Die Babenberger: Markgrafen und Herzoge von Österreich 976-1246
 9783205123576, 3205985699, 9783205985693

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Karl Lechner DIE BABENBERGER

Veröffentlichungen des Instituts für österreichische Geschichtsforschung Band XXIII

Karl Lechner

Die Babenberger Markgrafen und Herzoge von Österreich 976 - 1246

6., unveränderte Auflage

BÖHLAU VERLAG WIEN · KÖLN · WEIMAR

Umschlagabbildung: Details aus dem Glasfenster im Brunnenhaus des Zisterzienserklosters Heiligenkreuz. Bundesdenkmalamt, Wien

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Lechner, Karl: Die Babenberger : Markgrafen und Herzoge von Österreich ; 976-1246 / Karl Lechner. - 6., unv. Aufl., (Sonderausg.). - Wien ; Köln ; Weimar : Böhlau, 1996 (Veröffentlichungen des Instituts für österreichische Geschichtsforschung ; Bd. 23) ISBN 3-205-98569-9 NE: Institut für österreichische Geschichtsforschung : Veröffentlichungen des Instituts...

1. Auflage: 1976 2. Auflage: 1976 3., durchges. Auflage: 1985 4., durchges. Auflage: 1992 5., unv. Auflage: 1994 6., unv. Auflage: 1996

ISBN 3-205-98569-9

Das Werk ist urheberrechtlich geschützt. Die dadurch begründeten Rechte, insbesondere die der Übersetzung, des Nachdruckes, der Entnahme von Abbildungen, der Funksendung, der Wiedergabe auf photomechanischem oder ähnlichem Wege und der Speicherung in Datenverarbeitungsanlagen, bleiben, auch bei nur auszugsweiser Verwertung, vorbehalten.

Gedruckt auf umweltfreundlichem, chlor- und säurefreiem Papier © 1976 by Böhlau Verlag Gesellschaft m.b.H. und Co. KG., Wien · Köln · Weimar 6., unv. Auflage 1996 Druck: TLP, Ljubljana

Dieses Werk, das die im besonderen Maße dem für unsere Heimat Österreich so bedeutenden der Babenberger geltende meines Lebens

Geschlecht

Forschungsarbeit

zusammenfaßt,

widme ich meiner lieben Frau. Es sei dies ein Ausdruck meines Dankes an den Menschen, der wie niemand sonst durch ein Übermaß an Verständnis,

Verzicht und Be-

scheidung meine wissenschaftliche Arbeit

förderte

und mir so immer wieder neue Kraft gab.

Wien, im September

Karl Lechner

1975

Inhaltsverzeichnis

Vorwort Einleitung 1. Kapitel: Besiedlung des Ostlandes

9 11 21

Vom 7. bis zur zweiten Hälfte des 10. Jahrhunderts

2. Kapitel: Die Errichtung einer bayerischen Mark an der Donau

.

30

3. Kapitel: Das Geschlecht der „Babenberger" und seine Herkunft . 4. Kapitel: Der erste Markgraf aus liutpoldingischem Hause — Ostarrîchi 5. Kapitel: Die Ausweitung der Mark nach Nord und Ost . . . 6. Kapitel: Neuer Aufstieg des Babenbergischen Hauses . . .

39 46 59 83

Beziehungen zu Sachsen und Thüringen

7. Kapitel: Stellung der Kirche in der Mark

98

Entwicklung des Parochialsystems — Klostergründungen und Reformbewegung

8. Kapitel: Papsttum und Kaisertum

106

Der „Investiturstreit" und seine Auswirkung auf die Mark

9. Kapitel: Markgraf Liutpold III

118

Das werdende Land Österreich

10. Kapitel: Österreich auf dem Weg zum Herzogtum 11. Kapitel: Das „Privilegium minus"

.

.

.

.

142 155

Bedeutung und Auswirkung

12. Kapitel: Ausbau der landesherrlichen Stellung 13. Kapitel: Auf dem Höhepunkt der babenbergischen Macht 14. Kapitel: Herrschaft und Stadt

171 192 218

15. Kapitel: Wien — Das Werden einer Fürstenresidenz 16. Kapitel: Kultur- und Geistesleben

241 252

Die rechts- und verfassungsgeschichtliche Entwicklung

8

INHALTSVERZEICHNIS

17. Kapitel: Der letzte Babenberger zwischen Kirche und Reich 18. Kapitel: Der Kampf um die verwaisten Reichslande

.

.

275 .

299

Anmerkungen

309

Quellen- und Literaturverzeichnis

416

Personenregister Topographisches Register Stammtafel

439 462 479

Vorwort

I m Jahre 1976 erschien die erste Auflage dieses Buches zum Millennium der ersten Nennung der Babenberger-Herrschaft in Österreich. Karl Lechner war am 5. Oktober 1975 nach einem arbeitsreichen, in großem Ausmaße der Geschichtswissenschaft gewidmeten Leben in seiner Geburtsstadt Wien gestorben; er konnte das gedruckte Werk nicht mehr sehen. Das Manuskript wurde von seinen Schülern und Mitarbeitern am Niederösterreichischen Landesarchiv, wo er etwa vierzig Jahre gewirkt hatte, von Fritz Eheim, Helmut Feigl, Sylvia Petrin und Max Weltin ergänzt, korrigiert und redigiert; auch Heinrich Fichtenau, Karl Gutkas, Heide Dienst, Georg Scheibelreiter und der Autor dieser Zeilen waren bei der Arbeit beteiligt, Robert Paula schrieb ein instruktives Vorwort. Lechners Werk fand die verdiente Würdigung durch Fachkollegen, aber auch in einem weiten Leserkreis. Er verstand es eben, wissenschaftliche Materien und Probleme in einer stets quellenorientierten Geschichtsschreibung eindrucksvoll und gemeinverständlich darzustellen.* Im Jahre 1992 erschien bereits die vierte, durchgesehene Auflage. Karl Lechner hatte sich erfolgreich bemüht, sowohl der Personen-, Familienund Besitzgeschichte der Babenberger, wie auch dem Werden der Länder Österreich und Steiermark, ihrer Kirchengeschichte und der Entwicklung der bäuerlichen und städtischen Siedlungen gerecht zu werden. Die Verknüpfungen der Landesgeschichte mit jener des RömischDeutschen Reiches wurden eingehend interpretiert. Lechner vermochte *) Vgl. die N a c h r u f e v o n H e l m u t Feigl u n d Adalbert Klaar, U n s e r e H e i m a t 46 (1975), 213 ff., 218 f.; Richard Pittioni, A l m a n a c h d. ö s t e r r . Akad. d. Wiss. 125 (1975) 583 ff. (mit S c h r i f t e n v e r z e i c h n i s ) ; Otto F r i e d r i c h Winter, S c r i n i u m 13 (1975) 3 ff.; E r i c h Zöllner, M I Ö G 83 (1975) 565 ff.

VORWORT

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Ereignis- und Strukturgeschichte, Detailkenntnisse und Grundsatzfragen in Einklang zu bringen; er verzichtete aber in einer vielseitigen Forschungsarbeit mit methodischer Strenge auf zu weitgehende Verallgemeinerungen. In dem vorliegenden Buch kommt seine wissenschaftliche Leistung für die Erschließung einer entscheidenden Epoche der österreichischen Geschichte wohl überzeugend zur Geltung. Der Band wird seinen Lesern wesentliche Voraussetzungen und Grundlagen für ein Verständnis jener Zeit bieten, so w i e gewiß auch Historiker jüngerer Jahrgänge in ihren Untersuchungen an Lechners Hauptwerk anschließen werden; diesem und seinem Autor wird man noch manche kraftvolle Impulse für die Geschichtswissenschaft verdanken. Wien, im Februar 1994

Erich Zöllner

Einleitung

vorliegende Band versucht, den behandelten Zeitraum aus zwei verschiedenen, einander überschneidenden Blickwinkeln zu erfassen. Einmal vom personengeschichtlich-genealogisch-besitzgeschichtlichen als A u f stieg eines deutschen Fürstengeschlechtes im Südosten des Reiches; zum andern, vom territorialgeschichtlichen Standpunkt aus betrachtet, der gewiß auch rechts- und verfassungsgeschichtliche wie strategisch-politische Fragen nicht außer acht lassen darf, als Werden und Entwicklung des Landes, des Territoriums „Österreich" zugleich als typisches Beispiel eines deutschen Fürstentums. Dabei kann selbstverständlich keiner der genannten Aspekte für sich allein ein zutreffendes Gesamtbild ergeben, denn beides ging Hand in Hand, stand miteinander in wechselseitiger Beziehung und bildete kein zeitliches Neben- oder Nacheinander, sondern ein Miteinander. Zunächst werden wir uns der Entwicklung des Landes zuwenden müssen, weil darauf das gesamte Streben und Handeln des hier seßhaft gewordenen Herrschergeschlechtes ausgerichtet war. Es wird zu zeigen sein, wie dieses durch ein Jahrhundert hart umkämpfte, dem Reich nur teilweise zugehörige Grenzgebiet zu einem organisierten Kolonialland im Südosten des Reiches wurde, das seiner A u f g a b e gewachsen w a r und das zu einer Mark, und weiterhin zu einem Herzogtum und einem eigenständigen Reichsfürstentum wurde, also zu einem „Land" im verfassungsrechtlichen Sinn, d. h. zu einem Verband von Herrschaften mit gleichem Landesrecht, zu einem Territorium. Mit anderen Worten: wie aus der plaga orientalis und den partes orientales, über die regio Ostarrichi und über die marca orientalis (der deutsche Ausdruck „Ostmark" kommt selbstverständlich nicht vor) der ducatus Austrie und die terra Austrie wird. In diese Betrachtung eingeschlossen ist die Untersuchung der einzelnen politischen Gebilde, die insgesamt schließlich dieses Land Österreich aus-

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EINLEITUNG

machten: Grafschaften, hochfreie Herrschaften und Hoheitsgebiete, Vogteiherrschaften, die Mark, das Herzogtum. Aus der Summe von personalen Abhängigkeiten, den Leistungen von Personenverbänden entsteht eine geschlossene „Gebietshoheit", ein „Flächenstaat". So wird es eine besondere Aufgabe sein, die Rechtseinrichtungen der Mark, des Herzogtums und Territoriums, aber auch der gräflichen Hoheitsgebiete und Herrschaften, wie auch jene der Ministerialen herauszustellen, weiter die Frage zu stellen, welche Besonderheiten sich hier finden — vor allem im Gerichtswesen, im Heerwesen und im Steuerwesen —, wobei auch Unterschiede zu den übrigen bayerischen Rechtsgebieten festzustellen sein werden. Daraus ergibt sich die Frage nach dem Umfang der Mark, des Herzogtums und des Territoriums, mehr noch nach der Entwicklung und Ausbildung seiner Grenzen. Grundsätzlich werden erst allmählich aus Grenzsäumen Grenzlinien; doch nur rechtliche Bestimmungen können die Voraussetzung solcher Grenzlinien bilden und sie festlegen. Damit stellt sich also neben einer strategisch-politischen eine rechtsgeschichtliche Frage. Immer wird es in einer Darstellung der Geschichte Österreichs um die Grundfrage gehen: Was ist jeweils dieses „Österreich"? Welchen Raum erfüllt und gestaltet es? Welch größerer Gemeinschaft, oder welchen Gemeinschaften gehört es an? Welche Funktion übt es jeweils aus? Welch rechtliche Besonderheiten gab es? Denn weder nach Rechtsgehalt noch nach Umfang kann das Ostarrîchi vom Ende des 10. Jahrhunderts mit der Austria aus der ersten Hälfte und Mitte des 12. Jahrhunderts oder dem ducatus Austrie aus der zweiten Hälfte des 12. und dem 13. Jahrhundert gleichgesetzt werden — nicht zu reden von dem „Österreich" der spätmittelalterlichen und neueren Zeit. Neben all diesen Fragen müssen wir aber auch, wie schon angedeutet, die Zusammensetzung und Gliederung dieses werdenden Landes untersuchen, das geistliche und weltliche Hoheitsgebiete umfaßt, ebenso wie Grafschaften und Herrschaften, und wir müssen die Frage stellen nach den Besitzrechten und der Besitzverteilung an Grund und Boden. Voran steht die Frage nach dem Königs- und Reichsland in diesem Raum, nach Form und Zeit seiner Vergabe und besonders wie dieses an den werdenden Landesherrn überging — ganz allgemein die Frage nach der jeweiligen Besitzqualität dieser Gebiete. Damit ist selbstverständlich die Untersuchung der Besitz- und Hoheitsrechte der einzelnen Grafen- und Hochadelsgeschlechter in diesem Raum, aber auch der bayerischen Hochstifte, der auswärtigen und der Landesklöster verbunden sowie deren rechtliches Verhältnis zum Markgrafen, Herzog, Landesfürsten. Dazu tritt seit der zweiten Hälfte des 11. Jahrhunderts und besonders im 12. Jahrhundert auch die Frage nach den aufkommenden Ministerialengeschlechtern und ihren Herrschaften. Dann werden wir notwendigerweise auch die Ergebnisse der Siedlungsforschung zu beachten haben, werden der Besiedlung und wirtschaftlichen Entwicklung dieses Kolonisationslandes Aufmerksamkeit zuwenden müssen und fragen, wieweit sich diese in der Rechtsgeschichte widerspiegelt.

GRUNDLAGEN UND VORAUSSETZUNGEN

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Eines sei aber hier abschließend unmißverständlich ausgesprochen: Wir werden diese Mark, dieses Herzogtum, dieses Land nie allein, auf sich gestellt, im luftleeren Raum betrachten dürfen, sondern immer hineingestellt in ein größeres Ganzes, in die verfassungsrechtliche Entwicklung des Römisch-Deutschen Reiches, in Verbindung mit der deutschen Königsund römischen Kaiserpolitik und der Ostpolitik des Reiches. Wir können dieses Land und sein Werden nur dann begreifen, wenn wir es als Glied des Reiches, als sein bedeutsames, aber auch stets gefährdetes und umhegtes Grenzland, als seine Mark und sein späteres Reichsfürstentum sehen. Die Markgrenze war zugleich Reichsgrenze und umgekehrt. Ostpolitik und Kaiser- bzw. Italienpolitik, Kolonisations- und Kirchenpolitik des Reiches wirken bestimmend auf dieses Land ein. Das Regnum Teutonicorum und das Imperium Romanum gehören zusammen, befruchten sich gegenseitig und sind untrennbar miteinander verbunden. Mögen hier je nach der politischen Einstellung auch im einzelnen oft Gegensätze gesehen worden sein, mag die jeweilige Haltung „kleindeutsch" „großdeutsch" oder „gesamtdeutsch" politische Parteiungen hervorgerufen haben, der Historiker darf sich — abgesehen davon, daß diese Gegensätze heute als überwunden erscheinen — dadurch nicht beeinflussen lassen. Zunächst stehen wir noch vor einem anderen Problem. All das eben angedeutete rechts- und wirtschaftsgeschichtliche, politisch-strategische und siedlungsmäßige Geschehen ist in Beziehung zu setzen zu jenem Herrschergeschlecht, dem es gelang, fern seines Urspungslandes für Generationen einen Wirkungsbereich aufzubauen und zu regieren, der im wesentlichen dem von uns behandelten Raum entspricht. Den persönlichen Einfluß dieses Geschlechtes auf das Geschehen in diesem Raum, ja seine entscheidende Prägung durch das Wirken des Herrscherhauses, müssen wir stets im Auge behalten. Wir wollen uns konkret die Frage stellen: Wer steht an der Spitze dieser Mark, dieses Herzogtums Österreich? Wir wissen, daß sich in der gesamten geschichtlichen Forschung und Darstellung immer mehr das Bestreben ergeben hat, den Menschen, die Persönlichkeit zu erfassen, die hinter dem Werk, hinter der geistigen Schöpfung steht, hinter den zuständlichen, dinglichen Erscheinungen und hinter rechts- und wirtschaftsgeschichtlichen Einrichtungen. Im Werden des Territoriums spielt die Persönlichkeit des künftigen Territorialherrn, des Landesherrn, eine entscheidende Rolle. So steht eigentlich nicht die terra Austrie sondern im besonderen die terra ducis Austrie zur Debatte. Es geht um den Aufstieg eines deutschen Fürstengeschlechtes, eben dieses hier in der südöstlichen Mark des Reiches und später im Herzogtum Österreich und seit Ende des 12. Jahrhunderts auch im Herzogtum Steiermark gebietenden Geschlechtes, das unter dem Namen „Babenberger" bekannt geworden ist. Wir wollen die Grundlagen und Voraussetzungen für den Aufstieg dieses Geschlechtes kennenlernen, von dem einzelne Vertreter zu den bedeutendsten mittelalterlichen Fürstenpersönlichkeiten zählen. Aber nicht nur die Einzelpersönlichkeit, auch das Geschlecht in

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EINLEITUNG

seiner Gesamtheit, in der Kontinuität seines Wirkens interessiert uns. Wir suchen den Menschen, seine Herkunft, seine Geschlechts- und Sippenzugehörigkeit, seine Familie, seine Besitz- und Hoheitsrechte. Wir wissen heute, daß — bezogen auf die Größe des Gebietes — nur ein verhältnismäßig kleiner Kreis von Personen zur Ausübung von Hoheits- und Besitzrechten berufen war, denn nur wenige besaßen kraft ihrer Stellung die Voraussetzung für königliche Schenkungsakte und Gunsterweise. Diese Hoheits- und Immunitätsrechte waren in der Praxis durch die entscheidende Bedeutung des Geschlechtes frühzeitig erblich geworden, wenn auch die theoretischen und gesetzlichen Grundlagen dafür fehlten. Selbst dann, w e n n wegen Untreue (injidelitas) eines Einzelnen auch Konfiskation von Besitz und A m t durch Ächtung erfolgte, hatten die Sippenangehörigen die nächsten Ansprüche daran. Wir kennen dafür genügend Beispiele im Hochmittelalter, nicht zuletzt in dem Geschlecht, dem die „Babenberger" entstammten. Dabei unterschied man, zumindest in der älteren Zeit, z w i schen ehelicher und unehelicher Geburt ebensowenig, wie zwischen echten oder Halb- und Stiefgeschwistern. Stets ist es wichtig, die konkreten Personen zu erfassen. Wie bei urkundlichen Nennungen von Orten anläßlich von Güterschenkungen vielfach noch immer auf jeden Versuch einer näheren Lagebestimmung verzichtet wird, so meint man vielfach auch bei Nennungen von Personen ohne jede Einreihung und nähere Bestimmung des Genannten hinsichtlich seiner Identität und Herkunft auszukommen. Wenn w i r aber danach streben, unsere Erkenntnisse aus möglichst gesicherter Grundlage abzuleiten, ist die Frage nach der Familie, der Sippe und dem Besitzstand des urkundlich Erwähnten unerläßlich. Darum ist die wissenschaftliche Genealogie so bedeutungsvoll f ü r die A u f h e l l u n g der hochmittelalterlichen Geschichte. Es geht dabei — im Zusammenhang mit der Besitzgeschichte — um den verläßlichsten Weg, über die unmittelbare Aussage von Urkunden und anderen Quellen hinaus zu weiteren Erkenntnissen zu gelangen. Darum darf der „besitzgeschichtlich-genealogischen Methpde" 1 ein entscheidender Aussagewert zugesprochen werden. Um die Bedeutung und den Aufstieg eines mittelalterlichen Fürstengeschlechts wie der Babenberger zu verstehen, ist stets zu fragen nach Herkunft,Versippung und Familienverbindungen, nach ihrer Funktion als Beauftragte und Stellvertreter des Königs in Reichsämtern und Reichsgeschäften, nach der Geschichte ihres Besitzes, nach ihren kirchlichen Stiftungen und ihren Beziehungen zu kirchlichen Institutionen überhaupt w i e Eigenkirchen-, Patronats- und Vogteirechten. Letztlich wird man sich auch die Frage zu stellen haben, an welchen rechtlichen, wirtschaftlichen und kulturellen Entwicklungen sie durch persönliches Eingreifen Anteil genommen hatten. Wie das Werden des Landes im größeren Rahmen des Reiches gesehen werden muß, wird auch der A u f stieg dieses Geschlechtes als Beauftragte des deutschen Königs, als sein und des Reiches Vertreter und schließlich als Reichsfürsten wie auch als

E N T W I C K L U N G DES T E R R I T O R I U M S

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Mitglieder eines hochadeligen und im ganzen Reich bevorzugten Kreises zu betrachten sein. Wir können so auch das immer stärkere Hineinwachsen dieses Geschlechtes und seiner Glieder in die Reichspolitik verfolgen und nicht — wie politische Tendenzen das manchmal wollten — das Herauswachsen aus dem Reich. Damit werden wir das Geschlecht der Babenberger auch mit anderen bedeutenden hochmittelalterlichen Geschlechtern zu vergleichen haben. Einerseits mit älteren Geschlechtern, die nicht zur Territorialhoheit aufgestiegen sind, wie die Eppensteiner, Ebersberger, Formbacher, Aribonen, Brunonen, Ekkehardiner und die Billunger, oder aber nur mehr zu sogenannten Titularherzogtümern ohne „Land" im verfassungsrechtlichen Sinn gelangten, wie die Zähringer oder die Andechs-Meranier. Auch Kärnten war ein reines Amts- und Titularherzogtum. Andererseits müssen wir sie vergleichen mit Geschlechtern, welche die Ausbildung eines Territorialfürstentums erreichten, wie die Staufer, Weifen, Askanier, Wettiner, Thüringer, Traungauer und die Zollern. So führen die beiden Problemkreise, der territorial- und verfassungsgeschichtliche und der personengeschichtlich-genealogisch-besitzgeschichtliche zusammen in der gemeinsamen Frage: Wie, wodurch und wann ist dieses Geschlecht der Babenberger zur Landesherrschaft aufgestiegen, und in welchen Stufen? Ist doch das Werden und die Entwicklung des Territoriums eines der Hauptprobleme der Verfassungsgeschichte des deutschen Mittelalters überhaupt. Wie die alten Marken sich allmählich aus den ursprünglichen Stammesherzogtümern lösen und selbständig werden, vielfach selbst zu Herzogtümern emporwachsen; wie fremde Hoheitsrechte aufgesogen, eigene und neu erworbene zusammengefaßt werden und so selbst aus kleineren Grafschaften und hochfreien Herrschaften Territorien, „Flächenstaaten" werden, die zusammenwachsen und sich vergrößern. Das ist jener Vorgang, den die Verfassungsgeschichte als Entwicklung und Durchsetzung der sogenannten „Landeshoheit" kennt. Verschiedene rechtliche Wurzeln sind dabei bestimmend: gräfliche, herrschaftliche, vogteiliche Rechte, Hoch- und Niedergerichtsbarkeit, Rodung, Regalien, Burgen und Ministerialen. Aber — und das soll entschieden betont werden — immer stehen am Anfang dieser Entwicklung bedeutende Persönlichkeiten, die aus der großen Zahl der Markgrafen, Grafen, Dynasten herausragen und so zu Reichsfürsten werden. Sie sind es, die bedeutungsvoll werden für die Gestaltung und Formung des Fürstentums und Territoriums, über das ihr Geschlecht in Hinkunft herrschen soll. Aber auch sie bauen auf den Leistungen ihrer Vorfahren auf. Keines von all den glänzenden Fürstengeschlechtern des deutschen Mittelalters ist so rasch und so früh zur Ausformung der Landesherrlichkeit gelangt, zur Ausbildung des jüngeren Herzogtums und Territoriums, wie die Babenberger im Südosten des Reiches. Abgesehen von den Staufern ist keines dieser Geschlechter so rasch hinausgewachsen über die anderen Großen des Reiches, wie die österreichischen Markgrafen und Herzoge.

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EINLEITUNG

Gerade in Österreich ist die frühe Ausformung des Territoriums, des „Landes" und des jüngeren Fürstentums von besonderer Bedeutung: reichen doch die meisten der heutigen österreichischen Bundesländer, vielleicht einzig in ganz Europa, in ihrem Umfang und in ihren Grenzen, aber auch noch in ihrer Struktur und Funktion in das 12. und 13. Jahrhundert zurück. Diese Kontinuität muß beachtet werden. Und die Babenberger sind es, die den Grund dazu gelegt haben. Diese ihre Bedeutung herauszustellen für die 270 Jahre ihrer Herrschaft, soll der Sinn und der Zweck dieses Buches sein.

Ehe wir uns jedoch den geschichtlichen Tatsachen im einzelnen zuwenden, erscheint es angezeigt, sich etwas mit dem Raum und der Landschaft zu befassen. Das Herrschaftsgebiet der Babenberger, wie es sich vom Ende des 10. Jahrhunderts bis in die zweite Hälfte des 12. Jahrhunderts ausgedehnt hat, deckt sich im allgemeinen mit dem heutigen Bundesland Niederösterreich. Dazu trat am Ende des 12. Jahrhunderts die steirische Mark bzw. das Herzogtum Steier. Da die bayerische Ostmark, das spätere Herzogtum Österreich, als Keimzelle und Kernland der österreichischen Länder gilt, auf das allein sich von 976 bis zum Hinzutreten der Steiermark (1192) die Herrschaft der Babenberger beschränkte, so soll dieses Niederösterreich in seinen geographischen Gegebenheiten, die weitgehend die geschichtliche Entwicklung bedingten, kurz dargestellt werden 2 . Man darf es in landschaftlicher, physiographischer und kulturgeographischer Hinsicht als ein Land der Gegensätze, der Vielfalt bezeichnen, ebenso aber auch als Land des Überganges, der Verbindung. Es nimmt Anteil an großen geomorphologischen Einheiten Europas, am Zug der Alpen, der Hoch- und Voralpen; diese brechen mit dem Leopoldsberg bei Wien, steil gegen die Donau abfallend, bzw. mit den Thermen- und nördlichen Kalkalpen gegen das Wiener Becken und das Steinfeld ab. Begleitet wird der Alpenzug im Norden vom Alpenvorland, das in der Klosterneuburger Senke vor den letzten Wienerwaldrücken endet. Der Alpenzug setzt sich aber geologisch nördlich der Donau in den Inselbergen des sogenannten Weinviertels (Leiserberge, Staatzer- und Falkensteiner Klippen, Pollauer Berge) zu den Beskiden fort, andererseits von den Zentralalpen (Wechsel und Bucklige Welt) über das Rosalien- und Leithagebirge zu den Kleinen Karpaten. Das Waldviertel-Hochplateau schließlich gehört dem böhmisch-mährischen Massiv (Granit, Gneis) an, das einerseits im Süden steil zur Donau abfallend nur an wenigen Stellen über den Strom hinüberreicht und andererseits im Manhartsberg sich in einer Flexur zum Weinviertel absenkt. Dieses, eine Aufschüttungsfläche des Tertiärmeeres und der darin mündenden Urflüsse, ist zum guten Teil bedeckt mit Löß, der die Voraussetzung für den verbreiteten Weinbau in diesem Viertel bildet. Der „Pannonische Vorhof" reicht von der ungarischen und slowakischen Tief-

RAUM UND LANDSCHAFT

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ebene in das Weinviertel, in das Marchfeld und in das Wiener Becken hinein. Große Erdkrustenbewegungen, die in Bruchlinien (Erdbeben- und Thermenlinien) zu verfolgen sind, bildeten die Ursache für die Entstehung einer großartigen Pfortenlandschaft, die weithin bestimmend wurde für den Ablauf der Geschichte in den beiden östlichen Landesvierteln. Es ist die „Wiener Pforte", in der die Donau oberhalb Wiens zwischen Leopoldsberg und Bisamberg nach Osten fließt und durch die „Ungarische Pforte" zwischen Hainburg und Preßburg das ungarische Tiefland erreicht. Im Süden schließen sich die „Brucker Pforte" und die „Wiener Neustadt-Ödenburger-Pforte" an. Sie alle sind ebenso Leitlinien f ü r den Verkehr nach Osten und zum Balkan wie Leitlinien für große Völkerbewegungen und kulturelle Strömungen. Auch im Norden öffnen sich solche Pforten und Durchgangslandschaften: nach Osten die „March-OderFurche" oder „Mährische Pforte" in das schlesische Tiefland nach Polen und Rußland, nach Westen die „Gmünder Pforte" nach Böhmen. Den Weg nach Süden aber weist die Paßlandschaft des Semmering nach Steiermark, Kärnten und zur Adria. Das morphologische Bild der Großlandschaften wird ergänzt durch das hydrographische Bild der Flüsse. Die Donau bestimmt den Weg zwischen West und Ost und verbindet die geomorphologischen Einheiten. Dem tektonischen Bau entsprechend entsteht durch das mehrmalige Einschneiden des Flusses in den Südrand des Wald- und Mühlviertler Urgesteinsplateaus ein Wechsel von Stromengen (Greiner Stromenge, Strudengau, Wachau, Greifensteiner Enge, Wiener Pforte, Ungarische Pforte) und Beckenweitungen (Machland-Wallseer-Weite, PersenbeugGottsdorfer Scheibe, Nibelungengau, Tullnerfeld, Korneuburg-Klosterneuburger Becken, Wiener Becken). Dazu kommt das Pendeln des Flusses zwischen Prallufer und Flachufer. Vom Süden, von den Alpen kommen viele Flüsse, an deren Mündungen römische Standlager, frühmittelalterliche Großfesten und spätere Städte entstanden (Enns, Ybbs, Pöchlarn, Melk, Mautern, Traismauer, Tulln, Wien, Carnuntum). Den Flüssen entlang hat sich später auch die Besiedlung vom Alpenvorland gegen den Süden vorgeschoben. Geringer ist die Zahl von Flüssen, die vom Norden her in die Donau münden. Im Westen, tief eingeschnitten in das GranitGneis-Plateau, sind deren bedeutendste die Krems und der Kamp, im Osten ist der größte die Schmida und schließlich der Grenzfluß, die March. Im Norden ist vor allem, gutteils die Grenze gegen Mähren bildend, die Thaya mit der Pulkau zu nennen. Die im nordwestlichen Waldviertel zur Moldau fließende Lainsitz gehört als einziger der Flüsse Niederösterreichs dem Wassersystem der Nordsee zu. Alle diese Flüsse bilden zugleich durch die an ihren Ufern angelegten Burgen echte Wehrlinien. Die genannten Gebirgssysteme der Alpen, der Karpaten und des Böhmisch-Mährischen Massivs öffnen sich mit den in sie eingesenkten Ebenen und Becken im Großraum von Wien. Die Kleinlandschaft um Wien

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EINLEITUNG

ist gekennzeichnet durch die sie amphitheatralisch umgebenden Terrassen. Sie lassen so das Bild der Stadt als einer „Perle in der Muschel" (H. Hassinger) lebendig werden und rufen zugleich die Worte in Erinnerung, die Grillparzer den Ottokar von Horneck sagen läßt. Die Mannigfaltigkeit der Boden- und Gewässerkonfiguration spiegelt sich auch im Klima und im Pflanzenkleid wider. So darf mit Recht von der Vielfalt der niederösterreichischen Landschaft gesprochen werden, in der sich die verschiedensten Formationen begegnen und doch zugleich in einer großen Einheit zusammengebunden sind. Die Naturlandschaft wurde im Laufe der Jahrhunderte zur Kulturlandschaft umgewandelt, zunächst durch die Landwirtschaft, den Obstund Weinbau wie die Weide- und Waldwirtschaft. Typen und Formen der Siedlung, ihre Verteilung, Dichte und Funktion prägen das heutige Bild der Kulturlandschaft. Zunächst haben wir zwei große Typen zu unterscheiden: die Sammelsiedlung in den zwei Landesvierteln nördlich der Donau und im südöstlichen Landesviertel, während die Streusiedlung mit Einzelhöfen im westlichen Alpenvorland, in den Voralpen und in den später besiedelten Gebieten des Wienerwaldes und des Waldviertels zu finden ist. Übrigens ist zu bemerken, daß das südwestliche Landesviertel mehr Waldbedeckung aufweist als das nordwestliche „Waldviertel". Plan und Form einer Sammelsiedlung mit zugehöriger Fluranlage und Wegenetz lassen von der unregelmäßigen bis zur immer regelmäßigeren und zweckvolleren Form historische Schichten und Entwicklungsreihen erkennen (Haufenweiler, Haufendorf, Kirch-Höhensiedlung, Straßendorf, Angerdorf, Waldhufendorf). Ähnliches gilt auch f ü r den Hof, das Haus mit allen Nebengebäuden und mit der dazugehörigen Flur, wobei die Struktur des Hofes wieder davon abhängt, ob er einer Sammelsiedlung oder einer Streusiedlung mit Einzelgehöften angehört. Neben den bäuerlichen Siedlungen stehen die bürgerlichen, die Städte und Märkte, diese meist von „Ackerbürgern" bewohnt. Sie liegen vorwiegend auf Flußterrassen und an der Mündung von Nebenflüssen in Hauptflüsse. Niederösterreich weist unter allen österreichischen Bundesländern die weitaus größte Zahl von Städten und Märkten auf; bereits im Mittelalter gab es hier 35 Städte und etwa 220 Märkte. Als besonders markante Punkte der Kulturlandschaft müssen die Burgen genannt werden; auch hier steht Niederösterreich weithin an der Spitze. Es gab im Mittelalter wenig Orte im Sammelsiedlungsgebiet, in denen nicht ein fester Wehrbau, oft nur ein Wehr-Wohnturm, ein Turmhof oder ein befestigter Meierhof, lag. Auch heute können noch rund 500 Burgen und Schlösser, 200 Ruinen und 100 Wehrkirchen gezählt werden. Weitere etwa 600 lassen sich noch in anderen Bauten, in Erdbefestigungen und Hausbergen erschließen. Deutlich zeigt sich hier schon der Charakter des Grenzlandes Niederösterreich, der alten Mark Österreich. Endlich gehören zur Kulturlandschaft noch die Klöster, heute noch

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elf der alten Orden, dazu rund 20 Bettelordens- und Gegenreformationsklöster und an die 50 aufgehobene Klöster. Das Bild der heutigen Kulturlandschaft wird letzten Endes erst aus der geschichtlichen Entwicklung klar und verständlich, die jedoch wieder in Beziehung zu den geographischen Gegebenheiten steht. Das zeigt sich besonders in der Anlage der alten Verkehrswege mit den in ihrem Verlauf entstandenen Siedlungen. Entscheidend ist hier der Niederösterreich durchschneidende, die großen geomorphologischen Einheiten verbindende, westöstlich gerichtete Wasserweg der Donau. Auf ihr, an ihren Ufern und im Alpenvorland finden immer wieder in beiden Richtungen Völkerund Siedlungsbewegungen, wirtschaftliche und kulturelle Strömungen statt. An der Donau finden sich auch alte, wichtige, teils vorrömische Siedlungen. Diese natürliche West-Ost-Achse, der ein ur- und frühgeschichtlicher Weg, wie auch die römische Limes-Straße folgte, kreuzen alte, in ihrer historischen Bedeutung wechselnde Nord-Süd-Wege, die in ihrem Verlauf vor allem an den Schnittpunkten mit den Wasserwegen zum Teil schon in ur- und frühgeschichtlicher Zeit Siedlungen entstehen ließen. Durch die genannten, geographisch bedingten Westost- und NordsüdLinien war auch die Einteilung Niederösterreichs in die vier Landesviertel Ober- und Unter dem Wienerwald, Ober- und Unter dem Manhartsberg, gegeben, die uns bereits im 13. und endgültig im 15. Jahrhundert entgegentritt. Ihre Bedeutung in gerichtlichen, steuerlichen, strategischen und administrativen Belangen hat sich bis auf den heutigen Tag erhalten. Jedes der vier Landesviertel zeichnet ein charakteristisches Landschaftsbild aus.

Kürzer können wir die Natur- und Kulturlandschaft der Steiermark charakterisieren, jenes zweiten Landes, dem die Babenberger seit Ende des 12. Jahrhunderts, also nur ein halbes Jahrhundert, vorstanden. Auch hier ein beherrschender Wasserlauf, der die „Wirbelsäule" des Landes darstellt, die Mur mit ihren Nebenflüssen, von denen die in Niederösterreich entspringende Mürz der größte ist. Die Mur entspringt im Urgesteinsgebiet, am Fuß der Niederen Tauern und durchfließt, wie die Donau, kleine Becken mit den Hauptorten Tamsweg, Murau, Judenburg und Knittelfeld und strömt endlich ins breite, nach Süden geöffnete Becken von Graz-Leibnitz, die Grazer Bucht, das Herzstück der Steiermark. Erst weit in Ungarn mündet sie in die von Osttirol kommende Drau, an der die f ü r die Steiermark so wichtigen, heute zu Jugoslawien gehörigen Orte Marburg und Pettau liegen. In den Niederen Tauern entspringt auch die Enns, deren Tal zugleich die Grenze zwischen dem Urgestein der Niederen Tauern und den nördlichen Kalkalpen (Dachstein, Ennstaler Alpen) bildet. Eine Reihe von hochgelegenen Pässen führen vom Ennstal in das Murtal und überqueren die Radstädter und die Rotten-

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EINLEITUNG

manner Tauern. östlich davon liegen die Eisenerzer Schieferalpen, das Zentrum des schon in ur- und frühgeschichtlicher Zeit betriebenen Eisenerzabbaus. Daran schließen nordöstlich des Präbichl-Passes die steirischen Kalkalpen mit dem Hochschwab an. Südwestlich davon liegt im Murtal das bedeutende obersteirische Eisenindustriegebiet mit den Zentren Knittelfeld, Leoben und Bruck. Die Zufahrt vom Norden führt das Mürztal herunter auf der alten Straße über den Semmering, die seit dem 12. und 13. Jahrhundert „Kärntnerstraße", dann auch „Triesterstraße" genannt wird. Besondere Bedeutung kommt der Paßlandschaft von Neumarkt und Obdach zu, die über den Neumarkter Sattel eine Verbindung vom Mürztal ins Gurktal bzw. über den Obdacher Sattel ins Lavanttal und damit ins Drautal herstellt. Da die Steiermark weit mächtigere und höhere Gebirgszüge aufweist als Niederösterreich, ist auch das Streusiedlungsgebiet weit größer. Sammelsiedlungen finden sich in den Beckenlandschaften, vor allejn im Grazer Becken und im Raum Mur — Raab — Lafnitz. Dort liegen auch die großen Gassengruppendörfer mit der BlockStreifenflur. In den Längstälern finden sich die Siedlungen auf den Terrassen und den Schwemmkegeln der Seitenflüsse. In der Obersteiermark gibt es den steirischen Ringhof oder den karantanischen Haufenhof mit Block-Gemengeflur. Wie in Niederösterreich war auch in der Steiermark die Bevölkerung stammes- und rassenmäßig eine zum Teil romanisierte illyrisch-keltische Mischbevölkerung. Slawen kommen im 7. Jahrhundert vom Osten und Südosten in das Land, Baiern vom Norden und Nordosten, wobei die deutsche Besiedlung des Ennstales seit der Mitte des 8. Jahrhunderts sich in den Siedlungsnamen und Siedlungsformen, etwa dem Gruppenhof, ausdrückt. Die gegenseitige Durchdringung slawischen und baierischen Volkstums prägt so auch die Landschaft. Der Verlust des Siedlungsbodens durch Einfälle der Ungarn seit dem Ende des 9. Jahrhunderts wurde im Nordosten erst im 10., im Osten erst seit der Mitte des 11. Jahrhunderts wieder wettgemacht. Die großen Rodungen in der Nordoststeiermark setzen in der ersten Hälfte des 12. Jahrhunderts ein. Dort finden wir die Drei- und Vierseithöfe. Am Ende des Mittelalters werden in der Steiermark 18 Städte und 27 Märkte gezählt. Entsprechend der Grenzlage des Landes gibt es auch mehrere hundert Wehrbauten wie Burgen, Wehrkirchen und befestigte Höfe.

I. KAPITEL

Besiedlung des Ostlandes VOM 7. BIS ZUR ZWEITEN HÄLFTE DES 10. JAHRHUNDERTS

M it der Abwanderung der Langobarden aus Oberpannonien (Westungarn) nach Italien im Jahre 568 hat die sogenannte „Völkerwanderung" ihren Abschluß gefunden. An der Wende des 6. und 7. Jahrhunderts waren die Slawen aus dem böhmisch-mährisch-slowakischen Raum in das nordöstliche Niederösterreich eingeströmt und etappenweise an die Donau und in das Alpenvorland weitergezogen. In der ersten Hälfte des 7. Jahrhunderts drangen auch Südslawen vom Südosten her in das Wiener Becken und das Alpenvorland ein. Aber schon um die Mitte des 6. Jahrhunderts hatten sich Alamannen, Sueben, Skiren und vor allem „Restgermanen" aus Böhmen (Boiohaemum) im bairisch-oberösterreichischen Donauraum als „Baiern" (Baiovarii) zu einem Stammesverband zusammengeschlossen. Die Auseinandersetzung mit den Slawen erfolgte in immer neuen Vorstößen beider Völker nach Ost und nach West. Die Sprach- und Namensforschung vermittelt uns hier neben der Archäologie die besten Einblicke Es handelt sich meist um ein friedliches Nebeneinandersiedeln beider Völker. Aus den Lautgesetzen und den Namensformen können wir schließen, daß in weiten Teilen Niederösterreichs wie auch des Burgenlandes Reste einer vorbairisch-germanischen Bevölkerung verblieben sind. Es handelt sich in erster Linie um suebische Stämme, die Langobarden und Quaden, und um ostgermanische, die Goten, Heruler und Rugier. Solche Reste von Quaden, Rugiern und Herulern dürfen wir etwa im mittleren und nordwestlichen Niederösterreich und an der Donau, solche von Langobarden und Goten im Osten und im Süden um Wien, im Wiener Becken, im Wechselgebiet und im südwestlichen Burgenland annehmen. Seit dem letzten Viertel und dem Ende des 7. Jahrhunderts haben sich die Baiern in einzelnen Vorstößen gegen Osten vorgeschoben. Diese Bewegung kam zunächst einmal am Höhenzug zwischen der Erlauf und der Melk zum Stillstand, wo sich Baiern und Slawen begegneten, dann an der Melk

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1. B E S I E D L U N G D E S O S T L A N D E S

(d. h. „Grenzbach"), dem westlichsten rein slawisch benannten Nebenfluß der Donau, dann am westlichen Wienerwaldrand bzw. an der Traisen, endlich im Wiener Becken und im westpannonischen Raum. Auch über die Donau und in das südliche Waldviertel setzen sich diese baierischen Vorstöße fort. Die deutsche Kolonisation hatte bereits in der ersten Hälfte des 8. J a h r h u n d e r t s ihren Höhepunkt erreicht; sie w a r im Alpenvorland und an der Donau in der zweiten Hälfte und gegen Ende des 8. J a h r hunderts in ihren Grundzügen festgelegt. Damit waren auch die entscheidenden Grundlagen f ü r das Volkstum unseres Landes gelegt. Diese Kolonisation, im wesentlichen vorkarolingisch, wurde vom bayerischen Herzogt u m getragen. Die Erfolge Karls des Großen gegen die Awaren haben auf das Siedlungsbild bis zum Wienerwald keinen entscheidenden Einfluß mehr genommen. Diese Erkenntnisse verdanken wir einerseits der Anw e n d u n g der Lautgesetze f ü r die Untersuchung der Ortsnamen und deren Endungen, andererseits der Erforschung der Siedlungs- und Flurformen. Beide bestätigen einander. Unter den Siedlungsnamen sind die ältesten jene mit der Endung auf -heim. Sie reichen von Oberösterreich gelegentlich noch in den Westen Niederösterreichs und an die mittlere Donau. Die einzelnen Gebieten des Landes weithin den Stempel aufdrückenden Ortsnamen mit der Endung auf -ing sind in das 7. bis 9. J a h r h u n d e r t anzusetzen, wobei die älteste Schichte die mit einem Personennamen zusammengesetzten, die patronymischen Namen sind und jene, die eine soziale Zugehörigkeit anzeigen. Diese -ing-Namen finden sich g e h ä u f t im südwestlichen Landesviertel, am Ybbsfeld und an der unteren Erlauf, in der Wachau und um St. Pölten, sowie u m Wien. Doch auch im Marchfeld und im nördlich anschließenden Hügelland kommen sie vor, hier zum Teil vielleicht erst dem 9. J a h r h u n d e r t angehörend; jedoch gibt es dort Flußund Ortsnamen, die schon vor 800 von den Deutschen übernommen w u r den. Die echten -ing-Namen liegen an strategisch wichtigen Plätzen und zwar überwiegend auf Königs- bzw. f r ü h e r e m bayerisch-herzoglichen Gut. Sie stellen also wohl meist Gefolgschafts- und Militärsiedlungen dar. Daneben kommen Namensformen auf -hofen, -hausen, -Stetten, -kirchen vor, die vorwiegend dem 9. und 10. J a h r h u n d e r t angehören. Schon dem Ende des 8. J a h r h u n d e r t s sind die Namen auf -dorf zuzuordnen, die allerdings in großem Maße auch noch im 11. J a h r h u n d e r t gebraucht werden. Es handelt sich bei diesen Namen vorwiegend um grundherrliche, oft kleinräumige Siedlungen. Der älteste von ihnen ist das 791 genannte „Omuntesdorf" im Raum von Klosterneuburg (St. Martin), über das hinaus das fränkische Heer gegen die Awaren in Pannonien eindrang 2. Eine zweite Möglichkeit, die f r ü h e Siedlungsgeschichte aufzuhellen, bietet uns die Siedlungsplan- bzw. die Flurforschung. Als älteste Formen sind unregelmäßige und kleinräumige, weilerartige Orte zu nennen (Gruppenweiler, Haufendorf), zu denen eine unregelmäßige, blockförmige F l u r a n lage gehört. Wir finden sie südlich der Donau im Westen des Landes bis zur Melk und d ü r f e n sie dem 7. und 8. J a h r h u n d e r t zuweisen, östlich da-

ORTSNAMEN, SIEDLUNGS- UND FLURFORMEN

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von, im Pielachtal und um St. Pölten, aber auch im Pöggstaller Raum des südlichen Waldviertels und am unteren Kamp folgen große, regelmäßigere Formen, Straßengruppendörfer und f r ü h e Straßendörfer, mit Feldern in Blockgewann- und Gewannformen. Mit den Kirchhöhensiedlungen, die aus Sicherheitsgründen um eine Wehrkirche auf Höhenrücken angelegt wurden, gehört dieser Siedlungstyp noch immer dem späteren 8. und dem 9. und 10. Jahrhundert an. Dann folgen bereits frühe Angerdörfer, die sich bis zum Breitangerdorf entwickeln; die dazugehörige Flur ist die Gelänge- oder Lüß-Flur. Durch Niederösterreich geht auch eine alte Hausformengrenze, die sich im großen und ganzen mit der Grenze der Sammel- und Streusiedlung deckt. Wir können hier zwischen abgeriegeltem bzw. durchgängigem Flurhaus unterscheiden. Auch die Längsscheune, wie in den germanischen Volksrechten beschrieben, in ihrer Struktur dem Hause entsprechend, ist im nordöstlichen Landesviertel und im Wiener Becken zu finden. Nach dem Tode des Franken Samo (um 660) löste sich der von ihm gebildete großslawische Reichsverband auf, und das ermöglichte den Baiern einen Vorstoß bis zum Wienerwald. Um 700 stießen aber die Awaren nochmals über die Enns vor, was zwischen Wienerwald und Enns zu einer verstärkten Siedeltätigkeit der Slawen f ü h r t e und sich in der gegenseitigen Beeinflussung der baierischen und slawischen Siedlungsnamen zeigt. Die Verteilung der slawischen Siedlungen erfolgte jedoch sehr ungleichmäßig. Sie sind schütter über das Land verbreitet, wobei sie etwa im Raum von St. Pölten bis zum Wienerwaldkamm vollständig fehlen. Vorwiegend befinden sie sich in kleinen, offenen Landschaften; Rodung wird gewöhnlich gemieden. Die slawischen Siedlungen sind kleinräumig und unregelmäßig, liegen besonders entlang der Flüsse und umfassen freie und unfreie Leute. Wie schon betont, siedelten Baiern und Slawen in der Regel friedlich nebeneinander. Wie die Kolonisation, so ist auch die kirchliche Mission dieses Landes ein Verdienst des bayerischen Herzoghauses und der bayerischen Kirche. Schon 777 erhielt das von Herzog Tassilo III. gegründete Kloster Kremsmünster auch Besitz nördlich von St. Pölten. Dieses selbst wurde vom Kloster Tegernsee als klösterliche Zelle um 770/80 gegründet. Die durch Bonifatius geschaffene bayerische Kirchenorganisation hatte auch für unser Gebiet Bedeutung, wenn wir an das Bistum Salzburg denken, das bereits 798 Erzbistum wurde. Im Jahre 788 erfolgte der Sturz des bayerischen Herzogs Tassilo. Bayern wurde dem fränkischen Reich einverleibt, blieb aber ein eigenes Rechtsgebiet. Der fränkische König übernahm mit dem Herzogsgut als Reichsgut auch die Aufgaben des bayerischen Herzogs. Die Awaren, die am Wienerwald eine „Verhagung" als Verteidigungslinie errichtet und davor mongolisch-türkische Grenzwächter als Vorposten angesiedelt hatten, wurden in den Feldzügen der Jahre 791—97 bzw. 805 bis über die Fischa und die Leitha zurückgedrängt. Es war dies zugleich das erste gemeinsame

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1. B E S I E D L U N G D E S O S T L A N D E S

Unternehmen aller deutschen Stämme. Nun begann der Aufbau und die Organisation dieses Ostlandes, in den Quellen als oriens, orientalis plaga — Avaricus limes — Pannonicus limes bezeichnet. Es gliederte sich in drei große Verwaltungsbezirke: die provincia oder terra Avarorum, fälschlich auch „Mark" genannt, Oberpannonien bis zur Raab, sowie schließlich Unterpannonien und Carantanien bis zur Drau und zur Fruskagora, dem „Frankengebirge". 856 ist die Rede von der marchia orientalis, die Karlmann als Präfekt verwaltete 3. Mit der Mark ist von Anbeginn der westlich angrenzende Traungau verbunden gewesen. Im Siedlungsgebiet des westlichen Marklandes findet eine Siedlungsverdichtung statt; schon finden sich f r ü h e Straßendörfer und die Kirchhöhensiedlungen. Wenn auch die Ostgrenze des karolingischen Reiches nicht zugleich Volkstumsgrenze ist, so wird doch deutsche Siedlung weit hinein ins heutige Burgenland und bis zum Plattensee vorgetragen. Dort entsteht auch ein slawisches tributäres Fürstentum. Jetzt erfolgen in zunehmendem Maße neue und große Schenkungen aus dem Königsland, zu dem das f r ü h e r bayerische Herzogsgut gehörte, sowie herrenloses unbebautes Land und heimgefallenes bzw. konfisziertes Leihegut. Diese Schenkungen scheinen zum Gutteil aufgrund einer allgemeinen Erlaubnis zur Besitzergreifung und Kultivierung solchen Landes erfolgt zu sein, während ihr Umfang erst später durch Urkunden genauer umschrieben wurde. Das Erzstift Salzburg und seine Suffraganbistümer 4 Passau, Regensburg und Freising erhielten hier Besitz. Passau war zugleich das Diözesanbistum f ü r den westlichen Verwaltungsbereich und schon Ende des 8. J a h r h u n derts im Traungau begütert. Ferner wurde eine Reihe von Klöstern mit Land bedacht; die meisten waren oder wurden bischöfliche Eigenklöster. Dazu gehörten die Klöster St. Emmeram bei Regensburg, Niederaltaich (schon anfangs des 9. Jahrhunderts Besitz im südlichen Weinviertel und an der Donau), Kremsmünster (im 9. Jahrhundert auch nördlich der Donau und im Südosten des heutigen Niederösterreich), Tegernsee, Metten, Herrieden in Franken — ein eichstättisches Eigenkloster — Moosburg, Mondsee und Mattsee (mit Besitz in der Buckligen Welt).

Vom weltlichen Hochadel wurden in erster Linie die Gau- und Grenzgrafengeschlechter im Südosten mit Land bedacht, vor allem die Wilhelminer-Engelschalke, dann die Sighardinger, die Vorfahren der später noch zu nennenden Grafen von Ebersberg, die Rapotonen und die Meginharde. Besondere Bedeutung gewannen die großen Wehrbauten und Befestigungsanlagen. Diese Großfesten, die auf Königsgut vorwiegend an der Donau bei der Einmündung von Nebenflüssen entstanden, wurden zu Mittelpunkten von Hoheitsbezirken, von Burgbezirken, aber ebenso von Gerichts·, Maut- und Zollbezirken. Sie werden meist als civitas bezeichnet und sind die Vorläufer späterer Städte und bedeutender Marktorte. An der Donau sind es Enns (die Anesapurch), Ybbs (Eparesburch, später Ibseburch), Pöchlarn (Bechelaren), Melk (Megelicha), Mautern (das Favianis

I M 9. J A H R H U N D E R T

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des 5. Jahrhunderts), Hollenburg, Tulln, vermutlich auch Wien (881 als Wenia genannt). Die Grafschaftsverfassung, die unter dem Enkel Karls des Großen, König Ludwig dem Deutschen, eingerichtet wurde, besagt nicht, daß es damit ein lückenloses Grafschaftsnetz gab. Der Graf waltete hier anstelle des Königs über den ihm unterstellten Königsgutbezirk. Wie die Maut- und Zollbezirke k n ü p f e n auch die großen Mutterpfarrbezirke an dieses Königsgut an. Aber in karolingischer Zeit sind es ebensowenig nahtlos aneinander gereihte U r p f a r r e n , sondern Königs- oder Taufkirchen f ü r einen größeren Seelsorgebezirk, andererseits klösterliche Zellen. Unter den Kirchenpatrozinien steht jenes des fränkischen Reichsheiligen St. Martin an vorderster Stelle, doch auch St. Radegund und St. Agatha kommen vor, dazu die Patrozinien der klösterlichen Mutterkirchen. Auch die Hufenverfassung w u r d e unter Ludwig dem Deutschen im östlichen Teil des heutigen Niederösterreich eingeführt. Bald nach der Mitte des 9. J a h r h u n d e r t s finden wir genaue Zahlenangaben von Hufen und Mansen bei Gutsschenkungen. Es handelt sich in erster Linie um das nutzbare, f ü r den Anbau geeignete Land, wozu der oft sehr große Wald eigens ausgewiesen wird. Dabei konnte sich der Beschenkte das Ausmaß des gegebenen Landes in einzelnen Teilstücken je nach günstiger Lage in einem größeren Raum aussuchen. Mit Zurodung zum ursprünglichen Schenkungsgut wurde stillschweigend gerechnet. Später wird ausdrücklich die Erlaubnis dazu gegeben. König Ludwig der Deutsche ist 876 gestorben. Schon während seiner späteren Regierungszeit w a r es zu Gegensätzen in seinem Hause gekommen. Nach seinem Tode w u r d e Graf Aribo als Markgraf an der Donau eingesetzt, was zu schweren Kämpfen mit den Söhnen der 871 gefallenen Grenzgrafen Wilhelm und Engelschalk f ü h r t e . Karlmanns Sohn und Nachfolger Arnulf (887—899, seit 896 Kaiser) unterstützte die WilhelmEngelschalk-Söhne. 893 w u r d e der Letzte der Wilhelm-Engelschalk-Sippe gestürzt. In diesem Zusammenhang k a m es auch zur Empörung Isanrichs, des Sohnes Markgraf Aribos gegen Kaiser Arnulf. Die Stellung der Wilhelminer in Oberpannonien und Karantanien n a h m nun der bayerische Graf Liutpold ein. Dazu befanden sich eine Grafschaft im Donaugau und die wichtige Grafschaft im Nordgau in seinem Besitz, die zugleich Schutz und Sicherung gegen die angrenzenden Böhmen gewährleistete — wie Liutpold ja ü b e r h a u p t die ganze bayerische Ostgrenze überwachte. Er ist „der Markgraf", marchio und dux, der bedeutendste Mann in Bayern 5. Inzwischen w a r im Norden eine neue Großmacht entstanden, das Großmährische Reich der Moimiriden, während vom Osten her eine weit größere Gefahr drohte, durch das aus den ural-altaischen Steppen kommende und in der zweiten Hälfte des 9. J a h r h u n d e r t s in die ungarische Tiefebene eingedrungene Reitervolk der Ungarn. Das Großmährische Reich, das Rastislaw, Moimir und Swatopluk-Zwentibold beherrschten,

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1. B E S I E D L U N G D E S O S T L A N D E S

reichte weit ins nordöstliche Niederösterreich hinein, hat aber zeitweise die Oberhoheit des fränkischen Reiches anerkannt. Gegensätze im Königshaus und die Untreue einzelner Grenzgrafen, die sich auf die Seite Swatopluks schlugen, ermöglichten es diesem, mehrmals gegen die Donau in vorwiegend deutsch besiedelte Gegend vorzustoßen. Doch über das Stockerauer-Korneuburger Hügelland und die nördliche Donau-Wagramstufe dehnte sich das Großmährische Reich gegen Süden nicht aus. Auch die vermeintlichen „slawischen" oder „großmährischen" Burgwälle (ζ. B. Heidenstatt bei Eggenburg, Oberleiserberg) sind teils ältere Wehranlagen, teil jüngere „Hausberge". Im Jahre 881 kämpften die Ungarn zum ersten Mal vor Wien, primum bellum ... ad Weniam heißt es in d e r Quelle 6, ein Ereignis, dem wir die älteste Nennung von Wien verdanken. Doch zogen die Ungarn zunächst gegen das großmährische Reich und vernichteten es im J a h r 905. Dann aber wandten sie sich — besonders seit dem Tod Kaiser Arnulfs — gegen Westen und bedrohten die Grenzgebiete des ostfränkischen Reiches. Wohl waren hier, besonders an der Donau vor und um 900,' ältere Wehrbauten in Stein ausgebaut und neue errichtet worden. Wir hören von civitates und urbes, vor allem von Ennsburg, Stiraburg, Eparesburg-Ybbs und Mautern. Markgraf Liutpold hatte als Stammesführer ähnlich einem bayerischen Stammesherzog eine königgleiche Stellung erlangt. Dodh im Jahr 907, am 5. Juli, wurde der bayerische Heerbann bei Preßburg (ad Brezalauspurc) von den Ungarn vernichtend geschlagen und das Land bis zur Enns besetzt. Markgraf Liutpold fiel und mit ihm der Metropolit des ganzen Raumes, Erzbischof Thietmar von Salzburg sowie die Bischöfe von Freising und Säben und ein Großteil des bayerischen Adels 7. Vier Jahre später, 911, starb der letzte männliche Karolinger, Ludwig das Kind. Das Reich, Bayern und die bayerische Mark im Osten waren verwaist, Pannonien dauernd verloren, die östlichen Randgebiete des Reiches, die plagae orientales, wie sie schon 854 und 892 genannt werden, aber auch Bayern selbst schutzlos den Magyaren preisgegeben. Freilich lag nicht — das sei entschieden betont — das ganze Land wüst und zerstört, ohne jede gesicherte Besitzzugehörigkeit. Die vorausgehende Siedlungs- und Kulturtätigkeit war nicht vernichtet, wenn auch gehemmt oder zum Teil lahmgelegt. Auch die alten Herrschafts- und Besitzverhältnisse waren nicht verschüttet. Wir wissen, daß sich karolingische Besitzverhältnisse weitgehend erhalten haben. Wir finden im späteren 10. J a h r hundert großteils die gleichen Grundherren wie vor dem Ungarneinfall. Die Besitzungen der bayerischen Hochstifte und Klöster sind in den gleichen Händen und jene der weltlichen Großen zumeist ebenso, bzw. in den Händen ihrer Erben und Verwandten. Als später die bayerischen Klöster Klage führen über die ihnen durch Herzog Arnulf (t 937), den Sohn des 907 gefallenen Markgrafen Liutpold, entzogenen Güter, da finden sich für Niederaltaich und Tegernsee direkte Hinweise auf ihre

E I N F Ä L L E DER U N G A R N

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Güter in Austria, im Viertel ob dem Wienerwald und in der Wachau. Der Bischof von Passau hatte sich in den Besitz des ursprünglich tegernseeischen Klosters St. Pölten gesetzt 8. Drakulf, der Bischof von Freising, der 926 auf einer Fahrt donauabwärts verunglückte, befand sich wohl auf dem Wege zum Besuch der Besitzungen seines Hochstiftes an der Donau, besonders in der Wachau und im unteren Kamptal.

Die Ungarn schweiften bis weit hinein nach Bayern und Schwaben, über den Rhein und bis zur norddeutschen Küste und hinunter bis nach Oberitalien. Die zeitgenössischen Annalen, besonders die Fortsetzung des Regino von Prüm, die alten, zum Teil verlorenen Salzburger, die Regensburger sowie die Reichenauer Annalen geben uns Zeugnis davon 9 . Die Ungarn besaßen vor allem die volle Oberhoheit über das Land östlich der Enns. So wie wir aus dem Nibelungenlied schließen dürfen, daß in oder bei Pöchlarn ein deutscher Grenzgraf unter ungarischer Herrschaft gebot, so blieben auch viele Siedlung- und Wehranlagen in den Händen früherer Besitzer, aber unter der Gebietshoheit ungarischer Herren. Auf eine durch längere Zeit in Besitz gehaltene Siedlung mag vielleicht der Name pines abgekommenen Ortes auf dem Ybbsfeld hinweisen: Valwa = magyar. „Dorf". Wohl konnte Herzog Arnulf, der zur Zeit der Schwäche der ostfränkischen Königsgewalt das „jüngere" bayerische Stammesherzogtum wieder aufgerichtet hatte, vorübergehende Erfolge gegen die Ungarn erringen, so schon 909, dann 910 bei Neuching (nahe Erding) und 913 am Inn 10. Der östliche bayerische Gau, der Traungau, zwischen der Traun bzw. Aschach und der Enns, war 909 noch in den Händen des Markgrafen Aribo. Dieser erhielt im gleichen Jahr, zusammen mit dem Erzbischof Pilgrim von Salzburg, je zur Hälfte die königliche Abtei Traunsee, wahrscheinlich das heutige Altmünster. Schon zwei Jahrzehnte später (930) finden wir weiter nördlich, westlich der Traun, für den Ort Bachmanning an der Fils (Bez. Lambach) die Grafschaft eines Grafen Meginhard 11 genannt, von der es ausdrücklich heißt, daß sie „im Traungau" liegt. Meginhard war der Ahnherr der späteren Grafen von Formbach und Rateinberg, von denen sowohl die Traungauer als auch die Babenberger später Besitz- und Hoheitsrechte erbten.

Nichts aber hören wir in den Urkunden und erzählenden Quellen über das Land östlich der Enns, das ehemalige Markland. Und trotzdem ist es auch organisiert und in Hoheitsgebiete gegliedert, freilich unter ungarischer Herrschaft. Vorsichtige Schlüsse dürfen wir aus literarischen Quellen ziehen, den deutschen Heldenepen, besonders aus dem Nibelungenlied. Das Nibelungenlied, in dem sich bekanntlich verschiedene Sagenkreise mit geschichtlichen Vorgängen — vorwiegend aus dem 8.—10. Jahrhundert vermengen, und in dem mehrere zeitliche Schichten zu erkennen sind, wurde im letzten Viertel des 10. Jahrhunderts unter Bischof Pilgrim

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1. B E S I E D L U N G D E S O S T L A N D E S

von Passau lateinisch aufgezeichnet. Dabei wurden die Hunnen und Etzel mit den Ungarn und ihrem Herrscher identifiziert. Nach dem Lied gebietet Markgraf Rudeger (der Name ist nicht historisch belegt) von Bechelaren, der dem Hunnenkönig Untertan ist, über das Land östlich der Enns. Das bedeutet f ü r das 10. J a h r h u n d e r t , ein deutscher Graf hat — unter ungarischer Herrschaft — seinen Sitz in oder bei Pöchlarn, auf altem Regensburger Gebiet. Aber dieser Graf muß auch noch knapp westlich der Enns geboten haben, denn bereits bei Ense auf dem Feld versorgt Rudeger Kriemhild und ihr Gefolge, wobei sie von seiner Gemahlin hie in disem lant begrüßt wird. Pöchlarn und Melk werden als Burgen im Hoheitsbereich Rudegers genannt. In Melk wird den Burgundern die Straße gegen Mautern ins Osterlant gewiesen. Hier in Mautern, auf altem Passauer Besitz, nimmt Bischof Pilgrim von seiner Nichte Kriemhild Abschied. Bis an die Traisen aber kommen ihnen bereits hunnische Abgesandte entgegen. In Traismauer, auf dem rechten, östlichen Traisenufer, hat Etzel eine mächtige Burg. Die Traisen also scheint die Grenze vom unmittelbaren Hoheitsbereich Rudegers gegen das sogenannte Osterlant — im Heldenepos „Die Rabenschlacht" Isterrîch genannt — gewesen zu sein. Bis Tulln kommen zuerst die untertänigen Fürsten Etzels und dann er selbst mit Dietrich von Bern zum Empfang Kriemhilds, der königlichen Braut, entgegen. In Wien aber wird die Hochzeit und das Beilager gefeiert. Erst jetzt, vermutlich an der Fischa, wo auch das Gebiet der Awaren nach ihrer Niederlage durch Karl den Großen endete, beginnt das „Heunenlant", die Hiunische marke der „Rabenschlacht". Als erste Stadt dort wird Heimenburc (Deutsch Altenburg) an der Donau genannt, von dem P e r sonennamen Heimo, nicht von den Heunen abgeleitet. Gewisse Unklarheiten ergeben sich noch bezüglich der Ostgrenze des unmittelbaren Hoheitsbereiches Rudegers. Im Èpos „Biterolf und Dietleib" wird ausdrücklich die Burg Mautern als erste im Osterlant genannt, sodaß also jener Bereich des „heunischen" Grenzlandes n u r bis zum Ausgang der Wachau oder gar n u r bis zur Pielach gereicht hätte, an der übrigens später auch die Osterburg liegt 1 2 . Zweifellos hat es Schwankungen der Grenze, entsprechend den jeweiligen Machtverhältnissen gegeben, aber die Traisengrenze scheint mehr Bedeutung gehabt zu haben. Die in der zweiten Hälfte des 10. J a h r h u n d e r t s errichtete Ottonische Mark hat, wie wir hören werden, im Osten bis zum Wienerwaldkamm gereicht. Von der Enns bzw. etwas westlich davon bis zur Traisen erstreckt sich der Bereich Rudegers im Epos „Die Rabenschlacht", wo er der milte genannt wird. Ob er unter sich Grafen hatte, berichtet das Epos nicht. Das Nibelungenlied erwähnt bloß einen Gefolgsmann in Melk, dessen Bereich sich bis Mautern erstreckte. Sicher aber darf man einen Hoheitsbereich um Persenbeug—Ybbs annehmen, über den die Ahnherren der so bedeutenden Grafen von Ebersberg geboten, die 1045 ausstarben. Diese Ebersberger sind zweifellos die bedeutendsten unter den Nachkommen und Verwandten der karolingischen Grafengeschlechter, die hier in diesem

DAS NIBELUNGENLIED

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östlichen Grenzgebiet Grundbesitz hatten. Vielleicht stellen einige Flußläufe des Namens „Marbach" ( = Grenzbach) verschiedene Stadien der Grenzlinien gegen das ungarische Herrschaftsgebiet dar 13.

2. KAPITEL

Die Errichtung einer bayerischen Mark an der Donau

τ

JLm J a h r e 907 war, wie gesagt, Liutpold, der Präfekt und Markgraf Bayerns und der Mark, gefallen. Er hatte als Graf in Bayern, besonders im Donaugau und im Nordgau wie auch in Kärnten bedeutenden Besitz. In erzählenden Quellen, besonders später bei Aventin, wird er als dux genannt, einmal sogar orientalis Boiariorum limitis dux, ebenso aber auch, auf· den Nordgau bezogen, dux Boemanorum. Ausdrücklich wird er als nepos, Vetter (von Vaterseite) Kaiser Arnulfs bezeichnet. Liutpolds Sohn Arnulf nennt sich ausdrücklich dux Boioariorum; auch die annalistischen Quellen nennen ihn so. Tatsächlich hat er während der Schwäche des Königtums das jüngere Stammesherzogtum zur vollen Entwicklung gebracht. Er war dem Vater in dessen Besitzungen und seinen Ämtern im bayerischen Nordgau an der Donau und in Ostfranken gefolgt 1 . Ein dramatischer Kampf entbrannte zwischen den bedeutendsten ostfränkischen Grafengeschlechtern, den Konradinern und den „Babenbergern", die ihren Namen nach der Stammburg auf dem Domberg von Bamberg trugen und nach dem Stammvater auch als „Popponen" bezeichnet wurden. Arnulf schlug sich auf die Seite der Konradiner. Als Folge dieses Kampfes sind Anfang des 10. Jahrhunderts die letzten drei männlichen Nachkommen des alt-babenbergischen Hauses teils gefallen, teils wurden sie hingerichtet, während der Konradiner Konrad, Herzog von Franken, im Jahre 911 zum deutschen König gewählt wurde. Die Witwe des 907 gefallenen Markgrafen Liutpold, Kunigunde, vermählte sich mit ihm. Aber ihr Sohn aus erster Ehe, Herzog Arnulf, der bereits große Erfolge gegen die Ungarn errungen hatte, geriet in Gegensatz zu seinem Stiefvater. Er wurde vertrieben und floh 915 zu den Ungarn. 916 zurückgekehrt, wurde er mit seinem jüngeren Bruder Berthold neuerlich vertrieben. Als König Konrad 918 starb und in der Königswahl Heinrich, der Herzog von Sachsen, als Nachfolger ausersehen war, stellten bayerische und teil-

HERZOG ARNULF VON BAYERN

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weise auch fränkische Grafen Arnulf als Gegenkandidaten auf. Er selbst fühlte sich königgleich in seinem regnum Bayern. Damals — im Jahre 919 — erscheint zum ersten Mal der Terminus regnum Teutonicorum, als dessen rex Arnulf vom bayerischen Adel angesehen wurde 2 . Aber Arnulf mußte auf seine Ansprüche gegenüber Heinrich von Sachsen verzichten, der übrigens durch seine Mutter Hadwig, eine Schwester der Anfang des Jahrhunderts liquidierten Babenberger, mit diesem ostfränkischen Grafengeschlecht engst verwandt war. Arnulf brachte es in Bayern zu reichem Besitz und bedeutendem Einfluß, den er nach innen durch Ernennung von Bischöfen und Konfiskation von Kirchengut 3 und nach außen durch seine selbständige Außenpolitik gegenüber den Böhmen und Ungarn zur Geltung brachte. 927 Schloß er einen Friedensvertrag mit den Ungarn. Vielleicht kam damals schon die um 900/901 wehrhaft ausgebaute Ennsburg — noviter constructa, sagt eine Urkunde König Ludwigs des Kindes von 901 4 — aus der Hand des Eigenkirchenherrn, des Bistums Passau, in den Besitz des bayerischen Herzogs. Herzog Arnulf hat auch die bayerische Landeskirche selbständig organisiert; um die Sicherung des deutschen Südostens gegen die Ungarn erwarb er sich bleibende Verdienste. Das gilt in noch größerem Ausmaß f ü r König Heinrich I. Im J a h r e 933 hat er bei Riade an der Unstrut den immer wieder in Deutschland einfallenden Ungarn eine schwere Niederlage beigebracht, ohne allerdings diesen Einfällen ein Ende bereiten zu können. Jedoch gelang es Heinrich seinerseits durch Verteidigungsmaßnahmen, vor allem in Sachsen ein Abwehrsystem aufzubauen, in dessen Mittelpunkt Wehrbauten, Fluchtburgen und Burgplätze mit zugehörigen Burgbezirken standen. Andererseits trat er dem Feind durch den Aufbau eines Heerbannes zu Pferde mit dessen eigenen Waffen, einem Reiterheer, entgegen. Es nahm auch ein bayerisches Aufgebot an der Schlacht und am Sieg des deutschen Königs bei Riade teil. 936 starb König Heinrich. Ohne Schwierigkeiten folgte ihm sein Sohn Otto auf den deutschen Königsthron und selbstverständlich auch als Herzog von Sachsen. Im August des gleichen Jahres wurde er zum deutschen König gekrönt. Schon im J a h r darauf, im Sommer 937, starb Herzog Arnulf von Bayern. Die Macht und die bedeutende Stellung der Liutpoldinger schien durch seine Herrschaft gefestigt. Gegen die Ungarn und gegen die Böhmen hatte er Erfolge errungen. Sein Bruder Berthold w a r Graf im Vintschgau und im unteren Engadin. Seine Tochter Judith war mit Heinrich verheiratet, dem Bruder König Ottos. Schon im J a h r e 935 hatte Arnulf seinem ältesten Sohn Eberhard als seinem Nachfolger in Bayern, im regnum Baiowariorum, huldigen lassen 5 . Nach dem Tode des Vaters folgte ihm dieser sogleich als Herzog von Bayern. Als er aber dem neugewählten deutschen König Otto I. den Treueid verweigerte und sich empörte, wurde er vertrieben; sein Name taucht nach 938 in den Quellen nicht mehr auf.

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2. D I E E R R I C H T U N G E I N E R B A Y E R I S C H E N M A R K A N D E R D O N A U

An dem Aufstand E b e r h a r d s gegen König Otto scheinen sich auch noch andere B r ü d e r beteiligt zu haben. Einer von ihnen, Arnulf, nach dem Vater genannt, floh vermutlich nach Kärnten, die anderen u n t e r w a r f e n sich. Wenngleich auch manche Rechtsminderung f ü r die Liutpoldinger eintrat — vermutlich k a m damals der Nordgau vorübergehend zu Ostfranken —, so verblieb doch die bayerische Herzogswürde diesem Hause. Sie ging auf Berthold, den königstreuen Bruder des verstorbenen Herzogs Arnulf über. Mit Bayern w a r die Verwaltung von Karantanien verbunden, so daß Herzog Berthold schon zu Lebzeiten seines Bruders Arnulf als dux bezeichnet wird. Berthold hatte auch gegen die Ungarn im J a h r 943 bei Wels einen großen Sieg in Trungowe erfochten. Der Name Berthold stammt übrigens von der Mutterseite her. Kunigunde, die Mutter Arnulfs und Bertholds, in erster Ehe mit Markgraf Liutpold von Bayern (f 907), in zweiter Ehe mit König Konrad I. vermählt, war eine Tochter des schwäbischen Pfalzgrafen Berthold und eine Schwester Pfalzgraf Erchangers und Bertholds von Reisensburg. Hatte sich schon 938, zur Zeit des Aufstandes Herzog Eberhards gegen König Otto, auch dessen B r u d e r T h a n k m a r in Sachsen gegen ihn erhoben, so empörte sich 939 und neuerlich im J a h r e 941 des Königs jüngerer Bruder Heinrich gegen ihn. Jedes Mal erhielt er Verzeihung. Jetzt aber sollte ein gefährlicher Aufstand erfolgen, in den auch Bayern hineingezogen wurde. Heinrich war, wie schon gesagt, mit Judith, der energischen Tochter des verstorbenen Bayernherzogs Arnulf, verheiratet. Sie vermochte 945 ihren Onkel Berthold zur grundsätzlichen Niederlegung der bayerischen Herzogswürde zu bewegen, die nun nach dessen Tod 947 auf ihren Mann Heinrich überging, also auf einen Ottonen, oder — wie das Geschlecht nach seinem A h n h e r r n auch genannt w u r d e — einen Liudolfinger. Arnulf, der Bruder Judiths, der sich bereits 938 gegen den König empört hatte, erhielt die Würde eines bayerischen Pfalzgrafen. Aber nicht ungestört sollte sich das bayerische Herzogspaar seiner Würde und dazu des großen Besitzes aus dem Erbe Herzog A r n u l f s erfreuen, denn der Sohn König Ottos, Herzog Liudolf von Schwaben, wünschte auch die bayerische Herzogswürde zu erlangen. Er empörte sich 953 gemeinsam mit seinem Schwager Herzog Konrad dem Roten von Lothringen, dem Schwiegersohn König Ottos, gegen seinen Vater, fiel in Bayern ein und vertrieb das Herzogspaar. Auch drei B r ü d e r Judiths, der schon genannte bayrische Pfalzgraf Arnulf und seine B r ü d e r H e r m a n n und Heinrich, die als Liutpoldinger gleichfalls Ansprüche auf Bayern geltend machten, standen auf Liudolfs Seite. Der Aufstand wurde niedergeschlagen. Pfalzgraf Arnulf fiel im L a u f e der Auseinandersetzung, Heinrich wurden Güter in K ä r n t e n abgesprochen 6. Liudolf und Konrad verloren ihre Herzogtümer, w u r d e n aber begnadigt. Konrad fiel später in der Schlacht gegen die Ungarn 955, Liudolf starb 957.

ENTSCHEIDUNGSSCHLACHT

G E G E N DIE U N G A R N A M LECH

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Im J a h r 955 kam es neuerlich zur Auseinandersetzung zwischen den Deutschen und den weit nach Westen vorstoßenden Ungarn. Nach erfolgreicher Verteidigung der Stadt Augsburg gegen die anstürmenden Ungarn, bei der sich Bischof Ulrich besonders hervortat, fiel am folgenden Laurentiustag, am 10. August, in offener Feldschlacht am Fluß Lech die Entscheidung. König Otto, an der Spitze des Reichsheeres, erfocht einen großen Sieg. Die entscheidende Wende brachte der Schwiegersohn des Königs, Konrad der Rote, der in der Schlacht fallend, seine Treue unter Beweis stellen konnte 7 . Das Heer aber rief (nach einer unsicheren Überlieferung) am Abend des Tages König Otto zum imperator aus 8. Weit hinein in die ungarischen Ebenen wurden die Ungarn zurückgetrieben. Nun war nicht nur der deutsche Südosten endgültig gesichert, sondern auch die Grundlage zur Seßhaftigkeit der Ungarn gelegt; damit blieben auch Nord- und Südslawen dauernd getrennt. Unverzüglich schritt der König an die Sicherung dieses südöstlichen Grenzgebietes, was zugleich seine Eingliederung in das deutsche Reich bedeutete. Ein Vierteljahr nach der Schlacht auf dem Lechfeld war Herzog Heinrich I. von Bayern gestorben. Seine Witwe Judith führte die vormundschaftliche Regierung f ü r ihren Sohn Heinrich II., der später unter dem Namen „der Zänker" bekannt wurde und in die deutsche Heldensage als „Gelphrat" eingegangen ist. Schon scheint hier im Südosten Bayerns, in oriente, ein Grenz- und Verteidigungsraum gegen Böhmen, Mähren und Ungarn eingerichtet worden zu sein, eine Mark. Neue Siedler strömten aus dem Westen, vor allem aus dem bayerischen Mutterland, in dieses wiedergewonnene und gesicherte Ostland, in dem das deutsche Leben ja nie verloschen war. Die alte Siedlungstätigkeit vor dem Ungarneinfall wird unter den gleichen Grundherren oder deren Erben wieder aufgenommen, fortgeführt und ausgebaut. Alte Besitzrechte wurden neu aufgegriffen und bestätigt. Besonders Passau und Salzburg, die sich im Missionswerk für den deutschen Südosten als Rivalen gegenüber standen, suchten ihre Rechte zu erweitern und zu vergrößern. Kolonisation und Mission gingen wieder Hand in Hand. Von einer „zweiten" oder „ottonischen" Kolonisation zu sprechen besteht keinerlei Veranlassung. Die deutsche Besiedlung des Raumes Niederösterreich vom 7. bis ins 12. Jahrhundert ist ein einheitlicher Vorgang, der freilich Vorstoß und Ballung, Rückzug und Beharrung kennt, aber im Grunde ein immer weiteres Ausgreifen in neue Räume. Nicht in bezug auf Besiedlung, wohl aber in bezug auf die politische, strategische und verfassungsrechtliche Stellung des Landes wird die Lechfeldschlacht als die „Geburtsstunde" Österreichs zu bezeichnen sein, wenngleich auch hier die Grundlagen weiter zurückreichen. Die Erfolge Ottos I. gegen die Magyaren fanden eine Parallele in seinen Erfolgen noch im gleichen Jahr 955 im Nordosten gegen die Slawen. Beide aber bildeten eine Voraussetzung f ü r die Kaiserkrönung Ottos am Lichtmeßtag des Jahres 962 in Rom. Dieser deutsche König war der Garant f ü r die erfolgreiche Abwehr und Missionierung der slawischen

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2· D I E E R R I C H T U N G E I N E R B A Y E R I S C H E N M A R K A N D E R D O N A U

und ungarischen Völker. Mit der Würde des Imperiums versehen, Nachfolger der römischen Imperatoren, Schutzherr der Kirche und der Christenheit, verantwortlich f ü r die Ausbreitung des Reiches Gottes auf Erden — so sah ihn der Papst, so sah ihn das christliche Abendland. Die Liturgie hat diese Stellung bis in die jüngere Vergangenheit in den Karfreitags- und Karsamstagsgebeten festgehalten. Er war der christianissimus imperator e. So ist es auch verständlich, wenn einige Tage nach der Kaiserkrönung im Nordosten des Reiches das in Magdeburg geplante Erzbistum die päpstliche Zustimmung erhielt und es kurz darauf mit drei Suffraganbistümern, eines davon in Merseburg, ins Leben trat. Zugleich wurden dem alten karolingischen Erzbistum Salzburg alle Freiheiten als Metropole f ü r den deutschen Südosten bestätigt; seine Erzbischöfe erhielten das Pallium, zu tragen an den Festen des Heiligen Rupert, Laurentius und Mauritius. Vom 13. Februar endlich stammt das große Privileg Kaiser Ottos f ü r die römische Kirche und Papst Johannes XII., wobei die Rechte des römischen Kaisers auf die Papstwahl anerkannt werden 10. Übrigens dürfen wir vorwegnehmen, daß an diesem Romzug Ottos im Februar 962 auch der erste österreichische Markgraf und sein Nachfolger beteiligt waren. Vermutlich war dieser Grenz- und Verteidigungsraum im Südosten, dessen Bestimmung und Aufgabe sich gegen Osten und Nordosten richtete, die bairische Mark, bereits um 960/62 organisiert, wenn uns auch eine eindeutige Nennung der Mark erst etwa zehn Jahre später vorliegt. Sie wurde einem nahen Verwandten des altbayerischen liutpoldingischen Herzogshauses übertragen, dem Gemahl einer Schwester der Herzogin Judith, der vermutlich jüngsten Tochter des alten Herzogs Arnulf. Ihren Namen kennen wir nicht. Der Name dieses Markgrafen ist Β u r c h a r d, doch was wir sonst von ihm wissen, ist eher spärlich. Vor 971 — in diesem J a h r stirbt Bischof Adalbert von Passau — wird er als Markgraf genannt und zugleich ery/ähnt, daß sich St. Pölten in seinem Hoheitsbereich befindet. Im Jahre 972 erfahren wir, daß „Wachau" — d. i. St. Michael — als Passauer Bistumsgut in seiner marchia liegt n . Aus erzählenden Quellen kennen wir noch weitere Daten aus seinem Leben. Er ist nach der Vita Bischof Ulrichs von Augsburg (t 973) der Vater dessen Nachfolgers, des Bischofs Heinrich. In der Sachsengeschichte Widukinds von Corvey aus der Zeit um 980 wird berichtet, daß Herzog Heinrich von Bayern (t 955) einen miles von geringem Vermögen dadurch ehrte, daß er ihn mit der Schwester seiner Frau Judith, der Liutpoldingerin, verheiratete und ihn so zu seinem „Verwandten" machte. Und endlich ist in einer RegensburgSt. Emmeramer Quelle aus der ersten Hälfte des 11. Jahrhunderts die Rede von einem edlen Vasallen Burchard, dem Markgrafen und Burggrafen von Regensburg (marchicomes et prefectus Ratisbonensis)12. Burchard war also etwa um 953 Inhaber der Burgherrschaft Regensburg

E M P Ö R U N G D E S H O C H A D E L S G E G E N OTTO II.

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und hatte zweifellos in Pöchlarn seinen Sitz — wie der Rudeger von Bechelaren aus der Sage. Schon im Jahr 832 war ja das Gebiet um Pöchlarn an das Kloster St. Emmeram gekommen. Burchard war wohl auch Vogt von St. Emmeram. Schließlich darf auch noch darauf hingewiesen werden, daß Burchard in dem obengenannten bedeutungsvollen Privileg Ottos I. f ü r die römische Kirche vom 13. Jänner 962 unter den hochadeligen Zeugen aufscheint. Zwei Grafen dieses Namens sind darin als Zeugen genannt. Mit anderen Worten: der zum Markgrafen der eben aufgerichteten Mark ernannte oder als solcher in Aussicht genommene Burchard hat den Romzug und die Kaiserkrönung Ottos I. mitgemacht I3. Über das Schicksal Burchards berichten uns die Quellen nach seiner Nennung vom Jahr 972 nichts Näheres. Sicher ist nur, daß er nicht bis an sein Lebensende Markgraf der bayerischen Mark an der Donau blieb. Und wieder müssen wir auf das Geschehen im Reich und im Herzogtum Bayern blicken, von dem ja die Mark lehensrechtlich abhängig war. Im Jahr 973 — nach 37jähriger Regierung — war Kaiser und König Otto I. in Memleben gestorben. Ihm folgte sein gleichnamiger Sohn Otto II., der bereits 967 in Rom zum Kaiser gekrönt und Mitregent seines Vaters geworden war. Auch Bischof Uirich von Augsburg starb 973. Schon 993 wurde er im ersten feierlichen Kanonisationsprozeß heilig gesprochen. Sein Nachfolger wurde in nicht ganz einwandfreier Wahl Bischof Heinrich, der Sohn Markgraf Burchards, gefördert von Herzogin Judith, der Schwester seiner Mutter, bestätigt aber von dem jungen König Otto II. Hingegen übergab dieser nach dem Tode Herzog Burchards von Schwaben (t 973) dieses Herzogtum nicht an dessen Witwe Hadwig, die ja seine Schwester war, sondern seinem Neffen Otto, dem Sohn des einst gegen seinen Vater König Otto I. aufständischen Liudolf. Und Bayern? Schon im Sommer 974 empörte sich Herzog Heinrich II. von Bayern gegen seinen kaiserlichen Vetter. Mit Heinrich im Bunde war auch Berthold von Reisensburg und die Witwe des früheren Herzogs Berthold von Bayern (f 947) 14; vor allem aber Herzog Boleslaw II. von Böhmen und Herzog Mieszko von Polen. Doch der Kaiser setzte sich rasch durch, Herzog Heinrich mußte sich stellen und wurde in Haft genommen. Eine Strafexpedition ging nach Böhmen. Boleslaw II. und Mieszko huldigten im Jahre 973 dem Kaiser. Damals wurde das Bistum Prag errichtet, zu dessen Diözese auch Mähren und die slowakischen Randgebiete gehörten. Im Jahr 976 konnte Herzog Heinrich aus der Haft entkommen. Er zog sich nach Regensburg zurück und entfachte einen neuen Aufstand gegen den Kaiser, an dem sich auch zahlreiche sächsische Hochedle und wieder Herzog Boleslaw von Böhmen beteiligten. Aber Regensburg wurde eingenommen, der Herzog flüchtete nach Böhmen und wurde seines Herzogtums verlustig erklärt, das nun gleichfalls Herzog Otto von Schwaben, der Neffe des Kaisers, erhielt. Am 21. Juli 976 ist er als Herzog von Bayern nachgewiesen 15.

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· DIE ERRICHTUNG EINER BAYERISCHEN MARK AN DER DONAU

Dieses Herzogtum Bayern wurde nun wesentlich verkleinert, denn das alte Karantanien wurde als selbständiges Herzogtum Kärnten zusammen mit der Mark Verona von Bayern abgetrennt. Es war freilich zu einem Personal- bzw. Titular-Herzogtum geworden, dem in steter Abfolge Herzoge aus verschiedensten Hochadelsgeschlechtern des Reiches vorstanden, und das daher nicht den Ansatz zur frühen Ausbildung eines Territorial-Herzogtums in sich trug. Zunächst — 976 können wir es nachweisen — wurde es Heinrich, dem Sohn des früheren bayerischen Herzogs Berthold, verliehen, also wieder einem Angehörigen des alten Liutpoldingischen Hauses. Es war übrigens ein gebräuchlicher Grundsatz der Reichsregierung, einen Verwandten eines aufständischen Hochadeligen wieder teilweise in Besitz- und Hoheitsrechte desselben einzusetzen. Auch Herzog Boleslaw von Böhmen wurde neuerlich zur Huldigung gezwungen.

Aber noch eine andere Veränderung — f ü r unser Thema von entscheidender Bedeutung — muß im Zusammenhang mit dem Aufstand Herzog Heinrichs II. von Bayern vor sich gegangen sein. Im J a h r 976, am 21. Juli, finden wir bereits einen marchio Liutpaldus f ü r die bayerische Mark an der Donau le . Vermutlich hatte sich Burchard an dem Aufstand seines Neffen und Lehensherrn, des bayerischen Herzogs, beteiligt und ist so seiner Mark verlustig gegangen. Er scheint als Graf nodi einige Zeit gelebt zu haben und ist vermutlich um 980/81 gestorben 1 7 . Ein neuer Mann trat nun in der Mark auf, zweifellos ein solcher, der sich des Vertrauens des Königs und Kaisers erfreute. Es war der Ahnherr eines Geschlechtes, das nun durch 270 Jahre hindurch die Mark und das spätere Herzogtum Österreich leiten sollte — das Geschlecht, das bis heute unter dem Namen der (jüngeren) „Babenberger" bekannt ist I 8 . Vergegenwärtigen wir uns kurz die Situation dieser südöstlichen Mark Bayerns an der Donau zur Zeit ihres ersten nachweislichen Markgrafen Burchard. Diese Ottonische Mark ist etwas grundsätzlich anderes als die von Karl dem Großen eingerichteten karolingischen Marken. Diese waren großräumig, weitausgreifend gewesen, im Vorfeld des Reiches gelegen, ohne geschlossene Grenzen, nach Osten offen. Sie boten die Möglichkeit zu intensiver Kolonisation in abhängigen, wenig organisierten Vasallenstaaten und wurden von einem Markgrafen oder Präfekten geleitet, deren letzter Liutpold im Kampf gegen die Ungarn 907 gefallen war, und dem mehrere Grafschaften und Grafen, comités terminales genannt, unterstanden. Die Ottonischen Marken waren von vornherein auf Verteidigung eingestellt, auf feste Grenzen zielend, deren Festlegung, oft der Besiedlung vorauseilend, auf weite Sicht erfolgte. Sie stehen ja bereits geschlossenen Staatsverbänden wie Böhmen, Mähren und Ungarn gegenüber. Nur in kleineren Vorstößen konnten allmählich die Grenzen vorgeschoben werden, abgesehen von den noch vielfach unbesiedelten Waldgebieten, wie etwa im Nordwesten des Landes, dem sogenannten Waldviertel. Freilich war Landgewinn durch Eroberungen noch immer möglich, wie es im Nordosten unseres Landes, dem Weinviertel, etwa vom DonauWagram bis zur Pulkau und Thaya im 11. Jahrhundert geschah. Die Mark

D A S WESEN DER OTTONISCHEN MARK

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wird als Glied eines festgefügten Wehrsystems organisiert, das sich an der Ostgrenze des Reiches von Norden nach Süden erstreckt. Die Markgrenze ist zugleich Reichsgrenze, und im Vorschieben des Markbodens wird auch Reichsboden und letztlich auch deutscher Volksboden gewonnen. Der Markgraf ist der Stellvertreter des Königs und Führer des militärischen Aufgebotes in der Mark und zu ihrer Verteidigung verpflichtet. Er gebietet selbst über mindestens e i n e Grafschaft in der Mark. Daneben gab es aber in der Mark noch andere Grafschaften; südlich der Donau zumindest zwei. Innerhalb der Mark ist der Boden als erobertes Gebiet — abgesehen von dem in festen Händen befindlichen, ererbten und kontinuitätsgebundenen Besitz — weitestgehend Königs- und Reichsland. Hier besteht nicht nur die Möglichkeit, das Land großräumig zu kolonisieren und bestehende Siedlungen intensiv auszubauen, sondern auch zu reichen Königsschenkungen. Alle rechtlichen und wirtschaftlichen Eigenheiten der Mark haben militärischen Charakter und sind vom Grenzlandstandpunkt und dessen Notwendigkeiten bestimmt. Lehensrechtlich ist die Mark jedoch zunächst vom Herzogtum Bayern abhängig, von ihm geht sie unmittelbar zu Lehen, sie gehört zum Herzogtum Bayern. Darum ist das Schicksal der Mark in diesen Zeiten mit dem Schicksal Bayerns eng verbunden, wie das die Ereignisse von 974/75 deutlich zeigen. Über den Umfang dieser von Burchard geleiteten Mark an der Donau ist etwa folgendes zu sagen 18 : im Westen bildet die östlichste bayerische Grafschaft, jene im Traungau, die schon in der Karolingerzeit mit der Mark verbunden war, den Ausgangspunkt, westlich der Enns also, wobei ein anliegender Streifen am östlichen oder westlichen Ufer noch etwas ungeklärt bleibt. Im Süden erstreckt sich die Mark unbestimmt in das Hügel- und Bergland der Voralpen, im Norden, gleichfalls unbestimmt, als verhältnismäßig schmaler Streifen nördlich der Donau und am Unterlauf ihrer Nebenflüsse (Weiten, Krems, Kamp), dann übergehend in den vom 9. bis 12. Jahrhundert genannten „Nortwalt", den Grenzwald zwischen Bayern und Böhmen, der im Mühl- und Waldviertel gegen die Donau zu ausläuft. Im Norden und Süden wird also der Grenzsaum erst allmählich zur Grenzlinie — ein allgemeines Gesetz der Grenzbildung. Man soll nicht versuchen, einzelne später genannte Orte schon in der Frühzeit einem bestimmten Hoheits- oder Territorialgebiet zuzuorden. Im Nordosten liegt die Grenze auf der die Donau nördlich begleitenden Höhenstufe des „Wagrams" (des „Wogen-Raines"), also zwischen dem unteren Kamp und dem unteren Göllersbach. Dort ist sie, wie sich erweisen läßt, schon im 9. Jahrhundert gegen das „Großmährische Reich" verlaufen und bleibt so bis in das erste Drittel des 11. Jahrhunderts bestehen 20 . Im Osten findet sich eine ähnliche feste Linie an dem SüdwestNordost streichenden nördlichen Kamm des Wienerwaldes bzw. den parallel dazu gerichteten Flußläufen der Großen und Kleinen Tulln. Gegen Osten und Nordosten wird die Grenze in der Folge im Kampf vorgetragen, gegen Norden aber in zäher Kolonisationsarbeit. Im Süd-

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2· D I E E R R I C H T U N G E I N E R B A Y E R I S C H E N M A R K A N D E R D O N A U

osten grenzte die Mark an Karantanien, das zur Karolingerzeit bis zum Semmering und bis zu den Quellflüssen der Rabnitz in der Buckligen Welt reichte. Das entsprach auch der Diözesangrenze von 829. In der ersten Hälfte und Mitte des 11. Jahrhunderts wird die Nordgrenze der karantanischen Mark bis zur Fischa und zur Piesting und bis zum Kalkvoralpen-Höhenzug vorgeschoben, wo sie bis in den Anfang des 16. J a h r hunderts verläuft. Es wäre nicht unmöglich, daß dieser Gebietsverlust am Boden der bayerischen Mark zugleich mit der Schmälerung des Herzogtums Bayern und der Errichtung des Herzogtums Kärnten im J a h r 976 erfolgt ist; doch wäre diese Grenzverschiebung auch am Anfang des 11. Jahrhunderts, bzw. nach den Erfolgen gegen die Ungarn vor der Mitte des 11. Jahrhunderts denkbar 2 1 . Der deutsche König ist, wie gesagt, der Herr allen eroberten, herrenlosen oder konfiszierten Landes. Aus diesem Königsland erfolgen dann, seit dem Ende des 10. und das ganze 11. J a h r h u n d e r t hindurch, andauernde Schenkungen und teilweise auch Verleihungen an Hochstifte und Klöster und an weltliche Herren, darunter auch — aber keineswegs überragend — an den Markgrafen. Die mit „König-" zusammengesetzten Orts- und Flurnamen deuten vielfach auf Halte- und Grenzpunkte solchen Schenkungsgutes 22.

3. KAPITEL

Das Geschlecht der „Babenberger" und seine Herkunft

w

V V ir hörten, daß im Jahre 976, am 21. Juli, erstmals ein Marchio Liutpoldus urkundlich genannt wird. Es handelt sich um den Nachfolger des Markgrafen Burchard, der vermutlich im Aufstand Herzog Heinrichs von Bayern seine Mark verloren hat. Seine Einsetzung erfolgte zu Ende 975 oder Anfang 976 Die genannte Urkunde zeigt ihn zusammen mit Bischof Heinrich von Augsburg, dem Sohn des erwähnten Burchard, in Regensburg als Intervenient bei Kaiser Otto II. f ü r das im unteren Donaugau gelegene Kloster Metten 2. Es ist anzunehmen, daß Liutpold schon damals Graf in diesem unteren Donaugau um Straubing und Deggendorf war. Eine Bestätigung dafür haben wir erst aus dem Jahre 983; damals ist die Rede von Schenkungsgütern an St. Emmeram, das 975 als selbständiges Kloster vom Hochstift Regensburg abgetrennt worden war, die „im Donaugau in der Grafschaft Liutpolds" lagen 3. Schon im Jahre 977 wird Liutpold wieder in einer Urkunde Ottos II. über die Schenkung der Ennsburg an Passau genannt. Sie wird als „im Traungau in der Grafschaft Liutpolds" gelegen bezeichnet 4 . Kein Zweifel besteht endlich, daß Liutpold auch Graf im sogenannten „Sundergau" zu beiden Seiten des Inn war, denn im Jahre 979 beschenkte Otto II. das in diesem Gau und „in der Grafschaft Liutpolds" gelegene Kloster Tegernsee 5. Markgraf Liutpold war also sicher Graf im unteren Donaugau, wo auch seine Nachfolger noch geboten, desgleichen im Sundergau und im Traungau. Kein Zweifel auch, daß er Anhänger Kaiser Ottos II. war, daß er weiter, wie schon die ersten. Urkunden andeuten, Beziehungen zu den Liutpoldingern hatte, ebenso zu den Klöstern Metten und Tegernsee; seine Nachfolger sind im Besitz von ehemals tegernseeischen Gütern, die einst Herzog Arnulf dem Kloster entfremdet hatte e . Ehe wir auf die Frage der Herkunft und Familienzugehörigkeit dieses österreichischen Markgrafen Liutpold eingehen, wollen wir uns noch

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3. D A S G E S C H L E C H T D E R

„BABENBERGER" UND SEINE HERKUNFT

kurz mit der Zeit vor seiner Einsetzung zum Markgrafen befassen. Um 963 tritt als Zeuge eines Güteraustausches mit dem Erzstift Salzburg ein comes Liutpoldus auf, den wir berechtigtermaßen bereits als den späteren Markgrafen gleichen Namens betrachten dürfen 7. Aber wir können mit der ersten Nennung des späteren österreichischen Markgrafen noch um ein Jahr zurückgehen, denn im großen Privileg Kaiser Ottos I. f ü r die römische Kirche vom 13. Februar 962 wird unter den Zeugen neben dem bereits erwähnten Markgrafen Burchard auch ein Liupo genannt — die Koseform f ü r Liutpold. Es kommt um diese Zeit kein anderer Träger dieses Namens in Betracht als eben der etwa 963 erwähnte bayerische Graf Liutpold. Wir dürfen daraus nicht nur folgern, daß dieser Adelige ein treuer Gefolgsmann des deutschen Königs und römischen Kaisers war, der ihn auf seinem zweiten Romzug und bei seiner Kaiserkrönung begleitete, sondern wir können auch die Bedeutung ermessen, die diese damals errichtete bayerische Mark an der Donau f ü r Regnum und Imperium hatte. Nun wäre es naheliegend, die Abstammungslinie des (Mark-)Grafen Liutpold von 962/63 bzw. 976 zu dem gleichnamigen altbairischen Markgrafen von 907 an der Hand des im 10. Jahrhundert seltenen Namens Liutpold zu ziehen. Der bedeutendste Träger dieses Namens war zweifellos eben dieser Markgraf Liutpold, der in der Schlacht gegen die Ungarn sein Leben verlor. Wahrscheinlich läßt sich sein väterliches Geschlecht auf einen Grafen Liutpald zurückführen, der von 806—842 eine Grafschaft um Freising verwaltete. Der Name Liutpold findet sich auch in den nächstfolgenden Gliedern dieses Geschlechtes. Sicher bestehen in weiblicher Linie verwandtschaftliche Beziehungen zu den Karolingern und Weifen 8 . Damit müssen wir nun auf das Problem der Abstammung des österreichischen Markgrafengeschlechtes zu sprechen kommen, umsomehr als dabei auch der gebräuchliche Name „Babenberger" verständlich wird. Die Bezeichnung des Geschlechtes als „Babenberger" (keiner von ihnen hat sich so genannt) stammt aus einer Nachricht bei Otto von Freising, dem Sohn Markgraf Liutpolds III., also selbst eines Babenbergers. In seiner „Chronica" (lib. VI, c. 15) läßt er sein väterliches Geschlecht von einem nobilissimus Francorum comes abstammen, führt es aber nur bis in die erste Hälfte des 11. Jahrhunderts, auf Markgraf Adalbert (1018-—55) zurück. Er sagt dazu, daß dieser von jenem fränkischen Grafen Adalbert abstamme, der 906 hingerichtet wurde. Es handelt sich um einen Angehörigen jenes f r ä n kischen Hochadelsgeschlechtes, das nach ihrem Hauptsitz auf dem Domberg zu Bamberg als die „alten Babenberger" bezeichnet wird. Sie werden oft nach ihrem Stammvater Poppo (t um 842) Popponen genannt; freilich führt diesen Leitnamen nur der jüngere Zweig des Geschlechtes, von dem später die Grafen von Henneberg abstammen 9 . Tatsächlich ist Bamberg seit 906 als Königsgut nachgewiesen, bis es 973 von Otto II. an Herzog Heinrich II. von Bayern übergeben wurde und später

DIE „ÄLTEREN

BABENBERGER'

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durch dessen Sohn, König Heinrich II., an das neu errichtete Hochstift Bamberg kam. Man hat das spätere Schweinfurter Grafenhaus auf dieses Geschlecht zurückgeführt, vor allem auf Berthold, der als Vertrauensmann des deutschen Königs und seit 941 als Graf im Nordgau, im Radenzgau, und später im Volksfeld nachweisbar ist. Der gelegentlich vorkommende Titel „Markgraf" deutet aber keineswegs auf eine Markgrafschaft des Nordgaus hin; übrigens ist dabei auch zu beachten, daß Schweinfurt im südlichsten Teil des Grabfeldgaues liegt. Berthold, der 980 gestorben ist, wurde als Bruder des ersten österreichischen Markgrafen Liutpold angesehen. Diese Meinung beruht auf der Fehlinterpretation einer Stelle bei dem Geschichtsschreiber Thietmar, Bischof von Merseburg (1009—1018), wonach Heinrich, der Sohn Bertholds, als nepos Markgraf Liutpolds bezeichnet wird 10. Nepos aber bedeutet nur ganz selten „Neffe", sondern meist „Vetter". Demnach w a r Graf Berthold, der schon 942 heiratete, nicht der Bruder sondern der Onkel des österreichischen Markgrafen Liutpold, dessen früheste Erwähnung übrigens auch 21 bis 22 Jahre später liegt als jene Bertholds. K. Reindel hat übrigens die österreichischen Babenberger seinen Liutpoldingern nicht zugezählt. Entscheidend f ü r die Ableitung Markgraf Liutpolds wie auch Bertholds vom altbabenbergischen (popponischen) Haus war die Annahme, daß sie als „Brüder", wie man überwiegend noch heute meint, von einem f r ä n kischen Grafen Heinrich abstammen, der von 912 bis 934 in Königsurkunden a u f s c h e i n t E r wurde als Sohn des 906 hingerichteten „altbabenbergischen" Adalbert angesehen, wodurch der Name „Heinrich" auch auf die Söhne beider „Brüder" Berthold und Liutpold gekommen sei< 2 . Seit dem 14. Jahrhundert nahmen österreichische Quellen in Weiterführung Ottos von Freising die Herleitung der österreichischen Markgrafen von einem nobilissimo comité Babenbergensi de genere Francorum an 13. Wir haben aber nur geringe Belege dafür, daß die österreichischen „Babenberger" am Obermain Besitz hatten: 1018 wird z. B. ein Hof in Zeil im Volkfeld durch den österreichischen Markgrafen Adalbert an Kaiser Heinrich II. geschenkt 1 4 . Auch die Besitzungen der Schweinfurter deckten sich durchaus nicht mit denen der alten Babenberger vor 906. Darauf hat schon Friedrich Stein, selbst ein Franke, seit 1872 in immer neuen Aufstellungen hingewiesen. Er hat daher die Abkunft der „jüngeren Babenberger" wohl aus Ostfranken, aber von einem anderen, allerdings verwandten Geschlecht angenommen, und als Vater der beiden „Brüder" (!) Berthold von Schweinfurt und Liutpold von Österreich einen Grafen Heinrich angenommen, eben jenen, den Geldner f ü r einen Sohn Adalberts hielt. Ob an der Ausstattung des Klosters Kastl in der Oberpfalz, das aus der Erbschaft der ausgestorbenen Schweinfurter Linie (1057) gegründet wurde, auch die österreichischen Babenberger beteiligt waren, ist unsicher. Der Name Heinrich bei den Schweinfurtern und den österreichischen „Babenbergern" ist auch auf andere Weise zu erklären, als durch die Abstammung von einem nicht recht faßbaren Grafen Heinrich als Sohn des 906 hingerichteten Grafen Adalbert. Der Name „Adalbert" aber tritt erst spät, beim jüngsten der vielen Söhne des österreichischen Markgrafen Liutpold auf.

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3. D A S G E S C H L E C H T D E R

„BABENBERGER" UND SEINE HERKUNFT

Die in diesem österreichischen Markgrafenhaus üblichen Namen sprechen f ü r eine andere Ableitung. Eine direkte Herleitung der österreichischen Markgrafen von den ostfränkischen Babenbergern im Mannesstamm darf heute als aufgegeben angesehen werden, aber mütterliche Vorfahren aus diesem Haus wären durchaus denkbar. Die Möglichkeit einer Verschwägerung der Liutpoldinger und der „alten Babenberger" haben übrigens selbst die stärksten Anwälte einer altbabenbergischen Abkunft der „österreichischen Babenberger" (Uhlirz, Reindel, Geldner) angenommen. Dabei spielt auch der Name Poppo eines der Söhne Markgraf Liutpolds eine gewisse Rolle. Im Vordergrund steht heute die Herleitung von dem altbayerischen Herzogshaus der Liutpoldinger (Arnulfinger). Sie hat zuerst Aventin in seinen „Annalen der bayrischen Herzoge" aufgestellt: Liutpold sei ein Sohn Herzog Eberhards, ein Enkel Herzog Arnulfs und ein Urenkel des von den Ungarn 907 erschlagenen Markgrafen Liutpold gewesen. Ihm sei von Herzog Heinrich von Bayern der orientalis limes zur Verwaltung übertragen worden. Das habe er bei älteren Schriftstellern gelesen 15. Die Abstammung der österreichischen Babenberger von dem altbayrischen Markgrafen Liutpold wurde immer mehr in der Forschung anerkannt, aber wie sie im einzelnen erfolgte und wer der Vater des österreichischen Markgrafen Liutpold gewesen sei, darüber gingen die Meinungen auseinander, bzw. man verzichtete auf eine konkrete Filiation. Nur darin bestand Ubereinstimmung, daß man den ersten österreichischen Markgrafen Liutpold zu einem Sohn (Tyroller) oder Enkel Herzog Arnulfs von Bayern (t 937) machte, wobei man gelegentlich auch an eine zweite Ehe desselben dachte (Mitterauer). Von den Söhnen Herzog Arnulfs wurde meist der älteste Eberhard (937/38) als Vater Markgraf Liutpolds angenommen (Klebel), gelegentlich auch dessen Bruder Pfalzgraf Arnulf (Schmitz, Sepp). Auch eine Abkunft von Arnulfs Bruder, Herzog Berthold (t 947) wurde vertreten (Gewin). Oskar Mitis, der bekannte Babenberger-Forscher, hat sich für einen Enkel des alten Markgrafen Liutpold entschieden.

Bei allen gegensätzlichen Annahmen spielen zwei Überlegungen eine Rolle: Erstens ist zu beachten, daß sowohl die Brüder Herzog Arnulf und Herzog Berthold je einen Sohn namens Heinrich haben, wie dies auch bei Graf Berthold von Schweinfurt (t 980) und bei seinem angeblichen „Bruder", dem österreichischen Markgrafen Liutpold (f 994) der Fall ist. Den Namen Heinrich leiten die Anhänger der ostfränkischen Abstammung, wie bereits gesagt, von einem angeblichen Sohn Heinrich des letzten AltBabenbergers Adalbert ab. Der Name Heinrich sei über seine „Söhne" Berthold und Liutpold an seine Enkel übergegangen. Die zweite Hauptfrage ergibt sich aus folgenden Überlegungen: Wird einem Angehörigen der Liutpoldinger, die sich wiederholt gegen das ottonische Königshaus erhoben haben, die bedeutungsvolle, lehensrechtlich von Bayern abhängige neue Mark im Südosten des Reiches anvertraut worden sein, oder

DIE VORFAHREN MARKGRAF

LIUTPOLDS

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nicht eher einem Angehörigen eines königstreuen Geschlechtes, also etwa dem Schweinfurter Grafenhaus (Berthold, Heinrich) als vermeintlichen Nachkommen der altfränkischen Babenberger? Von diesen seien auch die Namen Adalbert und Poppo in das österreichische Markgrafenhaus gekommen. Die liutpoldingischen Namen Arnulf, Eberhard und Berthold hingegen fehlen. Dazu ist zu sagen, daß das Verhältnis zwischen König Heinrich I. und Herzog Arnulf von Bayern, wie schon oben betont, in späteren Jahren ein ausgesprochen freundschaftliches war. Herzog Arnulfs Tochter Judith heiratete in diesen Jahren (936/37) Heinrich, den Sohn König Heinrichs: Somit den Bruder des späteren Königs Otto I. Der Name Heinrich ist also durchaus verständlich im Hause der Liutpoldinger. Merkwürdigerweise wurde niemals daran gedacht, Markgraf Liutpold von einem jüngeren Sohn Herzog Arnulfs abzuleiten, etwa jenem Heinrich, der sich mit seinem Bruder, dem Pfalzgrafen Arnulf, am Aufstand Liudolfs gegen seinen Vater König Otto I. beteiligt hatte. Ihm wurde Ende 953 sein Gut, curtís et castellum in Kärnten, die spätere Herrschaft Altfelden, abgesprochen. Danach ist von ihm keine Rede mehr. Dieser Heinrich würde auch zeitlich als Vater des 962/63—994 nachweisbaren (Mark-)Grafen Liutpold besser passen als jener „Altbabenberger" Graf Heinrich, der um 935 gestorben sein dürfte 16. Aber auch der Name Berthold ist im Hause der Liutpoldinger leicht zu erklären, da ja Kunigunde, die Frau des alten bayerischen Markgrafen Liutpold, die Tochter des schwäbischen Pfalzgrafen Berthold war. Diesen Namen führen dann ihr jüngerer Sohn Herzog Berthold (f 947), ihr gleichnamiger Enkel (Sohn Herzog Arnulfs), Graf im Nordgau (t 980) und ihr Urenkel Berthold von Reisensburg (t nach 976). Im Hause der Adalbertiner (Popponen) wäre dieser Name erst spät und nur dann belegt gewesen, wenn man den Nordgaugrafen Berthold für dieses Haus reklamiert. Daß die Namen Arnulf und Eberhard im österreichischen Markgrafenhaus nicht verwendet werden, ist begreiflich. Markgraf Liutpold hatte Grund, für seine Kinder andere Namen zu wählen, wohl aber hatte er eine Tochter mit dem arnulfingischen Namen Judith.

Zum zweiten Einwand ist noch zu bemerken, daß der König, ebenso wie er Liudolf und wiederholt den aufständischen Herzogen aus dem ottonischen Hause auch den Angehörigen aus dem Geschlecht der Liutpoldinger Verzeihung gewährte. Von den 938 am Aufstand Beteiligten hören wir über Eberhard nichts mehr, aber schon sein Bruder Arnulf wurde später Pfalzgraf von Bayern. Dieser und seine zwei Brüder Hermann und Heinrich und die Witwe Biltrud des 947 verstorbenen Bayernherzogs Berthold nahmen am Aufstand Liudolfs im Jahre 953 teil; Arnulf fällt. Außer einigen Güterkonfiskationen aber ergaben sich für die Beteiligten anscheinend keine bösen Folgen. In der Ungarnschlacht von 955 zeigte sich Arnulfs Sohn, Berthold von Reisensburg, als Verräter. Trotzdem wird Burchard, der Gatte einer (ungenannten) Liutpoldingerin, um 960/62 der erste Markgraf der neu errichteten bayerischen Mark an der Donau. Am Auf-

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3. D A S G E S C H L E C H T D E R

„BABENBERGER" UND SEINE HERKUNFT

stand Heinrichs des Zänkers gegen Kaiser Otto II. im Jahre 974 beteiligten sich •wieder der eben erwähnte Berthold von Reisensburg, vielleicht auch wieder die oben benannte Biltrud, und vermutlich auch Markgraf Burchard von der bayerischen Ostmark. Burchard verliert diese, aber Biltrud erhält die Güter ihres Mannes wieder zurück und ihr Sohn Heinrich wird 976 Herzog von Kärnten. Trotzdem beteiligt sich dieser schon ein Jahr später wieder am neuerlichen Aufstand Herzog Heinrichs des Zänkers. Das hindert aber nicht, daß er im Jahre 983 Herzog von Bayern wird. Wir sehen also wiederholt, daß das deutsche Königtum aufständischen Hochadeligen oder zumindest ihren nächsten Verwandten Verzeihung gewährt und ihnen immer wieder hohe Reichsämter überträgt. Es spricht nichts dagegen, daß dem Liutpoldinger Liutpold 976 die bayerische Mark an der Donau übertragen wurde, wie seinem Onkel Heinrich das Herzogtum Kärnten. Er hatte sich, so wie sein Onkel Berthold, eben auch nicht am Aufstand des Zänkers 974/75 beteiligt. Er tritt, wie wir gehört haben, bereits im Juli 976 als Intervenient für die Rückgabe entwendeter Güter an das in seiner Grafschaft liegende Kloster Metten auf, die einst sein Vetter Berthold geschenkt hatte. Von Ansprüchen, die er als Verwandter allenfalls stellen hätte können, ist keine Rede. Wenn wir nun noch die Tatsache der engen Beziehungen Markgraf Liutpolds zu den bayerischen Grafschaften und die Eintragung seines Todestages in Regensburger und Salzburger Nekrologen beachten, die ebenfalls für enge Bindungen an Bayern sprechen, so sehen wir zusammenfassend entscheidende Gründe für die liutpoldingische Herkunft des ersten „babenbergischen" Markgrafen in der bayerischen Ostmark. Auch die Vermutung, daß der Sohn Herzog Arnulfs von Bayern (t 937), Heinrich, dem'953 ein großes Gut in Kärnten konfisziert wurde, der Vater des 962/63 zuerst genannten und 975/76 zur Leitung der Mark an der Donau berufenen Liutpold sei, ist nicht abzuweisen 17. Wir halten es außerdem für wahrscheinlich, daß durch eine Tochter der fränkischen „alten Babenberger" (vermutlich des 906 hingerichteten Adalbert) eine Verbindung zwischen den beiden Häusern eingetreten ist, so daß etwa Herzog Arnulf von Baiern mit einer solchen Frau (in zweiter Ehe?) verheiratet war. Damit würde auch der Name Poppo bei einem Sohn Markgraf Liutpolds erklärt sein. In dieses Haus würde aber auch die Annahme Tyrollers führen, daß der Großvater der Gattin Markgraf Liutpolds, Graf Ernst (III.) von Sualafeld, mit einer Tochter des 906 hingerichteten Popponen Adalbert verheiratet war. Wenn wir nun nach weiteren Beziehungen fragen, die Markgraf Liutpold mit anderen bedeutenden Familien des Reiches verbanden, so versuchte man — abgesehen von der entfernten Beziehung zum ottonischen Königshaus, die durch die Vermählung Herzog Heinrichs I., des Bruders Kaiser Ottos I., mit Judith, der Tochter Herzog Arnulfs von Bayern, gegeben war, — eine viel nähere Verbindung mit dem Ottonenhaus herzustellen, indem man, auf Quellen aus der ersten Hälfte des 12. bis zum 16. Jahrhundert gestützt, eine genealogische Kombination anstellte, wonach die Mutter Markgraf Liutpolds aus dem sächsisch-ottonischen

DIE VERWANDTSCHAFT DER „ÖSTERREICHISCHEN BABENBERGER·'

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Königshaus stammte; die Ansetzung und die Generationenfolge war dabei jedoch umstritten 18. Aber schon, daß keines der Kinder Liutpolds einen Namen aus der liudolfingisch-ottonischen Familie trägt (Otto, Liudolf = Liutold, Bruno, Thankmar, Adelheid, Liutgard, Mathilde), spricht dagegen! Dies noch mehr, wenn man, wie das geschehen ist, die Gattin Liutpolds aus diesem Hause stammend erklären wollte. Für diese stehen zwar keine Urkunden, aber eine Reihe von Eintragungen in Nekrologen und Verbrüderungsbüchern zur Verfügung 19. Es sind zwei ähnlich lautende Namen, die für die Gattin Liutpolds durch einwandfreie Zeugnisse überliefert sind, und zwar immer in unmittelbarer Verbindung mit Markgraf Liutpold und meist mit der Eintragung seines Todestages: Ri(c)hkart (Salzburger Verbrüderungsbuch, Ende 10. Jahrhundert; Necr. St. Rutberti von Salzburg, Ende 11. Jahrhundert, aber auf ältere Vorlagen weisend; der älteste Melker Grabstein, überliefert in einer Handschrift aus den dreißiger Jahren des 13. Jahrhunderts) und Rihwar (Necr. von St. Emmeram, Anfang des 11. Jahrhunderts; Reichenauer Verbrüderungsbuch, Ende des 11. Jahrhunderts). Es handelt sich zweifellos um die gleiche Person, die Verschiedenheit des Grundwortes des Namens läßt sich sprachgeschichtlich erklären (Richarda = Richwarda). Der Name Richardis aber war im Hause der Eppensteiner, der späteren Herzoge von Kärnten, verbreitet: Marchwards I. (von Eppenstein, t um 960/65) gleichnamiger Sohn ist ab 970 als Markgraf (der karantanischen Mark) bezeugt und um 995/1000 gestorben. Marchward I. hatte eine Schwester und eine Tocher dieses Namens; letztere war mit Graf Ulrich von Ebersberg (f nach 1029) verheiratet. Der Sohn aus dieser Ehe, Adalbero, war mit einer Richalindis verheiratet; diese beiden waren die Stifter des Klosters Ebersberg 20 . Marchward I. hatte einen Sohn und einen Enkel namens Ernst. Auch sein (Stief-?)Vater scheint Ernst geheißen zu haben. Er war Graf im Sualafeld 2». Unsere österreichische Markgräfin Richarda (Richwarda) war vermutlich eine (Halb-)Schwester Graf Marchwards I. von Eppenstein und die Tochter Graf Emsts (IV.) vom Sualafeldgau. Diese Verbindung wird auch noch dadurch unterstrichen, daß der zweite Sohn des ersten österreichischen Markgrafen Ernst hieß 22. Marchward II. von Eppenstein war wieder mit einer Ebersbergerin verheiratet 2 3 . Wir sehen also, daß schon der erste österreichische Markgraf mit zwei höchst angesehenen Familien des Reiches verbunden war, den Eppensteinern, die seit 976 auch Markgrafen der südlich der Ostmark gelegenen karantanischen Mark, der späteren Steiermark, waren, und den Grafen von Ebersberg, die letztlich in der neuen Ostmark einen großen Hoheitsbezirk, die Grafschaft Persenbeug, innehatten. Und beide waren streng kaiserlich gesinnt. Der ältere Zweig der österreichischen „Babenberger", aber besonders der Graf im Nordgau, Berthold (t 980), führte den Titel marchi(o) comes. Der letzte männliche Schweinfurter, Otto, war in der Mitte des 11. Jahrhunderts Herzog von Schwaben. Dieses Reichsamt wurde aber schon früher im Hause der österreichischen „Babenberger" ausgeübt.

4. KAPITEL

Der erste Markgraf aus liutpoldingischem Hause — Ostarrîchi

D ie Bedeutung dieses Markgrafen wird durch die Lage seiner Mark an der Donau als Grenzland gegen Ungarn im Osten und Böhmen-Mähren im Norden noch hervorgehoben. In beiden Richtungen bestand die Tendenz, die Grenzen, die ja zugleich Reichsgrenzen waren, vorzuschieben und das Siedlungsgebiet auszuweiten. Sowohl im Inneren als auch vor allem jenseits der ursprünglichen Grenzen bot sich noch reichlich Gelegenheit zur Rodung und zur Binnenkolonisation. Betrachten wir zunächst noch das äußere Geschehen. Die Treue des Markgrafen Liutpold zum deutschen König und Reich konnte sich bereits in den ersten zwei Jahren seiner Regierung bewähren. Herzog Heinrich II., der „Zänker" genannt, war im Jahre 977 wieder in das Herzogtum Bayern eingefallen. Ihm Schloß sich Heinrich, der Sohn des einstigen Bayernherzogs Berthold und dessen Gemahlin Biltrud, an, der erst im J a h r vorher zum Herzog von Kärnten eingesetzt worden war. Heinrich, Bischof von Augsburg, beteiligte sich als dritter im Bunde. Der österreichische Markgraf aber befand sich zu dieser Zeit in der Umgebung des Kaisers Schon 978 wurde der Aufstand, an dem sich auch Böhmen wieder beteiligte, endgültig niedergeworfen, die drei Heinriche in Haft genommen, bzw. verbannt. Das Herzogtum Bayern behielt endgültig der Schwabenherzog Otto, Sohn Liudolfs und Idas von Schwaben, also ein Neffe Kaiser Ottos II. Kärnten kam an Otto, Graf im Wormsgau (Wormsfeld), aus dem Hause der Salier, als Sohn Herzog Konrads des Roten und der Liutgard gleichfalls ein Neffe des Kaisers. Aber nur fünf Jahre herrschte Otto in Kärnten. 983 starb Herzog Otto von Bayern und Schwaben. Jetzt wurde der verbannte, ehemalige Kärntner Herzog Heinrich, der Liutpoldinger, zum Herzog von Bayern erhoben und zugleich wieder Herzog von Kärnten. Im Jahre 984 lieferte Heinrich der Zänker den jungen Sohn des verstorbenen Kaisers Otto II., der sich in seiner Gewalt befand, an dessen Mutter

Z U S T Ä N D E IM I N N E R N DER M A R K

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Theophanu aus und erhielt Verzeihung. Im Jahr 985 huldigte er dem König und wurde wieder in sein Herzogtum Bayern eingeführt. Heinrich minor, der „Jüngere" mußte nach vergeblichem Kampf auf Bayern verzichten, und mit seinem ehemaligen Herzogtum Kärnten vorlieb nehmen, wo er bis zu seinem Tod 989 regierte. Dann verwaltete Heinrich der Zänker das Herzogtum Kärnten neben Bayern. Erst nach seinem Tod 995 wurde Otto von Wormsfeld wieder als Herzog in Kärnten eingesetzt. Er starb im Jahre 1004 2. Seit dem Jahre 985 nützten die Ungarn die unsichere Lage im Innern des Reiches aus und stießen wieder gegen dessen Südosten vor. Der schwerste Einfall der Ungarn in das Gebiet der östlichen Grenzmark erfolgte im Jahre 991. Jetzt war es Heinrich, der Herzog von Bayern, der — wohl zusammen mit dem Aufgebot des Markgrafen — über den Wienerwald in das Wiener Becken vordrang, das Gebiet bis zur Schwechat und Triesting eroberte und die Grenze der Mark — und damit des Reiches — bis weithin nach Osten vorschob 3. In weiterer Folge wurde wahrscheinlich die Fischa erreicht. Wir wenden uns nun den Zuständen im Innern der Mark zur Zeit des Markgrafen Liutpold I. zu. Wie bereits erwähnt, war er mit zwei Grafschaften im Mutterland Bayern, im unteren Donaugau und im Sundergau, wie auch mit einer Grafschaft an der Grenze Bayerns, im Traungau, die er allerdings bald abgegeben hat, ausgestattet. In seiner Mark selbst gebot er zweifellos — die Urkunden seiner nächsten Nachfolger zeigen das — ebenfalls über eine Grafschaft. Daß er in den bayerischen Grafschaften schon von seinen Vorfahren her über Besitz und Hoheitsrechte verfügte, haben wir schon gesagt. Aber wie sah es in der Mark selbst aus? Sicher lag hier, in diesem eroberten Land, viel Königs- bzw. Reichsgut. Es befand sich, wie wir aus späteren königlichen Schenkungsurkunden ersehen, besonders im Bereich der großen, zum Gutteil schon aus der Karolingerzeit herrührenden, an der Donau und am Unterlauf ihrer Nebenflüsse gelegenen Burgorte, bei Enns, Ybbs, Melk, Mautern, Tulln, Wien, Herzogenburg und Wilhelmsburg. Es handelt sich also vorwiegend um Gebiete im Viertel ob dem Wienerwald, vielfach am Rand großer Wälder, und in den in fortschreitender Eroberung gewonnenen Grenzgebieten der Mark. Dieses Königsgut war weitgehend schon in der Karolingerzeit als Schenkung zu Eigen oder als Reichslehen ausgegeben worden, und zwar in erster Linie an bayerische Hochstifte und Klöster. Das Königsgut wurde nicht zuletzt durch fortschreitende Rodung in den Wald hinein erweitert oder als Bannforste ausgegeben. Solche Schenkungen begegnen uns bis ins 12. Jahrhundert hinein; freilich werden die Schenkungsgüter immer kleiner. Wir nennen vor allem Passau, zugleich das Diözesanbistum für die Mark, dann Salzburg, das ja Metropole Bayerns und des ganzen Südostens war; hinzu kommen Regensburg und Freising. Diese Hochstiftsgüter lagen vor allem im Alpenvorland südlich der Donau, wobei ihre Grenzen gegen Süden allmählich bis in die Voralpen vorgeschoben wurden. Sie finden sich

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4. D E R E R S T E M A R K G R A F A U S L I U T P O L D I N G I S C H E M H A U S E

auch im Donautal, besonders in der Wachau. Zu den bayerischen traten die fränkischen Hochstifte Eichstätt, zum Teil als Eigenklosterherr, und am Anfang des 11. Jahrhunderts Bamberg. Neben den Hochstiften waren es auch bayerische und fränkische Klöster, die in der Mark über Besitz verfügten, oder solchen neu bekamen. Einige von ihnen hatten schon in der Karolingerzeit Güter erhalten, die nun vermehrt wurden. Es waren vor allem Niederaltaich (an der Ybbs, in der Wachau und im Tullnerfeld), Kremsmünster (am unteren Kamp, am Wagram, um Mautern—Stein und an der Perschling), St. Emmeram in Regensburg (beiderseits der Erla, der Perschling und an der Tulln), Tegernsee (um Strengberg, in der Wachau und später zwischen Triesting und Piesting), Metten (an der Traisen, um Rossatz und östlich von Amstetten), Moosburg, Mattsee, Mondsee und das fränkische Kloster Herrieden (an der Melk). Dieses wurde bald Eigenkloster des Hochstiftes Eichstätt, wie ja so manche der genannten Klöster Eigenklöster von Hochstiften waren, aber im Laufe des 10. und Anfang des 11. Jahrhunderts zu einer gewissen Selbständigkeit gelangten. In der Mark selbst lag nur ein Kloster, nämlich das im dritten Viertel des 8. Jahrhunderts (760/70) von Tegernsee gegründete und an Passau gekommene Benediktinerkloster St. Hippolyt (St. Pölten). Es kam um 910 an das Hochstift Passau 4 . Daß die Vögte dieser Hochstifts- und Klostergüter eine bedeutende Rolle spielten und Macht ausübten, ist klar. So manche Herrschaft mag ihren Ausgang von der Vogtei über Reichskirchen genommen haben. Für die ältere Zeit fehlt der urkundliche Beweis, daß auch der österreichische Markgraf über Kirchengut in der Mark Vogteirechte ausübte; erst aus einer Fälschung vor der Mitte des 12. Jahrhunderts für Niederaltaich (zu angeblich 1067) erfahren wir, daß er über die österreichischen Güter dieses Klosters die Vogtei innehatte. Das mag auch bei anderen bayerischen Klöstern der Fall gewesen sein, wenn sie in der Mark über größeren Besitz verfügten. In der Mark selbst stammen die ältesten Klöster, abgesehen von St. Pölten, ja erst aus der Mitte und zweiten Hälfte des 11. Jahrhunderts. Wenn wir nun vom Besitz hochadeliger weltlicher Herren sprechen, müssen wir betonen, daß dieser vielfach von den großen Reichsfesten seinen Ausgang nahm, die dem Beauftragten des Königs, in erster Linie dem Markgrafen, übertragen worden waren; es wäre aber ein Irrtum zu meinen, nur diesem. Es gab ja bereits vor der Errichtung der Ottonischen Mark eine Reihe von Familien, die als Nachfolger und Erben karolingischer Geschlechter hier in diesen östlichen Gebieten Besitz hatten und bereits Grafschaftsrechte ausübten, deren Ursprung in einer solchen Großburg lag. An sie Schloß sich ein Burg-, bzw. Markt- und Gerichtsbezirk an, wodurch eine verwaltungsmäßige Untergliederung des Landes gegeben war. Diese Großfesten, die noch nichts mit Steinburgen aus der Mitte und der zweiten Hälfte des 11. Jahrhunderts zu tun haben, sind zugleich die Wurzel für die werdenden Städte 5 . Zu den Nachfahren der spätkaro-

BESITZVERHALTNISSE IN DER MARK

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lingischen Geschlechter kamen nach der Errichtung der Mark noch neue hinzu. Da wir sehr wenig urkundliche Zeugnisse über Königsschenkungen an hochadelige Geschlechter in der Mark kennen, sind wir auf Rückschlüsse bzw. auf spätere annalistische Quellen angewiesen. Große Teile des Landes waren in der Hand eines der bedeutendsten bayerischen Hochadelsgeschlechter, der Grafen von Ebersberg, Nachfolger des karolingischen Grenzgrafengeschlechtes, der Wilhelm-Engelschalke. Wie bereits erwähnt, war Markgraf Liutpold durch seine Frau auf dem Weg über die Eppensteiner mit den Ebersbergern verwandt. Wir können sie vor allem zu beiden Seiten der Donau nachweisen, etwa von der Erla- und der Aistmündung an bis über die Ybbs hinaus, ferner zwischen Perschling und Tulln, im Wienerwald und am unteren Kamp. Wir müssen annehmen, daß die Ipseburch, vermutlich die karolingische Eparesburch, das spätere Ybbs, als Königsgut und Reichsfeste den Ebersbergern anvertraut war, die ihre Grafschaft Persenbeug zu beiden Seiten der Donau bis gegen Ardagger und Amstetten ausweiteten. Sie und ihre Verwandten, die Grafen von Kühbach, sind als Freisinger Hochstiftsvögte und Vögte ihrer Hausklöster Ebersberg, Geisenfeid und Kühbach, von denen die ersten beiden auch in der Mark Besitz hatten, nachzuweisen 6. Ähnlich stand es mit der schon 977 genannten civitas Megilicha, wo bereits in karolingischer Zeit Salzburg und Kloster Herrieden Besitz erhalten hatten. Hier auf der Melker Burg saß an Königs statt der Vertreter eines mit den Ebersbergern versippten und im Salzburg- und Chiemgau reich begüterten Adelsgeschlechtes, der Sighardinger, das dort auch Grafschaftsrechte ausübte. Zur Zeit, als Liutpold die Mark als Reichsamt übernahm, saß auf der Reichsburg Melk — der Chronist aus der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts, spricht von dem Castrum munitissimum Medilich — ein potentissimus homo Sizo (Kurzform für Sighard), den der neue Markgraf nach hartem Kampf aus seiner Stellung verdrängte 7. Kein Zweifel, daß der neue Markgraf Liutpold den bisherigen königlichen Amtsträger Sighard III., der sich vielleicht noch dem 982/83 wieder zurückgekehrten bayerischen Herzog Heinrich anschloß, von Melk vertrieb. Aber die Sighardinger behielten an der Melk, Mank und Pielach ihren Grafschaftsbezirk bis Ende des 12. und Anfang des 13. Jahrhunderts. Unter den Hochadelsgeschlechtern sind noch die Grafen im Traungau und später der karantanischen Mark, die Wels-Lambacher (ausgestorben um 1050/55) zu nennen sowie ihre Teilerben, die verwandten Grafen von Formbach und Rateinberg, gleichfalls im Traungau begütert. Die Grafschaft im Traungau hatte um 930 ihr Stammvater Meginhard inne. Die FormbachRatelnberger hatten unter anderem Besitz westlich der Traisen, von dort bis zur Perschling und Tulln, im Raum von Wien und nordwestlich davon, jenseits der Donau (Kreuzenstein), und im Grenzgebiet der österreichischen und karantanischen Mark (Grafschaft Pitten). Mit dem allmählichen Gewinn der beiden östlichen Landesviertel kamen noch andere Hochadelsgeschlechter hinzu, vor allem die Augstgau-Grafen, die Vohburger.

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*• D E R E R S T E M A R K G R A F A U S L I U T P O L D I N G I S C H E M

HAUSE

Aber nun erhebt sich die Frage, ob die Machtstellung des neuen Markgrafen nicht ebenso auf reichen Besitz an Grund und Boden in der Mark selbst gestützt war. Die Quellen bieten uns d a f ü r allerdings keinerlei Anhaltspunkte. Wir haben aus der Zeit Markgraf Liutpolds und noch bis 1002 keine einzige Urkunde einer Königsschenkung f ü r die Markgrafen. Erst ab der Mitte des 11. Jahrhunderts sind uns solche in größerer Zahl überliefert, wobei neben Schenkungen zu Eigen auch Vergaben zu Lehen nachweisbar sind 8 . Es mag Otto II. nach den Erfahrungen der ersten ottonischen Könige mit der Auflehnung vieler Herzoge und mit Aufständen im eigenen Hause ratsam erschienen sein, bei der Einsetzung eines Markgrafen f ü r die neu eingerichtete Mark auf einen Mann zurückzugreifen, der in dieser keinen allzustarken Rückhalt durch ausgedehnte Besitzrechte besaß und der auch mit den meisten dort mächtigen Geschlechtern nicht eng verwandt war. Er sollte sich das Vertrauen des Königs erst erwerben. In der Mark besaß der Markgraf eine Grafschaft, die schon 977 als comitatus des Markgrafen und auch später unter seinen Nachfolgern ab 995 immer wieder genannt wird. Dabei ist es nicht richtig, „Grafschaft" und „Mark" räumlich genau zu trennen und jene etwa nur auf das Gebiet zwischen Enns und Ybbs bzw. Erlauf zu beschränken, was schon den urkundlichen Nennungen der Orte widerspricht 9 . Zu den Grafenrechten gehörte die Hochgerichtsbarkeit mit Ausnahme der geistlichen Immunitätsbezirke und der weltlichen hochfreien Herrschaften. Abgesehen davon, daß die Hochgerichtsbarkeit im Sühneverfahren durch die Bußgelder dem Markgrafen finanzielle Vorteile brachte, bezog er ja auch eine Grafschaftssteuer. Es sei hier auch nochmals betont, daß es in der Mark ursprünglich mindestens noch zwei kleine Grafschaftsbezirke gab 10. Wichtiger als die gräflichen Rechte waren jene, die Luitpold als Markgraf und Stellvertreter des Königs innehatte — schon deswegen, weil sie sich über seine Grafschaft hinaus auch auf die anderen Hoheitsbereiche in der Mark erstreckten. Es waren vor allem militärische Rechte und Pflichten. Zu ihrer Wahrung hatte er als Lehensträger des Reiches Anspruch auf bestimmte Abgaben und Leistungen von geistlichen und weltlichen Grundherren in der Mark. Eine Aufzeichnung aus der Zeit zwischen 985 und 991, die uns überarbeitet und auszugsweise in einem Weistum für Passau aus der ersten Hälfte des 11. Jahrhunderts überliefert ist, setzt uns davon in Kenntnis. Sie läßt uns zugleich auch einen Blick auf die Struktur der Mark tun. Der wieder als Herzog von Bayern eingesetzte Heinrich II., der ebenso wie der Markgraf selbst alles Interesse an geordneten rechtlichen und militärischen Zuständen in der Mark haben mußte, hielt hier eine öffentliche Gerichtsversammlung, ein placitum ab, bei dem die Rechte und Verbindlichkeiten der geistlichen Herrschaften, der Hochstifte und Klöster gegenüber dem Markgrafen festgestellt wurden, und zwar durch eidliche Aussagen des Grenzvolkes, des popvlus terminalis. Dabei wurden die Hauptbesitzungen des Hoch-

GRAFENRECHTE IN DER

MARK

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stiftes Passau genannt. Bei der Umschreibung von Zeiselmauer heißt es, daß der zugehörige Besitz bis zu dem „Hangintenstein" reiche, also bis zum Bergsporn, der bei Greifenstein steil zur Donau abfällt. In dem Weistum, also spätestens f ü r die erste Hälfte des 11. Jahrhunderts, ist auch die Rede von einer werdenden städtischen Gemeinschaft in Tulln (Tullonenses). Nördlich der Donau erstreckte sich der Passauer Besitz bis an den Wagram westlich von Stockerau. Bis dorthin reichte beiderseits der Donau damals schon die Mark — zweifellos ein Erfolg der Ausdehnungsbestrebungen des Markgrafen. In dem erhaltenen, nur f ü r Passau geltenden Weistum 11 wird bestimmt, daß die Leute auf den passauischen Besitzungen von jeder Zwangsgewalt (districtio) des Markgrafen in bezug auf bestimmte Leistungen frei sein sollen. Als dem Markgrafen vorbehaltene Leistungen werden aufgezählt: Sammelabgaben, Ehrengeschenke, Werkleistungen, Herbergslasten (Gastung). Darunter sind vor allem die erste und dritte Leistung interessant, nämlich collectae und opera. Bei der ersten darf man bereits an das später so genannte „Marchfutter" denken. Das Wort kommt, wie die späteren Bezeichnungen (z. B. iusticia marchie, marhtinesth u. ä.) zeigen, nicht von Mähre, Pferd, sondern von marcha, marchia, Grenze, Mark. Es ist eine öffentlich-rechtliche Abgabe in Hafer an das Reich bzw. an dessen Stellvertreter, den Markgrafen, der das Reiteraufgebot in der Mark mit Futter zu versorgen hatte. Dieses war im 10. Jahrhundert zur Abwehr der Ungarn an die Stelle des alten Heerbannes zu Fuß getreten 12. Das Marchfutter wurde später dem Markgrafen als Reichslehen völlig überlassen. Eine Befreiung von dieser Leistung konnte nur der König, später auch der Markgraf-Herzog gewähren. Die systematische Feststellung der Gebiete und Orte, wo das Marchfutter urkundlich genannt wird, ermöglicht zugleich die Ausdehnung und die Grenzen der Mark zu bestimmen. Wir finden diese Abgabe auch in der Steiermark, in den Marken Cham und Nabburg, ähnlich auch in der Mark Meißen 13 . Bis gegen Ende des 11. Jahrhunderts blieb das Marchfutter eine lebendige Abgabe, es konnte also bei fortschreitender Rodetätigkeit der Grundholden auf Neuland auch im 12. Jahrhundert noch neu eingeführt werden. Die andere Leistung (opera) betraf das Burgwerk, eine Robotleistung der Grundholden im Burgbezirk, dazu bestimmt, Befestigungen zu errichten oder zu erhalten. Es ist klar, daß f ü r ein Grenzland wie die Mark das Aufgebot und das Befestigungswesen eine besondere Rolle spielten. Wir haben von den großen Reichsfesten gesprochen, zu denen nun neue hinzukamen. Der Markgraf besaß zweifellos, wie schon in der karolingischen Mark, einen entscheidenden Einfluß auf die Errichtung neuer Burgen — als solches ja ein Regal — und deren Instandhaltung. Die Anlage der Burgen in bestimmten Abständen, ihre Sichtlage zueinander und das Zusammenlegen mit anderen Rechtsbezirken bildeten so ein wirkliches Wehrsystem. Aber es gab sicherlich auch eine Reihe von geistlichen und weltlichen Grundbesitzern, die — mit Erlaubnis des Königs

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4. D E R E R S T E M A R K G R A F A U S L I U T P O L D I N G I S C H E M H A U S E

und unter Aufsicht des Markgrafen — selbst Burgen anlegen konnten. Sie waren dann von der Leistung des Burgwerks f ü r die königlichen Burgen befreit. Im Falle des vorliegenden Weistums von 985/91 traf das eben f ü r Passau zu. Vermutlich gab es auch andere Befreiungen dieser Art, über die wir keine Nachricht besitzen. Passau als Diözesansitz f ü r die Mark erscheint in unserem Weistum in besonderem Maße privilegiert. Schon 972 hatte es eine Gesamtbestätigung seines Besitzes erhalten, 975 wurde die Abtei Kremsmünster als sein Eigenkloster bestätigt, 976 erhielt es die Immunität f ü r seine Besitzungen und 977 war ihm vom König — und zwar auf Bitten des bayerischen Herzogs und des spectabilis marchio Liutpoldus die königliche Anesapurch, die Ennsburg, „im Traungau und in der Grafschaft Liutpolds gelegen", und dazu zehn Königshufen in Lorch geschenkt worden 14. Einige J a h r e später, im Herbst 985, erhielt Passau von König Otto III. — damals f ü n f j ä h r i g unter der Regentschaft seiner Mutter Theophanu — ein großes Privileg bezüglich seiner Besitzungen in der Mark Liutpolds. Bischof Pilgrim schildert in bewegten Worten die Verwüstungen, die durch die Einfälle der Ungarn (984/85) in die benachbarte orientalis plaga durch Mord und Raub, Brandschatzung und Plünderung geschehen seien, so daß dort das entvölkerte Bistumsland „in der Einöde verwildert und verwaldet" und daß aus Mangel an Hörigen Freie (ingenui) als Bauleute (coloni) angesetzt werden mußten. Der König löste diese in der Mark sitzenden passauischen „Freien (liberi) jeglicher Condition" von der Zwangsgewalt (districtio) königlicher Amtsträger (ministeriales) und bestimmte, daß ihre bisher dem königlichen Fiskus zustehenden Leistungen nunmehr vom Vogt der Passauer Kirche eingefordert werden sollen. Auch dürfen sie weder vom Markgrafen noch irgendeiner anderen Gerichtsgewalt gezwungen werden, zum Grafschaftsgericht zu gehen, außer wenn sie nach Gesetz und Recht als kirchliche Dienstleute (servi) über Anforderung Auswärtiger zur Rechtfertigung und Genugtuung vor der öffentlichen Gerichtsversammlung zu erscheinen hätten 15. Wir dürfen bei dieser in jeder Hinsicht aufschlußreichen Urkunde nicht übersehen, daß sie in erster Linie der Persönlichkeit Bischof Pilgrims von Passau gilt. Zweifellos liegt hier eine besondere Förderung des Bistums Passau vor. Wenn wir annehmen, daß die freien Kolonen der Urkunde von 985 f ü r die Befestigungen auf den Hochstiftsgütern das Burgwerk nun dem Hochstiftsvogt leisteten, dann können wir als passauische Großfesten — seit dem Ende des 9. bis weit ins 11. J a h r hundert als civitates bezeichnet — St. Pölten und Mautern anführen. Zeiselmauer wird in einer Fälschung von ca. 970/77 castellum genannt. Aber wir dürfen auch an kleinere Erdwerke denken, so etwa in Böheimkirchen an der Perschling — um diese Zeit sind dort Böhmen angesiedelt —, an der Tulln und nördlich der Donau bis zum Wagram. Daß auch bedeutende Grundherren eine direkte Erlaubnis zur Errichtung von Burgen erhalten haben, ergibt sich aus einer Urkunde Ottos II.

D A S KIRCHLICHE ZEHENTWESEN

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von 976 (ausgefertigt 979) f ü r Bischof Wolfgang von Regensburg. Ihm schenkte der Kaiser einen Platz mit sechs Königshufen am Zusammenfluß (Zuisila) der Großen und der Kleinen Erlauf, damit er dort eine Burg (castellum) erbaue, zum Schutz des lange wüst gelegenen und n u n „von Baiern" wiederbesiedelten Steinakirchen, das im Besitz des regensburgischen Eigenklosters St. E m m e r a m stand 16. Zur neuen Burg, Wieselburg, einer umwallten, später im Steinbau erhöhten Fluchtburg, entstand u m das J a h r 1000 ein oktogonaler, dem hl. Ulrich geweihter, kirchlicher Zentralbau. Aber auch das Hochstift Salzburg hatte unter den um 977 von Kaiser Otto II. bestätigten Gütern Besitzrechte an drei civitates in der Mark (Melk, Traismauer und Hollenburg) — alle an der Donau, knapp vor der Einmündung von Nebenflüssen gelegen. Dabei werden noch andere Güter, so an der Ybbs, in der Wachau und im Dunkelsteinerwald genannt, wo übrigens eine nach 888 errichtete Fluchtburg lag 1 7 . Diese Großfesten scheinen durch gewisse M a r k t - und Mautrechte eine präurbane, nicht agrarische Funktion als Zentralorte gehabt zu haben, zu welchen ein Burgbezirk gehörte. Die Bewohner dieses Bezirkes waren zum Burgwerk, also zur Instandhaltung der Wehranlage verpflichtet, die ihnen und ihrer Habe im Falle von Gefahr auch eine erhöhte Sicherheit bot. Da auch andere G r u n d h e r r e n zur Errichtung und Erhaltung solcher Wehrbauten berechtigt waren, brauchen wir auch nicht an übergroße Burgbezirke denken. Ergänzend wurde in der Zeit bis 991 währenden Ungarneinfälle — die allerdings im 11. J a h r h u n d e r t wieder einsetzten — neben den Großburgen ein Sicherheitssystem von kleineren Wehranlagen,' Wallburgen und Erdbefestigungen aufgebaut, und zwar jeweils am Westufer der südlichen Nebenflüsse der Donau, wo die große, alte Ost-West-Straße sie überquert. An der Ybbs, Erlauf, Pielach, Traisen, Perschling, an der Großen und Kleinen Tulln können wir sie feststellen. Am Ostufer der beiden zuletzt genannten Flüsse und im Wienerwald errichteten die Ungarn ihrerseits Verhagungen (Gyepü-Gürtel), die 991 vom bayerischen Heer durchbrochen wurden. Viele von diesen Erdbefestigungen des späteren 10. J a h r h u n d e r t s , zu denen dann Steineinbauten kamen, treten uns ebenso wie spätere E r d u n t e r b a u t e n f ü r echte Burgen vielfach als „Hausberge" entgegen 18. Wenn auch die Gerichtsverfassung in der Mark eine enge Beziehung zur Wehrverfassung aufweist, soll doch hier schon betont werden, daß es eine allgemeine Gerichtshoheit des M a r k g r a f e n oder eine durchgängige Obervogtei über kirchliche Immunitätsbezirke in der Mark nicht gab. Zu der inneren Verfassung der Mark unter den ersten Babenbergern gehört auch das kirchliche Zehentwesen, an dem der Diözesanvorstand, der Bischof von Passau, größtes Interesse hatte. Zur Zeit des Weistums f ü r Passau (985/91) wurden in zwei Synoden, in Lorch und in Mautern, die Zehentrechte der Passauer Kirche in der provincia zwischen der Enns und dem Wienerwald vor dem letzten Verwüstungszug der Ungarn fest-

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4. D E R E R S T E M A R K G R A F A U S L I U T P O L D I N G I S C H E M

HAUSE

gestellt. Die Synode in Mautern fand in der Basilika des hl. Agapit statt, was auf das Patrozinium des passauischen Eigenklosters Kremsmünster hinweist, das ja an der Donau und im Dunkelsteiner Wald viel Besitz hatte. Ausgenommen war der Zehent von anderem kirchlichen Besitz, der als Dominikalgut beansprucht wurde 1β. Bischof Pilgrim, der seit 971 der Diözese Passau vorstand, trat im besonderen durch seine Tatkraft hervor, die er im Ausbau seiner Stellung und bei der Wahrung seiner Missionsrechte im Südosten des Reiches gegenüber Salzburg an den Tag legte. Dabei griff er — in der kaiserlichen Kanzlei ausgebildet und tätig — zur Fälschung von Urkunden, die an das frühchristliche Bistum Lauriacum (Lorch bei Enns) anknüpften, dessen „erzbischöfliche" Stellung auf Passau übergegangen sei. Pilgrim hat freilich auch Urkunden hergestellt, die nur die rechtlichen Grundlagen für einen bereits bestehenden Zustand schaffen sollten oder Verunechtungen an älteren echten Urkunden vorgenommen 20 . Auch eine lateinische Fassung des Nibelungenliedes, in dem er ja selbst vorkommt, hat Pilgrim aufzeichnen lassen. Im Mai 991 ist er gestorben. Drei Jahre später, 994, verstarb Liutpold, der erste Markgraf der Ostmark. Im selben Jahr starb auch Bischof Wolfgang von Regensburg, der in Ungarn zu missionieren versuchte, und in mancher Hinsicht in Geschichte (Errichtung der Wieselburg) und Sage mit unserem Markgebiet verbunden ist 21 . Im Jahr darauf hat Herzog Heinrich II. von Bayern sein bewegtes Leben beschlossen. Ihm folgte als Herzog von Bayern sein gleichnamiger Sohn. Über den Tod Liutpolds berichtet in erster Linie sein Verwandter, Bischof Thietmar von Merseburg, der um 1017/18 seine „Chronik" vollendete. Liutpold war zusammen mit seinem Vetter Heinrich von der Schweinfurter Linie vom Bischof von Würzburg zur dortigen Kiliansmesse geladen. Dabei traf ihn am 8. Juli ein Pfeilschuß, der seinem Vetter zugedacht war, und verwundete ihn tödlich. Er starb am 10. Juli. Weiter heißt es, daß er tags darauf dort, also in Würzburg, bestattet wurde 22. Im Jahr 1015 wird Liutpolds Sohn, Herzog Ernst von Schwaben, neben dem Vater beigesetzt. Die Überlieferung einer Grabinschrift im Kloster Melk (frühestens aus den dreißiger Jahren des 13. Jahrhunderts), wo die späteren österreichischen Markgrafen tatsächlich bestattet wurden, irrt in Bezug auf das erste Markgrafen-Paar, das auch im ältesten Melker Nekrolog nicht erwähnt wird. Wir sehen den weiten Umkreis — von Einsiedeln bis Merseburg —, in dem die Persönlichkeit des ersten österreichischen Markgrafen aus diesem Haus ihre Würdigung fand. Bevor wir auf das Wirken seines Sohnes Markgraf Heinrich und das Geschehen in der Mark während dessen Regierung eingehen, wollen wir uns noch kurz seinen Geschwistern, also den anderen Kindern des ersten Markgrafen zuwenden, von denen die älteren sicher schon geboren waren, bevor der Vater die Markgrafschaft erhielt. Verstehen wir doch angesichts der bedeutenden Stellung zumindest zweier von ihnen die Aus--

DIE VERWANDTSCHAFTLICHEN BEZIEHUNGEN LIUTPOLDS

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Strahlung auf den Bruder bzw. die Brüder im Osten, wie wir daraus auch die starke Verbindung der Ostmark mit dem Reich und dem Reichsgeschehen ersehen. Es findet sich übrigens im Verbrüderungsbuch des Klosters Reichenau aus dem Ende des 11. Jahrhunderts eine, zweifellos auf ältere Vorlagen zurückgehende Eintragung über die Familie des ersten babenbergischen Markgrafen 23 . Dort steht nach den Eltern eine Judita, zweifellos eine Tochter, die ihren, im liutpoldingischen Hause gebräuchlichen Namen nach ihrer Tante, der bayerischen Herzogin führte. Als ältester Sohn scheint Heinrich, der spätere Markgraf, auf. Dann folgt Ernst, nach seinem mütterlichen Großvater genannt. Er wird in der Chronik seines Verwandten, des Bischofs Thietmar von Merseburg, zuerst zum Jahre 1002 erwähnt (lib. V, c. 24). Er heiratete Gisela, die Tochter des Herzogs Hermann II. von Schwaben und Schwester Herzogs Hermann III. (gest. 1012). Gisela war bereits in erster Ehe vermählt mit Bruno von Braunschweig, der aber frühzeitig starb. Nach dem Tode seines Schwagers, Hermann III., wurde Ernst Herzog von Schwaben, wohin er schon von seiner Mutter her Beziehungen hatte. Doch schon 1015, noch in Jünglingsjahren, ereilte ihn auf der Jagd der Tod (Thietmar VII/5). Er wurde in Würzburg neben seinem Vater beigesetzt 24 . In dritter Ehe heiratete Gisela 1017 den 1024 zum deutschen König gewählten Salier Konrad II. Herzog Ernst hatte zwei Söhne hinterlassen, von denen der ältere, Ernst, seinem Vater in der schwäbischen Herzogswürde folgte 25. Er empörte sich gegen seinen Stiefvater König Konrad II., als dieser 1027 in Rom zum Kaiser gekrönt wurde, und machte sich zum Haupt einer Fürstenerhebung; es ging dabei auch um das Königreich Burgund, auf das Kaiser Konrad Anspruch erhob, während Herzog Ernst als Großneffe des letzten Burgunders, Rudolf III., seinerseits Ansprüche geltend machte. Ernst mußte sich unterwerfen und fiel 1030 im neuerlichen Kampf. Er lebt im Epos vom Herzog Ernst und in der deutschen Volkssage weiter. Das Herzogtum Schwaben kam an seinen Bruder Hermann, mit dem 1038 dieser Zweig des österreichischen Markgrafenhauses erlosch. Wir müssen diese Stellung gebührend unterstreichen, waren doch damit die österreichischen „Babenberger" in den Stand der bedeutendsten Familien des Reiches, der Herzoge, aufgestiegen. Das gilt zumindest für die Zeit von 1012 bis 1038, bzw. durch den im Herzogtum Schwaben nachfolgenden Vetter Otto der Schweinfurter Linie bis 1057. Die Babenberger beeinflußten so auch den Südwesten des Reiches. Nicht geringer war die Stellung, die Poppo, ein weiterer Sohn Markgraf Liutpolds, erreichte. Er trug seinen Namen vermutlich nach seinen großmütterlichen Verwandten, den ostfränkischen „Popponen", und war zur Ausbildung an die nicht nur in geistiger Beziehung weithin führende Domschule von Regensburg gegangen, wohin sein Vater auch Beziehungen hatte. Wir finden ihn 995 als Kaplan an der Hofkapelle der deutschen Könige und bald als Beisitzer im Königsgericht. Die Hofkapelle war von Otto III. in besonderer Weise gefördert worden, indem er sie in die

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D E R

E R S T E M A R K G R A F AUS LIUTPOLDINGISCHEM HAUSE

Reichskirche einbaute; ihre Kapläne greifen auch bald immer mehr auf die Domkapitel über. Die Bischöfe spielen eine große Rolle in Ottos Politik, und die Hofkapelle bot die beste Möglichkeit zum Aufstieg in die höhere Hierarchie 2 e . Poppo wurde der erste Dompropst des von König Heinrich II. 1007 errichteten Hochstiftes Bamberg. Die Lebensbeschreibung des Paderborner Bischofs Meinwerk nennt ihn einen karo karissimus des Königs 2 7 . 1016 wurde er auf Betreiben König Heinrichs II., der im besonderen die bayerischen Familien berücksichtigte, zum Erzbischof von Trier gewählt, nachdem er noch ein Jahr vorher vom Kaiser ein Besitztum bei Wien (im heutigen Unter-St. Veit) für das Bamberger Domkapitel erwirkt hatte 28 . Poppo regierte Erzstift und Bistum Trier bis 1047 und hat im Jahr 1043 Markgraf Liutpold, den Sohn seines Bruders Markgraf Adalbert, in Trier beigesetzt. Wenn auch das österreichische Markgrafenhaus in Trier nicht weiter Fuß gefaßt hat (eine Schwester Poppos, Christine, lebte als Reklusin dort), so verlieh doch diese Verwandtschaft zu dem mächtigen Erzbischof im Hinblick auf die Bedeutung, die den Bischöfen und besonders den rheinischen Erzbischöfen im ottonischsalischen „Reichskirchensystem" zukam, dem Ansehen des österreichischen Markgrafenhauses ein besonderes Gewicht. Dies umsomehr als in seiner Mark kein Bischofssitz bestand. Der zweite in der Reichenauer Stiftung genannte Liutpold mag ein jüngerer, früh verstorbener Sohn Markgraf Liutpolds gewesen sein. Von der dort genannten Tochter Cunigunt, die ihren Namen nach der Gemahlin des alten bayerischen Markgrafen Liutpold führte, besitzen wir weiter keine urkundlichen Nachrichten. Von Heinrich, dem ältesten, und Adalbrecht (Adalbert), zweifellos dem jüngsten unter den Söhnen Liutpolds, den beiden folgenden Markgrafen, werden wir hören. Die beiden Letztgenannten, Liutpold presbyter und Heinrich, mögen entfernte Verwandte gewesen sein; kaum darf der erstere mit dem Kanonikus und Dompropst von Bamberg und späteren Erzbischof von Mainz Liutpold ( 1 0 5 1 — 5 9 ) gleichgesetzt werden. Zu erschließen wäre vielleicht auch eine jüngere Tochter oder sonstige enge Verwandte Markgraf Liutpolds namens Hemma als Gemahlin eines Grafen Rapoto, genannt im Inn- und Norital, Mutter oder eher Großmutter der Stifter von Kloster Hohenwart in Oberbayern und des Vogtes des einst tegernseeischen Klosters Ilmmünster 2e . Nach dem Tode des Markgrafen Liutpold 994 folgte sein ältester Sohn Heinrich ohne weitere Umstände und ohne Schwierigkeit in der Mark. Von einer besonderen Förderung des Markgrafen durch Besitzausstattung seitens des Königs und Kaisers findet sich aber in den Quellen kein Anzeichen. Otto III. hatte im Jahr 995 die selbständige Regierung im Reich angetreten und wurde im Jahr 996 in Rom zum Kaiser gekrönt, wo er seinen Vetter Bruno, Sohn des Kärntner Herzogs Otto aus dem Hause der Salier, als Gregor V. zum Papst machte. Kaiser Otto III. förderte die Bischöfe und stärkte sie gegenüber den Herzogen, was sich bereits 985 bei Pilgrim von Passau gezeigt hatte. Seine Kirchenpolitik

SCHENKUNGEN VON KÖNIGSLAND IN DER MARK

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und die Kirchenreform war entschieden auf die Bestätigung der alten Vorrechte von Hochstiften und Klöstern und Restitution entfremdeten Kirchengutes gerichtet, wenn er dies auch erst 998 als Gesetz festlegte. Er hat das Wahlrecht der Klöster anerkannt. Immer mehr haben sich bei ihm kirchenreformatorische Ziele mit den religiös-mystischen Strömungen des Jahrtausendendes verbunden, die zum Gutteil durch Bischof Adalbert gefördert wurden, der auf sein Prager Bistum verzichtet hatte und als Missionär zu den Preußen gegangen war, wo er 997 den Märtyrertod erlitt. Die Renovatio imperii Romanorum war Ottos III. Leitidee, die dann bei seinem Nachfolger in einem anderen, praktischeren Stil ihre Fortsetzung fand. Eine Reihe von Urkunden berichtet uns über Schenkungen von Königsland in der Mark, vorwiegend an geistliche Institutionen, darunter neben Passau vor allem an Freising, das seit der Karolingerzeit in der Mark reich begütert war. Es erhielt nun laut einer Tauschurkunde zwischen Otto III. und dem Bischof von Freising von 995 sechs Königshufen an der Ybbs in und um Ulmerfeld, die in marcha et in comitatu Henrici comitis lagen. Es ist die erste Nennung Heinrichs und seiner Mark. Der Bischof gibt dafür dem König ein kleines Gut bei dem königlichen Burgort Krems, in confinio nostrae proprietatis orientalis urbis quae dicitur Cremisa. Schon im J a h r darauf, 996, erfolgte am 1. November eine neuerliche Königsschenkung an Freising, ein Königshof in Neuhofen an der Ybbs mit 30 Königshufen 30. Das Hcchstift Freising kam so — vermehrt durch eine weitere große Schenkung im J a h r e 1034 — an der Ybbs und an ihren Nebenflüssen zu einem geschlossenen Besitztum, das sich im Süden bis weit in die Voralpen und gegen die spätere Landesgrenze ausdehnte. Ähnlich konnte Regensburg an den beiden Erlaufflüssen, Salzburg und Passau im Westen bzw. im Osten davon einen geschlossenen Besitz erwerben. Aber auch an weltliche Herren wurde Land vergeben. Es ist sehr bezeichnend f ü r die Ottonen, daß die älteste dieser Schenkungen noch zur Zeit Markgraf Liutpolds (993) an einen Hochedlen aus Sachsen erfolgte, nämlich drei Königshufen an einem Ort, wo bereits ein edler Slawe Gluzo gerodet hatte. Es handelt sich um eine deutsche Rodungsherrschaft in einer schon von Slawen schütter bewohnten Gegend an der oberen Ybbs, die später zum Ausgangspunkt für die Herrschaft Gleiß wurde 3 1 . Zugleich ist es der erste deutliche Hinweis auf Beziehungen der Mark zu Sachsen, die später weiter zunahmen. Ähnliche Herrschaften entstanden aus zwei Schenkungen Ottos III. an weltliche Große im Jahr 998. Die eine erfolgte auf Bitte des bayerischen Herzogs Heinrich, der hier besonderes Interesse daran haben mußte, an einen bayerischen Hochedlen im westlichen Wienerwald zwischen der Großen Tulln und Anzbach. Sie bildeten den Grundstock f ü r die große Herrschaft Lengenbach, die später in den Besitz der Domvögte von Regensburg kam und die Position im Laufe des Vordringens über den Wienerwald hinaus sicherte. Vom gleichen Tag datiert eine Königsschenkung

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*• D E R E R S T E M A R K G R A F A U S L I U T P O L D I N G I S C H E M H A U S E

Ottos III. an seinen Neffen, den bayerischen Herzog selbst, in pago Ostetriche vocitato ac comitatu Heinrici marchionis. Sie betrifft ein Gut Nöchling — ein echter patronymischer Ortsname auf -ing — das Gebiet zwischen Isper und Sarmingbach nördlich der Donau, an der späteren Grenze zwischen Ober- und Niederösterreich. Das Besitztum kam über die Grafen von Ebersberg (ausgestorben 1045) an die Burggrafen von RegensburgStefling (Oberpfalz), die hier weit hinein nach Norden rodeten 3 2 . In diese Zeit fällt auch die erste urkundliche Nennung des Namens Österreich. In einer Schenkungsurkunde an Freising vom 1. November des Jahres 996, in der die Lage des geschenkten Gutes Neuhofen an der Ybbs umschrieben wird, heißt es: in regione vulgari vocabulo Ostarrîchi in marcha et in comitatu Heinrici comitis filii Liutpaldi marchionis 33. Das bedeutet zunächst nichts anderes als „in der Gegend, die in der Volkssprache Ostarrîchi heißt". Wir kennen f ü r das 8. und 9. Jahrhundert die althochdeutsche Bezeichnung Ostarrîchi in der Bedeutung f ü r ein gegen Osten zu gelegenes Gebiet. Die Bezeichnung wird dann ausgedehnt auf östliche Teile Bayerns einschließlich ihrer Mark. Denken wir daran, daß es in Bayern einen Westergau, Nordgau und Sundergau gibt. Das Wort regio aber hat neben der landschaftlich-geographischen Bedeutung Region wie plaga doch noch einen anderen Akzent, nämlich den, der auch im Begriff regnum und im zweiten Wortteil -richi steckt, also etwa Machtbereich, eine Herrschaft unbestimmter Art. Wir können also festhalten, in diesem noch nicht fest umschriebenen Gebiet liegt „die Mark" und „die Grafschaft" des österreichischen Markgrafen. Es ist die älteste Nennung f ü r den engeren niederösterreichischen Raum. Im Lateinischen wurden d a f ü r die Bezeichnungen in pago (d. i. Gau) Osterriche (998, 1015), in orientali regno (1014), in provintia orientali (1021), oder eben nur in oriente (1002), in Ostarricke (1002) urkundlich gebraucht. Erst in der Mitte des 11. J a h r h u n d e r t s wird es dann comitatus bzw. marca Ostarriche.

Von den Nennungen marchia orientalis und Austria im zweiten Viertel des 12. J a h r h u n d e r t s werden wir hören.

5. KAPITEL

Die Ausweitung der Mark nach Nord und Ost

Die Nachbarn im Norden und im Osten I m J a h r e 1002 war Kaiser Otto III. gestorben. Ihm folgte sein Vetter, der bayerische Herzog Heinrich, Sohn Heinrichs des Zänkers, der am 7. Juni als Heinrich II. den deutschen Königsthron bestieg. Im Februar 1014 wurde er zum römischen Kaiser gekrönt, der letzte König und Kaiser aus liudolfingischem (ottonischem) Stamm und wandte, wie seine Vorgänger, den Ereignissen im Osten des Reiches sein besonderes Augenmerk zu. Wir können das Wachstum der Mark nach Osten und die Kräfte, die hier wirkten nur dann richtig beurteilen, wenn wir die Lage in den angrenzenden Ländern Böhmen und Ungarn, aber auch in Polen näher betrachten. Böhmen hatte sich, wie erwähnt, an den Aufständen der Herzoge, besonders des bayerischen, gegen den deutschen König beteiligt, obwohl im Grunde ein Lehensverhältnis zum Reich bestand, das 1004 von Heinrich II. noch gesichert wurde. Wenn das vielgenannte Weistum von 985/91 davon spricht, daß das Passauer Bistumsgut nördlich der Donau bis zu den „Grenzen der Mährer" reicht, dann ist damit die Wagramstufe bei Stockerau und gegen das Marchfeld zu gemeint, wo sie noch 1014 lag. Aber Mähren gehörte bis Ende des 10. Jahrhunderts zu Ungarn und kam nach einer Zeit polnischer Oberherrschaft erst um 1020 an Böhmen 2 . Polen war unter Herzog Mieszko I., der das Christentum angenommen hatte, 963 dem Reich tributpflichtig geworden. Aber seine Vasallität wurde unter Otto III. zugleich zu einer Bundesgenossenschaft, die schon 990 zu einem gemeinsamen Feldzug des deutschen und polnischen Heeres gegen Herzog Boleslaw von Böhmen führte. Polen wurde in einer Schenkung dem Stuhle Petri übereignet. Der Sohn Mieszkos, Boleslaw Chrobry, den enge Freundschaft mit Kaiser Otto III. verband — dieser selbst hatte den Titel servus Christi angenommen —, wurde von ihm zum cooperator imperii und Bruder gemacht. Ihm wurde durch die Übergabe einer Nach-

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AUSWEITUNG DER MARK NACH NORD UND OST

bildung der Lanze des hl. Mauritius die Aufgabe der Christianisierung und kirchlichen Organisierung Polens übertragen. Zugleich wurde das Erzbistum Gnesen als kirchlicher Mittelpunkt Polens errichtet (1001) s . Boleslaw Chrobry gelang die vorübergehende Eroberung Böhmens und Mährens als Voraussetzung zur Aufrichtung eines großen slawischen Reiches; auch die Marken Lausitz und Meißen besetzte er und bedrohte so den ganzen Osten des Reiches und damit auch die bayerische Ostmark. Er hatte sich mit dem Schweinfurter Grafen Heinrich aus der älteren Linie der „Babenberger" verbündet, der sich gegen den neuen König, Heinrich II., wegen der Nichterfüllung der Zusage, ihm das Herzogtum Bayern zu verleihen, empörte Dieses wurde 1004 von König Heinrich dem Bruder seiner Frau Kunigunde, Heinrich dem Lützelburger (Luxemburg), verliehen. König Heinrich, der ebenfalls eine reformfreundliche Kirchenpolitik vertrat, beurteilte die Situation im Osten weit realistischer als sein Vorgänger und gebot dieser Entwicklung Einhalt. Es kam zu Kämpfen mit Polen, die sich von 1004 bis 1018 hinzogen und die auch unsere Donaumark berührten, da der Ostmarkgraf Heinrich auf Seiten des Königs stand. Seine Leistungen, in den Jahren 1015 und 1017, in denen er Bayern und Böhmen gegen die Polen geführt hatte, hebt Thietmar von Merseburg besonders hervor. Er nennt ihn einen „tapferen Kriegsmann" und spricht von ihm als dem „Inhaber der zwischen den Ungarn und Baiern gelegenen Mark" 4. Innere Kämpfe in Polen führten zum Zusammenbruch des Reiches, und Herzog Bretislaw von Böhmen konnte nun Mähren aus dem Verband des großpolnischen Reiches lösen und seinem Herzogtum Böhmen einfügen. Das mußte natürlich auch die Situation des nordöstlichen Markbodens beeinflussen. Südmähren war zugleich auch die erste Landschaft der Sudetenländer, in der die deutsche Besiedlung von Niederösterreich aus eindrang — und zwar noch im 11. Jahrhundert. Noch müssen wir einen Blick auf Ungarn werfen. Die Niederlage der Ungarn im J a h r e 955 führte zu ihrer Seßhaftwerdung und Christianisierung. Fürst Géza (Geisa) ließ seinen Sohn Waik taufen, der seitdem den Namen Stephan trug. Übrigens hat es schon vorher vereinzelte Christen unter den Ungarn gegeben, wie einen der ungarischen Heerführer vor Augsburg namens Bulczu. Géza hatte durch die Heirat seines Sohnes Stephan mit Gisela, der Schwester Herzog Heinrichs von Bayern, des späteren Königs und Kaisers Heinrich II., die enge Verbindung nicht nur mit Bayern, sondern in der Folge auch mit dem Reich und so die Eingliederung in das Imperium eingeleitet. Aber auch die Verbindung mit der abendländischen Christenheit und ihrem Kulturleben war damit gegeben. Bayerische Siedler und Priester kamen in das Land. Wie in Polen Gnesen, so wurde in Ungarn in Gran im Jahre 1000 ein Erzbistum errichtet und ein Suffraganbistum in Raab. Wie in Polen überantwortete auch Stephan — er war 1001 zum König gekrönt worden — sein Land dem Papst Silvester II. und empfing von ihm die Königskrone.

SCHENKUNGEN AN GEISTLICHE UND WELTLICHE HERREN

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S t e p h a n führte die Grafschafts-(Komitats)verfassung ein und ü b e r n a h m v i e l e wirtschaftliche, soziale u n d rechtliche E l e m e n t e aus den angrenzenden westlichen Gebieten. Sein Gesetzbuch hielt sich vielfach an das b a y e rische Recht 5 . Während schon unter K ö n i g Stephan (f 1038) aus Grenzk ä m p f e n größere Kriege mit d e m Reich entstanden waren, gab es nach Stephans Tod Erbschafts- und Nachfolgestreitigkeiten, in deren Verlauf sich eine heidnische Reaktion bildete. In weiterer F o l g e führte das in der Mitte des 11. Jahrhunderts zu einer Lehensabhängigkeit U n g a r n s v o m Reich. Deutlich zeigte sich bereits unter Markgraf Heinrich ein A u s g r e i f e n nach d e m Osten. D i e unter K ö n i g Heinrich II. sich mehrenden großen Schenkungen an geistliche u n d weltliche Herren hatten zunächst w i e d e r das südwestliche Landesviertel (ob d e m Wienerwald) betroffen, w o b e i ausgedehntes Waldland b e z i e h u n g s w e i s e Bannforste zur Rodung f r e i g e geben wurden. Passau erhielt 1007 an der Enns- und Erlamündung Besitz. Salzburg rundete seinen Besitz zwischen Traisen und Perschling ab (991/1022) 6. Auf die Schenkungen an Salzburg im Steinfeld und auf jene an Freising und Regensburg im südlichen Marchfeld werden wir in anderem Zusammenhang zurückkommen. Es sind weiter bayerische Klöster, die beschenkt wurden: Tegernsee erhielt 1002 Besitz in Unter-Loiben in der Wachau, der 1019 noch vermehrt wurde, 1011 60 Königshufen vom sogenannten „Ennswald" zwischen der Enns und der Ybbs bei dem vermutlich schon aus karolingischer Zeit stammenden Ort Kroisbach an der strata publica, die im Volksmund „Hochstraße" heißt Diese Schenkungen bildeten die Grundlage der bis 1803 im Besitz Tegernsees verbliebenen Herrschaft Achleiten-Strengberg. Aber schon 1020 erhielt Tegernsee fünf Königshufen zwischen Piesting u n d Triesting, also bereits am Ausgang des Voralpengebietes gegen O s t e n 8 . Im J a h r 1011 erhielt auch Kloster Niederaltaich, das in der Karolingerzeit im östlichen Grenzland außerordentlich reich bedacht worden war, am nördlichen Donau-Wagram beim Durchbruch der Schmida bei Absdorf zehn Königshufen, die 1019 noch vermehrt wurden ». Es setzte aber auch in den Schenkungsgütern ein Vorrücken gegen Osten ein. Königsschenkungen an weltliche Herren blieben auch jetzt noch in der Minderzahl. Die Schenkungen von 998 wurden bereits erwähnt. Eine ganz bedeutende Schenkung erhielt ein gewisser Pilgrim, vermutlich aus dem Geschlecht der späteren Grafen von Formbach, im J a h r e 1002, nämlich den Ort „Uuvizinesdorf", d. i. die Rotte Winnersdorf bei Haag, und hundert Hufen vom anliegenden „Ennswald" 10. Das Gebiet, das zunächst an den bambergischen Kanzler und späteren Bischof Gunther kam, ging bald an das Hochstift B a m berg über und bildete die Grundlage f ü r dessen spätere H o f m a r k Haag, sowie die umliegenden von Bamberg abhängigen Lehensgüter Salaberg, Klingenbrunn und Rohrbach. Auch das von Bischof Otto I. mitbegründete Kloster Gleink e r hielt davon Besitz n. Die Vermittlung eines Königsgutes an der Wien, des späteren Unter-St. Veit, durch Propst Poppo, den Sohn Markgraf Liutpolds I., an das Domkapitel von Bamberg w u r d e bereits e r w ä h n t 1 2 . Es ging dann an bambergische Vögte beziehungsweise an die Grafen von Formbach-Ratelnberg über.

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5. D I E A U S W E I T U N G D E R M A R K N A C H N O R D U N D O S T

Bei fast allen diesen Schenkungen wird Wald genannt, besonders im Südwesten des Landes. Noch im 12. Jahrhundert ist die Rede vom „Ennswald". Aber es waren überwiegend königliche Forstbezirke, aus denen sich große Herrschaften herausbildeten und die die Bezeichnung regio oder provincia Vorst noch im 13. J a h r h u n d e r t f ü h r e n 1 3 . König Heinrich II. hat seiner Gründung, dem Bistum Bamberg, reichen Besitz an Königsgut und bayerischem Herzogsgut geschenkt, so daß diese Stiftung nicht n u r die Missionsaufgabe bei den Slawen am oberen Main und an der Rednitz erfüllen konnte, sondern auch als starker Machtblock an der Grenze Bayerns und Frankens ein Zurückdrängen der Bistümer Würzburg und Eichstätt, vor allem aber eine Schwächung der bayerischen Herzogsgewalt bewirkte. König Heinrich hatte sich gegen alle fremden Ansprüche den Besitz des Herzogtums Bayern gesichert, gab dasselbe nicht mehr aus den Händen und war seit 1009 selbst zugleich Herzog von Bayern. Dieses blieb nun mit ganz kurzen Unterbrechungen durch 53 J a h r e in der Hand der deutschen Könige bzw. ihrer Söhne I4. Noch ein Gewinn Bambergs, der mittelbar von den österreichischen Markgrafen kam, war es, wenn Adalbert der Nachfolger Markgraf Heinrichs, im J a h r 1018 sein Eigengut Zilin (Zeil, vor der Mündung der Rottach in den Main, im Schweinfurter Bereich) dem Kaiser übertrug, der damit das 1015 gegründete Benediktinerkloster St. Michael (Michelsberg) in Bamberg dotierte 15. Doch als richtungweisend f ü r das Vorrücken gegen Osten erwies sich die erste große Königsschenkung an den österreichischen Markgrafen in seiner Mark. Wir kennen nur e i n e solche Schenkung, aber bezeichnend genug, das Schenkungsgut lag nicht mehr im Altland, im Viertel ob dem Wienerwald, sondern an der Ostgrenze der Mark. Hier lag die eigentliche Aufgabe des Markgrafen, die Abwehr feindlicher Einfälle und die Sicherung der Grenze. Es ist jene große Schenkung König Heinrichs II. vom J a h r e 1002, laut der Markgraf Heinrich Gut zwischen der sogenannten Dürren Liesing und der Triesting erhielt, also am östlichen Rand des Wienerwaldes, der 991 erst gesichert worden war. Dazu erhielt er zwanzig Königshufen, die er sich zwischen Kamp und March, also nördlich der Donau, beliebig aussuchen konnte 1β. Der erste Teil der Schenkung betrifft nicht, wie immer wieder gesagt wird, den Raum von Mödling, sondern jenen von Gaaden — Heiligenkreuz — Alland — Klein Mariazell, also noch im Wienerwald vor dem Übergang in das Wiener Becken. Bei dem nördlich der Donau gelegenen Schenkungsgut, wobei die March als schon erreichbare Grenze genannt wird, können wir annehmen, daß die zwanzig Königshufen mehr im Westen, zwischen Schmida und Göllersbach, am ehesten im Raum von Weikersdorf und Stockerau, ausgewählt wurden. Das wird noch dadurch bestätigt, daß 1011 und 1019 Kloster Niederaltaich dort am Wagram Besitz erhielt. Hier gab es zweifellos einen neuralgischen Punkt. Der Polenherzog Boleslaw Chrobry, den mit Heinrich II. keine solche Freundschaft verband wie mit Otto III., bedrohte

KÖNIGSSCHENKUNG A N MARKGRAF HEINRICH

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den Osten des Reiches und nicht zuletzt die Ostmark. In den Kämpfen von 1004 bis 1018 zeichnete sich ja Markgraf Heinrich besonders aus, wie Thietmar von Merseburg berichtete, der als zeitgenössischer Chronist (t 1018) besonders dem Geschehen im Osten seine Aufmerksamkeit zuwandte. In diese unruhigen Zeiten, in denen Mähren noch bis zum nördlichen Donauwagram reichte, fällt auch die von Thietmar zum Jahre 1017 überlieferte Begebenheit von dem irischen Pilger Coloman, der als angeblicher Spion im Grenzgebiet der Bayern und Mährer (in Bawariorum confinio et Mararensium) getötet und in der Nähe beigesetzt wurde. Als sich an seinem Grabe Wunder ereigneten, wurde der Leichnam von Markgraf Heinrich in Melk bestattet (in Mezilecun sepelivit)17. Die ältesten Melker Annalen, die zwar erst von 1122/23 an zeitgenössisch geschrieben wurden, aber wohl ältere Hausnachrichten benützten, nennen Stockerau als Ort des Martyriums Colomans, und zwar schon im Jahre 1012; seine Beisetzung 1014 sei durch den Bischof Megingaud von Eichstätt (991—1015) erfolgt 1 8 . Endlich kommt dazu noch die aus der Mitte des 12. Jahrhunderts stammende „Passio S. Cholomanni", die berichtet, daß der Leichnam in der civitas Medelicha, die vorher, bezugnehmend auf den Markgrafen, als civitas sua bezeichnet wird, in der Kirche des Apostelfürsten Petrus beigesetzt wurde 19. Daraus ergibt sich zunächst, daß Markgraf Heinrich seinen Sitz in Melk hatte. Es ist klar, daß er hier als Reichsbeamter, als Stellvertreter des Königs wirkte. Weiter wird in Melk eine St. Peterskirche genannt; aber nichts spricht dafür, daß damals dort schon ein Kloster bestand. Auch erfolgte die Beisetzung Colomans durch den Eichstätter Bischof nicht zufällig, sondern aufgrund einer konkreten rechtlichen Voraussetzung. Das eichstättische Eigenkloster Herrieden hatte schon 831 Besitz um Melk erhalten. Melk weist die oft vorkommende Drittelteilung auf: Reich, Salzburg, Herrieden/Eichstätt. Die Peterskirche in Melk erscheint als Lehen und Eigenkirche des Hochstifts Eichstätt, das das gleiche Patrozinium trägt. Zusätzlich läßt sich erschließen, daß auch das vielleicht noch in der ersten Hälfte des 11. Jahrhunderts errichtete Kanonikatsstift in Melk, dem 1089 Benediktiner folgten, vermutlich Eigenkloster des Hochstifts Eichstätt war, bis es an der Wende vom 11. zum 12. J a h r hundert an den Markgrafen kam. Und endlich: auch das Geschlecht der Grafen von Formbach und Rateinberg hat besondere Beziehungen zum Kloster Melk 20. Nicht nur Schlüsse auf die Anfänge von Melk, sondern auch auf jene der Babenberger ergeben sich hier. So wenn wir etwa beobachten, daß die jüngere Linie der österreichischen „Babenberger" auf Mödling zuerst auf der Rückseite eines Siegels von 1220 das gleiche Wappen führte wie das Hochstift Eichstätt, nämlich zwei übereinander gestellte Leoparden 21. Mödling aber fällt in jene Schenkung, die das Bistum Eichstätt im Jahre 1033 zwischen der Liesing und dem Wienerwald (mons Chumberc) erhielt 2 2 . Am Anfang des 12. Jahrhunderts wird die P f a r r e Mödling von Markgraf Liutpold III. an das Kloster Melk gegeben. Das

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älteste Schenkungsgut an das Kanonikatsslift Melk durch Markgraf Ernst (1072—75) liegt im Marchfeld, wo das Bistum Eichstätt in der Mitte des 11. Jahrhunderts nachzuweisen ist 2 3 . Wir werden dieses Leopardenwappen als das Haus- und Geschlechtswappen der Babenberger ansprechen dürfen, das sie neben ihrem Amtswappen, dem Adler, führten. Noch in der Regierungszeit Markgraf Heinrichs fällt eine wichtige kirchenorganisatorische und kirchenrechtliche Entscheidung. König Heinrich II. schenkte im Jahre 1014 dem Bischof Berengar von Passau an fünf Orten je ein Grundstück zur Errichtung einer Kirche und eines P f a r r hofes und dazu je eine Königshufe. Es sind dies die Orte Herzogenburg, Krems, „Sigemaresweret" — d. i. Altenwörth an der Donau, ferner in Tulln „außerhalb der Stadt" (heute noch die Pfarrkirche St. Stephan vor der Altstadt) und endlich in „Otcinesseuue" (Jedlesee nördlich der Donau bei Wien). Altenwörth wurde bald auf den Wagram hinauf verlegt, nach Kirchberg am Wagram, und lange noch als St. Stephan super Wagrain bezeichnet. Jedlesee aber wurde wegen des zu weit nach dem gefährdeten Osten vorgeschobenen Standortes nach Stockerau zurückgenommen, wo sich eine hochgelegene Stephanskirche befindet 2 4 . Es war der entscheidende Schritt zum Aufbau einer bischöflichen, also nur vom Bischof abhängigen Pfarrorganisation in der Mark. Die Kirchen tragen alle das Patrozinium des Passauer Diözesanheiligen St. Stefan. Sie sind der Mittelpunkt von fünf alten Mutterpfarr-Bezirken, alle (mit Ausnahme von Herzogenburg) an der Donau gelegen, davon drei am nördlichen Ufer. Bald darauf, noch in der ersten Hälfte des 11. Jahrhunderts, werden zwischen St. Pölten und Tulln vom Passauer Bischof weitere Pfarren geschaffen: Böheimkirchen, dazu Kapellen und Christophen, ebenso in Mautern a. d. Donau. Auch Amstetten ist wohl noch in jene Zeit zu setzen. Es wird damit ein großes Pfarrnetz, alles bischöflich-passauische Eigenpfarren, auf Passauer Grund als Eigenkirchen errichtet. Daß es daneben auch Salzburger und Freisinger Mutterpfarren gab, ist verständlich. Dazu kommen seit der Mitte des 11. Jahrhunderts Pfarrgründungen von weltlichen Grundherren. Thietmar von Merseburg kann noch vom Tode Markgraf Heinrichs im Jahre 1018 berichten 2S. Von einer Gemahlin und von Kindern Heinrichs besitzen wir keinerlei Zeugnisse. Kein Nekrolog führt sie an; erst die ältesten Melker Grabinschriften aus dem 13. Jahrhundert nennen als zweiten weiblichen Namen eine „Suanhilt", ohne daß sie direkt Markgraf Heinrich zugeordnet wird 26. So wie es irrig ist, daß das ebenfalls in den Melker Grabinschriften verzeichnete erste Markgrafenpaar in Melk begraben wurde, so wird auch bezüglich Suanhilt Vorsicht geboten sein, umsomehr als eine spätere Markgräfin diesen Namen geführt zu haben scheint. Auf keinen Fall hatte Markgraf Heinrich überlebende Kinder. Er selbst aber ist bereits in Melk, wo er zweifellos seinen Sitz hatte, begraben worden 27, wenn sich auch ein anthropologischer Nachweis dafür nicht erbringen läßt.

MARKGRAF ADALBERT

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Nach d e m Tode M a r k g r a f Heinrichs folgte i h m sein B r u d e r A d a l b e r t in d e r M a r k 28. Eine Reihe von Q u e l l e n des 11. u n d 12. J a h r h u n d e r t s 29 u n d erst recht die s p ä t e r e n österreichischen C h r o n i k e n bezeichnen i h n als S o h n M a r k g r a f Heinrichs, doch a n d e r e Quellen w i d e r s p r e c h e n d e m . So schon Otto von Freising, selbst ein B a b e n b e r g e r , d e r A d a l b e r t a u s d r ü c k lich als einen B r u d e r des Herzogs E r n s t I. von S c h w a b e n u n d des E r z b i schofs P o p p o von T r i e r bezeichnet (Chron. VI, 28, 32), also jene, die a n d e r e r s e i t s w i e d e r d e r gleichzeitige T h i e t m a r von M e r s e b u r g als S ö h n e L u i t polds, des e r s t e n M a r k g r a f e n von Österreich, g e n a n n t h a t t e . Selbst die o b e n g e n a n n t e n Altaicher A n n a l e n bezeichnen A d a l b e r t s S o h n Liutpold als N e f f e n des Erzbischofs P o p p o von T r i e r 30. A d a l b e r t w a r also nicht S o h n s o n d e r n B r u d e r M a r k g r a f Heinrichs. M a n g l a u b t e auch den A l t e r s u n t e r schied zwischen M a r k g r a f Heinrich, d e r 995 e r s t m a l s g e n a n n t w u r d e u n d M a r k g r a f A d a l b e r t ( | 1055) gegen die A n n a h m e , d a ß die b e i d e n B r ü d e r seien, ins T r e f f e n f ü h r e n zu k ö n n e n . W e n n w i r d a g e g e n die e r s t e n N e n n u n g e n A d a l b e r t s 1010 u n d 1011 3 1 beachten, v e r r i n g e r t sich der zeitliche A b s t a n d d e r e r s t m a l i g e n E r w ä h n u n g e n auf f ü n f z e h n J a h r e , w a s ein V e r w a n d t s c h a f t s v e r h ä l t n i s als B r ü d e r k e i n e s w e g s ausschließt. Adalbert ist schon im Jahre 1010 als Graf im sogenannten Schweinachgau (zu beiden Seiten der Donau, westlich von Passau) und 1011 als Graf im Quinzing (Künzing)-Gau (an der Vils und Rott, südwestl. von Passau), letztlich aber 1019—1051 als Graf im unteren Donaugau (Straubing-Deggendorf) nachweisbar. Bemerkt sei, daß sowohl im Schweinach- als im Künzinggau, in dem übrigens am Ende des 9. Jahrhunderts schon der altbayerische Markgraf Liutpold genannt wird, eine Abfolge, ja sogar eine Vermengung bzw. Teilung der Grafschaftsrechte zwischen den Babenbergern einerseits und den später sogenannten Grafen von Formbach andererseits zu belegen ist. Wir sehen, d a ß A d a l b e r t die b a y e r i s c h e n G r a f s c h a f t e n im Schweinachw i e im K ü n z i n g g a u i n n e h a t t e 32 — im u n t e r e n D o n a u g a u w a r ja schon sein V a t e r , M a r k g r a f Liutpold, 983 als Graf e r w ä h n t —, w ä h r e n d sein B r u d e r Heinrich die M a r k a n d e r D o n a u leitete. Die G r a f s c h a f t im u n t e r e n D o n a u g a u u n d eine im Schweinachgau behielt A d a l b e r t auch nach seinem R e g i e r u n g s a n t r i t t als M a r k g r a f . E r v e r f ü g t e auch noch ü b e r Eigenbesitz a m o b e r e n Main, v e r m u t l i c h doch aus e i n e r V e r w a n d t s c h a f t in weiblicher Linie m i t d e n f r ä n k i s c h e n A d a l b e r t i n e r n , d e n „alten B a b e n b e r g e r n " , d e n n anscheinend k u r z nach seiner M a c h t ü b e r n a h m e in d e r M a r k ü b e r g a b er als comes marchiq aus seinem E i g e n g u t d e m K a i s e r Heinrich II. die curtís Zeil a m M a i n im V o l k f e l d g a u ( U n t e r f r a n k e n ) pro ipsa contulit ad integrum marchia, also f ü r den völligen Besitz d e r M a r k , f ü r die völlige A n e r k e n n u n g als M a r k g r a f 33. Schließlich w i r d A d a l b e r t auch als E i g e n t ü m e r von g r o ß e n B e s i t z u n g e n in B a y e r n , b e s o n d e r s an d e r Ilm u n d im S u n d e r g a u g e n a n n t , die einst T e g e r n s e e g e h ö r t e n u n d infolge d e r b e k a n n t e n S ä k u l a r i s i e r u n g e n v o n K i r c h e n g u t d u r c h Herzog A r n u l f an die L i u t p o l d i n g e r g e k o m m e n w a r e n u n d von diesen zu L e h e n a u s g e g e b e n w u r d e n 34.

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Noch liegt deutlich der Glanz höchsten Ansehens auf diesem babenbergischen Hause, wozu noch die Würde eines Herzogs von Schwaben und die Stellung als Erzbischof von Trier kamen. Endlich eröffnete sich noch die Aussicht auf das Königreich Burgund (Arelat). Gisela, die Tochter Herzog Hermanns II. von Schwaben war die Mutter Herzog Emsts II. aus ihrer zweiten Ehe mit dem Babenberger Herzog Ernst I. von Schwaben (t 1015). Ihre Mutter Gerberga war die Tochter König Konrads von Burgund (t 993) und Schwester des letzten Burgunderkönigs Rudolf III. Die ältere Schwester Giselas, Mathilde, war verheiratet mit dem Salier (Wormsgau-Graf) Konrad, von 1004—1011 Herzog von Kärnten — übrigens der jüngste Bruder Brunos, des Papstes Gregor V. (996—99). Mathildes andere Schwester Beatrix war mit dem Eppensteiner Adalbero, von 1012—35 Herzog von Kärnten, vermählt. Gisela hatte 1016 in dritter Ehe den späteren deutschen König Konrad II. den Salier geheiratet. Als Gemahl Giselas und Nachfolger Kaiser Heinrichs II. (1024) erhob er seinerseits Ansprüche auf Burgund — neben Herzog Ernst II. und Konrad d. J., Sohn Herzog Konrads I. von Kärnten (schon Gegenkandidat bei der Königswahl 1024). Wir hörten von der Empörung Emsts II. gegen den königlichen Stiefvater. Ihm S c h l o ß sich der jüngere Konrad, ebenso Graf Weif und Herzog Friedrich von Lothringen an. Sie mußten sich jedoch unterwerfen, Ernst mußte auf sein Herzogtum Schwaben verzichten. Noch behielt er die Abtei Kempten. Aber eine zweite offene Widersetzung besiegelte sein Geschick, er fiel im Kampf im Jahre 1030. Das Herzogtum Schwaben erhielt sein Bruder Hermann, also wieder ein Babenberger. Dieser starb im Jahre 1038

Die Ausweitung

der Mark

Mit Markgraf Adalbert beginnen die späteren österreichischen Quellen — im Anschluß an Otto von Freising — die Markgrafenreihe. Schon Jans Enikel nennt am Ende des 13. Jahrhunderts Adalbert den erst vogt in ôsterlant. Mit diesem Markgrafen setzt nun das starke Vordringen gegen Osten und Nordosten ein. Er ist es, von dem Otto von Freising sagt, daß er marchiani orientalem id est Pannoniam superiorem, Ungaris ereptam Romano imperio adjecit (Chron. VI, 15), und die babenbergische Genealogie aus dem Ende des 12. Jahrhunderts sagt, daß Adalbert und sein Sohn Liutpold die marchia orientalis den Ungarn vollends (piene) entrissen hätten 3e. Es gab zunächst ein langsames Vorschieben gegen Ungarn, das in enger Beziehung zu Kaiser Heinrich II. und Bayern stand. Heinrichs Schwester Gisela (Tochter Giselas von Burgund) war mit König Stephan von Ungarn verheiratet. Allmählich erfolgte ein kolonisatorisches Besitzergreifen des Landes jenseits der Schwechat. Um 1020 hatte Kloster Tegernsee dort, juxta flumen Svechant, fünf Königshufen erhalten, die allerdings nach etwa 15 bis 20 Jahren vom Kloster wieder getauscht wurden 3 7 . Das Erzstift Salzburg erhielt um die gleiche Zeit sechs Königshufen an der Quelle

LANDGEWINN NÖRDLICH DER

DONAU

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der Fischa, bei Fischau, an der Grenze der Ostmark und der karantanischen Mark 3 8 . Bald darauf wurde die Leitha erreicht. Doch der Rückschlag sollte nicht lange ausbleiben. Auch nördlich der Donau, wo zum J a h r 1002 die March als äußerste Grenze möglichen Bodengewinnes genannt wurde, wird nun das Land an geistliche und weltliche Grundherren ausgegeben. Lagen die Schenkungen an Kloster Niederaltaich von 1011 und 1019 noch weiter im Westen, so erhielt im Jahre 1021 die bayerische Propstei Weihenstephan (bei Freising) die in provintia orientali und in der marchia Graf Adalberts gelegene Insel Sachsengang bis gegen Orth im Osten, wobei eine über den nördlichen Donauarm bei Großenzersdorf gehende Brücke genannt wird. Der Besitz ging durch Tausch um 1030 an das Hochstift Freising über, das hier seine große Herrschaft Enzersdorf aufbaute, während die Mutterpfarre Probstdorf mit ihrem Stephanspatrozinium an die Propstei Weihenstephan erinnert. Die Vogtei darüber erwarben später herzogliche Ministerialen der Umgebung, die von Himberg, Pillichsdorf 3e. Im Jahre 1025 erhielt das Geschlecht der im heutigen Oberösterreich und im Pittener Raum bzw. in der Obersteiermark reich begüterten Traungauer Grafen von Wels-Lambach einen großen Besitz, fünfzig Königshufen aus Königs- und Reichsland, im Donau-Marchwinkel — also bereits weit im Osten, aber eindeutig „in der Grafschaft des Markgrafen Adalbert" gelegen 40. Hier entstehen später die regensburgischen Hochstiftsherrschaften Orth und Eckartsau, die aber größtenteils zu Lehen ausgegeben wurden 41. Wenn wir hier überall im 12. Jahrhundert landesfürstliche Ministerialen antreffen, dann mögen diese ursprünglich meist als hochstiftliche Ministerialen, später aber als Ministerialen des Markgrafen aufgetreten sein, der zum Lehensnehmer oder Vogt dieser hochstiftlichen Besitzungen wurde. Sicher darf man hier an Grenzsicherung gegen Osten denken. Wir können das nördlich der Donau zur Mark gehörige Gebiet etwa bis zu den Höhen von Groß-Weikersdorf und Stockerau entlang der Wagramstufe bis zur March annehmen. Hier läuft auch die schon 1045 genannte „Ungarische Straße", die Fortsetzung des vom Westen kommenden Höhenweges, des überall weithin sichtbaren sogenannten „Plecketen Weges". Auch im Westen des nördlich der Donau gelegenen Raumes geht das Vordringen gegen Norden weiter. Schon 1025 hat König Konrad II. dem Hochstift Passau allen Zehent in orientali provintia, nördlich der Donau, „in allen bestehenden und noch zu errichtenden Siedlungen" verliehen 42. Wie durch das Weistum 985/91 das Zehentrecht des Diözesanbistums Passau südlich der Donau gesichert worden war, so wird es nun auch für das nördlich der Donau gewonnene und bald weit auszudehnende Land festgelegt. Immer ist es Königsland, das vergeben wird. Im Zusammenhang mit der genannten Zehenturkunde von 1025 ist eine Nachricht zu verstehen, die uns aus dem Anfang des 13. Jahrhunderts überliefert ist. Es handelt sich um eine schriftliche Vereinbarung zwischen Bischof

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Berengar von Passau (1013—45) und Markgraf Adalbert (1018—55), der zufolge dem Bischof bzw. dem Erzpriester jährliche Naturalleistungen in Getreide und Getränk zugesichert wurden « Dieses Schriftstück fand sich in Gars anläßlich der Weihe der über der Toreinfahrt befindlichen Burgkapelle (Patrozinium St. Pankratius) durch Bischof Ulrich I. von Passau (1092—1121) im Sarg des dort beigesetzten Markgrafen Liutpold II. (f 1095). Gars war also schon im zweiten Viertel des 11 Jahrhunderts für den österreichischen Markgrafen ein bedeutungsvoller Platz und im letzten Viertel des gleichen Jahrhunderts Sitz und später Begräbnisstätte seines Nachfolgers; es war endlich ein kirchlicher Mittelpunkt, Sitz einer großen Mutterpfarre (Patrozinium St. Gertrud von Nivelles) und damals vielleicht auch Hauptort eines kirchlichen Großraumes, eines Archipresbyterats 44. Die große Doppelpfarre Gars—Eggenburg bildete zugleich vom Osten her die Hauptpforte ins Waldviertel. Gars war aber auch Zentrum eines großen landesfürstlichen Forst- und Bannbezirkes, dessen Mittelpunkt später Gföhl wurde.

Markgraf Adalbert scheint von König Konrad II. noch einen Gunsterweis erfahren zu haben. Wie wir aus den Nummern der Dorsualvermerke der ältesten im Archiv des Stiftes Klosterneuburg erliegenden Privilegien f ü r die babenbergischen Markgrafen und Herzöge (von 1179/80) schließen können, muß ihm zwischen 1024 und 1035 -eine Urkunde ausgestellt worden sein, deren Inhalt wir aber nicht kennen 4 5 . Dann aber scheint allmählich eine rückläufige Entwicklung f ü r das babenbergische Haus eingesetzt zu haben. Von dem Gegensatz zwischen dem jungen Schwabenherzog Ernst II. und seinem Stiefvater Konrad II. haben wir gehört. Ebenso, daß sein Bruder und Nachfolger im Herzogtum Schwaben, Hermann, bereits 1038 starb. Nun übergab der Kaiser Schwaben seinem bereits 1028 zum deutschen König designierten Sohn Heinrich (III.); das Herzogtum Bayern hatte er ihm schon 1026 übertragen. Damit war also bereits eine bedeutende Schwächung des babenbergischen Hauses gegeben. Auch in das innere Leben der Mark scheint Kaiser Konrad energisch eingegriffen zu haben. So läßt sich wohl jene Nachricht deuten, wonach der Kaiser im J a h r 1027 auf einer .Reichsversammlung feststellen ließ, was das Reich en Rechten in Bayern und der Mark habe, besonders an den civitates, den großen Reichsfesten und Burgen 46. Scheinbar hat der Kaiser auch Lehenbesitz, den Markgrafen Adalbert vom Reich inne hatte, zurückgenommen und anderweitig verliehen. Zu mindest darf eine Schenkungsurkunde an Freising so interpretiert werden, in der dem Hochstift u. a. eine Königshufe an der Uri, einem Nebenfluß der Ybbs, gegeben wurde, die bisher Adalbert zu Lehen trug 47. Eine andere Einbuße erlitten die Babenberger und die Mark von außen her. Mieszko II., Boleslaw I. Chrobrys Sohn aus der zweiten Ehe seines Vaters mit einer Tochter Fürst Gézas von Ungarn, nahm ebenfalls eine feindliche Haltung gegen das Reich ein und verbündete sich mit dem Böhmenherzog Udalrich (1012—33), der seinen Bruder Boleslaw III. vertrieben hatte. Aber 1031 zog Kaiser Konrad gegen Polen, gewann die

AUSSENPOLITISCHE

SCHWIERIGKEITEN

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L a u s i t z zurück u n d b r a c h t e die L e h e n s h o h e i t des Reiches zur A n e r k e n n u n g . Die G e l e g e n h e i t z u m E i n g r e i f e n des Reiches g e g e n B ö h m e n w a r j e doch noch nicht g e k o m m e n . G r ö ß e r e G e f a h r d r o h t e aus d e m S ü d o s t e n , v o n U n g a r n h e r . König S t e p h a n h a t t e im g r o ß e n u n d g a n z e n d a s l a n g s a m e V o r d r i n g e n in G e b i e t e a n seiner W e s t g r e n z e geduldet. Als a b e r eine politische K o n s t e l l a t i o n Ungarn, Kroatien und Venedig näher zusammenführte, mußte Kaiser Konr a d f ü r das Reich u n d b e s o n d e r s f ü r B a y e r n , auf das j a schließlich auch S t e p h a n n a m e n s seiner G a t t i n Gisela E r b a n s p r ü c h e e r h e b e n mochte, e i n e G e f a h r erblicken, die er f ü r die Z u k u n f t zu b a n n e n suchte. A n d e r e r s e i t s f ü r c h t e t e S t e p h a n die A u f n a h m e e i n e r möglichen V e r b i n d u n g des Reiches m i t d e m nach W e s t e n v o r d r i n g e n d e n Byzanz. G r e n z s t r e i t i g k e i t e n k a m e n dazu, a n d e n e n B a y e r n u n d die M a r k b e s o n d e r s beteiligt w a r e n . D a s s t e t e V o r r ü c k e n bis z u r L e i t h a u n d d a r ü b e r h i n a u s v e r a n l a ß t e G e g e n m a ß n a h m e n K ö n i g S t e p h a n s , der seinerseits in die M a r k einfiel. D e r d a r a u f f o l g e n d e H e e r z u g K a i s e r K o n r a d s nach U n g a r n (1030) blieb nicht n u r e r folglos — die U n g a r n h a t t e n sich in die W ä l d e r u n d S ü m p f e n a h e des Neusiedlersees sowie an d e r R a a b u n d d e r R a b n i t z zurückgezogen u n d das e r m ü d e t e deutsche H e e r i m m e r w i e d e r belästigt u n d geschwächt —, s o n d e r n b e i m R ü c k z u g e r l i t t das b e r e i t s d u r c h H u n g e r e r m a t t e t e Reichsh e e r eine Niederlage. G e n a u e r gesagt, es w u r d e in W i e n g e f a n g e n g e n o m m e n , (exercitus . . . Vienni ab Ungris capiebatur) 48. In d e m d a r a u f f o l g e n den Friedensschluß, den d e r S o h n des Kaisers, K ö n i g Heinrich, zugleich H e r z o g von B a y e r n , ohne Wissen seines V a t e r s v e r m i t t e l t e , w u r d e d e r G r e n z s t r e i f e n im Osten d e r M a r k zwischen Fischa u n d L e i t h a a n U n g a r n abgetreten. Glücklicher war der Kaiser in seinen Kämpfen gegen den Böhmenherzog Udalrich, dem nach seinem Tod (t 1033) auf ein Jahr sein älterer, gemeinsam belehnter Bruder Jaromir folgte, und gegen Udalrichs Sohn Bretislaw I., seit 1028 Fürst von Mähren, seit 1034 Herzog von Böhmen. Dieser war vermählt mit Judith, einer Tochter des Grafen Heinrich von Schweinfurt aus der älteren babenbergischen Linie, die er aus Schweinfurt entführt hatte. Ihr Bruder Otto aber hatte Mathilde, die Tocher Boleslaws Chrobry von Polen, eine Halbschwester Mieszkos II. zur Frau. Wir sehen das Zusammenrücken der slawischen Staaten durch eheliche Verbindungen, aber auch eine Annäherung zu angrenzenden deutschen Hoheitsbereichen. Später wird dies auch für die Donaumark gelten. Ein dauernder Erfolg blieb dem Kaiser auch gegen Böhmen versagt. Erst unter seinem Sohn Heinrich III. wurde die Thayagrenze erreicht. In dieser Zeit außenpolitischer S c h w i e r i g k e i t e n , die in e r s t e r Linie die M a r k b e t r a f e n , h ö r e n w i r nichts v o n M a i k g r a f A d a l b e r t , o b w o h l a n z u n e h m e n ist, d a ß er a n den K ä m p f e n g e g e n die U n g a r n beteiligt w a r . I m J a h r e 1035 ist er d a n n in d e r U m g e b u n g des K a i s e r s in B a m b e r g n a c h w e i s b a r . I m J u n i dieses J a h r e s w u r d e Herzog A d a l b e r o v o n K ä r n t e n aus d e m b e d e u t e n d e n H a u s e d e r E p p e n s t e i n e r , d e r auch ü b e r die k a r a n t a n i s c h e

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5. D I E A U S W E I T U N G D E R M A R K N A C H N O R D U N D O S T

Mark, sowie über die Marken Istrien und Verona gebot, des Hochverrats angeklagt 4 9 . Der Herzog war dem Kaiser schon längere Zeit im Wege gestanden und von ihm mit Argwohn beobachtet worden. Es war dies der erste große Lehensprozeß wegen Infidelitas. Die versammelten Fürsten, unter denen ausdrücklich Markgraf Ekkehard von Meißen und Markgraf Adalbert von Österreich genannt werden, forderten dabei die Gegenwart des jungen Königs Heinrich, der dem Eppensteiner ausgesprochen freundlich gegenüberstand. In einem dramatischen Ringen zwischen Vater und Sohn stimmte schließlich auch Heinrich dem Hofgerichtsspruch zu, den nun die Fürsten fällten und der die Absetzung Herzog Adalberos und seine Verbannung verkündete 5 0 . Der Kaiser gab das erledigte Herzogtum Kärnten dem Neffen seiner Frau Gisela, dem oben genannten Konrad „dem Jüngeren", dessen Mutter Mathilde ja auch eine Schwester der Gemahlin Adalberos war. Aber Herzog Konrad II. starb bereits im Juli 1039 — einige Monate später starb auch sein verbannter Vorgänger Adalbero —, worauf König Heinrich III. Kärnten bis 1047 selbst in seiner Hand behielt. Die dem Herzogtum Kärnten unterstellte karantanische Mark, die spätere „Steiermark", wurde dem Grafen Arnold II. von WelsLambach übergeben, neben dem bereits 1042 sein ältester Sohn Gottfried als Markgraf auftrat; schon im Jahre 1050 wurde er aber erschlagen. Sein Vater Arnold hat ihn nicht lange überlebt. Der letzte Sproß des Hauses, Adalbero (f 1090), wurde Bischof von Würzburg und begründete auf der väterlichen Stammburg das Benediktinerkloster Lambach 5'. Die Lambacher verwalteten Grafschaften im Enns-Palten-Tal, im Grazer Becken und die Grafschaft Hengist um Wildon-Leibnitz. Auch die Mark Krain erhielt in Graf Eberhard von Ebersberg einen eigenen Markgrafen, der mit einer Sächsin Adelheid verheiratet war. Es scheint, als ob Kaiser Konrad die Haltung Markgraf Adalberts beim Fürstenspruch gegen Adalbero von Kärnten honorieren wollte, als er ihm vier Wochen später fünfzig Königshufen zwischen den Flüssen Piesting und Triesting und zwar im Dorf „Bobsowa" und „wo immer Adalbert sie sich aussuchen will" zu Eigen gab 5 2 . Im allgemeinen aber scheint sich Markgraf Adalbert nicht besonderer Gunst des Kaisers erfreut zu haben. Konrad war durch seinen Kampf um Burgund weit mehr nach Westen orientiert als nach Osten, wo er mit seiner Politik wenig Erfolg hatte. Im Inneren freilich hatte Konrad das Reich zu hoher Machtentfaltung gebracht. Das Reichsgut wurde stark vermehrt, nicht zuletzt auch durch Einziehung von Besitz und Eigengütern in Folge von Infidelitas ihrer früheren Besitzer. Freilich wurden daraus auch immer wieder Güter und Rechte ausgegeben, deren geistliche oder weltliche Empfänger damit dem König verpflichtet wurden. Das Reichskirchengut wuchs dadurch an. Eine Reihe von Bistümern hatte in der Mark Besitz erhalten. Darunter muß besonders das Hochstift Freising genannt werden, dessen Bischof Egilbert (1006—39), verwandt mit den Grafen von Ebersberg, Erzieher des jungen

ERRICHTUNG DER BÖHMISCHEN MARK

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Königs Heinrich war. Freising erhielt 1033 einen Königshof am Übergang vom nördlichen Wienerwald ins Tullnerfeld (Ollern) und im J a h r darauf drei Königshufen an der Uri (in orienti parte ... in comitatu marchionis Α.), von denen Markgraf Adalbert eine zu Lehen gehabt hatte. Damit erf u h r der große Güterkomplex Freisings an der Ybbs und ihren Nebenflüssen eine weitere Ausdehnung. Desgleichen konnte das Hochstift Regensburg an Donau und Erlauf (Pöchlarn-Wieselburg) und im südlichen Marchfeld (Orth-Eckartsau) unter Bischof Gebhard III. (1036—60), einem Halbbruder Konrads II. und Onkel Heinrichs III., seinen Besitzstand mehren. Das Bistum Eichstätt erhielt 1033 zwanzig Königshufen am Ausgang des Wienerwaldes in das Wiener Becken, „zwischen dem Chumberc (d. h. Wienerwald) und der Liesing". Wir kommen damit, wie schon oben gesagt, in das Gebiet von Mödling-Perchtoldsdorf 5 3 . Übrigens hat der Kaiser bereits begonnen, sich die niederen Vasallen und kleineren Lehensträger zu verpflichten, indem er die Vererbbarkeit ihrer Lehen förderte 5 4 . Die Errichtung von Grenzmarken

gegen Böhmen und Ungarn

Als nun Konrad am 4. Juni 1039 starb, folgte ihm sein Sohn Heinrich III. auf dem Thron. Schon als König (seit 1028) hatte dieser Kämpfe gegen Slawen und Ungarn zu führen gehabt. Er war ja zugleich Herzog von Bayern und so im besonderem Maße am Geschehen im Südosten interessiert. Immer mehr erkennen wir seine bedeutende Persönlichkeit und seine wesentlichen Leistungen auf dem Gebiet der deutschen Ostpolitik. Ihm ist auch die endgültige Sicherung und Erweiterung der Ostmark gegen Böhmen und Mähren einerseits, gegen Ungarn andererseits zu danken und mit ihm dem Ostmarkgrafen Adalbert und seinem Sohn. Es ging in erster Linie um das nordöstliche Landesviertel, das Weinviertel. Im J a h r e 1039 begannen die Kämpfe gegen Böhmen und seinen Herzog Bfetislaw I., der ja zugleich auch die Pläne des Prager Bischofs nach Ausdehnung seiner Diözese nach Süden und Erhebung zum Erzbistum begünstigte, was jedoch vom Papst abgelehnt wurde. Die Kämpfe wurden mit wechselndem Erfolg geführt. Auch König Peter von Ungarn, der Neffe des verstorbenen Königs Stephan, leistete den Böhmen Hilfe. Doch wurde schon damals von der Ostmark her Landgewinn gegen Norden erzielt und vermutlich auch schon eine Art Grenzwehr mit festen Plätzen eingerichtet. Aber erst im Jahre 1041 gelang es, einen dauernden Erfolg zu erringen, nicht zuletzt durch innenpolitische Wirren in Ungarn. Zum Ausgriff auf Böhmen vom Westen und Südwesten, von Regensburg und der Oberpfalz her, kamen die bedeutenden Erfolge Markgraf Adalberts, des marchio Baioariorum, und seines Sohnes Liutpold im Süden. Ausführlich berichten uns die Großen Annalen des Klosters Niederaltaich (verfaßt um 1073/75) von diesen Kämpfen 55. Dort ist auch von einer im Grenzgebiet Böhmens und Bayerns gelegenen Feste (urbs) die Rede, die Markgraf Adalbert von den Böhmen entrissen worden war, die der junge Liutpold aber 1041 zurückeroberte

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5. D I E A U S W E I T U N G DER M A R K N A C H N O R D U N D O S T

und zerstörte. Man darf diese Wehranlage auf dem Oberleiser Berg, nördlich von Ernstbrunn, annehmen 5 e . Von dieser Gegend aus erfolgte dann ein weiteres Vordringen nach Norden über die Thaya hinaus. Herzog Bretislaw unterwarf sich im Oktober 1041 in Regensburg und leistete den Vasalleneid f ü r Böhmen. Der Friede wurde geschlossen und bestätigte die Thaya-Grenze 57. Sehr bald wurde nun südlich der Thaya zu beiden Seiten der Pulkau eine kleine Mark gegen Böhmen eingerichtet. Im Jahr 1055 wird sie ausdrücklich als marchia Boemia unter einem eigenen Markgrafen genannt. Fast gleichzeitig mit den Kämpfen gegen die Böhmen ergaben sich harte Kämpfe im Osten der bayerischen Mark gegen die Ungarn. Nach dem Tod König Stephans (1038) folgte ihm Peter, der Sohn aus der Ehe von Stephans Schwester Maria mit dem Dogen Orseolo von Venedig, als König. Nachdem sein Vater aus Venedig vertrieben worden war, hatte er am Hofe seines Onkels Stephan gelebt und war Befehlshaber des ungarischen Heeres geworden. Aufbrausend, hart und ungerecht, bevorzugte er Italiener und Deutsche und bedrückte auch die Königin-Witwe Gisela. So geriet er mit der national-ungarischen Partei in Konflikt, an deren Spitze Paladin Samuel Aba stand. Dieser war mit Sarolta, der jüngsten Schwester König Stephans verheiratet. Nachdem ein Vertrauter und Ratgeber ermordet worden war, ergriff Peter die Flucht (in terram Baioariorum), und zwar zu dem benachbarten Markgrafen Adalbert von Österreich, der in zweiter Ehe mit einer Schwester Peters, Froiza, verheiratet war. Das berichten uns Hermann von Reichenau und später Otto von Freising (Chron. VI/32), jedoch ohne den Namen zu nennen 58. Peter flüchtete weiter zu König Heinrich; in Ungarn aber kam Aba als König zur Herrschaft (1041—44) und rüstete zum Einfall in die Ostmark. Begreiflicherweise wollte König Heinrich die Widerstandskraft im Osten des Reiches stärken, so daß er nach Jahrzehnten im Jahre 1042 im Herzogtum Bayern wieder einen eigenen Herzog einsetzte, Es war eine Neffe der KaiserinWitwe Kunigunde namens Heinrich, Sohn des lützelburgischen Grafen Friedrich, der aber schon 1047 starb. Übrigens hat der König schon 1045—47 und wieder 1048 auch Schwaben einen eigenen Herzog gegeben, zuletzt Otto, den Sohn Heinrichs aus der Schweinfurter Linie der Babenberger (t 1057).

Im Februar 1042 griff Aba zugleich in der Ostmark und in der Karantanischen Mark an 5 9 . In zwei großen Heerhaufen, zu beiden Seiten der Donau, drangen die Ungarn gegen Westen vor. Während der südlich der Donau unter Abas Führung vorrückende Heerhaufen bis zur Traisen das Land verwüstete und dann über Tulln mit reicher Beute heimkehrte, wurde der nördliche von Markgraf Adalbert und seinem, schon in den Kämpfen des Jahres 1041 gegen die Böhmen so bewährten Sohn Liutpold im Marchfeld geschlagen und zum Großteil vernichtet. Der Rest des Heeres wurde über die March getrieben, in der viele umkamen. Anschließend brach König Heinrich, zusammen mit König Peter, Herzog Bretislaw von

DIE GRENZMARK GEGEN UNGARN

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Böhmen und Markgraf Adalbert in Ungarn ein, nahm die um 1020 errichtete, 1030 von den Ungarn eroberte urbs Heimenburc (Hainburg) ein und zerstörte sie. Er ging dann am linken Donauufer vor, nahm Preßburg (Brezesburg) und drang bis zur Gran vor. Er eroberte eine Reihe von Burgen, die einem entfernten Neffen König Stephans, Bela, übergeben wurden. Zwei andere Burgen die, wie die Quelle sagt, der bayerischen Mark zunächst lagen, wurden von den Einwohnern selbst verbrannt c o . Als König Heinrich im J a h r 1043 neuerlich in Ungarn einfiel und am rechten Donauufer bis zur Raab gekommen war, wurde der Friede geschlossen. Der 1030 den Ungarn abgetretene Landstrich zwischen Fischa und Leitha kam wieder an das Reich zurück und sicherte so die LeithaGrenze endgültig. Ähnliche Erfolge hatte im Süden auch Markgraf Gottfried der karantanischen Mark, der den Einfall der Ungarn im Jahre 1042 abwehren und die östliche Steiermark sichern konnte. Nun wurde auch im Osten der Ostmark gegen die Ungarn eine kleine Mark eingerichtet, eine „Ungarische Mark" oder, wie sie in der Literatur seit 1864 genannt wird, die „Neumark" 61. Liutpold, der Sohn Markgraf Adalberts und erfolgreiche Kämpfer gegen Böhmen und Ungarn, wurde auf einem großen Fürstentag zu Ingelheim im Dezember 1043, wo zugleich die Hochzeit König Heinrichs III. mit Agnes von Poitou und Aquitanien gehalten wurde, zum Markgrafen ernannt 6 2 . Aber er starb bereits wenige Tage darauf, am 9. Dezember „ein Jüngling von ausgezeichneter Anlage", sagen die Altaicher Annalen. Er wurde von Erzbischof Poppo von Trier, „seinem Vatersbruder" — ein weiterer Beweis, daß Markgraf Adalbert ein Sohn Markgraf Liutpolds I. war — ebendort begraben 63. Im übrigen scheint Liutpold, obwohl ihn die Quellen als adolescens und juvenis bezeichnen, schon verheiratet gewesen zu sein und zwar mit Ida, einer Tochter Liudolfs von Braunschweig, des Sohnes der späteren Kaiserin Gisela aus ihrer ersten Ehe mit Bruno von Braunschweig 64. Für Markgraf Adalbert mag es eine Anerkennung gewesen sein — seine „Dienste und Treue" werden hervorgehoben —, daß er gerade in diesen Tagen (1. Dez. 1043) von König Heinrich im Pielach-Gau, zu „Bribesendorf in der Grafschaft Markgraf Adalberts" ein Gut erhielt, vermutlich Obergrafendorf, das dem König „nach Erbrecht" zugefallen war 65. Der Friede mit Ungarn war freilich noch keineswegs gesichert. Gegen König Aba erhob sich ein Teil der ungarischen Adeligen, die ihn als Usurpator ansahen. Sie sprachen sich wieder für König Peter aus. Zum drittenmal zog König Heinrich gegen Ungarn, mit zwei Heeren, einem böhmischen unter Herzog Bfetislaw und einem bayerischen unter Bischof Gebhard von Regensburg. Sie nahmen ödenburg ein und drangen mit Umgehung der sumpfigen und waldigen Gebiete bis an die Raab vor. Bei Menfö kam es am 5. Juli 1044 zur Schlacht, die dem deutschen Heer einen großen Sieg brachte. Allerdings fiel auch eine Reihe von Hochadeligen, darunter Graf Sighard (Sizo), der Stammvater der Grafen von Peilstein und Burghausen ββ. Aba wurde gefangen

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5. b l E A U S W E I T U N G D E R M A R K N A C H N O R D U N D O S T

und hingerichtet. König Peter wurde in Stuhlweißenburg neuerlich zum König gekrönt und huldigte König Heinrich als Lehensherrn; die Belehnung nahm dieser mit der „goldenen Lanze" vor, die dann nach Rom geschickt wurde 6 7 . Bairisches Recht, wie es in den Gesetzen König Stephans zum Ausdruck kam, wurde auf Bitte der Ungarn wieder eingeführt. Eine deutsche Besatzung blieb in Ungarn. In der Folge kam eine Reihe von deutschen Adelsgeschlechtern in das Land und mit ihnen ihre Grundholden e 8 , wie das schon vor einem halben Jahrhundert durch Gisela von Bayern der Fall gewesen war. Im Mai des Jahres 1045 zog König Heinrich nochmals auf der Donau gegen Ungarn. Bei einem Aufenthalt in Persenbeug, dem Sitz Richlinds, Witwe nach Adalbero II., dem letzten Grafen von Ebersberg, die dessen Hoheitsgebiete, besonders die Grafschaft Persenbeug, ihrem Neffen Weif III. zubringen wollte, kam es zu einem schweren Unfall. Die Gräfin, Bischof Bruno von Würzburg und der Abt des Klosters Ebersberg, der gleichfalls auf die Besitzungen seines Stifter- und Vögtegeschlechtes Ansprüche erhoben hatte, kamen dabei ums Leben 6 ». Während König Heinrich im Herbst 1046 nach Italien zog, erhob sich gegen König Peter eine nationale, zum Teil noch heidnische Reaktion. Er wurde gefangen und geblendet und starb bald darauf. Die Herrschaft trat nun Andreas (1047—61), ein Neffe zweiten Grades König Stephans an. Er war mit einer Fürstentochter von Kiew vermählt und hatte in Rußland ein Söldnerheer aufgestellt, mit dem er in Ungarn einzog. Kaiser Heinrich aber, der Weihnachten 1046 von Papst Clemens II., dem früheren Bischof Suidger von Bamberg, zum römischen Kaiser gekrönt worden war, verweigerte ihm die Anerkennung seiner erblichen Würde. Bedeutsam war es nun, daß im Vorfeld der Ostmark gegen Norden und gegen Osten zwei kleine Marken eingerichtet wurden. Sie bildeten einen Teil der großen Wehrorganisation, die König Heinrich III. an der Ostgrenze des Reiches errichtete, und die sich gegen Böhmen-Mähren und gegen Ungarn wandte. Die Marken Cham und Nabburg im bayerischen Nordgau gehörten ebenso dazu, wie die „böhmische" und die „ungarische Mark", die der bayerischen Ostmark vorgelagert waren. Sie trugen alle Merkmale der „salischen Marken" an sich, wie sie durch neuere Forschungen in ihrem Wesen erfaßt wurden 70. Es sind dies feste Grenzen; bereits 1056 ist von „festen Grenzzeichen" dio Rede 7 1 . Dann gebieten eigene Markgrafen in den Marken. Weiters sind sie bedeutend kleiner als die ottonischen Marken; auch nicht mehr gegen feindliche größere Staaten gerichtet, denn Böhmen gehörte zum Reich und Ungarn, wenigstens vorübergehend, ebenfalls. Bei den nordgauischen Marken trifft das noch weniger zu. Aber es handelt sich — besonders in den österreichischen Marken — doch um ein im Kampf gegen unsichere und aufständische Vasallen erobertes Land. Ausdrücklich spricht eine Urkunde von 1051 von der regio finibus Ungarorum gladio ab hostibus adquisita72. Diese salischen Marken sollen in erster Linie die Etappe und die Aufmarschwege gegen aufständische Lehensstaaten sichern. Zu wenig beachtet aber wird die Tatsache, daß es sich hier zugleich um echte Grafschaften

MERKMALE DER SALISCHEN M A R K E N

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handelt, wie uns die Urkunden immer wieder beweisen. Die Umgrenzung dieser Marken ergibt sich aus urkundlichen Nennungen und vor allem aus der Zehentschenkung vom Jahre 1051 an das geplante Kollegiatstift der Heiligen Maria, Mauritius und Laurentius, Patrone der Kämpfe an der Ostfront des Reiches, bei der ab 1050 wieder aufgebauten Reichsfeste Heimenburc (heute Deutsch-Altenburg). Die „Ungarische Mark" umgrenzt also Leitha und March einerseits, Fischa und eine Linie von der Fischamündung bis „Strachtin" (Tracht, heute Strachotin, am Nordpunkt des mährischen Thayabogens) andererseits 7 3 . Die Grenzen alter Mutterpfarren halten die Grenze zwischen Altenmark und Neumark fest. Diese darf aber auf keinen Fall zu weit nach Westen zurückverlegt werden, etwa noch das spätere Landgericht Korneuburg oder die Mutterpfarre Pillichsdorf umfassend. Die zentralen Punkte kirchlicher und gerichtlicher Bezirke sind: Im Süden Hainburg/Deutsch-Altenburg und Unterwaltersdorf (genannt 1220), im Norden Stillfried (genannt 1045) und Weikendorf (genannt nach der Mitte des 11. Jahrhunderts) 7 4 . Die „Böhmische Mark" — urkundlich 1055 so genannt — im Norden der Altmark reicht vom Thaya-Durchbruch bei Frain-Hardegg im Westen bis zu den Falkensteiner und Pollauer Bergen im Osten. Im Süden reichte sie bis zu den Höhenzügen, die sich durch das westliche Weinviertel nördlich von Sitzendorf—Hollabrunn—Gnadendorf—Mistelbach hinziehen. Als späte territoriale Reste dieser Mark ergeben sich die Reichsgrafschaft Hardegg—Retz, die Herrschaft Seefeld—Mailberg—Kadolz, Laa und Staatzdorf-Falkenstein. Die alten Mutterpfarren Weitersfeld, Pulkau, Wullersdorf, Eggendorf i. Tale, Gaubitsch, Falkenstein liegen auf dem Boden dieser Mark 75. Betont sei hier, daß sich auch in diesen beiden um die Mitte des 11. Jahrhunderts errichteten Marken, die bis etwa 1060/65 bestanden, noch das sogenannte „Marchfutter" findet 7 6 . Es ist ein großes Gebiet, das da binnen weniger Jahre durch die überragende Staatskunst und Organisationsgabe des deutschen Königs und durch die militärischen Leistungen des Ostmarkgrafen Adalbert — er wird im 15. Jahrhundert als „der Siegreiche" bezeichnet — und seines Sohnes Liutpold für die Ostmark und f ü r das Reich gewonnen wurde. Mit unerhörtem Elan war bis zur Thaya, March und Leitha vorgestoßen worden. Aber wir sehen staunend, daß Markgraf Adalbert in der ungarischen und in der böhmischen Mark an Besitz und Rechten leer ausgeht, daß ihm auch die markgräfliche Würde in den beiden Grenzmarken versagt bleibt. Wohl war zunächst sein Sohn Liutpold zum Markgrafen der Ungarischen Mark bestellt worden, der aber — wie erwähnt — bereits einige Tage danach starb. Es war keine Entschädigung f ü r Adalbert, wenn er im April 1048 im Hinterland der beiden Marken, am Zusammenfluß der beiden Zayabäche (Zaya und Taschibach) westlich von Mistelbach dreißig Königshufen zu freiem Eigen erhielt und im J a h r 1051 das gleiche Ausmaß in und um Grafenberg (bei Eggenburg), in pago Osterriche und in seiner Grafschaft gelegen, knapp südlich der Grenze der böhmischen Mark 77.

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5. D I E A U S W E I T U N G D E R M A R K N A C H N O R D U N D O S T

Größere Bedeutung in diesen beiden Marken besaßen andere Hochadelsgeschlechter, die auch deren Markgrafen stellten. Schon 1045 wird ein Markgraf Siegfried für die „Ungarische Mark" genannt. Wir haben sieben bzw. acht Urkunden aus den Jahren 1045—51, die sich auf Orte in dieser Mark beziehen 78. Vier davon aus dem Jahre 1045 nennen ausdrücklich die marchia bzw. den marchio Siegfried. In der letzten Urkunde von 1051, als Siegfried wohl bereits tot war, ist der Name des „Grafen" ausgespart. Meistens wird in den Urkunden auch der comitatus des Markgrafen genannt. Das aber bedeutet, daß der Markgraf in dieser Mark auch die Grafschaftsrechte ausübte, oder daß sie zugleich eine Grafschaft bildete. Auch der pagus (Gau, Gebiet) wird in den erwähnten Urkunden genannt; einmal ist der Platz für den Gaunamen ausgespart, zweimal heißt es in orientali pago, zweimal in pago Osterriche — also gibt es eine gewisse Unsicherheit. Doch deutlich tritt hervor, daß dieses Osterrîche immer noch einen größeren Raum bezeichnet, in dem sowohl die marchia orientalis als auch die neue Ungarische Mark lag. Doch immer zeigen die Urkunden deutlich, daß es sich um Königsland, also um eroberten Boden handelt. Wer aber ist dieser Markgraf Siegfried? Mit ihm hat sich seit mehr als zweihundert Jahren eine Reihe von Forschern beschäftigt, ohne daß seine Herkunft geklärt werden konnte 79. Zweifellos hat er Beziehungen zum Rhein. Auf keinen Fall dürfen wir jedoch annehmen, daß es sich in den Urkunden um Verschreibung des Namens „Sieghard" in „Siegfried" handelt (so Witte und Bednar) 80. Markgraf Siegfried erhielt in zwei Königsurkunden vom Jahre 1045 einen riesigen Besitz: zuerst 150 Königshufen „im Gebie,t der Flüsse Fischa, Leitha und March", ohne nähere Lagebezeichnung, aber dort, „wo der König es ihm auszumessen befiehlt", vor allem aber südlich der Donau, wo der Ortsname Seibersdorf, ein altes „Sifridesdorf", auf den Empfänger Siegfried hinweist. Da dieser Ort später zur Herrschaft Unterwaltersdorf gehört, so fällt wohl auch dieses in die Siegfried-Schenkung. Einige Monate später erfolgt eine zweite Schenkung an Siegfried, die in einzelnen, topographisch umschriebenen Teilgebieten zusammen 230 Königshufen und 35 Hofstätten umfaßte, vom nördlichen Donauarm nahe Stillfried an der March, bis zur Zaya und zum Sulzbach ei. Noch zwei weitere Schenkungsurkunden des Jahres 1045, für den nördlichen und für den südlichen Teil der Ungarnmark, nennen den Namen des Markgrafen Siegfried und seine Grafschaft: Kloster Niederaltaich erhält zehn Königshufen an der Zaya, anschließend an das „genau begrenzte (!) Schenkungsgut des Markgrafen Siegfried"; am gleichen Tag empfängt ein Edler Reginold die Hälfte des „Reisenberges" und dazu zehn Königshufen am rechten Fischa-Ufer aufwärts, „wie es ihm ausgemessen wurde" 82.

Daß es sich bei der Organisation und Besiedlung der beiden „Neumarken" um eine einheitlich gelenkte Aktion des deutschen Königs im Zusammenwirken mit den Markgrafen dieser Gebiete handelt, sehen wir

PLANMASSIGE BESIEDLUNG DER „NEUMARKEN"

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aus den die Ungarnmark betreffenden Urkunden, wonach die geschenkten Königshufen auf Befehl des Königs genau vermessen (mensurare) und durch Königsboten zugewiesen werden sollten 83. Die Siedlungsform der Dörfer (Straßen- und Angerdorf mit riemenförmigen, schmal und langgestreckten Flurformen) bestätigen dieses Bild einer planmäßige Anlage der Siedlungen. Noch zwei weitere Urkunden weisen auf das Gebiet der Ungarischen Mark — obwohl diese oder ihr Markgraf nicht direkt genannt werden, was wohl darauf hindeutet, daß Markgraf Siegfried nicht mehr am Leben war, zumindest nicht mehr das Markgrafenamt ausübte. Die schon erwähnte Zehentschenkung vom J a h r e 1051 erstreckt sich auf „die gesamte Region, die im ungarischen Grenzgebiet mit dem Schwert von den Feinden gewonnen wurde" 84. Eine frühere Urkunde, von angeblich 1044, ist für einen königlichen serviens Riziman, der fünf Königshufen an der Leitha in Sarasdorf zur „freien Verfügungsgewalt" erhält 8 5 . Hier tritt zum erstenmal in der Mark ein Angehöriger des aufkommenden Standes der Ministerialen auf und es ist zugleich die erste Königsschenkung an einen Reichsministerialen, wie wir dies auch aus den Marken des bayerischen Nordgaues kennen 8e . Noch einer Schenkung im Gebiet der ehemaligen Ungarnmark muß gedacht werden. Im Jahre 1048 erhielt Kloster Niederaltaich in Erweiterung seines Schenkungsgutes von 1045 drei Königshufen, die am Unterlauf der „Schwarza" — eigentlich der unteren Thaya —, in orientali pago gelegen, an das Eigengut des Grafen Udalrich, Sohn des Grafen Tiemo von Formbach-Ratelnberg angrenzen 87. Daß die Formbacher und ihr Seitenzweig, die Grafen von Rateinberg, auch weiter im Westen der Ungarnmark begütert waren, werden wir noch hören.

Markgraf Siegfried scheint vor 1048 gestorben zu sein, die Urkunden von 1048, die über Schenkungsgüter in der ungarischen Mark berichten, nennen weder eine „Grafschaft" noch die „Mark", noch einen Inhaber derselben. Kein einziges österreichisches Nekrolog kündet von ihm. Wer sein Nachfolger in der ungarischen Mark war, wird nicht ausdrücklich gesagt. Aber es scheint, daß Bischof Gebhard III. von Regensburg, ein Onkel Kaiser Heinrichs III., mit der ungarischen Mark betraut worden ist. Er war beteiligt am Wiederaufbau der Reichsfeste Heimenburg und wird als ein entscheidender Vorkämpfer in den wechselvollen Kämpfen mit König Andreas von Ungarn in den Jahren 1050—52 genannt. Die Kämpfe verliefen wenig glücklich für die Deutschen, die Belagerung von Preßburg mußte über Intervention des Papstes aufgehoben werden 88. In den Jahren 1052—54 richteten die Ungarn ihre Einfalle in erster Linie nach der Karantanischen Mark, die nach wie vor Graf Arnold II. von Lambach anvertraut war, der um 1055 starb. Sein Nachfolger in der Mark war Otakar, Graf im Chiemgau, der bereits im Jahre 1056 als Markgraf genannt wird und der auch als Teilerbe der Lambacher Besitz und

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5. D I E A U S W E I T U N G D E R M A R K N A C H N O R D U N D O S T

Rechte im Traungau erwarb. Er war der Gründer des Klosters Garsten nahe seiner Herrschaft Steyr, dessen Vögte die Traungauer blieben. Die Einfälle der Ungarn in die karantanische Mark und in die Ostmark wurden besonders gefährlich, da sich der bayerische Herzog Konrad (Chuna) gegen den Kaiser erhob. Ihm, einem Sproß des rheinischen Pfalzgrafenhauses, war im Jahre 1049 das Herzogtum Bayern von Kaiser Heinrich übertragen worden. Aber schon im Jahre 1053 wurde er wegen schwerer Friedensverletzung, im besonderen auch in einer Fehde mit Bischof Gebhard von Regensburg und infolge seiner Verbindung mit König Andreas von Ungarn vom Kaiser seines Herzogtums entsetzt. Darauf floh er nach Ungarn — er war ein Vetter der Frau Belas, des Bruders und Mitregenten von König Andreas, — und agierte von dort gegen das Reich. Es gelang ihm auch eine Reihe von bayerischen Hochadeligen zur Empörung und zu offenem Aufstand gegen Kaiser Heinrich zu bringen, der 1055 wieder in Italien weilte. Unter den Aufständischen war Herzog Weif, der letzte Sproß der alten Weifen; die jüngeren Weifen stammen von seiner Schwester ab. Ihm hatte der Kaiser 1047 das Herzogtum Kärnten übertragen. Weiters beteiligten sich an der Verschwörung des Kaisers Onkel, Bischof Gebhard von Regensburg, daneben ein Graf Gerold, der in Oberösterreich und im Hornerbecken, am Ostrand des Waldviertels (um 1045/50 genannt) Besitz- und Hoheitsrechte inne hatte; ferner ein Hochedler Richwin aus einer Seitenlinie der Markgrafen von ChamVohburg, der im Norden der ungarischen Mark Besitz hatte. Vor allem aber hatte sich an dem Aufstand eine Persönlichkeit beteiligt, die im Süden der ungarischen Mark eine große Rolle gespielt hatte, Graf Poto, der Bruder des bayerischen Pfalzgrafen Aribo. Er hatte die Haimburg gegen die Ungarn verteidigt und um 1050/53 zum Schutz des Landes eine weitere große Feste angelegt, die seinen Namen trug, die 1055 genannte Potenburch (bei Hainburg und Wolfstal) 89. Aber der Aufstand gegen den Kaiser brach zusammen. Konrad floh neuerlich nach Ungarn, desgleichen Poto. Ihm wie den übrigen Aufständischen wurde wegen Hochverrat eine Reihe von Besitzungen abgesprochen und neu vergeben, so zum Beispiel die genannte Potenburg an das Hochstift Eichstätt e o . Während Herzog Konrad und Herzog Weif noch im J a h r 1055 starben und Bischof Gebhard in Gewahrsam genommen wurde, blieb Graf Poto später dem Kaiser treu und kämpfte erfolgreich gegen die Ungarn; er starb erst im J a h r e 1104. Das Herzogtum Bayern aber, das Kaiser Heinrich seinem jüngeren Sohn Konrad und nach dessen frühem Tod seiner Gemahlin Agnes übertragen hatte, wollte er angesichts der Gefahr, die der bayerischen Ostmark von Böhmen und Ungarn drohte, wieder einer festen einheitlichen Leitung unterstellen. Da starb im Herbst 1056 Kaiser Heinrich III. Unter ihm hatte das Reich einen Höhepunkt an Macht und Geltung erlangt. Böhmen, Polen und Ungarn hatten ihm gehuldigt, vier deutsche Päpste konnte er als „Patricius" zwischen

MARKGRAF

ERNST

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1046 und 1054 einsetzen. Mit seiner Person war die Hoffnung auf die „Renovatio Imperii" verbunden ei. Seine Bedeutung für die Ausweitung deutschen Reichsbodens im Südosten und besonders für die bayerische Ostmark der Babenberger ist unbestritten. Aber bei seinem Tod hinterließ er einen sechsjährigen Knaben Heinrich, der bereits 1053 zum König gewählt und im Jahr darauf mit Berta von Savoyen (Turin) verlobt worden war. Die Jahre 1055/56 haben noch in anderer Beziehung Veränderungen gebracht. Zunächst starb Herzog Bretislaw von Böhmen, der sich als treuer Vasall des Reiches, besonders auch im Kampf gegen die Ungarn erwiesen hatte. Sein ältester Sohn Spitignev leitete eine tschechisch-nationale Reaktion gegen die Deutschen in Böhmen ein, die sich auch gegen seine Mutter Judith richtete. Die Gefahr war umso größer, als Spitignevs Bruder Wratislaw eine Tochter des Ungarn-Königs Andreas geheiratet hatte 92. Im Jahre 1055, am 26. Mai, starb schließlich auch Markgraf Adalbert von Österreich 93 . Seine in den kaiserlichen Urkunden von 1048 und 1051 mitgenannte Gemahlin Froiza erhielt 1058 noch persönlich ein Schenkungsgut an der Perschling 94. Sie war die in erzählenden Quellen des 11. und 12. Jahrhunderts erwähnte, aber nicht mit Namen genannte Schwester König Peters von Ungarn aus dem Hause der Orseolo von Venedig 95. Aber Froiza war nicht die erste Gemahlin Markgraf Adalberts. Nicht nur, daß ihr Name in den genannten Urkunden auf einer Rasur steht, die für einen längeren Namen Platz läßt, sondern auch die Annalen des Benediktinerklosters Stade bei Hannover, geschrieben um 1250/56, sprechen von einem Lippold, dem Sohn einer Glismod, der verheiratet war mit einer Ida, der Tochter eines Halbbruders Kaiser Heinrichs III., nämlich Liudolfs, des Sohnes Giselas, der späteren Gemahlin Konrads II., aus ihrer ersten Ehe mit Bruno von Braunschweig 9e. Glismod war die Schwester Bischof Meinwerks von Paderborn (t 1036) und in Bayern mit einem nobilis princeps in Baioaria verheiratet. Nach Meinwerks Tod aber erhoben ein Liutpold und ein Adalbert Erbansprüche 97. Daraus ergibt sich, daß jener Liutpold (Lippold) der 1043 jung verstorbene Sohn Markgraf Adalberts ist, der gleich nach seiner Ernennung zum Markgrafen der ungarischen Mark starb. Dann aber war Glismod die erste Gemahlin Markgraf Adalberts, womit Beziehungen zu Sachsen eingeleitet wurden, die unter seinem Sohn und Nachfolger, Markgraf Ernst, deutlich in Erscheinung treten. Zu Beginn der Regierungszeit Markgraf Emsts schien der Höhepunkt der Ungarnkämpfe bereits überschritten. Im Jahre 1058 wurde auf dem Marchfeld der Friede geschlossen. Doch er hielt nicht lange. Im Süden der ungarischen Mark folgte ein neuer Mann, der hier an Königs statt militärische und rechtliche Hoheit ausübte, ohne „Markgraf" genannt zu werden. Es war Graf Diepold II., der Ahnherr der Markgrafen von ChamVohburg, der bereits als Markgraf von Nabburg im bayerischen Nordgau entsprechende Erfahrungen gewonnen hatte Er war es, der nach dem Bruch des 1058 geschlossenen Friedens im Jahre 1060 Salomon, den Sohn

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des von seinem Bruder vertriebenen und auf der Flucht getöteten Königs Andreas von Ungarn, samt Frau und Mutter an der Grenze des Reiches empfing und ihn zur Großfeste Mödling (Castrum Medelekka) geleitete und weiter an den Hof des Ostmarkgrafen Ernst und schließlich zu König Heinrich IV. Die genannten Diepoldinger-Vohburger sind im Raum von Hainburg — Petronell — Bruck a. L. bis in die Mitte des 12. Jahrhunderts nachweisbar. Ein Gutteil ihres Besitzes dort ging zweifellos zurück auf die KaiserinMutter Agnes, die im J a h r e 1058 von ihrem Sohn Heinrich IV. die Marienkirche in Heimenburg (Deutsch-Altenburg) samt ihrer Ausstattung und dem umgebenden Gebiet erhalten hatte, das nun Markgraf Diepold als Reichslehen besaß 10°. Der Zehent, den Markgraf Diepold von Vohburg auf seinen und seiner Gefolgsleute Reichslehen zwischen Fischa und Leitha von Passau zu Lehen hatte, ging bei der Ausstattung des neu gegründeten Klosters Göttweig an dieses über 101. Die Diepoldinger-Rapotonen haben in diesen Jahren auch in der alten Mark im sogenannten Wein viertel reiche Besitz- und Hoheitsrechte: einerseits im Raum von Hollabrunn (seine Kirche trägt das St. Ulrich-Patrozinium), im oberen Göllersbach-Tal um Eggendorf im Tal (das seltene St. Afra-Patrozinium weist auf den Augst-Gau) und um Ernstbrunn; schon um 1050 hat Graf Rapoto III., Markgraf von Cham, mit seiner Gemahlin Mathilde aus dem Hause der Wels-Lambacher die auf seinem väterlichen Erbgut Ernstbrunn errichtete Kirche dem Bischof von Passau geschenkt 102 . Unbestritten bleibt, daß auch die Grafen von Sulzbach im Raum Hainburg—Bruck auftreten — sei es durch direkte Reichsgut-Schenkung nach dem Tode der Kaiserin Agnes, sei es durch ihre Verwandtschaft mit den Vohburgern. Ihre Nachfolger (1188) und ehemaligen Lehensleute waren die Domvögte von Lengenbach I03 .

Als in den Jahren 1055/56 das Bistum Passau große Besitzungen im nördlichsten Teil der ehemaligen Ungarnmark erhielt, wo zugleich Mittelpunkte f ü r passauische Mutterpfarren lagen, da war von dieser Mark keine direkte Rede mehr. Wohl aber findet sich in der Grenzbeschreibung des Schenkungsgutes von 1056 die Angabe, daß es „bis zu den festen Marken der Ungarn-Gebiete" reiche, was auf die ehemalige Westgrenze der Ungarnmark deutet 1 0 4 . Aber die allmähliche Einbeziehung dieses Gebietes in die Ostmark hat begonnen und ist um 1060/65 durch Ernst, den Sohn des Markgrafen Adalbert, vollendet worden. Übrigens scheinen gefangene Ungarn noch weiter westlich angesiedelt worden zu sein, denn südlich von Laa, also eigentlich in der „Böhmischen Mark", gibt es ein Nest von ungarischen Ortsnamen: Schoderle, Fallbach, Gaubitsch, Ungerndorf 105. Eine ähnliche Entwicklung nahm die „ B ö h m i s c h e M a r k". Sie wird zum Unterschied von der Ungarischen Mark als solche urkundlich ausdrücklich genannt, allerdings erst im J a h r 1055. Damals wird auch ihr Markgraf genannt, ein Adalbero, und zugleich seine Grafschaft in

MARKGRAF ERNST

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marchia Boemia in comitatu Adelberonis10e. Wahrscheinlich haben wir es mit einem Angehörigen des Verwandtenkreises der Grafen von Ebersberg und Eppenstein zu tun, in deren Häusern der Name Adalbero üblich war. Man darf an Adalbero, den Sohn des ersten steirischen Markgrafen aus dem Hause der Chiemgauer, Otakar I. und seiner Gemahlin Wilpirg von Eppenstein denken, die den Namen ihres Vaters, des 1035 abgesetzten K ä r n t n e r Herzogs Adalbero von Eppenstein auf ihren Sohn übertrug. Ein gleichnamiger Bruder Wilpirgs war Bischof von Bamberg (1053—57) 107. In der Urkunde Heinrichs III. von 1055 erhielt ein Haderich, der Ahnherr eines in der Mitte des 12. Jahrhunderts ausgestorbenen Geschlechtes (seine Stammburg Schwarzenburg lag bei Rötz in der Oberpfalz), drei Königshufen, die er bisher zu Lehen besessen hatte, zu freiem Eigen. Sie liegen in der ..Böhmischen Mark" zu beiden Seiten der Pulkau vom Mauerberg (Mailberger) Wald gegen Norden 108. Wir müssen hier noch auf ein halbes J a h r h u n d e r t voraus blicken, um die Besitzgeschichte in dieser Böhmischen Mark und zugleich ihre Auflösung bzw. die nachfolgenden Herrschaften besser zu verstehen. Die Bedeutung der 1055 urkundlich genannten Familie der Haderich-Schwarzenburger geht daraus hervor, daß ein Sohn Haderichs namens Hederich im J a h r e 1108 durch König Heinrich V. gleichfalls drei Königshufen erhielt, und zwar in B r u n n am Gebirge „in der Grafschaft des Markgrafen Liutpold". Unter den hervorragenden Intervenienten f ü r diese königliche Schenkung wird in besonderer Weise Markgraf Liutpold III. von Österreich hervorgehoben und seine treuen Dienste gewürdigt 1 0 9 . Die Erben der Haderich-Schwarzenburger waren die Babenberger, aber auch die Grafen von Plain-Hardegg mit den Hauptzentren Retz — Nalb — P u l k a u und endlich ein ursprünglich hochadeliges Geschlecht, die nach ihrem Hausnamen Chadolt benannten Chadolden. Im Raum der ehemaligen „Böhmischen Mark" werden sie seit ca. 1120 unter verschiedenen Beinamen (von Mauerberg/Mailberg, Pulkau, Göllersdorf und Zwingendorf, die jüngeren Chadolden unter dem Namen von Seefeld-Feldsberg) u r kundlich genannt. Sie treten an vorderster Stelle im Kreise der m a r k gräflichen Familie auf und verfügen im Raum von Mailberg über Königsgut, das sie zwischen 1133/37 erhalten haben. Um 1140 gaben sie dieses zum Teil an die Johanniter weiter, die hier ihre älteste Kommende in Österreich gründeten. Der erste Hinweis auf Chadolden-Gut im Gebiet der P u l k a u findet sich in der Einweihungsurkunde der Melker P f a r r kirche von Wullersdorf im J a h r e 1108, wo unter anderem die Orte Cadoltis (Gr. Kadolz) und Cadoltismarchat (Marktort eines Cadolt) genannt werden. Es ist das spätere Seefeld, wonach sich die jüngeren Chadolden nennen u 0 . Wir d ü r f e n annehmen, daß Lehensbesitz der Haderiche vom Reich nach ihrem Aussterben an den König zurückgefallen ist und von diesem an die Chadolden neu ausgegeben wurde. Das Hauptgewicht ihres

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5. DIE A U S W E I T U N G DER M A R K NACH NORD UND OST

Herrschaftsgebietes lag im Osten der ehemaligen böhmischen Mark, in das ihnen zum Teil die gleichfalls schon früher dort nachweisbaren Kuenringer nachfolgten l n . Im Westen aber lag als letzter Rest der „Böhmischen Mark" die spätere Reichsgrafschaft Hardegg, die bis ans 15. Jahrhundert eine gewisse Eigenständigkeit bewahrte. Als Ergebnis der Herrschaftsentwicklung in den beiden salischen oder Vor-Marken muß eindeutig festgestellt werden, daß der Markgraf der Ostmark Adalbert sowohl an Hoheitsrechten als an Besitz dort leer ausgegangen war. Die Erhebung seines ältesten Sohnes Liutpold zum Markgrafen der Ungarischen Mark wurde durch dessen plötzlichen Tod nicht realisiert. Andere Persönlichkeiten und Geschlechter waren hier mächtig. Nur im Hinterland der beiden Marken, im Viertel unter dem Manhartsberg, hatte Adalbert größere Schenkungen erhalten, so 1048 am Zusammenfluß der beiden Zaya, 1051 im Raum von Eggenburg. Es war wohl das vorgerückte Alter Markgraf Adalberts, der uns schon 1010 erstmals genannt wird, und seine körperliche Insuffizienz, die König Heinrich nicht die sichere Gewähr zu bieten schienen, daß er den militärischen und organisatorisch-rechtlichen Aufgaben in den beiden Marken gewachsen wäre. Dies umso mehr als die Kämpfe gegen Ungarn unentwegt weitergingen. Die engen Beziehungen, die die Babenberger mit sächsischen Hochadelsgeschlechtern verbunden hatten, erloschen mit dem Tod des jungen Markgrafen Liutpold (1043) und mit dem Tod Glismods, der ersten Frau Adalberts, der vor 1041 liegen muß, da Adalbert in diesem Jahr bereits „Schwager" König Peters von Ungarn genannt wird. Erst mit Adalberts Sohn Ernst werden diese Beziehungen in verstärktem Maße wieder aufgenommen 112. Aber die Mitte und die zweite Hälfte des 11. Jahrhunderts darf als die Periode des eigentlichen Siedlungsausbaues und der herrschaftlichen Organisation des nordöstlichen Landesviertels, des Weinviertels, angesprochen werden.

6. KAPITEL

Neuer Aufstieg des Babenbergischen Hauses BEZIEHUNGEN ZU SACHSEN UND THÜRINGEN

Γ) er Zurücksetzung, die Markgraf Adalbert und damit sein Haus dadurch erfahren haben, daß in den beiden Neumarken im Norden und Osten fremde Hoheitsträger eingesetzt wurden, die dort reichen Besitz gewannen, folgten weitere Rückschläge. 1038 war Herzog Hermann von Schwaben aus der österreichischen Linie der Babenberger gestorben; erst 1048 erhielt Otto aus der Schweinfurter Linie wieder das Herzogtum, das 1057 den Liutpoldingern endgültig verloren ging. Damit gehörten sie, zuerst vorübergehend und dann endgültig, nicht mehr zu den herzoglichen Familien des Reiches. Auch die Stellung als Graf im unteren Donaugau, in Straubing und Deggendorf, die Markgraf Adalbert von 1019—1051 innehatte, ging verloren 1. Dort sind ab 1060/70 die Grafen von Bogen, die auch Vögte von Niederaltaich waren, nachweisbar 2. Von einer Beteiligung der österreichischen Markgrafen an den Aufständen bayerischer Hochadeliger 1053—55 ist nichts bekannt. Trotzdem werden die 1055 und 1056 an Passau gekommenen Besitzungen an der Grenze der böhmischen und ungarischen Mark — Gaubitsch, Krut und Herrenbaumgarten — erst im Jahre 1063 als „in der Grafschaft des Markgrafen Ernst" gelegen bezeichnet. Ernst stammt sicherlich aus Adalberts zweiter Ehe mit Froiza und folgte seinem Vater unmittelbar nach dessen Tod in der Mark. Schon im November 1055 liegt ein Schenkungsgut an der Ybbs in seinem comitatus Osterich 3. Und bei einer neuen Schenkung im Jahre 1067 ganz im Osten an der March heißt es ausdrücklich, daß sie in pago Ostricha, „in der Mark des Markgrafen Ernst" liege 4 Das bedeutet, daß Ernst, der Sohn des Markgrafen Adalbert, bereits um 1060/62 das Gebiet der beiden ehemaligen salischen Marken und ihre Grafschaften in seine Mark und Grafschaft einbezogen hat. Allerdings scheinen damals bereits wesentliche Teile dieser Gebiete in die Hand anderer Adelsgeschlechter übergegangen zu sein, sicherlich schon unter Markgraf Ernst. Familienverbindungen

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6. NEUER AUFSTIEG DES B A B E N B E R G I S C H E N HAUSES

mit einer Reihe von bayerischen Hochadelsgeschlechtern und sich daraus ergebende Erbschaften hatten hier besonders für Liutpold II., den Sohn Markgraf Emsts, entscheidende Bedeutung 5 . Wie sehr man im Reich die Verhältnisse im Südosten beachtete, geht unter anderem daraus hervor, daß im Jahre 1058 Heinrich IV. mit seiner Mutter Agnes als Reichsverweserin, seiner älteren Schwester Judith und einer Reihe bedeutender Reichsfürsten durch die Ostmark zog. Die Reise führte auf der alten Straße südlich der Donau bis Tulln, dort übersetzte man den Strom und zog bei Trübensee auf dem Wagram und auf der sogenannten „Ungarischen Straße" weiter bis ins Marchfeld. Dort wurde nicht nur der Friede mit Ungarn geschlossen und dessen Unabhängigkeit anerkannt, sondern auch die Verlobung des ungarischen Königssohnes Salomon mit Judith gefeiert. Eine Reihe von Urkunden, die König Heinrich auf dem Hin- und Rückweg ausstellte, bezog sich auf Güterschenkungen in der Mark. Darunter war auch jene von zwanzig Königshufen an die Markgräfin-Witwe Froiza an der Donau und unteren Perschling, in der Nähe von Tulln e . Dieser Ort war vielleicht unter Ernst vorübergehend Sitz des Markgrafen. Tulln spielte immer wieder als Stätte größerer Versammlungen eine Rolle und wird noch zur Zeit Rudolf IV. im 14. Jahrhundert als „Hauptstadt" des Landes bezeichnet. Von der Urkunde, mit der Heinrich IV. seiner Mutter Agnes die Marienkirche von Hainburg (Deutsch-Altenburg) mit dem umgebenden Gebiet schenkte, haben wir bereits gehört. Die bedeutendste unter den Königsui künden des Herbstes 1058 ist freilich verloren gegangen und wohl anläßlich der Herstellung der gefälschten Privilegien für die österreichischen Landesfürsten durch Rudolf IV. im Winter 1358/59 vernichtet worden. Lange Zeit nahm man an, daß jene Urkunde König Heinrichs IV. vom 4. Oktober 1058, die dem Markgrafen Ernst die angeblichen Privilegien von Julius Cäsar und Kaiser Nero bestätigte, ihm und seinen Nachkommen die Vogtei über die Bistümer Salzburg und Passau (Lorch) übertrug und ihnen das Recht verlieh, Gerichtsschwert und Landesbanner vorantragen zu lassen, eine völlig freie Erfindung sei. Neuere Forschungen haben den Nachweis geliefert, daß es sich in dieser Urkunde um eine Nachzeichnung und teilweise Benützung des Diktats eines echten, damals noch vorhandenen Originals handelt, von dem auch der Ausstellungsort und das Datum, und wahrscheinlich ein Siegelrest stammen 7 . Die Annahme Ernst Klebels, daß es sich bei der verlorenen Urkunde um die Übertragung des 1051 noch als Königskloster nachgewiesenen bayerischen Benediktinerklosters Metten im unteren Donaugau an Markgraf Ernst handelt, hat viel für sich. Das Benediktinerkloster wurde aufgehoben und an seiner Stelle ein Kanonikatsstift geschaffen. Gleichzeitig oder bald danach gab Markgraf Ernst die Grafschaft im Donaugau an die Grafen von Bogen zu Lehen aus. Der Vorgang, Reichsklöster an Bischöfe und weltliche Große zu übertragen, war schon in früherer Zeit üblich 8. Eine solche Übertragung eines Reichs-

FELDZUG GEGEN U N G A R N

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klosters in der Mitte des 11. Jahrhunderts verstand man, wie Klebel mit Recht betont, in der Mitte des 14. Jahrhunderts nicht mehr, die betreffende Urkunde konnte daher ohne weiteres vernichtet worden sein. Im übrigen besaßen die Babenberger Adalbert und Ernst als Lehen der bayerischen Herzoge unter anderem auch das dem Kloster Tegernsee einst entfremdete Kloster Ilmmünster ·. Daß Markgraf Ernst unmittelbar an den Vorgängen im Südosten beteiligt war, ersehen wir aus den Ereignissen der nächsten Jahre. Innerhalb des ungarischen Königshauses brachen große Gegensätze aus. König Andreas von Ungarn hatte seinen Bruder Bela vertrieben. Das Reichsheer, das die Kaiserin-Witwe und Vormundschaftsregentin Agnes entsandte, erlitt eine schwere Niederlage, Andreas fiel in der Schlacht (1060). A m Kampf beteiligte sich auch Spitignev, der Herzog von Böhmen. Markgraf Wilhelm IV. von Meißen aus dem Hause Weimar-Orlamünde und der obengenannte Graf Poto sind in ungarische Gefangenschaft geraten ,0. Daß Ernst als Markgraf der anliegenden bayerischen Mark ebenfalls an den Kämpfen beteiligt war, darf angenommen werden. Die Nennung Markgraf Wilhelms von Meißen kommt nicht von ungefähr. Seine Halbschwester Adelheid, eine geborene Wettinerin, war ja die Gemahlin Markgraf Emsts von Österreich. Übrigens war auch Herzog Spitignev von Böhmen (1055—61) mit einer Wettinerin namens Ida verheiratet. Der entscheidende Schlag gegen die Ungarn erfolgte 1063. Salomon, der Sohn König Andreas' von Ungarn, war nach dem Tode seines Onkels Bela I. mit Hilfe eines deutschen Heeres, das die bedeutende Feste Ungarisch-Wieselburg (Mies[ig]inburch) erobert hatte, nach Stuhlweißenburg geführt und dort zum König gekrönt worden, wobei er neuerlich dem deutschen König huldigte (1063). Salomon hat als Dank an König Heinrich, seinen Schwager, ein großes Gebiet am östlichen Leithaufer abgetreten, das dieser im Jahre 1074 samt einem kleinen Streifen am westlichen Ufer zum Gutteil dem Bistum Freising schenkte. — Jagd und Wildbann im Leithagebirge blieben dem Reich vorbehalten n . Inzwischen waren 1061 auch die Herzogtümer Bayern und Kärnten von der Reichsregierung neu besetzt worden: Bayern mit dem sächsischen Grafen Otto von Northeim, womit die alte Verbindung zwischen Bayern und Sachsen, die schon im 10. Jahrhundert bestanden hatte, wieder aufgenommen wurde — und Kärnten mit Berthold von Zähringen. Bedeutete auch die Verleihung eines Reichsklosters wie Metten und die Einverleibung der beiden Vormarken samt Besitzvermehrung für Markgraf Ernst eine starke Rangerhöhung, so haben wir doch, abgesehen von einer Schenkung ein Jahr vor seinem Tod, keinen Beleg für eine Übertragung von Königsgut an ihn. Diese Schenkung lag im südwestlichen Voralpenland der Mark. Immer mehr aber wächst nun dieser marchio Boioarìorum — erst spätere Quellen nennen ihn dann marchio de Bavaria — in das Reich hinein. Eine besondere Bedeutung haben dabei einerseits die Beziehungen dieses Markgrafen zu Sachsen und Thüringen

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6. N E U E R A U F S T I E G D E S B A B E N B E R G I S C H E N

HAUSES

und den dortigen Hochadelsgeschlechtern und andererseits die immer stärker in Erscheinung tretende Verklammerung der Mark mit den kirchenpolitischen Verhältnissen und dem kirchlichen Leben des Reiches. Von Beziehungen der österreichischen „Babenberger" zu sächsischen Adelsgeschlechtern w a r schon die Rede: Liutpold, der erstgeborene und früh verstorbene Sohn Markgraf Adalberts, war höchstwahrscheinlich mit Ida, der Tochter Liudolfs von Braunschweig, verheiratet. Dieser war der Sohn aus der Ehe Brunos von Braunschweig mit Gisela von Schwaben, der späteren Frau Kaiser Konrads II. (Heirat 1016). Damit war Liudolf (t 1038) ein Halbbruder König Heinrichs III. und Ida wird mit Recht als Nichte Kaiser Heinrichs III. bezeichnet 1 2 . N u n war es Markgraf E r n s t , der enge Beziehungen mit sächsisch-thüringischen Hochadelsgeschlechtern knüpfte. Sie hängen mit seiner ersten Ehe zusammen. Die späteren Melker Quellen nennen dafür eine Mechthild. Eine solche Markgräfin suchen wir vergeblich in den alten Melker Nekrologen oder Annalen. Wohl haben wir eine angebliche — undatierte — Urkunde Markgraf E m s t s für Melk, die sich als Fälschung aus der Mitte des 12. Jahrhunderts erwies. Sie nennt eine Suanhild als seine Gemahlin. Schon im ersten deutschen Auszug der „Chronik der 95 Herrschaften", der in die Mitte des 15. Jahrhunderts zu datieren ist, heißt es: „Markgraf Ernst zog zu seinen Freunden (!) gegen Sachsen" 13. So berichteten später auch Veit Arnpeck u n d andere. Man hat sich damit geholfen, Suanhild für eine Wettinerin zu h a l t e n " . A b e r w i r k e n n e n in d e r freilich erst um 1220/25 geschriebenen Genealogie der Wettiner, die am Ende der Chronik des Klosters Petersberg bei Halle eingefügt ist, die ausdrückliche Nachricht, daß Ernst marchio de Bavaria verheiratet war mit Adelheid, einer Tochter des Wettiners Dedi II., Markgraf der sächsischen Ostmark, und seiner Gemahlin Oda, W i t w e nach Wilhelm III., Graf von Weimar (f 1039) >3. Das ist die in den Melker Annalen als zum Jahre 1071 verstorben genannte und im ältesten Melker Nekrolog zum 26. Jänner eingetragene Adelheidis marchionissa lö . D e r g e n a n n t e Dedi II., Sohn des Markgrafen Dietrich II. der sächsischen Ostmark, eines Wettiners, war also der Schwiegervater des österreichischen Markgrafen Ernst. Dedi war vorübergehend auch Markgraf von Meißen, der thüringischen Mark. Sie war ihm nach 1046 von den Ekkehardinern zugefallen, deren Geschlecht seine Mutter Mathilde, die Schwester des letzten 1046 verstorbenen Ekkehardiners, angehörte. Dedis erste Gemahlin Oda, also die Mutter der österreichischen Markgräfin Adelheid, war, wie gesagt, in erster Ehe mit Wilhelm III., Graf von Weimar, verheiratet. Die Söhne aus dieser Ehe wurden nun Markgrafen von Meißen. Sie waren der mehrfach genannte Markgraf Wilhelm IV. von Meißen (t 1062; 1056 Intervenient für die Schenkung an Azzo) und sein Bruder Otto (t 1067), der eine Witwe Adela hinterließ, bald darauf zweite Frau Markgraf Dedis II. der sächsischen Ostmark. Von einem anderen Bruder Poppo, Markgraf von Krain, verheiratet mit der Tochter der letzter Ebersbergerin Wilbirg (t um 1044), war schon die Rede. Wilbirgs

BEZIEHUNGEN ZU SÄCHSISCHEN

ADELSGESCHLECHTERN

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Bruder Eberhard, der Gründer von Kloster Geisenfeid, war mit einer Gräfin Adelheid aus Sachsen verheiratet. Damit schließt sich der Kreis. Aber die beiden Brüder Wilhelm und Otto von Weimar-Orlamünde waren die letzten ihres Geschlechtes. Von ihnen ging die Markgrafschaft Meißen 1067 an die Brunonen, die Grafen von Braunschweig, an Ekbert I. und seinen gleichnamigen Sohn Ekbert II. über. Ekbert I., der Sohn Liudolfs von Braunschweig, des Halbbruders Kaiser Heinrichs III. von der gemeinsamen Mutter Gisela, war also ein Vetter König Heinrichs IV. 1088 aber kam die Mark Meißen wieder, und nun endgültig, an die Wettiner, und zwar an Heinrich, den Sohn Dedis II. aus seiner zweiten Ehe mit der Witwe Markgraf Ottos von Meißen. Die Schwester Agnes der genannten, nun zur bayerischen Markgräfin gewordenen Adelheid (gleichfalls aus der ersten Ehe Dedis mit Oda) war mit Pfalzgraf Friedrich IV. von Sachsen, Grafen von Sommerschenburg, verheiratet. Ihr Halbbruder, der eben genannte, zum Markgrafen von Meißen gewordene Heinrich, war vermählt mit Gertrud, der Schwester des letzten Meißener Markgrafen aus dem Hause der Brunonen, Ekbert II. Gertrud war bereits Witwe nach Heinrich, dem Markgrafen von Friesland, dem Sohn des sächsischen Grafen und (seit 1061) bayerischen Herzogs Otto von Northeim, der 1070 von Heinrich IV. abgesetzt worden war. Die Tochter Ottos, Ida, war mit dem jüngeren Bruder Markgraf Heinrichs von Meißen, Thiemo II., Graf von Brehna, vermählt (f 1091), also einem Vetter unserer österreichischen Markgräfin Adelheid.

So verstehen wir es, daß Markgraf Ernst mit einem Schlag zur Verwandtschaft der bedeutendsten Fürstengeschlechter Sachsens und Thüringens zählte und mit ihnen bis zu seinem Lebensende verbunden blieb. Wir verstehen auch die engen Beziehungen zwischen bayerischen und sächsischen Geschlechtern, die sich auch in der Übernahme der Vornamen äußert. Es versteht sich, daß Markgraf Ernst durch den schweren Gegensatz zwischen König Heinrich IV. und seinen Widersachern, den aufständischen Fürsten in Sachsen, in eine schwierige Situation geriet. Die sächsischen Großen lehnten sich gegen Heinrich auf, dieser fiel in Sachsen ein. Er hatte in Goslar seine Pfalz, hatte viel von dem entfremdeten Reichsgut wieder revindiziert, neue Burgen und Stifte errichtet und hatte viele Reichsdienstmannen dort bevorzugt und mit Gut ausgestattet 1 7 . Die sächsischen und thüringischen Fürsten waren mit der langjährigen Herrschaft der Bischöfe unzufrieden. Otto von Northeim, der eines Mordanschlages auf den König beschuldigt worden war, verlor 1070 große Güter in Sachsen und sein Herzogtum Bayern, das an seinen Schwiegersohn Weif, den Sohn des Markgrafen Azzo II. von Este kam. Er ist der Begründer der jüngeren Weifen-Linie; seine Mutter Kunigunde war die Schwester des letzten Nachkommen der alten Weifen-Linie, Herzog Welfs von Kärnten (t 1055). Als auch der Sohn des sächsischen Herzogs gefangen wurde, brach 1073 der Aufstand der Sachsen gegen König Heinrich los. Er mußte von der Harzburg fliehen, die zerstört wurde. Nun kam es zu Verhandlungen, wobei Otto von Northeim vermittelte, und im Feber 1074 zu einem wenig erfolg-

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6. N E U E R A U F S T I E G D E S B A B E N B E R G I S C H E N H A U S E S

reichen Frieden mit den Sachsen. Markgraf Ernst von Österreich scheint sich damals in der Umgebung des Königs befunden zu haben, denn im März 1074 schenkte ihm der König zu Fritzlar einen großen Besitz im Südwesten der Mark Österreich, gegen die karantanische Mark zu 1 8 . Berthold, der Herzog von Kärnten, hatte sich damals mit anderen süddeutschen Fürsten gleichfalls gegen den König gestellt. Aber bald darauf vollzog sich ein Umschwung, und im Sommer 1075 gelingt es König Heinrich mit einem Reichsheer, an dem sich neben bayerischen und schwäbischen Hochadeligen auch Böhmen und Lothringer beteiligten, die Sachsen bei Homburg an der Unstrut vernichtend zu schlagen. Markgraf Ernst, der marchio Boioariorum, der trotz seiner sächsischen Beziehungen treu zum König stand, wurde in der Schlacht schwer verwundet und starb am 9. Juni 1075 ιβ. Auf Intervention Markgraf Emsts mag wohl sein Schwiegervater Dedi, Markgraf der sächsischen Ostmark, „dem König und dem Reich die Treue unversehrt bewahrt" haben, wie Lampert von Hersfeld berichtet. Dedi starb übrigens noch im gleichen Jahr 1075. Von Markgraf Ernst aber sagt der Chronist: „Ein Mann von großem Ansehen im Reich und durch viele Siege gegen die Ungarn hochberühmt". Dies besagt umso mehr, als Lampert mit seinen Sympathien auf der Seite der Gegner des Königs stand. Als Markgraf Ernst starb, war er bereits zum zweiten Mal verheiratet, denn eine undatierte, zwischen 1071/72 und 1075 anzusetzende Schenkungsurkunde an das Kloster Melk — man hat die Fälschung lange Zeit als älteste Babenbergerurkunde angesehen — berichtet, daß Markgraf Ernst mit Zustimmung seiner Gemahlin Suanhild und seines Sohnes Liutpold diesem Kloster (coenobium) das Gut Weikendorf im Marchfeld schenkte. Zahlreiche Grafen und Hochfreien, aber auch ministeriales marchie, werden als Zeugen genannt 2 0 . Wenn die Urkunde in der vorliegenden Form auch nichts über das Kollegiatstift Melk und seine Gründung durch die Babenberger aussagt, so ist doch an einer besonderen Beziehung Markgraf Emsts zu Melk nicht zu zweifeln. Entscheidend aber ist, daß das Gebiet von Weikendorf im Jahr 1045 als Besitztum des Bistums Eichstätt genannt wird, in dessen Nachfolge, wie an mehreren Stellen in der Mark, das Kloster Melk tritt — nicht ohne Zwischenglied des österreichischen Markgrafen (Ernst oder erst seines Sohnes Liutpold) 21 . Auch an einer zweiten Gemahlin des Markgrafen, Suanhild, darf festgehalten werden, wenn sie auch in den Melker Annalen und Nekrologen nicht genannt wird — zum Unterschied von Adelheid, der ersten Gemahlin, deren Tod zum Jahre 1071 in diesen Quellen aufscheint. Man hat Suanhild als Tochter des oft genannten Markgrafen Siegfried der ungarischen Mark angesprochen, die ihrem Mann, Markgrafen Ernst große Teile des Besitzes von Siegfried zugebracht habe. Doch bestehen dagegen gewisse zeitliche Bedenken 22. Die engen sächsischen und bayerisch-österreichischen Beziehungen zeigen sich audi an einem der bedeutendsten Hochadelsgeschlechter, die in der Mark

DIE GRAFEN VON FORMBACH U N D RATELNBERG

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Besitz- u n d Hoheitsrechte h a t t e n — d e n G r a f e n von F o r m b a c h und R a t e i n b e r g (Radiberg bei H e r z o g e n b u r g a. d. Traisen). In der A n n a h m e , d a ß die R a t e l n b e r g e r ein Zweig der G r a f e n von F o r m b a c h waren, ist sich der größte Teil d e r Forscher einig. Sie sind im 10. J a h r h u n d e r t als G r a f e n im T r a u n g a u nachgewiesen, wobei der N a m e Meginhard auch f ü r s p ä t e r e G e n e r a t i o n e n als L e i t n a m e erscheint. V e r w a n d t mit ihnen w a r e n a b e r auch die G r a f e n von W e l s - L a m b a c h m i t d e m L e i t n a m e n Arnold. Diese w a r e n seit 1035 M a r k g r a f e n der k a r a n t a n i s c h e n Mark, s t a r b e n als solche u m 1050/55 aus; d e r letzte männliche S p r o ß s t a r b als Bischof von W ü r z b u r g erst 1090. Die Tochter Markgraf G o t t f r i e d s von Lambach, Mathilde, h e i r a t e t e d e n G r a f e n E k b e r t I. von Formbach. Die s p ä t e r nach i h r e m S t a m m s i t z Vornbach bei P a s s a u so g e n a n n t e n F o r m b a c h e r sind seit A n f a n g des 11. J a h r h u n d e r t s als G r a f e n im bayerischen Schweinachgau (Landgericht Vilshofen), in der zweiten H ä l f t e des J a h r h u n d e r t s auch im b e n a c h b a r t e n K ü n z i n g g a u (Landgericht L a n d a u - O s t e r h o f e n ) nachweisbar. Sie w a r e n Vögte des Hochstiftes R e g e n s b u r g (1028) sowie des bei P a s s a u liegenden Klosters St. Nikola. E n d e des 11. J a h r h u n d e r t s h a b e n sie ihr Hauskloster F o r m b a c h (Vornbach) gegründet. In der M a r k Österreich h a b e n sie reichen Besitz. I m R a u m von Wien 1015 a n der Wien, im heutigen U n t e r - S t . Veit, u n d 1028 n e n n t sich einer i h r e r hochfreien Gefolgsleute nach S i m m e r i n g ; weiters nördlich von Wien, im Gebiet von K r e u z e n s t e i n - B i s a m b e r g (sie n e n n e n sich a b 1115/20 G r a f e n von K r e u z e n stein); f e r n e r im R a u m u m Melk u n d in der Wachau, sowie im R a u m zwischen Traisen u n d Perschling; in der k a r a n t a n i s c h e n M a r k h a b e n sie (zumindest seit Beginn des 12. J a h r h u n d e r t s ) die G r a f s c h a f t Pitten (Bucklige Welt — Wechsel), nach der sie sich auch n e n n e n (seit 1108 de Putine), u n d reichen Besitz südlich des Wechsels bis in die O b e r s t e i e r m a r k . Aus Quellen des Klosters Melk, den 1122/23 begonnenen A n n a l e n u n d den Nekrologien, ergeben sich e n g e Beziehungen der G r a f e n von F o r m b a c h u n d von R a t e i n b e r g zum Kloster Melk sowie zu d e m u m 1070/72 g e g r ü n d e t e n Kloster Göttweig, dessen Vögte die G r a f e n von R a t e i n b e r g seit der G r ü n d u n g w a r e n 23 . N u n wissen wir, d a ß d e r Graf im Schweinachgau, Thiemo II. von Formbach, mit einer Tochter Graf B r u n o s von Braunschweig (aus seiner E h e mit der o f t g e n a n n t e n s p ä t e r e n Kaiserin Gisela) v e r h e i r a t e t w a r , aus welcher E h e m e h r e r e Söhne h e r v o r gingen: Bruno, Graf im K ü n z i n g g a u (1064), der die j ü n g e r e Linie der G r a f e n von F o r m b a c h b e g r ü n d e t e ; f e r n e r Meginhard, der 1066 mit seinem j ü n g e r e n B r u d e r Pilgrim erschlagen w u r d e ; er w a r mit einer Tochter des G r a f e n Elli von R e i n h a u s e n (bei Göttingen, südöstl. des Harzes), sein B r u d e r Friedrich a b e r mit einer Tochter des sächsischen G r a f e n K o n r a d von Haldensleben v e r m ä h l t . Aus dieser E h e s t a m m t e Hedwig, die Gemahlin des 1075 gefallenen G r a f e n G e b h a r d von S u p p l i n b u r g u n d M u t t e r des späteren Kaisers L o t h a r III. (1125—37), w a s noch besondere B e d e u t u n g f ü r die F o r m b a c h - R a t e l n b e r g e r g e w a n n ! Die Söhne M e g i n h a r d s w a r e n Udalrich, Graf von W i n d b e r g (Landgericht Vilshofen), der sich 1070/75 zuerst Graf von R a t e i n b e r g (Radelberg) n e n n t u n d mit Mathilde, d e r Witwe nach Graf Friedrich von Tengling, v e r h e i r a t e t war. Sein j ü n g e r e r B r u d e r H e r m a n n n e n n t sich gleichfalls Graf von R a t e i n b e r g u n d von W i n d b e r g u n d w a r ebenso Vogt von Göttweig. E r h e i r a t e t Hedwig, die Tochter des sächsischen G r a f e n von Assel-Wöltingerode, die ihm die bischöfliche hildesheimische L e h e n s b u r g W i n z e n b u r g (Kreis Alfeld) in die Ehe brachte, nach d e r e r (schon 1109) u n d seine Söhne sich n a n n t e n .

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6. N E U E R A U F S T I E G D E S B A B E N B E R G I S C H E N H A U S E S

Er wird auch als comes provincialis de Saxonia bezeichnet 2i . Die Beziehungen dieser Grafen von Formbach und Rateinberg zu sächsischen Hochadelsgeschlechtern spiegeln sich auch in ihren Vornamen Bruno, Ekbert, und Ida (von den Brunonen) und Hermann (von den Reinhausenern) wider. Auch der bayerische Name Thiemo wandelte sich in das sächsische Thietmar. Auf die engen Verbindungen der Grafen von Formbach-Ratelnberg zu den Babenbergern haben wir unter den Markgrafen Liutpold II. und Liutpold III. näher einzugehen, desgleichen auf die Stellung dieser Geschlechter in den nun beginnenden Kämpfen zwischen Kaiser und Papst, Reich und Kirche.

Mit Beziehungen des M a r k g r a f e n Ernst zu Sachsen und Thüringen scheint auch die H e r k u n f t eines bedeutenden Geschlechtes in der Mark, der Kuenringer, verbunden zu sein, womit wir zugleich auch einer neuartigen Entwicklung gegenüberstehen — dem Aufkommen des Standes der „Ministerialen". Wir mußten diesen Stand bei der Organisation der beiden salischen Marken schon kurz erwähnen. Es handelt sich u m Leute ritterlichen, niederadeligen, ursprünglich unfreien oder gemindert freien Standes, die uns zuerst als servientes, später als ministeriales entgegentreten. Schon Heinrich III. hat sich, wie gesagt, in hohem Maße auf sie gestützt, mehr aber noch sein Sohn Heinrich IV. im Kampf gegen die immer mächtiger werdenden Laienfürsten 25. In der Mark sind diese Ministerialen in erster Linie dem M a r k g r a f e n untergeordnet, der sie vom Reich zu Lehen hat, und die zu seinem Gefolge gehören. Doch haben auch andere G r a f e n und Hochedle ihre Ministerialen. Ihre Stellung stieg durch Ausübung von Heeresdienst und Burgverwaltung, durch Hof- und Verwaltungsdienst so sehr, daß auch viele Hochfreie durch Übernahme eines „Ministeriums", eines ritterlichen Dienstes, meistens der „Burghut" einer markgräflichen Feste, in die „Ministerialität" absanken. Andererseits wuchsen auch von unter her neue Schichten hinzu, die teils als gehobene Rodungsbauern, mehr aber als Befehlshaber der bäuerlichen wehrfähigen Dorfgenossenschaft in den ritterlichen Stand aufstiegen. Die älteste Nennung eines serviens in der Mark von angeblich 1044 b e t r i f f t einen königlichen Dienstmann, wie das bei den ältesten servientes-Nennungen meist der Fall ist — es handelt sich um kleine ritterliche Dienstmannen 2 6 . Gerade das aber ist nicht der Fall bei den Ahnherren zweier bedeutender Ministerialengeschlechter in der Ostmark. Das bedeutendste Ministerialengeschlecht in der Mark w a r e n die K u e n r i n g e r . Schon im J a h r 1056 erhielt der serviens des Markgrafen Ernst (!), Azzo (vermutlich Koseform f ü r Adalbero) auf Bitte des Markgrafen Ernst und des M a r k g r a f e n Wilhelm von Meißen von König Heinrich IV. drei königliche Hufen in dem Dorf Hecimanneswisa — „in der Mark und in der Grafschaft" des Markgrafen Ernst. Hecimanneswisa ist aufgegangen in dem späteren Ort Kühnring bei Eggenburg, der zum Stammsitz der Kuenringer w u r d e 2 7 . Die Anfänge des Geschlechtes sind dunkel. Wegen seiner Bedeutung

DIE KUENRINGER, MINISTERIALEN DES

MARKGRAFEN

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für die Landesgeschichte und seiner verfassungsrechtlichen Stellung sei kurz darauf eingegangen. Erst um 1125/30 tritt der Beiname de Kun(e)ringin auf. In der Zwettler Reimchronik (um 1230) findet sich die Sage von der Herkunft Azzos aus der Gegend von Trier; von dort habe ihn ein Verwandter, Erzbischof Poppo von Trier seinem „Bruder" Markgraf Luitpold II. (sie) f ü r dessen Kampf mit den Böhmen (!) zu Hilfe gesandt 2 8 . Sicher sind die Kuenringer im J a h r e 1056 als Ministerialen des österreichischen Markgrafen bezeichnet. Und sicher sind sie mit einer Reihe bayerischer hochfreier Geschlechter stammverwandt. Sie verfügen nach Aussage der Urkunden über Hoheitsrechte, wie Befestigungsrecht und Wildbann; in der Wachau aber, auf Dürnstein — entstanden als Vogtburg über Besitz des Reichsklosters Tegernsee aus dem Anfang des 11. J a h r h u n derts — gebieten sie über einen Hochgerichtsbezirk in freieigener Herrschaft mit Burg und Stadt (schon vor 1347) und mit Vogteirechten über Besitzungen des Hochstiftes Freising und einer Reihe österreichischer und bayerischer Klöster. Es ist nicht zu bezweifeln, daß die Kuenringer ursprünglich selbst Hochfreie waren 2β. Wir dürfen die „Unfreiheit" dieser um die Mitte des 11. Jahrhunderts genannten servientes, die sich vielfach schon bald als gehobene Ministerialen erweisen, nicht überspitzen. Zweifellos erhalten auch viele von ihnen Königsgutschenkungen mit darauf haftenden, also nicht eigens verliehenen, Hoheitsrechten, das heißt, auch sie haben solchen Besitz zu unbeschränktem freien Eigen, sodaß kein Unterschied zu Schenkungen an Hoch- und Edelfreie besteht. Ein solcher freieigener Besitz muß kein Beweis f ü r ursprüngliche Hochfreiheit solcher späterer Ministerialen sein. Daß aber ein Absinken von Hochfreien in die Ministerialität häufiger ist, als vielfach angenommen wird, darüber besteht kein Zweifel. Man wird daher vorsichtig sein müssen mit den Bezeichnungen „Ministerialeneigen" und „Ministerialenherrschaft" 30. Der zweite Intervenient f ü r die Königsschenkung an Azzo im Jahre 1056, Wilhelm IV. aus dem Hause der Grafen von Weimar-Orlamünde, ein Sohn des 1039 verstorbenen Grafen Wilhelm III. und Schwager Markgraf Emsts (s. oben S. 86), war seit 1046 Markgraf von Meißen. Er stand bei Hof in hohem Ansehen und war 1060 zusammen mit Markgraf Ernst der bayerischen Ostmark gegen Ungarn zu Felde gezogen, vielleicht sogar schon in den Ungarnkriegen der fünfziger Jahre. Vorsichtig dürfen wir etwa schließen, daß die ältesten hochfreien bayerischen Kuenringer vermutlich Beziehung zu den Grafen von Ebersberg (1045 ausgestorben) hatten, hernach, wie andere bayerische Geschlechter in sächsisch-thüringischen Gebieten, teilweise Fuß faßten, und von dort in den Ungarnkämpfen des deutschen Königs und des österreichischen Markgrafen mit Markgraf Wilhelm von Meißen in die Ostmark gekommen waren. Sie hatten hier ein Ministerium beim österreichsichen Markgrafen übernommen — die Zwettler Reimchronik spricht vom Amt des markgräflichen Bannerträgers und Schenken. Dieser hohe Ministeriale des Markgrafen erhielt hier 1056 vom König eine große Schenkung an Land

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und Herrschaftsrechten bei Eggenburg — nicht zufällig im Anschluß an eine Schenkung von Königsgut an den Markgrafen Adalbert um „Grafenberg" (1051), das wir als alt-Ebersberger Besitz angesehen haben. Nicht zufällig liegt daneben ein Ort „Sachsendorf", ein Dorf der „Sachsen" 31. Und wieder daneben liegt das im Ort Kühnring aufgegangene „Hecimanneswisa" von 1056. Azzo oder seine nächsten Nachkommen hatten vom Markgrafen die Hut der Burg Gars am Kamp übernommen, wo die Babenberger schon im 11. Jahrhundert ihren Sitz hatten. Aber die Kuenringer blieben unbeschadet ihres Besitzes an freieigenem Gut und Hoheitsrechten Ministerialen des Markgrafen S2. Die Kuenringer faßten auch in der „Böhmischen Mark" bzw. im Pulkautal Fuß und hatten Beziehungen zu den dortigen hochfreien Geschlechtern, den Haderichen und Chadolden 3S. Vor allem waren es die Kuenringer, die nach Westen in das Waldland vordrangen. Im Auftrag des deutschen Königs schoben sie die Markgrenze hinaus nach Nordwesten, gegen Böhmen zu, um die deutsche Kolonisation vorzutragen. Çs handelt sich dabei um ursprünglich außerhalb der Mark gelegene Hoheitsgebiete, um größere Güter im Ausbauland, die mit Gerichtsrechten ausgestattet wurden, um Rodungsherrschaften, die ihnen vom König gegeben wurden und die im 12. und 13. Jahrhundert die Bezeichnung districtus trugen. Die Kuenringer waren aber nicht die einzigen servientes, die um die Mitte des 11. Jahrhunderts in der Mark genannt werden. Da ist zunächst ein anderes Geschlecht zu nennen: nicht Ministerialen des Markgrafen, sondern eines hochadeligen Herren. Im Jahre 1066 gibt König Heinrich IV. dem serviens Liutwin des Grafen Rapoto von Cham zwei Hufen zu Thern (südwestlich von Hollabrunn) zu völlig freiem Eigen S4. Auch hier handelt es sich um den Ahnherren eines später bedeutenden Ministerialengeschlechtes, der Herren von Sonnberg, die auch in der früheren „Neumark", in Röthelstein bei Hainburg an der Donau, nach dem sich ein Zweig der Sonnberger auch nennt, reichen Besitz hatten. Sie gehörten zum Gefolge der Markgrafen von Cham-Vohburg, deren einer, Diepold II., vor dem Übergang der ungarischen Mark an die Babenberger Hoheitsrechte in dieser Mark ausübte (s. o. S. 80). Wir sehen, daß auch andere Grafen in der Mark Ministerialen hatten, die freilich schon im 12. und 13. Jahrhundert als landesfürstliche Ministerialen aufscheinen. Das gilt für die Gefolgsleute der Vohburger, der Grafen von Poigen-Rebgau-HohenburgWildberg, der Grafen von Formbach, von Raabs, Peilstein etc. Diese Ministerialen unterscheiden sich in ihrer späteren Bedeutung oft nicht von den ursprünglichen landesfürstlichen Ministerialen, vielfach aber treten uns solche Dienstleute nur als milites entgegen. Es darf aber nicht übersehen werden, daß auch bedeutende Ministerialen selbst wieder niederritterliche Gefolgsleute haben, die uns schon in der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts in den Quellen als milites, später auch als clientes entgegentreten. Sie alle haben ihren Sitz in einfachen Wehrbauten wie etwa in Turmhöfen.

A N F A N G E DER MINISTERIALITAT

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Für eine Reihe angesehener österreichischer Ministerialengeschlechter dürfen wir eine Abkunft aus hochfreiem Stande annehmen, so für die Liechtensteiner 35 , die Falkenberger, Seefeld-Feldsberger, Perchtoldsdorfer, Pottendorfer und Maissauer. Aber sie waren später zweifellos Ministerialen der österreichischen Markgrafen-Herzoge. Als Grund dieses Absinkens in die Ministerialität gilt vor allem die Übernahme eines Ministeriums, eines Dienstes beim Markgrafen-Herzog, wie etwa einer Burghut oder eines Hausamtes. Weiters konnte die Heirat mit Angehörigen einer Ministerialenfamilie das Absinken in die „ärgere Hand" zur Folge haben. Auch Reichsministerialen finden sich vereinzelt in den großen Rodungs- und Ausbaugebieten des Waldviertels, jenseits der alten Markgrenzen, die im engeren Markgebiet zugleich markgräfliche Ministerialen waren. Auf ursprünglichem Reichsland konnten sich Ministerialenherrschaften entwickeln, die Ministerialität aber galt als Reichslehen des werdenden Landesherren. Damit war von vornherein das Dorfgericht (Niedergericht) und das Recht zur Anlage eines „festen Hauses" verbunden. Die Entwicklung eines solchen festen Hauses zu einer größeren Steinburg (auch der Name auf -bürg gehört dazu) vollzieht sich am Anfang und in der ersten Hälfte des 12. Jahrhunderts. Viele dieser Burgen werden bis ins 15. Jahrhundert als freies Eigen bezeichnet. Hier müssen wir allerdings unterscheiden: Wir haben von Königsschenkungen an Ministerialen aus der Mitte des 11. Jahrhunderts gehört, die das völlig unbeschränkte Recht des Beschenkten darüber enthielten. An Hoheitsrechten finden wir die Hochgerichtsbarkeit und die Dorfgerichtsbarkeit, das Recht zum Burgenbau, zur Errichtung von Märkten und Mutterpfarren. Das war aber bei den späteren Ministerialen der Mark nicht der Fall. Das eigentliche Dienstmannen-Eigen war in seinem Verfügungsrecht beschränkt. Es ist das sogenannte „Inwärtseigen". Ein Verfügungsrecht darüber, also das Recht auf Veräußerung, besteht nur innerhalb der Dienstmannschaft des Herren, der allerdings in einzelnen Fällen seine besondere Zustimmung zur weiteren Veräußerung geben kann. Das heißt aber, daß auf lange Dauer die militärische Verpflichtung des Dienstmannes gesichert war. Dieses Eigen'unterscheidet sich vom Lehen und wird auch nicht vor dem Lehenshof des Herrn verantwortet. Aber beim Aussterben der Familie des Empfängers fällt dieses Gut an den Herren zurück. Andererseits, und das wird zu wenig beachtet, wird beim Aussterben der Herrenfamilie ohne rechtmäßige Erben das „Inwärtseigen" zu freiem Eigen — ein Fall, der nach dem Aussterben der Babenberger von größerer Bedeutung war 3e. Nicht zuletzt konnte um die Mitte bis gegen Ende des 11. Jahrhunderts das Siedlungsland ausgeweitet werden, was Gewinn neuer untertäniger Siedler, zugleich auch einen Gewinn an Herrschaft und Macht bedeutete. In diese Aufgabe teilte sich der Markgraf mit anderen Grafen- und hochadeligen Geschlechtern. In der Aufschließung und Besiedlung des Landes geht das nördliche Landesviertel voraus. Um 1060/70 ist die heutige Landesgrenze gegen Mähren auf der ganzen Linie überschritten, die

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deutsche Siedlung nach Mähren vorgedrungen S7 . Von den deutschen Geschlechtern, die hier an der Grenze sitzen, gehen manche auch eheliche Verbindungen mit mährischen Teilfürsten ein, unter denen jene von Znaim und Olmütz (Konrad und Otto, Söhne Herzog Bfetislaws I. 1 1055) auch für die österreichische Mark besondere Bedeutung erlangten. Zu den alten Siedelformen, dem Haufenweiler und Haufendorf, den Kirchhöhensiedlungen und den Gassengruppendörfern waren, wie schon gesagt, seit der zweiten Hälfte des 10. Jahrhunderts die Straßendörfer mit regelmäßigen Gewannfluren getreten, desgleichen an den Abhängen der Hügelzüge und am Ausgang der Waldgräben die Grabendörfer. Nun tritt im 11. Jahrhundert als neuer Typ und als ausgesprochene Kolonisationsform das Angerdorf hinzu. Zunächst ist das frühe Angerdorf am Anfang des 11. Jahrhunderts noch unklar als Übergang vom Straßendorf oder Mehrstraßendorf mit einer Weggabelung bzw. mit einer angerartigen Erweiterung. Blockgewanne sind die dazu gehörige Flurform. Seit der Mitte des 11. Jahrhunderts setzen immer mehr regelmäßige Angerformen ein, Längsanger, breit oder schmal, elliptische Anlagen und endlich, in der zweiten Hälfte des 11. und im 12. Jahrhundert bereits voll ausgebildet, das regelmäßige Dreiecks-Angerdorf oder das Rechteckangerdorf. Alle diese Angerdörfer haben Randstraßen. Die Flurform führt zur regelmäßigen Gewannflur mit Hausacker- oder Gartenackerlüssen. Das Angerdorf ist schlechthin der Siedlungstyp des Viertels unter dem Manhartsberg. Es war der Siedlungstyp für das Gebiet der „Böhmischen Mark" zu beiden Seiten der Pulkau bis zur Thaya und es war die Type für den nördlichen Teil der „Ungarischen Mark". Besonders charakteristisch sind etwa die Straßendörfer oder Schmalangerdörfer an der Pulkau mit ihren schmalen, riemenförmigen, an den Hausgarten anschließenden Feldstreifen („Lüsse"), die meist bis zur Gemeindegrenze reichen. Auf den ersten Blick ist es klar, daß es sich hier um eine organisierte und einheitlich gelenkte, nach festem Plan angelegte Siedlungslandschaft handelt. Ähnliches gilt auch für den Osten des Viertels unter dem Wienerwald, mit anderen Worten: besonders im Grenzbereich gegen Osten und Norden. Mit Recht wurde darauf hingewiesen, daß diese Anlagen — entsprechend der Grenzlagte und der strategischen Aufgabe dieser Gebiete — mit der Erstellung eines neuen Wehrsystems zusammenhängen, bei dem an Stelle des älteren Reiteraufgebotes das befestigte und von den männlichen Bewohnern auf dem geschlossenen Angerplatz verteidigte Dorf tritt. Nun war dieses Dorf die Wehreinheit, an dessen Spitze ein ritterlicher Mann als Befehlshaber steht, ein Ministeriale, der auf einem meist in die planmäßige Dorfanlage hineingenommenen Wehrbau, einer kleinen Burg oder einem Wohn-Wehrturm, seinen Sitz hat. Nicht mit Unrecht wurde dieses Gebiet eine Art „Militärgrenze" genannt. Dahinter aber steht, daran kann es keinen Zweifel geben, das Reich, der deutsche König und der von ihm beauftragte Markgraf — sei es in den beiden Vormarken oder in der Altmark selbst 38 . Wehrfähigkeit, Grenzverteidigung und Rodungsfreiheiten

STRATEGISCHE B E D E U T U N G DER „MINISTERIALENSIEDLUNGEN"

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brachten aber auch den Bauern wirtschaftliche und soziale Vorrechte, die diesen österreichischen Bauern im Hoch- und späteren Mittelalter eine besonders günstige Stellung verschafften. I m Zusammenhang mit seiner strategischen Bedeutung w i r d das Dorf nun auch zur Grundlage der niederen Gerichtsbarkeit; es ist das später sogenannte „Dorfgericht", das weitgehend f ü r die „Ministerialensiedlungen" bezeichnend wurde, w o sich auch günstige bäuerliche Leiheformen ausbildeten, das „Zinslehen" mit seinen drei Feldern und der Gewannflur 3