. 45 Vgl. die vehemente Kritik Chr. Berglars ZRP 1984 S. 4 ff. an der Tendenz hin zu einem ,,Advokaten in Richterrobe" . 46 R. Bassermann, Der politische Richter, 1972 S. 17 ff. 47 R. lsay (Fn. 43).

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allgemeinen Zivilrechts wird für den Zivilprozeß unmittelbar bedeutsam nicht allein in kostenrechtlichen Regelungen 49, sondern in einer Stärkung der Position des Richters. An diesen wird die Aufforderung gerichtet, im Prozeß die Parteien zu "betreuen", zum anderen aber auch unmittelbar eigene materiell-rechtliche "Wertungen" vorzunehmen 50. Der Zivilprozeß - der hier nicht allein als pars pro toto aufgeführt werden soll, sondern nach den einleitenden Überlegungen als richtungsweisendes Streitverfahren (als der Prozeß schlechthin) anzusehen ist - erlangt so seine Funktion immer erst als ein Verfahren, in dem Zwecke der öffentlichen Wohlfahrt, des sozialen Ausgleichs, der Förderung des Mittelstandes, der Aufrechterhaltung des Wettbewerbs 51 usf.berücksichtigt werden. Allgemein gesprochen wird der Zivilprozeß der Parteien zu einem Verfahren sozialen Ausgleichs - zum "sozialen Zivilprozeß"52 - umstrukturiert.

b) Prozeßrecht und Zweifel an der Privatautonomie Dieser Urnstrukturierung des Prozeßrechts liegen verfassungsrechtliche Unklarheiten über die Folgen aus dem Verhältnis zwischen Sozial- und Rechtsstaat zugrunde 53. Und es ist nicht zu übersehen, daß derartige wie die hier referierten Auffassungen mit einer zunehmenden Verunsicherung über Stellung und Funktion der Privatautonomie korrespondieren 54. Es wird nämlich zusehends danach gefragt, ob mit der ("nur") rechtlichen Statuierung der Privatautonomie auch die faktische Möglichkeit der "Entfaltung" der Träger der Privatautonomie in ,,realen Handlungsspielräumen" einhergeht. Und es wird dabei versucht, Widersprüche zwischen dem Anspruch der Rechtsordnung und ihrer "Wirklichkeit" zu entdecken 55. Bedeutung erlangt dies heute u.a. in der Rechtskraftdurchbrechung im Bereich von Titeln über sittenwidrige Ratenkreditverträge, wie J. Braun in seiner Untersuchung gleichen Titels 56 gezeigt hat. In diesem Zusammenhang ist auch behauptet worden, die §§ 138, 826 BOB sollten Schutz "gegen die fortlaufende unzulässige Ausübung wirt-

H.-M. Pawlowski, Allgemeiner Teil des BOB Rdnr. 17 ff. Vgl. nur Stein / Jonas-Leipold § 93b Rdnr.2. 50 Zum richterlichen Ermessen eingehender unten. 51 Th. Sambuc, Folgenerwägungen im Richterrecht, S. 53 ff. 52 So im östereichischen Zivilprozeßrecht zuerstF. Klein, Reden Bd. I 1927 S. 117 ff., der den Zivilprozeß als "staatliche Wohlfahrtsaufgabe"(!) bestimmt, vgl. ferner F. Vierhaus, Über die sozialen und wirtschaftlichen Aufgaben der Zivilprozeßreform, 1903; heute vgl. auch F. Baur JZ 1957 S. 193 ff.; W. Dütz ZZP Bd.87 (1974) S. 361 ff.; Wassermann, Der soziale Zivilprozeß, 1978; W. Birke, Richterliche Rechtsanwendung und gesellschaftliche Auffassungen, 1968 S. 41 ff.; als Stimme aus der Praxis etwa noch R. Bender ZRP 1974 S. 235 ff. sowie JZ 1982 S. 709 ff. in Erwiderung auf D. Leipold JZ 1982 S. 441 ff. Zu den konkreten prozessualen Folgen einer solchen Argumentation hier vorerst allein H. Prütting NJW 1980 S. 361 ff.; P. Gilles JuS 1981 S. 402 ff.; beide m.w.N. 53 F. Werner AöR Bd. 81 (1956) S. 84 ff., 88. 54 Vgl. eingehend hierzu K.E. Schön/eid, Verhandlungsmaxime, S. 98 ff. 55 Vgl. G. Hönn, Jura 1984 S. 57 ff., 61 ff. 56 1986, passim. 48

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schaftlicher Macht bieten" und legitimierten die materiellrechtliche Rechtskraftdurchbrechung 57 • Braun zeigt dagegen 58, daß solche ,,Abwägungen" zwischen ,,mächtigen" und ,,hilfsbedürftigen" Parteien weder materiell-rechtlich noch gar prozessual haltbar sind 59. Erstaunlich an der Art dieser Diskussion um die Bedeutung der Privatautonomie für den Prozeß ist die oftmals angeführte Behauptung, die Wissenschaft habe derartige Fragen erst seit der lahrhundertwende als Problem erkannt 60. Richtig daran ist, daß seitdem solche Argumentationen zusehends ernster genommen werden 61 • Andererseits hat bereits die Diskussion des frühen 19. lahrhunderts 62 die Frage faktisch ungleicher Teilnahmechancen am Verkehr (unter dem Titel der ungleichen oder zufälligen Verteilung des Eigentums) thematisiert und dargestellt, daß mit Rücksicht auf das Recht seine Strukturgesetzlichkeiten - die Forderung nach sozialer Gleichheit zwar etwas "Wohlgemeintes", aber ,,nichts Objektives" sei. D.h. das Recht spricht mit der Statuierung der Privatautonomie andere Probleme an, als sie mittels sozialpolitischer Maßregeln erfaßt werden könnten. Kurz gefaßt behandelt das Recht die Anerkennung der Persönlichkeit unabhängig von faktischen sozialen und ökonomischen Gegebenheiten. Das zeigt zugleich, daß diese historischen Stellungnahmen zur Funktion der Privatautonomie nicht mit dem Hinweis auf die durch die verfassungsrechtliche Normierung des Sozialstaates eingetretenen Veränderungen als überholt beiseite geschoben werden können.

Wenn aber die Privatautonomie nach der vorherrschenden Dogmatik nicht viel mehr zu werden droht als eine zusehends verblassende ideologische Chimäre, dann muß zwangsläufig der Richter an die Stelle der Rechtsdefinitionen der Parteien eigene Wertungen setzen, wie heute auch häufig betont wird - und es bleibt dann allein eine Behandlung des Gesetzes als eines an den Richter gerichteten Imperativs als Möglichkeit des Verständnisses des staatlichen Gesetzes bestehen. Für das Verfahren bedeutet dies das Abstreifen seiner ,,Neutralität" durch das Gericht zugunsten einer gestaltenden, engagierten Parteinahme im Prozeß. Die Entwicklungslinien, die zur Beschreibung des Richters als ,,Rechtsgestalter" führen, werden in der Darstellung F. Wieackers zu ,,Richtermacht und privatem Rechtsverhältnis"63 erhellt: Dort stellt Wieacker dar, daß die Tätigkeit des Richters nach den Rechtsänderungen, die in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts Raum gegriffen hätten, sich nicht mehr in der rechtsanwendenden Streitentscheidung - im Urteilen - erschöpfe 64, sondern daß der Richter Lebensvorgänge fürsorglich zu gestalten und damit Aufgaben der "Verwaltung im weitesten Vgl. St. Smid, Rechtsprechung § 6. Rechtskraft und Rechtskraftdurchbrechung von Titeln über sittenwidrige Ratenkreditverträge, 1986, S. 66 f., ferner ders., Rechtskraft und Restitution, Bd. 1 S. 214 ff. 59 Ratenkreditverträge (Fn. 58) S. 68. 60 Für das Prozeßrecht richtungsweisend F. Klein, Reden, Vorträge, Aufsätze, 1927. 61 Nicht zuletzt unter dem Einfluß der ,,Juristensozialisten". 62 G.W.Fr. Hegel, Rechtsphilosophie Werke Bd. VII § 49 S. 112 f. sowie der Zusatz ebd. 63 AöR n.F. Bd. 29 (1938) S. 1 ff. 64 Ebd. S. 4. 57 58

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Sinne" wahrzunehmen habe 65. Diesem Bild des Richters steht, wie Wieacker vollkommen zu Recht bemerkt 66 , der Prozeß - kontentiose Verfahren der Rechtsanwendung - entgegen. Dies faßt Wieacker 67 in einer Charakterisierung des Prozesses zusammen, die in nuce alle Elemente unserer Unterscheidungen in sich trägt und die deshalb ungekürzt zitiert werden soll: "Die lückenlose Kodifikation nimmt dem Richter sein Amt, das in örtlichem Lebenskreise lebendige und fortströmende Recht ans Licht zu bringen, d.h. aber das Amt zu gestalten, da uns als Rechtsanwendung nur erscheint die Findung einer solchen Entscheidung, die die gesetzte Norm als bedingte schon aussprach. Nehmen wir den Gegensatz von ,,Anwenden" und "Gestalten" des Rechts auf, so ist im bisherigen Verhältnis von Richter und Gesetz der Zwang zur Rechtsanwendung und der Ausschluß der Gestaltung deutlich. Im Prozeß äußert sich der Rechtsanwendungszusammenhang vor allem im Gefüge der materiellen Rechtskraft, der Revision und der Wiederaufnahme. Ihr entspricht das "sachliche" Recht: Die KodifIkation als dem Begriff nach lückenloses Normennetz kennt nur Subsumtion, aber auf die Frage nach der Subsumierbarkeit gibt es eben immer nur ein Ja oder Nein, aber nie ein Wie. Zu solcher Dezision muß die Norm zwingen, da sie immer nur die beiden äußersten KonfliktfaIle faßt, zwischen denen sie anwendbar bleibt. Dazwischen bleibt nur das einförmige Bejahen oder Verneinen der Anwendung eines Rechtssatzes". Einbruchsstelle der Kritik Wieackers an dieser "Beschränkung" des Richters auf die Urteilstätigkeit bildet die ,,Abwicklung" und "Gestaltung" des Vertrages 68 • Der mangelnden Gestaltungsbefugnis des Richters im "ordentlichen Verfahren" (dem Prozeß) entspricht auf der anderen Seite die Herausbildung einer staatlichen Wirtschafts verwaltung wie die Aufstellung "ständischer Normen" (worunter Wieacker speziell AGBs usf. faßt 69 ) durch die Wirtschaft. Diese erlauben es, Maßnahmen wirtschaftspolitischer Tragweite zu implementieren, die dem Richter nicht zustehen 70. Von diesen Überlegungen aus kann im übrigen näher bestimmt werden, was der Prozeßvorbehalt 71 des Art. 19 IV GG bedeutet, betrachten wir ihn als eine Reaktion auf totalitaristische Staatskonstruktionen. Die staatsrechtlich orientierte Antwort darauf lautet, daß Art. 19 IV GG die Gewaltenteilung ausbaut und "effektuiert" - die Exekutive kann über das Recht, an das sie gebunden ist, fürderhin nicht mehr ihr eigener "Richter" sein. Aus dieser staatsrechtlichen Ebd. S. 3. Ebd. S. 9. 67 Ebd. S. 11. Vgl. zu dem hoheitlich-administrativen Charakter richterlicher Vertragsgestaltungen die rechtsvergleichende Darstellung D. Loeber, Der hoheitlich gestaltete Vertrag, 1969, bes.S. 129 ff. 68 Ebd. S. 15 f.; vgl. ferner H.-M. Pawlowski, Rechtsgeschäftliehe Folgen nichtiger Willenserklärungen, 1966, bes. S. 278 ff. 69 F. Wieacker ebd. S. 22 ff.; historisch (zur Übersicht über die Literatur) vgl. N. Fehl, Systematik des Rechts der Allgemeinen Geschäftsbedingungen, Bd. I, 1979, S. 48 ff. 70 F. Wieacker ebd. S. 34. 71 SI. Smid, Rechtsprechung § 1 I, IV. 65

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Perspektive gewinnt die Fixierung auf die Person oder auch (eher noch) das Amt des Richters eine vordergründig unleugbare Plausibilität. Bleibt freilich die Erarbeitung der dogmatischen Voraussetzungen und Konsequenzen des Art. 19 IV GG dabei stehen, so geht die Änderung zu einem nicht unerheblichen Teil verloren, die Art. 19 IV GG bewirkt hat. Denn nicht allein die Einführung einer umfassenden unabhängigen Verwaltungsgerichtsbarkeit stellt den spezifischen Unterschied unserer heutigen Rechtslage gegenüber besonders der nationalsozialistischen Herrschaftsform dar; die ,,restaurative" Leistung des Art. 19 IV GG gegenüber der nationalsozialistischen Umwälzung auch des Rechts bildet vielmehr die Voraussetzung dafür, daß überhaupt die Einrichtung einer "lückenlosen Gerichtsschutzkompetenz" der Verwaltungsgerichtsbarkeit dem nationalsozialistischen Unrecht - genauer: der in dieser Herrschaftsform tendenziell in Ermangelung eines Prozeßvorbehalts herrschenden Rechtlosigkeit - entgegengestellt werden konnte. Die Differenz aber liegt eher noch als auf originär staatsrechtlichem Gebiet auf dem des Prozesses. - Nehmen wir daher Art. 19 IV GG wörtlich, so zeigt sich uns, daß durch ihn keineswegs eine material-"gerechte" Ordnung hergestellt werden soll - die zu organisieren die nationalsozialistische Rechtsrevolution im übrigen mit Nachdruck für sich in Anspruch genommen hatte. Sondern Art. 19 IV GG gewährleistet die wirkliche Durchsetzbarkeit des Rechts die Gleichheit des Bürgers als Rechtsperson gegenüber dem Staat in Ansehung seines Rechts durch die umfassende Eröffnung des Rechtsweges den Prozeß - gegen Akte der öffentlichen Gewalt. Gegenüber der Kritik und Ablösung des Prozesses durch gestalterisch-administrative Verfahren setzt Art. 19 IV GG den Prozeß daher wieder als ein strukturell von dem administrativen Staatshandeln unterschiedenes Verfahren ein. Art. 19 IV GG als Gewährleistung eines als Prozeß ausgestalteten Rechtsweges im Zusammenhang des Sozialstaatsgebots (Art. 20 I GG) macht also deutlich, daß ein Staat, soll er auf der Gewaltenteilung auf der einen und der Freiheit seiner Bürger als autonomer Rechtsträger auf der anderen Seite beruhen (Art. 2011 2 GG), nicht allein besonderer ausdifferenzierter Behörden ("Gerichte"), sondern strukturell voneinander unterschiedener institutionell gewährleisteter Verfahren bedarf. Positiv ausgedrückt muß er dem Bürger die Möglichkeit vorbehalten, sein Recht in einem Verfahren geltend zu machen, in dem keine weiteren Zwecke als die Erkenntnis dieses Rechts verfolgt werden. Die Einrichtung unabhängiger Gerichte, denen die Aufgabe der "Betreuung" dieser Prozesse anvertraut ist, stellt eine notwendige Bedingung der Eröffnung des Rechtsweges gern. Art. 19 IV GG dar. Die immanente (rechtlich-institutionelle) Ausgestaltung des Prozesses ist die weitere, ebenso unverzichtbar-notwendige Bedingung der Eröffnung des Rechtsweges gern. Art. 19 IV GG. Erst beide Voraussetzungen zusammen - die Institutionalisierung eines bestimmten Verfahrens (des Prozesses) und die Einrichtung unabhängiger Gerichte - stellen sicher, daß der Bürger als Rechtssubjekt sowohl gegenüber anderen Bürgern als auch gegenüber dem Staat auftreten kann. 3·

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Die Identifikation des ,,Rechtsweges" mit "Verfahren vor unabhängigen Gerichten" - das Verständnis des Art. 19 IV GG als Amts- oder Standesvorbehalt statt eines Prozeßvorbehalts - blendet daher wesentliche Fragen aus, weil sich die Tätigkeit unabhängiger Gerichte nicht mit dem von Art. 19 IV GG gewährten Rechtsweg deckt; ebensowenig decken sich aber die Kritik des "liberalistischen" Prozeßkonzepts vom Sozialstaatsprinzip her und die Gewährung, die Art. 19 IV GG normiert. Sie gehen solange in dieselbe Richtung, wie sie die Justizgewährung sicherstellen (z. B. durch die Zuteilung von Rechtsansprüchen auf Prozeßkostenhilfe usf.), die von der überkommenen Lehre unter Art. 19 IV GG subsumiert werden. Sie widersprechen einander aber radikal, wenn Versuche unternommen werden, vom Sozialstaatsprinzip aus die Struktur des Prozesses zu negieren. c) Schwierigkeiten mit Richtigkeitskriterien von Urteilen Rechtsprechung tritt damit jedoch von einem solchen Standpunkt" einer "sozialstaatlich" 72 an den gesellschaftlichen Folgen ihrer Entscheidungen orientierten Betrachtung aus nicht mehr als Gegenstand in Erscheinung, dessen Tätigwerden wissenschaftlich mittels juristischer Dogmatik zu erfassen wäre. Denn das Han~eln - die Entscheidungen - der Rechtsprechung wird nach dieser Art der Darstellung nicht ausschließlich durch das Recht determiniert. Neben der Bindung an Recht und Gesetz, der Rechtsprechung freilich wie jede andere Verwaltung unterliegt, muß sich auch die Rechtsprechung an einer Funktionalität ausrichten, deren Kriterien auf der einen Seite Effizienz der Folgenerreichung und auf der anderen als deren Pendant eine Zweck-Mittel-Relation wären. Und diesem Befund scheint nun auch tatsächlich zu entsprechen, daß in der Literatur 73 die Beschäftigung mit dem Grundsatz der sog. "Prozeßökonomie" als einem Korrektiv des geltenden Verfahrensrechts stark zugenommen hat. Die postulierten sozialen Leitungsmaßnahrnen durch die Rechtsprechung müssen sich danach - nicht anders als Verwaltungshandeln - an ihren Kosten messen lassen. Damit einherzugehen droht freilich, daß sich der Richter nicht mehr (ausschließlich) "an Recht und Gesetz" (an dem Zwang zu dogmatisch richtigen, überprüfbaren Begründungen seiner Entscheidungen orientiert. Vielmehr treten sozialwissenschaftliche (oder gar sozialpolitische) Erkenntnisse des Richters als Korrektiv des Rechts auf und suspendieren dessen Verbindlichkeit für die richterliche Entscheidung. Die Verbindlichkeit des Rechts 74 wird tendenziell zugleich mit der Destruktion normativer Urteilskriterien aufge-

Vgl. K.GÖbel, Prozeßzweck der AGB-Klage, S. 30 ff. m.N. der Diskussion. ehr. v. Mettenheim, Der Grundsatz der Prozeßökonomie im Zivilprozeß, 1970; skeptischer dagegen E. Schumann, (Die Prozeßökonomie als rechtsethisches Prinzip) Larenz-F.; P. Hütten, Die Prozeßökonomie als rechtserheblicher Entscheidungsgesichtsp'unkt, Diss. Würzburg 1975; E. Schmidt, Der ;?:weck des Zivilprozesses und seine Okonomie, 1973, S. 39 ff.; ferner - unter einer Uberschrift, die das Verständnis eines großen Teils von Rechtsprechung und Lehre ausdrückt - Deutscher Richterbund (Hrsg.), Grenzen der Rechtsgewährung, 1983, dort insbes. W. Grunsky S. 121 ff. 74 Die heute freilich von einer Reihe von Autoren in Zweifel gezogen wird, vgl. R. Dreier JZ 1985 S. 353, 358. 72

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hoben. An ihre Stelle treten dann Abwägungen im EinzelfalJ15, denen heterogene Folgenerwägungen unterschiedlichster Art76 zugrundeliegen. Während so die juristische Dogmatik zur "Theorie"77 wird, nehmen sich die Sozialwissenschaften scheinbar der Aufgaben der praktischen Jurisprudenz an, deren Handeln in den unterschiedlichsten Organisationen des Rechtssystems wie eben auch der Rechtsprechung unter Aspekten der Wirtschaftlichkeit, der "Attitüden" des zur Entscheidung berufenen Personals 78 usf. begriffen werden kann. Nun ist nicht zu verkennen, daß auch von einem solchen, eine Folgenorientierung der Rechtsprechung betonenden Ansatz aus eine Differenzierung von Rechtsprechung und Verwaltung mit prozessualen Kriterien nicht gangbar wäre. Im Gegenteil. Gegenüber den vagen Begriffen der überkommenen Lehre, die noch grundsätzliche (strukturelle) Unterschiede in den verschiedenartigen ,,zweckbestimmungen"79 von Rechtsprechung und Verwaltung erkennen ließen, so unklar diese auch im einzelnen waren, hebt der hier umrissene moderne Ansatz einer Folgenorientierung von Rechtsprechung doch bereits diese undeutlichen Differenzierungsversuche auf, die sich am Verhältnis von Rechtsprechung und Verwaltung zu ihren Entscheidungen orientieren. Es wird noch näher darzustellen sein, in welcher Form sich richterliche Rechtsanwendung technisch vollzieht. Hier ist zunächst darauf aufmerksam zu machen, daß sich in der Rechtstheorie die Erkenntnis durchgesetzt hat, nach der richterliche Urteile selbstverständlich "Folgen" haben - die Evolution des Rechts befördern - und daß sich diese Evolution von Recht nicht in Gestalt konservierender Rechtsreformationen vollzieht. Jeder Akt richterlicher Erkenntnis stellt immer die Produktion neuen Rechts dar: "jede Gestaltung "bewahrt" die Ordnung in . 75 JüngstK.-H. Ladeur ARSP Bd. 74 (1988) S. 463; krit. R. Eckertz, Die Kriegsdienstverweigerung aus Gewissensgründen, S. 296 ff. 76 Vgl. etwa die Überlegungen des BVerfG anläßlich der einstweiligen Anordnung im Volkszählungsstreit 1983. 77 Der Titel der Untersuchung J. Rödigs markiert insofern einen gewissen Abschluß einer Entwicklung, die bereits bei Ansätzen wie dem der Reinen Rechtslehre Kelsens ihren Ausgang genommen hat: Recht tritt dort als Gegenstand analytischer Theorie und nicht als soziale (oder praktische) Wissenschaft von richtigen (Pawlowski) weil friedensstiftenden Entscheidungen in Erscheinung. 78 St. Smid, Rechtsprechung § 1. 79 Freilich ist es nicht hilfreich, wenn in diesem Zusammenhang H. Schuhmann, Diss. S. 82, vom ,,Normzweck" als dem "vom Gesetz angestrebten Zweck" handelt. Normtheoretisch betrachtet mag eine solche Aussage angehen, wobei sich freilich dann die Frage stellt, wie der Gesetzgeber "seine" Ziele "implementiert", d.h. verfahrenstechnisch umsetzt. Im Kontext einer Untersuchung administrativer Gerichtsverfahren interessiert dagegen eine andere Fragestellung. Hier gilt es nämlich zu problematisieren. welche verfahrensrechtlichen Konsequenzen daraus zu ziehen sind, wenn der Gesetzgeber seine Zwecke dem Richter als konkret in einem Verfahren zu erreichenden Zweck vorgibt und sich nicht darauf beschränkt, dem Richter die ,,reine Rechtsanwendung" zu überlassen. Schuhmann meint freilich, in jedwedem Verfahren habe der Richter nichts anderes zu tun als Recht anzuwenden.

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einem höheren Sinne" 80. In diesem Sinne gewinnt auch die Rede von der "sozialgestalterischen" Aufgabe von Rechtsprechung eine angebbare Bedeutung. Denn auch durch die richterliche "Gestaltung" von Rechtsverhältnissen erfolgt eine Feststellung dessen, was zwischen den Parteien als Recht gilt, "reguliert" der Richter Streitigkeiten, "ordnet" er unzweifelhaft soziale Beziehungen im Vorfeld antizipierter Streitigkeiten 81. Gegenstand der Auseinandersetzung mit Vertretern von Auffassungen, die von einer Folgenorientierung ;der Rechtsprechung ausgehen, ist denn auch nicht der Umstand, daß diese durch ihre Entscheidungen überhaupt soziale Folgen bewirkt 82. Die entscheidenden Differenzen liegen in der Frage, ob diese Wirkungen unmittelbar angesteuert oder indirekt durch die Normierungen des Rechts erreicht werden.

G. Roellecke, Politik und Verfassungsgerichtsbarkeit S. 10. Eingehend zur Rechtsprechungsqualität von Gestaltungsverfahren aufgrund deren streitentscheidungsvorbereitender Funktion SI. Smid, Rechtsprechung § 3 III. 82 Vgl. zum folgenden W. Habscheid, Ekelöf-F. S. 283 ff. 80 81

IV. Verfolgung öffentlicher Interessen als Prozeßzweck? Es wurde bereits erwähnt, daß die ,,klassischen" Formen eines als "liberal" qualifizierten Prozesses den Vertretern von Ansätzen einer Folgenorientierung der Rechtsprechung als eher überholte, heute nur noch marginal bedeutsame Erscheinungen unserer gerichtlichen Verfahren gelten. Der Zunahme an Komplexität des Wirtschafts- und Sozialsystems sollen danach neue Verfahrenstypen und prozessuale Ausgestaltungen entsprechen, die sich aus dem Bürgerlichen Recht zu eigenen materiell- und prozeßrechtlichen Gebieten gebildet haben und vermittels derer die Verfahren richterlicher Streitentscheidung dazu instand gesetzt werden sollen, daß in ihnen durch den Richter öffentliche Interessen 1 wahrgenommen werden. 1. Anlässe im geltenden Wirtschaftsrecht

So scheinen insbesondere in den Verfahren des Wettbewerbs- und des Verbraucherschutzrechts prozessuale Gestaltungen vorzuliegen, die mit der Kategorie der Streitentscheidung nicht mehr erfaßt werden können. Dort werden nicht mehr allein subjektive Rechte der Betroffenen festgestellt, sondern Zwecke der Wirtschaftspolitik 2 verfolgt. Ja, es scheint mit der Zulassung von Klagen unbeteiligter Verbraucherschutzverbände 3 eine Kontroll- und Planungskompetenz der Gerichte über wirtschaftliche Vorgänge eingerichtet worden zu sein durch die den Gerichten die Zuständigkeit zu gestaltenden, wirtschaftspolitischen Maßregeln eingeräumt ist. Nun mag es angemessen erscheinen, Gerichten derartige Aufgaben sozialgestalterischer Entscheidungen zu überantworten, wenn man von Vorstellungen wie der einer Orientierung der Rechtsprechung an abstraeta wie einem "Gerechtigkeitsdenken" 1 Vgl. bereits W.Sauers (Grundlagen des Prozeßrecht, 1919 S.297 ff.) Unterscheidung "passiver" und "aktiver" Stellungen des Richters im Prozeß sowie m.w.Nachw. 2 Vgl. Maunz I Dürig I Herzog I Scholz-Herzog Art. 97 Rdnr. 17: Herzog meint, die Gerichte müßten zwangsläufig parteilich entscheiden, wenn die Gesetze als Instrumente gesellschaftspolitischer Gestaltungen eingesetzt würden. Herzog verkennt, daß die richterliche Rechtsanwendung keine ,,Exekution" der Gesetze darstellt, sondern Rechtsanwendung im Prozeß im Rechtsgespräch mit den Parteien ist. 3 K. Thiere, Wahrnehmung öffentlicher Interesse im Zivilprozeß m. w.N.; Zur Klagebefugnis von Verbraucherschutzverbänden nach § 13 AGBG vgl. K. Göbel, Prozeßzweck der AGB-Klage S. 87 ff. Die Zulassung dieser Klagen ruft eine Reihe prozessualer Probleme hervor, in deren Mittelpunkt die Rechtsfertigung der Reichweite ihrer Rechtskraft und der Gewährung rechtlichen Gehörs stehen, vgl. D. Leipold, in: Gilles (Hrsg.), Effektiver Rechtsschutz S. 57 ff.

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IV. Verfolgung öffentlicher Interessen als Prozeßzweck?

ausgeht 4 • Derartig insignifikante Ansätze überlassen dann den konkreten Kompetenzbereich von Rechtsprechung einer unüberprüfbaren ,,Abwägung" . In ihrer schlechten Abstraktion 5 sind sie gleichgültig gegenüber den prozeßrechtlichen Problemen der Fragestellung nach der verfassungsmäßigen Stellung der Rechtsprechung. Während sich so die Beschreibung von Verfahren der Rechtsprechung durch die Wahrnehmung wirtschaftspolitischer Aufgaben nicht aus "Gerechtigkeitserwägungen" rechtfertigen läßt, begegnet ihr aus einer näheren Betrachtung der wirtschaftsrechtlichen Rechtsprechung heraus Bedenken. So hat der BGH6 entschieden, daß über § 9 AGBG eine Inhaltskontrolle von Leasingverträgen auch die Kalkulation (von formularmäßig vereinbarten Abschlußzahlungen) erfasse. Diese Entscheidung nahm das OLG Frankfurt / M 7 zum Anlaß 8, in einem Vertrag zwischen zwei Kaufleuten (!) diese Inhaltskontrolle dergestalt auszuüben, daß es die Bedingungen zu Lasten des Vertragspartners des Verwenders der AGB "verschlechterte". Die "verbraucherschutzfreundliche" Inhaltskontrolle schlug also im Wege eigener Kalkulationen durch den Richter in eine den AGBVerwender begünstigende Auslegung des Vertrages um - wobei das OLG freilich durch die Bindung an den Antrag des klagenden Verwenders diese Auslegung allein den vom Beklagten vorgebrachten Einwendungen entgegenhielt. Das Stimmen insbesondere aus der Anwaltschaft 9 daher seit einiger Zeit zusehends vor dem Mißverständnis der Richterrolle als der eines ,,Advokaten in der Richterrobe" warnen, ist demnach nicht sehr verwunderlich. Freilich hat das OLG Frankfurt / M in dem angeführten Fall noch nicht einmal notwendig parteiisch entschieden, sondern die Aufgabe richterlicher Entscheidungen selbst mißverstanden, was allerdings durch die zitierten Entscheidungen des BGH mitveraniaßt wurde. Denn es wurde von den Gerichten der Satz "iudex non calculat"l0 nicht als prozessuale Anweisung ernst genommen, durch die Kompetenzen des entscheidenden Gerichts normiert werden, die an der Grenze des Bereichs der autonomen Berechnung usf. ihrer wirtschaftlichen Chancen durch die Parteien liegt. Dieses Beispiel macht deutlich, welche Konsequenzen eine Umstellung der Rechtsprechung auf ,,Folgenorientierungen" - seien sie sozial- oder wirtschaftspolitischer Art - nach sich zieht. Über ihr bleibt nämlich die unparteiische Struktur der Rechtsprechung zugunsten der Verfolgung bestimmter Zwecke auf der Strecke. Wird das Gros der von den Protagonisten einer Folgenorientierung von Rechtsprechung zum Beleg ihrer Auffassungen angesprochenen Verfahren jedoch näher betrachtet, so wird deutlich, daß in ihnen keine "Durchbrechung" der Aufgabe der Streitentscheidung statuiert ist, die eingangs als Charakteristikum von Rechtsprechung im verfassungsrechtlichen Sinn angegeben wurde. Die Kritiker dieser traditionellen Beschreibung weisen nämlich darauf hin, daß in den

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E. Lefringhausen, Diss. S. 11 ff. G.Fr.W. Hegel, Grundlinien der Philosophie des Rechts, § 1 Anm., Werke Bd.7

S.29. 6 Urt v. 28. 10. 1981 WM 1981 S. 1378 ff. 7 (Unveröffentl.) Urt. v. 14.7.1983 (5 U 252/82). 8 Zur Stellung des BGH vgl. z. B. H.-M. Pawlowski ZZP Bd. 80 (1967) S. 345 fJ.. 381. 9 So eindrucksvoll ehr. Berglar ZRP 1984 S. 1 ff., insbes. S. 6. 10 Zu den Folgen sogleich.

2. Vertreter von "Gruppeninteressen" im Verfahren

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angesprochenen Verfahren öffentliche Interessen vom Richter wahrgenommen oder doch "protegiert" würden 11. Richtig daran ist, daß die Verfolgung bestimmter "öffentlicher" oder "Gruppeninteressen" (Verbraucherschutz 12) prozessual dadurch erreicht werden kann, daß entweder die interessierten Gruppen durch ihre Verbände oder "das öffentliche Interesse" durch Staatsoder Landesanwaltschaften beteiligt wird. Daß die Einräumung derartiger BeteiligtensteIlungen unter den verschiedensten Aspekten Probleme bereiten kann und auch in der Tat bereitet, braucht an dieser Stelle nicht eingehend diskutiert zu werden. Es genügt, auf die mehr als problematische Stellung beispielsweise der sog. ,,Abmahnvereine" hinzuweisen 13. In dieser Untersuchung kann freilich die Problematik der wirtschaftsrechtlichen Prozesse kaum gestreift werden. Deren Schwierigkeiten scheinen allein und ausschließlich mit einem Rekurs auf vermeintliche legislative Zweckvorgaben im materiellen Recht aus dessen Sicht nicht angemessen erfaßt werden. Dies rallt besonders im weiten Bereich der wirtschaftsrechtlichen Unterlassungsklagen (§§ 13 UWG, 13 AGBG) auf, die eigene Fragen im Hinblick auf Rechtskraft und Zwangsvollstreckung aufwerfen. Klarheit scheinen hier nur Untersuchungen des Zusammenhangs von Unterlassungsanspruch und Unterlassungsklagen als besonderer Rechtsschutzform (B. Rimmetspacher) als Kompetenz zur Geltendmachung des aus Unterlassungsansprüchen resultierenden Rechts - zu versprechen 14 - die wir aber einer eigenen Untersuchung vorbehalten müssen.

2. Beteiligung von Vertretern von "Gruppeninteressen" am Verfahren Im Hinblick auf die verfahrensrechtlichen Konsequenzen der Einrichtung solcher Beteiligungen von Trägern eines Gruppen- oder des "öffentlichen" Interesses am Verfahren muß aber von vornherein verschiedenen Umständen Rechnung getragen werden, die von Bedeutung sind, wenn nach Folgerungen für den verfassungsrechtlichen Status des jeweiligen Verfahrens gefragt wird. Denn die "Wahrnehmung" öffentlicher Interessen in diesen Verfahren ist in einer Weise organisiert, die das Gericht darauf festlegt, nach Maßgabe der Wirtschaftsgesetze und der darin enthaltenen Vorentscheidungen über die Zweckverfolgung der 11 K. Thiere, Wahrnehmung öffentlicher Interessen im Zivilprozeß, sieht die Abgrenzung zu Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit allein in einer "Interessenanalyse". "Grundsätzlich" diene die freiwillige Gerichtsbarkeit der Durchsetzung überindividueller Interessen, während die zivilprozessuale Streitentscheidung zwischen "gleichgeordneten" Interessen Raum greift. Es gäbe aber Überlappungen. Daß Thiere hier keine verfassungsrechtlichen Implikationen vermutet sondern davon ausgeht, es stellten sich allein Effizienzprobleme (S. 123 ff.), die ,,nur technisch" lösbar seien, erklärt sich daraus, daß er im Zusammenhang der überkommenen Dogmatik steht. 12 Vgl. E. v. Hippet, Verbraucherschutz, 1974. 13 Hierzu vgl. die "Verbraucherverband"-Entscheidung, Urt. v. 30. 6. 1972, BGH GRUR 1973 S. 78 ff. 14 Vgl. hier nur B. Rimmetspacher, Materiellrechtlicher Anspruch ~nd Streitgegenstandsprobleme im Zivilprozeß S. 116 ff. sowie mit rechtshistorischen Uberlegungen P. Böhm, ius commune Bd. 7 (1978) S. 136 ff.

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IV. Verfolgung öffentlicher Interessen als Prozeßzweck?

Parteien zu entscheiden. Und bei dieser Entscheidung kann das Gericht keine "eigenen Wertungen" - keine eigenen Zwecksetzungen - durchschlagen lassen 15; es ist an die einschlägigen Rechtsnonnen gebunden, nach denen es den Streit der Parteien zu entscheiden hat 16. Anders ausgedrückt: Insofern unterscheiden sich diese Verfahren nicht von klassischen Prozeßarten, zu denen oben auch solche Streitverfahren gezählt wurden, in denen genuin öffentliche Interessen zur Entscheidung stehen, wie in den Verfahren der verschiedenen Verwaltungsgerichtsbarkeiten 17.

3. Konsequenzen Damit aber hat sich gezeigt, daß die Diskussion um eine "Folgenorientierung" der Rechtsprechung selbst dazu tendiert, an Aussagekraft zu verlieren. Denn es scheint sich mit dem Argument der ,,Folgenorientierung" eine Beliebigkeit in der Beschreibung der Funktionen der Rechtsprechung verbinden lassen zu können. Aus der Vielzahl möglicher sozialer Folgen von Entscheidungen wird stets eine Auswahl von Folgen prozessual festgelegt ("programmiert"), die der Entscheidungsträger zu berücksichtigen hat. Und es hat sich gezeigt, daß auch die Entscheidung des Verfassungsgesetzgebers zugunsten einer Sozialstaatlichkeit und der daraus sich für das Recht ergebenden Konsequenzen an dieser grundsätzlichen, der Rechtsprechung innewohnenden Struktur nichts ändert 18. 15 Daher kritisiert H.-i. Koch, Unbestimmte Rechtsbegriffe und Ermessensermächtigungen im Verwaltungsrecht, S. 20, zu RechtR. Breuer (Der StaatBd. 16 [1977] S. 21 ff.) und M. Nierhaus (DVBI 1977 S. 19 ff.), die den Richter zum Nachvollzug "wertender Prognosen" ermuntern. 16 Und dies wird am Beispiel der sogenannten ,,Abmahnvereine" deutlich. Gegen deren Auftreten kann das Gericht nicht seine eigene, "bessere" Erkenntnis setzen, sondern es kann - allenfalls - damit argumentieren, es werde mit dem Gesetz "Mißbrauch" getrieben. Aber auch eine solche Art der Argumentation vermag keine richterliche Entscheidung zu legitimieren, die contra legern die einem Abmahnverein durch die (politische) Rechtserkenntnis des Gesetzgebers eingeräumten Kompetenzen beschneidet. So hat denn auch der BGH seine "Verbraucherverbandentscheidung" (Urt. v. 30. 6. 1972, GRUR 1973 S. 78 f.) nicht auf - moralische - Vorwürfe eines angeblichen Rechtsrnißbrauchs durch den beteiligten Verein gestützt - obwohl dies im zur Entscheidung stehenden Fall nahegelegen hätte (ein Rechtsanwalt hatte den Verein mit Büropersonal gegründet und erst unter dem Druck des Verfahren seine Tätigkeit nach außen hin aufgenommen). Und der BGH hat sich zu Recht auf die Feststellung äußerer, formaler Kriterien für die Überprüfung der normativen Voraussetzungen beschränkt, die ein Verbraucherschutzverein aufzuweisen habe. 17 Ebenso die Kritik D. Brüggemanns (Iudex statutor und iudex investigator S. 92), der darauf verweist, daß Gerichte nach Art. 92 GG keine - und schon gar keine eigenen - Zwecke zu verfolgen sondern allein das Recht anzuwenden haben. 18 Dies wird weithin in der prozeßrechtlichen Literatur bei der Diskussion um die heutige Bedeutung der Prozeßmaximen auch anerkannt; Konsequenzen hieraus für die Auslegung des Art. 19 IV GG zu ziehen erscheint freilich wohl für zu abwegig, vgl. H.G. Pettz, Einordnung der Rechtsfolge und die materielle Rechtskraft, Diss.1976 S. 73; W. Schlüter, obiter dictum, 1973 S.23. Bei K.E. Schön/eId, Verhandlungsmaxime,

3. Konsequenzen

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Damit wird die Diskussion jedoch auf die unterschiedslose Darstellung rechtsstaatlicher Verfahren als ,,Abwägung" zurückgeworfen. Was bleibt, ist eine Abwägung zwischen den verschiedenen möglichen Folgen, die eine Entscheidung haben kann. Diese Defizienz eines Ansatzes der Folgenorientierung von Rechtsprechung gilt es nunmehr näher darzustellen und für seine Kritik sowie für die Begründung unseres Ansatzes eine rechtstheoretische Dimension zu gewinnen, die für die prozeßrechtliche Debatte fruchtbar gemacht werden kann.

(S. 119, 145 f.) und W. Grunsky, Grundlagen § I IV zeigt sich dagegen die fehlende Systematisierung der Fragestellung: Es wird auf der einen Seite die richterliche Aufgabe als "Überprüfung" (und d.h.: konditionalprogrammiert, vgl. unten) im ausdrücklichen Gegensatz zu planerischen Tätigkeiten dargestellt, andererseits doch nach Kriterien für Zweckmäßigkeitsentscheidungen gefragt. Welcher prozessuale Sprengstoff jedoch zwischen diesen beiden Polen liegt, ist bislang nicht hinreichend thematisiert.

v. Zur Struktur der Folgenorientierung der Rechtsprechung - die Orientierung an der dogmatischen Konsistenz von Entscheidungen 1. Zur Folgenselektion durch die Rechtsprechung Es wurde bereits mehrfach in der Literatur darauf hingewiesen, daß zwischen den unterschiedlichsten "Folgen" einer Entscheidung zu differenzieren ist, bevor darüber Aussagen getroffen werden können, inwieweit sich ein Entscheidungsträger an diesen Folgen zu orientieren habe 1. Und diese Unterscheidung ist schon deshalb erforderlich, weil nur von der sachlichen Untersuchung der einzelnen möglichen Tatbestände aus der Streit zwischen "Befürwortern"2 und "Gegnern"3 einer Folgenorientierung der Rechtsprechung verstanden werden kann, der indessen weitgehend auf bloßen Mißverständnissen zu beruhen scheint. Dies macht insbesondere die Art der Darstellung des Streits durch G. LübbeWolff4 deutlich. Sie wirft NLuhmann allein vor, daß er dort, wo er von Dogmatik spricht, nicht bereit sei, Folgenerwägungen mit in die Betrachtung einzubeziehen 5 • Damit ist allenfalls ein Streit um Worte gemeint. Denn daß Dogmatik die Folgen von Entscheidungen für sich selbst (also die dogmatische Konstruktion) in ihre ,,Prognosen" (Folgenorientierungen) aufzunehmen und als entscheidungsrelevante Folgen zu bedenken hat, wird auch von den "Gegnern" einer Folgenorientierung von Rechtsprechung nicht bestritten. Die Schwierigkeiten der Darstellung Lübbe-Wolffs liegen - wie sogleich näher zu zeigen sein wird - dagegen nicht zuletzt darin begründet, daß sie die organisatorischen (prozessualen) Bedingungen der Rechtsanwendung außer Acht läßt. Gegen derartige Stellungnahmen "für" eine "folgenorientierte" Rechtsprechung hat Luhmann selbst zu Recht eingewandt, es genüge nicht, verbale Radikalität für Reflexion auszugeben 6 •

Was mit dem Hinweis auf den ,,zweck" des Gesetzes angesprochen wird. Th. Wälde, Juristische Folgenorientierung, Th. Sambuc, Folgenerwägungen im Richterrecht, insbes. jetzt G. Lübbe-Wolff, Rechtsfolgen und Realfolgen, 1981. 3 Insbes. N. Luhmann, Rechtssystem und Rechtsdogmatik, 1974; H.-M. Pawlowski, Methodenlehre für Juristen Rdnrn. 221 ff.; sowie ders., Duden-F. S. 349,356. 4 Fußn. 2. 5 Ebd. (Fußn. 2) S. 17. 6 Fn. 3 S. 29. Nunmehr zum ganzen Problemkreis N. Luhmann, Rechtstheorie Bd. 14 (1983) S. 129 ff. Vgl. ferner die differenzierte Darstellung bei R. Wank, Die juristische Begriffsbildung, 1985 S. 85 f. 1

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1. Zur Folgenselektion durch die Rechtsprechung

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In der Dramatik, die ihr heute beigemessen wird wurde die Unterscheidung zwischen einer Folgenorientierung von Entscheidungsvorgängen und deren Ausrichtung an folgenunabhängigen Vorgaben von Daten und normativen Entscheidungsvoraussetzungen von N. Luhmann 7 in die Diskussion 8 eingeführt. Luhmann hat im Rahmen seines system theoretischen Erklärungsansatzes darauf aufmerksam gemacht, daß die Folgen von Handlungen grundsätzlich unabsehbar seien 9 - ihre Zahl und Vielfältigkeit zu bedenken, übersteigt die Kapazität des Entscheidenden 10 (unter den Titeln der "Kontingenz" und der "Komplexität"). Nicht alle Folgen können immer bedacht werden, zumal sie niemals alle bekannt sind. Im Gegenteil. Aus der grundsätzlich infiniten, unübersehbaren Zahl potentieller Folgen einer Entscheidung müssen, wie Luhmann nachgewiesen hat 11, "soziale Systeme" - und d.h. in unserem Zusammenhang zunächst einmal nur: rechtliche Organisationen - nicht anders als Menschen diejenigen Folgen erst auswählen, an denen sie sich orientieren werden. Anders ausgedrückt. Ein "soziales System", als das Luhmann so unterschiedliche Erscheinungen wie Wirtschaft, Rechtsprechung oder Politik usf. qualifiziert 12, wird wesentlich durch die Vorentscheidung über die für sein Handeln relevanten Folgen konstituiert. Wieweit ein "soziales System" - die Rechtsprechung, die Verwaltung, die Wirtschaft oder ein privater Haushalt - die Folgen seines HandeIns bedenkt, welche der für seine Entscheidung relevanten Folgen es "selektiert" 13, ist dann aber nicht beliebig. Es kann nicht durch eine bloße (politische) Dezision einem "sozialen System" die Berücksichtigung von Folgen zugemutet werden, die es im Rahmen seiner "Struktur" (seiner organisatorisch begrenzten Kapazität, Daten zu verarbeiten) nicht oder nicht angemessen berücksichtigen kann 14. Mit anderen Worten ausgedrückt hängt es sowohl von der Art der zu fällenden Entscheidung 7 Zweckbegriffund Systemrationalität, S. 101 f., 242 ff.; Rechtssystem S. 29 ff.; Positives Recht und Ideologie, in: Soziologische Aufklärung Bd. I, 4. Auf!. 1974 S. 178, 180 ff.; Rechtssoziologie 2. Auf!. 1983 S. 313 f., 324. 8 Vgl. zum Ganzen H.-M. Pawlowski (Fn. 3). 9 Rechtssoziologie S. 322 f. 10 Rechtssystem und Rechtsdogmatik, S. 35. 11 Vgl. allein grundlegend: Zweckrationalität und Systembegriff S. 55 ff. 12 Vgl. jetzt: Soziale Systeme, 1984 S. 33 et passim. 13 Luhmann (Fn. 3). S. 56 m.w.N. 14 Und es machen Erscheinungen wie die öffentlichen Reaktionen auf das bekanntgewordene ,,Behindertenurteil" des LG Frankfurt/M. v. 25. 2. 1980 (NJW 1980 S. 1169) deutlich, welche Belastungen bereits auf einer am Recht orientierten Justiz aufgrund einer irrationalen Öffentlichkeit ruhen. Umso mehr gälte dies für eine politische, sozialplanerische Justiz, die sich aufgrund von Erfolgen rechtfertigen müßte; vgl. auch D. Simon, Erwartungen der Gesellschaft an die Justiz, in: Justiz und Recht, 1983 S. 3 ff. Zu diesem spektakulären Urteil im Kontext richterlicher Unabhängigkeit ferner W. Habscheid / P. Schlosser, in Gilles (Hrsg.), Effektivität des Rechtsschutzes und verfassungsmäßige Ordnung. S. 239 ff., die an der starken richterlichen Stellung Zweifel äußern, was im Hinblick auf das Behindertenurteil jedoch nicht angebracht erscheint.

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V. Zur Struktur der Folgenorientierung der Rechtsprechung

(der vom System zu erbringenden Leistung) als auch von seinen organisatorischen Möglichkeiten ab, nach welchen "Aspekten" eine Entscheidung gefällt werden kann. Ebensowenig wie von anderen "Gegnern" einer Folgenorientierung der Rechtsprechung wird von Luhmann 15 bestritten, daß überhaupt eine Ausrichtung des Handeins sozialer Systeme an den Folgen ihrer Maßnahmen vollzogen wird und sich insofern "selbstverständlich" auch die Rechtsprechung "folgenorientiert" verhält 16. Seine Kritik weist vielmehr allein darauf hin, daß bei der Analyse von "Folgenorientierungen" stets zwei wesentliche voneinander verschiedene Momente zu beachten seien. Zum einen ist nämlich die Art der "Programmierung" eines Systems zu berücksichtigen, oder, anders ausgedrückt, in juristische Begrifflichkeit übersetzt: Für die Bestimmung der Folgen, die von einem System in seinen Entscheidungsprozessen berücksichtigt werden können (und müssen), ist dessen Aufgabenstellung von wesentlicher Bedeutung 17. Und daraus folgt zum anderen, daß der Umfang möglicher Folgen, die für die Entscheidung relevant sein können, durch die technischen Möglichkeiten des Systems festgelegt wird, diese Folgen zu ermitteln und auf sie zu reagieren 18. Diese Erkenntnisse können für unsere Überlegungen fruchtbar gemacht werden, und zwar auch dann, wenn einzelne "innertheoretische" Bezüge dieser Analyse unter dem Aspekt des Luhmannschen systemtheoretischen Ansatzes Zweifeln begegnen mögen. Es kommt hier nämlich nicht darauf an, von einem "systemtheoretischen Standpunkt" aus zu argumentieren. Die bisherigen Überlegungen zu einer Strukturanalyse funktionaler Rechtsprechung haben Übereinstimmungen dieser Art der Darstellung Luhmanns mit einer Qualifikation von ,,Rechtsprechung" als Prozeß hervortreten lassen. Daher kann Luhmann Ansatz für die Bedürfnisse des heutigen Prozeßrechts fruchtbar gemacht werden. Um diesen Gedankengang anband weniger Beispielen zu erklären. Die entscheidungsrelevanten Folgen, die von einem Streifenpolizisten bei Maßnahmen der Gefahrenabwehr Berücksichtigung finden können unterscheiden sich von denen, die ein Unternehmer bei der Formulierung seiner Marketingstrategie zu beobachten hat und den Folgen, die ein Privatmann ins Auge faßt, wenn er seine Wohnung einrichtet. Der Polizeibeamte, dessen Aufgabe die Abwehr von Störungen der öffentlichen Sicherheit ist, braucht sich bei der Inanspruchnahme eines Störers nicht um die soziale Akzeptanz seiner Entscheidung zu kümmern, muß jedoch - im Rahmen des Opportunitätsprinzips - deren Zweckmäßigkeit berücksichtigen. Denn er kann zwar die unmittelbaren Folgen seiner Entscheidung - die Beseitigung oder die Fortdauer der Störung - übersehen, nicht aber deren mannigfaltigen politischen oder sozialen Auswirkungen. Anders der Privatmann, der in seiner Sphäre die Folgen seines Handeins über längere Zeiträume hinweg (wenigstens in größerem Umfang) beherrscht: Er selbst kann nämlich problemlos feststellen, ob seine Fußn. 3, S. 14. Insofern rennt die Kritik (vgl. beispielhaft G. Lübbe-Wolf!, Fn. 2) von vornherein offene TÜTen ein und offenbart allein, daß hier Schranken bestehen, die zur Diskussion stehenden prozessualen Fragen als solche zu verstehen. 17 Krit. (Fußn. 11) S. 57. 18 Näher unten. 15

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1. Zur Folgenselektion durch die Rechtsprechung

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Entscheidungen zweckmäßig waren und gegebenenfalls - allerdings allein im Rahmen seiner wirtschaftlichen Möglichkeiten - Änderungen seiner Entscheidungen vornehmen. Wieder anders der Unternehmer, der durch Bilanzierung Informationen über die Folgen seiner Planung erhält und diese durch Marktforschung den tatsächlichen Gegebenheiten anpassen kann 19. Dagegen vermag G. Lübbe-Woljfs20 Darstellung die hier vertretene Position nicht anzutasten. Thre Untersuchung ist nämlich an der Frage der Begründung sinnvoller Argumentationszusammenhänge für prinzipiell alle Arten juristischer Verfahren interessiert; sie trifft Aussagen sowohl über Urteile (Streitentscheidungen von Gerichten) als auch Entscheidungen der Verwaltung und solchen des Gesetzgebers. Mit der Weite an Beispielen und Gesichtspunkten, die dies mit sich bringt, ist freilich der Verlust an Orientierungen des jeweiligen institutionellen Kontexts verbunden, aus dem heraus im Einzelfall Lübbe-Woljfs Darstellung argumentiert. Für die Frage nach einer Folgenorientierung des Richters wird wegen dieses Fehlens verfahrensrechtlicher und institutioneller Bezüge die Aussagekraft der Überlegungen Lübbe-Woljfs eigentümlich unergiebig. Lübbe-Woljfs Untersuchung geht von einer Unterscheidung aus, die von K. Larenz 21 begründet worden ist. Sie differenziert nämlich zwischen Rechtsfolgen rechtlicher Entscheidungen und Normen - gleichsam dem "dann", das sich ergibt, wenn die Bedingungen des Vorliegens eines "wenn" festgestellt sind, von den ,.Realfolgen" der Entscheidungen. Unter Realfolgen faßt Lübbe-Woljf die mannigfaltigen Möglichkeiten tatsächlicher und normativer Konsequenzen, die sich wiederum aus dem "dann" ergeben, also daraus, daß durch das Recht eine Voraussetzung mit einer (Rechts-)folge (einer rechtlichen Konsequenz) verknüpft ist. Daß an einen Tatbestand, sofern er nur überhaupt ein solcher des Rechts ist, materielle oder formelle "Rechtsfolgen" geknüpft werden, liegt auf der Hand, da ohne dies der Tatbestand als Erscheinung des Rechts nicht von Interesse wäre. Interessant in unserem Zusammenhang ist die Kategorie der ,.Realfolge" , wie sie LübbeW oljf sieht: Sie geht nämlich nicht unvermittelt auf jede beliebige Art der Entscheidungsfolge, sondern unterscheidet zwischen Entscheidungsfolgen und Adaptionsfolgen, die freilich z.T. in einem wechselseitig kongruenten Verhältnis zueinander stehen sollen 22 • Entscheidungsfolgen sollen in diesem Kontext diejenigen Folgen sein, die unmittelbar aus der Entscheidung resultieren: Lübbe-Woljfnennt beispielhaft Auswirkungen auf die Lebensverhältnisse eines zu einer Freiheitsstrafe Verurteilten 23. Davon unterscheidet sie Adaptionsfolgen, mit denen sie die "verhaltensbeeinflussenden" Wirkungen rechtlicher Entscheidungen sind und die sich als "das Ergebnis der Anpassung" der Betroffenen "an die Geltung einer Regel" darstellen sollen 24. Damit spricht Lübbe-W oljf zum einen Probleme der (erwünschten) Präventionswirkungen rechtlicher Entscheidugnen an, zum anderen, wesentlicheren, zielt sie auf einen interessanteren Zusammenhang, der insbesondere auch im Kontext der Gesetzgebungslehre nachdrückliche Bedeutung erlangt hat. Es geht dabei nämlich um die Berücksichtigung negativer - d.h. unerwünschter 19 Wie sich dies in den unterschiedlichen "Attitüden" des Personals niederschlägt, hat bereits R. v. Gneist (Der Rechtsstaat und die Verwaltungsgerichtsbarkeit in Deutschland, S. 124 f.) gezeigt. 20 Fn. 2. 21 Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 5. Aufl. 1983, S. 144 ff., 222 ff. 22 Lübbe-Woljf (Fn. 2) S. 141-144. 23 Fn. 2, S. 139. 24 Lübbe-Woljf (Fn. 2) S. 139-140.

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V. Zur Struktur der Folgenorientierung der Rechtsprechung

Entscheidungsfolgen in Fällen, in denen den Entscheidenden Alternativen zu Gebote stehen. In diesem Zusammenhang rügt sie scharf 25 ,.Achtlosigkeit" und "Vernachlässigung" der Berücksichtigung von Adaptionsfolgen rechtlicher Entscheidungen, ohne freilich näher den Zusammenhang anzugeben, in dem diese Berücksichtigung sinnvoll und effizient geschehen könne. Der Grund für dieses Defizit liegt in dem Ansatz Lübbe-Wolffs selbst. Indem sie prinzipiell alle Folgen außerhalb der von Larenz so bezeichneten Rechtsfolgen als ,.Realfolgen" behandelt, die einer empirischen Beobachtung und Untersuchung unterworfen werden müßten, vermag sie nicht mehr darzustellen, welche Formen und Bereiche der ,.Folgenkontrolle" ihrer Entscheidungen sinnvollerweise von der Rechtsprechung berücksichtigt werden können. Thr Ansatz bei der Frage nach der ,juristischen Regel- und Begriffsbildung" 26 hätte es dabei nahegelegt, zweierlei Fragen zu stellen: zum einen die nach den Implementationsbedingungen, unter denen wie auch immer geartete ,.Folgenerwägungen" stets aufgrund ihrer institutionellen Einbindung stehen und zum anderen, welches das Instrument sein könne, um in den Zusammenhang eines wissenschaftlich durchgebildeten Rechts Adaptionsfolgen als ,.Realfolgen" von Entscheidungen in die Rechtsanwendung und Rechtserkenntnis einzubeziehen. Deshalb vermag Lübbe-Wolffauf die von N. Luhmann gestellte Frage nicht angemessen einzugehen. Sie wirft Luhmann vor, er habe nicht genügend dazwischen unterschieden, ob Folgenerwägungen "bei der Aufstellung rechtlicher Regelungen" eine Rolle spielen sollten und ob an die Folgenorientierung notwendig auf Einzelfallabwägungen an Stelle methodisch streng regelgeleiteter Rechtsanwendung treten müßten 27. Schon diese Frage führt an dem Problem, das Luhmann 28 und andere 29 zu ihrer Kritik an ,.Folgenorientierungen" im Recht bewogen hat, vorbei. Die Frage nach der "Folgenorientierung" ist nämlich nicht unabhängig davon, an welcher Stelle im Rechtssystem auf Entscheidungsfolgen abgestellt werden soll. Für den Richter stellt sich entweder die "Folgenorientierung" als nichts anderes dar als die nach der Anwendung eines in einer bestimmten Art und Weise verfaßten Rechts, in dem Kategorien, die auf eine künftige Entwicklung abstellen, wie Tatbestandsmerkmale eines feststehenden Sachverhalts behandelt werden 30. Dann geht es aber nicht um ,.Folgenorientierungen", sofern man diesem Begriff überthaupt einen angebbaren Inhalt zuweisen will. Im Gegenteil zeigt die Frage, ob die Entscheidungsgrundlagen rechtmäßig ermittelt worden sind, an, daß von den ,.Realfolgen" der Entscheidung abgesehen werden soll. Oder es werden den Richtern tatsächlich Prognosen über den Eintritt von Realfolgen derart abverlangt, daß der Eintritt oder Nichteintritt der Folgen, an die die Art der Entscheidung gebunden ist, für deren Bestand oder Nichtbestand erheblich sein soll. Das setzt aber bestimmte Formen der Ermittlung der dafür erforderlichen Entscheidungsgrundlagen sowie eine Typisierung der Indizien voraus, aufgrund deren Vorliegens die der Entscheidung zugrundeliegende Folgenerwartung angeknüpft wird. Ist dem Richter

Dies., (Fn. 2) S. 152, ISS. Vgl. den Untertitel der Untersuchung Lübbe-Wolffs. 27 Lübbe-Wolff (Fn. 2) S. 17. 28 Fn. 3. 29 Vgl. allein H.-M.Pawlowski (Fn. 3). 30 Das ist der Fall bei ,,Prognoseentscheidungen" im Verwaltungsgerichtsprozeß, die nicht auf den "wirklichen" künftigen Verlauf abstellen sondern auf die Rechtsfrage, ob hic et nunc die Entscheidungsgrundlagen rechtmäßig ermittelt worden sind. 25

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1. Zur Folgenselektion durch die Rechtsprechung

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eine derartige Folgenorientierung von Rechts wegen für seine Entscheidungen aufgegeben, so unterscheiden sich diese Entscheidungen nachdrücklich von Urteilen, in denen in einem Rechtsstreit zwischen zwei Parteien Recht angewendet wird: Derlei Erwartungen von Folgen sind nämlich dem kontentiosen, strengen Beweise nicht zugänglich, und die auf ihnen basierenden Entscheidungen müssen, um sinnvoll auf Enttäuschungen der ihnen zugrundeliegenden Erwartungen reagieren zu können, abänderbar sein u.dgl.m. In letzteren Verfahren liegt die Rechtsfrage nicht in der Anknüpfung von richterlichem Handeln und Entscheiden an die erwarteten Folgen der Entscheidung, sondern in der Rechtmäßigkeit des Verfahrens bei dieser Folgenabwägung. Die weitergehende Frage, der sich Lübbe-Woljf nach ihrem Ansatz nicht stellen kann, lautet, ob ein Rechtssystem überhaupt in einer Weise verfaßt sein kann, daß es in seinen Verfahren auf die zu erwartenden Folgen seiner Entscheidungen eingeht. Nun muß gewiß die - rechtsstaatliche - Verwaltung die Folgen ihres Handeins (dessen Kosten und Effizienz usf.) berücksichtigen und zur Entscheidungsgrundlage machen. Bei administrativen Entscheidungen geht es aber nicht allein um die Anwendung des Rechts, sondern darüber hinaus um die Verfolgung weiterer Zwecke. Interessant wird daher diese Frage erst, wenn man sie auf die Rechtsprechung zuspitzt und begrenzt. Die Frage lautet dann, was eigentlich geschieht, wenn sich in einem Prozeß Parteien um das Recht streiten und dabei mit dem Gericht verhandeln. Es wird dann deutlich, daß zwar die (allgemeinen) empirischen Entscheidungsfolgen vom Gericht im Prozeß nicht berücksichtigt werden können und dürfen. Dagegen stellt sich die methodisch richtige Berücksichtigung der von Lübbe-Woljfsog. "Adaptionsfolgen" als Problem der Rechtsdogmatik dar. Ein Umgang mit dem Recht würde sich nämlich als unangemessen und falsch darstellen, der den Bürgern juristische Konstruktionen aufzwingt, die als Interessenwahrnehmung der Bürger legitim sind, sich aber aus der Sicht des Gesetzgebers und des Rechtssystems als "Mißbrauch" darstellen müßten. Einen solchen "Mißbrauch" nur moralisierend zu verdammen wäre schlechthin unredlich, da die Ausnutzung rechtlicher Handlungsmöglichkeiten durch die Bürger moralisch indifferent ist 31. Daher ist es Aufgabe der Dogmatik, sich vermittelt an den Adaptionsfolgen der von ihr vorbereiteten Urteile zu orientieren. Und deshalb helfen auch G. Teubners Überlegungen zur Konzeption einer ,,responsiven Dogmatik" nicht weiter 32. Teubner sieht, daß die Antwort auf die Frage der Folgenorientierung der Rechtsprechung mit der Frage nach der Struktur der Rechtsdogmatik steht und faUt. Er zeigt, daß in der Praxis höchstrichterlicher Judikatur Folgenerwägungen eine Rolle spielen. Teubner macht nun aus der Begründungsnot eine aus der Komplexität des modernen Rechts in hochdifferenzierten Gesellschaften geborene Tugend und fordert dazu auf, eine im Gefolge von Abwägungen im Einzelfall eintretende "Politisierung"33 der Justiz als gebotene Binnendifferenzierung des Rechtssystems anzusehen. Es sei dann Aufgabe einer ,,responsiven Dogmatik", Folgenorientierungen als Maßstab von Abwägungen im Einzelfall zu rationalisieren 34, was das Erfordernis ,,kognitiver Kompetenzen der Rechtsinstitutionen" nahelegen soll 35 . 31 St.Smid, Freiheit als "Keim" des Rechts, in: Pawlowski / Smid / Specht, Hrsg.,(oben 11., Fn. 2). 32 Rechtstheorie Bd. 6 S. 179 ff. 33 Ders. (Fußn.32) S. 191. 34 Ders. (Fußn.32) S. 192. 35 Ders. (Fußn.32) S. 201. 4 Smid

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V. Zur Struktur der Folgenorientierung der Rechtsprechung

Diese Überlegungen verweisen auf die eingangs gestellte Aufgabe zurück, genauer nach der Funktion zu fragen, die Rechtsprechung von Verwaltung unterscheidet und die eingangs bereits damit umrissen wurde, daß Rechtsprechung allein den ,,zweck" verfolge, das Recht im Streit der Parteien anzuwenden. Nachdem im vorangegangenen Strukturprinzipien des Verwaltungshandelns umrissen und deren "Übertragung" auf eine Beschreibung der Rechtsprechung kritisiert wurde, kann nun erst die genauere Auseinandersetzung mit einer Beschreibung der "Programmierung" des Systems Rechtsprechung darüber Aufschluß geben, welche Erkenntnisse spezifisch in den Entscheidungsprozessen der Rechtsprechung verarbeitet werden und wie diese organisatorisch und technisch sichergestellt werden.

2. Rechtsprechung: Verfahren der Entscheidung abgeschlossener Sachverhalte Es hat sich bereits gezeigt, daß Rechtsprechung und Verwaltung einen unterschiedlichen ,,zeithorizont" bei ihren Entscheidungen zu berücksichtigen haben. Die Entscheidungen, die in Verwaltungsverfahren gefällt werden, haben Sachverhalte zum Gegenstand, die in der Zukunft liegen 36• Dagegen hat es Rechtsprechung mit Sachverhalten zu tun, die "abgeschlossen" sind 37 : Rechtsprechung, begriffen als Streitentscheidung, urteilt stets "post festum" - über vergangene Geschehnisse 38, die sie einer rechtlichen Beurteilung unterwirft 39 • Denn es unterliegt der. freien Entscheidung (Disposition) der Parteien, ob sie ein Gericht zur Entscheidung ihres Streites einschalten oder nicht 4O • Diese Befassung mitvergangenen (historisch abgeschlossenen) Sachverhalten läßt freilich all diejenigen Tätigkeiten der Gerichte aus dem Bereich der Rechtsprechung herausfallen 41 , 36 Zu den prozessualen Folgen der unterschiedlichen Orientierung von streitiger Rechtsprechung im funktionellen Sinn auf der einen und der verwaltenden freiwilligen Gerichtsbarkeit auf der anderen Seite vgl. auch R. Bruns, Schmidt-Rimpler-F. 1957 S. 237 ff., 240. 37 So auch die Vertreter von Ansätzen des ,,Richterrechts", vgl. statt vieler W. Dütz ZZP Bd. 87 (1974) S. 361, 379. 38 So unterscheidet A. Unger in seiner Abhandlung über die Rechtsmittel in der freiwilligen Gerichtsbarkeit deren Verfahren von der streitigen Gerichtsbarkeit (dem Prozeß) dadurch, daß der Richter der freiwilligen Gerichtsbarkeit die Zukunft gestalte, während im Prozeß zurückliegende Sachverhalte zur Entscheidung stünden (ZZP Bd. 34 [1905] S. 273-274). Dagegen vgl. auchJ. Schapp, Hauptproblerne der juristischen Methodenlehre S. 21. Auch wenn Schapp darstellt, daß der Streit nicht durch die richterliche Entscheidung als historischer Prozeß zu Ende sei, so spricht er doch damit nur an, daß der Streit sich als Sachverhalt und Prozeßgeschichte darstellt. 39 Dies hat O. Bähr, Der Rechtsstaat, S. 53 so ausgedrückt: "Denn wir prüfen vom Standpunkt unseres Interesses, und was wir als berechtigt erkennen, erachten wir für unser subjektives Recht. Der Richter dagegen prüft das vor ihn gebrachte lediglich als Vertreter der objektiven Rechtsordnung und sein Ausspruch bildet daher objektives Recht". Vgl. heute statt vieler W. Habscheid, Ekelöf-F. S. 283 ff., 290, der indessen (ebd. S. 285, 296) unter Hinweis auf ,,Regelungs streitigkeiten (St.Smid, Rechtsprechung § 3) von einem "Funktionswandel" der Rechtsprechung ausgeht. 40 Vgl. St.Smid, Rechtsprechung § 5.

2. Rechtsprechung als Entscheidung abgeschlossener Sachverhalte

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mit denen Gerichte nach Erlaß ihrer Entscheidung regelnd auf die Verhältnisse einwirken können und gegebenenfalls müssen. Damit fallen die Verfahren der nichtstreitigen Gerichtsbarkeit 42 aus dem Bereich der Rechtsprechung heraus, die ihm von der vorherrschenden Meinung heute noch zugerechnet werden. Dagegen ist es mißverständlich, wenn J. Rödig 43 die richterliche Entscheidungstätigkeit unter dem Aspekt als "prognostisch" bezeichnet, es werden durch die Entscheidung des Gerichts bestimmte Erwartungen an das künftige Verhalten der Parteien formuliert. Beispielhaft soll dafür nach Rödig 44 die ,.Erwartung" stehen, der zur Zahlung verurteilte Beklagte "werde" nunmehr zahlen. Nun ist es schon zweifelhaft, wieweit die Entscheidung im Rechtsstreit über einen abgeschlossenen Sachverhalt vom künftigen Verhalten des Beklagten abhängig gemacht werden soll - und nur dann hätte es Sinn, überhaupt von einer Prognoseentscheidung zu sprechen. Rödig selbst 45 konzediert denn auch die Konstanz (und d.h.: die Abgeschlossenheit) des vom Gericht im Rechtsstreit zu entscheidenden Sachverhalts 46 • Dies mag ein Beispiel deutlicher machen. So unterscheidet etwa der Richter im Unterhaltsprozeß über die Entwicklung des Bedarfs des Berechtigten und des zu erwartenden Einkommens des Unterhaltsverpflichteten auf der Grundlage des Sachverhalts, wie er sich zum Schluß der letzten mündlichen Verhandlung darstellt. Er legt die im Prozeß festgestellten Werte seiner Entscheidung zugrunde.Diese Werte aber beruhen immer auf Sachverhalten, die in der Vergangenheit liegen. Sie sind daher häufig - in einer veränderten wirtschaftlichen Situation der Parteien - nicht mehr maßgeblich. Während das Grundurteil (die Quoten etc.) daher Bestand hat, kann - als Ausnahme (Durchbrechung der Rechtskraft) - die Entscheidung hinsichtlich der Höhe des Unterhaltsbetrages abgeändert werden. Wie diese Diskrepanz durch die Ermöglichung von Rechtskraftdurchbrechungen 47 prozessual aufgefangen wird, ist näher im Zusammenhang der prozessualen Folgen zu erörtern, die sich aus einer funktionalen Beschreibung von Rechtsprechung als Streitentscheidung ergeben. Diese Fragen sind jüngst im Zusammenhang der Verurteilung von Schuldnern zur Zahlung von Verzugszinsen Gegenstand höchstrichterlicher ludikatur 48 geworden. In 41 EJ.Rassek, Kindeswohl S.45 zu den Entscheidungen nach den §§ 1671, 1672 BGB; dagegen versucht M. Coester in seiner Habilitationsschrift (Das Kindeswohl als Rechtsbegriff) Kriterien inhaltlicher "Wertungen" zu liefern; der Titel seiner Arbeit erweckt daher einen falschen Schein, denn der Sache nach geht es Coester nicht um das Kindeswohl als Rechtsbegriff, sondern als Gegenstand empirischer sozialwissenschaftlicher Disziplinen. 42 St.Smid, Rechtsprechung Teil 3. 43 Theorie des gerichtlichen Erkenntnisverfahrens, S. 54; ebenso jetzt H. Roth NJW 1988 S. 1233 (zu Unterhaltstiteln und ihrer Abänderung gern. § 323 ZPO); vgl. dagegen W. Niese, Doppelfunktionelle Prozeßhandlungen, 1950 S. 60. 44 J. Rödig, Theorie des gerichtlichen Erkenntnisverfahrens S. 54. 45 Ebd. S. 57. 46 Anders als heute etwaJ. Rödig drückte E. Bernatzik (Rechtsprechung und materielle Rechtskraft S. 5 f.) den Unterschied von rechtsprechender Streitentscheidung, klassischer freiwilliger Gerichtsbarkeit und Verwaltung durch eine Differenzierung von Urteilen über (abgeschlossene) Sachverhalte, Beurkundungen (vgl. auch St.Smid, Rechtsprechung § 1) und Befehlen (die auf das zukünftige Verhalten der Beteiigten gerichtet sind) aus. 47 Eingehend jetzt J. Braun, Rechtskraft und Restitution Bd. 2 S. 255 ff. m. w.N. 48 BGH Urt. v. 6. 3. 1987 ZZP Bd. 101 (1988) S. 449.

4"

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V. Zur Struktur der Folgenorientierung der Rechtsprechung

dem Sachverhalt, über den der BGH zu entscheiden hatte, war der Kläger der Vollstrekkungsgegenklage gern. § 767 BGB dazu verurteilt worden, an den späteren Beklagten Verzugszinsen gern. § 286 Abs.l BGB49 in Höhe von 13,5 % bzw. 12 % zu zahlen. Später hatte sich herausgestellt, daß der Beklagte nurmehr mit Krediten zu Bedingungen eines Zinses in Höhe von 7,75 % arbeitete, was sich aus einem Sinken des Zinssatzes nach Schluß der letzten Verhandlung des Vorprozesses zu erklären war. Der BGH hat die Vollstreckungsgegenklage, mit der der Unterlegene des Vorprozesses die Einstellung der Zwangsvollstreckung aus der Verurteilung in die Verzugszinsen für unzulässig erklären wollte, abgewiesen worden, da sein Vortrag, das Zinsniveau habe nichts an der Rechtskraft des Urteils des Vorprozesses und der in ihm enthaltenen Prognose über die Entwicklung des Zinsfußes ändern können. Dagegen hat W.Brehm 50 zu Recht darauf aufmerksam gemacht, daß es nicht angemessen wäre, dem Gericht die Verpflichtung aufzubürden, wieder besseres Wissen ob des Schwankens von Zinssätzen die Verpflichtung aufzubürden, endgültig einen Zinssatz der Verurteilung des Schuldners zugrundezulegen. Brehm weist in diesem Zusammenhang darauf hin, daß dem Schuldner die Möglichkeit eröffnet werden müsse, in einem weiteren, nach dem Bild der Abänderungsklage nach § 323 ZPO gebildeten Verfahren, wegen der Änderung des Zinsfußes rechtliches Gehör zu erhalten. Dies macht freilich auch klarer, weshalb in der Literatur 51 die ambivalente Stellung des FGG-Richters zwischen Beamtem und streitentscheidendem Richter betont wird, was auf die Art der Handhabung von Verwaltungssachen durch ein Personal verweist, das ex professo von der Stellung unbeteiligter Dritter aus entscheidet.

3. Richterliche Eingriffe in die Abwicklung von Verträgen Dagegen sieht unser Recht in unterschiedlichen Zusammenhängen die Möglichkeit richterlicher Eingriffe in die Abwicklung von Verträgen vor; angefangen bei Entscheidungen nach den §§ 315 III 2, 319 BGB ist dies insbesondere im Zusammenhang mit Problemen des AGBG52 in den Vordergrund der Diskussion getreten, was es - wie gezeigt - nahezulegen schien, darin eine richterliche "Gestaltung" der Beziehungen der Parteien zueinander zu entdecken. Vor dem bislang entwickelten Hintergrund einer Funktionenanalyse von Verfahren der Rechtsprechung überzeugen derartige Darstellungen indessen nicht. Der genuin streitentscheidende Charakter auch von Verfahren der Inhaltskontrolle von AGB durch Verbraucherverbände nach § 13 AGBG legt nicht den Schluß nahe, der Richter sei dort zum folgenorientierten sodal engeneering aufgerufen. So geht es auch in "Gestaltungsverfabren" nicht darum, eine autoritative Rechtserkenntnis des Richters "Lücken" in der Wahrnehmung der rechtlichen 49 Vgl. W. Brehms Anm. (Fn. 48) S. 453, 544. 50 Fn.48, 49 S. 456. 51 Vgl. hier z. B. H. Bonvie, Die Abänderbarkeit von Entscheidungen der freiwilligen Gerichtsbarkeit S. 80. 52 K. Göbet, Prozeßzweck der AGB-Klage insbes. S. 89 ff.

3. Richterliche Eingriffe in die Abwicklung von Verträgen

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Dispositionsbefugnis durch die Parteien "ausfüllen" zu lassen. Der Richter entnimmt die Kriterien seiner gestalterischen Entscheidungen nämlich ebensowenig seinen (privaten) Wertungen oder gar einer im pluralistischen Staat unverbindlichen Sozialmoral 53 wie einem "gesetzgeberischen Befehl". Mit anderen Worten stellen sich für den Richter bei der Rechtsanwendung in den hier angesprochenen Fällen keine anderen Aufgaben als in solchen "gewöhnlicher" Leistungsklagen. Das verweist ihn für seine Entscheidung darauf, Kriterien aus dem Verhältnis der streitenden Parteien zu gewinnen, oder, anders ausgedrückt: Die "Wertung" z. B. über die Unbilligkeit der Höhe einer von einer Partei festgesetzten Leistung daran zu bemessen, wie die Parteien ihre Vertragsbeziehungen unter Einbeziehung geschäftlicher Usancen usf. ausgestaltet hatten 54. Mit diesem Rückgriff auf die vernünftige Auslegung 55 des autonomen Willens der Parteien liegen dem Richter rechtliche Gründe vor, vermittels derer er die gesetzlichen Normierungen auslegen und anwenden kann, die ihm die Kompetenz zur Fällung von "Billigkeitsentscheidungen" 56 überantworten. Freilich verläuft dieser Argumentationsansatz konträr zu den unterschiedlichen "Imperativenmodellen" der richterlichen Rechtsanwendung, wie sie heute vertreten werden. Diesen ist der Rekurs auf die Privatautonomie als Interpretationsmaßstab - als das anzuwendende Recht - insofern wenigstens erschwert, als sie unmittelbar auf das staatliche Gesetz und seine "Umsetzung" durch den Richter im Prozeß abstellen 57. Dieses angebliche Verhältnis zwischen Gesetz und Urteil wie Befehl und Vollzug verweist nicht allein den Befehlenden auf eine Folgenorientierung (und diesen - den Gesetzgeber - in der Tat zu Recht, der die Folgen politischer Entscheidungen stets zu bedenken hat), sondern auch der Richter muß von diesen Imperativenmodellen aus dazu aufgefordert werden, seine Entscheidungen unter dem Aspekt der Erreichung der vom Gesetzgeber vorgezeichneten Ziele zu treffen. Die Auseinandersetzung mit diesen von uns vergröbernd und verkürzt so genannten (und in sich durchaus verschiedenartigen 58) "Imperativenmodellen" muß daher an dieser Stelle eingehender geführt werden, um über die immanente Logik 59 rechtsprechender 53 H.-M. Pawlowski ARSP Bd.50 (1965) S. 503 ff.; wohl eher der Annahme der Verbindlichkeit eines ethischen Minimlakonsenses zugeneigt dagegen a. A. R. Sack NJW 1985 S. 761 ff., 767 f. Zu der Unangemessenheit und Anstößigkeit der Rede von einem "ethischen Minimum" und einem darauf basierenden ethisch fundierten "Minimalkonsens" St. Smid, Pluralismus und Zivilreligion, Der Staat Bd.23 (1985) S. 3 ff. sowie NJW 1990 (Rechtliche Schranken der Testierfreiheit aus § 138 I BGB, in Vorbereitung). 54 Vgl. H. Neumann-Duesberg JZ 1952 S. 705 ff., 707 -708, der ausführ!, das Gericht sei bei seiner Ermessensentscheidung ("nur") an Vertragszweck und Parteiwillen gebunden; vgl. ferner K. Larenz Schuldrecht Bd. 1 § 6 I,II. 55 Vgl. grundsätzlich H.-M. Pawlowski, Rechtsgeschäftliche Folgen nichtiger Willenserklärungen, bes. S. 252 ff. 56 Zur richterlichen Ermessenentscheidung näher unten. 57 So interpretiert E. Lefringhausen das staatliche Gesetz als "Imperativ" (S. 38) oder als ,,Anordnung (S. 40) des Gesetzgebers. Diesen Imperativ soll der Richter auf eine "zweckmäßige" Weise ,,realisieren". 58 J. Goldschmidt, Prozeß als Rechtslage, S. 229 ff. Diese können sich freilich auch darauf beziehen, der Richter gestalte imperativisch die Rechtsbeziehungen der Parteien, vgl. J. Rödig, Theorie des gerichtlichen Erkenntnisverfahrens S. 51 et passim.

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V. Zur Struktur der Folgenorientierung der Rechtsprechung

wie administrativer Verfahren Aussagen treffen zu können. Das macht es jedoch erforderlich, weiter auszuholen und die Voraussetzungen zu analysieren, unter denen die Folgen von Gerichtsverfahren heute diskutiert werden, die auf den Streit der Parteien und damit auf die Prozeßfunktion bezogen sind.

59 Und d.h. für uns nicht in den Grenzen kalkülisierender Logik, sondern durch Einbeziehung von Denkformen , die den dialogischen und insofern rechtserzeugenden Charakter des Prozesses erläutern können.

VI. Rechtsprechung als Rechtserkenntnis Diese Überlegungen zu der spezifischen Orientierung der Rechtsprechung "arn Recht" führt auf eine Betrachtung funktionaler Rechtsprechung als "rechtsanwendender Verfahren" hin I. Die Rechtsprechung auf diese Weise von der Verwaltung zu unterscheiden ist freilich alles andere als neu; doch wird heute oftmals in Abrede gestellt, daß aus dieser Differenzierung brauchbare Kriterien für das Prozeßrecht gewonnen werden können 2 • Der Grund für diese Skepsis liegt in der Vernachlässigung der Bedeutung der radikal unterschiedlichen Art einer Zweckorientierung 3 von Rechtsprechung und Verwaltung durch die Mehrzahl der bisherigen Untersuchungsansätze begründet. fusofern haben soziologische und rechtssoziologische Theoriebildungen 4 Kategorien geliefert, die sich in juristische Problemstellungen überführen und für unsere Fragestellungen fruchtbar machen lassen. Denn es kann so gezeigt werden, daß die in der juristischen Literatur besonders von Fr.Chr. Menger 5 angesprochenen verschiedenen Arten von Rechtsanwendung durch die Rechtsprechung und die Verwaltung sich dort differenzieren lassen, wo die ,,normvollziehende Gesetzesbefolgung" durch die Verwaltung Zwecke realisiert und andererseits die Rechtsprechung unsicheres, streitiges Recht feststellt, erkennt. 1 Vgl. E. Lefringhausen, Diss. S. 5, nach dem die Rechtserkenntnis genuine Rechtsprechung sei; KA. Bettermann, Jellinek-GS S. 365: Rechtsprechung als ,,reine Rechtserkenntnis"; zur Verwaltungsgerichtsbarkeit vgl. R. Schalz VVDStRL Bd. 34 (1976) S. 145, 155. 2 Äußerst instruktiv Chr.-Fr. Mengers Darstellung zum Verhältnis von Rechtspflege und Rechtsprechung, System des verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutzes, S. 49, 50, der ausführt, wie aus der einheitlichen, zunächst (Königs-)richtern und dann Beamten anvertrauten iurisdictio sich verschiedene Formen der ,,Rechtsanwendung" entwickelt haben. Bestimmte Arten der Rechtsanwendung sollen danach bei der Rechtsprechung, andere dagegen bei der Verwaltung verbleiben. Da Menger jedoch taugliche Abgrenzungkriterien - insbesondere "Streitentscheidung" - zur Abgrenzung von Rechtsprechung und Verwaltung nicht sieht, schließt er, es könne bei der Differenzierung "also nicht (darauf abgestellt werden), was geschieht". Dagegen soll ein funktioneller Begriff von Rechtsprechung danach fragen, "von wem und mit welchen Folgen die Rechtspflege ausgeübt wird", was zwar auf prozessuale Kriterien wie die Rechtskraftflihigkeit von Entscheidungen verweist, diese jedoch nicht durch eine Verfahrensanalyse absichert. Dagegen wurde oben (I.) deutlich, daß nicht unmittelbar von einer bestimmten positivrechtlichen prozessualen Ausgestaltung eines Verfahrens auf dessen verfassungsrechtliche Qualität geschlossen werden kann. 3 Stein / Janas-Schumann Einl. XI B Rdnr. 551; K.A. Bettermann, Jellinek-GS S. 369; C.H. Ule, Verwaltungsprozeßrecht § 2 II 2 m. w.N.; J. Held, Grundrechtsbezug des Verwaltungsverfahrens S.44; aus der älteren Literatur F. Fleiner, fustitutionen des Deutschen Verwaltungsrechts S. 7; vgl. ferner bei E. Lefringhausen, Diss. S. 23. 4 Vgl. St. Smid ZZP Bd. 102 (1989) S. 111 ff. 5 System des verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutzes, S. 25 ff.

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VI. Rechtsprechung als Rechtserkenntnis

Der "Gerechtigkeitswert" verfahrensrechtlicher Normen 6 und damit der staatliche Gerichtsprozeß als Erscheinung des Rechts (der Gewährleistung von Freiheit) kommt erst unter der Voraussetzung in den Blick, daß der Prozeß über seine Funktion als technische Veranstaltung des Staates zur "Rechtsschutzgewährung"7 hinaus als Verfahren betrachtet wird, in dem die Parteien ihr Recht erst finden. Denn was zwischen den Parteien im konkreten Fall "Recht" ist, steht dem Richter nicht von vornherein als hoheitlich-gesicherte (autoritative) Erkenntnis zur Verfügungs. Dem Richter ist nämlich unbekannt, welche Regelung ihrer Beziehung - mit der Chance eine künftigen gedeihlichen Zusammenlebens - für die Parteien angemessen ist. Und es sind ihm daher in einer pluralistischen Rechtsordnung auch durch das Recht selbst nicht unmittelbar Kriterien an die Hand gegeben, was die zwischen den und für die Parteien angemessenen und richtigen Regelungen seien, wie die oben im Rahmen der Auseinandersetzung mit der zitierten Entscheidung des OLG Frankfurts I M9 angestellten Überlegungen gezeigt haben: Das staatliche Recht selbst ist weithin dispositiv; es stellt der Gestaltung durch die Parteien dispositive Regelungen zur Verfügung, präformiert diese Entscheidungen aber damit weithin nicht 10. So weiß etwa bei einem drohenden Bankrott des Beklagten im Falle einer gebotenen Verurteilung der Richter nicht, ob es "besser" wäre, die - zulässige und begründete - Leistungsklage abzuweisen, um den Schuldner vor dem Konkurs zu bewahren und so etwa seinen Kindern ein sorgloses Studium zu ermöglichen usf. 1. Rechtsprechung als KonfliktbewäItigung 11

a) "Konfliktregulierung " als sozialpsychologischer Erklärungsansatz

Bereits oben wurde darauf hingewiesen, daß es dagegen wenig sinnvoll ist, Verfahren vor staatlichen Gerichten unter dem übergreifenden Titel der Konfliktlösung 12 zu fassen. Der Konfliktsbegriff ermöglicht es zwar den Befür6 So der Titel der Göttinger Rektoratsrede W. Henckels 1966. 7 Die Beschreibung der Aufgabe der Rechtsprechung - des Richters im Prozeß mit der Kategorie des "Rechtsschutzes" vermag Rechtsprechung nicht hinreichend von der Verwaltung zu unterscheiden (St. Smid, Rechtsprechung, bes. § 1 IV m. w.N.). Auch die Verwaltung hat dem Bürger "Rechtsschutz" zu gewähren - und z. B. der Vormundschaftsrichter hat ex officio die Aufgabe, das Recht des Kindes "zu schützen" (vgl. M. Hinz, Kindesschutz als Rechtsschutz und elterliche Sorge, 1976). S Vgl. hierzu und im folgenden H.-M. Pawlowski ZZP Bd. 80 (1967) S. 357 sowie Allgemeiner Teil des BGB Rdnm. 832 ff. 9 Oben IV. Fn. 7. 10 Vgl. die methodologischen Überlegungen zur Funktion des "Typus" im positiven Recht für die Parteidisposition bei D. Leenen, Typus und Rechtsfindung, passim. 11 Zum Ganzen vgl. K. Röhl Rechtstheorie Bd. 8 (1977) S. 93 ff.; 115 ff; ferner H.W. Laumen, Das Rechtsgespräch im Zivilprozeß, 1984 S. 92 ff. 12 J. Hagen ZZP Bd. 84 (1970) S. 385, 390; E. Blankenburg JbRsozRth Bd. 4 (1976) S. 84 ff.; M. Wolf, Gerichtliches Verfahrensrecht, 1978 S. 16 ff.; E. Wüstmann, Rolle

1. Rechtsprechung als Konfliktbewältigung

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wortem einer Beschreibung der Rechtsprechung als "Konfliktbewältigung" , unterschiedslos in den verschiedenartigsten Verfahren die Abwicklung von "Konflikten" zu entdecken - so meint M. W olf13, auch in den Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit werde den Beteiligten spätestens mit der Verfahrenseinleitung bewußt, daß "ein Konflikt schwele". Für ein sozialpsychologisches Erklärungsmodell des Verhaltens Verfahrensbeteiligter 14 mag dieser Ansatz argumentative Vorteile bieten; normative, rechtliche, Aussagen - und vorrangig um diese ist es der Prozeßrechtswissenschaft zu tun - lassen sich hieraus jedoch nicht gewinnen. Denn das Kriterium der Konfliktbewältigung läßt sich den unterschiedlichsten Verfahren (i.S.v. sozialen Vorgängen) von der Kindererziehung über Entscheidungsprozesse in Wirtschaft, Rechtsprechung und Verwaltung bis hin zur ärztlichen, psychiatrischen oder seelsorgerischen Tätigkeit anlegen. Diese undifferenzierte Darstellungsweise läßt an die Stelle der neutralen Rechtsanwendung (rechtlich "programmierter" Streitentscheidungen) die Abwägung heterogener Interessen treten 15. Die spezifische Funktion von funktionaler Rechtsprechung geht darüber verloren. Erst an dieser Stelle wird daher klarer, weshalb die besonders von E. Friesenhahn 16 betonte Beschreibung der Streitentscheidung als ,,zweck" materieller Rechtsprechung die Probleme der Untersuchung der spezifischen Leistungen rechtsprechender Verfahren letztlich nur verkürzt wiedergibt. Nicht die Streitentscheidung "ist" der Zweck der Rechtsprechung 17. Daher sind Darstellungen wie die U. Scheuner 18, der als einzig bezweckten Erfolg der Rechtsprechung "Gerechtigkeit" ansieht, bei all ihrer Unbestimmtheit doch insofern für eine funktionale Differenzierung von Rechtsprechung und Verwaltung aussagekräftiger, als sie den Zusammenhang von Rechtsprechung und Recht in den Blick fassen, der in einer "Definition" durch die Kategorie der Streitentscheidung zu leicht verlorengeht. b) Prozessuale Konsequenzen

Für das Recht bleibt das Kriterium der Konfliktbewältigung dagegen zu abstrakt. Als diskriminierendes Merkmal von Rechtsprechung gegenüber der Verwaltung fällt denn auch die Rechtsanwendung aus der Darstellung richterlicher Tätigkeit von einer Konfliktbewältigung her heraus 19; es ist einsichtig, daß dem Richter in verschiedenen gerichtlichen Verfahren unterschiedliche Instrumente der Konfliktbewältigung auch neben der Rechtsanwendung zur Verfügung steund Rollenkonflikt im Recht, 1972 sowie bereits C.AJ. HartzJeld, Der Streit der Parteien, S. 47 ff. insbes. S. 49 ff. 13 M. Wo(febd. S. 17. 14 Brinkmann, Soziale Welt, 1973 S.79 ff. und vgl. den konfliktssoziologischen Ansatz V. Geßners, Recht und Konflikt, 1976 dort insbes. S. 4 ff., 8 ff. 15 Vgl. oben. 16 Thoma-F. S. 27. 17 Freilich rekuriert Friesenhahn (ebd. S. 26) auf Rechtsanwendung als Kriterium. 18 Recht und Institution, 1956 S. 39, 46; an Scheuners Darstellung orientiert sich die Diss. E. Lefringhausens (S. 54). 19 M. Wolf, (Fn. 12) S. 17 f.

VI. Rechtsprechung als Rechtserkenntnis

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hen. Damit fällt der Ansatz einer konfliktsorientierten Betrachtung bei der Auseinandersetzung um die prozessualen Voraussetzungen von Rechtsprechung darauf zurück, diese nicht als Funktion, sondern allein als Kompetenz unabhängiger Richter zu begreifen. Wie einer Darstellung des Prozesses als eines Mechanismus der Konfliktregulierung dessen mögliche Funktionen und Ausgestaltungen als beliebig erscheinen zeigt die anhaltende Diskussion 2o um das Phänomen sog. "Musterprozesse"21. Diese sollen ein geeignetes Instrument der Konfliktskanalisierung (W. Lindacher) zwischen den Parteien darstellen, was schon prozessual im Hinblick auf die möglichen - zu erreichenden Urteilswirkungen (die Reichweite der Rechtskraft!) Probleme aufwirft. Gleiches gilt für die Problematik der Verbandsklagen 22 • Und diese Schwierigkeiten legen Zweifel daran nahe, ob der Rechtsanwendungsprozeß staatlicher Streitentscheidungen überhaupt zur Erreichung der mannigfaltigen Zwecke geeignet sein kann, die für eine Regulierung sozialer Konflikte nebeneinander bedeutsam sind.

2. Verfahren der Rechtsprechung als Verfahren der Feststellung des zwischen den Parteien geltenden Rechts a)

"Volitive'~

Rechtssetzung oder "kognitive" Rechtsanwendung durch den Richter

Das ,,Recht", an das der Richter bei seiner Entscheidung gebunden ist, ist also immer ein Recht, daß sich aus bereits gefällten Vorentscheidungen zusammensetzt 23. Das geltende Recht muß der Richter immer erst erkennen ("finden") 24. Im Prozeß wird daher nicht allein die Tatsachengrundlage des Urteils festgestellt; ebenso ist es Aufgabe des Prozesses, die Maßstäbe für die Anwendung des Rechts im konkreten Fall zu ermitteln. Denn es sind immer die besonderen, von den Parteien "gelebten" Rechtsbeziehungen, die das konkrete Recht ausmachen 25. Nämlich die Abreden, Gebräuche und Übungen, die im Verlauf ihrer Beziehungen entstanden sind oder abgeschlossen wurden, und die Bedeutung nicht allein als "Tatsachenvortrag" der Parteien, sondern als deren Rechtsdefinition gewinnen 26. Der Prozeß zielt auf die Ausräumung der Ungewißheit über das inter partes geltende Recht durch dessen Erkenntnis und Feststellung. Er unterscheidet sich dadurch strukturell von nichtstreitigen, administrativen Verfahren vor Gerichten oder Verwaltungsbehörden: Deren Zweck ist es (nach Darstellung A. Ungers 27 ), "für den Richter die tatsächliche oder rechtliche 20 Jüngst W. Lindacher JA 1984 S. 404 ff. 21 Eingehender St. Smid, Rechtsprechung §§ 5,6. 22 Oben IV Fn. 3. 23 H.-M. Pawlowski, Methodenlehre für Juristen Rdnr.423 et passim. 24 Ders. ZZP Bd. 80 (1967) S. 368. 2S Ders. ZZP Bd. 80 (1967) S. 365. 26 Zur Bedeutung dies partikularen Rechts in der Revisionsinstanz vgl. H.-M. Pawlowski ZZP Bd. 80 (1967) S. 366.

2. Feststellung des zwischen den Parteien geltenden Rechts

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Ungewißheit darüber, ob und wie eine gerichtliche Handlung ... vorzunehmen sei, in Gewißheit umzusetzen". Diese Überlegungen verweisen erneut auf die Auseinandersetzungen, die in der Lehre um den Zweck des Prozesses geführt worden sind. Besonders W. Henckel hat in seiner großen Monographie "Prozeßrecht und materielles Recht" 28 gegen diese Art der Darstellung, als deren Repräsentanten er die Ansätze O. Bülows und H.-M. Pawlowskis zitiert, gewichtige Gründe vorgetragen 29. Henckel führt aus, es fehle dieser Art der Darstellung ein Kriterium dafür, weshalb aus der Situation des Prozesses Recht durch den Richter erkannt werden könne. Er hält dagegen, es sei gewiß nicht der Richter als "Ersatzgesetzgeber" im Sinne richterrechtlicher Modelle legitimiert; ebensowenig jedoch verfügten die Parteien über eine Legitimation, durch ihren Vortrag das Gericht in der Rechtsanwendung zu binden. Denn die Parteien sind in der Darstellung Henckels 30 allein Vertreter opponierender Partikularinteressen; zur Rechtssetzung (oder anders ausgedrückt: zur "politischen" Rechtserkenntnis ) seien hingegen entgegen Pawlowskis Ansicht einzig die parlamentarischen Repräsentanten demokratisch legitimiert. Diese staatsrechtliche Überlegung Henckels ist indes vor dem Hintergrund der heutigen Politikwissenschaft kaum mehr uneingeschränkt haltbar, die von der Notwendigkeit gerade lobbyistischer und insofern "partikularer" Interessenvertretung für die Konstitution des modernen demokratischen Staates ausgeht. Nun haben derartige politikwissenschaftliche Überlegungen in das Staatsrecht erst ansatzweise Eingang gefunden; für das Prozeßrecht scheinen sie sich als um so fragwürdiger und die Kritik Henckels unserem Einwande zum trotz sich als gerechtfertigt, notwendig zu erweisen.

Henckelliegt daher vordergründig richtig, wenn er kritisiert, eine Darstellung des Prozesses als die Erkenntnis und Feststellung des von den Parteien gesetzten, definierten und zwischen ihnen streitigen Rechts laufe auf die Behauptung einer Produktion des Rechts durch den Prozeß heraus. Der Prozeß aber könne, so sagt Henckel, kein Recht schaffen. So überzeugend diese Folgerung ist, so wenig einleuchtend ist die Argumentationskette, auf der jene creatio ex nihilo beruht, den die henckelsche Interpretation der Darstellung Pawlowskis unterlegt. Zwei Mißverständnisse tragen in der Kritik Henckels. b) Kritik "Jreirechtlicher" Konzeptionen Das erste tritt in einer Anmerkung H enckels 31 zu Tage, in der er den Ansatz Pawlowskis zwar - zu Recht - dem System J. Binders, die Darstellungen Binders und Pawlowskis jedoch der "freirechtlichen" Argumentationsweise O. Bülows zuordnet. Nun ist der "Freirechtsvorwurt" Bülow gegenüber berechtigt. Bülow hielt nämlich der Begriffsjuris27 28 29 30

31

ZZP Bd. 34 (1905) S. 310.

1970. Ebd. S. 51 ff. gegen W. Sauer und insbes. H.-M. Pawlowski. Ebd. S. 56. Ebd. S. 53 N. 50.

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VI. Rechtsprechung als Rechtserkenntnis

prudenz des 19. Jahrhunderts in seiner bekannten leipziger Rektoratsrede "Gesetz und Richteramt"32 entgegen, der Richter müsse im Prozeß das Recht herstellen. Und Bülow forderte in diesem Zusammenhang den Richter zu eigenen "Wertungen" und Dezisionen auf. Dies hat ihm - insoweit durchaus zu Recht - Erwiderungen von A. Wach und K. Hellwig 33 eingetragen, das Recht müsse "Recht bleiben". Diese Problematik betrifft aber nicht unmittelbar die Konzeption des Prozesses durch Bülow, die sich mit dem hier (und dem von Binder und Pawlowski) vertretenen Ansatz berührt. Vielmehr hat Bülow Probleme der allgemeinen Auslegungslehre angesprochen. Denn die Frage nach der Rechtsanwendung durch den Richter betrifft die Frage, ob das Recht als System von Begriffen, wie es noch Wach und HellWig meinten oder als Zusammenhang sozial wirksamer Normen zu verstehen sei, was Bü[ow ausdrücken wollte. Für die Prozeßkonzeption des Prozesses als Verfahren der Erkenntnis des streitigen Rechts ist eine "freirechtliche" Auslegungslehre indes nicht notwendig, wie J. Binder gezeigt hat. Binders Ansatz stellt insofern einen feststellbaren Fortschritt gegenüber Bülows Lehre dar. J. Binder 34 hat nämlich die Lehren vom Rechtsschutzanspruch 35 entgegengehalten, sie übersähen, daß das Recht überhaupt nur in einer staatlichen Ordnung existiere, die seinen Schutz garantiert 36. Es kann nach Binders Argumentation zudem nicht ein von vornherein feststehendes Recht Objekt eines auf Gewährung staatlichen Schutzes gerichteten Anspruchs sein, da das Recht vor seiner Erkenntnis und Feststellung im Prozeß nur hypothetisches, behauptetes Recht sei. Erst das Urteil stellt fest, ob das behauptete Recht bewiesen 37 und damit zu schützen ist. Binder hat damit deutlich gemacht, daß es im Prozeß um Rechtserkenntnis geht, also um die Feststellung hypothetischen, ungewissen Rechts. Binder treffen 38 daher Vorwürfe der "Freirechtlichkeit" nicht. Auf der anderen Seite ist es keineswegs zufällig, daß Henckel eine Kritik der Darstellungen des Prozesses von den Lehren vom Rechtsschutzanspruch her mit einer Freisetzung letztlich nicht mehr steuerbarer "Richtermacht" identifiziert. So hat besonders W. Simshäuser 39 in seiner Analyse der historischen Entwicklung des Zivilprozeßrechts seit v. Savigny nachweisen können, daß die Lehren vom Rechtsschutzanspruch insofern eine Begrenzung richterlicher Machtvollkommenheit implizierten, als von ihnen her der Prozeß als eine publizistische Veranstaltung des Staates beschrieben werden konnte, bei der der Richter in seiner Prozeßleitung selbst rechtlich (nicht anders als jede gesetzesakzessorische Verwaltung) gebunden war. Anders ausgedrückt konnten die Prozeßhandlungen dadurch als Erscheinungen des Rechts diesseits der Willkür des Richters 32 1885. A. WachZZPBd. 32(1904)S. 1 ff., 1O,26,31;K.Hellwig,KlagrechtundKlagmöglichkeit, 1905 S. 59 ff., 91. 34 Prozeß und Recht S. 103 ff. 35 Vgl. zu deren Entwicklung O. Vossius, Zu den dogmengeschichtlichen Grundlagen der Rechtsschutzlehre, 1985; als deren Protagonisten s. bes. A. Wach, Der Feststellungsanspruch, 1888 S. 22, 51; K. Hellwig, Anspruch und Klagrecht, S. 145 ff. Aus der neueren Literatur vgl. P.Mes, Der Rechtsschutzanspruch. Zur Kritik dieser Lehren St. Smid, Rechtsprechung § 1 V et passim. 36 Prozeß und Recht S. 202, 203. 37 Ebd. S. 149 ff. 38 Eingehend zur Differenz zwischen dem Ansatz O. Bülows und dem, von H.-M. Pawlowski geteilten, J. Binders vgl. die Kritik Binders an Bülows Ansatz, Rechtsphilosophie 1. Auf!. 1925 S. 201; im übrigen Pawlowski ZZP Bd. 80 (1967) S. 369 N. 103. 39 Zur Entwicklung des Verhältnisses von materiellem Recht und Prozeßrecht seit Savigny, S. 116 ff., 121. 33

2. Feststellung des zwischen den Parteien geltenden Rechts

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thematisiert werden, daß sie als öffentlich-rechtlich wirksame Akte gedacht wurden. Andererseits erscheint es keineswegs zwingend, daß eine Kritik dieser Auffassungen sich stets als freirechtliche Rechtfertigung richterlicher Macht - Rechtssetzungskompetenz - darstellen soll, was freilich auch Henckel keineswegs behauptet.

Ebenso wesentlich ist jedoch, daß Henckel den Darstellungen des Prozesses als Erkenntnis des durch die Parteien nonnierten Rechts vorwirft, sie bedürften der Behauptung einer dialektischen Struktur des Prozesses als eines Hilfsmittels, um ihren Ausgangspunkt zu "mildem" und Kriterien zu retten, nach denen der Richter feststellen könne, was die Parteien "vernünftig wollten"40. Diesen Ansätzen unterstellt H enckel von seinen Voraussetzungen her, daß mit der Behauptung, der Richter erkenne im Verfahren das Recht, auf ein "Dialogmodell" verwiesen werde, vergleichbar der haberrnasschen Theorie in der Sozialphilosophie. Doch trügt dieser Verdacht. Denn die Rechtssetzungskompetenz der Parteien findet sich - was auch Henckel im Fortgang seiner Untersuchungen als selbstverständlich ansieht - in der "Realität" des Rechts in Gestalt der Privatautonomie. Das Rechtsgespräch zwischen dem Gericht und den Parteien "erzeugt" nicht das Recht 41 - doch aufgrund des Rechtsgesprächs erkennt der Richter, wie die Parteien ihr Recht "gesetzt" haben - wie er ihren Vortrag als rechtlich relevant auszulegen hat. Als Einwand gegen diese Art der Darstellung bleibt dann indes allein noch ein Einwand bestehen, das seinen Ursprung in der heutigen Wertungsjurisprudenz findet, auf deren Einfluß wir bereits oben eingegangen sind: Wo bleibt das staatliche Gesetz und wo bleiben die gesetzgeberischen Wertentscheidungen, wenn im Prozeß das zwischen den Parteien geltende Recht erkannt wird? Interpretiert man das Gesetz als Instrument zur Rechtserkenntnis, erübrigen sich diese Fragen. Aber auch Henckel, der ausdrücklich an der Analyse der gesetzgeberischen Wertentscheidung interessiert ist, konzediert doch wenigstens 42 , daß die staatliche "Wertentscheidung" , wie sie insbesondere im Bereich der Nichtigkeitsregeln in der Rechtsgeschäftslehre von Bedeutung sind, nicht unmittelbar für den Prozeß bedeutsam sind: Das Gesetz stellt sich dann aber zwar nicht der gegenwärtigen Diktion der Wertungsjurisprudenz, aber für diese doch der Sache nach als Mittel zur Auslegung dessen dar, was die Parteien gewollt haben. Dagegen haben sich freilich andererseits auch solche Einwände erhoben, die grundsätzlicher als die Kritik W. Henckels auf anderen Konzeptionen vom Recht beruhen, als sie einer pluralistischen, demokratisch verfaßten und daher auf den jeweils autonomen Rechtssetzung durch die Bürger beruhenden Rechtsordnung angemessen erscheinen. Begreift man das Recht nämlich als staatlichen Imperativ gegenüber der Gesellschaft, so erscheint der Prozeß allemal als "Rechtsdurchsetzung" im Sinne eines Befehlsvollzuges gegenüber "Unklarheiten", die im Rechts40 41

42

Prozeßrecht und materielles Recht S. 55. Ebd. S. 57. Ebd. S. 136-138.

VI. Rechtsprechung als Rechtserkenntnis

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verhältnis der Parteien bestehen. Das Urteil steht danach im Gegensatz zu den Regelungen der Parteien, die im Verhältnis zum allgemeinen Gesetz partikular und insofern bedenklich, wenn nicht gar "falsch" (unrechtlich) erscheinen 43 • Derartigen Auffassungen sind Vorstellungen über die Funktion staatlicher Gesetze als voluntaristische gesetzgeberische Äußerungen unterlegt 44 , die bereits an verschiedenen Stellen kritisiert wurden, da sie der Privatautonomie in einem pluralistischen Rechtssystem nicht gerecht zu werden vermögen. Es wurde bereits darauf hingewiesen, daß diese Ansätze den Rechtsanwender der Möglichkeit berauben, rechtliche Kriterien aus dem Verhältnis der Parteien zueinander zu gewinnen.

3. Rechtserkenntnis und Volkssouveränität a) Zusammenhang von Legitimität des Rechts und seiner Erkenntnis

Das Recht - die Rechtsordnung, aus deren Zusammenhang heraus sich (vor dem prozeßrechtlichen Hintergrund der Lehren vom Rechtsschutzanspruch) Vorstellungen vom Recht als hoheitlichem Imperativ entwickelten - wurde als das Recht eines obrigkeitlichen Souveräns legitimiert. Seine Anwendung erfolgte dementsprechend im Vollzug seines - des Souveräns - Willens. Diese Probleme stellten sich freilich den Naturrechtssystemen bis in das 18. Jh. hinein vielfach noch nicht, die noch von der Geltung des "alten" Rechts kraft Herkommens ausgingen; die Rechtsanwendung (und damit unmittelbar: die Rechtsprechung als Staatsfunktion) bedarf besonderer Legitimationsbemühungen historisch erst in einer Situation, in der das Recht positiviert und damit auf Abänderung hin umgestellt wird. Erst mit dem Auftreten des Absolutismus im 17. und 18. Jh., in dem der Fürst als Quelle des Rechts gedacht wurde, ergaben sich daher diese Probleme der Rechtfertigung von Änderungen des Rechts. Einen weiteren Schritt stellte dann die Bindung des Fürsten an das Recht dar (seine Wandlung vom princeps legibus absolutus zum princeps legibus solutus); die Kodifikation des 19. Jahrhunderts legten es aufgrund dieser historischen Rahmenbedingungen der konstitutionellen Monarchie nahe, das Recht als eine obrigkeitliche Gewährung gegenüber dem Bürger zu verstehen. Wenn daher seitens der Bürger dem staatlichen Gericht die Entscheidung von Streitfallen vorgelegt wurde, so erfolgte nach diesem Legitimationsprinzip immer die Anwendung eines allein vom Staat herrührenden Rechts auf die unterhalb des Rechts liegende Sphäre der bürgerlichen Gesellschaft, der im Wortsinn durch den Souverän Recht gewährt und deren Recht Schutz zuteil wurde.

43

Vgl. die Kritik bei J. Rödig, Theorie des gerichtlichen Erkenntnisverfahrens S. 37

44

Eingehend H.-M. Pawlowski, Rechtstheorie Bd. 12 (1981) S. 9 ff.

N.20.

3. Rechtserkenntnis und Volkssouveränität

63

Der modeme, aus der Volkssouveränität gerechtfertigte Staat - und gerade der des Bonner Grundgesetzes - läßt sich dagegen nicht mehr als Organisation denken, die prinzipiell Unfreien gegenüber "Freiräume eröffnet" und diese (obrigkeitlich) "protegiert". Die Souveränität des Staates beruht vielmehr darauf, daß er die Autonomie die Freiheit - seiner Bürger durch Vorkehrungen wie das Recht - d.h. die Einrichtung staatlicher Verfahren der Rechtsprechung - ermöglicht 45 • Volkssouveränität verweist nämlich nicht allein auf eine demokratische Konstruktion der Legitimation des Staatshandelns durch die Beteiligung der Bürger an Entscheidungsprozessen vermittels Wahlen. Sie beschreibt vielmehr, daß der Staat und sein Recht auf der Freiheit gleicher Rechtsgenossen beruhen. - Und es wird noch zu zeigen sein, daß damit für Verfahren der Rechtsanwendung (der Rechtsprechung) die methodische Anweisung verbunden ist, die Vorträge der Parteien selbst als rechtliche Festlegung (als Rechtsdispostionen) zu begreifen. Sobald nämlich der Bürger als "Gesetzbrecher" des geltenden Rechts begriffen wird, tritt in den Blick, daß der Richter nur dann beurteilen kann, was zwischen den Parteien rechtens ist, wenn er als "Quelle" dieses Rechts vorrangig auch die Abreden, Verträge, das Verhalten usf. der Parteien berücksichtigt 46 •

b) Verbindlichkeit des Rechts und seine Erkenntnis Diese Überlegungen provozieren freilich Widerspruch, den wir nicht auf sich beruhen lassen dürfen, sondern exkursiv mit wenigen Überlegungen darstellen müssen. "Passen" sie in die Konzeptionen von ,,Rechtsquellen"? Nach der Darstellung A. Ross47 wird die Rechtsquelle als "Erkenntnisgrund für etwas als Recht" verstanden; es gilt daher zu problematisieren, welches die Voraussetzungen dafür sind, daß wir heute Regelungen von Lebenszusammenhängen als richtig ansehen 48. Dabei wird zunächst häufig auf den Staat als Urheber des rechts in Gestalt von allgemeinen Gesetzen, Verordnungen, Satzungen usf. 49 oder durch Staatsakte wie Verwaltungsakte und "Richtersprüche" rekurriert. Wenn die Qualität einer Norm als "Rechtsquelle" - Erkenntnisgrund des Rechts - so durch die Beschaffenheit ihres Urhebers bestimmt wird, drängt sich die Frage danach auf, was die Staatsorgane eigentlich von den Bürgern (unter dem Aspekt ihrer Normsetzungskompetenz) unterscheidet - da die Bürger ebenfalls privatautonom rechtliche Regelungen treffen 50. Die Annahme, Staatsakten käme 45 Deshalb entsprechen Beschreibungen der Richter als "Rechtsgestalter" nicht dem geltenden Recht, vgl. vorerst H.-M. Pawlowski ZZP Bd. 80 (1967) S. 345 ff., 383. Dieser Zusammenhang konnte in den vorkonstitutionellen Kritiken der Lehren vom Rechtsschutzanspruch freilich noch nicht thematisiert werden, vgl. O. Bülow ZZP Bd. 31 (1903) S. 191 ff, 202 ff. 46 Eindrucksvoll W. Geiger DRiZ 1982 S. 321 ff. Eingehend St. Smid, Rechtsprechung § 4. 47 Die Theorie der Rechtsquelle, 1929 S. 291 f; vgl. im übrigen J. Esser, Grundsatz und Norm in der richterlichen Fortbildung des Privatrechts, 1956 S. 134 ff; K. Adomeit, Rechtsquellenfragen im Arbeitsrecht, 1969 S. 78 f.; H.W. Kruse, Richterrecht als Rechtsquelle des innerstaatlichen Rechts, 1971. 48 Hierzu auch H.-M. Pawlowski, Küchenhoff-F. S. 139 ff., 152 ff. 49 Vgl. F. Ossenbühl, in: Erichsen / Martens (Hrsg), Allgemeines Verwaltungsrecht.

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VI. Rechtsprechung als Rechtserkenntnis

per se eine höhere Dignität und deshalb ein Vorrang in die Nonnsetzung gegenüber den Bürgern zu, kann nur darauf beruhen, daß dem Staat als Urheber von Nonnen eine prinzipiell höhere, besondere Fähigkeit zum rechtlichen Handeln zugesprochen wird. Zwei Gründe scheinen dafür zu sprechen. Zum einen setzen Staatsorgane Recht, die dazu durch besondere Verfahren legitimiert werden und bei der Rechtssetzung selbst an Verfahrens vorschriften gebunden sind 51. In dieser "prozeduralen" Legitimation könnte der Grund für den Vorrang des Staates bei der Nonnsetzung vor den Nonnsetzungen Privater liegen. Dieser Schluß ist jedoch irrig. Er setzt voraus, was er beweisen will: Die besondere Legitimation erfährt staatliches Handeln nämlich aus der Volkssouveränität, die auf der Vorstellung beruht, daß die Bürger als Nation Quelle des Rechts seien. Dem kann auch nicht entgegengehalten werden, im Hinblick auf die Ausdifferenzierung besonderer Nonnerzeugungsorganisation sei die Nonnsetzungskompetenz von den Bürgern auf ihre staatlichen Organe - und besonders auf die Gerichte übergegangen. Denn es läßt sich darauf einfach antworten, daß selbstverständlich der Gesetzgeber keine Kompetenz hat, festzulegen, was in einem einzelnen, konkreten Vertragsverhältnis als Recht gelten soll. Umgekehrt kann der Gesetzgeber nur dadurch allgemeine, verbindliche Gesetze produzieren, daß er sich durch Nonnerzeugungsakte der Bürger von der partikularen Rechtsproduktion entlastet sieht. Es bleibt dann nur noch der Einwand bestehen, der Staat und seine Gerichte verfügten deshalb über eine höhere Nonnsetzungskompetenz als die Bürger, weil staatliche Stellen im öffentlichen statt "nur" im privaten Interesse handelten. Aber auch dies greift nicht. Denn wir können nicht (wie noch z. B. G.W.Fr. Hegel 52 ) der Beamten- und Richterschaft eine besondere sittliche Dignität zusprechen 53, was es erst ennöglichen würde, deren Entscheidungen als in besonderem Maße "Recht" anzusehen. Dies war möglich, solange die Beamtenschaft ihre Kompetenzen vom Souverän als Urheber des Rechts ableitete. Der Grundsatz der Volkssouveränität rückt insofern den Bürger neben den Staatsapparat in die Stellung des ,,Nonnproduzenten". Dieser Bezug zwischen dem Grund der Geltung und Verbindlichkeit des Rechts, der Volkssouveränität und der Autonomie (Freiheit in Selbstgesetzgebung) der Bürger macht besonders ein Blick auf Art. 19 IV GG deutlich. Diese Schwierigkeiten im Umgang mit dem "Recht", dessen venneintliche Verletzung durch Akte der öffentlichen Gewalt der Bürger gern. Art. 19 IV GG auf dem Rechtsweg geltend machen kann, liegen freilich tief in der rechts theoretischen Begründung des Rechts selbst. Wir haben bereits gesehen, wie die an der Abwägung im Einzelfall orientierte Dogmatik mit einer Beschreibung des Prozesses als hoheitlichem Schutz des 50 So wurden vor dem 2. Weltkrieg z. B. Allgemeine Geschäftsbedingungen als Sonderrecht der beteiligten Verkehrskreise angesehen, vgl. m. w.N. N. Fehl, Systematik des Rechts der Allgemeinen Geschäftsbedingungen S. 64 N. 60. 51 Vgl. hier allein die Darstellung bei N. Luhmann, Legitimation durch Verfahren

S. 137 ff.

Grundlinien der Philosophie des Rechts, § 294. Zur "Richterethik" vgl. die Überlegungen zum Zusammenhang von "Rechtsprechung" und richterlichem Status in: St. Smid, Rechtsprechung, § I. 52

53

3. Rechtserkenntnis und Volkssouveränität

65

Rechts durch Richter zusammenhängt. So schreibt E.L. Nell 54 ausdrücklich, es gehe im richterlichen Urteil ausschließlich um das Zuerkennen partieller Freiheiten, da ,,Freiheit" als Ganzes allein für politische Deklamationen tauge. M.a.W. wird so nicht mehr begriffen, in welchem Zusammenhang das subjektive Recht mit der Konstitution des einzelnen als Subjekt des Rechts und seiner ("unteilbaren") Freiheit steht. Vielmehr bleibt einer derartigen Betrachtungsweise nurmehr übrig, verschiedene ,,Freiheiten" und daraus gewährte Rechtspositionen gegeneinander nach Maßgabe der Um&tände des jeweiligen Einzelfalles zuzusprechen. D.h. jedoch, daß nicht mehr der einzelne autonomes Subjekt des Rechts und damit im Wortsinne: Selbstgesetzgeber ist. denn alles Recht ist ihm nur von (heteronomen) Mächten zugeteilt. Im absolutistischen Staat war diese Macht bekanntlich der Souverän, der seinen Untertanen Freiheiten gewährte. Heute scheint es, denken wir in den Kategorien dieser Art von ..abwägungs- und einzelfallgerechtigkeitsorientierter" Jurisprudenz 55 weiter, als müßten wir an Stelle des Fürsten zum Richter kommen. Denn wenn alles Recht für den einzelnen heteronom ist, weil er nicht länger als Subjekt gedacht werden könne (wie heute im, rechtstheoretischen Schrifttum oft behauptet wird), und wenn wir zudem berücksichtigen, daß heute allgemein unstreitig ist, daß nicht die Legislative (im verfassungsrechtlichen Sinne) allein Quelle des Rechts sei, so tritt der Richter als derjenige hervor, der Rechte verleiht dadurch, daß er berechtigte Interessen des Bürgers mit Schutz versieht und dadurch in Rechtstatus erhebt. c) Prozeß und Rechtsmacht des Bürgers Diese Art der Beschreibung des subjektiven Rechts scheint nicht zuletzt deshalb heute an Boden gewonnen zu haben, weil sie sich mit der normtheoretischen Art der betrachtungsweise deckt, wie sie besonders von H. Kelsen 56 entfaltet wurde. Kelsens Erkenntnisinteresse richtet sich - für unsere Untersuchung verkürzt dargestellt - auf eine Analyse der normlogischen Verfassung des Rechts; das Recht wird als ein System von nach apriorischen Gesetzmäßigkeiten ausgestalteten Zusammenhängen interpretiert, in dem sich, nach der Art ihrer Dignität, ,,Normhierarchien" bilden. - Diese Überlegungen sind besonders im Bereich des öffentlichen Rechts rezipiert worden, wo sie dabei haben helfen können, im Zusammenhang der verschiedenen ..Schutzformlehren" Begründungen für das Auftreten von Klagmöglichkeiten des Bürgers aus dem positiven Recht zu finden. denn es leuchtet jedenfalls ein, daß klagbare subjektiv-öffentliche Rechte nicht ad infinitum aus Art. 2 I GG abgeleitet werden können; so scheint die Meinung, die ,,Rechtsrnacht" des Bürgers sei aus dem positiven Recht - ihrer ,.zuteilung" durch den Gesetzgeber - abzuleiten, den Vorteil zu haben, nicht unvermittelt Art. 2 I GO als Quelle abwägbarer , rechtlich geschützter Interessen zu interpretieren s7 •

Dies macht zweierlei deutlich. Zum einen kann ein normlogischer Ansatz das subjektive Recht ausschließlich theoretisch als Gegenstand einer Betrachtung jenseits der Frage nach der richtigen praktischen Handhabung dieser Kategorie Wahrscheinlichkeitsurteile in juristischen Entscheidungen, 1983 S. 142. ss K.-H. Ladeur, Abwägung - ein Rechtsparadigma des Verwaltungsrechts, 1984, passim; ders., ARSP Bd. 69 (1983) S. 463 ff. 56 Reine Rechtslehre S. 130 ff. 57 Maunz I Dürig I Herzog I Scholz-Schmidt-Aßmann Art. 19 IV Rdnr. 122. 54

5 Smid

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VI. Rechtsprechung als Rechtserkenntnis

im Recht erfassen. Für Kelsen fallt die Interpretation des Rechts als Rechtspraxis daher aus seiner Theorie heraus; für unsere dogmatische Betrachtung müssen wir aber diese Frage stellen und diskutieren, welche Bedeutung das subjektive Recht nicht allein analytisch (normlogisch) hat, sondern normativ, im Kontext unserer Rechtsordnung als eines Sinnzusammenhangs haben soll. Zum andern vermag eine an der Einzelfallgerechtigkeit orientierte Abwägungsdogmatik nicht den Zusammenhang zwischen der Rechtsweggarantie und dem subjektiven Recht zu begreifen, sondern kann dies allein als geschütztes oder schützenswertes Interesse verstehen - was im übrigen besonders im Ansatz H. Kollhossers 58 zum Tragen kommt, der "den Verfahren nach dem FGG" den ,,zweck" vindiziert, Interessen der Beteiligten zu "schützen", weil er unterschiedslos über alle Verfahren nach dem FGG ungeachtet ihrer verfassungsrechtlichen Qualität Aussagen treffen will und daher - zu Recht! - feststellt, daß er mit der Kategorie des subjektiven Rechts dabei nicht weiterkommt. Dies müßte freilich für die Geltung des Art. 19 IV GG für die nichtstreitigen Verfahren nach dem FGG gegenüber dessen bisheriger teleologischer Reduktion nachdenklicher machen. Und dies gerade weil sich Stimmen in der Auslegung des Art. 19 IV GG mehren, die aufgrund des Sinnzusammenhangs unserer Verfassung betonen, daß der Rechtsweg gern. Art. 19 IV GG zur Geltendmachung von subjektiven Rechten und nicht bloß schützenswerten Interessen eröffnet wird. Wenn aber Art. 19 IV GG damit als Prozeßvorbehalt zur Geltendmachung des Rechts von Rechtssubjekten gedacht werden muß, kann dieses Recht nicht mit der Eröffnung des Rechtsweges "durch den Staat geschützt" sein. Sondern umgekehrt: Der Staat gewährt dem Recht des Bürgers (im Verfahren der Zwangsvollstreckung, durch seine Polizei, oder allgemein durch die Gewährleistung der Sicherheit) Schutz - J. Isensee 59 spricht jetzt von einem "Recht auf Sicherheit" - weil der Staat sich das Gewaltmonopol vorbehalten hat. Damit ist aber keine "Entmündigung" des Bürgers gemeint. Im Gegenteil. Der Bürger wird nach den übereinstimmenden Interpretationen des Art. 19 IV GG in der verfassungsrechtlichen Judikatur wie in der Kommentarliteratur als Subjekt mit eigener Rechtsrnacht gedacht. Insofern stellt die Eröffnung des Rechtsweges als Zugang zu Verfahren der Geltendmachung des Rechts allein einen ,,Reflex" der Rechtsrnacht des Subjekts - nicht aber deren Voraussetzung dar. Allerdings setzt diese Darstellung der Funktionsweise der Erkenntnis im richterlichen Urteil als Anerkennung der Rechtsmacht freier Subjekte voraus, daß wir von einer Freiheit des Subjekts im Zusammenhang des Rechts sprechen können, was in demselben Maße zweifelhaft wird, wie das Subjekt nicht mehr als Selbstgesetzgeber gedacht und Freiheit falsch mit "Bindungslosigkeit" identifiziert wird. Diese rechtsphilosophische Diskussion können wir im Rahmen dieser dogmatischen Arbeit indes nicht führen und 58 Zur Stellung der Verfahrensbeteiligten in der freiwilligen Gerichtsbarkeit, 1970; St. Smid, Rechtsprechung § 3 IV. 59 Das Grundrecht auf Sicherheit, 1983, passim. Zu Grundrechten "auf Schutz" vgl. R. Alexy, Theorie der Grundrechte S. 410 ff.

4. Imperativenmodelle des Rechts

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müssen uns - mißlich genug - damit begnügen, die praktische Überlegenheit einer Konzeption der Interpretation der Rechts- als autonomer Freiheitsordnung des Subjekts zu behaupten, was sich freilich in den vorangegangenen Überlegungen abgezeichnet hat. Denn wir können von diesem Konzept her auch den Zusammenhang zwischen der Rechtsrnacht des Individuums und dem staatlichen Gesetz besser begreifen, das sich dann nicht länger als obrigkeitliche Gewährung von ,,Freiheiten", sondern als Ausdruck der gemeinsamen "Vernunft aller" darstellt.

4. Imperativenmodelle des Rechts a) Die Lehre H. Isays

Nun wird es von den, an Imperativenmodellen des staatlichen Gesetzes orientierten, Vorstellungen aus häufig der Versuch unternommen, volitive und kognitive (intellektuelle)60 Momente der Rechtsanwendung zu unterscheiden. Je nach dem, welches von ihnen in einem konkreten Entscheidungsprozeß zum Tragen kommt, soll d~r Richter zur "freien Fortentwicklung"61 oder zur bloß-rezeptiven Erkenntnis des Rechts aufgerufen sein. Als ,,Ersatzgesetzgeber" hä!te der Richter die Folgen seines Tuns zu berücksichtigen, was die bereits geschilderten Probleme auslöst. An vorderster Stelle ist dabei die Lehre H. Isays 62 zu nennen. Isay hat vom Ausgangspunkt der Wertphilosophie N. Hartmanns und M. Schelers 63 her versucht, der Entstehung von Entscheidungen nachzugehen 64 • Unter Berufung auf Stellungnahmen und Berichte zeitgenössischer Praktiker 65 aus und über ihre Tätigkeit analysierte Isay die richterliche Entscheidung als Vorgang der "Schöpfung und Bewertung" des Entscheidungsinhalts 66, was ihn auf das ,,Rechtsgefühl" als wesentliche sozialpsychologische Determinante der Entscheidung führt 67 . Damit gelingt ihm eine Kritik des Imperativenmodells zugunsten einer Begründung individueller Freiheit, die nicht unter dem staatlichen Befehl existieren soll 68. Die Norm wird nach Isay 69 nicht "subsumtionsfähig" vorgefunden, was gewiß juristische Arbeit zunächst richtig beschreibt. Problematisch ist, daß die Norm in der Darstellung Isay 70 durch die richterliche Entscheidung hervorgebracht wird, was eine Verlagerung von der Kognition zur Dezision mit sich bringt. Denn die Tätigkeit des Richters läßt sich nach dieser Konzeption nicht erschöpfend als Rechtsanwendung

60 BK-Achterberg, GG, Art. 92 Rdnr. 129 m. umf. Nachw. 61 Vgl. z. B. N. Achterberg, Funktionenlehre, bes. S. 149 ff. 62 Rechtsnorm und Entscheidung, 1929, der freilich nach wie vor als "Außenseiter" gilt, vgl. W. Fikentscher, Methoden des Rechts Bde.3 S. 365 ff. et passim; 4 S. 190 f. 63 Vgl. allein m. w.N. H.-M. Pawlowski, Methodenlehre für Juristen, Rdnm. 125 ff. 64 Isay, Rechtsnorm, S. 56 ff. 65 Insbesondere Vierhaus und Unger, s.bei Isay ebd. S. 62 ff. 66 Ebd. S. 67 ff. 67 Ebd. S. 85 ff. Dabei argumentiert Isay freilich exakter als viele heutiger Autoren. 68 Ebd. S. 187ff. 69 Ebd. S. 184, 202 ff. 70 Ebd. S. 240 ff. 5"

VI. Rechtsprechung als Rechtserkenntnis

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beschreiben 71. Vielmehr müssen nach lsays Forderung die realen Triebkräfte herausgearbeitet werden, die hinter der technisch-rationalen (und insofern von lsay auch für erforderlich gehaltenen 72) - im Hinblick auf die einzig relevante Dezision aber nur fiktiven 73 Begründung liegen. Dies verweist lsay jedoch im Gegensatz zu heutigen Ansätzen der Attitüdenforschung 74 nicht darauf, eine ,juristische Psychoanalyse" 75 zu entwickeln. Er schlägt demgegenüber vor, einen spezifisch juristischen Weg einzuschlagen aus der "genauen Kenntnis des entscheidenden Tatbestandes heraus und ... der in Betracht kommenden Interessen, also der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Verhältnisse... diesen irrationalen (sie!) Gründen des Urteils" nachzugehen 76. Gegen diese Überlegungen sprechen jedoch weitere, grundsätzliche Bedenken. Denn es ist bereits zweifelhaft, welches überhaupt die "volitiven" Elemente richterlicher Entscheidungen sein mögen, wo diese "verortet" werden können. Die Protagonisten dieser Unterscheidung sehen denn auch nicht allein metajuristische Determinanten volitiver richterlicher Entscheidungen - die durch verfahrensrechtliche Reaktionen auf Erkenntnisse der Attitüdenforschung abgefedert werden könnten, wo dies erforderlich scheint. Die Befürworter einer Differenzierung volitiver und intellektueller Formen rechtsprechender Entscheidungen betrachten dagegen die letzteren als Gegenstände der Rechtsdogmatik, während sie ersteren einen außerrechtlichen Status zuweisen. Das läßt den Bereich des volitiven richterlichen Urteilens aus der rechtsdogmatischen Erfassung herausfallen 77.

b) Zur Kritik an Montesquieus Darstellung des Richters Begründet wird dies damit, es sei evident, daß der Richter nicht ein vorhandenes Recht "erkenne" 78; derartigen Beschreibungen liege ein unzeitgemäß an Montesquieus Darstellung des Richters als bouche qui prononce les paroies de la lois ausgerichtetes Vorstellungsbild richterlicher Tätigkeit zugrunde. Wir haben bereits in der Einleitung unserer Untersuchung die Unangemessenheit dieser Kritik dargestellt. Mit ihr ist aber nicht mehr angesprochen, als daß die richterliche Entscheidung stets in den Beziehungen der Parteien ein Novum darstellt. Doch sie geht davon aus, daß in der Organisation des materiellen Rechts Situationen eintreten können, in denen dem Richter aufgrund seiner ihm verfügbaren Rechtsinformationen eine intellektuell begründbare Entscheidung unmöglich und er daher oftmals auf volitive Momente verwiesen sei. Gerade dies aber ist ein 71

Ebd. S. 335 ff.

n Ebd. S. 151 ff. 73 74 75 76

77 78

Ebd. S. 177. Vgl. krit. St. Smid, Rechtsprechung § 1 III 2 a,b m. w. N. Rechtsnorm S. 339. H. lsayebd. So ausdrücklich R. Dreier, H.J.Wolff-F. S. 6; Düfz ZZP Bd. 87 (1974) S. 361, 366. R. Walter, in: N. Achterberg (Hrsg.), Rechtsprechungslehre S. 491 ff.

4. Imperativenmodelle des Rechts

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Trugschluß - und zwar auch, wenn sich freilich der Rechtswissenschaftler ex professo (und der Richter nicht selten aus einem Mangel an Professionalität) außer Stande sehen wird, zu erkennen, was heute in einem Streit richtig - Recht - ist. Für die Rechtsprechung organisiert nämlich das Recht selbst eine Situation, in der einem Entscheidungszwang die Bereitstellung von Mitteln entspricht, die eine Entscheidung stets (nach der Seite der Rechtsanwendung) möglich machen. Denn dem Richter steht es nicht frei, ob er in einem "neuen" - d.h. noch nicht entschiedenen - Fall "so" oder "so" (nach seinem Belieben) entscheidet, wie heute häufig behauptet wird. Die Rationalität 79 richterlicher Entscheidungen rührt aus dem Zwang her, diese im Hinblick auf die Kompatibilität mit der Summe der vorhandenen Vorentscheidungen - d.h. dem geltenden Recht - zu begründen. - Anderes gilt allein für den Kadi, wie in der Methodendiskussion u.a. J. Rödig, H.-M. Pawlowski 80 und jetzt in einem Konzept der Unterscheidung des "Richtens" und des "Vermitteins" auch A. Holtwick-Mainzer in ihrer Untersuchung über den "Übermächtigen Dritten" (passim) deutlich gemacht haben. Der rechtsförmig entscheidende Richter ist dagegen durch das Gleichbehandlungsgebot gebunden, auch wenn ihm ,,neue" Erkenntnisse über die richtige Behandlung neuer dogmatischer Probleme (noch) nicht verfügbar sind 81. Es leuchtet im übrigen unmittelbar ein, daß dies konstitutiv für jedes routinierte, massenhaft durchzuführende Verfahren der Rechtsanwendung ist. Der volitiv statt intellektuell entscheidende Richter wäre einer permanenten Überforderung ausgesetzt (auch wenn einzelne Richter subjektiv ihre Entscheidungen durchaus als volitive Akte empfinden mögen), was indes von den Befürwortern des volitiv urteilenden Richters nicht thematisiert wird. Denn er müßte permanent neue Erkenntnisse haben, um seine Entscheidung fällen zu können 82. Für volitive Elemente bleibt mithin kein Raum in Verfahren funktionaler Rechtsprechung. Die richterliche Streitentscheidung stellt sich als intellektueller Prozeß der Erkenntnis des bislang noch verdeckten - unerkannten - rechtlichen Bedeutungszusarnmenhanges dar, aus dem heraus der Streit der Parteien zu interpretieren - zu entscheiden und auf der Ebene des Rechts zu befrieden 79 Vgl. N. Luhmann, Recht und Automatisation in der öffentlichen Verwaltung S. 134 ff. 80 H.-M. Pawlowski, Methodenlehre Rdnrn. 332 ff.; J. Rödig, Theorie des gerichtlichen Erkenntnisverfahrens S. 161 f. 81 Vgl. KA.Bettermann, Jellinek-GS S. 364.

82 Es kann und soll im Zusammenhang dieser Untersuchung nicht versucht werden, diese methodologische Diskussion in extenso zu begleiten, die von Ph.Hecks Untersuchungen einer volitiven richterlichen Entscheidungstätigkeit ihren Ausgang genommen hat (vgl. Gesetzesanwendung und Interessenjurisprudenz, 1914 § 2) Hier mögen nur einige Streiflichter unseren Standpunkt erhellen: Es ist nicht allein eine Attitüde des Zeitgeistes, wenn Heck die richterliche Entscheidung mit Formen militärischen Gehorsams vergleicht. Er geht von einer anderen Legitimationsstruktur des Rechts aus, welche es nahelegt, ein Hinzutreten des Willens des Richters zu dem des Gesetzgebers in der schließlichen Entscheidung anzunehmen. Vgl. im übrigen SI. Smid, Rechtsprechung § 1 dazu, daß derartige Interpretarnente mit dem verfassungsrechtlichen Wandel hin zum demokratisch legitimierten Staat bedenklich geworden sind.

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VI. Rechtsprechung als Rechtserkenntnis

ist. Das dem Richter zur Verfügung stehende "Material" ist dann aber kein in sich abgeschlossenes und von den Parteien - den Bürgern - "abgehobenes" Gesetz, das es durch das Urteil zu ,,realisieren" gälte. Sondern die intellektuelle Leistung, die in Verfahren der Rechtsprechung zu erbringen ist, liegt darin, die Semantik rechtlicher Präjudizien mit der Semantik in Einklang zu bringen, die sich in dem Streit der Parteien ausdrückt und dadurch Recht zu erkennen. Damit zeigt sich jedoch zugleich der Rechtsfeststellungscharakter der richterlichen Entscheidung 83. Das Urteil vermag den Streit deshalb zu entscheiden - oder ihn zu einem Ende zu bringen - , weil die Rechtserkenntnis die bis dahin bestehende Unsicherheit über das Recht beendet 84 . Freilich müssen wir bedenken, daß - ungeachtet unserer Einwände gegen eine Beschreibung iudikativer Urteile als "volitiv" strukturierter "Wertungen" - doch ein wesentliches Feld bleibt, auf das sich die von uns kritisierten Auffassungen berufen. Denn die Betonung angeblich volitiver Elemente des richterlichen Urteilens fmdet eine Hauptstütze vornehmlich in den vorherrschenden Beweistheorien, nach denen im Richter die volle Überzeugung vom Vorliegen bestimmter Tatsachen hervorgerufen werden muß. Das Urteil stellt sich zwar als Erkenntnis des Rechts dar - der Urteilsschluß vollzieht sich nicht empirisch, sondern normativ den Gesetzmäßigkeiten des Rechts folgend. Das Urteil ist keine Behauptung über Tatsachen, aber es "beruht" auf Tatsachenfeststellungen - was auf die Unterscheidung von Tat- und Rechtsfrage verweist 85 . Die "subjektive Überzeugung" des Richters vom Vorliegen bestimmter "Tatsachen"86 verweist jedoch darauf, daß im Zusammenhang der "Tatfrage" immer Elemente der Subjektivität des Richters - nämlich Wertungen - in den Prozeß einfließen 87 . Wir werden im nächsten Paragraphen eingehend zum unterschiedlichen Verhältnis von Rechtsprechung und Verwaltung zur "Tatfrage" Stellung nehmen und dort auf dieses Problem zurückkommen; hier sei allein im Vorgriff auf den weiteren Gang unserer Überlegungen bemerkt, daß mit dem Eingang von "Wertungen" in die Beurteilung der Tatfrage noch keinesfalls der Nachweis darüber geführt ist, daß deshalb das Urteil ein Wertungsakt in diesem Sinne wäre. Die Unterscheidung von Tat- und Rechtsfrage 88 impliziert vielmehr die Neutralisierung des Urteils gegenüber diesen, auf die Tatsachengrundlage der Entscheidung bezogenen Wertungen.

83 E. Lefringhausen, Diss. S. 122, sieht daher zu Recht das Feststellungsurteil als ,,reinsten" Akt rechtsprechender Tätigkeit an. 84 N. Luhmanns Untersuchung über Recht und Automatisation in der öffentlichen Verwaltung hat gezeigt, daß daher Fragen wie die N. Achterbergs (DVBI 1984 S. 1093 ff.) nach einem Ersatz des Richters durch Computer soweit nicht sinnvoll sind, wie der Computer genuin iurisdiktive Aufgaben übernehmen soll (S. 59). Krit dagegen auch St. Smid Computer und Recht 1988 S. 535 ff., 537 ff. 85 Grundlegend H.-E. Henke, Die Tatfrage, 1965; vgl. ferner Kuchinke, Grenzen der Nachprüfbarkeit tatrichtlicher Würdigung, passim. 86 Vgl. jetzt krit. G. Freund, Normative Probleme der Tatsachenfeststellung m.umf.w.Nw. 87 Eingehend H.-M. Pawlowski, Methodenlehre für Juristen, Rdnrn. 464 ff. 88 Zu deren Bedeutung für die Konstitution materieller Rechtsprechung vgl. St. Smid, Rechtsprechung § 4 I 1 a m. w. N.

4. Imperativenmodelle des Rechts

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c) Das Gegenbild: Der Richter als falscher Souverän-

zum Problem des Richterrechts

Freilich ist heute eine Auffassung weit verbreitet, die den Richter als ,,Ersatzgesetzgeber" konzipiert und ein "Richterrecht" als eigene Rechtsquelle ansieht 89 • Damit sind auf der einen Seite Kompetenz- und Legitimationsprobleme angesprochen, da der Richter von diesem Verständnis her in letzter Konsequenz den Gesetzgeber ablöst. Aus der Entscheidung aus dem Recht wird die Entscheidung über das Recht. D.h. anders ausgedrückt: Die richterliche Entscheidung, die das Recht zur Feststellung im Streit der Parteien anwendet, schlägt um in eine Interessenabwägung dariiber, was sinnvollerweise als Recht gelten solle. Nun liegt auch in einer solchen Entscheidung eine Streitentscheidung, nicht anders als in der des Gesetzgebers, der ebenfalls "Interessen" abwägt 90 • Das proprium von Rechtsprechung - die Streitentscheidung durch Rechtsanwendung - bezeichnet jedoch gegenüber der Gesetzgebung eine Grenze 91 , die von verschiedenen Formen der ,,Rechtserkenntnis" (H.-M. Pawlowski 92 ) gezogen wird. Die gesetzgeberische Entscheidung 93 richtet sich deshalb in einem "weiten" Sinne auf Rechtserkenntnis, weil sie aufgrund einer Vielzahl heterogener, nicht zuletzt auch metarechtlicher Kriterien über das künftige Recht 94 entscheidet. Die Kompetenznormierungen des GG haben die Funktion, diese verschiedenen "Erkenntnismodi" zu differenzieren 95 •

d) Exkurs: Zur Stellung des BVerjG Gegen diese Interpretation scheint die Stellung des BVerfG zu sprechen 96 , das zum einen Gericht 97 sein soll und doch zum anderen oftmals ausgesprochen politische M.w.N. BK-Achterberg, GG, Art. 92 Rdnrn. 130 ff. D.h. die scheinbar analoge Struktur von Rechtsprechung und Gesetzgebung läßt sich nicht allein unter der Perspektive der Rechtsetzung durch den Richter betrachten, sondern als Interessenentscheidung auch im Sinne einer gesetzgeberischen Streitentscheidung, wie sie historisch insbesondere von den englischen und französischen Parlamenten vorgenommen wurde; vg!. W. Niese ZZP Bd. 73 (1960) S. 1, 13. 91 E. Lejringhausen, Diss. S. 46, führt aus, mit ,,Richterecht" würden nur "gesetzgeberische Werte" durch Ergänzung des vorhandenen Rechts realisiert (S. 48). 92 Methodenlehre für Juristen Rdnrn. 587 ff. 93 Das diese nicht willkürlich sein kann, belegen die Diskussionen der rationalistischen Gesetzgebungslehre des 18. Jahrhunderts, vg!. St. Smid, Rechtsprechung § 1. 94 Und durch Rückkoppelungsmechanismen bei Wahlen etc. erreicht er eine ,,Folgenkontrolle". 95 Vg!. auch H.-M. Pawlowski, Küchenhoff-F. Bd. 2 S. 137 ff. 96 BK-Achterberg, GG, Art. 92 Rdnrn. 212 ff., 218 ff. 97 B. Eisenblätter, Die Überparteilichkeit des BVerfG, 1976 S.67 weist auf das Antragserfordernis bei der Einleitung von Verfahren hin. Vg!. ferner Lechner, BVerfGG Ein!. Anm. 6, 1; K. Schlaich, Das Bundesverfassungsgericht S. 18 ff., 23. 89

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VI. Rechtsprechung als Rechtserkenntnis

evident sozialplanerische - Entscheidungen trifft 98. Allerdings ist es unmittelbar einsichtig, daß das BVerfG anders entscheiden kann und anders entscheiden können muß als etwa ein Amtsgericht, um ein extremes Gegenbeispiel zu nennen. Das ergibt sich schon daraus, daß das BVerfG nicht als supreme court in die Gerichtsorganisation eingebaut ist. Das BverfG nimmt eine eigene Organqualität in der verfassungrechtlichen Ordnung des Staates ein 99 • So unterscheidet sich sein Verfahren auch nachdrücklich von einem Zivil- oder Verwaltungsprozeß. Das BVerfG kann Betroffene anhören usf., ja nach dem obiter dictum im Dreierausschußbeschluß zur hessischen Verfassungsbeschwerde gegen das AtomG sogar gegen den Willen des AntragssteIlers prozedieren, was der Rechtsprechung versagt ist, oder, auf einen Nenner gebracht: Das BVerfG nimmt eine offene Stellung gegenüber dem politischen System ein. M.a.W. liegen Zweifel daran nahe, ob das BVerfG in einer Weise eine "eindimensionale Rolle" spielt, wie wir sie materieller Rechtsprechung vindiziert haben. Wegen seiner besonderen Stellung bedarf es daher eigener dogmatischer Behandlungen des BVerfG - auch wenn dessen verfassungsrechtliche Normierung im Abschnitt über "die Rechtsprechung" es vordergründig riahelegt, seine Verfahren zur materiellen Rechtsprechung zu zählen. Seine Verfahren bleiben deshalb im folgenden "ausgeklammert"; hier sollen daher folgende Hinweise genügen. Am deutlichsten werden diese Zweifel anhand der Kompetenz des BVerfG zum Erlaß einstweiliger Anordnungen und der Vollstreckungsentscheidungen des BVerfG. Mit einstweiligen Anordnungen übt das BVerfG evident keine Rechtsprechung aus (ebensowenig wie andere, "gewöhnliche" Gerichte). Vielmehr greift es ("sichernd") in die Sphäre der Politik ein - und d.h.: es handelt dort selbst politisch (weshalb in diesem Bereich die Rede von einem restraint of court einen angebbaren Sinn hat!). - Ebenso bei Vollstreckungsentscheidungen, in denen das Gericht in einer Reihe von Fällen explizit Folgenorientierungen über politische Vorgänge anzustellen hat. So hat das BVerfG 100 z. B. in seinen Strafvollzugsentscheidungen" dem Gesetzgeber zur Normierung der Rechtsgrundlagen des Strafvollzugsrechts zunächst Fristen gesetzt, die von der Legislative wegen der Neuwahlen nach dem konstruktiven Mißtrauensvotum gegen die Regierung Brandt nicht hatten eingehalten werden können, was das BVerfG dazu veranlaßte, die von ihm gesetzte Frist bis zum Ende der Legislaturperiode zu verlängern. Nun lassen sich auch die "politisch" begründet scheinenden Entscheidungen des BVerfG noch mit binnenrechtlichen Gründen als ,,normale" - wenngleich fragwürdige - juristische Urteile interpretieren. So hat Th. Ramm 101 darauf aufmerksam gemacht, daß zu dem rechtlichen "Programm" eines Obergerichts wie des BVerfG - aber auch des BAG - ein "Gleichgewichtsgefühl" - ein Element distributiver Gerechtigkeit gehört lO2 , das verhindert, daß sich das Gericht der einen oder anderen Seite auf Dauer zuneigt. Freilich ist dies in den Selbstdarstellungen der Bundesgerichte nicht immer Vgl etwa G. Roellecke, Politik und Verfassungsgerichtsbarkeit. Vgl. hier nur Lechner, BVerfGG, Einl. Anm. 6, 1, 2. 100 BVerfG Bd. 33, S. 1 ff., B. v. 14. 3. 1972; BVerfG Bd.40 S. 276 ff., 283 f., B. v. 29. 10. 1975. 101 In: N. Achterberg (Hrsg.), RechtsprechungslehreS. 34-35 (Diskussionsbeitrag). 102 Vgl. auch P. Häberle, Verfassungsgerichtsbarkeit zwischen Politik und Rechtswirklichkeit, 1980, S. 66 f.; ferner B.Eisenblätter, Die Überparteilichkeit des BVerfG, S. 43 ff.; H. Säcker, Das Bundesverfassungsgericht, 1975 S. 17 ff.; H.H. Klein, Bundesverfassungsgericht und Staatsräson, 1968. 98

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5. Rechtsfortbildung durch Gericht und Parteien

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ablesbar, und eine positivistische Interpretation trägt das ihre dazu bei, an die Stelle rechtlicher Erklärungsansätze eine Interpretation der verfassungsgerichtlichen als einer politischen und damit zugleich volitiven Entscheidung zu setzen. Die Folgen einer derartigen Interpretation sind bis heute kaum reflektiert. Ist ein politisch entscheidendes Gericht zum Hüter der Verfassung (C. Schmitt) berufen, so tritt an die Stelle der durch die unterschiedlichsten Verfahren der Gesetzgebung vermittelten Rechtserkenntnis durch den Gesetzgeber die pure Dezision 103 durch das BVerfG, wie jüngst R. Eckertz 104 eingehend dargestellt hat. Eine Rechtskontrolle der politischen Entscheidung weicht dann einem System wechselseitiger politischer Kontrollen von Entscheidungen verschiedener Instanzen, was die Verfassung Zuständen annähert, wie sie aus totalitären Staaten bekannt sind 105. Denn das Recht verliert in derartigen Zusammenhängen seine Verbindlichkeit, was sich bereits in der Forderung nach einer Abdankung von Dogmatik zugunsten soziologischer "Wertungen" 106 niedergeschlagen hat. Unter der Oberfläche einer Erweiterung rechtlicher durch soziologische, philosophische usf. Argumentationsstrukturen verbergen sich dann Frageverbote - nämlich der Ausschluß dogmatischer Kriterien 107. Für unsere Überlegungen über die Konstitution funktionaler Rechtsprechung unter den Bedingungen des modemen Staates lassen diese kurzen Anmerkungen zu den Folgen einer Konzeption des BVerfG als einer politischen Entscheidungsinstanz die Alternativen sichtbar werden, die zugleich unseren Ansatz von den vorherrschenden Lehren in der Rechtstheorie unterscheiden 108.

s. Zur Frage der Rechtsfortbildung durch das Rechtsgespräch 109 von Gericht und Parteien a) Zum Problem des "neuen" Rechts Nun ist andererseits jedoch auch nicht zu bestreiten, daß sich nicht nur die Gesetze, sondern auch deren Anwendung und Auslegung fortlaufend ändern. Aufgrund dieser zeitlichen Dimension der Rechtsanwendung wird - häufig bei 103 Zuerst Gesetz und Urteil, 1912; Politische Theologie, 1922 S. 42; Die Justiz als Hüter der Verfassung, S. 45 f. 104 Die Kriegsdienstverweigerung aus Gewissensgründen, 1986. 105 Zur Organisation derartiger totalitärer Beziehungen vgl. F. Neumann, Die Herrschaft des Gesetzes, S. 340 ff. 106 Vgl. z. B. in dem von N. Achterberg hrsg. Band ,,Rechtsprechungslehre" den Beitrag von R. Walter, S. 491 ff. und die Diskussion S. 616 ff. 107 D. Brüggemann, iudex statutor und iudex investigator, spricht von einem dialektischen Prozeß der Herausarbeitung des Tatbestandes im Verhältnis "zwischen Gericht und Parteien" (S. 335). 108 Nicht allein LS.e. iudicial restraint of court; vgl. H. Säcker (Fn. 102 S. 18), sondern durch die Anbindung der Entscheidungen an den Zwang zu juristischer - dogmatischer - Argumentation, vgl. allein m. w.N. H.-M. Pawlowski, Methodenlehre für Juristen Rdnm. 731 ff. 109 F. Werner DÖV 1958 S. 615 f.; H.-W. Laumen, Das Rechtsgespräch im Zivilprozeß S. 100 ff.

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VI. Rechtsprechung als Rechtserkenntnis

der Erörterung "richterrechtlicher" Modelle - von einer Rechtsfortbildung durch die Rechtsprechung gesprochen, die durch § 137 GVG eine positivrechtliche Anerkennung gefunden hat 110. Die Gerichte scheinen das Recht "fortzubilden". In einer solchen Beschreibung sind die Gerichte als Subjekte gesetzt, denen das "neue Recht" als Urhebern, d.h. als Quasigesetzgebern, zuzurechnen sei. Angesichts der nicht leugbaren Beeinflussung des Rechts durch den Wandel der Rechtsprechung scheinen sich damit die Einwände gegen volitive (und damit auch autoritativ-planende) Entscheidungen des Richters s.chließlich als gegenstandslos zu erweisen. Nun ist keinesfalls zu verkennen, daß jede Entscheidung "neues Recht" hervorbringt. Die Frage lautet indessen, ob deshalb in der Tat ein richterlicher Willensakt für dieses "neue", fortgebildete Recht verantwortlich gemacht werden kann. Wenn dem Richter nämlich die Aufgabe obliegt, "das Recht" zu erkennen und da dieses Recht selbst nicht autoritativ strukturiert ist, sondern auf den privatautonomen Definitionen der Parteien beruht, stellt sich die Frage anders. Es kommt dann nämlich in den Blick, daß die Bürger die allgemeine Kompetenz haben, das Recht zu konkretisieren und fortzuentwickeln 111. Die Akte der Rechtsfortbildung, die gewöhnlich der Rechtsprechung zugerechnet werden, stellen sich daher zunächst als Ausübung der privatautonomen Rechtssetzungskompetenz der Parteien dar, die in den Entscheidungen der Gerichte als ,,neues Recht" zu berücksichtigen, zu erkennen sind 112. So bilden die Parteien das Recht fort, indem sie unter Zugrundelegung ihrer wirtschaftlichen Bedürfnisse neue Vertragsgestaltungen und -typen entwickeln wie z. B. den noch Ende der fünfziger Jahre weithin unbekannten ,,Leasingvertrag" 113. Es war freilich nicht die Rechtsprechung, die sich diesen neuen Vertragstypus "ausgedacht" hatte. Auch und gerade im Zusammenhang der Rechtsfortbildung muß zwingend in der Rechtsordnung einer freiheitlichen Gesellschaft von einem intellektuell-kognitiven Prozeß ausgegangen werden, in dem der Richter das von den Parteien gestaltete Recht erkennt und mit den Arbeitsmitteln der Rechtsdogmatik ,,reformuliert" 114. Dagegen wird häufig das Arbeitskampfrecht als Beispiel einer Rechtsfortbildung im ,,rechtsfreien Raum" angeführt. Dieses Beispiel trägt jedoch nicht. Denn in Gestalt der Vorentscheidungen des BGB, insbesondere der Verfassung wie aber auch der lang zurückreichenden arbeitskampfrechtlichen Judikatur lagen und liegen nämlich der Rechtsprechung immer bereits rechtliche Vorentscheidungen vor, auf die sie bei ihren Entscheidungen zurückgreifen konnte und kann. Und die Gerichte müssen wegen ihrer Bindung an Recht und Gesetz auf diese Vorentscheidungen als Bestandteilen des "gelten110 Vgl. O. Kissel, GVG § 137 Rdnr. 7; H.-M. Pawlowski, Rechtsgeschäftliehe Folgen nichtiger Willenserklärungen S. 283 ff., 285. 111 Vgl. die eingehende Darstellung durch H.-M. Pawlowski, Allgemeiner Teil des BGB Rdnm. 834 ff., 836. 112 Vgl. E. Bucher, Subjektives Recht als Normsetzungsbefugnis, 1965. 113 Zu den methodischen Bedingungen der "Typenbildung" vgl. grundSätzlich D. Leenen, Typus und Rechtsfindung, passim. 114 Zum Ganzen H.-M. Pawlowski, Allgemeiner Teil des BGB Rdnm. 834 ff., 907.

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den Rechts" zurückgreifen. Anders ausgedrückt ist auch die Arbeitsgerichtsbarkeit auf diesem Gebiet auf die Anwendung des "vorhandenen" Rechts angewiesen. So wird denn auch häufig angesprochen, die Entwicklung eigenen ,,Richterrechts" fande bei der Anwendung von Generalklauseln statt. Aber auch die Anwendung von Generalklauseln unterscheidet sich in keiner Weise von der Anwendung und Auslegung anderer gesetzlicher Tatbestände. F. Wieacker hat in seiner Darstellung des § 242 BGB 115 deutlich gemacht, wie diese Rechtsanwendung vor sich geht, nämlich durch die Bildung von Fallreihen, die Gewinnung von Kriterien, Argumenten aus vergleichbaren Konfigurationen USf Il6• Das diese Art quasilegislatorischer Rechtsfortbildung dem Richter anvertraut sei, gilt indes als verfassungsrechtlicher topos 117, der auch in Prozeßrechtslehrbüchern 118 angeführt und den anzuzweifeln als Sakrileg angesehen wird. Man darf kaum noch die Kompetenz des Richters zur Rechtsfortbildung bestreiten, um nicht in Ruf längst abgetaner Begriffsjurisprudenz zu geraten 119. Doch fällt an den Diskussionen um die Rechtsfortbildung auf, daß sie in der Regel von einer bestimmten Perspektive beherrscht sind: Es wird nämlich nach der materiellen Legitimation des Richters zur ,.Ergänzung" des Rechts nach unserer Verfassung gefragt, und aus diesen materiellen Überlegungen werden dann Folgerungen abgeleitet 120. Nun haben demgegenüber bereits die Untersuchungen J. Goldschmidts 121 deutlich gemacht, daß mit dieser Art der Betrachtung freilich nur eine, begrenzte Dimension der Frage nach der Rechtsfortbildung im Prozeß in den Blick tritt. Es bleibt außer acht, daß neben der Frage nach der materiellrechtlichen Befugnis zur ,,Rechtserweiterung" eine prozessuale Betrachtungsweise andere Maßstäbe anlegt und anlegen muß. Denn es ist zu kurz gegriffen, wenn man einfach argumentativ durchgreift und folgert, da der Richter das Recht fortbilde, sei er als Prozeßbeteiligter anzusehen. Denn auch wenn sich die Rechtserkenntnis des Richters als Feststellung des geltenden Rechts als dessen Fortbildung insofern darstellt, als seine Präjudizien aus den unterschiedlichsten Gründen zu beachten sind, erheischt doch die Analyse des Prozesses eine Betrachtungsweise, die diese materiellrechtlichen Problemstellungen verläßt, und nach prozessualen Befugnissen fragt. Erst dadurch gelangen wir nämlich - jenseits aller methodischen Behauptungen (in der juristischen Methodenlehre mit prozessualen Überlegungen vor115 Zur rechtstheoretischen Präzisierung des § 242, 1956. V gl. zum Ganzen eingehend H.-E. Henke, die Tatfrage, bes. S. 106 ff., 191 ff. 116 So sieht auch E. Lejringhausen, Diss. S.48, daß die Rechtsprechung das ("lükkenhafte") Recht aus dem Recht - den vorhandenen Vorentscheidungen - unter Maßgabe des Gleichbehandlungsgrundsatzes ergänzt. 117 Vgl. allein die Nachweise BK-Achterbergs Art. 92 Rdnr. 128. 118 Vgl. nur Jauernig, Zivilprozeßrecht § 1 I 2. 119 Ein zentrales Beispiel bildet F. Bydlinski, Juristische Methodenlehre und Rechtsbegriff, 1982, der die Frage nach der prozessual-instrumentellen Seite des Rechts beinahe völlig außer Acht läßt. 120 Es kann hier auch nicht annähernd der umfassenden Literatur Rechnung getragen werden, die besonders seit Beginn der sechziger Jahre zu diesem Themenkreis erschienen ist. Vgl. daher allein die hier weithin "willkürlich" getroffene Auswahl: K. Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft II. Kap. 5, 6; ders. Henkel-F. 1974 S. 31 ff.; ders. Nikisch-F. 1985 S. 275 ff.; W. Fikentscher, Methoden des Rechts, Bd.4 bes. S. 374 ff.; M.-L. Hilger, Larenz-F. 1973 S. 121 ff.; W. Flume 46.DJT Bd. II K. 121 Der Prozeß als Rechtslage S. 152 ff. m.um f.N.

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nehmlich H.-M. Pawlowski 122 und J. Schapp 123) - zu der Beurteilung prozessualer Kompetenzen: Gewiß ist der Richter nicht als ein ,,Ersatzgesetzgeber" in dem Sinne zur Prozeßrechtsfortbildung befugt, daß er das Recht aufgrund seines rechtspolitischen Dafürhaltens jenseits der Definitionen der Parteien "verbesserte". Sieht man aber das Prozeßrecht als Konstitutions- und Erkenntnismodus des geltenden Rechts an, so wird deutlich, daß hier völlig andere Probleme liegen als in einer materiellrechtlichen Diskussion.

b) Zur Beachtlichkeit von Präjudizien Häufig wird freilich ein anderes Problem als das der "volitiven Rechtsfortbildung" durch die Rechtsprechung unter dem Titel des ,,Richterrechts" diskutiert - nämlich die Frage nach der Geltung und "Bindungskraft" richterlicher Entscheidungen. Zum einen ist damit die materielle Rechtskraft angesprochen 124; hier geht es um einen anderen Fragenkreis, nämlich darum, zu untersuchen, weshalb eine "ständige Rechtsprechung" von (anderen) Gerichten bei der Rechtsanwendung als ein Datum des geltenden Rechts berücksichtigt werden muß. Darauf antworten eine Reihe von Autoren mit dem Hinweis, die Rechtsprechung "setze" permanent neues Recht. Diese Ansicht hat eine gewisse Berechtigung, denn es ist unverkennbar, daß eine Entscheidung, die ohne Grund von der Rechtsprechung der Obergerichte abweicht, falsch, ungerecht wäre. Der Grund dafür liegt allerdings nicht in einer quasilegislatorischen oder sublegislatorischen Gesetzgebungskompetenz der Rechtsprechung, die ihr häufig zugesprochen wird. Die Rechtsgeltung von Präjudizien läßt sich vielmehr zwanglos aus dem rechtlichen Gebot der Gleichbehandlung erklären: Zwar gelten richterliche Erkenntnisse nicht gleich Gesetzen bis zu ihrer ,,Authebung" , doch darf nur dann in gleichgelagerten Fällen von der Rechtsprechung der Obergerichte abgewichen werden, wenn für eine derartige Abweichung die immer Ungleichbehandlungen einschließt - Gründe vorliegen.

c) Rechtsanwendung im Prozeß und Verhältnismäßigkeitsgrundsatz

In der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung wird zusehends der Versuch unternommen, die "einfache" Rechtsanwendung durch den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz zu überlagern. So soll z. B. die Titulierung der Durchführung des schuldrechtlichen Versorgungsausgleichs von der Leistungsfähigkeit des Versorgungsausgleichsschuldner abhängen 125_ die Anwendung des Rechts wird unter die Bedingung gestellt, daß der Richter vom Standpunkt seiner Beurteilung der Situation der Parteien aus das Recht für "tragbar", eine "an sich" rechtlich gebotene Verurteilung für "vertretbar" hält. Dies scheint allen Auffassungen von einem volitiven Handeln des Richters zu entsprechen; und das von uns angeführte, eher karikierende von H.-M. Pawlowski gebildete Beispiel, der Richter könne bei seinem Urteil nicht die Folgen für die Ausbildung oder die Heiratschancen Methodenlehre für Juristen, Rdnr.71. Hauptproblerne der juristischen Methodenlehre, bes. S. 61 ff. 124 Vgl. SI. Smid, Rechtsprechung § 6 m.w.N. 125 Zur Struktur und Verwaltungsqualität des Versorgungsausgleichsverfahrens vgl. Sr. Smid, Rechtsprechung § 9 IV. 122 123

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der Kinder der zur Zahlung verurteilten Partei berücksichtigen, hat in der Judikatur des BVerfG 126 zum schuldrechtlichen Versorgungsausgleich eine Bestätigung erfahren.

Indes zeigt eine nähere Auseinandersetzung mit dieser Rechtsprechung des BVerfG, daß sie schlecht zur Fundierung von Auffassungen über volitives richterliches Handeln geeignet ist, solange damit noch juristisch richtige richterliche Arbeit angesprochen werden soll. Denn gerade am Beispiel der Rechtsprechung zum schuldrechtlichen Versorgungsausgleich läßt sich zeigen, wie sich rechtsanwendende funktionale Rechtsprechung zu planend-folgenorientierter Verwaltungstätigkeit verhält. Letztere muß nämlich im Rahmen der oben geschilderten Kosten / Nutzen-Analysen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz berücksichtigen. So hat das geltende Zwangsvollstreckungsrecht mit den §§ 811, 850 ff. ZPO dem Schutz des von der Zwangsvollstreckung überzogenen Schuldners Rechnung getragen. Die Exekution von Urteilen hat daher in diesem - vom Vollstrekkungsrecht gesetzten - Rahmen sozial staatlichen Geboten und dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz zu Genügen. Im Streit um die Zulässigkeit von Vollstreckungsmaßnahmen dürfte freilich das Vollstreckungsgericht auch nicht an diesen rechtlichen Vorgaben vorbeiargumentieren und auf die seiner Ansicht nach allgemeine Unverhältnismäßigkeit der Vollstreckung einer Entscheidung rekurrieren.

Denn im Gegensatz zur Verwaltung hat die Rechtsprechung für ihr Handeln - ihre Entscheidungen - immer schon im geltenden Recht den Maßstab, aus dem sich die Verhältnismäßigkeit von Urteilen ergibt. Denn das Recht ist per se verhältnismäßig; sein systematischer Zusammenhang - die Rechtsdogmatik - gewährleistet seine richtige und daher auch "schonende" Anwendung. Die Beispiele eines Rückgriffs auf den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz in der Judikatur des BVerfG zeigen, daß eine solch schonende Entscheidungspraxis nicht erreicht werden kann, wenn das Recht durch eigene Erwägungen des Richters zur Verhältnismäßigkeit überlagert wird. Denn in diesen Entscheidungen wurde zwar eine Partei - der Schuldner - "entlastet"; dagegen bedarf es keiner langen Überlegung um zu berücksichtigen, daß diese ,.Entlastung" erst um den Preis der nachdrücklichen Belastung des Gläubigers geschieht: der seinen Versorgungsausgleichsanspruch nicht realisieren oder den vertragswidrig handelnden Mieter nicht aus seinem Haus entfernen kann usf. Indes ist in der Judikatur des BVerfG der Zusammenhang zwischen der Verfahrensstruktur und der Frage nach der Verhältnismäßigkeit der Entscheidung nicht ausdrücklich ausgeführt worden. So hatte das BVerfG in dem bereits eingangs dieses Paragraphen angesprochenen ,,zwangsversteigerungsfall" 127 zu entscheiden, in dem anläßlich der Zwangsversteigerung eines im Miteigentum der beteiligten geschiedenen Ehegatten stehenden Hausgrundstücks durch die Art der Festsetzung des geringsten Gebots und die mangelnde Belehrung der - durch die Verfahrensführung schließlich ungemein benachB. v. 28. 2. 1980, NJW 1980 S. 692. B. v. 24. 3. 1976, BVerfGE Bd. 42 S. 64 ff. Eingangs dieses Paragraphen haben wir gesehen, daß in der Literatur (bes. J. Riedel, das Postulat der Unparteilichkeit des Richters; A.Chr. Karwacki, Der Anspruch der Parteien auf einen fairen Zivilprozeß) daraus zu Unrecht auf den Prozeß geschlossen wird. 126 127

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VI. Rechtsprechung als Rechtserkenntnis

teiligten - Beschwerdeführerin der Staat seine Fürsorgepflichten in dem, der Vertragshilfe zugehörenden, nichtstreitigen Teilungsverfahren nach dem ZVG 128 verletzt hatte. Es ergab sich also insofern die Gefahr, ohne eine Unterscheidung von Prozeß und rechtsfürsorgerischen Verfahren insofern - neben einer Reihe vom BVerfG aufgezählten Verfassungsverstößen --, die Entscheidung auch auf die Verletzung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zu stützen und diese Überlegungen undifferenziert für alle Gerichtsverfahren zu verallgemeinern. Die Fallgestaltung, die diesem Ausgangsfall der Judikatur des BVerfG zugrundelag, macht es auf der anderen Seite aber auch deutlich, daß nicht allgemein - ohne Rücksicht auf die konkrete Verfahrensstruktur - von einer Folgenorientierung der Rechtsprechung durch deren Bindung an das Verhältnismäßigkeitsprinzip gesprochen werden kann.

6. "Input"-Orientierung der Rechtsprechung a) Selektion von Urteilskriterien Es kann nämlich nunmehr besser verstanden werden, weshalb die "Gegner" einer Folgenorientierung der Rechtsprechung darauf hinweisen, Rechtsprechung sei "input-orientiert" und demzufolge zur Verarbeitung von Informationen über die verschiedenartigsten sozialen Folgen ihrer Entscheidungen außerstande 129. So wird die besondere Art der Selektion entscheidungserheblicher Folgen durch die Rechtsprechung mit dem Begriff der "input" -Orientierung der Rechtsprechung beschrieben. Diese Rede von einer "input" -Orientierung spricht an, daß sich die Rechtsprechung bei ihrer Tätigkeit zunächst immer an den ihr von außen vorgelegten Fällen orientiert. Die Rechtsprechung (als funktionale rechtsanwendend-streitentscheidende Rechtsprechung verstanden) schafft sich ihre Fälle nicht selbst. Sie reagiert - anders als die Verwaltung - nicht auf einen vermeintlichen "Regelungsbedarf' in der Gesellschaft, den ihre Entscheidungen "abzudecken" hätten \30. Sie entscheidet - wie bereits mehrfach angesprochen - über in der Vergangenheit liegende Sachverhalte, und zwar deshalb, weil sie ihre Tätigkeit erst aufgrund des Begehrens der ,,rechtssuchenden" Parteien aufnimmt. Dies gilt auch für Gestaltungsurteile 131. Denn die Antizipation - und insofern Vorverlagerung - des künftigen Streits um die Wirksamkeit der Ausübung von Gestaltungsrechten ändert nichts daran, daß in der Entscheidung dieses Streits ein abgeschlossener Sachverhalt - nämlich die konkrete Kündigung, das Scheidungsbegehren usf. - verhandelt wird. Auf Folgenorientierungen stellt der Richter seine Entscheidung auch in diesem Zusammenhang keinesfalls ab.

Zeller, ZVG 11. Aufl. 1983 § 180 Rdnr. 1 Anm. 2 m.N. Näher N. Luhmann, Rechtssystem und Rechtsdogmatik, S. 31 ff. 130 Vers. ebd. Zu den verschiedenen sozial- und rechtspolitischen Zwecken der gerichtlichen, materiell der Verwaltung zugehörigen Verfahren nach dem FGG vgl. St. Smid, Rechtsprechung § 3 und Teil 3. 131 Vgl. St. Smid, Rechtsprechung § 3 III. 128

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6. "Input"-Orientierung der Rechtsprechung

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Rechtsprechung ist insofern nämlich nicht an "finalen" Zwecksetzungen ausgerichtet, wie sie oben für das Handeln der Verwaltung als bestimmend dargestellt werden konnten. Während die Verwaltung Vorstellungen über eine Verbesserung der Wirklichkeit dadurch umsetzt, daß sie Projekte des Straßenbaus, der Kulturförderung usf. durchführt, lassen sich vergleichbare Zwecksetzungen in der Rechtsprechung nicht antreffen. Es sei denn, man wollte - emphatisch - von der Verwirklichung von "Gerechtigkeit" als dem Zweck der Rechtsprechung sprechen 132. Übersetzt aber hieße eine solche Orientierung der Rechtsprechung an der Produktion "gerechter" Entscheidungen, daß Rechtsprechung nicht mit der Durchsetzung "besserer" Verhältnisse (in der Zukunft), sondern der gerechten, weil rechtsförmig -rechtmäßigen Lösung sozialer Konflikte befaßt ist 133. Freilich lassen es die eingangs dieses Paragraphen dargestellten Unklarheiten, die durch die vorherrschende "Wertungsjurisprudenz" herVorgerufen werden, bislang nur unzureichend zu, diesen Zusammenhang in den Blick zu bekommen. So wird die unterschiedliche "Orientierung" von Verfahren funktionaler Rechtsprechung gegenüber denen ,,materieller" Verwaltung oftmals unter Rückgriff auf eine Darstellung richterlicher Tätigkeit als "Subsumtion" beschrieben i34. Das macht angreifbar; und die allgemeine Kritik am "Subsumtionsmodell" 135 scheint einer QualifIkation materieller Rechtsprechung als Rechtsanwendung entgegenzustehen, sofern diese in dieser Weise unterinterpretiert wird. Gegenüber dem "Subsumtionsmodell" bietet die funktionale Beschreibung von Rechtsprechung als Streitentscheidung abgeschlossener Sachverhalte sachliche Kriterien, von denen aus prozessual argumentiert werden kann, ohne in Widerspruch zu den Erkenntnissen der juristischen Methodenlehre zu geraten. Wenn der Rückgriff auf "zukunftsbezogene" Zwecke (Zielvorgaben) der Rechtsprechung jedoch verwehrt ist, so muß nach den Kriterien gefragt werden, aufgrund derer sie ihre Entscheidungen begründet. Dabei kann erneut auf die Überlegungen zurückgegriffen werden, die bereits im Zusammenhang der Begründung der Rechtsprechungsqualität des Strafprozesses angestellt wurden. Rechtsprechung ist an Recht und Gesetz gebunden, und zwar erkennbar in einer anderen Weise, als dies bei der Verwaltung der Fall ist. Während die Verwaltung "zweckrational" 136 organisiert ist, spricht man in Anlehnung an systemtheoretii32 i33

So aber z. B. E. Lefringhausen, Diss. S. 17 ff. N. Luhmann (Fußn.129) S. 31 ff. Luhmann hat gezeigt, daß sich die Tätigkeit des

Rechtssystems nicht mehr als Reproduktion einer Gerechtigkeit erfassen läßt. Rechtsprechung wird nicht durch die (vorgegebene) Gerechtigkeit ihrer Entscheidungen legitimiert, sondern kann nur kraft der Legitimation ihrer Entscheidungen aufgrund förmlicher Verfahren gerecht entscheiden. 134 D. Brüggemann, iudex statutor und iudex investigator, S.79 unterscheidet das "einphasige" Für-Recht-erkennen als Subsumtion von der Gestaltung als einem "zweiphasigen" Akt aus Subsumtion und Dekret. i35 Vgl. allein m.N. H.-M. Pawlowski, Methodenlehre für Juristen Rdnm. 393 ff. 136 N. Luhmann, Zweckbegriff und Systernrationalität S. 100: ,,zwei der wichtigsten Begriffschwierigkeiten und Kontroversen des ,Allgemeinen Verwaltungsrechts" , die Frage nach dem Umfang des Prinzips der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung und die Frage nach der Abgrenzung des ,Ermessens" vom ,unbestimmten Rechtsbegriff' , bezie-

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VI. Rechtsprechung als Rechtserkenntnis

sche Begriffsbildungen von einer ,,konditionalen" Programmierung der Rechtsprechung 137 • Hinter diesem Begriff steht die Erkenntnis, daß die Anwendung des geltenden Rechts der einzige Zweck der Rechtsprechung als eines "input" -orientierten Verfahrens ist. Die Entscheidung der Rechtsprechung 138 stehen nicht unter der Bedingung ihrer Bedeutung für zukünftige Prozesse; sie werden ,,konditioniert" durch die Summe von Vorentscheidungen des Gesetzgebers (oder im Hinblick auf die zu verwirklichende Gleichbehandlung wesentlich gleicher Sachverhalte 139 durch die Entscheidungen anderer Gerichte, die das geltende Recht mit ausmachen). Mit anderen Worten werden die Entscheidungen der Rechtsprechung nicht durch ihre Effizienz im Hinblick auf soziologische oder ökonomische Sachverhaltsregelungen hin "programmiert" 140. Sondern es kann von einer konditionalen Programmierung 141 gesprochen werden, weil Rechtsprechung allein auf das Recht 142 hin tätig wird 143, oder, zugespitzt ausgedrückt: Iustititia agiert aus Gründen mit verbundenen Augen, die in ihrer Struktur selbst liegen 144. Es versteht sich damit aber auch von selbst, das Rechtsprechung von jedweder Rücksichtnahme auf die Folgen ihres Tuns losgesprochen wird. Und gegenüber den mannigfaltigen, durch die jeweiligen heterogenen AufgabensteIlungen bestimmten Verwaltungszwecken, die zur Bestimmungen der Folgenerwägungen der jeweiligen Verwaltung bedeutsam sind, kann für die Beschreibung der von der Rechtsprechung anzustellenden Folgenerwägungen auf den ,,zweck" der Rechtsprechung zurückgegriffen werden, wie er hier als endgültige Streitentscheidung dargestellt wurde.

hen sich ... auf dieses Problem der Gegensätzlichkeit von Zweckprogramm und Konditionalprogramm". 137 Vgl. N. Luhmann, Lob der Routine,in: Politische Planung S. 113 ff.; Verwaltung zeichnet sich danach durch andere Systemgrenzen und andere Verarbeitungskapazitäten aus. 138 Output steht für eine Orientierung an den Folgen (Auswirkungen) des Handeins. Input spricht an, "vorhandene" Kriterienkontexte ("Programme") dem Systemhandeln unterlegt werden. 139 H.-M. Pawlowski, Methodenlehre für Juristen, Rdnr. 330. 140 Vgl. freilich auch die - rechtssoziologische Arbeit von M. Adams, Ökonomische Analyse des Zivilprozesses, 1981, insbes. S. 75 ff., der versucht, die "Wohlfahrtswirkungen des Zivilprozesses" im Sinne des property rights approach zu untersuchen (vgl. hierzu Furubotn / Pejovich, The Economics of Property Rights, 1974). Vgl. auch bereits Kisch, Iudicium Bd. 1 (1928 / 29) S. 10-19. 141 N. Luhmann, Rechtssoziologie S. 88. 142 Vgl. ferner H. Fenge, Fr.Weber-F. 1975 S. 135 ff, 139. Zum Prozeß als Verfahren der Rechtsanwendung "schlechthin" vgl. Scheuerle, Rechtsanwendung, 1952 S. 42. 143 Freilich verweist N. Luhmann, Recht und Automatisation in der öffentlichen Verwaltung S. 36 ff. darauf, daß auch Verwaltungshandeln ,,konditional-programmiert" sein könne, was z. B. in der Leistungsverwaltung häufig der Fall ist. Dies ändert jedoch an der grundsätzlichen Zweckorientierung auch dieser Verwaltungstätigkeit nichts. 144 H. Rottleuthner, Richterliches Handeln, 1973 S. 154 kritisiert diese Ausblendung der Urteilskonsequenzen als "die richterliche Verblendung".

6. ,,Input" -Orientierung der Rechtsprechung

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Die Erkenntnis des jeweils - heute im Einzelfall - geltenden Rechts ist auch dann nicht "frei"145, wenn sie durch unabhängige Richter gewonnen wird, hat sich doch oben in Anlehnung an die Bemühungen der juristischen Methodenlehre gezeigt, daß der unabhängige richterliche Status allein durch die Gesetzesbindung des Richters erträglich ist. Sie ist selbst durch die Regeln der juristischen Dogmatik definiert. Und das bedeutet, daß Rechtsprechung bei den von ihr zu fällenden Entscheidungen deren dogmatische Konsistenz zu berücksichtigen hat. Die jeweilige Entscheidung muß mit dem System von Vorentscheidungen, die das Gericht zu berücksichtigen hat, in Einklang stehen, "stimmig" sein, um die rechtliche Gleichbehandlung der Parteien zu gewährleisten. Und damit kann auch gegenüber modemen Ansätzen, die z.T. von einer "Unerkennbarkeit" der Richtigkeit oder Unrichtigkeit von Entscheidungen ihren Ausgang nehmen, angegeben werden, daß die Richtigkeit gerichtlicher Entscheidungen anband des Materials vorhandener Vorentscheidungen geprüft und ihre Unrichtigkeit festgestellt werden kann, wenn sie zu ungerechtfertigten Ungleichbehandlungen führen. So wurde von der gemeinrechtlichen Lehre 146 das Zwangsvollstreckungsrecht lange nicht als Teil des Zivilprozeßrechts angesehen. Und in der Tat geht es in ihm um andere Sachfragen als im zivilprozessualen Erkenntnisverfahren. Während in letzterem das Recht der Parteien festgestellt wird, geht es im ZwangsvollstreckUngsverfahren wesentlich auch um die rechtsförmige ,.Rechtsdurchsetzung" (nämlich dort, wo Eingriffe in den Haftungsverband des Schuldners organisiert werden. Anderes gilt für die Verfahren, in denen der Haftungsverband z. B. durch die Feststellung der Pfändungsfreibeträge der Umfang des Haftungsverbandes festgestellt wird oder Streit um die Rechtmäßigkeit von Vollstreckungsmaßnahmen geführt wird. Der obsiegenden Partei wird-insofem die Vollstreckung nicht anheimgestellt, als im Rahmen der Durchführung der Zwangsvollstrekkung durch staatliche Organe sozialpolitische Zwecke berücksichtigt werden können und müssen 147.

b) Ausschluß inadäquater und dysfunktionaler Entscheidungsfolgen Wir haben freilich bereits oben gesehen, daß der Richter bei der Wahrnehmung von Aufgaben materieller Rechtsprechung zwar die empirischen sozialen, wirtschaftlichen usf. Folgen seiner Entscheidungen außer Acht lassen muß, aber 145 Freiheit des Richters "vom Gesetz" bedeutet seit o. Bülow (Gesetz und Richteramt), H. Reichel (Gesetz und Richterspruch) und H. Isay (Rechtsnorm und Entscheidung; hierzu R. Nierwetberg ARSP Bd. 68 [1983] S. 529 ff.) im Gefolge der Kritik der inversiyen Begriffsjurisprudenz nicht die Lösung des Richters von dem Zwang zu juristischer Argumentation, sondern allein gegenüber den - partikularen - historischen Zwecken des Gesetzgebers die Begründung juristischer Dogmatik. 146 WetzelI, System des ordentlichen Zivilprozesses, 3. Auf). 1878 §§ 47,50, 73; Linde, Lehrbuch des deutschen gemeinen Civilprozesses, 1825 §§ 333-341 stellt die Mittel des. Zwangsvollstreckungsverfahrens dar; vgl. auch Renaud, Lehrbuch des gemeinen deutschen Civilprozesses, 2. Auf). 1873 §§ 219 ff. 147 Vgl. W. Gerhardt, Vollstreckungsrecht § 1 III; E. Wieser ZZP Bd.98 (1985) S. 427 ff.; beide m. }V.N. 6 Smid

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VI. Rechtsprechung als Rechtserkenntnis

ungewollte ,,Adaptionsfolgen" (G. Lübbe-Wo/ff) zu venneiden trachten muß. Die von der Rechtsprechung bei ihren Entscheidungen in Betracht zu ziehenden Folgen beziehen sich daher immer auch auf die Auswirkungen, welche diese Entscheidungen auf das Rechtssystem selbst haben: Es stellt sich somit für den Richter, der im konkreten Fall das Recht in einer bestimmten Weise auslegt, immer die Frage, ob von der gefallten Entscheidung her mit den vorhandenen Nonnen konsistent argumentiert werden kann, oder ob durch eine beabsichtigte Entscheidung Handlungen zukünftiger Parteien möglicher späterer Rechtsstreitigkeiten provoziert werden, die unerwünscht sind und für die von vornherein kein Anlaß in der Art der Rechtsprechung geboten werden SOlll48. Dabei geht es m.a.W. um die Verallgemeinerungsfahigkeit der vom Richter vorgenommenen Rechtsanwendung. Denn eine Art der Auslegung des Rechts im konkreten Fall kann nicht beanspruchen, allgemein verbindlich zu sein, die in anderen Fällen zu einem Verhalten der betroffenen und beteiligten Bürger führt, das unerwünscht sein muß und in anderen Fällen durch eine andere Auslegung des Rechts vennieden werden könnte. Das Gebot der Gleichbehandlung wesentlich gleicher Sachverhalte steht aber einer ungleichen Behandlung strukturell gleicher Fälle entgegen - wobei zu beachten ist, daß die zu erwartenden unterschiedlichen Folgen einer Entscheidung nicht ausschlaggebend sein können. für deren Vergleich mit anderen Fällen. Über die Vergleichbarkeit oder Unvergleichbarkeit von Fällen entscheidet der tatbestandsmäßige Sachverhalt. Die von der Rechtsprechung anzustellenden Folgenerwägungen sind also nicht "einseitig" darauf begrenzt, daß die jeweils gefallte Entscheidung mit der Summe ihrer einschlägigen Vorentscheidung übereinstimmt. Es sind vom Richter nicht allein Folgen seiner Entscheidung für das Rechtssystem selbst zu bedenken. Darüber hinaus muß die Rechtsprechung inadäquate Folgen ihrer Entscheidungen ausschließen. Sie muß immer bei der Fällung einer Entscheidung mitbedenken, welchen "Gebrauch" die Parteien künftiger Prozesse von diesem Präjudiz machen können. Es muß also immer berücksichtigt werden, ob eine Entscheidung geeignet ist, unerwünschte Folgen zu zeitigen, Mißbräuche hervorzurufen, Schäden zu verursachen usf. So ist in der Literatur 149 eine Entscheidung des BVerfG ISO zu den Scheidungsvoraussetzungen angegriffen worden, in der das BVerfG entschied, es sei von Verfassungs wegen nicht angängig, eine Ehe "automatisch" nach Ablauf der Fünf-Jahres-Frist des § 1568 III BGB auch dann zu scheiden, wenn der scheidungs unwillige Partner glaubhaft mit Selbstmord drohe. Denn diese Entscheidung kann dazu führen, daß eine Anzahl Scheidungsunwilliger Selbstmordversuche unternehmen werden, um ihr Begehren im Verfahren - gegebenenfalls durch mehrere Instanzen - glaubhaft zu machen. Diese Kritik kann also mittels negativer Argumente den Nachweis der Dysfunktionalität der Bundesverfassungsgerichtlichen Entscheidung führen. Verfehlt dagegen wäre eine Kritik, die 148 H.-M. Pawlowski, in: R. Weimar-F. S. 353 ff., 359 ff. 149

ISO

Ders. ebd.

BVerfG NJW 1981 S. 108 f. B. v. 21. 10. 1980.

6. "Input"-Orientierung der Rechtsprechung

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darauf rekurrieren würde, das BVerfG habe mit seiner Entscheidung die humanitären Ziele eines liberalen Scheidungsrechts o.ä. verkannt. Das BVerfG entschied nämlich insofern als Rechtsprechungsorgan. Und daher war es nicht seine Aufgabe, mit seiner Entscheidung politische "Verbesserungen" des geltenden Rechts zu befördern.

Eine Vororientierung richterlicher Tätigkeit an den zu erwartenden sozialen Folgen (Adaptionsfolgen) der Entscheidungen findet also statt - aber ausschließlich ex negativo - bezogen auf Argumentationsstrukturen von Parteien künftiger Prozesse und das sonstige Verhalten im Rechtsverkehr 151 , die nicht in der heutigen Rechtsprechung angelegt werden sollen 152. Diese Art der "Folgenorientierung" ist nichts anderes als die gewöhnliche rechtsdogmatische Frage danach, welches die rechtstechnich angemessene Form der Verwirklichung rechtlicher Gleichbehandlung sei. Anders ausgedrückt: Weder aufgrund ihrer Art der Organisation noch im Hinblick auf ihre "Programmierung" ist Rechtsprechung in den Stand gesetzt, auch nur die möglichen "positiven" Folgen zu erkennen, an denen sich zu orientieren ihr ein Großteil der Literatur empfiehlt 153. Was allein so nötig wie prozessual der Rechtsprechung auch möglich ist, liegt in einer Ausrichtung der zu fällenden Entscheidung an zu vermeidenden dogmatischen Fehlentwicklungen als den auszuschließenden Folgen. Die bisherigen Überlegungen haben deutlich werden lassen, daß die Rechtsprechung nicht dadurch soziale "Steuerungsfunktionen" wahrnimmt, daß sie "Gerechtigkeit" 154 oktroyierend nach eigenen Zielvorstellungen setzt. Sie "steuert" 155 soziale Konflikte allein durch die Bereitstellung von rechtsförmigen (und dadurch gegenüber dem Streit der Parteien verobjektivierten) friedensstiftenden Entscheidungen, ohne ein "finales" oder gar voluntaristisches Element.

Damit hat sich herausgestellt, daß die von funktionaler Rechtsprechung erbrachten Steuerungsleistungen ausschließlich indirekt greifen. Die Argumentation aus Normen statt aus kognitiven (zukünftigen und damit abänderbaren) Erwartungen macht es erst möglich, die Beteiligten von Verfahren zu Selbstdefinitionen - zur Formulierung und Festlegung dessen, was sie für Recht erachten - zu veranlassen und auf dieser Basis abschließend zu entscheiden. Dieser 151 Deutlich wird dies im Steuerrecht, in dem die Rechtsprechung des BFH unmittelbar für Vertragsgestaltungen folgenreich wird. 152 In diesem Zusammenhang ist es zu sehen, wenn Entscheidungen kritisiert werden, die "Mißbrauchsmöglichkeiten" durch ihre Art der Auslegung des Gesetzes erst den Parteien nahelegen. Denn derartige Entscheidungen berücksichtigen nicht, welchen Umgang die, rechtlich beratenen Parteien mit dem Gesetz machen können. Oder anders ausgedrückt, sie lassen außer Acht, daß zu den bei der Auslegung zu berücksichtigenden Folgen gehört, wie das Handeln der Parteien durch den Umgang mit dem Gesetz "programmiert" wird. 153 So die Kritik H.-M. Pawlowskis DÖV 1976 S. 505 ff. 154 Bereits in unserer Kritik von Ansätzen der Wertungsjurisprudenz her hat sich gezeigt, daß deshalb Darstellungen wie die E. Lejringhausens, Diss. S. 11 ff. notwendig insignifikant werden müssen. 155 Der Ausdruck der "Steuerung" durch Rechtsprechung erweist sich insofern als mißlich, vgl. Fenge, in: Weber-F. S. 135 ff.

6'

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VI. Rechtsprechung als Rechtserkenntnis

Prozeß kann nun gleichermaßen als "Überzeugungsbildung" 156 wie auch als Ausschluß der Möglichkeit nachträglicher Beschwerden 157 begriffen werden, ohne das notwendig einem dieser Aspekte ein Vorwurf des Überschwanges oder Zynismus 158 gemacht werden müßte. Beide Darstellungsweisen stellen sich vielmehr als Momente einer Funktion des Prozesses dar. Verfahren der Rechtsprechung organisieren "Diskurse" der Rechtsfestlegung und der überzeugenden weil dogmatisch rekonstruierten - Entscheidung auf der Basis dieser Definitionen der Parteien. Weil Verfahren der Rechtsprechung normativ diese Aufgabe erfüllen, kann in der Rechtssoziologie das staatliche Verfahren unter dem Aspekt seiner empirischen Bedeutung als Herrschafts- oder Repressionsinstrument beschrieben werden. Ob nämlich die Parteien die Entscheidung schließlich als richtig - gerecht - akzeptieren, hängt nicht zuletzt auch von ihnen selbst ab 159 - ist eine quaestio facti und als solche Gegenstand sozialwissenschaftlicher Forschung.

7. Kriterien bei der Beurteilung der Richtigkeit von Entscheidungen der Rechtsprechung und der Verwaltung Damit hat sich ergeben, daß an die Entscheidungen von Rechtsprechung und Verwaltung unterschiedliche Kriterien zur Beurteilung ihrer Richtigkeit anzulegen sind. Verwaltungsentscheidungen beurteilen sich nach ihren sozialen Folgen unter sozioökonomischen, sozialpolitischen, polizeilichen oder auch militärischen usf. Aspekten, worauf bereits oben bei der Behandlung der Struktur von Verwaltungsverfahren näher eingegangen worden ist. Die Entscheidungen der Rechtsprechung dagegen sind nach ihrer Übereinstimmung mit den Vorentscheidungen des Systems der juristischen Dogmatik als richtig oder falsch oder solange es (in "unklaren", ,,neuen" Fällen) an einer Aufarbeitung der dogmatischen Kriterien für ,,richtige" Urteile fehlt - als "vertretbar" oder als "unvertretbar" - zu qualifizieren. Von diesem Zwischenergebnis aus kann auch deutlich gemacht werden, daß die Unterscheidung von Rechtsprechung und Verwaltung nicht allein die Attitüden des betroffenen Personals anspricht: Etwa in dem Sinne, daß der Richter sozial unbeweglich 156 o. Ballweg, Rechtswissenschaft und Jurisprudenz, 1970 S. 120; H. Fenge (Fn. . 155) S. 135 ff., 152 f. 157 Vgl. P. Gilles' Kritik an Luhmanns Ansatz, Schiedermair-F. 1976 S. 133 ff. Gilles Fragestellung ist freilich von vornherein dem Luhmannschen Ansatz inadäquat; er fragt nach der Korrektur von Fehlurteilen und ihrer Korrektur, wobei ihm Luhmanns Legitimationsansatz hinderlich erscheint. Der Kritik Gilles vergleichbar der Ansatz E. Kiningers (Theorie und Soziologie des zivilgerichtlichen Verfahrens, dort insbes. S. 20), der sich auf systemtheoretische Überlegungen stützt. 158 O. Ballweg, Rechtswissenschaft und Jurisprudenz, S. 113 ff. statt vieler. 159 Dies machen empirische Studien zur sozialen Verteilung der Vergleichsbereitschaft deutlich, in denen sich die Fähigkeit der Parteien zu autonomen Rechtsdefinitionen wiederspiegelt.

7. Richtigkeit von Entscheidungen von Rechtsprechung und Verwaltung

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und politisch ,,reaktionär" sei, da er sich an keinen anderen Daten als am Recht orientiere, wie dies etwa W. Kaupen 160 glaubte. Es lassen sich vielmehr prozessuale Strukturmerkmale aus diesen unterschiedlichen Richtigkeitskriterien ableiten. Die nachfolgenden Überlegungen sind im Zusammenhang einer prozeßrechtliehen Arbeit über die Unterscheidung materieller Rechtsprechung von materiell administrativem Handeln der Gerichte in nichtstreitigen Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit entstanden. Dort geht es um die Frage, welche prozessualen Konsequenzen die Heterogenität richterlicher Tätigkeiten je nach Personalauswahl und -ausbildung, die im Kontext der Interpretation des Art. 92 GG häufig betont wird 161 und durch die eine Festlegung des Richters als "Volljuristen" auf dogmatische Kriterien und eine Abschottung seiner Entscheidungen gegenüber politischen Einflüssen gewährleistet werden soll. Indes reichen die Konsequenzen weiter. Auch und gerade im Verfahren bleibt der Richter nämlich Jurist, und soziale, ökonomische usf. Aspekte des Falles werden mediatisiert durch andere Verfahrensbeteiligte: den Psychologen, den Mediziner, den Wirtschaftsprüfer oder den Kfz-Sachverständigen in der Rolle des Sachverständigen - und dies allein dann, wenn diese Sachverständigen zu erheblichen Fragen Stellung nehmen sollen. Diese ,,Erheblichkeit" ist aber selbst von Rechtsfragen abhängig 162. Rechtsprechung konstituiert sich durch die Distanzierung des Richters von der Tatsachengrundlage seines Urteils 163. Der Richter darf nicht in einem Verfahren urteilen und Zeuge oder Sachverständiger sein. Sachverständige sitzen nicht auf der Richterbank - und sollen dies auch nicht. In Entscheidungsgremien der Verwaltung sollen dagegen neben Juristen gerade auch Fachleute aus anderen Disziplinen sitzen. Denn Verwaltung entscheidet nicht als Gewalt "en quelque fa~on nulle". Die Verwaltung muß in ihren Maßnahmen eine Vielzahl von möglichen Folgen berücksichtigen und dazu Sachverständige am Entscheidungsprozeß selbst beteiligen. möglichen Folgen berücksichtigen und dazu Sachverständige am Entscheidungsprozeß selbst beteiligen.

160

Die Hüter von Recht und Ordnung, passim.

Maunz / Dürig / Herzog / Scholz-Herzog, 00, Art. 92 Rdnm. 81 ff. 162 Eindrücklich hierzu J. Schapp, Hauptprobleme der juristischen Methodenlehre S. 26 ff. 163 St. Smid, Rechtsprechung § 4. 161

VII. Die unterschiedliche Kostenorientierung von Verwaltung und Rechtsprechung als Kriterium ihrer Unterscheidung Aus dem Verhältnis, in das die Rechtsprechung zu den Folgen ihrer Entscheidungen tritt, ergeben sich weitere Konsequenzen. Wir können nämlich Rechtsprechung und Verwaltung - Rechtsfürsorge und Prozeß - nach der unterschiedlichen Bedeutung differenzieren, die für sie die Ökonomie des jeweiligen Verfahrens als Entscheidungskriterium hat. Zweckverfolgung (folgenorientierte Entscheidung) ist nur dann funktional angemessen organisiert, wenn sich die Kosten der Entscheidungen als wirtschaftlich als verhältnismäßig - erweisen. Und es hat sich ergeben, daß dieses Erfordernis der Wirtschaftlichkeit für die Verwaltung seinen Ausdruck in einer Zweck / Mittel-Relation findet, an der die Verwaltung ihr Handeln auszurichten hat. Die Kosten der Entscheidungsprozesse der Verwaltung müssen, so lautet diese Relation, geringer sein als die bei der praktischen Umsetzung ihrer Maßnahmen anfallenden Aufwendungen.

1. Kosten / Nutzen-Relationen in der Verwaltungsentscheidung

Das Verwaltungshandeln selbst führt zu einer Veränderung der Tatsachengrundlage, auf der die (folgenorientierten) Verwaltungsentscheidungen gefallt und von der her das Verwaltungshandeln "programmiert" werden. Damit kommt zugleich in den Blick, daß die Mittel beschränkt sind, derer sich die Verwaltung bedienen kann, will sie entscheiden oder gegebenenfalls auf die veränderten Tatsachen reagieren und einmal gefallte Entscheidungen abändern. Damit wird ein weiteres, entscheidendes Strukturmerkmal von Verwaltungsentscheidungen erkennbar, daß bereits in dem Hinweis auf die Knappheit von Zeit und Mitteln angelegt ist. Die Verwaltung hat nämlich dem Grundsatz der Sparsamkeit l der von ihr aufgewendeten Mittel bei ihren Entscheidungen Rechnung zu tragen. Sie hat, auf den Begriff gebracht, "wirtschaftlich", effizient zu handeln. Und Verwaltungseffizienz 2 bemißt sich sowohl nach den von der Verwaltung einzu1 E. Bohne, Der informale Rechtsstaat, S. 217; E. Bohne, Die Verwaltung Bd. 9 (1976) S. 19 ff; W. Leissner, Effizienz als Rechtsprinzip, 1971; H.-U. Derlien, Die Verwaltung Bd.7 (1974) S. 1 ff.; HH. Lohmann, Die Zweckmäßigkeit der Ermessensentscheidung als verwaltungsrechtliches Rechtsprinzip, 1972, S. 24 ff.; H. Rehm, Die Verwaltung Bd. 13 (1980) S. 77 ff.; H. SiedentopJ. Wirtschaftlichkeit der Verwaltung, 1969; J. Schmidt, Wirtschaftlichkeit der öffentlichen Verwaltung, 2. Aufl. 1977; G. Püttner, Verwaltungslehre 1982 S. 236 ff.; W. Thieme, Verwaltungslehre Rdnr. 414. Eingehend im übrigen N. Achterberg, Allgemeines Verwaltungrecht § 18 Rdnr. 23 ff.; R. Mayntz, Soziologie der öffentlichen Verwaltung, 1978 S. 126; A. Hüttl, in F.M. Marx (Hrsg.), Verwaltung S. 284 ff.

1. KostenlNutzen-Relationen in der Verwaltungsentscheidung

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setzenden Mitteln als aber auch wesentlich an den Folgelasten, die dem Bürger aus dem Verwaltungshandeln erwachsen. Denn Verwaltung ist sich auch im Rechtsstaat nicht Selbstzweck. Sie hat schonend zu operieren. In dem Gebot zweckmäßigen Handeins treffen sich mithin die der Verwaltung eigene Ökonomie auf der einen und der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit auf der anderen Seite. Eine ~weck-Mittel-Relation3 (Kosten-Nutzen) kann so nicht allein als Kriterium für die gegenüber dem Recht "neutrale" Verwaltungseffizienz dienen. Die Richtigkeit von Verwaltungsentscheidungen selbst hängt von der Einhaltung von Grundsätzen der Sparsamkeit der aufgewendeten Mittel ab 4 • Ergibt sich aus dieser Zweck-Mittel-Relation freilich die Unwirtschaftlichkeit der Verwaltung, so kann von dort aus unproblematisch auf deren Dysfunktionalität geschlossen werden - vorausgesetzt, die Aufwendung von Mitteln ist nicht bereits politisch gerechtfertigt: Das Straßen bauvorhaben, dessen Genehmigungsverfahren teurer (aufwendiger) als seine technische Ausführung ist, oder die Wahl eines Mittels im Polizeirecht, das den Bürger stark belastet S , obwohl ein schonenderes und damit für den beteiligten Bürger billigeres Mittel bereit gestanden hätte, erweisen sich so auch unabhängig von den positiv-rechtlichen Regelungen (vor einer verwaltungsrechtlichen Beurteilung) als falsch 6 • Freilich hat hier die Ausbildung eines ,,rechtsschutzorientierten" Verwaltungsrechts als Konsequenz der Dogmatik subjektiv-öffentlichrechtlicher Rechte 7 gegen die kameralistischen Traditionen dazu beigetragen, den geschilderten Zusammenhang zu verwischen, der zwischen der Richtigkeit und der Effizienz von Verwaltung besteht. Oder, anders ausgedrückt: Ob Verwaltung effizient ist, kümmert den Verwaltungsrichter nicht oder doch erst an dem (vom Standpunkt einer Betrachtung der Verwaltung als staatlicher 2 Vgl. die eingehenden Erörterungen auf der Staatsrechtlehrertagung 1982 VVDStRL Bd.41 S. 151 ff. (Referat von R. Wahl und Korreferat von J. Pietzer S. 193 ff.); ferner ehr. Degenhardt DVB11982 S. 872 ff.; F. Ossenbühl NVwZ 1982 S. 465 ff.; H. Reinermann, in: U.Becker /W. Thieme, Handbuch, H.4.6. S. 2 ff., 3; m. w.N. H.-W. Arndt, Praktikabilität und Effizienz, zur ,,Effizienz als Rechtsbegriff' S. 102 ff. 3 Mit umfassender Würdigung der Judikatur des BVerfG vgl. E. Grabitz AöR Bd. 98 (1973) S. 567 ff. sowie ferner die Göttinger Habilitationsschrift L. Hirschbergs, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, 1981, insbes. S. 202. 4 A. Hüttl (Fn. 1) S. 285, ferner zu input / output-projections im Rahmen der PrognosesteIlung vgl. W. Michalski / A. Gerberding Hdbch. H.4.~. S. 13 f. H. Meyer zu Drewer, in: K.-H. Mattem (Hrsg.), Ziel- und ergebnisorientiertes Verwaltungshandeln S. 215 ff. Zu den betriebswirtschaftlichen Aspekten der "Ökonomie" des Verwaltungsverfahrens vgl. eingehend (auch für die Unternehmens"verwaltung") H. Kraus, Grundriß einer Theorie der Verwaltung, 1969 insbes. S. 79 ff. Ferner W. Thieme, Verwaltungslehre Rdnr. 421. Zu den Problemen einer solchen Betrachtungsweise vgl. ferner N. Luhmann, Recht und Automatisation in der öffentlichen Verwaltung S. 116 ff. S H. Reinermann, in: Becker / Thieme, Handbuch, H.4.6, S. 7 stellt heraus, daß die Zweck-Mittel-Relation zwar ein zunächst ,,rein formales Prinzip" sei, jedoch ihre Bedeutung auch im Kontext konkreter prozessualer Entscheidungen erlange. 6 Aus der Perspektive des Bürgers erscheint diese Frage unter dem Titel der "Verhältnismäßigkeit" des Verwaltungshandelns als Argument zur Abwehr staatlicher Eingriffe. 7 So für "die freiwillige Gerichtsbarkeit" Dorndorj'Rechtsbeständigkeit von Entscheidungen S. 119.

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VII. Kostenorientierung von Verwaltung und Rechtsprechung

Tätigkeit) marginalen Punkt, an dem Ineffizienz der Verwaltung subjektiv-öffentliche Rechte des Bürgers zu tangieren droht. Und paradoxer Weise nimmt damit gerade die am ,,Rechtsschutz" so nachdrücklich interessierte Tendenz der heutigen verwaltungsrechtlichen Dogmatik einen wesentlichen Aspekt der Verwaltung aus dem Recht heraus. Daß nämlich der Bürger durch ineffektive Verwaltungsverfahren in der Regel stärker belastet wird als durch effektive Verwaltungsmaßnahmen ist nicht zu leugnen - da er häufiger zur Behörde,.zu seinem Anwalt oder Steuerberater gehen muß, seine Rechtsabteilung oder die Buchhaltung stärker beansprucht, einen höheren Aufwand an Schriftverkehr hat usf. Die Verwaltungslehre hat sich dieses Problem unter Themen wie der ,,Normenflut"S oder der "Bürgemähe der Verwaltung" angenommen. Die Betonung eines materiellen subjektiv-öffentlichen Rechts jenseits des Verwaltungsverfahrens kann sich so gegen sich selbst kehren - oder genauer ausgedrückt: gegen den Bürger als seinem Träger. Und es leuchtet auf der anderen Seite ein, daß auf dem Gebiet der Innenverwaltung durch die Einrichtung von Effizienzkontrollen (sogleich 2.) Belastungen des Bürgers gegengesteuert zu werden vermag. Im Rahmen von Verfahren materieller Verwaltung der freiwilligen Gerichtsbarkeit aber scheint "selbstverständlich" eine derartige Kontrolle aus Gründen der richterlichen Unabhängigkeit nicht in Betracht zu kommen, wenngleich es sich wir an anderer Stelle gezeigt haben 9 , daß die Beschwerdeinstanz gegenüber der erstinstanzlichen Entscheidung in nichtstreitigen Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit diese Aufgabe einer Effzienzkontrolle wahrzunehmen hat, was dort zu eigenen Problemen führt 10.

Es wird im Fortgang dieser Überlegungen noch näher zu bestimmen sein, in welches Verhältnis zueinander dieser Grundsatz der Wirtschaftlichkeit der Verwaltung auf der einen und die prozessuale Maxime der Verfahrensökonomie auf der anderen Seite treten. Hier ist zunächst darauf hinzuweisen, daß in der Binnenperspektive der Verwaltung anband der aufzuwendenden Kosten Kriterien für die Richtigkeit von Verwaltungshandeln gegeben sind. Und zwar Kriterien einer internen Überprüfung der Effizienz der ins Werk gesetzten Maßnahmen, die der Rechtskontrolle (aus der Perspektive ,,rechtsschutzgewährender" Verwaltungsgerichte betrachtet) noch vorgeschaltet sind. In der Verwaltung hat diese "Ökonomie" mithin die nähere Bedeutung, Kriterien auch für die Beurteilung der Richtigkeit von Verwaltungsentscheidungen auch aus deren Zweckmäßigkeit 11 zu gewinnen.

S F. Kirchhof!, in: R. Scholz (Hrsg.), Wandlungen in Technik und Wirtschaft als Herausforderungen des Rechts, S. 257 ff., m. W.N. 9 St. Smid, Rechtsprechung § 8. 10 St. Smid, Rechtsprechung § 8 II 2, 3. 11 Damit ist deutlich, daß eine verfahrensrechtliche Untersuchung administrativer Gerichtsverfahren von vornherein auch das materielle Recht mitzubedenken hat; vgl. zum Verwaltungsrecht: H.H. Lohmann, Die Zweckmäßigkeit der Ermessenentscheidung als verwaltungsrechtliches Rechtsprinzip, passim.

2. Selbstkontrolle der Verwaltung durch Effizienzprüfung

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2. Selbstkontrolle der Verwaltung durch Effizienzprüfung Anders ausgedrückt: Die Ausrichtung der Verwaltung an Zweckverfolgung bringt es mit sich, daß sie eine Selbstkontrolle 12 einrichten kann, die - unabhängig von der Rechtmäßigkeit des Verwaltungshandelns - deren Effizienz überprüft. Diese Überlegung mag es verständlicher machen, weshalb nicht selten Verwaltung durch ihre angeblich "weniger intensive" Bindung an das Gesetz charakterisiert wurde 13: Neben den verfassungsgeschichtlichen Voraussetzungen dieser Beschreibung fmdet sie ihren Hintergrund eben auch vor dieser spezifischen Möglichkeit der Verwaltung, ihr eigenes Handeln aufgrund einer Rechnungslegung über die aufgewandten Mittel zu kontrollieren. Diese Selbstkontrolle entzieht sich nämlich selbst weitgehend der "gerichtlichen Überprüfung", ob diese nun allein im Hinblick auf den Schutz der subjektiv-öffentlichen Rechte der Bürger durch die Verwaltungsgerichte (und damit "eingeschränkt") oder als Organisation eines Rechtsstreits zwischen Bürger und Verwaltung verstanden wird 14: Ein Verwaltungsakt kann gegenüber dem Widerspruch des Betroffenen allein unter dem Aspekt seiner Rechtmäßigkeit Bestand haben - als rechtmäßig zu qualifizieren sein 15 - unabhängig davon aber ist zu beurteilen, ob die Widerspruchsbehörde aufgrund ihrer Beurteilung der Wirtschaftlichkeit (Effizienz) dieses Aktes diesen aufhebt 16. Die Beschränkung von Kontrollinstanzen innerhalb der Verwaltung auf eine bloße Rechtsaufsicht dagegen dient - augenfällig insbesondere im Gemeinde 17 --, aber auch im Hochschulrecht 18 - der Einrichtung autonomer Verwaltungseinheiten, die in sich Selbstkontrollen der Effizienz ihrer Tätigkeit installieren 19.

Es haben sich somit zwei wesentliche Bedingungen gezeigt, unter denen Verwaltungshandeln steht. Zum einen ist Verwaltung an der Verfolgung hetero12 F.M. Marx, Das Dilemma des Verwaltungsmannes S.372 zur Einrichtung von Kontrollmechanismen, die zur Dienstbarmachung von Resourcen beitragen; W. Thieme, Verwaltungslehre Rdnr. 423; G. Püttner, Verwaltungslehre S. 337 ff. 13 Zur Ambivalenz derartiger Darstellungen mit umf. N. E. Forsthoff, Lb.§ 5 S. 80 ff. 14 § 113 VwGO. 15 Vgl. statt vieler Forsthoff, Lb.Bd. 1 S.6. 16 Daher gehtF. Becker, Das allgemeine Verwaltungsverfahren in Theorie und Gesetzgebung, S. 55, fehl, wenn er argumentiert, das ,,Fehlen" einer Zweckmäßigkeitskontrolle der Verwaltung durch die Gerichte werde durch die Zweckmäßigkeitskontrolle im verwaltungsverfahrensrechtlichen ,.Rechtsmittelverfahren" ergänzt und dadurch werde der gebotene Rechtsschutz "effektuiert". Denn die Beschränkung des gerichtlichen ,.Rechtsschutzes" auf eine ,,reine Rechtrnäßigkeitskontrolle" konstituiert die spezifische Leistung der Rechtsprechung, vgl. dazu St. Smid, Rechtsprechung §§ 4,5. 17 W. Blümel, in: G. Püttner (Hrsg.), Hdbch d.kommunalen Wissenschaft und Praxis Bd. I, 1981, § 14. 18 W. Thieme, Deutsches Hochschulrecht, 1956; G. Roellecke DÖV 1985 S. 854; K. Hai/bronner JZ 1985 S. 864 ff. 19 Vgl. zum Ganzen N. Achterberg, Allgemeines Verwaltungsrecht § 11 I Rdnrn. 1 ff. m.w.N.

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gener,. vorgegebener Zwecke orientiert. Zum anderen hat sie ihre Zweckverfolgung unter die Prämisse einer Zweck-Mittel-Relation zu stellen. Diese Darstellung mag dem dürftig, zu "wenig inhaltlich" erscheinen, der ontologische (Seinsoder Wesens-)Beschreibungen von Verwaltung erwartet. Doch um diese geht es hier nicht. Mit den beiden Polen - Zweckverfolgung und Wirtschaftlichkeit - liegen strukturelle Eigenheiten des Verwaltungsverfahrens 20 offen, die mit der Struktur von Prozessen kontrastiert werden können. In denen werden die verfassungsrechtlich durch den Prozeßvorbehalt des Art. 19 IV GG garantierten Leistungen der unabhängigen und unparteiischen Rechtserkenntnis mit den Mitteln des Rechts verwirklicht, was zu einer grundsätzlich anderen Bedeutung der Kosten des zu fällenden Urteils für die Entscheidungskriterien führt als im Verwaltungshandeln 21. 3. Prozeßökonomie und Privatautonomie Es ist nach der vorangegangenen Untersuchung nicht überraschend, daß sich für die Rechtsprechung kein vergleichbares Kriterium für die Effizienz ihres Handeins aus ökonomischen Zweck-Mittel-Erwägungen ableiten läßt 22. Denn bei der Rechtsprechung steht als ihr Produkt allein die Streitentscheidung zur Diskussion - und nicht konkrete Zwecke, die sich in praktisch meßbaren Vorhaben wie denen der Verwaltung ausdrücken lassen. Das Ergebnis der Entscheidungen der Rechtsprechung läßt sich also nicht 23 - oder doch nur bedingt 24 - in bezug auf die Kosten setzen, die zu seiner Erreichung aufgewandt werden müssen. Oder anders ausgedrückt. Der Wert des - untechnisch gesprochen - Streitgegenstandes der Entscheidung muß nicht höher sein als die durch den Prozeß verschlungenen Kosten. Der Prozeß kann 20 Uns reichen diese sparsamen Überlegungen für eine prozessuale Grundlegung der Unterscheidung von Verwaltung und Rechtsprechung aus, die für eine umfassendere, spezifische Analyse der Verwaltung mit ihren ausgedehnten organisationsrechtlichen und -soziologischen Implikationen gewiß nicht hinreichen würde (vgl. R. Mayntz organisationssoziologischen Untersuchungen, Soziologie der Verwaltung; BA. Baars, Strukturmodelle für die öffentliche Verwaltung, 1973). Zur unterschiedlichen Perspektie einer verwaltungswissenschaftlichen und einer (prozeß-)rechtlichen Untersuchung vgl. auch N. Wimmer, Die Verwaltung Bd. 8 (1975) S. 141 ff. 21 Daher ist eine Darstellung wie diejenige F. Beckers, der Verwaltung "subsumtiv nach ,,Prozeßmaximen" betrachtet (dazu St. Smid, Rechtsprechung § 4), außerordentlich zweifelhaft. 22 So beschränkt sich auch die Literatur auf Aussagen wie die P. Gilles, Rechtsmittel im Zivilprozeß S. 247, es sei ,ja nicht gesagt, daß mit der Vermehrung des Verfahrensaufwandes und der zunehmenden Dauer des Prozesses die Gewähr für die Rechtmäßigkeit der Entscheidung proportional steigt". Und das bedeutet zugleich die Unmöglichkeit, vermittels empirischer Messungen die normativ bestimmten Aufgaben von Rechtsprechung zu erfassen. 23 R. Pohle, Lent-F. S. 195 ff., 205 weist darauf hin, daß die Parteien eher als der Richter wissen, was für sie "wirtschaftlich" ist. 24 Zu den gesetzlichen Ausformungen der Prozeßökonomie und ihrer "verfassungskonformen Auslegung" im folgenden.

3. Prozeßökonomie und Privatautonomie

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"teurer" sein als das eingeklagte Interesse der Parteien. Denn es geht im Prozeß nicht (allein) um einen Akt der Distribution von wirtschaftlichen Werten, deren Zuteilung streitig geworden ist 2.'i. Wäre dies so, ließen sich auftretende Konflikte insbesondere im bürgerlichen Recht am geeignetsten durch Wirtschafts fachleute bereinigen 26. So wird zwar von einer Reihe von Autoren die Erhebung des Sachverständigen zum Richter gefordert. Ohne auf die Erörterung der prozessualen Einwände 27 vorzugreifen ist nach unseren Überlegungen im vorangegangenen Paragraphen deutlich geworden, daß die Probleme weniger in der Unterscheidung von ,,Rolle", "Status" oder ,,Ethik" von Richtern und Sachverständigen liegen als in deren unterschiedlicher Arbeits- und besonders Erkenntnisweise; wickelt ein Wirtschaftsfachmann z. B. einen gestörten Werklieferungsvertrag ab, wird er nicht selten bei seinen Entscheidungen von der ökonomischen Zweckmäßigkeit und nicht von normativen Kriterien ausgehen 28 • M.a.W. stellen sich Entscheidungen grundSätzlich verschieden dar, wenn sie vom Standpunkt des rechtsanwendenden Richters oder dem des mit wirtschaftlichem Kalkül (oder technischem Verstand, medizinischem Kunstwissen usf.) operierenden ,,Fachmann" gefällt werden (- was freilich nicht gegen den Richter spricht, der sich in die Ausführungen des Sachverständigen hineindenkt - im Gegenteil!). Die Rechtsprechung hat daher (im Gegensatz zur Wirtschaftsverwaltung) nicht für wirtschaftlich effizientes Handeln der Beteiligten zu sorgen - denn dies können die Beteiligten selbst besser - . Rechtsprechung hat das zwischen den Beteiligten ungewisse, streitige Recht zum Gegenstand. Und den Parteien geht es neben und oftmals noch vor der Erreichung ihrer ökonomischen Ziele gerade darum: nämlich um ihr Recht. Und dies Recht ist gerade dann kaum noch in wirtschaftliche Werte zuruckzurechnen, wenn es überhaupt einmal zum Prozeß gekommen 29 ist, nachdem die Parteien einen außergerichtlichen Ausgleich nicht haben finden können. 2S Dies wird von explizit ökonomischen Analyseansätzen wie dem M. Adams, Ökonomische Analyse des Zivilprozesses, passim, oftmals nicht hinreichend berücksichtigt (vgl. Adams S. 5 ff.). 26 Vgl. die Überlegungen JJ. Hagens (Elemente einer allgemeinen Verfahrenslehre S. 62 ff.) zur volkswirtschaftlichen Analyse des Zivilprozesses. Und als Pendant drängt sich für die emotionale Beteiligung der Parteien dann der Therapeut auf, wenn man nicht den Prozeß als ,,Kampf ums Recht" begreift. Noch einen Schritt weiter gedacht könnte - als zweifelsohne äußerst effizientes - Instrument strafrechtlichen ,,Rechtsgüterschutzes" die ,,Psychiatrierung" des Angeklagten in den Blick treten, was drastisch den Zusammenhang von Recht und Freiheit erhellt. 27 Vgl. die Darstellung St. Smid, Rechtsprechung § 5. 28 Wie es umgekehrt auch in der Kautelarjurisprudenz falsch wäre, etwa von "Werten" usf. statt von den wirtschaftlichen Anforderungen an die Vertragsgestaltung auszugehen. 29 Was plastisch R. Jhering gezeigt hat; D. Brüggemann, iudex statutor und iudex investigator S. 41. Der Verweis auf Jhering knüpft an eine Rechtswissenschaft an, die in ihre Dogmatik die Elemente des Rechts aufnimmt, die nicht unmittelbar ,juristisch" sind: Zum Recht gehören eine Anzahl historischer und sozialer Determinanden, die in die Dogmatik aufzunehmen sind - die "Interessen" der Parteien, ihre Usancen etc. Die heutige Lehre will diese Bezüge häufig aus der Dogmatik heraushalten, vgl. N. Achterberg (Hrsg.), Rechtsprechungslehre S. 3 ff.

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Anders - mit D. Brüggemann JO - ausgedrückt ist dem Parteienstreit die "zeugende Kraft" für die Findung der Gerechtigkeit" beizumessen - und zwar auch zu dem ,,richtigen" weil von den Parteien berechneten Preis, ohne daß freilich damit, wie Briiggemann meint, ein ,,zwischenfeld zwischen Sozialethik und Prozeßökonomik" betreten werden müßte. Die Verantwortung der Parteien für die Prozeßkosten als Kosten ihres Kampfes folgt vielmehr zwingend aus der Struktur eines auf Privatautonomie beruhenden Verfahrens. Der Prozeß gewinnt insofern eine Eigengesetzlichkeit, auf die sich die Parteien auch in Bezug auf die von ihnen zu tragenden Kosten eingelassen haben. Insofern steht dem Richter nicht die Kompetenz zu, die Parteien kostenrechtlich zu bevormunden 31.

4. Rationalisierung des Verfahrens und Einsparung von Mitteln Andererseits ist es nicht zu übersehen, daß die technischen Mittel - die behördlichen Einrichtungen - , die zur Produktion von Streitentscheidungen vom Staat bereitgestellt werden, den unterschiedlichsten Streitgegenständen angepaßt sind. Dies leistet im Zivilprozeß der Zuständigkeits streitwert, der - je nachdem - zur Kompetenz des (wirtschaftlicher ausgestatteten) Amtsgerichts oder des ("teureren") Landgerichts 32 führt. Und die Zuständigkeit der Revisionsinstanz hängt von der Erreichung einer bestimmten Beschwer ab - was freilich für Fälle von besonderer Bedeutung durchbrochen werden kann. Schon diese Ausnahmen aber machen deutlich, daß die Anpassung der sächlichen Aufwendungen des Staates - seiner "Vorhaltekosten" - an die Bedeutung der jeweiligen Verfahren noch keinesfalls etwas darüber besagt, welche Kosten im konkreten Verfahren anfallen können, um zu einer Streitentscheidung zu gelangen. Die Sorge für die Prozeßführung und mit ihr: für deren Kosten liegt nämlich bei den Parteien 33. Die (scheinbar) mangelnde wirtschaftliche Vernünftigkeit eines Streites kann jedenfalls dem Begehren der Parteien nicht entgegengehalten werden; das Gericht muß entscheiden, auch wenn das "Interesse" an der Entscheidung die Höhe der für sie aufzuwendenden Kosten nicht erreicht 34 • Wollen die ludex statutor und iudex investigator S. 132 f. So jedoch bereits etwa C.AJ. HartzJeld, Der Streit der Parteien, passim. 32 Dies zeigen die nachdrücklichen Diskussionen, die einsetzen, wenn die Zuständigkeitsverteilungen geändert werden; vgl. allein zur Streitwerterhöhung zum 1. 7. 1982 H. Stanicki DRiZ 1982 S. 65 ff.; ferner DRiZ 1982 S. 152 ff. (Auszug aus der Debatte des Deutschen Bundestages). 33 Dies wurde schon stark während der Emmingerreform betont, vgl. Chr. v. Mettenheim, Der Grundsatz der Prozeßökonomie S. 31. 34 J. Rödig, Theorie des gerichtlichen Erkenntnisverfahrens, S. 160 versucht, Kriterien aus einer "Opfergrenze" zu entwickeln, die bei der Fällung richterlicher Entscheidungen nicht überschritten werden dürfe. Dem ist - mit den aus Art. 19 IV, 103 I GG gebotenen nachdrücklichen Restriktionen - soweit zuzustimmen, wie die Aufwendungen des Staates angesprochen sind. Der Rekurs Rödig auf ein Opfer an "Interessen" verwischt diesen 30 31

4. Rationalisierung des Verfahrens und Einsparung von Mitteln

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Parteien eine streitige Entscheidung "um jeden Preis", so fallen ihnen die eventuell sehr hohen Kosten zur Last (denen nicht notwendig in entsprechender Höhe staatliche Aufwendung entgegenstehen). An diesem grundsätzlichen Problem haben auch die zahlreichen Versuche, durch Reformen des Zivilprozesses sein Verfahren "wirtschaftlicher" auszugestalten, nichts geändert. Denn auch diese Versuche haben sich im Rahmen der Vorentscheidung einer grundSätzlichen Überantwortung der Kosten auf die Parteien bewegt. Sowohl die Rationalisierungsbemühungen der Emmingerreform 35 und die - kriegsbedingten - VereinfV 36 sollten wie auch die Beschleunigungsnovelle von 1977 37 , soweit sie eine wirtschaftlichere Ausgestaltung des Prozesses bezweckten, die staatlichen "Vorhaltekosten" für die Unterhaltung des Justizapparates mindern. Der einzelne Prozeß sollte weniger Kräfte des Justizapparates absorbieren. Und nicht zuletzt soll die "Verbilligung" des Prozesses den Parteien ein Urteil verschaffen, das "gerechter" ist, weil es "schnell" gefällt wird. Damit ist freilich auch immer die Statuierung von ,,Prozeßförderungspflichten"38 verbunden, die gegenüber den Parteien verhängt werden. Denn insofern lassen sich das Parteiverhalten und die aufzubringenden staatlichen "Vorhaltekosten" für die sächliche und personelle Ausstattung der Rechtsprechung nicht voneinander trennen, deckt doch die Kostenpauschalierung nicht die im Einzelfall anfallenden Kosten eines Verfahrens 39 . Freilich hat jetzt das BVerfG40 in einer Entscheidung zum Verhältnis der Präklusionsvorschrift des § 295 ZPO auf der einen und der Beziehung von Prozeß und Recht auf der anderen Seite gezeigt, daß die Beschleunigungsvorschriften allein Pflichten der Parteien auf Förderung des Prozesses als Pflichten gegen sich selbst normierten; gegen den BGH hat das BVerfG daher hervorgehoben, daß die Präklusionsvorschrift ihren Sinn erst erhält, wenn sie als Ermöglichung eines sowohl schnellen (und deshalb "besseren") als auch ("materiell") gerechten Urteils begriffen wird, was es jedenfalls voraussetzt, daß den Parteien nicht zum Zwecke der Prozeßbeschleunigung das rechtliche Gehör abgeschnitten wird.

Zusammenhang eher. Im Zivil- und Verwaltungsrechtsstreit haben die Parteien bereits darüber entschieden, was sie für die Feststellung ihres Rechts aufwenden ("opfern") wollen; dort greift Rödigs Argumentation also nicht. Und im Strafprozeß droht sie gar eine gefährliche Wendung zu nehmen. Denn dort auf die "Opfergrenzen" beteiligter Interessen zurückzugreifen trägt in sich die Tendenz, aus prozessualen Abwägungen heraus Eingriffe in Grundrechte der Beteiligten (nicht zuletzt: der Zeugen!) zuzulassen (vgl. zu K. Amelung Darstellung in seiner Untersuchung ,,Rechtsschutz gegen strafprozessuale Grundrechtseingriffe" St. Smid, Rechtsprechung § 1). 35 Vgl. hier allein die Darstellung bei Stein I Jonas, ZPO, 14. Aufl. 1928 Einl. 5, 6 m. w. N. der damaligen Diskussion. 36 Vgl. Jonas, ZPO 16. Aufl., 4. Nachtrag 1943. 37 Aus der unüberschaubaren Fülle der Literatur vgl. hier allein den Bericht der Kommission für das Zivilprozeßrecht, 1977 S. 29 ff. sowie Franzki DRiZ 1977 S.61 und dens. NJW 1979 S. 9 ff. 38 R. Stürner, Aufklärungspflicht der Parteien im Zivilprozeß (krit. zu Stürners Argumentationsgang näher St. Smid, Rechtsprechung § 4). 39 Zur Kostenpauschalierung vgl. J J. Hagen, Elemente einer allgemeinen Prozeßlehre S. 68 f.; ferner C.-Th. Olivet, Die Kostenverteilung im Zivilurteil, 1980; K.-G. Loritz, Die Konkurrenz materiellrechtlicher und prozessualer Kostenerstattung, 1981 sowie zur Funktion der Prozeßkosten H.-M. Pawlowski JZ 1975 S. 197 ff. 40 Urt. v. 30. 1. 1985, NJW 1985 S. 1149.

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ehr. v. Mettenheim 41 bestimmt denn auch "Prozeßökonomie" als einem "wirtschaftlichen Rationalisierungsvorhaben vergleichbare Verfahrensvereinfachung" dar. Sie stellt an denjenigen, der das Prozeßrecht anwendet, die Forderung, überflüssige Schritte zu vermeiden und dadurch prozessuale Mittel einzusparen - nämlich Ressourcen an Zeit, Personal und Geld. Unserer Beschreibung des Zivilprozesses (aber auch der übrigen streitentscheidenden Verfahren) entspricht es aber, daß die Organisation der Wirtschaftlichkeit des Verfahrens sich nicht allein an dessen Zweck, befriedende Streitentscheidungen zu produzieren, orientieren kann. Diese könnten durch einen autoritativen staatlichen "Machtspruch" gegebenenfalls sogar "wohlfeiler" - und in manchen Fällen vielleicht sogar mit einer höheren Akzeptanz unter den Betroffenen! - als durch einen Richterspruch unseres Verständnisses hergestellt werden. Dagegen wurde als ,,zweck" oder Funktion des streitentscheidenden Prozesses die Ermöglichung der Selbstdefinition der Rechtsansichten durch die Parteien bestimmt 42 : Deren Teilnahme an der Erkenntnis des zwischen ihnen geltenden Rechts. Das aber bedeutet auf der anderen Seite zwingend für die Herstellung eines wirtschaftlichen Verfahrens zur Streitentscheidung, daß als Angriffspunkt seiner Ökonomie sich Sparmaßnahmen allein in der Organisation der zuständigen Einrichtungen - der Gerichte und des bereitgestellten Verfahrens (und das bedeutet: in der Sphäre des Staates) verwirklichen können 43 • Und insofern findet die Argumentation aus prozeßökonomischen Gesichtspunkten ihre Grenze dort, wo durch die Organisation eines Verfahrens unter (primär) wirtschaftlichen Aspekten die Teilnahmerechte der Parteien beschnitten würden 44. Schlagwortartig ausgedrückt folgt aus dieser Überlegung die Limitation eine Argumentation aus Prinzipien der Prozeßökonomie durch Art. 103 I GG45. Mehr noch: Es kann nicht unter Berufung auf die Wirtschaftlichkeit des Verfahrens die Durchführung eines 41 Prozeßökonomie. In Anlehnung an überkommene Ansätze: Vgl. allein Fr. Stein, Über die Voraussetzungen des Rechtsschutzes, 1903 S. 107. 42 ehr. v. Mettenheim, Prozeßökonomie, S. 19 betont stark diese öffentliche Aufgabe der Aufsicht des Staates über den Zivilprozeß. 43 Th. Domes AnwB11984 S. 465 ff. kritisiert den Entwurf zu einem ZPO-Entlastungsgesetz. 44 Daher finden sich in der Literatur zu Recht zahlreiche Autoren, die einem unvermittelten Gebrauch des Begriffs der Prozeßökonomie im Verfahrensrecht deshalb kritisch gegenüberstehen, weil dies dem ,.zweck" eines streitentscheidenden Verfahrens zuwiderlaufen würde; vgl. H.-Fr. Gaul AcP 168 (1968) S. 27, 41 f.; ders. FamRZ 1960 S. 320, 323, 326 und ZZP Bd.74 (1961) S.49, 80; W. Henckel, Prozeßrecht und materielles Recht, 1970 S. 232; H.H. Rupp JuS 1966 S. 105. 45 Dies ist besonders in der Diskussion um die Rechte der Beteiligten in den Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit angeklungen. Es wurde hier jedoch bereits mehrfach darauf hingewiesen, daß dies stets durch Überlegungen relativiert wurde, die auf Effizienz und ökonomische Gesichtspunkte zielen, vgl. H. Kollhosser, Verfahrensbeteiligte S. 281 ff, ders. ZZP Bd. 93 (1980) S. 265 ff., 271 ff. Und dies ist auch solange kaum zu ändern, wie die überkommene Dogmatik Lösungsansätze jenseits der heterogenen Verfahrensstrukturen innerhalb der freiwilligen Gerichtsbarkeit jenseits ihrer unterschiedlichen Verfassungsrechtlichen Stellung zu unterschiedslosen Einheitsmodellen zu gelangen.

4. Rationalisierung des Verfahrens und Einsparung von Mitteln

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streitentscheidenden Verfahrens abgelehnt werden, was insbesondere im familiengerichtlichen Verbundverfahren im Verhältnis zwischen den Verfahren einstweiligen Rechtsschutzes und deren Hauptsacheverfahren von Bedeutung ist und dort oftmals unter dem Aspekt des Fehlens eines ,,Rechtsschutzbedürfnisses"46 behandelt wird 47 • Eine Streitentscheidung durch das Gericht kann nämlich auch dann nicht abgelehnt werden, wenn von vornherein erkennbar ist, daß die Schaffung ihrer Voraussetzungen - die Erreichung der ,,Entscheidungsreife" - durch die Erhebung erforderlicher Beweise usf. erheblich mehr Aufwendungen kosten werde, als sie in der klaglosen Hinnahme des ungeklärten, streitigen Rechtsverhältnisses durch die Parteien für diese liegen würde 48. Freilich steht dies immer unter der Voraussetzung, daß die vorgenommenen Schritte des Gerichts tatsächlich "geboten" sind. Dies bemißt sich anband des einschlägigen materiellen Rechts oder des Prozeßrechts: allein der relevante Beweis ist zu erheben usf. 49 • Hatte sich gezeigt, daß sich die Effizienz der Verwaltung unmittelbar aus der Relation zwischen erreichtem Zweck und aufgewandten Mitteln darstellen läßt, verhält sich dies bei Verfahren der Rechtsprechung also offensichtlich nicht dergestalt einfach.

46 Vgl. Zöller I Philippi, ZPO, § 620 Anm. 7 a, b. 47 So meinte das OLG Hamm FamRZ 1978 S. 1535, es sei ihm nicht zumutbar (!), zweimal über die selbe Sache (den Unterhalt}zu entscheiden; vgl. ferner Zöller I Philippi (Fn. 46). Ein Verdikt wie da H. Putzos (NJW 1965 S. 1018 f.); der meint, mit der Kategorie der Prozeßwirtschaftlichkeit ließen sich beliebig solche Entscheidungen rechtfertigen, mittels derer Arbeitserspamisse für die Gerichte herbeigeführt würden, scheinen ihre Bestätigung in Entscheidungen wie der zitierten des OLG Hamm zu fmden - die freilich der Sache nach im Hinblick auf die Rechtsprechung des BGH zum Verhältnis von Getrenntlebensunterhalt und nachehelichem Unterhalt als getrennten Streitgegenständen heute kaum noch in dieser Form denkbar erscheint. 48 Wenn dagegen JJ. Hagen, Allgemeine Verfahrenslehre und verfassungsgerichtliches Verfahren S. 36 die Auffassung vertritt, im Kontext der Verfahrensökonomie seien die zur Entscheidung stehenden "Werte" bedeutsam, so liegt darin die Gefahr der Relativierung prozessualer Gewährleistungen, wie sie bereits oben gegenüber dem Ansatz J. Rödigs kritisiert wurde. 49 Näher zum Beweisverfahren St. Smid, Rechtsprechung § 4.

VIII. Zur Struktur des streitentscheidenden Urteils "Freiheit" und "Bindung" des Richters Bevor aus den bisherigen Überlegungen ein erstes Resumee gezogen werden kann, ist zunächst noch auf einen Fragenkomplex einzugehen, der bereits oben im Zusammenhang der unterschiedlichen Intensität und vor allem: Qualität der Bindung von Rechtsprechung und Verwaltung an normative Vorentscheidungen (an das Gesetz wie auch an die eigenen Vorentscheidungen) angesprochen wurde. Mit der Verschiedenartigkeit der Struktur der Orientierung von Rechtsprechung und Verwaltung an den Folgen ihrer jeweiligen Entscheidungen und Maßnahmen, wie sie bislang beschrieben wurde, korrespondiert nämlich eine unterschiedliche Strukturierung des Entscheidungsvorganges (und seiner Kriterien) selbst. Denn es liegt auf der Hand, daß, je nachdem welchen Bezug das Entscheidungsorgan zu den Folgen seines Handeins einnimmt, die im Rahmen der Vorbereitung der Entscheidung anzustellenden Überlegungen sich voneinander zu unterscheiden haben werden. Und darüber hinaus bezieht sich diese unterschiedliche Strukturierung der Vorüberlegungen der Entscheidung nicht allein auf diese selbst. Sondern sie schlägt - reflexiv - auf den Entscheidungsvorgang und die dort vorzunehmenden Maßregeln zu seiner Vorbereitung zurück. Mit anderen Worten hat die konditionale Programmierung von Rechtsprechung, von der oben gehandelt wurde, Konsequenzen für deren spezifischen Erkenntnisprozeß als eines Vorgangs der Rechtserkenntnis. Während die Verwaltung sich "freier" zu ihren Mitteln bei der Entscheidung verhalten kann, scheint es in dieser Hinsicht legitim, zu behaupten, die Rechtsprechung sei insofern "festgelegter". 1. Ermessen als Problem der Differenzierung

von Rechtsprechung und Verwaltung

Diese Problemstellung wird gewöhnlich mit der Frage nach der besonderen Struktur des Ermessens des rechtsprechenden Richters gegenüber dem der Verwaltung thematisiert I. "Grundsätzlich", so heißt es 2, sei der Richter "strikt" an 1 H. Göppinger JurJb Bd. 9 (1968/1969) S. 86 ff.; F. Rittner, EnnessensfreiheiUmd Billigkeitsspielraum des Zivilrichters, Arb.z.RVgl. H.24 1964; G. Warda, Dogmatische Grundlagen des richterlichen Ennessens im Strafrecht, 1962; grunds. D. JeschAöR Bd. 82 (1957) S. 163; K. Schiffzyk, Das "freie" Ennessen des Richters im Zivilprozeß, Diss. Erlangen 1979; K. Scholz, Die Ennessensentscheidung im 2ivilprozeß, Diss. Frankfurt / M. 1969; D. Behrens, Die Nachprüfbarkeit zivilrichterlicher Ennessensentscheidungen, 1979; P. Arens ZZP Bd.88 (1975) S. Iff.; H. Schuhmann, Das Ennessen des Richters im Bereich der freiwilligen Gerichtsbarkeit, 1968; zum Verwaltungsennessen:

1. Ennessen als Problem

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das Gesetz gebunden und habe nur ausnahmsweise die Freiheit, nach seinem Ennessen zu entscheiden, nämlich dann, wenn ihm diese Kompetenz zu "freier" Ennessensentscheidung durch das Gesetz eingeräumt sei. Nun ist dies kein Abgrenzungskriterium gegenüber dem Ennessen der Verwaltung. Auch Verwaltung kann "gesetzesakzessorisch" handeln, kann in der Auswahl ihrer Mittel gebunden sein. Sobald die Verwaltung im Rechtsstaat darauf festgelegt ist, dem Bürger gegenüber rechtlich zu argumentieren - d.h. sich auf ihre gesetzlich eingeräumten Befugnisse zu berufen 3 - ist in der Verwaltungsrechtslehre von einem ,,Rechtsfolgeennessen" die Rede 4 , nach dem die Verwaltung die Art ihres Tätigwerdens bestimmen können soll. Auf der anderen Seite wird in der Literatur nicht selten davon gesprochen, in bestimmten Fragen sei der Richter in der Auswahl seiner Mittel ,,frei" - wogegen freilich Stimmen laut werden, die unter Hinweis auf rechtsstaatliche "Prinzipien" die Entscheidungsfreiheit des Richters begrenzen wollen s. So führt auch W. Dütz 6 in seiner Auseinandersetzung mit dem Verhältnis zwischen "Gerichtsschutz" und richterlichem Ennessensspielraum mit Nachdruck aus, die Zweckmäßigkeit des Handeins der Parteien oder die einer Regelung usf. sei nicht durch den Richter überprüfbar. Es liegt nach Dütz also nicht im Ennessen des Richters, darüber zu entscheiden, welche Zwecke die Parteien zu verfolgen haben. Es ist hier nicht der Ort, im einzelnen zu zeigen, welche konkreten verfahrensrechtlichen Fragen in derartigen Auseinandersetzungen diskutiert werden. Hier soll vielmehr allein allgemein das Problem erörtert werden, daß sich hinter derartigen Diskussionen um richterliche Ennessensfreiheit oder ihre ,,Einschränkung" im Kontext einer verfassungsrechtlich begründeten Differenzierung von Rechtsprechung und Verwaltung verbirgt. Denn eine unvennittelte Berufung auf "Gebote der Rechtsstaatlichkeit" vennag für sich allein genommen noch nicht die sachlichen Kriterien offenzulegen, die bei der Diskussion richterlichen Ennessens zu berücksichtigen sein werden. Mit anderen Worten ist zunächst nach Funktion und Bezugspunkten der Eröffnung eines Ennessenspielraumes des Richters im konkreten Zusammenhang seiner jeweiligen Tätigkeit zu fragen und danach, was diese im Kontext des Spannungsfeldes von ,,Rechtsprechung" und "Verwaltung" bedeutet. H. Ehmke, Ennessen und unbestimmter Rechtsbegriff im Verwaltungsrecht, 1960; K. Stern, Ennessen und unzulässige Ennessensausübung, 1964; F. Mayer, Das Opportunitätsprinzip in der Verwaltung, 1965; H.H. Lohmann, Die Zweckmäßigkeit der Ennessens-

entscheidung, 1972. 2 Grundlegend für unsere Überlegungen H.-E. Henke, Die Tatfrage; W. Frisch, Revisjonsrechtliche Probleme der Strafzumessung, S. 75 ff. Vgl. weiterhin Göppinger (Fn. 1) S. 87; undifferenziert dagegen die Darstellung bei E. Bernatzik, Rechtsprechung und materielle Rechtskraft S. 36 ff. Vgl. ferner E. Gröpl, Diss. S. 89 ff. 3 4

S 6

Maunz / Dürig / Herzog / Scholz-Herzog Art. 20 VII Rdnrn. 25/26, 58/59. Chr.-Fr. Menger, System des verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutzes S. 32 ff. Vgl. die Arbeit von Schiffzyk (Fn. 1) S. 21 ff.m.Nachw. Gerichtsschutz S. 216; KABettermann Jellinek-GS S. 365 ff.

7 Smid

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VIII. ,,Freiheit" und "Bindung" des Richters

In der Literatur wird bekanntlich zwischen unterschiedlichen Formen richterlichen Ermessens differenziert. So wird die Frage gestellt, ob der Richter dann eine Ermessenskompetenz zum Erlaß seiner Entscheidung hat, wenn er einen Lebenssachverhalt unter einen gesetzlichen Tatbestand subsumiert ("Tatbestandsermessen"). Dies soll etwa bei der Anwendung unbestimmter Rechtsbegriffe der Fall sein 7. Umstritten ist, ob der Richter zwischen verschiedenen Entscheidungsaltemativen soll wählen können oder ob er auf eine, richtige Entscheidung festgelegt sei. Freilich berührt diese Frage noch vor der Differenzierung von Rechtsprechung und Verwaltung genuine Fragestellungen der juristischen Methodenlehre 8. Einigkeit besteht jedoch weitgehend darüber, daß der Richter jedenfalls nicht (willkürlich) nach Zweckmäßigkeitsgesichtspunkten auslegen dürfe 9. Damit aber stellt sich die Frage nach dem "Tatbestandsermessen" des Richters allein als Problem des Verhältnisses der Auslegung zum Gleichbehandlungsgrundsatz dar. Probleme für den Zusammenhang unserer Untersuchung stellen sich aber wegen des zweiten Bereichs richterlichen Ermessens, nämlich dem sog. Rechtsfolgeermessen 10. Dabei stellt sich die Frage, ob dem Richter II die Aufgabe obliegt, die richtige Rechtsfolge eines Tatbestandes zu erkennen oder ob die Festsetzung einer Rechtsfolge im Ermessen des Richters steht 12. Zu Recht setzt die Literatur bei dieser Problematik dabei an, wie sich die richterliche Entscheidung zum Normzweck - und damit zugleich: zum Zweck des jeweiligen Verfahrens - verhält 13. Dies führt zu einer Unterscheidung von ,,zweckbezogenheit" und Gerechtigkeitsbezogenheit" des Ermessens 14. Nach den vorangegangenen 7 B. Heilbron, Freies pflichtgemäßes Ermessen des Richters, Strafr. Abh. H. 253, 1929 S. 1 4 ff.; Fr. Soml6, Laband-F. Bd. 2, 1908 S. 466 ff.; E. Schwinge, Grundlagen des Revisionsrechts, 2. Auf!. 1960 S. 114 f.; E. Kuchinke, Grenzen der Nachprüfbarkeit tatrichterlicher Würdigung und Feststellung in der Revisionsinstanz S. 133 ff.; fesch (Fn. 1) S. 213. 8 Vgl. W. Scheuerle, Rechtsanwendung, 1951; aus der juristischen Methodenlehre allein H.-M. Pawlowski, Methodenlehre für Juristen Rdnr. 464 et passim. 9 Vgl. fesch, Gesetz und Verwaltung S. 226. 10 Schuhmann, Diss. S. 72 ff.; MengerSystem S. 33; fesch (Fn. 1) S. 205; E. Forsthoff, Lb. S. 80. 11 "Beurteilungsspielräume" der Verwaltung sind in unserem Zusammenhang unproblematisch, da sie sich als Delegationen darstellen; H.-f. Weigel, Beurteilungsspielraum oder Delegationsbegriff, 1971; f. Schmidt-Salzer, Beurteilungsspielraum der Verwaltungsbehörden, 1968. 12 fansen, FGG § 27 Rdnr. 25 bezeichnet das Handlungsermessen bzgl. der Zweckmäßigkeit des Verfahrens als Verfahrensermessen. 13 O. Bachoj VVDStRL Bd. 12 (1954) S. 37 ff., 69; KA. Bettermann Jellinek-GS S. 361 ff. 14 Wie W. fellinek, Gesetz, Gesetzesanwendung und Zweckmäßigkeit gezeigt hat (S. 72), sind beide Momente zu trennen. ders. Verwaltungsrecht S. 39 f. führt aus, daß der Richter bei der Streitentscheidung im Gegensatz zum Tätigwerden in derFGG "streng an das Gesetz" gebunden sei.

1. Ennessen als Problem

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Überlegungen leuchtet es ein, daß diese Differenz unmittelbar auf prozessuale Unterschiede rechtsprechender und administrativer Verfahren hinweist l5 • So ist in der Literatur 16 dabei bereits danach unterschieden worden, in welcher Weise das richterliche Ermessen auf die Art seiner Entscheidung bezogen ist: ob es sich im Zusammeilhang einer Streitentscheidung oder dem administrativer Tätigkeiten bewegt 17. Beim "gerechtigkeitsbezogenen" richterlichen Ennessen geht es daher - nicht anders als bei der Ausübung eines "Tatbestandsennessens" - um Fragen .der richtigen Rechtsanwendung \8. Dort wird dem Richter beispielsweise die Schätzung der Schadenshöhe nach § 287 ZPO in sein "billiges" Ennessen gegeben 19. Oder ihm wird ein Entscheidungsennessen hinsichtlich der Kostenfolge der beiderseitigen Erledigungserklärung im Prozeß eingeräumt. Im zweiten Falle wird dem Gericht beispielsweise in § 273 11 ZPO ein Ennessenspielraum bei der Vorbereitung des Tennins zur mündlichen Verhandlung eingeräumt. Nun richtet sich das Ennessen des Gerichts in den zuerst genannten Beispielen nicht darauf, eine vom Vortrag der Parteien und der Anwendung des (materiellen) Rechts im Prozeß unabhängige Entscheidung fällen zu können, obwohl dies als Beleg für die Behauptung der Existenz eines Feldes volitiven Entscheidungs- und Ennessensspielraums des Richters angeführt wird 20. Diese würde sich stets als willkürlich darstellen 15 Eingehend KA. Bettermann Der Staat Bd. 1 (1962) S. 79 ff. Dies führt zu eigentümlichen Verkehrungen der Fronten. So meint H. Göppinger, Erledigung des Rechtsstreits in der Hauptsache S. 186, die Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit gehörten nicht der Verwaltung an und daher könnten Zweckmäßigkeitsentscheidungen nicht Raum greifen, während E. Lejringhausen Diss. S. 91 f. und H. Schuhmann, Diss. S. 77, 106 f. die Beziehung zwischen Zweckmäßigkeitsentscheidung und Verwaltung nicht sehen. H.H. Rupp, Grundfragen der heutigen Verwaltungslehre meint, der Richter habe Zweckmäßigkeitserwägungen anzustellen; diese unterschieden sich nicht von der allgemeinen Gesetzesauslegung (S. 207 f.). So verkennt Rupp die oben umrissene Struktur von Verwaltung, die sich aus deren Anbindung an Zweckprogramme ergibt; vgl. gegen Rupp auch H. Bauer, Gerichtsschutz als Verfassungsgarantie S. 122-124. Wir brauchen uns in diesem Zusammenhang nicht mit den Diskussionen um die Frage des Verhältnisses von Zweckmäßigkeit und Ennessen näher einzulassen (vgl. H. Soell, Das Ennessen der Eingriffsverwaltung, 1973 S. 66 ff.) Denn in diesen Diskussionen geht es die Frage der Reichweite gerichtlicher Kontrolle der Verwaltung - nämlich um das Problem, wie weit die Beurteilung der Rechtmäßigkeit von Verwaltungsentscheidungen reicht (vgl. auch H. Ho/er-Zeni, Das Ennessen im Spannungsfeld von Rechtsanwendung und Kontrolle, S. 113 ff.). Das hier angesprochene Strukturproblem wird durch diese Diskussionen nicht berührt. Denn es geht, anders als Soell (ebd. S. 102 ff.) meint, nicht darum, daß die Ausübung des Ennessens als Denkvorgang in allen Arten von Verfahren die gleiche Struktur hat. Das mag u.U. sogar stimmen. Unsere Analyse interessiert vielmehr die differenzierte finale Richtung, auf die in Rechtsprechung und Verwaltung die Ausübung des Ennessens in unterschiedlicher Weise bezogen ist. 16 Nachw. bei Göppinger (Fn. I) S. 96 ff. 17 V gl. bereits die eingehende Darstellung J. Goldschmidts, Der Prozeß als Rechtslage S. 160 ff., 163. 18 Schwinge, Grundlagen des Revisionsrechts, S. 47; Jansen, FGG § 27 Rdnr.24. 19 Vgl. P. Gottwald, Schadenszurechnung und Schadensschätzung: Zum Ennessen des Richters im Schadensrecht und im Schadensersatzprozeß, 1979 S. 20 Vgl. D. Behrens (Fn. I) S. 36 ff. Seine, von E. Peters betreute Arbeit nimmt insofern eine Sonderstellung in der Literatur ein, als er versucht, aus einer Wesensgleichheit des

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VIII. ,,Freiheit" und ,,Bindung" des Richters

- sie würde dem Gebote der Gleichbehandlung zuwiderlaufen, wenn z. B. die ,,Billigkeitsentscheidung" des Richters von der Überlegung beeinflußt wäre, ob der Beklagte bei einem Haftpflichtversicherer Regreß nehmen könne usf., wenngleich derartige Überlegungen von Dogmatik und Gesetzgebung selbstverständlich in ihre Entscheidungen einzubeziehen sind. Vielmehr geht es bei der Einräumung richterlichen Ermessens (insbesondere gern. § 287 ZPO) darum, bestimmte verfahrensrechtliche Vereinfachungen zu ermöglichen: Es brauchen im Bereich der richterlichen Schadensschätzung nicht mehr alle erforderlichen Sachverständigengutachten usf. eingeholt werden, obwohl "an sich" noch Beweiserhebungen durchzuführen gewesen wären 21. Diese Fälle betreffen also um in der oben in diese dogmatischen Zusammenhänge eingeführten, systemtheoretischen Ausdrucksweise zu bleiben - die ,,konditionale Programmierung" des Entscheidungsvorganges. Sie führen zu einer Modifikation der entscheidungserheblichen Umstände, stellen aber den Richter bei seiner Entscheidung nicht von der Gesetzesanwendung frei. Ob dem Kläger in der behaupteten Höhe Schadensersatz zusteht oder nicht, liegt nicht in der "Willkür" des Richters 22 ; auch dessen Schätzung nach § 287 ZPO ist selbst Bestandteil des Rechts und einer rechtlichen Überprüfung soweit zugänglich, wie die richterliche Schätzung auf Kriterien beruht, die eine Gleichbehandlung im Schadensersatzrecht gewährleisten wie die Annahme allgemeiner Kausalgesetze oder im Bereich des Schmerzensgeldes auf der, durch Schmerzensgeldtabellen zu Übersichten zusammengefaßten Kasuistik einer Großzahl von Entscheidungen vergleichbarer oder benachbarter Fälle 23. Mit anderen Worten bleibt die Entscheidung ein ,,rein rechtsanwendendes" Erkenntnis. Nun hört die Bindung an das Gesetz allerdings auch in der zweiten Fallgruppe nicht auf. Doch verändert sich dort gegenüber der erstgenannten augenscheinlich die Problemstellung. Denn während es in der ersten um die Veränderung der Grundlagen der Streitentscheidung (als dem zu erreichenden ,,zweck" der zu erfüllenden Aufgabe des Verfahrens) ging, hat sich hier die Perspektive hin zur technischen Durchführung zivilrichterlichen und des Verwaltungsermessens (S. 38) eine rechtsmittelrechtliche Unüberprüfbarkeit zivilrichterlicher Ermessensentscheidungen aus dem, analog anzuwendenden, § 114 VwGO (!) zu begründen. Behrens argumentiert damit, es sei nicht gewährleistet, daß die Rechtsmittelinstanzen zweckmäßiger entscheiden könnten als ihre Vorinstanzen (S. 95 ff.). Das ist völlig richtig und entspricht soweit unserer Stellungnahme, als in keinem Verfahren funktionaler Rechtsprechung die Zweckmäßigkeit der zu treffenden Entscheidung sichergestellt werden kann, weil es um die Anwendung des Rechts geht. Weil dies aber den funktionalen Unterschied zwischen Rechtsprechung und Verwaltung ausmacht, sind Behrens Prämissen einer strukturellen Gleichheit beider Entscheidungsprozesse falsch. Behrens führt zwar mit der heute vorherrschenden Strömung einer Leugnung der Differenzierungsmöglichkeit von Exekutive und Judikative aus (S. 36 f.), aufgrund der Ausübung eines ihm eingeräumten Ermessens werde der Zivilrichter nicht zum Verwaltungsbeamten. Doch wird mit dieser Art der Darstellung die weitere Arbeit Behrens unklar, weil er die Differenz von Rechtsprechung und Verwaltung nur justizorganisationsrechtlich, nicht aber prozessual versteht. 21 Dies räumt auch D. Behrens (Fn. 1) S. 29, 31 ein; zu § 91a vgl. H. Göppinger, Die Erledigung des Rechtsstreits in der Hauptsache, 1957 S. 205 ff. 22 So ausdrücklichl. Goldschmidt, Der Prozeß als Rechtslage S. 256; KA. Bettermann, Jellinek-GS S. 367. 23 KA. Bettermann ebd. S. 366 f. weist im Anschluß an G. lellinek, Gesetz, Gesetzesanwendung und Zweckmäßigkeit S. 52 - 54 daraufhin, daß es bei richterlichen Schätzungen zwar um ein ungenaues Maß, aber doch um ein "Maß" i.S.e. normativen Kriteriums der Entscheidung handle, das deren Nachprüfbarkeit erlaube. Krit. Arens (Fn. 1) S. 2 ff. Zur freien Beweiswürdigung l. Goldschmidt, Der Prozeß als Rechtslage S. 257.

2. Rechtsfrage und Tatfrage

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des Verfahrens selbst verschoben 24 • Die "Freiheit" des Gerichts ist hier zu verstehen in bezug auf die konkrete Zweckerreichung - die Veranstaltung eines schnellen, richtigen und preiswerten Prozesses 2S • Mit anderen Worten verwandelt die Einräumung richterlichen Ermessens den Prozeß nicht in ein Verfahren, das von einem dem Richter dispositiven Prozeßrecht strukturiert wird - worauf besonders J. Goldschmidt 26 zu Recht hingewiesen hat. In diesem Zusammenhang ist die neuere Rechtsprechung des BVerfG zur Auslegung der zivilprozessualen Präklusionsvorschriften von Interesse, auf die wir bereits im Zusammenhang von Prozeßökonomie und Prozeßstruktur eingegangen sind. Der BGH 27 hatte entschieden, daß es dem Gericht durch die Präklusionsvorschriften ermöglicht werde, ein möglichst rasches Urteil zu fällen. Es könne daher von seinem Ermessen gern. § 295 11 ZPO in einem durch die Prozeßökonomie vorgegebenen Rahmen Gebrauch machen. M.a.W. haben die Gerichte jedenfalls kein "freies Ermessen" bei der Anwendung des Prozeßrechts, da sie gehalten sind, im Prozeß Recht zu erkennen - d.h. immer: den Parteien Gelegenheit zur Einflußnahme auf das Urteil zugeben.

2. Rechtsfrage und Tatfrage Damit ist indes das Problem der richterlichen Schätzungen insbesondere im Kontext der ,,Errnessensspielräume", die dem Richter im Schadensersatzprozeß eingeräumt sind, noch nicht in dem Umfang ausgeleuchtet, der für unsere Überlegungen von Bedeutung ist 28 • Dieser Themenkreis verweist vielmehr auf eigene Schwierigkeiten, denen wir uns kurz zuwenden müssen, bevor wir unseren Gedankengang wieder aufgreifen können. Wir haben bereits oben kurz angedeutet, daß im Prozeß die Stellung des Richters wesentlich durch die Unterscheidung von Rechtsfrage und Tatfrage bestimmt wird. Im Hinblick auf Elemente tatrichterlicher Entscheidungen, die sich auf die "Tatfrage" beziehen, sollen diese nach lang geübter ludikatur 29 nicht revisibel sein. M.a. W. bedeutet diese Beschränkung der Revision aber, daß dem Tatrichter ein Spielraum für eigene Wertungen eröffnet wird. Besonders das BAG30 hat die Ansicht vertreten, der Tatrichter genieße bei seiner Entscheidung einen ,,Beurteilungs spielraum", so daß seine Entscheidung immer dann nicht revisibel sei, wenn sie "vertretbar" sei. H.-E. Henke 31 hat freilich zu Recht dargeKA. Bettermann, Jellinek-GS S. 367. So ausdrücklich ders. ebd. S. 365. 26 Der Prozeß als Rechtslage S. 304. Goldschmidt rekurriert auf die Kategorie der ,,Rechtslage": Die Rechtslage als Zusammenfassung der Erfolgsaussichten der Parteien (S. 292) ist nach Goldschmidt die spezifisch prozessuale Abbildung der materiellen Rechtslage und insofern für das Gericht verbindliches Recht (S. 256). 27 Urt. v. 30. 1. 85, NJW 1985 S. 1149. 28 Vgl. bereits J. Goldschmidt ebd. S. 265-258. 29 Vgl. allein H.-E. Henke, Die Tatfrage S. 9 ff. m.um f.N. 30 BAGE Bd. 4, S. 152, 155, Urt. v. 10.4.1957; Bd.9 S. 179 ff., 182, 183, Urt. v. 25.4. 1960; Bd. 12 S. 36 ff., 39, Urt. v. 15. 11. 1961. 31 Die Tatfrage S. 228 f. 24

2S

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VIII. "Freiheit" und "Bindung" des Richters

stellt, daß dies ebenso "zu weit" geht wie der in den Begründungen einiger Entscheidungen des BGH32 aufgestellte Satz, die ,,Interessenabwägung im Einzelfall" durch den Tatrichter sei dessen Domäne und damit der Revision entzogen. Dies wiederlegt daher unsere Überlegung zur normativen - am Gleichheitssatz orientierten - Struktur des rechtsprechenden Urteils nicht. Freilich nicht schon deshalb, weil die Trennung von Rechts- und Tatfrage ,,kompliziert" 33 und in einer Reihe von Fällen nicht durchzuhalten zu sein scheint 34; sondern unsere These von der grundSätzlich normativen Struktur des Urteils ist mit der Differenzierung von Rechts- und Tatfrage nicht nUr vereinbart - sie erfährt durch sie vielmehr eine entscheidende Stützung: Um dies in den Blick zu bekommen, bedarf es einer kurzen, grundSätzlichen Überlegung. Empirisch fallen Urteile bekanntlich höchst unterschiedlich aus. Das liegt zum einen gewiß an der Qualität der beteiligten Juristen (man ist bestrebt, sich einen "guten Anwalt" zu nehmen). Nicht weniger aber als aus rechtlicher / "rechtsargumentativer" Über- oder Unterlegenheit wird der Ausgang des Prozesses durch den Beweis entschieden. Das Urteil beruht auf tatsächlichen Feststellungen; daß der vorgetragene Sachverhalt sich so oder so ereignet habe. Sofern der Sachverhalt unstreitig ist, hat es bei der ,,reinen Rechtsanwendung" im Urteil sein Bewenden. Der Tatrichter - und im übrigen auch nicht das Revisionsgericht! - hat insofern keinen ,,Beurteilungsspielraum"35. Anders stellt sich dies allerdings dar, sobald die Parteien über die tatsächlichen Grundlagen des Urteils streiten. Es stellt sich dann nämlich in der Beweisstation die Frage, welche der Tatsachenbehauptungen als erwiesen anzusehen und damit dem Urteil (als dem Akt der rechtlichen Würdigung dieser festgestellten Tatsachen) zu unterlegen sind. Nun sind eine Reihe von Schlußfolgerungen des Richters auf diesem Gebiet durchaus revisibel, oder anders ausgedrückt, als Anwendung des Rechts einer "freien" tatrichterlichen Würdigung des Richters entzogen. Dies ist - fassen wir die Literatur wenigstens grob zusammen - dann der Fall, wenn sich aus dem tatrichterlichen Urteil erkennen läßt, daß das Gericht nur eine unvollständige Würdigung des Sachverhaltes vorgenommen hat 36. Die "Verletzung von Denkgesetzen" durch den Tatrichter steht als prominentes Beispiel für eine solche Revisibilität tatrichterlicher Feststellungen 37. Damit bleibt indes immer noch ein ,,Rest" der tatrichterlichen Würdigung des Sachverhalts zurück, der allenfalls dann ausgeschlossen werden könnte, wenn wir uns zu einer Rückkehr zu den Beweisregelkatalogen historischer Rechte entschließen würden 38, wofür freilich schon deshalb nichts spricht, weil diese aus den unterschiedlichsten Gründen nicht die Gewißheit vermitteln, die wir aufgrund unseres bisherigen Erkenntnisstandes für die Herstellung des Tatbestandes des Urteils beanspruchen 39 . 32 Nachw. bei H.-E. Henke, Die Tatfrage S. 235 N. 266. 33 Ders. ebd. S. 147 ff. 34 Dazu eingehend K.Kuchinke, Grenzen der Nachprüfbarkeit tatrichterlicher Würdigungen, 1964; sowie H.-E. Henke, Die Tatfrage S. 139. 35 H.-E. Henke ebd. S. 269 ff. 36 Ders. ebd. S. 226, 228, 260. 37 Ders. ebd. 38 Aufbieten von Eideshelfern usf. Mit dem bis 1933 zulässigen Parteieid gern. dem damaligen § 459 ZPO ,,ragte ein Rest des alten förmlichen Beweisrechts in den modemen Prozeß hinein" (J. Goldschmidt, Der Prozeß als Rechtslage S. 438). 39 Zum Ganzen die eingehende Untersuchung G. Walthers, Freie Beweiswürdigung, 1979, S. 7ff.

2. Rechtsfrage und Tatfrage

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Im Rahmen der Tatfrage fließen daher z.T. nicht voll demonstrierbare Feststellungen 40 in die Entscheidung ein 41 : Nämlich vornehmlich die ,,Bewertung" des Verhaltens von Zeugen oder der Parteien, oder auch der dem Tatrichter vorgelegten Augenscheinsobjekte 42 , die zur subjektiven Überzeugung des Richters von einem bestimmten Tathergang oder dem tatsächlichen Vorliegen bestimmter Umstände führen.

Dies bereitet freilich Probleme besonders im Hinblick auf die Feststellung der subjektiven Tatbestandsmerkmale im Strafprozeß, für die nach hL dasselbe wie für die Beweiswürdigung in Ansehung der objektiven Tatbestandsmerkmale gelten soll - was die Gefahr willkürlicher Annahmen des Vorliegens eines subjektiven Tatbestandes durch das Gericht birgt 43 und daher schon aus Gründen des Nulla-poena-Grundsatzes nach normativen Kriterien verlangt. Läßt man bei der Feststellung des subjektiven Tatbestandes einfach jede "Wertung" genügen, wird zufälligen Ergebnissen das Feld eröffnet. Die tatsächlichen Feststellungen hinsichtlich des subjektiven Tatbestandes sind daher soweit revisibel, daß durch das Revisionsgericht nachgeprüft werden kann, ob der festgestellte objektive Tatbestand die vom Tatrichter gezogenen Schlüsse auf den subjektiven Tatbestand zuläßt. Demgegenüber wird daher der subjektive Tatbestand allgemein - die ,,zwekke" der Parteien oder der verfahrensbeteiligten Rechtsgenossen - durch die Würdigung des äußeren Tatbestandes 44 gewonnen. So werden persönliche Wertungen des Richters zwar durch das Prozeßrecht neutralisiert 4S - doch bleibt es der Geschicklichkeit der Parteien (oder im Strafprozeß des Angeklagten oder seines Verteidigers) überlassen, die Tatfrage so darzustellen, daß später ein für sie rechtliche vorteilhaftes Urteil auf ihrer Grundlage erlassen wird. M.a.W. erscheint der Prozeß unter dem Gesichtspunkt der Tatfrage in der Tat als eine Art ,,Krieg", wie dies J. Goldschmidt 46 ausdrückte, oder, weniger martialisch formuliert ist die Tatfrage "der Ort, an dem die juristische Arbeit "zur Kunst" wird"47. Und das führt auf unsere Ausgangsfrage zurück. Denn soweit auf dem Gebiet der Tatfrage Raum für nicht voll demonstrierbare Feststellungen ist, schlagen diese "Wertungen" doch wegen der Trennung von Rechts- und Tatfrage auf die Rechtsanwendung nicht durch 48.

H.-M. Pawlowski, Methodenlehre für Juristen Rdnrn. 464-466. W. Dütz ZZP Bd. 87 (1974) S. 362 ff. 42 Die freilich bereits - nicht anders als Sachverständigengutachten - in eine Grauzone der Revisibilität hereinreichen. 43 Eingehend jetzt G. Freund, Normative Probleme der Tatsachenermittlung, 1987, passim. 44 Fallgruppen aus dem Strafrecht vgl. bei G. Freund ebd. (Fn. 43). 4S R. Bruns, Zivilprozeßrecht § 32; H.-M. Pawlowski, Methodenlehre für Juristen Rdnr.469. 46 Der Prozeß als Rechtslage, S. 292: ,,Es ist im Prozeß wie im Krieg und (sie!) in der Politik". 47 H.-M. Pawlowski, Methodenlehre für Juristen Rdnr. 468. 48 H.-E. Henke, Die Tatfrage S. 187 ff. 40 41

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VIII. ,,Freiheit" und "Bindung" des Richters

3. Ermessen und Zweckmäßigkeit a) Ermessen und Rechtsschutz Wieder scheinen jedoch Entscheidungen im Zusammenhang gestaltender Tätigkeiten des Richters eine Ausnahme zubilden. So führt P. Schlosser 49 aus, entgegen der Bindung an "gesetzliche" Tatbestände sei der Richter angesichts der unterschiedlichen Möglichkeiten bei der Gestaltung von Rechtsverhältnissen, die ihm eingeräumt seien, darauf verwiesen, auf sein "Gerechtigkeitsgefühl" und seine "Wertvorstellungen" zurückzugreifen. Damit meint Schlosser nicht allein die Ausübung richterlichen Ermessens im Rahmen von Verfahren einstweiligen Rechtsschutzes, wo allenfalls noch denkbar wäre, daß der Richter (administrativ) rechtsschützend in Rechtsverhältnisse eingriffe und dabei amtliche - Präferenzen zum Tragen brächte. Schlosser hält dies für die gesamte richterliche Tätigkeit - und d.h. besonders auch für die Urteilstätigkeit - für eine angemessene Beschreibung. Dies ist umso erstaunlicher, als seit Beginn der fünfziger Jahre intensiv im Verwaltungsrecht um die Justiziabilität von Ermessensentscheidungen der Verwaltung gestritten wird 50. Bereits von D. Jesch 51 wurde jedoch auf die Autonomie juristischer gegenüber ethischer, sozialer usf. ,,Richtigkeit" hingewiesen: Für die Ermessensausübung des Richters bei seinen Entscheidungen in Gestaltungssachen folgt daraus eine Begrenzung der zulässigen "Wertungen"52, die der Richter Schlosser zufolge anzustellen hat 53 . Die Ausübung richterlichen Ermessens in "Regelungsstreitigkeiten"S4 darf sich nicht parteiisch an der Erreichung bestimmter Ziele ausrichten, auch wenn sie dem subjektiven Wertgefühl des Richters als sozial usf. erstrebenswert erscheinen. Das scheint auf eine kausal determinierte Dezision des Richters zu verweisen 55. Und damit ist die Demarkationslinie des genuine Rechtsprechung auszeichnenden Ermessens gegenüber dem Verwaltungsermessens darstellbar geworden. Denn das richterliche Ermessen ist in Fällen der Organisation des Prozesses durch das Gericht auf die zweckmäßige Erfüllung seiner, technisch zu umschreibenden öffentlichen Aufgabe der Leitung und Beaufsichtigung des Streits der Parteien gerichtet, und hat, soweit es diesen Bereich der Prozeßführung umfaßt, eine Struktur aufzuweisen 56, die der des Verwaltungsermessens vergleichbar ist. Anders ausgedrückt. Der Unterschied, der sich in verschiedenen Formen richterlichen Ermessens bereits im Streitverfahren abzeichnet, liegt in der Differenz Gestaltungsklagen und Gestaltungsurteile s. 69. 50 Vgl. Nachw. bei W. Frisch, Revisionsrechtliche Probleme der Strafzumessung S. 116 N. 13. 51 Fn. 1 S. 163 ff., 208. 52 Jesch (Fn. 1) S. 182. 53 Diese Limitation zu begründen erscheint als das eigentliche Problem der Wertungsjurisprudenz. 54 Bötticher, Lent-F. S. 89 ff. 55 Jesch (Fn. 1) S. 163 ff. 56 Jansen, FOG § 27 Rdnrn. 23 ff. 49

3. Ennessen und Zweckmäßigkeit

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begründet, die sich zwischen den unterschiedlichen ,,zwecksetzungen" oder AufgabensteIlungen auftut, die diesen richterlichen Tätigkeiten unterlegt sind. Dies zeigt eine Betrachtung des Verwaltungsennessens deutlicher. Es wurde bereits dargestellt, daß die Verwaltung das ihr eingeräumte Ermessen zweckmäßig ausüben muß. Sie muß ihre Aufgaben jedenfalls rational, zweckmäßig S7 und sparsam S8 erledigen. Mit anderen Worten hat sie ihre Entscheidungsprozesse so zu strukturieren, daß deren Kosten niedriger sind als die des durchzuführenden Projektes. Zum anderen steht der Verwaltung aber auch hinsichtlich der zu erledigenden Aufgaben ein "Auswahlermessen"s9 zu: Sie hat dann die Kompetenz, Vordringliches von Nachrangigerem zu scheiden liO • Oder, drastischer, zu entscheiden, ob überhaupt seitens der Verwaltung gehandelt werden soll. R. v. Laun 61 und W. Jellinek 62 haben diese Struktur des zweckmäßigen Verwaltungsermessens dadurch beschrieben, daß die Verwaltung ihre Zweckmäßigkeitserwägung als Wahl nicht allein des Mittels, sondern des Zwecks (R. v. Laun) anstellt oder daß das Verwaltungsermessen der Verwaltung die Möglichkeit eröffne, selbst zu bestimmen, was "gut" sein soll (w. Jellinek). Das ,,metajuristische" Moment des verwaltungsrechtlichen Handlungsermessens liegt m.a.W. in dessen planungsorientierter Struktur 63 , die schon unter dem Gesichtspunkt der Rechtsprechung nicht vindiziert werden kann, daß diese technisch nicht dazu imstande ist, die damit verbundenen Aufgaben zu bewältigen. b) Zum "Beurteilungsspielraum "

Während sich somit eine ,,Analogisierung" von administrativem und judikativem Ermessen (und darüber eine Gleichsetzung der Entscheidungsstruktur von Rechtsprechung und Verwaltung) als unangemessen erweist, hat sich auf der anderen Seite auch gezeigt, daß die Lehre vom "Beurteilungsspielraum"64 als eine Rückzugslinie nicht in Betracht kommt. Denn wir haben bereits oben gesehen, daß der Rechtsprechung bei der Anwendung des Rechts kein "Spielraum" eröffnet ist, der die Revisibilität, die methodisch exakte rechtliche Rekonstruktion "vertretbarer" Entscheidungen ausschließen würde. Lohmann (Fn. 1) S. 19 ff. H.H. Rupp, Grundfragen der heutigen Verwaltungslehre, 1965. S9 Vgl. statt vieler Erichsen I Martens, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 12 II 2 b. liO Was dann stets zur Frage nach der Judiziabilität dieser Ermessensentscheidungen der Verwaltung durch die Verwaltungsgerichte führt, vgl. H. Ehmke (Fn. I) und K. Stern (Fn. 1). 61 Das freie Ermessen und seine Grenzen, 1910, S. 61 ff. 62 Gesetz, Gesetzesanwendung und Zweckmäßigkeit S. 30 ff. 63 Zum Ganzen eindringlich W. Frisch, Revisionsrechtliche Probleme der Strafzumessung S. 118 f. 64 Vgl hier zum Beurteilungsspielraum H. Ehmke, Ermessen und unbestimmter Rechtsbegriff S. 23 ff. S7

S8

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VIII. "Freiheit" und ,,Bindung" des Richters

Diese Zusammenhänge sind im Bereich des Strafprozesses von besonderer Bedeutung. Denn vordergründig scheint dem Richter mit der Strafzumessung ein Beurteilungsspielraulll eingeräumt zu sein ("Spielraumtheorie"); die Stellung des Strafrichters bei der Strafzumessung scheint demzufolge der des sein Ermessen ausübenden Verwaltungsbeamten stark angenähert 65. Dabei stellt sich - vereinfacht zusammengefaßt - die Frage, ob (vor dem Hintergrund der gesamten Rechtsordnung) der Richter überhaupt zwischen mehreren Alternativentscheidungen wählen könne, was im Strafrecht erkennbar hinter der Frage nach der revisionsgerichtIichen Kontrollierbarkeit der Strafzumessung Schwierigkeiten mit dem Gleichbehandlungsgrundatz verursacht - und zwar auch und gerade dann, wenn man durchaus die Existenz unterschiedlicher (z. B. regional verschiedener) Strafmaßbereiche befürwortet 66 • Wenn aber dem Tatrichter 67 ein unüberprüfbarer Beurteilungsspielraum 68 bei seiner Entscheidung eingeräumt wäre und deshalb mehrere Entscheidung "vertretbar" sein könnten (wobei schon die Diktion die Verabschiedung der Richtigkeit des Urteils anzeigt!), wäre der Unterschied zur Verwaltung und ihrem Handlungsermessen nurmehr graduell. In der Tat haben daher in der Literatur Autoren wie C. -H. Ule 69 und o. Bachof1o diese Ansicht des "wertenden Charakters" dieser Entscheidungen wegen (und für die Wertungsjurisprudenz stellt sich eine jede Entscheidung als Akt der Wertung dar!) vertreten, und die Rechtsprechung ist ihnen darin zunächst in einer Reihe von Entscheidungen gefolgt 71 . Freilich haben wir insofern in unseren Überlegungen zur Bedeutung der Unterscheidung von Rechts- und Tatfrage gesehen 72, daß die abstrakte Möglichkeit verschiedener, "vertretbarer" Auslegungen von unbestimmten Rechtsbegriffen nicht den Weg zu einer prinzipiell beliebigen und damit letztendlich willkürlichen Auslegung öffnet. Der Unterschied zwischen der Bedeutung unbestimmter Rechtsbegriffe und der Eröffnung eines Beurteilungsspielraumes der Verwaltung liegt darin, daß sich hier Fragen im Kontext der Gewaltenteilung ergeben. Denn es fragt sich, wie weit die Wertungen der von der Rechtsprechung unabhängigen Verwaltung von der Rechtsprechung überprüft und durch ein verwaltungsgerichtliches Urteil ersetzt werden können 73. Innerhalb der Rechtsprechung tritt dieses Problem dagegen gar nicht erst auf. Im Gegenteil liegen mit der Organisation der rechtsprechenden Gewalt die institutionellen Voraussetzungen dafür vor, vermittels derer normative Kriterien für die richtige Auslegung unbestimmter Rechtsbegriffe - der ,,Ausfüllung" von Beurteilungsspielräumen durch eine Vielzahl vergleichbarer und zu systematisierender Präjudizien - ermittelt werden können. W. Frisch 74 bezeichnet diese institutionellen Kriterien als ,,Letztentscheidungsrecht"75; angesichts 65 Vgl. Frisch (Fn. 63) S. 75 ff., 112 m. w.N. Ders. (Fn. 63) S. 54 ff. 67 Ders. (Fn. 63) S. 65 f. 68 Eingehend jetzt zur verwaltungsrechtlichen Diskussion W. Berg, Die verwaltungsrechtliche Entscheidung bei ungewissem Sachverhalt, S. 140 ff. 69 Jellinek-GS S. 324 ff. 70 JZ 1955 S. 97 ff. 71 Vgl. BVerwGE Bd. 39 S. 197 Urt. v. 16. 12. 1971 (Jugendgefährdende Schriften). 72 Unter Berufung auf F. Wieackers Schrift ,,zur rechtheoretischen Präzisierung des § 242 BGB". 73 Grundlegend R. Zippelius, Wertungsprobleme im System der Grundrechte, 1967 S. 197 ff.; Schmidt-Salzer, Der Beurteilungsspielraum der Verwaltungsbehörden, 1968. 74 Revisionsrechtliche Probleme der Strafzumessung S. 225 - 227. 66

3. Ennessen und Zweckmäßigkeit

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verschiedener vertretbarer "Wertungen" versteht sich die Frage des "quis iudicabit" im Zusammenhang der Rechtsprechung als Problem des Instanzenzuges. Oder, um es ganz einfach auszudrücken, man hat sich als Anwalt oder Richter in Ermangelung weiterer gravierender Gründe an der Rechtsprechung der Obergerichte - an deren Vorentscheidungen in "ähnlichen Fällen" - zu orientieren. Frisch 76 führt dazu aus, "der Grundsatz der Gewaltenteilung ändert ... nichts daran, daß ... das Obergericht das letzte Wort hat, vielmehr ist es innerhalb der Gerichtsbarkeit gerade Aufgabe der Revisionsinstanz 77, Zweifel über die anzuwendenden rechtlichen ... Normen zu klären .... Selbst wenn für die Beurteilung eine Norm als objektive Richtschnur (noch) fehlt, ist der Revisionsrichter nicht der Aufgabe enthoben, ... einen richtungsweisenden Maßstab zu setzen ...... Diese Ausführungen aber machen deutlich, wo die entscheidende Grenzlinie zwischen Rechtsprechung und Verwaltung sub specie des Ermessens- rsp. Beurteilungsspielraums verläuft. Sie liegt zwischen der unbeteiligten Rechtsanwendung und der beteiligten Zwecksetzung und Zweckverfolgung.

Diese Überlegungen setzen daher voraus, daß eine eigene Struktur des Verwaltungsermessens nachgewiesen werden kann. Es mehren sich indes Stimmen, die überhaupt die Existenz eines Handlungsermessens leugnen und der Verwaltung ein dem richterlichen Ermessen vergleichbar strukturiertes Ermessen. zuschreiben: Danach soll auch die Ermessensentscheidung der Verwaltung voll inhaltlich im Verwaltungsgerichtsprozeß justiziabel sein. Diese Art der Interpretation versteht sich als ein Mittel zum Ausbau "umfassenden Rechtsschutzes" gern. Art. 19 IV GG, indem die gesamte Tätigkeit der Verwaltung der gerichtlichen Kontrolle unterworfen wird. Freilich muß demgegenüber genau gesehen werden, wozu hier im einzelnen Stellung genommen wird. Denn eine Reihe von Autoren wendet sich allein gegen die Lehre vom Beurteilungsspielraum, wie sie bes. nach dem Urteil des BVerwG v. 12. 12. 1971 an Bedeutung gewonnen hat 78 • Das BVerwG hatte zur Entscheidung über die Indizierung einer Schrift gern. § 1 I GjS ausgeführt, daß es sich dabei um ein Werturteil handelte, das zu fällen nach dem GjS einer Prüfungskommission überlassen sei, die jedoch innerhalb der Bandbreite möglicher Wertungen zu einer unüberprüfbaren Entscheidung käme, wogegen wir bereits oben 79 Stellung genommen haben 80 • Dagegen aber wäre es verfehlt, durch die Kritik der Lehre vom Beurteilungsspielraum 8\ das Kind mit dem Bade auszuschütten, und einen jeden Ermessenspielraum der Verwaltung in Abrede zu stellen. Denn die Rechtspre75 Zu administrativen Letztentscheidungsermächtigungen vgl. dagegen Maunz I Dürig I Herzog I Scholz-Schmidt-Aßmann Art. 19 IV Rdnm. 188 ff. 76 Revisionsrechtliche Probleme der Strafzumessung S. 226. 77 Zur Rechtsprechungsqualität der Revision vgl. St. Smid, Rechtsprechung §§ 5, 8. 78 E Bd. 39 S. 203 ff. 79 Grundlegend H.-E. Henke, Die Tatfrage, passim. 80 Auch bei der Entscheidung gern. § 1 I GjS geht es insofern nicht um ein moralisches Werturteil. 8\ Zum Ganzen jetzt mit einer Übersicht der Rechtspr. H.-U. Erichsen DVBI 1985 S. 22 ff., 25 ff.

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VIII. "Freiheit" und "Bindung" des Richters

chung "wertet" allein in der Tatfrage - und im übrigen ihre Entscheidungen revisibel sind. Dies ist aber nur deshalb möglich, weil die Rechtsprechung aufgrund "feststehender" oder feststellbarer, vergangener Sachverhalte entscheidet. Darin unterscheidet sie sich aber grundlegend von der Verwaltung, wie wir bereits eingangs dieses Paragraphen in Grundzügen entworfen haben: ,,zwecke", die von der Verwaltung verfolgt werden, verweisen auf deren Kompetenz, folgenorientiert (aufgrund von Zweckprogrammen) zu entscheiden - Maßnahmen zu treffen, die künftig relevant werden, die Zukunft zu planen. Diese Aufgabe der Planung aber impliziert, daß in die dabei zu treffenden Entscheidungen "Wertungen" - nicht voll demonstrierbare Feststellungen - eingehen, und zwar aus dem banal erscheinenden Grund, weil wir schlicht keine gesicherten Kenntnisse darüber haben, was die Zukunft mit sich bringen wird. Eine Entscheidung, die für die Zukunft wirksam wird, ist daher schon deshalb nur begrenzt justiziabel, weil in ihr ein wesentliches volitives Moment liegt: Der Rechtsprechung ist es versagt, die Entscheidung der Verwaltung über den Bau von Senkgruben an Stelle der Anschaffung von Müllcontainern zu ,,korrigieren".

4. Administrativer Gesetzesvollzug Dem widerspricht es nicht, daß es Verwaltungsentscheidungen gibt, die allein "Gesetze exekutieren" - wenn z. B. Statistische Landesämter Erhebungen durchführen 82 • Auch wenn in derartigen Verfahren die Verwaltung nicht mehr genötigt ist, eigene Zweckmäßigkeitsüberlegungen anzustellen, sondern einfach "das Gesetz" als eine Anweisung befolgt (und damit in einem gewissen Sinne "anwendet"), tritt sie doch damit in ein anderes Verhältnis zum zu entscheidenden Sachverhalt und zugleich zu dem ihr Verhalten normierenden Recht als die Rechtsprechung in den ihre anvertrauten Verfahren. Denn auch sofern Fälle denkbar sind, in denen sich das Verwaltungshandeln als bloßer Gesetzesvollzug darstellt, bewegt sich dieser doch in der Umsetzung staatlich normierter Zwecke und damit im Rahmen von Verfahren funktionaler Verwaltung. Das häufig behauptete richterliche Ermessen bei der Rechtsanwendung, deren Folgen nie feststehen, ist damit nicht zu vergleichen, sondern allein als ein mißverständlicher Ausdruck für die dogmatische Reformulierung der Erkenntnis des ,,neuen Rechts" der Parteien durch den Richter im Prozeß 83.

82

N. Luhmann, Recht und Automatisation in der öffentlichen Verwaltung S. 36 ff.

Zur unterschiedlichen Struktur der Entscheidung von Strafrichter und Verw~ltungs­ beamten W. Frisch, Revisionsrechtliche Probleme der Strafzumessung S. 124 sowie unten IX. 83

IX. Folgenorientierung des Strafurteils? 1. Problemstellung

a) Strafzwecke Erst durch die Einschaltung staatlicher Gerichte im Strafprozeß wird der soziale Tatbestand der Deliquenz l zu einem Problem 2 , das als Gegenstand des Rechts begriffen werden kann 3• Zunächst stellt sich nämlich die Verhängung von "Strafen" allein als Repression - als bloße Herrschaftsausübung - dar 4 • Modern ausgedrückt umschreibt der Vorgang staatlichen Strafens einen Handlungszusammenhang, der auf die Erreichung bestimmter ,,zwecke" gerichtet ist. Deren unterschiedlichen Zielrichtungen entsprechen die verschiedenen Straftheorien: So können "absolute" Straftheorien S von der Wiederherstellung des verletzten Rechts durch die Strafe sprechen, ohne damit zugleich notwendig spezialoder generalpräventive Theorieansätze ausschließen zu müssen 6• Und alle diese Beschreibungen unterschiedlicher Strafzwecke können geeignet sein, die Funktion einer strafenden Herrschaftsausübung darzustellen, die durchaus auch Verwaltungsbeamten 7 anvertraut sein könnte, betrachtet man sie ausschließlich unter dem Aspekt der Erreichung bestimmter sozialer Zwecke. Damit wäre freilich allein darauf verwiesen, daß mit der Einschaltung besonders qualifizierten und mit einem besonderen Status 8 versehenen Personals in Gestalt der mit der Entscheidung in Strafsachen betrauten Richter bereits die Funktion der Überantwortung der Aufgabe der Verhängung staatlicher Strafen an die Rechtsprechung hinreichend beschrieben sei. Gegen eine solche Annahme sind jedoch füglich Zweifel anzumelden. aus der Richterpersönlichkeit oder -rolle für sich genommen ergeben sich nämlich - in einem pluralistischen Staat, in dem es Richter mit den verschiedenartigsten Überzeugungen geben kann und I Eine informative Darstellung der historischen Entwicklung des neuzeitlichen Strafens gibt M. Foucault, Überwachen und Strafen, 1977. 2 Siehe unten 1 b, c. 3 H.-M. Pawlowski, Studium der Rechtswissenschaft, S. 246 ff. 4 Schmidhäuser, Vom Sinn der Strafe S. 16 ff; W. Schild, Strafrichter, S. 2, 7 ff. unter eingehender philosphischer Aufarbeitung der Fragestellung. 5 Vgl. zum Ganzen die Darstellung bei Schmidhäuser, Vom Sinn der Strafe, passim. 6 Hierzu siehe B. Schünemann, Nulla poena sine lege, Berlin 1978. 7 In Gestalt der Polizei, Staatsanwaltschaft, Vollstreckungsbehörden. 8 Zur Stellung des Sachverständigen und dem Verhältnis des Richters zu den tatsächlichen Voraussetzungen seiner Entscheidung vgl. St. Smid, Rechtsprechung § 4.

110

IX. Folgenorientierung des Strafurteils?

auch gibt - noch keine Kriterien, von denen aus die Gründe für die Funktion der Einschaltung von Richtern in das Strafen erklärt werden können 9. Wenn aber zu erwarten ist, daß sich Richter aufgrund ihrer unterschiedlichen Überzeugungen (privatim) in einer ganz verschiedenartigen Weise verhalten können, bedarf es zur Gewährleistung der Gleichförmigkeit ihrer Entscheidungen verfahrensrechtlicher Absicherungen. Konkret für den - stets besonders "ideologieempfindlichen" - Strafprozeß gesprochen folgt darauf, daß die Unabhängigkeit des Richters allein (jedoch insoweit wesentlich!) von Bedeutung ist, als sie seine ausschließliche Bindung an Recht und Gesetz sicherstellt 10. Anders ausgedrückt. Um das spezifisch ,,Rechtsstaatliche" des Strafprozesses herauszuarbeiten, muß danach gefragt werden, welches denn die Funktion des Strafrechts (gegenüber den heterogenen sozial- und naturwissenschaftlichen Stellungnahmen zur Strafe 11 ist.

b) Zweckverfolgung oder unparteiische Rechtskenntnis durch den Richter im Strafprozeß

Dem Richter ist nämlich bei seiner Urteilstätigkeit im Gegensatz zu dem, in den unterschiedlichsten Zusammenhängen mit dem Strafverfahren betrauten Verwaltungsbeamten der unvermittelte Zugriff auf diese unterschiedlichen Strafzwecke verwehrt. Der Schuldspruch als Grundlage des staatlichen Unwerturteils kann nicht von general- oder spezialpräventiven Überlegungen des Richters getragen sein 12, der ebensowenig berechtigt ist, sein (privates) Sühnebedürfnis bei der Verurteilung des Angeklagten zur Geltung zu bringen. In der Darstellung der Rechtsprechungsqualität der Strafrechtspflege hat sich nämlich bereits die Frage gestellt, ob nicht dem Strafrichter durch die verschiedenen, durch das Strafrecht normierten folgenorientierten Zweckmäßigkeitsentscheidungen ein "Auftrag" dahin durch den Gesetzgeber gestellt worden sei, er solle durch den Strafausspruch die Resozialisierung des Delinquenten einleiten, der als Anhaltspunkt für eine ,,Folgenorientierung" des Gerichts zu verstehen sei 13. Und wenn auch häufig dieser Anspruch an den Strafrichter und sein Urteil herangetragen wird, so setzt sich doch ein derartiges Verlangen dem Verdacht Sogleich unten. Die Bedeutung dieser sachlichen Unabhängigkeit des Richters aufgrund der"konditionalen" - allein rechtlichen - Programmierung seiner Entscheidung zeigt sich insbesondere in der (politisch mit starkem Engagement geführten) Diskussion um die Einführung einer gesonderten Wehrstrafgerichtsbarkeit. Diese steht im Verdacht, neben und im Zweifel schon aufgrund ihrer personellen Zusammensetzung eben auch vor der Schuldfeststellung Zwecke der Erhaltung militärischer Effizienz der Truppe zu verfolgen und dadurch explizit parteiisch zu werden. 11 W. Schild (Strafrichter) arbeitet heraus, daß seit Kant der Strafprozeß als ein Verfahren zum Beruf der Anerkennung individueller Freiheit zu verstehen ist (S. 3 ff). 12 Eb. Schmidt, Die Sache der Justiz S. 30. Es liegt nahe, die Tätigkeit der Strafvollstreckungskammern als materielle Verwaltung zu qualifizieren. 13 Vgl. E. Lejringhausen, Diss. S. 70. 9

10

1. Problemstellung

111

aus, allein ideologisch die Aufgaben der Strafrechtspflege zu bestimmen. Denn es wurde bereits oben darauf aufmetksam gemacht, daß es dem Strafrichter verwehrt ist, unter Hinweis auf die, wohl unbestrittenen! schädlichen Folgen seiner Urteilstätigkeit die Verhängung etwa von Haftstrafen in den gesetzlich gebotenen Fällen zu verweigern und statt des Ausspruchs einer Strafe den Angeklagten beispielsweise unter Auflagen in die Freiheit zu entlassen 14. Nun mag dies banal erscheinende Beispiel zu extrem gewählt sein. Es zeigt aber hinreichend klar auf, weshalb sich eine einseitige Darstellung der Strafrechtspflege als social engineering 15 evident in nachdrücklichen Widerspruch zum geltenden Schuldstrafrecht setzen muß. Die mannigfachen, mit der staatlichen Strafe verfolgten Zwecke des Staates sollen gerade, wie Schmidhäuser oder Schild 16 dargestellt haben, durch die Zwischenschaltung der Rechtsprechung domestiziert werden. Das aber heißt, härter, selbst um den Preis einer Überpointierung ausgedrückt: Die Strafrechtspflege selbst darf, um diese Aufgabe der Neutraiisierung staatlicher Strafgewalt durch die Anbindung der Strafe an die Feststellung der Schuld des Angeklagten erreichen zu können, selbst keine weiteren Zwecke verfolgen, die über die durch das Recht ,,konditionierte" (vordefinierte) Schuldzuweisung hinausgehen, was bedeutet, daß solche dogmatischen Theorien tendenziell den strafrechtlichen Schuld- und Prozeßvorbehait des staatlichen Strafens negieren, die dem Strafrichter im Prozeß weitere Aufgaben zuweisen. Die Annahme, die Rechtsprechung habe heterogene Strafzwecke zu erfüllen, ist selbst nicht zufaIlig. Sie entspricht einem Verständnis des (Straf-)Rechts, wie es durch die unterschiedlichen ,,Imperativenmodelle" des Rechts befördert wird. Denn der Rekurs auf gesetzgeberische Zwecke der Strafe verweist auf deren unterschiedlichste sozialpsychologische, politische wie aber auch rechtlich-immanente Funktionen. Wird nämlich das Gesetz als Anweisung der Legislative an die Rechtsprechung zur Erreichung bestimmter Zwecke angesehen 17, so legt dies nahe, die (Straf-) Rechtsprechung als "besondere" Organisation der ,,Exekutive" heterogener Zwecke zu begreifen 18. Dem Strafrichter obliegt es dann z. B., die Kriminalitätsrate in der Gesellschaft zurückzuschrauben. Daß bekanntlich auch dem Strafrichter allenfalls zufaIlig die Folgen seiner Tätigkeit bekannt sind und die Strafrechtspflege insgesamt allein durch beizuziehende BZRG-Auszüge § 49 II StGB. So im amerikanischen Recht (dazu nähere Nachw. bei St. Smid, Rechtsprechung § 5 Fn. 123). Im amerikanischen Recht freilich hat diese Beschreibung eine andere Bedeutung. Denn dort wird weiterhin die Auswahl der Richter durch eine Wahl auf Zeit durch die Bevölkerung vollzogen. Damit werden· andere Legitimationsmechanismen eröffnet, als sie kontinentaleuropäisch unter Verweis auf die Gesetzesbindung des Richters angesprochen sind; zu deren Kontext rechtsvergleichend Th. Fleiner-Gerster, in: N. Achterberg (Hrsg.), Rechtsprechungslehre, S. 653 ff. 16 Vom Sinn der Strafe, passim; Der Strafrichter in der Hauptverhandlung, passim. 17 Vgl. freilich W. Frisch, Revisionsrechtliche Probleme der Strafzumessung S. 125 und sogleich. 18 SoB. Schünemann, in: N. Achterberg (Hrsg.), Rechtsprechungslehre S. 462 ff., 463. 14

15

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IX. Folgenorientierung des Strafurteils?

ein grobes Bild einer Auswahl von vermittelten Folgen ihrer Entscheidungen - der späteren Delinquenz der Verurteilten - erhält, wird indes nicht thematisiert. Denn es obwaltet heute in der methodischen Diskussion weithin eine Tendenz, sich allein am (subjektiven) Willen von Erklärungen - hier des Gesetzgebers - zu orientieren. In einer solchermaßen subjektivistischen Art der Behandlung normativer Aussagen fallen freilich alle Fragen völlig unter den Tisch; die sich aus den sachlichen Problemen der Implementation von Zielen ergeben. Es wird allein die Umsetzung gesetzgeberischer "Absichten" durch den Richter behandelt, ohne doch dabei zu berücksichtigen, daß dieser in "Interaktion" mit den Parteien, rsp. mit dem Angeklagten als Verfahrenssubjekt im Strafprozeß zu handeln hat. auf dessen Selbstdefinitionen - dessen im Streit um seine Schuld vorgetragene Argumente - hat der Richter sein Urteil zu gründen. Und es ist ihm keinesfalls verstattet, an den Verfahrenssubjekten vorbei seine Entscheidung an den heterogenen Zwecken des Gesetzgebers (an dessen "Anweisungen") auszurichten. Als Recht lassen sich daher die unterschiedlichen Vorschriften des materiellen Strafrechts, die dem Strafrichter die unterschiedlichsten Aufgaben des Rechtsgüter- oder Sozialschutzes zu überantworten scheinen, nur dann interpretieren, wenn sie vor dem Hintergrund des durch den verfassungsrechtlichen Prozeßvorbehalt wesentlichen Unterschieds funktionaler Rechtsprechung und Verwaltung begriffen werden. Während die Verwaltung sich die Präferenzen ihres Handeins - ihre Zwecke - selbst setzt l9 , werden der Rechtsprechung keine Zwecke vorgegeben. - So fragt der Strafrichter nicht nach der "zweckmäßigen" Strafe - die ja, je nach theoretischem Ansatz, höchst unterschiedlich ausfallen könnte, sondern verhängt Strafen, weil dies und wie es von Rechts wegen vorgesehen ist 20 • Die gesamten Folgenerwägungen (Prognosen) des Strafrichters stellen sich daher, wie W. Frisch 21 gezeigt hat, als ein normativ zu verstehendes Problem dar. Damit zeigt sich allerdings, daß die Orientierung an "Folgen" auch nicht im Zusammenhang der Strafzumessung im Strafprozeß Raum greift 22 • Der Strafrichter kann sich insofern bei seiner Entscheidung auch - anders als bisweilen behauptet 23 - nicht von Überlegungen leiten lassen, die als Vgl. St. Smid, Rechtsprechung § 2 I. W. Frisch, (Fn. 17) S. 124, 125. 21 Prognoseentscheidungen im Strafrecht S. 55 ff.; vgl. ferner W. Hassemer, CoingF. Bd. 1 S. 493 ff. 22 Frisch (Fn. 21), S. 28 f., 47. 23 An dieser Stelle kann keine auch nur flüchtige Auseinandersetzung mit den einzelnen Ausprägungen general- oder spezialpräventiver Straftheorien und ihren sozialstaatlichen Umformulierungen (vgl. krit. W. Schild, Der Strafrichter in der Hauptverhandlung S. 2) geführt werden. Hier sei zur Dokumentation der Position der "Gegenseite" daher allein auf die Darstellung H. Drosts, Das Ermessen des Strafrichters, 1930, insbes. S. 195 ff.; N. Hoersters GA 1970 S. 272 (,,Zur Generalprävention als Zweck staatlichen Strafens"), zu den philosophischen Unsicherheiten, die einer solchen Darstellung zugrunde liegen F. Nowakowski, Perspektiven der Strafrechtsdogmatik, 1981, S. 49 ff., insbes. 19

20

1. Problemstellung

113

,,zweck" staatlichen Strafens eine ,,Resozialisierung" des Täters postulieren: auch wenn dieser "Strafzweck" mit § 46 StGB nonnativ festgelegt zu sein scheint. Denn es ist nicht zu verkennen, daß die ~ durch die Bindung des Richters an das Gesetz gebotene, Anwendung des geltenden Rechts und die Verhängung von Strafen mit all ihren Folgen der Unterbringung des Verurteilten in Haftanstalten usf. keinesfalls eine "Besserung" des Delinquenten zu bewerkstelligen geeignet ist 24 • Schmidhäuser hat in diesem Zusammenhang denn auch plastisch von der "Sinnlosigkeit"2S gesprochen, die dem staatlichen Strafen anzuhaften scheint, betrachtet man es aus dieser Perspektive der Verbesserung der sozialen Verhältnisse. Ohne diese Fragen hier eingehender diskutieren zu können oder zu müssen, läßt sich doch folgendes zusammeJ?fassen: Schon das positive Strafrecht geht in § 46 StGB davon aus, daß das Strafmaß schuldabhängig sein muß - mit anderen Worten bildet die Schuld die Obergrenze der Strafhöhe - was besonders für die Gleichbehandlung von Straftaten von Bedeutung ist 26 • Aber gerade dieses Erfordernis der Feststellung\ler Schuld 27 unter den prozessualen Voraussetzungen des geltenden Strafverfahrensrechts, die den Richter von verschiedenartigen Strafzwecken unabhängi,g macht, zeichnet die Bedeutung des gerichtlichen Strafprozesses aus. Denn es WIrd die in der Verhängung staatlicher Strafen liegende Herrschaftsausübung durch die Zwischenschaltung einer richterlichen Entscheidung domestiziert 28. Die richterliche Entscheidung ist nicht an heterogenen Strafzwecken interessiert, sondern allein daran, ob dem Deliquenten nach Maßgabe des geltenden Rechts persönliche Schuld im Hinblick auf seine Tat zugerechnet werden kann 29 • S. 60 ff.; schließlich als Überblick m. w.N. die Darstellungen bei R. Maurach / H. Zipf, Strafrecht AT 1 Tbd. §§ 6, 7 sowie auf die Kritik W. Schilds, Strafrichter, S. 83 ff., 103 ff. hingewiesen. 24 Zum Jugendstrafverfahren vgl. jedoch die Darstellung W. Schilds, Strafrichter S. 12 ff.: Dort ist nicht die Schuld des Angeklagten Anknüpfungspunkt, der das ,,Rechtliche" des Verfahrens konstituiert, sondern dessen Erziehungsfunktion, die sich auch verfassungsrechtlich legitimieren läßt. 2S Ebd. S. 60 ff. 26 So bereits W. Frisch (Fn.17) S. 41 ff., 283 ff. 27 Vgl. insbes. die Nachweise der Darstellung H.-M. Pawlowskis, Studium der Rechtswissenschaft S. 246 ff.; grundsätzlich hierzu immer noch G.W. Fr. Hegel, Grundlinien der Philosophie des Rechts, WA Bd. VII § 100; K. Seelmann, JuS 1979 S. 687 ff.; W. Schild ARSP Bd.70 (1984) S. 71 ff. (zu den Straftheorien von Kant und Hegel, mit Folgerungen für die heutige Diskussion insbes. S. 99 ff.) sowie ders. in: Philosophische Elemente der Tradition des politischen Denkens, 1979 (Hrsg. EHeintel), S. 199 ff. 28 Eb. Schmidt, Die Sache der Justiz S. 29 f.; H.-M. Pawlowski, Studium der Rechtswissenschaft S. 287 ff. 29 E. Lefringhausen, Diss. S. 35 argumentiert dagegen wenigstens mißverständlich. er führt aus, daß der Strafrichter eine ,.Abwägung" zwischen verschiedenen Elementen des Strafurteils vorzunehmen habe, zu der neben der Schuld des Angeklagten das Interesse des Staastes an der Strafe stehe. Gerade letzteres wird als Grund der Strafe durch deren Anbindung an die Schuld des Angeklagten ausgeschlossen. 8 Smid

114

IX. Folgenorientierung des Strafurteils? c) Prozessuale Struktur des Strafprozesses

Deshalb kann das Strafverfahren vor dem Strafrichter auch strukturell darauf ausgerichtet sein, den Angeklagten zur Formulierung von Selbstdefinitionen, zur Teilnahme und schließlich: zum Akzeptieren der Strafe bewegen. Die Strafe stellt sich nämlich als Reaktion nicht "fremder" Zwecke dar, sondern sie entspricht dem Recht und kann daher allgemeine Anerkennung genießen. Deshalb kann im Strafprozeß der Angeklagte - sei es durch seine bloße Gegenwart oder durch sein Verhalten im Verfahren - in die "Prozeßgeschichte" verwickelt, auf sie festgelegt werden 30. Und alleiniger Gegenstand der "Interaktion" (W. Schild 31 ) der Beteiligten im Strafprozeß sind "die Tat" und die Schuld des vermeintlichen Täters - die Möglichkeit, sie dem Angeklagten als seine freie Tat zuzurechnen 32 . Damit gewinnt auch die Überlegung an Bedeutung, welche die Vertreter 33 einer Qualifikation des Strafprozesses als eines streitentscheidenden Verfahrens zu ihrer Ansicht geführt hat. Der Strafprozeß ist nämlich Prozeß wie der Zivilund der Verwaltungsgerichtsprozeß, weil in ihm der Richter als unparteiischer Dritter Recht erkennt. An der Stellung des Strafrichters als unparteiischem Dritten werden aber aufgrund dessen prozessualer Aufgaben Zweifel geäußert. Denn der Strafrichter leitet in der Hauptverhandlung die Vernehmung von Angeklagten und Zeugen. Dadurch scheint das Gericht in der Beweisaufnahme in eine Stellung zu geraten, in der es den Angeklagten überführen muß. Diese Stellung des Strafrichters in der Beweisaufnahme scheint die Annahmen zu bestärken, die aus dem materiellen Recht ableiten, der Strafrichter habe Aufgaben der sozialen Steuerung der Delinquenz wahrzunehmen. Diese Aufgaben fanden dann nämlich vordergründig ihrer Entsprechung in der prozessualen Stellung des Strafrichters. Dieser wäre dann ex officio kein unparteiischer Dritter, sondern handelte im staatlichen Interesse an der Bekämpfung gesellschaftlicher Schäden durch "abweichendes Verhalten". Solange der Strafprozeß in einer Weise organisiert ist, daß der Strafrichter die "Überführung" und die Bestrafung des Angeklagten als persönlichen Erfolg erlebt, ist seine Unparteilichkeit zweifelhaft. Kann daher gegen unsere Argumentation der Einwand erhoben werden, sie berufe sich mit dem Schuldprinzip als dem entscheidenden Kriterium für die Rechtsprechungs30 Vgl. grundsätzlich N. Luhmann, Legitimation durch Verfahren, S. 94, sowie ders. Jb f. RsozRth Bd. 6 (1980) S. 99 ff., 106 ff. : In Familie, Politik, Religion us f. beurteilt man Sachverhalte nicht auf Recht / Unrecht hin. Wer sich dagegen auf einen Prozeß vor Organisation des Rechtssystems einläßt, muß "Recht durchhalten", und d.h.: Er legt sich fest. "Rechtliche Kommunikation" bedarf aufgrund dieses immanenten Zwanges zur Selbstfestlegung förmlicher Verfahren. Der Rekurs eines Großteils der Lit. auf die verfahrensrechtliche Beachtung der Menschenwürde (vgl. hier nur W. Sax, in: Grundrechte bd. III / 2 S. 909 ff., 971) soll dies ansprechen, erscheint aber zu abstrakt, als das damit die Kompetenzprobleme erfaßt werden könnten, die das Prozeßrecht zu lösen hat. 31 Strafrichter S. 56 ff. 32 W. Schild ebd., S. 21 ff., 38 ff. 33 St. Smid, Rechtsprechung § 2 Fußn. 26.

1. Problemstellung

115

qualität des Strafprozesses auf ein "systemfremdes" Element, welches einen Bruch in eine anzustrebende homogene Beschreibung von Rechtsprechung trägt - die auch den Strafprozeß mit umfassen soll? Mehr noch. Wäre es nicht unserem Ansatz gegenüber konsistenter und daher vorzuziehen, den Strafprozeß als repressions- und Präventionsverfahren aus dem Bereich materieller Rechtsprechung herauszunehmen? Der Strafprozeß könnte dann mit nichtstreitigen Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit verglichen werden. Und die Judikatur des BVerfG wäre so umzuinterpretieren, daß in Ansehung des Strafprozesses Art. 92 GG einen generalklauselartigen Richtervorbehalt, nicht anders als die Art. 13 II, 104 II GG normiere 34 • Gegenüber einer solchen Art der Interpretation scheint es jedoch, die Probleme der Stellung des Strafrichters im geltenden Strafprozeß und die Gefährdung seiner Unparteilichkeit einmal zugestanden, als sei es angemessener, richtiger, zum Zwecke einer vermeintlichen Wiederherstellung der Kriterien des Rechtsprechungscharakters des Strafprozesses de lege ferenda die Rückkehr zu Verfahrensformen wie der des Geschworenenprozesses zu finden, wie dies etwa von C. Roxin und B. Schünemann 35 vertreten bzw. diskutiert wird. Auf diese Weise würde der Strafrichter zum unparteiischen Dritten gemacht, der im Prozeß allein den rechtlichen Ablauf der Beweisaufnahme zu leiten hätte. Die Durchführung der Beweisaufnahme wäre dann Aufgabe von Anklage und Verteidigung; das Gericht hätte ihnen gegenüber eine "neutrale Kampfrichterposition" . Der Prozeß bekäme auf diese Weise eine evident streitige Struktur. Aber ist es tatsächlich erforderlich, dem Strafprozeß de lege ferenda auf diese Weise erst eine kontentiose Struktur zu verleihen, um ihn als materielle Rechtsprechung qualifizieren zu können? Auf den ersten Blick scheint eine solche Konzeption de lege feranda sehr reizvoll zu sein, da für sie vordergründig die systematische "Reinheit" ihres Ansatzes spricht. - Nun kann es gewiß aus einer Vielzahl von Gründen zu überlegen sein, ob eine kontentiose Organisation des Strafprozesses rechtspolitisch seinem gegenwärtigen Zustand vorzuziehen wäre. Wir werden freilich noch bei der Erörterung der Bedeutung von "Ermittlungstätigkeiten" des Gerichts für die Konstituion materieller Rechtsprechung 36 sehen, daß der Strafrichter bereits nach geltendem Recht auch durch die Leitung der Beweisaufnahme in der Hauptverhandlung die Stellung eines unparteilichen Dritten nicht verliert. Denn insofern wird der Strafrichter durch die Herstellung eines kontentios strukturierten Verfahrens durch die Einschaltung der Staatsanwaltschaft 37 aus einer materiellen "Beteiligungsrolle" entlassen, vom Verfolgen eigener Zwecke der Bekämpfung von Delinquenz entlastet. Ob man davon ausgeht, daß der Strafrichter durch die Leitung der Beweisaufnahme seine St. Smid, Rechtsprechung § 1. Vgl. B. Schünemanns kritische Darstellung GA 1978 S. 161 ff. und dens., in: N. Achterberg (Hrsg.), Rechtsprechungslehre S. 461 ff., 468 ff. 36 St. Smid, Rechtsprechung § 4. 37 Vgl. hier allein K.-H. Gössel GA 1980 S. 325 ff.; näher St. Smid, Rechtsprechung § 5 I 1 b; dort bes. Fußn. 9 m.w. N. 34

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8*

116

IX. Folgenorientierung des Strafurteils?

Unparteilichkeit einbüßt, hängt nämlich wesentlich davon ab, wie vom materiellen Recht her seine Stellung im Strafprozeß beschrieben wird. Wird der Strafrichter als Organ der Verbrechenskontrolle und -bekämpfung angesehen, dann folgt daraus zwangsläufig, daß seine prozessuale Stellung Instrument der Erfüllung dieser Aufgaben ist. Denn die Unparteilichkeit des Strafrichters wäre nach einer solchen Konzeption ausschließlich dadurch zu gewährleisten, daß er - wie ein Revisionsgericht - Rechtsfragen prüft. Wenn das materielle Strafrecht als anweisung zur sozialen Kontrolle der Delinquenz durch Gerichte zu verstehen wäre, dann würde allein das Revisionsgericht "reine Rechtserkenntnis" betreiben. Dessen Tätigkeit wäre mit der von Verwaltungsgerichten vergleichbar, da es die rechtlichen Bedingungen des Strafausspruchs überprüft. Den Ausspruch Strafe müßte man von einer solchen Konzeption her wegen seiner notwendigen tatsächlichen Voraussetzungen als Aufgabe der administrativen Repression ansehen. Die Unparteilichkeit des Strafrichters wäre z. B. dann dadurch herzustellen, daß man seine Rechtsprüfung von der Urteilsfähigkeit einer Jury trennte. In diesem Zusammenhang werden auch die bereits angesprochenen Modelle eines Beweisinterlokuts erörtert. Unabhängig von den rechtspolitischen Überlegungen zur Herstellung einer bloß rechtsanwendenden Tätigkeit des Strafrichters in der strafprozessualen Literatur weist unsere Argumentation aus der Schuldfeststellung wohl nicht vordergründig, aber doch in vermittelter Weise auf den Zusammenhang zwischen der Rechtsprechungsqualität des Strafprozesses und seiner kontentiosen Struktur hin 38 • Den Ansatzpunkt für eine Erklärung dieser "dialektischen" Beziehung bieten unsere Überlegungen zur diskursiven Struktur des Strafprozesses. Diese macht es augenfällig, daß der am Schuldprinzip ausgerichtete Strafprozeß um Schuldfeststellung leisten zu können - auch dann durchgeführt werden muß, wenn der Angeklagte die Tat gesteht. Anders ausgedrückt. Der Strafprozeß als Erkenntnis und Anwendung des Strafrechts unterliegt im Hinblick auf die Schuldfrage nicht der Disposition von Angeklagtem und Staatsanwalt.

2. Schlußfolgerung Damit ist die Frage noch nicht beantwortet, ob nicht gleichwohl der Rekurs auf die Schuldproblematik des Strafprozesses aus dem Zusammenhang unserer bisherigen Erörterungen zur Struktur materieller Rechtsprechung herausfällt. Es ist dabei daran zu erinnern, daß die Schuldfrage keine empirische Frage ist, sondern Schuld sich von vornherein als ein normatives Problem darstellt: die Schuldfrage ist ein Rechtsproblem in nuce. Schuld - Zurechenbarkeit - konstituiert Recht als Ordnung von Freiheit. I. Kant 39 führte den Zusammenhang 38

§ 5.

Vg!. nur Eb. Schmidr, LK Ein!. Rdnrn. 67 f., 98 ff. sowie Sr. Smid, Rechtsprechung

2. Schlußfolgerung

117

zwischen der Rechtsprechung und dem von ihr zu erkennenden Recht konstituierenden Prinzip der Zurechnung 40 mit folgenden Worten aus: "Diejenige ... Person, welche rechtskräftig zuzurechnen die Befugnis hat heißt der Richter oder auch der Gerichtshof'. D.h. der Strafprozeß macht nicht eine ärgerlich-systemwidrige ,,Ausnahme" von einer vordergründigen Systematik der Rechtsprechung als "Streitentscheidung" - sondern er macht als prototypische Erscheinung funktionaler Rechtsprechung deren Struktur deutlicher. Funktionale Rechtsprechung - oder der Prozeß - gerät.yor dem Hintergrund der Analyse des Schuldprinzips als die "letzte Frage" des Rechts 41 zur "rechtskräftigen Zurechnung" - was wir mit der abschließenden Erkenntnis und Feststellung des ungewissen Rechts übersetzen können. Und wir können die These formulieren, daß die "typische kontentiose" Struktur des Prozesses notwendig aus dieser Funktion der ,,zurechnung" (oder Rechtserkenntnis und -feststellung) hervorgebracht wird. Denn die Konstitution des iudex sive forum als rechtserkennender Instanz bedarf institutioneller Gewährleistungen ihrer Unparteilichkeit. Damit sollen die Probleme der Unparteilichkeit des Strafrichters im derzeitigen Strafprozeß weder geleugnet noch durch einen ,,kontrafaktischen" Hinweis auf das Schuldprinzip verharmlost werden. Doch diese Probleme zwingen nicht dazu, den Strafprozeß als Verfahien materieller Rechtsprechung aufzugeben. Denn die Unparteilichkeit des Strafrichters ergibt sich aus der Trennung von Tat- und Rechtsfrage 42, die durch die Anbindung der Strafe an die (Rechtsfrage der) Schuld des Angeklagten konstituiert wird.

39 Metaphysik der Sitten. Metaphysische Anfangsgründe der Rechtslehre WA Bd. VIII S.339; G.W.Fr. Hegel, Grundlinien der Rechtsphilosophie § 117 und dort. Zusatz; Fr.W J. Schelling, Stuttgarter Privatvorlesungen, SW Bd. VII S. 462. 40 Grundlegend K. Larenz, Hegels Zurechnungslehre und der Begriff der objektiven Zurechnung, 1927 dort bes. S. 50 ff., 63 ff., 70 ff. 41 Das Strafrecht und der Strafprozeß stellen daher in einem gedoppelten Sinne "letzte" Mittel der Rechtsordnung dar; zum einen, weil sie, wie heute meist betont wird, die Instrumente für "schärfste Eingriffe" bereitstellen; zum anderen aber, weil es bei ihnen um Zurechnung von Schuld kat exochen geht. 42 Oben sowie St. Smid, Rechtsprechung § 4.

x. Schluß An dieser Stelle können aus unseren skizzenartigen Überlegungen Schlußfolgerungen gezogen werden. Es hat sich gezeigt, daß die besondere Stellung des rechtsprechenden Richters davon herrührt, daß er seine spezifische Unparteilichkeit aus der Beschränkung auf die Anwendung und Erkenntnis des Rechts im Streit zweier Parteien herrührt. Die Struktur dieser "Rechtsanwendung" und "Rechterkenntnis" hat sich im Verlauf dieser Untersuchung näher bestimmen lassen. Sie unterscheidet sich nachdrücklich von der Rechtsanwendung durch die Verwaltung. Die streitige richterliche Rechtsanwendung und -erkenntnis als kognitiver Akt materieller Rechtsprechung bezieht sich nämlich stets auf abgeschlossene Sachverhalte, nicht aber auf künftige Entwicklungen, in die zu intervenieren ureigene Aufgabe der Verwaltung ist. Der rechtsprechende Richter ist dadurch unparteiischer Dritter im Streit der Parteien, daß er mit seinem Urteil keine weiteren Interessen verfolgt, als inter partes das streitige, ungewisse Recht zu erkennen und festzustellen. Das schließt es im allgemeinen aus, die Entscheidung im Rechtsstreit der Parteien daran zu orientieren, welche sozialen, ökonomischen oder politischen Folgen eine konkrete Entscheidung haben könne. Dies gilt insbesondere auch für den Strafprozeß. Das Urteil im Prozeß orientiert sich an den möglichen Rechtsfolgen, die eine bestimmte Art der Auslegung des Rechts auf das Rechtssystem haben kann. "Realfolgen" des Urteils können für den materiell rechtsprechenden Richter daher nur soweit relevant sein, wie solche Arten der Auslegung und Anwendung des Rechts auszuschließen sind, die zu unangenehmen Folgen führen, etwa weil sie Verhaltensweisen der Rechtsgenossen provozieren, die unerwünscht sind. Auffassungen, die unterschiedslos empfehlen, Gerichte hätten sich an den empirischen (außerrechtlichen) Folgen ihrer Entscheidungen zu orientieren, haben im materiellen Recht keine Grundlage. Sie verkennen, daß die Vernachlässigungdieser Entscheidungsfolgen Grundlage der Unparteilichkeit der Rechtsprechung ist. Sie setzen zu Unrecht materielle rechtsprechende Streitentscheidungstätigkeiten des Richters auf der einen Seite und und nichtstreitiger Verfahren administrativer freiwilliger Gerichtsbarkeit auf der anderen gleich; in letzteren Verfahren hat der Richter in der Tat zukunftsorientiert aufgrund einer Prognose über die außerrechtlichen Folgen der von ihm zu treffenden Maßnahmen zu entscheiden, was u.a. nahelegt, danach zu fragen, ob gegen derartige administrative Maßnahmen des Richters der Rechtsweg i.S.v. Art.19 IV GG eröffnet ist l . I

Hierzu eingehend St. Smid, Rechtsprechung § 3 IV, § 8 et passim.

X. Schluß

119

Diese Analyse der Struktur des rechtsprechenden Urteils macht zugleich deutlich, welche Stellung der Rechtsprechung im pluralistischen Staat der Glaubensund Gewissensfreiheit zugewiesen ist. Nur als unparteiliche, allein "technisch" auf das Recht, nicht auf weltanschauliche WertvorsteUungen verpflichtete Gewalt vermag die Rechtsprechung ihrer Aufgabe gerecht zu werden, Streitigkeiten zwischen den Angehörigen verschiedener Glaubensgemeinschaften durch Maßstäbe des Rechts friedlich zu entscheiden. Der Satz Montesquieus von der Rechtsprechung als pouvoir en quelque fa~on nulle gewinnt so eine neue Bedeutung für die Begründung der Rechtsprechung als unparteilicher Streitentscheidungsinstanz zurück.

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