Privilegium minus: Das staufische Kaisertum und die Babenberger in Österreich 9783205110583, 3205083601, 9783205083603

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Privilegium minus: Das staufische Kaisertum und die Babenberger in Österreich
 9783205110583, 3205083601, 9783205083603

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BÖHLAU

Β QUELLEN BÜCHER

BÖHLAU Q U E L L E N B Ü C H E R herausgegeben von B E R T H O L D SUTTER und H E L M U T J. M E Z L E R - A N D E L B E R G

H E I N R I C H APPELT

Privilegium

minus

DAS STAUFISCHE KAISERTUM U N D DIE BABENBERGER IN ÖSTERREICH

2., durchgesehene Auflage

H E R M A N N BÖHLAUS NACHF. W I E N - K Ö L N - GRAZ

Gedruckt mit Unterstützung des Bundesministeriums f ü r Wissenschaft und Forschung

ISBN 3-205-08360-1 Copyright © 1976 by H e r m a n n Böhlaus Nachf. Gesellschaft m. b. H., G r a z Alle Rechte vorbehalten Druck: R. Spies & Co., Wien

Inhalt

7

Vorwort

9

Reditsinhalt. Problemstellung

11

Der Weg der Forschung

19

Die bisherigen Ausgaben

20

Diplomatische Kritik 20

Die Überlieferung

23

Rückschlüsse auf die äußeren Merkmale Die Goldbulle

25

Aufbau und Formular

28

Die Arenga

32

Der Streit um das Herzogtum Bayern

38

Die Beilegung des Streites mit den Mitteln des Lehenrechtes 38

Der Hoftag zu Regensburg

40

Der Bericht Ottos von Freising Das Fürstentum als Fahnenlehen

44

Die mit der Mark und dem Herzogtum verbundenen Rechte Die drei Grafschaften

49

Die Umwandlung der Mark Österreich in ein Herzogtum Der Fürstenspruch

51 55

Die Mitbelehnung der Herzogin Theodora

Die Vorrechte des Herzogs von Österreich 55

Die weibliche Erbfolge

57

Die libertas affectandi

62

Die Frage der Ausübung der Gerichtsbarkeit im neuen Herzogtum

76 81

Hoffahrt und Heeresfolge

Die historische und verfassungsgeschichtliche Bedeutung der Urkunde Ihr Verhältnis zu den Privilegien des Hauses Österreich

95

Stammtafel

96

Der Wortlaut des Privilegium minus

100

Der Bericht Ottos von Freising

102

Literatur

Vorwort

Die vorliegende Arbeit verfolgt die Absicht, einen Kommentar zu einer der berühmtesten Urkunden des Hochmittelalters zu liefern, der geeignet ist, als Grundlage f ü r seminaristische Übungen auf dem Gebiet der mittelalterlichen Geschichte sowie der deutschen und österreichischen Rechts- und Verfassungsgeschichte zu dienen. Daher wurde auf der einen Seite Vollständigkeit in der Erörterung der einschlägigen Probleme erstrebt; andererseits war es notwendig, gewisse Grundbegriffe und Methoden zu erläutern, um den Bedürfnissen der Studierenden entgegenzukommen. Es wurde jedoch nicht darauf verzichtet, die Untersuchung über den bisherigen Stand der Forschung hinaus selbständig weiterzuführen, sdiwierige Fragen neu zu durchdenken und größere Zusammenhänge weiter zu verfolgen, als dies bisher in der Literatur der Fall war. Das gilt von der formal-diplomatischen Wertung der Urkunde ebenso wie von der rechtsund verfassungsgeschichtlichen Interpretation des Textes und von der philologischen Beurteilung der vielumstrittenen libertas affectandi, die in der Diskussion über die Möglichkeit einer Interpolation des Privilegium minus eine zentrale Rolle gespielt hat. Audi das Verhältnis der österreichischen Hausprivilegien zu der echten Urkunde Kaiser Friedrichs I. aus dem Jahre 1156 wurde in die Betrachtung mit einbezogen. Die eigentliche Rechtfertigung, ein seit der Mitte des vorigen Jahrhunderts so oft von führenden Fachleuten behandeltes Thema noch einmal systematisch zu untersuchen, glaubte der Autor daraus ableiten zu dürfen, daß er von der Zentraldirektion der Monumenta Germaniae Historica mit der kritischen Ausgabe der Diplome Kaiser Friedrichs I. beauftragt ist. Das letzte Ziel der Beschäftigung mit den hochmittelalterlichen Kaiserurkunden ist ja ein vertieftes Verständnis der Rechts- und Verfassungs-, Sozial- und Wirtschaftsgeschichte einer f ü r die Entwicklung der europäischen Völker und Staaten hochbedeutsamen Epoche.

Vorwort

8

Für Rat und Hilfe habe ich meinen Assistenten Dr. Winfried Stelzer und Dr. Kurt Zeillinger sowie meinem Mitarbeiter Dr. Walter Koch herzlich zu danken. Weiterführende Aussprachen und Anregungen verdanke ich ferner Herrn Dozenten Dr. Othmar Hageneder und seiner Gattin, Frau Dr. Hertha Hageneder-Eberstaller. Wien, im September 1972 Heinrich

Appelt

Rechtsinhalt Problemstellung

Wenige Urkunden unserer mittelalterlichen Geschichte erwecken immer wieder in so starkem Maß das Interesse der Historiker und besonders der Reditshistoriker wie das Diplom Kaiser Friedrichs I. für den ersten österreichischen Herzog Heinrich Jasomirgott vom 17. September 1156, das wir zum Unterschied von der im Auftrag Herzog Rudolfs IV. im 14. Jahrhundert hergestellten Fälschung gleichen Datums als das österreichische Privilegium minus bezeichnen. In der Tat hat kein anderes Fürstentum innerhalb des damaligen deutschen Reichsverbandes vom Kaiser weitergehende Vorrechte erhalten: die Erblichkeit des Lehens auch in weiblicher Deszendenz, das Recht des fürstlichen Paares, im Falle kinderlosen Todes einen Nachfolger zu bestimmen, die Bindung der Ausübung der Gerichtsgewalt innerhalb des Sprengeis des Herzogtums an die herzogliche Zustimmung, die Beschränkung der Vasallenpflichten auf den Besuch der Hoftage in Bayern und auf die Heeresfolge gegen die Österreich benachbarten Königreiche und Länder — das waren in den Augen der Fürsten jener Zeit ganz außergewöhnliche Privilegien, wie sie selbst dem König von Böhmen in vergleichbarem Ausmaß erst etwas später verbrieft worden sind. So erhebt sich ein ganzer Komplex verfassungsgesdiichtlidier Fragen. Inwieweit läßt sich die besondere staatliche Entwicklung, die Österreich seit der Epoche der Babenberger genommen hat, auf die Satzungen dieser Urkunde zurückführen? Wurde hier ein entscheidender Schritt zur Ausbildung der landesherrlichen Gewalt, zur Aufgliederung des Reiches in Territorien, getan? Hat das Kaisertum selbst in einer Zeit, da es wieder mächtig emporstrebte und die Fülle seiner Autorität geltend zu machen trachtete, hier vielleicht originelle Wege beschritten, die dem staatlichen Leben der Glieder des Reiches neuen Inhalt verleihen sollten? Oder hat es nur aus der Situation des Augenblicks heraus besondere Zugeständnisse gemacht, um die Lösung der bayrischen Frage zu ermöglichen und die militärische Kraft Deutschlands südlich der Alpen stärker entfalten zu können?

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Reditsinhalt. Problemstellung

Wir stehen in einer Zeit, in der die Struktur der abendländischen Staatenwelt weitgehend auf den Prinzipien des Lehenswesens ruhte. Die Zeremonien, die im September 1156 auf dem Hoftag zu Regensburg vollzogen wurden, lassen erkennen, wie durch die Symbolik der Belehnungsakte die Umwandlung der bisherigen Mark in ein Herzogtum und ihre Trennung von Bayern rechtskräftig durchgeführt wurden. Das Privilegium minus hat daher für die weitere Ausgestaltung des Reichslehenrechtes eine nicht zu unterschätzende Bedeutung. In ihm spiegeln sich Anschauungen wider, die noch unter der Regierung Friedrich Barbarossas zur Ausbildung des jüngeren Reichsfürstenstandes geführt haben. Zu den auffälligen Besonderheiten, die gerade in neuester Zeit lebhaft erörtert wurden, zählt audi die Tatsache der Mitbelehnung der Gattin des Babenbergers, der byzantinischen Prinzessin Theodora. Hier erhebt sich die Frage, ob byzantinische Rechtsanschauungen von Einfluß gewesen sind. Viel zuwenig beachtet wurde aber in diesem Zusammenhang bisher ein anderes Problem. Wenn es aus einer besonderen Situation heraus zu Vereinbarungen über ein Lehensverhältnis kommt, die über die allgemein üblichen Prinzipien des Lehenrechtes hinausgehen, dann sind vom rechtsgeschichtlichen Standpunkt aus privatreditliche Einwirkungen möglich. Die Sicherstellung vermögensrechtlicher Ansprüche der Frau und der Töchter des Belehnten spielt eine Rolle; der dynastische Gedanke, das Hausrecht, Heirats- und Erbverträge greifen gewissermaßen in die Sphäre des Lehenrechtes über. In welchem Ausmaß dies im Einzelfall möglich ist, das hängt von den jeweiligen Machtverhältnissen ab. Gerade der deutsche Hochadel hat im Laufe der vielfältigen Krisen, von denen das Reich erschüttert wurde, seine Ziele in dieser Hinsicht immer wieder durchzusetzen vermocht, und das Privilegium minus verdient als ein sehr frühes und bedeutendes Beispiel dafür unsere besondere Beachtung. Damit ist aber auch angedeutet, daß unsere Analyse einerseits von der diplomatischen Kritik, andererseits von der politischen Situation, also von der Darstellung des Ringens um die bayrische Frage, auszugehen hat. Daran schließt sich die systematische Interpretation des verfassungsrechtlichen Inhalts der Urkunde.

Der Weg der Forschung

Erst seitdem es gelungen war, das Echte vom Falschen, das Minus vom Maius zu unterscheiden, war es der wissenschaftlichen Forsdiung möglich, die historische Bedeutung des Privilegs Friedrichs I. für den Herzog von Österreich ins rechte Licht zu rücken. Vorher waren die Vorrechte, die das Herzogtum Österreich anläßlich der Beilegung der bayrischen Streitfrage erwirken konnte, gleichsam verdunkelt durch die bunte, reichhaltige Fülle der Bestimmungen der Fiktionen Rudolfs IV. In formal-diplomatischer Hinsicht war der Fälscher so geschickt zu Werke gegangen, daß man jahrhundertelang an die Authentizität seiner Machwerke glaubte. Noch der Leiter der Monumenta Germaniae Historica, Georg Heinrich PERTZ, der im Jahre 1821 das angebliche Original der Urkunde Friedrichs I. in Wien hatte einsehen können, druckte 1837 den Text des Maius nach einer ihm von CHMEL zur Verfügung gestellten Absdirift ohne Beanstandung ab (Mon. Germ. Hist. Leges 2, S. 99 unter dem Titel: Constitutio ducatus Austriae). Inhaltlich hingegen stellte die in der Fälschung auf den Namen Heinrichs IV. enthaltene Behauptung, schon Julius Caesar und Nero hätten den Vorgängern der österreichischen Herzoge besondere Privilegien verliehen, einen so gröblichen Verstoß gegen alle historische Wahrheit dar, daß bereits Petrarca das Unhaltbare einer solchen Fiktion erkannte, als ihn Karl IV. um ein Gutachten über die Urkunden bat. Darüber hinaus war der italienische Frühhumanist freilich nicht imstande, den Reditsinhalt der Fälschungsgruppe zu beurteilen. Audi dem besten Kenner des deutschen Reichsredites unter seinen Zeitgenossen hätten dazu die Voraussetzungen gefehlt. Immerhin hat Kaiser Karl IV. mit dem ihm eigenen nüchternen Sinn zu vielen Punkten des Privilegium maius kritisch Stellung bezogen und näher dargelegt, warum er solche Forderungen als überhöht empfand 1 . Er verweigerte 1

Die Äußerungen des Kaisers, die Punkt für Punkt zum Inhalt der österreichischen Freiheitsbriefe Stellung nehmen, sind nadi einem abschriftlich erhaltenen Protokoll von S. Steinherz, M I Ö G 9 (1888), S. 75 ff. veröffentlicht. Besonders

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Der Weg der Forschung

die Anerkennung der Falsa, und Rudolf IV. sah sich genötigt, den Titel eines Pfalzerzherzogs, den er bereits offiziell angenommen hatte, wieder abzulegen. Das Haus Österreich aber hat die Sadie mit der ihm eigenen, durch nichts zu entmutigenden Beharrlichkeit weiter verfolgt. Ihre staatsrechtliche Sanktion erlebten die gefälschten Privilegien, als sie Friedrich III. im Jahre 1442 und dann wieder 1453 bestätigte, ein Akt, der dann später von den habsburgisdien Kaisern mehrmals wiederholt wurde. Karl V. untersagte übrigens jegliche Erörterung der Urkunden vor Gericht. Der gelehrte Zweifel an der Editheit, der sich gelegentlich audi den Gegnern des Hauses Österreich als willkommene politische Waffe darbot, ist begreiflicherweise nie völlig verstummt. Nur wenige hervorragend unterrichtete Historiker wußten allerdings, daß es neben dem allgemein verbreiteten Maius noch den viel knapperen Text des Minus gab. Manche hielten den letzteren für eine kurzgefaßte Beurkundung der politischen Abmachungen des Jahres 1156, die sozusagen neben der umfassenden Privilegierung zu Protokoll gegeben worden wäre. Als in den Tagen des Vormärz das wissenschaftliche Interesse an den verfassungsrechtlichen Verhältnissen des alten römisch-deutschen Kaiserreiches und seiner Glieder einen lebhaften Aufschwung nahm, drängte sich einer wachsenden Zahl maßgebender Forscher die Erkenntnis auf, daß der Wortlaut des Maius mit den Zuständen des 12. Jahrhunderts nicht in Einklang zu bringen sei. Bereits im Jahre 1831 erwies der bayrische Gelehrte Josef MORIZ in einer für jene Epoche sehr verdienstvollen Studie die Unechtheit der Urkunde, doch fällte er in der Frage der Entstehungszeit ein Fehlurteil. Im gleichen Jahre hatte Johann Friedrich BÖHMER in seinen Regesta Imperii noch keine Beanstandung vorgebracht; als er jedoch 1849 seine Regesten für die Zeit von 1198 bis 1254 erscheinen ließ, verwarf er das Maius als eine Fälsdiung aus der Zeit Herzog Rudolfs IV. In ähnlichem Sinne urteilte der Verfassungshistoriker Georg WAITZ. In sehr vorsichtig zurückhaltender Form hat dieser Meinung auch der Historiker des österreichischen Kaiserhauses Fürst LICHNOWSKY im Jahre 1839 Ausdruck verliehen (Geschidite des Hauses Österreich Bd. 4, S. 15 f.). Josef CHMEL hatte die Unechtheit des Maius ebenfalls erkannt, doch war er auf den nicht sehr glücklichen Gedanken verfallen, dessen Entstehung unter König Ottokar II. von Böhmen anzunehmen. Den Schlußstridi unter diese Entwicklung zog eine methodisch mustergültige Untersuchung von Wilhelm WATTENBACH, die im Jahre 1852 im charakteristisch ist es, d a ß Karl IV. zu dem Satz des Maius, der alle weltliche Gerichtsbarkeit in Osterreich für vom Herzog lehenrührig erklärt, bemerkt, dies gelte nur vorbehaltlich der Redite des Reiches und aller derjenigen, die in den Herzogtümern vom Reidi belehnt seien, sowie einiger anderer (salvis iuribus sacri imperii et omnium illorum, qui in eorum ducatibus ab imperio infeodati sunt et quorumlibet aliorum; a. a. O.).

Der Weg der Forschung

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„Archiv für Kunde österreichischer Geschiditsquellen" Bd. 8, S. 77 flf. veröffentlicht wurde. Von der Kritik der äußeren Merkmale und von der Überlieferung des Textes ausgehend, erwies WATTENBACH die £chtheit des Minus, zeigte den Widerspruch der unechten Texte zu den geschichtlichen Tatsachen auf und vermochte mit unwiderleglichen Gründen darzutun, daß die Fälschungsaktion auf Rudolf IV. zurückzuführen ist. Eine Fülle zusätzlicher Argumente erbrachte wenige Jahre später Alfons HUBER, dem die endgültige zeitliche Festlegung der Entstehung der österreichischen Freiheitsbriefe auf die Jahre 1358/59 gelang (Sitzungsberichte der Akademie der Wissenschaften 34, 1860, S. 17 ff.). Nicht lange nach dem Erscheinen der Abhandlung WATTENBACHS meinte Ottokar LORENZ in der Kritik noch einen Schritt weiter gehen zu müssen, indem er den Nachweis zu führen versuchte, auch das Minus sei eine Fälschung; es sei in den Tagen des Streites um das Erbe der Babenberger im Interregnum unterschoben worden (Ottokar LORENZ, Die Erwerbung Österreichs durch Ottokar von Böhmen, Zeitschrift für die österreidiischen Gymnasien 8, 1857, S. 116 ff.). Diese auf inhaltlich-historischen Erwägungen aufgebaute These hat Julius von FICKER in einer scharfsinnigen rechtsgeschichtlichen Analyse (Sitzungsberichte der Akademie der Wissenschaften 23, 1857, S. 489 ff.) Punkt für Punkt ein für allemal widerlegt. Seine klassischen Darlegungen schufen die Grundlage für alle weiteren verfassungsgeschichtlichen Untersuchungen des Gegenstandes. Ihm gebührt insbesondere das Verdienst, die Bestimmungen über die Ausübung von Gerichtsbarkeitsrechten im Herzogtum durch einen Vergleich mit den herzoglichen Rechten, die Barbarossa dem Bischof von Würzburg im Jahre 1168 bestätigte, als zeitgemäß erkannt zu haben. Dieser Hinweis hat die verfassungsgeschichtliche Forschung ganzer Generationen beeinflußt. Hingegen haben die Ergebnisse, zu denen ein anderer großer Rechtshistoriker jener Zeit, Heinrich BRUNNER, in seiner Jugendarbeit über „Das gerichtliche Exemtionsrecht der Babenberger" (Sitzungsberichte der Akademie der Wissenschaften 47, 1864, S. 315 ff.) gelangt ist, durch neuere Forschungen eine erhebliche Modiiikation erfahren; wir werden darauf bei Erörterung des Gerichtsbarkeitspassus zurückkommen (siehe unten S. 65 ff.). Im Jahre 1902 erschien die Monographie von Wilhelm ERBEN über das Privilegium minus, die eine jahrzehntelange Diskussion einleiten sollte. Im Gegensatz zu Böhmer, Wattenbach, Huber, Ficker und anderen meinte der aus der Schule Theodor von SICKELS hervorgegangene Diplomatiker mit den Methoden der modernen Urkundenlehre den Nachweis erbringen zu können, daß das Privilegium minus unter dem letzten Babenberger interpoliert worden sei. Für eingeschoben erklärte er das Vorrecht des Herzogspaares, im Falle kinderlosen Todes den Nachfolger zu bestimmen (libertas affectandi), sowie die Beschränkung der Pflicht zur Hoffahrt und zur Heeresfolge. Es handelt sich um ein wissenschaftsgeschichtlith nicht uninteressantes Phänomen. Etwa um die Jahrhundertwende beobachten wir vielfach eine

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Der Weg der Forschung

Tendenz, die klassischen Methoden, die die vorangegangene Generation ausgefeilt hatte, bei aller berechtigten fortschreitenden Verfeinerung zu überspitzen, was vielfach zu Fehlurteilen führen mußte. Ein übersteigertes Spezialistentum, das die großartigsten Leistungen hervorzubringen imstande war, geriet in Gefahr, den größeren historischen Zusammenhang aus dem Auge zu verlieren und aus an und für sich zutreffenden Einzelbeobachtungen unzulässige Folgerungen abzuleiten. Das gilt auch von der Monographie E R B E N S über das Minus. Sie stellt für den Diplomatiker die unentbehrliche Grundlage aller weiteren Untersuchungen über die Geschichte der Reichskanzlei und über die Verfasserschaft der Kaiserurkunden in der Frühzeit der Regierung Barbarossas dar. Ihr historisches Ergebnis kann aber trotzdem nicht akzeptiert werden. Obwohl E R B E N S These weit mehr Gegner als Anhänger fand, schuf sie doch eine weitreichende Unsicherheit, die dann nur zu bald infolge der tragischen Entwicklung der politischen Geschichte der folgenden Jahrzehnte zunahm und an Bedeutung gewann. Nach der von S I C K E L ausgebildeten Methode, die E R B E N mit besonderer Meisterschaft zu üben verstand, untersuchte er eine große Anzahl von Diplomen Friedrichs I. nach ihrem Formular und arbeitete den damals in der Reichskanzlei üblichen Stil heraus. Er erkannte als erster, daß die kaiserlichen Notare dieser Periode ein Hilfsmittel heranzogen, nämlich eine Sammlung von Mustern für die Abfassung von Urkunden, die der Bamberger Kleriker Udalrich hauptsächlich aus Bamberger Archivalien zusammengestellt und im Jahre 1125 dem Bischof Gebhard von Würzburg gewidmet hatte. In der Auswertung dieser vollkommen einwandfreien Erkenntnis ging E R B E N freilich einen Schritt zu weit, indem er annahm, alle das Formulargut des Codex Udalrici verwertenden Diplome Friedrichs I. seien von einem und demselben Kanzleiangehörigen verfaßt worden, den er als „Diktator des Privilegium minus" in die wissenschaftliche Literatur einführte. Die heutige Forschung führt die Benützung des Codex Udalrici beziehungsweise eines ihm nahestehenden Formularbehelfes in der Reichskanzlei jener Jahre nicht auf eine Einzelpersönlichkeit, sondern auf mehrere Notare der Würzburger Schule zurück. Der Begriff „Diktator des Privilegium minus" ist also fallengelassen. Die stilkritische Methode weiter verfolgend stellte E R B E N sodann im Privilegium minus Abweichungen von der seiner Meinung nach in der Kanzlei ausschließlich herrschenden subjektiven Fassung fest, die den Kaiser in der ersten Person des Pluralis maiestaticus und nicht in der dritten Person des Singulars auftreten läßt. In der Tat ist in den beiden Sätzen, die dem Herzog von Österreich wesentliche Erleichterungen hinsichtlich der Pflicht zur Hoffahrt und zur Heeresfolge einräumen, von den Hoftagen die Rede, quas imperator in Bawaria prefixerit, und von einem Feldzug, quam forte imperator in regna vel provincias Austrie vicinas ο rdinaverit. Nach dem herrschenden Sprachgebrauch der Kanzlei müßte man statt dessen erwarten: quas ... prefixerimus beziehungsweise quam ...

Der Weg der Forschung

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ordinaverimus. Allein schon SICKEL hatte gelehrt, daß die objektive Fassung vielfach in Gesetzen und Verträgen Anwendung iinde, vor allem, wenn die Texte nicht in der Kanzlei entstanden sind oder wenn aus irgendwelchen Gründen eine derartige Abweichung sachlich geboten erschien. ERBEN unterstrich sogar diese Feststellung, und ihm gebührt das Verdienst, erstmalig eingehende vergleichende Untersuchungen über derartige Abweichungen von dem generell gehandhabten Prinzip in den Urkunden Friedrichs I. angestellt zu haben. Er selbst hat eine Reihe interessanter Beispiele dafür zusammengetragen, die sich heute aufgrund der vollständigen Sammlung des Materials der Wiener Diplomataabteilung nodi erheblich vermehren lassen. Nun ist das Privilegium minus gewiß keine Vertragsurkunde, sondern eine Verbriefung besonderer Vorrechte, der allerdings ein politisches Abkommen (cortcordia) zugrunde liegt. Es ist daher nicht zulässig, die in objektiver Fassung gehaltenen Sätze für eingeschoben zu erklären. ERBEN hat seine These durch verfassungsgeschichtliche Argumente zu untermauern versucht, die jedoch nicht zu überzeugen vermögen. Wir werden darauf anläßlich der Besprechung der einzelnen rechtlichen Bestimmungen des Privilegs zurückkommen. Während ERBEN dem Problem der objektiven Fassung und der Einschränkung der Teilnahme an den Hoftagen und an der Reichsheerfahrt den Hauptteil seiner Untersuchung (S. 3 6 — 1 0 1 ) widmete, erklärte er in knapp gehaltenen Bemerkungen (S. 130) die libertas affectandi mit dem Hinweis auf gewisse Bedenken, die FICKER wegen des außergewöhnlichen Charakters dieser Bestimmung geäußert hatte, ebenfalls für interpoliert. Eine Begründung mit den Mitteln der Stilkritik oder der Diktatuntersuchung bot er dafür nicht, und auf die rein philologische Seite des Problems kam er nicht zu spredien. Die überwiegende Mehrzahl der maßgebenden Fachleute, unter ihnen so hervorragende Quellenkritiker und Diplomatiker wie Harry BRESSLAU, Michael TANGL, Karl UHLIRZ und Karl BRANDI, ferner der Autor des ersten Bandes der Jahrbücher Friedrichs I . Henry SIMONSFELD und der Verfasser der „Deutschen Kaisergeschichte im Zeitalter der Salier und Staufer" Karl HAMPE lehnten ERBENS Interpolationstheorie mit einer Fülle durchschlagender Argumente ab. Schließlich ließ ERBEN selbst im Jahre 1 9 2 7 in einer gelegentlich vorgebrachten Äußerung (Historische Zeitsdirifl 136, S. 379 f.) durchblicken, daß er aufgrund weiterer Diktatuntersuchungen und unter dem Eindruck gewisser, von seinen Kritikern vorgebrachter Gedanken in seiner Meinung schwankend geworden sei. Ein seltener und in höchstem Grade anerkennenswerter Fall, daß ein so bedeutender Forscher sich bereit findet, eine seiner Theorien selbst zu revidieren! Im Jahre 1929 wurde jedoch seine These in sehr gewandter, scharfsinniger und zugleich vorsichtiger Beweisführung von Harold STEINACKER wiederaufgenommen (H. STEINACKER, Zum Privileg Friedrichs I. für das Herzogtum Österreich, MÖIG Erg.Bd. 11, 1929, S. 205 ff.). Er brachte

Der Weg der Forschung

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zusätzliche Argumente vor allem für die Interpolation der Bestimmungen über die H o f f a h r t und Heerfolge vor und fand dabei zunächst weitgehende Zustimmung bei Robert HOLTZMANN, Oswald REDLICH und Heinz ZATSCHEK. D a n n setzte sich jedoch einer der besten damals lebenden Kenner der Quellen der Stauferzeit, Ferdinand GÜTERBOCK, in einer eigenen Abhandlung (Historische Zeitschrift 147, 1933, S. 507 ff.) eingehend mit seinen Darlegungen auseinander und widerlegte sie in völlig überzeugender Weise. Trotzdem blieb eine gewisse Unsicherheit bestehen, die nodi dadurch verstärkt wurde, daß der Grazer Rechtshistoriker O t t o Freiherr von DUNGERN in einer ungemein temperamentvollen und geistreichen, aber vom methodischen Standpunkt aus wenig befriedigenden Monographie (Wie Baiern das Österreich verlor. Geschichte einer staatsrechtlichen Fälschung,

Graz

1930) noch weit über ERBEN und STEINACKER hinausgehend zwar nicht die libertas

affectandi,

aber dafür außer der Beschränkung der Heeres- und

Hoffahrtspflicht sogar den vielerörterten Satz über die Gerichtsbarkeit im Herzogtum für eine Interpolation aus der Zeit des letzten Babenbergers erklärte. DUNGERN glaubte von einem „Privilegium minimum" sprechen zu dürfen, das Barbarossa dem Herzog von Österreich gewährt habe. Seine kühnen Thesen vermögen jedoch der wissenschaftlichen Kritik nicht standzuhalten und erfuhren so gut wie allgemeine Ablehnung. Inzwischen war die Frage nach der Bedeutung des Privilegium minus für die staatliche Entwicklungösterreichs unter den Babenbergern von landesgeschichtlicher Seite her neu aufgerollt worden. Epochemachend wirkte in dieser H i n sicht die Schrift von O t t o H . STOWASSER „Das Land und der Herzog. Untersuchungen zur bayrisch-österreichischen Verfassungsgeschichte'' (Berlin 1925). Ihm gelang der Nachweis, daß auch auf dem Boden der M a r k der Babenberger ähnlich wie im altbayrischen Land harte Widerstände gegen die Ausbildung der Landeshoheit überwunden werden mußten. Die ältere, vornehmlich von Heinrich BRUNNER begründete Lehre von der frühzeitigen, aus der überragenden Rechts- und Machtstellung des Markgrafen zu erklärenden Durchsetzung landesfürstlicher Gewalt schien damit überwunden zu sein. Eine Fülle landesgesdiichtlicher Beobachtungen von K a r l LECHNER, aber auch von Ernst KLEBEL und anderen, zeigte in der T a t , wie vielfältig und kompliziert der Werdegang staatlichen Lebens auch innerhalb der Grenzen des heutigen Niederösterreich in den Tagen der Babenberger war, denen die Landeshoheit

keineswegs

einfach

als

Konsequenz

ihrer

markgräflichen

Funktion in den Schoß fiel. Das vom Reich übertragene Amt gewann nur dann wirklich Leben und Inhalt, wenn sich sein Inhaber im Lande selbst die erforderliche Position zu erkämpfen vermochte. Diese Erkenntnis wurde dann besonders von Theodor MAYER und von Angehörigen des von ihm begründeten Konstanzer Arbeitskreises für mittelalterliche Geschichte vertieft und verallgemeinert, ja geradezu zu einem der Ausgangspunkte einer modernen, revidierten Auffassung von der Verfassungsentwicklung Deutschlands und Österreichs im Hochmittelalter erklärt.

Der Weg der Forschung

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Eines der Anliegen der vorliegenden Monographie besteht darin, diese Anschauung mit der älteren Lehre der klassisdien deutschen Rechtsgeschichte des ausgehenden 19. Jahrhunderts ausgleichend zu versöhnen und zu zeigen, daß gerade der Gerichtsbarkeitspassus des Privilegium minus mit der Tendenz der Babenberger zusammenhängt, die rechtlich nicht von ihnen abhängigen Träger von Gerichtsbarkeitsrediten im Amtssprengel ihres Herzogtums ihrer politischen Kontrolle zu unterwerfen und damit den Weg zum Ausbau einer territorialen Gerichtshoheit zu beschreiten, auf die sie zuerst als Markgrafen, dann als Herzoge Ansprudi erhoben. Zu den eindrucksvollsten Leistungen der Generation deutscher Mittelalterhistoriker, die dem Zweiten Weltkrieg zum Opfer fiel, zählt das Werk von Konrad Josef HEILIG, Ostrom und das Deutsche Reich um die Mitte des 12. Jahrhundert (1944). Er hat nicht nur die Interpolationstheorie, die heute von keinem mehr vertreten wird, nochmals mit gründlichen Argumenten widerlegt, sondern eine Fülle selbständiger Beobachtungen zusammengetragen, denen allerdings auf formal-diplomatischem Gebiet noch nicht abschließender Charakter zukommt. In dem Punkt, der für ihn im Zentrum der Untersuchung stand, hat er freilich nicht richtig gesehen. Er hat den byzantinischen Einfluß auf die Lösung des Konfliktes um Bayern sowohl in politischer als auch in lehenrechtlich-verfassungsgeschichtlicher Hinsicht gewaltig überschätzt. Er führt nämlich die Doppelbelehnung, die libertas affectandi, ja sogar die Gewährung weiblicher Erbfolge auf die Einwirkung byzantinischer Rechtsanschauungen zurück. Die Rücksidit auf Ostrom und auf Theodora soll den Kaiser dazu bewogen haben, so weitreichende Konzessionen zu machen und neuartige Elemente in die Verfassung des Reiches sowie des Herzogtums Österreich einzuführen. Der ausgezeichnete Philologe und Byzantinist H E I L I G hat dabei zu wenig bedacht, daß sich die einzigartigen Zugeständnisse, die dem Babenberger eingeräumt wurden, aus einer politischen Konstellation erklären lassen, in der Byzanz eine nebensächliche Rolle spielt. In Wirklichkeit überschneiden sich im Privilegium minus weitverbreitete Tendenzen des hochmittelalterlichen Lehenrechtes mit den dynastischen und hausrechtlichen Interessen eines Fürstenhauses. Immer klarer hat sich in der Diskussion, die das Buch von H E I L I G auslöste, eines gezeigt: seine These läßt sich auf die Tatsache reduzieren, daß die vermögensrechtlichen Ansprüche der Byzantinerin Theodora im Jahre 1156 in besonderer Weise sichergestellt wurden. Letzten Endes geht HEILIGS Deutung der libertas affectandi auf eine flüchtig skizzierte, genial hingeworfene Bemerkung des Rechtshistorikers Otto von D U N G E R N zurück, der in seinem Werk „Wie Baiern das Österreich verlor" (S. 56 ff.) auf gewisse byzantinische Anschauungen über die Stellung und das Erbrecht der Frau aufmerksam gemacht hatte, von denen er annahm, Barbarossa hätte sie während seiner Teilnahme am zweiten Kreuzzug persönlich kennengelernt. Es handelt sich nach D U N G E R N um „die besondere Art des Weiberlehens..., die es damals nur im byzantinischen

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Der Weg der Forschung

Reich gab". Es würde zu weit führen, im einzelnen darzulegen, daß hier keine konkrete rechtshistorische Parallele vorliegt und daß ein byzantinisches Lehenrecht erst in den Krisenzeiten des Oströmischen Reiches ausgebildet wurde, als der abendländische Einfluß übermächtig geworden war. Vor nicht langer Zeit wurde schließlich noch einmal eine Interpolationshypothese aufgestellt. Mathilde UHLIRZ sprach die Vermutung aus, der Satz über die libertas affectandi sei eine Fälschung aus der Zeit Herzog Rudolfs IV., was freilich schon deswegen von vornherein auszuschließen ist, weil er sich in sämtlichen aus dem 13. Jahrhundert stammenden Handschriften des Minustextes findet; vgl. Mathilde UHLIRZ, Bemerkungen zu dem „Privilegium minus", Südost-Forschungen 20, 1961, S. 23 ff., dazu APPELT, Archival. Zeitschrift 61, 1965, S. 222. Mathilde UHLIRZ meint, der Kaiser habe dem Herzogspaar nur die Testierfreiheit für die allodialen Besitzungen und Rechte gewährt. Allein das Verfügungsrecht über freies Eigen stand jedermann zu. Dazu bedurfte man keines kaiserlichen Privilegs. Letzten Endes liegt auch dieser Hypothese die Vorstellung zugrunde, das Reichsoberhaupt könne niemandem eine so weitreichende Vergünstigung eingeräumt haben. Wer so urteilt, übersieht drei Gesichtspunkte: Die Gewährung der libertas affectandi lag im Ermessen des kaiserlichen Lehensherrn, sie findet in der politisdien und dynastischen Situation eine hinreichende Begründung, und sie ist vom Standpunkt der Diplomatik einwandfrei formuliert. Die in entscheidenden Punkten weiterführende Monographie von Heinrich FICHTENAU, Von der Mark zum Herzogtum. Grundlagen und Sinn des „Privilegium minus" für Österreich (Wien 1958; 2. Aufl. 1965) ist aus der Bearbeitung des Urkundenbuches zur Geschichte der Babenberger erwachsen. FICHTENAU hat sich in diesem Zusammenhang auch in einer eigenen Abhandlung mit den Problemen der Uberlieferung der Urkunde beschäftigt (MIÖG 73, 1965, S. 1 if.). Die Fragen der diplomatischen Kritik wurden in der Vorbemerkung zur Monumenta-Ausgabe im 1. Teilband der Diplome Friedrichs I. systematisch erörtert. Dafür hat Kurt ZEILLINGER in seinen kanzleigeschichtlichen Untersuchungen (Deutsches Archiv 22, 1966, S. 513 ff.) gründliche Vorarbeit geleistet.

Die bisherigen Ausgaben

Schon wegen des Zusammenhanges mit den unechten österreichischen Freiheitsbriefen, von denen man es, wie gesagt, in älterer Zeit nicht klar zu scheiden vermochte, ist das Privilegium minus seit dem 16. Jahrhundert sehr oft gedruckt worden. An der Spitze steht die von dem bayrischen Humanisten AVENTIN (Johannes Turmair) im Jahre 1522 in seiner „Bayrischen Chronik" publizierte deutsche Übersetzung. Die erste den Anforderungen moderner wissenschaftlicher Kritik entsprechende Ausgabe, die audi heutzutage nur in ganz nebensächlichen Einzelheiten zu berichtigen ist, veröffentlichte Wilhelm WATTENBACH im „Archiv für Kunde österreichischer Geschichtsquellen" 8 (1852), S. 110 nach den von ihm systematisch zusammengestellten und gesichteten Überlieferungen, jedoch ohne Berücksichtigung der für das Verständnis des Wortlautes belanglosen Lesarten der Handschriften. Den Charakter der textlichen Veränderungen, die der Wiener Gelehrte Thomas EBENDORFER im 15. Jahrhundert vornahm, hat WATTENBACH richtig beurteilt und in den Fußnoten erläutert. Die Ausgabe von WEILAND, Mon. Germ. Hist. Const. 1 (1893), S. 220, Nr. 159 ist um einen kritischen Variantenapparat bereichert, der auf Unterlagen beruht, die Paul KEHR dem Editor zur Verfügung stellte. Eine weitere Vervollkommnung der textkritischen Methode brachte dann die Edition, die Wilhelm ERBEN in seiner Monographie über das Privilegium Friedrichs I. für das Herzogtum Österreich (1902), S. 135 ff. veröffentlichte. In der neuesten Ausgabe von Heinrich FICHTENAU (Urkundenbudi zur Geschichte der Babenberger 4/1, 1968, S. 147, Nr. 803) wurden alle Möglichkeiten einer Verfeinerung des Variantenapparates ausgeschöpft. Zuletzt ist das Privilegium minus in der kritischen Edition der Diplome Kaiser Friedrichs I. im Rahmen der Monumenta Germaniae Historica unter Nr. 151 neu veröffentlicht worden, wobei die besonderen Grundsätze dieses klassischen Quellenwerkes anzuwenden waren und vor allem die kanzleigeschichtlichen Fragen nochmals erörtert werden mußten.

Diplomatische

Kritik

Die Überlieferung Das Original des Diploms Kaiser Friedrichs I. für Herzog Heinrich I I . von Österreich ist nicht auf uns gekommen. Erhalten hat sich nur die Goldbulle, die unter R u d o l f I V . von dem echten Exemplar abgenommen und mißbräuchlich

an

der

damals

hergestellten

Fälschung

(Privilegium

maius)

befestigt wurde, an der sie heute noch hängt 2 . V o m echten T e x t des Minus besitzen wir nur eine einzige vollständige Abschrift aus der Mitte des 13. Jahrhunderts 3 .

Sie

findet

sich in

Sammelhandschrift der Bibliothek des Stiftes Klosterneuburg fol. 146 T , Faksimile bei HEILIG, letzte Tafel),

das als

(Cod.

einer 929

Familienstiftung

wichtige Rechtstitel und Schriftstücke der Babenberger verwahrte und ihnen als eine A r t Hausarchiv diente. Möglicherweise wurde diese Kopie in der Umgebung der Babenbergerin Gertrud, der Nichte Herzog Friedrichs des Streitbaren, angefertigt, als diese um das Erbe ihres Hauses kämpfte. Sie verfügte allerdings später, nachdem sie sich auf die ihr

zugewiesenen

Besitzungen in der Steiermark zurückgezogen hatte, über einen besseren T e x t , als ihn der Klosterneuburger K o d e x bietet, denn in einer von ihr ausgestellten Urkunde vom J a h r e 1255, die das Minus als Vorlage benützt, ist der Wortlaut korrekter wiedergegeben als in der Klosterneuburger H a n d schrift 4 . Die formalen Mängel, welche die älteste und einzig vollständige Uberlieferung des Minus aufweist, sind inhaltlich und sachlich bedeutungslos. 1 Zu den Grundbegriffen der Urkundenlehre und zu den Methoden der Kaiserdiplomatik vgl. Oswald Redlich, Allgemeine Einleitung zur Urkundenlehre, sowie Wilhelm Erben, Die Kaiser- und Königsurkunden des Mittelalters in Deutschland, Frankreich und Italien, beide in: Urkundenlehre von W. Erben, L. Schmitz-Kallenberg und O. Redlich 1, 1907 (Neudrude 1967). » Vgl. zum Folgenden Fichtenau, MIÖG 73 (1965), S. 1 ff. * In der Arenga der Urkunde von 1255 (BUB 2, S. 323 Nr. 457) heißt es: ea, que legaliter geruntur, nulla valeant refragacione convelli, während die entsprechende Stelle im Klosterneuburger Kodex lautet: ea, que geruntur usw. Der Ver-

Die Uberlieferung

21

Als in den Tagen des ersten Konzils von Lyon der Konflikt zwischen Sacerdotium und Imperium eine äußerst dramatische Zuspitzung erfuhr, pflegte der überall Bundesgenossen suchende Kaiser Friedrich II. ein enges Einvernehmen mit Friedrich dem Streitbaren. Er faßte den Plan, die Babenbergerin Gertrud zur Gemahlin zu nehmen und Österreich zu einem Königreich zu erheben, um auf diesem Wege die kaiserliche Machtposition im Südosten des Reiches auszubauen. Schon war die Urkunde über die Errichtung des neuen Königreiches Österreich (Mon. Germ. Hist. Const. 2, S. 358, Nr. 261) entworfen 5 , da scheiterte das Projekt vermutlich an der Weigerung der streng kirchlich gesinnten Babenbergerin, dem Staufer die Hand zur Ehe zu reichen. Es bedeutete eine gewisse Entschädigung für Friedrich den Streitbaren, wenn ihm der Kaiser statt dessen im Juni 1245 das Privilegium minus feierlich bestätigte (Mon. Germ. Hist. Const. 2, S. 358, N r . 260). Der Zeitpunkt ist wichtig, denn bereits am 17. Juni des gleichen Jahres verkündete Papst Innozenz IV. vor dem Konzil die Absetzung des Kaisers, und man hat in der Folgezeit den Standpunkt vertreten, daß alle von ihm nach diesem Datum erlassenen rechtlichen Verfügungen ungültig seien. Die Erneuerung des Privilegium minus wurde von dieser Anschauung nicht betroffen; sie wurde vielmehr allgemein als rechtskräftig anerkannt und verwertet. Das Transsumpt des Jahres 1245 ist ebensowenig im Original auf uns gekommen wie das Privilegium minus; es wurde gleichfalls unter Rudolf IV. vernichtet und durch eine Fälschung ersetzt, die das unterschobene Maius bestätigen sollte. Der echte Text liegt uns in vier Abschriften vor, die eine Handschriftenklasse, die sogenannte Transsumptklasse, innerhalb der Überlieferung des Minus bilden. Diese Tatsache zeigt, daß sich die Bestätigung Kaiser Friedrichs II. größerer Verbreitung erfreute als das Minus selbst. Der bedeutendste bayrische Geschichtsschreiber des 13. Jahrhunderts, Abt Hermann von Niederaltaich, nahm sie in seine Annalen auf (Mon. Germ. Hist. Script. 17, S. 383), was sicherlich mit den Aspirationen der Wittelsbacher auf das babenbergische Erbe zusammenhängt. Otto von Lonsdorf, Bischof von Passau (1254—1265), dessen Sprengel Nieder- und Oberösterreich umfaßte und der in den bewegten Zeiten des Interregnums um die Rechte seines Hochstiftes besorgt war, ließ den auf dem Transsumpt von 1245 beruhenden Text in seinen Codex Lonsdorfianus eintragen, und gegen Ende des Jahrhunderts, um 1290, wurde eine Abschrift der Handschrift 543 der fasser der Urkunde der Herzogin Gertrud hatte also nicht die Klosterneuburger sondern eine andere, bessere Kopie vor sidi, die sidi in den Händen Gertruds befand. Das Original kann er kaum benützt haben, denn es war im Jahre 1252 von Margarete dem König Ottokar ausgeliefert worden; vgl. unten S. 91. Demnach sind die Ausführungen von Heilig, S. 61 ff. zu berichtigen. 5 Vgl. dazu jetzt Heinrich Koller, Das „Königreich" Österreich. Kleine Arbeitsreihe des Instituts für europäische und vergleichende Rechtsgesdiichte, hrsg. von Berthold Sutter, Graz 1972.

22

Diplomatische K r i t i k

österreichischen Nationalbibliothek beigefügt, die das Rationarium Austriae et Styriae, das landesfürstliche Urbar von Österreich und Steiermark, enthält. Schließlich fußt eine nicht sehr gute Kopie in einem Kodex der Kartause Seitz aus dem 14. Jahrhundert ebenfalls auf dem Transsumpt Kaiser Friedrichs II. Wie es bei derartigen Beglaubigungen mitunter vorkommt, ist im Transsumpt die Zeugenliste nicht vollständig wiedergegeben; sie bricht mit Friedrich, dem Bruder des bayrischen Pfalzgrafen Otto von Wittelsbach, ab und vernachlässigt die folgenden, weniger bedeutenden Persönlichkeiten. Ob eine weitere Abschrift des Minus, die im sogenannten Formelbuch König Albrechts I. (P.SCHWEIZER, MIÖG 2, 1881, S. 259 f.) enthalten ist, auf das Original oder auf eine kopiale Überlieferung zurückgeht, läßt sich nicht feststellen. Der Text ist wohl als Beispiel für die Formulierung einer Vereinbarung unter Herzogen aufgenommen worden; daher trägt er die Überschrift: „De concordia inter duces". Auf dem „Formelbuch Albrechts I." beruht der Text, den sich Thomas vom Privilegium minus zurechtgemacht hat. Er ist in der Handschrift Α seiner Cronica Austriae aus den Jahren 1509/10 (Nationalbibliothek Wien, cod. 7583, p. 51 ff.) sowie in der Handschrift C desselben Werkes (ebenda, cod. 7671, p. 94 ff.; Abschrift von 1614, angelegt auf Veranlassung des Job Hartmann Freiherrn von Enenkel) überliefert. Er enthält willkürliche Erweiterungen, die EBENDORFER als gelehrter Geschichtsforscher des 15. Jahrhunderts unter Berücksichtigung des Privilegium maius hinzugefügt hat, weil er sich über das Verhältnis der echten zur gefälschten Fassung des Privilegs Kaiser Friedrichs I. für den Herzog von Österreich keine Klarheit verschaffen konnte und außerdem das Bedürfnis besaß, gewisse historische Kenntnisse einzuarbeiten. Daher besitzt sein Text für die Rekonstruktion des ursprünglichen Wortlautes der Urkunde keinen selbständigen Wert; er ist jedoch ein hochinteressantes Zeugnis für die wissenschaftliche Arbeitsmethode eines Gelehrten des 15. Jahrhunderts. — Alle weiteren handschriftlichen Überlieferungen des Privilegium minus haben sekundären Charakter. EBENDORFER

Ebendorfers Text weicht von den anderen Überlieferungen des Minus unter anderem dadurch ab, daß er die Besiegelung des Pergamentblattes durch eine Goldbulle ankündigt, während in den anderen Überlieferungen davon nicht ausdrücklich die Rede ist; presentem inde paginam conscribi et nostre maiestatis aurea bulla iussimus communiri, so lautet bei ihm die Beglaubigungsformel, während sämtliche übrigen Handschriften sagen: et sigilli nostri impressione insigniri iussimus. Ältere Forscher haben daraus den Sdiluß gezogen, EBENDORFER habe ein zweites, für Heinrich Jasomirgott angefertigtes Original der Urkunde vorgelegen. Da er aber den Wortlaut auch an anderen Stellen seinen Vorstellungen entsprechend willkürlich verändert hat, wird man dieser Variante keine besondere Bedeutung beimessen und aus ihr jedenfalls keine weitreichenden Schlüsse ziehen.

Äußere Merkmale

23

ERBEN und H E I L I G haben aus anderen Gründen eingehend die Meinung vertreten, es müsse ein zweites Exemplar des Privilegium minus für Heinrich den Löwen existiert haben. Nach ERBEN hat sowohl der „bilaterale Charakter des Vertrages", der der Ausstellung der Urkunde zugrunde gelegen habe, als auch das Interesse des Weifen, „ein bleibendes Zeugnis" für den Verzicht des Babenbergers auf das Herzogtum Bayern zu besitzen, die Ausfertigung eines zweiten Originals erforderlich gemacht. Das letztere, in der Literatur als sogenannte „Landshuter Überlieferung" bezeichnet, sei von dem bayrischen Humanisten und Geschichtsschreiber A V E N T I N benützt worden. Eine sorgfältige Untersuchung des Sachverhaltes durch Heinrich FICHTENAU (MIÖG 7 3 , 1 9 6 5 , S. 1 ff.) hat jedoch gezeigt, daß die deutsche Übersetzung, die Aventin bringt, und sämtliche in Bayern entstandenen Abschriften von dem Transsumpt Kaiser Friedrichs II. herzuleiten sind, mit dem sie gewisse Lesarten gemein haben. Ein zweites Exemplar des Privilegium minus für Heinrich den Löwen hat es also nie gegeben. Das ist auch durchaus einleuchtend, denn es handelt sich nicht um einen schriftlich stipulierten Vertrag im Rechtssinne, der zwischen den beiden Reichsfürsten vereinbart worden wäre, sondern um einen Ausgleich, der in den Formen lehenrechtlicher Symbolik ohne Schriftlichkeit vollzogen wurde. Der Sinn der Ausfertigung der Urkunde bestand in der Verbriefung der außerordentlichen Vorrechte des neuen Herzogtums Österreich. Ein Fürst ließ sich nicht die Privilegien eines anderen Hauses beglaubigen.

Rückschlüsse auf die äußeren Merkmale Die Goldbulle Ist eine Kaiserurkunde des Hodimittelalters im Original überliefert, dann hat der Diplomatiker die Aufgabe, durch vergleichende Untersuchungen nachzuprüfen, ob die äußeren Merkmale den damaligen Gewohnheiten der Reichskanzlei entsprechen. Insbesondere geht es dabei um die Frage, ob das Stück von derselben Hand geschrieben wurde wie andere einwandfreie Diplome aus der gleichen Zeit. Die Zuordnung der Schriftzüge zu einem anderweitig bekannten Kanzleischreiber ist ein untrüglicher Beweis für die Echtheit einer Urkunde. Dieser methodische Weg kann bei der Klärung der Echtheitsfrage des Privilegium minus nicht beschritten werden, weil die Urkunde nur abschriftlich auf uns gekommen ist. Aber in unserem Falle hilft uns die Tatsache doch ein wenig weiter, daß der Fälscher des Privilegium maius, der im Auftrage Herzog Rudolfs IV. arbeitete, bestrebt war, das Schriftbild und die äußeren Merkmale des ihm noch vorliegenden, dann aber offenbar vernichteten Originals nachzubilden·. Er ist dabei gewiß nicht immer mit gleichbleibender • Vgl. Zeillinger, Deutsches Archiv 22 (1966), S. 513 ff.

24

Diplomatische Kritik

Akribie verfahren, aber zum Teil gewinnt seine Arbeit geradezu den Charakter einer Nachzeichnung. Das trifft vor allem für die Zierschrift (Elongata oder Auszeichnungsschrift) zu, in der die erste Zeile geschrieben ist. Sie ist der Hand eines damals vielbeschäftigten Notars der Reichskanzlei zuzuweisen, den wir mit der Sigle Arnold Η bezeichnen; seine Gleidisetzung mit dem königlichen Kapellan Albert aus dem Hause der Grafen von Sponheim, Domdekan von Köln und Propst des Aachener Marienstiftes, ist in der Literatur umstritten. Er ist jedoch keineswegs als Schreiber des gesamten Kontextes des Diploms anzusehen, sondern er hat sich offenbar, wie dies damals gelegentlich vorkam, darauf beschränkt, die erste Zeile auf das Pergamentblatt zu setzen. Im übrigen aber überließ er die Reinschrift einem anderen. Soweit die Nachzeichnung der Schriftzüge durch den Fälscher des Privilegium maius erkennen läßt, zog er dafür keinen damals tätigen Kanzleiangehörigen heran. HEILIG wollte in dem ansonsten nicht nachweisbaren Schreiber des am gleichen Tage ausgestellten, im Original überlieferten Diploms Barbarossas für die Äbtissin Hedwig von Essen beziehungsweise für die Stiftskirche zu Schwarzrheindorf (STUMPF, Reg.Nr. 3752, DF. I. 150) die Hand des Minusschreibers gefunden haben. Seine These erwies sich aber bei genauer Nachprüfung als unhaltbar (ZEILLINGER im Deutschen Archiv 22, S. 515 f.). Dagegen verdient eine andere Beobachtung besondere Beachtung. Der formelhafte Aufbau der Datierung des Privilegium minus stimmt mit der am gleichen Tage für die Johanniter in Österreich ausgestellten, ebenfalls nur kopial überlieferten Urkunde Kaiser Friedrich Barbarossas (STUMPF, Reg.Nr. 3755, DF. I. 152) vollkommen überein; er weicht nämlich in beiden Texten in höchst charakteristischer Weise von der Kanzleigewohnheit ab, indem die Herrscher j ä h r e (anno

regni

eius quinto,

imperii

secundo)

gegen

die

geltende Regel erst nach dem abschließenden Segenswunsdi (feliciter amen) hinzugesetzt wurden. So arbeitet jemand, dem die Gewohnheiten der Reichskanzlei nicht in Fleisch und Blut übergegangen waren. Er mußte offenbar eigens darauf aufmerksam gemacht werden, daß er die Regierungsjahre nodi beizufügen hatte. Wer dieser Mann gewesen ist, vermögen wir nicht zu sagen. Diese naturgemäß sehr unvollständigen und unvollkommenen Feststellungen haben auf den ersten Blick etwas Überraschendes. Das Diplom für den Herzog von Österreich zählt zu den politisch bedeutsamsten Urkunden, die Barbarossa in den ersten Jahren seiner Regierung erlassen hat. Seine Ausfertigung beruhte auf mündlichen Vereinbarungen, die wegen ihrer Aktualität zunächst geheimgehalten worden waren. Die Entscheidung war durch jahrelange Verhandlungen vorbereitet, der Hoftag in Regensburg in der üblichen Weise einige Wochen vorher einberufen worden. Trotzdem stand keine routinemäßig arbeitende Kraft für die Ausfertigung des Diploms zur Verfügung. Es wurde zwar von einem ungemein erfahrenen Notar der Reichskanzlei entworfen, aber die Reinschrift überließ man einem Gelegen-

Aufbau und Formular

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heitsschreiber. Der ganze Vorgang lehrt, wie wenig entwickelt die Organisation der Reichskanzlei damals noch gewesen ist. Von dem unter Rudolf IV. vernichteten Original aus der Kanzlei Barbarossas ist nur die Goldbulle auf uns gekommen, die an der Fälschung befestigt wurde. Sie besteht nicht aus kompaktem Golde, sondern aus zwei Goldblechplättchen; beiderseits beprägt, zeigt sie auf der einen Seite den thronenden Imperator mit den Insignien seiner Würde, auf der anderen die damals übliche schematische Darstellung der Stadt Rom. Auffällig ist es, daß im Text nur vom Aufdruck des kaiserlichen Siegels (aus Wachs) die Rede ist (sigilli nostri impressione insigniri iussimus), eine Formulierung, die auch im Privilegium maius beibehalten wurde. Wir kennen mehrere mit Goldbulle versehene Originale Barbarossas, in denen diese ebenfalls nicht angekündigt ist. Das ist mitunter gerade audi dann der Fall, wenn zwei Exemplare ausgefertigt wurden, eines mit Wachssiegel, das andere mit goldener Bulle. Nach der herrschenden Kanzleigewohnheit war es jedenfalls nicht erforderlich, die Bullierung eigens zu erwähnen. Die Möglichkeit, daß dem Babenberger zwei Exemplare des Diploms, ein mit Wachs und ein in Gold besiegeltes, ausgefolgt wurden, ist nicht völlig von der H a n d zu weisen. Der Gebrauch der Goldbulle war in der Reichskanzlei des 12. Jahrhunderts in starkem Zunehmen begriffen. Ihre Anwendung erfolgte auf Wunsch des Empfängers, der wohl in der Regel audi für die Unkosten aufzukommen hatte. Besonders italienische und burgundische Kirchen, Adelige und Städte, aber audi hochgestellte Persönlichkeiten in Deutschland, unter ihnen Heinrich der Löwe, legten auf diese auszeichnende Form der Beglaubigung, die zugleich der Kaiseridee des Hodimittelalters zutiefst entsprach, erheblichen Wert. Es lag daher für Heinrich Jasomirgott ungemein nahe, sich die einzigartigen Vorrechte seines neuen Herzogtums in dieser Art bekräftigen zu lassen. Übrigens ist auch die Erneuerung des Privilegium minus durch Kaiser Friedrich II. vom Jahre 1245 mit der kaiserlichen Goldbulle besiegelt gewesen, die der damaligen Kanzleiregel gemäß im Besiegelungsbefehl ausdrücklich angekündigt ist: bulla aurea typario nostre maiestatis inpressa iussimus communiri (Mon. Germ. Hist. Const. 2, S. 358).

Aufbau und Formular Die Urkundenlehre oder Diplomatik unterscheidet auf dem Gebiet der Kaiserurkunden des Hochmittelalters als wichtigste Gruppen feierliche und einfache Diplome, Mandate und Geriditsurkunden (Placita). Das Privilegium minus ist aufgrund seiner äußeren und inneren Merkmale den feierlichen Diplomen zuzurechnen. Die graphische Ausstattung und der formel-

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Diplomatische Kritik

hafte Aufbau der einleitenden und der Schlußsätze der Urkunde sind in allen Einzelheiten durch die Kanzleitradition bestimmt. Das Eingangsprotokoll wird durch das Chrismon, ein auf der Grundlage des Buchstabens C gebildetes Schriftzeidien, eröffnet, das die Anrufung des Namens Gottes symbolisiert (monogrammatische Invokation). Daran schließt sich eine Formel, die denselben Gedanken nochmals in Worten zum Ausdruck bringt, nämlich die verbale Invokation: „In nomine sancte et individue trinitatis." Es folgt die Intitulatio, die den kanzleigemäßen Titel des Herrschers (Romanorum imperator augustus) mit der aus der Idee des Gottesgnadentums herzuleitenden Devotionsformel (divina favente dementia) verbindet. Wir haben gehört, daß diese in verlängerter Sdirift (Elongata) gehaltene erste Zeile des Originals von der Hand des Kanzleinotars Arnold Η geschrieben war. Nach der Zeugenliste wird das Diplom durch eine Gruppe von Formeln abgeschlossen, die man als Schlußprotokoll oder Esdiatokoll bezeichnet. Dieses gliedert sich in die wieder in Elongata geschriebene Signumzeile, die die Aufgabe hat, das Monogramm (Handmal) des Herrschers anzukündigen, die Rekognitionszeile und die Datierung. Das Monogramm besteht aus einem Gerüst, auf dem die Buchstaben des Namens und des Titels des Kaisers aufgesetzt wurden. Es besaß in älterer Zeit für die rechtsgültige Vollziehung der Kaiserurkunden besondere Bedeutung, denn der Herrscher pflegte in seinem Handmal eigenhändig einen vom Schreiber nicht ausgeführten Strich, den Vollziehungsstrich, hinzuzufügen, der die Funktion einer eigenhändigen Unterschrift erfüllte. Zusammen mit der Besiegelung verlieh er der Urkunde volle Rechtskraft. In der Zeit Barbarossas war der Vollziehungsstrich bereits außer Gebrauch gekommen. Der Kaiser beteiligte sich nicht einmal in dieser rudimentären Form an der Ausfertigung seiner Diplome. Das Monogramm wurde vielmehr zur Gänze von Schreiberhand eingezeichnet. Als Rekognitionszeile bezeichnet man die Formel, die mit der Nennung des Namens des Kanzlers eingeleitet und mit dem Wort recognovi abgeschlossen wird. Genannt ist hier Rainald von Dassel, der leitende Staatsmann des Kaisers, der spätere Erzbisdiof von Köln, der in Vertretung des Erzbischofs Arnold von Mainz, des Erzkanzlers für Deutschland, fungiert. Ursprünglich besagte die Formel, daß der Kanzler die Angelegenheit überprüft und die Verantwortung für die Übereinstimmung des Inhalts der Urkunde mit dem Willen des Kaisers übernommen habe. Allein auch hier war die Tradition längst erstarrt; in Wirklichkeit kümmerten sich die Kanzler gar nicht mehr um die Erledigung der laufenden Kanzleiangelegenheiten und überließen die Ausfertigung der Diplome und die Verantwortung für ihren Inhalt erfahrenen Kanzleisdireibern, die das volle Vertrauen des Herrschers und des Hofes besaßen. Die Datierung folgt ebenfalls einem traditionsgemäßen Formular. Sie nennt zunächst den Ausstellungsort Regensburg und das Monatsdatum nach dem römischen Kalender; die später so weitverbreitete Tagesangabe nach

Aufbau und Formular

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dem kirchlichen Festkalender war damals in der Reichskanzlei noch nicht Sitte. Es war üblich, die Jahresangabe besonders reichhaltig zu gestalten. Sie ist eingeleitet durdi die Indiktion (Römerzinszahl), eine bis in die Spätantike zurückreichende Art der Jahresbezeichnung, die von Justinian gesetzlich vorgeschrieben worden war und sich im Mittelalter ungemein zäh behauptete. Es handelt sich um eine Abfolge fünfzehnjähriger Zyklen, die als solche nicht gezählt werden; angegeben wird die Zahl des Jahres innerhalb des Zyklus. Man kann sie errechnen, indem man zur Zahl der Inkarnationsjahre 3 hinzuzählt und die Summe durch 15 dividiert; der Rest ist die Indiktionszahl des Jahres. Die Zählung der Jahre nach Christi Geburt, die auf den Mönch Dionysius Exiguus (6. Jahrhundert) zurückgeht, wurde im Jahre 876 in der Reichskanzlei eingeführt und blieb seither allgemein üblich. Schließlich sind sowohl die Königs- als audi die Kaiserjahre angegeben; auch hier liegt letzten Endes eine Verfügung Justinians zugrunde, der durch Gesetz anordnete, die Regierungsjahre der Kaiser zur Datierung zu verwenden. Zwischen dem feierlichen Belehnungsakt (8. September) und der Ausfertigung des Privilegs (17. September) verstrich ein Zeitraum von neun Tagen. In der Fachterminologie der Diplomatik sprechen wir von einem Auseinanderfallen von Handlung und Beurkundung; dieses Phänomen kann unter Umständen zu einander widersprechenden Datierungsangaben (uneinheitliche Datierung) führen, deren richtige Auflösung vielfach Schwierigkeiten bereitet, aber auch Bedenken gegen die Echtheit aus dem Wege zu räumen vermag. In unserem Falle verhält es sich nicht so. Im Hinblick auf die Wichtigkeit der Vorgänge wurde bei der Abfassung der Urkunde besonders korrekt verfahren und ein doppeltes D a t u m angegeben, das eine in der einleitenden Erzählung über die Belehnungsvorgänge, das andere in der Datierungsformel, so daß keinerlei Zweifel in chronologischer Hinsicht möglich ist. Die Ausfertigung erfolgte nicht im Zeltlager Herzog Heinrichs von Österreich auf den Barbinger Wiesen, sondern in Regensburg selbst (Ratispone). Über den Zeitpunkt der Aushändigung des Dokuments an den Empfänger und über die Umstände, unter denen sie erfolgte, erfahren wir nichts. Eingebettet zwischen dem stereotypen Rahmen des Eingangs- und Schlußprotokolls, der bei jeder anderen Urkunde gleichen Datums in völlig identischem Wortlaut wiederkehren könnte, liegt der Text des Diploms, eröffnet durch eine rhetorische Phrase, die Arenga, und ausklingend in der Zeugenliste. Man bezeichnet diesen gewissermaßen individuellen Teil der Urkunde in der Fachsprache der Diplomatik als Kontext zum Unterschied vom Eingangs- und Schlußprotokoll. Auch der Aufbau des Kontextes ist strengen Regeln unterworfen. Auf die einleitende Arenga folgt die Kundmachungsformel oder Publicatio, die den Sachverhalt allen Getreuen des Reiches beziehungsweise allen Christgläubigen bekanntgibt. Daran schließt sich eine Darlegung der Umstände, deren Kenntnis für das Verständnis des

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Diplomatische Kritik

Rechtsinhalts erforderlich ist, die in erzählendem Tonfall gehaltene Narratio. Den Kern der Urkunde bilden die rechtlichen Verfügungen, die den eigentlichen Gegenstand der Privilegierung aussprechen (Dispositio). Die Beglaubigungsformel oder Corroboratio unterstreicht zunächst die dauerhafte Gültigkeit der kaiserlichen Verfügung und bringt zum Ausdruck, daß der Kaiser den Befehl erteilt habe, die Urkunde auszufertigen und sie mit seinem Siegel zu beglaubigen. Dabei ist formelhaft vom Aufdrücken des Siegels die Rede, obwohl, wie wir bereits betont haben, an dem verlorenen Original eine goldene Bulle angehängt war. Den Abschluß des Kontextes bildet die Zeugenreihe, die in strenger Rangordnung erst die geistlichen, dann die weltlichen Fürsten anführt, ohne dabei Anspruch auf Vollständigkeit zu erheben, was durch die Wendung et alii quam plures zum Ausdruck gebracht wird.

Die Arenga Quamquam rerum commutatio ex ipsa corporali institutione possit firma consistere vel ea, que legaliter geruntur, nulla valeant refragatione convelli, ne qua tarnen possit esse geste rei dubietas, nostra debet intervenire imperialis auctoritas. Feierliche Urkundentexte des Mittelalters pflegten in der Regel durch einen allgemein gehaltenen Satz eingeleitet zu werden, den man in der Fachsprache der Diplomatik als Arenga bezeichnet. Dieser Formularteil trägt rhetorischen Charakter; er läßt aber vielfach Gedanken anklingen, die mit dem Rechtsinhalt der Urkunde in näherem oder entfernterem Zusammenhang stehen. Ein solcher Konnex ist auch beim Privilegium minus feststellbar; die lehenrechtlichen Vorgänge, die dem Streit um das Herzogtum Bayern ein £nde setzten, sind als Gütertausch {rerum commutatio) aufgefaßt, der kraft der Belehnungshandlungen (ex ipsa corporali institutione) in gültiger Form vollzogen war. Sie sollen durch Ausfertigung des kaiserlichen Privilegs eine zusätzliche Bekräftigung erfahren. Nach deutschem Lehenrecht war es damals noch nicht üblich, über Belehnungen Urkunden auszustellen. Aber Tauschhandlungen, die Reichsgut und Reichskirchengut betrafen, wurden nicht selten urkundlich festgehalten. Die mittelalterlichen Notare entnahmen ihre Arengen weitgehend älteren Vorbildern, insbesondere Formularsammlungen oder Lehrbüchern der Kunst, Briefe und Urkunden abzufassen (artes dictandi). Das trifft auch in unserem' Falle zu. Die Arenga des Privilegium minus ist einer derartigen Sammlung entlehnt, nämlich dem Codex Udalrici, den der Bamberger Domscholasticus Udalrich im Jahre 1125 dem Bischof von Würzburg

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Die Arenga

gewidmet hat. Unter dem Einfluß von Notaren, die aus dem Kreis des Würzburger Klerus hervorgegangen

waren, wurde der Codex

beziehungsweise eine mit ihm aufs engste verwandte

Udalrici

Sammlung

unter

K o n r a d I I I . und in der Frühzeit der Regierung Barbarossas vielfach als Behelf für die Abfassung von Diplomen herangezogen. Die Geschichte der Arenga des Privilegium minus reicht in die Spätantike zurück. In der päpstlichen Kanzlei existierte eine Sammlung von Formularmustern für die Abfassung von Urkunden und Briefen, der sogenannte Liber diurnus, der allerdings in der Praxis des kurialen Urkundenwesens bei weitem nicht jene zentrale Rolle spielte, die ihm die Forschung lange Zeit hindurch zuschrieb. Formel 33 des Liber diurnus, enthalten in dem ältesten Teil des Werkes, der nach dem Urteil Theodor von SICKELS bald nach 625 entstanden sein dürfte, wird durch unsere Arenga eingeleitet. Nach diesem Muster wurde im J a h r e 1014 eine Urkunde Papst Benedikts V I I I . für Kaiser Heinridi I I . (A. BRACKMANN, Germania Pontificia 3/1, S. 2 5 0 , N r . 5) ausgestellt, die den Tausch päpstlicher Besitzungen in Bayern gegen Güter in Italien zum Gegenstand hatte. Das Original der Papsturkunde gelangte in das Archiv des damals gerade erst gegründeten Bistums Bamberg; der T e x t wurde v o m Bamberger Scholasticus Udalrich in seinen Codex aufgenommen. So läßt sich die Formel, die das Privilegium minus verwendet, bis ins 7. Jahrhundert zurückverfolgen. In Wirklichkeit dürfte sie noch älter sein, denn auch der päpstliche Schreiber, der den ältesten Teil des Liber diurnus zusammenstellte, erfand sie nicht selbst, sondern entlehnte sie einer Vorlage. W i r kommen damit in die von der lehenrechtlich geprägten Denkungsart des Kaiserhofes des 12. Jahrhunderts so unendlich weit abliegende Welt spätantiker Rechtspraxis. Damals herrschte der Grundsatz, daß ein nach den geltenden gesetzlichen Bestimmungen vollzogener Gütertausch auch ohne schriftliche Aufzeichnung rechtskräftig sei. E r konnte jedoch auf Wunsch der daran interessierten Partei in die Akten einer städtischen Behörde, in die Gesta municipalia, aufgenommen (inseriert) und dadurch zusätzlich gesichert werden. Einer für einen derartigen Vorgang geprägten Formel entstammt letzten Endes die Arenga des Privilegium minus. Man sieht, auf welch verschlungenen Wegen erstarrtes Gedankengut der Spätantike durch kirchliche Vermittlung in die ganz anders geartete Atmosphäre des Hochmittelalters hinübergeleitet wurde. Völlig gedankenlos wurde der überlieferte Satz jedodi von dem N o t a r der Reichskanzlei commutatio"

nicht übernommen.

statt „rei

commutatio";

Gleich

eingangs sagt

er

da ganze Fürstentümer

„rerum getauscht

wurden, schien ihm die Mehrzahl besser am Platze. Dabei klingt allerdings noch eine andere Vorstellung mit; rerum

commutatio,

Vergänglichkeit der Dinge ist ein zentraler Begriff

der Wandel, die hochmittelalterlicher

Gesdiichtsphilosophie, der besonders bei O t t o von Freising eine große Rolle spielt. D e r Kanzleinotar, der das Diplom verfaßt hat, wollte damit die Tatsache, daß es sich rechtlidi um einen Tauschakt handelte, nicht in den

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Diplomatische Kritik

Hintergrund drängen. Aber daß der vergängliche Wandel der Dinge dieser Welt urkundlicher Festlegung bedürfe, um Bestand zu haben, ist ein Gedanke, der in zahllosen Arengen jener Zeit wiederkehrt. Der Notar ersetzt ferner den Begriff „corporalis traditio' durch „institutio", was dem lehenrechtlichen Charakter der Vorgänge besser entspricht. Schließlich unterstreicht er die Denkwürdigkeit des Ereignisses, indem er die mehr juristisch gefärbte Wendung „contradendi dubietas' durch den historisch gewichtigeren Ausdruck „geste rei dubietas" ersetzt. Man mag sich vielleicht darüber wundern, daß ein Schriftstück, das einen in seinen Wurzeln so weit zurückreichenden und den Frieden schwerstens gefährdenden Konflikt nach langen Bemühungen aus der Welt zu schaffen bestimmt war, nicht durch eine rhetorisch schwungvollere Präambel eingeleitet wurde. Es gab Formulare genug, die das friedenstiftende Walten des Herrschers priesen oder auf die Verdienste der Fürsten um Kaiser und Reich hinwiesen. Man hat darauf verzichtet, eine stilistische Glanzleistung dieser Art zu vollbringen, und es vorgezogen, eine nüchtern-rechtlich geprägte Ausdrucksweise zu wählen. Neben der Schriftuntersuchung (vgl. oben S. 23) hat die Wiener historische Schule noch eine weitere diplomatische Methode ausgebildet, die in erster Linie auf die Kaiserurkunden des Hochmittelalters Anwendung findet, nämlich den Diktatvergleich. Unter dem Diktat einer Urkunde verstehen wir nach der klassischen Definition Oswald R E D L I C H S ihre sprachliche Form, ihren Stil. Das Diktat ist einerseits durch die Formelhaftigkeit des Urkundenwesens geprägt, die im Früh- und Hochmittelalter angesichts der damals herrschenden geistigen Unselbständigkeit noch stärker hervortritt als in späteren Epochen; es trägt aber auch individuelle Züge, die man vergleichend in den Arbeiten eines bestimmten Verfassers verfolgen kann. Auf diesem Wege ist es möglich, Gruppen von Kaiserurkunden einem bestimmten Diktator zuzuweisen und damit ein zusätzliches Echtheitskriterium zu gewinnen. Lassen sich nämlich in Diplomen eines Herrschers für verschiedene, untereinander nicht in Verbindung stehende Empfänger · dieselben individuellen Diktatmerkmale nachweisen, dann kann die Übereinstimmung nur aus der Abfassung dieser Stücke durch ein und denselben Kanzleiangehörigen erklärt werden. Wie schon erwähnt (oben S. 14), ist es das Verdienst des Sickelschülers Wilhelm E R B E N , eines der hervorragendsten Vertreter der Kaiserdiplomatik, in seiner Monographie über das Privilegium minus zum erstenmal umfassende Diktatuntersuchungen über die Diplome der Frühzeit der Regierung Friedrichs I. durchgeführt und die Benützung des Codex Udalrici in der Reichskanzlei erwiesen zu haben. Nur lassen sich keineswegs, wie Erben meinte, alle Diplome, in denen das Formulargut des Codex Udalrici auftritt, einem einzigen Diktator zuschreiben. Die Verwendung dieser Stilmuster blieb nicht auf einen Notar beschränkt, sondern wurde von mehreren Angehörigen der Reichskanzlei gehandhabt, was auch leicht verständlich ist.

Die Arenga

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Die Tatsache, daß die Arenga des Privilegium minus dem Codex Udalrici entnommen ist, sagt also über die Verfasserschaft einer bestimmten Persönlichkeit noch nichts aus. Eine Fülle stilistischer Einzelbeobachtungen zusammengenommen läßt es jedoch als gesichert erscheinen, daß der bereits erwähnte Kanzleinotar Arnold H, der die erste Zeile eigenhändig geschrieben hat, auch als Diktator des Minus zu gelten hat. Diese These ist um so einleuchtender, als dieser Mann damals wohl einer der erfahrensten und angesehensten Angehörigen der kaiserlichen Kanzlei war. Wirklich freie Hand hatte er freilich nur bei der Gestaltung der formelhaften Teile der Urkunde, die bei Diktatuntersuthungen in erster Linie zu analysieren sind, besonders bei der Arenga, der Publicatio und der Corroboratio. Hinsichtlich des Rechtsinhaltes war er selbstverständlich an den Willen seines kaiserlichen Herrn und an die Abmachungen gebunden, die die Voraussetzung für die Ausfertigung des Diploms bildeten. Die Frage, ob irgendwelche formlose Aufzeichnungen über die mündlichen Vereinbarungen mit Heinrich Jasomirgott existierten und bei der Abfassung der Urkunde benützt wurden, läßt sich nicht beantworten. Nachweisbar ist eine derartige unmittelbare sprachliche Beeinflussung der Formulierung der dispositiven Sätze durch einen Vorakt nicht. Es finden sich jedenfalls keine Diktatelemente, die dem Kanzleistil und den persönlichen Eigenheiten des Arnold Η widersprächen. Daß die objektive Fassung nicht, wie ERBEN meinte, als Beweis für eine Interpolation des Textes angesehen werden kann, wurde bereits betont (oben S. 14 f.).

Der Streit um das Herzogtum

Bayern

Als Konrad III. im Jahre 1138 auf den Thron erhoben wurde, befand er sich in einer ungemein schwierigen Lage. Sein Gegenspieler, der Weife Heinrich der Stolze, Herzog von Sachsen und Bayern und Herr des Erbes der Markgräfin Mathilde von Tuszien, verfügte über eine überragende Machtposition, die der Staufer zerschlagen mußte, wollte er seine Herrschaft in Deutschland tatsächlich durchsetzen. Daher ließ er dem Weifen beide Herzogtümer aberkennen und verlieh Sachsen dem Markgrafen der Nordmark Albrecht dem Bären, Bayern im Frühjahr 1139 seinem Stiefbruder Leopold IV. von Österreich. Es war kein Zufall, daß beide Fürsten, die er gegen die Weifenmacht auf den Plan rief, Markgrafen waren, denn neben den alten Stammesherzogtümern hatten damals, begünstigt durch die militärische Geschlossenheit ihrer Kraft und durch den zunehmenden Landesausbau, die Marken an Bedeutung ungemein zugenommen. Daraus entspannen sich schwere Kämpfe, die Leopold IV. in Bayern energisch und erfolgreich führte, bis ihn der Tod abberief (1141). Konrad III. nützte die dadurch entstandene Lage zu einem Versöhnungsversuch, indem er eine Heirat zwischen Heinrich Jasomirgott, dem Bruder und Nachfolger Leopolds, und Gertrud, der Witwe Heinrichs des Stolzen und Mutter des noch minderjährigen Heinrich des Löwen, vermittelte und den Babenberger mit dem Herzogtum Bayern belehnte, auf das der Weife Verzicht geleistet hatte (1143). Einen eindeutigen Erbanspruch auf Bayern konnte Heinrich Jasomirgott nicht geltend machen, da im Lehen strenggenommen nicht der Bruder, sondern nur der Sohn nachfolgte. Aber Gertrud starb schon nach kurzer Ehe, und Weif VI., der Oheim des Löwen, meldete Ansprüche auf Bayern an. So ging der Konflikt weiter, bis im Jahre 1147 auf dem Reichstag zu Frankfurt im Rahmen der Vorbereitungen für den Zweiten Kreuzzug ein allgemeiner Friede für das ganze Reich verkündet wurde. Allerdings erschien auf diesem Reichstag Heinrich der Löwe, Herzog von Sachsen, und forderte kraft Erbrechtes den bayrischen Dukat, der

D e r Streit um das H e r z o g t u m Bayern

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seinem Vater widerrechtlich aberkannt worden sei. Das erste selbständige Auftreten des Weifen versetzte den Herrscher offenbar in nicht geringe Verlegenheit, denn in der allgemeinen Friedensstimmung, die soeben aus der Kreuzzugsbegeisterung erwachsen war, wollte und konnte er den Streit nicht wieder aufflammen lassen. Andererseits war ihm eine Erfüllung des nach den Anschauungen der Zeit sicherlich nicht ungerechtfertigten Ansinnens schon aus Rücksicht auf seinen Stiefbruder Heinrich Jasomirgott nicht möglich, der zu den hervorragendsten Teilnehmern des geplanten Kreuzzuges zählte, ganz abgesehen davon, daß der Staufer damit sein bisheriges System sozusagen selbst in Frage gestellt hätte. Die Sache wurde daher bis zur Rückkehr des Königs aus dem Heiligen Lande vertagt. Nach offenbar recht schwierigen Verhandlungen gab der junge Weife die Versicherung, er wolle diesen Zeitpunkt in Ruhe abwarten. Doch kam es audi im letzten Abschnitt der Regierung Konrads zu keiner Klärung der Frage. Eine neue Situation ergab sich, als im März 1152 Friedrich Barbarossa, der Sohn der Weifin Judith, auf den Thron erhoben wurde. In den Augen seiner Wähler war er berufen, die Konflikte zu bereinigen, die Deutschland lange genug zerrüttet hatten; seine verwandtschaftlichen Beziehungen zu den Weifen einerseits, zu den Babenbergern andererseits und seine ritterliche Wesensart ließen ihn dafür besonders geeignet erscheinen. Während der Babenberger dem Wahltag zu Frankfurt fernblieb, zählte Heinrich der Löwe ohne Zweifel zu den Wählern Friedrichs7; als Teilnehmer an den Krönungsfeierlichkeiten zu Aachen ist er jedenfalls bezeugt. Vieles deutet darauf hin, daß der neue König vor seiner Wahl mehreren weltlichen Fürsten bedeutende Zusicherungen machte, um ihre Zustimmung zu gewinnen; Heinrich dem Löwen wird er das Herzogtum Bayern in Aussicht gestellt haben. Die Erfüllung dieser Zusage war allerdings nicht ganz leicht. Jedenfalls kam es darauf an, den Weg des Kompromisses zu beschreiten und den Ausbruch eines neuen Kampfes zu vermeiden. Ein solcher hätte nicht nur die Hoffnungen enttäuscht, die man auf Friedrich setzte, sondern auch die Verwirklichung seines Regierungsprogramms gefährdet. Also mußte der Babenberger gegen entsprechende Zugeständnisse zum Verzicht auf Bayern bewogen werden. Dafür gab es gewisse Präzedenzfälle. Im Jahre 1142 hatte sich Albrecht der Bär dazu bereit gefunden, den Titel eines Herzogs von Sachsen niederzulegen, doch war ihm seine Mark mit allen anderen Hoheits- und Herrschaftsrechten seines Hauses verblieben. Gleichzeitig eröffnete sich ihm im Osten ein neues Tätigkeitsfeld dadurch, daß ihn der Wendenfürst Pribislav von Brandenburg zu seinem Erben einsetzte. Man kann seine Haltung als realistische Verlagerung seiner Interessen auf eine andere politische Ebene 7

Vgl. darüber jetzt Heinrich Appelt, Heinrich der Löwe u n d die Wahl Friedrich Barbarossas, in: Festschrift H . Wiesflecker, hrsg. von A. N o v o t n y und O . Pickl (1973), S. 39 ff.

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Der Streit um das Herzogtum Bayern

interpretieren. Noch weiter zurück lag ein anderer Ausgleich; gegen Ende des 11. Jahrhunderts hatte Berthold von Zähringen zugunsten Friedrichs von Staufen auf das Herzogtum Schwaben durch einen rechtssymbolischen Akt Verzicht geleistet, zur Entschädigung jedoch die Reichsvogtei Zürich, eines der wirtschaftlich wertvollsten Teilgebiete des damaligen alamannischen Dukats, aus der Hand des Kaisers zu Lehen empfangen. Außerdem führte er weiter den Herzogstitel, der sich von nun an allerdings auf die Burg Zähringen als Stammsitz seines Hauses und nicht auf ein Reichslehen bezog, also rein dynastischen und nicht territorialen Charakter trug. Sollte es nicht möglich sein, in der bayrischen Frage einen ähnlichen Weg zu beschreiten? Wie so oft in der Geschichte kam es darauf an, eine für beide Parteien tragbare Lösung eines schon viel zu lange dauernden Konfliktes zu finden, der durch Waffengewalt nicht zu entscheiden war. So groß die Verwirrung in Bayern zeitweilig gewesen war, eines hatte sich jedenfalls herausgestellt: Die Babenberger waren nicht in der Lage, die Herrschaft über das alte Stammesherzogtum fest in die Hand zu nehmen. Andererseits hatten sie seit langem mit größtem Erfolg in ihrer Mark an der Donau eine selbständige politische Macht aufgebaut. Ein Versuch, sie niederzukämpfen, wäre von vornherein vollkommen unrealistisch gewesen. Österreich stellte einen gleichberechtigten Machtfaktor neben Altbayern dar; es ging um die Anerkennung dieses tatsächlichen Zustandes. Ein derartiger Schritt lag durchaus im Interesse des Kaisers, der Frieden in Deutschland brauchte, um seine Kraft in Italien entfalten zu können. Die militärischen Hilfsquellen Heinrichs des Löwen in Sachsen und Bayern dafür einzusetzen, war für Barbarossa ein Gebot der Stunde. Unter dieser Voraussetzung hatte er nichts dagegen einzuwenden, daß der Weife beide Herzogtümer in seiner Hand vereinigte. Andererseits konnte es ihm nur willkommen sein, wenn Österreich ein Gegengewicht gegen die Weifenmacht bildete. Von anderen lehenrechtlichen Verfahren mit politischer Zielsetzung, die man mit einem nicht sehr glücklichen Ausdruck als politische Prozesse bezeichnet, unterscheidet sich die Auseinandersetzung des Kaisers mit Heinrich Jasomirgott dadurch, daß sie nicht das Niederkämpfen eines Gegners, sondern einen Friedensschluß erstrebte. Der Babenberger wurde zwar vor das Gericht des königlichen Lehensherrn geladen, aber nicht in der Absicht, ihm wegen beharrlichen Fernbleibens seine Lehen abzusprechen. Dreimaliges unbegründetes Nichterscheinen (contumacia) vor dem Gericht des Lehensherrn galt als schwere Verletzung der Vasallenpflicht und als Rechtsgrund für die Aberkennung der Lehen, die in vielen Fällen aufgrund eines Kontumazialurteils erfolgte. Keine der Sentenzen, die im Streit um Bayern zugunsten des Löwen gefällt wurden, trug den Charakter eines Kontumazialurteils. Das muß besonders betont werden, weil darüber in der Literatur manche Unklarheit herrscht. Andererseits erklärt sich das Verhalten Heinrich Jasomirgotts gleichfalls aus dieser Situation. Er hat der Ladung zweimal

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Folge geleistet, um formaljuristische Einwendungen gegen deren Rechtmäßigkeit vorzubringen. Richtig deuten kann man das rechtliche Verfahren nur, wenn man jede einzelne Phase in unmittelbaren Zusammenhang mit der jeweiligen politischen Situation und den Intentionen der Beteiligten bringt8. Otto von Freising betont ausdrücklich, es sei eine große Sorge des neugewählten Herrschers (multa serenissimi principis anxietas) gewesen, den Konflikt unter seinen Blutsverwandten (inter eins camem et sanguinem) ohne Blutvergießen zu beenden (sine sanguinis effnsione terminari; Gesta II cap. 7). Wir haben keinen Grund, an dieser Darstellung Zweifel zu hegen. Als Bruder Heinrich Jasomirgotts und als bayrischer ReichsbisAof mußte Otto aufs beste informiert sein. In oner späten Phase der Verhandlungen, nämlich in Regensburg im Oktober des Jahres 1155, trat er selbst als einer der Vermittler auf (nos, qui mediatorum ibi vice fungebamur, Gesta II cap. 42). Er war ein wahrheitsliebender Geschichtsschreiber, der den Ablauf der Auseinandersetzimg genau kannte und mit gewissenhafter Sorgfalt darstellte. Nicht weniger als vier Jahre (1152—1156) hat es gedauert, bis es der zähen, aber offenbar auch sehr geschickten Diplomatie Barbarossas gelang, das Ziel zu erreichen. Als neuerwählter König durchzog er nach altem Herkommen das Reich, um von der Herrschaft Besitz zu ergreifen und bei dieser Gelegenheit die Huldigung jener Fürsten und Großen entgegenzunehmen, die an seiner Wahl nicht teilgenommen hatten. Ende Juni hielt er seinen ersten Hoftag in Bayern ab. Am Tage der Apostel Petrus und Paulus (29. Juni) 1152 ging er in der Kirche des Klosters St. Emmeram zu Regensburg unter der Krone. Auch Heinrich Jasomirgott erschien damals bei Hofe und anerkannte damit den neuen Herrscher als seinen Lehensherrn. Nach den Anschauungen der Zeit wäre es ein schwerer Affront und dem Abbruch der Beziehungen gleichzuachtcn gewesen, wenn er dem ersten bayrischen Hoftag Barbarossas ferngeblieben wäre. Grundsätzlich zeigte sich der Babenberger damit verhandlungsbereit. Als aber der König beide Herzoge für den Oktober 1152 nach Würzburg berief, leistete der Österreicher der Ladung keine Folge, so daß die Sache vertagt werden mußte. Hingegen fand er sich ebenso wie Heinrich der Löwe zu Pfingsten des folgenden Jahres in Worms ein, verhinderte jedoch ein weiteres Vorgehen dadurch, daß er erklärte, nicht rechtmäßig geladen zu sein. Übrigens formulierte er damals auf Bitten des Herrschers im königlichen Hofgericht einen Urteilsspruch der Fürsten in einer politisch sehr wichtigen, das Erzbistum Köln betreffenden Angelegenheit (STUMPF, Reg. 3672; DF. I. 59). Beide Herzoge erscheinen in den auf diesem Hoftag ausgestellten Diplomen als Zeugen, Heinrich Jasomirgott als der Altere stets vor dem Löwen mit dem Titel eines Herzogs von Bayern (STUMPF, Reg. 3671—3674, 3676; DD. F. I. 58—62). Es herrschten also * Vgl. zum Folgendeil die Aufarbeitung der Quellenbelege in Form von Regesten durch Heinrich Fichtenau, BUB 4/1, Nr. 775—787.

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zwischen ihm und dem Königshof durchaus normale Beziehungen. Verhandlungen auf einem bayrischen Hoftag in Regensburg im September 1153 verliefen ebenso ergebnislos wie ein weiterer, für den Dezember in Speyer anberaumter Termin, auf dem der Babenberger abermals die formale Rechtmäßigkeit seiner Ladung bestritt. Allein die Zeit arbeitete für den Weifen. Immer näher rückte der festgesetzte Termin für den Antritt des Romzuges, an dem Heinrich der Löwe nur teilzunehmen gesonnen war, wenn vorher zumindest eine Vorentscheidung fiel, die es ihm ermöglichte, in Bayern als Herzog aufzutreten und dortige Kontingente für die Italienfahrt aufzubieten. Otto von Freising spricht es mit klaren Worten aus, daß der König durch die Lage gezwungen war, der Sache ein Ende zu bereiten (imminente etiam sibi expeditionis labore, in qua eundem iuvenem militem sociumque viae habere debuit, finem negotio imponere cogebatur; Gesta II cap. 11). Daher lud er beide Fürsten für den Juni 1154 nach Goslar, und als der Babenberger abermals fernblieb, wurde das Herzogtum Bayern durch ein Urteil des fürstlichen Hofgerichtes Heinrich dem Löwen zugesprochen, der fortan in seinen Urkunden und auf seinem Siegel neben dem sächsischen auch den bayrischen Herzogstitel führte. In der Literatur wird vielfach die Ansicht vertreten, er sei damals vom König durch einen eigenen Rechtsakt in den Besitz, in die Gewere des Herzogtums Bayern eingewiesen worden. In Wirklichkeit erfolgte die Einweisung (Investitur) erst im September 1156 in Regensburg; sie hatte den Verzicht, nicht etwa die Verurteilung Heinrich Jasomirgotts zur Voraussetzung. Außerdem war sie mit der Erfüllung gewisser Bedingungen, die der Babenberger zu stellen in der Lage war, verbunden. Es ist lehrreich, die Situation vor dem Antritt des ersten Italienzuges Barbarossas auf dem Hoftag zu Goslar 1154 mit jener vor dem Aufbruch zum Zweiten Kreuzzug auf der Reichsversammlung zu Frankfurt 1147 zu vergleichen. In beiden Fällen versuchte der junge Weife, eine Entscheidung herbeizuführen. 1147 gelang ihm das nicht, weil der Babenberger zu den wichtigsten Bundesgenossen Konrads III. und zu den angesehensten deutschen Teilnehmern des Kreuzzuges zählte. 1154 war die Teilnahme Heinrichs des Löwen an der Romfahrt unentbehrlich; daher kam er faktisch in den Besitz des Herzogtums Bayern. Als der Kaiser im September 1155 nach Deutschland zurückkehrte, wurden die Verhandlungen sogleich wiederaufgenommen. Eine Unterredung in der NäTie von Regensburg und weitere Gespräche in einem Ort nahe der böhmischen Grenze verliefen ergebnislos, obwohl sich mehrere Fürsten, darunter Otto von Freising (vgl. oben S. 35), um eine Vermittlung bemühten. Die persönliche Empfindlichkeit steigerte sich so sehr, daß die Herren grußlos voneinander schieden (infecto adhuc negotio insalutati ab invicem separati sunt; Gesta II cap. 42). All diese Verhandlungen wurden vertraulich geführt; auch Otto von Freising, der ohne Zweifel eingeweiht war, hat das Geheimnis nicht

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gelüftet. Im Oktober 1155 trat in Regensburg ein Hoftag zusammen, auf dem Heinrich Jasomirgott vor eine vollendete Tatsache gestellt wurde. Sicher war ursprünglich beabsichtigt gewesen, ihn vorher zum Verzicht zu bewegen und die Sache dann hier zum Abschluß zu bringen. Wieder müssen wir uns an Otto von Freising halten. Er schildert uns den Zusammentritt einer feierlichen Versammlung unter dem Vorsitz des Kaisers, auf der Heinrich der Löwe seine Besitzungen und den Sitz seiner Väter empfängt (sedente ibi in publico consistorio imperatore iam sepe nominatus dux possessionem suam' patrumque suorum recipit sedem; Gesta II cap. 43). Die bayrischen Großen leisten ihm Mannschaft und Treueid, die Bürger der Stadt Regensburg verpflichten sich ihm nicht nur durch einen Treueschwur, sondern außerdem audi durch Stellung von Geiseln, da ihre Haltung offenbar eine schwankende war (proceres Baioariae hominio et sacramento sibi obligantur, et cives non solum iuramento, sed etiam, ne ullam vacillandi potestatem haberent, vadibus obfirmantur). Die rechtliche Natur dieser Vorgänge ist vielfach erörtert worden. Ein auf das Herzogtum bezüglicher Belehnungsakt kann damals noch nicht vollzogen worden sein, doch nahm der Weife Bayern faktisch in Besitz und empfing die Huldigung des bayrischen Adels. Vom Reichsoberhaupt und von den Großen des Landes anerkannt, regierte er von nun an das Herzogtum. Die Entscheidung ließ sich unter diesen Umständen nicht mehr länger aufhalten. Sie fiel in geheimen Verhandlungen, die der Kaiser am 5. Juni 1156 — nicht auf einem Hoftag, sondern sozusagen während eines privaten Aufenthaltes — in der Nähe von Regensburg mit Heinrich Jasomirgott führte, nachdem er das Pfingstfest auf einer Burg des Pfalzgrafen Otto von Wittelsbach, also offenbar in kleinem Kreise, verbracht hatte. Ob der Pfalzgraf dabei eine vermittelnde Rolle spielte, wissen wir nicht; überhaupt sind uns keine näheren Einzelheiten über den Verlauf dieser Gespräche bekannt. Die Initiative lag jedenfalls beim Kaiser, der seinen Oheim aufsuchte und ihn zum Einlenken bewog, während Heinrich der Löwe nicht zugegen war. Es handelte sich um eine persönliche Kontaktnahme, bei der das diplomatische Geschick und das gewinnende Wesen des Staufers ins Gewicht gefallen sein mögen (non longe a civitate Ratispona patruum suum Heinricum ducem alloquens ad transactionem cum altero itidem Heinrico faciendum tunc demum inclinavit; Gesta II cap. 47). Otto hat es nicht versäumt, das Abkommen als einen persönlichen Erfolg des Kaisers herauszustreichen; aus seinen Worten gewinnt man den Eindruck, daß sich Barbarossa selbst seiner Umgebung gegenüber in diesem Sinne geäußert hat (Preponebat hoc princeps omnibus eventuum suorum successibus, si tarn magnos sibique tarn affines imperii sui principes sine sanguinis effusione in concordiam revocare posset; Gesta II cap. 47). Es kann keinem Zweifel unterliegen, daß damals die Zugeständnisse, die der Babenberger erreichen konnte, in allen Einzelheiten festgelegt und die Einberufung eines Hoftages nach Regensburg für Maria Geburt (8. September) in Aussicht genommen wurde.

Die Beilegung des Streites mit den Mitteln des Lehenrechtes

Der Hoftag zu Regensburg Die Wahl des Ortes für die feierliche Beilegung des Streites um das Herzogtum Bayern war keine zufällige. Der bedeutende Handelsplatz an der Donau galt schon zur Zeit Ludwigs des Deutschen als Hauptort des bayrischen Stammesgebietes und dann später des sich daraus entwickelnden Herzogtums. Besonders seit der Zeit Kaiser Heinridis II., der ja selbst Herzog von Bayern gewesen war, pflegten die deutschen Herrscher mit Vorliebe wichtige Angelegenheiten, die das Land und die Großen Bayerns betrafen, in dieser Stadt zu behandeln, die sidi schon durdi ihre günstige Verkehrslage bequem dafür anbot. Wir haben gesehen, daß hier Barbarossa im Sommer 1152 auf seinem Umritt durdi das Reich die Huldigung der Großen des Landes entgegennahm und da£ sich Heinrich Jasomirgott aus diesem Anlaß zum erstenmal am Hofe des neuen Königs einfand. Es unterliegt keinem Zweifel, daß bereits im Juni 1156 alle jene Vereinbarungen im einzelnen festgelegt wurden, die dann im Privilegium minus ihren Niederschlag finden sollten (vgl. oben S. 31). Es scheint sich um eine formlose Absprache gehandelt zu haben, die nicht feierlich beschworen oder sdiriftlidi aufgezeichnet wurde. In diesem Sinne spridit Otto von Freising von einem consilium (Ratschluß). Jedenfalls hat die Untersuchung des Diktats des Privilegium minus ergeben, daß die dispositiven Sätze der Urkunde in der Kanzlei abgefaßt wurden. Wie Otto von Freising betont, wurden die Vereinbarungen zunächst geheimgehalten (quod tarn diu secreto retentum celabatur). Der Ausdruck iam diu ist insofern ein wenig übertrieben, als es sidi nur um einen Zeitraum von etwas mehr als zwei Monaten, vom 5. Juni bis zum 8. beziehungsweise 17. September, handelte. Man wird also in den Pfingsttagen des Jahres 1156 bei Regensburg beschlossen haben, die rechtsförmliche, öffentliche Kundmachung der geschlossenen Vereinbarungen binnen angemessener Frist auf einem allgemeinen Hoftag zu vollziehen. Es war Sitte, derartige Versammlungen an hohen Kirchenfesten anzuberaumen und sie mit einem feierlichen Gottesdienst zu verbinden, bei

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dem der Herrscher unter der Krone einhersdiritt. Nach dem Festkalender bot sich dafür am bequemsten Maria Geburt, der 8. September, an, ein Feiertag, der sich während des Hochmittelalters ganz besonderen Ansehens erfreute. Man darf den Begriff des Reichstages des Spätmittelalters und der frühen Neuzeit nicht ohne weiteres auf das 12. Jahrhundert übertragen. Die Quellen der Zeit sprechen von einem Hof tag (curia) und bezeichnen eine bedeutendere Versammlung gern als curia generalis. Damit soll nicht gesagt sein, daß die Tagung von der großen Mehrheit aller Fürsten und Großen oder aus den verschiedenen Reichsteilen gleichmäßig besucht worden wäre. Aber der Kreis der Teilnehmer ging doch über das gewöhnliche Maß hinaus; viele von ihnen waren sicherlich eigens vom Herrscher geladen worden, und die Anwesenden schienen berufen, Angelegenheiten von großer Tragweite zu beraten und zu entscheiden, ohne daß dafür irgendwelche feste Normen bestanden hätten. So hatte sich in Regensburg im September 1156 eine sehr ansehnliche Menge von Fürsten und Großen des Reiches versammelt, deren Namen wir aus den Zeugenlisten des Privilegium minus und des Diploms Kaiser Friedrichs I. für die Johanniter in Österreich (DF. I. 152; FICHTENAU, Urkundenbuch 4 / 1 , S. 1 5 8 , Nr. 8 0 5 ) kennen; die dritte auf diesem Hoftag ausgestellte Urkunde für die Äbtissin Hedwig von Essen beziehungsweise für die Stiftskirche zu Schwarzrheindorf (DF. I. 150; LACOMBLET, Niederrheinisches Urkundenbuch 1, S. 2 6 9 , Nr. 3 8 9 ) führt keinerlei Zeugen an. An der Spitze der geistlichen Reichsfürsten steht der Patriarch von Aquileja; es folgen der Erzbisdiof von Salzburg mit seinen Suffraganen, den Bischöfen von Freising, Passau, Regensburg und Brixen, ferner Eberhard von Bamberg und der Bischof von Trient. Außer Heinrich dem Löwen und dem Babenberger hatten sich der Mutterbruder des Kaisers, Weif VI., die Herzoge Vladislav von Böhmen und Heinrich von Kärnten, des Kaisers Halbbruder Konrad und sein jugendlicher Vetter Friedrich von Rotenburg, die Markgrafen Engelbert von Istrien, Diepold von Vohburg und Albrecht von Brandenburg, der Pfalzgraf Hermann bei Rhein, der bayrische Pfalzgraf Otto von Wittelsbach und eine stattliche Reihe von Grafen und anderen vornehmen Herren eingefunden. Wie man sieht, gehört die Mehrheit der Anwesenden dem Südosten des Reiches, dem alten bajuwarischen Stammesgebiet, an, das nunmehr eine für die Zukunft entscheidende politische Aufgliederung erfahren sollte, die freilich längst in der tatsächlichen Entwicklung durdi Generationen vorbereitet war. Überhaupt nidit vertreten waren der rheinische und der norddeutsche Episkopat; auch die weltlichen Großen dieser fernliegenden Reichsteile waren nur vereinzelt und offenbar aus besonderem Anlaß (Brandenburg, Pfalzgraf bei Rhein) erschienen. Wenn gerade hier auch ein Diplom für die Äbtissin von Essen ausgestellt wird, so ist das ein Einzelfall, der freilich beweist, daß es sich eben um einen allgemeinen, in seiner Wirksamkeit keineswegs auf bestimmte Reichsteile beschränkten Hoftag gehandelt hat.

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Die Beilegung des Streites

Der Bericht Ottos von Freising Das Fürstentum als Fahnenlehen Der zeitgenössische Geschichtsschreiber Friedrich Barbarossas, Bisdiof Otto von Freising, berichtet gegen Ende des zweiten Buches seiner „Gesta Friderici" eingehend über die endgültige Bereinigung des langwierigen Streites um das Herzogtum Bayern. Es ist vom methodischen Standpunkt aus ungemein lehrreich, seine Darstellung mit dem Wortlaut des Privilegium minus zu vergleichen. Der Chronist bietet einerseits mehr, andererseits weniger als die Urkunde. Immer wieder war er im Laufe seiner Erzählung auf die bayrische Frage zurückgekommen, die ihn besonders bewegen mußte. Als einer der Bischöfe der Salzburger Kirdienprovinz, die räumlich mit dem Siedlungsgebiet des bayrischen Stammes zusammenfiel, mußte er an der Wiederherstellung des Landfriedens im Herzogtum Bayern besonders interessiert sein. Als Angehöriger des Fürstenhauses der Babenberger und naher Verwandter der staufischen Dynastie wünschte er eine Bereinigung der Gegensätze durch einen allseits befriedigenden Ausgleich. Der Enkel Kaiser Heinrichs IV., der in den Zisterzienserorden eingetreten war, der in Paris eine ausgezeichnete theologische Bildung erworben hatte und uns aus seinen Werken als einer der hervorragendsten Vertreter hochmittelalterlicher Geschichtsphilosophie bekannt ist, hoffte am Ende seines Lebens, die erfolgversprechende Regierung seines Neffen, des Kaisers Friedrich Barbarossa, könnte endlich eine friedlichere Epoche in der Geschichte des Reiches einleiten. Im Schlußkapitel des zweiten Buches seines Werkes, dem letzten, das er verfaßte, bevor ihn Krankheit und Tod an der Fortsetzung hinderten, klingt etwas von dieser Hoffnung an, wenn er berichtet, der Kaiser habe am Tage nach der Ausstellung des Privilegium minus einen Landfrieden für Bayern beschwören lassen, der vom nächsten Pfingstfest an für ein Jahr Geltung haben sollte. Aufgrund seiner Stellung und seiner Abkunft war Otto von Freising über die Ereignisse, die sich im September 1156 auf dem Hoftag zu Regensburg abspielten, aufs beste unterrichtet. Der Kaiser brauchte ihm darüber keine gesonderten Informationen zukommen zu lassen. Als er ihn mit der Abfassung der Gesta Friderici beauftragte, sagte er am Ende seines ausführlichen Briefes, der zugleich eine Skizze der in dem Geschichtswerk zu behandelnden Themen enthält: „Du weißt audi, welche Vereinbarung wir zwischen Deinem Bruder, dem Herzog von Österreich, und dem Herzog von Bayern zustandegebracht haben" (Scis etiam .. ., quam inter fratrem tuum ducem Austriae et ducem Baioariae concordiam fecerimus). Es entspricht der Zurückhaltung, die Otto von Freising in allen großen politischen Fragen nicht bloß aus Vorsicht oder Klugheit, sondern mindestens ebensosehr im Hinblick auf die ihn belastenden, einander vielfach widersprechenden persönlichen Bindungen und Verpflichtungen übt, wenn er sagt: Soweit ich mich erinnere, war der Inhalt der Vereinbarung folgender (Erat autem haec summa, ut recolo, concordiae; Gesta Friderici II cap. 55). Mit ähnlichen

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Wendungen hatte er zu Beginn des zweiten Buches seines Geschichtswerkes über die Beratungen berichtet, die zur einmütigen Königswahl Barbarossas führten. Er war Augenzeuge der Regensburger Vorgänge gewesen und schildert sie aus der Erinnerung. Dabei ist ihm in der Tat ein kleiner Fehler in chronologischer Hinsicht unterlaufen. Aus dem Privilegium minus wissen wir, daß die reditsförmliche Beilegung des Konfliktes am Fest Mariä Geburt (8. September) vollzogen wurde. Otto von Freising sagt irrtümlicherweise, die Fürsten hätten sidi erst Mitte September (mediante iam Septembre) in Regensburg versammelt und dort einige Tage die Ankunft des Kaisers abwarten müssen (per aliquot dies presentiam imperatoris prestolarttur). Hätte der ausgezeichnet unterrichtete Chronist den Text der Urkunde vor sich gehabt, als er diese Worte niederschrieb, dann wäre ihm ein solcher Irrtum nicht unterlaufen. Dieser Auffassung scheint allerdings eine andere Beobachtung zu widersprechen. Der Bericht Ottos von Freising endet mit folgender Zeitangabe: Acta sunt haec anno regni eius quinto, imperii secundo. Mit den gleichen Worten (anno regni eius quinto, imperii secundo) aber schließt auch die Datierung der Urkunde. Auf den ersten Blick scheint hier ein wörtliches Zitat Ottos aus dem Privilegium minus vorzuliegen. Sehr viele Forscher haben den Tatbestand so gedeutet, aber nicht mit Recht. Die Eigenart der Jahresangabe entspricht, wie LEVISON (Neues Archiv 3 4 , S. 2 1 3 ) gezeigt hat, durchaus den Gewohnheiten Ottos von Freising und Rahewins. In Ottos Bericht über den Antritt des ersten Italienzuges heißt es, Barbarossa habe im dritten Jahre seines Königtums um den Beginn des Monats Oktober auf dem Lechfeld seine Streitmacht versammelt (anno regni sui tercio ... circa principium mensis Octobris militem in Italiam iturus collegit; Gesta Friderici II cap. 1 1 , vgl. LEVISON a. a. O., S. 2 1 3 Anm. 3 ) . Das ist eine eindeutige stilistische Parallele zu den Datierungsangaben in dem Abschnitt über den Regensburger Hoftag von 1156 (mediante iam Octobre und Herrscherjahre). Die Ausdrucksweise entspricht der Eigenart Ottos von Freising·; es liegt kein Grund vor, eine wörtliche Benützung des Privilegium minus anzunehmen. Diese Feststellung ist deswegen von Interesse, weil das Werk Ottos von Freising im Auftrag des Kaisers geschrieben wurde. Man hat daher die Frage vielfach erörtert, ob und in welchem Ausmaß ihm der Hof schriftliche Unterlagen zur Verfügung gestellt hat. Eine sorgfältige Prüfung des zweiten Buches der Gesta Friderici, das die Regierungszeit Barbarossas von seiner Wahl bis zum Regensburger Hoftag von 1156 zum Gegenstand hat, führt zu dem Ergebnis, daß dies kaum der Fall war. Sofern Otto nicht Selbsterlebtes • Vgl. auch den Bericht Ottos über den Hoftag, den Barbarossa 1155 nach der Rückkehr aus Italien zu Regensburg abhielt: Post haec mediante Octobre imperator Ratisponam, Norici ducatus metropolim, curiam celebraturus ingreditur (Gesta Friderici II cap. 43).

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Die Beilegung des Streites

berichtet, stützt er sich auf mündliche Berichte. Im übrigen hält er sich im Aufbau seiner Darstellung an den Brief des Kaisers, der ihm Richtlinien für die Gliederung seines Werkes erteilte und ihm dabei die wichtigsten Ereignisse in Erinnerung rief. Damit war zugleich zum Ausdruck gebracht, auf welche Punkte der Auftraggeber besonderen Wert legte und welche er mit Stillschweigen übergangen zu sehen wünschte. Darüber hinaus wurde dem Bischof von Freising seitens des Hofes offenbar kein schriftliches Material überreicht. Anders verhält es sich mit der Fortsetzung der Gesta Friderici durch seinen Notar Rahewin, der eine größere Anzahl amtlicher Schriftstücke im vollen Wortlaut in seine Darstellung aufgenommen hat. Den Anschauungen des deutschen Rechtes gemäß pflegten Belehnungsakte durch symbolische Rechtshandlungen vollzogen zu werden. Dabei wurde in unserem Falle mit besonderer Sorgfalt auf den Rang und das Ansehen der beteiligten Persönlichkeiten Rücksicht genommen. Das äußert sich schon darin, daß man die Zeremonie nicht am Hauptsitz des bayrischen Herzogtums, also in Regensburg selbst, vornahm. Heinrich Jasomirgott hatte sein Zeltlager etwa zwei Meilen außerhalb der Stadt 10 aufgeschlagen; dorthin zog ihm der Kaiser mit den Großen, die sich versammelt hatten, um Zeugen der feierlichen Handlung zu werden, entgegen. Der Bericht, den das Privilegium minus enthält, stimmt mit der Darstellung der Vorgänge bei Otto von Freising völlig überein. Der Herzog von Österreich leistete auf das Herzogtum Bayern rechtsförmlichen Verzicht, indem er sieben Fahnen in die Hände des Kaisers legte. Dieser belehnte damit sofort (statim) den Herzog von Sachsen. Der letztere, der nun charakteristischerweise von der Reichskanzlei als dux Bawarie bezeichnet wird, reichte daraufhin dem obersten kaiserlichen Lehensherrn zwei der Fahnen zurück, die die bisherige Mark Österreich „mit allem ihrem Recht und mit allen Lehen, die einst Markgraf Leopold [ I V . ] vom Herzogtum Bayern hatte", oder, wie Otto von Freising sagt, „mit den von altersher zu ihr gehörigen Grafschaften" bedeuteten. Sodann verwandelte der Kaiser aufgrund eines von Herzog Vladislav von Böhmen verkündeten Urteilsspruches der Fürsten die Mark Österreich in ein Herzogtum, das er samt allem damit verbundenen Recht dem Babenberger und dessen Gemahlin Theodora durch Überreichung der zwei Fahnen zu Lehen gab. '* Aller Wahrscheinlichkeit nach auf den sogenannten Barbinger Wiesen östlich von Regensburg, wo damals nadi einer Eintragung im Traditionskodex des Klosters Ensdorf in der Oberpfalz (Fichtenau, BUB 4/1, S. 140 Nr. 788) der Verkauf eines Gutes an dieses Kloster vor Herzog Heinrich von Österreich rechtskräftig vollzogen wurde: coram duce Australium. Confirmata sunt hec in prato Barbingen. Aus der gleichen Quelle geht hervor, daß der Kaiser in diesen Tagen auf der Burg Donaustauf bei Regensburg Wohnung genommen hatte: Et sciendum, quod ad confirmandum huius rei testamentum coram augusto imperatore Friderico in Castro Τumstaufe hec iterata sunt (Simonsfeld, Jahrbücher Friedrichs I. 1, S. 467 Anm. 172).

Der Bericht Ottos von Freising

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Dem Bericht Ottos von Freising verdanken wir einige Einzelheiten, die die Urkunde nidit erwähnt. Von ihm erfahren wir, daß die Zeremonie nicht in Regensburg, sondern außerhalb der Stadt vollzogen wurde und daß der Kaiser seinem Oheim dorthin entgegenkam. Audi die Anzahl der Fahnen, deren man sich bediente, kennen wir nur aus seinem Bericht. In beiden Fällen handelt es sich nicht um sachliche Abweidlungen, sondern nur um Ergänzungen, die der Geschichtsschreiber bietet. Schwieriger liegt die Sache bei den drei Grafschaften, denn es ist nicht ganz klar, ob beide Quellen in diesem Punkt vollkommen identische Aussagen machen. Die Verleihung des Herzogtums mit allem Recht und mit allen Lehen, die einst Leopold IV. vom Herzogtum Bayern hatte, umfaßt rechtlich doch wohl mehr als den Begriff der drei Grafschaften, wie immer er zu deuten sein mag. Wie Otto von Freising an anderer Stelle hervorhebt, galten die weltlichen Fürstentümer als Fahnenlehen des Reiches (est enim consuetudo curiae, ut provinciae per vextllum α principe tradantur vel recipiantur; Gesta Friderici II cap. 5), während die geistlichen Fürsten die Temporalien (Regalien) seit dem Wormser Konkordat (1122) durch das Symbol des Zepters aus der Hand des Königs entgegennahmen. Die Fahne bedeutet die militärische Befehlsgewalt und damit die Friedenswahrung gegen äußere Feinde, die als untrennbar verbunden mit der Hoch- und Blutgeriditsbarkeit gedacht ist. Daher werden die Fürsten, Herzoge wie Markgrafen, auf den Siegeln zu Pferde als Anführer des Aufgebotes ihres Landes, die Fahnenlanze in der Hand, dargestellt. Zunächst bediente man sich bei der Investitur sicherlich nur einer Fahne. Handelte es sich jedoch um ein großes und bedeutendes Fürstentum, das sich in mehrere Teilgebiete aufgliederte, dann lag der Gedanke nahe, den hohen Rang des Belehnten dadurch zu unterstreichen, daß ihm mehrere Fahnen überreicht wurden, die als Symbole der einzelnen Lehen aufgefaßt werden konnten, aus denen sich das Herzogtum zusammensetzte11. So verfiel man darauf, die Lösung einzelner Lande oder Gebiete aus dem Verband eines Dukats rechtskräftig zum Ausdruck zu bringen, indem der Herzog die auf sie bezüglichen Fahnen in die Hände des kaiserlichen Lehensherrn zurücklegte. Das Privilegium minus spricht von der marchia Aus trie, Otto von Freising von der marchia Orientalis. Beide Ausdrücke sind offenbar für die damalige Zeit gleichbedeutend gewesen, beide entsprachen dem mittelhochdeutschen Osterriche des 12. Jahrhunderts. Der vom Chronisten gewählte Terminus konnte freilich auch für andere Machtbereiche im Osten gebraucht werden, und das mag einer der Gründe gewesen sein, warum man ihn in der Urkunde, in der es auf eine präzise Formulierung der rechtlichen So heißt es in dem Diplom Friedrichs II. über die Errichtung des neuen Herzogtums Braunschweig (1235), der Kaiser habe den Weifen nach der herrschenden Gewohnheit feierlich mit Fahnen investiert (eum sollempniter iuxta con11

suetudinem mvesüvimus

per vexilla; Mon. Germ. Hist. Const. 2, S. 264 Nr. 197).

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Die Beilegung des Streites

Tatbestände ankam, lieber vermied. Audi ließ sich so die Umwandlung der bisherigen Mark in den neuen ducatus Austrie am deutlichsten formulieren. Im übrigen hat das Privilegium minus sicher nicht unwesentlich dazu beigetragen, daß Austria als staatsrechtlicher und geographischer Begriff endgültig eingebürgert wurde; im lateinischen Sprachgewande konnte das Herzogtum Österreich von nun an nicht anders bezeichnet werden. Das Wort bot sich als Gegenstück zum ducatus Bavarie dar, und es erhielt in dem von der Stammburg der Traungauer hergeleiteten Landesnamen der Steiermark (Stira, Stiria) bald ein gleichwertiges Analogon.

Die mit der Mark und dem Herzogtum verbundenen Rechte Die drei Grafschaften Es entsprach dem Sinn der politischen Abmachungen ebenso wie der rechtlichen Situation, wenn der Kaiser dem Babenberger das Herzogtum Österreich cum omni iure, das heißt mit allen bisher mit der Markgrafenwürde seiner Vorfahren verbundenen Rediten, verlieh. Denn es sollte jener Zustand wiederhergestellt werden, der vor der Belehnung Leopolds IV. mit Bayern bestanden hatte, nur mit dem Unterschied, daß Heinrich Jasomirgott die einstige Machtstellung des Markgrafen von Österreich nun unter dem Titel eines Herzogs innehaben sollte. Eine nähere Umschreibung dessen, was mit der ebenso allgemeinen wie umfassenden Wendung cum omni iure gemeint war, bietet die Urkunde nicht. Man muß sich daran erinnern, daß Ausdrücke wie Herzogtum, Markgrafschaft, Grafschaft im engeren Sinne des Wortes zunächst das Amt und Lehen bezeichneten, das vom Reichsoberhaupt vergabt wurde, daß man aber vielfach darunter den Inbegriff aller Rechte verstand, die sich in der Hand des betreffenden Fürsten befanden, gleichgültig, welchen Rechtscharakter sie trugen. Die tatsächliche Machtgrundlage der Fürsten bildete gar nicht in erster Linie die vom König verliehene Amtsgewalt. Als zum Herzogtum Österreich gehörig betrachtete man die Allodien des Hauses der Babenberger, die Herrschaft über die Ministerialen im Lande, die weitgehend mit freiem Eigen des Fürsten ausgestattet waren, die Kirdienvogteien und nicht zuletzt die Kirchenlehen, die der neue Herzog wie bisher der Markgraf aus der Hand der Bischöfe weiterhin besaß. In all diesen Rechtsverhältnissen sollte keine Änderung eintreten. Als Barbarossa im Jahre 1180 nach dem Sturz Heinrichs des Löwen dem Erzbischof von Köln die herzogliche Gewalt in Westfalen für den Bereich seiner Erzdiözese verlieh, übertrug er ihm mit einer Wendung, deren Eingangsworte an das Privilegium minus erinnern, Grafschaften und Vogteien, das Geleitrecht, Hufen und Herrenhöfe, Lehen, Ministerialen und Hörige. Die Vergabung erfolgte nach der Geinhäuser Urkunde (Mon Germ. Const. 1, Nr. 279) cum omni iure et iurisdictione, videlicet cum comi-

Mit Mark und Herzogtum verbundene Redite

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tatibus, cum advocatiis, cum conductibus, cum mansis, cum curtibus, cum beneficiis, cum ministerialibus, cum mancipiis et cum omnibus ad eundem ducatum pertinentibus. Das alles konnte als Zubehör eines Herzogtums aufgefaßt werden. Allerdings waren die rechtlichen Voraussetzungen nicht die gleichen wie 1156 in Österreich, denn der Kaiser übertrug dem Kölner Erzstift auch den Inbegriff aller allodialen Herrschaftsrechte des Löwen in Westfalen und schuf damit eine völlig neue Situation, während er Heinrich Jasomirgott nur die ererbte Position bestätigte. Man hielt es nicht für erforderlich, die Machtsphäre des Babenbergers gegenüber der des Löwen durdi geographische Angaben abzugrenzen. Die Lösung Österreichs von Bayern war deutlich genug ausgesprochen, territoriale Veränderungen wurden nicht verbrieft, und auf eine Erörterung der zweifellos nicht ganz eindeutig zu beantwortenden Frage, wie weit sich die Gewalt des Herzogs von Bayern weiterhin auf dem Boden des heutigen Landes Oberösterreich nach Osten hin zu erstrecken habe, ging man überhaupt nicht ein. Sie war unter anderem auch deshalb kaum zu lösen, weil sich der Traungau in der Hand der Markgrafen von Steier befand, deren Verhältnis zu den Herzogtümern Bayern und Kärnten ein ungemein verwickeltes war, bis sie 1180 dem Range nach den Babenbergern und den Wittelsbachern gleichgestellt wurden. In diesem Zusammenhang verdient der Bericht Ottos von Freising besondere Beachtung. Nach seiner Darstellung übergab Heinrich der Löwe die Ostmark mit den seit alters zu ihr gehörigen Grafschaften (marchiam Orientalem cum comitatibus ad eam ex antiquo pertinentibus) dem Kaiser, der sie daraufhin cum predictis comitatibus, quos tres dicunt, in ein Herzogtum verwandelte. Über die Auslegung dieser Stelle ist eine lange, ungemein vielseitige Diskussion entbrannt, der allerdings mehr landesgeschichtliche Bedeutung zukommt. In der Tat hat die Äußerung Ottos auf jeden Fall etwas Unbestimmtes an sich. Stellt man die vorsichtige Zurückhaltung in Rechnung, die der bischöfliche Chronist aus dem österreichischen Fürstenhaus auch sonst an den Tag legt, wenn er zu besonders schwierigen politischen Problemen Stellung nehmen muß, dann wird man annehmen dürfen, daß der Sachverhalt, den er hier andeutet, an und für sich kein ganz eindeutiger, jedenfalls ein umstrittener war. Man kann ja seine Worte auf verschiedene Weise interpretieren. Wenn man nämlich übersetzt: „mit den Grafschaften, welche die drei genannt werden", dann gab es ein Gebiet, das unter der Bezeichnung „die drei Grafschaften" gleichsam zu einem feststehenden Begriff geworden war, so daß Otto von Freising die Kenntnis dieser Tatsache bei seinen Lesern voraussetzen konnte und es nicht für nötig hielt, die Grafschaftsnamen anzuführen. Allein diese hauptsächlich von Karl U H L I R Z vertretene Auffassung ist doch wenig wahrscheinlich, denn als feststehende politische Einheit begegnen die drei Grafschaften nirgends; daß sie mit den in der Raffelstettener Zollordnung aus der Zeit Ludwigs des Kindes erwähnten tres comitatus etwas zu tun haben sollen, ist eine allzu weit

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Die Beilegung des Streites

hergeholte Hypothese, die seit jeher auf beredragten Widerspruch gestoßen ist. So bleibt die andere Obersetzungsmöglichkeit: .deren es drei sein sollen". Trifft sie das Richtige, dann waren nach der Aussage Ottos mit der Mark der Babenberger seit alter Zeit Grafschaften verbunden, und zwar drei an der Zahl. Aber ganz eindeutig war die Sache offenbar nicht, denn sonst hätte der Chronist eine präzisere Ausdrucksweise gewählt. Bei der Abfassung des Privilegium minus ging man mit der allgemein gehaltenen Wendung cum omni iure über die Sache hinweg. Otto aber lag offenbar daran, die lehenrechtliche Zeremonie eingehend zu schildern. Nun bezog sich die eine der beiden Fahnen, die der Kaiser dem Babenberger überreichte, möglicherweise auf die mit der Mark seit alters verbundenen Grafschaften, die andere auf das Gebiet der Mark selbst; das veranla£te den Chronisten, näher auf diesen Punkt einzugehen, während der Kaiser es lieber vermied, die in Schwebe befindlichen Probleme der territorialen Abgrenzung der bayrischen von der österreichischen Machtsphäre auf dem Boden des heutigen Landes OberÖsterreich anzuschneiden, denn diese zweitrangigen Fragen fielen für die Beilegung des Konfliktes um das Herzogtum Bayern kaum ins Gewicht, und sie hätten höchstens die Bereinigung des Streites erschweren können. Bei der Beurteilung der Frage darf man nicht vergessen, daß die Grafschaftsverfassung des Reiches etwa seit der Zeit des Investiturstreites einem sehr komplizierten Umwandlungsprozeß unterworfen war. Ein kennzeichnendes Beispiel dafür ist die Mark an der mittleren Mur, das Kerngebiet des späteren Landes Steiermark, die ursprünglich als karantanische Mark bezeichnet wurde, deren Markgraf jedoch verpflichtet war, die Hoftage der Herzoge von Bayern zu besuchen. Es gibt allerdings zwei spätere Nachrichten, die von einer Ausweitung des Gebietes der bisherigen Mark Österreich gegen Bayern hin sprechen. Ein kurzer historischer Bericht, der im Stift Melk in den siebziger Jahren des 12. Jahrhunderts verfafit wurde und an Herzog Leopold V., den Sohn Heinrich Jasomirgotts, gerichtet ist, das sogenannte Breve Chronicon Mellicense, kommt mit folgenden Worten auf die Erhebung Österreichs zum Herzogtum zu sprechen: iste H., pater vester, nomen et dignitatem, quam sua virtute adeptus fuerat, reportavit Aus trie, scilicet ut deinceps non marchia, sed ducatus vocaretur et esset (Dieser Heinrich, euer Vater, brachte den Namen und die Würde, die er kraft seiner Tüchtigkeit erworben hatte, nach Österreich, so daß dieses von nun an nicht mehr eine Mark, sondern ein Herzogtum hieß und war; Mon. Germ. Hist. Script. 24, S. 71). Eine andere Hand fügte folgende Einschaltung ein: dilatatis videlicet terminis a ftumine Anaso usque ad fluvium qui dicitur Rotensala, addito et comitatu Pogen (wobei die Grenzen vom Ennsfluß bis zum Fluß Rotensala erweitert und die Grafschaft Bogen hinzugefügt wurde). In der Sache weitgehend übereinstimmend berichtet Abt Hermann von Niederaltaidi etwa ein Jahrhundert später über die Vorgänge des Jahres 1156: imperator ... marchio-

Mit Mark und Herzogtum verbundene Rechte

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natum Austrie, a iurisdictione ducis Bawärie eximendo et quosdam ei comitatus de Bawaria adiungendo, convertit in ducatum; iudiciariam potestatem principi Austrie ab Anaso usque ad silvam prope Pataviam, que dicitur Rotensol», protendendo (Der Kaiser verwandelt die Mark Österreich, indem er sie von der Jurisdiktion des Herzogs von Bayern befreit und ihr einige bayrische Grafschaften hinzufügt, in ein Herzogtum; dabei dehnt er die Gerichtsgewalt des Fürsten von Österreich von der Enns bis zu dem Walde bei Passau, der Rotensala heißt, aus; Mon. Germ. Hist. Script. 17, S. 382)". Jeder Versuch, diese Quellenaussagen zu interpretieren, stößt auf die größten Schwierigkeiten. Die Grafschaft Bogen, an die man auch in der neueren Forschung immer wieder gedacht hat, lag im altbayrischen Donauland und war im 12. Jahrhundert in der Hand des gleichnamigen Grafenhauses, der Gründer der Klöster Oberaltaich und Windberg, deren Macht sich über den östlichen Donaugau und den Bayrischen Wald erstreckte. Die Nachricht könnte höchstens durch ein Mißverständnis daraus entstanden sein, daß die Babenberger im Gebiet dieser Grafschaft gewisse Güter und Rechte besaßen. Eine Verwechslung mit den im oberösterreichischen Attergau sowie im Waldviertel und in Niederösterreich südlich der Donau zwischen Sierning und Traisen begüterten Grafen von Poigen-Rebgau ist weit wahrscheinlicher. Karl L E C H N E R (Grafschaft, Mark und Herzogtum, Ausgewählte Schriften 1947, S. 31 f.) hat die Meinung vertreten, es könnte sich um den Besitz der um 1156 erloschenen Waldviertler Linie dieses gräflichen Geschlechtes handeln. Allerdings erhebt sich sofort die Frage, was der Obergang einer verhältnismäßig entlegenen, nicht sehr bedeutenden Machtposition an die Babenberger mit der Bereinigung des Streites um das Herzogtum Bayern zu tun hatte. Wollte der Verfasser der Einschaltung im Breve Chronicon Mellicense vielleicht nur darauf hinweisen, daß nachträglich auch nodi diese Grafschaft von Herzog Heinrich II. hinzuerworben wurde? Der bereits zitierte wittelsbachisch gesinnte Ghronist Hermann von Niederaltaich erblickte in der von Barbarossa durchgeführten Neuordnimg eine Schmälerung der Rechte Bayerns. Ehre und Macht der Herzoge seines Heimatlandes seien durch das Privilegium minus gemindert worden. Er berichtet zum Jahre 1156: marchionatum Austrie in ducatum mutavit. Ex quo facto multum est diminutus honor et potentia ducum Bawarie, sicut patet in prifilegio imperii hic transcripto (Mon. Germ. Hist. Script. 17, S. 383). Hermann ist der Meinung, der Kaiser habe bayrische Grafschaften (comitatus de Bawaria) mit Osterreich verbunden und dadurch Bayern Unter Rotensala ist nach Hageneder, Handbuch der Historischen Stätten, Osterreich, 1, S. 99 der Salletwald zwischen Peuerbach und St. Willibald zu verstehen, der mindestens seit dem 13. Jahrhundert an der Westgrenze zwischen Bayern und Oberösterreidi lag. 11

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benachteiligt. Allein diese Auffassung ist nidit ganz zutreffend, denn es wurden den Babenbergern im Jahre 1156 nur jene Grafschaften belassen, die sie besessen hatten, bevor Leopold I V . mit Bayern belehnt worden war. Daß ihnen die Grafschaft Bogen eingeräumt worden sei, kann der Abt des in jenen bayrisdien Kernlanden gelegenen Klosters Niederaltaich kaum geglaubt haben. Damit erscheinen allerdings auch die Nachrichten der beiden Quellen über die Ausdehnung der Jurisdiktion der Herzoge von Österreich über weite Teile Oberösterreichs bis in die Gegend von Passau in wenig günstigem Licht. Eine Nachprüfung des Sachverhaltes von landesgeschichtlicher Seite, wie sie Alois ZAUNER (Mitteil, des Oberösterr. Landesarchivs 7, 1960, S. 230 ff.) vorgenommen hat, zeigt zwar, daß die Macht der Babenberger schon vor der Erwerbung des Erbes der Traungauer im Jahre 1192 im heutigen Oberösterreich bis zum Hausruck im Vordringen begriffen war. Aber die Belege dafür sind weder sehr zahlreich noch besonders gewichtig. Weit bedeutsamer ist die Tatsache, daß Heinrich der Löwe als Herzog von Bayern noch im Jahre 1176 in Enns einen Gerichtstag hielt (Karl JORDAN, Die Urkunden Heinrichs des Löwen, S. 161 Nr. 106). Eine förmliche Abtretung der herzoglichen Gewalt über dieses Gebiet kann also im Jahre 1156 nicht erfolgt sein. Für die Richtigkeit dieser Auffassung spricht noch eine weitere Beobachtung, die man seit langem gemacht hat. Gleichberechtigte Herrscher oder Fürsten pflegten aus Prestigegründen Zusammenkünfte an der Grenze ihrer Machtbereiche zu veranstalten. Am 14. März 1176 traf Heinrich der Löwe östlich der Enns mit Heinrich Jasomirgott zu einer politischen Aussprache zusammen, die besonders feierlichen Charakter trug, weil beide Fürsten mit zahlreichem Gefolge aus den Reihen ihrer Großen und Ministerialen erschienen waren. Demnach galt die Enns im Jahre 1176 als Grenze der beiden Herzogtümer. Allerdings lag dem energisch ausgreifenden Vorgehen Heinrichs des Löwen noch die Idee des alten bajuwarischen Stammesherzogtums zugrunde, dessen Sprengel er mit seiner landesfürstlichen Gewalt durchdringen und ausfüllen wollte. Sein Sturz, die Erhebung der Traungauer zu Herzogen und ihre Beerbung durch die Babenberger gaben den Machtansprüchen der letzteren bereits unter Leopold V. gewaltigen Auftrieb. Erst im Zuge dieser Entwicklung und nicht bereits im Jahre 1156 vollzog sich diese für das österreichische Fürstenhaus günstige Wendung. Im übrigen können hier die verschiedenen landesgeschichtlichen Aspekte der Tres-comitatus-Frage nicht näher erläutert werden. Eine vollständige Bibliographie des Problems findet man bei Mathilde UHLIRZ, Handbuch der Geschichte Österreich-Ungarns, 2. Aufl. 1, S. 311 ff. Doch kann ihr Vorschlag, „tres" als Entstellung von „Traisma" und damit als Ortsbezeichnung aufzufassen und darin die im Gebiet der Traisen in Niederösterreidi gelegenen Grafschaften zu erblicken, von vornherein nicht befriedigen, denn alle Handschriften der Gesta Friderici, die bekanntlich ausgezeichnet überliefert

Die Umwandlung der Mark in ein Herzogtum

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sind, bieten die eindeutige Lesung tres; vgl. APPELT in Archival. Zeitsdirift 61, 1965, S. 222. Schließlich sei hier nodi eine Beobachtung festgehalten, die geeignet sein könnte, den Bericht Ottos von Freising in seiner Tendenz zu charakterisieren. Wenn sidi der Hinweis darauf, daß der Kaiser Heinrich Jasomirgott das Herzogtum cum omni iure verliehen habe, bei ihm nicht findet, so ist das vielleicht mehr als ein belangloses Detail, denn darunter konnten in den Augen des Herzogs jedenfalls auch jene drückenden Forderungen verstanden werden, die er unter Berufung auf die Belehnung durch die Reichsgewalt von den Gütern der Bischöfe von Freising in Österreich erhob (vgl. unten S. 66).

Die Umwandlung der Mark Österreich in ein Herzogtum Der Fürstensprudi Nach dem Wortlaut des Privilegium minus wurde die Mark Österreich vom Kaiser aufgrund eines Urteilsspruches der Fürsten in ein Herzogtum umgewandelt Cmarchiam Austrie in ducatum commutavimus). Diese Ausdrucksweise ist sehr wohl zu beachten, denn ihr liegt doch offenbar die Vorstellung zugrunde, daß im Jahre 1156 keine rechtserheblichen Veränderungen hinsichtlich des territorialen Umfanges und des inneren Aufbaues des Fürstentums stattgefunden haben, dessen Inhaber bisher Markgraf war, von nun an jedoch den Rang und die Würde eines Herzogs tragen sollte. Auch historiographische Nachrichten über die analogen, die Steiermark betreffenden Vorgänge des Jahres 1180 gebrauchen ähnliche Wendungen. Trotzdem ist es vom wissenschaftlichen Standpunkt aus durchaus korrekt, in beiden Fällen von einer Erhebung der Mark zum Herzogtum zu spredien. Der Sachverhalt liegt so klar zutage, daß dies keiner weiteren Beweisführung bedarf. In gleichem Sinne sagt auch Otto von Freising, der Kaiser habe aus der Mark ein Herzogtum gemacht (de eadem marchia ... ducatum fecit). Die knappen Berichte der österreichischen Annalisten heben hervor, daß Heinrich nunmehr als Herzog (der Mark) Österreich vorstand: Heinricus dux Austriae preficitur (Annales Mellicenses, Mon. Germ. Hist. Script. 9, S. 504 zu 1156); Heinricus marchie sue dux preficitur (Continuatio Zwetlensis I, a. a. Ο., S. 538 zu 1157). Die letztere Formulierung, die den Babenberger als dux an die Spitze der bisherigen Markgrafschaft treten läßt, ist geeignet, die erstmals von Heinrich BRUNNER aufgestellte These zu stützen, Österreich sei im Jahre 1156 ein „Markherzogtum" geworden. Der jüngere süddeutsche Chronist Otto von St. Blasien (Ί* 1223) betont in seinem weit ausführlicher gehaltenen Bericht die lehenrechtliche Trennung der Ostmark vom Herzogtum Bayern, die nunmehr selbständig nach dem Recht und dem Rang eines Herzogtums besteht (ut marchia Orientalis, que prius ducatui Norico iure beneficii subiacuit, a ducatu seiuncta per se consistens nulloque respectu

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iuris duci Bawarie subiacens ducatus iure et nomine constaret; Chronica ed. Hofmeister, Mon. Germ. Hist. Script, in us. sdhol. 1912, S. 6 f. zu 1154). Allerdings ist dieser Geschichtsschreiber von den Anschauungen des frühen 13. Jahrhunderts beeinflußt, die zur Zeit der Ausstellung des Privilegs noch nicht ausgebildet waren, wonach damit eine Erhebung des Babenbergers in den Reichsfürstenstand verbunden sein mußte (Heinricus filius Leopaldi

principis iure et ducis nomine et honore sublimatus, a. a. O.).

Die Umwandlung der Mark Österreich in ein Herzogtum nimmt unter den Bestimmungen des Privilegium minus eine Sonderstellung ein, denn sie wurde aufgrund eines Urteils vollzogen, das der Kaiser von den Fürsten erbeten hatte. Verkündet wurde diese sententia principum durch einen der vornehmsten weltlichen Großen des Reiches, den Herzog Vladislav von Böhmen, der nicht lange darauf, im Januar 1158, zum König erhoben werden sollte. E r zählte damals zu den treuesten Anhängern des Kaisers, an dessen zweitem Italienzug er sich maßgeblich beteiligte. Formal wurde genauso wie bei der Findung eines Gerichtsurteils nach deutschem Recht verfahren. Nicht der Vorsitzende Richter, in unserem Falle der Herrscher, fällte den Spruch, sondern einer der angesehensten Standesgenossen der Persönlichkeit, um deren Rang und Rechtsstellung es ging. Die anderen traten seinem Urteil bei, dessen Durchführung dem Riditer, also dem Kaiser, oblag. Interessant ist die Begründung, die für die Umwandlung der Mark in ein Herzogtum gegeben wird. Sie erfolgt mit Rücksidit auf die lehenrechtliche und politische Stellung des Babenbergers, damit durch die vollzogenen Abmachungen nicht in irgendeiner Weise seine Ehre und sein Ruhm gemindert werden. Es sind vielschichtige Vorstellungen, die damit wachgerufen werden. Das Begriffspaar honor et gloria war dem geistlichen Urkundenschreiber aus der Liturgie vertraut, ist aber hier natürlich im weltlichen Sinne zu verstehen. Schon in der Antike bezeichnete honor nicht allein die Ehre, sondern auch das Amt. Diese Bedeutung wurde vom mittelalterlichen Latein übernommen und dem feudalen Denken gemäß im Sinne von Lehen ausgeweitet, so daß honor schon in der späteren Karolingerzeit vor allem in Westeuropa und in Italien in zunehmendem Maß den Inbegriff des Ranges und der Herrschafts- und Hoheitsrechte eines Großen umfaßt. Vasallen lassen sich ihre honores von den Königen verbriefen, Kaiser und Papst sprechen im Konstanzer Vertrag des Jahres 1153, der die Voraussetzungen für die Kaiserkrönung Barbarossas schaffen soll, von ihrem honor, italienische Kommunen gebrauchen das Wort, wenn es darum geht, ihre öffentlichrechtlichen Ansprüche zu charakterisieren. Aber nicht allein Macht und Prestige, auch der ritterliche Ehrbegriff und das ausgeprägte Standesbewußtsein der Zeit schwingen mit, so daß man versucht ist, geradezu von einem Schlagwort zu sprechen, das sich in allen führenden Schichten gerade des 12. Jahrhunderts großer Beliebtheit erfreut. Freilich, Urkunden sind Rechtsquellen; wir müssen daher nach der konkreten rechtlichen Bedeutung fragen, die der Wendung „honor et gloria"

Die Mitbelehnung der Herzogin Theodora

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im Urteilsspruch des Herzogs von Böhmen und in dem entsprechenden Satz des Privilegium minus zukommt. Da stoßen wir, wie schon Julius von FICKER, einer der hervorragendsten Rechtshistoriker des vorigen Jahrhunderts, richtig erkannt hat, auf die damals in Entwicklung begriffene, im Sachsenspiegel von Eike von Repgow voll ausgebildete Lehre vom Heerschild. Wer von seinem Standesgenossen Lehen mit Mannschaft empfängt, der mindert seinen Schild und hat die Genossenschaft verwirkt, der er bisher angehörte. Es lag im Interesse der weltlichen Fürsten, derartige Lehensbande abzustreifen, sofern sie noch existierten. Der Kaiser als oberster Lehensherr war durchaus geneigt, solche Tendenzen zu begünstigen. Gerade unter Barbarossa tritt eine Vorstellung immer deutlicher in Erscheinung, die später zur Ausbildung des Begriffes der Reichsunmittelbarkeit führen sollte. Besonders in Urkunden für Bistümer des Königreiches Arelat, aber audi in italienischen Diplomen und anderwärts betont Friedrich I. mit Vorliebe, daß der Privilegierte keinen zweiten Herrn außer dem Imperator über sich haben solle. Aus solchen Vorstellungen entwickelt sich der Begriff des Reichsfürstenstandes im jüngeren Sinne, der um die Zeit des Sturzes Heinrichs des Löwen (1180) voll ausgebildet ist. Nur wer sein Fürstentum unmittelbar aus der Hand des Reichsoberhauptes empfängt, wird als geistlicher oder weltlicher Fürst des Reiches aufgefaßt. In diesem Sinne weigern sich bayrische Grafen, ja sogar einige Edelfreie, im Jahre 1180, dem bisherigen Pfalzgrafen Otto von Wittelsbach, der von ihrem Standesgenossen zum Herzog emporgestiegen war, Mannschaft zu leisten. Der Markgraf Otakar von Steier erreicht im gleichen Jahre seine Erhebung zum Herzog, also die Ranggleichheit mit dem Wittelsbacher. Wir wissen, daß die Traungauer noch unter Konrad III. Lehen aus der Hand des Herzogs von Bayern hatten. Es ist interessant, auf welchem Wege sie die ihnen offensichtlich unwillkommene Bindung an einen Reichsfürsten, dem sie an Rang und Ansehen gleichstehen wollten, abzulegen verstanden. Sie schenkten diese Lehen mit Zustimmung des Herzogs und des deutschen Königs, von dem sie der erstere innehatte, an die Kirche, und zwar an das kurz vorher gegründete Zisterzienserkloster Reun, das der Sdiirmvogtei des zur Landeshoheit emporstrebenden Markgrafen unterstand. Damit hatte sich das Reichs- und Herzogslehen in ein freies Eigen der Kirche verwandelt, das machtpolitisch in der Einflußsphäre des Traungauers lag.

Die Mitbelehnung der Herzogin Theodora Vom Standpunkt des Reichslehenrechtes war es etwas ganz Außergewöhnliches, daß das neue Herzogtum Heinrich II. Jasomirgott und seiner Gattin, der byzantinischen Prinzessin Theodora, gemeinsam verliehen wurde, wie das Privilegium minus und Otto von Freising übereinstimmend berichten. Diese vielerörterte Doppelbelehnung war ein rechtssymbolischer Vorgang,

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Die Beilegung des Streites

der vom kaiserlichen Lehensherrn vor den bei Hofe versammelten Großen feierlich vollzogen wurde. Wahrscheinlich geschah das in der Form, daß die Beliehenen gemeinsam gleichzeitig die Hand an die beiden die fürstliche Gewalt bezeichnenden Fahnen legten. So ist es uns zumindest später für Belehnungen zu gesamter Hand (coniuncta manu) bezeugt. Theodora erhielt durch diese Zeremonie nicht die Befugnis, die Regierung des Reichsfürstentums gemeinsam mit ihrem Gatten auszuüben. Eine derartige Stellung hat sie weder zu dessen Lebzeiten noch nach dessen Tode bekleidet. Sie hat gewiß mehrfach Rechtshandlungen Herzog Heinrichs II. ihre ausdrückliche Zustimmung erteilt (vgl. etwa BUB 1, Nr. 17, 23, 28, 38). Aber dasselbe hatte bereits ihre Schwiegermutter Agnes, die Gattin Leopolds des Heiligen und Tochter Kaiser Heinrichs IV., in einer ganzen Reihe von Fällen getan (BUB 1, N r . 3, 4, 6, 7, 8, vgl. Nr. 25). Agnes ist sogar einmal, nämlich in der Gründungsurkunde von Klein-Mariazell (BUB Nr. 9), unter den Zeugen angeführt. All diese Nennungen haben einerseits kirchlichreligiöse, andererseits vermögensrechtliche Gründe; die Fürstinnen sind an den betreffenden Stiftungen finanziell' beteiligt, sollen aber auch aus dem Segen, der den frommen Werken zugeschrieben wird, Nutzen ziehen. Um ein Herrschaftsrecht über das Herzogtum handelt es sich nicht, und man wird nidit fehlgehen, wenn man annimmt, daß die Byzantinerin Theodora im babenbergischen Hause dieselbe rechtliche Stellung einnahm wie vor ihr ihre Schwiegermutter Agnes, die Tochter Kaiser Heinrichs IV. Es darf auch daran erinnert werden, daß Kaiser Heinrich III. im Jahre 1055 seiner Gemahlin Agnes, der Großmutter der gleichnamigen Gattin des Markgrafen Leopold III. von Österreich, das Herzogtum Bayern privato iure zugewiesen hatte (Lambert von Hersfeld, Annalen ed. H O L D E R - E G G E R . Mon. Germ. Hist. Script, in us. schol. S. 70 zu 1056), was doch wohl nur bedeuten kann, daß ihr die Einkünfte aus dem Dukat zufließen sollten. Das muß deswegen betont werden, weil K . J . HEILIG die Doppelbelehnung ebenso wie die libertas affectandi aus byzantinischen Anschauungen ableiten und darin geradezu unmittelbare Auswirkungen des Ehevertrages zwischen Heinrich und Theodora erkennen wollte. Nun wird es einen derartigen Vertrag gewiß gegeben haben, und die vornehme Abkunft der Byzantinerin spielte sicherlich bei der Doppelbelehnung eine Rolle; sie wird ja im Privilegium minus durch das ehrende Beiwort prenobilissima ausgezeichnet. Allein Heinrich war Herzog von Bayern, nicht bloß Markgraf von Österreich, als er die eheliche Verbindung mit Theodora einging; Abmachungen, die damals getroffen worden sein mögen, können sich nur auf die Zuweisung standesgemäßer Einkünfte, nicht aber auf das Reichsfürstentum bezogen haben, das der Babenberger innehatte. An Bayern aber hatte Theodora offenbar kein Anrecht erworben. In Wirklichkeit bieten die Anschauungen des deutschen Lehenrechtes, in denen die Reichsfürsten lebten, eine viel näherliegende Erklärung. Die Mitbelehnung hängt mit der dynastischen Situation der Babenberger zusammen.

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Als die Lösung der bayrischen Frage endlich zustande kam, hatte das Herzogspaar nur ein etwa fünfjähriges Töchterlein Agnes. Im Falle eines söhnelosen Todes des Herzogs wäre die Witwe in eine ungemein prekäre Situation geraten. Dieser erstrebte daher eine dreifache Sicherung, indem er die Mitbelehnung seiner Gattin, die Verwandlung Österreichs in ein Weiberlehen und für sich und seine Gemahlin die Freiheit forderte, im Falle kinderlosen Todes einen Nachfolger zu bestimmen. Diese drei Bedingungen, die ihm der Kaiser erfüllte, stellen eine organische Einheit dar. Jede von ihnen ging über die herrschenden lehenrechtlichen Gewohnheiten hinaus. Es ist nicht gerechtfertigt, nur die beiden ersten für gesichert zu halten, weil sie im Bericht Ottos von Freising enthalten sind, jedoch an eine Interpolation der libertas affectandi zu glauben, die der Chronist nicht erwähnt, weil es nicht in seiner Intention lag, auf die einzelnen Bestimmungen des Privilegs einzugehen. Eine interessante Parallele zur Mitbelehnung der Herzogin Theodora stellt es dar, wenn Kaiser Heinrich VI. nadi dem Erlöschen des Hauses der Traungauer im Geiste der im Georgenberger Vertrag von 1186 niedergelegten Abmachungen auf dem Hof tag zu Worms 1192 Herzog Leopold V. von Österreich und dessen Sohn Friedrich gemeinsam mit dem Herzogtum Steiermark belehnte. Letzterer wurde dadurch nicht Herzog, ebensowenig wie Theodora seit 1156 die Regierungsgewalt ihres Gatten in Österreich geteilt hat. Leopold V. tritt allein die Regierung in Graz an, er führt den Titel eines Herzogs von Österreich und Steiermark, während der junge Friedrich als filius ducis bezeichnet wird. Seine Mitbelehnung hatte den Sinn, ihm die Nachfolge im Falle des Ablebens seines Vaters zu sichern, wie ja auch Theodoras Rechte durch den analogen Vorgang garantiert werden sollten. Die Mitinvestitur des Sohnes 1192 stand also nicht im Widerspruch zu jenem Grundsatz des Reichslehenrechtes, den der Verfasser des Schwabenspiegels (Landrecht § 121) in der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts folgendermaßen formulierte: „Man mac dehein furstenampt mit rehte zwein mannen niut gelihen." Daß diese frühen Fälle einer Mitbelehnung nicht einfach mit der Belehnung zu gesamter Hand gleichzusetzen sind, wie sie im 13. Jahrhundert auftritt und dann bekanntlich in der Geschichte des Hauses Österreich eine erhebliche Rolle spielt, hat Werner G O E Z in seinem Werk über den Leihezwang klar herausgearbeitet. N u r zieht G O E Z die allgemein herrschende Auffassung, der Babenberger Friedrich sei 1192 mitbelehnt worden, zu Unrecht in Zweifel 13 . Diese chronikalisch einwandfrei bezeugte Tatsache ist durch den Wortlaut der Georgenberger Handfeste völlig gesichert, wonach der letzte Traungauer Leopold V. und dessen ältesten Sohn, also nicht eine Einzelperson, sondern das Haus der Babenberger, zu seinen Erben designierte. Daß Friedrich dann Herzog von Österreich und nicht von " Werner Goez, Der Leihezwang (1962), S. 99 Anm. 16.

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Die Beilegung des Streites

Steiermark wurde, ist eine andere Sache. Derartige Vereinbarungen konnten einvernehmlidi abgeändert werden, wie dies ja audi später Rudolf von Habsburg getan hat, als er 1283 durch die Rheinfeidner Hausordnung die ein Jahr vorher vollzogene Belehnung zu gesamter Hand wieder aufhob. Aber es dürfte sich gewiß empfehlen, bei der Herzogin Theodora von einer Mit- oder Doppelbelehnung und nicht von einer Gesamtbelehnung zu sprechen.

Die Vorrechte des Herzogs von Österreich

Die weibliche Erbfolge Grundsätzlich folgte nach dem Lehenrecht des Reiches, das sidi in diesem Punkt von den in Italien, Frankreich und Burgund geltenden Rechtsgewohnheiten unterschied, nur der Sohn dem Vater im Lehen nach. Aber es lag im Belieben des Lehensherrn, durch besonderes Privileg ein Fürstentum des Reiches zum Weiberlehen zu erklären. Eine solche Vergünstigung erstrebte Heinrich Jasomirgott deshalb, weil er zur Zeit des Abschlusses der Übereinkunft über die bayrische Frage nur eine minderjährige Tochter besaß, der er für den Fall seines söhnelosen Todes die Nachfolge sichern wollte. Man hat vielfach die Ansicht vertreten, die Bestimmung des Privilegium minus habe sidi nur auf die Töchter des damals regierenden österreichischen Herzogspaares bezogen. Daß dies nicht zutrifft, hat bereits Julius von FICKER (Sitzungsberichte der Akademie der Wissenschaften 23, 1857, S. 494 ff.) eindeutig nachgewiesen. In einer stattlidien Reihe von Parallelfällen, die er anführt, begegnen ganz ähnliche Formulierungen wie im Privilegium minus. Aus ihnen sei nur ein besonders charakteristisches Beispiel herausgegriffen, das die Errichtung des Herzogtums Braunschweig (1235) betrifft. Da erklärt Kaiser Friedrich II.: Wir haben ihm das Herzogtum als Reichslehen verliehen, damit es auf seine Erben, Söhne wie Töchter, übergehe (ducatum ipsum in feodum imperii ei concesstmus ad heredes suos filios et filias hereditarie devolvendum; Mon. Germ. Hist. Const. 2, S. 264 Nr. 197). Hier ist ebenso wie bei österreidi 1156 nur von den Töchtern des Begünstigten die Rede, aber es kann keinem Zweifel unterliegen, daß in beiden Fällen Weiberlehen geschaffen wurden, die allerdings nicht auf sämtliche männlichen und weiblichen Nadikommen des ersten Empfängers der Belehnung, sondern nur auf die Söhne und in deren Ermangelung auf die Töchter des jeweiligen Lehensträgers vererbt werden sollten (FICKER a. a. O., S. 495). Ein Erbrecht der männlichen und weiblichen Seitenverwandten (Kollate-

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ralen) wurde dadurch nicht begründet. Das Herzogtum Österreich ist also im Jahre 1156 zum Weiberlehen in diesem Sinne geworden 11 . Aktuell wurde das Problem mit dem Tode Herzog Friedrichs II. (1246), der bekanntlich weder Söhne noch Töchter hinterließ. Weder seine Schwester Margarete, die Witwe des Stauferkönigs Heinrich (VII.), noch seine Nichte Gertrud, die Tochter seines Bruders Heinrich, waren strenggenommen nach dem Wortlaut des Privilegium minus erbberechtigt, und der Kaiser befand sich formal durchaus im Recht, wenn er nicht nur das Herzogtum Steiermark, für das ja jene Privilegierung gar nicht galt, sondern auch Österreich als erledigte Reichslehen einzog. Allerdings geschah dies zu einer Zeit, da die Strenge der lehenrechtlichen Satzungen immer stärker durch Macht und Gewohnheit beziehungsweise durch politisch bedingte Ausdeutung unterhöhlt wurde. Wir werden noch darzulegen haben, weldi bedeutsame Rolle die Berufung auf das Privilegium minus in der Auseinandersetzung um das Erbe der Babenberger gespielt hat (unten S. 89 ff.). In den Augen des Kaisers war das Ansinnen Heinrich Jasomirgotts, das neugeschaffene Herzogtum für erblich in männlicher wie in weiblicher Deszendenz zu erklären, vom politischen Standpunkt aus durchaus zumutbar. In der Praxis haben sich die Ansprüche direkter weiblicher Nachkommen des Lehensträgers immer wieder durchgesetzt; sie pflegten auch vom Lehensherrn als berechtigt empfunden zu werden. Sidier hätte man die Babenbergerin Agnes nicht einfach übergangen, wäre der Mannesstamm des Hauses mit dem ersten Herzog von Österreich erloschen. Das Prinzip des deutschen Lehenrechtes aber wurde durch die Sonderregelung nicht aufgehoben. Noch unter Albrecht I. wurde im Jahre 1299 folgender Grundsatz verkündet: quod nulla filia vel mulier possit in bonis feudalibus succedere nisi de plenaria voluntate domini feudi et consensu (keine Tochter und keine Frau kann im Lehen nachfolgen außer mit dem vollen Willen und der Zustimmung des Lehensherrn; Mon. Germ. Hist. Const. 4/1, Nr. 59). Für das Herzogtum Österreich war der erforderliche lehensherrliche Konsens durch das Privilegium minus ein für allemal erteilt. 14 Natürlich hatte der Lehensherr rechtlich die Möglichkeit, auf Wunsch des Vasallen audi eine andere Erbfolge festzulegen. Anläßlich der Errichtung der Markgrafschaft Hennegau (1184) wurde zwischen dem Kaiser und dem Grafen Balduin vereinbart, daß dem Markgrafen in Ermangelung von Söhnen der Reihe nach seine Brüder nachfolgen sollten. Erst wenn weder Söhne noch Brüder vorhanden sind, tritt ein Erbrecht der Töchter ein. Gegebenenfalls soll dann der Sohn der Tochter das Lehen vom Kaiser empfangen (Mon. Germ. Const. 1, S. 423 Nr. 298 § 3). Der Vergleich ist deswegen lehrreich, weil er deutlich zeigt, um wieviel detailliertere erbrechtliche Bestimmungen bereits ein Menschenalter nach dem Privilegium minus anläßlich der Errichtung eines Reichsfürstentums vereinbart wurden, wobei auch in diesem Falle die dynastische Situation von ausschlaggebender Bedeutung war. Für Österreich kam Ahnliches einfach deswegen nicht in Betracht, weil Heinrich Jasomirgott im Jahre 1156 nur zwei Brüder geistlichen Standes, Bischof Otto von Freising und Bischof Konrad von Passau, besaß.

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Als Kaiser Heinridi VI. durch eine Änderung der Verfassung des Reidies die Erblichkeit der Krone einführen wollte, bot er den deutschen Laienfürsten als Gegenleistung für ihre Einwilligung die Vererbbarkeit ihrer Lehen in weiblicher Deszendenz an. Der Plan wurde nicht verwirklicht; er zeigt aber, wie stark diese Tendenz damals wirksam war.

Die libertas affectandi Der Kaiser verbriefte im Jahre 1156 dem Herzog Heinrich von Österreich und seiner Gattin, der byzantinischen Prinzessin Theodora, das Recht, das Herzogtum im Falle kinderlosen Todes zuzuwenden, wem immer sie wollten: Si autem predictus dux Austrie patruus noster et uxor eius absque liberis decesserint, libertatem habeant eundem ducatum affectandi cuicumque voluerint. Die vielerörterte Bestimmung scheint auf den ersten Blidc völlig aus dem Rahmen der lehenrechtlichen Verfassung des damaligen deutschen Reidies herauszufallen, denn dem Vasallen steht nidit das Recht zu, letztwillige Verfügungen über sein Lehen auszusprechen, ein Grundsatz, der bis ins 18. Jahrhundert seine Gültigkeit behielt. Bereits FICKER hat seinerzeit auf die Einzigartigkeit der libertas affectandi hingewiesen; obwohl er vorbehaltlos und mit allem Nachdruck für die volle Echtheit des Privilegium minus eintrat, meinte er doch, die Möglichkeit einer Interpolation dieser Stelle sei nicht ganz auszuschließen, allerdings nur, falls sich der Verdadit „anderweitig irgendwie wahrscheinlich machen lasse" (Sitzungsberichte 23, S. 512); andererseits hat er selbst auf eine Reihe von Parallelen aufmerksam gemacht, die vom reditsgesdiiditlichen Standpunkt aus eine gewisse Verwandtschaft mit der libertas affectandi aufweisen. ERBEN meinte in der objektiven Fassung einzelner Sätze der Urkunde den eindeutigen Beweis für eine Interpolation gefunden zu haben. Unter Berufung auf FICKER dehnte er seine These in auffallend kurzen Darlegungen 15 auf die libertas affectandi aus, ohne auf die lehenrechtliche Problematik, insbesondere auf die Ausbildung eines Rechtes, mit Zustimmung des Lehensherrn letztwillige Verfügungen über Lehen zu treffen, auch nur im entferntesten einzugehen. In der Tat hat ERBEN dabei eine Reihe entscheidender Gesichtspunkte außer acht gelassen. Die Verfügung über das Reichslehen wäre im Falle kinderlosen Todes des Herzogspaares nicht in Ausübung eines unumschränkten Veräußerungsrechtes erfolgt, wie es nur an Allodien bestand, sondern kraft einer vom Lehensherrn ausdrücklich gewährten Genehmigung, wie sie etwa bei letztwilligen Stiftungen aus Lehengut zugunsten der Kirche erteilt zu werden pflegte. Der Nadifolger des kinderlosen Herzogspaares hätte ferner selbstverständlich das Lehen muten, das heißt persönlich die Belehnung aus der H a n d des Kaisers erbitten müssen. Barbarossa behielt also 14

Erben, Privilegium, S. 130.

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das Belehnungsredit, doch verpflichtete er sich, dem von Heinrich und Theodora bestimmten Nachfolger die Investitur ebensowenig zu verweigern wie dem Sohn eines großen Reichsvasallen. Er begab sich nur der politischen Einflußnahme auf diese Entscheidung. Es muß auch nochmals daran erinnert werden, daß die Notwendigkeit, eine Lösung der bayrischen Frage herbeizuführen, außergewöhnliche Zugeständnisse erforderlich machte und daß sich der Babenberger veranlaßt sah, für den Fall des Erlöschens seines Hauses Vorkehrungen zu treffen. Schließlich drängt sich ein zeitlich und räumlich ungemein naheliegender Parallelfall auf. Der letzte Traungauer, der infolge seiner unheilbaren Krankheit keinen Leibeserben zu erwarten hatte, designierte durch den Georgenberger Vertrag des Jahres 1186 die Babenberger zu seinen Erben in allen seinen Herrschaftsrechten, auch im Herzogtum; das Reichsoberhaupt erteilte dazu seine Zustimmung, und Leopold V. empfing am 24. Mai 1192 auf dem Hoftag zu Worms wenige Wochen nach dem Ableben Otakars IV. die Belehnung mit dem Herzogtum Steiermark aus der Hand des Kaisers, was um so schwerer ins Gewicht fällt, als sich Heinrich VI. nicht lange darauf weigerte, die Mark Meißen einem Agnaten des verstorbenen Markgrafen zu verleihen. Nur wer all diese Gesichtspunkte nicht in Betracht zieht, kann die libertas affectandi für interpoliert erklären. Auf anderem Wege hat Konrad Josef H E I L I G das Problem zu lösen versucht. Er ist der Meinung, daß sich das Verbum affectare in der hier gebrauchten Bedeutung mit Akkusativ der Sache und Dativ der Person (dativus commodi) weder im Mittellateinischen noch in den romanischen Sprachen belegen lasse; es sei vielmehr als Übersetzung eines mittelgriechischen Wortes für testamentum facere zu erklären, das auf den seinerzeit zwischen Konrad III. beziehungsweise Heinrich Jasomirgott und dem byzantinischen Imperator Manuel I. aus dem Hause der Komnenen abgeschlossenen Heiratsvertrag zurückgehe. Als kaiserliche Prinzessin hatte Theodora nach byzantinischer Anschauung Anspruch darauf, mit einem auf Kinder beiderlei Geschlechts vererblichen, bei Kinderlosigkeit frei testierbaren Fürstentum ausgestattet zu werden. Diesem Grundsatz habe der Heiratsvertrag und ihm folgend das Privilegium minus Rechnung getragen. Nun ist es gewiß wahrscheinlich, daß ein Vertrag über die Vermählung Theodoras mit dem Babenberger abgeschlossen wurde, aber die Quellen erwähnen nicht einmal die Existenz, geschweige denn die Bedingungen einer solchen Übereinkunft. Wir bleiben also auf reine Vermutungen angewiesen. Die Mitgift, die Theodora als kaiserliche Prinzessin vom byzantinischen Imperator erhalten haben mag, könnte in einer sehr hohen Geldsumme bestanden haben. Das läßt sich aus Analogiefällen, die quellenmäßig gut bezeugt sind, erschließen, so etwa aus dem Vertrag über die Heirat König Balduins III. von Jerusalem mit Theodora, einer Namensschwester der ersten österreichischen Herzogin (1158). Der König verpflichtete sich, für den Fall seines Todes seiner Gattin als Sicherstellung für jene bedeutenden

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Vermögenswerte die Stadt Akkon auf Lebenszeit als donatio propter nuptias zu übergeben1*. Daß auch Theodora von Österreich irgendwelche Garantien für ihre Mitgift erhalten haben wird, dürfen wir annehmen. Aber in welcher Weise dies geschah, erfahren wir eben nicht aus den Quellen. Indirekt geht allerdings aus den oben (S. 52) angeführten Urkunden, in denen ein besitzrechtlicher Konsens der Herzogin ausgesprochen wird, hervor, daß ihr im Bereich der Güter und Rechte des Hauses der Babenberger in Österreich bestimmte Einkünfte zugewiesen waren, wie es eben bei Fürstinnen der Fall zu sein pflegte. Das müßte in Ausführung des zu erschließenden Heiratsvertrages geschehen sein, der sich demnach kaum auf das Fürstentum selbst bezog. Wenn H E I L I G vermutet, Kaiser Manuel habe von Konrad III. und von Heinrich Jasomirgott die Mark Österreich als donatio propter nuptias für Theodora gefordert, so ist das eine unbegründete Hypothese. Heinrich war damals reichsrechtlich anerkannter Herzog von Bayern. Im Jahre 1156 aber hatten sich die Verhältnisse völlig verschoben. Der Ausgleich, den man nun fand, hatte kaum mehr auf jene byzantinischen Aspirationen Rücksidit zu nehmen, die sich aus dem engen Bündnis beider Kaiserreiche unter Konrad III. und Manuel I. ergeben hatten, wohl aber auf die vornehme Abkunft der ersten Herzogin von Österreich und auf die zweifellos beträchtlidien Vermögenswerte, die sie als Mitgift ins Land brachte. Die Mittel, mit denen dies geschah, wurden jedoch nicht der byzantinischen Rechtssphäre, sondern dem deutschen Lehenrecht entnommen, und es mußte dem Babenberger selbst mindestens ebensosehr wie seiner Gattin daran gelegen sein, im Falle kinderlosen Todes über sein gesamtes Erbe einschließlich des Herzogtums verfügen zu können, wie dies dreißig Jahre später der unvermählte letzte Traungauer zugunsten Leopolds V., des Sohnes Heinrichs und der Theodora, getan hat. Neueste Beobachtungen philologischer Natur sind geeignet, der sprachlichen Argumentation HEILIGS, gegen die seinerzeit bereits der Byzantinist Franz D Ö L G E R gewisse Bedenken geäußert hatte, vollends den Boden zu entziehen 17 . Das Mittellateinische Wörterbuch bietet nämlich unter den Stichwörtern affectare, affectatio jene Belege für den lateinischen Sprachgebrauch, die H E I L I G vermißte. Darunter findet sich audi ein Diplom Konrads III. (DK. III. 13), das zwar verunechtet ist, aber den fraglichen Ausdruck in seinem echten, in der Reichskanzlei abgefaßten Teil enthält. Es steht nunmehr zweifelsfrei fest, daß affectatio gelegentlich als Synonym von traditio, donatio auftritt und daß das Zeitwort affectare mit dativus commodi, also in derselben Konstruktion wie in unserer Urkunde, mitunter 14

Heilig, S. 116 ff. Zum Folgenden vgl. Appelt, Die libertas affectandi des Privilegium minus, Mitteil, des österr. Staatsarchivs 25 (1972), S. 135 ff. Weitere Belege für affectare im hier behandelten Sinn jetzt bei J. Balon, Ius Medii Aevi 5, Grand Dictionnaire du Moyen Age, fasc. 2 (Namur 1973), S. 360, 363 (freundlicher Hinweis von Heinrich Fichtenau). 17

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in der Bedeutung von „überlassen, vermachen" verwendet wird. Die libertas affectandi verliert damit den Charakter sprachlicher Einmaligkeit, den man ihr bisher im Anschluß an die Untersuchungen HEILIGS zuschreiben wollte. Von besonderem Interesse ist es, daß die Belege für affectare im Sinne von donare sämtlich nach dem Westen weisen, und zwar, wenn man von einem Beispiel aus dem 9. Jahrhundert absieht, m den Raum der Diözese Lüttich beziehungsweise in Landschaften altfranzösischer Sprache. Die Kette der Beweisführung schließt sich mit der Feststellung, daß die altfranzösische Entsprechung affaiter in einer Urkunde aus dem luxemburgischen Bereich vom Jahre 1234 vorkommt. Nun war nach den Untersuchungen von ZEILLINGER der Notar der Reichskanzlei Arnold Η (Albert) an der Abfassung des Privilegium minus maßgeblich beteiligt. Es ist nicht unwahrscheinlich, daß er von den Sprachgewohnheiten und Rechtsanschauungen jener westlichen Reichslandschaften romanischer Zunge beeinflußt war. Die Ausdrücke donare und affectare sind also sprachlich und rechtlich einander gleichzusetzen. Ein Zweifel daran, daß Barbarossa dem österreichischen Herzogspaar ein Testierrecht am Reichslehen eingeräumt hat, ist nicht mehr möglich. Natürlich handelt es sich dabei um einen Sonderfall, der aus der Situation heraus zu verstehen ist. Er kann vom rechts- und verfassungsgeschichtlichen Standpunkt aus unter einem doppelten Aspekt betrachtet werden. Zunächst stellt sich die Frage, inwieweit derartige Sondervereinbarungen über ein Testierrecht des Vasallen damals auch sonst im deutschen Lehenrecht auftreten und daher dem Denken der Zeit nicht fremd sind. Weit interessanter für den Historiker ist ein zweites Problem. Bekanntlich haben Erbverträge zwischen Fürstenhäusern für die Reichsgeschichte des Spätmittelalters, für die Hausmachtpolitik der führenden Dynastien und besonders für den Aufstieg des Hauses Habsburg eine entscheidende Rolle gespielt. In gewissem Sinne darf die libertas affectandi des Privilegium minus als erster Ansatzpunkt einer solchen Entwicklung betrachtet werden. Zum ersten Punkt ist ganz allgemein zu sagen, daß sich im Laufe des 12. Jahrhunderts auch im deutschen Reichsgebiet die Fälle mehren; in denen detaillierte Sonderbestimmungen in lehenrechtliche Verträge aufgenommen werden. Auf zwei lehrreiche Beispiele hat jüngst Heinrich BÜTTNER18 aufmerksam gemacht. Im Jahre 1150 sah sich Bischof Bernhard von Hildesheim genötigt, den Grafen Hermann von Winzenburg wieder mit dem Stammsitz seines Hauses, der Winzenburg, zu belehnen, die ihm in den Kämpfen um das Gebiet zwischen Weser und Leine unter Lothar III. verlorengegangen war. Als Gegenleistung übereignete ihm der Graf die strategisch wichtige Burg Homburg, die er zusammen mit der Winzenburg als bischöfliches Lehen zurückempfing. Nun hatte Graf Hermann damals, ebenso wie Heinrich Jasomirgott, keine Söhne, sondern nur Töchter. Daher wurde seine Gattin 18

Blätter für deutsche Landesgeschichte 106, 1970, S. 54 ff.

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gemeinsam mit ihm mit beiden Burgen belehnt und den Töchtern das Erbrecht zugesichert. Sollten noch Söhne aus der Ehe hervorgehen, dann sollten sie nach dem Recht der Erstgeburt im Lehen nachfolgen. Obwohl es sich um kein Fürstentum des Reiches, sondern um Reichskirchengut handelt, ist die lehenrechtliche Parallele zum Privilegium minus doch eine vollständige. Ähnlich wie der Babenberger war auch der Graf von" Winzenburg in der Lage, seinem Lehensherrn besonders günstige Bedingungen abzufordern. In beiden Fällen hat der Belehnte keinen Sohn und sucht daher das Redit der Gattin und der Töditer für den Fall seines Ablebens sicherzustellen, was durch Mitbelehnung der Gattin und durch Gewährung weiblicher Erbfolge möglich war. Bischof Bernhard von Hildesheim erklärt daher: Sein ganzes Lehen und beide Burgen habe ich ihm und seiner Gattin sowie seinen Töchtern verliehen (universum benefitium suum et ambo castra sibi et uxori sue et filiabus suis concessi). Eine derartige Regelung muß also wirklidi nicht auf byzantinische Rechtsanschauungen zurückgeführt werden. H ä t t e das österreichische Herzogspaar im Jahre 1156 bereits einen Sohn besessen, dann wären manche der vielberufenen Sonderregelungen nicht ausbedungen worden. Die besondere Situation, in der sich das Haus der Babenberger zur Zeit der endgültigen Bereinigung der bayrischen Frage befand, konnte man beim Absdiluß des Vertrages über die Ehe zwischen Heinrich und Theodora noch gar nicht voraussehen. Graf Hermann von Winzenburg hat etwa ein Jahr nach Absdiluß des Abkommens mit dem Bischof von Hildesheim ähnliche lehenreditlidie Abmachungen mit dem Erzbisdiof Heinrich von Mainz getroffen, dem er ebenfalls eine Burg, die von ihm erbaute Sdiöneburg, geschenkt hatte, um sie für sich, f ü r seine Gattin und für seine Nachkommen als Lehen zurückzuempfangen. Der Erzbisdiof sagt darüber: Gemäß seiner Bitte und der von ihm geltend gemachten Bedingung haben wir die genannte Burg Hermann, seiner Gattin Ludgard und ihren Nadikommen zu Lehen gegeben (iuxta petitionem suam et earn, quam interposuerat, conditionem prenominatum Castrum eidem Hermanno et uxori sue Ludgardi eorumque posteritati in beneficium concessimus). Das entspricht genau den kurz vorher mit dem Bistum Hildesheim abgeschlossenen Vereinbarungen. Aber das Abkommen mit Mainz geht noch einen Sdiritt weiter. Der Erzbisdiof erklärt sich bereit, die Schöneburg demjenigen zu verleihen, den der Graf dafür namhaft macht, falls ihm kein Sohn geboren werden sollte: Habuit etiam in hac donatione iamdictus fidelis homo talem conventionem, ut si filius ei non nasceretur, Castrum illud, cui ipse expeteret, a Moguntine sedis antistite concederetur. Vom Standpunkt des Lehenrechtes aus betrachtet ist das nichts anderes als die libertas affectandi des Privilegium minus. Die beiden von Heinrich BÜTTNER herangezogenen Beispiele beweisen unwiderleglich, daß die Vorstellungen, die der Gewährung solcher Sonderrechte zugrunde lagen, dem Denken des deutschen Hodiadels und den lehenreditlichen Anschauungen der Zeit durchaus vertraut waren.

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Freilich haben derartige Analogien nur begrenzten Wert, weil die rechtlichen, politischen und dynastischen Voraussetzungen, unter denen derartige Sondervereinbarungen zustande kamen, jeweils individuelle Züge tragen. Werner GOEZ1· hat eine Reihe interessanter Beispiele für Testamente über Lehensfürstentümer zusammengetragen. Darunter finden sich manche historisch folgenreiche Erbeinsetzungen, wie etwa die Abtretung der Grafschaft Vienne durch den letzten Dauphin aus dem Hause de la Tour an den König von Frankreich (1349), die ohne Genehmigung des kaiserlichen Lehensherrn erfolgt war, aber von Karl IV. unter dem Zwang der Verhältnisse nachträglich durch einen Belehnungsakt sanktioniert wurde. Es kam auch vor, daß sich ein Fürst die ausdrückliche Genehmigung erteilen ließ, über seine Reichslehen wie über sein Eigengut letztwillig zu verfügen. Dann liegt eine eindeutige Parallele zur libertas affectandi vor. Eine derartige Erlaubnis erwirkte sich der kinderlose Prinz Renatus von Oranien-Nassau im Jahre 1544 von Karl V. Sie bildete die formale Grundlage für die Erbeinsetzung der Linie Nassau-Dillenburg, die dann eine so hervorragende geschichtliche Rolle spielen sollte. Wie man sieht, war eine der libertas affectandi entsprechende Vergünstigung auch in den folgenden Jahrhunderten eine auffällige Ausnahme, die nur unter ganz besonderen Voraussetzungen gelegentlich vom Reichsoberhaupt gewährt wurde. Die Praxis freilich kennt unzählige Fälle, in denen eine testamentarische Verfügung über Reichslehen stattfand und im nachhinein durch einen bloß formalen Rechtsakt, der theoretisch die Hoheit des Reiches wahrte, ihre Bestätigung fand.

Die Frage der Ausübung der Gerichtsbarkeit im neuen Herzogtum Der einzige Satz des Privilegium minus, der sich nicht mit dem Rang, dem Erbrecht und der lehen- und reichsrechtlichen Stellung der Dynastie, sondern mit den inneren Verhältnissen im Lande Österreich beschäftigt, ist der sogenannte Gerichtsbarkeitspassus. Der Kaiser verfügt, es solle niemand, er sei hohen oder niederen Standes, innerhalb des Amtssprengeis des Herzogtums ohne Zustimmung oder Erlaubnis des Herzogs irgendwelche Gerichtsbarkeit ausüben: Statuimus quoque, ut nulla magna vel parva persona in eiusdem ducatus regimine sine ducis consensu vel permissione aliquam iustitiam presumat exercere. Der klassische Vertreter der deutschen Rechtsgeschichte der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts, Heinrich BRUNNER, hat den Inhalt dieses Satzes mit folgenden Worten in positiver Fassung wiederzugeben versucht: „Die Gerichtsbarkeit steht nur dem Herzoge zu oder jenem, dem er sie gestattet." 18

A. a. O., S. 69 ff.

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Eine wirklich befriedigende Lösung der mit diesem Satz zusammenhängenden Probleme ist der Forschung bis heute nicht gelungen. Es lohnt sich daher, die Sache nochmals systematisch zu untersuchen. Die günstige Entwicklung, die die Fürstenmacht auf dem Boden der Mark der Babenberger von Anfang an nehmen konnte, wurzelte in άςτ Markenorganisation des alten deutschen Reiches. Während nämlich die königliche Zentralgewalt daran interessiert war, die Stammesherzogtümer durch Begünstigung der Reichskirchen in gewissen Schranken zu halten, räumte sie den peripher gelegenen Markgrafschaften von vornherein bereitwillig die Möglichkeit ein, zum Schutz der Grenzen und zur Kraftentfaltung gegenüber den Nachbarländern eine erhebliche militärische Kraft zu konzentrieren. Die Aufgabe der Träger staatlicher Hoheitsrechte bestand ja zugleich in der Sicherung gegenüber äußeren Feinden und in der Wahrung des Landfriedens im Inneren durch die Ausübung der Gerichtsbarkeit. Die Besonderheit der Markverfassung lag darin, daß dem Markgrafen vom König nicht bloß eine einzige Grafschaft anvertraut war; er vereinigte mehrere Grafschaften in seiner Hand und übte in ihnen selbst die ihm verliehene Amtsgewalt aus. Andere Fürsten waren in solchen Fällen dazu verhalten, die Grafschaft weiterzuverleihen. Auf keinen Fall sind diese Verhältnisse mit dem Herzogtum als verfassungsgeschichtlicher Institution in Verbindung zu bringen. Die althergebrachte Markverfassung hat vielmehr audi nach 1156 in Österreich fortbestanden. Der Babenberger nahm als Herzog die gleiche Stellung ein, die ihm vorher als Markgrafen zugekommen war. Daß er nichts von seiner bisherigen Position preiszugeben bereit war, versteht sich von selbst. Man kann ihn daher mit einem von Heinrich BRUNNER geprägten Ausdruck mit vollem Recht als „Markherzog" bezeichnen. Damit ist der Sonderfall Österreich, der sich bis zu einem gewissen Grade in der Steiermark wiederholte, als diese 1180 ebenfalls zum Herzogtum erhoben wurde, verfassungsgeschichtlich am besten gekennzeichnet. Die tatsächliche Machtstellung Heinrich Jasomirgotts in Österreich war eine stärkere als jene Heinrichs des Löwen im altbayrischen Land. Wirkliche Macht übte ein Herzog damals im allgemeinen nur aus, sofern er über anderweitige Kraftquellen wie allodialen Grundbesitz oder Kirchenvogteien verfügte. Am deutlichsten lehrt dies ein Vergleich mit Kärnten, dessen Fürsten von Anfang an den Herzogstitel innehatten, während sie in der Ausbildung der landesherrlichen Gewalt hinter den Marken Österreich und Steiermark nachhinkten, weil ihr Gebiet von kirchlichen Immunitäten und gräflidien Herrschaftsbereichen in besonders starkem Ausmaß durchlöchert war. Es erhebt sich also die Frage, ob der Gerichtsbarkeitspassus des Privilegium minus der verfassungsrechtlichen Stellung, wie sie die Babenberger schon bisher als Markgrafen im Lande einnahmen, etwas hinzugefügt hat und worin etwa die Erweiterung ihrer Position bestanden haben kann. Das ist jedenfalls nur in begrenztem Ausmaß der Fall. Eine aufschlußreiche

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Illustration zu diesem Problem liefern uns Bestimmungen der Urkunde Kaiser Friedrichs II., die im Jahre 1245 über die geplante Erhebung Österreichs zum Königreich entworfen, aber nicht vollzogen wurde. D a wird dem König das Vorrecht zugedacht, in gewissen Fällen kraft seiner Würde über Grafen, Edle, Ministerialen oder Ritter durch Spruch seines H o f gerichtes die Aberacht zu verhängen, ohne daß die Betreffenden Beistand vom Reich zu erwarten hätten, also dagegen an den Kaiser appellieren könnten: Illud etiam iuri regio et honori coniungimus, ut si quis comes, nobilis aut ministerialis vel miles de regno tuo contra te et successores tuos et terram tuam forsitan excesserit et pro suo excesstt Castrum vel munitiones suas ab excedente per te vel per nuntios tuos peti contigerit, ipseque negaverit assignare, ipsum ex iure regie dignitatis per sententiam curie tue bannire et forbannire valeas ipsumque exlegem facere, omnis iuris suffragio, prout est moris imperii, cariturum (Mon. Germ. Hist. Const. 2, S. 360 Nr. 261). In der Georgenberger Handfeste hatten sich die steirischen Klöster, Ministerialen und Ritter ausdrücklich das Recht verbriefen lassen, gegen den tyrannisch seines Amtes waltenden Fürsten an den Kaiserhof zu appellieren: Quod si spreta equitate clementer gubernare despexerit, sed quasi tyrannus in nostros se erexerit, appellandi et adeundi imperatoris curiam et pretendendi per hoc Privilegium suam coram principibus iusticiam irrefragabilem habeant licentiam. Dem entspricht eine Bestimmung des österreichischen Landrechtes, Artikel 2 : wil aber im [dem Grafen, Freien oder Ministerialen] des landes herre vnredot tun, so sol er mit recht dingen an das reich und davon sein recht pringen als im ertailt wird. Einen Ministerialen, der bei handhafter T a t ertappt und zum Tode verurteilt wurde, aber entrinnen konnte, soll der Landesherr nach Artikel 3 des Landredites zwar selbst in die Acht tun, aber dann muß er Klage vor dem Reich gegen ihn erheben „vnt sol im sein ere vnt sein recht nyeman benemen nur das reich". In diesem Punkt ging Ottokar ganz bewußt einen sehr wesentlichen Schritt weiter. Nach dem Landfrieden, den er 1254 erließ, steht dem ihn vertretenden Landrichter der Fürbann, die lösliche Acht, zu, während er sich selbst das Recht vorbehält, die Aberacht zu verhängen. Mit rücksichtsloser Härte ist er gegen österreichische und steirisdie Adelige vorgegangen; diese konnten angesichts des Verfalles der Reichsgewalt von dem ihnen nach geltendem Herkommen zustehenden Recht einer Appellation an das Reidi nur in einigen wenigen Ausnahmefällen Gebrauch madien. Etwas anders gestaltete sich die Lage dann unter Rudolf von Habsburg, der die Beziehungen zum Reich, wenn auch auf veränderter Grundlage, wieder stärker betonte. Zusammenfassend halten wir fest, daß dieser gesamte, für die spätere Entwicklung der Beziehungen des Landesfürsten zum kaiserlichen Oberlehensherrn so wesentliche Problemkreis von den Bestimmungen des Privilegium minus überhaupt nicht berührt wurde. Zur Klärung des Sachverhaltes ist es zweckdienlich, einen älteren Deu-

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tungsversuch zu erwähnen, den seinerzeit J. BERCHTOLD in seinem Werk: Die Landeshoheit Österreichs nach den echten und unechten Freiheitsbriefen (1862) ausgearbeitet hat. Nach seiner Ansicht hat der Kaiser durch den Gerichtsbarkeitspassus den neuen Herzog von Österreich zum Inhaber des Königsbannes gemacht. Wer in Österreich irgendwelche Gerichtsbarkeit ausüben wollte, er sei hohen oder niederen Standes, herzoglicher oder Immunitätsrichter oder Inhaber allodialer Gerichtsbarkeitsrechte, durfte dies nach BERCHTOLD nur aufgrund der ihm vom Herzog erteilten Vollmacht tun. Zur Erläuterung ist zu sagen, daß nach deutschem Recht jeder Inhaber höherer Gerichtsbarkeit die richterliche Gewalt aus der Hand des Königs zu empfangen hatte, und zwar auch dann, wenn er etwa vom Bischof oder vom Vogt eines Bistums oder eines Klosters bestellt war. Die Bannleihe brachte nach der Auffassung jener Zeit den Gedanken zum Ausdrude, daß alle öffentliche Gewalt, als deren wichtigster Ausfluß die Gerichtsbarkeit galt, auf eine einzige Quelle, nämlich auf den Herrscher, zurückzuführen sei. Träfe die seinerzeit von BERCHTOLD vorgeschlagene Auslegung des Geriditsbarkeitspassus zu, dann hätte Barbarossa eines der wesentlichsten Königsrechte an den Babenberger abgetreten. Allein die Dinge lagen in Wirklichkeit weit komplizierter. Heinrich BRUNNER konnte in kritischer Auseinandersetzung mit BERCHTOLD darlegen, daß ein Eingriff in die Sphäre des Hofrechtes und der grundherrlichen Gerichte sowie der kirchlichen Immunitäten nicht beabsichtigt gewesen sein kann. Er vermochte ferner zu zeigen, wie es den Babenbergern gelang, im Laufe des 12. Jahrhunderts das Recht der selbständigen und ausschließlichen Exemtion, das heißt der Befreiung vor allem der Kirche und des Kirdiengutes von der öffentlichen Gerichtsbarkeit, auszubilden. Damit nahm der Fürst eines der wichtigsten königlichen Herrschaftsrechte praktisch an sich; er übte es aus, indem er an die in seinem Namen waltenden beamteten Richter entsprechende Mandate erließ. BRUNNER meint nun, der Kaiser habe im Jahre 1156 auf die ihm sonst im Reich zustehende Befugnis, von sich aus durch königlichen Schutzbrief ohne Zustimmung des Herzogs Exemtionen auszusprechen, Verzicht geleistet. Dazu ist freilich zu sagen, daß davon im Gerichtsbarkeitspassus nicht die Rede ist. Was BRUNNER meint, steht sozusagen zwischen den Zeilen und entwickelt sich mit rasch zunehmender Tendenz aus der Natur der Verhältnisse. Seit jeher hatte der König auf dem Boden der Marken in weit geringerem Ausmaß als in den altdeutschen Stammesgebieten Exemtionen erteilt, und es stand zu erwarten, daß er es in Hinkunft noch weniger tun werde, aber ausdrücklich hat er sidi nicht die Hände gebunden. Das war aber vom Standpunkt des Babenbergers aus auch gar nicht erforderlich. Der Gerichtsbarkeitspassus spricht nicht von den Beziehungen des neuen Herzogtums zum Reich, sondern er bindet die Ausübung von Geriditsbarkeitsrechten im Lande an die Genehmigung des Fürsten. Ihm wird dadurch nicht in aller Form die Befugnis zur Verleihung des Königsbannes übertragen; so

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geradlinig ist bekanntlich der Ubergang von der Königs- zur Landesherrschaft nirgends, auch nicht in den östlichen Marken des Reiches, verlaufen. Ohne eine präzise formulierte rechtliche Neuordnung zu treffen, wurden vielmehr die im Jahre 1156 tatsächlich herrschenden Verhältnisse vom Kaiser bestätigt. Es war kaum mehr denkbar, daß jemand im Widerspruch zum Willen des Herzogs oder in offenem Widerstand gegen ihn im babenbergischen Österreich höhere Gerichtsbarkeit ausübte. Dieses Faktum wurde 1156 vom Reichsoberhaupt anerkannt. Daß damit den Babenbergern die Bahn für eine weitere konsequente Verfolgung ihrer Ziele freigegeben war, versteht sich von selbst. Die landesgeschichtlichen Forschungen der letzten Jahrzehnte, insbesondere die wichtigen Untersuchungen von Karl LECHNER, haben nun freilich gezeigt, in welch zähem Ringen das Geschlecht der Babenberger schrittweise um entscheidende Machtpositionen im Lande ringen mußte. Auch ihnen ist die Landesherrschaft nicht einfach mit der Markgrafenwürde in den Schoß gefallen. Andere Dynastenfamilien konkurrierten mit ihnen, viele machtpolitisch bedeutsame Vogteien über Kirchen und Klöster lagen ursprünglich nicht in ihrer Hand. Diese grundlegenden Erkenntnisse, die das seinerzeit von Heinrich BRUNNER und seiner Schule entworfene Bild durch die Aufhellung der siedlungsgeschichtlichen und genealogischen Zusammenhänge ergänzt und berichtigt haben, lassen sich jedoch bei sorgfältig abwägender Betrachtung mit den oben skizzierten Feststellungen durchaus in Einklang bringen. Die überdurchschnittlich starke Position, die die Babenberger in ihrem Machtbereich ausbauen konnten, äußerte sich nicht zuletzt auf. finanziellem Gebiet. Sie erhoben weithin, sogar vom Gut der mit Immunitätsprivilegien ausgestatteten Reidiskirchen, Leistungen und Abgaben beträchtlichen Ausmaßes, nämlich das Marchfutter, das ursprünglich als Beitrag für die Verproviantierung der Pferde der ritterlich kämpfenden Streitmacht im bedrohten Grenzgebiet gedacht war, ferner das „Landgericht", also eine aus der markgräflichen Gerichtsgewalt hergeleitete Forderung, und das Burgwerk zur Instandhaltung der Befestigungsanlagen. An alledem änderte sich im Jahre 1156 nichts; was bis dahin der Markgraf beansprucht hatte, fiel nun dem Herzog zu. Mit vollem Recht hat daher Heinrich FICHTENAU auf die Bedeutung der finanziellen Seite des Begriffes iustitia im Gerichtsbarkeitspassus des Privilegium minus größtes Gewicht gelegt. Die hohe Gerichtsbarkeit war für das Mittelalter nicht nur als oberstes staatliches Hoheitsrecht, sondern auch wegen der mit ihr verbundenen Einkünfte von überragender Wichtigkeit. Wie verwickelt die Dinge lagen, lehrt am besten ein Blick auf die Rechtsstellung der Freisinger Besitzungen in Österreich. Nicht bloß von den bäuerlichen Hintersassen, sondern sogar auch von den in Eigenwirtschaft betriebenen Gütern (dominicalia) des Bistums Freising erhoben die Babenberger eine dreifache Gerechtsame (Marchfutter, Landgericht und Burgwerk). Im

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Jahre 1189 erreichte der Bischof, daß Herzog Leopold V. gemeinsam mit seinem Sohn Friedrich auf diese offenbar sehr drückenden Forderungen verzichtete. Da die Babenberger die genannten Rechte vom Reich zu Lehen trugen, geschah dies in der Form, daß sie das Lehen dem Kaiser aufließen, der daraufhin die Gerechtsame durch königliche Schenkung an die Kirche gab. Daher war es notwendig, über diesen rechtlichen Vorgang eine Kaiserurkunde ausstellen zu lassen (BUB 4/1, S. 205 Nr. 892). Noch gegen Ende seines Lebens war Bischof Otto von Freising mit seinem Bruder, Herzog Heinrich II., in schweren Konflikt über die Güter seiner Kirche in Österreich geraten, und sein Nachfolger, Bischof Albert, hatte deswegen erfolgreiche Verhandlungen mit dem Herzog geführt (BUB 4/1, S. 159 N r . 809 und S. 161 Nr. 821). Im Jahre 1164 konnte der Herzog dazu bewogen werden, der Propstei Neustift bei Freising eine entsprechende Vergünstigung zu gewähren, bei der er sich allerdings Marchfutter und Burgwerk ausdrücklich vorbehielt (BUB 1, S. 50 Nr. 35). Man wird kaum fehlgehen, wenn man annimmt, daß die Babenberger die drei Gerechtsame, die sie im Jahre 1189 der Freisinger Kirche von den in Eigenbau bewirtschafteten Gütern erließen, von ausgedehnten Komplexen kirchlichen Gutes in Österreich in Anspruch nahmen, und zwar unter Berufung auf eine Belehnung seitens des Reiches, die sicher schon geraume Zeit zurücklag. Die Bischöfe versuchten sich davon im Sinne des Immunitätsgedankens zu befreien. Das Privilegium minus hatte an diesen Verhältnissen nichts geändert. Die Mark war dem Babenberger cum omni iure (mit allen damit verbundenen Rechten) als Herzogtum verliehen worden, also auch mit der Befugnis, wie bisher vom Kirchengut derartige Leistungen zu fordern. Es muß nachdrücklich darauf hingewiesen werden, daß die Herzoge von den mit Immunität und Königsschutz ausgestatteten Gütern der Reichskirchen Forderungen solcher Art im allgemeinen nicht einzuheben berechtigt waren. Die Stellung des Markgrafen in Österreich war also in diesem Punkt stärker als jene eines Herzogs auf altdeutschem Reichsboden — abgesehen davon, daß die Babenberger umfangreiche Güter der bayrischen Bistümer in ihrem Land als Kirchenlehen zur Gänze in der Hand hielten. Merkwürdigerweise hat man sich bisher kaum die Frage vorgelegt, was der Gerichtsbarkeitspassus als Bestandteil des formelhaften Aufbaues des Diploms Friedrichs I. für den Herzog von Österreich vom Standpunkt der Diplomatik aus für eine Funktion zu erfüllen hat. Es hat doch seinen guten Sinn, wenn er sich unmittelbar an die Gewährung der weiblichen Erbfolge und des freien Verfügungsrechtes im Falle kinderlosen Todes anschließt. Dem mittelalterlidien Urkundenstil entspricht es, der Bestätigung irgendwelcher Rechte noch eine Formel beizufügen, die eine allgemein gehaltene Garantieerklärung mit einigen näheren Erläuterungen verknüpft. Formelhafte Sätze solcher Art pflegen nicht selten mit dem Verbum statuere eingeleitet zu werden; Synonyma dafür sind etwa decernere, sancire, precipere. So wird in feierlichen päpstlichen Privilegien eine Sicherung der Rechte und

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Besitzungen einer Kirche mit statuentes eingeleitet; handelt es sich um ein Kloster, dann pflegt mit derselben Wendung die Aufrechterhaltung der Ordensregel angeordnet zu werden. In der Königsurkunde wird vielfach in ähnlicher Weise ein generelles Verbot der Störung der Besitzrechte (Perturbationsverbot) erlassen. Bei Kirchen und anderen Empfängern, die des königlichen Schutzes bedürfen, wird mit einer gewissen Vorliebe eine ganze Stufenleiter von Persönlichkeiten, angefangen von den geistlichen und weltlichen Großen bis hinab zu untergeordneten Organen, aufgezählt, denen es untersagt ist, die Satzungen des Privilegs zu verletzen und die Rechte der Begünstigten zu kränken. In italienischen Diplomen Barbarossas heißt es etwa, kein Erzbischof oder Bischof, kein Graf oder vicecomes, kein Gastalde, kein Podesti, keine Kommune dürfe der kaiserlichen Verfügung zuwiderhandeln. Aber oft genug begnügt man sidi mit der Formel nulla magna vel parva persona, die im Privilegium minus verwendet wird. Freilich hinkt der Vergleich insofern, als der Babenberger natürlich nicht des kaiserlichen Schutzes bedurfte, sondern selbst in der Lage war, seine Rechte wahrzunehmen. Aber die Verwandtschaft im sprachlichen Ausdruck und im Formular hat doch ihren Grund. Denn wenn die Ausübung jeglicher iustitia im Herzogtum an die Zustimmung des Herzogs gebunden wird, so heißt das doch, daß niemand, in welcher Stellung er sich auch befinden möge, den Herzog in der Geltendmachung jener Hoheitsrechte stören sollte, die ihm der Belehnungsakt eingeräumt hatte. Insofern ergibt sich ein Berührungspunkt zwischen dem Gerichtsbarkeitspassus des Privilegium minus und dem zugunsten kirchlicher Empfänger erlassenen Perturbationsverbot der Kaiserurkunden jener Zeit. Nun ist aber dieses Verbot der Besitzstörung letzten Endes aus dem Immunitätsformular der karolingischen und ottonisch-salischen Zeit herzuleiten, das allen Inhabern öffentlicher Funktionen untersagte, das kirchliche Gebiet zwecks Vornahme von Amtshandlungen zu betreten, um eben die Rechte und Besitzungen der Geistlichkeit vor ihrem Zugriff zu sichern. Daher war es möglidi, die einzigartigen Formulierungen, die der Kaiser im Privilegium minus über die Gerichtsbarkeitsredite im neuen Herzogtum erließ, in sprachliche Wendungen des überlieferten Formulars der Reichskanzlei zu kleiden. Besser als bisher verstehen wir von solchen Voraussetzungen her die Bedeutung der Parallele zwischen dem Gerichtsbarkeitspassus des Privilegium minus und der Bestätigung der herzoglichen Rechte des Bischofs von Würzburg durch Barbarossa vom Jahre 1 1 6 8 , die F I C K E R aufgezeigt hat. Seine kurzen Darlegungen schufen den Ausgangspunkt für alle weiteren verfassungsgeschichtlichen Überlegungen über den Gegenstand. Obwohl man mit Recht auf die Unterschiede aufmerksam gemacht hat, die offensichtlich zwischen der Struktur der beiden Herzogtümer bestehen, und obwohl die Bedeutung der finanziellen Seite des Problems besonders unterstrichen zu werden verdient, reicht die Analogie doch verblüffend weit.

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Der Kaiser gewährt dem Bischof von Würzburg „alle Gerichtsbarkeit und die volle Gewalt, Gerechtigkeit walten zu lassen, im ganzen Bistum und Herzogtum Würzburg und in allen Grafschaften, die in demselben Bistum oder Herzogtum gelegen sind, über Raub und Brand, über freies Eigen und Lehen, über Eigenleute und Blutgericht" (omnem iurisdictionem seu plenam potestatem faciendi iusticiam per totum eptscopatum et ducatum Wirzeburgensem et per omnes cometias in eodem episcopatu vel ducatu sitas, de rapinis et incendiis, de allodiis et beneficiis, de hominibus et de vindicta sanguinis; ALTMANN-BERNHEIM, Ausgewählte Urkunden zur Verfassungsgeschichte, 3. Aufl. S. 312). Keine geistliche oder weltliche Person soll künftig im ganzen Würzburger Bistum und Herzogtum und in den Grafschaften, die innerhalb der Grenzen des Bistums oder Herzogtums gelegen sind, Gerichtsgewalt ausüben außer dem Würzburger Bischof und Herzog und demjenigen, den er damit betraut (statuentes imperiali auctoritate et lege perpetuo valitura decernentes, ne aliqua aecclesiastica secularisve persona per totum Wirzeburgensem episcopatum et ducatum et cometias infra terminos episcopatus vel ducatus sitas iudiciariam potestatem deinceps exerceat nisi solus Wirzeburgensis episcopus et dux vel cui ipse commiserit). Wie man sieht, sind die Bestimmungen der Würzburger Urkunde viel ausführlicher gehalten als diejenigen des Minus; sie bieten weit reichhaltigere Aussagen über Inhalt und Charakter der herzoglichen Gewalt, und sie gehen auch in formalrechtlicher Hinsicht über die Vorrechte hinaus, die dem Herzog von Österreich verbrieft werden. Aber im Kern handelt es sidi zweifellos, wie FICKER richtig erkannt hat, um dasselbe verfassungsgeschichtliche Phänomen. Denn daß der Begriff iustitia des Minus mit der iurisdictto seu plena potestas faciendi iusticiam, mit der iudiciaria potestas des Bischofs von Würzburg gleichzusetzen ist, steht eindeutig fest. Gemeinsam ist beiden Privilegien audi die territoriale Abgrenzung der herzoglichen Gewalt ohne Rücksichtnahme auf die Stammeszugehörigkeit der betreffenden Gebiete; sie soll dem Bischof innerhalb seiner Diözese zustehen, und zwar in allen Grafschaften, die in seinem Bistum gelegen sind. Das ist kein neuer Gedanke; bereits die Ottonen und Salier hatten im Sinne ihrer Reichskirchenpolitik vielfach deutschen und italienischen Bischöfen die Grafschaftsrechte innerhalb ihres kirchlichen Sprengeis übertragen. Die Bischöfe konnten diese Gerechtsame entweder selbst ausüben oder sie weitergeben, was gelegentlich in den Kaiserurkunden ausdrücklich ausgesprochen wurde. Diese Bestimmung kehrt auch in der Würzburger Urkunde wieder. Ihr Inhalt bot also in dieser Hinsicht keineswegs etwas grundsätzlich Neues; es handelt sich vielmehr um die Weiterbildung und Ausgestaltung einer bis in die Zeit vor dem Investiturstreit zurückreichenden Tradition. Die Entwicklung ging im angedeuteten Sinne weiter, denn bereits 1180, anläßlich des Sturzes Heinrichs des Löwen, räumte Barbarossa dem Erzbisdiof von Köln die herzogliche Gewalt in jenem Teil Westfalens ein, der zu dessen Erzdiözese gehörte. In den erwähnten Fällen erstreckt sich die den Bischöfen verliehene

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Gerichtsgewalt auf das Gebiet ihres kirchlichen Sprengeis. Dem entspricht es bis zu einem gewissen Grade, wenn in unserer Urkunde vom Amtsbereich des neuen Herzogs (ducatus regimen) die Rede ist. Auch die Bedeutung dieser Ausdrucksweise hat FICKER geklärt. In dem Landfrieden, den Friedrich I. vermutlich nicht lange nach seinem Regierungsantritt erlassen hat, wird verfügt, daß der Inhaber der Gerichtsgewalt über Fehden der Ministerialen irgendwelcher Herren als öffentlicher Friedenswahrer Gericht halten solle: St ministeriales alicuius domini inter se guerram habuerint, comes sive iudex, in cuius regimine earn fecerint, leges et iudicia exinde prosequatur (Mon. Germ. Hist. Const. 1, S. 194 Nr. 140, künftig DF. I. 25). Es handelt sich um eine für die Aufrechterhaltung der Ordnung im Lande wichtige Bestimmung. Zuständig für Rechtshändel der Ministerialen untereinander waren ursprünglich deren Herren und nicht der Inhaber der öffentlichen Gerichtsgewalt. Bei der zunehmenden, dem niederen Landadel sich nähernden Bedeutung dieses aufstrebenden Standes lag es jedoch nahe, ihre Fehden der Gewalt des Grafen oder Herzogs zu unterwerfen, saßen sie doch auf wichtigen Burgen, von denen aus sie den Frieden zu stören in der Lage waren. Daher sollte derjenige öffentliche Richter für ihre Gewalttaten zuständig sein, in dessen Amtssprengel (regimen) die Fehde geführt wurde. Im kirchlichen Sprachgebrauch war das Wort regimen recht verbreitet; es bezeichnete etwa schon in der Regula sancti Benedicti die Amtsführung des Abtes. Wenn man bedenkt, welch tiefgreifenden Einfluß die Terminologie des kanonischen Rechtes auf das staatliche Denken des Hochmittelalters übte, dann wird man diese Parallele nicht gering einschätzen. Demnach gilt der Gerichtsbarkeitspassus des Minus nicht für Gebiete, die außerhalb des Amtssprengeis des Herzogs von Österreich liegen, ebensowenig, wie der Bischof, dem die gräfliche Gewalt innerhalb seiner Diözese verliehen war, diese außerhalb derselben auszuüben befugt sein sollte. Der Satz, der sich auf die Ausübung gerichtlicher Gewalt im neuen Herzogtum Österreich bezieht, läßt den Amtscharakter des Reichslehens deutlich hervortreten, wie dies in den Landfriedensgesetzen der Staufer und in den Rechtsbüchern immer wieder zu beobachten ist. Damit wurde den Anschauungen Friedrich Barbarossas über die Stellung der Fürsten im Reich Rechnung getragen. Aber wenn damit alle Gewalt im Lande dem vom Reich belehnten Herzog untergeordnet erscheint, so besagt dies in der Praxis die Anerkennung der tatsächlichen Herrschaft der Babenberger und darüber hinaus die Zusage, ihrem Streben nach Konsolidierung und Ausweitung ihrer Positionen seitens des Kaisertums keine Hindernisse in den Weg zu legen. Man darf nicht vergessen, mit welcher Machtvollkommenheit der Gegenspieler des Babenbergers, Heinrich der Löwe, in den östlichen Grenzlandschaften seines sächsischen Herzogtums waltete. Sogar das vom Königtum so eifersüchtig gewahrte Recht der Investitur der Bistümer wurde ihm für Oldenburg, Mecklenburg und Ratzeburg gewährt. Es ist mehr als bloße Rhetorik, wenn der Verfasser der Slawenchronik Helmold von Heinrich

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dem Löwen sagt: Die Macht des Herzogs wuchs hinaus über alle, die vor ihm waren, er wurde zum Fürsten der Fürsten des Landes, beugte den Nacken der Empörer, brach ihre Burgen, riditete die Wegelagerer zugrunde, stiftete Frieden im Lande, erbaute sehr starke Festen und besaß überaus reiches Eigengut (increvit ducis potestas super omnes qui fuerunt ante eum, et factus est princeps principum terrae, et conculcavit colla rebellium et eff regit municiones eorum et perdid.it viros desertores et fecit pacem in terra et edificavit municiones firmissimas et possedit hereditatem multam nimis; Helmoldi Chronica Slavorum ed. H. STOOB, S. 356 cap. 102). Auch im „Amtsbereich" dieses Herzogs jenseits der Elbe konnte es niemand wagen, ohne fürstliche Zustimmung Gerichtsgewalt auszuüben. Im Grunde genommen war es doch eine ähnliche Position, über die Heinrich Jasomirgott in seiner Heimat gebot. Es bleibt eine völlig zutreffende Erkenntnis, daß diese Machtballungen im Osten entscheidend für die künftige staatliche Gestaltung Mitteleuropas werden mußten. Gerade der vergleichende Blick auf die Territorialpolitik Heinrichs des Löwen im Nordosten des damaligen Reichsgebietes erinnert uns freilich noch einmal daran, daß die Verhältnisse ursprünglich weit differenzierter lagen. Durch das Zusammenfügen heterogener Elemente war der „Staat" des Weifen aufgebaut worden. Was Österreich betrifft, so haben neuere Forschungen seit STOWASSER gezeigt, auf welch komplizierten Umwegen die Babenberger im Verlauf der harten Auseinandersetzungen des 11. und des beginnenden 12. Jahrhunderts ihre Stellung im Lande erkämpfen mußten, die sich keineswegs von selbst aus der Markverfassung ergab. Dieser Vorgang war im Jahre 1156 noch bei weitem nicht abgeschlossen; die besonderen Vorrechte, die sich Heinrich Jasomirgott vom Kaiser verbriefen ließ, stärkten seine Stellung, bedeuteten aber keinen echten Wendepunkt. Das Ringen des Fürsten mit konkurrierenden Gewalten mußte von der verbesserten rechtlichen Basis her mit unverminderter Zähigkeit fortgeführt werden. Daß die Verhältnisse noch im Fluß waren, ist aus dem Gerichtsbarkeitspassus des Minus herauszulesen. Hoch- oder niedriggestellte Persönlichkeiten können offenbar mit dem Anspruch auftreten, richterliche Gewalt und damit verbundene Herrschaftsrechte im Lande auszuüben. Jeder Versuch dieser Art, von wem immer er ausgehen mag, fällt unter die allgemein gehaltene Formulierung, die gewählt wurde. Zunächst drängt sich die Frage auf,-wer unter den parve persone gemeint sein kann, in deren Händen sich die iustitia befindet. Hier wird in erster Linie an Ministerialen zu denken sein. Sie hatten sich zu einem Stand entwickelt, der nach seinem besonderen Recht, dem Dienstrecht, lebte und in der sozialen Hierarchie der Gesellschaft infolge des ihm anhaftenden Makels der Unfreiheit den Fürsten und Edelfreien gegenüber theoretisch eine verhältnismäßig niedrigere Stellung einnahm, obwohl seine Angehörigen wichtige Machtpositionen innehatten, neben dem Dienstgut vielfach nicht nur Lehen, sondern auch freies Eigen erwerben konnten und mitunter mit edelfreien Geschlechtern in Eheverbin-

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dung traten. Die Dienstmannen waren von vornherein keine einheitliche Schidit; ihre Funktion und ihr Ansehen hingen ursprünglich von der Aufgabe ab, die der Herr ihnen zuwies. Auch in der Zeit der vollen Ausbildung des Standes konnte ihre Rolle im politischen Leben eine sehr unterschiedliche sein. Von den Inhabern der großen Hofämter, die an der Leitung der Geschicke des Landes maßgeblichen Anteil nahmen, bis hinab zu kleinen, ritterlich lebenden Dienstleuten gab es eine Reihe von Abstufungen an Ansehen und Vermögen, militärischer Kraft und gesellschaftlicher Geltung. Jedenfalls bestand die Möglichkeit sozialen Aufstieges. Herrendienst und ritterliche Lebensart konnten, wenn sie sich mit persönlicher Tüchtigkeit verbanden, auch dem verhältnismäßig Niedriggeborenen zu wirksamer Macht verhelfen. Selbstverständlich mußten es nicht immer nur Ministerialen der Babenberger selbst sein, denen es gelang, einen derartigen Weg zu beschreiten. Aufgabe des Herzogs als des obersten Wahrers des Landfriedens war es, diese Kräfte in Schranken zu halten; daher sollten sie in der Ausübung richterlicher Gewalt an seine Zustimmung gebunden sein. Ein anderes, nicht minder wesentliches Problem, das in diesem Zusammenhang erwähnt zu werden verdient, ist die Vogtei, die gerade für den Neubau staatlicher Ordnung von unten her während des 12. Jahrhunderts innerhalb der Grenzen des deutschen Reiches eine besondere Rolle spielte. Die Aufgabe des Vogtes war eine doppelte. Erstens hatte er die Kirche, ihr Gut und ihre Hintersassen nach außen gerichtlich und außergerichtlich zu vertreten und zu schützen; zweitens lag in seiner Hand die Gerichtsbarkeit über die Gotteshausleute, die er im Namen und Auftrag des geistlichen Grundherrn ausübte. Nur mächtige Herren, viri potentes, waren in der Lage, diese Funktion wahrzunehmen, die von der Kirche als ein Amt, vom Adel jedoch als ein Herrschaftsrecht aufgefaßt wurde. Im Machtbereich der Babenberger gab es ausgedehnte Reichskirchengüter, die den geistlichen Reichsfürstentümern, Bistümern und Abteien im Zeitalter des Landesausbaues vom deutschen König geschenkt worden waren. Die Vogteien über sie lagen in der Hand vornehmer Geschlechter, zum Teil auch der Babenberger selbst. Diese gaben ihre Rechte vielfach an Untervögte weiter, meist an Ministerialen, die ihre Gewalt vertretungsweise ausübten, aber der Kirche und ihren Hintersassen oft wenig willkommen waren, weil sie ganz unmittelbar drückende zusätzliche Forderungen stellten, um ihre eigene Macht auszubauen und möglichst hohe Einnahmen einzuziehen. Denn der Vogt beanspruchte nicht nur einen Anteil an den Bußen, die aus seiner richterlichen Tätigkeit erflossen, sowie das Recht der Gastung, das jedem Richter zustand; darüber hinaus griff er zutiefst in die Organisation und Verwaltung der geistlichen Grundherrschaft ein und belastete die Gotteshausleute mit ständigen Abgaben aus dem Titel des Schutzes, den er ihnen gewährte. So kann man ohne Übertreibung sagen, die kirchlichen Hintersassen hätten in jenen Zeiten vielfach zwei Herren über sich gehabt, die geistliche Grundherrschaft und den Vogt, der sie beschirmte. Das alles bot

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Anlaß zu langwierigen, schweren Auseinandersetzungen, denn die Kirche versuchte zwecks Sicherstellung ihrer Einkünfte, zum Teil auch im Interesse der Bauern, die Rechte der Vögte einzugrenzen. Im Verlaufe dieser Streitigkeiten griff sie nicht selten zum Mittel der Urkundenfälschung, indem sie unechte Rechtstitel, angeblich aus der Zeit der Gründung oder der Schenkung der Güter, produzierte, denen zufolge die Leistungen an den Vogt genau umschrieben sein sollten. Bis in die Zeit des Investiturstreites und zum Teil darüber hinaus fand sie in ihrem Kampf gegen die Laiengewalten weitgehend Schutz und Hilfe beim König. Im 12. Jahrhundert aber bot sich ihr in wachsendem Ausmaß der werdende Landesherr als Schirmherr gegen diejenigen an, die ihr an und für sich unter dem Titel der Vogtei Sicherheit hätten garantieren sollen. Der sich damals allenthalben rasch ausbreitende Zisterzienserorden nahm für sich eine unentgeltlich, um Gotteslohn zu gewährende oberste Schutz- und Schirmvogtei entweder des römisch-deutschen Kaisers oder des Fürsten im Lande in Anspruch und verstand es, sich auf diese Weise der Bedrückung durch die Vögte zu entziehen. Andere Klöster und Kirchen folgten seinem Beispiel. Die Landesherren selbst schritten gegen die Übergriffe der Vögte ein und entwickelten aus solchen Voraussetzungen den Gedanken einer allgemeinen fürstlichen Schirmhoheit über die Kirche ihres Gebietes, der dann im Spätmittelalter im Reich zum System erhoben wurde und zu den historischen Voraussetzungen des jus reformandi und des Grundsatzes „Cuius regio, eius religio' zählte. Bereits im frühen 13. Jahrhundert war es in Österreich soweit, daß der Rechtssatz formuliert werden konnte, die Zisterzienser dürften keinen Vogt haben außer dem Landesfürsten als Schirmherrn (neque advocatum eis habere liceat nisi dejensorem principem ipsum, qui caput est terre; BUB 1, S. 220 N r . 166). In die Richtung einer solchen künftigen Entwicklung weist der Geriditsbarkeitspassus des Privilegium minus. Ohne eine präzise Regelung auszusprechen, ohne vor allem eine Leihe der Gerichtsgewalt, des Bannes, durch den Herzog für seinen gesamten Amtssprengel anzuordnen, unterwirft er doch die richterliche Tätigkeit der Vögte einschließlich der daraus ableitbaren Forderungen finanzieller Natur der Kontrolle des Fürsten, der als Herzog den Frieden im Lande zu wahren hat — nach den Prinzipien des Lehenrechtes im Namen und Auftrag des königlichen Lehensherrn, faktisch jedoch kraft der ständig zunehmenden Machtvollkommenheit, die er in seinem Gebiet auszubauen verstanden hatte. Innerhalb des Machtbereiches der Babenberger gab es aber auch höhergestellte Persönlichkeiten (magnae personae), Grafen und edelfreie Herren, die vielfach auf den Hof- und Gerichtstagen der Markgrafen und der Herzoge nachweisbar sind. Als sich Leopold II. im Jahre 1081 unter dem Einfluß Bischof Altmanns von Passau von Heinrich IV. in aller Form lossagte und der gregorianischen Partei beitrat, tat er dies auf einer Versammlung an der alten Dingstätte zu Tulln gemeinsam mit den Großen seines

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Gebietes. Die Vita Altmanni (Mon. Germ. Hist. Script. 12, S. 236) berichtet darüber: coadunatis primoribus sui regiminis in villa, quae Τulna dicitur, dominium Heinrici tyranni iure iurando abnegat. Hier begegnet ebenfalls der Ausdruck regimen, und zwar offensichtlich in der gleichen Bedeutung wie im Privilegium minus. Die Vita Altmanni spricht kurz vorher von den primi Orientalis provinciae, den Großen der Ostmark. Es gab also bereits im Zeitalter des Investiturstreites eine Gruppe adeliger Herren, die sich dem Markgrafen anschlossen, als er vom König abfiel. Er vollzog diesen entscheidenden politischen Schritt nicht allein, sondern gemeinsam mit dem Adel seines Gebietes. Bereits um 1081 betrachtete der Markgraf nicht bloß die Kernlandschaft der alten Babenbergermark, die sich allmählich im Kampf gegen Ungarn erweitert hatte und allenthalben durch den Landesausbau vergrößert worden war, als den Sprengel, in dem er seines Amtes waltete. Man darf nicht vergessen, daß die ältere politische Ordnung vor der großen kolonisatorischen Erschließung der Rodegebiete strenggenommen überhaupt keine Grenzlinien, sondern nur Grenzräume kannte. Der Herrschaftsbereich des Markgrafen, der auch als districtus marchionatus bezeichnet wird, griff also weit über die ursprüngliche Mark an der Donau zwischen Enns und Wienerwald hinaus und umspannte adelige Herrschaften verschiedener Art, die dem Fürstentum der Babenberger zugeordnet erscheinen. Im Jahre 1115 befreite Markgraf Leopold III. die Güter des Stiftes St. Florian in der Riedmark und in allen Orten seines Gebietes nördlich der Donau von jeglichen Abgaben (a redibitione vel reditu mei iuris in Ridmarcha vel in omnibus locis mei regiminis trans Danubium; BUB 1, Nr. 2). Wieder finden wir hier die Bezeichnung regimen, die sich auch in diesem Falle nicht auf das alte Kernstück der Mark bezieht, sondern auf später hinzuerworbene Bereiche nördlich der Donau. Der babenbergische Markgraf zählte nicht bloß zu den Reichsfürsten; er galt auch als Fürst gegenüber den Großen seines Landes. In einer Urkunde des Jahres 1136 für (Klein-)Mariazell ist dies mit aller Klarheit ausgesprochen. Da übernimmt Leopold III. die unentgeltliche Schirmvogtei über das von ihm gestiftete Kloster; nach seinem Tode soll sie an denjenigen seiner Nachkommen fallen, der das Fürstentum im Lande innehat (post me vero, si quis de filiis et nepotibus meis in posterum principatum terre istius obtineret; BUB 1, Nr. 9). In dieser Frühzeit kann man „principatus terre" noch nicht einfach mit „Landesfürstentum" im späteren Wortsinn wiedergeben. Hier ist vielmehr von dem fürstlichen Vorrang die Rede, den der Markgraf als oberster Richter im Lande den anderen Großen (Grafen und Edelherren) gegenüber besitzt. Sie leben in seinem regimen, üben jedoch eigenständige Grafschafts- und Herrschaftsrechte aus; das gilt etwa von den Peilsteinern, den Schalaburgern und anderen. In ähnlichem Sinne ist es zu verstehen, wenn nach dem Bericht des Vinzenz von Prag Herzog Heinrich Jasomirgott mit den anderen Fürsten aus Österreich beim Aufmarsch der kaiserlichen Streitmacht gegen die Stadt

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Mailand im Jahre 1158 den vierten Heerhaufen bildet (Quarto loco Heinrichs dux Austrie cum aliis principibus de Austria ponitur; Mon. Germ. Hist. Script. 17, S. 672). Auch hier erscheinen die Großen des österreichischen Machtbereiches im Gefolge des Fürsten aus dem Hause der Babenberger. Übrigens hatte in diesen Kämpfen der Graf E k b e r t v o n Formbach-Pitten den Tod gefunden, was für die weitere territoriale Entwicklung der österreichischen Lande von Bedeutung war, weil die Traungauer sein Erbe übernahmen. Bei der Interpretation der zitierten Quellenbelege sollte man freilich nicht übersehen, daß die Terminologie bis weit ins 12. Jahrhundert hinein keine eindeutige, begrifflich-juristisch festgelegte war. Eine scharfe Scheidung, wie sie in der neueren Literatur zwischen der „eigentlichen Ostmark" und dem „Bereich der markgräflichen Gewalt" (regimen) versucht wurde, läßt sich kaum ganz konsequent aufrechterhalten. Natürlich sind Abstufungen da, aber die Grenzen können nicht so präzise herausgearbeitet werden, wie es modernen Vorstellungen (oder richtiger gesagt der rationalisierten Denkmethode, die sich seit dem 12. und 13. Jahrhundert durchzusetzen beginnt) gemäß wäre. Der Kernbegriff orientalis regio (Ostarrichi) ist ursprünglich selbst nicht scharf umrissen, sondern jederzeit durch Krieg, königliche Landschenkung, Rodung oder politisches Ausgreifen ausweitbar. Ebenso sind auf der anderen Seite die Grafschafts- und Herrschaftsrechte des Adels in dynamischer Entwicklung begriffen; die politische Organisation kann durch Siedlungsvorgänge, durch die Gründung eines Klosters, durch den Bau einer Burg verändert werden. Vor allem aber ist die Entwicklung alles andere als geradlinig verlaufen. Neubildungen sind immer wieder versucht worden. Hatte es doch noch in weit späterer Zeit den Anschein, als sollten die Grafen von Schaunberg und die von Cilli den Rahmen der Territorialverfassung sprengen. Karl LECHNER ist völlig im Recht, wenn er darauf aufmerksam macht, daß der Gerichtsbarkeitspassus des Privilegium minus „den tatsächlichen Verhältnissen im nächsten Jahrhundert widerspricht" (Neue Deutsche Biographie Bd. 8, S. 376, Herzog Heinrich II. von Österreich). Aber gerade deshalb ist dieser Satz von so großem historischem Interesse, weil er so frühzeitig eine Tendenz erkennen läßt, die durch Jahrhunderte wirksam war, bis sie endlich realisiert wurde. Nach der in der Literatur am meisten verbreiteten Auffassung handelt es sich um die Anerkennung der territorialen Gerichtshoheit des Herzogs von Österreich durch den Kaiser. Allein gerade einer der hervorragendsten Vertreter dieser Interpretation, Hans HIRSCH, hat ausdrücklich hervorgehoben, aus der Formulierung des Satzes gehe hervor, „daß der Begriff der territorialen Gerichtsbarkeit noch im Werden ist"; er hat die Ausdrucksweise der Urkunden über die herzogliche Gewalt der Bischöfe von Würzburg und des Privilegium minus als „farblos" bezeichnet (Kaiserurkunde und Kaisergeschichte, MIÖG 35, 1914, S. 83 = Mittelalterliche Urkundenforschung, S. 85). Die gleiche Meinung hat Erich SCHRÄDER in einer eingehenden kri-

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tischen Auseinandersetzung mit den — übrigens in diesem Punkt stark voneinander abweichenden — Thesen von Theodor MAYER und Konrad Josef HEILIG vertreten (ZRG Germ. Abt. 69, 1952, S. 378). SCHRÄDER fügt ergänzend hinzu, in Österreich sei es gelungen, die der territorialen Gerichtsbarkeit entgegenstehenden Gewalten zu überwinden, in Würzburg nicht. Der Kaiser hat den Herzog von Österreich nicht zum Inhaber des Königsbannes innerhalb seines Dukates gemacht. Die Gerichtsbarkeit blieb vielmehr eine vom König abgeleitete; sie konnte unter den herkömmlichen rechtlichen Voraussetzungen von Persönlichkeiten verschiedenen Standes ausgeübt werden, ohne diesen vom Herzog übertragen zu sein. Im strengen Rechtssinn des Wortes wurde also eine territoriale Gerichtshoheit des Babenbergers durch das Privileg nicht begründet. Aber seinem politischen Machtstreben kam der Kaiser entgegen, soweit es das theoretisch festgehaltene Prinzip der Ableitung aller Jurisdiktion von der Gewalt des Herrschers überhaupt zuließ. Eine nicht an eine bestimmte Rechtsform gebundene Zustimmung des werdenden Landesfürsten sollte für jedermann erforderlich sein, der Gericht im Lande übte. Ohne daß ein Verzicht auf die Rechte des Reiches ausgesprochen worden wäre, war damit den Forderungen Heinrich Jasomirgotts Rechnung getragen. Hier zeigt sich die staatsmännische Begabung Kaiser Friedrichs I., der es auch in diesem Falle verstand, sich den tatsächlich obwaltenden Verhältnissen weitgehend anzupassen, ohne die Grundsätze zu verleugnen, auf denen er die erneuerte Größe des Kaisertums aufgebaut sehen wollte. Man könnte sich vorstellen, daß um diese Kompromißformel, die aus den politischen Notwendigkeiten geboren wurde, zwischen Kaiser und Herzog zäh gerungen werden mußte. Die Quellen berichten allerdings nichts darüber. Wie dem auch sei, es handelt sich um einen ersten, gleichsam tastenden Versuch, ein unendlich vielschichtiges Problem zu ordnen, das durch viele Jahrhunderte umstritten bleiben sollte. So eilt der Gerichtsbarkeitspassus des Privilegium minus in gewissem Sinne seiner Zeit voraus. Dabei haftet ihm etwas von jener Unklarheit an, die mit dem Begriff der Landeshoheit bis zum Untergang des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation verbunden blieb.

Hoffahrt und Heeresfolge Das Privilegium minus beschränkt die Vasallenpflichten des neuen Herzogs von Österreich auf den Besuch von Hoftagen in Bayern und auf die Heeresfolge bei Feldzügen des Kaisers gegen die Österreich benachbarten Königreiche und Länder. Sehr zu Unrecht werden diese für das 12. Jahrhundert einzigartigen Bestimmungen in der neueren Literatur nur ganz am Rande behandelt. Sie besaßen für die feudale Denkungsart des Hochmittelalters hohes Gewicht, und zwar in doppelter Hinsicht: Auf der einen Seite lag es im Interesse des Fürsten, derartige Bande möglichst zu lockern, ja sie als

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freiwillig gewährte Leistungen erscheinen zu lassen. Andererseits aber steigerte es den Glanz und das Ansehen des Herzogs, wenn er auf prunkvollen Hoftagen und Reichsversammlungen erschien oder im R a t und Gericht des Kaisers seine Stimme entscheidend ins Gewicht fallen lassen konnte. In diesem Sinne heißt es etwa im Privilegium maius, der Herzog von Österreich sei grundsätzlich nicht verpflichtet, den H o f des Kaisers aufzusuchen; wenn er aber erscheine, solle ihm ein ganz besonderer Ehrenplatz zukommen. In ähnlicher Weise versuchen sich die Vasallen der Verpflichtung zur Heeresfolge zu entziehen beziehungsweise deren Erfüllung an besondere vertragliche Abmachungen und politische Vorteile zu knüpfen. Aber es handelt sich keineswegs bloß um Fragen des politischen Prestiges. Hoffahrten und Kriegszüge des Herzogs brachten vielmehr erhebliche finanzielle und menschliche Belastungen für den Adel, die Kirchen und Klöster sowie für die landesfürstlichen Städte mit sich. Obwohl er nach dem Wortlaut des Privilegium minus gar nicht-dazu verpflichtet war, fand sich der Herzog von Österreich auf dem glanzvollen Hoftag zu Mainz im Jahre 1184 mit 500 Rittern ein, und schon vorher, als im Jahre 1177 zu Venedig der lange Streit zwischen Kaisertum und Papsttum im Rahmen prunkvoller Festlichkeiten beendet wurde, hatte er mit 160 Rittern am Hofe geweilt. Die führenden Ministerialen des Herzogtums Steiermark ließen sich in der Georgenberger Handfeste 1186 ausdrücklich die Zusicherung geben, daß die Inhaber der Hofämter des Landes ihrem Fürsten im Falle der H o f fahrt oder der Heerfahrt außer Landes (expeditio) nicht länger und nicht mit höherem Aufwand an Kosten zu dienen hätten als ihre Standesgenossen in Österreich. HEILIG vertrat die Meinung, die Minderung der Hoffahrtspflicht durch das Privilegium minus sei nichts weiter als die Verbriefung eines alten Herkommens. Allein die Geschichte der langwierigen Verhandlungen über die Beilegung der bayrischen Frage beweist die Unhaltbarkeit dieser Auffassung. Mehrmals^ war Heinrich Jasomirgott zu Hoftagen außerhalb Bayerns geladen worden. Otto von Freising erwähnt aber nichts davon, daß er gegen die Wahl des Ortes Einspruch erhoben hätte. Gewiß war es üblich, bayrische Angelegenheiten nach Möglichkeit auf Tagen zu Regensburg zu behandeln, aber zu einem Rechtssatz hat sich dieses Herkommen nicht verdichtet. ERBEN hat seinerzeit die örtlichkeiten zusammengestellt, an denen die Babenberger vor 1156 bei Hofe bezeugt sind; von einer Beschränkung auf Bayern kann da keine Rede sein. Die Vorgänger Heinrich Jasomirgotts treten zwar wiederholt in Regensburg, daneben aber in Nürnberg, Bamberg, Limburg, Ingelheim, Ulm, Mainz und Worms auf. Dieses Bild ändert sich allerdings nicht schlagartig mit der Erlangung der österreichischen Herzogswürde. Leopold V I . zum Beispiel ist nur viermal in Bayern (zu Regensburg, Passau, Donauwörth und Straubing), jedoch allein in Nürnberg siebenmal bei Hofe nachweisbar. Das liegt nun einfach daran, daß Nürnberg als Aufenthaltsort des Kaiserhofes in der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts eine weit größere

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Rolle gespielt hat als zum Beispiel Regensburg. Die Babenberger haben es also seit 1156 keineswegs ängstlich vermieden, außerhalb Bayerns bei H o f e zu erscheinen. In dieser Hinsicht hat sich ihr Verhalten nicht geändert. Aber diese Feststellung ist nach den Grundsätzen der diplomatischen Kritik kein Argument, um die These von einer Interpolation der Urkunde zu erhärten. Die Sache hatte für das feudalrechtlidie Denken der Zeit eine ganz bestimmte, nicht geringe Bedeutung. Weigerte sich nämlich der Vasall, einer in strenger Rechtsform ausgesprochenen Ladung Folge zu leisten, und verharrte er hartnäckig in dieser Haltung, dann wurde dies als schwerste Verletzung der Lehenspflicht angesehen. Man bezeichnete sie als contitmacia (vgl. oben S. 34). Sie war der Rechtsgrund dafür, daß Barbarossa Heinrich dem Löwen die Reichslehen, die Herzogtümer Sachsen und Bayern, aberkannte. Nicht die Verweigerung der Kriegshilfe in Italien, auf die der Kaiser keinen rechtlichen, sondern nur einen moralischen Anspruch hatte, sondern die contumacia war nadi Feudalrecht das Entscheidende. Nicht ganz klar sehen wir allerdings in der Frage, wie sich das Verfahren Kaiser Friedrichs II. gegen den letzten Babenberger zu den Bestimmungen des Privilegium minus verhält. Jedenfalls hat der Kaiser den Herzog auf dem H o f t a g zu Augsburg im Juni 1236 geächtet und ihm seine Reichslehen aberkannt, und zwar mit der Begründung, die Rechte des Reiches und der benachbarten Fürsten, also den Landfrieden gröblichst verletzt und die kaiserlichen Vorladungen hartnäckig mißachtet zu haben. Der kaiserliche Standpunkt ist in einem Schreiben an den König von Böhmen und in einer feierlichen Zusage an die mit dem Babenberger verfeindeten Fürsten näher dargelegt (Mon. Germ. Hist. Const. 2, N r . 201—202); eine Stellungnahme des Herzogs kennen wir nicht. Das im Minus verbriefte Vorrecht hat offenbar bei alledem keine Rolle gespielt. Es hat wohl den Ansdiein, als hätte sich der Herzog nicht darauf berufen, sondern die Ladungen einfach unbeachtet gelassen, so daß es gar nicht zu einer formalen Erörterung der Frage gekommen ist. Auf der anderen Seite dürfte der Kaiser, der bekanntlich nur dann geneigt war, Privilegien seiner Untertanen gelten zu lassen, wenn er selbst sie bestätigt und erneuert hatte, von der Sonderstellung des Herzogs von Österreich weiter keine Notiz genommen haben. Sein Schreiben an den König von Böhmen enthält keine diesbezügliche Andeutung. Was die Interpolationstheorie betrifft, so ist hinsichtlich der Beschränkung der Hoffahrtspflidit nodi zu beachten, daß Regensburg in der Spätzeit der staufischen Periode die alte Rolle als bevorzugter O r t für Bayern betreffende Hoftage bereits ausgespielt hatte. Der Gedanke, bayrische Angelegenheiten auf dem Boden des Stammes zu behandeln, der im Privilegium minus noch begegnet, war inzwischen antiquiert, das Stammesrecht wurde durch das Territorialrecht in den Hintergrund gedrängt. Der letzte Babenberger wäre also wohl kaum auf den Gedanken verfallen, den ihm E R B E N zuschreibt, eine Beschränkung der Hoffahrtspflicht auf Bayern zu erfinden. Die Bindung des Vasallen an seinen Herrn trug grundsätzlich eher

Hoffahrt und Heeresfolge

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moralischen als rechtlichen Charakter. Aus der allgemeinen Treuepflicht ergab sich eine militärische Beistandsverpflichtung; in welchem Ausmaß und bei welchem Anlaß sie gefordert werden durfte, stand nicht von vornherein fest. Vor allem Angriffskriege in weit entlegene Lande brachten schwere Belastungen mit sich, die oft nur ungern und zögernd, übernommen wurden. Schon Pippin hatte Mühe, seine Franken zum Langobardenkrieg zu bewegen. Man könnte leicht eine stattliche Reihe von Fällen aufzählen, in denen sich die römisch-deutschen Kaiser des Hochmittelalters gezwungen sahen, Kriegspläne aufzugeben oder zu vertagen oder Feldzüge abzubrechen, weil ihnen die Fürsten ihre Mitwirkung versagten. Auch die Italienfahrten mußten vorher mit den Großen des Reiches ausgehandelt werden. Es bürgerte sich die Sitte ein, die Teilnahme von den Fürsten beschwören zu lassen; aber auch wenn dies geschehen war, bestand noch immer die Möglichkeit, die Entbindung von diesem Eid vom königlichen Lehensherrn zu erwirken. So sah sich Barbarossa genötigt, den Antritt seines ersten Zuges zur Kaiserkrönung nach Italien hinauszuschieben; den Plan eines Feldzuges gegen Ungarn mußte er überhaupt fallenlassen. Als er den Bischof Otto von Freising zum Kampf gegen Mailand (zweiter Italienzug) aufbot, Schloß er sein Schreiben mit der ausdrücklichen Versicherung, er werde weder ihn noch einen anderen Fürsten zwingen, den Apennin zu überschreiten: nec te nec aliquem principum nostrorum montem Apenninum transire cogemus (Mon. Germ. Hist. Const. 1, S. 224 Nr. 161). War freilich die expeditio einmal von den Fürsten beschworen, dann ist es nicht verwunderlich, wenn der Herrscher mit besonderem Nachdruck auf der Erfüllung der Zusage bestand. So erklärte er im Jahre 1166 dem Patriarchen von Aquileja, er werde keinem Fürsten die Heerfahrt erlassen, obwohl viele davon befreit zu werden wünschten; wenn jemand fernbleibe, so fügt er drohend hinzu, dann geschehe dies gegen seinen Willen (nullt principum expeditionem remittemus, quamvis mtdti querant absolvi, et quicumque remanebit, contra nostrum voluntatem remanebit; Const. 1, Nr. 196). Die Entschlossenheit Barbarossas, seine Hoheitsrechte zu wahren, ist bekannt. Gerade auf die Leistung der Heeresfolge mußte es ihm ganz besonders ankommen. Aber seine feudalen Grundanschauungen ermöglichten es ihm doch immer wieder, sich der jeweiligen politischen Situation elastisch anzupassen. So befreite er den Bischof von Chur auf Lebenszeit von allem Hof- und Reichsdienst (STUMPF, Reg. 4113). Vor dem Aufbruch zum zweiten Italienzug brachte er eine Versöhnung zwischen Heinrich dem Löwen und dem Erzbischof Hartwig von Hamburg-Bremen zustande; dabei erließ er dem geistlichen Gegenspieler der Territorialpolitik des Weifen in Norddeutschland die Verpflichtung zur Heeresfolge und zu anderen Diensten (ab expeditionibus et a debitis servitiis et a ceteris laboribus iuxta velle suum supportabimus; STUMPF, Reg. 3813). War der Kaiser bereit, den genannten geistlichen Fürsten sämtliche Dienste zu erlassen, dann kann er auch dem

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Babenberger weitreichende Erleichterungen eingeräumt haben, um den Ausgleich mit dem Löwen zu ermöglichen. Was die Beschränkung der Heeresfolge auf Österreichs Nachbarländer anlangt, so waren die Markgrafen seit jeher in erster Linie zum Aufgebot im Grenzgebiet verhalten. Das ergibt sich aus ihrer militärischen und politischen Funktion und aus der geographischen Lage. In besonderen Fällen haben sie dem Reichsoberhaupt aber auch in weit entlegenen Landschaften militärische Hilfe geleistet. Ein Beispiel dafür ist die Teilnahme des Markgrafen Ernst am Sachsenkrieg Heinrichs IV. 1075; umgekehrt begegnet uns der Markgraf von Meißen 1060 unter den Kämpfern gegen die Ungarn. Trotz der im Privilegium minus ausgesprochenen Befreiung beteiligte sich Heinrich Jasomirgott 1158, 1160 und 1162 an den Feldzügen Barbarossas in Italien; natürlich geschah auch dies aufgrund bestimmter politischer Abmachungen. Denn die Babenberger hörten nach 1156 nicht auf, mit dem Reichsoberhaupt Verträge zu schließen oder aus gegebenem Anlaß den kaiserlichen Hof aufzusuchen. Im Gegenteil, die politischen Kontakte haben sich in der Folgezeit eher noch verstärkt. Nur darf man daraus nicht mit E R B E N irgendwelche Argumente für die Interpolation des Minus ableiten. Aus dem Fortbestehen politischer und militärischer Verbindungen zwischen dem kaiserlichen und dem babenbergischen Hofe sollte man andererseits auch nicht den Schluß ziehen, die Beschränkung der Heeresfolge auf die Österreich benachbarten Königreiche und Länder sei eine Zusage ohne besonderes Gewicht gewesen. E R B E N hat insofern recht, als er darin eine einzigartige Konzession sieht, die der Entwicklung weit vorauseilte. Erst im Jahre 1212 vermochte der König von Böhmen von Kaiser Friedrich II. ähnliche Vorrechte zu erwirken. Er soll nur verpflichtet sein, Hoftage in Bamberg, Nürnberg oder Merseburg zu besuchen; am letztgenannten Ort hat er nur zu erscheinen, wenn der Herzog von Polen dort die Belehnung empfängt. Zieht der Kaiser zur Krönung nach Rom, dann hat der Böhme die Wahl, entweder 300 Bewaffnete zu entsenden oder eine Beihilfe von 300 Mark zu entrichten (Const. 2, Nr. 43). Vergleichsweise kann daran erinnert werden, daß sich Barbarossa zu Beginn seiner Regierung in einem Vertrag mit Berthold von Zähringen dessen Teilnahme am Italienzug mit 500 Panzerreitern und 50 Bogenschützen ausbedang. In Wirklichkeit hat sich die Streitmacht, mit der er dann tatsächlich im Jahre 1154 zum erstenmal die Alpen überschritt, insgesamt nur auf 1800 Ritter belaufen. Einen erheblichen Teil von ihnen werden einerseits die Vasallen und Ministerialen der Reichsbischöfe und Reichsäbte, andererseits die Reichsministerialen ausgemacht haben, so daß für die Kontingente der weltlichen Fürsten, darunter für das Gefolge Heinrichs des Löwen, von vornherein nur ein gewisser zahlenmäßiger Spielraum bleibt. Ein österreichisches Aufgebot zur Reichsheerfahrt nach Italien, wie es 1158 vor Mailand stand, wird sich etwa in der Größenordnung von 300 bis 500 Rittern bewegt haben.

Die historische und verfassungsgeschichtliche Bedeutung der Urkunde Ihr Verhältnis zu den Privilegien des Hauses Österreich

Zwei Voraussetzungen müssen wir im Auge behalten, wenn wir die geschichtliche Bedeutung des Privilegium minus würdigen wollen. Erstens ist die Urkunde in allen ihren Teilen echt; jede Interpolationstheorie ist abzulehnen. Zweitens müssen wir die Tendenzen des Maius von denen des Minus, die politische Ideenwelt des 14. Jahrhunderts von der des 12. unterscheiden lernen und so gewissermaßen die jüngere Schicht von der älteren abheben, deren ursprüngliches Bild durdi viele Jahrhunderte von den österreichischen Hausprivilegien überdeckt war. Daher ist es notwendig, die Unterschiede zwischen Minus und Maius möglichst deutlich herauszuarbeiten (vgl. unten S. 92). Die Urkunde Friedrichs I. vom Jahre 1156 zählt nicht zu den Privilegien des Hauses Österreich; sie wirft aber ihrer Zeit vorauseilend wichtige Probleme auf, die erst unter Rudolf IV. konsequent zu Ende gedacht wurden. In den Augen der Zeitgenossen handelte es sich beim Minus vom rechtlichen Standpunkt aus um ein Privilegium speciale, durch das der Kaiser einem Reichsfürsten besondere Vorrechte verbriefte, die seinen Standesgenossen nicht zukamen. Sie waren in die Formen des Lehenrechtes gekleidet, trugen jedoch zu einem erheblichen Teil konkreten Forderungen Rechnung, die den Interessen der Dynastie entsprachen und der Sphäre des damaligen Privatrechtes entstammen. Es handelt sich um eine eigentümliche Verzahnung des dynastischen Hausrechtes mit dem Lehenrecht, wie es am Kaiserhof geübt und anerkannt war. Die Privilegierung ist zwar auf die individuelle Situation des damaligen Österreich zugeschnitten und wirft charakteristisches Licht auf die Stufe staatlicher Entwicklung, die unser Heimatland um die Mitte des 12. Jahrhunderts erreicht hatte. Aber die Art und Weise, wie sich hier das dynastische Hausrecht eines Fürsten im Rahmen des Lehenrechtes des Reiches durchzusetzen vermochte, wie unter dem Vorbehalt der obersten Prärogativen das Reichsoberhaupt selbst dem werdenden Territorialherrn möglichst großen Spielraum gewährte, so daß es nur weiterer politischer Krisen des

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Imperiums bedurfte, um die Landeshoheit ihrer Verwirklichung nahezubringen, ist doch weit über Österreich hinaus symptomatisch für die Situation, in der sich der deutsche Hochadel in der Stauferzeit befand. Man kann die Österreich gewährten Rechte gewissermaßen als einen Forderungskatalog auffassen, den auch ein anderer Fürst des Reiches damals zu gegebenem Anlaß unter analogen Voraussetzungen hatte aufstellen können. Die Standesgenossen des Babenbergers strebten nach der Sicherung weiblicher Erbfolge, sie hielten es für wünschenswert, im Falle des Erlöschens ihres Hauses eine Verfügung über die Nachfolge zu treffen, die' den Gesamtkomplex ihrer Rechte und Güter einschließlich des Reichslehens betraf; sie rangen um die territoriale Gerichtshoheit, und eine Lockerung der Vasallenpflichten gegenüber dem König konnte ihnen nur willkommen sein. Die Notwendigkeit, einen schweren politischen Konflikt gütlidi beizulegen, gab dem Babenberger die erwünsdite Gelegenheit, die Erfüllung dieses Programms zu erreichen. Die Voraussetzungen dafür lagen nun allerdings in Österreich besonders günstig. Die Markverfassung gab dem Herzogtum neuen Typs sofort eine starke rechtliche Basis. Innerhalb des Machtbereiches der Babenberger, der, wie gesagt, gar nicht vollkommen scharf abgegrenzt war, gab es zwar konkurrierende gräfliche und hochadelige Häuser, aber keine Bischofssitze, und überdies weder Reichsklöster noch königliche Ministerialen, noch Reichsstädte. Das ausgedehnte Kirchengut im Lande war zu einem erheblichen Teil Lehen in der Hand des Fürsten, der überdies von den Besitzungen der Hochstifter weitreichende Leistungen forderte, die ihm mitunter sogar vom König als Lehen verliehen waren, obwohl ihre Einhebung dem Prinzip der kirchlichen Immunität widersprach. Dazu kam die Gunst der geographischen Lage; das Land der Babenberger lag außerhalb der Reichweite staufischer Reichsgut- und Königslandpolitik. Wurde es Bayern gegenüber politisch vollkommen verselbständigt und sein Verhältnis zum Imperium loser gestaltet, dann ergaben sich daraus keine Schwierigkeiten für den machtvoll nach Italien ausgreifenden Kaiser. Der österreichisdie Fürst aber erstrebte nicht die Sprengung des Reichsverbandes, sondern eine möglichst ehrenvolle Stellung innerhalb desselben. Die herzogliche Würde schien der gegebene Ausdruck dafür zu sein. Sie stellte ihn dem jungen, mächtig aufstrebenden Gegenspieler aus dem Hause der Weifen ebenbürtig gegenüber. Der Verfasser des Sachsenspiegels Eike von Repgow gibt eine alte Überlieferung wieder, die freilich den historischen Tatsachen nur zum Teil entspricht, wonach die Herzogtümer ursprünglich Königreiche gewesen seien. Das Königsrecht der Investitur der Bischöfe hatte sich Heinridi der Löwe von Barbarossa für die kleinen Bistümer im Kolonisationslande übertragen lassen. Später versuchten die Babenberger in ihren Territorien Bistümer zu gründen, die in weltlicher Hinsicht und weit in den Bereich der geistlichen Sphäre hinein ihrer Herrschaft unterworfen sein sollten. Dem letzten ihres Hauses wäre es beinahe gelungen, kraft kaiserlicher Verleihung die Königs-

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krone zu gewinnen. War nicht der römische Imperator als Herr der Welt der Lehensherr der Könige? Konnten sich nicht die mächtigsten unter den Fürsten des Reiches mit manchem Träger des königlichen Namens in der Christenheit an Macht und Ansehen durchaus vergleichen? Nach der Ansicht Barbarossas, die von seinen Zeitgenossen geteilt wurde, stellte die Lösung der bayrischen Frage, die im Privilegium minus ihren verfassungsrechtlichen Niederschlag fand, einen entscheidenden Erfolg des Kaisertums dar. Der junge Herrscher hatte damit seine Fähigkeit unter Beweis gestellt, den alten Zwist der Weifen mit den Staufern und den Babenbergern, der die Regierung seines Vorgängers so schwer belastet hatte, aus der Welt zu schaffen und weiten Teilen Deutschlands den inneren Frieden wiederzugeben, was besonders in den Reihen des bayrischen Episkopats lebhaft begrüßt wurde. Zugleich war damit die wichtigste Voraussetzung für die kräftige Fortführung der Italienpolitik gegeben, die auf dem ersten, der Kaiserkrönung dienenden Zug über die Alpen nur in gewissen Ansätzen zur Entfaltung gelangt war. Aber die Beurteilung der Vorgänge kann sich für uns Historiker nicht in solchen Gedankengängen erschöpfen. Schon die Feststellung, daß ein neues Gleichgewicht zwischen den führenden, rivalisierenden Dynastien hergestellt wurde, wirft auf die deutsche Politik Barbarossas ein bezeichnendes Licht. Hatte Konrad I I I . die Babenberger eingesetzt, um die Weifen niederzukämpfen, stellte Friedrich letzteren das von Bayern getrennte Österreich als relativ geschlossenen Machtblock gegenüber. Die Gefahr, die die Vereinigung zweier Stammesherzogtümer für die Reichsgewalt in sich barg, war damit erheblich herabgemindert. Die Zeit der politischen Aufgliederung Deutschlands in die Gebiete der alten Stämme ging endgültig zur Neige. Gerade in den Marken des Ostens hatte die Festigung der fürstlichen Gewalt im Zeitalter des Landesausbaues zur Ausbildung neuer Machtzentren geführt. Die Übertragung der Herzogswürde Heinrich Jasomirgotts auf die bisherige Mark Österreich stellt eine augenfällige Sanktionierung dieses Wandels durch den kaiserlichen Lehensherrn dar; sie ist symptomatisch dafür, daß sich gegenüber dem Stammesherzogtum der neue Typ des Territorialherzogtums immer stärker durchzusetzen beginnt. Etwas vereinfachend spricht man in der neueren deutschen verfassungsgeschichtlichen Literatur vom Ubergang vom Personenverbandsstaat zum Territorialstaat. Als große Ordnungsprinzipien sind diese Kategorien zweifellos höchst zutreffend; nur darf man nicht übersehen, wie vielschichtig dieser Prozeß in der historischen Wirklichkeit ablief. Für die tiefgreifenden Veränderungen in der Gliederung des Reichskörpers besaß Barbarossa ohne Zweifel einen offenen Blick. Er, den eine oberflächliche Betrachtungsweise gelegentlich als Reaktionär abwerten wollte, zeigte eine geniale Anpassungsfähigkeit an reale Gegebenheiten; allerdings hielt er dabei stets an den Grundsätzen fest, auf denen seine Vorstellungen vom Kaisertum aufgebaut waren. Prinzipien und Taktik seiner Politik

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reichen in die spätsalische Zeit zurück und wurzeln in der eigentümlichen Defensivstellung, in die das Kaisertum durch das siegreiche Vordringen der gregorianischen Idee gebracht worden war. Der Kaiser verstand es, die Ausweitung des Reichs- und Hausgutes energisch voranzutreiben und sich dabei wie überhaupt in den wichtigsten Belangen der Verwaltung und Kriegführung auf die kraftvoll emporstrebende Reichsministerialität zu stützen, zugleich aber mit den weltlichen Fürsten, die innerhalb ihrer Interessensphären ähnliche Tendenzen verfolgten, in bestem Einvernehmen zu leben. Doch auch die geistlichen Fürsten Deutschlands erwiesen sich im allgemeinen als verläßliche Anhänger der Krone. Den Spielraum, den die im Wormser Konkordat Heinrich V. gewährten Zugeständnisse dem Kaisertum in der Kirchenpolitik gelassen hatten, wußte der Staufer mit höchster Gewandtheit zu nützen. Einer der bedeutendsten Köpfe in den Reihen des deutschen Episkopats, Rainald von Dassel, wurde zum leidenschaftlichen Verfechter seiner imperialen Idee. Die überschäumende Vielfalt einander oft heftig widerstrebender politischer und militärischer Kräfte, die Deutschland im 12. Jahrhundert hervorgebracht hatte, vermochte der Kaiser auf weite Strecken mit seinen Zielsetzungen in Einklang zu bringen; war dies nicht möglich, dann wußte er sie doch so weitgehend zu neutralisieren, daß sie ihm nicht ernsthaft im Wege standen. Das Privilegium minus darf als ein Meisterstück dieser Politik bezeichnet werden, die elastisch genug war, auch den rivalisierenden Kräften Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, sofern nur das oberste Prinzip der Wahrung der kaiserlichen Autorität nicht in Frage gestellt wurde. Seine lehenrechtlichen Anschauungen erleichterten ihm ein so diplomatisches Vorgehen, ja sie stellten wahrscheinlich in seinem politischen Bewußtsein die wichtigste Voraussetzung dafür dar. Ihnen entsprach es, wenn der neue Herzog von Österreich von nun an nur vom Reich, nicht mehr von Bayern Lehen besaß und den Hof des Bayernherzogs nicht mehr aufzusuchen gehalten war. Es begann sich der Gedanke durchzusetzen, daß weltliche Fürsten wohl von der Kirche, die durch ihren Schutzheiligen repräsentiert war, nicht aber von ihren Standesgenossen Lehen empfangen konnten, ohne ihren Stand zu mindern. Nach dieser Auffassung, die im Sachsenspiegel systematisch niedergelegt ist, kam dem König der erste, den geistlichen Fürsten der zweite, den Laienfürsten der dritte Heerschild zu. Der Babenberger und der Weife standen auf der gleichen Stufe der Lehenshierarchie; keiner sollte der Vasall des anderen sein. Die Lösung Österreichs von Bayern stellte also in den Augen der Zeitgenossen einen Schritt zur Verwirklichung der Heerschildordnung dar. Zugleich bereitet sich damit die Ausbildung des Reichsfürstenstandes vor, dem nur angehören konnte, wer unmittelbar vom König in sein geistliches oder weltliches Fürstentum investiert wurde. Hier zeigt sich ein verfassungsrechtlicher Zusammenhang zwischen der Lösung von 1156 und den Folgen des Sturzes Heinrichs des Löwen, der unter anderem die Lösung der Steiermark vom bayrischen

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Stammesherzogtum und die Erhebung des Markgrafen aus dem Hause der Traungauer zum dem Wittelsbacher ranggleichen Herzog mit sich brachte. Diese wesentlichen verfassungsrechtlichen Veränderungen vollzieht nicht der Kaiser allein aus seiner Machtvollkommenheit heraus, sondern er bedient sich dabei des Rates und des Urteilsspruches der Fürsten, er folgt den von ihnen formulierten Rechtsanschauungen und bemüht sich darum, mit ihnen eine gemeinsame politisdie Linie einzuhalten. Für ihn behalten dabei die Probleme der universalistischen Kaiseridee, die Auseinandersetzungen in Italien und mit dem Papsttum den Vorrang, während die Fürsten allmählich immer größeren Spielraum für die Realisierung ihrer territorialpolitischen Ziele gewinnen. Die besonderen Privilegien, die Barbarossa dem Babenberger gewährte, überschritten nicht den Rahmen des Lehenrechtes. Die Mitbelehnung der Gattin, die weibliche Erbfolge, das Recht, im Falle kinderlosen Todes den Nachfolger auszuwählen, die Beschränkung der Pflicht zur Hoffahrt und zur Heeresfolge, das alles waren in den Augen des feudalrechtlich denkenden Kaisers Gnadenerweise, die der oberste Lehensherr seinem fürstlichen Vasallen zu gewähren berechtigt war. Die Bindung der Ausübung jeglicher Gerichtsbarkeit im Herzogtum an die Zustimmung des Herzogs genehmigte er in der Überzeugung, daß dieser der vom König kraft des Belehnungsaktes eingesetzte Wahrer des Friedens im Lande sei, daß aber trotzdem jeder Richter vom Oberhaupt des Reiches den Bann zu empfangen habe, weil alle Gewalten von der Krone herzuleiten seien. So spiegeln die Bestimmungen des Privilegium minus auf höchst charakteristische Weise die Stufe der Entwicklung wider, die das staatliche Leben Deutschlands in den fünfziger Jahren des 12. Jahrhunderts erreicht hatte. Obwohl es Barbarossa ausgezeichnet verstand, seine Politik den realen Gegebenheiten anzupassen, und obwohl er dabei keineswegs starr an überkommenen Formen festhielt, sondern durchaus geneigt war, originelle Wege zu beschreiten, war die Errichtung des Herzogtums Österreich von seinem Standpunkt aus doch nicht ein Glied in einer Kette bewußt geplanter, von vornherein konsequent durchdachter Maßnahmen, die man mit einem dem modernen Denken entnommenen Stichwort als staufische Reichsreform bezeichnen könnte. Er ging vielmehr von der von den Saliern ererbten Erkenntnis aus, daß der Ausgleich mit den Fürsten eine Notwendigkeit sei, wenn er in Italien siegreich durchdringen wollte, denn die Existenzkrise der Reichsgewalt in den Tagen von Canossa war durch die Koalition zwischen Reformpapsttum und Fürstenopposition herbeigeführt worden. Andererseits dachte er nüchtern genug, um zwanzig Jahre später das entgegengesetzte Verfahren anzuwenden, sich mit Alexander III. auszusöhnen, Heinrich den Löwen zu isolieren und die Machtstellung selbst wieder zu zerschlagen, die er diesem in der Frühzeit seiner Regierung durch die Belehnung mit Bayern eingeräumt hatte. Auf weite Sicht blieb freilich in beiden Fällen, in der 1156 abgeschlossenen ebenso wie in der 1177 durch den Frieden von

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Venedig eingeleiteten Entwicklung, das Fürstentum die siegreiche Kraft, der die Zukunft gehörte. Die Motive, die Heinrich den Löwen bewogen, dem Ausgleich zuzustimmen, liegen so klar zutage, daß sie keiner besonderen Erläuterung bedürfen. Die Herauslösung des neuen österreichischen Dukats aus dem Verband des alten bayrischen Stammesherzogtums war kaum als edite Maditeinbuße für Bayern zu werten. Selbst wenn die Deutungsversuche zutreffen sollten, die die drei Grafschaften auf dem Boden des heutigen Oberösterreich vermuten, wäre dies nicht in nennenswertem Ausmaß der Fall gewesen. Die Vereinbarungen von 1156 hinderten den Herzog von Bayern nicht, zwanzig Jahre später in Enns zu Gericht zu sitzen (siehe oben S. 48). Weiter hätte er angesichts der Macht der Babenberger seinen Einfluß ohnehin nie nach Osten hin ausdehnen können. Die Beschränkung der lehensherrlichen Rechte und die landrechtliche Trennung Österreichs von Bayern fielen also gegenüber der Wiedergewinnung der wichtigsten ererbten Machtstellung des Weifenhauses nicht ins Gewicht. Betrachtet man die Lösung der bayrischen Streitfrage in einem größeren historisdien Zusammenhang, dann reiht sie sich zeitlidi an an eines der glanzvollsten Ereignisse in der Lebensgeschidite Barbarossas, nämlich an seine Vermählung mit der Burgunderin Beatrix, die die Voraussetzung für eine kräftige Entfaltung der kaiserlichen Politik im arelatensischen Königreich schaffen sollte. Gleichzeitig beginnen sich allerdings auch andere Entwicklungen abzuzeichnen, die für das Machtstreben des Staufers höchst bedenklich waren. Im gleichen Jahre Schloß Papst Hadrian IV. mit dem König Wilhelm von Sizilien den Vertrag von Benevent ab, der sich praktisch gegen das Kaisertum richtete. Der Versuch, Italien zu beherrschen, rief eine Koalition zwischen der Kurie, den Kommunen und dem normannischsizilischen Königreich auf den Plan, mit der das Kaisertum in die schwersten und gefährlichsten Konflikte geraten mußte. Das ungünstige Endergebnis des Ringens im Süden wirkte aber schließlich audi auf die deutschen Verhältnisse im Sinne einer Stärkung der Fürstenmadit zurück. Von besonderer Wichtigkeit ist die Frage, was das Privilegium minus für das babenbergische Österreich bedeutete. Sobald sich Heinrich Jasomirgott zu der Erkenntnis durchgerungen hatte, daß das Herzogtum Bayern für ihn nicht zu behaupten sei, mußte er sidi darüber klarwerden, welchen Preis er für den auf gütlichem Wege auszuhandelnden Verzicht fordern könne. Die Bedingungen, die er stellte, kann man aus der Urkunde herauslesen. Sie lassen sich in mehrere Gruppen gliedern. Im Interesse der unverminderten Wahrung seiner fürstlichen Ehre forderte er 1. die Beibehaltung des Herzogstitels und daher die Umwandlung der Mark Österreich in ein Herzogtum, 2. die Wiederherstellung der Macht der Babenberger in dem Umfang, in dem sie vor der Belehnung Leopolds IV. mit Bayern bestanden hatte, 3. die Lösung der lehenrechtlichen Bindungen an Bayern.

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Eine zweite Gruppe von Forderungen wurzelt in dem Streben nach Sicherung der dynastisch-familiären Interessen. Sie betreffen 1. die Mitbelehnung der Herzogin Theodora mit dem Reichslehen, 2. die Gewährung der weiblichen Erbfolge als Garantie für die Ansprüche des Töchterchens Agnes, 3. die libertas affectandi für den Fall des kinderlosen Ablebens des Herzogspaares. Zur Förderung der damals aktuellen Tendenzen, die auf die Ausbildung einer territorialen Gerichtshoheit und den Aufbau landesfürstlidier Gewalt abzielten, erwirkte Heinrich Jasomirgott den Gerichtsbarkeitspassus. Die Beschränkung der Vasallenpflicht auf den Besuch von Hoftagen in Bayern und auf die Heeresfolge gegen die Nachbargebiete Österreichs diente der Stärkung des Ansehens des Fürsten in der ritterlich denkenden Welt jener Tage; sie konnte aber auch manche Erleichterung für weite Kreise der Bevölkerung mit sich bringen, denn Kriegs- und Hoffahrten außer Landes führten zu erheblichen Belastungen für die Kirchen, Klöster und Städte im Bereich der Herzogsmacht. Welches Gewicht diesen Vorrechten in der Praxis zukam, hing allerdings von den verschiedensten Faktoren ab. Schon ein Jahr nach Abschluß der Vereinbarungen schenkte Theodora ihrem Gatten einen Sohn, den späteren Herzog Leopold V. Damit verloren die familien- und erbrechtlichen Zugeständnisse, die wir als die zweite Gruppe der Forderungen des Babenbergers zusammengefaßt haben, doch an unmittelbarer Aktualität. Bereits im Jahre 1158 beteiligte sich Heinrich Jasomirgott mit einem offenbar nicht unbedeutenden Aufgebot an der Heerfahrt gegen Mailand — offensichtlich aufgrund einer freiwillig mit dem Kaiser getroffenen Abmachung. Man wird nicht fehlgehen, wenn man annimmt, daß er bei der vertraulichen, persönlichen Aussprache unmittelbar nach dem Pfingstfest 1156 eine entsprechende Zusage gemacht hat. Obwohl er bald nach der ersten Kapitulation der Stadt wieder in die Heimat zurückkehrte, wurde damit die praktische Bedeutung der Beschränkung der Heeresfolge für das Land erheblich herabgesetzt. Im allgemeinen kam es immer wieder unter der Regierung Barbarossas dazu, daß der Herzog von Österreich dem Reich gewisse Vasallendienste freiwillig leistete, von denen ihn das Privileg ausdrücklich befreit hatte. Etwas anders gestaltete sich die Lage unter Kaiser Friedrich II. In ihm verband sich die byzantinisch und orientalisch beeinflußte Anschauung der Normannen von der absoluten Gewalt des Monarchen mit der Idee des staufischen Kaisertums. Privilegien galten in seinen Augen nur, wenn er sie erneuert hatte oder zumindest geneigt war, es zu tun. Daß derjenige, den er zum Rebellen gegen die kaiserliche Majestät erklären ließ, aller Vorrechte verlustig gehen mußte, verstand sich ohnehin von selbst. Solange Friedrich II. im Geiste seiner im allgemeinen fürstenfreundlichen Politik das Einvernehmen mit den Babenbergern pflegte, ergaben sich natürlich keine Probleme. Sobald es aber zum Konflikt mit Herzog Friedrich II. kam und der Kaiser

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ein Verfahren gegen ihn eröffnete, zeigte es sich, daß die Beschränkung der Hoffahrtspflicht auf Bayern nur auf dem. Pergament stand; der Kaiser trug keinerlei Bedenken, den Herzog anderswohin zu laden, nicht anders, als dies Barbarossa vor 1156 getan hatte. Als Kaiser Friedrich II. dem letzten Babenberger die Herzogtümer Österreich und Steiermark aberkannt hatte (1236/37), hielt er sich nicht an den Grundsatz des Leihezwanges, der ihn verpflichtet hätte, die Reichslehen wieder auszutun, sondern er übertrug die Verwaltung beider Fürstentümer kaiserlichen Statthaltern, um im Südosten des Reichsgebietes eine neue Machtbasis zu gewinnen. In veränderter Form griff er diesen Gedanken im Jahre 1245 wieder auf, indem er Verhandlungen über seine Vermählung mit der Babenbergerin Gertrud und über die gleichzeitige Erhebung Österreichs zum Königreich einleitete, in der Hoffnung, die bedeutenden Territorien im Südosten des Reiches könnten im Falle eines kinderlosen Todes Herzog Friedrichs an die staufische Dynastie übergehen. Über die Ursachen des Scheiterns dieses Projektes sind wir nur unvollständig unterrichtet; vermutlich hat dabei die Weigerung Gertruds, den mit der Kirche entzweiten Kaiser zu heiraten, eine Rolle gespielt, doch können auch andere, rein machtpolitische Motive ausschlaggebend gewesen sein, von denen die Quellen nichts berichten. Nach dem Tode des Herzogs im Jahre 1246 zog der Stauf er die beiden Herzogtümer zum zweitenmal als erledigte Reichslehen ein und versuchte, sie wieder durch Hauptleute (capitanei) regieren zu lassen, ohne auf die Ansprüche der beiden babenbergischen Prinzessinnen Rücksicht zu nehmen. Der harte Machtkampf um das babenbergische Erbe wurde natürlich nicht durch pergamentene Satzungen entschieden. Trotzdem hat man sich nie so oft auf die kaiserlichen Privilegien, also nicht auf das Minus allein, sondern stets zugleich auch auf die Erneuerung durch Kaiser Friedrich II. (vgl. oben S. 21) berufen, wie in den Jahren nach dem Erlöschen des Mannesstammes der ersten österreichischen Dynastie. Die Auslegung der Urkunden war nun freilich keine eindeutige. Erstreckte sich die weibliche Erbfolge auch auf die Seitenverwandten des letzten Herzogs? Wenn ja, kam Margarete als der älteren ein Vorrecht oder ein alleiniger Anspruch zu? Galt das Privileg der libertas affectandi nur für das erste Herzogspaar persönlich oder berechtigte es auch Margarete beziehungsweise Gertrud, eine Verfügung über die Nachfolge zugunsten eines von ihnen zu erwählenden Gemahls zu treffen? Konnten die erbrechtlichen Bestimmungen des Privilegium minus auch auf das Herzogtum Steiermark und auf andere Rechte der Babenberger, etwa auf ihre umfangreichen Kirchenlehen, ausgedehnt werden? Ging der Kaiser über alle diese Fragen einfach hinweg, indem er die Lande an sich zog, so sah sich gerade dadurch die kuriale Politik veranlaßt, einer derartigen Ausweitung der Macht des staufischen Hauses mit allen Mitteln entgegenzuwirken. Nun hatte Margarete nach dem Tode ihres ersten Gemahls, des unglücklichen Königs Heinrich (VII.), das Gelübde der Keusch-

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heit abgelegt. Dabei verbanden sich sittlich-religiöse Motive offenbar mit dem Wunsch, ihrem minderjährigen Sohn, dem Staufer Friedrich, der nadi dem Herkommen den bestbegründeten Anspruch geltend machen konnte, sein Recht auf die Erbschaft zu wahren und dieses nicht durch eine zweite Ehe auf einen anderen zu übertragen. Darin schien zunächst eine Chance für Gertrud zu liegen, die mit dem Markgrafen Vladislav Heinrich von Mähren aus dem Hause der Premysliden vermählt war. Als dieser jedoch zu Beginn des Jahres 1247 starb, entschloß sich der Papst, an Margarete heranzutreten. Er schlug ihr vor, sie von ihrem Gelübde zu dispensieren, falls sie sich entschließen könnte, den Grafen Hermann von Henneberg, einen Stiefbruder des verstorbenen deutschen Gegenkönigs Heinrich Raspe, zu heiraten und ihm dadurch die Herrschaft über die Herzogtümer im Interesse der Kirche zuzuwenden. Margarete ging jedoch auf dieses Projekt nicht ein. Am 3. September 1247 erteilte Innozenz IV. auf die offenbar gemeinsam vorgebrachte Klage der Margarete und der Gertrud dem Bischof von Passau den Auftrag, die österreichischen Deutschordensherren, die die kaiserlichen Privilegien für österreidi auf der Burg Starhemberg verwahrten und die Herausgabe wohl in der Absicht, die kaiserliche Politik zu unterstützen, verweigerten, zur Ausfolgung dieser Rechtstitel an die beiden Babenbergerinnen zu zwingen (quedam privilegia, per que ipse in ducatu Austrie hereditaria iure succedere debent, contra iustitiam detinent et eis reddere contradicunt; Mon. Germ. Hist. Epistolae selectae saec. X I I I 2, S. 310 Nr. 427). Man hat also dem Besitz der Privilegien erhebliche rechtliche Bedeutung zugemessen und einen Erbanspruch beider Babenbergerinnen aus ihnen abgeleitet. Nicht lange darauf entschloß man sich päpstlicherseits, aufs energischeste für Gertrud einzutreten. Am 28. Januar 1248 erhielt der päpstliche Legat Petrus den Auftrag, die Deutschordensherren zur Ubergabe der Burgen Starhemberg und Gutenstein in Niederösterreich und anderer Güter an Gertrud zu nötigen (ebenda S. 344 Nr. 488). Ein ergänzendes Mandat des Papstes vom gleichen Tage bestätigte ihr alle letztwilligen Verfügungen, die Herzog Friedrich II. zu ihren Gunsten getroffen hatte. Dabei ist die Rede von Lehen und Rechten sowie von anderen beweglichen und unbeweglichen Gütern, die dem Herzog zustanden und über die er kraft kaiserlicher Vergünstigung verfügungsberechtigt war (tarn in honoribus et iuribus quam aliis bonis mobilibus et immobilibus ad eum spectantibus, prout ex imperiali sibi concessione licebat; POTTHAST, Regesta Pontificum Romanorum Nr. 12.826). Kraft der ihm zustehenden Fülle der Gewalt (de plenitudine potestatis) ergänzt der Papst jeglichen formalrechtlichen Mangel, der der in Rede stehenden Verfügung eventuell anhaften könnte (supplentes defectum, si quis forsan ex omissione alicuius debite vel consuete sollempnitatis in eadem dispositione extitit)29. Auf diese Weise werden über Ersuchen Gertruds w

Frau Dr. Hertha Hageneder-Eberstaller hatte die Güte, midi auf dieses päpstliche Mandat aufmerksam zu machen und mir den Wortlaut desselben aus den vatikanischen Registern mitzuteilen.

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die testamentarischen Verfügungen des Herzogs, die sich auf eine Ausstattung der Herzogin mit Gütern in den Herzogtümern bezogen, zu einer letztwilligen Anwendung der libertas affectandi hinsichtlich der beiden Fürstentümer umgedeutet beziehungsweise erweitert. Inzwischen war Gertrud dazu bewogen worden, eine zweite Ehe mit Markgraf Hermann von Baden, einem päpstlichen Parteigänger, einzugehen. Ihm bestätigte Innozenz am 14. September 1248 das Herzogtum Österreich, das ihm seine Gattin geschenkt habe. Die Übereignung wird als rechtmäßig vollzogene donatio inter vivos bezeichnet, was einer Anwendung des Vorrechtes der libertas affectandi durch Gertrud zugunsten ihres zweiten Gemahls gleichkommt. Ihr sei das Herzogtum nach althergebrachter Gewohnheit des Landes und gemäß den päpstlichen, kaiserlichen und königlichen Bestätigungen zugefallen (ducatum sive principatum Austrie cum omni honore, districtu et iure ipsius tibi donatum rite ac liberaliter inter vivos a nobili muliere G. ducissa Austrie uxore tua, ad quam idem ducatus per successionem hereditariam secundum antiquam et approbatam ipsius terre consuetudinem, nec non per summos pontifices, imperatores et reges Romanorum, ut asseris, confirmatam, dicitur legitime devolutus, auctoritate tibi apostolica confirmamus; Epp. sei. 2, S. 418 N r . 588). Es muß festgehalten werden, daß es sich bei dieser Formulierung um die Rechtsauffassung Hermanns von Baden und seiner Gattin Gertrud handelt, die von der Kurie akzeptiert wird. Der in solchen Fällen herrschenden Praxis der päpstlichen Kanzlei gemäß heißt es: ut asseris, wie du versicherst. Der Papst mußte sich die Möglichkeit offenhalten, nach nochmaliger Überprüfung des Sachverhaltes eventuell von dem hier dargelegten Standpunkt wieder abzurücken. Ähnliches gilt auch von anderen Schriftstücken, die die Kurie in dieser Angelegenheit erlassen hat. Dem Wortlaut des Papstschreibens liegt eine Supplik (Bittschrift) des Empfängers zugrunde, deren Formulierungen nach dem Stil der Kurie überarbeitet wurden. Bemerkenswert ist es, daß sich Hermann offenbar in seiner Eingabe an den Papst zunächst auf die Gewohnheit des Landes, dann erst auf die Urkunden berufen hat. Vielleicht sollte dadurch der Wert der kaiserlichen Privilegien, deren zweites kurz vor der Absetzung Kaiser Friedrichs II. erlassen worden war, herabgemindert werden. Natürlich genügte nach geltendem Reidisredit eine derartige päpstliche Bestätigung eines weltlichen Reichsfürstentums nicht. Erforderlich war eine Belehnung durch den deutsdien König, die aber gewiß nicht von staufischer Seite, sondern nur von dem Gegenkönig Wilhelm von Holland zu erhoffen stand. Daher wandte sich Hermann von Baden abermals an Innozenz IV. und erreichte, daß dieser am 31. Januar 1249 Wilhelm aufforderte, Gertrud zu belehnen. Audi dieses päpstliche Mandat enthält eine eingehende Darlegung des Sachverhaltes, die in rechtlicher Hinsicht auf die Eingabe Hermanns zurückgeht. Demnach haben die Kaiser den Herzogen von Österreich das besondere Vorrecht eingeräumt, daß ihnen im Falle söhnelosen Todes die Frauen sowohl im Herzogtum als audi in den Lehen und in allen anderen

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Gütern nachfolgen sollen (Cum igitur ... a clare memorie Romanorum imperatoribus ... ducibus Austrie ex speciali privilegio sit permissum, ut si iidem duces absque liberis masculis morerentur, femine tarn in ducatu quam feudis aliisque bonis omnibus possint iure succedere masculorum; Epp. sei. 2, S. 464 Nr. 649). Wie man sieht, ist hier der Text des Minus etwas weitherzig ausgelegt. Das vom Kaiser gewährte Erbrecht der Töditer soll sich nicht bloß auf das Herzogtum, sondern auch auf die Lehen und auf alle anderen Güter des Fürstenhauses erstrecken, obwohl Barbarossa strenggenommen nur vom ducatus spricht. Selbstverständlich lag eine derartige Interpretation durchaus im Sinne der Babenberger, die jedenfalls ihren gesamten Machtkomplex in einer Hand wissen und auch in weiblicher Linie vererbt sehen wollten. Der Papst wiederholt dann die entscheidende Formulierung noch einmal: Falls Hermann seine Zusage, die Staufer zu bekämpfen, erfüllt, möge König Wilhelm Gertrud das Herzogtum, die Lehen und die anderen Güter des verstorbenen Herzogs, dem sie kraft der Blutsverwandtschaft und aufgrund des Privilegs nachfolgen soll, verleihen. Wenn man die Aufforderung so großzügig auslegte, wie sie doch wohl gemeint war, konnte man sie auch auf das Herzogtum Steiermark beziehen, obwohl dieses jedenfalls kein Weiberlehen war. Als sich Premysl Ottokar II. im Jahre 1252 zu Hainburg mit der Schwester des letzten Babenbergers, der Königinwitwe Margarete, vermählte, übergab ihm diese die mit Goldbulle besiegelten kaiserlichen Privilegien (guldinen hantvesten, die si bete von dem riebe über Stir und Osterriche) und trat ihm feierlich ihre Herrschaftsrechte über beide Fürstentümer ab. Der Vorgang vollzog sich nach den in der Sache völlig übereinstimmenden Berichten der Annalen des Klosters Garsten (Continuatio Garstensis, Mon. Germ.Hist. Script. 9, S.600 zu 1253) und des steirischen Reimchronisten Otakar aus der Gaal (ed. SEEMÜLLER, Mon. Germ. Deutsche Chroniken 5/1, Vers 2180 ff.) im Rahmen einer festlichen Versammlung, an der die Bischöfe Konrad von Freising, Berthold von Passau, Albert von Regensburg und Bruno von Olmütz sowie der Adel der Länder Österreich und Steiermark teilnahmen. Die Urkunden wurden verlesen und sodann von Margarete dem Premysliden als dem neuen Herzog ausgehändigt. Der Reimchronist sagt darüber: do man die hantvest het gelesen, si nam si selbe in die hant und gap hantvest unde lant von Osterrich dem herzogen, daz si von im unbetrogen beliben solt. Dementsprechend heißt es beim Garstener Annalisten: ipsa vidua privilegia terre marito suo exhibuit, et ius suum sibi tribuit sollempniter, nullo penitus in contrarium allegante (Die Witwe händigte ihrem Gemahl die Privi-

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legien des Landes aus und überließ ihm feierlich ihr Recht, ohne daß jemand irgendwelche Einwände dagegen vorgebracht hätte). Es kann keinem Zweifel unterliegen, daß mit den beiden Urkunden, die zugleich mit der Herzogsgewalt feierlich übergeben wurden, das Privilegium minus und die Erneuerung desselben durch Kaiser Friedrich II. vom Jahre 1245 gemeint sind. Man wird annehmen dürfen, daß diese Rechtstitel von diesem Zeitpunkt an in der Hand Ottokars II. verblieben, bis er sich genötigt sah, sie Rudolf von Habsburg auszufolgen. Mit der Übergabe an König Ottokar durch Margarete endet die Bedeutung der kaiserlichen Privilegien für das Haus der Babenberger. Der Anspruch der Gertrud verblaßte vor der Übermacht des Premysliden, und es war nur mehr ein tragisches Nachspiel, wenn ihr Sohn Friedrich, der gemeinsam mit Konradin den Tod fand, vorher noch einmal von der libertas ajfectandi Gebrauch machte und eine letztwillige Verfügung traf, die seinen Anspruch auf die Herzogtümer zum Gegenstand hatte. Die bayrischen Bischöfe, aus deren Händen die Herzoge von Österreich ungemein bedeutende Kirchenlehen besaßen, teilten den Rechtsstandpunkt der Babenbergerinnen nicht. Sie vertraten ausdrücklich die Auffassung, Herzog Friedrich II. sei verstorben, ohne rechtmäßige Erben zu hinterlassen, und knüpften daran die Hoffnung, die Lehen, die praktisch als veräußertes Kirchengut zu gelten hatten, wieder an sich zu ziehen. In diesem Sinne erwirkte der Erwählte Philipp von Salzburg im Jahre 1248 von Innozenz IV. ein Verbot an die künftigen Erzbischöfe seiner Kirche, jene Lehen, Burgen und Güter jemals wieder ohne Genehmigung des Papstes zu vergeben oder auf andere Weise zu veräußern (Mon. Germ. Hist. Epp. sei. 2, S. 420 Nr. 592). Wie man sieht, gibt Innozenz IV. damit den Standpunkt der Salzburger Kirche wieder. Ihn teilte uneingeschränkt Bischof Berthold von Passau, der im Jahre 1253 erklärte, die Lehen, die die Herzoge von Österreich von seiner Kirche innehatten, seien infolge des Erlöschens des Fürstenhauses (deficientibus ducibus Austritte non haerede relicto aut aliquo successore) vakant geworden (Urk.-Buch des Landes Ob der Enns 3, S. 201 Nr. 205). Allerdings gelang es den Bischöfen nicht, diese bedeutenden Komplexe von Rechten und Einkünften den Inhabern der landesfürstlichen Gewalt im Herzogtum Österreich vorzuenthalten. Nach der Natur der Verhältnisse mußten sie demjenigen zufallen, der die Herzogtümer zu gewinnen vermochte. Wer den Rechtsinhalt des Privilegium minus systematisch mit den Bestimmungen vergleicht, die Herzog Rudolf IV. in die gefälschten Freiheitsbriefe des Hauses Österreich aufnehmen ließ, der vermag nur ganz geringfügige sachliche Übereinstimmungen festzustellen. Die textliche Abhängigkeit des unechten Fridericianums von der echten Vorlage, die in der Ausgabe von Alphons LHOTSKY (Privilegium maius, S. 84) durch Petitsatz gekennzeichnet ist, erstreckt sich überhaupt nicht auf die 18 Paragraphen, in die man den Text nach dem Vorgang WATTENBACHS ZU gliedern pflegt, son-

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dem nur auf den Rahmen der Urkunde 21 . Eine entscheidende Anregung mag Rudolf IV. allerdings aus der Begründung für die Umwandlung Österreichs in ein Herzogtum empfangen haben; der Gedanke, Ehre und Ruhm des Herzogs von Österreich sollten keine Minderung erfahren, war ihm sozusagen aus der Seele gesprochen. Die hochfliegenden Pläne des ehrgeizigen Schwiegersohnes Karls IV. richteten sich bekanntlich nicht zuletzt auf die Erhöhung des Ranges und der äußeren Ehrenstellung seines Fürstentums, das nach seinem Wunsch den Kurfürstentümern und vor allem dem vom luxemburgischen Kaiser so ungewöhnlich bevorzugten Königreich Böhmen in keiner Hinsicht nachstehen sollte. Rudolfs Forderungsprogramm läßt sich vereinfachend in zwei Hauptpunkte zusammenfassen: Die völlige Unabhängigkeit des Herzogtums Österreich vom Reich und überhaupt von jeder auswärtigen Gewalt, nicht zuletzt auch von überhöhten finanziellen Anforderungen der Kurie, soll verbunden sein mit der höchsten Ehrenstellung des Herzogs im Reich und am kaiserlichen Hofe, ja sogar mit einer entscheidenden Einflußnahme auf die wichtigsten Reichsgeschäfte, wie sie die Kurfürsten übten. Diese Grundgedanken entsprechen nicht etwa nur den persönlichen Anschauungen des jungen Habsburgers; sie kehren vielmehr bei anderen Landesfürsten der Zeit wieder. Wenn etwa Österreich nach dem Wortlaut der unechten Freiheitsbriefe vom heidnischen Kaiser Nero von jeder Zahlung und von jeglichem Zins an die kaiserliche Macht oder an irgend jemand anderen eximiert und für ewige Zeiten zum freien Land erklärt wird (eadem terra in perpetuum libera perseveret; LHOTSKY, Privilegium maius, S. 83), so vertreten die Herzoge von Bayern im Jahre 1367 dieselbe Auffassung, wenn sie den Stiften und Klöstern die Entrichtung einer ungewöhnlich hohen Steuer an den Papst mit der Begründung untersagen, ihre Lande seien freie Lande (Quellen und Erörterungen zur bayerischen und deutsdien Geschichte 6, 1861, S. 490). Andererseits bezeichnet Rudolf IV. im Privilegium maius Österreich als Schild und Herz des Reiches (clipeus et cor sacri Romani imperii). Dem liegt zwar der schulmäßige, bis in die Antike zurückreichende Vergleich des Staatswesens mit dem menschlichen Körper zugrunde, aber in diesem besonderen Falle ist doch an Karl IV. zu erinnern, der nicht müde wurde, sein geliebtes Königreich Böhmen anläßlich der feierlichen Verbriefung aller einzigartigen Vorrechte im Jahre 1347 als besonders edles Glied des Reiches zu preisen (regnum Boemie Romani regni membrum fore nobilius; Mon. Germ. Hist. Const. 8, S. 565 ff.). 21

N u r der Satz, der dem Herzog von Österreich das unumschränkte Verfügungsrecht über seine Länder zuspricht ( § 1 7 : Dux A us trie donandi et deputandi terras suas, cuicumque voluerit, habere debet potestatem liberam), klingt in einigen Wendungen an die Formulierung der libertas affectandi im Minus an. Charakteristischerweise wurde aber gerade das Wort αffec tare durch die juristisch ungleich prägnanteren Verba donare et deputare ersetzt.

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Die österreichischen Hausprivilegien haben einige wesentliche Gedanken, die im Privilegium minus auftauchen oder zumindest anklingen, mit letzter Konsequenz zu Ende gedadit. Aus der libertas affectandi wird das freie und unumschränkte Verfügungsrecht über das Land im Falle kinderlosen Todes; daran darf der Herzog auch seitens des Reiches nicht gehindert werden. An die Stelle der mühselig formulierten Kompromißlösung des Gerichtsbarkeitspassus treten ebenso eindeutige wie eingehende Bestimmungen über die ausschließliche Gerichtshoheit des Herzogs, der für seine Person dem Richterspruch des Reiches nicht verantwortlich sein soll. Die Hoffahrtspflicht ist gänzlich beseitigt, die Heeresfolge soll nur gegen Ungarn geleistet werden, und zwar mit zwölf Bewaffneten einen Monat lang auf des Herzogs eigene Kosten, um symbolisch zum Ausdruck zu bringen, daß er ein Reichsfürst ist. Alle anderen Satzungen haben mit dem echten Privileg des Jahres 1156 rechtlich nichts gemein. Wie man sieht, ist der Zusammenhang zwischen dem Privilegium minus und den Freiheitsbriefen des Hauses Österreich ein nicht sehr tiefreichender, die politische, verfassungsrechtliche und ideengeschichtliche Problematik aber jedenfalls eine völlig verschiedene. Insbesondere sind die beiden zentralen Anliegen Herzog Rudolfs IV., nämlich die gänzliche Unabhängigkeit seiner Lande von jeder Ingerenz der kaiserlichen Gewalt und die besondere Ehrenstellung, verbunden mit einer kurfürstengleichen Mitspräche in den Reichsangelegenheiten, jedes für sich genommen und natürlich vor allem in der charakteristischen Verbindung, in der sie im Zeitalter Karls IV. auftreten, dem echten Privileg Barbarossas für den Herzog von Österreich vollkommen fremd. Abschließend halten wir fest, daß das Privilegium minus weder in der Verfassungsgeschichte des staufischen Imperiums noch in der staatlichen Entwicklung Österreichs einen echten Wendepunkt darstellt. Die Überwindung der alten Stammesverfassung war längst eingeleitet, der Weg zur territorial ausgerichteten Fürstenmacht wurde allenthalben mit wachsender Energie beschritten, als die Notwendigkeit, die bayrische Frage zu bereinigen, den Babenbergern Gelegenheit bot, eine Reihe außerordentlicher Vorrechte zu erringen, die aus der besonderen Lage Österreichs zu erklären sind, zugleich aber verbreitete Tendenzen der Politik des deutschen Hochadels beleuchten. Das Lehenrecht wurde hier nicht wie in Westeuropa zur Stärkung der Monarchie, sondern im dynastischen Interesse angewendet, das fürstliche Hausrecht dringt erfolgreich in die Sphäre des feudalen Reichsrechtes ein. Damit ist aber auch ein wichtiger Ansatzpunkt für die Ausbildung jener Ideen geschaffen, die Rudolf IV. zwei Jahrhunderte später in den unechten Freiheitsbriefen seines Hauses niedergelegt hat.

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Der Wortlaut

des Privilegium

minus

(C.) In nomine sancte et individue trinitatis. Fridericus divina favente dementia Romanorum imperator augustus. Quamquam rerum commutatio ex ipsa corporali institutione possit firma consistere vel ea, que legaliter geruntur, nulla valeant refragatione convelli, ne qua tarnen possit esse geste rei dubietas, nostra debet intervenire imperialis auctoritas. Noverit igitur omnium Christi imperiique nostri fidelium presens etas et successura posteritas, qualiter nos eius cooperante gratia, a quo celitus in terram pax missa est hominibus, in curia generali Ratispone in nativitate sancte Marie celebrata in presentia multorum religiosorum et catholicorum principum litem et controversiam, que inter dilectissimum patruum nostrum Heinricum ducem Austrie et karissimum nepotem nostrum Heinricum ducem Saxonie diu agitata fuit de ducatu Bawarie, hoc modo terminavimus, quod dux Austrie resignavit nobis ducatum Bawarie, quem statim in beneficium concessimus duci Saxonie, dux autem Bawarie resignavit nobis mardiiam Austrie cum omni iure suo et cum omnibus beneficiis, que quondam marchio Livpoldus habebat a ducatu Bawarie. Ne autem in hoc facto aliquatenus inminui videretur honor et gloria dilectissimi patrui nostri, de consilio et iudicio principum Wadizlao illustri duce Boemie sentenciam promulgante et omnibus principibus approbantibus mardiiam Austrie in ducatum commutavimus et eundem ducatum cum omni iure prefato patruo nostro Heinrico et prenobilissime uxori sue Theodore in beneficium concessimus perpetuali lege sanctientes, ut ipsi et liberi eorum post eos indifferenter filii sive filie eundem Austrie ducatum hereditario iure a regno teneant et possideant. Si autem predictus dux Austrie patruus noster

Der Wortlaut des Privilegium minus

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Im Namen der heiligen und ungeteilten Dreieinigkeit. Friedrich von Gottes Gnaden Kaiser der Römer, Augustus. (1) Obwohl ein Gütertausch kraft der körperlichen Einsetzung selbst festen Bestand haben und das, was auf gesetzmäßige Weise ausgeführt wird, durch kein Widerstreben untergraben werden kann, soll doch unsere kaiserliche Autorität eingreifen, damit kein Zweifel an dem, was sich ereignet hat, bestehen kann. (2) Daher möge die gegenwärtige Generation und die künftige Nachwelt aller Getreuen Christi und unseres Reiches wissen, daß wir unter Mitwirkung der Gnade dessen, von dem der Friede vom Himmel auf die Erde gesandt wurde, als wir auf dem allgemeinen Hoftag zu Regensburg das Fest der Geburt der heiligen Maria feierlich begingen, in Gegenwart vieler gottesfürditiger und rechtgläubiger Fürsten den Rechtsstreit um das Herzogtum Bayern, der zwischen unserem liebsten Oheim, dem Herzog Heinrich von Österreich, und unserem teuersten Vetter, dem Herzog Heinrich von Sachsen, lange Zeit hindurch hin und her wogte, in der Weise beendet haben, daß der Herzog von Österreich uns das Herzogtum Bayern aufgelassen hat, das wir sofort dem Herzog von Sachsen zu Lehen gegeben haben, der Herzog von Bayern aber uns die Mark Österreich aufgelassen hat mit allem ihrem Recht und mit allen Lehen, die einst Markgraf Leopold vom Herzogtum Bayern innehatte. (3) Damit aber dadurch die Ehre und der Ruhm unseres geliebtesten Oheims in keiner Weise gemindert erscheinen, haben wir nach dem Rat und dem Spruch der Fürsten, wobei der erlauchte Herzog Vladislav von Böhmen das Urteil verkündete, und mit Billigung aller Fürsten die Mark Osterreich in ein Herzogtum umgewandelt und dieses Herzogtum mit allem Recht unserem genannten Oheim Heinrich und seiner allerdurchlauchtigsten Gattin Theodora zu Lehen gegeben, indem wir durch immerdar gültiges Gesetz verordneten, daß sie und nach ihnen ihre Kinder, Söhne oder Töchter ohne Unterschied, das Herzogtum Österreich zu erblichem Recht vom Reich innehaben und besitzen mögen. (4) Wenn aber der genannte Herzog von Österreich, unser Oheim,

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Der Wortlaut des Privilegium minus

et uxor eius absque liberis decesserint, libertatem habeant eundem ducatum affectandi, cuicumque voluerint. Statuimus quoque, ut nulla magna vel parva persona in eiusdem ducatus regimine sine ducis consensu vel permissione aliquam iusticiam presumat exercere. Dux vero Austrie de ducatu suo aliud servicium non debeat imperio, nisi quod ad curias, quas imperator prefixerit in Bawaria, evocatus veniat. Nullam quoque expedicionem debeat, nisi quam forte imperator in regna vel provincias Austrie vicinas ordinaverit. Ceterum ut hec nostra imperialis constitucio omni evo rata et inconvulsa permaneat, presentem inde paginam conscribi et sigilli nostri impressione insigniri iussimus adhibitis ydoneis testibus, quorum nomina sunt hec: Pilgrimus patriarcha Aquilegensis, Eberhardus Salzeburgensis archiepiscopus, Otto Frisingensis episcopus, Chunradus Pataviensis episcopus, Eberhardus Babenbergensis, Hartmannus Brixiensis, Haertwicus Ratisponensis, Tridentinus episcopi, dominus Welfo dux, Chunradus frater imperatoris, Fridericus filius regis Chunradi, Heinricus dux Karinthie, marchio Engelbertus de Ystria, mardiio Albertus de Staden, marchio Diepoldus, Hermannus comes palatinus de Reno, Otto comes palatinus et frater eius Fridericus, Gebehardus comes de Sulzbach, Rudolfus comes de Swinshud, Engelbertus comes Hallensis, Gebahardus comes de Burdiausen, comes de Buthena, comes de Pilstein et alii quam plures. Signum domini Friderici Romanorum imperatoris invictissimi. (M.) Ego Reinaldus cancellarius vice Arnoldi Maguntini ardiiepiscopi et archicancellarii recognovi. Dat. Ratispone XV kal. octobr., indictione IIII a , anno dominice incarnationis M°C°LVI, regnante domino Friderico Romanorum imperatore augusto; in Christo feliciter amen; anno regni eius quinto, imperii secundo.

Der Wortlaut des Privilegium minus

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und seine Gattin kinderlos sterben sollten, dann sollen sie die Freiheit haben, das Herzogtum zuzuwenden, wem immer sie wollen. (5) Wir setzen auch fest, daß sich niemand, er sei hohen oder niederen Standes, im Amtsbereich des Herzogtums ohne Zustimmung oder Erlaubnis des Herzogs die Ausübung irgendwelcher Gerichtsbarkeit anmaßen dürfe. (6) Der Herzog von Österreich aber soll dem Reich von seinem Herzogtum keinen anderen Dienst schulden als den Besuch der Hoftage, die der Kaiser in Bayern ansetzt, wenn er geladen ist. Er soll audi keine Heeresfolge schuldig sein außer diejenige, die der Kaiser etwa gegen die Osterreich benachbarten Königreiche und Länder anordnet. (8) Im übrigen haben wir, damit diese unsere kaiserliche Verordnung zu allen Zeiten gültig und unverbrüchlich bestehen bleibe, befohlen, darüber die vorliegende Urkunde zu verfassen und sie mit dem Aufdruck unseres Siegels zu bezeichnen, unter Beiziehung geeigneter Zeugen, deren Namen die folgenden sind: Pilgrim, Patriarch von Aquileja, Eberhard, Erzbischof von Salzburg, Otto, Bischof von Freising, Konrad, Bischof von Passau, die Bischöfe Eberhard von Bamberg, Hartmann von Brixen, Hartwig von Regensburg und der von Trient, Herr Herzog Weif, Konrad, der Bruder des Kaisers, Friedrich, der Sohn König Konrads, Heinrich, Herzog von Kärnten, Markgraf Engelbert von Istrien, Markgraf Albert von Stade, Markgraf Diepold, Hermann, Pfalzgraf bei Rhein, Pfalzgraf Otto und sein Bruder Friedrich, Gebhard, Graf von Sulzbach, Rudolf, Graf von Schweinshut, Engelbert, Graf von Hall, Gebhard, Graf von Burghausen, der Graf von Pitten, der Graf von Peilstein und viele andere. Das Zeichen des Herrn Friedrich, des unbesiegtesten Kaisers der Römer. (Kaiserliches Monogramm) Ich, der Kanzler Rainald, habe in Vertretung des Erzbisdiofs Arnold von Mainz, des Erzkanzlers, rekognosziert. Gegeben zu Regensburg am 17. September, in der 4. Indiktion, im Jahre der Menschwerdung 1156, unter der Regierung des Herrn Friedrich, des Kaisers der Römer, Augustus; in Christus glückbringend, amen; im 5. Jahre seines Königtums, im 2. seines Kaisertums.

Der Bericht Ottos von Freising

(Nach WAITZ-SIMSON, Ottonis et Rahewini Gesta Friderici I . imperatoris, Mon. Germ. Hist. Script, in us. schol. ed. tertia, 1912, 2. Budi, Kap. 54 und 55, S. 160 f.) Igitur mediante iam Septembre principes Ratisponae conveniunt ac per aliquot dies presentiam imperatoris prestolantur. Dehinc principe patruo suo in campum occurrente — manebat enim ille pene ad duo Teutonica miliaria sub papilionibus — cunctisque proceribus virisque magnis accurrentibus, consilium, quod iam diu secreto retentum celabatur, publicatum est. Erat autem haec summa, ut recolo, concordiae. Heinricus maior natu ducatum Baioariae Septem per vexilla imperatori resignavit. Quibus iuniori traditis ille duobus cum vexillis marchiam Orientalem cum comitatibus ad eam ex antiquo pertinentibus reddidit. Exinde de eadem marchia cum predictis comitatibus, quos tres dicunt, iudicio principum ducatum fecit eumque non solum sibi, sed et uxori cum duobus vexillis tradidit, neve in posterum ab aliquo successorum suorum mutari posset aut infringi, privilegio suo confirmavit. Acta sunt haec anno regni eius quinto, imperii secundo.

Der Beridit Ottos von Freising

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Es war nun schon Mitte September, da versammeln sidi die Fürsten in Regensburg und warten einige Tage auf die Ankunft des Kaisers. Als dann der Kaiser seinem Oheim (Heinrich Jasomirgott) — dieser hielt sich nämlich etwa zwei deutsche Meilen entfernt unter Zelten1 auf — ins Feldlager entgegenzog und alle Vornehmen und Großen herbeieilten, wurde der Ratschluß, den man schon lange insgeheim gefaßt und verborgen gehalten hatte, öffentlich kundgetan. Das aber war, wie idi midi erinnere, der Hauptinhalt der Vereinbarung: Der an Jahren ältere Heinrich (der Babenberger) ließ dem Kaiser das Herzogtum Bayern durch sieben Fahnen auf. Nachdem diese dem Jüngeren (Heinrich dem Löwen) übergeben worden waren, gab dieser mit fwei Fahnen die Ostmark mit den seit alters zu ihr gehörigen Grafschaften (dem Kaiser) zurück. Daraufhin machte er aus dieser Mark mit den genannten Grafschaften — man sagt, es seien drei 8 — nadi dem Urteilsspruch der Fürsten ein Herzogtum und übergab es nicht allein ihm (Heinrich Jasomirgott), sondern audi seiner Gemahlin (Theodora) mit zwei Fahnen; und damit dies in Zukunft von keinem seiner Nachfolger abgeändert oder gebrochen werden könnte, bestätigte er es durdi sein Privileg. Das ist geschehen im 5. Jahre seines Königtums, im 2. seines Kaisertums. Die Gesta Friderici sind übersetzt von Adolf Schmidt in der zweisprachigen „Freiherr-vom-Stein-Gedächtnisausgabe" Bd. 17, Gesta Frederici seu rectius Cronica ed. Franz-Josef Sdimale, Darmstadt 1965. Eine ältere Okersetzung bietet Horst Kohl, Taten Friedridis von Bischof Otto von Freising, Geschiditssdireiber der deutschen Vorzeit 59, 2. Aufl., Leipzig 1939. Auf den Barbinger Wiesen, vgl. oben S. 42, Anm. 10. * Man kann audi übersetzen: die man die drei nennt; vgl. oben S. 45 f. 1

Literatur

Zu der folgenden Obersicht, die nur eine Auswahl unter Berücksichtigung der von uns im Text zitierten Werke bieten kann, vergleiche man die ausführlichen bibliographischen Angaben bei Mathilde Uhlirz, Handbuch der Geschichte ÖsterreichUngarns, Bd. 1, 2. Aufl. 1963, S. 246 ff. und bei Heinrich Fichtenau, BUB 4/1, S. 148 f. Appelt, Heinrich, Besprechung von: Konrad Josef Heilig, Ostrom und das Deutsche Reich um die Mitte des 12. Jahrhunderts, MIÖG 57, 1949, S. 427 ff. — Die Erhebung Österreichs zum Herzogtum, Blätter für deutsche L.andesgeschidite 95, 1959, S. 25 ff. — Friedrich Barbarossa und die Landesherrschaft der Traungauer, in: Festschrift Karl Eder, 1959, S. 305 fl. — Die libertas affectandi des Privilegium minus, Mitteilungen des österreichischen Staatsarchivs 25, 1972, S. 135 ff. Berchtold, Joseph, Die Landeshoheit Österreichs nach den echten und unechten Freiheitsbriefen. München 1862. Brunner, Heinrich, Das gerichtliche Exemtionsredit der Babenberger, Sitzungsberichte der Akademie der Wissenschaften, Phil.-Hist. Kl. 47. Wien 1864, S. 315 ff. BUB siehe Urkundenbudi zur Geschichte der Babenberger. Büttner, Heinrich, Das politische Handeln Friedrich Barbarossas im Jahre 1156, Blätter für deutsche Landesgesdiichte 106, 1970, S. 54 ff. Dungern, Otto von, Wie Baiern das Österreich verlor. Geschichte einer staatsrechtlichen Fälschung. Graz 1931. Erben, Wilhelm, Das Privilegium Friedrich I. für das Herzogtum Österreich. Wien 1902. Feldmann, Karin, Herzog Weif VI., Schwaben und das Reich, Zeitschrift für Württembergische Landesgesdiidite 30, 1971, S. 308—326.

Literatur

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Fichtenau, Heinrich, siehe Urkundenbuch zur Geschichte der Babenberger. — Von der Mark zum Herzogtum. Grundlagen und Sinn des »Privilegium minus" für Österreich. 2. Aufl. Wien 1965. — Zur Überlieferung des Privilegium minus, MIÖG 73, 1965, S. 1 ff. Ficker, Julius von, Über die Echtheit des kleineren österreichischen Freiheitsbriefes, Sitzungsberichte der Akademie der Wissenschaften, Phil.-Hist. Kl. 23, Wien 1857, S. 489 ff. Goez, Werner, Der Leihezwang. Tübingen 1962. Güterbock, Ferdinand, Barbarossas Privileg für das Herzogtum Österreich. Eine methodologische und fadiwissensdiaftlidie Auseinandersetzung. Historische Zeitschrift 147, 1933, S. 507 ff. Hausmann, Friedrich, Die Anfänge des staufisdien Zeitalters unter Konrad III., Probleme des 12. Jahrhunderts. Reichenau-Vorträge 1965—1967. (Vorträge und Forschungen. 12.) Konstanz-Stuttgart 1968, S. 53—78. Heilig, Konrad Josef, Ostrom und das Deutsche Reich um die Mitte des 12. Jahrhunderts. Die Erhebung Österreichs zum Herzogtum 1156 und das Bündnis zwischen Byzanz und dem Westreich (Schriften des Reichsinstituts für ältere deutsche Geschichtskunde 9: Kaisertum und Herzogsgewalt im Zeitalter Friedrichs I. Studien zur politischen und Verfassungsgeschichte des hohen Mittelalters von Th. Mayer, K. Heilig, C. Erdmann). Leipzig 1944. Hirsch, Hans, Kaiserurkunde und Kaisergesdiichte, MIÖG 35, 1914, S. 60 ff. = Hirsch, Hans, Aufsätze zur mittelalterlichen Urkundenforschung, Darmstadt 1965, S. 62 ff. Huber, Alfons, Über die Entstehungszeit der österreichischen Freiheitsbriefe, Sitzungsberichte der Akademie der Wissenschaften, Phil.-Hist. Kl. 34, Wien 1860, S. 17 ff. Klebel, Ernst, Vom Herzogtum zum Territorium, in: Aus Verfassungs- und Landesgeschichte, Festschrift Theodor Mayer, 1,1954, S. 205 ff. Lechner, Karl, Grafschaft, Mark und Herzogtum. Ein Beitrag zur Territorial- und Verfassungsgeschichte Österreichs. Jahrbuch für Landeskunde von Niederösterreich 20/1, 1926, S. 32 ff. = Lechner, Karl, Ausgewählte Schriften. Wien 1947, S. 8 ff. — Die Babenberger, Markgrafen und Herzoge in Österreich, 976—1246. Wien 1976. Lhotsky, Alphons, Privilegium maius. Die Geschichte einer Urkunde. Wien 1957. Mayer, Theodor, Das österreichische Privilegium minus. Mitteilungen des oberösterreichischen Landesarchivs 5, 1957, S. 9 ff. = Mayer, Theodor, Mittelalterliche Studien. Lindau-Konstanz 1959, S. 202 ff. — Die Würzburger Herzogsurkunde von 1168 und das österreichische Privilegium minus. Entstehung und verfassungsgeschichtliche Bedeutung, in: Geschichte und Landeskunde, Festschrift F. Steinbach, 1960, S. 247 ff. Moriz, Josef, Commentarius diplomatico-criticus super duplex Privilegium Austriacum Friderici I. et II. imperatorum. München 1831.

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Literatur

Schräder, Erich, Zur Gerichtsbestimmung des Privilegium minus, ZRG Germ. Abt. 69, 1952, S. 371 ff. Simonsfeld, Henry, Jahrbücher des Deutschen Reiches unter Friedridi I., Bd. 1. Leipzig 1908. Spindler, Max, Handbuch der bayerischen Geschichte, Bd. 1. München 1967. Steinacker, Harold, Zum Privileg Friedrichs I. für das Herzogtum Österreich, MÖIG Erg.Bd. 11, 1929, S. 205 ff. Vgl. Zatsdiek, Heinz, in: MIÖG 44, 1930, S. 484. — Der Streit um das Privilegium minus und die methodische Lage in der Diplomatik, Historische Zeitschrift 150, 1934, S. 268 ff. Stowasser, Otto, Das Land und der Herzog. Untersuchungen zur bayrisch-österreichischen Verfassungsgeschichte. Berlin 1925. Uhlirz, Karl und Mathilde, Handbuch der Geschichte Österreich-Ungarns, Bd. 1, 2. Aufl. Graz-Wien-Köln 1963. — Mathilde, Bemerkungen zum Privilegium minus für Österreich 1156 und zu der Frage der „tres comitatus", Südostforschungen 20, 1961, S. 23 ff. Vgl. Appelt, Ardiivalische Zeitschrift 61, 1965, S. 222. Urkundenbudi zur Geschichte der Babenberger in Österreich, bearbeitet von Heinrich Fichtenau und Erich Zöllner. Bd. 1 und 2, Wien 1950—1955. Bd. 4, 1. Halbband, Erzählende Quellen 976—1194, unter Mitwirkung von Heide Dienst bearbeitet von Heinrich Fichtenau. Wien 1968. (Abgekürzt: BUB) Wattenbach, Wilhelm, Die österreichischen Freiheitsbriefe. Prüfung ihrer Echtheit und Forschungen über ihre Entstehung. Archiv für Kunde österreichischer Geschichtsquellen 8, 1852, S. 77 ff. Zauner, Alois, Oberösterreich zur Babenbergerzeit, Mitteilungen des oberösterreidiischen Landesarchivs 7, 1960, S. 207 ff. Zeillinger, Kurt, Die Notare der Reichskanzlei in den ersten Jahren Friedrich Barbarossas, Deutsches Archiv für Erforschung des Mittelalters 22, 1966, S. 513 ff. Zöllner, Erich, Geschichte Österreichs, 5. Aufl. Wien 1974. — siehe Urkundenbudi zur Geschichte der Babenberger.