Ordnung und Ausgrenzung: Die Disziplinarpolitik der Hitler-Jugend 9783666351587, 9783525351581

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Ordnung und Ausgrenzung: Die Disziplinarpolitik der Hitler-Jugend
 9783666351587, 9783525351581

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Kritische Studien zur Geschichtswissenschaft

Herausgegeben von Helmut Berding, Jürgen Kocka, Paul Nolte, Hans-Peter Ullmann, Hans-Ulrich Wehler

Band 180

Vandenhoeck & Ruprecht

Ordnung und Ausgrenzung Die Disziplinarpolitik der Hitler-Jugend

von

Kathrin Kollmeier

Vandenhoeck & Ruprecht

Umschlagabbildung Plakat der Gaupropagandaleitung der NSDAP, Abt. Aktive Propaganda; Grafiker: Rinne; Druck: Südwestdeutsche Druck- und Verlagsgesellschaft mbH, Karlsruhe © Bundesarchiv Koblenz, Plakatsammlung 3/11/42

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abruf bar. ISBN 978-3-525-35158-1 Gedruckt mit Unterstützung des Förderungs- und Beihilfefonds Wissenschaft der VG Wort

© 2007, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen. Internet: www.v-r.de Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Hinweis zu § 52a UrhG: Weder das Werk noch seine Teile dürfen ohne vorherige schriftliche Einwilligung des Verlages öffentlich zugänglich gemacht werden. Dies gilt auch bei einer entsprechenden Nutzung für Lehrund Unterrichtszwecke. Printed in Germany. Satz: OLD-Media OHG, Neckarsteinach. Druck und Bindung: Hubert & Co., Göttingen. Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier.

Inhalt

Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Teil I »Volksgemeinschaft« und Ordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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1 Ordnung und Radikalisierung der »Volksgemeinschaft« . . . . . . . . . 1.1 Die dynamische Ordnung der »Volksgemeinschaft« . . . . . . . . . 1.2 Massenorganisationen im nationalsozialistischen Staat . . . . . . . 1.3 Jugend ordnen – die Hitler-Jugend . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.3.1 Jugendlichkeit als politisches Organisationsprinzip . . . . . 1.3.2 Die Hitler-Jugend im nationalsozialistischen Staat . . . . .

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2 Disziplinarische Ordnung im nationalsozialistischen Rechtsdenken . 2.1 Die Ordnung der »Volksgemeinschaft« im »konkreten Ordnungsdenken« bei Carl Schmitt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2 Disziplinarrecht in der nationalsozialistischen »Rechtserneuerung« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.1 Disziplinarrecht als Modell völkischen Rechts . . . . . . . . . 2.2.2 Ehre als Rechtsbegriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3 Jugendrecht – moderne Tradition und nationalsozialistische Reform . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3.1 Nationalsozialistisches Jugendstrafrecht als negatives »Ehrenrecht« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

53 54 67 69 72 75 85

3 Die Hitler-Jugend in der völkischen Ordnung – Zwischenergebnis

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Teil II Auf bau und Praxis des Disziplinarsystems der Hitler-Jugend .

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1 Disziplinartechniken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.1 Vereinsrechtliche Regelungen – zur »Kampfzeit« der »Bewegung« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2 Erfassen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2.1 Zielgruppe »deutsche Jugend« und rassenpolitische Entfernungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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1.2.2 Mitgliederkartei und Warnkartei – Ordnen durch Karteierfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2.3 Warnen und Fahnden – Vernetzung und Kooperation . . . 1.3 Überwachen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.3.1 Überwachen als Personalarbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.3.2 Dienst und Dienstordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.3.3 HJ-Streifendienst als Disziplinarorgan . . . . . . . . . . . . . . 1.3.4 Disziplinar- und Strafordnungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.3.5 »Erziehung« durch »Ehrenstrafen« . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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2 Strafen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1 Die Disziplinargerichtsbarkeit der Hitler-Jugend . . . . . . . . . . . 2.1.1 Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2 Entfernung als Strafe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.1 Strafwirkung und Identifikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3 Strafpolitik und Strafpraxis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3.1 Disziplinarrechtliche Massendaten . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3.2 Sexualitätspolitik und Homosexuellenverfolgung . . . . . . 2.3.3 Befehlsdisziplin und nationalsozialistische »Haltung« . . . 2.3.4 Delinquenz und politische Vorfälle . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3.5 Strafen als symbolischer Ausschluss . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Teil III Radikalisierung der Jugenddisziplinierung . . . . . . . . . . . . . .

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1 Dienstpflicht und Kriegseinsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.1 »Jugenddienstpflicht« und Dienstpflicht für Minderheiten . . . . . 1.2 Kriegswichtiger »Ehrendienst« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.3 Kriegserfahrung und Handlungsmotivation . . . . . . . . . . . . . . .

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2 Radikalisierung im Disziplinarwesen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1 Strafen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1.1 Dysfunktionalität und das Problem der Wehrwürdigkeit 2.1.2 Strafpraxis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1.3 Zwischen Disziplinierung und Strafe: Arrest . . . . . . . . . . 2.2 Überwachen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.1 Organe und Maßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.2 Konzertierte »Jugendbetreuung« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.3 Jugendkonzentrationslager . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3 Erfassen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3.1 Die »gerichtliche Erziehungskartei« . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3.2 Geheimhaltung und Sprachregelung . . . . . . . . . . . . . . .

212 212 213 218 224 231 234 240 243 247 248 252

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3 Disziplinieren von Mädchen und Frauen als Sonderaufgabe . . . . . . . 3.1 Disziplinarapparat: Vernachlässigungen und Spielräume . . . . . . 3.2 Das Konzept der »weiblichen Ehre« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3 »Verwahrlosung der weiblichen Jugend« – Problemwahrnehmung und Gegenmaßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

257 258 262

4 »Erziehbar« und »gemeinschaftsfähig« – Zwischenergebnis . . . . . . .

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5 Zum Entwurf der nationalsozialistischen Gesellschaftsordnung aus dem Disziplinarrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.1 Differenzierung des Rechtsstatus im »Reichsbürgergesetz« . . . . 5.2 Konsequenzen der disziplinarrechtlichen Selektion . . . . . . . . . 5.2.1 »Erziehen« – Kaderpolitik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.2.2 »Warnen« – Ausgrenzung und Entrechtung . . . . . . . . . . .

280 280 284 284 290

Schluss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Tabellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Abkürzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Quellen- und Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

320

Register . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Vorwort

Diese Ordnungsgeschichte entstand als Dissertation im Fach Neuere und Neueste Geschichte an der Humboldt-Universität zu Berlin. Sie wurde im August 2005 von der Philosophischen Fakultät I, Institut für Geschichtswissenschaften (Dekan: Professor Michael Borgolte) angenommen, die Disputation fand am 16. Februar 2006 statt. Professor Ludolf Herbst, der meine Arbeit von Beginn an vertrauensvoll begleitet und unterstützt hat, sowie Professor Wolfgang Hardtwig und Professor Gerd Dietrich möchte ich für ihre Gutachten und Hinweise herzlich danken. Dr. Michael Buddrus, Institut für Zeitgeschichte München/Berlin, bin ich für den Hinweis auf die »Warnkartei« der Hitler-Jugend, die er mir bereits für meine Magisterarbeit zugänglich machte, besonders verbunden. Der Wunsch, die karge Kartei zum Sprechen zu bringen, stand ganz am Anfang meiner Auseinandersetzung mit dem Disziplinarregime des Nationalsozialismus. Ein Promotionsstipendium der Studienstiftung des deutschen Volkes ermöglichte die Arbeit an der Dissertation, der Förderungs- und Beihilfefonds Wissenschaft der VG Wort die Drucklegung. Den Herausgebern danke ich für die Aufnahme in die Reihe »Kritische Studien zur Geschichtswissenschaft« und, namentlich Professor Helmut Berding und Professor Hans-Ulrich Wehler, für ihre freundliche Unterstützung. Bei der Arbeit haben Freundinnen und Freunde mich begleitet und stets großzügig unterstützt. Für ihre kritische, anregende und hartnäckige Lektüre danke ich sehr herzlich Dr. Regina Vogel, Dr. Andrea Westermann und Ulrich Peltzer; Dr. Clemens Körte und Dr. Katrin Pietzner lasen und diskutierten Teile der Arbeit; die Schlusskorrektur unterstützten Bettina Effner, Michael Ebmeyer und Martina Lüdicke. Mark Meer half, die Datenbank einzurichten, und in vielen technischen Fragen. Berlin und München, im Februar 2007

Kathrin Kollmeier

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Einleitung

»Irgendwie geht Ordnung in das Bedürfnis nach Totschlag über.«1

Die nationalsozialistische Diktatur verwandelte nicht allein die politische Form der ›ungeliebten Republik‹ von Weimar in einen autoritären Führerstaat, sondern versuchte auch, die moderne bürgerliche Gesellschaft und ihre sozialen Gefüge in eine »rassische« Ordnung zu verwandeln. In der radikalen Aggression eines Krieges nach innen – dem Rassenkrieg gegen die eigene jüdische Bevölkerung –, wie mit der gewaltsamen Expansion in Europa wurde diese tief greifende Veränderung unmittelbar vorangetrieben. Die gesellschaftliche Umgestaltung ging von der NSDAP aus, knüpfte aber gezielt an bestehende Diskurse, Interessen und Mentalitäten an. Das Konzept dieser gesellschaftlichen Ordnung bildete sich am prägnantesten in der zentralen Herrschaftstechnik der »Volksgemeinschaft« aus, die ideologisch abgestützt, propagandistisch inszeniert und sozialpolitisch praktiziert wurde. Als grundlegende Struktur der nationalsozialistischen Gesellschaft beruhte sie, wie jede Gemeinschaft oder Gesellschaft, auf dem Zusammenwirken von Integrations- und Ausschlussmechanismen. Im Nationalsozialismus hatte die Entscheidung über die Zugehörigkeit zu Staat und Gesellschaft jedoch existenzielle Bedeutung. Ein solcher Ordnungsprozess der politischen und sozialen Ein- und Ausschließung wird hier anhand der Hitler-Jugend untersucht, um die zentrale Herrschaftstechnik in ihrer Funktion, ihrer gesellschaftlichen Verankerung und ihrer Flexibilität zu zeigen. Mit der »Volksgemeinschaft« wird nicht das ideologische Phänomen allein oder die aufwendige propagandistische Demonstration und Inszenierung der Figur betrachtet, sondern ihre Umsetzung in reale und alltägliche Politik und das auf diese Weise politisch durchdrungene Feld gesellschaftlicher Organisation. In der Institution des nationalsozialistischen Jugendverbandes wird die ebenso voraussetzungsvolle wie folgenreiche Ordnungsprozedur am Beispiel der Disziplinarpolitik und ihrer Verknüpfung mit zeitgenössischen Rechtsdiskursen im Jugendrecht, der nationalsozialistischen »Rechtserneuerung« und dem »konkreten Ordnungsdenken« entwickelt. Recht und rechtsförmige Praktiken dienen unmittelbar der Ordnungssetzung. Disziplinarsysteme, die Verletzungen »einer feststehenden Ordnung« sanktionieren und sie durch eine 1 Musil, Bd. 1, S. 465.

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spezifische Disziplin und »Zucht« gestalten,2 verfolgen die Konstitution und Aufrechterhaltung eines solchen Ordnungsprozesses auf einer subtileren Ebene als die allgemeinen juristischen Normen. Auf der Mikroebene fragt die Untersuchung nach der Funktionsweise der nationalsozialistischen Diktatur in ihrer spezifischen Mischung aus modernen und antimodernen Elementen in einer sich modernisierenden Gesellschaft.3 Moderne wird als »soziokulturelle Epochenlage« des 20. Jahrhunderts verstanden, die sich nach einer krisenhaft zugespitzten Avantgarde-Situation in der Zwischenkriegszeit schließlich nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs durchsetzte.4 Der Blick ist auch von der Frage nach Ambivalenzen der Moderne inspiriert, die in Deutschland, mitten im Zeitalter der Vernunft, eine »neue Art von Barbarei« ermöglichten.5 Mit ihren Haupttraditionslinien in der politischen Massenorganisation und der Jugendbewegung wurzelt die Geschichte des Parteijugendverbandes Hitler-Jugend kulturell in der Moderne, deren widerspruchsvolles Potential unter den Bedingungen der Diktatur in einer spezifischen, für die Entwicklung des Nationalsozialismus kennzeichnenden Radikalisierung entfesselt wurde. In diesem Sinn baut die Untersuchung auf Deutungen der dynamischen Herrschaftsentwicklung als einer »kumulativen Radikalisierung« auf, wie Hans Mommsens klassische Charakterisierung von Dynamik und Eigendynamik der nationalsozialistischen Herrschaft lautet.6 In der Perspektive dieser Radikalisierung erscheinen die zeitgenössischen Elemente dieser Herrschaft nicht als unbeabsichtigte oder dysfunktionale Nebenwirkungen einer im Grunde reaktionären, atavistischen Politik, sondern, mit Norbert Frei, als »Vorboten des Versuchs, das Projekt der Moderne in der spezifischen Variante einer rassischen Ordnung zu vollenden«.7 Konkret wird die Konstitution gesellschaftlicher und politischer Abgrenzung am disziplinarischen Rechtssystem der Hitler-Jugend und in den begleitenden juristischen Diskursen untersucht. Indem diese Grenzziehung innerhalb einer genuin nationalsozialistischen Organisation selbst verortet wird, kann die politische Herrschaftstechnik und -praxis mit ihrer Eigendynamik nachvollziehbar gemacht werden. Da politisch-ideologische und juristische Konzepte sowie 2 Ordnungsstrafe, in: Grimm/Grimm, Bd. 7, Sp. 1337; Schrimpf/Jüssen. 3 Vgl. Herf; zur Anwendung der Kategorie »Moderne« auf den Nationalsozialismus vgl. Frei, Wie modern war der Nationalsozialismus; Schildt; Weisbrod, sowie als ausführlichen Forschungsüberblick Bavaij. 4 Peukert, Weimarer Republik, S. 11f. 5 Horkheimer/Adorno, S. 1. 6 Mommsen, Nationalsozialismus als vorgetäuschte Modernisierung; für Bauman, Moderne, S. 16, produziere moderne Rationalität diese Radikalisierung hingegen zwangsläufig, was in seiner weitreichenden These des Holocausts als Produkt moderner Rationalität müdet; ders., Dialektik der Ordnung; vgl. dazu kritisch Beyerchen, S. 386f., sowie Essner, S. 17, Anm. 16. 7 Frei, Führerstaat, S. 215.

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alltagskulturelle Orientierungen ebenso in den Blick genommen werden wie die an ihnen ausgerichteten Praktiken, kann die gesellschaftliche Wirklichkeit breiter untersucht werden. Dieser Ansatz vermeidet zugleich, die problematische heuristische Trennung zwischen Repräsentanten des nationalsozialistischen Systems auf der einen Seite und ihren Opfern als – tatsächlichen oder vermeintlichen – Gegnern auf der anderen Seite nachzuzeichnen,8 sondern fragt nach der Konstituierung einer Ordnung der Ungleichheit selbst. Die Institution der doppelten, parteiamtlichen und staatlichen »Jugendführung« und der Gesamtverband der Hitler-Jugend bilden den Gegenstand.9 Unterschiede und Gemeinsamkeiten der nach Alter und Geschlecht getrennten Teilorganisationen werden berücksichtigt, um die geschlechterspezifischen Aspekte der nationalsozialistischen Jugendpolitik zu erfassen, die angesichts der pseudoegalitären Rhetorik des Verbandes oft übersehen werden.10 Die kombinierte Analyse der Disziplinarentwicklung einer nationalsozialistischen Massenorganisation in Konzepten und Praxis und der begleitenden Rechtsdiskurse ermöglicht, die Ordnungskonzepte für die in ihrem umfassenden Erfassungs- und Gestaltungsanspruch widersprüchliche und utopische Jugendorganisation sichtbar zu machen. Die Frage nach den Verfahren und Funktionen der politisch und juristisch abgestützten, bürokratischen Ausschlussmechanismen verspricht freizulegen, wie der rassenpolitische Zugriff auf Kinder,11 Jugendliche und einen umfangreichen Apparat von Jugendführern und -führerinnen ermöglicht und umgesetzt wurde und zur nationalsozialistischen Formung und »Säuberung« des »Volkskörpers« beitrug. Mit der Untersuchung (disziplinar)rechtlicher Grenzziehung wird eine konstitutive Feinmechanik nationalsozialistischer Herrschaft exemplarisch verdeutlicht. Die rassistische und darin vor allem antisemitische »Volksgemeinschaft« bestimmte die soziale und politische Ordnung des Nationalsozialismus, deren Grenzen sie vorgab; zugleich konstituierten die Klassifikations- und Organisationsprozesse erst diese vorgestellte Gemeinschaft.12 Die »Volksgemeinschaft« beruhte daher auf einem grundlegenden Spannungsverhältnis zwischen der Tendenz zur umfassenden Ausbreitung und der fortwährenden Abgrenzung. Die Geschichte des Ordnungsprozesses macht dieses Spannungsverhältnis analytisch fassbar. Denn auch der Begriff »Ordnung« enthält zwei Komponenten: 8 Vgl. Breyvogel/Stuckert, S. 328; Reese/Sachse, S. 74. 9 Sofern nicht anders gekennzeichnet, wird hier unter »Hitler-Jugend« die Gesamtorganisation verstanden. 10 Vgl. Gehmacher, S. 27; zum Problem der Jugendgeschichte als »Jungengeschichte« Benninghaus, Verschlungene Pfade. 11 In Übereinstimmung mit den Strafmündigkeitsgrenzen im Jugendgerichtsgesetz von 1923 und der bis heute gültigen Altersgrenzen wird die Altersgruppe bis zu 13 Jahren als Kinder, die Gruppe der 14–18-Jährigen als Jugendliche bezeichnet. 12 Zum Begriff der »vorgestellten Gemeinschaft« Anderson, S. 14f.

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die gegliederte Einrichtung und die Anlage zu einer dynamischen Entwicklung. Der Begriff ist ohne zirkuläre Formulierungen schwer zu bestimmen. Ordnung ist »das geordnete«; unter den zahlreichen Verwendungen, die etwa das Wörterbuch der Gebrüder Grimm verzeichnet, fassen Umschreibungen wie »regelmässige einrichtung« und »gehörige gliederung und verhältnis« ihren formalen Charakter genauer. Die Herstellung dieses Zustandes, die »handlung des ordnens«, ist in der Wortbedeutung eng mit dem Anordnen, dem Bestimmen und Befehlen verbunden,13 also mit einer Machtausübung. Der dieser Arbeit zu Grunde liegende Begriff von Ordnung als einer gliedernden Systematisierung umfasst daher auch das Verhältnis zur Zielvorstellung dieser Systematisierung sowie zu einer Macht als Instanz, welche die Gliederung vorgibt. Eine Ordnung ist außerdem abhängig von mindestens einem Subjekt, das sie setzt und bzw. oder anerkennt. Der Begriff selbst beinhaltet also einerseits eine Dynamik in Bezug auf die Zielvorstellung des Ordnungsprozesses sowie andererseits ein Machtverhältnis hinsichtlich der Bestimmung und Durchsetzung dieses Prozesses. Das Interesse an dieser Dynamik ist ein Teil der Fragestellung. Die Konstitutionsmechanismen der rassistischen Gesellschaft des Nationalsozialismus wurden durch das Wechselspiel von Ein- und Ausschluss geregelt, wobei das empirische Interesse hier auf den Prozeduren der Ausgrenzung liegt. Mit der Frage nach den spezifischen Kriterien, Techniken und Funktionen gesellschaftlicher Selektion versteht sich die Analyse eines komplexen gesellschaftlichen Ordnungs- und Klassifikationsprozesses als Beitrag zur Erforschung der nationalsozialistischen Rassenpolitik. Ausgehend von Hannah Arendts Beobachtung, im Nationalsozialismus habe der Rassismus sich aus der sozialen in die »eigentlich politische Sphäre« bewegt,14 hat Gisela Bock den hier zu Grunde liegenden Begriff der Rassenpolitik entwickelt. Unter der methodischen Prämisse, dass im Zentrum einer Analyse der nationalsozialistischen Rassenpolitik ihre Akteure und ihre Opfer stehen und Verallgemeinerungen daher für beide Gruppen gelten müssen, schlägt sie »Rassenpolitik« als Kategorie zur Gesamtinterpretation vor.15 Denn das Spezifische des Nationalsozialismus bestehe in der Politisierung und politischen Realisierung rassistischer Klassifikationen bis hin zum Massenmord. Rassismus wurde in den Rang staatlicher Politik erhoben und durchdrang als Rassenpolitik systematisch alle gesellschaftlichen Bereiche. Durch diese »Institutionalisierung von Rassismus als Rassenpolitik« wurde die nationalsozialisti13 Ordnung, in: Grimm/Grimm, Bd. 7, Sp. 1330–1336 (alle Zitate). 14 Arendt, S. 944. 15 Bock, Krankenmord, S. 288. Vgl. das hier ausführlich entwickelte Konzept mit empirischerer Ausrichtung und Blick auf die komplexe Verknüpfung von Rassen- und Geschlechterdifferenz, dies., Frauen, sowie dies., Gleichheit.

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sche Diktatur zum Vollstrecker aller damals bekannten Formen von Rassismus. Anhand von ausgewählten Unterschieden physischer, psychischer und geistiger Art wurde auf die Ungleichheit bestimmter Menschengruppen im Sinne einer Wertehierarchie geschlossen, wobei die vermeintliche Minderwertigkeit der einen an den sozialen und kulturellen Normen der anderen, angeblich wertvolleren Gruppe gemessen wurde. Rassismus wird als hierarchisierende Diskriminierung bestimmter, sowohl ethnischer als auch anderer, oft minoritärer Gruppen als »Minderwertige« verstanden.16 Die Diskriminierung erstreckt sich gleichermaßen auf die Klassifikation wie die Behandlung. Auf dieser Grundlage verweigert der moderne Rassismus den so Klassifizierten Freiheits- und Gleichheitsrechte. Zentral für diese Arbeit ist die Bestimmung des Rassismus als diskriminierendes Verhältnis zwischen bestimmten Gruppen. Diese sozialkulturelle Beziehung eigener Art wird nicht als rein ideologisches Phänomen gefasst, wie Interpretationen des Nationalsozialismus als »Rassenideologie« voraussetzen, die mit dem Fokus auf einer isolierten »Weltanschauung« den komplexeren Zusammenhang auf ein Ideen- oder Überbauphänomen von geringerer »Realitätsmächtigkeit« reduzieren. Trotz ihrer hohen Bedeutung seien die ideologischen Aspekte nicht allein bestimmend, kritisiert Bock mit dem Hinweis, dass gerade die »Objekte« der nationalsozialistischen Rassenpolitik, die Ausgegrenzten, auf unterschiedliche ältere und ideologische Traditionen der Diskriminierung verweisen, unter denen der Antisemitismus besonders herausragt. Durch die Politik der Rassen- und Erbpflege miteinander verbunden, waren die Mittel der nationalsozialistischen Rassenpolitik vielfältig, und sie eskalierten schnell: Verstaatlichung, Bürokratisierung und Medikalisierung des Rassismus reichten von der Sterilisation bis zum Massenmord. Dieser Prozess der Radikalisierung des traditionellen ethnischen Rassismus durch den neuen eugenischen Rassismus bezeuge neben der institutionengeschichtlichen Dimension zugleich eine mentalitätsgeschichtliche Eskalation, die durch die Institutionen befördert und radikalisiert wurde.17 Auf dieser grundlegenden Erkenntnis über die Politisierung und die systematische politische Realisierung des Rassismus im Nationalsozialismus bauen neuere Studien auf, die ebenfalls an den Verknüpfungen zwischen Ideologie und Praxis interessiert sind.18 In einer Präzisierung ihres älteren »Sozialrassismus«-Begriffes verdeutlicht Gisela Bock darüber hinaus die problematische Trennung zwischen »ethnischem« und »sozialem« Ras16 Vgl. zur aktuellen Rassismustheorie Räthzel, darin bes. Hall und Miles, sowie den Überblicksessay Claussen; Terkessidis; zur Verschränkung von Rassismus und Nationalismus Geulen. 17 Bock, Krankenmord, S. 301ff. 18 Der Zusammenhang von Radikalisierung und Institution wurde zuletzt für die Führungselite im Reichssicherheitshauptamt als der zentralen Verfolgungsinstitution überzeugend bestätigt, Wildt, Generation des Unbedingten; zum Ablösungsprozess der rassistischen Ordnung die Synthese Burleigh/Wippermann.

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sismus als einem »inneren« oder »äußeren« Rassismus, welche die Unterscheidung zwischen der Diskriminierung »minderwertiger« bzw. »fremdrassiger« Minderheiten sprachlich hervorhebt.19 Die Zuordnung zu einer inneren und äußeren Zugehörigkeit setzt tatsächlich die – naturwissenschaftlich unhaltbare – Fiktion der Existenz menschlicher Rassen voraus. Es ist hingegen die Rassenpolitik selbst, die das Verhältnis von »innen« und »außen« der Gesellschaft bestimmt.20 Die über diese Zugehörigkeit entscheidende Grenzziehung im Disziplinarwesen der nationalsozialistischen Jugendorganisation und in den begleitenden Rechtsdiskursen, die im Zentrum dieser Studie steht, wird daher als ein Element der nationalsozialistischen Rassenpolitik begriffen. Auch Michel Foucaults funktionaler Rassismus-Begriff betont den Prozess der Klassifikation. Er unterscheidet zwei Funktionen des Rassismus. Zum einen diene er als Mittel, einen selektorischen Schnitt »zwischen dem, was leben soll, und dem, was sterben muss«, einzuführen.21 Rassismus ist hier die Funktion der Trennung, die Lebenswertes von Nicht-Lebenswertem, Gesundes von Krankem, Gewünschtes von zu Vermeidendem scheidet. Als soziale Ausgrenzung bzw. sozialer Tod bis hin zur tatsächlichen Tötung führt er zur Selektion der Bevölkerung. Er funktioniert als gesellschaftliche Grenzziehung, und benennt – wie Gisela Bock – die Grenzen zwischen »innen« und »außen«, die im Rahmen dieser Analyse in der disziplinarrechtlichen Begrenzung des NS-Jugendverbandes als Teil der nationalsozialistischen »Volksgemeinschaft« verortet werden. Eine zweite Funktion des Rassismus ermöglicht laut Foucault erst die Praxis des Ausgrenzens bzw. Tötens. Ein Rassismus »kriegerischen Typs« mache das eigene Leben vom Sterben bzw. Töten des Feindes abhängig und liefere die notwendige »ideologische Energie«, den Anderen auszugrenzen.22 Auch diese zweite Funktion wird als Machttechnologie strikt funktional gefasst: Der Tod des Anderen dient der Selbst-Stärkung.23 Dieses funktionale Konzept des Rassismus als Selektion hat den Vorzug, selektorische Diskurse und Praxen gemeinsam betrachten zu können und eignet sich damit für die Untersuchung der Ausgrenzungspraxis im Nationalsozialismus. 19 Da »Rassen-« wie Geschlechterfrage nicht biologische, sondern soziale Phänomene sind, ist die Unterscheidung zwischen »ethnischem« und »sozialem« Rassismus sinnlos; im Wortsinn wäre jeder Rassismus zugleich als »Sozialrassismus« zu bezeichnen; Bock, Krankenmord, S. 295f. 20 Ebd., S. 297. 21 Foucault, Verteidigung, Vorlesung vom 17. März 1976, S. 282–311, S. 301. Als Definition der »Biomacht« gilt demgegenüber die »Macht, leben zu machen und sterben zu lassen«. Vgl. grundsätzlich Magiros, dort zur Foucault-Rezeption in der Rassismustheorie S. 117–139; sowie Stingelin, Einleitung, S. 7–26, bes. S. 17–22. 22 Foucault, Verteidigung, S. 301f. 23 Ebd., S. 305 u. 302: »Der Tod des Anderen bedeutet nicht einfach mein Überleben in der Weise, daß er meine persönliche Sicherheit erhöht; der Tod des Anderen, der Tod der bösen Rasse, der niederen (oder degenerierten oder anormalen) Rasse wird das Leben im allgemeinen gesünder machen; gesünder und reiner«.

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Der Zweck symbolischer Ausschließung liegt zum einen darin, bestimmte Gruppen den Zugang zu materiellen und kulturellen Gütern zu verwehren, zum anderen in der Stärkung der eigenen Gruppe. Sie bedeuten zugleich eine symbolische Ausweisung aus der Gemeinschaft.24 Beide Funktionen, die Robert Miles mit dem deskriptiven Begriff der »Ausschließungspraxis« betont,25 sind für den Disziplinarmechanismus der Hitler-Jugend von Bedeutung. Die Struktur des rassistischen Diskurses besteht aus der Bündelung von Charakteristika in zwei gegensätzlichen Gruppen: »Die ausgeschlossene Gruppe verkörpert das Gegenteil der Tugenden, die die Identitätsgemeinschaft auszeichnet.«26 Differenz wird also erst durch den rassistischen Diskurs konstruiert und erfüllt die doppelte Funktion der Identitätsbildung und Identitätsabsicherung. Konsens und Konsolidierung einer sozialen Gruppe entstehen durch die Entgegensetzung zu einer anderen, ihr untergeordneten Gruppe. Zusammenfassend ist für den Analyserahmen festzuhalten: Gisela Bocks Beschreibung von Rassismus als Grenzziehung entspricht Foucaults funktionalem Rassismusbegriff und Robert Miles’ Begriff der »Ausschließungspraxis«. Der Gegenstand dieser Untersuchung ist die ausgrenzende Politik der Hitler-Jugend in ihrer Disziplinarpolitik, nicht der alltägliche Rassismus vor Ort, der, von Hitler-Jugend-Führern und BDM-Führerinnen wie von »Pimpfen«, Hitler-Jungen und »Mädeln« ausgeübt und artikuliert, ohne Zweifel zum rassistischen Alltag in der Jugendorganisation gehörte. Denn die Rassenpolitik wirkte sich auf diese alltagsgeschichtliche Seite ebenfalls aus. Nicht zuletzt fielen beide Aspekte des Rassismus in ihrer Wirkung oft zusammen. Um die Verbindung von Ideologie und Praxis in der Grenzziehung des gesellschaftlichen Ordnungsprozesses innerhalb der NS-Gesellschaft zu erfassen, wird auf Michel Foucaults diskursanalytischen Ansatz zurückgegriffen. Mit der grundlegenden Erkenntnis, dass Praxen durch Ideen bestimmt und Ideen wiederum in Praxen eingeschrieben sind, hebt sein Diskursbegriff die Trennung zwischen Ideologie und Praxis auf. Die Überwachungs- und Strafmethoden der Hitler-Jugend werden als Techniken von Gewaltverfahren verstanden und in der Perspektive ihrer politischen Taktik untersucht. Die Analyse wird durch Foucaults Frage nach der komplexen gesellschaftlichen Funktion, die Strafmechanismen ausüben, von der begrenzenden (und gerade in der historischen Jugendforschung auch moralisch verpflichtenden) Perspektive reiner Repression

24 Hall, S. 13f. 25 Miles, S. 29ff. Gegenüber seinem rein inhaltlich bestimmten und auf ideologische Phänomene bezogenen Rassismusbegriff verwendet er für konkrete historische Erscheinungsformen von Rassismus die Begriffe »Rassenkonstitution« (für den ideologischen Prozess der Grenzziehung) und »Ausschließungspraxis« (für konkrete Handlungen und Prozesse). 26 Hall, S. 13f.

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entlastet.27 Für die Geschichte gesellschaftlicher Ordnung im Nationalsozialismus, die sich auf rechtsförmige Disziplinartechniken konzentriert, wird die Unterscheidung zwischen Disziplinargewalt einerseits und Strafgewalt andererseits herangezogen. Die Höchststrafe der Hitler-Jugend, der Ausschluss aus der Organisation, scheint die von Foucault herauspräparierte Grenze zwischen korrigierender Disziplinargewalt und staatlicher Bestrafung zu bilden. Sie unterscheiden sich durch ihre unterschiedlichen Bezugssysteme und Wirkungen: Die Strafjustiz urteile bei einem Gesetzesverstoß fallweise anhand eines Gesetzeskorpus über einzelne Taten. Die Disziplinargewalt wirke hingegen durch ständige flächendeckende Erfassung und Kontrolle vergleichend, differenzierend, hierarchisierend, homogenisierend und ausschließend. Die »normend, normierend, normalisierend« wirkende Disziplinargewalt, die nur scheinbar mit ihrem neu geschaffenen Strafsystem der Norm den Justizapparat nachahme, bewerte Individuen aufgrund ihrer gesamten Erscheinung in Hinblick auf die Disziplin. Disziplinarische Straftechniken unterscheidet Foucault von den strafrechtlichen erstens wegen ihrer einübenden, abrichtenden Form.28 Zweitens bestehe die Funktion disziplinarischen Strafens in der Reduktion von Abweichungen und sei daher bessernd und korrigierend.29 Auch die stille Herrschaftstechnik der Datenerfassung durch Karteiführung lässt sich als Strategie einer solchen »Mikrophysik der Macht« begreifen, als eine kleinteilige, präzise auf die einzelnen Körper gerichtete Herrschaftsstrategie. Auf die Begleiterscheinung ausgefeilter Dokumentationssysteme weist Foucault hin.30 »Erfassen« wird daher neben den Überwachungs- und Straftechniken als eigene disziplinierende Technik begriffen. Foucaults Studie »Überwachen und Strafen« liefert einen begrifflichen Rahmen, der für eine Beschreibung der Disziplinargewalt und ihrer Prozesse hilfreich ist. Ohne seine genealogische Methode zu übernehmen, werden einzelne Begrifflichkeiten analytisch genutzt. Der hierarchisch organisierte disziplinarische Jugendverband einer modernen Diktatur, die ein enormes vernichtendes Gewaltpotential entfesselte, scheint Foucaults provokante und umfassende Beschreibung moderner Gesellschaften als Disziplinargesellschaften beinahe zu banalisieren, so unmittelbar leuchtet sie ein. Er konstatiert selbst: »Keine Gesellschaft, die disziplinärer und zugleich versicherungsförmiger gewesen wäre als die von den Nazis eingeführte oder in jedem Fall geplante.«31 Den Nationalsozialismus begreift er als die auf die Spitze getriebene Entwicklung 27 Foucault, Überwachen und Strafen, S. 34. 28 Ebd., S. 232: »Richten ist Abrichten«, wörtlich: Züchtigen ist Abrichten (»Chatier, c’est exercer.«); Foucault, Surveiller et punir, S. 211. 29 Foucault, Überwachen und Strafen, S. 229–237, Zitat S. 236; Definition der Disziplinarmacht, S. 276f. Zur Präzisierung als »soziale Normierung« vgl. Link, S. 132f. 30 Foucault, Überwachen und Strafen, S. 252. 31 Foucault, Verteidigung, S. 306.

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der seit dem 18. Jahrhundert vorhandenen Mechanismen von Disziplinar- und »Biomacht«. Dass er die nahe liegende Beziehung zu den totalen Erziehungsinstitutionen des Nationalsozialismus »fast zwanghaft« aus seiner Analyse ausgeschlossen hat, mag daher erstaunen.32 Unstrittig ist, dass die Hitler-Jugend als Institution der Disziplinierung im NS-Staat wirkte. Für die Frage nach den genauen Mechanismen werden Techniken beschrieben und in den Kontext ihrer eigenen Geschichte wie auch in den Rahmen der Politik der zuständigen Institution, der Reichsjugendführung (RJF), gestellt. Um über den Blick auf Techniken und Prozeduren die Menschen nicht aus dem Blick zu verlieren, werden die Akteure dieser Jugendpolitik benannt und Disziplinarverfahren anhand von Einzelfällen veranschaulicht. Um die charakteristische Verknüpfung der ideologischen und praktischen Ebenen der Herrschaftstechnik der »Volksgemeinschaft« in ihrem Wirkungszusammenhang und ihrem Beitrag zu einer spezifischen Radikalisierung zu analysieren, werden (rechts)politische Ideengeschichte und die Analyse der Praxis von Sozialtechniken miteinander verbunden. Dazu nutzt die Untersuchung verschiedene Quellenarten und eine Kombination historischer Methoden. Im ersten Teil wird der Erkenntnis leitende Begriff der Ordnung im Hinblick auf das Konzept der »Volksgemeinschaft« und die Sozialordnung HitlerJugend erörtert. Deren besondere Rolle im Organisationsgefüge der nationalsozialistischen »Bewegung« wird durch die institutionelle Position zwischen Partei- und Staatsjugend und durch die politisch-kulturelle Aufladung des Jugendkonzeptes bestimmt (Kapitel 1). Im Anschluss an diese gesellschaftspolitische Kontextualisierung werden die begleitenden Rechtsdiskurse als juristische und rechtspolitische Prämissen für die Entfaltung und Profilierung des Disziplinarrechts untersucht: Neben der gemeinschaftsrechtlichen Denkfigur »konkreter Ordnungen« und dem ehren- und disziplinarrechtlichen Diskurs in der nationalsozialistischen »Rechtserneuerung« steht das liberale Jugendrecht als moderne Traditionslinie (Kapitel 2). Für dieses Kapitel einer ideengeschichtlich angereicherten Rechtsgeschichte werden mit Traktaten, Dissertationen und wissenschaftlichen Aufsätzen »mittlere und kleinere theoretische Quellen« und programmatisches rechtspolitisches Schrifttum vor allem aus den ersten Jahren nach 1933 herangezogen.33 Sie werden durch die Protokolle des Ausschusses für Jugendrecht an der Institution der »Rechtserneuerung«, der Akademie für Deutsches Recht,34 und die aus der Ministerialüberlieferung erschlossene Korrespondenz zwischen dem Reichsministerium der Justiz (RJM) und der Reichsjugendführung ergänzt. Im zweiten Teil der Arbeit wird das 32 Schneider u. a., S. 52f. 33 Vgl. Klippel, S. 141, im Anschluss an Lottes. 34 Schubert.

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Disziplinarsystem der Hitler-Jugend aus seinen Ansätzen vor 1933 bis zu seiner festen Verankerung in der Auf bauperiode des Nationalsozialismus untersucht (Kapitel 1 und 2). Gegliedert nach den disziplinarischen Techniken, wird es umfassend in Konzept, Funktionsweise und Praxis rekonstruiert. Auf die Analyse der Etablierung des Systems einschließlich seiner dauerhaften Mechanismen und Organe folgt im dritten Teil in einem analogen Auf bau die Untersuchung qualitativer Veränderungen in der Kriegszeit (Kapitel 2), deren besondere Voraussetzungen zunächst herausgearbeitet werden (Kapitel 1). Die konstante analytische Ebene der geschlechterpolitischen Dimension der Disziplinarpolitik steht bei der Untersuchung der nach 1939 deutlich werdenden Folgeerscheinungen der kennzeichnenden Asymmetrie im Zentrum (Kapitel 3). Aus dem dichotomen Disziplinarkonzept wird abschließend das in den Ordnungsvorstellungen erkennbare Gesellschaftsbild mit den Polen von Kaderpolitik und weitergehender Ausgrenzung skizziert (Kapitel 5). In dieser Rekonstruktion politischer, rechtlicher und sozialer Konsequenzen der Jugenddisziplinierung verdeutlichen die Planungen zum Status des »Reichsbürgers« eine grundsätzliche Kategorisierung auch innerhalb der »Volksgemeinschaft«, zu der das Disziplinarsystem der Hitler-Jugend beitrug. Die desolate Aktenlage für die zentrale Behörde der Reichsjugendführung ist beinahe sprichwörtlich. Die Unterlagen der Reichsjugendführung in Berlin und ihrer zentralen Ämter wurden während des Krieges fast vollständig vernichtet, regionale Akten oft noch im Winter 1945/46.35 Dem steht jedoch das kontinuierlich produzierte und breit überlieferte Verordnungs- und Organisationsschrifttum gegenüber, aus dem sich Intentionen und Argumentationen der Jugendführung ebenso erschließen wie ihre Politiken. Außer Führer- und Befehlsblättern36 und der sozialpolitischen Fachzeitschrift »Das junge Deutschland« mit monografischen Sonderveröffentlichungen runden propagandistische Selbstdarstellungen, zahlreiche Dissertationen und Einzelstudien die lebhafte Publikationstätigkeit des Führerkorps ab. Verlorene Akten der Reichsjugendführung werden über die Sekundärüberlieferung, vorrangig aus den Beständen des Justizministeriums, erschlossen. Akten zum Mitgliedschaftswesen liegen in der Überlieferung der NSDAP vor, vor allem des NS-Hauptarchivs, des Reichsschatzmeisters sowie der Partei-Kanzlei. Die Bestände des Bundesarchivs werden durch Akten und Drucksachen aus dem Archiv des Instituts für Zeitgeschichte in München und des Geheimen Preußischen Staatsarchivs in Berlin 35 Koch, Geschichte der Hitlerjugend, leitet seine Gesamtdarstellung stimmungsvoll mit der Anekdote eigenhändig verheizter Akten einer HJ-Gebietsführung ein. 36 Verordnungsblatt der Reichsjugendführung (Hitlerjugend) (VOBl.), ab Juli 1937 u. d. T. Amtliches Nachrichtenblatt des Jugendführers des Deutschen Reiches und der Reichsjugendführung der NSDAP (ANBl.); Reichsbefehl der Reichsjugendführung der NSDAP (RB); NSDAPReichsjugendführung, Rundschreiben der NSDAP/Reichsjugendführung, Berlin 1940–1944 [zitiert als: Rundschreiben der RJF].

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ergänzt. Zusätzlich machen Editionen zahlreiche verstreute Einzeldokumente über die gesamte Spannbreite von Entwicklung und Aktivitäten der Hitler-Jugend zugänglich.37 Um das Thema unter dem Blickwinkel der Prozesshaftigkeit des Ordnungsetzens zu betrachten, ist die Quellenlage insgesamt ergiebig. Die Analyse der Strafpraxis, die anhand der dokumentierten Ausschlüsse nachvollzogen wird, verfährt dazu ergänzend quantitativ, um die Umsetzung des herausgearbeiteten Ordnungsprozesses zu überprüfen und Sanktionsschwerpunkte zu ermitteln. Die Entwicklung der Disziplinarpolitik und eine Charakterisierung ihrer Techniken wird anstelle einer detaillierten sozialstatistischen Quantifizierung betont. Denn gegenüber der Organisationsgeschichte der Parteiverbände und ihrer Mitgliederbewegung, wie sie die quantitative Forschung zum Nationalsozialismus seit den 1970er Jahren betrieben hat,38 stehen die exemplarischen Ordnungsprozesse eines ausgefeilten Disziplinarsystems im Vordergrund. Mit der »Warnkartei« der Reichsjugendführung, in der Ausschlüsse aus dem gesamten Verband gespeichert wurden, und mehreren ergänzenden Sammelmeldungen werden zentrale Massendatenquellen im Zusammenhang ausgewertet.39 Die Kartei bürgt nicht nur für die massenhafte Realität des Verfahrens, auch ihre Form als Karteisystem ist für die Technologie der Herrschaft, die sich dieser Speicher- und Zugriffsform zeitgenössischer Bürotechnik bedient, charakteristisch. Die Einbettung der Strafpraxis in den Rahmen der Techniken kann über das Ordnungsverfahren hinaus den Charakter der kargen seriellen Quellen selbst beleuchten – in diesem Sinne verfolgt die Arbeit beiläufig auch ein kulturgeschichtliches und medientheoretisches Moment. Für die Untersuchung der Disziplinar- und Strafpraxis der Hitler-Jugend fehlen jedoch mit den Akten der Disziplinargerichte wichtige Quellen zur Spruch- und Verfahrenspraxis der einzelnen hierarchischen Gerichtsebenen. Lediglich eine Akte des zentralen Obergerichts der Reichsjugendführung ist überliefert; mit Übergriffen während der November-Pogrome 1938 widmet sie sich zwar einem spektakulären Fall, ermöglicht jedoch die genaue Rekonstruktion eines Gerichtsverfahrens.40 Einzelne Fallgeschichten werden aus Sicht der Verfolgungsinstanzen dargestellt. Dieses Material wird in zwei Beständen exemplarisch erschlossen: Unterlagen des Überwachungsorgans HJ-Streifendienst stammen aus dem ländlichen, süddeutschen Gebiet »Hochland« bzw. 37 Jahnke, Jugend unter der NS-Diktatur, zuvor als ders./Buddrus; Miller-Kipp, »Auch du gehörst dem Führer«; Hellfeld/Klönne. Einzelne Denkschriften und Erlasse in Peukert, Edelweißpiraten, sowie Klönne, Jugendkriminalität. 38 Vgl. etwa Kater, Quantifizierung; Manstein. 39 Bundesarchiv (BA) Berlin, Warnkartei der Hitler-Jugend; RB Sonderdruck 35/41 K, 25.9.1941, S. 1–51; Ausschlüsse aus der Verwaltung der Hitler-Jugend, RB 7/K, 27.10.1939, S. 18ff. 40 BA Berlin, NS 28/126; die Überlieferung verdankt sich der Kaderabteilung des Zentralkomitees der KPD.

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»Schwaben«, der einzigen verhältnismäßig dichten Überlieferung einer Gebietsführung.41 Das Material zu disziplinarischen Verfahren erlaubt ebenso Rückschlüsse auf die ausgeübte Disziplinarrealität vor Ort wie auf die Umsetzung des Ordnungsprozesses entlang der vertikalen Organisationsstruktur. Der zweite regionale Quellenbestand ist weitaus umfangreicher und stammt mit dem industriell geprägten Großstadtraum an Rhein und Ruhr aus einem Gebiet mit traditionell hoher Kriminalitätsrate. Er umfasst die Personalakten aus der Überlieferung der Geheimen Staatspolizei, der Staatspolizei(leit)stelle für den Regierungsbezirk Düsseldorf.42 Aus diesem einzigartigen Bestand von Ermittlungsunterlagen und Verhörprotokollen, auf den sich Studien zur Jugendkriminalität beziehen,43 wurde aus den weit über 70 000 überlieferten Einzelfallakten eine Auswahl getroffen, die auf Ausschlussverfahren aus der Jugendorganisation Bezug nimmt. Diese 121 Fälle aus dem HJ-Gebiet bzw. BDM-Obergau »Ruhr-Niederrhein«, sowie vereinzelt aus den Gebieten »Westfalen-Nord«, »Mittelrhein« (später: »Köln-Aachen«) und »Moselland« ermöglichen sowohl Aussagen über Disziplinarvorgänge wie über deren unmittelbare Auswirkungen auf die Lebensläufe Jugendlicher. Mit ihrer unterschiedlichen Provenienz und Reichweite veranschaulichen beide regionalen Quellenbestände die Alltagsrealität des Disziplinarregimes und die Kooperation mit den bürokratischen Abläufen anderer Verfolgungsinstanzen, der örtlichen Polizei und der Geheimen Staatspolizei (Gestapo). Personenakten aus dem Bestand des ehemaligen Berlin Document Center im Bundesarchiv in Berlin illustrieren überdies das beteiligte Führerkorps, wozu auch der biografische Anhang des Hitler-Jugend-Handbuches von Michael Buddrus herangezogen wird.44 Als exemplarische Mikrostudie über die ausgefeilte technische Umsetzung des doppelten Zugriffs von Partei und Staat auf den Einzelnen vertieft diese Arbeit strukturelles Wissen um die Herrschaftspraxis der nationalsozialistischen Diktatur. Durch die Perspektive auf die disziplinarische Praxis einer nationalsozialistischen Organisation und ihren konzeptionellen Hintergrund ist die Untersuchung zeitlich auf den Herrschaftszeitraum beschränkt, wobei auf die Anfänge der Jugendorganisation in der Weimarer Republik und die Ent41 Staatsarchiv (StA) Augsburg, Bestände NSDAP Gau Schwaben und Gliederungen, HJGebiet Schwaben und BDM-Obergau Schwaben; sowie Banne und Untergaue im HJ-Gebiet/ BDM-Obergau Schwaben. Das Gebiet »Schwaben« (36) entstand im April 1939 durch Teilung des HJ-Gebietes/BDM-Obergaues »Hochland« (19); auf der lokalen Bann- bzw. Untergau-Ebene finden sich hingegen kontinuierliche Bestände seit den frühen 1930er Jahren. 42 Hauptstaatsarchiv (HStA) Düsseldorf, Bestand RW 58, Personalakten der Geheimen Staatspolizei, Staatspolizeistelle für den Regierungsbezirk Düsseldorf. Bestände der Polizei- und Sicherheitsdienststellen 1933–1945, insbesondere der Gestapo(leit)stellen Aachen, Düsseldorf und Köln mit ihren nachgeordneten Dienststellen. 43 Kenkmann, Wilde Jugend; Krolle; Hellfeld, Bündische Jugend und Hitlerjugend. 44 Kurzbiografien ausgewählter HJ-Führer und BDM-Führerinnen, in: Buddrus, Totale Erziehung, S. 1111–1230.

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wicklung des Jugendrechts seit dem Kaiserreich zurückgegriffen wird. Aufgrund der Quellenlage und der Auflösung der Organisationsstrukturen der Hitler-Jugend ist die abschließende Zäsur schwer zu präzisieren; disziplinarrechtliche Ausschlüsse sind noch bis ins Frühjahr 1945 hinein nachweisbar. Räumlich steht, der Ausdehnung des Verbandes entsprechend, die »reichsdeutsche« Perspektive im Mittelpunkt, in welche die Regelungen für die im Zuge der Expansionspolitik annektierten Gebiete einbezogen werden. Die Analyse der Beziehungen zwischen sozialer Welt und Ideologie wird seit einiger Zeit als ein zentrales geschichts- und sozialwissenschaftliches Anliegen begriffen. In den Arbeiten einer breiteren Rassenpolitikforschung verliert die vormalige heuristische Trennung in »intentionalistische« und »strukturalistische« Erklärungsansätze zugunsten integrativer Perspektiven, die ideengeschichtliche Ansätze mit der politischen Praxis verbinden, an Bedeutung.45 Fragestellungen und Erkenntnisinteressen dieser Forschungsfelder kommen dem hier verfolgten Anliegen einer »Ordnungsgeschichte« nahe, die Ein- und Ausschlussmechanismen des nationalsozialistischen Staates als notwendige Voraussetzung für dessen Rassenpolitik und deren Dynamik zu untersuchen.46 Hier wird die Feinmechanik dieser konstitutiven Abgrenzungsverfahren in einer genuin nationalsozialistischen Organisation betrachtet. Die Beeinflussung des Politikfeldes Jugend im nationalsozialistischen Deutschland gilt als Höhepunkt einer kontinuierlichen und in seiner Intensität spezifisch deutschen Entwicklung seit dem Kaiserreich und der Entstehung eines modernen Konzeptes von »Jugend«.47 Aufgrund dieser Bedeutung entstand zum Bereich der Kindheit und Jugend in der Diktatur neben der jugendhistorischen Forschung auch eine breite interdisziplinäre wie erinnerungsgeschichtliche Literatur, die eigene Subgenres hervorgebracht hat.48 Nach der zeitgenössischen, satirisch-politisierenden Darstellung der nationalsozialistischen Jugenderziehung, wie sie Erika Mann 1938 im Exil in den USA veröffentlichte,49 setzte die wissenschaftliche Forschung in der Nachkriegszeit mit den grundlegenden Arbeiten von Arno Klönne zur Sozial- und Organisationsgeschichte der Hitler-Jugend ein.50 Seit den 1970er Jahren prosperiert sie – nicht zuletzt aufgrund der Konjunktur der historischen Jugendforschung.51 45 Vgl. zur Forschungsprägung Kershaw; Herbert, Vernichtungspolitik. 46 Essners Studie zur Rassenkonzeption und Verwaltungspraxis untersucht etwa anhand der Ausarbeitung von der Texte des »Reichsbürgergesetzes« von 1935, wie »Juden« konstituiert und definiert wurden, als Grundlage des Prozesses ihrer Ausgrenzung, Verfolgung und Vernichtung. 47 Buddrus, Doppelt betrogene Generation, S. 265. 48 Vgl. den mehr als 500-seitigen Literaturüberblick Schreckenberg; sowie Förster. 49 Mann. 50 Stets die Jugendlichen außerhalb der Hitler-Jugend einbeziehend Klönne, Hitlerjugend; Gegen den Strom; aktualisiert: Jugend. 51 Vgl. Dudek, »Entdeckung der Jugend«; ders., Jugend als Objekt der Wissenschaft; Heitmeyer.

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Bis heute entstehen neben Regional- und Spezialstudien weiterhin Gesamtdarstellungen, die sich, wie die jüngste Synthese von Michael H. Kater, oft an ein breiteres Publikum wenden.52 Thematische und methodische Orientierungen und Trends der Geschichtswissenschaften spiegeln sich in dieser Geschichtsschreibung ebenso wie politische Debatten. Versuche, die Hitler-Jugend in die Perspektive der deutschen Jugendbewegung einzuordnen, lösten eine Diskussion über das Verhältnis zwischen Jugendbewegung und Nationalsozialismus aus,53 die sich in Einzelstudien zu Gruppen der völkischen »Bündischen Jugend« fortsetzte.54 Die Etablierung der Frauengeschichte initiierte die – separate – Aufarbeitung der Mädchenorganisationen,55 aus der Dagmar Reeses Milieuvergleich analytisch herausragt.56 Alltagsgeschichtliche Perspektiven mit ihrem Interesse für Sozialisationserfahrungen, Generationenkonstellationen und Jugendkulturen eröffneten das weite und kontrovers diskutierte Forschungsfeld des Verhaltens von Jugendlichen und Kindern zwischen Anpassung, Resistenz und Opposition,57 das eine eigene historiografische Aufarbeitung herausforderte.58 Hier überzeugen vor allem Regionalstudien, die örtlich auftretende, doch unter vergleichbaren Bedingungen entstandene subkulturelle Gruppen untersuchen.59 Unter diesen »wilden Cliquen« – einem modernen Phänomen urbaner Jugendkultur seit dem Kaiserreich60 – erlangten vor allem die rheinischen »Edelweißpiraten« publizistische Bekanntheit.61 Auch zur Situation der konfessionellen, vor allem der katholischen Jugend,62 sowie zu Gruppen mit proletarischem Hintergrund liegen 52 Kater, Hitlerjugend. 53 Ausgelöst von Becker; Kater, Bürgerliche Jugendbewegung; Stachura, German Youth Movement; unter erziehungswissenschaftlicher Fragestellung Giesecke, Wandervogel; abschließend Reulecke, Jugendbewegung; Jovy wurde im Zuge der Diskussion zugänglich. 54 Hess; Bothien; sowie Hellfeld, Bündische Jugend; Krolle. 55 Klaus; Miller-Kipp, Der Bund Deutscher Mädel; Kinz; Kock; Hering/Schilde. 56 Lokalgeschichtlicher Vergleich der protestantisch-konservativen Kleinstadt Minden und Berlin-Wedding, der großstädtischen Domäne der Arbeiterbewegung, Reese, Straff, aber nicht stramm. 57 Klönne: Jugendwiderstand; ders., Jugendliche Opposition; Peukert, Protest und Widerstand; Muth, Jugendopposition; heroisierend Jahnke, Jugend im Widerstand; der westdeutsche Forschungsstand vom Höhepunkt der Diskussion bei Breyvogel; zuletzt Stambolis, »Fest soll mein Tauf bund«. 58 Schilde. 59 Gruchmann, Jugendopposition; Klönne, Jugendprotest. 60 Lindner, Die Wilden Cliquen; ders., Bandenwesen. 61 Als Überblick Peukert, Edelweißpiraten, Meuten, Swings; ders., Edelweißpiraten; Hellfeld, Fritz Theilen; zuletzt Kenkmann, Wilde Jugend, dort auch kritisch zur geschichtswissenschaftlichen Rezeption, S. 361f. 2004 wurden die ehemaligen Angehörigen erstmals durch den Kölner Regierungspräsidenten als Widerstandskämpfer gewürdigt. 62 Vgl. für die katholische Jugend die Dokumentation Roth, Katholische Jugend; die Gesamtdarstellung Pahlke, sowie Schellenberger; Eilers; Beilmann; zur evangelischen Jugend Müller, Jugend; Riedel; zur jüdischen Jugend Angress.

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Einzelstudien vor.63 Vielversprechende methodische Neuansätze zeichnen sich unter Berücksichtigung alltags- oder mentalitätsgeschichtlicher Kontinuitäten über die Zäsuren des Nationalsozialismus hinaus ab.64 Zuletzt belegten regionalgeschichtliche Untersuchungen die Implementierung und Reichweite der Hitler-Jugend anschaulich.65 Arbeiten zu den Auflösungserscheinungen in der Kriegsgesellschaft66 und zu den Neuanfängen der Jugendarbeit nach 1945 vervollständigen die Geschichte der Jugend und ihrer Organisationen.67 Im Vordergrund sozialhistorischer Darstellungen standen die Mobilisierungsstrategien mit der Frage nach Motivationen einerseits, nach Erfolg und Reichweite der politischen Propaganda andererseits. Mit dem abgestuften Qualifikationssystem einer massenhaften Ausbildung von Führungsnachwuchs, wie es gerade die Hitler-Jugend professionalisierte, widmeten sich einzelne Studien Teilaspekten dieser attraktiven Seite des Jugendverbandes.68 Hermann Gieseckes These, dass nicht »Emanzipation, sondern Integration ein massenhaftes Generationsbedürfnis« war, bietet einen weiteren Erklärungsansatz für den Zulauf zur Hitler-Jugend nach 1933.69 Wie die Eliteschulen der Nationalpolitischen Erziehungsanstalten (Napolas, auch NEPA) und die der Reichsjugendführung unterstehenden »Adolf-Hitler-Schulen«,70 bleibt auch die allgemeine schulische Bildung aus dieser Studie ausgeklammert.71 Obwohl die Formationserziehung bewusst als »strukturelles Gegenangebot« zur Schule inszeniert wurde, praktizierten im Nationalsozialismus beide eine »Pädagogik der Gewalt«.72 Außer der wissenschaftlichen Literatur liegt eine breite Erinnerungsliteratur an die eigene Jugendzeit in den 1930/40er Jahren vor,73 die ihrerseits reflektiert 63 Retzlaff. 64 Kenkmann, Wilde Jugend; Auswirkungen der langfristigen »Prägung« der Generation verfolgt Hübner-Funk. Als »Mentalitätengeschichte« versteht sich die Einordnung der HJ-Sozialisation in eine kontinuierliche Militarisierung der männlichen Jugend seit 1890 Schubert-Weller, Hitlerjugend; ders., Kein schönrer Tod. 65 Vgl. unter den neuen Einzelstudien Langer; Pallaske; Pahmeyer/Spankeren; sowie die Organisations- und Ideologiegeschichte der illegalen Hitler-Jugend in Österreich vor 1938 Gehmacher. 66 Jahnke, Hitlers letztes Aufgebot; ders., Deutsche Jugend; Koch, Deutsche Jugend. 67 Allgemein Albertin; Herrmann; exemplarisch anhand der sozialistischen »Falken« Wagner, Jugendliche Lebenswelten; sowie die »Erfahrungsgeschichte« Schörken. 68 So für den BDM Reese, Emanzipation oder Vergesellschaftung; Möding/Plato; Kock; zur professionellen Führerausbildung Schultz; Baumeister; in soziologischer Perspektive auch Bude, Deutsche Karrieren. 69 Giesecke, Wandervogel, S. 176. 70 Schneider u. a.; Scholtz, Nationalsozialistische Ausleseschulen; Feller/Feller; zu den AdolfHitler-Schulen und zur Schulpolitik der RJF Buddrus, Totale Erziehung, S. 852–883. 71 Vgl. die Edition Fricke-Finkelnburg; Zymek u. a.; Scholtz, Erziehung und Unterricht unterm Hakenkreuz; Dithmar/Schmitz. 72 Klönne, Jugend, S. 137; Tenorth, zur Pädagogik ferner Giesecke, Hitlers Pädagogen; Herrmann/Oelkers; Keim, Erziehung; ders., Pädagogen und Pädagogik im Nationalsozialismus. 73 Zuerst Glaser/Silenus; sowie Graml; Hermand; exemplarische Lebensberichte in Hellfeld, Davongekommen; methodisch anspruchsvoller Klafki; Rosenthal.

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wurde.74 Erfahrungen und Erinnerungen von Zeitzeugen wurden vielfach als »Oral history« erschlossen, die jedoch weniger allgemeine generationstypische Erziehungsresultate als eine unterschiedliche Erfahrungsgeschichte belegen. Eine Sondergattung bildet die politisch apologetische Literatur, meist aus der Feder ehemaliger hochrangiger Funktionäre.75 Darunter befinden sich die Memoiren beider Reichsjugendführer, Baldur von Schirach und Artur Axmann, sowie der langjährigen Reichsreferentin des BDM, Jutta Rüdiger.76 Persönliche ›Vergangenheitsbewältigungen‹ von Mitläufern und ehemals begeisterten Anhängern, die ihren Einsatz nachträglich reflektieren, heben sich davon ab. Unterschiedlich kritisch und glaubwürdig, verbindet sie der buchhändlerische Erfolg.77 Eine Sonderrolle wurde fiktionalen Darstellungen selbst in der wissenschaftlichen Literatur lange Zeit eingeräumt. Günther Grass’ häufig zitierte Schilderung der Danziger Jugendbande der »Stäuber« oder Christa Wolfs Spurensuche nach ihrer politischen Kindheit bestätigen ein verbindendes und offenbar allgemeineres Erkenntnisinteresse.78 Die fiktionale Thematisierung persönlicher Erfahrung der Hitler-Jugend-Generation in Martin Walsers Roman »Ein springender Brunnen« – die den Ausschluss eines Pimpfes aufgrund seiner »halbjüdischen« Herkunft schildert – provozierte 1998 eine erregte öffentliche Debatte um deutsche Erinnerungskultur.79 Zum 60. Jahrestag des Kriegsendes 2005 illustrieren etwa zahlreiche Spielfilme80 und die Diskussion zur Erfahrungswelt der »Kriegskinder« die unverminderte öffentlichkeitswirksame Attraktion des Themenfeldes.81

74 Vgl. Hausmann; sowie Kestenberg/Fogelmann. 75 Vgl. die (Gegen-)Darstellungen der ehemaligen BDM-Reichsreferentin Rüdiger, Die Hitler-Jugend und ihr Selbstverständnis; dies., Bund Deutscher Mädel; sowie der ehemaligen Propaganda-Mitarbeiter Griesmayr/Würschinger. 76 Schirach, Ich glaubte an Hitler; Axmann, »Das kann doch nicht das Ende sein…«; Rüdiger, Ein Leben für die Jugend. Zu den Reichsjugendführern vgl. Wortmann, einflussreich Fest, sowie, in Zusammenarbeit mit dem Biografierten, Lang; Schaar, Artur Axmann. 77 Vgl. etwa Maschmann; Sternheim-Peters. Diese Gattung der biografischen Aufarbeitungen untersucht Hübner-Funk. 78 Grass, S. 446–462; Wolf. 79 Walser, S. 133f. Unter Bezug auf diesen autobiografisch inspirierten Roman forderte Walser in seiner »Sonntagsrede« das Recht auf eine individuelle, ungetrübte und politisch naive Erinnerung an die Zeit des Nationalsozialismus, welche die ›Walser-Debatte‹ 1998 nach seiner Ehrung mit dem Friedenspreis des Deutschen Buchhandels provozierte. 80 Sophie Scholl – die letzten Tage, Deutschland 2005, Regie: Marc Rothermund; Edelweißpiraten, Deutschland 2005, Regie: Niko von Glasow; Napola – Elite für den Führer, Deutschland 2004, Regie: Dennis Gansel. 81 Vgl. die interdisziplinäre Großkonferenz »Die Generation der Kriegskinder und ihre Botschaft für Europa 60 Jahre nach Kriegsende« in Frankfurt, April 2005; Schulz u. a.; die Forschung hatte die »Kriegskinder« längst entdeckt, vgl. etwa Preuss-Lausitz; Kersting, Jugend vor einer Welt in Trümmern; zuletzt und methodisch innovativ Stargardt.

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Bis auf vereinzelte Hinweise unter der Prämisse willkürlicher Disziplinierung unliebsamer Mitglieder war die Disziplinarpolitik der NSDAP und ihrer Gliederungen bisher fast vollständig unerforscht. In den letzten Jahren zeigt sich ein neues Interesse an den Massenorganisationen und ihrer sozialdisziplinierenden Funktion. Beklagte Robert Gellately 1992 noch die fehlende Beachtung des Beitrags der NSDAP zum »Kontroll- und Überwachungssystem«,82 wird die Verbindung von Institutionen- und Organisationsgeschichte mit sozialhistorischen Fragestellungen und Perspektiven zunehmend eingelöst. So entstanden neben der in der Totalitarismusthese verhafteten Pionierstudie von Donald McKale83 einzelne, regional begrenzte Untersuchungen zu Funktion und Praxis des Ausschlusses aus der NSDAP und zur Arbeit der Parteigerichte.84 Neben Nils Blocks Monografie zur Parteigerichtsbarkeit, die McKales Forschungsstand im Wesentlichen nachzeichnet,85 wurde die Sondergerichtsbarkeit von SS- und Polizei auf ihren Modellcharakter für eine nationalsozialistische Strafrechtspflege hin untersucht.86 Weitere wichtige rechtshistorische Arbeiten liegen über die aktive Rechtspolitik der Reichsjugendführung vor, die sich um weitgehende Mitwirkung bemühte und in der nationalsozialistischen Jugendstrafrechtsreform engagierte. Auch die Entwicklung des Jugendstrafrechts, des Jugendstrafvollzugs und des Fürsorgewesens wurden aufgearbeitet.87 Der alltäglichen Disziplinarpolitik der Hitler-Jugend wurde kaum Aufmerksamkeit geschenkt. Nur im Zusammenhang mit der staatlichen jugendspezifischen Kriminalitätspolitik der frühen 1940er Jahre wurde dieser zentrale und personalintensive Bereich gestreift, meist mit Blick auf oppositionelle Gruppen. In diesem Kontext wurde die Geschichte der Jugendkonzentrationslager Moringen und Uckermark erschlossen.88 Zwei grundlegende Arbeiten zur Geschichte der Jugendkriminalität und staatlicher Kontrollversuche historisieren sowohl die Phänomene – Jugendgruppen und »wilde Cliquen« – als auch die reaktive und präventive Kriminalitätspolitik in langen Kontinuitätslinien bis in die Politiken in den Besatzungszonen der frühen Nachkriegszeit: 82 Gellately, S. 373. 83 McKale, Nazi Party Courts; zeitgenössisch bereits Mason. 84 Roser; Arbogast/Gall; Nolzen, Parteigerichtsbarkeit; sowie Rebentisch, Die »politische Beurteilung«. 85 Block. 86 Vieregge; Wegner, S. 145–173; sowie bereits Scheffler. 87 Wolff, Jugendliche vor Gericht; ders., Jugend und Strafrecht; ders., Hitler-Jugend; Jureit, Erziehen; sowie die 1977 entstandene Arbeit Hubert; zum Strafvollzug Dörner, Erziehung; Götte. 88 Außer Gruchmann, Jugendopposition; Klönne, Jugendprotest; Muth, Jugendopposition, auch ders., »Jugendschutzlager« Moringen; Peukert, Arbeitslager und Jugend-KZ; Guse/Kohrs, »Bewahrung« Jugendlicher; zugespitzt dies., Entpädagogisierung der Jugendfürsorge; sowie der Ausstellungskatalog Guse; Hepp, Vorhof zur Hölle; Limbächer u. a.; oberflächlich Neugebauer. Das »Jugendverwahrlager Litzmannstadt« in Lodz für polnische Kinder bis zum Alter von 16 Jahren ist in der deutschen Forschung kaum gewürdigt worden, Hepp, Denn ihrer ward die Hölle.

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Alfons Kenkmann ordnet nonkonformes Verhalten Jugendlicher in die Tradition jugendlicher Subkulturen in modernen Industriegesellschaften ein; Frank Kebbedies erschließt neben dem legislativen Vorgang und kriminologischen Diskurs auch den Zusammenhang zwischen Wahrnehmungsmustern und institutionellen Praktiken, den er bis zu den Wurzeln einer modernen »Jugendkriminalpolitik« in den 1890er Jahren zurückverfolgt.89 In einer engeren, auf den Jugendverband beschränkten Perspektive befasst sich Gerhard Rempel mit den institutionellen und ideologischen Verbindungen zwischen der Schutz-Staffel (SS) und ihrer Nachwuchsorganisation HitlerJugend, denn auch in der Disziplinar- und Kriminalitätspolitik bestand die »generational alliance« beider »Kerngliederungen«.90 Mit Blick auf den Hitler-Jugend-Streifendienst (SRD), die organisationseigene Sondereinheit mit Polizeiaufgaben, regte Armin Nolzen eine vergleichende Gewaltsoziologie der NS-Verbände an.91 Den Überwachungsfunktionen widmet auch die detaillierte Untersuchung der Reichsjugendführung im Zweiten Weltkrieg von Michael Buddrus, die den Forschungsstand zur Organisation und damit zur Jugendpolitik im Nationalsozialismus insgesamt vertieft, ein ausführliches Kapitel.92 Wie Rempel betont er die Bedeutung der Jugendorganisation im NS-System und damit bei der Durchdringung der Gesellschaft gerade vor dem Hintergrund des Krieges. In den Rahmen des »Kriegseinsatzes«, der von wirtschaftlichen Kompensationsleistungen bis zur psychologischen Kriegsführung und der Betreuung der Jugendlichen reichte, ordnet Buddrus auch die Kriminalitätspolitik zur Stabilisierung der »Heimatfront« ein. Der Ansatz, die Ausgrenzung aus der nationalsozialistischen Gesellschaftsordnung in einer genuin nationalsozialistischen Organisation zu verorten, verfolgt eine andere Perspektive und versucht, der Bedeutung der Disziplinarfunktionen, ihrer Routinen und ihrer Verbindung mit der nationalsozialistischen Gesellschaft im Sinne einer alltäglichen »Sozialgeschichte des Terrors«93 nachzugehen. Mit der Untersuchung der Disziplinarentwicklung werden Aussagen zur nationalsozialistischen Herrschaftsorganisation und -realität getroffen, die durch die Verknüpfung mit dem Jugendrechtsdiskurs und der nationalsozialistischen »Rechtserneuerung« um Ordnungsvorstellungen im Rechtsdenken auf einer ideengeschichtlichen Ebene ergänzt werden. Für den gesellschaftlich und propagandistisch wichtigen Bereich der Jugend soll gezeigt werden, in welch hohem Maße gesellschaftspolitische Planungen im Rahmen staatli89 Kenkmann, Wilde Jugend; Kebbedies. 90 Rempel, v. a. S. 47–106. Weiterhin bestand eine enge Kooperation in den Bereichen »Wehrertüchtigung« und der Bevölkerungs- und Siedlungspolitik mit dem »Landdienst« der HitlerJugend. 91 Nolzen, Streifendienst. 92 Buddrus, Totale Erziehung, S. 368–503. 93 Gellately, S. 380.

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cher und parteiamtlicher Organisationen in alltäglich wirksame Politik eingingen. Der Ansatz einer Ordnungsgeschichte versucht zudem, die Paradoxa und Widersprüche in dem Versuch, gesellschaftliche Totalität mit gleichzeitiger, rassistisch begründeter Aus- und Abgrenzung zu verbinden, sichtbar zu machen. Die reichhaltigen und vielsagenden Selbstdarstellungsquellen der Reichsjugendführung – ein Genre der Organisationsliteratur, das sie sich wie keine andere Parteigliederung zu ihrer Aufgabe gemacht hat – sind gerade auch unter dem Aspekt der Formulierung einer gesellschaftlichen und politischen Utopie zu lesen, die pragmatisch in Organisationspolitik umgesetzt wurde.

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Teil I »Volksgemeinschaft« und Ordnung 1 Ordnung und Radikalisierung der »Volksgemeinschaft« 1.1 Die dynamische Ordnung der »Volksgemeinschaft« Die Klassifikations- und Organisationsprozesse in der rassistischen »Volksgemeinschaft«, welche die soziale und politische Ordnung des Nationalsozialismus bestimmten, unterlagen einer besonderen Dynamik. Ein grundlegendes Spannungsverhältnis bestand zwischen der Tendenz zur Entfaltung der Ordnung und der Abgrenzung ihres Geltungsbereiches. Um diese Dynamik des Ordnungsetzens zu erfassen, wird diese Grundspannung zunächst im Herrschaftskonzept der »Volksgemeinschaft« und in ihren Massenorganisationen analysiert und der Untersuchungsgegenstand »Hitler-Jugend« als Basisinstitution einer massenhaften spezifischen Vergesellschaftung verortet. Seit der Antike ist mit dem politischen Begriff der Ordnung das Gemeinwesen verknüpft. In der Frühen Neuzeit bezeichnet der alte »Policey«-Begriff die gesellschaftliche Ordnung ebenso wie ihre »Obrigkeit«.1 In scharfer Wendung gegen die neuen Ordnungsvorstellungen der Aufklärung, die unter Berufung auf eine natürliche Gleichheit der Menschen eine verrechtlichte, nicht-willkürliche und öffentlich diskutierbare Gesellschaft entwarfen, wurde diese Ordnung von der politischen Rechten als Ordnung der Ungleichheit imaginiert – ebenfalls unter Bezugnahme auf die Natur. In diesem Sinne wurde »Ordnung« ein »Lieblingswort der politischen Rechten«.2 In dieser Tradition bestimmte das Konzept einer rassistischen »Volksgemeinschaft« die soziale und politische Ordnung des Nationalsozialismus.3 Zwei politische Ordnungsbegriffe4 überlagern sich hier: 1 Dierse; zur Begriffsgeschichte des weiten »Policey«-Begriffes vgl. Knemeyer, v. a. S. 877ff., sowie knapp Rusinek, »Ordnung«. 2 Zu Traditionslinien und dem Spektrum politisch konservativer bis reaktionärer Ordnungsvorstellungen auf dem »gemeinsamen Nenner« der Ungleichheit vgl. Breuer, S. 12. 3 Zu Begriff und Konzept der »Volksgemeinschaft« von der romantischen Erfindung bis zum »Schlüsselbegriff« der Weimarer Republik und zum nationalsozialistischen Begriff vgl. aus der Fülle der Literatur exemplarisch Thamer; Schmitz-Berning, S. 654–659. Zur für den Nationalsozialismus entscheidenden Politisierung im Ersten Weltkrieg Verhey, dort auch zur Popularität des Begriffes in der Weimarer Zeit, S. 346–355; zur Propaganda zuletzt Welch. 4 Unterscheidung der drei historisch relevanten politischen Ordnungsbegriffe Rusinek, »Ordnung«, S. 107.

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Der auf die Binnenverhältnisse einer Gesellschaft bezogene polizeiliche Ordnungsbegriff und der militärische Ordnungsbegriff, der die Hierarchie innerhalb einer Armee ebenso beschreibt wie die hergestellte Ordnung als Ergebnis militärischer Aktion. Dagegen bezeichnet der bürgerlich-liberale Kampf um eine verrechtlichte Gesellschaft das Gegenbild zur nationalsozialistischen Ordnung. Der nationalsozialistische Sprachgebrauch von der »Volksgemeinschaft«, der an die antidemokratische Verwendung des politisch aufgeladenen Begriffes vor allem nach dem Ersten Weltkrieg anknüpfte, bezeichnet eine angestrebte gesellschaftliche und ideologische Gleichschaltung nach innen, um Geschlossenheit nach außen zu erlangen. Als Inbegriff von Einheit, Stärke und Macht, von sozialer Geborgenheit und Zugehörigkeit, der ideelle Gleichheit suggestiv verspricht, bezieht er sich auf drei konkrete Wirkungsbereiche: die »rassisch« bestimmte »Blutgemeinschaft« der deutschen Nation, die in ihr bestehende, von der Wahrnehmung von Interessengegensätzen befreite Sozialgemeinschaft und – als neuer juristischer Terminus – die Rechtsgemeinschaft, von der Recht ausgeht.5 Jeder dieser Wirkungsbereiche produziert eine gesellschaftliche Dichotomie zwischen den in diese Gemeinschaft Einbezogenen und den aus ihr Ausgeschlossenen. Der Begriff der »Volksgemeinschaft« vereint zwei zentrale Dimensionen, wie sie exemplarisch in der Definition eines Konversationslexikons von 1934 deutlich werden: »Volksgemeinschaft: die auf gemeinsamem Schicksal und gemeinsamem polit. Glauben beruhende Lebensgemeinschaft eines Volkes. Sie ist die gemeinschaftspolit. Idee, die aus dem Gedanken des alle Gegensätze überbrückenden Volkszusammenschlusses geboren ist; sie soll im Nationalsozialismus die Richtschnur allen sozialpolitischen Handelns bilden.« 6

Zum einen formuliert der Begriff eine soziale Utopie gemeinschaftlichen Lebens auf Grundlage völkischer und rassistischer Kriterien. Zugleich bezeichnet er aber auch den Weg zum Erreichen dieser »Lebensgemeinschaft«. Wie der Begriff der Ordnung, benennt der Begriff »Volksgemeinschaft« zwei Bewegungsrichtungen und umfasst Ziel und Praxis zugleich. Die Propagierung und Umgestaltung der Gesellschaft zu einer ideologisch homogenen, sozial angepassten, leistungsorientierten und hierarchisch aufgebauten Gesellschaft, in der die Erfahrung gegensätzlicher Interessen durch das emotionale Erlebnis der Gemeinschaft aufgehoben werden sollte, diente als zentrale gesellschaftspolitische Herrschaftstechnik des Nationalsozialismus.7 Der Begriff war »eine der wir5 Thamer; Schmitz-Berning, S. 656; Stöver, S. 38, nennt ähnlich die Bereiche: NS-»Bewegung«, die Wechselbeziehung zwischen »Volksgemeinschaft« und den einzelnen Volksgenossen durch Abstimmungen, Wahlen, Kundgebungen und Gemeinschaftseinrichtungen und die »staatliche Form«, die er begrifflich jedoch nicht klar ausführt. 6 Artikel Volksgemeinschaft, in: Brockhaus, 15., völlig neubearb. Auflage, Bd. 19, S. 658. 7 Zur »Volksgemeinschaft« als Herrschaftsstrategie nach wie vor Peukert, Volksgenossen, S. 292ff. u. 245.

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kungsmächtigsten Formeln in der nationalsozialistischen Massenbewegung.«8 In staatsrechtlicher Hinsicht wurde er als Gegenbegriff zum Staat verwendet: Die »Volksgemeinschaft« verkörpere die »deutsche politische Einheit« und entspreche als »Gemeinschaftsordnung« der »Lebensform und Lebensordnung der Nation«, formulierte Wilhelm Stuckart, Parteijurist und Staatssekretär im Innenministerium, in einer Propagandaschrift.9 Verstanden als konkrete Ordnung, die in der Wirklichkeit essentiell und rassebedingt vorgegeben sei, kam es der nationalsozialistischen »Bewegung« zu, dieser völkischen Gemeinschaft authentischen Ausdruck zu verleihen.10 Geoffrey Verhey hat zu Recht darauf hingewiesen, dass die Anziehungskraft des Begriffes in seiner Verwendung durch die Nationalsozialisten nicht nur in der ideologischen Beschreibung lag, sondern auch darin, das »deutsche Volk« von seiner Fähigkeit zu überzeugen, diese Gemeinschaft zu bilden und damit »dem Mythos Leben zu verleihen«.11 Die unmittelbare Erfahrung der Gemeinschaft konnte es nach 1933 in den zahlreichen Organisationen der nationalsozialistischen »Bewegung« machen, die sich zur NS-Gesellschaft ergänzten. »Volksgemeinschaft« wurde damit der Name für die »fiktive Welt« der Massenbewegung.12 Wie kann das Spannungsverhältnis in der paradoxen Figur der dichotomen, aber notwendig flexiblen »Volksgemeinschaft« erfasst werden? In seiner Lesart von Ernst Fraenkels »Doppelstaat«13 reflektiert Michael Wildt die Dynamik der »Volksgemeinschaft« in Hinblick auf die Rechtsordnung. Er zeigt, dass die für die Aggression des Nationalsozialismus charakteristische Entgrenzung des politischen Handelns, frei von moralischen wie rechtlichen Beschränkungen, bereits in der Kategorie der »Volksgemeinschaft« angelegt ist und sich in einem dynamisierten Staatsbegriff ausdrückt.14 Während der Bezug auf den Staat als Ordnungsprinzip selbst in der Diktatur noch allgemeine Regeln und Rechtssetzungen produziert, zielte die »Volksgemeinschaft« auf eine Ablösung der bürgerlichen Zivilgesellschaft mitsamt der bürgerlichen Rechtsordnung durch eine völkische Ordnung.15 Denn vor dem Hintergrund dieser Entgrenzung tragen bereits die Kategorien Rasse und Volk – im völkischen, rassebiologischen Sinn – die Auflösung des Rechts in Politik im nationalsozialistischen Maß8 Thamer, S. 113. 9 Stuckart, Partei und Staat, S. 10f. u. 13. 10 Götz, S. 279. 11 Verhey, S. 354. 12 Arendt, S. 762. 13 Fraenkel, verfasst 1938, publiziert als: The Dual State, New York 1940/41, dt. Ausgabe als Rückübersetzung aus dem Englischen, Frankfurt 1974. 14 Zu den Dimensionen dieser Entgrenzung gehörte neben der Ausweitung des Herrschaftsraumes und der Zahl der Gegner die der politischen Praxis, von der Verfolgung über Vertreibung zur Vernichtung, vgl. Wildt, Generation des Unbedingten, S. 606. 15 Wildt, Politische Ordnung.

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nahmenstaat potentiell in sich. Diesen staatsrechtlichen Paradigmenwechsel formulierte der Berliner Staatsrechtler und Funktionär des Sicherheitsdienstes (SD), Reinhard Höhn, 1934 programmatisch: »An Stelle des individualistischen Prinzips ist heute ein anderes getreten, das Prinzip der Gemeinschaft. Nicht mehr die juristische Staatsperson ist Grund und Eckstein des Staatsrechts, sondern die Volksgemeinschaft ist der neue Ausgangspunkt.«16

Fraenkels analytische Unterscheidung zwischen dem Normenstaat, der Herrschaftsbefugnisse zur Aufrechterhaltung der Rechtsordnung ausübt, und dem Maßnahmenstaat unbeschränkter Willkür und Gewalt, liest Wildt daher als Antinomie von bürgerlichem Staat und »Volksgemeinschaft«. Mit der Frage nach der Grenzziehung des transformatorischen Prozesses trifft er einen entscheidenden Punkt: Wo stoppt die Dynamik der Auflösung der Rechtsordnung? Wer kann sich im entfesselten Maßnahmenstaat seines Rechtes oder der Loyalität der völkischen Gemeinschaft dauerhaft sicher sein, auch wenn er zunächst zu dieser zugelassen wurde? Auf der Grundlage des Ausnahmezustandes durch die »Verordnung zum Schutz von Volk und Staat« vom 28. Februar 1933, der »Verfassungsurkunde« des »Dritten Reiches«,17 führte die Dynamik von Maßnahmen- und Normenstaat unter der Perspektive der »Volksgemeinschaft« nicht zu einer vollständigen Auflösung der Rechtsordnung, sondern zu einer neuen, rassistischen Rechtsordnung, die im Gegensatz zur bürgerlichen Gesellschaft versuchte, »Ungleichheit als Ordnungsprinzip« festzuschreiben, folgert Wildt. Die Bestimmung ihrer Grenzen und die Fixierung einer neuen Rechtsordnung für die neue politische Ordnung blieb im Nationalsozialismus ein ungelöstes Problem.18 Die potentielle Bedrohung auch der in die Gemeinschaft Einbezogenen gehörte zugleich als »gesellschaftliche Funktion des organisierten Terrors« zur Herrschaftsstrategie.19 Grundsätzlich war kein »Volksgenosse« vor einer möglichen Ausgrenzung gefeit. Dennoch sollte seine Solidarität allein der Gemeinschaft gelten. Ausgrenzung und Ausschluss gehörten im Nationalsozialismus zum Arbeitsbereich verschiedener Sozialexperten. Ärzte, Pädagogen, Sozialwissenschaftler und Juristen beschäftigten sich mit »Menschen der Unordnung«.20 Ein »radikales Ordnungsdenken« dieser humanwissenschaftlichen Eliten trug zu ihrer Selbstmobilisierung nach 1933 und zu ihrer Unterstützung der totalitären Dynamik des Regimes bei. Es folgte der ahistorischen Leitvorstellung »einer endgültig in Ordnung gebrachten Sozialwelt im Rahmen imperialer Herrschaft 16 Zitiert nach Stolleis, Geschichte des öffentlichen Rechts, Bd. 3, S. 327. 17 Fraenkel, S. 55. 18 Wildt, Politische Ordnung, S. 59 u. 61. 19 Janka, S. 323. 20 Als ein – nicht nationalsozialistisches – Beispiel für den zeitgenössischen Sammelbegriff Staewen-Ordemann.

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auf rassistischer Grundlage«.21 In seiner Analyse dieser ideengeschichtlichen Dimension macht Lutz Raphael einen gemeinsamen Denkstil aus, der durch die imaginierten Kategorien vermeintlicher sozialer Pathologien, die Ausrichtung auf konkrete Ziele der nationalsozialistischen Bevölkerungspolitik und die enge Beziehung der Erfassungstechniken sozialer und individueller Phänomene zu den Planungszielen sozialer Ordnung charakterisiert wird. Typisch sind ferner die rassistische Grundmotivation und ihre wissenschaftsförmige Rationalisierung, die schließlich in verwaltungskonforme Ordnungsraster eingeht. Dieser die Funktionseliten verbindende Denkstil ist ein ideengeschichtliches Phänomen der Krise liberaler Ordnungsvorstellungen im Europa der Zwischenkriegszeit, das jedoch durch die besonderen Rahmenbedingungen der Diktatur radikalisiert wurde. Der Wegfall innerwissenschaftlicher Kontrolle und externer – rechtlicher, richterlicher oder gesetzgeberischer – Hindernisse förderte die entgrenzte sozialpolitische Umsetzung des Expertenwissens. Den Haupteinfluss humanwissenschaftlicher Spezialisten verordnet Raphael in den institutionellen Arrangements auf mittlerer Ebene, typischerweise in den neu geschaffenen »konkreten Ordnungen« des NS-Staates. Eine besondere Rolle für den Beitrag der Akademiker spielt die elementare Gemeinsamkeit des technisch-zweckrationalen Zugriffs von Wissensformen und Verhaltensweisen. Denn sie stellten Sozialtechniken bereit, die mit den politischen Leitideen ebenso kompatibel waren wie mit konkreten Handlungsprioritäten des Regimes, ließen sich die Begriffe und Verfahren doch in Arbeitsroutinen von Verwaltungen oder Gerichten umsetzen.22 In mentalitäts- und ideengeschichtlicher Hinsicht erweitern diese Ergebnisse das Modell der kumulativen Radikalisierung. Während Hans Mommsen das Spezifische der nationalsozialistischen Herrschaft nicht allein in der polykratischen Struktur und der bloßen, auch in anderen politischen Systemen nachweisbaren Segmentierung bestimmter Machtbereiche erkennt, sondern in der davon ausgehenden dynamisierenden Wirkung, die das System in einen Prozess sich stetig steigernder Radikalisierung versetze, spricht Raphael der ideengeschichtlichen Dimension eine eigene Rolle in der situativen Dynamik radikaler Zerstörung und Vernichtung zu, die sich nicht in der untergeordneten Bedeutung von Legitimation und Loyalitätssicherung erschöpft. Wenn schon die individuelle psychodynamische Komponente, die im nationalsozialistischen Menschenordnungsprozess zur Radikalisierung beitrug, in einer historischen Analyse schwer erfasst werden kann,23 erschließt dieser Ansatz doch intellektuelle Voraussetzungen und Motivationen, die das Bild des 21 Raphael, Ordnungsdenken, S. 38; Charakteristika S. 24–27; sowie weiterführend ders., Sozialexperten. 22 Raphael, Ordnungsdenken, S. 20, 38 u. 23. 23 Methodisch gefordert z. B. von Essner, S. 452.

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terroristischen NS-Staates und seiner vielfältigen Trägergruppen erst deutlich machen. Dem Radikalisierungs-Modell fügt Wildt, mit Fraenkel, zusätzlich Aufmerksamkeit für die Offenheit und die potentielle Unsicherheit des dynamischen Prozesses hinzu, der in der zu Grunde liegenden Figur der »Volksgemeinschaft« und im Ordnungsbegriff bereits angelegt ist. Im Rahmen dieser Studie stellt sich die Frage, in welcher Form und durch welche Faktoren eine Radikalisierung im Rahmen der Disziplinarpolitik des monopolisierten Jugendverbandes stattfand. Wie verhält sich die »strenge soziale Ordnungsnorm« des Nationalsozialismus (D. Peukert) zu dem in der Hitler-Jugend erkennbaren Anspruch auf eine möglichst totalitäre Erfassung und Regelung, und wie verhält sie sich zu der Dynamik dieses Ordnungsprozesses? Lassen sich Elemente eines radikalen Ordnungsdenkens auch in den Rechtspositionen im Umfeld des Disziplinarrechts auffinden? Unter der Fragestellung nach einer konkreten Grenzziehung, ihren Begründungsmustern und ihrer Rhetorik erschließt diese Analyse mit der Untersuchung der historischen Entwicklung auch die Frage nach der Reichweite und der Eigendynamik der gesellschaftlichen Ab- und Ausgrenzung und schließlich nach selbst produzierten Widersprüchen. Die volksgemeinschaftliche Ordnung zieht eine klare Grenze, die sich im Rechtssystem ebenso wie in der sozialen Wirklichkeit der nationalsozialistischen Organisationen in einer deutlichen gesellschaftlichen Dichotomie abbildete. Jedes Ordnungsmuster, dessen inhärente Zielvorstellung auf ein Ideal vollständiger Ordnung abzielt, wie es die Totalitätsbegriffe der nationalsozialistischen »Bewegung« proklamierten, verfügt jedoch zugleich implizit über eine Gegenvorstellung. Der Gegenbegriff zur Ordnung ist die Unordnung, das Chaos. Die Bekämpfung von »Unordnung« schließt auch eine Vorstellung ihres Personals ein.24 Zumindest implizit arbeitet damit jeder Ordnungsprozess an der Grenze. Je absoluter die gewünschte Ordnung imaginiert wird, umso unbedingter wirkt die Arbeit der Abgrenzung. Zygmut Bauman sieht Ordnung gar im steten »Überlebenskampf«, in der keine andere Ordnung eine Alternative bilden kann, sondern nur »das Chaos«.25 Die politisch motivierende Angst vor einer vernichtenden, endgültigen Unordnung spricht auch aus den Worten Stuckarts auf dem Deutschen Juristentag 1936: »[O]hne Ordnungswaltung würde das Leben selbst der Zerstörung anheim fallen«.26

24 Vgl. Rusinek, »Ordnung«, S. 107ff. 25 Bauman, Moderne, S. 19. 26 Stuckart, Partei und Staat, S. 8.

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1.2 Massenorganisationen im nationalsozialistischen Staat Ist das Signum der nationalsozialistischen Diktatur das Konzentrationslager als Ort des radikalen Ausschlusses nicht nur von gesellschaftlicher Teilhabe und bürgerlichem Rechtsanspruch, sondern von menschenwürdiger Existenz und schließlich Existenz überhaupt,27 bilden die Massenorganisationen die Vergesellschaftungsform des NS-Staates. Das alltägliche Bild der Gesellschaft wurde in hohem Maße durch die große Anzahl von zielgruppengenau eingesetzten, aus älteren Traditionen übernommenen oder neu rekrutierten Verbänden geprägt sowie durch ihr selbstbewusstes und symbolüberladenes Auftreten – vom amtlichen Brief kopf bis zur speziellen Uniform und weiteren Attributen und Privilegien. Der oft unklare Status dieser Organisationen 28 zwischen dem amtlichen Anspruch und offiziellen Auftreten einer Staats- oder Parteiorganisation oder einem gleichgeschalteten Interessenverband trug zu einer spezifischen Wirkungsmacht bei. Die tatsächlichen Machtbefugnisse und Einflussmöglichkeiten der Verbände konnten durchaus hinter der proklamierten Bedeutung oder ihrer Selbsteinschätzung zurückbleiben. In diesen Großvereinigungen wurde die Basis der nationalsozialistischen Gesellschaft gleichermaßen erfasst, in ihren spezifischen Interessen wie in einem »Warenhaus«29 bedient und für den nationalsozialistischen Staat mobilisiert. Die Massenorganisationen mit mehreren Millionen Mitgliedern galten Hannah Arendt als Kennzeichen »totalitärer Bewegungen« und als Grundlage der »totalen Herrschaft«.30 Sie definierte Massen als politisch neutrale und indifferente Mehrheiten der Bevölkerung, die ohne Interessenübereinstimmungen oder Klassenbewusstsein nach politischer Organisation streben und darin eigenes politisches Gewicht entwickeln.31 Die Erfassung und Inkorporation selbst erscheint als Ziel und Zweck dieser Organisation: »Das praktische Ziel der Bewegungen ist, soviel Menschen wie möglich in die Bewegung hineinzuorganisieren und in Schwung zu bekommen; ein politisches Ziel, bei dem die Bewegung an ihr Ende kommen würde, gibt es überhaupt nicht.« 32

Die nationalsozialistische »Bewegung« verkörperte in ihrer alltäglichen Praxis dieses gesellschaftspolitische Ziel größtmöglicher permanenter Menschenerfassung. Unterschiedliche Bevölkerungsgruppen wurden nicht nur über ihr politisches Interesse oder Engagement (oder ihren Opportunismus), sondern ebenso 27 Arendt, S. 912. 28 Zur Abgrenzung des spezielleren Begriffes »Organisation« gegen »Ordnung« vgl. Luhmann, Sp. 1326ff. 29 Paul, Aufstand der Bilder, S. 262. 30 Arendt, S. 663 u. 667. 31 Ebd., S. 667f. u. 670. 32 Ebd., S. 702.

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über professionelle Interessen und Berufsgruppenvereinigungen angesprochen. In diesen nach stets ähnlichen Prinzipien zusammengefassten Körperschaften konnten sie die unmittelbare Erfahrung der »Volksgemeinschaft« machen, gleichermaßen als Publikum wie Mitwirkende der zum Teil spektakulären Massenaktionen. Die Einrichtung bzw. Usurpation einzelner Sozialgemeinschaften, die diesem Prinzip verpflichtet waren und Gemeinschaftserlebnisse anboten, diente nicht nur der politischen Gleichschaltung und Herrschaftssicherung. Dieser Prozess war zugleich ein zentraler Bestandteil der Transformation zu einer nationalsozialistischen Gesellschaft. Das Zentrum des Organisationsgefüges der nationalsozialistischen »Bewegung« bildete die Parteiorganisation der NSDAP, die in ihrer vertikalen, auf der Basis eines Netzes von Ortsgruppen auf bauenden Hierarchie, als »Kern der Volksgemeinschaft«33 gedacht war und als »Fundament der Diktatur«34 diente. Die monopolisierte Staatspartei mit einer Massenbasis von zuletzt 8,5 Millionen Mitgliedern beanspruchte, eine Elite des Volkes und der »Bewegung« zu organisieren. Eng mit ihr verbunden, dienten die paramilitärischen »Gliederungen« der Partei – SS, »Sturm-Abteilung« (SA), NS-Kraftfahrkorps (NSKK) – einer breiteren Erfassung männlicher Zielgruppen. Seit 1935 zählte auch die Nachwuchsorganisation Hitler-Jugend, die zu diesem Zeitpunkt längst Kinder und Jugendliche beider Geschlechter organisierte, offiziell zu den Gliederungen der Partei. Außer diesen nationalsozialistischen Kernorganisationen gehörten zahlreiche »angeschlossene«, d. h. politisch geführte, rechtlich jedoch selbständige Verbände wie der »Nationalsozialistische Rechtswahrerbund« (NSRB),35 die »Nationalsozialistische Volkswohlfahrt« (NSV) und die »Deutsche Arbeitsfront« (DAF) sowie die von der Partei »betreuten Organisationen« Deutscher Gemeindetag und »Reichsnährstand« zu diesem weit in die Gesellschaft hineinragenden, erweiterten Parteiapparat.36 Mehrfachmitgliedschaften durch Überschneidungen der Zielgruppen waren ein erwünschter Verstärkungseffekt der Mobilisierung. Ein engagierter Jurist konnte etwa Mitglied der NSDAP, des Rechtswahrerbundes und zugleich einer Parteigliederung sein, seine Ehefrau in der NS-Frauenschaft und die Kinder in der Jugendorganisation. In der Gesamtheit der Verbände schloss die Partei potentiell alle Deutschen ein.37 Die Organisationen prägten und gestalteten gesellschaftliche Realität, bildeten sie doch zugleich den Einübungsraum für die neue Gesellschaft, für Indoktrination und (Selbst-)Ausrichtung. Trotz des breiten Erfassungsanspruches wurde diese potentielle »Gefolgschaft ohne Mit33 Matthiesen. 34 Reibel spürt der Herstellung von Herrschaftsstabilität in diesem »Kleinstteilmechanismus« der Diktatur nach. 35 Vgl. Sunnus. 36 NSDAP, ROL, Partei-Statistik der NSDAP, Bd. 3, S. 161–165; ders., Reichsband Adressenwerk, Teil I, 19392, S. 22–56; 1941/423, S. 24–88. 37 Orlow, S. 6.

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gliedsbuch«38 faktisch rassistisch und politisch begrenzt. Denn im dichten Netz der nationalsozialistischen Massenorganisationen vollzogen sich nicht nur die Strategien der Mobilisierung, sondern auch die Ausgrenzungsmechanismen. Sie waren eng miteinander verschränkt und aufeinander bezogen. Das komplizierte Organisationsgefüge bildete den Rahmen für die Menschenerfassung, über welche die Partei unterschiedlichste Bevölkerungsgruppen massenhaft ansprechen konnte und sie zu integrieren und zugleich zu disziplinieren suchte. Die Aufsplitterung der Gesellschaft in diese unterschiedlich (schein)privilegierten Gruppen trug über eine »Anzahl kleiner Zustimmungsschritte« zu einem gesellschaftlichen Konsens mit dem Regime bei.39 Das von der NSDAP ausgehende und mit staatlichen Instanzen zunehmend enger verwobene Gefüge trug daher, trotz der Rivalitäten und Dysfunktionen der aus diesem Dualismus entstehenden polykratischen Herrschaftsstruktur,40 erheblich zur Stabilität der Herrschaft bei. Auch wenn Hannah Arendts Beurteilung, die »totale« Herrschaft des Nationalsozialismus beruhe wesentlich auf der Kraft und Stärke, die durch Organisation und Funktionieren zu erreichen seien, ebenso zu modifizieren ist wie die mit dem Begriff totaler Herrschaft verbundene Vorstellung eines lückenlos »totalen« Staates, bleiben Organisation und Funktionieren zentrale Elemente, welche die Struktur der Diktatur mit der Alltagserfahrung des Einzelnen verbinden.41 Denn die Massenorganisationen bildeten eine Schnittstelle zwischen dem Apparat der Diktatur und dem Individuum. Sie waren die Orte, an denen die Zugehörigkeit oder Ausgrenzung der »Volksgemeinschaft« für den Einzelnen erfahrbar wurde. Für die Kinder von zehn Jahren an waren diese Orte das »Jungvolk« der Hitler-Jugend und der »Jungmädelbund« des BDM. Selbst wenn die Kinder nicht als Mitglieder unmittelbar eingebunden waren, nahmen sie den Verband doch als die entscheidende jugendpolitische Instanz in ihrem Alltag wahr.

1.3 Jugend ordnen – die Hitler-Jugend Im dichten Gefüge der nationalsozialistischen Massenorganisationen entwickelte die Hitler-Jugend sich zur zentralen außerschulischen Sozialisationsinstanz von Kindern und Jugendlichen. Unter den zahlreichen Vereinigungen mit dem 38 Pätzold/Weißbecker, S. 9. 39 Peukert, Volksgenossen, S. 290. 40 Die Kontroverse in der Beurteilung des NS-Staates zwischen Poly- und Monokratie, zwischen dem Intentionalismus einer exekutierten Weltanschauung und strukturellen Effekten, ist für die innere Struktur durch Rebentisch, Führerstaat, erweitert worden zu dem Bild einer komplexen Mischung aus ideologisch motivierter Zielstrebigkeit und planvoll polykratischer Machtverteilung. Vgl. zusammenfassend Kershaw, S. 114–148; Hildebrand, S. 178–185. 41 Für eine kritische Bilanz des Totalitarismuskonzeptes Maier, sowie Henke. Zur Lückenhaftigkeit der Herrschaft hinter der monolithischen Fassade des Führerstaats Frei, Führerstaat, S. 210.

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Namen des »Führers« gleichermaßen hervorgehoben wie besonders augenfällig vereinnahmt, bildete sie die für die nationalsozialistische Gesellschaftsutopie grundlegende Organisation. Mit knapp neun Millionen Mitgliedern beider Geschlechter 1939 zählte sie überdies zu den größten Verbänden.42 Nach ihrer Gründung in der »Kampfzeit« der nationalsozialistischen »Bewegung« in den 1920er Jahren, stieg die Parteijugendorganisation 1933 zum Einheitsjugendverband auf. Er wurde als zugleich staatliche Instanz institutionalisiert und trat als gesetzliche »dritte Erziehungsgewalt« neben Familie und Schule. Die Führung des Jugendverbandes beanspruchte jedoch auch über die eigene Organisation hinaus umfassende Kompetenzen auf allen Feldern der Jugendpolitik und zog sozialpolitische Aktivitäten von der Gesundheitskontrolle bis zur Berufslenkung an sich. In allen die Jugend direkt betreffenden Angelegenheiten habe die Reichsjugendführung »das Recht der KompetenzKompetenz,« formulierte der Jurist und langjährige Hitler-Jugend-Funktionär Gottfried Neeße den politischen Anspruch der dualen Jugendführung.43 Mit dem Ziel, die Gesamtheit der Jugendlichen und zugleich ihren gesamten Lebensbereich zu erfassen, verfolgte sie einen doppelt »totalen« Erfassungs- und Gestaltungsanspruch.44 Die Jugendorganisation gilt in der Erinnerung zahlreicher ehemaliger Mitglieder bis heute als eine vergleichsweise harmlose Vereinigung, deren Angebote für die Freizeit oder zur Berufsbildung teilweise durchaus attraktiv wirkten. Vor allem auf dem Land und für die Zielgruppe der Mädchen, die zuvor kaum in Jugendgruppen organisiert und damit außerhalb des familiären Rahmens aktiv waren, brachte die »größte Mädelorganisation der Welt«45 in dieser Hinsicht auch eine relative Modernisierung mit sich. Diese Entwicklung nahm der Jugendverband stolz für sich in Anspruch,46 ohne allerdings die damit verbundene Aufgabe, diese neue Massenvergesellschaftung der Mädchen zu gestalten, anzunehmen oder auch nur zu erkennen. Die Regionalforschung zeichnet eine Landkarte differenzierter Attraktivität und Akzeptanz für je unterschiedliche Herkunftsmilieus der Jugendlichen.47 Die Integrationsfunktion, welche der nationalsozialistische Jugendverband bis zu einem bestimmten 42 Vgl. Tabelle 1; Buddrus, Totale Erziehung, S. 12. 43 Neeße, Leitsätze, S. 38. Der Jurist, Jg. 1911, war seit 1929 in NS-Schülerbund und HitlerJugend aktiv. Kurzbiografie bei Buddrus, Totale Erziehung, S. 1192. 44 Dietze, Rechtsgestalt, S. 88, mit Überblick der besetzten Politikfelder, S. 112–115; dazu Dörner, Erziehung, S. 158; zur Breite der Tätigkeiten der RJF erschöpfend Buddrus, Totale Erziehung. 45 Bürkner, Bund Deutscher Mädel, S. 8. 46 Vgl. exemplarisch die Anpreisung der Dienstpflicht für weibliche Jugendliche als »moderne und beispielgebende Erscheinungsform«, anonym, Jugenddienstpflicht, S. 97. 47 Vgl. Giesecke, Hitlers Pädagogen, S. 211ff.; Klönne, Jugend, S. 133; Reese, Straff, aber nicht stramm, S. 95.

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Punkt für die breite Mehrheit der damaligen Kinder und Jugendlichen offenbar erfüllte, bleibt jedoch unstrittig. Gerade die Verknüpfung der vermeintlich unpolitischen Organisation mit der Struktur der Diktatur ist für die Herrschaftsorganisation interessant. Obwohl die Jugendführung im eigentlichen Sinne keine Verfolgungsinstanz und zudem in ihren Vollmachten begrenzt war, gehört die Hitler-Jugend dennoch eng zum Gesamtbild der Diktatur, und hier zu den schwer zu erfassenden ambivalenten Erscheinungsformen. An ihrer Entwicklung lassen sich der Einbau in die Herrschaftsstrukturen wie die Übernahme und Anwendung von Herrschaftstechniken für die sozial breite Gruppe der deutschen Kinder und Jugendlichen nachvollziehen. Als ein »klassenunspezifischer, aber allumfassender Akteur«48 bieten die Altersgruppe der Kinder und Jugendlichen im Erfassungsalter von zehn bis achtzehn Jahren und der ihnen gewidmete Verband sich auch aus einem weiteren Grund zur Untersuchung an: Die Massenorganisation erlaubt zugleich den Blick auf die erfassten Jugendlichen wie auf die Behörde der Reichsjugendführung als zugleich parteiamtlicher und staatlicher Akteur der Jugendpolitik. Es ist daher möglich, die massenwirksame Gemeinschaftspraxis ebenso zu betrachten, wie nach der Rolle dieser spezifischen Institution bei der Radikalisierung der Politik zu fragen.

1.3.1 Jugendlichkeit als politisches Organisationsprinzip Die Propaganda von Partei und Hitler-Jugend strapazierte den Topos von der Jugendlichkeit der gesamten nationalsozialistischen »Bewegung« und des Regimes. Diese Behauptung von Jugendlichkeit als politisches Prinzip benennt jedoch einen wichtigen Aspekt. Ihrem Selbstverständnis nach eine »Bewegung der Jungen«,49 verdankte die NSDAP ihren politischen Erfolg nicht zuletzt ihrer Rolle als Sprachrohr der »jungen Generation«, die der Weimarer Republik den Kampf ansagt hatte und auf diese Weise familiären und nationalen Generationenkonflikt verband.50 Für die Mitglieder- und Wählerstruktur und ihre Motivation vor allem in der sogenannten »Kampfzeit«, aber auch noch in den ersten Jahren des Nationalsozialismus, konnte eine relative Jugendlichkeit nachgewiesen werden.51 Das »heroische Generationenkonzept« einer selbstbe48 Bude, Altern einer Generation, S. 26. 49 Vgl. Thamer, S. 119. 50 Vgl. Roseman, S. 34; zum Begriff der Generation als analytische Kategorie vgl. klassisch Mannheim, S. 509–565, sowie die erneute Fruchtbarmachung in Reulecke, Generationalität; als Überblick der aktuellen Konjunktur Jureit, Generationenforschung, sowie dies./Wildt. 51 Vgl. Kater, Generationskonflikt; ders., The Nazi Party, S. 139 u. 141–145; Stachura, Nazi Youth, S. 60; Mommsen, Generationskonflikt und Revolte, S. 60, sowie ders., Generationenkonflikt und politische Entwicklung, S. 115–126.

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wussten, vom Gefühl gemeinsamer Bestimmung getragenen Gruppe kultureller und sozialer Akteure, die als »junge Generation« gegen die alten Verhältnisse und die Verhältnisse der Alten auf brachen, bildete als Teil eines deutschen Kultes von Jugend und Jugendlichkeit eine wichtige Voraussetzung auch des skizzierten gemeinsamen Denkstiles.52 Unter Ausblendung seines Konfliktpotentials wurde der mit diesem Jugendpathos einhergehende Generationenkonflikt für die Mobilisierung zur Hitler-Jugend zumindest unterschwellig ausgenutzt. Der Verweis auf das im Kern biologische Konzept der Generation wirkte als nichtökonomischer Gegenbegriff zur Klasse und wurde auf gleiche Art angegriffen.53 Denn war man erst einmal Mitglied dieser Jugendabteilung der »Volksgemeinschaft«, sollte das Generationenproblem – ähnlich wie andere Interessen- und Erfahrungsgegensätze – im Gemeinschaftserlebnis überwunden werden. Schließlich sei in der Hitler-Jugend, wie der Reichsjugendführer Baldur von Schirach formulierte, »das Wunder der klassenlosen Kameradschaft« zu erfahren.54 Gleichermaßen konfliktvermeidend und tabuisierend umschloss der Verweis auf die übergeordnete generationelle und damit politische Gemeinsamkeit auch die Geschlechter. »Wir haben heute gelernt, als Jugend zu denken«, resümierte die erste BDM-Reichsreferentin Trude Bürkner.55 Die nationalsozialistische Ordnung und ihr Recht sollten auf die »besondere Eigenart des Jugendlichen, als wachsendem Menschen und werdendem Volksgenossen«, eingehen.56 Zwar galt Jugend im modernen Sinne als Lebensabschnitt der noch nicht abgeschlossenen Entwicklung der Heranwachsenden, war als passagere Entwicklungsstufe zugleich jedoch auf das staatspolitische Ziel bezogen. Die Dimension der Eigenständigkeit dieser Phase, die zu einem modernen Selbstkonzept von Jugend gehört,57 ging verloren. Im gemeinsamen »Dienst am Volk« aller Volksgenossen galt Jugend an Lebensjahren nicht als Vorrecht, sondern als Verpflichtung: »Auch die Zehnjährigen sind Träger der großen deutschen Pflicht«, mahnte 1936 ein Werbeplakat der Hitler-Jugend.58 Ihrer vehe52 1968 gilt als abschließende Zäsur, vgl. Roseman, sowie Maase. Zu »Jugend« als »polyvalenter Kernbegriff des faschistischen Politikstils« Reichardt, S. 355–364 u. 705; Stambolis, Der Mythos. 53 Rusinek, Krieg als Sehnsucht, S. 129 u. 131f.; er destilliert weitere Charakteristika des Generationenkonzeptes, die auch die Hitler-Jugend beschreiben: durch den Geruch der »Schicksalhaftigkeit« vergrößerte In- und Exklusionskräfte, eine als natürlich gegeben erscheinende Kohärenz der Gruppe, die Ersatzargumentation durch Verweis auf eine spezifisches Erleben, das den altersmäßig Exkludierten nicht zugänglich sei sowie die Beimischung jugendlich-viriler Gewalt in der konflikthaften Auseinandersetzung mit v. a. männlichen Akteuren. 54 Schirach, An deutsche Eltern! [1936], in: ders., Revolution der Erziehung, S. 53–64, S. 61. 55 Bürkner, Bund Deutscher Mädel, S. 12 [Hervorhebung im Original]. 56 Artur Axmann in der Akademie für Deutsches Recht, zitiert nach Kaufmann, Das kommende Deutschland, 19433, S. 51. 57 Vgl. etwa Hurrelmann, S. 46; Speitkamp, S. 292f. 58 Slogan auf einem Plakat der Propagandaleitung der NSDAP, April 1936, München: Zentralverlag der NSDAP, BA Koblenz, Plakatsammlung, 3/9/4.

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menten Berufung auf einen »jugendeigenen Staat im Staat«, wie von Hitler in »Mein Kampf« imaginiert,59 widersprach auch die politische und finanzielle Abhängigkeit der Jugendorganisation von der Partei.60 Vielfach stand das »Erneuerungs- und Jugendpathos« (M. Broszat) der Propaganda zudem im Widerspruch zu der mangelnden Bereitschaft der regional und lokal verantwortlichen Politiker, dieses Postulat in ihrer alltäglichen Politik tatsächlich umzusetzen.61 Die wechselseitige Doppelformel von der NSDAP als »Partei der Jugend« und der »Jugend der Partei« als »ihrer Garde«, die Schirach prägte,62 wies der Hitler-Jugend eine Symbolfunktion als Hoffnungsträger für die gesamte »Bewegung« und schob der jungen Generation die Verantwortung für die Zukunft des Deutschen Reiches zu. Als Potential der Partei und Garant ihrer Zukunftsfähigkeit kam dem Jugendverband daher rhetorisch und propagandistisch eine zentrale Bedeutung für die dauerhafte Durchsetzung der nationalsozialistischen Ordnung zu. Die Jugendlichen galten in der Propaganda, wie in der Metapher vom »Kronjuwel des 3. Reiches« 63 deutlich wird, gleichermaßen als Repräsentanten des nationalsozialistischen Staates wie als seine politische Ressource. Hier spiegelt sich erneut die Doppelfunktion von gegenwärtiger Praxis und prospektivem Ziel, die auch das Konzept der »Volksgemeinschaft« und den Begriff der Ordnung auszeichnet. In dieser Verheißung von Dauerhaftigkeit begründete sich die Vereinnahmung des Topos vom »Mythos der Jugend« als gesellschaftliches Erneuerungspotential – »Jugendlichkeit« bedeutete Zukunftsfähigkeit.64 Bezogen auf die Organisationsform der Massenbewegung galt Jugendlichkeit als die angemessene revolutionäre Haltung, die eine nicht aufzuhaltende Dynamik versprach: »Einzigartig ist der stets sich erneuernde revolutionäre Schwung dieser jugendlichen Millionenorganisation.« 65 Folglich war die Mobilisierung für den Jugendverband mitentscheidend für eine dauerhafte nationalsozialistische Gesellschaft. Für die Perspektive, die Diktatur langfristig gesellschaftlich zu verankern, verhieß Jugendlichkeit ›Nachhaltigkeit‹ und Effizienz, denn bei Kindern und Jugendlichen war eine entsprechende Reichweite der verinnerlichten Ordnungsmuster zu erwarten. 59 Hitler, Mein Kampf, S. 54. 60 Klönne, Jugend, S. 19 u. 46. 61 Vgl. Pahmeyer/Spankeren, S. 273. 62 Vgl. exemplarisch Schirach, Hitler-Jugend, S. 180; Ansprache auf dem Reichsparteitag 1934, ebd., S. 192–195, S. 194f., Vorspruch des »Gesetzes über die Hitler-Jugend«, 1.12.1936: »Von der Jugend hängt die Zukunft des Deutschen Volkes ab. Die gesamte deutsche Jugend muß deshalb auf ihre künftigen Pflichten vorbereitet werden.« RGBl. 1936, Teil I, S. 993. 63 Beschriftung eines Plakates des Jungvolkes in der Hitler-Jugend, BA Koblenz, Plakatsammlung, 3/11/37. 64 Vgl. dazu Reulecke, Jugend und »Junge Generation«, S. 87; Fest; zur nationalsozialistischen Adaption des Jugendkonzeptes Gehmacher, S. 11–23; für den kulturhistorischen Rahmen des »Mythos Jugend« Koebner u. a. 65 Heußler, S. 6.

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»Wer die Jugend hat, hat die Zukunft«, brachte ein typisches Schlagwort der Zeit diese Hoffnung auf den Punkt. Goebbels kehrte die Sentenz 1937, auf dem Höhepunkt des massenhaften Aufschwunges der Hitler-Jugend, selbstbewusst um: »Wer die Zukunft hat, der hat die Jugend«.66 Aufgrund dieser hohen Bedeutung für die Gesellschaftsordnung musste die Kindern und Jugendlichen gewidmete Organisation für Gefährdungen oder Einschränkungen der Ordnung besonders sensibel sein. Der Propagandatopos, mit der nationalsozialistischen »Bewegung« beginne die Zukunft der Jugend bereits in der Gegenwart, bestimmte im Umkehrschluss den Nationalsozialismus als schlechthin »jugendlich«. Kompromisslosigkeit, Kämpfertum, Begeisterungsfähigkeit, Gläubigkeit und stete Einsatzbereitschaft, die als charakteristische Eigenschaften der Jugend galten, wurden mit Wesenszügen der »Bewegung« identifiziert.67 Mit der Verwendung des Jugendbegriffes für das Lebensalter und zugleich als Stilisierung einer Lebenshaltung, die Nationalsozialisten auszeichnen sollte,68 wurde das Konzept der Jugendlichkeit erheblich ausgeweitet und letztlich von der spezifischen Trägergruppe gelöst. Die Eigenart des Jungseins wurde in einer wachen, kulturell unverdorbenen Lebendigkeit gesehen: Aufgeschlossenheit, Instinktsicherheit, eine natürliche Urteilsfähigkeit und eine zukunftsorientierte »Lebendigkeit der Haltung« charakterisiere die Entwicklungsphase; Jugend sei idealistisch, »elastisch, einsatzbereit und frisch«.69 Diese Charakterzüge konnten vom Alter vollständig abgekoppelt werden, so dass die Metapher geradezu lächerlich wirkte, etwa wenn Rudolf Heß den »Führer« als paradigmatische Verkörperung einer jugendlichen Haltung nannte: Noch mit knapp fünfzig Jahren bleibe Hitler »innerlich und geistig immer der Jüngste unter uns«, denn »[w]er einmal jung war, wird jung bleiben bis in das jahresmäßige Alter hinein«.70 Unter Ausnutzung der Konjunktur des Jugend-Topos und seiner positiven Konnotationen wurde »Jungsein« als spezifisch nationalsozialistische politische Haltung reklamiert und diente einer essentialistischen und exklusiven Begründung der politischen Entwicklungen: »Nur das ewig Junge soll in unserm Deutschland seine Heimat haben!«, proklamierte eine der unablässig zitierten Formeln Schirachs.71 Die Verselbständigung des Jugendkonzeptes schlug sich auch im offiziellen Sprachgebrauch nieder, der den »Jugendlichen« kaum mehr kannte, sondern die aus

66 Das Schlagwort kritisierte selbst Schirach als inhaltsleer. Schirach, Hitler-Jugend, S. 16; vgl. auch Dietze, Rechtsgestalt, S. 18f., dort das Goebbels-Zitat, S. 19; variiert in dessen Rede zur Eröffnung der Jugendfilmstunden 1942/43, Oktober 1941 in Berlin, Goebbels, S. 392. 67 Vgl. Dietze, Rechtsgestalt, S. 52. 68 Vgl. Schirach, Hitler-Jugend, S. 18f. 69 Vgl. Dietze, Rechtsgestalt, S. 51–54. 70 Rede 1938, zitiert bei Schmitt-Sasse, S. 143. 71 Schirach, Hitler-Jugend, S. 19; als Motto bei Dietze, Rechtsgestalt.

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organisierten »Hitler-Jungen« und »BDM-Mädeln«, »Pimpfen« und »Jungmädeln« zusammengesetzte »deutsche Jugend«.72 Unter den Parteiorganisationen hatte die Hitler-Jugend die weiteste Zielgruppe, die sie mit einem Erfassungsgrad von neunzig Prozent der deutschen Kinder und Jugendlichen beider Geschlechter zwischen zehn und achtzehn Jahren zu Beginn des Jahres 1939 auch weitgehend erreichte.73 Als einziger Parteiverband beanspruchte die Hitler-Jugend die Pflichtmitgliedschaft ihrer Bezugsgruppe. Der Eindruck einer Zwangsmitgliedschaft ging der gesetzlichen Regelung 1939 allerdings mehrere Jahre voraus. Die Nachwuchsorganisation versorgte mit ihren Unterorganisationen nicht nur die Partei, sondern sämtliche Gliederungen und weitere Parteiverbände. Ihre Sonderstellung als Kaderpool des gesamten politischen Organisationsapparates zeigte sich etwa in der frühzeitigen Vereinbarung, erfolgreiche HJ-Führer anderen Parteistellen als »Adjudanten« für eine praktische politische Ausbildung zur Verfügung zu stellen.74 Die Aufgabe, durch das Gemeinschaftserlebnis zu »erziehen«, setzte der Reichsarbeitsdienst (RAD) unmittelbar fort, der sich – jedoch als staatliche Institution – gleichfalls als »Wiege der Volksgemeinschaft« verstand.75 Auf der Nachwuchsfunktion des gesamten Organisationsgefüges beruhte die praktische Bedeutung der Hitler-Jugend als Ressource für den NS-Staat und seine Gesellschaft. Der Dienst im Jugendverband bildete so die Basis der Gesellschaftsordnung des Nationalsozialismus. Durch Dienstinhalte und Werte vermittelt, wurde hier die Sozialisation der Diktatur vollzogen und die Solidarität innerhalb der »arischen« Gesellschaft erprobt. Zugleich wurde die »Volksgemeinschaft« definiert und Ausgrenzung eingeübt.

1.3.2 Die Hitler-Jugend im nationalsozialistischen Staat Mit dem Machtantritt der Nationalsozialisten am 30. Januar 1933 veränderten sich die organisatorischen Rahmenbedingungen für ihre Nachwuchsorganisation wesentlich. 1922 als regionale Jugendabteilung und 1926 gemeinsam mit der 72 Vgl. Roth, Erfindung des Jugendlichen, S. 137; ähnlich Scholtz, Erziehung und Unterricht, S. 178f. 73 Vgl. Tabelle 1; Buddrus, Totale Erziehung, S. 288f.; Hochrechnungen für die weitere Entwicklung gehen von einem Organisationsgrad von 85 Prozent aus. 74 Nicht zur Veröffentlichung bestimmte Vereinbarung zwischen NSDAP-PO, Ley, und dem RJF, 1.6.1934, in: Jahnke/Buddrus, Dok. 33, S. 86f.; Ausführungsbestimmungen zur Tätigkeit der HJ-Adjudanten bei den Hoheitsträgern der NSDAP, 28.7.1935, ebd., Dok. 48, S. 102f.; vgl. Reibel, S. 171ff. 75 Parallel erscheint die Verpflichtung der anschließenden Altersgruppe im RAD, seit Einführung der Arbeitsdienstpflicht für Männer 1935 nicht mehr Parteigliederung, sondern eine dem Innenminister unterstellte staatliche Einrichtung, »Reichsarbeitsdienstgesetz«, 26.6.1935, RGBl. 1935, Teil I, S. 769; sowie Patel, »Soldaten der Arbeit«.

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NSDAP in Weimar erneut gegründet, wurde die Hitler-Jugend als älteste der rechtlich selbständigen, doch politisch abhängigen Vereinigungen des organisierten Nationalsozialismus jetzt staatlich anerkannt und als förderungswürdig klassifiziert.76 Durch Ernennung des Reichsjugendführers der Partei, Baldur von Schirach, zum »Jugendführer des Deutschen Reiches« (JFdDtR) am 17. Juni 1933 wurde die Parteidienststelle in das staatliche Verwaltungsgefüge eingebunden. Als Leiter der gleichnamigen, neuen staatlichen Dienststelle erhielt Schirach Hoheitsrechte und mit der Aufsicht über die gesamte Jugendarbeit im Deutschen Reich auch Zugriff auf Jugendliche außerhalb der eigenen Organisation.77 Seit April 1933 bestand die Hitler-Jugend in der bis zu ihrer Auflösung gegen Ende des Zweiten Weltkriegs gültigen Form. Die umfassende Neuordnung nach militärisch-bürokratischem Muster sollte nach der Machtübernahme den Rahmen für die veränderte Organisation bereitstellen, die mit einem Alleinvertretungsanspruch für die gesamte Jugendarbeit im Deutschen Reich selbstbewusst auftrat: »Die Organisation der HJ. erklärt sich zur einzigen und alleinigen Vertretung der deutschen Jugend. Das ist ihr Totalitätsanspruch. Wie die NSDAP nunmehr die einzige Partei ist, so ist die HJ. die einzige Jugendorganisation.«78

Mit diesem Monopol- und »Totalitätsanspruch« war die Forderung nach »Einheit der Jugend« verbunden, welche die Einheitsjugendorganisation zum Ausdruck bringen sollte. Ein Plakat der Reichsjugendführung nutzte 1934 das über Klassen wie Konfessionen hinweg greifende Pathos einer »Volksgemeinschaft« der Jugend, die auf einem neuen Ordnungsgesetz beruhe: »Es ist der Wille des Führers, daß sich in der Hitler-Jugend alle jungen Deutschen, gleich welchen Standes und welcher Konfession, zur Volksjugend zusammenschließen.«79

Beide Sozialgemeinschaften – »Volksgemeinschaft« wie Hitler-Jugend – bauten auf der Prämisse ihrer Attraktivität auf und setzten eine positive Identifikation und einen allgemeinen Wunsch nach Integration voraus. Die Jugendorganisation ging so selbstverständlich davon aus, dass sie mit dieser Erwartung zu Werbezwecken kokettierte: 76 Geiger, S. 147; Daten der Geschichte der Hitler-Jugend, 1.5.1937, BA Berlin, NS 28/82; Runderlass des Preußischen Ministers des Inneren zur Förderung der Nationalsozialistischen Bewegung, 17.2.1933, in: Pätzold/Weißbecker, S. 254. 77 Einrichtung der Dienststelle Jugendführer des Deutschen Reiches am 17.4.1933; erneute Ernennung Schirachs zum JFdDtR im HJ-Gesetz am 1.12.1936, in dieser Funktion bis 1935 nacheinander dem Reichsministerium des Inneren und dem Erziehungsministerium unterstellt. Vgl. Klönne, Jugend, S. 23 u. 48. Rechtlich sei die Stellung »nie ganz geklärt« worden, konstatierte 1938 eine Dissertation lakonisch. Heußler, S. 5. 78 Schirach, Hitler-Jugend, S. 69. 79 Slogan auf einem Plakat der Reichsjugendführung von 1934, Grafik: M. Müller und Sohn; München: Zentralverlag der NSDAP, BA Koblenz, Plakatsammlung, 3/11/34.

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»Wir suchen den, der nicht zu uns will… Doch wie mag der wohl aussehen? Eigentlich können wir ihn uns gar nicht vorstellen. Wir haben noch nie so einen Jungen gesehen.«80

Der Auf bau der Hitler-Jugend gliederte sich nun unter der zentralen Leitung in der Reichsjugendführung der NSDAP nach Geschlecht und Alter in vier separate Formationen: Die zehn- bis vierzehnjährigen Jungen, die »Pimpfe«, bildeten das »Deutsche Jungvolk in der Hitler-Jugend« (DJ), die gleichaltrigen Mädchen die »Jungmädel. Bund Deutscher Mädel in der Hitler-Jugend« (JM). Analog gliederte sich die Altersgruppe von vierzehn bis achtzehn Jahren in die »Hitler-Jugend« für Jungen (HJ) und den »Mädelbund« (MB).81 Die dem Reichsjugendführer unterstellte BDM-Reichsreferentin verantwortete die »Mädelarbeit« in den weiblichen Untergliederungen.82 Dem postulierten Grundsatz »gemeinsame Organisation und getrennte Führung« zum Trotz unterstand die »Mädelführung« jedoch der Reichsjugendführung und verfügte über keinen eigenen »Stab«. Auch ein eigenes »Amt für weibliche Jugend« existierte nur vorübergehend.83 Jede der vier Untergliederungen unterlag einem streng hierarchischen Aufbau in Obergebiete, Gebiete, Oberbanne, Banne, Unterbanne, Gefolgschaften, Scharen und schließlich Kameradschaften, der sich in der vertikalen Gliederung an den politischen Auf bau der Partei anlehnte.84 Mit dem »BDM-Werk Glaube und Schönheit« wurde im Januar 1938 eine zusätzliche, rein parteizugehörige Untergliederung für unverheiratete junge Frauen im Alter von achtzehn bis 21 Jahren eingerichtet, in denen sie in thematischen Arbeitsgemein-

80 »Alle Zehnjährigen her zu uns!« Plakat der Reichsjugendführung, verantwortlich: Bannführer Lerche, 1938, BA Koblenz, Plakatsammlung, 3/11/3. 81 Vgl. Auf bauplan der Hitler-Jugend, in: RJF/Abt. I, Auf bau, Gliederung, Anschriften der Hitler-Jugend. Die Untergliederung HJ wird abgekürzt bezeichnet, die Gesamtorganisation demgegenüber als Hitler-Jugend. Zitate übernehmen die – uneinheitliche – Verwendung der Quellen. 82 Nach ihrem Engagement in der Bündischen Jugend war Trude Bürkner(-Mohr), geb. 1902, seit 1930 aktiv am Auf bau des BDM beteiligt und von 1934 bis 1937 BDM-Reichsreferentin; ihre Nachfolgerin war die promovierte Psychologin Jutta Rüdiger, geb. 1910. Vgl. Böltken, S. 63–83 u. 85–103. 83 Vgl. Gliederung der Reichsjugendführung, in: RJF/Organisationsamt, Vorschriftenhandbuch der Hitler-Jugend, Bd. II, S. 71ff., Planstellenübersicht, ebd., Bd. III, S. 3561ff. [zitiert als: VHB]. 84 Bezeichnungen der männlichen Untergliederungen; für die analoge Einteilung waren in den weiblichen Untergliederungen die Bezeichnungen: Gauverband, Obergau, Untergau, Mädelring, Mädelgruppe, Mädelschar und Mädelschaft gebräuchlich. Zahlenstärke pro Bann/Untergau ca. 3 000, pro Gebiet 75-150 000. Die regionale Gliederung der Organisation orientierte sich zwar, und zunehmend, an der politischen Aufteilung der NSDAP, doch hatte die Gebietsebene keine vergleichbare »föderative« Qualität wie die Leitungen der NSDAP-Gaue. Vgl. dazu Diehl-Thiele, S. 201 u. 34.

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schaften einem etwas freieren Dienstbetrieb folgten.85 Gegründet wurde das »BDM-Werk« allerdings in Analogie zum Wehrdienst für eine »gleiche straffe Erziehung«.86 Einzelne »Reichsbanne« waren der Reichsjugendführung direkt unterstellt. Sie umfassten mit körperlich behinderten und im Ausland lebenden bzw. zur See fahrenden Mitgliedern spezielle Gruppen.87 Über diese Jugendformationen und die Altergrenze von achtzehn bzw. 21 Jahren hinaus unterstanden auch das von der Bannebene an hauptberuflich tätige Führerkorps sowie zahlreiche ehren- und hauptamtliche Fachkräfte als »Angehörige der Hitler-Jugend« der disziplinarischen Ordnung der dualen Parteibehörde der Reichsjugendführung und staatlichen Dienststelle des Jugendführers des Deutschen Reiches.88 In dieser »Gestalt« der Massenorganisation mit einer straffen doppelten Hierarchie in Hitler-Jugend und Bund Deutscher Mädel drückt sich das nationalsozialistische Führerprinzip ebenso klar aus wie die Orientierung an militärischer Organisation. Hier wurde sie um den separaten, doch hierarchisch abhängigen Zweig der »Mädelorganisationen« unter der von männlichen Hitler-Jugend-Führern dominierten Reichsjugendführung erweitert. Hitler-Jugend und Bund Deutscher Mädel praktizierten damit konsequent und – bis auf die zentrale Führungsebene – die Tradition der Geschlechtertrennung, welche die Struktur zahlreicher nationalsozialistischer Organisationen ebenso kennzeichnete wie die zeitgenössischen Lager – von den jugendbewegten bis hin zu den Vernichtungslagern.89 1935 zur selbständigen Gliederung der Partei erhoben,90 gehörte die Hitler-Jugend zivilrechtlich zur NSDAP. Finanziell abhängig, unterstand ihre Verwaltung daher dem Reichsschatzmeister der Partei, während die übrigen 85 AGs u. a. zu Fragen der häuslichen Erziehung, Gesundheitsdienst und Leibesübungen. Als einzige HJ-Organisation nicht in die Durchführungsverordnungen zum Gesetz über die HitlerJugend einbezogen, blieb die Mitgliedschaft auch nach Einführung der Jugenddienstpflicht 1939 freiwillig, Kaufmann, Das kommende Deutschland, 1940, S. 29f.; vgl. Hering/Schilde; Miller-Kipp, Der Bund Deutscher Mädel, S. 191f.; Reese, Straff, aber nicht stramm [datiert irrtümlich 1939], S. 27f. u. 40f. 86 Bürkner, Bund Deutscher Mädel, S. 12; die Schauseite bei Castell. 87 Gebiet 26 (Ausland) der HJ; Bann B (Blinde), Bann G (Gehörgeschädigte), Bann K (Körperbehinderte) der HJ, vgl. RJF/Organisationsamt, Organisationsplan der Hitler-Jugend. HJ DJ BDM JM nach dem Stand vom 1.1.1936, BA Berlin, NS 28/45. Später ersetzten die Banne Binnenschifffahrt (BS) und Seefahrt (S) die Banne Ausland und K; dies., Anschriften der Dienststellen der Hitler-Jugend, sowie VHB, Bd. I, S. 22. Die Realität dieser Reichsbanne ist noch nicht aufgearbeitet worden. 88 Tetzlaff, Disziplinarrecht, S. 22. 89 Bock, Gleichheit, S. 302, weist auf die Geschlechtertrennung auch der Bewahrungsinstitutionen hin. 90 Gesetz zur Sicherung der Einheit von Partei und Staat, 1.12.1933, RGBl. 1933, Teil I, S. 1016, in der Fassung des Änderungsgesetzes, 3.7.1934, in: VHB, Bd. II, S. 3533; Verordnung zur Durchführung des Gesetzes zur Sicherung von Partei und Staat, 29.3.1935, RGBl. 1935, Teil I, S. 502, in der Fassung vom 12.1.1938, ebd. 1938, Teil I, S. 36, § 2.

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»Ämter« der Reichsjugendführung weisungsfrei agierten.91 Die Personalunion von Staats- und Parteijugendführung erweiterte sich mit dem Ende 1936 nach langwieriger Vorbereitung verabschiedeten »Gesetz über die Hitler-Jugend« um die institutionelle Union, indem die Dienststelle den Status einer Hitler unmittelbar unterstellten »Obersten Reichsbehörde« erhielt.92 Offenbar aus politischen Gründen, um den Reichsjugendführer gegenüber anderen staatlichen Zentralstellen aufzuwerten, wurde die mit vierzehn Ämtern und weit über tausend Beschäftigten ausgestattete Behörde so hochrangig deklariert.93 Entgegen Schirachs ehrgeizigeren Wünschen definierte das Gesetz diese zentrale »Schmelzstelle« von Partei und Staat jedoch nicht als Ministerium, sondern als Führungsamt mit gleichermaßen partei- und staatsrechtlichen Befugnissen.94 Der »staatliche Auftrag«, in dessen Rahmen die Jugendführung laut Gesetz zusätzlich »zum bisherigen Parteiauftrag« agierte,95 formulierte die Aufgabe politischer und weltanschaulicher Erziehung zur »Volksgemeinschaft«. Dazu wurde die Jugendorganisation als öffentlich-rechtliche Erziehungsgewalt gleichberechtigt neben den traditionellen Erziehungsträgern in Familie und Schule verankert: »Die gesamte deutsche Jugend ist außer in Elternhaus und Schule körperlich, geistig und sittlich im Sinne des Nationalsozialismus zum Dienste am Volk und zur Volksgemeinschaft zu erziehen.«96

Der Statuswandel der Hitler-Jugend, taktisch als nachträgliche Regelung eines status quo vollzogen, erleichterte die Arbeit als einheitlicher staatlicher Jugendverband und veränderte das Verhältnis zu anderen Organisationen des Parteigefüges, gegen deren Interesse sich die Jugendführung mehrfach behaupten musste.97 Partei- und verfassungsrechtlich in politischer Abhängigkeit von der NSDAP, begriff der Jugendverband sich selbst weder durchgängig als Parteinoch als »Staatsjugend«. Der in Analogie zum »Reichsbürger« gebildete Begriff der »Reichsjugend« bot einen konzeptionellen Ausweg ohne eindeutige Festle91 Verordnung zur Durchführung des Gesetzes zur Sicherung der Einheit von Partei und Staat, 29.3.1935, RGBl. 1935, Teil I, S. 502f., § 4, Abs. 1; Heußler, S. 64; Buchheim, S. 326. 92 Broszat, S. 336, Anm. 93 Dietze, Rechtsgestalt, S. 112ff., dort auch die Arbeitsgebiete der einzelnen Ämter. 94 Neeße, Leitsätze, S. 33. Vgl. den legislativen Vorgang in BA Berlin R 43 II/525; zu den partei- und regierungsinternen Auseinandersetzungen über das Gesetz Wortmann, S. 141–145; Broszat, S. 336; Klönne, Jugend, S. 48ff. Zum Auf bau der RJF vgl. Gliederung der JFdDtR und der RJF der NSDAP, VOBl. V/17, 16.7.1937, S. 287; Stand vom Sommer 1939 in Jahnke/Buddrus, S. 17. 95 Anordnung des Stabsführers der RJF, Lauterbacher, RB 5/III, 5.2.1937, S. 302. 96 Gesetz über die Hitler-Jugend, 1.12.1936, RGBl. 1936, Teil I, S. 993, § 2; wiederholt in der 1. DFVO zum Gesetz über die Hitler-Jugend (Allgemeine Bestimmungen), 25.3.1939, RGBl. 1939, Teil I, S. 709–710, § 1, Abs. 1. 97 Vgl. Brandenburg, S. 30; Giesecke, Hitlers Pädagogen, S. 173f.

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gung an.98 In ihrer Verordnungspraxis scheinen die Jugendführer Schirach und, seit dem August 1940, sein Nachfolger Artur Axmann pragmatisch je nach Gegenstandsbereich entweder als Leitung der Parteigliederung oder als staatliche Jugendbehörde aufgetreten zu sein.99 Das in Zusammenhang mit der 1935 eingeführten Wehr- und Arbeitsdienstpflicht für die männliche Jugend100 ausgearbeitete »Gesetz über die Hitler-Jugend«, das der Ministerialjurist und spätere Präsident des Volksgerichtshofes Rudolf Freisler als »eine echte Magna Charta der Volkszukunft« pries,101 bot noch keine rechtliche Grundlage für eine Zwangsmitgliedschaft. Tatsächlich war das Gesetz kaum mehr als ein »wohlausgefeilter Propagandatext«.102 Gleichwohl wurde ihm eine »überragende Bedeutung für die Neugestaltung des deutschen Rechtslebens« zugeschrieben.103 Aus der Sicht des Hitler-Jugend-Juristen und Rechtsphilosophen Hans-Helmut Dietze verwandelte die gesetzliche Grundlage die »Rechtsgemeinschaft« des Jugendverbandes in eine »eigene Rechtsordnung«.104 In der Tat schuf das »Staatsjugendgesetz« programmatisch die Voraussetzung für eine umfassende Einbeziehung der Jugendlichen in die Politik. Wie der nationalsozialistische Staat war damit auch der Einheitsjugendverband politisch und institutionell verankert. Den erst 1939 erlassenen Durchführungsverordnungen wurde durch Beitrittsdruck lokal vorgegriffen, und auch die massive öffentliche Präsenz der Hitler-Jugend, die zu diesem Zeitpunkt in einem eigenen Gleichschaltungsprozess mit Ausnahme der katholischen Jugend alle anderen Jugendverbände verdrängt, zerschlagen oder übernommen hatte, erweckte längst den Eindruck einer Pflichtorganisation.105 Denn im »Jahr des Jungvolks« – so die »Jahresparole« 1936 – hatte Schirach erstmals mit dem Geburtsjahrgang 1926 alle zehnjährigen Kinder aufgerufen, sich geschlossen zur feierlichen Eingliederung in Jungvolk und Jungmädelbund am »Führergeburtstag« zu melden.106 Selbst die durch das massive Anwachsen der Organisa98 Als Alternative zum Begriff »Staatsjugend« propagiert bei Dietze, Rechtsgestalt, S. 116 u. 158ff. »Reichsbürgergesetz«, 15.9.1935, RGBl. 1935, Teil I, S. 1146. 99 Entsprechend wurden Anordnungen entweder vom RJF oder JFdDtR erlassen; fehlt diese Unterscheidung, wird hier für Schirach bzw. Axmann wie für die Behörde von dem/der RJF oder, verkürzt, Jugendführung gesprochen. 100 Gesetz für den Auf bau der Wehrmacht, 16.3.1935, RGBl. 1935, Teil I, S. 375; Gesetz über den Reichsarbeitsdienst, 26.6.1935, ebd., S. 769–771; zum politischen und legislativen Zusammenhang Buddrus, Totale Erziehung, S. 250ff. 101 Freisler, Rechtspflege, S. 99. 102 Gehmacher, S. 409; rechtshistorisch Ramm, S. 35–43. 103 Anonym: Juristische Rundschau. 104 Dietze, Jugend und Staat, S. 67. 105 Beispiele für den bereits zuvor bestehenden Organisationsdruck bei Schellenberger, S. 89; Klönne, Jugend, S. 24; Reineke, S. 71f. 106 Durchführungsbestimmungen des Organisationsamtes der RJF, März 1936, in: Jahnke/ Buddrus, Dok. 57, S. 110f.

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tion verwaltungstechnisch erforderlichen vorübergehenden Aufnahmesperren hatten die Attraktivität des offiziell weiterhin dem »Freiwilligkeitsprinzip« verpflichteten Verbandes eher noch gesteigert.107 Gleichwohl existierten Nischen für Jugendliche, die sich der Hitler-Jugend teilweise oder ganz entziehen wollten, sowohl innerhalb der Organisation selbst als auch durch Nichteintritt, wie Regionalstudien etwa für den ländlichen Raum Lippe belegen.108 Die seit 1933 gezielt betriebene jugendpolitische Gleichschaltung veränderte die Strukturen auf dem Feld der Jugendverbände fundamental und bildete einen grundlegenden Teil der neuen politischen Ordnung. Als Monopolverband fiel in der Ordnung der Hitler-Jugend die hierarchisch gegliederte Organisation mit dem machtvollen Vorgeben und Durchsetzen einer bestimmten Form dieser Ordnung durch die Reichsjugendführung zusammen. Die Jugendorganisation lässt sich so programmatisch verstehen: als Ausdruck der Idee und zugleich als praktische Erprobung und Einübung der zu verwirklichenden völkischen Gesellschaft an einer maximal breiten, lediglich durch das Alter definierten Teilmenge. »Die deutsche Jugend« in der HitlerJugend galt geradezu als »Verkörperung des ganzen Volkes auf einer gewissen Alterstufe«,109 als Potential des gesamten Volkes. Für Schirach zeigte die Jugendorganisation bereits 1936 »Ergebnisse einer wunderbaren Ordnung, die erfüllt ist von einem wahrhaft frischen Leben«, und so die erhoffte völkische Gegenwart verwirkliche.110 Aufgrund dieser doppelten Bedeutung stellt sich für das nationalsozialistische Ordnungsprinzip der »Volksgemeinschaft« wie für die Hitler-Jugend die Frage nach dem Verhältnis von ideologischem Ziel und aktiver Praxis. Die Gemeinschaftsverbände sollten beide Komponenten der Begriffe sofort und dauerhaft verwirklichen. Im Entstehen der »Volksgemeinschaft« sollte diese bereits praktiziert werden, »Idee und Gestalt« – so der Untertitel von Schirachs Programmschrift – sollten zusammenfallen. Der Verband der Jugendlichen bildete jenes »Glied des Ganzen« der Gesellschaft,111 das für die Zukunftsfähigkeit des nationalsozialistischen Staates entscheidend sei. »In der Einheit von Partei und Jugend ist die Volksgemeinschaft und ihre Führung für alle Zeiten sichergestellt«,112 hieß es in der Dissertation des Hit107 Aufnahmesperren vom 15.6.1934 bis 1.1.1935, VOBl. III/9, 7.3.1935, S. 2; erneut 26.5.1936 bis 19.4.1937, VOBl. IV/12, S. 143; RB 11/II, 19.3.1937, S. 263; Lockerung für BDMWerk, RB 12/II, 2.4.1937, S. 289; allgemeine Lockerung, RB 17/II, 7.5.1937, S. 405 und RB 18/II, 21.5.1937, S. 428. Zur Wirkung Kenkmann, Wilde Jugend, S. 70; Reese, Straff, aber nicht stramm, S. 39. 108 Pahmeyer/Spankeren, S. 274. 109 Ruckdäschel, S. 11. 110 Schirach, Ansprache an die Hitler-Jugend auf dem Reichsparteitag 1936, in: ders., HitlerJugend, S. 200–206, S. 201. 111 Schirach, Hitler-Jugend; das Zitat betitelt das 5. Kapitel. 112 Heußler, 36. Geb. 1913, war der spätere Jurist seit 1929 in Hitler-Jugend und NS-Schülerbund aktiv; bis 1936 tätig als dreifacher Bannführer, Gebietsbeauftragter des Gebietes Franken

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ler-Jugend-Funktionärs Wilhelm Heußler. Rhetorisch lässt sich die behauptete Einheit von Zukunftsvision und aktueller Praxis in einer Mischung aus Forderung und Behauptung verbinden. Was aber bedeutet dieses ungelöste Spannungsverhältnis für die Ordnung selbst und für ihre Organisationsform, die in Schulungsmaterialien und Dienstanweisungen akribisch beschrieben und im Dienstbetrieb ausgeübt und ›gelernt‹ wurde? Bevor diese Frage im Disziplinarsystem der Hitler-Jugend untersucht wird, werden die Ordnungsvorstellungen in den begleitenden juristischen Diskursen betrachtet.

bei der Gauleitung sowie als Verbindungsführer zum NS-Studentenbund; Anfang 1939 Referendar in Königsberg, Träger des HJ-Ehrenzeichens; BA Berlin, BDC Personalakten.

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2 Disziplinarische Ordnung im nationalsozialistischen Rechtsdenken Welche Vorstellungen und Entwürfe sozialer und rechtlicher Ordnung versuchten die Rechtstheoretiker und aktiven Hitler-Jugend-Führer im Rahmen des NS-Jugendverbandes zu verwirklichen? Um diese Frage nach den intellektuellen Wurzeln und Professionsmentalitäten, welche die nationalsozialistische Vision der »Volksgemeinschaft« prägten,113 zu beantworten, muss außer den politischen Voraussetzungen der rechtshistorische Kontext einbezogen werden, vor dessen begrifflichem und auch institutionellen Rahmen sich das Disziplinarrecht des Jugendverbandes entfaltete und profilierte. Kennzeichnend sind zwei unterschiedliche Bereiche: die völkische »Rechtserneuerung« als zeitgenössischer rechtwissenschaftlicher Diskurs114 mit seiner gemeinschaftsrechtlichen Orientierung und die moderne Tradition des Jugendrechtes. Zum rechtspolitischen Programm der 1933 auf brechenden »völkischen Rechtserneuerung« auf Grundlage der nationalsozialistischen Weltanschauung gehörte die Ausrichtung der rechtlichen und politischen Ordnungsbegriffe an der Gemeinschaft.115 Mit den Schlagworten von »Jugend« und »Erneuerung« trat diese rechtspolitische Bewegung in der Tradition eines »germanischen Rechts« an, um das bestehende rechtliche Instrumentarium im Sinne eines politischen Rechts anzuwenden und durch eine »Juristenreform« einen Generationswechsel und eine langfristige Veränderung im Rechtsbereich herbeizuführen. Die juristischen Diskurse begleiteten den rechtspolitischen Umschwung ebenfalls mit einer generationellen Rhetorik. Unter Berufung auf das vermeintlich jugendliche »Gefühl« einer neuen, »allem engstirnigen Formalismus überlegene[n] Gerechtigkeit«116 variieren Klagen über »überaltete verkalkte Juristen alter Schule«, denen es mit der »nötige[n] Spannkraft« an der Bereitschaft mangele, das neue Recht umzusetzen,117 den Topos notwendig revolutionärer Jugendlichkeit, der die politische Rhetorik kennzeichnet, auch für den rechtswissenschaftlichen Bereich. Auf rechtstheoretischer und -politischer Ebene flankierte diese zurückgreifende Erneuerungsbewegung die durch partielle Abschaffung, Untergrabung und Pervertierung gekennzeichnete Rechtsentwicklung in der Diktatur. Außer der Veränderung des Rechtsrahmens durch die Verschärfung insbesondere des Strafrechts, die Bildung eines speziellen Justizapparates der politischen Strafverfolgung in Sondergerichten 113 Nolte, Ordnung der deutschen Gesellschaft, S. 17. 114 Als Diskurs wird hier die Gesamtheit von thematisch aufeinander bezogenen Meinungsäußerungen verstanden, die in fachlichen und wissenschaftlichen Publikationsorganen und Monografien formuliert und ausgetauscht wurden. 115 Rüthers, Entartetes Recht, S. 19. 116 Frank u. a., S. 1. 117 Zitate des SS-Hauptamtes SS-Gericht, 1942/43, zitiert bei Vieregge, S. 42.

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und eine weitgehende Beeinflussung der Spruchpraxis, war die Rechtssituation vor allem durch die Ausgrenzung von Randgruppen gekennzeichnet.118 In der rechtswissenschaftlichen Diskussion erzeugte das funktionale Zusammenspiel von Ideologie und Rechtspolitik der »Rechtserneuerung« attraktive Projektionsflächen für juristische Experten.119 Als »Revolution der Gesinnung« sah sich die hoch politisierte und frühzeitig gleichgeschaltete Rechtswissenschaft voller Sendungsbewusstsein am Beginn einer neuen Rechtsgeschichte, in der das Recht selbst als »weltanschauliche Ordnung« politisiert wurde: Die Rechtsordnung sollte zum »Spiegel der Seele seines Volkes« werden.120 Beherrscht vom Kampf gegen das juristische Begriffssystem des 19. Jahrhunderts, erwies sich in dieser Umformung des Rechts die Neuinterpretation bestehender Begriffe als höchst wirkungsvolles Mittel ideologischer Schwenkung.121

2.1 Die Ordnung der »Volksgemeinschaft« im »konkreten Ordnungsdenken« bei Carl Schmitt Im zeitgenössischen »konkreten Ordnungs- und Gestaltungsdenken« erhielt der Begriff der Ordnung einen zentralen Stellenwert. Als deduktiver Rechtsbegriff bezeichnet er ein Rechtsdenken, in dem die Gestaltung des Rechts von sozialen Einheiten abgeleitet wird, an die der Status des Einzelnen gebunden ist. Die Verbindung der zeitgenössischen Rechtskategorie zur Figur der »Volksgemeinschaft« wird auf der Grundlage der Formulierung durch Carl Schmitt bestimmt, dem profiliertesten und prominentesten Vertreter des »Ordnungsdenkens«.122 Außer seinen einschlägigen Schriften wird die umfangreiche Werkforschung punktuell dort herangezogen, wo sie sich mit dem Ordnungsbegriff auseinandersetzt.123 Die rechtstheoretischen Positionen des Staats- und Völkerrechtlers, der als einer der führenden Intellektuellen der Weimarer Republik auch außerhalb seines Faches Gehör und Gefallen fand, werden hier als zeitgenös118 Vgl. grundlegend Gruchmann, Justiz; Werle; Majer, Grundlagen; dies., Nationalsozialismus im Lichte der juristischen Zeitgeschichte; Dreier/Sellert sowie Wüllenberger. 119 Müller, Recht, S. 328. 120 Dietze, Rechtsgestalt, S. 3 u. 73; Stuckart, Nationalsozialistische Rechtserziehung, S. 5. 121 Stolleis, Gemeinschaft und Volksgemeinschaft, S. 96; zur Rechtsveränderung durch ideologische »Aus-« und »Einlegung« grundsätzlich Rüthers, Unbegrenzte Auslegung, sowie ders., »Wir denken die Rechtsbegriffe um …«. 122 Vgl. Mehring; für einen Überblick über jüngere Positionen: Diner/Stolleis. Zur Biografie knapp Quaritsch; zur politischen Rolle Blasius; breiter, aber einseitig Noack, dessen entsprechendes Kapitel bezeichnenderweise »Carl Schmitt unter dem Nationalsozialismus« heißt; zur Wirkung des Privatgelehrten in der Nachkriegszeit Laak, bes. Kap. 5, S. 179–208. 123 Vgl. die Studien von Rüthers, Carl Schmitt; Entartetes Recht, S. 59–76; Kontinuitäten; »Wir denken die Rechtsbegriffe um«; Unbegrenzte Auslegung, S. 277–302; sowie Anderbrügge, S. 106–120; weitere Literatur bei Lepsius, S. 204, Anm. 178.

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sische Folie der juristischen Denkfigur der »konkreten Ordnung« betrachtet. Schließlich entwickelte Schmitt das »konkrete Ordnungsdenken« ausdrücklich zur Bewältigung der neuen politischen und verfassungsrechtlichen Lage nach der Machtübernahme.124 Von einer »große[n] Welle der Akzeptanz« wurde das »Ordnungsdenken« quer durch die rechtswissenschaftlichen Disziplinen in unterschiedliche Rechtsfindungs- und Anwendungsbereiche getragen.125 Die Analyse dieser Begrifflichkeit zielt auf eine besondere Bedeutung disziplinarrechtlicher Gerichtsbarkeit, die von der staatsrechtlichen und rechtsphilosophischen Schmitt-Forschung noch nicht zur Kenntnis genommen worden ist. Die »terminologische Modeerscheinung«126 des Sprechens von »konkreten Formen« aufnehmend, skizzierte Carl Schmitt 1933/34 sein »konkretes Ordnungs- und Gestaltungsdenken«. Diesen Begriff entwickelte er in dem Traktat »Über die drei Arten des rechtswissenschaftlichen Denkens« in Abgrenzung von einem Regeln- und Gesetzesdenken (Normativismus) einerseits und einem Entscheidungsdenken (Dezisionismus) andererseits. Er bezeichnet gleichermaßen eine juristische »Denkart« wie eine rechtstheoretische und -philosophische Position.127 Aufgrund der Zwischenstellung zwischen einer rechtsmethodischen und einer rechtsphilosophischen Aussage lässt der Begriff sich nach beiden Seiten entfalten. Diese Unbestimmtheit erhöhte seine praktische Wirksamkeit.128 Als »institutionellen Typus« rechtswissenschaftlichen Denkens hatte Schmitt das »Ordnungsdenken« bereits im November 1933 in seiner Vorbemerkung zur zweiten Auflage der erstmals 1922 erschienenen »Politischen Theologie« eingeführt.129 »Alles rechtswissenschaftliche Denken arbeitet sowohl mit Regeln, wie mit Entscheidungen, wie mit Ordnungen und Gestaltungen. Aber die letzte, rechtswissenschaftlich gefaßte Vorstellung, aus der alle anderen juristisch abgeleitet werden, ist immer nur eins: entweder eine Norm (im Sinne von Regel oder Gesetz), oder eine Dezision, oder eine konkrete Ordnung.«130

Rechtsmethodisch bezeichnet das »konkrete Ordnungs- und Gestaltungsdenken« eine juristische Denkweise, derzufolge Recht als Gefüge gestalthafter Rechtsgebilde und Institutionen aufgefasst wird. Einzelne Rechtsregeln werden aus dem konkreten Ordnungszusammenhang, in dem sie stehen und den sie näher ausgestalten, interpretiert und aktualisiert; die Regel ist nur »Bestand124 Lepsius, S. 204. 125 Kaiser, S. 329 u. 325; hier auch zur zeitgenössischen Prägung des »Ordnungsdenkens« durch das geisteswissenschaftliche Umfeld und zur aktuellen Bedeutung als institutionelles Rechtsdenken; zum Eingang in die Geschichtswissenschaft Algazi. 126 Rüthers, Entartetes Recht, S. 78. 127 Schmitt, Über die drei Arten. 128 Bockenförde, Ordnungsdenken; Stolleis, Geschichte des Öffentlichen Rechts, Bd. 3, S. 324. 129 Schmitt, Politische Theologie, S. 8 u. 39. 130 Schmitt, Über die drei Arten, S. 7.

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teil und Mittel der Ordnung«.131 In rechtsphilosophischer Hinsicht wird Recht im »Ordnungsdenken« nicht auf ein abstraktes Sollen normativer Setzungen oder Postulate gegründet, sondern in »konkreten« Lebensordnungen und überpersönlichen Institutionen der historisch-sozialen Wirklichkeit aufgefunden. Regeln entstehen als »Ausfluß« der eigenen Rechtssubstanz dieser »konkreten Ordnungen« und haben ausschließlich »auf dem Boden und im Rahmen einer gegebenen Ordnung« Gültigkeit.132 Die Ordnungen bringen also ein eigenes Recht mit sich: »Die konkrete innere Ordnung, Disziplin und Ehre jeder Institution widersteht, solange die Institution andauert, jedem Versuch restloser Normierung und Regelung; sie stellt jeden Gesetzgeber und jeden, der das Gesetz anwendet, vor das Dilemma, entweder die mit der Institution gegebenen, konkreten Rechtsbegriffe zu übernehmen und zu verwenden, oder aber die Institution zu zerstören.«133

Indem sie selbst die Maßstäbe für Normen vorgibt, entzieht die »konkrete Ordnung« sich einer äußerlichen Normativierung.134 Schmitt stellte den Begriff der »konkreten Ordnung«, der ohne eine positive Bestimmung neben den beiden anderen juristischen Denkarten von Normativismus und Dezisionismus unscharf und vielfältig füllbar erscheint, zugleich als die in der historischen Situation einzig gebotene Denkart vor. In einer geschichtlichen Rückschau bemühte er sich nachzuweisen, dass unter den drei Typen ausschließlich das »konkrete Ordnungs- und Gestaltungsdenken« dem Wesen des germanischen deutschen Volkes und seiner »Eigenart« angemessen sei.135 Nur diese »neue« Denkweise, die er ausdrücklich mit dem nationalsozialistischen Rechtsdenken identifizierte, vermöge »den werdenden Gemeinschaften, Ordnungen und Gestaltungen eines neuen Jahrhunderts gerecht zu werden«.136 Wie Hasso Hofmann dargelegt hat, ist das Ordnungsdenken bei Schmitt auf eine revolutionäre Entscheidung bezogen, nach der die wesensmäßige völkische Ordnung auf jener politischen Entscheidung gründe, was denn fremde und was eigene Art sei.137 Damit ist die »konkrete Ordnung« die durch Dezision dem Chaos abgerungene Ordnung.138 Die Kategorie ist 131 Ebd., S. 11. 132 Ebd., S. 17, 20 u. 11. 133 Ebd., S. 17. 134 Vgl. Lepsius, S. 206. 135 Schmitt, Über die drei Arten, S. 9 u. 48; ders., Staat, Bewegung, Volk, S. 45; vgl. dazu Hofmann, S. 177–187, S. 178f. 136 Schmitt, Über die drei Arten, S. 48ff.; ders., Nationalsozialistisches Rechtsdenken, S. 227f.; Zitat nach Hofmann, S. 179, mit weiteren Quellen. 137 Vgl. die Erörterung dieses Widerspruches ebd., S. 183ff., sowie die Definition des Begriffs des Politischen als Entscheidung zwischen Freund und Feind, Schmitt, Begriff des Politischen, S. 26f. 138 Schmitt, Über die drei Arten, S. 22; dazu Schneider, Ausnahmezustand, S. 221.

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eine Antwort auf die phantasmatische Angst vor der vernichtenden Bedrohung durch eine chaotische Lebenswelt. Durch die antisemitische Identifikation des bedrohlichen »Chaos« der Epoche positivistischer Rechtsauffassung erscheinen bei Schmitt die »konkreten Ordnungen« und Gemeinschaften des Nationalsozialismus als existenzielle Errungenschaften gegenüber einer liberalistischen Zeit. Diese sei durch eine »merkwürdige Polarität von jüdischem Chaos und jüdischer Gesetzlichkeit, von anarchistischem Nihilismus und positivistischem Normativismus, von grob sensualistischem Materialismus und abstraktestem Moralismus« geprägt gewesen.139 Hier wird die politische Implikation der scheinbar nur rechtstheoretischen Kategorie deutlich. Mit dem »Ordnungsdenken« wurden auch die Organisationsformen, aus denen dieses Rechtsdenken sich ableitet, begrüßt und legitimiert. Seine politische Tragweite erhielt der jeweilige rechtswissenschaftliche »Denktypus«, der Rechtsgefühl, -praxis und -theorie gleichermaßen beeinflusste, bei Schmitt in einer historischen und völker- bzw. rassenphysiologischen Zuordnung.140 Das »Ordnungsdenken«, schrieb er, hänge einerseits »vom heutigen Stand unseres politischen Bewußtseins« ab, andererseits sei es Ausdruck einer wesensmäßigen und damit überzeitlichen rassischen Eigenart sowie eines völkischen Lebenswillens.141 Auf die im Wesen der jeweiligen konkreten Ordnung »versteckten normativen Konsequenzen« in Form antiindividualistischer und entrechtender Folgen für den Einzelnen hat Michael Stolleis aufmerksam gemacht.142 In einer breiteren rechtsgeschichtlichen Perspektive diente Schmitts Figur der Selbstlegitimierung durch die »konkreten Ordnungen« einer Rechtfertigung nationalsozialistischer Herrschaft. Sie trug zur »Entlegalisierung« herkömmlicher bzw. rechtsstaatlicher Maßstäbe bei, da die neuen Ordnungen nur an dem sich in ihnen verwirklichenden Recht zu messen seien.143 Schmitt selbst positionierte den Denktypus in der Rechtsentwicklung, indem er eine – durch die »Ideen von 1789« gleichwohl in die Bedeutungslosigkeit abgedrängte – Tradition eines »unzerstörbaren«, »deutsche[n] Ordnungsdenken[s]« seit dem Mittelalter behauptete. Diese Tradition stellte er gegen das abstrakte, normative Recht der liberalen Erwerbsgesellschaft, in der Beziehungen zwischen den Individuen rechtlich geregelt sind.144 Anders als in dieser »Welt indivi139 Schmitt, Die deutsche Rechtswissenschaft im Kampf, S. 1193f. Vgl. auch die Identifikation der abgelehnten normativistischen Rechtswissenschaft mit dem »existenziell normativistisch[en] […] jüdischen Gastvolk«, ders., Nationalsozialistisches Rechtsdenken, S. 226. 140 Schmitt, Über die drei Arten, S. 9. 141 Schmitt, Staat, Bewegung, Volk, 28 u. 45f. 142 Kaiser, S. 339. 143 Lepsius, S. 206; zur Rechtfertigungsfähigkeit dieser Konstruktion vgl. Rüthers, Unbegrenzte Auslegung, S. 293–302; ders., Entartetes Recht, S. 68ff. u. 75f. 144 Schmitt, Über die drei Arten, S. 35–43. Meuters Kommentar – über eine andere Textstelle – als Konstruktion einer »Perversionsgeschichte des Rechts« trifft hier zu, Meuter, S. 97; zum

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dualistischen Vertrags- und Rechtsbeziehungsdenkens« sollten im »Ordnungsund Gemeinschaftsdenken« vorgefundene oder noch zu schaffende konkrete Lebensordnungen und Institutionen des Zusammenlebens der Ausgangs- und Bezugspunkt rechtlicher Regelungen sein. Die Rechtsgestaltung geht hier also nicht von den individuellen Rechtssubjekten einer Gesellschaft aus, sondern von überpersönlichen Gemeinschaften, die den Status des Einzelnen bestimmen. Als Beispiele nennt Schmitt neben Familie, Ehe und »Sippe« mit Beamten, Soldaten und den »Kameraden eines Arbeitslagers« die berufsständischen Bereiche, die sich durch ein eigenes Disziplinarrecht auszeichnen.145 Für die rechtsphilosophische Entwicklung des berühmten Denkers des Ausnahmezustandes ist bemerkenswert, dass hier alltägliche Situationen den Ausgangspunkt der Überlegungen bildeten.146 Der neue Rechtsbegriff des »Ordnungsdenkens« sollte Wirklichkeit aber nicht nur beschreiben, sondern zugleich auch gestalten.147 Damit werden ihm die beiden Dimensionen von Praxis und Zielvorgabe zugewiesen, deren Verschränkung bereits für den neutralen Ordnungsbegriff sowie für die Denkfigur der »Volksgemeinschaft« gezeigt wurde. Die juristische Begriffsbildung der »konkreten Ordnung« entspricht dem Muster, das Oliver Lepsius für die Entwicklung seit der Weimarer Zeit herausgearbeitet hat, die in »Sein« und »Sollen« fragmentierte Wahrnehmung der Wirklichkeit durch die Begründung einer neuen Weltsicht zu verlassen. Bei der Überwindung der Antinomie von Gesetzes- und Entscheidungsdenken bildete die »konkrete Ordnung« die »transzendentale« Kategorie einer »realen Idealität«, so dass es möglich sein sollte, von tatsächlichen Gegebenheiten auf tatsächliche Wertigkeiten zu schließen.148 Diese Begriffsbildung nimmt die repräsentative Funktion des nationalsozialistischen Rechtsverständnisses vorweg, wie sie im »Ehrenrecht« zum Ausdruck kommt. Zwar erwecken die neuen Kategorien den Anschein von Eigenwertigkeit, doch sind sie in ihrer zeitgebundenen normativen Gültigkeit immer wieder politisch zu aktualisieren. Bei Schmitt ist die Bestimmung der konkreten Ordnung zunächst unklar. Mangels eindeutiger Kriterien bleibt sie wiederum einer autoritären Entscheidung überlassen und damit der Position des Dezisienormen Fassungsvermögen des Begriffs von Luther bis zu Hans Frank Schneider, Ausnahmezustand, S. 268. 145 Schmitt, Über die drei Arten, S. 53 u. 17. 146 Hofman, S. 180ff.; zur Prägung von Denken und Begriffen durch staatsrechtliche Grenzund Ausnahmesituationen pointiert Preuß, S. 145. 147 Rüthers, Entartetes Recht, S. 66. 148 Lepsius, S. 207, 211–217 u. 205. Auf die Nähe zu zeitgenössischen Begriffen und methodische Parallelen zu neuen Begriffsbildungen wird in der Forschung mehrfach verwiesen; Schmitt selbst kennzeichnet nur seine Rezeption des französischen Institutionstheoretikers Maurice Hauriou und des italienischen Rechtsphilosophen (und Senators Mussolinis) Santi Romano. Schmitt, Über die drei Arten, S. 18, 20f. u. 45ff.

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onismus, die sie eigentlich überwinden sollte.149 Mit seiner Abhängigkeit von einer politischen Entscheidung entspricht das »konkrete Ordnungs- und Gestaltungsdenken« in rechtsmethodischer Hinsicht zugleich dem Spannungsverhältnis von »Volksgemeinschaft« und Führerprinzip.150 Wie der Begriff bei Schmitt tatsächlich gefüllt wurde, machen andere Beiträge des seit 1933 in verschiedenen Funktionen politisch Engagierten deutlich.151 So definierte er die Aufgabe der Rechtspflege als »positive Mitarbeit« in den »konkreten Ordnungen ihrer Zeit und ihres Volkes« und den »Rechtswahrer« – so der nationalsozialistische Neologismus für die Juristen – als einen »lebendige[n] Teil der konkreten Ordnung und des Status, dessen Recht er zu wahren« habe.152 »Überall schafft der Nationalsozialismus eine andere Ordnung, von der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei angefangen bis zu den zahlreichen neuen Ordnungen, die wir vor uns wachsen sehen: ständische Ordnungen, Betriebsordnungen, Lager und Verbände, Ordnungen der verschiedensten Art. Alle diese Ordnungen bringen ihr inneres Recht mit sich […]. Unser Streben aber hat die Richtung des lebendigen Wachstums auf seiner Seite und unsere neue Ordnung kommt aus uns selbst.«153

Der Nationalsozialismus wird hier als Schöpfer neuer Sozial- und Rechtsordnungen gefeiert, wobei Schmitt sich und sein Publikum stets einbezog. Nicht als revolutionäre Veränderung wird diese Produktivität des neuen Staates jedoch in diesem Zitat aus einem programmatischen Artikel im Zentralorgan des NSRB vom neuen »Reichsgruppenwalter« der Hochschullehrer in der NS-Juristenvereinigung dargestellt, sondern als gleichsam natürliche Befreiung bereits vorhandener Anlagen. Schmitt nannte hier ausdrücklich die Partei als neu entstandene »konkrete Ordnung«, die auf diese Weise und nach seiner Rechtstheorie in der Lage sei, der wesensmäßigen, existenziellen Verfasstheit der Juristen eine lebendige rechtliche Ausdrucksform zu verleihen. Für den Kontext und die Rhetorik der nationalsozialistischen »Rechtserneuerung« ist die Stilisierung als Lebensrecht bedeutsam. Denn die »konkreten Ordnungen« bieten Formen, die zwar einem juristischen Gebrauch standhalten, aber nicht dem als lebensfern, bürokratisch und rein formalistisch denunzierten Bereich des Rechts

149 Dazu Lepsius, S. 210, mit Hinweis auf ausführlichere Darstellungen. 150 Müller, Recht, S. 64. 151 Ab 1933 bis zu dem Verlust der Parteiämter aufgrund von Rivalitäten in der NSDAP Ende 1936 wirkte Schmitt als Herausgeber der »Deutschen Juristen-Zeitung«, als Präsidiumsmitglied in der Akademie für Deutsches Recht sowie als »Reichsgruppenwalter« der Reichsgruppe Hochschullehrer in der NS-Juristenvereinigung »Rechtswahrerbund«; am 11.7.1933 – seinem 45. Geburtstag – wurde er in den Preußischen Staatsrat berufen; Noack, S. 188; gegen die »Legende« eines nur temporären Engagements Schmitts für den Nationalsozialismus vgl. ausführlich Gross; Blasius; sowie bereits Rüthers, Entartetes Recht, S. 101–175. 152 Schmitt, Die geschichtliche Lage, S. 16. 153 Schmitt, Nationalsozialistisches Rechtsdenken, S. 228.

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entstammen, sondern dem ›prallen Leben‹, und sich dadurch legitimieren.154 In dieser als wesens- und naturhaft verstandenen Herleitung wurde zugleich das gesamte (rechts)politische Streben begründet: Mit dem »lebendigen Wachstum« auf ihrer Seite, fungiert die nationalsozialistische »Bewegung« in der Vielzahl ihrer Ordnungen geradezu als Agentin einer naturgemäßen Entwicklung. Bernd Rüthers begreift das von Schmitt formulierte »konkrete Ordnungsund Gestaltungsdenken« als Versuch, ein flexibel verwendbares Instrument für den Nationalsozialismus zu finden. Es bilde einen »Brückenschlag« zwischen dem gesetzlichen Recht einerseits und der behaupteten konkreten Lebenswirklichkeit andererseits.155 Dieser rechtsmethodisch komplexe Vorgang der »Umwertung« bestehenden Rechts im nationalsozialistischen Sinn eignet sich zugleich hervorragend für eine rhetorische oder propagandistische ›Vermenschlichung‹ der als abstrakt beklagten Institutionen des bürgerlich-liberalen Rechtsstaates. Ort dieser konkreten Erfahrung sind die nationalsozialistischen Rechts- und Sozialordnungen, aus denen die »Volksgemeinschaft« sich zusammensetzte. Das »konkrete Ordnungs- und Gestaltungsdenken« verbindet durch seine Betonung des Ordnens als Funktion des Rechts die Judikative des bürgerlichen Rechtsstaates unmittelbar mit der Aufgabe gesellschaftlicher Transformation. Das Denkmuster war weit verbreitet, obgleich Rechtslehre und -praxis im Nationalsozialismus dezisionistisch orientiert blieben.156 Schmitts Abhandlung »Über die drei Arten rechtswissenschaftlichen Denkens« wurde etwa als Schulungsstoff für Referendare multipliziert,157 seine Staatslehre für die Führerschaft der Hitler-Jugend grafisch auf bereitet.158 Außer der beschriebenen Offenheit der Begriffe liegt auch in der Korrespondenz zwischen diesem Rechtsverständnis und dem Sozialmodell der proklamierten völkischen Gemeinschaft ein Grund ihrer Popularität. Den Begriff der »Volksgemeinschaft«, der nach der Machtübernahme aus der Propaganda auch in die Rechtssprache eindrang,159 verwendete Schmitt nicht in Zusammenhang mit dem »Ordnungsdenken«. Andere Autoren der staatsrechtlichen Diskussion stellten die Verbindung jedoch unmittelbar her, so formulierte etwa Schmitts Konkurrent Reinhard Höhn: »Wer in den Ordnungen der Volksgemeinschaft, etwa dem Arbeitsdienst, der SA, der HJ wirkt, 154 Zur Figur der Legitimation durch Naturrecht bei Schmitt vgl. Meuter, S. 90f. 155 Rüthers, Entartetes Recht, S. 59 u. 76. 156 Vgl. Anderbrügge, S. 110. 157 Sie diente als Grundlage u. a. für einen Vortrag auf der Tagung des »Reichsgruppenrates der Referendare ( Jungjuristen)« im Bund Nationalsozialistischer Deutscher Juristen am 10.3.1934 in Berlin. Vgl. Schmitt, Über die drei Arten, S. 5, Anm. 158 Neeße, Hauptlehren, S. 2f. Außerdem visualisiert Neeße die »Lehren« Otto Koellreutters, Reinhard Höhns, Ernst Rudolf Hubers und eine weitere völkische, keinem Autor zugeordneten Staatsauffassung. 159 Vgl. die materialreiche Begriffsgeschichte bei Götz, S. 120.

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steht damit unmittelbar in der Volksgemeinschaft.«160 Doch ist es nahe liegend, Schmitts »notorischen« (U. Preuß) Politik-Begriff auf die Konstitution der »Volksgemeinschaft« und ihrer verschiedenen konkreten Ordnungen zu beziehen. Denn die theoretische Unterscheidung zwischen Freund und Feind als Kriterium des Politischen entspricht dem verschränkten Bauprinzip des nationalsozialistischen Begriffes von Gemeinschaft: Sie eröffnet eine Dichotomie zwischen dem gleichermaßen nach innen wie außen abgegrenzten »anderen« gegenüber einer homogenen »politischen Einheit« gleichartiger – nach 1933 »artgleicher«161 – Angehöriger eines Volkes. Während der Feind als »der andere, der Fremde« schlechthin bestimmt wird, gilt in der vorausgesetzten Situation von »Kampf« und »Krieg« umgekehrt jeder Helfer gegen den Feind als ein Freund (P. Schneider).162 Zur Souveränität des Staates gehört die Kompetenz zu bestimmen, wer in diesem Sinne innerer oder äußerer Feind sei und damit auch der »reale[n] Möglichkeit der physischen Tötung« ausgesetzt wird.163 Den Staat – im umfassenden Sinn als »Gesamtordnung des öffentlichen Lebens« – gliederte Schmitt verfassungsrechtlich in seiner gleichnamigen Schrift als Trinität von »Staat, Bewegung, Volk«.164 Sie bilden zusammen eine »geschlossene« politische Einheit. Diesen drei »Elementen der politischen Einheit« ordnete Schmitt jeweils einen der drei Typen juristischen Denkens zu. Während er dem »normativistischen Typus« den Staat – im engeren, administrativ-exekutiven Sinn – und dem »dezisionistischen Typus« die nationalsozialistische Bewegung zuwies, begriff er das »Volk« als »Sphäre« des Ordnungsdenkens.165 »Nur aus einer konkreten Ordnung und Gemeinschaft heraus« konnten laut Schmitt der »Führergrundsatz« und die neuen Rechtsbegriffe »Treue, Gefolgschaft, Disziplin und Ehre« verstanden werden. Sie seien wiederum an die drei »Ordnungsreihen« der politischen Einheit gebunden.166 Durch die Unterordnung der Bereiche Staat und Volk unter die dynamische, sie tragende »Bewegung« und unter das Leitmotiv des Führerprinzips wird der politische Wirkungsbereich des Volkes als unpolitisch bestimmt: »Im Schutz und Schatten der politischen Entscheidungen« der Bewegung bildet das Volk die »unpolitische Seite« der politischen Einheit.167 Vor dem Hintergrund von Schmitts Politik160 Höhn, S. 74. 161 Schmitt, Begriff des Politischen, S. 26; ders., Staat, Bewegung, Volk, S. 17 u. 42. Zur Silbenverschiebung von »gleichartig« zu »artgleich« im »Begriff des Politischen« nach 1933 Niethammer, S. 101–106; sowie Hofmann, S. 192. 162 Schmitt, Begriff des Politischen, S. 27 u. 33. 163 Ebd., S. 45ff. u. 33. 164 Schmitt, Staat, Bewegung, Volk, S. 12f. u. 19. 165 Hier noch unter dem Begriff des »institutionellen Typus«, Schmitt, Politische Theologie, S. 8; vgl. ders., Staat, Bewegung, Volk, S. 12f. 166 Schmitt, Über die drei Arten, S. 52. 167 Schmitt, Staat, Bewegung, Volk, S. 12 u. 33.

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Begriff lässt die paradoxe Formulierung sich so verstehen, dass hier die FreundFeind-Entscheidungen der führenden Bewegung übernommen werden und die konkreten Institutionen des Volkes in der kommunalen Selbstverwaltung wie der Wirtschafts- und Sozialordnung zu dieser Entscheidung nicht eigenständig beitragen können. Die neuen nationalsozialistischen Sozialordnungen und Gemeinschaften erscheinen als gesellschaftliche Formen des Führerstaates und als grundsätzlich abhängig von den politischen Entscheidungen der Bewegung und Führung. Angesichts der Vielzahl neuer oder Bedeutung gewinnender nationalsozialistischer Gemeinschaften, die das Politische in alle Bereiche der Gesellschaft hineintrugen, musste die Bestimmung »konkreter Ordnungen« als Rechtsquellen unmittelbar einleuchten. Sie wertete die als solche konkreten Ordnungen begriffenen Organisationen überdies erheblich auf. Dem »Ordnungsdenken« kann man für den Bereich der Rechtspflege durchaus eine analoge Bedeutung zumessen, wie sie das Konzept der »Volksgemeinschaft« für die Sozialstruktur hatte, nämlich »als langfristige Endziele ausgegebene Fiktionen«, die als »Orientierungsmodell konformen Verhaltens« dienen sollten.168 Unter Bezug auf den Doppelbegriff von Ordnung und »Volksgemeinschaft« und dessen Dynamik ist darüber hinaus zu vermuten, dass die inhaltliche Weichheit und Unbestimmtheit des Begriffs der Ordnung, die in augenfälligem Kontrast steht zur konnotierten Härte der Vokabel, sich für das sozial- und rechtspolitische Sprechen in einer staatsrechtlichen Umbruchsituation besonders eignete. Der von Tobias Müller herausgearbeiteten Legitimationsfunktion des »Ordnungs-« und »Volksgemeinschaftsdenkens« für die herrschaftspraktischen Grundsätze und das grundlegende Führerprinzip ist zuzustimmen. Die Verlagerung der Entscheidung von der Instanz des Entscheidenden auf die Rechtsquellen »Volk« und »Ordnung« suggerierte, das Recht erfülle das für die »Volksgemeinschaft« Notwendige, was in ihrer konkreten Ordnung bereits angelegt sei.169 Damit dient das »konkrete Ordnungsdenken« nicht nur als Methode, um das »Volksgemeinschaftsdenken« auf spezifisch nationalsozialistische Weise politisch und rechtswirksam zu machen,170 sondern überhöht es zugleich durch den Anschein einer Naturgesetzmäßigkeit als höchste Legitimation. Im Sinne der verbreiteten Erlösungsrhetorik des Nationalsozialismus wurde der deutsche Mensch im neuen Staat somit auch rechtlich zu sich selbst gebracht. In der Sprache des Gesetzgebers erfüllte der Begriff »Volksgemeinschaft«, wie Michael Stolleis gezeigt hat, eine ambivalente Doppelfunktion. Zum einen appellierte er an das Gewissen des Einzelnen, zum anderen diente er als 168 So Müller, Recht, S. 65. 169 Ebd., S. 65f.; zum Primat von Führerprinzip und Dezisionismus bereits Meuter, S. 100; Lepsius, S. 209f. 170 Götz, S. 286.

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Grundlage zum Eingriff in dessen Rechte.171 Auch die »konkreten Ordnungen« benutzten diese paradoxe Figur verschleiernder Legitimation als Vermittlungsform zwischen Staat und Partei einerseits und Individuen andererseits. Die ideologische Bezugnahme auf das größere Ganze verwischte die Widersprüchlichkeit einer Konstruktion, welche die Interessen des Einzelnen nicht nur denen der Gemeinschaft unterordnet, sondern sie grundsätzlich miteinander in eins setzt. Wie nun das Recht der einzelnen Gemeinschaften, das sich aus ihrer »konkreten Ordnung« ergibt, genau aussieht, wird in Schmitts Theorie des »Ordnungs- und Gestaltungsdenkens« nicht konkretisiert. Seine wenigen Beispiele weisen jedoch auf eine besondere Betonung des Disziplinarrechts hin. Als inhaltliche Bestimmung der Ordnungen formulierte Schmitt etwa typische »konkrete Ordnungsfiguren«, die nicht in Normen aufgelöst werden sollen, gleichwohl aber als normative Leitbilder innerhalb der Ordnungen funktionieren: »Jedes ständische Recht als solches setzt aus der Ordnung des konkreten ›Zustandes‹ erwachsene, nur aus ihr erkennbare typische Figuren voraus, z. B. den tapferen Soldaten, den pflichtbewußten Beamten, den anständigen Kameraden usw.«172

Diese Figuren benennen Idealtypen im Sinne einer Disziplinarordnung, die durch eine eigene disziplinarische bzw. »ständische« Gerichtsbarkeit kontrolliert wird. Unter Bezug auf das nationalsozialistische Arbeitsrecht als einen der ersten Anwendungsbereiche des »neuen Ordnungsdenkens« leitete Schmitt die darin verankerte, disziplinarische »soziale Ehrengerichtsbarkeit« direkt aus dem Ordnungsdenken her. Sie sei »eine folgerichtige Anwendung des Ordnungsgedankens, der es bewirkt, daß Treue, Gefolgschaft, Disziplin und Ehre nicht mehr als Funktionen losgelöster Regeln und Normierungen, sondern als Wesenselemente einer neuen Gemeinschaft und ihrer konkreten Lebensordnung und -gestaltung aufgefaßt werden.«173 Auch für die Parteiorganisationen forderte Schmitt »eine besondere Art von Standesdisziplin mit Standesgerichtsbarkeit«, die aus dem »Sinn für das konkret Eigenwüchsige« erwachse,174 also die eigenen Ordnungsgesetze kontrolliere. In Schmitts Terminologie ist der Begriff des Standes mit den »konkreten Ordnungen« eng verbunden, ohne dass beide gegeneinander abgegrenzt wurden. Vielmehr erscheinen die »konkreten Ordnungen« als erster Schritt auf dem Weg zu einer Renaissance der feudalen Sozialkategorien.175 So prognostizierte Schmitt für die 171 Vgl. Stolleis, Gemeinschaft und Volksgemeinschaft, S. 94–125. 172 Schmitt, Über die drei Arten, S. 18. 173 Ebd., S. 53. 174 Schmitt, Staat, Bewegung, Volk, S. 33. 175 Zur Bedeutung berufsständischer Ordnungen als gesellschaftliche Utopievorstellungen im Vorfeld und in den ersten Jahren des Nationalsozialismus Nolte, Ständische Ordnung, bes. S. 250–254.

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künftige, am Ordnungsdenken ausgerichtete Rechtsentwicklung, dass sich, gemeinsam mit der »Herausbildung echter Stände«, auch das gesamte Rechtsgebiet der Standesgerichtsbarkeiten erweitern werde.176 Auch in seiner scharfen Kritik an dem liberalen beamtenrechtlichen Begriff der Dienstaufsicht wird sichtbar, dass er eine disziplinarische Gerichtsbarkeit einer justizförmigen Beurteilung vorzieht. Wenn eine richterliche Instanz anstelle des Dienstvorgesetzten entscheide, sei »Justiz statt politischer Führung« zu beklagen.177 Dieses eindeutige Plädoyer für eine Politik mit exekutiven und judikativen Vollmachten erfordert implizit eine dieser Führung entsprechende Disziplinargerichtsbarkeit. Mit Verweis auf die Ordnung der preußischen Armee verdeutlichte Schmitt den »innerlichen Zusammenhang« der Führung einer konkreten Ordnungseinheit und Gemeinschaft »mit den Begriffen von Disziplin und Ehre«. Anstatt einer normgebundenen, doch persönlich unabhängigen Justiz sollte die politische Führung gleichermaßen über Disziplin, Qualifikation und ehrengerichtliche Angelegenheiten entscheiden.178 Der Rechtsform der »konkreten Ordnungen« entspricht damit ein Disziplinarrecht im Sinne einer ungeteilten Gewalt: »Heute, nachdem mit einem neuen Gemeinschaftsleben auch das konkrete Ordnungsdenken wieder lebendig geworden ist, ist uns das rechtliche Axiom, daß Treue, Disziplin und Ehre von der Führung nicht abgetrennt werden dürfen, besser verständlich als die liberal-rechtsstaatliche, gewaltentrennende, normativistische Denkweise eines vergangenen Individualismus.«179

Welchen Spielraum ein Disziplinarrecht gegenüber der strafrechtlichen Reaktion birgt, verdeutlicht ein Beispiel. In einem programmatischen Artikel über das »Nationalsozialistische Rechtsdenken« exemplifizierte Carl Schmitt 1934 die beklagte Differenz zwischen dem natürlichen, nationalsozialistischen Rechtsempfinden und der »gespenstischen« Reaktion einer normativistisch operierenden Justiz an einem Ereignis aus dem Alltag der Hitler-Jugend: »Jungens von der Hitler-Jugend, die einen ihnen bisher nicht bekannten Jugendverband in ihrem Dorfe erscheinen und dort übernachten sahen, beschlossen, die Fahne dieses anderen Verbandes als Trophäe zu erobern, kletterten in den Lagerraum und holten sich die gegnerische Fahne. Sie wurden wegen schweren Einbruchsdiebstahls angezeigt und erfuhren zu ihrem großen Erstaunen von der Polizei, daß sie ein Eigentumsdelikt begangen hätten.«

Die Kategorisierung der Anzeige als Eigentumsdelikt zwinge geradezu, klagte Schmitt, zu einer absichtlichen Verkennung der Realität:

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Schmitt, Staat, Bewegung, Volk, S. 33. Ebd., S. 40 [Hervorhebung im Original]. Schmitt, Über die drei Arten, S. 42f. Ebd., S. 43.

»Die Fahne verwandelt sich in ein Stück Tuch und ein Stück Holz – Wert 1 bis 10 Mark –; alles Konkrete der Situation geht unter in den abstrakten Begriffen ›fremde bewegliche Sache, Gewahrsamsbruch‹.«180

Die materialistische Bezeichnung der Fahne ignoriert freilich ihre Aufladung als symbolisches Hoheitszeichen. Der zu Grunde liegende Fall – wenn es ihn gegeben haben sollte – lässt sich aus dem vagen anekdotischen Zitat nicht eruieren und somit auch nicht datieren. Freilich kann die Notwendigkeit, wegen einer symbolisch ausgetragenen Rivalität zwischen Jugendgruppen Anzeige zu erstatten, bezweifelt werden. Doch zitiert Schmitt den Fahnenraub, den er als keineswegs strafwürdigen Ausdruck »jugendlichen Selbstbewusstseins und gesunden politischen Selbstgefühls« bewertet,181 in der Zeit der Verdrängung und Ausschaltung konkurrierender Jugendverbände durch die Hitler-Jugend. Als normativistische ›Starre‹ kritisierte Schmitt hier nicht nur die auf den Tatbestand bezogenen Normbegriffe des Strafrechts, sondern zugleich dessen Grundprinzip, nach dem Legalitätsprinzip jedes Vergehen und Verbrechen gegen einen konkreten Tatbestand zu verfolgen. Das geltende Jugendrecht kannte hingegen durchaus flexiblere Instrumentarien.182 Zweitens ist Schmitts Wahl des Beispiels auch einer Paradoxie wegen interessant. Denn seine Absicht, die Unangemessenheit der juristischen Reaktion an einem klassischen Jugendstreich vorzuführen, ignoriert bewusst den politischen Kontext der Situation, während eine politische Einschätzung gerade die Grundlage des geforderten Rechtsempfindens bildet. Drittens illustriert das Fallbeispiel die grundsätzliche Aufwertung auch der alltäglichsten Angelegenheiten der politischen Verbände, die zum Gegenstand grundsätzlicher Rechtserörterungen herangezogen und in ihrer repräsentativen Bedeutung für den nationalsozialistischen Staat bewertet wurden. Diese Aufwertung, die den gesamten Bereich des Organisations- und Disziplinarrechts kennzeichnet, lässt sich auch im weiteren rechtswissenschaftlichen Diskurs nachweisen. In diesem Zusammenhang leistete Hans-Helmut Dietzes 1939 erschienene Studie »Die Rechtsgestalt der Hitler-Jugend« die ausführlichste, auf den Jugendverband bezogene explizite Auseinandersetzung mit den rechtsphilosophischen Ordnungs- und nationalsozialistischen Gemeinschaftsbegriffen. Der Vertreter eines nationalsozialistischen Naturrechts bezog hier Schmitts »konkretes Ordnungsdenken« auf das »besondere Beispiel einer bereits deutlich ausgeprägten Ordnung«.183 Die Hitler-Jugend begriff der habilitierte Jurist und aktive Hit180 Schmitt, Nationalsozialistisches Rechtsdenken, S. 225 [Hervorhebung im Original]. 181 Ebd. 182 Anwendung von Erziehungsmaßregeln statt Strafe laut Jugendgerichtsgesetz (JGG), 16.2. 1923, RGBl. 1923, Teil I, S. 135–141, § 6, Absehen von Strafe bei Geringfügigkeit, ebd., § 9. 183 Dietze, Rechtsgestalt, S. VIII. Vgl. zu Dietzes auf nationalsozialistische Gemeinschaftsformen reduzierter, naturrechtsphilosophischer Position Anderbrügge, S. 179–203; biografische Daten in: Buddrus, Totale Erziehung, S. 1134.

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ler-Jugend-Rechtsreferent als eine durch die Spannung aus Führung und Gefolgschaft »gestaltete Ordnung«, nicht aber als eine »konkrete Ordnung«, die vorgegeben und gleichsam natürlich sei.184 Dietze, der gegenüber der »typisch romanischen Denkweise« Schmitts den »schöpferischen« Beitrag der Führung an der Gestalt der Gemeinschaft betonte, wies damit dem konkreten Ordnungsdenken seinen Hang zum Institutionalismus nach. Es vernachlässige das Element des Kampfes, des Lebenswillens und der »Entscheidung für die Ordnung und gegen die Auflösung« und »konkrete Unordnung«. Recht, führte er mit Bezug auf die Geschichte der Jugendorganisation wie auf die zukünftige Aufgabe ihrer »geschichtlichen Sendung« aus, sei nicht nur Ausdruck einer bereits »in Ordnung« befindlichen Wirklichkeit, sondern eben auch eine Norm, die »eine An-Ordnung, einen Befehl darstellt, der der Wirklichkeit nicht entspricht, sondern widerspricht, weil und insofern diese Wirklichkeit sich von ›Natur‹ aus in Unordnung befand«.185 Dietze übersah aber das dezisionistische Element, das bei Schmitt vorhanden ist.186 Seine Differenzierung, die »echte Gemeinschaft« sei niemals ausschließlich »konkrete, gewachsene«, sondern »stets gestaltete und geschöpfte Ordnung«,187 setzt sich nur scheinbar von der Position des »konkreten Ordnungs- und Gestaltdenkens« ab, die es eigentlich bestätigt. Im Grunde betont Dietze noch den Doppelcharakter der Ordnung als Norm und Wirklichkeit, Ziel und Praxis. Seine Perspektive auf die »Rechtsgestalt« der Hitler-Jugend unterstreicht zugleich den Beitrag der Verbände bei der immer neuen Herstellung dieser Ordnung. »Gestaltung« wurde auch in der Organisationspropaganda als eine lebendige und geradezu instinktive »Formung« der »toten«, äußerlichen Organisation entgegengesetzt. So heißt es 1933 in der Zeitschrift »Wille und Macht«, die sich mit politisch-ideologischen Hintergrundartikeln an das Führerkorps der Hitler-Jugend wandte: »Bei vorweggenommener Organisation bleibt alles entstehende Leben im Gestrüpp der Regeln, Paragraphen, Dienstanweisungen hängen. Gestalten heißt, als Vorbild wirken, unmerklich die Gefolgschaft formen. […] Der soldatische Führer gestaltet ohne feste Organisation. Er handelt nach den Gelegenheiten. Er ahnt nur und fühlt das Ziel auch ohne Worte. Der Militär organisiert.«188

Schirach begriff die Organisationsform der Hitler-Jugend als organisch »Gestalt« gewordene Weltanschauung und Ausdruck der Idee des Nationalsozialismus.189 184 Dietze, Rechtsgestalt, S. 64–70 u. 65. 185 »Erst der politische Gestaltungswille der Hitler-Jugend bringt Ordnung in das Chaos« der Jugend im Weimarer »Zwischenreich«; ebd., S. 243f. u. 230ff. 186 Zur durch eine Entscheidung in Ordnung gebrachten »konkreten Unordnung« vgl. Schmitt, Über die drei Arten, S. 25. Als »strategisches Missverständnis« begriffen von Götz, S. 285. 187 Dietze, Rechtsgestalt, S. 67. 188 Netzler, S. 2. 189 Schirach, Hitler-Jugend, S. 66; vgl. Hübner-Funk, S. 265.

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Die Form dieses Zusammenschlusses war für ihn geradezu ein künstlerischer Vorgang.190 Das Recht wurde zur Festigung dieser gesellschaftspolitischen Gestaltung, in der die politischen Formen dauerhaften Niederschlag finden sollten, benötigt: »Recht ist die Form, in der das nationalsozialistische Leben der Jugend den politischen Erfolg und die gültige Gestalt zu gewinnen hat«, hieß es 1934 in der programmatisch umbenannten Zeitschrift der Justizreferendare, »Jugend und Recht«.191

2.2 Disziplinarrecht in der nationalsozialistischen »Rechtserneuerung« Mit der Kategorie der »konkreten Ordnung« stellte Carl Schmitt nicht nur eine juristische Formel bereit, die das Ordnungsdenken der Zeit auf einen Begriff brachte. Er schlug zugleich eine Brücke zum Volksgemeinschaftsdenken und den nationalsozialisischen Organisationen als Sozialformen dieser spezifischen »rassischen« Volksordnung, indem er separate, organisationsbezogene Gerichtsbarkeiten als zeitgemäße Rechtsform propagierte. Mit der im »Gesetz zur Ordnung der nationalen Arbeit« 1934 eingeführten »sozialen Ehrengerichtsbarkeit« der »Betriebsgemeinschaft«,192 den »ständischen« Ehrengerichtsbarkeiten zahlreicher Berufsgruppen193 und den 1933 im »Gesetz zur Sicherung der Einheit von Partei und Staat« definierten Parteigerichtsbarkeiten194 ergänzten und erweiterten neue Formen die Rechtsordnung über die traditionellen Dienststrafrechte für Beamte und Militär hinaus. Diese neuen oder ausgebauten, auf einzelne Körperschaften bezogene Spezialgerichtsbarkeiten standen neben der Strafprozessordnung einerseits und den strafrechtlichen Sondergerichtsbarkeiten andererseits. Sie entwickelten sich unterschiedlich differenziert, wobei die jeweilige Elaboriertheit die politische Bedeutung des Verbandes spiegelt. Während etwa das disziplinarische System der SA 1934 auf eine Ehrenordnung beschränkt wurde, entfaltete die SS als machtvollste Gliederung außer 190 »Die nationalsozialistische Staatsidee aber ist Gestalt geworden in der Organisation der Jüngsten des deutschen Volkes, in jenem Bund selbstloser Jugend, der als HJ. seine Pflicht erfüllt.« Schirach, Hitler-Jugend, S. 75. 191 E. R., Jugend und Recht. Die Zeitschrift hieß zuvor »Der Referendar«. 192 Gesetz zur Ordnung der nationalen Arbeit, 20.1.1934, RGBl. 1934, Teil I, S. 45–56, §§ 35–55; Koch, Ehren- und Disziplinargerichtsbarkeit; Wallenberg, S. 11; Mansfeld. Zum missglückten Versuch der DAF, ihre »Ehren- und Disziplinargerichtsbarkeit« als Strafinstanz im Vorfeld staatlicher Sanktionen gegen »Arbeitsverweigerung« zu etablieren vgl. Tech, 44ff. 193 So bei Ärzten, Tierärzten, Apothekern, Rechtsanwälten, Redakteuren, Bauern und Handwerkern, Reedern, an der Börse handelnden Kaufleuten, Jägern, Studenten; darüber hinaus gab es »Ehrenordnungen« und »Ehrenräte« in weiteren Berufsgruppen; als Zusammenstellung des 1939 geltenden Rechts die Dissertation Marcello, S. 36–48 u. 60f. Vgl. auch Michaelis. 194 Gesetz zur Sicherung der Einheit von Partei und Staat, 1.12.1933, RGBl. 1933, Teil I, S. 1016, in der Fassung vom 3.7.1934, RGBl. 1934, Teil I, S. 529, §§ 3–8.

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einem eigenen Disziplinar- und Ehrenrecht in einer eigenständigen Sondergerichtsbarkeit das ausgefeilteste System einer organisationsbezogenen separaten Rechtsordnung.195 Sie alle basierten jedoch auf dem Gemeinschaftsrecht als Fundament der politisierten Rechtswissenschaft, in der die Bestimmung und rechtssystematische Abgrenzung der einzelnen Gerichtsbarkeiten neuer Gegenstand der fachwissenschaftlichen Erörterung und Publizistik sowie zum beliebten Thema von Dissertationen wurde. Im September 1934 dokumentierte etwa das Zentralorgan des Bundes Nationalsozialistischer Juristen, »Deutsches Recht«, mit einer Palette von rechtshistorischen und rechtsprogrammatischen Beiträgen das »stürmische Vordringen« des Ehrbegriffes im Rechtsdenken196 und damit den engen Anschluss juristischer Termini an zentrale Begriffe der politischen Rhetorik des Nationalsozialismus. Tatsächlich lag die Bedeutung des aufgeladenen Ehrbegriffes vor allem darin, einen zentralen ideologischen Begriff in der Rechtsdiskussion durchzusetzen, was erneut das Aufweichen der Grenzen zwischen Wissenschaft, Politik und Weltanschauung bezeugt.197 Rehabilitiert wurde mit dieser Kategorie einer der »irrationalsten Gehalte, mit denen das Recht überhaupt befasst« sei.198 Nichts kennzeichne den »Geist einer Zeit und eines Rechts« so sehr wie ihr Verhältnis zur Ehrenstrafe, formulierte der Strafrechtler Georg Dahm bei seiner Rektoratsübernahme an der Universität Kiel im April 1935. Als Mitglied der »Kieler Schule« gehörte Dahm zu jener Gruppe von Rechtswissenschaftlern, die an der juristischen »Stoßtruppfakultät« die »Rechtserneuerung« in den ersten Jahren nach 1933 akademisch massiv vorantrieben.199 Sein Kieler Kollege Friedrich Schaffstein konstatierte im Sinne des gewünschten »Lebensrechtes«, dass Ehre sich nicht begrifflich, sondern nur im

195 Zur SA Gruchmann, Justiz, S. 412–432, sowie Block, S. 157–164; die SS verfügte mit einer mehrfach aktualisierten »Disziplinarstraf- und Beschwerdeordnung« und der »Schieds- und Ehrengerichts-Ordnung der SS« über zwei Disziplinarregelwerke für innerorganisatorische Belange sowie mit der 1939 eingerichteten »SS- und Polizeigerichtsbarkeit« über eine eigene Sondergerichtsbarkeit für Strafsachen ihrer Angehörigen, die der allgemeinen Gerichtsbarkeit entzogen wurden. Einrichtung der SS- und Polizeigerichtsbarkeit durch Verordnung des Ministerrats für die Reichsverteidigung, 17.10.1939, RGBl. 1939, Teil I, S. 2107f.; RFSSuChDPol, Die SS- und Polizeigerichtsbarkeit. Ein Leitfaden. Nur zum Gebrauch für SS und Polizei. Stand vom 1.7.1944, BA Berlin, NSD 41/41; zu letzterer Vieregge; Dienststrafordnung für die männlichen Angehörigen des RAD, 25.3.1936, RGBl. 1936, Teil I, S. 123–126; Dienststrafordnung für RAD/weibliche Jugend, 30.1.1940, RGBl. 1940, Teil I, S. 243–248; dazu Dudek, Jugendpolitik; Patel, »Soldaten der Arbeit«, Kap. 3. 196 Marcello, S. 9; Deutsches Recht, Jg. 4, 1934, H. 17, programmatisch eingeleitet vom SSArtikel »Unsere Ehre« des SS-Sturmhauptführers Günther Brandt. Zur Zeitschrift vgl. Heine, S. 286f. 197 Brezina, S. 209. Diese – einzige – Studie zum Ehrenbegriff im nationalsozialistischen Recht bezieht sich vorrangig auf »Ehrenschutz«-Verfahren. 198 Welzel, S. 28. 199 Vgl. Rüthers, Entartetes Recht, S. 42–48, S. 42; Müller, Furchtbare Juristen, S. 88f.

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Erleben »ganzheitlich« fassen lasse.200 Er spannte so den Bogen zu den konkreten Organisationen, in deren Rechtssystemen Ehre als Grundbegriff der disziplinarischen Praxis fungierte. Die Etablierung eigener Disziplinar- und Dienstrechte vollzog sich nicht nur vor dem Hintergrund des veränderten politischen Rahmens, sondern auch im darauf reagierenden, politisierten Rechtsdiskurs. Den Grundsätzen disziplinarischen Rechts wurde eine Modellfunktion für die gesamte Rechtsentwicklung und insbesondere für das Strafrecht zugesprochen.

2.2.1 Disziplinarrecht als Modell völkischen Rechts Eine grundlegende Bestimmung des Verhältnisses von Ehren- und Disziplinargerichtsbarkeit zum Kriminalstrafrecht nahm 1937 Heinrich Ferdinand Curschmann vor. Er definierte das Disziplinarstrafrecht als »Summe aller der Normen, die zur Aufrechterhaltung von Zucht und Ordnung innerhalb aller nur denkbaren Personengesamtheiten geschaffen wurden, durch deren Mitgliedschaft sich der einzelne freiwillig in ein besonderes Unterordnungsverhältnis begeben hatte.«201 Den Bezug auf die klassischen Dienstrechte der besonderen Körperschaften von Militär, Kirche oder Beamtentum erweiterte er als allgemeine Rechtsdisziplin auf jede Form von Vereinigung, deren auf die Organisation bezogene disziplinarrechtliche Tatbestände (Dienstvergehen und -verbrechen) nicht als Verstoß gegen abstrakte Rechtsnormen, sondern »aus der konkreten verletzten Lebensordnung« verstanden wurden. Die in dieser gemeinschaftsrechtlichen Herleitung liegende Nähe zum allgemeinen Strafrecht explizierte Curschmann als jüngere Entwicklung: Nach einer widerspruchsvollen Entstehung seien nun sowohl Straf- wie Disziplinarstrafrecht im Dienste an der »Volksgemeinschaft« am Gemeinschaftsgedanken ausgerichtet und qualifizierten aufgrund dieser »gemeinschaftsbildende[n] Kraft« beide als »Ehrenstrafrecht«.202 Als analoge Abwehr gegen Angriffe auf die »Volksgemeinschaft« (Verbrechen) bzw. auf die körperschaftliche Ordnung (Dienstverbrechen) dienten beide Strafrechte als »ein ständiger Selbstreinigungsprozeß der Gemeinschaft«. Der ins Strafrecht neu eingeführte Begriff des Verbrechens und Vergehens als Pflichtverletzung war, wie Curschmann betonte, im Dienststrafrecht allerdings von jeher üblich.203 Insofern lässt sich der gemeinschaftsrechtliche Bezug des nationalsozialistischen Strafrechts, der als wegweisend für die 200 Schaffstein, Bedeutung der Ehrenstrafe, S. 270. Schaffstein, schon vor 1933 Vertreter eines autoritären Strafrechts, engagierte sich maßgeblich im Bereich des Jugendstrafrechts, dessen Fachgeschichte er auch nach 1945 prägte; nach Kiel lehrte er an der »Reichsuniversität« Straßburg und in Leipzig. 201 Curschmann, S. 7. 202 Ebd., S. 9f. u. 15. 203 Ebd., S. 11f., Zitat S. 12; vgl. Schaffstein, Verbrechen als Pflichtverletzung.

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politisierte »Erneuerung« der Rechtswissenschaft galt,204 als Orientierung am disziplinarrechtlichen Modell verstehen. Als Gemeinschaftsrecht galten Disziplinarrechte als schlechthin nationalsozialistisches Recht, hatte sich die »neue Rechtswissenschaft« doch der Aufgabe verschrieben, das »staatliche Gesetz aus einem konkreten und ganzheitlichen Denken heraus neu zu deuten und so auszulegen, wie es das innere Gesetz der Gemeinschaft verlangt«.205 Auch hinsichtlich der verfahrensrechtlichen Unterscheidung der Rechtsgebiete war das Disziplinarrecht politisch interessant. Dem Opportunitätsprinzip verpflichtet, entscheidet eine Disziplinargewalt nach Ermessen, ob eine Reaktion auf einen Verstoß angebracht erscheint.206 Als täterorientiertes Gesinnungsstrafrecht tendierte auch das nationalsozialistische Strafrecht zu Generalklauseln und zu einer grundsätzlichen Bewertung der Täterpersönlichkeit, indem es dessen Charakter zum Gegenstand der Rechtsprechung machte. Für dieses autoritäre Willens- und Gemeinschaftsstrafrecht war die »Tat als solche« unerheblich und nur als Ausdruck der »Persönlichkeit und Gesinnung« relevant.207 Das Disziplinarrecht, das Dienstvergehen als einheitlichen Tatbestand im Gesamtverhalten auffasst, brachte diese ganzheitliche Täterorientierung mit. Nicht nur durch die explizite Ahndung von Treuebrüchen gegenüber der »Bluts- und Rechtsgemeinschaft« verfolgte disziplinarisches Recht grundsätzlich eine Rechtsfindung, die dem zur Rechtsquelle erhobenen »deutschen Rechtsempfinden« und damit der Beurteilung durch »Volksgewissen« und »gesundes Volksempfinden« entsprechen sollte.208 Zusätzlich boten gerade die flexiblen »Auslegungsmöglichkeiten« der anstatt fester Rechtsnormen nur grob vorgegebenen Disziplinargrundsätze die Voraussetzungen für die gewünschte volksnahe Rechtsprechung, denn sie erfassten auch Handlungen, »für welche die Maschen der Strafgesetze zu groß sind, die aber nach gesunder Volksanschauung Strafe verdienen«.209 Durch diesen von vornherein größeren Spielraum für eine politische Auslegung und durch seinen subtileren Zugriff wurde das Disziplinarrecht geradezu zum »Schrittmacher einer volkstümlichen Strafrechtspflege«.210 Langfristig erschien sogar fraglich, ob sich ein Nebeneinander der Gerichtsbarkeiten nach der geplanten nationalsozialistischen Strafrechtsreform nicht erübrigen werde.211 Auch die Disziplinarpolitiker der Hitler-Jugend 204 Dahm, Gemeinschaft und Strafrecht, S. 5; vgl. Stolleis, Gemeinschaft und Volksgemeinschaft, S. 92. 205 Dahm, Gemeinschaft und Strafrecht, S. 17. 206 Vgl. Lambrecht. 207 Dahm, Gemeinschaft und Strafrecht, S. 11f. 208 Runge, S. 39f.; zum Volksempfinden als Rechtsquelle Rüthers, Entartetes Recht, S. 28; zur dadurch bewirkten Dynamisierung des Rechts Hilger, S. 131–136. 209 Brinkmann, S. 231. 210 Ebd. 211 Michaelis, S. 575.

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reproduzierten das Lob dieser nicht durch »Paragraphen eingeengt[en]« Rechtsfindung,212 die in der Annäherung von »Sitte und Recht«213 dazu beitrage, die »Volksfremdheit des Rechtes« zu überwinden.214 So bot sich das Disziplinarrecht als flexibles und subtil wirkendes Gemeinschaftsrecht für die Methode einer ›ganzheitlichen‹ Rechtsauslegung an. Zugleich galt es als breitenwirksames Mittel zur Überwindung der vermeintlichen »Rechtskrise«, die in der Spannung zwischen dem als formalistisch diffamierten »Juristenrecht« und dem als lebendig verherrlichten »Rechtsbewußtsein des Volkes« ausgemacht worden war.215 Das Disziplinarstrafrecht wurde daher als die »höher entwickelte Form« des »Ehren- und Pflichtenstrafrechts« gewürdigt, das als »Gewissen« der konkreten Gemeinschaften wirke.216 Die Ehrengerichtsbarkeiten des Parteiverbandes galten als Vorbilder für die gewünschte allgemeine Rechtsentwicklung, da sie mit dem Ausscheiden des Ehrlosen den »Grundgedanken der Ehrenstrafe« praktizierten.217 Mit dem ganzen »Schicksal der politischen Einheit des deutschen Volkes« begriff auch Carl Schmitt die politische Auslese als ihre entscheidende, staatstragende Aufgabe.218 Außer seiner Säuberungsfunktion galt auch die subtile Wirkung des Disziplinarrechts als vorbildlich für ein politisiertes Recht. Verwandt mit dem berufsständischen und militärischen Recht, betonte es eine bestimmte, klar gegliederte soziale Ordnung und »erziehe« so die Gemeinschaft zu den »Forderungen« der jeweiligen Ehre.219 Diese Wahrung der »Zucht« als Zielrichtung der »Ehrengerichtsbarkeiten« grenzte die Disziplinarrechte der »Bewegung« vom Strafrecht ab; das »Recht« sei Sache der Justiz.220 Auf diesen Beitrag der Organisationen zur Prägung und immer wieder aktuellen Herstellung der Ordnungen wies Hans-Helmut Dietze für die Hitler-Jugend hin. Daher galt die Parteigerichtsbarkeit zum einen als das »wichtigste Erziehungsmittel der Bewegung«. Zum anderen war es ihre Aufgabe, eine ungestörte Entwicklung zu sichern, die in den Sozialordnungen des Nationalsozialismus das »wirkliche

212 Tetzlaff, Rechtsphilosophie, S. 6. 213 Picker, Ehre und Treue im Jugendehrrecht, S. 42. 214 Dietze, Rechtsarbeit, S. 148. Die Hitler-Jugend versuchte, in enger Zusammenarbeit mit der »Reichsgruppe Junger Rechtswahrer« durch Rechtsschulung die »Rechtsfremdheit des Volkes« zu überwinden. 215 Stuckart, Nationalsozialistische Rechtserziehung, S. 6f. 216 Curschmann, S. 27. 217 Dahm, Gemeinschaft und Strafrecht, S. 8. 218 Bezogen auf die zu diesem Zeitpunkt bestehenden Gerichtsbarkeiten von NSDAP und SA; Schmitt, Staat, Bewegung, Volk, S. 22. 219 Für die »soziale Ehrengerichtsbarkeit« Mansfeld, S. 715; für die »Selbsterziehung« der Hitler-Jugend etwa Picker, Jugendliche Berufskriminalität, S. 298; Klemer, Jugendstrafrecht, S. 27. 220 Schwarz van Beck, S. 22. Der Autor war Chefredakteur der nationalsozialistischen Berliner Tageszeitung »Der Angriff«.

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Bild des neuen Staates« erkennen lassen würde.221 Damit wurden die Gerichtsbarkeiten der nationalsozialistischen Politverbände gleichermaßen zum praktischen Instrument der aktuellen Disziplinierung wie perspektivisch zum Garanten der zukünftigen Entwicklung.

2.2.2 Ehre als Rechtsbegriff Als charakteristischer Begriff, der das Symbol- und Normensystem der ständischen Gesellschaft beschrieb, bedeutete Ehrenhaftigkeit die Übereinstimmung mit den Erwartungen einer sozialen Bezugsgruppe in der gesamten Lebensweise, die ihren Ausdruck in Kleidung, Körperkultur, Beruf und Privatleben fand.222 Als Medium vormoderner Vergesellschaftung erschien der kulturelle, keineswegs geschlechtsneutrale Code der Ehre umso entbehrlicher für die Identität des Einzelnen und des gesellschaftlichen Ganzen, je moderner die Gesellschaft wurde.223 Nach einem Individualisierungsschub durch die Jugendbewegung erlebte »Ehre« im Nationalsozialismus eine viel beschworene Renaissance, wie sie etwa der langjährige Oberste Parteirichter Walter Buch programmatisch als Rückkehr eines »deutschen Ehrempfindens« formulierte.224 Keine Gemeinschaft könne auf den »Wert der Ehre« verzichten, behauptete auch HansHelmut Dietze.225 Die Auffassung von Disziplinar- und Strafrecht als »Ehrenrecht« folgte ebenfalls aus der Gemeinschaftsbindung. Je stärker die Pflichten des Einzelnen gegenüber der Gemeinschaft ausgeprägt seien, umso mehr werde auch das allgemeine Strafrecht zum Ehrenrecht, formulierte Curschmann.226 In der Verbindung von Ehre und Treue bestand das zentrale Element des nationalsozialistischen »Gemeinschaftsrechtes«, wie im Schrifttum formelhaft wiederholt wurde: Da Ehre aus der Treue resultiere, beeinträchtigte jeder Treuebruch und jede »ehrlose« und »pflichtvergessene« Handlung die Ehre.227 Ehre, sei sie auf eine spezielle Vereinigung bezogen oder die Ehre der Person, galt nicht als subjektives Recht (oder Empfinden) des Einzelnen, sondern als verbindlich vorausgesetzter »Pflichtenkreis, nach dem man lebt«.228 Als leistungsbezogener Ausdruck persönlicher Wertigkeit waren die individuelle Ehre und die der Gemeinschaft unmittelbar und untrennbar aufeinander bezogen.229 In den »Leit221 222 223 224 225 226 227 228 229

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Kupfer, S. 35, 14 u. 94. Vgl. Fend, S. 195. Frevert, Ehre – männlich/weiblich, S. 22f. Buch, Ehre, S. 9. Zu Buch, Oberster Parteirichter von 1928–1945, Block, S. 25–35. Dietze, Rechtsgestalt, S. 75. Curschmann, S. 24f. Lüdicke, S. 10; Marcello, S. 12. Curschmann, S. 26f. Ketteler, S. 1; Lüdicke, S. 8f.; Marcello, S. 30.

sätzen für ein neues deutsches Strafrecht« formulierte der »Reichsrechtsführer« Hans Frank das rechtskonstitutive Treueverhältnis exemplarisch: »Das nationalsozialistische Strafrecht muß auf der völkischen Treuepflicht aufgebaut sein. Die Treuepflicht ist für nationalsozialistisches und deutsches Denken höchste völkische und daher sittliche Pflicht. […] Der hohe Wert der Volksgemeinschaft verlangt die unbedingte Einhaltung der Treuepflicht und zwar sowohl der Volksgemeinschaft gegenüber, als auch gegenüber allen ihren Gestaltungen, die sie, an die Vergangenheit anknüpfend, für die Zukunft schafft oder geschaffen hat. […] Der Verletzung der Treuepflicht folgt grundsätzlich der Verlust der Ehre.«230

In der doppelten Verpflichtung auf die »Volksgemeinschaft« und ihre sämtlichen Unterformen drückt sich auch die Einheitlichkeit der Ordnung aus. Ihr entsprach der »einheitliche und totale Ehrbegriff«, der anstatt eines etwaigen »Ehrenpluralismus« gegenüber einzelnen Organisationen gefordert wurde.231 Auf diesen Grundpflichten des Einzelnen gegenüber »Staat, Bewegung, Volk«, welche die Grundrechte als Rechtsgrundlage abgelöst hatten, beruhte die neue Definition von Verbrechen. Sie wurden nicht mehr positivistisch als Verstoß gegen eine Verbotsnorm, sondern gegen die »Treueverpflichtung« verstanden. Als Zeichen fehlender Gemeinschaftsgesinnung wurden Gesetzesverstöße damit grundsätzlich politisiert.232 Der Verletzung einer Rechtsnorm wurde die Verletzung der sittlichen Norm einer bestimmten Haltung oder »Zucht« hinzugefügt. Analog zur »Treuepflicht«, die als persönliches Verhältnis zur sittlichen Grundlage der politischen, sozialen und rechtlichen Ordnung stilisiert wurde, galt jeder Verrat als grundsätzliche, dramatische Aggression, die Gemeinschaft zerstöre und Ordnung auflöse.233 In dieser Bewertung drohte jeder einzelne Normverstoß zurück in das bedrohliche, zerstörerische Chaos zu führen, das zu beseitigen die Gemeinschaften angetreten waren. Daher galt es nicht nur, jeden Verstoß zu individuellen Sühnezwecken zu ahnden, sondern zugleich für die Gemeinschaft auszuwerten. Indem das nationalsozialistische Strafrecht jede Strafe zugleich als »Ehrenstrafe« begriff, wies sie der Rechtsfolge einen veränderten Zweck zu. Strafe wurde nicht mehr, wie im modernen Strafrecht, als Mittel rationaler Verbrechensbekämpfung verstanden und auf strafrechtliche Folgen begrenzt. Als Ausdruck seines geminderten oder sogar vernichteten Gemeinschaftswertes erstreckten »Ehrenstrafen« sich hingegen auch auf den Rechtsstatus eines Verbrechers, dessen Minderung seine Distanz zur Gemeinschaft verdeutliche.234 In

230 231 232 233 234

Frank, Nationalsozialistische Leitsätze, S. 12. Schaffstein, Bedeutung der Ehrenstrafe, S. 270; Wallenberg, S. 1. Majer, Justiz und Polizei im »Dritten Reich«, S. 141. Georg Dahm, Verrat und Verbrechen, zitiert nach Höhn, S. 57. Vgl. etwa Dahm, Gemeinschaft und Strafrecht, S. 6.

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dieser symbolischen, »gemeinschaftsbindenden Kraft«235 liegt eine Disziplinierungsfunktion der Strafe. Das auf die Ehre bezogene Gemeinschaftsstrafrecht war also seinerseits als Disziplinarmechanismus konzipiert. Die kriminologische Lehre von der Minderwertigkeit des Verbrechers flankierte legitimierend die Vorstellung von individuellen Wertigkeiten im Strafrecht.236 Mit der symbolischen Funktion der Bestrafung griff das nationalsozialistische Ehrenrecht zurück auf das vormoderne System »peinlicher Strafen«, deren »spiegelnde« Form den Verurteilten als »wandelnde[s] Strafregister« öffentlich erkennbar machte. Sichtbarkeit und Allgemeinkundigkeit kennzeichneten die Ehrenstrafen,237 die den Rechtsstatus des Einzelnen symbolisch vergegenwärtigten und repräsentierten. Gegen diese Stigmatisierung durch bewusste »Schmälerungen der Statusrechte und Rechtsfähigkeiten« hatte sich die Kritik der modernen, rationalen Strafrechtsschule seit der Auf klärung gerichtet, zielten Ehrenstrafen doch darauf, den Willen des Bestraften zu beugen oder seine Persönlichkeit ganz auszulöschen.238 Als »Kampf gegen ein Gesinnungsstrafrecht« war die Beseitigung der letzten, im Reichstrafgesetzbuch von 1871 präsenten Ehrenstrafen – die Aberkennung der bürgerlichen Ehrenrechte und die Zuchthausstrafe – zwar bis in die Entwürfe eines reformierten Strafgesetzbuches in den 1920er Jahren gelangt, aber nicht vollständig durchgesetzt worden.239 Für das gemeinschaftsbezogene und täterorientierte Rechtsdenken wurden Ehrenstrafen aber gerade aufgrund dieser Wirkung interessant, indem sie auf die existenzielle Grundlage zielten, aus der heraus Menschen als Gemeinschaftsglieder handelten.240 Ehrverlust als Rechtsinstrument zielte also bewusst auf symbolische Existenzvernichtung. Typisch für die politische »Rechtserneuerung«, sollte auch mit dem Ehrbegriff eine germanische Rechtstradition wieder belebt werden. War als Quelle der Rechtsbegriffe Ehre und Treue noch der Sachsenspiegel, die hochmittelalterliche Sammlung von Rechtsgewohnheiten und -regeln, auszumachen,241 stieß die Suche nach der vermeintlich lebendigen Rechtspraxis von Ehrenstrafen hingegen auf ernsthafte Schwierigkeiten. So fand 1942 eine von Himmler angestrengte extensive Literatur- und Archivrecherche entgegen den hoch235 Schaffstein, Bedeutung der Ehrenstrafe, S. 271. Auch als »Integrationswirkung« der Ehrenstrafe bezeichnet. 236 Vgl. Dölling, S. 204 u. 221ff.; sowie Wagner, Volksgemeinschaft. 237 Dahm, Gemeinschaft und Strafrecht, S. 7 u. 10. 238 Brückner, S. 851; zum System vormodernen Strafens ausführlich Foucault, Überwachen und Strafen. 239 Vgl. für die Reformbewegung exemplarisch Grünhut, S. 260f. u. 263. 240 Welzel, S. 28. Vortrag auf der Eisenacher Tagung der strafrechtlichen Arbeitsgemeinschaft der Reichsfachgruppe Hochschullehrer im NS-Rechtswahrerbund, 30./31.3.1937. 241 Dahm, Gemeinschaft und Strafrecht, S. 6; Schwerin, S. 396; Tetzlaff, Rechtsphilosophie, S. 5.

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gesteckten Erwartungen kaum Material.242 Doch nicht nur der »Gedanke« des Ehrenrechts wurde in der nationalsozialistischen Strafrechtsreform aktualisiert.243 Unter dem Schlagwort »Erneuerung der Ehrenstrafe« wurden auch Formen aus dem vormodernen Arsenal peinlicher Strafen ausführlich erörtert, deren Wirkung keineswegs auf die symbolische Ebene beschränkt war. Außer dem Verlust einzelner Ehrenrechte wurde etwa die öffentliche Bekanntgabe von Strafen in Massenmedien als »moderne Form des symbolischen Prangers« erwogen.244 Die »Ehrloserklärung« sollte einen umfassenden Rechtsverlust bürgerlicher Personen- und Bewegungsrechte in jeder denkbaren politischen, beruflichen, vormundschafts- und staatsrechtlichen Hinsicht nach sich ziehen.245 Als ›jugendgemäße‹ Variante der Ehrloserklärung sollte in Kombination mit der – in Ausnahmefällen auch gegen Jugendliche zu verhängenden – Todesund Zuchthausstrafe auf »öffentliche Brandmarkung« erkannt werden.246 Die zur Bestrafung von Hoch- und Landesverrat wieder einzuführende mittelalterliche »Ächtung« sollte, verbunden mit der Todesstrafe, diese als Höchststrafe noch verstärken.247 Ebenso wenig wie ein neues, nationalsozialistisches Strafgesetzbuch wurden diese massiven Strafformen realisiert.248 Der lebhafte rechtswissenschaftliche Diskurs wurde vor allem im Schrifttum der Parteiorganisationen aufgenommen. So erinnert etwa die Würdigung der parteigerichtlichen Aufgaben durch den wichtigsten Disziplinartheoretiker der Hitler-Jugend, Walter Tetzlaff, »der Ausschluss aus der nationalsozialistischen Bewegung« bedeute »das politische Todesurteil«,249 in ihrer Rhetorik der Endgültigkeit an die Rechtsfigur des bürgerlichen Todes. Sie verweist auf die neue Funktion des Rechts, zu dessen Mitteln, einen Gemeinschaftsbezug zu repräsentieren, der Ausschluss aus der Gemeinschaft gehörte.

2.3 Jugendrecht – moderne Tradition und nationalsozialistische Reform Außer den Texten der politisierten »Rechtserneuerung« und ihrem Rekurs auf irrationale Rechtsformen und -begriffe gehört der moderne Diskurs über ein eigenständiges Jugendrecht zum rechtstheoretischen und -wissenschaftlichen Be242 Schreiben des Chefs des Amtes II, RFSS, HA SS-Gericht, an den SS-Richter beim RFSS, Bender, 30.6.1942, BA Berlin, NS 7/235, Bl. 1. 243 So Dahm, Gemeinschaft und Strafrecht, S. 7f. 244 Schaffstein, Bedeutung der Ehrenstrafe, S. 271. 245 Ketteler, S. 53f. 246 Entwurf zu einem Jugendstrafgesetzbuch, § 6. Stand vom 1. Juni 1938, in: Schubert, Bd. 11, S. 147–153, S. 148. Zur Auf hebung der Strafmündigkeit und der beschränkten Anwendbarkeit des Erwachsenenstrafrechts auf Jugendliche vgl. Wolff, Jugendliche vor Gericht, S. 170–173. 247 Vgl. Schaffstein, Bedeutung der Ehrenstrafe, S. 271; Mantler, 68ff., sowie Kunert. 248 Vgl. dazu Schreiber, S. 171. 249 Tetzlaff, Rechtsphilosophie, S. 6.

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zugsrahmen der Entwicklung des Disziplinarrechtes. Im Nationalsozialismus wurde er unter dem Stichwort der »Reform« aufgenommen und unter maßgeblicher Beteiligung der Hitler-Jugend in der Akademie für Deutsches Recht weiter geführt. Durch thematische wie personelle Überschneidungen vor allem in der Strafrechtsdiskussion ist er für die disziplinarrechtliche Entwicklung des Jugendverbandes als prägende Parallelentwicklung bedeutsam. Nach einem kursorischen, auf die Strafrechtsentwicklung konzentrierten Rückgriff auf die Tradition dieser liberalen Rechtsbewegung wird die spezifische Veränderung des Jugendrechts im Nationalsozialismus skizziert, um außer der engen Verknüpfung der Diskurse auch die Bedeutung und Veränderung zentraler Begriffe für das disziplinarrechtliche Ordnungssystem zu zeigen. Als Teil einer internationalen Bewegung – Anstöße kamen vor allem aus den angelsächsischen Ländern – setzte die Diskussion um ein eigenständiges Jugendrecht in Deutschland im Rahmen einer breiten Jugendfürsorge- und Jugendgerichtsbewegung während des Kaiserreiches ein.250 Sie wurde von Juristen, Pädagogen, Fürsorgepraktikern, Medizinern und Psychologen getragen. Seit den 1880er Jahren artikulierte sich die Bewegung zunächst als Expertendiskussion, bevor sie sich nach der Jahrhundertwende mit ersten Jugendgerichten zu institutionalisieren begann. Sie beruhte auf dem modernen Jugendbegriff und orientierte sich am umstrittenen Schlüsselbegriff »Erziehung« als kriminal- und fürsorgerechtliche Leitlinie. Die Gerichtsbewegung, die ein besonderes Strafrecht und einen eigenen Strafvollzug für Jugendliche forderte, entwickelte sich vor dem strafrechtstheoretischen und kriminalpolitischen Hintergrund der modernen rationalen Strafrechtsschule und den Anfängen der Reichskriminalstatistik, in der die Kriminalität Jugendlicher separat ausgewiesen wurde.251 Motiviert durch ein von bürgerlich-humanitärem Geist geleitetes Interesse an einer Entkriminalisierung im Sinne einer Abkehr vom klassischen Strafrecht, war auch die Unzweckmäßigkeit der damaligen Praxis, d. h. die Einsicht in die Wirkungslosigkeit des bisherigen Strafrechts, ein Ausgangspunkt der Kritik. Für das Jugendrecht waren jedoch die Erkenntnisse der Reformdiskussion entscheidend, die einen wesentlichen Unterschied zwi250 »Jugendgerichtsbewegung« bezeichnet mit Fritsch nur den Teil der Bewegung, die eine Sonderbehandlung für jugendliche Straftäter forderte; gängig ist demgegenüber jedoch auch eine breitere Anwendung der Eigenbenennung wie bei Dörner, Erziehung, S. 34f., Kebbedies, S. 48, und im aktuellen juristischen Lehrbuch Schaffstein/Beulke, S. 31ff. 251 Auf der Grundlage der neuen naturwissenschaftlichen Methode der Kriminalitätsursachenforschung und im Rahmen eines gewandelten Staatsverständnisses, wollte die moderne oder »soziologische« Strafrechtsschule das irrationale Vergeltungsstrafrecht ersetzen durch ein rationales, zukunftsorientiertes und am gesellschaftlichen Regulationsbedarf bemessenes rationales Strafrecht. Das »Marburger Programm« des Strafrechtlers Franz von Liszt enthielt 1882 noch keinen Bezug auf Jugendliche. Vgl. Roth, Entstehung des Jugendstrafrechts; Wolff, Entwicklung, S. 126ff.; Dörner, Erziehung, S. 30–48; Fritsch, S. 24–48; Kebbedies, S. 29–73; Harvey, Kap. 4 u. 5; sowie Voß, S. 81–96.

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schen erwachsener und jugendlicher Delinquenz festhielten: Da letztere häufig entwicklungsbedingt entstünde und als episodenhaft anzusehen sei, könne die staatliche Reaktion nicht oder nicht ausschließlich in Strafe bestehen. Die vollständige institutionelle Durchsetzung und gesetzliche Verankerung erfolgte in den Anfangsjahren der Weimarer Republik durch die beiden ersten straf- und vormundschaftsrechtlichen Jugendgesetze in Deutschland, das Jugendgerichtsgesetz (JGG) und das Jugendwohlfahrtsgesetz (JWG).252 Ihr Dualismus von Straf- und Fürsorgerecht besteht über die Novellen des Jugendgerichtsgesetzes 1943, 1953 und 1990 bis heute weiter.253 Eine ursprünglich propagierte »Eingleisigkeit« des Jugendrechts, straf- und fürsorgerechtliche Regelungen in einem gemeinsamen Jugenderziehungsrecht rechtssystematisch zusammenzufassen, wurde nicht umgesetzt. Beide Gesetze, die eine bereits geübte Praxis kodifizierten, trennten Jugendsachen als Sonderrecht ab, in der Gesetzgebung ebenso wie in der Praxis der Rechtsprechung, des Strafvollzugs und der Fürsorgebewahrung. Das Jugendstrafrecht wurde als Teildisziplin des Strafrechts etabliert. Die Etablierung eines eigenen Jugendrechtes spiegelt die »Entdeckung« des Jugendlichen als sozialpädagogisches und strafrechtliches Objekt und damit einen Aspekt des umfassenden kulturell und sozialpolitisch modernen Konzeptes von Jugend wider, wie es sich im 19. Jahrhundert herausbildete. Mittelschichtspezifisch und am männlichen Phänomen entwickelt, wurde das Konzept europaweit auf die gesamte Bevölkerung ausgedehnt.254 Jugend wurde als eine eigenständige psychosoziale Entwicklungsphase im Lebenszyklus des Menschen anerkannt, die durch die noch nicht abgeschlossene Entwicklung und ein daraus abgeleitetes Schutzbedürfnis gekennzeichnet wurde. In der modernen Auffassung gebührte der Jugend Schutz und der Anspruch auf einen Freiraum in der Gesellschaft, ein Moratorium. Diese Jugendphase galt als entscheidender, durch die »Entwicklungsaufgabe« gekennzeichneter Abschnitt im Lebenslauf eines Menschen.255 Für das Selbstverständnis der Jugendlichen ebenso wegweisend wie für Darstellungen von Jugend, die Jugendliche einerseits als besonders gefährdet wahrnahmen, andererseits von ihrer besonderen Bedeutung für die Zukunft der gesamten Gesellschaft ausgingen, erreichte das an Vorläufern reiche Konzept durch seine Einschreibung in die Institutionen der Jugendpflege um die Jahrhundertwende eine neue sozial- und rechtspolitische Wirksam252 Jugendgerichtsgesetz, 16.2.1923, RGBl. 1923, Teil I, S. 135–141; Reichsgesetz für Jugendwohlfahrt, 9.7.1922, RGBl. 1922, Teil I, S. 633–648. 253 Zur Rechtsentwicklung nach 1945 vgl. für das Strafrecht Wolff u. a., bes. S. 123–148; für das Fürsorgerecht Hasenclever, S. 154–222. 254 Vgl. Gillis, S. 141; weibliche Jugendliche erfuhren gleichermaßen gesellschaftliche Aufmerksamkeit in den sozial- und kriminalpolitischen Debatten um »Verwahrlosung« und Prostitution, vgl. Benninghaus, Die Jugendlichen, S. 239. 255 Hurrelmann, S. 29 u. 12.

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keit – zeitgleich mit einer lebhaften Konjunktur des Topos in Literatur und Kunst und mit dem Aufschwung der Jugendbewegung.256 Um den spezifischen Bedürfnissen des Jugendalters als Entwicklungsphase gerecht zu werden, wurde die Etablierung des Jugendrechts vom Erziehungsgedanken begleitet und motiviert. Er wurde im Strafrecht aufgegriffen. Im Sinne der soziologischen modernen Strafrechtsschule sollte, wenn schon nicht für alle Straftäter, so doch zumindest für die Jugendlichen der bisher dominante Sühnegedanke des irrationalen Vergeltungsstrafrechts durch den Gedanken der »Besserung« ersetzt werden. Bei den Jugendlichen, deren Entwicklung noch offen und formbar erschien, erforderten Besserungsfähigkeit und -bedürftigkeit daher Erziehungsmaßnahmen. Die Pädagogisierung des Strafrechtes wurde im Jugendrecht umgesetzt. Als offener Begriff wurde »Erziehung« mit bestimmten kriminalpolitischen Leitvorstellungen identifiziert und die Behandlung jugendlicher Delinquenten zu einem »Experimentierfeld« neuer kriminalpolitischer Ansätze, die bis heute die Jugendkriminalitätspolitik prägen.257 Das Jugendgerichtsgesetz von 1923 löste die vorausgehende Diskussion über einen Erziehungs- oder Strafvorrang nicht auf, sondern kodifizierte ein unentschiedenes Nebeneinander beider Rechtsfolgen und Strafzwecke – und provozierte damit eine Fortführung der Debatte über die Auslegung. In der Weimarer Praxis behielt die strafrechtliche Perspektive mit den traditionellen Zielen Strafe und Abschreckung allerdings stets Vorrang gegenüber dem Erziehungszweck. Der Anspruch, Strafe grundsätzlich durch Erziehungsmaßnahmen zu ersetzen, wie es das Leitmotiv »Erziehung statt Strafe« proklamierte, wurde nicht verwirklicht.258 In der Republik galt das »Recht eines jeden deutschen Kindes auf Erziehung« als verfassungsmäßig verbürgt. Die Reichsverfassung bestimmte 1919 im Grundrechtekatalog Recht und Pflicht der Eltern zur Erziehung sowie den Schutz der Jugend gegen »Ausbeutung sowie sittliche, geistige oder körperliche Verwahrlosung«.259 Diesen programmatischen Anspruch übernahm das Jugendwohlfahrtsgesetz und postulierte im ersten Paragraf das Recht eines jeden deutschen Kindes »auf Erziehung zur leiblichen, seelischen und gesellschaftlichen Tüchtigkeit«. Dieser optimistische Erziehungsbegriff wurde in der Jugendfürsorge, dem »Schlüsselbereich der Sozialpädagogik«,260 in den folgenden Jahren entscheidend in Frage gestellt. Im Zusammenhang von Revol256 Zu den in der Weimarer Zeit geführten Jugenddebatten vgl. Bühler, S. 67–134; ihre Verbindung zur Kulturkritik ebd., S. 58–63; zur Jugendbewegung Laqueur; Stachura, German Youth Movement; Giesecke, Wandervogel; de Ras; Reulecke, »Ich möchte einer werden«; zum kulturellen Diskurs zuletzt Brunotte. 257 Vgl. Walter, S. 55f.; Oberwittler, S. 11. 258 Oberwittler, S. 331; Wolff, Entwicklung, S. 123. 259 Weimarer Verfassung, 11.8.1919, §§ 120, 122, RGBl. 1919, Teil I, S. 1382–1418, S. 1406. 260 Kebbedies, S. 82.

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ten und Skandalen in einzelnen Anstalten und ihrer öffentlichkeitswirksamen Beschreibung ging die »Krise der Fürsorgeerziehung« unter dem Kosten- und Rechtfertigungsdruck in der Weltwirtschaftskrise mit einem wirtschaftspolitisch begründeten Sozialabbau einher. Sie verstärkte eine Fachdebatte um die »Grenzen der Erziehbarkeit«, die 1932 eine Ausgrenzung der vermeintlich »Unerziehbaren« aus der Fürsorge und eine autoritäre Wende im Strafvollzug einleitete. Wenngleich die Ursachen in langfristigen Modernisierungsdefiziten der deutschen Jugendkriminalitätspolitik lagen, verdeutlichte dieses Krisenphänomen auch die Krise eines immer deutlicher an reale Grenzen stoßenden sozialen Ideals.261 Die Entwicklung im Bereich des Jugendstraf- und Jugendpflegerechts nach 1933 ist durch die formal weiter bestehenden Jugendgerichts- und Jugendwohlfahrtsgesetze bestimmt, während die beteiligten Instanzen und Organe gleichgeschaltet wurden.262 Die nationalsozialistischen Maßnahmen, einen »nationalsozialistischen Geist« durch personellen Austausch in die Justiz einziehen zu lassen, trafen die junge Jugendgerichtsbarkeit besonders hart.263 Allein schon aufgrund dieser politischen Rahmenbedingungen wird die in der juristischen Literatur nach wie vor existierende These von einer Kontinuität des Jugendrechtes264 in Frage gestellt, ist doch gerade die Aneignung bestehender Gesetze im nationalsozialistischen Geist durch entsprechende Auslegung ebenso charakteristisch für die Justizgeschichte wie ihre Ergänzung durch nationalsozialistisches Sonderstrafrecht. Die Strategie, aufgrund der »knappen wertneutralen Formulierungen« des Jugendgerichtsgesetzes von 1923 »in gewissem Umfang eine Verwirklichung neuer Gedanken und eine Ausfüllung mit neuem Inhalt« im geltenden Recht zu realisieren, wurde bewusst genutzt, wie der einführende Kommentar des 1943 novellierten Reichsjugendgerichtsgesetzes verrät.265 So bewirkten eine veränderte Praxis und der institutionelle Umbau im Nationalsozialismus im Gegenteil eine tief greifende Veränderung, indem die geltenden Gesetze »ihrer Absicht nach ausgehöhlt« wurden.266 Sie wurde von einem Wandel der politischen Semantik auch in diesem Bereich begleitet. Mit ihrem politischen Gestaltungsanspruch für alle Bereiche, die Jugendliche betrafen, schwang die nationalsozialistische Jugendorganisation sich zur 261 Oberwittler, S. 19; zur Krise der Sozialfürsorge Peukert, Grenzen, bes. S. 253–260, dessen These einer Immanenz totalitärer Geltungsansprüche Oberwittler allerdings unter Verweis auf die englische Entwicklung widerspricht; kritisch zu Peukerts Perspektive auch Gräser, dort zum Modernisierungsdefizit, S. 130ff. 262 Die Darstellung folgt wesentlich Wolff, Jugendliche vor Gericht; ders., Jugend und Strafrecht; ders., Hitlerjugend; Dörner, Erziehung, S. 157–280; Hasenclever, S. 127–153. 263 Vgl. Wolff, Hitlerjugend, S. 640. 264 So etwa Schaffstein/Beulke, S. 35, die vage »partielle Fehlentwicklungen« konzidieren. 265 Kümmerlein, Reichsjugendgerichtsgesetz, S. 4. 266 So für das Jugendwohlfahrtsgesetz Naudascher, S. 72.

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»Wortführerin« einer umfassenden Rechtsreform auf. Ab 1934 wirkte die Hitler-Jugend als aktiver Teilnehmer der Diskussion intensiv am Gesetzgebungsprozess im Jugendrecht und insbesondere im Jugendstrafrecht mit, was sich bis in die Gerichtspraxis auswirkte. Die Aktivität der Reichsjugendführung in diesem Politikfeld ist mit der doppelten Funktion einer Machtausweitung der mit Jugend befassten »Universalinstanz« und der Kontrolle Jugendlicher treffend charakterisiert.267 Seit 1935 war die Jugendführung durch Mitsprache und Auskunftsrechte zunehmend praktisch in die Jugendstrafrechts- und Jugendpflege eingebunden.268 Ihre weitgehende rechtspolitische Einflussnahme spiegelt sich auch in der Initiative, in eigenen universitären »Jugendrechtsseminaren« die Einrichtung als separate Rechtsdisziplin zu propagieren.269 Die theoretische und konzeptionelle Einwirkung spielte sich vorrangig im Ausschuss für Jugendrecht der Akademie für Deutsches Recht ab und wurde publizistisch vertieft. Die im Herbst 1933 auf dem Deutschen Juristentag proklamierte Akademie für Deutsches Recht war die zentrale Institution der nationalsozialistischen »Rechtserneuerung«. Unter der Präsidentschaft des »alten Kämpfers« und Gründers des nationalsozialistischen Juristenverbandes, Hans Frank, verfolgte sie die »Erneuerung des Rechts im Sinne der nationalsozialistischen Weltanschauung nach den Grundsätzen strengster wissenschaftlicher Methoden« und verstand sich bewusst als Verbindungsstelle zur politischen Exekutive und zur Wirtschaft.270 In Fachausschüssen organisiert, bot sie vor allem in den 1930er Jahren in der Form von Tagungen und durch eine lebhafte Publikationstätigkeit ein neues wissenschaftsförmiges Forum der Expertendiskussion und der nationalsozialistischen Rechtsreform. Die Zusammensetzung des Ende 1934 auf Betreiben der Reichsjugendführung eingerichteten »Ausschusses für Jugendrecht« ist exemplarisch für diese institutionalisierte Schnittstelle von Politik und Rechtswissenschaft, in der sich neben der akademischen Jurisprudenz, Ministerialbürokratie und Praktikern aus der Rechtspflege auch Protagonisten aus den Parteiverbänden und weiteren nationalsozialistischen Organisationen versammelten: Außer zahlreichen Funktionären der Hitler-Jugend – neben ihren »Rechtsreferenten« war der Disziplinarpolitiker Walter Tetzlaff kontinuierlich präsent – gehörten die Lehrstuhlinhaber Rudolf Sieverts und Friedrich Schaffstein wie der Staatssekretär im Justizministerium, Roland Freisler, zu

267 Wolff, Hitlerjugend, S. 648. 268 Vgl. ebd., sowie Huvalé. 269 Vgl. Klemer, Jugendrecht; sowie Dietze, Kieler Beispiel. Als »Gemeinschaftsarbeit« im Kieler Seminar entstand etwa das Plädoyer für die Arreststrafe Schaffstein, Strafe und Erziehung. Vgl. zur Rechtsarbeit der RJF auch Gauweiler, S. 105–112. 270 Protokoll der Gründungssitzung der Akademie für Deutsches Recht, in: Jahrbuch der Akademie für Deutsches Recht, Jg. 1, 1933/34, S. 7–9, S. 7; Frank, Grundsätze, S. XXIII; vgl. Lasch, S. 1574; sowie Pichinot. Eine neuere analytische Darstellung fehlt.

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den engagiertesten Mitgliedern.271 Die erste Sitzung des Ausschusses am 2. Dezember 1934 wurde von Frank und dem Reichsjugendführer eröffnet.272 Schirachs späterer Amtsnachfolger Artur Axmann, der zuvor das Arbeitsgebiet »Recht« (mit Ausnahme des Disziplinarrechtes) in der Reichsjugendführung verantwortet hatte, fungierte als »Verbindungsführer« zum Jugendverband und zeitweilig als Vorsitzender des Ausschusses.273 In diesem allgemeinen JugendAusschuss verständigte sich die Expertenrunde zunächst über die Grundlagen eines Jugendrechts, bevor die Diskussion ab 1936/37 in Unterausschüssen für das Arbeits-, Jugendpflege- und Jugendstrafrecht spezifischer weitergeführt wurde und konkrete Vorlagen erarbeitete.274 Der rechtspolitische Austausch zu den Themenbereichen des Jugendrechts – Jugendkriminalität, Straf- und Fürsorgerecht sowie Rechtsschulung – fand breiten Niederschlag in zahlreichen Einzelpublikationen, vertiefenden Sonderveröffentlichungen und in Fach- und Verbandszeitschriften. Während Mitarbeiter der Hitler-Jugend-Gerichtsbarkeit wie Tetzlaff etwa in der Verbandszeitschrift für Rechtsreferendare über das Disziplinarrecht des Jugendverbandes schrieben, stand das sozialpolitische, vom Reichsausschuss der Deutschen Jugendverbände für die Reichsjugendführung usurpierte Organ »Das junge Deutschland« umgekehrt externen Fachautoren offen, meist Juristen aus Rechtspflege und Fürsorgewesen, Wissenschaft oder Ministerialbürokratie. Roland Freisler gehörte regelmäßig zu den Autoren. Gemeinsame Publikationsformate intensivierten noch die Zusammenarbeit. Mit namhaften Herausgebern aus dem Ausschuss für Jugendrecht der Akademie arbeitete die Reichsjugendführung an der wissenschaftlichen Reihe »Schriften zum Jugendrecht«, in der u. a. Monografien von Hitler-Jugend-Funktionären zur »Jugenddienstpflicht«, zum Disziplinarwesen und zum Kriegseinsatz der Hitler-Jugend erschienen.275 Als die Akademie Anfang der 1940er Jahre an Bedeutung verlor, entstand 1941 mit der Fachzeitschrift »Deutsches Jugendrecht. Beiträge für die Praxis und Neugestaltung des Jugendrechts« eine enge publizistische Kooperation mit dem Justizministerium. Dieses neue »Lenkungs- und Anspracheorgan« für Praktiker des Jugendrechts gab zunächst Freisler unter maßgeblicher Mitarbeit des Hitler-JugendVerbindungsführers im Ministerium, Heinz Kümmerlein, heraus, bevor 1943 271 Vgl. Kurzbiografien der Mitglieder, in: Schubert, Bd. 11, S. XV–XXI. 272 Protokoll, 2.12.1934, in: Schubert, Bd. 11, S. 1–3. 273 Verbindungsführer der RJF zu Reichsministerien, Reichsleitungen der NSDAP und Nebengliederungen, Reichsspitzenbehörden usw. Stand vom 20.3.1936, RB 13 I, 3.4.1936, S. 257– 260; vgl. Heußler, S. 57. Axmann leitete das »Soziale Amt« in der RJF, zu dessen Aufgaben die »Rechtsarbeit« gehörte. 274 Vgl. zu Positionen und Entwicklung der Reformdiskussion Dörner, Erziehung, S. 165–171. 275 Als Herausgeber zeichneten Wolfgang Siebert, Friedrich Schaffstein und Franz Wieacker; in der Reihe erschienen 1941 Siebert, Grundzüge; Brieger; Klemer, Jugendstrafrecht; 1943 Baaden; 1944 Bartel; Tetzlaff, Disziplinarrecht.

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mit Thierack und Axmann Justizminister und Reichsjugendführer persönlich die Herausgeberschaft der »amtlichen Schriftenreihe« übernahmen.276 Ein nicht nur vom Erwachsenenrecht separiertes, sondern umfassendes »Jugendrecht« als eigene Rechtsdisziplin einzurichten, erschien den Rechtspolitikern der Hitler-Jugend besonders attraktiv. Sie nahmen damit die Forderung der Jugendgerichtsbewegung nach einem gemeinsamen Erziehungsrecht auf. Gemäß ihrem »Totalitätsanspruch« plädierte die Jugendführung für die Schaffung eines allgemeinen »Rechts der Jugend«, das der grundlegenden Bedeutung der Jugend als Teil der »Volksgemeinschaft« angemessen sei. Den politischen Hintergrund dieses »nationalsozialistischen Jugendrechts«, das neben den bestehenden Bereichen von Jugendstraf- und Jugendpflegerecht auch ein Jugendarbeitsrecht umfassen sollte, explizierte Schirach 1939 als klare, dem Führerprinzip verpflichtete Gemeinschaftsorientierung: »Nicht der einzelne jugendliche Mensch, sondern die aktive junge Gemeinschaft ist Gegenstand und Zielpunkt des Jugendrechts. Was wir unter Jugendrecht verstanden wissen wollen, ist nicht ein dichtes Netz wesensverschiedener Rechtsbestimmungen, das die Jugend von der Geburt bis zur Volljährigkeit überzieht, sondern ist die gestaltete Ordnung jener Periode, in der die Jugend einheitlich unter einem klaren Gesetz der Führung und Erziehung steht.«277

Vor dem Hintergrund dieses »zu schaffenden Rechts«, für das noch 1942 beständig Material gesammelt wurde,278 sind die ausführlichen Fachstudien zum Jugendrecht oft durch ihre perspektivische Anlage gekennzeichnet. Über die Auseinandersetzung mit dem status quo und der stereotypen Rechtsgeschichte hinaus zielten sie auf das »kommende« oder »künftige« Recht und verraten insofern die utopische Orientierung eines dauerhaften nationalsozialistischen Rechtes, zu dessen »Ausgestaltung« sie beitragen wollten. So verstand sich Tetzlaffs Gesamtdarstellung des Disziplinarrechts der Hitler-Jugend 1944 als Überblick und Arbeitsgrundlage »dieses neuen Zweiges des deutschen Jugendrechts«.279 Die Propagierung einer selbständigen Rechtsdisziplin Jugendrecht geschah unter Bezugnahme auf gemeinschaftsrechtliche Ordnungsbegriffe.280 Die Berufung auf die politische Ordnungsidee diente auch der rhetorischen Abgrenzung von den in der Weimarer Zeit kodifizierten Jugendrechten, die als »schwächliche Wohlfahrts- und Schutzvorschriften« diffamiert wurden.281 276 Thierack, Geleitwort, S. 4. Zur Einrichtung der Zeitschrift, die ab 1944 als »amtliche Schriftenreihe« geführt wurde, vgl. BA Berlin, R 3001/alt R 22/2952. 277 Schirach, Die Jugend und ihr Recht, S. 331 [Hervorhebungen im Original]. 278 RB 4/II, 29.1.1937, erneut in: VHB, Bd. III, S. 2793. 279 Tetzlaff, Disziplinarrecht, S. 9. Zur »HJ in der künftigen Strafrechtspflege« Klemer, Jugendstrafrecht, S. 45–100; Schilf. 280 Neeße, Leitsätze, S. 9. 281 Dietze, Jugend und Staat, S. 65.

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Die Bemühung um ein einheitliches, kompaktes Jugendrecht spiegelt in zahlreichen Sammlungen der geltenden Einzelvorschriften im Sinne eines ›Jugendgesetzbuches‹ ein starkes Bedürfnis nach pragmatischer Orientierung in diesem Rechtsbereich.282 Unter dem Stichwort »Jugendverfassungsrecht«, dessen Grundzüge etwa Gottfried Neeße 1936 auf dem Deutschen Juristentag vorstellte, zeigte sich zudem ein grundlegendes juristisches Gestaltungsbedürfnis. Zusätzlich zu den drei Bereichen Jugendpflege-, Jugendstrafrecht und den – 1938 umgesetzten – Regelungen zum Jugendarbeitsrecht283 zählte Neeße hierzu auch das »Gesetz über die Hitler-Jugend«, das als »Grundgesetz des neuen Jugendrechts« verfassungsrechtlich aufgewertet wurde.284 In Wolfgang Sieberts Skizze eines Jugendrechtes, das 1941 programmatisch die Schriftenreihe zum Jugendrecht eröffnete, gehörten auch das Disziplinarinstrumentarium der Hitler-Jugend und die »Jugenddienstpflicht« zu diesem von der nationalsozialistischen Organisationsgesetzgebung bestimmten Verfassungsrecht.285 Doch wurde nicht nur das »Jugendgemeinschaftsleben« der Hitler-Jugend als »Kern« des nationalsozialistischen Jugendrechtes bestimmt286 und die Einflussnahme der Jugendführung gesichert. Umgekehrt profitierte auch das Disziplinarrecht von dem gemeinsamen jugendrechtlichen Diskurs, der die Ausbildung disziplinarrechtlicher Organe und Formen als ständige Expertise des nationalsozialistisch ›reformierten‹ Jugendrechts begleitete. Besonders markant zeigt sich die enge Verschränkung in der parallelen Einführung von »Zuchtmitteln« 1940 im Jugendstrafrecht und im Disziplinarrecht der Hitler-Jugend. Zum Ausbau des eigenen Rechtsinstrumentariums und damit zur Sicherung ihres unmittelbaren Ordnungsanspruches konnte die Hitler-Jugend mit der Jugendrechtsdiskussion langfristig einen politisierten und zugleich traditionsreichen Rechtsdiskurs nutzen, der mit der leitenden Legitimationsfigur einer »jugendgemäßen« Behandlung zugleich das Generalargument für die eigene Zuständigkeit lieferte.

282 Vgl. die Kompilation der RJF mit prominenter Platzierung des Disziplinarrechts Kaufmann/Burmann, Gruppe 1, S. 29ff.; sowie des Deutschen Instituts für Jugendhilfe Webler, Deutsches Jugendrecht; ders., Deutsches Jugendrecht nach dem Stande vom 1. Juli 1941; umfasst die Bereiche Verfassungs- und Verwaltungsrecht, Wohlfahrtsrecht, Arbeitsrecht, Strafrecht, Öffentliches Unterhaltsrecht und Verfahrensrecht. 283 Unter aktiver Mitarbeit der Hitler-Jugend wurden fortschrittliche Urlaubs- und Arbeitszeitregelungen für Jugendliche erlassen, jedoch in die autoritäre Arbeitsverfassung und die Zugriffe des Staates eingebettet, so wurde die Urlaubszeit z. B. auf 18 Pflichttage im Jahr erhöht, wenn der Jugendliche davon mindestens zehn auf eine Fahrt der Hitler-Jugend verwendete. Vgl. die von der »Deutschen Informationsstelle« in der Reihe »Das Deutschland der Gegenwart« hg. Broschüre Kempe, S. 19; Regelungen in VHB, Bd. III, S. 2837–2899. 284 Neeße, Jugendverfassungsrecht. 285 Siebert, Grundzüge, S. 36ff. 286 Freisler, Jugend und Recht, S. 9.

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Von der konzertierten Arbeit am Jugendrecht profitierte der Jugendverband schließlich auch mittelbar. Um die politische Durchdringung des Rechtswesens zu gewährleisten, forderte die »Rechtserneuerung« mit dem Schlagwort der »Juristenreform«287 einen Generationenwechsel in der Justiz. Als ideales Personal dieses politisierten Rechts galten die bereits im Nationalsozialismus ausgebildeten jungen Juristen. Ihre Ausbildungsordnung schloss neben der fachlichen Qualifikation auch die »Erziehung der nationalsozialistischen Persönlichkeit« ein.288 Nach eigener Einschätzung »aus heißem Herzen, aber mit festem Willen und klaren Gedanken« motiviert,289 eigneten sich diese jungen, erprobten Spezialisten für eine im nationalsozialistischen Verständnis jugendgemäße Rechtspflege. Für die alte Forderung der Jugendgerichtsbewegung nach einer einheitlichen Behandlung von Jugendsachen in der Hand eines universalen, pädagogisch begabten Jugendrichters empfahlen sich die Theoretiker und Praktiker der Hitler-Jugend als ideale Fachleute. Ihre politische Erfahrung wurde nun als ›pädagogische‹ Kompetenz für das Amt eines Jugendrichters oder -staatsanwalts gewertet. Über die oft langjährige Praxis in der ›Jugendarbeit‹ als Führer von Einheiten oder in der Verwaltung des Verbandes hinaus, brachten gerade junge Juristen eine besondere Qualifikation ein. Denn in der Rechts- oder Disziplinarbeit des Verbandes praktizierten sie im Rahmen einer ehren- oder hauptamtlichen Tätigkeit politisches Recht. Als Hitler-JugendRichter wurden examinierte Juraabsolventen eingesetzt, die ihre akademische Fachausbildung begleitend zum juristischen Vorbereitungsdienst in den Dienst der politischen Aufgabe stellten. Für Schirach war ein solcher, doppelt geschulter Jugendjurist der »ideale Jugendrichter« im allgemeinen Jugendstrafrecht.290 Auch Schaffstein begrüßte 1939, dass Jugendrichter und Erzieher in der Fürsorgeerziehung und im Jugendgefängnis sich zunehmend aus den Rechtsreferenten der Hitler-Jugend rekrutierten.291 Ein Indiz für die Attraktivität einer solchen rechtspolitischen Karriere bieten die Dissertationen unter der Vielzahl von jugendjuristischen Studien, die aktive Hitler-Jugend-Funktionäre verfassten. Zahlreiche im Bereich des Jugendrechts,292 an der Schnittstelle von Organisations- und Verfassungsrecht,293 zur Kriminalitätspolitik 294 oder zum

287 »Nicht Justizreform, sondern Juristenreform«, Formel geprägt von Freisler, vgl. Schmitt, Staat, Bewegung, Volk, S. 44; dazu auch Müller, Recht, S. 72. 288 Willig, S. 34. 289 E. R., Jugend und Recht, Titel. 290 Schirach, Jugend vor dem Richter. Referat im Ausschuss für Jugendrecht der ADR, 13.3.1939, in: Schubert, Bd. 11, S. 160–166, S. 162 (auch in: DJD, Jg. 33, 1939, H. 4, S. 153–160). 291 Vgl. Götte, S. 77. 292 Schilf. 293 Heußler; Wehner. 294 Gauhl.

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Disziplinarrecht295 entstandene Qualifikationsarbeiten bezeugen eine besonders enge Verbindung von organisationsbezogener Erörterung und fachwissenschaftlicher Qualifikation. Einer der profiliertesten Verbandsakteure war der Gerichtsreferendar Gerhard Klemer, der als Rechtsreferent des HJ-Gebietes Berlin und zugleich in der Rechtsdienststelle der Reichsjugendführung maßgeblich an der praktischen Rechts- und Disziplinarpolitik der Kriegszeit beteiligt war. Seine 1941 in Berlin eingereichte Dissertation zur Rechts- und Disziplinararbeit der Hitler-Jugend, ebenfalls in der Reihe »Schriften zum Jugendrecht« erschienen, ist zugleich eine Quelle der Rechtspolitik des Verbandes wie seiner Planungen.296 Über die individuelle Karrierestrategie hinaus belegen die Doktorarbeiten eine hohe Attraktivität dieser breiten Anschlussstelle zwischen politischer Funktion und dem politisierten rechtswissenschaftlichen Diskurs.

2.3.1 Nationalsozialistisches Jugendstrafrecht als negatives »Ehrenrecht« Das Jugendstrafrecht wurde als »negatives« Element des zu schaffenden »Jugendehrenrechts« begriffen.297 Friedrich Schaffstein, 1937 Vorsitzender des Jugendrechtsausschusses der Akademie, plädierte im Sinne eines »Ehrenrechtes« für ein autoritäres, auf die Gemeinschaftswirkung zielendes Jugendstrafrecht. Auch die Jugendstrafen sollten ein völkisches »Unwerturteil« ausdrücken, dessen Skala bis zur »völligen Ausstoßung des Entarteten« reichte. Das Problem der Rechtsprechung während der Weimarer Zeit, führte er aus, habe nicht in der Leugnung der Existenz Unerziehbarer gelegen, sondern »in der Frage der Feststellung der Erziehbarkeit und Unerziehbarkeit«.298 Schaffsteins Argumentation mit dem disziplinierenden Effekt der Generalprävention wurde für die HitlerJugend-Führer unmittelbar in ihre Zeitschriften übersetzt.299 Unter der Leitlinie »Erziehung und Auslese der Leistungsfähigen« wurde die Differenzierung zur zentralen Aufgabe von Strafrecht und Strafvollzug.300 In der Reformdiskussion begannen 1936 – nach der Entscheidung der Amtlichen Strafrechtskommission, ein eigenständiges Jugendstrafrecht beizubehalten und nicht in das allgemeine Strafrecht wiedereinzugliedern – inhaltliche 295 Ruckdäschel. 296 Klemer, Jugendstrafrecht, S. 112. 297 Forderung von Freisler, aufgegriffen u. a. bei Neeße, Leitsätze, S. 93, und Klemer, Jugendstrafrecht, S. 10; als singuläre Gegenposition die von Ludwig Clostermann betreute Dissertation Rhamm, S. 11. 298 Schaffstein, Bedeutung des Erziehungsgedankens, Zitate S. 285f. u. 283. 299 Vgl. Picker, Ehre, S. 45. 300 Zitat A[lbert]. M[üller], Werdendes Jugendrecht, S. 30. Vgl. auch Freisler, Jugend und Strafrecht.

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Grundsatzdiskussionen zur Planung einer umfassenden Erneuerung des Jugendstrafrechts und zur Vereinheitlichung des Vollzugs. Die Reform war eine »von der Absicht enger politischer Anbindung getragene, eigentümliche Mischung aus moderner Kriminalpolitik mit einer Verstärkung des Erziehungsgedankens aus nationalsozialistischer Perspektive, der Beeinflussung der Gerichtsbarkeit durch die NSDAP und Aussonderung sowie Vernichtung«, wie der Rechtshistoriker Jörg Wolff formuliert.301 Zwischen 1939 und 1943 wurde das neue Jugendstrafrecht in zentralen Teilen in Form von Einzelverfügungen implementiert, bevor 1943 das »Reichsjugendgerichtsgesetz« als Vereinheitlichung der immer unübersichtlicher werdenden strafrechtlichen Vorschriften erlassen wurde. Es trat 1944 in Kraft.302 Als juristisches Teilstück in der »Gesamtordnung der deutschen Jugenderziehung« basierte diese erheblich veränderte Neufassung des Jugendgerichtsgesetzes von 1923 auf dem Gedanken der Auslese, der den »unbegrenzten Erziehungsoptimismus der Systemzeit« begrenze.303 Das Reichsjugendgerichtsgesetz erweiterte dazu den Katalog der jugendstrafrechtlichen Reaktionen durch die Mischform der »Zuchtmittel«, die als neue Kategorie von Rechtsfolgen in ihrer Wirkung zwischen Erziehungsmaßregeln und Strafe eingeordnet wurden.304 Sie verschoben die Programmformel des Jugendrechts, »Erziehung statt Strafe«, zum Konzept einer »Erziehung durch Strafe«.305 Erziehung wurde nicht mehr vorrangig als Strafersatz begriffen, sondern wurde nun durch Strafe definiert.306 Als Rechtsorientierung wurde der Erziehungsbegriff zwar beibehalten, aber auf eine charakteristische Weise entgrenzt.307 Mit der Vorstellung einer vererbten unterschiedlichen Wertigkeit der Menschen und »Rasse« als neuem erziehungswissenschaftlichen Grundbegriff hatte der Einzug des Rassismus in das pädagogische Denken nach 1933 die Grundlagen der Pädagogik verändert. Erziehung könne nur die in den Erbanlagen festgelegten Eigenschaften zur Entfaltung bringen. Auf »Zucht und Auslese« gerichtet,308 mit als notwendig anerkannter »Strenge und Gerechtigkeit« durchgeführt, stand die »Erziehung« im Dienste völkischer Pflicht. Nicht mehr das Kind oder der Jugendliche hatte einen Erziehungsanspruch, den der Staat rechtlich garantieren sollte, sondern »das Volk hat ein Anrecht auf die Erzie301 Wolff, Entwicklung, S. 129; auch ders., Hitlerjugend, S. 648. Zum NS-Jugendstrafrecht auch Dörner, Erziehung, S. 171–195; sowie Götte, S. 109–117. 302 Kümmerlein, Reichsjugendgerichtsgesetz; erlassen als Verordnung über die Vereinfachung und Vereinheitlichung des Jugendstrafrechts ( Jugendstrafrechtsverordnung), 6.11.1943 (RJGG), RGBl. 1943, Teil I, S. 635–650. 303 Thierack, Dem neuen Jugendstrafrecht zum Geleit, S. 11f. 304 RJGG § 7; vgl. mit weiteren Regelungen Wolff, Entwicklung, S. 140. 305 Vgl. exemplarisch Klemer, Jugendstrafrecht, S. 12–15. 306 Rössner, S. 19ff.; sowie Dörner, Erziehung; Kebbedies, S. 119. 307 Vgl. Dudek, Grenzen, S. 186–195. Zur Ausweitung des Begriffes vgl. auch Ehrhardt, S. 64f. 308 Neeße, Erneuerung des Jugendstrafrechts.

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hung seiner Jugend«.309 Dem nationalsozialistischen Rechtsdenken gemäß von Grundpflichten anstatt von Grundrechten ausgehend, wurde auch das Erziehungsrecht der Eltern als »Erfüllung einer völkischen Pflicht« vom politischen Erziehungsziel eingeschränkt.310 Die Orientierung am Wohl des Kindes und seiner individuellen Persönlichkeitsentwicklung wich den Forderungen der »Volksgemeinschaft«, wie 1939/40 gesetzeskräftig formuliert wurde: »Die Erziehung der Jugend ist Erziehung zur deutschen Volksgemeinschaft. Ziel der Erziehung ist der körperlich und seelisch gesunde, sittlich gefestigte, geistig entwickelte, beruflich tüchtige deutsche Mensch, der rassebewußt in Blut und Boden wurzelt und, getragen von den lebendigen Kräften des Christentums, Volk und Staat verpflichtet und verbunden ist. Jedes deutsche Kind soll in diesem Sinne zu einem verantwortungsbewußten Glied der deutschen Volksgemeinschaft erzogen werden.«311

Dieses gewandelte, jetzt politisch definierte »Erziehungsziel« reduzierte die Entwicklung auf den politischen Assimilationsvorgang der »Eingliederung des Nachwuchses in die Gemeinschaft und Volksordnungen«.312 Mit dem Begriff der Erziehung wurde das Leitmotiv der Jugendgerichtsbewegung zwar beibehalten, doch im Konzept entgrenzt. Außerdem wurde der Geltungsbereich des Jugendrechts neu definiert und rassistisch nach dem »Volkstumsprinzip« begrenzt. Das Reichsjugendgerichtsgesetz galt ausschließlich für »arische« Deutsche und wurde auf »Angehörige anderen Volkstums« nur angewendet, wenn nichts anderes bestimmt wurde.313 Auch das Vorzeigeprojekt des »Jugendarbeitsrechtes« schloss selbstverständlich jüdische und polnische Jugendliche aus.314 Das Reichsjugendgerichtsgesetz weichte auch die Altersgrenzen der Strafmündigkeit, für die das Jugendgerichtsgesetz eine Schutzgrenze von vierzehn Jahren definiert hatte, auf. Wenn »der Schutz des Volkes wegen der Schwere der Verfehlung eine strafrechtliche Ahndung fordert«, wurden nun auch zwölfjäh309 Klemer, Jugendstrafrecht, S. 14 u. 16. 310 Dietze, Wer besitzt ein Recht, S. 237. Zur Entziehung des Sorgerechtes, »wenn die elterliche Erziehung nicht der nationalsozialistischen Weltanschauung entspricht«, Siebert, Bemerkungen; als »Gefährdung des geistigen Wohles des Kindes« wurden auch Verbote, an der HitlerJugend teilzunehmen, gerichtlich anerkannt; Dietze, Rechtsgestalt, S. 101. 311 Verordnungen über Jugendwohlfahrt in den sudetendeutschen Gebieten, 5.3.1939, im Gebiet der bisherigen Freien Stadt Danzig, 24.12.1939, und in der Ostmark, 20.3.1940, § 1, Abs. 1, in: Webler, Deutsches Jugendrecht nach dem Stande vom 1. Juli 1941, S. 90f., S. 90. 312 Ernst Krieck, Das Naturrecht der Körperschaften auf Erziehung und Bildung, Berlin 1930, zitiert nach Dietze, Rechtsgestalt, S. 189. 313 RJGG 1943, § 1, Abs. 2; Verordnung über die Strafrechtspflege gegen Polen und Juden in den eingegliederten Ostgebieten, 4.2.1941, RGBl. 1941, Teil I, S. 759–761. Vgl. Jureit, Erziehen, S. 19f., Dörner, Erziehung, S. 224f. Zur Bedeutung des tendenziell »rassisch« separierten Strafrechts Werle, S. 698–732, bes. S. 700f. 314 Jugendarbeitsrecht, in: VHB, Bd. IV, S. 2837–2899; Anordnung über die arbeitsrechtliche Behandlung polnischer Belegschaften, ebd., S. 2879, §§ 7, 17, 15; Verordnung über die Beschäftigung von Juden, 31.10.1941, RGBl. 1941, Teil I, S. 681, § 14.

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rige Täter bestraft.315 Sechzehnjährige verloren in Sonderverordnungen das Jugendstrafrechtsprivileg.316 Der Schutz der »Volksgemeinschaft« wurde über den individuellen Schutz des Kindes oder Jugendlichen gestellt. In der für den Nationalsozialismus typischen Doppelgleisigkeit sonderrechtlicher Verordnungen wurden die Jugendgesetze auf eine Kerngruppe jugendlicher »Volksgenossen« beschränkt. Fortan begründete nicht mehr die Altersgruppe allein und damit der individuelle Anspruch des Delinquenten eine pädagogisch motivierte Sonderposition im Recht, sondern seine Rolle gegenüber der Gemeinschaft. Die »besondere Eigenart des Jugendlichen«, der ein separates Jugendrecht Rechnung tragen sollte, bezog sich nicht mehr allein auf die persönliche Entwicklung des Jugendlichen, sondern zugleich auf die politische. Auch diese entgrenzte Vorstellung von Erziehung wurde rhetorisch als Ordnungsbegriff gegen das vermeintliche »Erziehungschaos« gesetzt.317 Trotz der aktivistischen Bemühungen der Reichsjugendführung, ein »kommendes« eigenständiges Jugendrecht voranzutreiben und auszugestalten, bewegte das nationalsozialistische Jugendrecht sich auf der Basis des gemeinschaftsrechtlichen Denkens im Rahmen der allgemeinen Rechtsentwicklung. Es wurde als Recht der »erziehbaren« und »erziehungswürdigen« Jugendlichen realisiert.

315 RJGG 1943, § 3, Abs. 1; vgl. JGG 1923, §§ 2, 3, 45. Zur vorausgehenden Diskussion um Grenzen und Kriterien der Strafmündigkeit Wolff, Entwicklung, S. 136ff. 316 Verordnung zum Schutz gegen jugendliche Schwerverbrecher, 4.10.1939, RGBl. 1939, Teil I, S. 2000, § 1, ermöglichte die Verurteilung 16-Jähriger nach Erwachsenenstrafrecht zu nahezu allen Rechtsfolgen einschließlich der Todesstrafe; zwei Verordnungen »über die unbestimmte Verurteilung Jugendlicher« sahen Gefängnisstrafen von unbestimmter Dauer aufgrund der in der Straftat »zutage getretenen schädlichen Neigungen des Jugendlichen« vor; 20.9.1941, RGBl. 1941, Teil I, S. 567, § 1; 6.1.1942, RGBl. 1942, Teil I, S. 18, § 1. 317 Vgl. etwa Neeße, Zusammenarbeit, S. 227.

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3 Die Hitler-Jugend in der völkischen Ordnung – Zwischenergebnis Die Hitler-Jugend fungierte nach 1933 als Nachwuchsorganisation der gesamten nationalsozialistischen »Bewegung« und damit als Mittel zu einer dauerhaften, nachwachsenden gesellschaftlichen Transformation. Der Wert der »Jugendlichkeit« wurde mit der Bewegung, ihren Zielen und ihrer Dynamik identifiziert. Dem Verband wurde eine doppelte Funktion als Repräsentant nationalsozialistischer Gegenwart wie als politische Ressource für die Zukunft der Gesellschaft zugeschrieben. Als »Jugendordnung« der »Volksgemeinschaft« bildete der Verband damit einen Teil der »fiktiven Welt« (H. Arendt) der totalitären Massenorganisationen, der ihren Gesetzen der Identifikation unterlag. Am Jugendverband wurde die für die Figur der »Volksgemeinschaft« charakteristische Verknüpfung entwickelt: Die doppelte Dimension, eine gegenwärtige Praxis ebenso zu beschreiben wie eine utopische Zielvorstellung zugleich normativ vorzugeben, produzierte eine spannungsreiche Dynamik. Im Begriff und der Vorstellung von Ordnung sind diese beiden Komponenten ebenfalls angelegt. Auch der Rechtsbegriff der »konkreten Ordnung«, wie ihn Carl Schmitt gleichermaßen als Ableitung wie zur Legitimation der »Volksgemeinschaft« entworfen hat, vereint die Dimensionen von Norm und Wirklichkeit. In ihm lässt sich eine grundsätzliche Aufwertung disziplinarischen Rechts auf der Basis des Gemeinschaftsdenkens erkennen, die den politisierten rechtswissenschaftlichen Diskurs im Nationalsozialismus kennzeichnete und in den Sozialordnungen praktisch umgesetzt wurde. Trat die nationalsozialistische »Rechtserneuerung« an, mit dem ›normativistischen‹ Rechtsdenken auch seine vermeintlich lebensfernen Begriffe zu überwinden, versprach das Gemeinschaftsrecht und insbesondere das Disziplinarrecht, nicht nur durch spezifische Rechts- und Gemeinschaftsformen klare Ordnungen einzuführen, sondern die Mitglieder zugleich für sie schulen. Das Disziplinar- und Ehrenrecht bot sich aufgrund des Gemeinschaftsbezuges, der verfahrensrechtlichen Flexibilität wie der subtilen Wirkung als Modell einer »erneuerten«, weltanschaulich gebundenen Rechtspraxis an. Der Rückgriff auf die irrationale Rechtskategorie der Ehre dokumentiert auch die Aufnahme politischer Termini in die rechtswissenschaftliche Diskussion. Außer der politischen Aufwertung des vormodernen Disziplinar- und Ehrenrechtes in der »Rechtserneuerung« und der Gemeinschaftsorientierung ist für das Recht der Hitler-Jugend ebenso die moderne Tradition eines separaten Jugendrechtes relevant. Mit dem Anspruch auf eine rechtssystematische Selbständigkeit unter Bezug auf den modernen Jugendbegriff übernahmen die Rechts- und Disziplinarpolitiker auch den zentralen Begriff der »Erziehung« zur Kennzeichnung und Abgrenzung des eigenen Rechtsbereiches, der jedoch inhaltlich entgrenzt wurde. Außer dieser entscheidenden Veränderung der po89

litischen Semantik ist die Entwicklung des Jugendrechts im Nationalsozialismus bei einer relativen, rein formalen Kontinuität der geltenden Gesetze durch die grundsätzliche rassistische Begrenzung ihres Geltungsbereiches gekennzeichnet. Zur Veränderung der institutionellen Rahmenbedingungen des Jugendrechtes gehörte die Herausbildung von Disziplinarorganen und Disziplinarrechten mit staatlichem Anspruch, wie sie die Reichsjugendführung betrieb.

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Teil II Auf bau und Praxis des Disziplinarsystems der Hitler-Jugend

Die Bewegung großer Menschenmassen – sie zur Mitarbeit zu mobilisieren, ihr Interesse langfristig zu erhalten und ihren beständigen Einsatz zu organisieren –, erfordert einerseits eine flexible Ordnungssetzung, andererseits die verbindliche Durchsetzung dieser Ordnung gegenüber den Mitgliedern. Um diese Aufgaben zu erfüllen, entwickelte die Hitler-Jugend ein eigenes Disziplinarsystem, das sie über den gesamten Herrschaftszeitraum des Nationalsozialismus systematisch ausbaute. Es umfasste Techniken der dokumentierenden Erfassung, der Überwachung und der Strafe des Ausschlusses. Der Ausschluss bildet die zentrale Figur des Ordnungsprozesses, in der sich das paradoxe Konzept der ein- und ausschließenden »Volksgemeinschaft« abbildet.

1 Disziplinartechniken 1.1 Vereinsrechtliche Regelungen – zur »Kampfzeit« der »Bewegung« Die spätere »Hitler-Jugend« entstammt den verschiedenen Ansätzen, in den 1920er Jahren eine Jugendorganisation der NSDAP aufzubauen. Die Parteigeschichte beruft sich auf die Gründung einer Jugendabteilung 1922, die nach dem Parteiverbot als »Großdeutsche Jugendbewegung« weitergeführt wurde.1 Auf dem zweiten Reichsparteitag der NSDAP am 3. und 4. Juli 1926 wurde sie gemeinsam mit der Partei in Weimar erneut gegründet. Mitte der 1920er Jahre erhielt sie den Namen »Hitler-Jugend«, unter dem sie 1929 ins Vereinsregister eingetragen wurde. Seit Sommer 1927 bestanden auch regionale »Schwestern1 Daten der Geschichte der »Hitler-Jugend«. Zusammengestellt im Hauptarchiv der NSDAP, Abteilung Jugendbewegung. Bearbeiter: R. Apel, 1.5.1937; Satzungen des Jugendbundes der Nat.-Soz. Deutschen Arbeiter-Partei, März 1922, BA Berlin, NS 28/82. Nicht zuletzt aufgrund der widersprüchlichen Selbstdarstellungen ist die Frühgeschichte der Hitler-Jugend nicht vollständig klar. Vgl. etwa Schirach, Hitler-Jugend, S. 20–37; Heußler, S. 3–6; Dietze, Rechtsgestalt, S. 117–123; sowie aus der Forschung die unveröffentlichte Dissertation Buddrus, Geschichte der Hitlerjugend.

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schaften der HJ«, die ab 1930 als »Bund deutscher Mädel in der Hitler-Jugend« organisiert und im Juli 1932 zur einzigen parteiamtlichen Mädchenorganisation erklärt wurden.2 In dieser »Bewegungsphase« gehörte die Hitler-Jugend organisatorisch zur paramilitärischen »Parteiarmee«, der »Sturmabteilung« der NSDAP (SA). Anstatt einer Jugendarbeit, beschränkten ihre Aktionen sich auf Agitation und Demonstrationen.3 Die zeitweiligen Verbote der NSDAP und ihrer paramilitärischen Organisationen – 1923 bis 1925 und April bis Juni 1932 – betrafen daher auch die Jugendorganisation und bedeuteten eine zeitweilige Untergrundarbeit, die im Propagandatopos des gemeinsamen »Kampfes« und »Schicksals« von Partei und Jugendverband überhöht wurde.4 Eine Reihe von Satzungen und Richtlinien bestimmten in dieser »Kampfzeit« vor allem das Verhältnis der Jugendorganisation zu NSDAP und SA. Sie enthielten zugleich zentrale Bestimmungen, in denen die Disziplinartechniken angelegt wurden. An prominenter Stelle regelten sie die Mitgliedschaft und ihr unfreiwilliges Ende. Bereits die ersten »Satzungen des Jugendbundes der NSDAP«, von Gustav Adolf Lenk 1922 unterzeichnet, fassten den Ausschluss von Mitgliedern verhältnismäßig differenziert: »Bei gröberen Verfehlungen der Mitglieder kann zeitweiliger oder ganzer Ausschluß aus dem Jugendbund, bei Führern auch Degradierung erfolgen. Ebenso kann der Ausschluß von Mitgliedern, die den Jugendbund in sittlich-moralischer Hinsicht gefährden und die das Ansehen des Jugendbundes herabwürdigen, ohne weiteres erfolgen.«5

Die »Richtlinien für das Verhältnis zwischen NSDAP und Hitler-Jugend e. V.« vom Dezember 1926, die den Verband als Parteijugend definierten, bestimmten, ein »Verlust« der Parteimitgliedschaft beende auch die Mitgliedschaft in der Hitler-Jugend.6 Zu diesem Zeitpunkt waren ältere Hitler-Jungen zugleich Parteimitglieder. Diese zentrale Verbindung des Entzugs der Mitgliedschaft wurde in der ersten »Satzung der Hitler-Jugend-Bewegung e. V.« von 1928 in die Formen Ablehnung, Austritt und Ausschluss differenziert. Ehrenrührige Handlungen, Zuwiderhandlung gegenüber den Vereinszwecken und ein den Verein schädigendes, »Anstoß« erregendes sittliches Verhalten führten unbedingt zum Ausschluss, weitere Anlässe – interne Auseinandersetzungen, Zahlungssäumnis des Mitgliedsbeitrages und »Interesselosigkeit« – konnten mit Entzug der Mit2 Zur Vorgeschichte des BDM vgl. Klaus, Mädchen im 3. Reich, S. 82–93, sowie Brandenburg, S. 51f.; zum für die Alleinzuständigkeit der Mädchenbetreuung entscheidenden Kompetenzstreit 1931/32 mit der NS-Frauenschaft vgl. Reese, Straff, aber nicht stramm, S. 42. 3 Klönne, Jugend, S. 18; zur SA Longerich, Die braunen Bataillone; zu ihren »Kampfdemonstrationen« als inszenierter Nationalsozialismus Balistier; sowie Reichardt. 4 Axmann, Hitlerjugend 1933–1943, S. 5. 5 BA Berlin, NS 28/82, § 6. 6 Richtlinien für das Verhältnis zwischen NSDAP und Hitler-Jugend e. V. Beschlossen zu Weimar am 5.12.26, BA Berlin, NS 28/81.

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gliedschaft sanktioniert werden. Diese Satzung, die auch den Ausschluss ganzer Ortsgruppen kannte, formulierte grundsätzliche Verfahrensregelungen.7 Die im Folgejahr verabschiedeten »Richtlinien zwischen Hitler-Jugend und Partei« und der SA als unmittelbar übergeordneter Organisation verknappten diese Regelungen wieder auf die entscheidende disziplinarische Konsequenz des wechselseitigen Verbots der Aufnahme eines aus ehrenrührigen Gründen ausgeschlossenen Mitglieds.8 Damit war die reziproke Einleitung eines »Ausschließungsverfahrens« verbunden. So wurde Arthur B. als »Spion und Spitzel« im Juni 1932 aufgrund der Meldung des Parteigerichts aus der Hitler-Jugend ausgeschlossen.9 Die zentrale Norm der gegenseitigen Nichtaufnahme ausgeschlossener Mitglieder charakterisiert auch die weiteren Organisationstexte der Hitler-Jugend vor 1933.10 Die Mitgliedschaft wurde in dieser Frühphase also entzogen, wenn gegen Satzung und Grundsätze verstoßen wurde, Auseinandersetzungen bestanden oder »ehrenrührige« bzw. »sittlich-moralische« Handlungen einen Prestigeverlust befürchten ließen. Mehrere Ausschlüsse aus dem Jahr 1931, die für den oberschwäbischen HJ-Bann Memmingen überliefert sind, dokumentieren den Hauptgrund der »Interesselosigkeit«. Der »Ortsgruppenführer« der HJ, Ingenieur Adolf Klotz, teilte den Betreffenden brieflich ihren Ausschluss mit, wenn sie längere Zeit weder Veranstaltungen besucht, noch Beiträge entrichtet hatten, und meldete sie an die SA. »Der Zutritt zur Partei ist Ihnen damit auf Lebenszeit gesperrt«, hieß es in diesen Briefen.11 Einzelne Meldungen Ausgeschlossener gingen auch in die spätere »Warnkartei« der Reichsjugendführung ein. Diese frühen »Warnungskarten« nennen jedoch keine Begründung.12 Die Jugendorganisation lehnte sich an das Regelwerk der NSDAP an. Durch die identische Ausschlussregelung dienten Hitler-Jugend und Partei einander wechselseitig als Vorauswahl von Mitgliedern. Die Übernahme der parteiamtlichen Verfahren erübrigte eigene Regelungen für die unselbständige Jugendabteilung. Während in der NSDAP zu diesem Zeitpunkt der Auf bau einer 7 Satzung der Hitler-Jugend-Bewegung e. V., Plauen, 27.11.1928, S. 3–5, BA Berlin, NSD 43/108. 8 Richtlinien zwischen Hitler-Jugend und Partei, Punkt 15; Richtlinien zwischen Hitler-Jugend und SA, Punkt 6; beide Dokumente: München, 23.4.1929, für die Reichsleitung der HJ, gez. Kurt Gruber; für die Reichsleitung der NSDAP, gez. V. Pfeffer, OSAF, BA Berlin, NS 28/81. 9 Vermerk »lt. Uschla«, BA Berlin, Warnkartei, Datensatz Nr. 218. 10 Richtlinien. Hitler-Jugend und Partei. Entwurf, datiert laut Vermerk »Sept.? 1932«, II 4, BA Berlin, NS 28/81. 11 Ausschlüsse von Christian S., Theodor N. und Martin K., Schreiben des Bannführers, Klotz, an die Ausgeschlossenen N. und K., 1.10.1931 und 8.11.1931, sowie an SA-Führer, Sturm 22, 8.11.1931, StA Augsburg, HJ-Bann Memmingen, Nr. 25. 12 Vgl. z. B. Ausschluss von Nikolaus B. aus Fürth, geb. 1887, am 4.5.1930, oder des Arztes Richard B. aus Erlangen, geb. 1890 in Duisburg, am 19.3.1929, BA Berlin, Warnkartei, Datensätze Nr. 206 u. 279.

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eigenen Gerichtsbarkeit in einem System von »Untersuchungs- und Schlichtungsausschüssen« (USchlAs) erfolgt war,13 stellte die Reichsleitung der HitlerJugend am 26. Februar 1932 ausdrücklich das Fehlen eigener entsprechender Organe fest. Es gab lediglich »Anordnungen des zuständigen Führers disziplinarer Art«, eine etwaige Beschwerde richtete sich an die jeweils vorgesetzte Dienststelle.14 In den »Richtlinien« der Reichsleitung der Hitler-Jugend aus dem Jahr 1930 waren mit »Karteiamt« und »Nachrichtendienst« zwei weitere Instanzen angelegt, die als Vorläufer der Disziplinartechniken gelten können. Die Karteiabteilung arbeitete als Bereich der internen Organisation auf der Grundlage einer Meldepflicht. Die Mitgliederverwaltung wurde hier in einen bürokratischen Akt übersetzt, auf dem die Karteisysteme des späteren Erfassungswesens aufbauten. Der »Nachrichtendienst« legte als Abteilung zur Beobachtung von Presse und Propaganda Materialsammlungen an und erstellte Berichte über »Jugendtagungen und Lager«. Ein Katalog von Fragen gliederte diese Meldungen, die jedes Mitglied als »ehrenamtlicher Reporter seiner Bewegung« zur Feindbeobachtung liefern sollte. Diese detektivische, primär nach außen gerichtete Observation wurde als »erstens eine außerordentlich scharfe Waffe, zweitens eine wesentliche Belastungsprobe der organisatorischen Fertigkeit, drittens ein gutes Erziehungs- und Schulungsmittel zu bewußtem Staatsbürgertum« definiert.15 Sie wurde ergänzt durch »Warnungen« vor ehemaligen oder vorgeblichen Mitgliedern, welche die Reichsleitung in ihren Verordnungsblättern meldete.16 Der aggressive Selbstschutz einer Organisation, die sich in kämpferischer Auseinandersetzung mit dem Staat und anderen politischen Verbänden sah, ist hier offensichtlich. Die Stilisierung dieses »politischen« Kampfes mit den romantischen und abenteuerlichen Mitteln von Spionage und Gegnerbeobachtung trug zum Selbstbewusstsein und zur Identifikation mit der Organisation bei. Die Erfahrung dieses »lebendigen Nationalsozialismus« als ›Vorkämpfer‹ rechtfertige selbst ein »übersteigerte[s] Selbstgefühl« der HitlerJugend bei der Machtübernahme, drohte Anfang 1934 ein Autor in der ehemaligen überbündischen, 1933 von der Reichsjugendführung übernommenen 13 Zwei separate Untersuchungskomitees aus der Satzung des »Deutschen Arbeitervereins e. V.«, 29.7.1921, § 6, Regelungen zum Ausschluss § 4, erlangten nach ihrer Vereinigung zum USchlA größere Bedeutung, Satzung vom 22.5.1926, § 7, in: Haidn/Fischer, S. 41ff.; Richtlinien für die Untersuchungs- und Schlichtungsausschüsse (USchlA), August 1929; Ausdehnung der Gültigkeit auf SA und SS in den Richtlinien vom 15.4.1931; vgl. Block, S. 7–19, 73–84 u. 97–101; McKale, Nazi Party Courts, Kap. 1–4. 14 Anordnung der Abteilung I der RL HJ, 3/50, Hitler-Jugend-Reichsleitung: Reichsrundschreiben 3/32, an die Reichsleitungen der NSDAP, SA, HJ, NSS, S. 2, BA Berlin, NS 28/81. 15 Die Hitler-Jugend, hg. v. der RL der HJ. Plauen 1930, S. 9 u. 16f., BA Berlin, NSD 43/109. 16 Bekanntgabe des Stabsleiters der RJF, VOBl. 1/I (1933), 22.1.1933, S. 1; weitere Warnungen durch Abt. II, VOBl. 68/I, 16.11.1933, S. 1.

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Zeitschrift »Das junge Deutschland«: »Wer uns kritisiert, nenne uns erst einmal seine Mitgliedsnummer.«17 In der retrospektiven Selbstdeutung der späteren Hitler-Jugend-Gerichtsbarkeit wie der Parteigerichtsbarkeit erscheint diese Periode als heroische Epoche einer darwinistisch-natürlichen Auslese durch den »Kampf«, der »die Spreu vom Weizen sonderte« und »diejenigen, die der Gemeinschaft und der nationalsozialistischen Idee untreu geworden waren, aus den Reihen der Bewegung ausscheiden ließ«.18 Beklagt wurde jedoch die Kontrolle durch das Zivilrecht. Weil »das Gesetz keine gemeinschaftlichen, sondern nur gesellschaftliche Ordnungen kannte«,19 werde die Organisation »in die Rechtsform eines e. V. gezwängt«.20 Eine praktische Konsequenz dieser Rechtssituation war der öffentliche Rechtsschutz gegen einen etwaigen Missbrauch der Parteigewalt. So konnten staatliche Gerichte die Rechtmäßigkeit der vereinsrechtlichen Ausschlüsse grundsätzlich nachprüfen, wenn ein ausgeschlossenes Mitglied Rechtsmittel einlegte.21 Mit der Machtübernahme änderte sich die Bedeutung der Jugendorganisation ebenso fundamental wie die Grundlage und der Zweck der Mitgliedschaft. Aus dem nationalsozialistischen Jugendbund wurde innerhalb kurzer Zeit der zentrale Jugendverband des Deutschen Reiches, seinem Selbstverständnis nach die »alles umfassende Volksjugend, die sämtliche anderen Jugendbünde überragt«, in der Größe einer »Millionenbewegung«.22 Aus den disziplinarrechtlichen Kernregelungen zur Mitgliedschaft, zur Karteierfassung und der Überwachung entwickelte sich sukzessive ein Disziplinarsystem nach bürokratisch-militärischem Muster mit eigenen Disziplinartexten und Organen.

1.2 Erfassen 1.2.1 Zielgruppe »deutsche Jugend« und rassenpolitische Entfernungen Ab 1933 bildete die Erfassung der Kinder und Jugendlichen in der zugleich staatlichen und Parteieigenen Organisation die Grundlage des disziplinarischen Zugriffs. Wie die anderen Parteiverbände definierte auch die Hitler-Jugend ihre 17 Staebe, S. 131. Vgl. Schirachs Erinnerungen an die »große Zeit«: »Wir sind nie glücklicher gewesen als damals, als wir in beständiger Gefahr lebten.« Schirach, Hitler-Jugend, S. 26. 18 John, S. 123; übereinstimmende Argumentation bei Tetzlaff, Disziplinarrecht, S. 11; u. für die NSDAP-Parteigerichte, in: Wesen und Aufgabe [der Parteigerichte], BA Berlin, Sammlung Schumacher, Nr. 380, S. 1. 19 Kaufmann, Das kommende Deutschland, 1943, S. 28. 20 Tetzlaff, Parteigerichtsbarkeit, S. 201. 21 Vgl. dazu grundsätzlich und zur heutigen Situation Kressel, S. 131, sowie Zimmermann. 22 Hitler-Jugend-Bewegung e. V., Amtliche Gliederungskarte.

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Zielgruppe nach dem Grundwert der »Rasse«, wurde doch die »im Blute begründete Gemeinschaft« als »die engste und damit dauerhafteste Ordnung« angesehen.23 Die Zielgruppe der »gesamten erbbiologisch wertvolle[n] deutsche[n] Jugend«24 begrenzte sich national und »rassisch« nach denselben Kriterien wie die Parteimitgliedschaft. Die deutsche Staatsangehörigkeit und der »Ariernachweis« bildeten auch für sämtliche Untergliederungen der Jugendorganisation seit Mitte der 1930er Jahre die Voraussetzung für den Beitritt und für die Übernahme einer Führerstellung. In einem »großen Abstammungsnachweis« mussten Mitglieder nachweisen, dass es in ihren Familien seit dem 1. Januar 1800 keine »Vorfahren farbigen oder jüdischen Blutes« gegeben habe.25 Ohne den Nachweis wurde die Mitgliedschaft durch Ausschluss oder Auf hebung beendet. Nichtigkeitserklärung und Ausschluss waren formal gleichbedeutend, aber die Differenzierung des Verfahrens zeigt die strafende Bedeutung für die Auszuschließenden, die ihre Herkunft wissentlich verschwiegen hatten: »Personen, die bis zum angegeben Zeitpunkt nicht frei von jüdischem oder farbigen Bluteinschlag sind, können der Hitler-Jugend nicht angehören und sind auszuschließen. Diejenigen, denen bei Eintritt in die Hitler-Jugend oder den Bund Deutscher Mädel ihre fremdstämmige Abstammung nicht bekannt war, die vielmehr erst durch die Beschaffung der Urkunden von ihrem fremden Bluteinschlag Kenntnis erhielten, sind nicht auszuschließen. Die bereits erfolgte Aufnahme wird durch das Personalamt der Reichsjugendführung für nichtig erklärt.«26

Bei verheirateten oder verlobten HJ-Führern erstreckte sich der Nachweis auch auf die »Ahnentafel« der Ehefrau oder Verlobten,27 während BDM-Führerinnen mit der Heirat in der Regel ihre Tätigkeit beendeten. Die Aufnahme von »Mischlingen« stand grundsätzlich »außer Diskussion«.28 Während die Organisationsstruktur des Jugendverbandes mit dem »Gebiet Ausland« auch auslandsdeutsche Kinder und Jugendliche einband,29 blieb Kin23 Dietze, Rechtsgestalt, S. 74. 24 Wehner, S. 23. 25 Verfügung des RJF, VOBl. IV/13, 12.6.1936, S. 151; Anweisung des Personalamtes, John, zur Aufnahme in die HJ, VOBl. IV/17, 31.7.1936, S. 199; DFVO des Personalamtes der RJF, John, und des Reichskassenverwalters der HJ, Berger, VOBl. IV/16, 17.7.1936, S. 191ff.; Ausbildungsanordnung für das Führerkorps der HJ, ANBl. VI/4, 18.2.1938, S. 61; Anordnung des Personalamtes der RJF zum Nachweis der arischen Abstammung für HJ-Angehörige im österreichischen und tschechoslowakischen Staatsgebiet, RB 11/II, 19.3.1937, S. 261; Anordnung des Verwaltungsamtes über die deutsche Staatsangehörigkeit von HJ-Mitgliedern, RB 30/III, 14.10.1938; auch in: VHB, Bd. II, S. 192. 26 Durchführungsbestimmungen, VOBl. IV/16, 17.7.1936, S. 191ff., S. 191. 27 Durchführungsbestimmungen, ebd., S. 193; Ausführungsbestimmungen der RJF über die Verlobungs- und Heiratsgenehmigungen für HJ-Führer, 18.1.1939, in: VHB, Bd. II, S. 789ff. 28 Anordnung des Personalamtes der RJF, John, VOBl. IV/17, 31.7.1936, S. 199. 29 Die Betreuung dieses nach Vorbild der NSDAP-PO übernommenen Arbeitsfeldes erfolgte im »Grenz- und Auslandsamt« der Reichsjugendführung.

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dern, die als Ausländer im Deutschen Reich lebten, die Mitgliedschaft verwehrt. Lediglich »Volksdeutsche mit fremder Staatsangehörigkeit« und »Angehörige befreundeter Nationen« durften als »Gäste« teilnehmen.30 Auch den als staatenlos geltenden ehemaligen Fremdenlegionären – die als Rückkehrer in diesem Alter freilich nur eine exotische Minderheit bilden konnten – blieb der Zugang ausdrücklich versagt.31 Die Reihe dieser rassistischen Aufnahmekriterien, die sich unter dem identifikatorischen Leitbegriff »Blut«32 subsumieren lassen, wurde vervollständigt durch die Forderung nach »Erbgesundheit«, wie er im »Gesetz zur Verhütung des erbkranken Nachwuchses« bereits zu Beginn der nationalsozialistischen Herrschaft gleichermaßen für psychische Erkrankungen wie soziale »Minderwertigkeit« definiert worden war.33 Hitler-Jungen mussten den Nachweis bei der Aufnahme durch ein »erbliches Zeugnis« erbringen.34 Demgegenüber versicherte sich die in der leichtathletischen »Pimpfen-« bzw. »Jungmädelprobe« als Teil des Aufnahmerituals nachzuweisende körperliche Belastbarkeit pragmatisch der Teilnahmefähigkeit der Kinder.35 Gehörgeschädigte, seh- oder körperbehinderte Kinder aus dem gesamten Reichsgebiet konnten nach der Musterung durch eigene Ärzte hingegen in spezielle »Reichsbanne« eingestuft und in diesen segregierten Abteilungen Mitglieder werden.36 Die Entfernung bereits aufgenommener Jugendlicher nach diesen Kriterien der »Rassen«-, Staats- und »Volkstums«-Angehörigkeit dokumentiert die überlieferte »Warnkartei« der Reichsjugendführung. Diese Karteieinträge, die den viertgrößten Teil aller »Warnfälle« bilden, dokumentieren nicht strafende Ausschlüsse in Folge von disziplinarrechtlichen Verfahren. Sie stehen vielmehr für die Durchsetzung des Ordnungsprozesses auf dem Verwaltungsweg durch verweigerte oder annullierte Mitgliedschaft.37 Wie auch gegenüber nichtdeutschen Staatsangehörigen – wie etwa dem bereits 1933 ausgeschlossenen, pol30 RB 21/II, 11.6.1937, S. 498; RB 29/II, 6.8.1937, S. 777. 31 Nicht veröffentlichte Verfügung des RJF, 13.7.1937, über Aufnahmeverbot und Ausscheiden bereits aufgenommener Fremdenlegionäre, in: VHB, Bd. II, S. 193; ähnlich für Freimaurer, VOBl. III/25, 1.2.1934, auch in: VHB, Bd. II, S. 1075; die Regelungen wurden offenbar direkt von NSDAP-Verfahren übernommen. 32 Als eines von zehn »Lebensgesetzen der Hitler-Jugend« ausgeführt bei Dietze, Rechtsgestalt, S. 75. 33 Gesetz zur Verhütung des erbkranken Nachwuchses, 14.7.1933, RGBl. 1933, Teil I, S. 529ff., § 1. Zur sozialen Diagnostik im Begriff »erbkrank« Bock, Zwangssterilisation, S. 301–326. 34 Helle u. a., S. 35. 35 Die Anforderungen der »Pimpfenprobe«, zu der auch die Kenntnis des Horst-Wessel- und des HJ-Fahnen-Liedes nachzuweisen war, vgl. ebd., S. 30. 36 VHB, Bd. I, S. 22; Organisationsplan der Hitler-Jugend 1936, BA Berlin NS 28/45. Der Bann G umfasste 1935 ca. 2 000 Mitglieder laut Angaben der eigenen Zeitschrift »Die Quelle«, zitiert bei Schruttke, S. 80f. Zur Aufnahme von schwerhörigen Jugendlichen in die HJ VOBl. IV/5, 10.2.1936, S. 24f. 37 Vgl. Tabellen 3, 10 u. 11.

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nischen Staatsangehörigen Roman L.38 – warnte die Kartei hier im ursprünglichen Sinn vor der Aufnahme der Betreffenden, wie Vermerke auf den Karten für ein Sechstel der »rassischen« Gründe belegen.39 So wurde 1938 der zehnjährigen Sonja B. aus Koblenz wegen ihrer »nichtar[ischen]. Abk[unft]« die »Aufnahme verweigert«, denn ihre Mutter sei »Javanerin«; die Warnkarten für die Schwestern Helga und Ingeborg K. aus Hannover begründen ihre Entfernung mit einer »negroide[n] Abstammung«, bei Käthi M. ist es der Vater, der als »farbiger Besatzungssoldat« sie für den BDM nicht akzeptabel machte.40 Die bereits erfolgte Aufnahme der Hausgehilfin Ruth G. wurde für »nichtig erklärt«, da ihr Vater Algerier sei; für einen anderen Fall eines nichtdeutschen Elternteils vermerkt eine andere Karte roh »Bastard«.41 Der in Teheran geborene Masud E. aus Erfurt wurde 1937 mit der – besonders widersinnigen – Begründung »Nichtarier, Iraner« entfernt.42 Diese Fälle von Ausscheiden oder Aufnahmeverweigerungen stammen sämtlich aus den Jahren 1933 bis 1939. In der Hauptsache richteten sich die rassistischen Vorschriften gegen Juden. »Nichtarier« – so die überwiegende Bezeichnung in Übereinstimmung mit dem amtlichen Sprachgebrauch43 – und Personen ›anteiliger‹ jüdischer Abstammung sind mit 574 Einträgen aus den Jahren 1933 bis 1939 in der Kartei repräsentiert. Wer als Mitglied den seit dem Sommer 1936 durchgesetzten Bestimmungen des »Ariernachweises« nicht entsprach, wurde entfernt oder trat – auf Druck oder aus eigenem Interesse – »freiwillig aus«, wie im Juli 1937 Harry D., den die Warnkartei als »Volljude« klassifiziert, oder im November 1935 die Schwestern Erika Luise und Irene K. aus Düsseldorf, deren Mutter laut Kartei »Jüdin« sei.44 Gezielte Entfernungen wegen jüdischer Groß- oder Urgroßeltern oder anderer »nichtarische[r] Abstammung« erfolgten seit 1933.45 Der dreizehnjährige Manfred Z. aus Berlin wurde auf die Mitteilung des Bezirksbürgermeisters von Mitte hin, er sei Jude, ausgeschlossen.46 Im Juni 1937 verhinderte die Warnkartei die Aufnahme der Schwestern Gertraud und Else St., deren Vater sie zur Teilnahme in JM und BDM anzumelden versuchte.47 Die Aufnahme des Schülers Hans J. aus Berlin wurde im August 1937 für ungültig erklärt, nachdem die Disziplinar38 BA Berlin, Warnkartei, Datensatz Nr. 2551. 39 Hinweis auf eine abgelehnte oder annullierte Aufnahme in 100 von 594 validen Fällen. 40 BA Berlin, Warnkartei, Datensätze Nr. 375; 2133 u. 2134, 2799; vgl. auch Ausscheiden von Anni L. am 24.2.1938, Nr. 2644. 41 Ebd., Datensätze Nr. 2822 u. 1244. 42 Ebd., Datensatz Nr. 917. 43 Vgl. Meyer, S. 101. 44 81 von 594 validen Fällen tragen den Vermerk »ausgeschieden« oder »ausgetreten«; Harry D., BA Berlin, Warnkartei, Datensatz Nr. 792; Erika Luise und Irene K., Datensätze Nr. 2020 u. 2040. 45 Vgl. BA Berlin, Warnkartei, Datensätze Nr. 1331, 216 u. 1318, u. Tabelle 11. 46 Vermerk in BA Berlin, Warnkartei, Datensatz Nr. 4771. 47 Ebd., Datensätze Nr. 4039 u. 4040.

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gerichtsbarkeit der Hitler-Jugend gegen den »Mischling 2. Grades« im Vorjahr eine einstweilige Verfügung erlassen hatte.48 Die zu erfassende Zielgruppe der »deutschen Jugend« begrenzte sich nach diesen »rassischen« erbbiologischen und nationalen Kriterien, wobei nachträgliche rassistische Säuberungen die Wirksamkeit der aktualisierten Aufnahmevorschriften ergänzten. Über die rassistische Definition ihrer Zielgruppe hinaus sind die dokumentarischen Erfassungstechniken für das disziplinarische Konzept der Hitler-Jugend aufschlussreich.

1.2.2 Mitgliederkartei und Warnkartei – Ordnen durch Karteierfassung »Karteien können alles.«49

Wie ihre politische Mutterorganisation, die NSDAP, begriff auch die HitlerJugend die Mitgliederverwaltung als einen zentralen bürokratischen Aufgabenbereich, den sie mit hohem Verwaltungsaufwand und Personaleinsatz regelte. Eine effiziente Selbstverwaltung trug zur professionellen Funktionalität der modernen Massenpartei bei.50 Das Selbstverständnis oszillierte zwischen den Polen, sich durch die Imitation staatlicher Bürokratie einerseits aufzuwerten und der »Gefahr« andererseits, als Verwaltungsapparat den Charakter einer dynamischen »Bewegung« einzubüßen.51 Entsprechend dem Verwaltungsaufbau der Partei übernahmen im Verwaltungsamt der Reichsjugendführung, der dem Reichsschatzmeister der NSDAP Franz Xaver Schwarz direkt unterstellten Finanzverwaltung der Jugendbehörde, und in den untergeordneten regionalen Verwaltungen Karteiabteilungen die »karteimässige Erfassung aller Mitglieder«.52 Im Januar 1934 richteten die HJ-Oberbanne und BDM-Gaue einheitliche Mitgliederkarteien ein, die einen schnellen Überblick über die aktuellen Mitgliederzahlen ermöglichen sollten. Hauptamtliche Hilfskräfte in der Geldver48 Bekanntmachung des Personalamtes, VOBl. IV/30, 27.11.1936, S. 333; wiederholt VOBl. IV/31, 4.12.1936, S. 341. 49 Werbespruch der Fortschritt Fabriken GmbH 1929, zitiert bei Krajewski. 50 Vgl. Selbstdarstellung der Arbeit in der NSDAP-Zentralkartei: Grundlage der gesamten Verwaltungsorganisation, in: Völkischer Beobachter, Ausgabe München, 23.8.1939, BA Berlin NS 1/1116; sowie Kössler. 51 Vgl. Heußler, S. 7. 52 RJF/Reichskassenverwalter, Verwaltung der Hitler-Jugend, S. 14 u. 10; NSDAP, ROL, Partei-Statistik der NSDAP, Bd. 3, S. 136. Bereits 1932 beschäftigte die »Hitler-Jugend-Kartei« in der Stabsleitung der Reichsjugendführung in München neben dem Referenten Keller neun weitere Mitarbeiter. Gliederung der RJF nebst Zimmereinteilung und Belegschaft, München 20.7.1932, BA Berlin NS 28/45.

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waltung waren ausschließlich mit der Karteiführung betraut, erfordere sie doch »die volle Arbeitskraft eines zuverlässigen Arbeiters«.53 Diese Inventur und Reorganisation des Mitgliederwesens wurde durch den starken Zulauf notwendig, den die nunmehr staatlich geförderte Jugendorganisation verzeichnete: Aufgrund der sukzessiven Ausschaltung konkurrierender politischer, konfessioneller, berufsständischer und anderer vereinsrechtlicher Jugendverbände durch Verbote, Selbstauflösungen oder Überführungen in die Einheiten der Hitler-Jugend und dank der suggestiven staatlichen Werbekampagnen wuchs der Verband seit dem Frühjahr 1933 beträchtlich. Die Zahl der Mitglieder aller Unterorganisationen stieg in der Gleichschaltungsphase der Diktatur von etwa Hunderttausend auf über zwei Millionen, bis zum Erlass des »Gesetzes über die Hitler-Jugend« Ende 1936 auf knapp 5,5 Millionen.54 Die bürokratische Ausdifferenzierung des Mitgliedschaftswesens steht für diesen Wachstums- und Professionalisierungsprozess des Jugendverbandes. Als Pendant zur Mitgliederkartei entstand zeitgleich eine zweite Personenerfassung. Für Mitglieder, die aufgrund »ehrenrühriger Delikte« ausgeschieden oder ausgeschlossen worden waren und daher »nicht mehr in unsere Reihen aufgenommen werden«, stellte die Reichsjugendführung zentral »Warnkarten« aus und schickte sie an alle Gliederungen, um eine Wiederaufnahme »im ganzen Reichsgebiet unmöglich« zu machen.55 Die Kartenvordrucke, welche die Reichsjugendführung bereitstellte, verdeutlichen die gegenseitige Ergänzung: Ein hellroter Rand, der das Gefahrenpotential bei der Karteibearbeitung auf den ersten Blick hervorhebt, unterscheidet die helle »Warnkarte« von der grünen Mitgliederkarte, deren Rubriken weitgehend übereinstimmen56. Während diese Personaldaten ehemaliger Mitglieder auf regionaler und lokaler Ebene alphabetisch in die allgemeine Mitgliederkartei eingeordnet wurden, archivierte die Reichsjugendführung die »Warnfälle« aus dem gesamten Reichsgebiet separat in einer »Warnkartei«. Diese bestand aus losen Einzelkarten, ohne mechanische Sicherung oder optische Hervorhebungen. In ihrer Einfachheit wirkte sie im Vergleich zu den mit farbigen Karten und Reitern markierten nationalsozialistischen Projekten wie der »Volkskartei« ausgesprochen simpel und harmlos.57 Bearbeitungsvermerke und Stempel auf einzelnen

53 VOBl. II/92, 27.1.1934, S. 1. »Vertraulich zu behandeln.« 1938 gab es ca. 60 000 Geldverwaltungen, davon 49 000 mit ehrenamtlichen Arbeitskräften besetzt. Heußer, S. 64. 54 Zu den Werbemethoden gehörten neben Aufforderungen durch Schulen auch Anreize wie der 1934 vorübergehend eingeführte schulfreie »Staatsjugendtag«. Zur Monopolisierung bis 1936 Boberach, Jugend unter Hitler, S. 26ff.; Klönne, Jugend, S. 21–26; zur Mitgliederentwicklung Tabelle 1. 55 VOBl. II/92, 27.1.1934, S. 3. 56 Warnkarte und Mitgliedskarte der Hitler-Jugend, VOBl. II/92, 27.1.1934, Anlagen 1 u. 5. 57 Vgl. Beschreibung der »Volkskartei« bei Aly/Roth, S. 54–64.

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Karten machen jedoch deutlich, dass die Karteiarchivierung zugleich als systematischer Zugriff auf umfangreichere Akten diente. Wann war diese Karteierfassung entstanden? Die Reichsjugendführung datierte die Entstehung in einer ausführlichen Beschreibung ihres »KarteiSystem[s]«, die sie dem Justizministerium im Rahmen der Verhandlungen über ihre Mitwirkung in Jugendgerichtsverfahren gab, auf das Jahr 1938.58 Außer den ausgeschlossenen ehemaligen Mitgliedern benannte die Hitler-Jugend in diesem Schreiben eine zweite vage Gruppe von Personen, »die sich in irgendeiner Beziehung als Gefahr für die Einheiten auswirken können« und daher als »schädliche Elemente« und »akute Gefahr« fernzuhalten seien: »Personen, insbesondere Jugendliche, die ohne Mitglieder der Hitler-Jugend gewesen zu sein, aus verschiedensten Gründen als jugendgefährlich gelten müssen. Es sind insbesondere die Homosexuellen und Angehörige früherer staatsfeindlicher Jugendorganisationen.«59

Die betreffenden Jugendlichen und Erwachsenen, wurde hinzugefügt, seien meist schon bei Dienststellen der Hitler-Jugend aufgefallen. Vorsichtige Formulierungen, welche die Kontrolle der Vertraulichkeit der Angaben und begrenzte Auskunftsrechte betonen, scheinen die zu diesem Zeitpunkt noch bestehende ministerielle Wachsamkeit gegenüber Rechtsanmaßungen der Jugendorganisation besänftigen zu wollen. Die Informationen in der Warnkartei stammten von der Dienststellen der Hitler-Jugend und von der Kriminalpolizei, mit der die Disziplinargerichtsbarkeit im April 1935 Kooperationsvereinbarungen traf. In diesen heißt es über die Karteierfassung: »Durch diese Zusammenarbeit werden in der Zentralkartei der Reichsjugendführung alle kriminellen Elemente erfaßt, die für nationalsozialistische Jugendorganisationen nicht tragbar sind, und es wird von hier die Vereinigung durch die einzelnen Formationen überwacht.« 60

Auskünfte aus der Kartei wurden der Zentralkartei der NSDAP und allen Gliederungen gewährt. Innerhalb der Hitler-Jugend waren nur die Rechtsreferenten, die Hitler-Jugend-Gerichte und die Personalabteilungen der Gebiete zur Auskunft berechtigt. Denn die regionalen Personalressorts waren vor der Aufnahme von über vierzehnjährigen Jugendlichen in die Hitler-Jugend oder den Bund Deutscher Mädel verpflichtet, Auskunft bei der Warnkartei einzuholen. War der Betreffende verzeichnet, lehnten sie seine Aufnahme ab.61 58 So auch Kenkmann, Wilde Jugend, S. 199, der die Kartei erstmals für die Forschung zur Kenntnis nimmt. 59 Schreiben der Jugendführung des Deutschen Reiches, Boldt, an Reichsministerium der Justiz, zu Händen Staatsanwalt Westpfahl, 12.9.1939, BA Berlin R 001/alt R 22/1177, Bl. 230. 60 Anordnung über die »Zusammenarbeit mit der Kriminalpolizei« der RJF, Personalamt, John, und Polizeiverbindungsstelle, Lüer, VOBl. III/15, 25.4.1935, S. 5f. 61 VOBl. III/28, 8.8.1935, S. 3.

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Die Kartei, die »in ähnlicher Weise organisiert« sei wie die durch Anordnung des Reichsorganisationsleiters vom 1. März 1938 eingerichtete »Zentralkartei« im Hauptpersonalamt der NSDAP, bestehe »erst seit etwa 1 Jahr«, behauptete die Reichsjugendführung im September 1939.62 Doch die genannte NSDAPKartei, die alle aus »ehrenrührigen oder parteischädigenden Gründen« ausgeschiedenen »politische[n] Leiter, Warte, Walter und Mitarbeiter« speicherte, muss bereits im Frühjahr 1935 existiert haben, wie aus einem Schreiben der Reichsleitung der NSDAP hervorgeht. »Im Interesse der Reinhaltung der NSDAP und ihrer Gliederungen« wurden die Personalämter der Gaue verpflichtet, »für die Warnkartei bestimmte Partei- bezw. Volksgenossen«, die seit dem Machtantritt ihrer Ämter enthoben oder fristlos entlassen worden waren, zu melden. Im Gegenzug erhielten sie Auskunftsrecht.63 Wie mit den Gauen tauschte das Hauptpersonalamt der Partei Informationen auch mit der HitlerJugend, deren eigene Warnkartei offensichtlich ebenfalls bereits länger existierte, als die Reichsjugendführung es dem Justizministerium gegenüber eingestand. Schon im Sommer 1936 vereinbarten die Personalämter von Partei und Jugendführung detailliert den wechselseitigen Austausch von Warnkarten mitsamt den zugehörigen Disziplinarbeschlüssen auf dem Dienstweg: »Wird ein Angehöriger der Hitler-Jugend, der schon Parteigenosse ist, aus der HitlerJugend ausgeschlossen, erhält die Reichsleitung eine Warnkarte. […] Ferner erhält die Reichsleitung über jeden Angehörigen der Hitler-Jugend, der aber nicht Parteigenosse ist, und aus schwerwiegenden Gründen aus der Hitler-Jugend ausgeschlossen werden muss, eine Warnkarte. Diese Warnkarte soll eine spätere Aufnahme in die NSDAP verhindern.« 64

Die NSDAP, auf deren Initiative die Vereinbarung zurückgeht,65 bat zugleich um eine moderate Anwendung. Eine Warnkarte solle nur dann beantragt werden, wenn der Ausgeschlossene »auf Lebenszeit« nicht als Parteimitglied in Frage käme.66 Nicht zuletzt sprechen auch der Schwerpunkt der im Bundesarchiv überlieferten Kartei mit den Jahren 1934 bis 1938 sowie Bearbeitungsvermerke für ihre volle Funktionsfähigkeit spätestens Mitte der 1930er Jahre.67 Möglicherweise wurde die Streuung der »Warnkarten« auch nach der »Bedeutung der zugrundeliegenden Verfehlung« differenziert.68 62 Boldt an Westphal, BA Berlin R 3001/alt R 22/1177, Bl. 230, Rückseite. 63 ROL der NSDAP, Hauptpersonalamt, mit Anweisung 17/35/P an Gaupersonalämter, 29.4.1935, BA Berlin NS 1/1118. 64 RJF/Personalamt, John, an Reichsschatzmeister, Schwarz, 25.8.1936, ebd. 65 NSDAP an RJF, 14.7.1936, ebd. 66 RL der NSDAP, Oberndorfer, an RJF/Personalamt, 13.11.1936, ebd. 67 92 Prozent aller »Warnfälle« beider Geschlechter entfallen auf die Jahre 1934–1938 mit besonderen Schwerpunkten 1935 und 1936; vgl. Tabelle 5. 68 Vgl. Klemer, Jugendstrafrecht, S. 28, auf eine (nicht überlieferte) Darstellung in »Der Hitler-Jugend-Richter« 1939 verweisend.

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Im vertraulichen Schriftverkehr, der sich zum Teil auf Notizzetteln zwischen den Warnfällen in dieser Kartei erhalten hat, meldete der Karteireferent der Reichsjugendführung, Christian Keller, ausgefertigte Hitler-JugendWarnkarten an die Karteiabteilung der NSDAP, die auf dieser Grundlage eigene »Warnungskarten« ausstellte. Der Reichskassenverwalter der Hitler-Jugend reichte auch Parteiaufnahmeanträge von Hitler-Jugend-Angehörigen, die vom zuständigen Ortsgruppenleiter oder einem lokalen Parteigericht bereits abgelehnt worden waren, zur endgültigen Entscheidung an den Reichsschatzmeister weiter. Das Mitgliedschaftsamt der NSDAP benachrichtigte seinerseits die vertikale Parteihierarchie über die zuständigen Gauschatzmeister, um den Warneintrag in Gau- und Ortsgruppenkarteien zu veranlassen. Ein »Warnfall« der Hitler-Jugend lag auf diese Weise vorschriftsmäßig in beiden Verwaltungsapparaten von Gliederung und Partei jeweils zentral und regional vor. Durch die Informationsübermittlung an andere Parteidienststellen ermöglichte die Warnkartei der Reichsjugendführung den raschen Nachweis einer Person und ihrer Mitgliedsdaten oder, sofern keine Warnkarte vorlag, eine »politische Unbedenklichkeitserklärung« für sämtliche Parteiorganisationen. Durch diese Vernetzung diente die Kartei dem Zweck, »alle unzuverlässigen Kräfte von der Mitarbeit in der Partei und ihrer angeschlossenen Verbände auszuschalten.«69 Die Vorstufe dieses durch die Karteiorganisation geregelten Warnvorgangs dokumentiert ein Schreiben des Personalamtes an die Politische Organisation der NSDAP, das zugleich dem Stellvertreter des Führers und den Führungen der Gliederungen zuging. Der langjährige Leiter des Personalamtes der Reichsjugendführung, Heinz Hugo John, berichtete darin im Oktober 1934 über den Ausschluss des HJ-Führers Erwin B., der dem Reichsschatzmeister über vertrauliche Besprechungen falsch berichtet habe.70 Mit der Expansion des nationalsozialistischen Staates und seiner Organisationen erweiterte sich auch das »Warnkartei«-System. So bat im Herbst 1938, ein halbes Jahr nach der Eingliederung der sogenannten »Ostmark«, ein österreichischer HJ-Führer darum, über eingeleitete Strafverfahren gegen Jugendliche inner- und außerhalb des Jugendverbandes »zum Zwecke der Warnung« unterrichtet zu werden. Die Hitler-Jugend wolle eine Warnkartei nicht nur als Referenz einrichten, sondern den Mitgliedern darüber hinaus den Umgang mit den registrierten Jugendlichen verbieten. Wegen ihrer grundlegenden Bedeutung wurde diese Anregung jedoch auf eine einheitliche Regelung verschoben.71 Das Kontaktverbot zwischen Organisierten und 69 ROL der NSDAP, Hauptpersonalamt, Marrenbach, 13.8.1936, S. 2, BA Berlin NS 1/1118 (beide Zitate). 70 Schreiben Johns an Ley, 4.10.1934, in: IfZ, Akten der Parteikanzlei, Teil I, Bd. 2, Nr. 20747. Mit Straf bescheid, per Einschreiben vom Stabsführer der Reichsjugendführung an B., 4.10.1934. 71 Aktenvermerke, 21.11.1938 und 30.11.1938, BA Berlin R 3001/alt R22/1175, Bl. 32f.

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Ausgeschlossenen wurde in andere Disziplinartexte und Anordnungen nicht aufgenommen. Dieser Hinweis verdeutlicht jedoch die dichotome Tendenz der Karteieinrichtung, die organisatorische Ausgrenzung auf den gesamten Lebensbereich der Jugendlichen auszudehnen und so eine grundsätzliche gesellschaftliche Segregation einzuführen. Im institutionellen Bereich wurde diese Trennung tatsächlich verfolgt. Denn über die Parteiorganisationen hinaus verband das Warnsystem auch Instanzen der Jugendpflege mit der Hitler-Jugend. Die Jugendhilfe der NS-Volkswohlfahrt hatte sich verpflichtet, die von ihr betreuten Minderjährigen den örtlichen HJ-Bannen zu melden, um den Jugendverband so »vor asozialen und erbbiologisch minderwertigen Jugendlichen« zu schützen.72 In diesem regen Kommunikationsnetz kommt die Aufwertung und starke Nachfrage zielgerichteter Personalauskünfte parteiamtlicher und öffentlicher Instanzen zum Ausdruck. In der Verknüpfung zu einem System von Warnkarteien wurde aus der Speichertechnik eine wirkungsvolle Sozialtechnik. Die Archivierung von »Warnfällen« in speziellen Karteien etablierte sich im Nationalsozialismus nicht nur in den Parteiorganisationen. Hier wurden etwa Entlassungen aus der Verwaltung der Hitler-Jugend in einer »Verwaltungswarnkartei«,73 Parteiausschlüsse in »Schwarzen Listen«, ausgeschlossene SA-Mitglieder in einer Warnungskartei und disziplinarisch Verurteilte in Straf büchern gesammelt.74 Die Ortsgruppen der NSDAP organisierten auch die alltägliche Parteiarbeit mit »Haushaltungskarteien«.75 Zur präventiven Erfassung spezieller gesellschaftlicher Gruppen, die als politische oder ideologische Gegner wahrgenommen wurden, nutzten auch staatliche Verwaltungen, Gesundheits- und vor allem Polizeibehörden ausgefeilte Karteitechniken, in denen Jugendliche häufig getrennt registriert wurden.76 So arbeitete die Düsseldorfer Kriminalpolizei bereits 1934 mit einer »Jugendkartei«, in die sie Personalien von Jugendlichen aufnahmen, die mit einem Verstoß gegen Polizeiverordnungen aufgefallen waren; Angehörige verbotener bündischer Jugendgruppen wurden ab 1935 in lokalen Karteien der Gesta72 Zitiert bei Huvalé, S. 8; vgl. auch Tetzlaff, Disziplinarrecht, S. 73. Zur NSV-Jugendhilfe, die als parteiamtliche Stelle der NSV agierte wie als Beauftrage der Jugendämter Hasenclever, S. 142–148. 73 RB 7/K, 27.10.1939, S. 18ff. 74 Vgl. Krüger, S. 67 u. 65, Anm. 81. 75 Vgl. Reibel, S. 390. 76 Vgl. Rekonstruktion der Frankfurter Gestapo-Kartei Eichler. Eine immense Anzahl spezieller Sach- und Personenkarteien führten die ab 1939 im RSHA zusammen gefassten Polizeibehörden, vgl. Dienstanweisungen zur Anlage und Führung von Karteien, BA Berlin R 58/254. Als »unscheinbares Instrument« der Gestapo dienten ab 1936 »Warnungen«; vgl. Werle, S. 568. Zum Gebrauch von Warnkarteien in Großstädten und Landesfürsorgeverbänden zur Abwehr von »Unterstützungsbetrügern« in den 1930er Jahren Ayaß, »Asoziale«, S. 110; zur »BelastetenKartei« des Reichsärzteführers Scherer, S. 87f.

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po gespeichert.77 Die Zusammenarbeit der Hitler-Jugend mit der Weiblichen Kriminalpolizei sah die Führung einer »Jugendlichen-Kartei und Statistik« bei den Kriminalpolizeistellen vor, in denen farbliche Markierungen bei der kriminalbiologischen Auswertung auf Kinder mit vorgeblicher Anlage zur Kriminalität sowie auf »Juden-« und »Zigeunerkinder« aufmerksam machten.78 Die Aufgabe dieser kriminalpolizeilichen Sonderabteilung war es, für Kinder, Jugendliche und Frauen als Bindeglied zwischen Polizei und Fürsorge zu wirken und im Rahmen der »Vorbeugenden Verbrechensbekämpfung« Kinder und Jugendliche, die als »erblich kriminell belastet« galten, kriminalpolitisch zu überwachen.79 Die Erfassung bildete hier als Kennzeichen der staatspolizeilichen Überwachung die Voraussetzung der Verfolgung und damit ihren ersten Schritt. Zu dieser Personendatenerfassung gehört auch die Legitimation und Identifikation durch Ausweise, deren Verwaltung in den nationalsozialistischen Verbänden gleichfalls mit großer Aufmerksamkeit betrieben wurde. Die Anerkennung des Mitgliedsbuches der NSDAP, von NSV-Ausweis und Wehrpass als amtliche Ausweise bezeugen zugleich die Aufwertung der Parteiorganisationen im staatlichen Gefüge.80 Die andere Seite dieser funktionalen Verknüpfung spiegeln hingegen die »Kennkarten« verschiedener Opfergruppen als Dokument ihrer Erfassung, Diskriminierung und Verfolgung. In diesen Medien zeigt sich die konkrete Seite der Menschenerfassung. Als Arbeits- und Kommunikationsmittel begleitete die Sachkultur des Ordnens den Ordnungsprozess der Hitler-Jugend. Der Blick auf die Prozeduren und Techniken der Disziplinierung im Sinne einer Ordnungsgeschichte schließt die Aufmerksamkeit für die materiellen Objekte und Formulare dieses Prozesses ein, denn sie bilden das jeweilige kulturelle und historische Schema des Ordnens81 anschaulich ab. Der Aspekt der Verwaltung – des bürokratischen Aufwandes ebenso wie seiner unmenschlichen Regelhaftigkeit noch in den für die Betroffenen existenziellen Konsequenzen – hat besonders die Holocaust77 Vgl. Kenkmann, Wilde Jugend, S. 199; sowie die Erinnerung eines ehemaligen Mitgliedes einer illegalen bündischen Jugendgruppe an eine folgenlose Erfassung 1935 durch Gestapobeamte und HJ-Streifendienst: »Wir standen aber zumindest in einer Kartei, und die beschlagnahmten Sachen hat auch keiner von uns wiedergesehen. So einfach war das«, Herbert Westenburger, Platoff preisen wir den Helden, in: Hellfeld, Davongekommen, S. 36–70, S. 39. 78 Runderlass des RFSSuChDtPol zur Behandlung der Kinder und Jugendlichen bei der Polizei, 3.1.1944, ANBl. XII/7, S. 89–112, S. 101f.; Entwurf in: BA Berlin, R 3001/alt R 22/1179, Bl. 179. Vgl. dazu Nienhaus, Hitlers willige Komplizinnen, S. 519; dies., Einsatz für die »Sittlichkeit«. 79 Runderlass des RFSSuChDtPol und des RMdI über die Neuordnung der Weiblichen Kripo, 24.11.1937, Ausführungsanweisungen, 19.5.1938, in: VHB, Bd. II, S. 975f. Vgl. Wagner, Volksgemeinschaft, S. 272. 80 Vgl. Aly/Roth, S. 64. 81 Vgl. Foucault, Ordnung der Dinge, S. 22–26.

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Forschung begleitet.82 Das zentrale Medium der Umsetzung des gesellschaftlichen Ordnungsprozesses der Hitler-Jugend in die alltägliche Verwaltung des Millionenverbandes war die Kartei. Zwar ist das vielseitige Speichermedium neutral, doch indem die Art seiner Anlage ein Ordnungs- und Klassifikationssystem abbildet, wirkte es in seinem spezifischen Kontext der Erhebung und Auswertung als stille Funktion einer Herrschaftstechnik. Die Personenkarteien und Bevölkerungslisten sind als Grundlage des weiteren administrativen oder polizeilichen Zugriffs Ausdruck des »Verweissystem[s] eines wissenschaftsförmigen Rassismus«83 der Verfolgungsorgane. Das sozialtechnokratische Muster ›restloser‹ Erfassung und Klassifikation betraf nicht nur die radikal ausgegrenzte und schließlich vernichtete jüdische Bevölkerung, sondern wurde im Zuge der »rassenhygienischen«, gesundheits- und »Volkstums«politischen Pläne für die gesamte Bevölkerung des Reiches angestrebt. Nach 1933 entstand dazu ein »bizarres und zugleich effizientes System« von Karteien, Zählungen, Kennkarten und Meldegesetzen.84 Zu ihren prominentesten Projekten gehörten die »Deutsche Volkskartei« zur Erfassung der Gesamtbevölkerung – während des Krieges zur Abstraktion einer »Reichspersonalnummer« vorangetrieben –, die »Volkstumskartei« genannte »Reichskartei der Juden und jüdischen Mischlinge« und zahlreiche spezifische Gegnerkarteien der Verfolgungsinstitutionen. Die Karriere der parteioffiziellen »Denunziations- und Rachekartei der NSDAP«, der sogenannten »NS-Auskunft«, die im März 1933 verstaatlicht wurde und in die Dienststelle »Reichsstelle für Sippenforschung« (ab 1940 »Reichssippenamt«) aufging,85 zeigt sinnfällig die Identifikation der Parteiinteressen mit dem NS-Staat. Daher ist es erstaunlich, dass keine dieser bevölkerungspolitischen Vorzeigekartotheken die NSDAP-Mitgliedschaft verzeichnete. Die mit der Einführung der Meldepflicht in Deutschland verbundene »Volkskartei« kodierte lediglich die Erfassung zur Hitler-Jugend neben Wehr- und zum Reichsarbeitsdienst. Mit dieser Ausnahme sind weitere Zugehörigkeiten zur NSDAP oder zu anderen Gliederungen der Karteikarte jedoch nicht zu entnehmen.86 Die Kartei, an deren Entwicklung in medientheoretischer Sicht die Bewegung von der Kultur des Speicherns zu einer »Medienkultur der permanenten Übertragung« nachvollziehbar wird,87 spielte in der Menschenerfassung des 82 Vgl. etwa Adler; Hilberg, S. 69–84; zuletzt Feldman/Seibel. 83 Raphael, Ordnungsdenken, S. 23f. 84 Vgl. dazu Aly/Roth, S. 12; zur Nutzung der sich entwickelnden Computertechnik detaillierter Kistermann; Luebke/Milton; sowie Black; zur Rolle der Statistik als Leitwissenschaft der Erfassung auch Tooze. 85 Vgl. Aly/Roth, S. 86. 86 »WD (= zum Wehrdienst erfaßt), RAD (= zum Reichsarbeitsdienst erfaßt), Stj (= zur Staatsjugend erfaßt)«, zitiert nach Aly/Roth, S. 60 u. 133. 87 Ernst, S. 14.

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Nationalsozialismus eine ebenso herausragende wie unauffällige Rolle. Die Karteierfassung gehört zur Gruppe der Sozialtechnologien, die Menschen als Objekte und Ressourcen behandeln.88 Eine Kritik an diesen Techniken setzt hier an: Hinter der Datenerhebung und -verzeichnung verberge sich eine »Sozialpolitik im Gewand der Objektivität«. In ihrer Abstraktionsleistung – die Vielfältigkeit sozialen Lebens wird auf formelhafte Bedingungen, Zahlen und statistische Ziffern reduziert – sei diese Herrschaftsmethode »ebenso bürokratisch wie wissenschaftlich«; ihr Kern bestehe in der Individualisierung gesellschaftlicher Vorgänge, der die Empirie als Lieferant, Selekteur und Korrektor von Daten zuarbeite.89 Zahlreiche wissenschaftliche Detailstudien, in enger Kooperation mit politischen Instanzen des Regimes und amtlichen Stellen durchgeführt, stellten im Nationalsozialismus massenhaft Sozialdaten für das Ziel einer transparenten »Volksgemeinschaft« zur Verfügung.90 Die Bürokratie gehört so zu den nationalsozialistischen »Technologien des Rassismus«.91 Ihre Aufgabe war es, Abläufe zu organisieren, indem sie spezifische Handlungen von Menschen vereinheitlichte und normte, kurz: unpersönlicher gestaltete. Wenn das Büro und der Schreibtisch mit Formularen und Akten materieller Ausdruck dieser Technik sind,92 bildet die Kartei ihre sinnfälligste Form. Die vorgedruckten Karten lassen bei der Datenaufnahme lediglich eine Variationsbreite von Angaben und Vermerken zu; ihr »Aktenweg« in der Karteiablage ist exakt vorgeschrieben. Der Spielraum sprachlicher Ausdrucksmöglichkeiten und damit persönlicher Gestaltung durch den »Karteiführer« ist auf die bloße Datenerfassung reduziert – und die Gefahr eines Effizienzverlustes durch den menschlichen Bearbeiter minimiert. Denn Effizienzdenken kennzeichnet die Erfassungs- und Verzeichnungstechnik. Die Karteikarten seien stets »mit möglichst geringem Arbeitsaufwand« zu erstellen, ordnete etwa das Benutzerhandbuch für die »Volkskartei« an.93 In der Hitler-Jugend wie in anderen nationalsozialistischen Organisationen und Behörden diente die Karteiführung vorrangig der massenhaften Menschenerfassung, zu deren Nebengebieten auch die ›karteimäßige‹ Verwaltung von Auszeichnungen, Ehrenzeichen und Ausweisen gehörte.

88 Beyerchen, S. 387 u. 395. 89 Aly/Roth, S. 34; zur Technik des Registrierens als Vorstufe der Vernichtung die Fallstudie Friedlander. 90 Zur Tätigkeit etwa des Arbeitswissenschaftlichen Instituts der DAF vgl. Raphael, Ordnungsdenken, S. 18f. 91 Vgl. Beyerchen, S. 395ff. Diese »mittlere Ebene« charakterisiert Bauman, Dialektik der Ordnung; vgl. ebenfalls Raphael, Ordnungsdenken, S. 38. 92 Beyerchen, S. 397. 93 Erich Liebermann von Sonnenberg/Artur Kääb, Die Volkskartei. Ein Handbuch, München 19436, zitiert nach Aly/Roth, S. 57.

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Aus der »Verzettlung« von Bibliotheksbeständen und damit der Wissensorganisation war die Karteitechnik im Zuge eines Technologietransfers in das Feld moderner Büroorganisation übertragen worden. In der Zeit von den 1920er Jahren bis in die 1960er Jahre war sie als vorläufiger Gipfelpunkt einer Entwicklung, an deren Ende die Computerisierung steht, buchstäblich auf jedem Schreibtisch präsent. Als vielseitiges und mit einfachen Mitteln auch an spezielle Bedürfnisse anpassungsfähiges Ordnungs- und Speichermedium hatten Karteien sich in der »Wert- und Menschenverwaltung«94 in Büros und Verwaltungen im Deutschen Reich durchgesetzt. Dieses rationale Organisationsmittel stammte aus der umfassenden Modernisierung der Verwaltung seit dem ausgehenden 19. Jahrhundert, die auf Vereinfachung und Effektivierung des Geschäftsgangs zielte und dazu klare Zuständigkeiten, ergonomische Arbeitsabläufe, Normierung und moderne Bürohilfsmittel einsetzte. Im Zuge der arbeitswissenschaftlich begründeten Rationalisierung und Optimierung wurde der massenhafte Gebrauch der ebenso vielseitigen wie unauffälligen Apparatur durchgesetzt.95 Doch ist es weniger das »Versprechen der Universalität« (M. Krajewski), das Karteien für den Gebrauch in Massenorganisationen empfiehlt, als seine Einfachheit. Mithilfe dieses unkomplizierten Ordnungsmediums, das in seinen schlichten Formen kaum als Maschine bezeichnet werden kann, wird die Utopie der Perfektion einer zu erreichenden Ordnung zerlegt in eine pragmatische Handhabung des Ordnens und Ordnung-Haltens, die auch von jugendlichen Bearbeitern verantwortlich geleistet werden konnte. Nicht zuletzt deshalb eignete sich das simple Medium aus der »Pappkartonzeit der Datenerfassung«96 für eine übersichtliche, rationelle und auch preiswerte Mitgliederverwaltung des wachsenden Jugendverbandes. Eine erfolgreiche zeitgenössische »Karteikunde« – eine Handbuchgattung, die außer den vielfältigen Anwendungsmöglichkeiten das »innerste Wesen der Kartei« und deren Ordnungsdynamik erläutert97 – begreift »Aufgabe, Karte, Vordruck, Behälter und schließlich sogar de[n] Karteiführer« als Einheit. Die Kartei galt als »empfindlicher Gradmesser« für die Ordnung und den Auf bau eines Betriebes, die sich idealerweise in ihr abbilden sollten.98 Aus Sicht dieser Anleitung aus der Hochzeit der »karteimässigen« Büroorganisation wird das Medium damit zum Kern der Organisation und zu ihrem Ausdruck. Spezielle ergonomische Büromöbel zur Auf bewahrung der Karteien, wie sie auch in der 94 Porstmann, Berlin 19393, S. 17 [19281; 19504]. 95 Zu den Leistungen von Karteien gehört neben dem Ordnen das Adressieren, Kontrollieren, Speichern, Buchhalten und Rechnen. Vgl. Krajewski; zur Rationalisierung Rabinbach; zur Büroreform Visman, S. 269–299. 96 Aly/Roth, S. 48. 97 Vogt, S. 3; ähnlich Porstmann, S. 92: »der Vordruck einer Kartei ist dann der Wegweiser für den Zwangslauf der Handlungen.« 98 Porstmann, S. 271.

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Mitgliederverwaltung der NSDAP und der Hitler-Jugend zum Einsatz kamen, zeugen von dieser möglichst organischen Ergänzung von Kartei und Bearbeiter. Der 1934 für den Einsatz in den neu aufgebauten Bannen und Obergauen von der Reichsjugendführung bereitgestellte Karteitisch ordnete die zu bearbeitenden Karten in »Trögen« unter einer verschiebbaren Arbeitsplatte im Uhrzeigersinn an: Büromaterial und leere Karten, Mitglieder-Kartei, »Ausgeschiedene Kartei« sowie seitlich die »Führerkartei«.99 Bis zu 60 000 Karten konnten auf diese Weise im Sitzen bequem überblickt und bearbeitet werden. 1.2.3 Warnen und Fahnden – Vernetzung und Kooperation Die Archivierung von »Warnfällen« und daran anschließende gegenseitige Information der Parteiorganisationen wurde durch die interne Veröffentlichung sowie durch Vermisstenmeldungen und steckbriefartige »Fahndungen« nach verschwundenen Kindern und Jugendlichen ergänzt. In enger Kooperation mit der Polizei wurden Informationen auf diese Weise einerseits reichsweit innerhalb des Jugendverbandes verteilt, andererseits wurde die lokale Struktur für Such- und Überwachungsaufgaben in Anspruch genommen. Das Personalamt der Reichsjugendführung veröffentlichte Warnungen in den zentralen Verordnungs- und Befehlsblättern. Es wies die Untergliederungen bis zur Bannebene gezielt auf auffällige Einzelpersonen hin, beispielsweise auf angebliche und ehemalige Führer oder auf Jugendliche in Uniform der HitlerJugend, die mit Trickbetrügereien, Unterschlagungen oder anderen Delikten auffielen.100 So wurde vor einer ehemaligen BDM-Führerin gewarnt, die unter dem Vorwand ihrer angeblichen Dienststellung als Untergauführerin junge Mädel dazu verleitet habe, »nachts mit ihr herumzubummeln«.101 Während in den 1930er Jahren nur selten Mädchen und junge Frauen vermisst wurden oder Anlass zu einer organisationsinternen Warnung gaben, nahm ihr Anteil in der Kriegszeit stark zu. Neben der Sorge um das Ansehen der Jugendorganisation spricht auch Angst vor Unterwanderungen und dem unrechtmäßigen Aneignen der Mitgliedschaft aus diesen regelmäßigen Anzeigen, die polizeiliche Suchmeldungen einschlossen.102 Gewarnt wurde ebenfalls vor »Jugendgenossen«, die sich einem Disziplinarverfahren durch Flucht zu entziehen versuchten: Unter 99 Karteiverwaltung der Hitler-Jugend, VOBl. II/92, 27.1.1934, Anlage 2; Anweisung der Abt. IV, Mitgliederkartei, Nr. 345, VOBl. II/92, 27.1.1934; Einrichtung einer »Reichs-FührerKartei« in den HJ-Gebieten und BDM-Obergauen nach Anweisung der Abt. II, John, VOBl. III/1, 12.1.1935, S. 4; Karte aus der zentralen »Reichs-Führer-Kartei«, BA Berlin, NS 28/82, Bl. 4026. 100 Vgl. z. B. die ausführliche Warnung vor einem Pimpf, der im Dezember 1934 in der Mark Brandenburg mehrere Diebstähle beging, VOBl. III/5, 7.2.1935, S. 3f. 101 Warnung der Polizeiverbindungsstelle, RB 5/1, 7.2.1936, S. 81. 102 Vgl. z. B. Warnung vor zwei angeblichen HJ-Führern, »wegen mehrerer Betrügereien« polizeilich gesucht. Bekanntgabe der Abteilung II, John, VOBl. II/14, 15.9.1934, S. 1.

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Nennung von Adresse, Gefolgschaft und einer genauen Personenbeschreibung warnte das Verordnungsblatt etwa im März 1935 vor dem Kupferschmied Adolf T., gegen den eine Untersuchung wegen »Unterschlagung und Betrug« laufe. Tatsächlich verzeichnet die Warnkartei den Ausgang des Verfahrens mit seinem Ausschluss am 1. September.103 Vorübergehend wurden auch die Ausschlüsse auf diesem Wege neben anderen Personalnachrichten – Versetzungen und Beförderungen – den Untergliederungen bekannt gegeben.104 Die Informationen erhielt die Reichsjugendführung durch regelmäßige Meldungen aus den Gebieten, die ihrerseits Meldungen der Banne sammelten.105 Die gemeinsame Funktion, eine erstmalige oder erneute Einstellung oder Betrauung mit Verantwortung und Geldern zu verhindern, verbindet die verschiedenen Formen von Warnungen. Ihr unmittelbarer Zweck wurde jedoch selten so genau benannt wie gegenüber einem Leipziger, dessen »haupt- oder ehrenamtliche Tätigkeit innerhalb der Hitler-Jugend […] unerwünscht [war], ebenso eine Einsetzung als Verbindungsmann anderer Stellen zur Hitler-Jugend«.106 Zu den Warnungen und der Aufmerksamkeit des Personalamtes gehörten Amtsanmaßungen von ehemaligen Mitgliedern oder von Außenstehenden, die sich als Führer oder Funktionäre der Organisation ausgaben. Hier iniitierte das Personalamt Strafverfahren aufgrund des »Heimtücke«-Gesetzes, das das unberechtigte Tragen von nationalsozialistischen Uniformen und Abzeichen ebenso mit Gefängnisstrafen belegte wie das »Erschleichen der Mitgliedschaft«.107 Als regelmäßige Rubrik in den Verordnungsblättern veröffentlichte das Personalamt der Reichsjugendführung, ab November 1935 seine »Polizeiverbindungsstelle«, Vermisstenmeldungen, die unauffindbaren Kindern und Jugendlichen galten, sowie regelrechte »Fahndungen« polizeilich oder von der Organisation Gesuchter.108 Ab 1938 separat in vertraulichen »Fahndungsblättern« für den HJ-Streifendienst publiziert, vereinzelt mit Fotos, sollten sie die Wachsamkeit der Jugendgruppen wecken. Der Versuch, unbekannte jugend103 VOBl. III/10, 14.3.1935, S. 4; BA Berlin, Warnkartei, Datensatz Nr. 4228. 104 Vgl. z. B. Nennungen mit Namen, Rang, Ort und HJ-Gebiet; VOBl. II/6, 14.7.1934, S. 3. Offenbar wurden »Warnkarten« in den Obergau-Befehlen als Warnungen vor Aufnahme veröffentlicht, vgl. RB 23/I, 10.7.1936, S. 529. 105 Vgl. exemplarisch die Mitteilung von Verwarnungen aus dem HJ-Bann Memmingen, 8.8.1934, an HJ-Gebiet Hochland, Abt. II. StA Augsburg, HJ-Bann Memmingen, Nr. 25. 106 Warnung der RJF, Personalamt, RB 27/42 K, 12.11.1942, S. 351; zuvor lapidarer, RB 2/I, 17.1.1936, S. 25; BA Berlin, Warnkartei, Datensatz Nr. 3311. 107 Gesetz gegen heimtückische Angriffe auf Staat und Partei und zum Schutz der Parteiuniformen, 20.12.1934, RGBl. Teil I, S. 1269, §§ 3, 4, 6; zuvor VO des Reichspräsidenten zur Abwehr heimtückischer Angriffe gegen die Regierung der nationalen Erhebung, 21.3.1933, RGBl. 1933, Teil I, S. 135. Zu Rechtsinstrumentarium und Verfolgungspraxis Dörner, »Heimtücke«. 108 Warnung der RJF vor einem ausgeschlossenen K-Bannführer durch Fernschreiben an Gebiet Schwaben, in: Gebietsrundschreiben, Nr. 8/42, 2.4.1942, S. 6, StA Augsburg, HJ-Gebiet Schwaben, Nr. 4.

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liche Tote zu identifizieren, bildete eine ständige Rubrik.109 Mit ausführlichen Personalien und einer steckbriefartigen Beschreibung waren die Meldungen aus den Bannen sowie seitens der Ordnungspolizei, der Gestapo und anderer Reichs- und Parteibehörden eingegangen.110 Die Personalressorts der Gebiete und Banne registrierten die Suchaufträge in einem »Vermißtenbuch« oder einer weiteren, ständig aktualisierten Kartei.111 Durch diese Suchmeldungen stand der zentralisierte und weit verzweigte Apparat der Hitler-Jugend ebenso für eigene Suchaufgaben zur Verfügung wie auch für polizeiliche Ermittlungen. Diese »enge« und »recht gut bewährt[e]« Zusammenarbeit mit der Kriminalpolizei bestand seit 1934.112 Sie verstand sich zugleich als Kriminalprävention gegen die Folgedelikte Bettelei und Landstreicherei, »da vermißte Jugendgenossen in sehr vielen Fällen während ihres Vermißtseins, durch ihre Notlage bedingt, straf bare Handlungen begehen«.113 Indem die Reichsjugendführung »bei Auftauchen« der Gesuchten eine doppelte Meldung an die nächstgelegene Polizeidienststelle und das eigene Personalamt anordnete, sicherte sie sich die Kontrolle über alle Vorfälle, die Angehörige des Verbandes betrafen.114 Der Einbau der Hitler-Jugend in diesen Bereich der Kriminalitätsprävention und -verfolgung diente neben der Kompetenzausweitung auf dieses Feld staatlicher Jugendkriminalitätspolitik auch der eigenen Imagepflege durch Kontrolle und Ordnung: »Durch die Beachtung und schnellere Bearbeitung von Vermißtenmeldungen und Warnungen wird der Gesamtheit der Hitler-Jugend ein großer Dienst erwiesen, da die einzeln in Deutschland herumreisenden Angehörigen der Hitler-Jugend, die sich meistens durch Almosen erhalten, dem Ansehen der Hitler-Jugend sehr schaden.«115

Wegen dieser befürchteten Rufschädigung ergriff die Hitler-Jugend gegen die wieder aufgefundenen Vermissten Disziplinarmaßnahmen. So wurde der im 109 Fahndungsblatt des HJ-Streifendienstes, erscheint nach Bedarf, gültig für die Dauer von zwei Monaten, mit den Kategorien »Vermißte, Warnmeldungen, unbekannte Tote«, StA Augsburg, HJ-Gebiet Schwaben, Nr. 33, Bl. 119482–119485. Vgl. auch die makabere »Fahndung« mit Foto nach der Identität eines 15-Jährigen, der nach dem Aufgreifen durch die Polizei Selbstmord verübt hatte, RB 18/43 K, 13.5.1943, S. 244. 110 VOBl. III/18, 16.5.1935, S. 6. Das Arbeitsamt Elbing (Ostpreußen) warnte z. B. vor einem flüchtigen 17-jährigen Hitlerjungen, der »aus Reichsmitteln ein Paar Stiefel mit der Verpflichtung zur Rückzahlung in monatlichen Raten« erhalten hatte, ebd., S. 7; das »Grenz- und Auslandsamt der RJF« vor einem Schweizer Jugendlichen, dessen Aufenthaltsgenehmigung abgelaufen sei, RB 5/II, 5.2.1937, S. 145. 111 VOBl. III/26, 11.7.1935, S. 10; Anordnung der RJF/Personalamt, John, VOBl. III/8, 28.2.1935. 112 Schreiben des RKPA, Werner, an die Staatliche Kriminalpolizei, Leitstelle Darmstadt, 22.12.1937, BA Berlin, NS 28/82. 113 Anordnung des Personalamtes-Überwachung, RB 12/III, 1.4.1938, S. 371. 114 VOBl. II/14, 15.9.1934, S. 1. 115 VOBl. III/26, 11.7.1935, S. 9f.

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Frühjahr 1935 aus dem Arbeitsdienst verschwundene Karl Heinz V. im August des Jahres wegen des »unberechtigten Tragens von Rangabzeichen« aus der Jugendorganisation ausgeschlossen.116 Hatte »besondere soziale Not« ihr Verschwinden von Elternhaus oder Lehrstelle motiviert, sollte hingegen gemeinsam mit den Sozialämtern eingegriffen werden.117 Auf diese Weise gliederten sich die Fahndungsmeldungen über den Apparat des Jugendverbandes in die nationalsozialistische Politik der Registrierung von Nichtsesshaften ein. Ein ausweisartiges »Wanderbuch«, das ab Anfang 1934 die Übernachtungen männlicher Bettler und Vagabunden dokumentierte und der allgemeinen Ausweispflicht damit vorgriff, sollte hier die Voraussetzung einer reichsweiten Registrierung der Obdachlosen bilden. Diese unterblieb jedoch. Zu Kriegsbeginn wurde im September 1939 das Herumziehen illegal.118 Da Kinder und Jugendliche sich durch ihr Verschwinden ihren Erziehungsberechtigten, die für sie verantwortlich waren, entzogen, trug die Suche nach vagabundierenden Jugendlicher neben der Sozialkontrolle auch den jugendpflegerischen Akzent, eine »Verwahrlosung« und Gefährdung der Kinder auf der Straße zu vermeiden. Der viel zitierte Anspruch der Reichsjugendführung, der mit der Erfassung der »rassisch« definierten ›gesamten‹ deutschen Jugend und aller Lebensbereiche dieser Jugend ein doppeltes jugendpolitisches Monopol verfolgte, spiegelt sich in diesem detaillierten Dokumentationsinteresse. Die Ergänzung von Mitgliederkartei und ihrem Komplement, der »Warnkartei«, zielte im personellen Meldewesen der Hitler-Jugend auf eine vollständige karteitechnische Erfassung aller Kinder, Jugendlichen, Führer und Führerinnen, die sich auf diese Weise übersichtlich, ergonomisch und rationell entweder als Mitglieder oder Mitarbeiter des Verbandes oder als unerwünschtes Gefahrenpotential identifizieren und verwalten ließen.

1.3 Überwachen 1.3.1 Überwachen als Personalarbeit Die Erfassungs-, Überwachungs- und Disziplinaraufgaben waren in den Personalressorts der Reichsjugendführung und der Gebiete und Banne konzentriert. Nach dem einheitlichen Auf bau Ende 1934 waren hier mit der Führerauslese, 116 VOBl. III/10, 14.3.1935, S. 4; BA Berlin, Warnkartei, Datensatz Nr. 4322; weitere Beispiele für Vermisstenmeldungen, auf die Ausschlüsse folgten: z. B. der 17-jährige Hermann B., gesucht durch VOBl. III/11, 21.3.1935, S. 2, wegen Diebstahls ausgeschlossen 27.8.1935, Datensatz Nr. 317; der 26-jährige Scharführer Ehrenfried von K., gesucht VOBl. III/16, 2.5.1935, S. 4, ausgeschlossen 1.3.1936, Datensatz Nr. 2010; Warnung erledigt, VOBl. III/23, 20.6.1935, S. 5. 117 VOBl. III/26, 11.7.1935, S. 10. 118 Vgl. dazu Torpey, S. 133; Ayaß, Vagrants and Beggars, S. 219ff. Die »Wanderbücher« erfassten Frauen nicht, weil »Tramping« nur als für Männer vorstellbarer Lebensstil galt.

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der Überwachungsarbeit und dem Disziplinarwesen die zentralen Funktionen des Verbandes versammelt.119 Laut einem Organigramm des zentralen Personalamtes der Reichsjugendführung gliederte sich die Personalarbeit 1936 in die sechs Hauptreferate »Führung, HJ-Gerichtsbarkeit, Ahnennachweis, Gnadensachen, Schulfragen und BDM«, wobei zum Referat »Führung« auch das Arbeitsgebiet der »Ehrenzeichen« gehörte.120 In dieser Organisationsstruktur zeigt sich die Komplementarität von Führungs- und Disziplinaraufgaben in einem doppelten Disziplinarmechanismus. Denn die »HJ-Gerichtsbarkeit« wurde als Referat innerhalb des Personalamtes der Reichsjugendführung gegründet, um die »positive und negative Auslese innerhalb der Hitlerjugend« in der Hand eines Personalverantwortlichen zu vereinigen.121 Mit der Gerichtsbarkeit verfügte die Hitler-Jugend seit dem Frühjahr 1935 – wie die NSDAP mit dem Obersten Parteigericht (OPG) auf Grundlage des Gesetzes zur Sicherung der Einheit von Partei und Staat122 – über eine eigene Judikative. Der Auf- und Ausbau dieses Instrumentariums erfolgte in engem Erfahrungsaustausch mit der Parteigerichtsbarkeit, etwa durch die Teilnahme von Disziplinarpolitikern der Hitler-Jugend an gemeinsamen Konferenzen wie der Münchner Tagung der Gaurichter im Juli 1935.123 1937 stieg die HJGerichtsbarkeit zu einer dem Jugendführer des Deutschen Reiches unmittelbar unterstellten, selbständigen Dienststelle auf.124 Der Personalamtsleiter und oberste HJ-Richter Heinz Hugo John125 leitete dieses disziplinarrechtliche Strafsystem, das sorgfältig gegen die Kompetenzen des »Rechtsamtes« in der Reichsjugendführung abgegrenzt wurde: Das Dienststrafrecht mit der Gerichtsbarkeit und sämtlichen Disziplinarsachen war »alleinige Sache des Personalamtes«, ebenso der damit verbundene Kontakt zu den Dienststellen

119 VOBl. II/26, 8.12.1934, S. 3f.; vgl. Klönne, Jugend, S. 44f. 120 VOBl. IV/13, 12.6.1936, S. 173. 121 Schreiben des Leiters des Personalamtes der RJF, John, an den Adjudanten des Staatssekretärs Freisler, Ebert, im RJM, 14.3.1936, über die Vereinbarung von Rechten zur Akteneinsicht zwischen HJ-Gerichtsbarkeit und Justizbehörden, BA Berlin, R 3001/alt R 22/1174, Bl. 284– 287, Bl. 284. 122 RGBl. 1933, Teil I, S. 1016, §§ 3–6; als bis zur DFVO dieses Gesetzes der SA unterstellte Gliederung galt es auch für die Hitler-Jugend. Tetzlaff, Disziplinarrecht, S. 14. Vgl. McKale, Der öffentliche Dienst, S. 237. 123 Vgl. Block, S. 134. 124 Gliederung des Personalamtes, VOBl. IV/13, 12.6.1936, S. 173; Gliederung der JFdDtR und der RJF der NSDAP, VOBl. V/17, 16.7.1937. 125 1904–1944; der gelernte Kaufmann war 1934–1943 Leiter des Personalamtes der RJF, ab Juni 1937 auch HJ-Oberrichter und Leiter des HJ-Obergerichts, 1939 auch weiterer Ämter, u. a. der HJ-Gerichtsbarkeit; 1937 verantwortlich für Auf bau der Akademie für Jugendführung in Braunschweig. Parteigerichtsverfahren wegen Denunziation, Unterschlagung und abfälliger Äußerungen, u. a. ein selbst angestrengtes »Ehrenreinigungsverfahren«. 1937 zum Ministerialrat im Reichsdienst ernannt. BA Berlin, BDC Personalakten; Buddrus, Totale Erziehung, S. 1159f.

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der Parteiorganisation.126 Zu den Aufgaben dieser Gerichtsbarkeit gehörte die Entwicklung eigener Disziplinarordnungen ebenso wie die Rechtsprechung.127 Durch diese personelle und dienstrechtliche Identität praktizierte die HJ-Gerichtsbarkeit das von ihr gestaltete Disziplinarrecht selbst. Die Verantwortung der Überwachungsarbeit oblag Heinrich Lüer.128 Seit dem Juni 1935 stand er als Leiter der allein zuständigen Stelle »für die Bearbeitung aller Fragen, die Jugendorganisationen und -verbände außerhalb der Hitler-Jugend betreffen, sowie die Regelung aller konfessionellen Fragen« vor, die nach ihrer Eingliederung im April 1937 in das Personalamt – auf seinen Vorschlag – »Personalamt-Überwachung« (PÜ) genannt wurde.129 Zugleich fungierte Lüer als Leiter der dort im Sommer 1935 eingerichteten Polizeiverbindungsstelle als Kontaktmann der Hitler-Jugend zum Geheimen Staatpolizeiamt und zum Sicherheitsdienst der SS (SD).130 Mithilfe dieser Dienststelle, die 1939 vorübergehend zu einer nur dem Reichsjugendführer unterstehenden »unmittelbaren Stelle« befördert wurde, setzte sich die kooperierende Informationspolitik zwischen Hitler-Jugend und Polizei institutionell abgesichert fort. Seit 1936 gab es dazu das Instrument der »Sofortmeldungen«. Die Untergliederungen meldeten »kriminelle oder staatspolizeiliche« Delikte und die Gerichtsverfahren gegen Angehörige der Hitler-Jugend.131 Dies ermöglichte der Polizeiverbindungsstelle zum einen, gezielt auf behördliche Anfragen zu reagieren. Zum anderen konnte dieses Überwachungsamt der Reichsjugendführung den Verlauf strafrechtlicher Verfahren gegen Mitglieder beobachten. Auf Wunsch der Jugendführung informierte die Polizei über Festnahmen oder Ermittlungen gegen Mitglieder, die »politische« oder »konfessionelle Zwistigkeiten oder Zwischenfälle« zum Hintergrund hatten, deren Schwere disziplinarische oder gerichtliche Verfahren nach sich zog, sowie grundsätzlich über 126 Durchführungsbestimmungen zur Verordnung des RJF, 18.10.1935, über die Einrichtung des Rechtsamtes innerhalb der RJF, VOBl. IV/10, 8.5.1936, S. 123ff., S. 124. Zum Rechtsamt, das unter der Leitung Theo Goldmanns seit 1934 v. a. Rechtsberatung und »Rechtsschulung« der HJAngehörigen leistete, vgl. Wolff, Jugendliche vor Gericht, S. 104. 127 Rundschreiben der RJF, 6.5.1939, in: VHB, Bd. II, S. 1039f. 128 Jg. 1907, Mitglied in NSDAP und Hitler-Jugend seit Januar 1930; ab August 1934 in der RJF, Abteilung II (Personalamt) Verbindungsführer zu den staatlichen Polizeidienststellen und Referent für den HJ-Streifendienst; ab Juni 1935 Leitung der Abteilung (1936: Amt) Jugendverbände; bis 1941 auch Chef der Überwachungsdienststelle der RJF und HJ-Verbindungsführer zum RSHA; 1939 Leitung der Dienststelle des Reichsleiters Schirach in der Reichskanzlei; BA Berlin, BDC Personalakten; Buddrus, Totale Erziehung, S. 1182. 129 Beauftragung Lüers, VOBl. III/24, 17.6.1935, S. 2; VOBl. III/6, 14.2.1935, S. 2; Umbenennung durch Verfügung des Stabsführers, Lauterbacher, im streng vertraulichen RB 31/II, 20.8.1937, S. 825f. 130 Verfügung des RJF, Schirach, VOBl. III/26, 11.7.1935, S. 1. 131 Anordnung der Polizeiverbindungsstelle, Lüer, VOBl. IV/8, 3.4.1936, S. 83.

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alle Verfahren in Zusammenhang mit Sexualdelikten.132 Die HJ-Führer unterlagen ihrerseits der Meldepflicht für jedes auch geringfügige »ihnen bekannt werdende Vergehen gegen § 175« eines Mitgliedes der Hitler-Jugend.133 Mit den Sittlichkeitsdelikten, insbesondere homosexueller Art, und möglichen politischen oder konfessionellen Hintergründen konzentrierte die Zusammenarbeit sich damit auf (staats)polizeilich relevante Überwachungsbereiche. Die erfassten Vorfälle waren nicht nur aus Sicht der Jugendführung für die interne Disziplin problematisch, sondern verstießen zugleich gegen neue bzw. verschärfte Kriminalstatbestände. Die Überwachungspolitik der Reichsjugendführung ergänzte die nationalsozialistische Kriminalisierungs- und Verfolgungspolitik in diesen Bereichen für die Jugendlichen. Sie wurde vor dem Hintergrund des Hitler-Jugend-Dienstes möglich, mithilfe des eigenen Organs HJ-Streifendienst umgesetzt und in eigenen Disziplinar- und Strafordnungstexten formuliert. Der zuständige Personal- und Überwachungsbereich der Hitler-Jugend ist durch eine außerordentliche Dynamik der Organisationsstruktur wie die wechselhaften Aus- und Eingliederungen von Abteilungen gekennzeichnet. Diesen häufigen formalen Veränderungen zum Trotz entwickelte sich die Disziplinarpolitik auch personell kontinuierlich.

1.3.2 Dienst und Dienstordnung Den wichtigsten Sozialisationsraum der Kinder und Jugendlichen im Nationalsozialismus sollte der Hitler-Jugend-Dienst als »das große Erlebnis [ihrer] Jugend« bilden.134 Gemäß dem von der bürgerlichen Jugendbewegung übernommenen Prinzip der »Selbstführung«135 fand er unter der Anleitung nur geringfügig älterer Jugendführer und Jugendführerinnen in den Jungen- und Jungmädelschaften und in den Mädel- und Kameradschaften der Untergliederungen als »Heimabend, Sportdienst, Lager und Fahrt« statt.136 Daneben wurde auch die Teilnahme an Feiern, Kundgebungen und weiteren Parteiveranstaltungen zu verschiedenen Anlässen im »NS-Feierjahr«137 vorausgesetzt. Zu solchen, oft unter gewaltigem Aufwand inszenierten Großveranstaltungen wurden 132 Ebd., S. 83 (Zitat); Anordnung des RKPA an sämtliche Kripo(leit)stellen, RB 41/II, 26.11.1937, S. 1123. 133 RB 4/I, 31.1.1936, S. 55. Bereits Ende 1934 meldete die Kriminalpolizei homosexuelle Vorfälle an die Hitler-Jugend; Rundschreiben des LKPA Berlin, 5.12.1934, in: VHB, Bd. II, S. 972. 134 Randel, Jugenddienstpflicht, S. 83. 135 Schirach, Hitler-Jugend, S. 25 u. 57–65. Zur Reduktion des Prinzips der Jugendbewegung, dass »Jugend von Jugend geführt werden müsse«, Giesecke, Wandervogel, S. 22. 136 Klemer, Jugendstrafrecht, S. 22. 137 Vgl. dazu Reichel, S. 208–222.

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die Hitler-Jungen und BDM-Mitglieder nicht nur als Publikum abkommandiert, sondern auch für Aufmärsche und Paraden eingesetzt. Sie erlebten die Doppelfunktion der nationalsozialistischen Massenaktionen, zu einem propagandistischen Großereignis beizutragen wie zugleich seiner Überwältigungsästhetik ausgesetzt zu sein. Das emotionale »Gemeinschaftserlebnis« dieser Massenevents sollte die Bedeutung der Jugendlichen für den Auf bau und Erhalt ihres Vaterlandes suggerieren und mit einem positiven Erlebnis verknüpfen.138 Zugleich entschädigte die feierliche Inszenierung für die ständige Zucht des weitaus nüchterneren Dienstalltages. Hier stand die Körperertüchtigung durch entsprechende Spiele und Übungen im Mittelpunkt. Sie wurde durch eine »weltanschauliche Schulung« zu den Themen der Geschichte der nationalsozialistischen »Bewegung«, des »Führers« und des rassistischen Weltbildes ergänzt.139 Bereits Mitte der 1930er Jahre häuften sich gerade in den Untergliederungen für die Jungen Klagen über die schwindende Attraktivität des massiv reglementierten Dienstbetriebes, der als Mischung aus »viel Druck und wenig Idealismus« beschrieben wurde. Mit der Übernahme einer Führerstellung scheint sich hingegen oft ein positives Verantwortungsgefühl verbunden zu haben.140 Der wöchentliche Dienst wurde durch die konzentrierten Geselligkeitsformen von »Lager« und »Fahrt« ergänzt, die als Inbegriff der »Gemeinschaftserziehung« typische Formen der nationalsozialistischen Erziehung bildeten.141 So galt die Wanderfahrt im BDM als »Probe« auf den »Willen zur Kameradschaft«, da sie neben der körperlichen Leistung Aufmerksamkeit und »unermüdliche Bereitschaft für den anderen« fordere: »Wer hier versagt, trennt sich selbst von der Gemeinschaft. Wer hier besteht, begreift den letzten Sinn der Fahrt«.142 Die Formen und Inhalte des regulären Dienstbetriebes der Hitler-Jugend wurden für die einzelnen Untergliederungen in umfangreichen und beständig aktualisierten Dienstanweisungen und -ordnungen exakt vorgeschrieben.143 Bis 138 Vgl. Kinz, S. 262ff.; Hübner-Funk, S. 274; Mosse, Kap. 2: Ästhetik der Politik, S. 33–61; dort auch zur Ordnung als Kriterium des Schönen, S. 36–39. 139 Vgl. Klönne, Jugend, S. 57–67 (allgemein), für BDM und JM, insbesondere die »Kulturarbeit«, Kinz, unter Betonung des Sports Reese, Straff, aber nicht stramm, S. 57, sowie die Lokalstudie Pahmeyer/Spankeren. Von regionalen Funktionsschwächen, v. a. in kleinstädtisch oder agrarisch geprägten Gebieten ist allerdings auszugehen. 140 Zeitzeugenbefragungen, in: Möding/Plato, S. 296; Reese, Verstrickung und Verantwortung, S. 206–222; Kenkmann, Wilde Jugend, S. 72ff. Pahmeyer/Spankeren, S. 276, widerlegen diese gängige These hingegen für den Raum Lippe. 141 Zum Lager vgl. Stahlmann/Schiedeck, für den RAD Patel, Lager und Camp; zu »Lager« und »Kolonne« als »geschlossene« Formen nationalsozialistischer Erziehung Gehrken, S. 117–137. 142 »Wir schaffen«. Jahrbuch des BDM. München 1936, zitiert nach Niederdalhoff, S. 51. 143 Vgl. die von der RJF hg. und mehrfach aktualisierten »Handbücher« für die Untergliederungen: HJ/Mädel/Pimpf im Dienst. Ausbildungsvorschrift für die Ertüchtigung der deutschen Jugend, sowie die Dienstordnung für das Deutsche Jungvolk/für den Jungmädelbund; darüber

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in festgelegte Schrittfolgen und Grußvorschriften, die eingeübt und praktiziert werden sollten, verraten sie ihre Orientierung an militärischen Dienstreglements und ihren Charakter als disziplinierende Zurichtung. Den Kern dieser allgemeinen Dienstordnungen bildeten die Gehorsamspflicht gegenüber den Führern und Führerinnen der Einheiten, die korrekte Uniform und ein verbindlicher Dienstweg.144 Die Einübung dieser »vorbildliche[n], gemeinschaftsgebundene[n] Haltung«, die sich in einer »selbstverständlichen Disziplin ausdrücke«, wurde als die dauerhaft wünschenswerte Lebenshaltung begriffen, wie in einer detaillierten »Dienstform des BDM« deutlich wird: »Unser Ziel soll es sein, mit wenig Anordnungen die zuchtvollste und geordnetste Mädelorganisation der Welt zu sein. Zucht und Disziplin müssen unseren Mädeln äußerlich und innerlich zu einer solchen Selbstverständlichkeit werden, daß sie über die Mädelgemeinschaft hinaus ihr Leben bestimmen. […] Wenn die Mädel 7 Jahre zu Zucht und Disziplin erzogen worden sind, muß es ihnen später einmal eine Selbstverständlichkeit werden, diese Dienstform zu leben.«145

In dem Konzeptpapier für eine umfassende Dienstvorschrift für die Gesamtorganisation, das in der ersten Jahreshälfte 1933 entstanden sein muss und in der Überlieferung im Hauptarchiv der NSDAP mit anderen Vorschriften den Versuch einer handbuchartigen Formalisierung und Normierung des Dienstbetriebes bildet, wurden die »Pflichten des Hitler-Jungen« und der Führer im Sinne einer solchen Dienstform definiert. Als erste Aufgabe wurde das »tadellose Auftreten und Betragen in der Öffentlichkeit« noch den Tugenden Mut, Gehorsam und Unterordnung, Verschwiegenheit und – als »höchste Pflicht« – der Kameradschaft vorangestellt.146 Pflicht des Führers war es demgegenüber, Vorbild zu sein, ferner seine »unbedingte Gerechtigkeit« und Führungsqualitäten. Zwar sollte er »das Wesen und die Grundsätze des Nationalsozialismus« so aufgenommen haben, dass er andere darüber belehren könne, doch ohne »als Politiker«

hinaus und zuvor regionale Zusammenstellungen wie das Handbuch für die Hitler-Jugend; Erlass einer »Dienstform des BDM«, in: Obergaubefehl der Obergauführerin, Aßhauer, 1.5.1940, S. 2–9, StA Augsburg, BDM-Obergau Schwaben (36), Nr. 1. 144 HJ-Dienstordnung, VOBl. II/5, 7.7.1934, S. 3ff., die »folgerichtig« auch auf DJ, BDM und JM anzuwenden war [zitiert als: Dienstordnung 1934]. 145 Obergaubefehl der Obergauführerin Hilde Aßhauer, A 3/40 K, 1.5.1940, S. 2–9, S. 2 u. 8f., in: StA Augsburg, BDM-Obergau Schwaben (36), Nr. 1. 146 Entwurf einer Dienstvorschrift der Reichsjugendführung der NSDAP. Alle Rechte vorbehalten, Copyright bei Hitlerjugendbewegung e. V., S. 27f. [Typoskript, 107 S.; nicht datiert, vor dem 1.7.1933], in: RJF – Entwurf einer Dienstvorschrift für die HJ, BA Berlin, NS 26/338. Das Konvolut besteht aus mehreren Teilen unterschiedlichen Datums; neben der zitierten »Dienstvorschrift« enthält es eine vertrauliche »Vorläufige Dienstvorschrift für den HJ-Streifendienst. RJF–Amt für Jugendverbände. Herausgegeben: 15.5.36« [entstanden im März 1936; weitgehend übernommen in: Richtlinien für den Streifendienst, 1.6.1938]; eine »Dienstvorschrift der RJF« [nicht datiert, vor 1933] und eine »Allgemeine Dienstordnung« (A. D. O.) [nicht datiert].

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aufzutreten.147 Auf der Grundlage der Dienstordnungen lässt sich das Ziel der Hitler-Jugend-»Erziehung« skizzieren: Leicht aktivierbar, körperlich leistungsfähig und beruflich tüchtig, war der ideale Jugendliche an Organisationsdisziplin gewöhnt. Er sollte sich unreflektiert an die von der Organisation geforderten Normen binden, Initiative nur im Rahmen dieser Normen entfalten und sein Selbstgefühl auf die Stellung seiner Organisation und seine Position darin beziehen.148 Das Ideal eines BDM-Mädels war zusätzlich hauswirtschaftlich geübt, musisch gebildet und zur Mutterschaft bereit.149 Erklärte weibliche Gegenbilder waren mit der »Dame« und dem »Sportgirl«150 die neuen emanzipierten Frauenrollen der Weimarer Republik. Entgegen dem nun als imageschädigend wahrgenommenen Bildes des wilden, »kämpfenden« oder gar »raufenden Mädel«, das in der Frühphase vor 1933 als Kameradin durchaus akzeptiert war, wurde im Zuge der einheitlichen Ausrichtungen der Organisationen ein neuer deutscher »Mädeltyp« propagiert.151 Die Geschlechterbeziehungen sollten durch »gesunde« Kameradschaftlichkeit und Verantwortung für die künftigen Rollen in der Familie geprägt sein.152 Mit der Verantwortung für die Gesunderhaltung, die für beide Geschlechter galt, war eine Betonung der Körperschulung verbunden.153 Kurz: »Die Selbsterziehung der Jugend kennt nur das Ideal des starken, persönlich gefestigten und lebenstüchtigen Kameraden.«154 Der Begriff der »Selbsterziehung« umfasst mit der »Selbstführung« durch ein junges Führerkorps und der Disziplinierung die charakteristischen Elemente der »Gemeinschaftserziehung« im Jugendverband. »Wir haben uns selbst in Zucht genommen. Wir wollen einen bestimmten Jungentyp, eine bestimmte Haltung und ein bestimmtes Können in unserer Gemeinschaft und durch unser Jungvolkleben wachsen lassen. […] Deswegen muß unsere Arbeit auch beim Spielen planmäßig sein. Es darf nicht vorkommen, daß einer […] planlos das treibt, was ihm gerade Spaß macht«,155

formulierte 1934 das Diensthandbuch für die zehn- bis vierzehnjährigen »Pimpfe«. Dieser erwünschte, »bestimmte Jungentyp unserer Tage«156 lässt sich als eine 147 Entwurf einer Dienstvorschrift der Reichsjugendführung der NSDAP, 23f., BA Berlin, NS 26/338. 148 Klönne, Jugend, S. 85. 149 Miller-Kipp, Bund Deutscher Mädel, S. 189, und Reese, Straff, aber nicht stramm, S. 43, konstatieren das Fehlen eines präzisen Leitbildes für die Mädchenerziehung. 150 Heußler, S. 29f. 151 Böltken, S. 71ff. 152 Reichsjugendführung/P-Ü, Sonderrichtlinien. Die Bekämpfung gleichgeschlechtlicher Verfehlungen im Rahmen der Jugenderziehung, S. 11. 153 Zehn Gebote zur Gesundheitspflicht vom Reichsarzt der HJ, Kaufmann, Das kommende Deutschland, 1943, S. 89; vgl. Reese, Straff, aber nicht stramm, S. 57. 154 Dietze, Rechtsgestalt, S. 58. 155 RJF, Pimpf im Dienst, S. 6 [Hervorhebung im Original]. 156 Helle u. a., S. 28.

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»konkrete Ordnungsfigur« im Sinne Carl Schmitts begreifen.157 Die aus dem Prinzip der »Selbstführung« abgeleitete »Selbstzucht« bildete eine zentrale Vorstellung, die das eingeforderte »Hineinwachsen in die Lebenshaltung unserer Gemeinschaft« zur Aufgabe der einzelnen Jugendlichen machte: »Wer das nicht bei sich selbst erreicht, […] der muß wieder gehen.«158 »Zucht« entspricht dem Formenarsenal der Bündischen Jugend ebenso wie die abenteuerlicheren Elemente von Lager und Fahrt, deren Traditionen der nationalsozialistische Verband adaptiert hatte.159 Im gleichnamigen Gedicht des sich gerne lyrisch gebenden Jugendführers Schirach wird die »Erlösung« im gemeinsamen Marschieren von »viel Millionen« imaginiert, deren lautstarker »Gang voll Wucht« sich nicht zufällig auf »Ordnung, Sinn und Zucht« reimt.160 »Zucht und Ordnung« galten als Grundgesetze des Dienstes in der Hitler-Jugend wie als Basis einer nationalsozialistischen »Ethik«, die in Ansätzen formuliert wurde.161 Die Ausführungen des Obersten Parteirichters Walter Buch etwa verbanden in der Weihnachtsausgabe der HJ-Führerzeitschrift »Wille und Macht« 1937 den organisatorischen Begriff der Selbstzucht mit der »Züchtigkeit« der Geschlechterbeziehungen im neuen Staat: »Aus der innigen Gemeinschaft der züchtigen Frau mit dem zuchtvollen Mann kann erst die Züchtigung des deutschen Menschen erwachsen, der nicht mehr als Sklave anderer kümmerlich sein Leben fristen muß, der vielmehr als Herrenmensch seinen Raum sich untertan macht, wie er ihn braucht für seines Volkes, für seines Nachkommen Leben.«162

Neben unfreiwilliger Komik wird die selbstbewusste Konnotation des Begriffes deutlich. Die »Züchtigung des deutschen Menschen« wurde nicht als demütige Reduktion begriffen, sondern als völkische Befreiung zu sich selbst in der Gemeinschaft und damit als Voraussetzung der rassistisch begründeten Herrschaft und einer genealogischen Zucht. Die Definition der »Heimabende« und andere Aktivitäten des Jugendverbandes als »Dienst« bildete eine Voraussetzung für das eigene Dienststrafrecht, das Vergehen gegen spezielle Dienstpflichten und mit dem Dienst verbundenen Grundsätze sanktioniere. Äußere Disziplin nach dem Vorbild militärischer Abläufe galt als selbstverständlicher Ausdruck nationalsozialistischer Gesinnung und als Schlüsselqualifikation der Jugendlichen in der politisierten Ge157 Schmitt, Über die drei Arten, S. 18. 158 Die BDM-Reichsreferentin in einem Plädoyer für eine »charakterliche Auslese« im BDM 1934, [Bürkner-]Mohr, Wir Mädel, S. 18 [Hervorhebung im Original]. 159 Vgl. Hübner-Funk, S. 275ff. 160 Schirach, Gemeinschaft, in: ders., Die Fahne der Verfolgten [o. P.]. 161 John, S. 123; vgl. Usadel, Zucht und Ordnung. 162 Buch, Zucht, S. 6. Buch hatte bereits 1935 versucht, eine Kampagne zur »Hebung der Ehemoral in Bewegung und Volk« zu lancieren. Vgl. Block, S. 136f.

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sellschaftsordnung. Die Präambel der ersten »Disziplinarordnung der HitlerJugend« bestimmte die Disziplin als Grundlage der Hitler-Jugend-Ordnung und erhob sie zur Bedingung des politischen Erfolges. »Zucht und Ordnung« galten als unabdingbare Voraussetzungen für die Aufgabe, »das Werk des Führers in die Zukunft zu tragen«.163 Die zu erwerbende »Lebenshaltung« sollte sich »auf den ganzen Menschen« richten. Im Dienst wie »als Zivilist« galt es, eine »nationalsozialistische Gesamthaltung« zu beweisen. Den Führerinnen und Führern wurde mit ihrer Vorbildfunktion eine »verpflichtende Haltung und Form« in allen sozialen Beziehungen, privater wie öffentlicher Natur, auferlegt: »Die nationalsozialistische Idee ist nicht nur das Glaubensbekenntnis der Uniformierten, sondern die Idee der Lebensausrichtung aller deutschen Menschen. Alle Tugenden des deutschen Volkes, die durch die nationalsozialistische Bewegung wiedererstanden sind, müssen in [dem nationalsozialistischen Jugendführer] eine Verkörperung finden.«164

Diese Aufgabe leibhaftiger und permanenter Inkorporation einer politischen Idee durch eine einheitliche »Haltung« und »Tat« der Individuen bildete als gesellschaftliche Ordnungsutopie das Ziel der Formationserziehung. Sie wurde auf symbolischer Ebene durch die äußere Ordnung der Uniform unterstützt. Zum Dienstbetrieb gehörte die »Dienstkleidung«, deren einzelne Stücke akribisch vorgeschrieben wurden.165 In direkter Umsetzung des Propagandatopos einer vermeintlich Klassen überwindenden Kameradschaft im Militär166 sollte diese äußerliche Vereinheitlichung die Identifikation des Einzelnen mit der Gemeinschaft unterstützen: »Die Uniform ist das Symbol der Gemeinschaft. Wer Uniform trägt, ist nicht mehr ein Einzelner, sondern die Verkörperung aller, die seines Glaubens sind. […] Sie ist die Uniform der Kameradschaft.«167

Das »braune Ehrenkleid«168 wurde jedoch nicht von der Organisation gestellt, sondern musste von den Familien angeschafft und bezahlt werden. Die Reichsjugendführung verlangte von den Führern und Mitgliedern, sich genau nach 163 Die Disziplinarordnung für HJ, DJ, BDM und JM, in: RB. Streng vertraulicher Sonderdruck, 14.12.1936, S. 3. Auch in: IfZ, Akten der Parteikanzlei, Teil II, Bd. 3, Nr. 31183, Bl. 24208–24216 [zitiert als: Disziplinarordnung 1936]. Vgl. bereits Schirach, Hitler-Jugend, S. 68: »Der Erfolg des Nationalsozialismus ist ein Erfolg der Disziplin, das Gebäude der nationalsozialistischen Jugend ist gleichfalls auf dem Fundament der Disziplin und des Gehorsams errichtet«. 164 Anweisung des Stabsführers, RB 4/I, 31.1.1936, S. 47. 165 Oberste SA-Führung/RJF, Das Braunhemd; RJF/Abteilung I, Uniformen der H. J. 166 »Der Millionärssohn und der Arbeitersohn tragen ein und dieselbe Uniform«, Dietze, Rechtsgestalt, S. 91. 167 RJF/Abteilung I, Uniformen der H. J., S. 1. 168 Entwurf einer Dienstvorschrift der Reichsjugendführung der NSDAP [1933], BA Berlin, NS 26/338, S. 21.

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den detaillierten Kleidervorschriften zu richten.169 Die Uniformierung des Erscheinungsbildes170 setzte sich bis in die Frisur fort. Was dem BDM- oder Jungmädel die geflochtenen Zöpfe,171 war den Jungen der akkurate Kurzhaarschnitt, dessen Pflege immer wieder als Gegenstand von Dienstanweisungen zu einer Frage der individuellen Disziplin gemacht wurde.172 Die Erfüllung eines ästhetischen Ideals der Gleichförmigkeit, das sich für die Masseninszenierungen anbot, machte den Gedanken der »Volksgemeinschaft« gleichermaßen sinnfällig und sinnlich erfahrbar: »Die erste Aufgabe der HJ ist es, jedem ein Braunhemd anzuziehen. Hierdurch werden die Jungens einheitlich gekleidet, sodass schon rein äusserlich alle Standesunterschiede wegfallen. Es [s]oll ja jeder Hitlerjunge ein Glied der Volksgemeinschaft werden und hierin unterschiedet sich keiner von dem anderen. Die wichtigste Aufgabe der Hitlerjugend ist es, die Jungens in nationalsozialistischem Geist zur Volksgemeinschaft zu erziehen.«173

Tatsächlich sind diese Attribute der Zugehörigkeit als Prestigeerfahrung in den Erinnerungen ehemaliger HJ-Führer und BDM-Führerinnen noch nach Jahrzehnten in Einzelheiten präsent.174 Die gewünschte Außenwirkung erfüllte jedoch nur ihren Zweck, wenn ein günstiger Eindruck garantiert werden konnte. Die Propagandawirkung uniformierter Jugendlicher im Alltagsleben, wie vor innenpolitischen Großereignissen wie der »Reichstagswahl« im März 1936 angeordnet,175 konnte jederzeit in Abschreckung umschlagen.

169 RJF/Abteilung I, Uniformen der H. J., 1. In einer Umfrage der Landesregierung Lippe zum Organisationsgrad der Hitler-Jugend führten die hohen Kosten für Ausrüstung, Kleidung und Mitgliedsbeitrag die Begründungen der Nicht-Teilnahme an, wobei das Begründungsmuster hauptsächlich von der katholischen Elternschaft angeführt wurde. Vgl. Pahmeyer/Spankeren, S. 204–218. 170 Zur Vereinheitlichung Mentges. 171 Vgl. Niederdalhoff, S. 46. Die Ersetzung der braunen Kluft der »Kampfzeit« durch blauen Rock und weiße Bluse für die Mädchen (VOBl. I/14, 19.8.1933, S. 1) interpretiert Reese, Straff, aber nicht stramm, S. 57, als Zugeständnis an traditionalistische Frauenleitbilder. 172 RB 36 K, 12.4.1940, S. 2 (»Der Haarschnitt vieler Hitler-Jungen entspricht in keiner Weise unserer Haltung. Nationalsozialisten müssen auch in ihrer äußeren Erscheinung von ehemaligen Tangojünglingen […] zu unterscheiden sein.«); Rundschreiben der RJF, F. 16/41, 26.5.1941, S. 8; saubere Uniform und soldatischer Haarschnitt gehörten zu den »Pflichten, die die Hitler-Jugend den Jugendlichen kraft ihrer Zugehörigkeit zur Hitler-Jugend auf Grund der Jugenddienstpflicht auferlegt«, Kugler, S. 314. 173 Rede über Auf bau und Aufgaben der HJ, gehalten von Bannführer Pg. Neun, HJ-Gebiet Stuttgart, 23.6.1942, Typoskript, BA Berlin, NS 28/81. 174 Vgl. Möding, S. 268. 175 Anordnung des Stabsführers der RJF »auf Wunsch des Reichspropagandaministers« an alle HJ-Angehörigen, an Vortag und Tag der »Reichstagswahl« am 29.3.1936 nur uniformiert die Straße zu betreten, RB 11/I, 20.3.1936, S. 209.

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»Die Dienstkleidung […] verpflichtet zu einem höflichen, zuvorkommenden, ordentlichen Benehmen in der Öffentlichkeit. Das Urteil, das von einem Außenstehenden über ein Mädel gefällt wird, trifft nicht das Mädel persönlich, sondern den BDM.«176

Die beabsichtigte Unterschiedslosigkeit zielte auf dieselbe doppelte Wirkung wie die Disziplinierung im Dienstbetrieb. Zunächst war sie sichtbarer Ausdruck der erfolgreichen Gleichschaltung im Jugendbereich; daher wurden individuelle Abzeichen, Flaggen und Lieder, wie sie als Teil der bündischen Jugendkultur zunächst auch in die Hitler-Jugend und hier vor allem in das Jungvolk Eingang gefunden hatten, nicht geduldet.177 Die Identifikation der Mitglieder sollte durch Gefühle von Aufwertung, Stolz und Zugehörigkeit gestärkt werden. In der Logik des »schönen Scheins« (P. Reichel) trug die Gleichartigkeit zu einem ungestörten Masseneindruck bei. Die in der Schule getragene Uniform oder das mit diesem speziellen Kleidungsstück exerzierte Ritual demonstrierte einerseits Präsenz und Geschlossenheit, andererseits machte sie jede Abweichung erst sichtbar. Die Uniform als das »Ehrenkleid das künftigen Reiches«178 visualisierte Integration, ihr Fehlen das Ausgeschlossensein, die für den Einzelnen am Körper erfahrbar und für die Umgebung symbolisch erkennbar wurden. Diese materielle Symbolisierung entspricht der theoretischen Repräsentationslogik, die den juristischen Ehrenbegriff im Nationalsozialismus charakterisiert. Sie konkretisiert den individuellen ›Treuestatus‹ des Einzelnen. Der Entzug der Uniform als »Ehrenstrafe« beim Ausschluss sowie bei der Inhaftierung von Angehörigen des Parteiverbandes179 betonte die stete Veränderbarkeit dieses Status. Zugleich antizipierte die Uniformierung die Geschlossenheit des Militärs und verwies damit auf eine zentrale Aufgabe der in diesem »Jugenddienst« sozialisierten Jungen als künftige Soldaten. Der Charakter als Dienstkleidung staatlicher Exekutionsorgane legitimierte und sanktionierte visuell zugleich die Aktivitäten der Jugendlichen im öffentlichen Raum.180 Der gesetzliche Schutz der Orden und Symbole erweiterte und überhöhte die interne kommunikative Bedeutung der aus der Jugendbewegung übernommenen Verbandssymbole, indem sie auf den Staat und seine Rechtsordnung bezogen wurden.181 176 Obergaubefehl der Obergauführerin Hilde Aßhauer, A 3/40 K., 1.5.1940, S. 8, in: StA Augsburg, BDM-Obergau Schwaben, Nr. 1. 177 Vgl. exemplarisch die Distanzierung des zunächst »begeisterten« Fähnleinführers und späteren Mitglieds der Widerstandsgruppe »Weiße Rose«, Hans Scholl, in der Erinnerung seiner Schwester, Scholl, S. 15–19. Zur »Säuberung« des DJ vgl. Klönne, Jugend, S. 125–128. 178 Entwurf einer Dienstvorschrift der Reichsjugendführung der NSDAP [1933], BA Berlin, NS 26/338, 21. 179 Runderlass des RFSSuChDtPol, 31.7.1940, bei Knopp, Überwachungswesen, S. 104. 180 Vgl. Klönne, Jugend, S. 136. Als Hinweis auf die Außenwahrnehmung der Militarisierung vgl. den Bericht der New York Times über eine Ankündigung Schirachs der verpflichtenden Mitgliedschaft unter der Überschrift »Uniforms for every one«, The New York Times, 9.5.1937. 181 Zur Funktion von Verbandssymbolik und Habitus vgl. Bönisch u. a.

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Die äußerlich wie inhaltlich militärische Orientierung der Jugendarbeit als Dienst bezog das Jugendleben auf die ganze »Volksgemeinschaft«, in die sich die Kinder und Jugendlichen einübten und mit der sie sich identifizieren sollten. Zentraler Modus und Wert dieses Dienstes war die »Zucht«. Sie diente zugleich dazu, Vertrauen der Eltern gegenüber der Führerschaft herzustellen.182 Ein strenger Aufruf des Stabsführers der Reichsjugendführung, Hartmut Lauterbacher – nach Schirach der ranghöchste Jugendfunktionär – zu »Disziplin und Ordnung« in HJ und BDM aus dem Januar 1936 verdeutlicht, dass diese weder vorauszusetzen waren, noch verlässlich angeordnet werden konnten.183

1.3.3 HJ-Streifendienst als Disziplinarorgan Den beiden Aspekten des öffentlichen, repräsentativen Charakters der Organisation wie der Aufgabe einer nationalsozialistischen Sozialisierung im alltäglichen Dienstbetrieb entsprach die Vorstellung eines eigenen Kontrollorgans, wie es der HJ-Streifendienst (SRD) verkörperte.184 Diese Sonderformation erfüllte mehrere Funktionen: In der eigenen Tradition kämpferischer Gegnerbeobachtung bot er den beteiligten Streifendienstlern »a romanticized taste for police work«185 als ein zugleich zur Auswahl und Erprobung von Führungspotential geeignetes Angebot. Mit der Aufgabe der Überwachung arbeitete der Streifendienst der Reichsjugendführung und polizeilichen Verfolgungsinstanzen zu. Schließlich repräsentierte er die Allgegenwart spezieller Kontrollinstanzen in den nationalsozialistischen Massenverbänden. Der Streifendienst wurde im März 1935 eingerichtet.186 Dieses »Organ der aktiven Führer« war als lokale Kontrollstreife mehrerer älterer HJ-Führer organisiert, die neben Ordnungsaufgaben auch Überwachungsfunktionen ausübte.187 Ausdrücklich verfügte sie weder über Straf befugnis, noch über das Recht zur Gewaltanwendung.188 Voraussetzung der Zugehörigkeit war die politische und organisationspolitische Unbescholtenheit; wer »durch Partei-, 182 Verfügung des Reichsjugendführers über den Jungvolkdienst, VOBl. Sonderdruck, 10.7.1936, S. 1–4, S. 1. 183 Unter Androhung von Strafe und Veröffentlichung, RB 4/1, 31.1.1936, S. 47. 184 Als spektakuläres Organ weckte diese Sonderformation das Interesse der Forschung, vgl. Nolzen, Streifendienst; Rempel; mit Schwerpunkt der Kriegszeit Buddrus, Totale Erziehung, S. 369–388; sowie Kenkmann, Wilde Jugend, S. 167–170. 185 Rempel, S. 55f.; zur Attraktivität auch Kenkmann, Wilde Jugend, S. 71f. 186 Anordnung des Stabsführers, VOBl. III/9, 7.3.1935, S. 2, der eine Anordnung des RJF vom 21.7.1934 – unmittelbar nach der machtpolitischen Ausschaltung der SA – zu Grunde lag. So Brandenburg, S. 166; Klose, S. 215; Rempel, S. 52; vgl. auch Buddrus, Totale Erziehung, S. 369. 187 Anordnung von John u. Lauterbacher, VOBl. III/14,11.4.1935, S. 3f. 188 RJF, Richtlinien für den HJ-Streifendienst, Berlin 1.6.1938, S. 22f.; Verbot willkürlicher Kontrollen, S. 27.

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HJ- oder staatliche Gerichte« vorbestraft, in »gegnerischen Organisationen« als Führer aktiv gewesen »oder sonst politisch belastet« war, kam für diese Sondereinheit nicht in Frage.189 Als »zuverlässige, gewissenhafte, geistig und körperlich bewegliche, selbstbewusste und im Auftreten sichere HJ-Führer und Jgg.« sollten die erwünschten Mitglieder vielmehr dem Ideal eines Hitler-Jungen und der gewünschten Zucht entsprechen.190 Die ersten Arbeitsrichtlinien bestimmten, die Befolgung der Anweisungen in den Untergliederungen, ein der »Rolle und Würde der NSDAP« angemessenes Auftreten sowie das Verhalten außerhalb des Dienstes zu kontrollieren.191 Als »erstmalige Probe für den Gesamteinsatz« beobachteten die neu aufgestellten Streifen wenige Wochen später im »Pfingsteinsatz« die Wanderbewegungen von Jugendlichen an den frühsommerlichen Feiertagen im ganzen Reichsgebiet.192 Obgleich nur gegenüber Angehörigen der Hitler-Jugend zum »Einschreiten« und der Feststellung der Personalien berechtigt, sollte auch über »nichtnationalsozialistische Jugendgruppen« detailliert berichtet werden. Wegen der begrenzten Kompetenzen des Streifendienstes als Sondereinsatzgruppe ohne »polizeilichen Charakter, auch nicht de[m] einer Sittenpolizei«,193 war die Ordnungspolizei angewiesen worden, gegebenenfalls »zugunsten der Staatsjugend« einzugreifen. Polizei und Gendarmerie sollten jedoch nur bei Zwischenfällen einschreiten.194 Die Reichsjugendführung verbuchte den Testlauf als Erfolg und als Probe der Selbstdisziplinierungsfähigkeit der Hitler-Jugend gegenüber der skeptischen Öffentlichkeit und den staatlichen Exekutivorganen: »Wenn es uns gelingt, einmal einen Streifendiensteinsatz durchzuführen, ohne daß die geringsten Zwischenfälle zu verzeichnen sind, werden auch die zuständigen Behörden der Polizei und des Staates die Autorität des Streifendienstes anerkennen.«195

Die hier erstmals angeordnete Zusammenarbeit von organisationseigener und staatlicher Polizei betraf auch die Ausbildung zu dieser zusätzlichen Dienstverpflichtung als SRD-Führer, die in den Bannen der Ortspolizei oblag. Die Bann189 Ebd., S. 9; Ausschluss oder Ausscheiden aus HJ oder SRD beendeten die Zugehörigkeit. Ebd, S. 12. 190 Ebd., S. 9. 191 Referent für den SRD im Personalamt der RJF, Lüer, Streifendienstanordnung Nr. 1 zur Ausbildung und Tätigkeit des eingerichteten Streifendienstes, VOBl. III/21, 6.6.1935, S. 3–7. 192 Streifendienstbefehl Nr. 1, Anordnung Lüers, VOBl. III/18, 16.5.1935, S. 4ff. 193 VOBl. III/21, 6.6.1935, S. 4. 194 Eilmeldung der Bayrischen Politischen Polizei über »Zusammenarbeit zwischen HJ-Streifendienst und der Polizei während der Pfingstfeiertage 1935«, 6.5.1935, IfZ München, Fa 119, Bl. 120; sowie vom 5.5.1935, ebd., Bl. 118f. Zum Beweisdruck der eigenen Disziplinierungsfähigkeit Kenkmann, Wilde Jugend, S. 11; Beschwerdebrief eines Vaters, der sich die Führung der HJ »von Lehrern und gereiften Männern« wünschte. Schreiben S. an Staatsrat Hille, 13.2.1936, RJF, Informationsdienst 1936, BA Berlin, NSD 43/20. 195 VOBl. III/18, 16.5.1935, S. 4ff., S. 5.

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Personalstelle verfügte über die Disziplinarrechte, sammelte die Meldungen in einer Kartei und veranlasste Disziplinarmaßnahmen. Die Monatsberichte des Streifendienstes in Form von Kriminalstatistiken und dem Erkenntnisinteresse des SD angepassten Arbeitsberichten wurden gebietsweise für das Personalamt der Reichsjugendführung zusammengefasst.196 Sie dienten so als empirische Materialgrundlage ihrer Disziplinarpolitik. Dass der Probelauf des Streifendienstes sich auf Wanderungen in der Freizeit konzentrierte, verrät die starke Aufmerksamkeit der Hitler-Jugend für die ehemalige Bündische Jugend, ein Hauptgebiet ihrer Überwachung. Die Auseinandersetzung mit dem kulturellen und personellen Potential dieser ab 1936 »rückwirkend« verbotenen und fortan als »staatsfeindlich« geltenden völkischen Jugendgruppen, die ab 1933 noch wesentlich zum Mitgliederaufschwung der Hitler-Jugend, insbesondere des Jungvolks, beigetragen hatten, zog sich durch die 1930er Jahre.197 Die Beobachtung »sich bündisch betätigender Jugendlicher« war eine Hauptaufgabe des Streifendienstes, der mithilfe eines Katalogs äußerlicher Merkmale und Zuschreibungen – von der »lässigen« Haltung über »ungepflegte« Kleidung bis zum »merkwürdigen Käppchen« – vorging.198 Die konkrete Überwachung wurde durch eine Kampf berichterstattung in den Führerzeitschriften ergänzt, die den vermeintlich »staatsfeindlichen« und »bolschewistischen« Hintergrund verdeutlichen sollten.199 Auf »Fahrt« sollte die marschierende Hitler-Jugend sich durch militärische Diszipliniertheit, korrekte Uniformen und geplante Nachtlager im Auftreten von der romantischwilden Tradition der jugendbewegten Geselligkeitsformen unterscheiden, die sie übernommen hatte. Denn die »Fahrt« wurde als eigenes »Haupterziehungs-

196 VOBl. III/21, 6.6.1935, S. 5. Vgl. auch die Darstellung im internen kriminalstatistischen Bericht JFdDtR (Hg.), Kriminalität und Gefährdung der Jugend. o. O. u. J. [Berlin, Lagebericht bis zum Stande vom 1.1.1941], in Klönne, Jugendkriminalität, S. 5–228, S. 39 [zitiert als: JFdDtR, Kriminalität und Gefährdung der Jugend]. Buddrus, Totale Erziehung, S. 379, bezeichnet den SRD daher als »V-Leute des SD«. 197 Verbot aller »Gruppen und Vereine der Bündischen Jugend« auf Grundlage der Verordnung des Reichspräsidenten zum Schutz von Volk und Staat, 28.2.1933, RGBl. 1933, Teil I, S. 83, §§ 1, 4 (»Reichstagsbrandverordnung«), durch Erlass des Reichs- und Preuß. Ministerium des Inneren, 4.2.1936, mit Liste der verbotenen Publikationen, VOBl. 2/101, 15.2.1934; Anordnung RJF/Amt für Jugendverbände, Lüer, RB 13/I, 3.4.1936, S. 273ff.; gefolgt von regionalen Wiederholungen des Verbotes durch Gestapo Köln, 13.2.1936, und Hamburg, 17.2.1936, in: Jahnke/ Buddrus, Dok. 55f., S. 109f.; strafrechtliches Verbot durch Erlass des RFSS u. ChDtPol, Himmler, 20.6.1939, in: VHB, Bd. II, S. 1071f. Vgl. zur Entwicklung der völkischen Jugendgruppen in der Weimarer Republik Giesecke, Wandervogel, S. 90ff.; zum Mitgliederzulauf in die Hitler-Jugend ab 1933 Brandenburg, S. 151, zur Rolle ehemaliger bündischer Führer im DJ Klönne, Jugend, S. 119ff.; Maßnahmen gegen Mitglieder bündischer Gruppen ab 1934 Jovy, S. 158–169. 198 Richtlinien für den HJ-Streifendienst, 1.6.1938, S. 34. 199 Vgl. etwa Sotke, der nach Ansicht der Redaktion mit einen »Schlussstrich« das Thema abschließe; Mögling, sowie RJF, Informationsdienst, 1934–1936, BA Berlin, NSD 43/20.

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mittel« beansprucht.200 Als Ort jugendlicher Unkontrollierbarkeit und »zügellosen Umhertreibens« schlechthin begriffen,201 blieb sie ein zentrales Überwachungsgebiet des Streifendienstes, der als Informant zur Verfolgung der z. T. illegal fortbestehenden bündischen Gruppen beitrug.202 Die ersten Einsatzbefehle und allgemeinen Anordnungen für den Streifendienst richteten sich so, um »Ansehen« und Auftreten der Hitler-Jugend in der Öffentlichkeit besorgt, vordergründig auf disziplinarische Belange, wie auf die Suche nach Vermissten und die Kontrolle der Hitler-Jugend-Heime.203 Tatsächlich verfolgten sie jedoch mit der Einschüchterung und Ausschaltung traditioneller Jugendgruppen klare organisationspolitische Ziele vor innenpolitischem Hintergrund. Die Durchsetzung des Monopols des Einheitsjugendverbandes durch eine Verfolgung nach polizeilichem Muster wiederholte und ergänzte auf organisatorischer Ebene den politischen Gleichschaltungsprozess. Die stereotype Beschreibung und Überwachung bestimmter »Gegnergruppen« konstruierte nicht nur ein Feindbild, sondern stärkte die eigene Gruppe. Wie sehr das Gegenbild als Projektionsfläche zur Mitgliederbindung und Sinnstiftung funktionalisiert wurde, hat eine Analyse der Ausgrenzungsmechanismen der Hitler-Jugend in der Freien Stadt Danzig gezeigt, in der eine Wahrnehmung von Gegnern aus Sicht des nationalsozialistischen Jugendverbands einem tatsächlichen Auftreten vorausging.204 Der HJ-Streifendienst arbeitete auch bei der Verfolgung jüdischer Jugendgruppen eng mit Kriminalpolizei, Gestapo und SD zusammen.205 In München beteiligten sich vier Mitglieder des Streifendienstes in der Pogromnacht im November 1938 aktiv an räuberischen Übergriffen auf eine jüdische Turn- und Sportvereinigung, um Geräte

200 RJF-PÜ, Die Überwachung der Gefährdung der Jugend. Einsatzbefehl für den HJ-Streifendienst vom 1.6.1940, S. 16. 201 JFdDtR, Kriminalität und Gefährdung der Jugend, S. 171. Das den bündischen Jugendlichen vor 1933 zugeschriebene Negativbild als »besonderer Gefahrenherd für die Verwahrlosung der Jugend« bestand aus »Betteleien und Diebereien, […], Trampen, Landstreichen, Gemischtwandern, schließlich sexuelle Excesse.« 202 RJF/Personalamt, Richtlinien für das Einschreiten des HJ-Streifendienstes in besonderen Fällen, 1.6.1938, in: VHB, Bd. II, S. 916ff.; diverse Sonderanweisungen, wie »für den Ehrenschutz für vorgeschichtliche Baudenkmäler«, RB 24/IV, 30.6.1939, S. 484; sowie unmittelbar vor Kriegsbeginn die Überwachung von Grenzverletzungen der HJ auf ihren Fahrten, RB 26/IV, 14.7.1939, S. 518. 203 Streifendienstanordnung Nr. 2 zum »Bettelunwesen in der Hitler-Jugend«, Anordnung Personalamt, John, VOBl. III/34, 26.9.1935, S. 6; VOBl. III/26, 11.7.1935, S. 10; Arbeitsausschuß für HJ-Heimbeschaffung, RB 34/II, 8.10.1937, S. 911ff. 204 Vgl. Pallaske, S. 123f. 205 RJF, Richtlinien für den HJ-Streifendienst, 1.6.1938, S. 36. Zur Separierungs- und Verdrängungspolitik gegenüber den jüdischen Jugendverbänden 1933–1935 vgl. Jahnke/Buddrus, Dok. 23, 37 u. 46, S. 81, 91 u. 100f.; Hellfeld/Klönne, S. 170–173, Klönne, Jugend, S. 298–301.

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und Hallen für die Hitler-Jugend zu beschlagnahmen.206 Der psychologische Effekt, das Gemeinschaftsgefühl durch solche kämpferische Abgrenzung von Gegnergruppen zu stärken, wurde bewusst kalkuliert.207 Für die Mitglieder der lokalen Streifendienste scheint diese Wirkung eingetreten zu sein, wie die altkluge Kritik eines Bannstreifenführers aus Augsburg-Stadt zeigt, der sich 1941 über die Zurückhaltung der Polizei beim alljährlichen »Pfingsteinsatz« beklagte: »Es wäre bestimmt eine sehr lohnende Aufgabe der Polizei hier nicht durch Abwesenheit zu glänzen, sondern einzugreifen.«208 Zu diesem Zeitpunkt hatten die Aufgabengebiete des Streifendienstes sich erheblich erweitert. Seit 1936 trat der HJ-Streifendienst als »amtlicher Ordnungsträger« auf.209 Die »Gebietsstreifendienstführer«, die regional zuständigen Referenten, erfüllten 1937 die Aufgabe, »alle politischen und kriminellen Vorgänge innerhalb der deutschen Jugend zu überwachen und bekämpfen«, insbesondere auch das Verhältnis der Hitler-Jugend zu konfessionellen und anderen religiösen Verbänden zu beobachten.210 Auch hier diente der Streifendienst direkt den Monopolisierungsbestrebungen. Mit der katholischen, jedoch auf kirchlich-religiöse Aktivitäten beschränkten Jugendarbeit bestand bis etwa 1938 eine letzte legale Konkurrenzorganisation, die seit dem Frühjahr 1935 im Rahmen des »Kirchenkampfes« zweifach »bekämpft« wurde.211 In traditionell katholischen Gegenden wie dem Rhein- und Münsterland und Bayern wurde die Strategie strafrechtlicher Verfolgung, in sukzessiven Auflösungen und Verboten von Diözesanverbänden ab 1937 gipfelnd, von örtlichen Ausein206 Vernehmung von Alwin U. im Disziplinarverfahren gegen Emil Klein u. a., 9.12.1938, BA Berlin, NS 28/126, Bl. 61–67, Bl. 63. Die Aktion stand im Zusammenhang massiver Übergriffe der HJ-Gebietsführung »Hochland« gegenüber mindestens 8 jüdischen Familien, von denen Geld- und Immobilienwerte erpresst wurden. Vgl. dazu Buddrus, »Wir fahren zum Juden«; Heusler/Weger, S. 95–111. 207 Die Anlage von Schwarzen Listen und Gegnerkarteien ziehe immer, gestand der interne und vertrauliche Informationsdienst der RJF 1935 in einem Bericht über die Lage der katholischen Jugendverbände ein, BA Berlin, NSD 43/20. 208 StA Augsburg, HJ-Gebiet Schwaben, Nr. 49, Bl. 120496–120499, Bl. 12498f. 209 Klose, S. 216. 210 Verfügung des Stabsführers im streng vertraulichen RB 31/II, 20.8.1937, S. 826. 211 Die der katholischen Kirche im Reichskonkordat vom 9.7.1933, Art. 31, zugestandene konfessionelle Jugendarbeit wurde durch das Verbot der gleichzeitigen Mitgliedschaft in der Hitler-Jugend unterlaufen. PolVO gegen die konfessionellen Jugendverbände, 23.7.1933, in: Reineke, S. 74. Der »Frühjahrsoffensive« der RJF gegen katholische Jugendverbände 1935 folgte das Verbot konfessioneller Verbände nicht »rein kirchlich-religiöser Art«, in Polizeiverordnungen konkretisiert, indem Verstöße als staatsfeindliches Handeln galten, in: Jahnke/Buddrus, Dok. 47, S. 101; VHB, Bd. II, S. 1097–1101. Prozesse gegen Geistliche und Laien 1935–1938 folgten. Die Arbeitsanweisungen zur »Zerschlagung der konfessionellen Organisationen« über die Zusammenarbeit von HJ-Gebietsführungen und SD, 15.2.1938, markieren eine aggressivere Phase des Kirchenkampfes. Vgl. die Gesamtentwicklung Pahlke, S. 149–169 u. 199–240; sowie Schellenberger, S. 37f., 79 u. 90; Eilers, S. 25f.; für regionale Beispiele gezielter Provokationen und gewalttätiger Aggressionen durch die Hitler-Jugend Pallaske, S. 145–152.

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andersetzungen mit der Partei und namentlich der Hitler-Jugend begleitet.212 Gelegentlich profitierte der NS-Jugendverband auch unmittelbar und materiell von Schikane und Verfolgung. »Dieser Reibach hat uns sehr gut getan«, bedankte sich eine HJ-Gruppe, die von der Gestapo bei katholischen Rompilgern beschlagnahmte Ausrüstungsgegenstände im Gesamtwert von 15 000 RM erhalten hatte, im Sommer 1933.213 In den überlieferten Arbeitsberichten oberschwäbischer Streifendienste galt die »katholische Aktion« als ein »emsig[er] und rührig[er]« weltanschaulicher Gegner, den es auszuschalten gelte: »Wir beobachten weiter, nachdem wir noch keinen Punkt rausknobeln konnten um einzuhacken.«214 Der Streifendienst trug nicht nur zur Festnahme der im eigenen »Fahndungsblatt« oder »Reichsbefehl« gesuchten Jugendlichen bei,215 sondern führte auch Voruntersuchungen der Disziplinargerichtsbarkeit durch.216 Dazu ermittelte die Sonderformation in enger Zusammenarbeit mit der Polizei, vorrangig Gestapo und SD, gegen die »in politischer und krimineller Hinsicht straffällig gewordenen Jugendliche[n]«217 und übernahm damit polizeiliche Aufgaben innerhalb des Verbandes. Ab 1940 konnte der HJ-Streifendienst in den Disziplinarverfahren auch auf Untersuchungsergebnisse der Polizei zurückgreifen, während er seinerseits bei strafrechtlichen Verfehlungen in polizeiliche Ermittlungsverfahren einbezogen und mit der Beweisbeschaffung betraut wurde.218 Die Auf hebung der Unterscheidung zwischen organisierter und nichtorganisierter Jugend erweiterte 1938 den Zuständigkeitsbereich auf alle Jugendlichen im Hitler-Jugend-Alter.219 Die Disziplinierungsaufgabe wurde in den Richtlinien deutlich ausgesprochen und bringt die Ambivalenz der Überwachung aus Kontrolle und »Schutz« zum Ausdruck: 212 Vgl. Pahlke, S. 128; Klönne, Jugendprotest, S. 541f.; Pätzold/Weißbecker, S. 335; Rusinek, Unsicherheit, S. 123 u. 127. 213 Gebiet Baden (21) an Lüer, Amt für Jugendverbände, 16.7.1933, RJF, Informationsdienst, August 1933, BA Berlin, NSD 43/20, Bl. 111362f. 214 SRD-Bericht für den Bann Mindelheim, o. Dat. [ Juli oder August 1940], StA Augsburg, HJ-Gebiet Schwaben, Nr. 57, Bl. 120746 [originale Orthographie]. Weitere Beispiele: Monatsmeldung des Bannes Lindau, 31.10.1940, ebd., Nr. 55, Bl. 120682; Beobachtungen einzelner Pfarrer, des Kirchbesuchs etc., konfiszierte Rundbriefe eines katholischen Pfarramtes im Juli 1935, ebd., HJ-Bann Memmingen, Nr. 53. 215 Festnahme von drei HJ-Mitgliedern, im Fahndungsblatt des SRD Nr. 6/40, V. Nr. 175/40 »wegen fortgesetzter Opferstock Einbrüche« gesucht; SRD-Bericht des Bannes Günzburg (477), August 1940, Schreiben des K-Bannführers, 30.8.1940, StA Augsburg, HJ-Gebiet Schwaben, Nr. 53, Bl. 120783f. 216 RJF, Richtlinien für den HJ-Streifendienst, 1.6.1938, S. 42f. 217 Verfügung des Stabsführers, RB 31/II, 20.8.1937, S. 826. 218 RJF-P-Ü, Überwachung der Gefährdung der Jugend, S. 31; Erläuterungen zur Kriegsdienststrafordnung, 2.4.1940, in: Zucht und Ehre, Jg. 1, 1940, S. 2–8, S. 3; vgl. Knopp, Überwachungswesen, S. 103. 219 RJF, Richtlinien für den HJ-Streifendienst 1.6.1938, S. 15f.

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»Diese Führungsaufgabe der Hitler-Jugend verpflichtet einmal dazu, die Jugend des deutschen Volkes zum künftigen Staatsvolk zu erziehen; sie verpflichtet aber andererseits dazu, die einwandfreie Haltung dieser Jugend durch Überwachung ihrer einzelnen Angehörigen sicherzustellen, die Jugend vor staatsfeindlichen und anderen schädlichen Einflüssen zu bewahren und das Auftreten der HJ in der Öffentlichkeit diszipliniert und geordnet durchzuführen.«220

In der Kriegszeit wurde die Zuständigkeit des Streifendienstes schließlich auf sogenannte »ältere Jugendverführer« ausgedehnt. Damit beobachtete das Jugendorgan auch Erwachsene, deren Einfluss als politische oder sittliche Gefahr für das Erziehungsziel beurteilt wurde.221 Die Intensität der Überwachung vermeintlicher oder tatsächlicher homosexueller Kontakte wurde mehrfach ausdrücklich gelobt.222 Nach einem Abkommen zwischen dem Reichsführer der SS und der Reichsjugendführung am 26. August 1938 wurde der HJ-Streifendienst zielstrebig als Sonderformation der Hitler-Jugend aufgebaut. Während die Jugendorganisation von der Autorität und den Kompetenzen der aufsteigenden und zunehmend in den staatlichen Repressionsapparat eingebundenen Elitegliederung profitieren konnte, sicherte die SS sich den Streifendienst als Nachwuchsreservoir.223 Die erwünschte »engste und kameradschaftliche« Zusammenarbeit, die Verbindungen der Hitler-Jugend selbst mit der Partei übertraf, stützte sich auf ein verzweigtes institutionelles und personelles Verbindungssystem.224 Die mit mindestens sechzehnjährigen Hitler-Jungen »nach den Grundsätzen für die rassische Auswahl der Schutzstaffel«225 besetzte Sonderformation kontrollierte auch die weiblichen Untergliederungen, wurde aber zur Zurückhaltung gegenüber den jungen Frauen verpflichtet. Einschreiten durfte sie nur bei Straftaten oder »einem Verhalten, das erheblich das Ansehen der HJ zu 220 Richtlinien für das Einschreiten des HJ-Streifendienstes in besonderen Fällen, VHB, Bd. II, S. 916. 221 RJF-PÜ, Die Überwachung der Gefährdung der Jugend. Einsatzbefehl für den HJ-Streifendienst, Neuauflage 1.9.1941, S. 11; Mielsch, S. 260f. 222 JFdDtR, Kriminalität und Gefährdung der Jugend, S. 93; Tetzlaff, Homosexualität, S. 6. 223 Rempel, S. 26; Buddrus, Totale Erziehung, S. 371f.; zum Selbstverständnis der SS als disziplinierte Elite der Nation und der Mitgliedschaft als Idealweg zu Partei- und politischer Karriere vgl. Pätzold/Weißbecker, S. 344f. u. 313. Über eine spezifische Rivalität zwischen HJ und SS berichtet der Bann Wertach (bei Kauf beuren): Die SS würde von der HJ »nicht anerkannt«, da diese vor Ort aus Jungen bestehe, »die entweder aus der HJ ausgeschieden sind oder von solchen Jungen die aus Angst vor der Pflicht HJ noch rasch in die SS eingetreten sind.« Bericht über den Auf bau des SRD des Bannes Wertach, Juni 1941, StA Augsburg, HJ-Gebiet Schwaben, Nr. 61, Bl. 120573. 224 Einführung des Amtes eines HJ-Verbindungsführer im SS-Hauptamt zum 1.10.1938, ANBl. VI/19, 7.10.1938, S. 341ff.; Klönne, Jugend, S. 47f. Zur dynamischen Entwicklung der personellen und institutionellen Verzahnung zwischen HJ und SS vgl. detailliert Rempel, bes. S. 257–262, 24ff., 40ff., 63ff. u. 88. 225 Anordnung des RJF, 26.8.1938, ANBl VI/19, 7.10.1938, S. 341ff.

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gefährden« schien.226 In diesen Fällen sollte der Streifendienst Polizei hinzuziehen und die zuständige »Mädelführerin« benachrichtigen. Die jedem Gebietsstreifendienstführer zugeteilte BDM-Referentin hatte selbst keine Befehlsgewalt.227 Ein Plan unmittelbar vor Kriegsbeginn, einen »BDM-Einsatzdienst« aufzubauen, wurde nicht verwirklicht.228 Damit fehlte in den Mädchenorganisationen dauerhaft ein vergleichbarer organisatorischer Überwachungsapparat, der Auffälligkeiten außerhalb von Heimabend und Dienstbetrieb feststellte. Offiziell galt der Streifendienst als Elite der Hitler-Jugend, wie die SS als Elite der Partei. Die »Aufgabenidentität« (M. Buddrus) beider Gliederungen und die geplante Präsentation von 800 Angehörigen des HJ-Streifendienstes auf dem nicht mehr abgehaltenen »Reichsparteitag des Friedens« im September 1939, die seinen Ausbau hätte wirkungsvoll präsentieren sollen,229 bekunden die elitäre Konzeption des Streifendienstes als eine »Auslese der besten und begabtesten Jungen«.230 In der praktischen Umsetzung vor Ort konnte sie sich durch Rekrutierungsprobleme allerdings ins Gegenteil verkehren, wie die Rechtfertigung des K[riegs]-Gebietsinspekteurs des Gebietes Schwaben eingestand: »Die besten Jungen gehörten bereits den Sondereinheiten […] an. […] krass ausgedrück[t] blieben also nurmehr solche Jungen in den Reihen der allgemeinen HJ, die nicht mehr voll zu nehmen waren oder bereits etwas auf dem Kerpolz hatten (Dies gilt für Städte und größere Ortschaften). In kleineren Dörfern ist eine Aufstellung des Streifendienstes rein führungsmäßig nicht möglich.«231

Es ist daher fraglich, ob die Einschätzung des HJ-Streifendienstes als »gut ausgebildete und hochmotivierte Eliteeinheiten«,232 die Konzeption und Selbst226 Richtlinien für das Einschreiten des HJ-Streifendienstes in besonderen Fällen, VHB, Bd. II, S. 926. 227 RJF, Richtlinien für den HJ-Streifendienst, 1.6.1938, S. 8. 228 Rundschreiben der Reichsreferentin des BDM, Rüdiger, 31.8.1939, BA NS 28/32, Bl. 3. 229 Dienstvorschrift für den SRD auf dem Reichsparteitag 1939, StA Augsburg, HJ-Gebiet Schwaben, Nr. 34, Bl. 119409–119417; Zelnhelfer, S. 4f. Absurderweise berichtete die Illustrierte Junge Welt (bis dahin: Die HJ) mit einer Fotoreportage, als habe er tatsächlich stattgefunden. Junge Welt, Jg. 6, September 1939, H. 1, S. 1–7. 230 RJF, Anweisung für die Durchführung des Dienstes in Reichslehrgängen für den Führernachwuchs des Streifendienstes, S. 3; eine Vorbildfunktion des SRD forderte auch die Dienstanweisung für den Streifendienst, Berlin, 15.12.1941, S. 7, mehrfach ein. 231 Schreiben des K-Gebietsinspekteurs für den SRD, Greiner, an RJF, PÜ, Heuser, 7.1.1942, der zuvor die »Unzulänglichkeiten des Streifendienstes« angemahnt hatte. In: Arbeitsberichte über Einsatz und Tätigkeit des SRD, 1940–45, StA Augsburg, HJ-Gebiet Schwaben, Nr. 27 [originale Orthografie]. In Augsburg wurden zum Teil »Jungen, die sich aus dem ›linken Flügel‹ d. h. aus Dienstverweigerer, bereits bestrafte, oder sonst in der Gefolgschaft mißfallende Jungen zusammensetzten«, im SRD rekrutiert, Bericht des HJ-Streifendienstes Schwaben, 5.2.1942; auch im Bann Lindau blieben für den SRD »nur die weniger eifrigen Jungen übrig«, Bericht des KFührers Bann Lindau, 9.10.1941, StA Augsburg, HJ-Gebiet Schwaben, Nr. 37 [originale Orthografie]; weitere ähnliche Meldungen ebd., Nr. 40, 41. 232 So Buddrus, Totale Erziehung, S. 383.

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verständnis entspricht, auch seine Realität trifft. Zahlreiche Eingaben und Beschwerden über das ausfällige Verhalten von Streifendienstangehörigen aus der Überlieferung des Gebietes Schwaben und seiner Banne, die eine disziplinarische Ahndung nach sich zogen, und Meldungen über nicht existente Streifendienste sprechen aus dieser regionalen und lokalen Perspektive dagegen.233 Obgleich die flächendeckende, komzeptionsgemäße Umsetzung des HJ-Streifendienstes als permanentes, straffes Kontrollorgan der Reichsjugendführung vor Ort daher nicht überschätzt werden darf, verweisen der sorgfältige Planungsaufwand in Absprachen mit der Partei und den Polizeiorganen wie auch das aufwendige dreistufige Berichtsystem auf die Bedeutung, die dieser ermittelnden und überwachenden Sonderformation zugestanden wurde. Diese »Hilfspolizeitruppe […] aus besonders engagierten HJ-Führern« oder »Hitlerjugend-Fanatiker[n]«, wie Zeitzeugen sich erinnern,234 fungierte so ab 1935 als eine jugendliche Exekutive des Disziplinarwesens der Jugendorganisation. Die Verlagerung von Überwachungsfunktionen auf spezialisierte Kräfte entspricht der Verbandsentwicklung, einzelne Arbeitsfelder und den eigenen Apparat auszubauen. Über das Exekutivorgan wurde die Hitler-Jugend zugleich eng mit Repressionsinstanzen des nationalsozialistischen Staates verbunden. Das Fehlen einer entsprechenden Struktur für BDM und Jungmädelbund bildet die grundsätzlich fehlende Einbindung der BDM-Führung in die Personal- und damit Überwachungsaufgaben der Gesamtorganisation ab. Die dienstrechtlichen Grundlagen des Disziplinarsystems in verschiedenen Disziplinar- und Strafordnungstexten galten hingegen gleichermaßen für die Suborganisationen der Mädchen wie der Jungen. 1.3.4 Disziplinar- und Strafordnungen Das Reglement des Dienstes wurde seit 1936 durch zusätzliche, für alle Untergliederungen gültige Disziplinarordnungen unterstützt. Im Sinne einer militär- oder beamtenrechtlichen Dienststrafordnung, die Verstöße gegen spezielle Dienstgesetze und allgemeine Strafgesetze ahndet,235 unterstanden ihnen neue Mitglieder 233 Anzeigen von Café- und Gasthausbesitzern gegen SRD-Angehörige veranlassten z. B. Anordnung des K-Stabsführers, Gebietsrundschreiben 5/43, 28.2.1942, S. 6, StA Augsburg, HJ-Gebiet Schwaben, Nr. 1; über ähnliche Vorkommnisse im Bann Allgäu, Herbst 1940, ebd., Nr. 40; im Bann Memmingen, Januar 1942, ebd., Nr. 42. Vgl. eine Selbstkritik über den ausschließlich in Sondereinsätzen aktiven Streifendienst, Schreiben des HJ-Gebietes Hochland, Abt. PÜ, an Bannführer Memmingen, Klotz, 14.7.1938, ebd., HJ-Bann Memmingen, Nr. 56. Meldungen über nicht existente SRD, 28.9.1939, ebd., HJ-Gebiet Schwaben, Nr. 30, Bl. 119481; über Schwierigkeiten, neue Einheiten aufzustellen, in den monatlichen SRD-Berichten des Gebietes Schwaben an die Reichsjugendführung, 1941/42, ebd., Nr. 31. 234 Zitiert nach Klafki, S. 160. 235 Hülle, S. 748.

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mit der bei Aufnahme abgelegten »Verpflichtung« zu Treue und Gehorsam gegenüber Führer, Volk und »Bewegung«. Diese rituelle Aufnahmepraxis, die einen militärischen oder beamtenrechtlichen Schwur imitierte, bestand für das Jungvolk und die »Mädelgruppen« in dem etwas kindgerechteren Versprechen, »allzeit meine Pflicht zu tun.«236 Die Dienststrafgewalt gegenüber allen Mitgliedern beruhte auf der Erziehungs- und Befehlsgewalt des Reichsjugendführers.237 Schirach erließ die erste »Disziplinarordnung der Hitler-Jugend« am 8. Oktober 1936, wenige Wochen vor dem »Gesetz über die Hitler-Jugend«. Er gab sie jedoch erst am 14. Dezember 1936 bekannt, als dieses »Grundgesetz« des Disziplinarwesens238 intern bereits als veraltet galt, denn es war hinsichtlich der Auswirkungen des Gesetzes vom 1. Dezember zu überarbeiten.239 Die Neufassung im Januar 1939, die auf die Eingliederung Österreichs reagierte, wurde unmittelbar vor Erlass der »Jugenddienstpflicht« veröffentlicht.240 Sie beschränkte sich auf Änderungen im Verfahrensweg.241 Dezidierte »Strafordnungen« ergänzten diese beiden Fassungen der »Disziplinarordnung« nominell, tatsächlich lösten sie diese ab.242 Der Erlass der »Dienststrafordnung der Hitler-Jugend für die Dauer des Krieges« im April 1940 stand bereits im Zeichen besonderer Kriegsmaßnahmen.243 Im folgenden Jahr wurde sie von Heinrich Lüer zu einer Neufassung überarbeitet, die, in einer 1942 aktualisierten Form, bis zum Ende des Krieges bestand.244 Die Ausarbeitung einer »endgültigen« Disziplinarordnung wurde jedoch weiterhin angekündigt.245 Die Disziplinar236 Helle u. a., S. 31 u. 37; Kock, S. 47. 237 Die Dienststrafordnung der Hitler-Jugend für die Dauer des Krieges, RB 34/K, 2.4.1940, S. 1–11, S. 2 [zitiert als: Dienststrafordnung 1940]. 238 Kaufmann, Das kommende Deutschland, 1943, S. 50. 239 Übersendung der Disziplinarordnung durch Stellvertreter des Führers an das RJM, 4.2.1937, mit dem Vermerk, »daß es sich um eine vorläufige Disziplinarordnung handelt, die demnächst im Hinblick auf das Gesetz über die Reichsjugend entsprechend geändert werden wird.« IfZ, Akten der Parteikanzlei, Teil II, Bd. 3, Nr. 31183, Bl. 24209. 240 Rundschreiben der RJF/HJ-Gerichtsbarkeit, Hess, Nr. 2/39, 17.6.1939, StA Augsburg, HJ-Gebiet Schwaben, Nr. 25, Bl. 120296f. Im März 1939 hatten die Mitarbeiter der Personalabteilungen der HJ-Gebiete zur Schulung über die Neufassung der Disziplinarordnung in Potsdam getagt. 241 Neufassung der Disziplinarordnung. Streng vertraulicher RB Sonderdruck 7/39, 29.3. 1939, in: VHB, Bd. II, S. 1016–1019 [Disziplinarordnung 1939]. Gegenüber 1936 Einführung eines »Vernehmungsführers« auf Gebietsebene, einer Befangenheitsregelung für beisitzende HJFührer und eine Regelung für Verfahren, die HJ- und NSDAP-Mitglieder betreffen. 242 Insofern neue Regelungen ihr nicht direkt widersprachen, blieb die Disziplinarordnung in der Fassung von 1939 auch in der Kriegszeit weiterhin gültig, vgl. VHB, Bd. II, S. 1016, Anm. 243 Dienststrafordnung 1940; RJF der NSDAP, Zucht und Ehre, Jg. 1, 1940, 26.4.1940, S. 1. 244 Dienststrafordnung der Hitler-Jugend für die Dauer des Krieges (Neufassung), RB 23/41 K, 19.5.1941 [Dienststrafordnung 1941]; in der durch Anordnungen des RJF 4/42 und 8/42, 15.1.1942, veränderten Fassung in: VHB, Bd. II, S. 997–1005. 245 Hess, Gerichtsbarkeit der Hitler-Jugend, S. 17; vgl. Entwürfe bei Tetzlaff, Disziplinarrecht, S. 150–158.

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texte waren im Personalamt der Reichsjugendführung vor allem von John in Abstimmung mit dem Obersten Parteigericht, der Reichskanzlei und dem Justizministerium ausgearbeitet worden.246 Neben einigen Neuregelungen systematisierten die inhaltlichen Veränderungen der Strafordnungen das System der Dienststrafen, deren Erziehungsfunktion nun betont wurde.247 Die 1936 formulierten Grundzüge des Disziplinarsystems der Hitler-Jugend blieben daher im Wesentlichen bis 1945 gültig. Sie legten die Ausübung einer vom Reichsjugendführer verliehenen Disziplinarbefugnis durch die HJ-Führer, BDM-Führerinnen und Hitler-Jugend-Richter gegenüber den Mitgliedern ebenso fest wie die nach Dienstrang gestaffelten Kompetenzen und einen Katalog von »Disziplinarmitteln«, von der Verwarnung über verschiedene Formen der Degradierung bis zu dauerhaften Strafen. Unterteilt in eine »kleine«, »mittlere« oder »große Disziplinargewalt« waren diese Disziplinarmittel bei Pflichtverletzungen anzuwenden.248 »Alle Verfehlungen gegen die Zucht, die Ordnung und die Interessen der Bewegung« unterlagen dieser Dienststrafgewalt.249 Die Führer und Führerinnen übten abgestufte Disziplinarrechte aus: Während ein Gefolgschaftsführer im Rahmen der »kleinen Disziplinargewalt« berechtigt war, auf leichtere, rein disziplinarische Verfehlungen der Jungen seiner Einheit mit einer »Verwarnung« oder einem »Verweis« zu reagieren, befassten sich erst Untergau-Führerinnen und Bann-Führer mit straf baren Handlungen der ihnen unterstellten Jugendlichen.250 Waren die Verfehlungen nicht allzu schwerwiegend, standen den Führern und Führerinnen mit der »mittleren Disziplinargewalt« verschiedene, zeitlich befristete Degradierungen zu. In der Überlieferung des HJ-Gebietes Hochland finden sich Beispiele für diese mittlere Disziplinarebene. So wurde im Mai 1937 ein Fähnleinführer wegen mangelnden »Gehorsams« nach mehreren Warnungen für einen Monat vom Dienst beurlaubt. Der Stammführer begründete die Suspendierung damit, sie solle an die »Grundregeln von Kameradschaft und Unterordnung« erinnern.251 »Wegen gemeinen disziplinlosen Verhaltens und massloser Hetze« verhängte ein Bannführer im September 1934 »Uniformentzug« und beantragte zusätzlich eine Degradierung des »meuternden« Hitler-Jungen.252 Vor Erlass der Disziplinarordnung hatten die Bannführer sich mit der Bitte um Strafzumessung an das 246 Bestätigung der Disziplinarordnung durch RL Buch, in: DJD, Jg. 30, 1936, H. 12, S. 41; Tetzlaff, Disziplinarrecht, S. 16; dazu Rempel, S. 59. 247 Dienststrafordnung 1941, VHB, Bd. II, S. 997. 248 Disziplinarordnung 1936, S. 3. 249 Allgemeine Dienstordnung, Entwurf, III, BA Berlin, NS 26/338. 250 Disziplinarordnung 1936, S. 3; ab 1940 zusammengefasst als »Dienststrafen der Gruppe I«. Dienststrafordnung 1940, S. 2; vgl. John, HJ-Gerichtsbarkeit, S. 124. 251 StA Augsburg, HJ-Bann Allgäu, Nr. 25. 252 Bannführer an Gebiet, Abt. II, 14.9.1934, StA Augsburg, HJ-Bann Memmingen, Nr. 25.

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Gebiet gewandt.253 Strafdienste, welche die »Dienstordnung« von 1934 noch erlaubt hatte, waren jetzt verboten.254 Das »Verbot, Fahrtenmesser und Schulteriemen zu tragen« und die Straf beurlaubung, welche die Disziplinarordnungen von 1936 und 1939 noch vorsahen,255 wichen in den Strafordnungen den Mitteln der Beförderungssperre und der Degradierungen von Führern.256 Diese Veränderung weist auf die zunehmende Etablierung des Führersystems hin, dessen Abstufungen ab 1940 zur Disziplinierung genutzt wurden. Die Verhängung dauerhafter Maßnahmen stand im Rahmen der »großen Disziplinargewalt« nur den übergeordneten Gebietsführungen und den Hitler-JugendRichtern zu. Die Staffelung, die einen Katalog von »Disziplinarmitteln« hierarchisch der Führerschaft zuordnete, sollte eine einheitliche Spruchpraxis gewährleisten und den Rang ihres Trägers im Sinne eines peer-Prinzips berücksichtigen. Als verbindliches Regelwerk unterstützte die Disziplinarordnung auch die Autorität der oft sehr jungen Träger des »Selbstführungsprinzips« gegenüber den Einheiten. Ihre Disziplinarbefugnis gehörte zu den »Pflichten« der Führer und Führerinnen.257 Die Fixierung der disziplinarischen Hierarchie ermöglichte zugleich, Kompetenzübergriffe des Führungskorps zu verfolgen und etwaige Willkür durch festgelegte Mittel zu begrenzen. Wiederholte nachdrückliche Verbote körperlicher Züchtigung »aus gegebener Veranlassung«, militärischen »Strafexerzierens« und der strafweisen Überweisung in andere Parteigliederungen weisen auf die Existenz solcher wilden Disziplinar- und Strafpraxen hin.258 Vor Erlass der ersten Disziplinarordnung musste Schirach unter Androhung disziplinarrechtlicher Konsequenzen verschiedentlich untersagen, Strafdienste anzusetzen, etwa »Strafordnungsübungen« oder »Strafgeländedienst«: »HJ- und DJ-Führer, die zu solchen Mitteln zur Aufrechterhaltung ihrer Autorität greifen, beweisen damit ihre Unfähigkeit und werden von mir rücksichtslos entfernt.«259

253 »Ich bitte dich, selbst die Bestrafung des Burschen zu ermessen.« Schreiben des Bannführers an Gebiet Hochland, P, 3.10.1935, ebd., Nr. 25. 254 Dienstordnung 1934, S. 4. 255 »Halstuch und Knoten« bei den BDM-Uniformen; Disziplinarordnung 1936, S. 3; Disziplinarordnung 1939, VHB, Bd. II, S. 1016. 256 Dienststrafordnung 1941, VHB, Bd. II, S. 997; Tetzlaff, Disziplinarrecht, S. 37ff. 257 Allgemeine Dienstordnung, Entwurf, II, BA Berlin, NS 26/338. 258 Disziplinarordnung 1936, S. 4; Befehl des RJF, RB 42/II, 3.12.1937, S. 1159; Rundschreiben des HJ-Oberrichters, 23.7.1938, VHB, Bd. II, S. 1038; Disziplinarordnung 1939, ebd., S. 1018; Anordnung der Obergauführerin, in: Obergaubefehl Schwaben B 8/40, 14.5.1940, S. 2, StA Augsburg, BDM-Obergau Schwaben, Nr. 1; Anordnung des Stabsführers der RJF, Rundschreiben der RJF, F. 14/41, 6.5.1941, S. 4. 259 Verfügung des Reichsjugendführers über den Jungvolkdienst, VOBl. Sonderdruck, 10.7. 1936, S. 1–4, S. 4.

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Für die Akzeptanz der Hitler-Jugend in der Bevölkerung und auch im Parteiapparat mussten diese »Auswüchse […], die das Ansehen der HJ in der Öffentlichkeit schädigen«,260 disziplinarisch eingeebnet werden. Das systematisierte Disziplinarsystem bot daher gleichermaßen gegenüber den Einheiten wie den Führern die »rechtliche Grundlage, um alle diejenigen Elemente aus der Jugendbewegung zu entfernen, welche durch Unkameradschaftlichkeit und Mangel an Gemeinschaftsgeist den Bestand der Gemeinschaft selbst gefährden.«261 Diese »Aufgabe der negativen Auslese« verstand sich als Ergänzung der »positiven Aufgabe der Erziehung und inneren Führung der Jugend«.262 Die dichotome Funktionsbestimmung erhob die politische »Erziehung« der Hitler-Jugend zur entscheidenden Sozialisationserfahrung. Sie stimmte mit der jugendrechtspolitischen Diskussion unter der Leitlinie »Erziehung und Auslese der Leistungsfähigen« überein.263 Die Säuberungsfunktion ergibt sich aus dem Disziplinarmechanismus selbst. Die fein gegliederten disziplinarischen Techniken in Disziplinarordnungen wirken normierend und sortieren Abweichungen von dieser Norm aus.264 Der HJ-Oberrichter und Personalamtsleiter Heinz Hugo John beschrieb diese Techniken selbst als dynamisch. Er begründete die Existenz des Jugend-Disziplinarwesens mit dem »Massenzustrom« in die Jugendorganisation nach der Machtübernahme.265 Die Expansion der Hitler-Jugend aufgrund der veränderten politischen Rahmensituation nach 1933 – wenngleich sich ihr personeller Aufschwung weit weniger gradlinig, begeistert und freiwillig vollzog, als John behauptete – erforderte neue, der Massenorganisation angepasste Instrumente der Differenzierung, um die ordnende Funktion zu erhalten. Die abgestuften Disziplinarordnungen erfüllten diese Aufgabe. Das systematische und verrechtlichte Disziplinarwesen ersetzte so die ›natürliche Auslese‹, die John beschwor. Die Reichsjugendführung wertete das eigene, nicht weisungsgebundene Disziplinarsystem als ihre einzigartige »schöpferische Leistung« in der Geschichte der Jugendbewegungen und präsentierte es als Ausdruck der viel beschworenen Selbstverwaltung und Selbstführung266 – jedoch nur in den eigenen Reihen. Denn kontinuierliche Veröffentlichungsverbote über das Disziplinarrecht, die Ordnungstexte und Praxisentscheidungen unterwarfen das gesamte Disziplinarwesen der Geheimhaltung.

260 261 262 263 264 265 266

Anordnung des Stabsführers, RB 10/I, 13.3.1936, S. 184. Anonym, HJ im Rechtsleben der Nation, S. 76f. Anonym, Die neue Disziplinarordnung der HJ, S. 41f. Müller, Werdendes Jugendrecht, S. 30. Foucault, Überwachen und Strafen, S. 235f. John, S. 123. Tetzlaff, Disziplinarrecht, S. 9 u. 16.

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1.3.5 »Erziehung« durch »Ehrenstrafen« Nach Maßgabe dieser selbst erlassenen Disziplinar- und Strafordnungen übte die Hitler-Jugend als öffentliche Erziehungsgewalt seit 1936 kodifizierte Rechte aus, die ihrem Selbstverständnis nach »erzieherisch«, mit Foucault: disziplinierend wirken sollten. Diese Wirkung wurde durch ihre Koppelung an den Begriff der »Ehre« erreicht. Sie sollten »Jugendliche, die sich gegen die Ehrauffassung der deutschen Jugend vergangen haben, zur Ordnung zu rufen und mit Hilfe jugendgemäßer Dienststrafen zu einwandfreier Haltung […] erziehen.«267 Vor dem Hintergrund des entgrenzten Erziehungsbegriffs bedeutete »Erziehung« eine Korrektur von Abweichungen und die Gewöhnung und Anpassung an die Ordnungsgrundsätze der Hitler-Jugend, die als »Selbstkontrolle« aus der erwünschten »Ehrgesinnung« heraus erfolge.268 Als »erzieherisch« wurden alle Mittel der »kleinen« und »mittleren Disziplinargewalt« begriffen; nur die Entfernungsstrafen galten nicht mehr als »Ehrenstrafen«: »Es ist das Wesen einer jeden von der Hitler-Jugend angewandten Dienststrafe – mit Ausnahme des Ausschlusses und Ausscheidens – einen bestraften Jugendlichen nicht etwa zu verfemen, sondern erneut in die Gemeinschaft der Jugendlichen einzugliedern.«269

Als Gemeinschaftsrecht verstand sich die Disziplinierung Einzelner als Erziehung der Gruppe. Die »ständige Säuberung« der Hitler-Jugend habe unter ihren Angehörigen »ein außerordentlich starkes Gefühl für persönliche Sauberkeit erzeugt«, lobte der Rechtspolitiker und zeitweilige Oberrichter der Hitler-Jugend, Henry Picker, bereits 1935.270 Im Jugendverband war das Disziplinarprinzip zugleich willkommen, um den Einfluss der Gleichaltrigengemeinschaft zu korrigieren, und bezeugt damit ein äußerst eingeschränktes Vertrauen in die Selbstordnungskräfte der »Jugendgemeinschaft«: »Schließlich sorgen Disziplin und Kameradschaft dafür, daß die starke Beeinflussung durch die gleichaltrigen Kameraden nur dort zutage tritt, wo sie nützlich ist, überall dort jedoch unterdrückt wird, wo sie unheilvoll wirken könnte.«271

Das ›pädagogische‹ Selbstverständnis als »Gemeinschaftserziehung« fußte auf der Grundlage der rassistischen »Blutsgemeinschaft«. Den engen Zusammenhang der Begriffe »Gemeinschaft« und »Ehre« im nationalsozialistischen Verständnis dieser disziplinierenden »Erziehung« entwickelte Wilhelm Heußler 1938 in seiner Dissertation über die »nationalsozialistische Jugendbewegung«: 267 Möckel, S. 241. 268 RJF, Sonderrichtlinien zur Bekämpfung gleichgeschlechtlicher Verfehlungen, S. 11. 269 Möckel, S. 241. 270 Picker, Jugendliche Berufskriminalität, S. 295; biografische Anhaben bei Buddrus, Totale Erziehung, S. 1197. 271 Klemer, Jugendstrafrecht, S. 23.

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»Rasse« bildete den Ansatzpunkt der Erziehung, die daher ausschließlich »in der Gemeinschaft« möglich sei und bezwecke, »wertvolle Glieder der Gemeinschaft zu bilden«.272 Damit galten die rassistischen »Lebensgesetze der Gemeinschaft« sowohl als Ausgangspunkt wie als Zielsetzung. Die Definition des »von der Bewegung getragenen völkischen Staat[es]« als dem einzigen Träger machte die nationalsozialistischen Sozialgemeinschaften drittens zum einzigen Erfahrungsraum dieser ›Erziehung‹.273 Aus dem Konzept dieser Kreisbewegung ergibt sich für Heußler eine Definition von Erziehung als eine »ewig sich wiederholende Formung des heranwachsenden Geschlechts«.274 Diese geschlossene, ahistorische Figur variiert den Topos der »Volksgemeinschaft«. Ihre beiden Komponenten von Praxis und Zielorientierung werden in Heußlers Erziehungsbegriff zu einem quasiorganischen Kreislauf verbunden, der seine Rechtfertigung in sich selbst trägt. Bei der konkreten Gestaltung der »Volksgemeinschaft« nach »Ehre als Leitsatz aller Erziehung«275 wirkte in der gemeinschaftsrechtlichen Identifikation der persönlichen Ehre und der Gruppenehre jeder Ehrverlust universal. Daher blieb »für den Ehrlosen […] kein Platz in der Gemeinschaft«.276 Da Konflikte, welche die Zugehörigkeit zur umgebenden sozialen Gruppe gefährden, den abrupten Verlust der sozialen Identität bedeuten können,277 wirkt drohender Ehrverlust psychologisch umso stärker, je enger eine Person sich über diese Gruppe definiert und je abhängiger ihre Selbstachtung von der Gruppenidentität ist. Die Rechtstheoretiker der Hitler-Jugend, die entwicklungspsychologisch bei Kindern und Jugendlichen ein besonders starkes Ehrgefühl voraussetzten,278 kalkulierten die Angst vor einem Ehrverlust und machten sich diesen disziplinierenden Aspekt zunutze. Er begründete die Wirkung der »Ehrenstrafen« als erzieherischer Effekt. Einsicht und damit eine Änderung des Verhaltens sollte durch Scham hervorgebracht werden, wobei »unnötige« Verletzungen des Ehrgefühls unterbleiben sollten, da es zugleich als »das kostbarste Gut der Selbsterziehung« benötigt wurde.279 Als einer der »Höchstwerte des deutschen Volkes«280 war »Ehre« auch in die Fahrtenmesser der HitlerJungen eingraviert. Als Voraussetzung einer erzieherischen Strafwirkung galt 272 Heußler, S. 24f. u. 31. Heußler, Jg. 1913, Träger des HJ-Ehrenzeichens, seit 1933 in der Hitler-Jugend aktiv, wurde der Gerichtsreferendar 1939 in Königsberg in die SS aufgenommen, BA Berlin, BDC Personalakten. 273 Heußler, S. 24f. 274 Ebd., S. 25. 275 Ebd., S. 33. 276 Ebd., S. 34. 277 Fend, S. 194f. 278 Dietze, Rechtsgestalt, S. 75. 279 Entwürfe zum Disziplinarrecht der Hitler-Jugend; 3. Durchführungsverordnung zum Gesetz über die Hitler-Jugend, in: Tetzlaff, Disziplinarrecht, S. 150–158, S. 151. 280 Dietze, Rechtsgestalt, S. 73f.

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in der Jugendrechtsdiskussion die unmittelbare Ahndung.281 Daher bemühte die Disziplinargerichtsbarkeit sich um eine rasche Durchführung der Verfahren und schnelle Reaktionen.282 Geldstrafen für besoldete, hauptberuflich tätige Führer wurden mit der Begründung abgelehnt, sie würden nicht an die Ehre appellieren.283 Mit ihrem Disziplinarsystem versuchte die Hitler-Jugend, das »Ehrbewußtsein« der eigenen Organisation zu schützen.284 Die kombinierbaren »Ehrenstrafen« der Hitler-Jugend umfassten befristete oder dauerhafte Degradierungen des Führungspersonals in Titel (»Dienstrang«285) und Position (»Dienststellung«) ebenso wie Verbote, Ehrenzeichen und bestimmte Uniformteile zu tragen. Außerdem war eine grundsätzliche Degradierung vorgesehen, die nicht eine Berechtigung zur Jugendführung, sondern die charakterliche Kompetenz dazu absprach (»Aberkennung der Fähigkeit, Jugendführer zu sein«). Die Ehrenstrafen deuten einerseits auf einen militärischen Gesellschaftstraum.286 Zugleich kontrollierten sie pragmatisch die beabsichtigte Außenwirkung, denn im symbolischen Ausdruck der Zugehörigkeit zur Gemeinschaft und damit ihrer Ehre machten Abzeichen und Dienstuniformen ihre Träger ebenso äußerlich identifizierbar, wie sie auch zur Identifikation mit ihr beitragen sollten. Das stigmatisierende Uniformverbot, durch die Verpflichtung, weiterhin am Dienst teilzunehmen, in seiner beschämenden Wirkung noch gesteigert, wurde offenbar tatsächlich als kränkende Strafe wahrgenommen, zumindest von Jugendlichen, die als Führer aktiv waren.287 Wer sich jedoch nicht mit dem Verband und seinen Werten identifizierte, dessen persönliche Ehre konnte von diesen Mitteln unberührt bleiben. Daher bildete die unerlässliche Prämisse dieses Disziplinarkonzepts, die freiwillige oder notgedrungene Identifikation mit der organisatorischen Ordnung, zugleich seine Schwachstelle. Der nationalsozialistische Ehrbegriff umging diese Einschränkung, indem er als Ausdruck der Gemeinschaftszugehörigkeit verstanden wurde: Kraft der inneren Ehre des Einzelnen, gemessen am Maßstab seiner sichtbaren »Hingabe an die Pflicht«, verlieh die Gemeinschaft ihre äußere Ehre an den Einzelnen. Diese Doppelung führte Selbst- und Fremdidentifikation zusammen, indem die äußere als Zeichen der inneren selbständige Beweiskraft erhielt: 281 Vgl. Kümmerlein, Verfahren und Vollzug, S. 57. 282 Ermahnung zu rascher Bearbeitung und sofortiger Meldung von Verfehlungen, RB 3/II, 27.1.1937, S. 53. 283 Tetzlaff, Disziplinarrecht, S. 54f. 284 Dietze, Rechtsgestalt, S. 77. 285 Übersicht der Dienstränge in: Kaufmann/Burmann, Gruppe 1, 16b. 286 Foucault, Überwachen und Strafen, S. 218, attestiert ihn den Utopisten des 18. Jahrhunderts. 287 Interviewaussagen ehemaliger HJ- und BDM-FührerInnen, zitiert bei Möding/Plato, S. 297.

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»So wird das Bewußtsein des eigenen artgemäßen Lebens zur inneren Ehre. Die Gewißheit der anderen vom artgemäßen Leben des Einzelnen macht die äußere Ehre aus. […] Nur der ist aller Ehren teilhaftig, der sein Leben in seiner Arbeit einsetzt für die Gemeinschaft.«288

In dem Ehrkonzept, das Taten und äußere Erscheinung als unmittelbaren Ausdruck der inneren Verfassung eines Menschen liest, konnte Ehrenhaftigkeit nur durch eine »ehrenrührige« oder »unehrenhafte Handlung« gestört werden, durch den ehrvergessenen Einzelnen selbst. Für die Hitler-Jugend waren dies »Handlungen, die den Täter dauernd herabsetzen in der Achtung seiner Volksgenossen«. Verbrechen galten generell als »ehrenrührig«; bei Vergehen, d. h. minder schweren Gesetzesbrüchen, sei die »Minderwertigkeit des Charakters« des Täters hingegen nicht vorauszusetzen, sondern zu prüfen.289 Schuld und Ehrkonstruktion begründeten, dass ein individueller Ehrverlust die Stellung des Betroffenen innerhalb der ehrgekränkten Gemeinschaft wie im politisierten Strafrecht zwangsläufig mindere. Die emotionale Qualität der »Treue«, durch die Verpflichtung bei der Aufnahme konkretisiert, definierte das Verhältnis zwischen der Gemeinschaft und dem Einzelnen, das in der Ehre seinen Ausdruck finde. Analog zum Ehrbegriff wurde auch der zentrale Begriff des »Führers« von der Gemeinschaft abgeleitet; ein historisch im »germanischen Gefolgschaftswesen« wurzelndes Treueverhältnis bestimmte das Verhältnis der Gruppe zum Vorgesetzten und umgekehrt. Ausdruck fand diese persönliche Bindung in der »Gehorsamspflicht« der Untergebenen einerseits, andererseits sollten Treue und Ehre des Führers ihm verbieten, seine Befehlsmacht zu missbrauchen.290 Schließlich ist auch die Stilisierung als »Ehrendienst«, der eine besondere Würdigkeit voraussetze, mit diesem gemeinschaftsgebundenen Konzept verbunden: Im hingebungsvollen »Ehrendienst«, wie die Disziplinarordnung 1936 erstmals definierte,291 qualifizierten sich die HitlerJungen und »BDM-Mädel« als vollwertige »Volksgenossen«. Die Ehrenstrafen, welche die Disziplinar- und Strafordnungen der HitlerJugend im Rahmen der »mittleren« Disziplinargewalt vorsahen, verraten erneut die prägende Orientierung an einem militärischen Ideal, die der Dienstgedanke noch unterstrich. Das traditionelle Militärstrafrecht mit eigenen Ehrengerichten des Offizierskorps war durch den Gedanken der Aufrechterhaltung der soldatischen Manneszucht ebenso geprägt wie durch die Leitbegriffe einer spezifischen Standesehre und einer damit verbundenen besonderen Kameradschaft.292 288 Buch, Ehre, S. 9 [Hervorhebungen im Original]. 289 Tetzlaff, Parteigerichtsbarkeit, S. 203f. 290 Ruckdäschel, S. 18f. 291 Disziplinarordnung 1936, 5; aufgenommen in der »Jugenddienstverordnung«, RGBl. 1939, Teil I, S. 709ff., § 1, Abs. 1. 292 Vgl. dazu Paul, Ungehorsame Soldaten, S. 24ff.; zur Kultur der militärischen Wehrpflicht in Preußen und im Deutschen Reich Frevert, Die kasernierte Nation, zur »Schule der Männlichkeit« und dem Ideal der Kameradschaft bes. S. 228–270.

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Die Modellfunktion dieses militärischen Ehrenbegriffes für das Disziplinarwesen der NSDAP und ihrer Gliederungen wird in der Begründung der Parteigerichtsbarkeit deutlich, die Walter Tetzlaff anführte: Sie sei entstanden, um die »Rechts- und Ehrauffassung der Frontsoldaten« als eine Grundlage für die NSDAP zu sichern.293 Über den Topos des Kriegs- und Fronterlebnisses ordnete auch die Rechtswissenschaft die Parteigerichtsbarkeit in eine preußische Tradition von »Blut und Ehre« ein.294 Der Gründungsmythos der NSDAP, das Erlebnis der Kriegskameradschaft im Ersten Weltkrieg, wurde damit zur Disziplinargrundlage der Partei. Der Begriff der Treue, resümierte Picker, fungiere als »Scheidung von Gut und Böse«.295 Im Dienstbetrieb wirkten Disziplinarmittel und Auszeichnungen als Teile der Personalarbeit komplementär zusammen. Die Identifikation mit der Organisation und ihrer »Ehre« sollte durch Orden und Symbole, welche erfolgreiche Selbstzucht belohnten, positiv gesteigert werden. Das HJ-Ehrenzeichen machte so »Bewährung und langjährige[n] Einsatz« einzelner Mitglieder sichtbar. Diese dekorative Repräsentation verpflichtete den Träger erneut und verstärkt »zum äußersten Einsatz«.296 Daher war das Recht, diese Orden zu tragen, an die aktive Mitgliedschaft gebunden und erlosch mit dem Ausscheiden aus der Hitler-Jugend oder den Organisationen der »Bewegung«. Wie die Auf hebung der Mitgliedschaft wurde auch die Rücknahme der Dekorationen als Disziplinarmittel eingesetzt, wenn die Träger sich der Auszeichnung »unwürdig« erwiesen.297 Die hohe Bedeutung, die man nationalsozialistischen Symbolen als Hoheitszeichen zumaß, dokumentieren Personalakten der Gestapoleitstelle Düsseldorf. Mit der Körperschaft der NSDAP und ihrer Gliederungen standen auch die »Würde« ihrer Abzeichen, Bezeichnungen, Symbole und selbst Lieder unter gesetzlichem »Ehrenschutz«, der mit Hilfe der Gestapo durchgesetzt wurde.298 So erstattete im Juni 1937 die HJ-Gebietsführung Ruhr-Niederrhein 293 Tetzlaff, Parteigerichtsbarkeit, S. 201. 294 Kupfer, S. 48f. 295 Picker, Ehre und Treue, S. 44. 296 Merkblatt zur Antragstellung auf HJ-Ehrenzeichen auf Vorschlag ihres Gebietes, K-Personalamtschef Maus, undatiert [nach 1939], BA Berlin, NS 28/82. Es enthält auch detaillierte Verleihungsbedingungen für »volksdeutsche Antragsteller« in den besetzen Gebieten; hier sollten »die Leistung und das Opfer gewürdigt werden, das der Betreffende durch sein Bekenntnis zum deutschen Volkstum gebracht hat.« 297 Anordnung des Amtes HJ-Gerichtsbarkeit, A 306/43, über die Behandlung von Kriegsgerichtsurteilen, die Angehörige der NSDAP und ehemalige Angehörige der HJ betreffen; Rundschreiben der RJF, F. 20/43, 15.7.1943, S. 429, BA Berlin, NSD 43/18; Merkblatt zur Antragstellung auf HJ-Ehrenzeichen ebd., NS 28/82. 298 Neben dem »Heimtückegesetz« auch StGB § 134b; Gesetz zum Schutz der nationalen Symbole, 19.5.1933, RGBl. Teil I, S. 285, § 1; Gesetz zum Schutz von Bezeichnungen der NSDAP, 7.4.1937, RGBl. Teil I, S. 442, § 1; Gesetz über Titel, Orden und Ehrenzeichen, 1.7.1937, ebd., S. 725; PolVO des Reichsministers des Inneren gegen den Missbrauch der Kampflieder der natio-

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wegen eines HJ-Ehrenzeichens Anzeige, das ein im Vorjahr ausgeschiedener Hitler-Junge nicht vorschriftsgemäß zurückgegeben hatte. Die Gestapo wurde unverzüglich aktiv, zog den Orden beim Vater des Jungen ein und schickte ihn an die Gebietsführung.299 Weitere Schriftstücke aus den Jahren 1937/38 bezeugen eine große Selbstverständlichkeit, mit der die Düsseldorfer Gestapo sich um die Verbandssymbole kümmerte.300 Der Begriff »Orden« hatte im politischen Sprachgebrauch des Nationalsozialismus doppelte Bedeutung. Außer der Dekoration nach militärischem Vorbild diente er auch zur Stilisierung der NSDAP und der SS als Elite im NSStaat.301 Die Partei verstand sich als eine kämpferische Minderheit, in der eine »Führer- und Kämpferauslese« als Kern der neuen Gesellschaft stattfinde.302 Von dieser Vorbild- oder Führerfunktion leiteten die Parteigesetze die »erhöhten Pflichten« der Parteigenossen ab, die durch das Disziplinarrecht überprüft wurden.303 Die »Höhe der Ehre« wurde so zur Unterscheidung zwischen den besonders ausgezeichneten Parteigenossen und den übrigen Volksgenossen.304 Der »pseudo-mythisch verklärte Ehrbegriff« des Nationalsozialismus305 funktionierte auf diese Weise in zwei Richtungen. Über den positiven Bezugswert der Ehre wirkte er integrierend, durch die moralische Isolierung der Gegner, denen Ehre grundsätzlich abgesprochen wurde, ausgrenzend. 306 Der Ehrbegriff bildete damit den dichotomen Mechanismus disziplinarischen Strafens ab: Nationalsozialistische »Ehrenhaftigkeit« war im Disziplinarsystem der Hitler-Jugend einer der »wesentlichsten Auslesegesichtspunkte«.307 Ehrenstrafen, die einen Delinquenten ›bei der Ehre packen‹ und zur gewünschten Haltung disziplinieren sollten, stellten einen disziplinierenden Integrationsversuch dar. Der »Ehrlose«, dessen Verhalten mit diesen Mitteln nicht mehr korrigierbar erschien, wurde hingegen ausgeschlossen. Der Ehrbegriff war daher nicht nur ein Wert der nationalsozialistischen Gemeinschaftsordnung, sondern zugleich das Prinzip, auf dem die Konstitution und die Aufrechterhaltung dieser Ordnung basierte. Auf die Gemeinschaft bezogen, bezeichnet er die Grenze zwischen Disziplinierung und Strafe im Disziplinarsystem der Hitler-Jugend. Die traditions- und emotionsbeladene Konstruktion, die in zahllosen Beispielnalsozialistischen Bewegung, 16.7.1935, in: Richtlinien für den HJ-Streifendienst, 1.6.1938, Teil IV, S. 16. Vgl. Brezina, S. 59–68. 299 Akten über Paul Sch., HStA Düsseldorf, RW 58-44 872, Bl. 3. 300 Vgl. z. B. Kurt H., HStA Düsseldorf, RW 58-57 490, Bl. 18; BA Berlin, BDC Warnkartei, Datensatz Nr. 1847; Akten über Herbert L., RW 58-9531, Bl. 37; Datensatz Nr. 2480. 301 Begriff eingeführt von Alfred Rosenberg, vgl. Schmitz-Berning, S. 448f. 302 NSDAP/ROL, Organisationsbuch der NSDAP, S. 487 u. 86. 303 Tetzlaff, Parteigerichtsbarkeit, S. 202; so auch Schmitt, Staat, Bewegung, Volk, S. 20. 304 Buch, Parteigerichtsbarkeit, S. 170; Müller, Parteigerichtsbarkeit, S. 53f. 305 Zunkel, S. 61. 306 Vgl. Dietze, Rechtsgestalt, S. 76. 307 Klemer, Jugendstrafrecht, S. 26.

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geschichten »deutscher Ehre« in der »weltanschaulichen Schulung« des HitlerJugend-Dienstes vorgestellt und transportiert wurde, trug zur Unterfütterung dieses Prinzips ebenso bei wie die Orientierung an der militärischen Lebenswelt. Walter Buchs Definition der Aufgabe von Parteigerichten als einer »Prüfung« dessen, »was nationalsozialistischer Ehrauffassung entspricht«,308 fasst die Scheidefunktion dieses Ehrbegriffes zusammen.

308 Buch, Ehre, S. 25.

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2 Strafen 2.1 Die Disziplinargerichtsbarkeit der Hitler-Jugend Über volle Disziplinarbefugnis verfügten im Disziplinarsystem der Hitler-Jugend nur die eigenen Gerichte, die an der Spitze des hierarchischen Auf baus ihre urteilende und strafende Gerichtsbarkeit bildeten. Hier wirkten durch den Reichsjugendführer ernannte »Hitler-Jugend-Richter«; der ranghöchste, Oberrichter Heinz Hugo John, wurde in Einvernehmen mit dem Obersten Richter der Partei ernannt. Die Disziplinarrichter übten ihr Amt in einem Obergebiet – der großflächigsten, überregionalen Verwaltungseinteilung der HitlerJugend – aus.309 Daneben wurde 1936 mit dem Obersten HJ-Gericht eine zentrale Spruchstelle in der Reichsjugendführung eingerichtet. Die Gerichte, die für sämtliche Untergliederungen zuständig waren, bestanden aus den HitlerJugend-Richtern, die zu bei Bedarf eigens angesetzten »Gerichtstagen« durch ihre Obergebiete reisten, und den Leitern der jeweiligen Ressorts für die Personal- und Rechtsarbeit als Beisitzer.310 Als Mitglieder der Reichsjugendführung waren die Richter selbst keinem Einheitenführer unterstellt.311 In keinem Fall aber, auch nicht angesichts der Personalnot nach Kriegsbeginn, sollten Jugendliche als Richter eingesetzt werden.312 Gegenüber einer abgeschlossenen juristischen Ausbildung bevorzugte die Hitler-Jugend als richterliche Qualifikation die praktische Erfahrung des Jugendführers, »um das Leben der Jugend und ihre Ordnung sicher beurteilen zu können.«313 Den Vorsitz der Disziplinargerichte sollten allerdings nur juristisch geschulte HJ-Führer übernehmen, die mindestens das erste juristische Staatsexamen abgelegt hatten. Dadurch unterstanden sie zwar persönlich den Justizbehörden, wie die Reichsjugendführung dem Justizministerium gegenüber versicherte.314 Ihre Gerichtsbarkeit bearbeitete jedoch »unabhängig«, wie John behauptete, »jährlich Tausende von Verfahren«.315 Seit dem Sommer 1936 schlug sich die Aktivität dieser mobilen Gerichte 309 Vgl. z. B. Ernennung des Oberbannführers H. Ostermann zum HJ-Richter im Obergebiet West, das sieben HJ-Gebiete und BDM-Gauverbände umfasste, 30.1.1938, ANBl. VI/3, 4.2.1938, S. 55. Kaufmann, Das kommende Deutschland, S. 41; regionale Gliederung vgl. Organisationsplan der Hitler-Jugend 1936, BA Berlin, NS 28/45. 310 Disziplinarordnung 1936, S. 4. 311 John, S. 125. 312 Tetzlaff, Disziplinarrecht, S. 75. 313 Kaufmann, Das kommende Deutschland, 1943, S. 51. 314 Schreiben der RJF, John, an RJM, Ebert, 14.3.1936, BA Berlin, R 3001/alt R 22/1174, Bl. 286. 315 John, S. 124. Außer solchen eigenen Erfolgsmeldungen liegen keine überprüf baren Zahlen über das gesamte Disziplinarwesen vor.

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auch in den Bekanntmachungen im Verordnungsblatt der Reichsjugendführung nieder. Das Selbstverständnis der eigenen Judikative bewegte sich zwischen den Polen einer der »Gemeinschaftserziehung« verpflichteten Disziplinargerichtsbarkeit einerseits und dem Strafanspruch als öffentliche Institution andererseits. Dadurch entstand eine Konkurrenz zur Jugendstrafrechtspflege. In den Beratungen über die Grundsätze des Jugendstrafrechts in der Akademie für Deutsches Recht wurde denn auch von einer dauerhaften »›Zweispurigkeit‹ zwischen der staatlichen Jugendstrafgerichtsbarkeit und der ›HJ-Disziplinargerichtsbarkeit‹« ausgegangen.316 Die Disziplinarpolitiker der Hitler-Jugend begriffen ihre »nationalsozialistische Jugendgerichtsbarkeit« als parallele Rechtssphäre, die mit der staatlichen Jugendgerichtsbarkeit eng kooperierte.317 Durch die Gewährung von gegenseitigen Auskunftsrechten zwischen Justizbehörden, Jugendämtern und Polizei über Verfahren und Anzeigen gegen Angehörige der NSDAP und ihrer Gliederungen war die disziplinarische Gerichtsbarkeit eng mit den Verfahren der straf- und vormundschaftsrechtlichen Jugendgerichtsbarkeit verknüpft worden.318 Seit 1935 gab die HJ-Gerichtsbarkeit personenbezogene Auskünfte über Mitglieder an den Jugendverband weiter.319 Zum Befremden des grundsätzlich sehr kooperativen Reichsministeriums der Justiz verstand John die Organisationsgerichtsbarkeit aber zugleich als Strafgerichtsbarkeit.320 Ihre Disziplinarmaßnahmen und Ermittlungen empfahl die Hitler-Jugend den staatlichen Jugendrichtern selbstbewusst als »wertvolles Material […], da sie den Justizbehörden ein Bild von der HJ-mässigen Beurteilung des Mannes und seiner Tat vermitteln.«321 Auch die »jugendgemäßen« Ehrenstrafen empfahl der Verband als Ergänzung oder gar Ersatz der Erziehungsmittel des Jugendgerichtsgesetzes, die eine »erzieherische Wirkungsein316 Sitzung des Jugendrechtsausschusses der Akademie für Deutsches Recht am 5.8.1938 in Bad Saarow, BA Berlin, R 3001/alt R 22/1180, Bl. 31; zitiert nach: Schubert, Bd. 11, S. 139–147, S. 146. 317 Denkschrift zur sexuellen Kriminalität von Jugendlichen im Gau Saarpfalz, zusammengestellt und verfasst vom Hitler-Jugend-Gebiet 25 (Saarpfalz), Gebietsführer Friedrich Thimel [1936], Anhang 4: Vorschläge für den weiteren Ausbau der Zusammenarbeit zwischen Hitler-Jugend und Justizbehörden, BA Berlin, NS 26/351, S. 52f., S. 53 [zitiert als: Thimel, Zur sexuellen Kriminalität]. 318 Bergemann; Wolff, Hitlerjugend, S. 207–212. 319 AV des Reichsministers der Justiz, 16.5.1935 in der Fassung vom 21.7.1936, VOBl. 3/26. 11. 7.1935; auch in: VHB, Bd. II, S. 2739–2742. Vgl. für den Anweisungsweg nachgeordneter Behörden exemplarisch die Anweisungen der Bayerischen Politischen Polizei für den Ersteinsatz des HJ-Streifendienstes, Pfingsten 1935, die Abschrift der Verhandlungen weiterzureichen, »um den Parteidienststellen die Möglichkeit zu geben, noch vor Eröffnung des Hauptverfahrens disziplinär gegen die Beschuldigten vorzugehen«, IfZ München, Fa 119, Bl. 286–189, Bl. 287. 320 Schreiben RJF, John, an RJM, Ebert, 14.3.1936, BA Berlin R 3001/alt R 22/1174, Bl. 286. Großes Fragezeichen am Aktenrand. 321 John an Ebert, ebd.

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heit« bilden sollten.322 Diese Zielsetzung eines einheitlichen Effektes auf den Jugendlichen durch »beiderseitige Maßnahmen« von disziplinarischer und justizieller Gerichtsbarkeit begründete auch die in der Kriegszeit häufigen Personalunionen von staatlichem Jugendrichter oder Jugendstaatsanwalt und Richter oder Rechtsreferent der Hitler-Jugend. Weder Jugendführung noch Justizministerium werteten diese Doppelung als Einschränkung der Objektivität des Jugendrichters, sondern als Erfüllung des alten jugendrechtlichen Postulats, Jugendsachen personell konzentriert zu bearbeiten.323 Aus Sicht der Hitler-Jugend ermöglichte diese Doppelung, wie der Rechtsreferent des HJ-Gebietes Pommern ausführte, gerade eine »gerechte« Urteilsfindung, da der Fall »nicht nur vom rein rechtlichen, sondern auch vom politischen Standpunkt« aus betrachtet werde.324 Freilich hatte die jugendgerichtliche Forderung vorrangig eine Berücksichtigung der Gesamtpersönlichkeit des Jugendlichen und die Abstimmung der Mittel bezweckt, nicht den hier unverhüllt geforderten Einbezug politischer Beurteilung in Strafsachen. Diese entsprach jedoch dem nationalsozialistischen Rechtsverständnis durchaus. Anfang 1938 hatte sich ein Vorschlag seitens der DAF, Kauf hausdiebstähle von Jugendlichen nicht mehr bei der Polizei, sondern der Hitler-Jugend und der Jugendhilfe der Nationalsozialistischen Volkswohlfahrt anzuzeigen, um erstmalige Straftaten einer disziplinarrechtlichen Behandlung zu überlassen, noch nicht durchgesetzt.325 Der Entzug der gerichtlichen Würdigung wurde als möglicher Präzedenzfall für einen »Einbruch in die Strafrechtspflege« vom Justizministerium abgelehnt.326 Sofern ein von einem Mitglied der Hitler-Jugend begangenes Delikt jedoch vorrangig als Disziplinlosigkeit begriffen wurde, erhielt ab 1940 die disziplinarische Würdigung Vorrang vor der strafrechtlichen und erübrigte diese schließlich sogar. Kritik an dieser Kompetenzerweiterung und an der Bedeutung der Disziplinargerichtsbarkeit wurde bezeichnenderweise im Reichssicherheitshauptamt geübt. Hier wurde erkannt, dass die Gleichstellung der staatlichen (Jugend-)Gerichtsbarkeit mit den Partei-

322 John, S. 128; Hess, Gerichtsbarkeit der Hitler-Jugend, S. 22. 323 Schreiben des JFdDtR, Klemer, an RMJ, Kümmerlein, 27.7.1944, BA Berlin, R 3001/ alt R 22/1177, Bl. 659f.; Schreiben Kümmerleins an Parteikanzlei, Bormann, 26.9.1944, ebd., Bl. 661f. Zur Politik personeller Verflechtungen der RJF vgl. Wolff, Jugend vor Gericht, S. 229ff.; sowie Kenkmann, Wilde Jugend, S. 308. 324 Schreiben, 30.6.1944, zitiert in: Schreiben Klemer, an RMJ, Kümmerlein, 27.7.1944, BA Berlin, R 3001/alt R 22/1177, Bl. 659f. 325 BA Berlin, R 3001/alt R 22/1174, Bl. 414–445. Vorschlag auf Initiative der Gauwaltung München-Oberbayern der DAF, Anfang 1938, Bl. 418; das Ergebnis, an polizeilichen Meldungen festzuhalten, mitgeteilt in Schreiben des Hauptamtsleiters der NSDAP RL, Hauptamt für Volkswohlfahrt, 4.7.1938, Bl. 444. 326 Schreiben der Generalstaatsanwaltschaft OLG München, Sottler, an RJM, 3.2.1938, ebd., Bl. 414–418, Bl. 418.

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gerichtsbarkeiten und vornehmlich der HJ-Disziplinargewalt die ordentliche Gerichtsbarkeit einschränkte.327 Aufgrund der vorrangigen Zuständigkeiten der Gerichtsbarkeiten von RAD, Hitler-Jugend, SS und Wehrmacht sowie des Volksgerichthofes und der Sondergerichte verkleinerte der Kreis der Jugendlichen, deren Fälle von regulären staatlichen Gerichten bearbeitet wurden, sich zunehmend. Das Jugendstrafrecht wandelte sich geradezu zu einem Sonderrecht, wie der Rechtshistoriker Jörg Wolff resümiert.328 Diese Aufwertung der Disziplinargerichtsbarkeit der Hitler-Jugend war nicht nur für institutionelle Konkurrenzen der Judikative kennzeichnend. Sie erfolgte ebenso zielstrebig wie langfristig, denn die Reichsjugendführung beteiligte sich nicht nur aktiv an der gesetzgeberischen Umsetzung von Jugendpolitik vom Strafrecht bis zur Jugendpflege, sondern hatte bereits 1934 der Justiz ihren politischen Vorrang angekündigt: »Die Hitler-Jugend betont, dass sie bei der Ausarbeitung ihrer Vorschläge zur Neugestaltung des Jugendwohlfahrts-, Jugendgerichts- und Erziehungswesens die Mitarbeit der Gerichtsbehörden nicht entbehren kann und will.«329

Auch auf gemeinsamen Fachtagungen mit Jugendrichtern und Jugendstaatsanwälten machte die Jugendführung selbstbewusst ihre »Ziele und Wünsche« deutlich.330 Die eigene Funktion wurde analog zur Strafgerichtsbarkeit primär als »Schutz der Jugendgemeinschaft und Erziehung« beschrieben. Der Strafzweck der »Sühne« trete im Vergleich mit dem Erwachsenenstrafrecht zurück, in der »Disziplinararbeit« noch stärker als im Jugendstrafrecht.331 Den die internationale Jugendrechtsdiskussion leitmotivisch prägenden Begriff der »Erziehung« leitete die Reichsjugendführung aus ihrer Funktion als nationalsozialistische Erziehungsinstitution ab und verstand – im Sinne des entgrenzten Erziehungsbegriffes – das gesamte Disziplinarwesen als »Ausdruck des erzieherischen Wollens der nationalsozialistischen Jugendbewegung«.332 Im Frühjahr 1939 – zur Einführung der Zwangsmitgliedschaft – bestimmte John die grundsätzliche Erziehungsfunktion. Aufgabe der Gerichtsbarkeit sei es, »im Rahmen der allgemeinen Erziehungs- und Ausleseaufgabe der Hitler-Jugend mit Disziplinarmitteln und Ausschluß gegen solche Mitglieder vorzugehen, bei denen die ordentlichen Erziehungsmittel der Hitler-Jugend nicht ausreichen.«333 327 Schreiben des RSHA, Werner, an RJM, Kümmerlein, 2.4.1942, BA Berlin, R 3001/alt R 22/1178, Bl. 217f. Allerdings motivierten eigene Kompetenzforderungen diese Kritik. 328 Wolff, Jugendliche vor Gericht, S. 77. 329 Schreiben des Sozialen Amts der RJF, Hauptreferat Recht [später: Rechtsamt], Goldmann, an RJM, 27.11.1934, Anlage 2, BA Berlin, R 3001/alt R 22/1174, Bl. 32; vgl. die durchgesetzten Bereiche dieser »Zusammenarbeit« bei Bergemann, S. 38–46. 330 Vgl. Bericht einer Arbeitstagung des HJ-Gebietes Mittelrhein, 2./3.2.1935 Kleid, S. 114. 331 Tetzlaff, Disziplinarrecht, S. 102; Hess, Gerichtsbarkeit der Hitler-Jugend, S. 18. 332 Klemer, Jugendstrafrecht, S. 58. 333 John, S. 124.

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Mit dem auch auf die Sühnefunktion einer Strafe ausgeweiteten Erziehungsbegriff nahm die HJ-Gerichtsbarkeit zum einen Impulse des Jugendrechtsdiskurses auf, zum anderen ergänzte sie das Straf- und Bewahrungsrecht für Jugendliche mit eigenen Maßnahmen. Zugleich ist ihre Entwicklung aus der Tradition und Argumentation der Parteigerichtsbarkeit unverkennbar. Aus den Akten des einzigen überlieferten HJ-Obergerichtsverfahrens und anschließenden Verfahrens des Obersten Parteigerichts der NSDAP gegen die HJ-Gebietsführung Hochland lässt sich eine Kompetenzaufteilung zwischen den disziplinarischen Gerichtsbarkeiten der Partei und der Jugendorganisation erschließen, trotz der besonderen Verfahrensumstände – Gestapo und Parteigerichtsbarkeit beanspruchten die Alleinzuständigkeit bei der Untersuchung von Übergriffen im Rahmen der November-Pogrome 1938, die von Parteigenossen und Angehörigen der Gliederungen und Verbände verübt worden waren, und entzogen sie damit der Justiz. Das Untersuchungsziel, nicht den Tatbestand, sondern die nationalsozialistische Motivation zu ermitteln, verdeutlicht das prinzipielle Ziel der Parteigerichtsbarkeiten.334 Im Rahmen dieses Disziplinargerichtsverfahrens, das Anfang Dezember 1938 in München stattfand, betonte das Oberste Parteigericht nachdrücklich, »daß die HJ-Gerichtsbarkeit als Jugendgerichtsbarkeit in erster Linie für die Erziehung zu sorgen habe, während die Parteigerichtsbarkeit Ehrengerichtsbarkeit sei.«335 Anders als im Rechtsschrifttum zur NSDAP, in dem man um eine Abgrenzung der dienststrafrechtlichen Funktion gegenüber einer »Sonderstrafgerichtsbarkeit« bemüht war,336 gehen die Disziplinartexte der Hitler-Jugend von einer vagen Analogie zum Beamten- oder kirchlichen Disziplinarrecht aus. Die HJ-Gerichtsbarkeit verwendete den Terminus »Ehrengerichtsbarkeit« selbst kaum, obwohl die Disziplinarwirkung ehrenrechtlich begründet wurde und an die 334 Verfahren wurden nur eingeleitet, wenn die Motivation »zweifelhaft oder offenkundig eines Nationalsozialisten unwürdig« sei. Es galt, »den Volksgenossen, der in nationalsozialistischer Einsatzbereitschaft übers Ziel hinausgeschossen ist, zu schützen und auf der anderen Seite den Trennungsstrich zu ziehen zwischen der Bewegung und jenen, die aus eigensüchtigen Beweggründen oder verbrecherischer Veranlagung zum Schaden der Bewegung gehandelt haben.« Geheimes Rundschreiben des Stellvertreters des Führers, Heß, Nr. 195/38, 7.12.1938, mitgeteilt in geheimem Rundschreiben der NSDAP, Oberstes Parteigericht, Schneider, an die Vorsitzenden der Gaugerichte, 13.12.1938, BA Berlin, NS 28/126, Bl. 101–107; vgl. Block, S. 184–194. Das Verfahren gegen HJ-Obergebietsführer Hochland, Emil Klein, München, und 12 weitere Beschuldigte wegen »Unternehmungen gegen Juden in der Nacht vom 9. auf den 10. November 1938« wurde aufgrund des Ergebnisses, dass »es sich lediglich um falsche und zu mißbilligende Methoden gehandelt hat, den Handlungen aber unanständige Beweggründe nicht zugrunde liegen«, eingestellt. Geheimer Beschluss des Sondersenats des OPG der NSDAP vom 23.1.1939, BA Berlin, NS 28/126, Bl. 117–121, Bl. 116. 335 Aktenvermerk über Besprechung zwischen Pg. Schneider (OPG) und HJ-Oberrichter John, Berlin, 17.12.1938, »Geheime Reichssache!«, NS 28/126, Bl. 98. 336 Müller, Parteigerichtsbarkeit, bes. S. 16–51, S. 26f.

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Verfahrensgrundsätze des Parteirechtes angelehnt war.337 Partei, SS und DAF unterschieden vom organisationseigenen Disziplinarrecht als Dienstrecht für alle Mitarbeiter und Funktionäre zusätzlich ein explizites »Ehrenrecht«, das in einer sich stärker auf die Bindung an die Mitgliedschaft berufenden »Ehrenordnung« oder in einem separaten Verfahrensweg Niederschlag fand.338 Die begriffliche und verfahrensrechtliche Unterscheidung beruhte jedoch nicht auf einer eindeutigen Trennung der Intentionen und Grundsätze, da ihrer Bestimmung nach sowohl die Disziplinarrechte wie die expliziten Ehrenrechte »unwürdiges« Verhalten der Mitglieder sanktionierten. Die im Vergleich mit der Hitler-Jugend weiter ausdifferenzierten Disziplinarrechte kannten darüber hinaus die besondere Verfahrensform der »ehrengerichtlichen Selbstreinigung« von Beschuldigungen.339 Als Spezialverfahren existierte es formal auch in der Hitler-Jugend.340 Das praktizierte Disziplinarrecht der Jugendorganisation mit den zwei Wegen der »Erziehung« durch die Disziplinarmittel und der Strafe des Ausschlusses, basierte hingegen auf einem einzigen, beständig aktualisierten Disziplinarordnungstext und einheitlichen Verfahrensweg.

2.1.1 Verfahren Als geregelte und überprüf bare Verfahren galten sämtliche Disziplinarentscheidungen der Hitler-Jugend, nicht nur die gerichtlichen der obersten Disziplinargewalt. Auch geringfügige Entscheidungen wurden schriftlich festgehalten und begründet. Diese Beschlüsse wurden dem Beschuldigten zugestellt und in der »Stammrolle«, der Personalakte des Betreffenden, oder in einem separaten Dienststraf buch archiviert.341 Diese interne Dokumentation jeder disziplina-

337 Eine Ausnahme bildet die oben zitierte Schrift des Rechtsphilosophen Dietze, Rechtsgestalt. 338 Vgl. Ehren- und Disziplinarordnung (EDO) der DAF, 11.1.1936 in der Fassung vom 1.8.1939, §§ 1, 2, 9; RFSS, Schieds- und Ehrengerichts-Ordnung der SS (SchEO), 9. November 1935, BA Berlin, NSD 41/25-10; ders.: Disziplinarstraf- und Beschwerdeordnung (DBO), 30.1.1933, 9.11.19342, 21.6. 19433, ebd., NSD 41/25-15. 339 Ehren- und Disziplinarordnung (EDO) der DAF, §§ 116–120. 340 Dienststrafordnung 1941; dazu Tetzlaff, Disziplinarrecht, S. 98f.; zuvor wurde diese ehrenrechtliche Funktion dem allgemeinen HJ-Disziplinarrecht zugeschrieben, vgl. John, S. 125. Die Dissertation Lüdicke, 13ff. erörterte zunächst, ob Jugendliche überhaupt eine durch Ehrenschutz zu wahrende Ehre hätten. 341 Disziplinarordnung 1936, S. 5; Disziplinarordnung 1939, in: VHB, Bd. II, S. 1018; Dienststrafordnung 1941, ebd., S. 1002. In der »Warnkartei« weisen Stempelaufdrucke auf diese – nicht überlieferten – Personalakten hin. Beispiele in StA Augsburg, HJ-Bann Allgäu, Nr. 25. Das Dienststraf buch verzeichnete Personal- und Mitgliedschaftsdaten, Vergehen und Dienststrafe, vgl. Zucht und Ehre, Jg. 1, 1940, S. 20.

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rischen Verfehlung stellte die Disziplinargeschichte der Betroffenen zur Bewertung bei weiteren Verfahren und Personalentscheidungen bereit.342 Ein Disziplinarverfahren, das im Gegensatz zur staatlichen Rechtspflege nicht an eine strenge Trennung der Verfahrensabschnitte gebunden war und daher zügig und z. T. auch mündlich erledigt werden konnte,343 wurde durch die Meldung eines Vergehens durch Streifendienst, Einheitenführer oder außen stehende Dienststellen der Justiz, Jugendämter bzw. Polizei initiiert. Auch Einzelpersonen wurden aktiv, wie der Rektor einer Altonaer Schule, der im Februar 1936 in einem ausführlichen Bericht an das örtliche »Jungvolk« den Ausschluss eines Schülers forderte.344 Der oder die Beschuldigte wurde durch den Vernehmungsführer des Bannes befragt; ein Formblatt gab den Ablauf dieser »Wahrheitsermittlung« vor.345 Gegebenenfalls ermittelte der Streifendienst ergänzend. Wenn ihm die Anordnung eines Disziplinarmittels, also einer »Ehrenstrafe«, als ausreichend erschien, erstellte der Vernehmungsführer eine Disziplinarverfügung für den Bannführer (»kleine Disziplinargewalt«) oder beantragte diese beim Gebietsführer (»mittlere Disziplinargewalt«). Kam jedoch eine Bestrafung durch Ausschluss oder Ausscheiden in Frage, wurde ein gerichtliches, vom Einheitenführer unabhängiges Verfahren eingeleitet.346 Es begann für den Beschuldigten mit der »Beurlaubung« vom Dienst und seiner Ladung zum Dienststrafverfahren, die auch polizeilich erzwungen werden konnte.347 Die Untersuchung des HJ-Gerichtes sollte sich sowohl dem Sachverhalt – Motiven und Umständen der Verfehlung – wie der Persönlichkeit des Beschuldigten widmen.348 Hier war der »ganze Kerl« zu berücksichtigen, galt die konkrete Verfehlung doch nur als »Anlaß einer Wertung der Ge342 Ausnahmsweise gab es offenbar auch mündliche Mitteilungen von Beschlüssen durch HJ-Richter, vgl. Gestapoakten Johannes Sch., der durch HJ-Richter Ostermann vom HJ-Gericht Ruhr-Niederrhein am 26.7.1938 in Folge einer jugendstrafrechtlichen Verurteilung wegen Vergehens gegen § 175 aus der HJ durch mündlichen Spruch ausgeschlossen wurde, was bei Sch. zu Verwirrung über die Mitgliedschaft führte. Hitler-Jugend Essen, 2.8.1938, HStA Düsseldorf, RW 58-55 645, Bl. 3f., und 17.9.1938, ebd., Bl. 9. 343 Nach Angaben der RJF wurden sechzig Prozent aller Verfahren mündlich erledigt, Kaufmann, Das kommende Deutschland, 1940, S. 41. 344 Ellger-Rüttgart, S. 139f. 345 Formular Vernehmungsprotokoll, in: Zucht und Ehre, Jg. 1, 1940, S. 15f.; auf der Rückseite Platz für »Persönliche Bemerkungen des Untersuchungsführers« über den »Eindruck[, den] der Vernommene machte, ob er glaubhaft erscheint, ob er verwandt mit dem Beschuldigten ist und dergleichen.« 346 Heußler, S. 45; Antrag auf Einleitung eines Strafverfahrens, in: Zucht und Ehre, Jg. 1, 1940, S. 10. 347 Aufgrund Amts- und Rechtshilfeanweisung des Gesetzes zur Sicherung der Einheit von Partei und Staat, 1.12.1933, RGBl. 1933, Teil I, S. 1016, in der Fassung vom 3.7.1934, RGBl. 1934, Teil I, S. 529, § 6; dies galt auch für geladene Zeugen, vgl. Beurlaubungsschreiben, Anweisung HJ-Gerichtsbarkeit, John, RB 21/I, 12.6.1936, S. 470. 348 Tetzlaff, Disziplinarrecht, S. 73.

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samthaltung«.349 Noch die Vernehmung sollte als »erzieherischer Akt« wirken, deren Pädagogik sich jedoch darauf beschränkte, den individuellen Entwicklungsstand des Beschuldigten zu beachten und einen »vertrauensvollen« Kontakt auf der Grundlage der Verbandskameradschaft herzustellen.350 Das Gerichtsverfahren selbst war also Bestandteil der Disziplinierung. Neben dem routinemäßig erfragten sozialen Hintergrund wurde bei Sexualdelikten speziell nach Auf klärung im Elternhaus gefragt, bei homosexuellen Vergehen nach einer Vergangenheit in der Bündischen Jugend.351 Gleichzeitig anhängige – oder aufgrund derselben Meldung angestrengte – Strafverfahren wartete die Hitler-Jugend ab. Diese Zurückhaltung hatte praktische Gründe, wenn die Klärung von Sachverhalten durch die Aussagen erwachsener Zeugen oder Angeschuldigter zu erwarten war.352 Hier bediente die Disziplinargerichtsbarkeit sich der Möglichkeiten des Strafprozessrechtes. Die disziplinarrechtlichen Verfahren verzahnten sich eng mit den Ermittlungsverfahren der Gestapo und anschließenden Strafverfahren. Aus der Korrespondenz mit der Düsseldorfer Gestapo erschließt sich diese Verzahnung der Disziplinarverfahren im Gebiet Ruhr-Niederrhein. Sie weist jedoch auch auf eine Verfahrenspraxis hin, die Rhetorik und Anspruch der Gerichtsbarkeit auf eine unverzügliche und effektive Bestrafung widersprach. Ein Beispiel bildet die Verurteilung von zwei HJ-Angehörigen aus Essen, Karl J. und Helmut P., die wegen schweren Diebstahls im März 1936 zunächst zu einer sechsmonatigen Gefängnisstrafe verurteilt worden waren, bevor das Urteil im Berufungsverfahren aufgehoben und das Verfahren im Juli eingestellt wurde. Auf die unmittelbare Nachfrage der Gestapo über die »disziplinaren Maßnahmen« der Hitler-Jugend erfolgte acht Monate lang der Hinweis, ein Ausschlussverfahren schwebe bei der Reichsjugendführung, bis die Gestapo am 10. Februar 1937 die Akte mit dem Vermerk schloss, mit einer Entscheidung der Reichsjugendführung sei nicht mehr zu rechnen.353 Die Warnkarte in der Kartei datiert den letztlich erfolgten Ausschluss auf den 1. Juni 1937.354 Eine Begründung für solche Verzögerungen gab die Hitler-Jugend im Fall des Studienassessors Heinrich R., der als Mathematiklehrer an einer Oberrealschule in Mönchengladbach und zugleich als HJ-Unterführer im Bereich Körperschulung arbeitete. Im Anschluss an das Strafverfahren wegen des Vorwurfs 349 Ebd., S. 31; Hess, Gerichtsbarkeit der Hitler-Jugend, S. 18. 350 Tetzlaff, Disziplinarrecht, S. 76f. Als Mittel des Vertrauens galten die – in der HitlerJugend übliche – Anrede mit »du«, Uniform, eine »kameradschaftliche Haltung« des Vernehmenden und der Verzicht auf eine Sekretärin. 351 Tetzlaff, Homosexualität, S. 2f. 352 John, S. 126. 353 HStA Düsseldorf, RW 58-58 707, Bl. 18. 354 Helmut P., geb. 1915, Ausschluss wegen »Unterschlagung von HJ-Geldern«, BA Berlin, Warnkartei, Datensatz Nr. 3138.

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»widernatürlicher Unzucht« mit zwei ihm unterstellten Hitler-Jungen im April 1936 schlossen sich Ausschlussverfahren der NSDAP und der Hitler-Jugend an, wobei der ungeduldig nachhakenden Gestapo mitgeteilt wurde, die Reichsjugendführung bearbeite zunächst Fälle, »in denen sich die Jugendgenossen noch auf freiem Fuße befinden und somit der HJ noch Schaden zufügen können«.355 Im März 1937 notierte ein Gestapobeamter, der sich über die Disziplinarmaßnahmen gegen den 29-jährigen Duisburger Anstreicher Ernst S. informieren wollte, ermüdet, der zuständige Sachbearbeiter im HJ-Standort sei nie zu erreichen.356 S., »ein Mann im Stabe der Hitler-Jugend«, war ebenfalls wegen eines Sexualdeliktes zu einer mehrmonatigen Gefängnisstrafe verurteilt worden. Obwohl der dem Strafurteil folgende disziplinarische Ausschluss bereits im Oktober 1936 vollzogen wurde, wie die Warnkartei dokumentiert, wurde diese Sanktion erst ein Jahr später an die Gestapo gemeldet.357 Neben der forcierten Nachfragepolitik der Gestapo zeigen diese Homosexuellenverfahren auch eine Schwerfälligkeit des bürokratischen Informationsablaufes auf seiten des Jugendverbandes. Die Langsamkeit der anschließenden disziplinarischen Gerichtsverfahren erklärt sich auch aus ihrer Form als situativ einberufene Institution. Der überlieferte Fall des HJ-Obergerichts, das im Verfahren gegen den Gebietsführer Emil Klein 1938 dem Parteigerichtsverfahren als Ermittlungsverfahren vorausging, macht mit der unverzüglichen Abordnung von Hitler-Jugend-Richtern aus Berlin nach München jedoch deutlich, dass die Gerichtsstruktur bei entsprechender politischer Dringlichkeit durchaus zügig funktionsfähig war. Die Verhandlung des HJ-Gerichtes und damit das Verfahren wurde in der Regel an einem Termin erledigt. Für Fälle, in denen Disziplinarmittel und Strafen der höheren Disziplinargewalt verhängt werden sollten sowie in Verfahren gegen Mitglieder des Führerkorps empfahl der HJ-Richter und maßgebliche Kommentator Walter Tetzlaff, eine besondere »Hauptverhandlung« in einem mit NS-Hoheitszeichen geschmückten Saal anzusetzen, der »etwas von der ›erzieherischen Macht des Raumes‹ spüren lassen« solle.358 Die Beschreibung des empfohlenen Sitzungsverlaufes liest sich vom förmlichen Aufruf der Beschuldigten über die Beweisaufnahme, die geheime Beratung des Gerichts bis zur Verkündung der Entscheidung als weitgehende Imitation der Formen eines strafrechtlichen Verfahrens. Dazu gehört auch die Einschüchterungswirkung seiner formalen Regeln, gegen die Tetzlaff und die HJ-Gerichtsbarkeit 355 Aktennotiz vom 15.8.1936, HStA Düsseldorf, RW 58-13 884, Bl. 22; BA Berlin, Warnkartei, Datensatz Nr. 3443. Erst Ende September informierte die Gebietsführung über den zum 23.7.1936 erfolgten Ausschluss, RW 58-34 988, Bl. 27. 356 Aktenvermerk Gestapo Duisburg, 24.3.1937, HStA Düsseldorf, RW 58-58 137, Bl. 16. 357 Ausschluss wegen »widernatürlicher Unzucht« BA Berlin, Warnkartei, Datensatz Nr. 3541; Schreiben der Gestapo Düsseldorf, 4.10.1937, HStA Düsseldorf, RW 58-48 331, Bl. 16. 358 Tetzlaff, Disziplinarrecht, S. 80f.

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sich theoretisch immer wieder abgrenzten, vor allem hinsichtlich der Gewissensentscheidungen der Disziplinarrichter. Auch in den Hitler-Jugend-Gerichtsverfahren galt das Führerprinzip: Beisitzer berieten, der HJ-Richter entschied allein und »freischöpferisch aus dem nationalsozialistischem Gewissen heraus«.359 Als einzige Entscheidungsnorm zur individuellen Beurteilung des Falles durch den Richter galt der Grundsatz der Pflichtverletzung gegenüber der Gemeinschaftsehre. Der Hitler-Jugend stand zu, »jedes Verhalten eines ihrer Angehörigen zu ahnden, das gegen Zucht und Ordnung in der HJ verstößt oder die Ehre der Gemeinschaft der Hitler-Jugend, ihr öffentliches Ansehen oder die Kameradschaft in der Hitler-Jugend verletzt oder gefährdet.«360 In der Praxis handle es sich vor allem um disziplinarische Verfehlungen und straf bare Handlungen, so John.361 Sukzessive und situativ erlassene Einzelbestimmungen ersetzten einen präzise definierten allgemeinen Disziplinartatbestand.362 Eine eindeutige Festlegung der Delikte unterblieb bewusst; der Ausschluss war für »schwerste Verfehlungen, die Verbrechen gleichzusetzen sind«, vorgesehen.363 Ohne feste Tatbestände herrschte auch kein Strafzwang, sondern das dienstrechtliche Opportunitätsprinzip. Verfolgung und Ahndung wurden dem Disziplinarbefugten überlassen, der sich an den Kriterien der Aufrechterhaltung von »Zucht und Ordnung«, des Ansehens in der Öffentlichkeit und der »Haltung« des Beschuldigten orientieren sollte. Aufgrund dieser offenen »Generalklauseln« galt auch die Gerichtsbarkeit der Hitler-Jugend als zeitgemäße Form, die einer der »nationalsozialistischen Rechtsphilosophie« entsprechende Rechtsfindung ermögliche.364 Gleichwohl mahnte John 1938 eine einheitliche Auslegung und Anwendung der Disziplinarordnung in den Gebieten an.365 Zur Lenkung der Entscheidungen der Gerichte gab die HJGerichtsbarkeit das Schulungsblatt »Der Hitler-Jugend-Richter« heraus, das kriminalpolitische Hintergrundartikel und konkrete Fallbeispiele aus der Gerichtspraxis zusammenstellte.366 Diese Lenkungspraxis durch vorgegebene Bei359 John, S. 125, Zitat S. 128. 360 Dienststrafordnung 1941, Abs. 2; ebenso in: AV des RJM über die Hitler-Jugend und Jugendstrafrechtspflege, 18.12.1943, in: Tetzlaff, Disziplinarrecht, S. 179. 361 John, S. 125. 362 Die Übersicht der »Einzelbestimmungen des materiellen HJ-Disziplinarrechts«, versammelt mit Stand vom 1.2.1944 31 Einzelbestimmungen vom Haarschnitt, Genehmigungspflichten, Rauch- und Waffenverbot, Verbot der Überanstrengung, verbotenem Schrifttum bis zum Umgang mit Polen und Kriegsgefangenen, Tetzlaff, Disziplinarrecht, S. 28ff. 363 Kaufmann, Eläuterungen, S. 222. 364 Tetzlaff, Rechtsphilosophie, S. 6. 365 Rundschreiben an die Personalabteilungen der Gebiete, 7.10.1938, auch in: VHB, Bd. II, S. 1038. 366 RJF der NSDAP, Amt Gerichtsbarkeit, Der Hitler-Jugend-Richter. Schulungsblatt des Amtes Gerichtsbarkeit der RJF. Verantwortlich: Walter Tetzlaff. Überliefert sind die Ausgaben F. 4, Juni 1941, und F. 5, Februar 1942.

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spielentscheidungen, von der Parteigerichtsbarkeit seit 1934 praktiziert, entspricht den berüchtigten »Richterbriefen« mit kommentierten Entscheidungen aus ausgewählten Rechtsgebieten, die das Reichsjustizministerium zwischen 1942 und 1944 zur Lenkung der Rechtsprechung an die Gerichte verschickte.367 Das »Austausch- und Erfahrungsorgan« der Hitler-Jugend sollte auf diese Weise das fehlende Disziplinarstrafgesetzbuch ersetzen.368 Als wichtigster Gesichtspunkt disziplinarischer Entscheidungen in der Hitler-Jugend galt die Gemeinschaftsorientierung, denn »nicht die Erziehung des einzelnen, sondern die Erziehung der Gemeinschaft ist das oberste Ziel«.369 Trotz dieses Vorrangs solle der Disziplinarrichter Persönlichkeit und Entwicklungsstand der Jugendlichen würdigen. In den überlieferten Beispielentscheidungen schlug die Einschätzung sich im Abwägen von Verdiensten für die »Bewegung« oder besonderer Führungsqualitäten nieder, also als dezidiert organisationspolitische Beurteilung.370 Dazu wurden zur »Abrundung der Persönlichkeit des Angeschuldigten« politische Einschätzungen durch Hoheitsträger von NSDAP und Hitler-Jugend, von Lehrherren bei Ausbildungsverhältnissen, Wehrmacht, SS und Gestapo gehört.371 Die gewünschte ganzheitliche Wertung der Gesamtpersönlichkeit setzte sich also aus disziplinarischen Einzelbeurteilungen zusammen. Im Ermessen der HJ-Gerichtsbarkeit stand auch die Wertung des persönlichen Eindrucks. So wurde der Fähnleinführer und Junglehrer Wilhelm St., der sich auf Meldung der Hitler-Jugend in einem Strafverfahren wegen eines Übergriffs auf einen Hitler-Jungen während des Reichsparteitages verantworten musste und sofort aus dem Schuldienst entlassen wurde, nicht aus dem Verband ausgeschlossen. Aufgrund des »günstigen Eindrucks«, den die Personalstelle gewann, wurde er lediglich unter Aberkennung seines Dienstranges ausgeschieden.372 Den Abschluss der Verhandlung bildete der disziplinargerichtliche Entscheid, der das Urteil begründete, ohne »pauschale Verdammungsurteile« oder »romantische Ausführungen«, stets mit einem Appell an »das Gute im Jungen« und die disziplinarrechtlichen Grundbegriffe von Treue und Ehre, Tapferkeit und Kameradschaft.373 367 Vgl. Boberach, Richterbriefe; Der Parteirichter. Amtliches Mitteilungsblatt des Obersten Parteigerichts der NSDAP, Jg. 1, 1934/35 – Jg. 10, 1943. 368 Kaufmann, Das kommende Deutschland, 1943, S. 50f. 369 John, S. 128. 370 Entscheidungen der Sonderbeauftragten der Reichsjugendführung und des HJ-Obergerichts, in: Der HJ-Richter, F. 4, Juni 1941, S. 7–10; F. 5, Febr. 1942, S. 7–11. 371 Dienstrafordnung 1940, Abs. III 5b; Erläuterung, Zucht und Ehre, Jg. 1, 1940, S. 4. 372 Schreiben der Personalabteilung des HJ-Gebietes Ruhr-Niederrhein, 9.12.1938, HStA Düsseldorf, RW 58-40 845, Bl. 20; Ausscheiden am 25.2.1939, ebd., Bl. 37; Verfahren RW 5825 427; Ausscheiden mit Begründung »Sittlichkeit« im RB Sonderdruck 35/41 K, 25.9.1941 [Datensatz Nr. 6482]. 373 Tetzlaff, Disziplinarrecht, S. 84.

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Die Disziplinar- und Strafordnungen der Hitler-Jugend gestanden dem – ausdrücklich zur Wahrheit verpflichteten – Beschuldigten Einspruchsrechte gegen die Disziplinarentscheidungen bei der übergeordneten Dienststelle zu, deren Gewährleistung die Reichsjugendführung aber 1938 anmahnen musste.374 Aufgrund des Unterstellungsverhältnisses in Disziplinarsystemen wirken solche Beschwerden grundsätzlich nur sehr eingeschränkt als Kontrollinstanz.375 Auf die Formulare der HJ-Gerichtsbarkeit war die Mahnung aufgedruckt, eine Wiederaufnahme des Verfahrens könne auch zur Strafverschärfung führen.376 Rechtsmittel wie die Vertretung durch Erziehungsberechtigte oder gar einen Anwalt standen den Jugendlichen nicht zu.377 Beispiele für die Wiederaufnahme einzelner Verfahren der höheren Disziplinargewalt finden sich in den öffentlichen Zustellungen in den internen Verordnungsblättern.378 So wies das Obergericht als Revisionsinstanz den Einspruch des Chemnitzer Hitler-Jungen Erich E. zurück, der im Juni 1937 durch das HJ-Gericht des Gebietes Sachsen wegen »HJ-schädigenden Verhalten[s]« ausgeschlossen worden war, und bestätigte das Urteil.379 Der Fall des Heinz H. steht hingegen für eine erfolgreiche Revision. Nachdem sein Ausschluss 1939 zurückgenommen worden war, wurde die bereits erstellte Warnkarte eingezogen.380 Zu den Grundsätzen und Formen strafrechtlicher Gerichtsbarkeit, welche die Disziplinargerichtsbarkeit imitierte, gehörte auch die quasiherrschaftliche Gewährung von Gnadenrechten. Das in sämtlichen straf- wie dienststrafrechtlichen Beurteilungen grundsätzlich dem Chef der Kanzlei des Führers zustehende individuelle Begnadigungsrecht wurde 1938 für Beschwerden und Gesuche, die Disziplinarentscheidungen und Gerichtsbeschlüsse betrafen, wieder an das Personalamt der Reichsjugendführung zurückgegeben.381 Gleichzeitig erließ die Jugendführung eine kollektive Amnestie für sämtliche »HJ-gerichtliche Verfahren« 374 Rundschreiben, 7.10.1938, in: VHB, Bd. II, S. 1038. 375 Hülle, S. 748; Rempel, S. 70. 376 Disziplinarordnung 1936, S. 4; Disziplinarordnung 1939, VHB, Bd. II, S. 1017; Dienststrafordnung 1941, ebd., S. 1004. 377 Disziplinarordnung 1936, S. 5; begründet mit der Intention der Erziehung zur Selbständigkeit und dem Gleichheitsgrundsatz bei Tetzlaff, Disziplinarrecht, S. 68. 378 Interne Zustellung zunächst von Vorladungen, ab Anfang 1938 der Gerichtsbeschlüsse gegen Jg. »unbekannten Aufenthalts« ohne Angabe der Gründe im Sitz der RJF, Berlin, und als »Bekanntmachungen«; VOBl. IV/18, 14.8.1936, S. 209. 379 BA Berlin, Warnkartei, Datensatz Nr. 958; Bekanntmachung des Personalamtes, ANBl. VI/3, 4.2.1938, S. 56. 380 Anordnung des Verwaltungsamtes, Hauptabteilung Mitgliedschaften, RB 7/K, 27.10.1939, S. 18. Begründung des Ausschlusses nicht überliefert. 381 Anordnung des Personalamtes, John, VOBl. IV/18, 14.8.1936, S. 209; bekräftigt in den Anordnungen des Chefs der Kanzlei des Führers, Bouhler, Nr. 1/1938, 13.5.1938, Nr. 6/1938, 10.8.1938, auszugsweise in: ANBl. VI/16, 19.8.1938, S. 295–300, S. 297. 1941 intern an Amt für HJ-Gerichtsbarkeit verlagert. Rundschreiben der RJF, F. 26/41, 15.9.1941, S. 9.

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wegen Verfehlungen, die vor dem 10. April 1938 begangen worden waren. Sofern eine geringere Strafe als Ausschluß aus der Hitler-Jugend oder Ausscheiden auf Dauer zu erwarten sei, wurden sie nicht eingeleitet bzw. anhängige Verfahren eingestellt und bereits angeordnete Disziplinarmittel erlassen.382 Diese »GroßDeutschland-Amnestie«, der entsprechende Regelungen für Partei- und Strafgerichtsbarkeit vorausgingen,383 datiert nach dem »Anschluß« Österreichs an das Deutsche Reich. Umfassende strafrechtliche Amnestien zu Kriegsbeginn aufnehmend, wiederholte die HJ-Gerichtsbarkeit ihre Disziplinaramnestie mit erweiterter Frist bis zum 1. September 1939.384 Einstellungen von Verfahren häuften sich daraufhin ab Dezember 1939.385 Der doppelte Straferlass in den beiden Hitler-Jugend-Amnestien reduzierte die Aufgaben der eigenen Disziplinargerichte aus Gründen der Arbeitsersparung auf die Höchststrafen, ist also ein Disziplinarerlass. Die dauerhafte Entfernung aus der Organisation als Strafe wurde so bereits 1938 als unverzichtbare Aufgabe des Disziplinarwesens bestimmt. Die Straffunktion war offensichtlich für die Hitler-Jugend von besonderer Bedeutung.

2.2 Entfernung als Strafe Die Verfahrensregeln zum Ausschluss hatten die Satzungen der Hitler-Jugend bereits vor 1933 dominiert. Doch gegenüber diesem Vereinsrecht, das der Verband zunächst praktiziert hatte, unterlag die Entfernung als Disziplinarstrafe keiner rechtsstaatlichen Kontrolle mehr. Da Jugendliche ihr nicht mehr durch Austritt entgehen konnten,386 wirkte der ursprüngliche Selbstschutz vor Desinteressierten nun – im Selbstverständnis der Organisation – strafend. »Ausschluß ist Strafe«, formulierte Walter Buch für das Parteirecht.387 Die disziplinarischen Straf kataloge hatten sich aus der Ausschlussfunktion entwickelt; war die Entfernung zunächst die einzige Reaktionsform, wurden die Mittel für die wachsende Organisation differenziert. Nach der »Dienstordnung« von 1934 wurden Ausschlüsse zentral durch die Reichsjugendführung verfügt.388 Vor der Etab382 ANBl. VI/12, 20.5.1938, auch in VHB, Bd. II, S. 1024; Gesetz über die Gewährung von Straffreiheit, 30.4.1938, RGBl. Teil I, S. 433f. 383 Verfügung Hitlers, 27.4.1938, in: Der Parteirichter, Jg. 4, 1937/38, S. 41. 384 Dienstvorschrift für die Hitler-Jugend im Kriege, RB 1/K, 28.9.1939, S. 1–16, S. 15; Erlass über Straffreiheit, 7.6.1939, RGBl. Teil I, S. 1023; für straffällig gewordene Wehrmachtsangehörige, 1.9.1939, ebd., S. 1549ff.; für Zivilisten, 9.9.1939, ebd., S. 1753f. 385 Z. B. Bekanntmachungen des HJ-Oberrichters, RB 19/K, 21.12.1939, S. 5; RB 20/K, 12.1.1940, S. 7; RB 25/K, 3.2.1940, S. 7; begründete noch 1944 die Verfahrenseinstellung gegen den 25-jährigen Horst M. aus Hamburg, RB 5/44 K, 9.2.1944, S. 53. 386 Disziplinarordnung 1936, S. 3; Tetzlaff, Disziplinarrecht, S. 11f. 387 Der Parteirichter 1936, S. 17, zitiert bei: Tetzlaff, Disziplinarrecht, S. 47. 388 Dienstordnung 1934, S. 3. Vgl. Ausschluss des 14-jährigen Josef W. aus HJ-Gebiet Hochland, 2.10.1934 aufgrund von Diebstählen, bestätigt durch die Reichsjugendführung, StA Augs-

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lierung des Disziplinarsystems scheint eine spätere Wiederaufnahme in die Jugendorganisation möglich gewesen zu sein.389 Die 1936 erlassene Disziplinarordnung diente daher auch zur Durchsetzung regelhafter Ausschlüsse durch das Personalamt und die HJ-Gerichtsbarkeit.390 Im Rahmen der »großen Disziplinargewalt« verhängten nur die Gebietsführungen und HJ-Richter dauerhafte Strafen. Sie bestanden einmal in der grundsätzlichen »Aberkennung der Fähigkeit, Jugendführer zu sein«, die das Dienstverhältnis erwachsener, hauptamtlicher HJ-Führer und BDM-Führerinnen beendete.391 Die explizite Entfernung aus der Jugendorganisation bildete die andere Reaktionsmöglichkeit.392 Aufgrund der Disziplinarhierarchie oblag es dem Hitler-Jugend-Obergericht unter Johns Vorsitz, über disziplinarische Verfehlungen des höheren Führungspersonals und der Angehörigen der Reichsjugendführung zu urteilen.393 Das Obergericht schloss z. B. im Februar 1938 den 39-jährigen ehemaligen Revisor des Gebietes Hochland wegen Betrugs aus.394 Auch der achtzehnjährige Oberscharführer Josef D., Mitarbeiter der Reichsjugendführung, wurde wegen disziplinarischer Mängel unter Aberkennung seines Dienstranges ausgeschlossen.395 In der Spruchpraxis der Disziplinargerichte wurde die gleichzeitige Aberkennung des Dienstranges, des »Symbols der Führerstellung«,396 offenbar dann als Verschärfung verhängt, wenn das Delikt in direktem Zusammenhang mit dem Verband stand. Denn unter den per Bekanntmachung zugestellten Gerichtsbeschlüssen traf diese Ehrenkränkung HJ-Führer, die wegen der Unterschlagung von Organisationsgeldern bestraft burg, HJ-Bann Memmingen, Nr. 25, BA Berlin, Warnkartei Nr. 4643; dort auch Ausschluss auf Bewährung, 17.4.1934, ebd. 389 Heinz W., geb. 1914, kaufmännischer Angestellter der IG Farben in Leverkusen, wurde trotz eines Ausschlusses aufgrund von Disziplinlosigkeiten im Jahr 1934 im Bann Remscheid 1938 erneut aufgenommen, HStA Düsseldorf, RW 58-46 547. 390 Verbot des Ausschlusses durch Gebiete, RB 21/I, 12.6.1936, S. 469f. 391 In Kombination mit der »Zurücknahme seines Dienstranges« traf dies z. B. Heinz W. aus Bitterfeld, durch HJ-Gericht Mittelelbe, Bekanntmachung des Personalamtes, VOBl. VII/5, 24.3.1939, S. 109. 392 Disziplinarordnung 1936, S. 3; in der Disziplinarordnung 1939 zusätzlich das kurzlebige Disziplinarmittel »Streichung aus den Listen der Hitler-Jugend«, VHB, Bd. II, S. 1016; Tetzlaff, Disziplinarrecht, S. 39–47. 393 Verfahrensakten aus dem BA Berlin, BDC, belegen jedoch, dass Verhandlungen gegen Angehörige des HJ-Führerkorps auch vor dem OPG geführt wurden. Ein – für die HJ-Gerichtsbarkeit pikantes – Beispiel bilden etwa die Parteigerichtsverfahren 1934, 1935 und 1938 wegen Denunziation, Unterschlagung und abfälliger Äußerungen gegen Heinz Hugo John, oder die Untersuchung gegen mehrere HJ-Führer in der Akte Karl Lämmermann. 394 BA Berlin, Warnkartei, Datensatz Nr. 1621; Bekanntmachung, ANBl. VI/6, 11.3.1938, S. 101, da der Verwaltungsmitarbeiter sich zum Zeitpunkt des Urteils »auf der Flucht« befinde. 395 Bekanntmachungen der HJ-Gerichtsbarkeit, ANBl. VII/14, 5.8.1939, S. 299; RB Sonderdruck 35/41 K, 25.9.1941 [Datensatz Nr. 5013]. 396 Ruckdäschel, S. 26.

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wurden. Sie wurde jedoch nicht bei Verurteilungen aufgrund von Eigentumsdelikten verhängt, die nicht die Hitler-Jugend selbst schädigten.397 Zwei Entfernungsstrafen sah das Disziplinarrecht der Hitler-Jugend im Rahmen der »großen Disziplinargewalt« vor. Das bis zu einer Dauer von drei Jahren befristete, als weniger »ehrmindernd« angesehene Ausscheiden ersetzte die lapidare vereinsrechtliche »Streichung aus den Listen der HJ«.398 Es konnte durch ein Wiederaufnahmegesuch des Betreffenden unter Vorlage von Führungszeugnissen oder durch Überweisung in eine andere Parteigliederung oder einen angeschlossenen Verband beendet werden, »[w]enn wir bei einem Jungen (oder einem Mädel) eine Erziehungsmöglichkeit in der Hitler-Jugend nicht mehr sehen und ihn dennoch für wert halten, daß eine andere Gliederung mit ihren andersgearteten Erziehungsmöglichkeiten es noch einmal mit ihm versucht.«399 So erhielten etwa zwei schlesischen Hitler-Jungen, die im Frühjahr 1939 »für die Zeit [ihr]er Fürsorge-Erziehung aus der HJ« ausgeschieden wurden, ausdrücklich eine »Probezeit« zur Wiederaufnahme.400 Als zwar schwerwiegende Strafe, die aber durch Bewährung getilgt werden konnte, wurde das befristete Ausscheiden nicht der Warnkartei gemeldet.401 Aus Sicht der Hitler-Jugend setzte die Aufnahme in eine andere Gliederung dem aus dem Jugendverband Ausgeschiedenen »ein anderes Erziehungsziel«.402 Den Betroffenen wurde eine grundsätzliche Erziehbarkeit und damit eine positive Entwicklung noch immer zugestanden. Ein Beispiel für den Erfolg nach der Wiederaufnahme stellt der Leverkusener Heinz W. dar, der nach einer Entfernung aufgrund von »Disziplinlosigkeiten« wieder in die HJ und nach der Absolvierung von Arbeits- und Wehrdienst in eine NS-Ordensburg aufgenommen wurde.403 Das jugendrechtliche Argument der Entwicklungsfähigkeit scheint eine besondere Rolle gespielt zu haben. So wurde Fritz J. wegen sittlicher Verfehlungen zunächst mit 397 Z. B. Ausschlüsse unter Aberkennung des Dienstranges des ehemaligen Rottenführers Josef H. wegen »Unterschlagung von HJ-Geldern«, BA Berlin, Warnkartei, Datensatz Nr. 1798, ANBl. VI/11, 6.5.1938, S. 217; oder des ehemaligen Kameradschaftsführers Otto R. wegen der »Veruntreuung von Formationsgeldern«, Datensatz Nr. 3429, ANBl. VI/7, 28.3.1938, S. 127. 398 Nachzuvollziehen am Fall des Alfred Sch., der Anfang 1939 durch HJ-Gericht im Gebiet Westfalen »aus den Listen der HJ gestrichen« wurde und im RB Sonderdruck 35/41 K, 25.9.1941, als »ausgeschieden« erscheint (»Sittlichkeit«); ANBl. VII/ 3, 24.2.1939, S. 75 [Datensatz Nr. 6346]. 399 Rundschreiben des HJ-Oberrichters, 23.7.1938, in: VHB, Bd. II, 1038; John, S. 125. 400 »Nach der Entlassung aus der Fürsorge-Erziehung kann Sch. Wiederaufnahmeantrag stellen (¼ Jahr Probezeit)«. Herbert H., ANBl. VII/7, 21.4.1939, S. 149, und Helmut Sch., ebd., VII/9, 12.5.1939, S. 183. 401 Tetzlaff, Disziplinarrecht, S. 43. 402 John, S. 128. 403 W. wurde 1938 aufgrund eines Passvergehens aktenkundig, das als erneute Disziplinlosigkeit galt, HStA Düsseldorf, RW 58-46 547.

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sofortiger Wirkung vom 31. Juli 1937 aus der HJ ausgeschieden; da er bei der Begehung der Straftaten aber noch »sehr jung« gewesen sei, konnte er ein Vierteljahr später die Wiederaufnahme beantragen.404 Ausgeschlossene Hitler-Jungen sollten hingegen nicht in andere Gliederungen aufgenommen werden. Um eine offenbar gängige Praxis unter den örtlichen Dienststellen zu unterbinden, meldeten die Gliederungen ab 1934 gegenseitig disziplinarische Ausschlüsse.405 Doch scheinen trotz dieser Informationspolitik und der fortschreitenden Etablierung des Disziplinarsystems nach wie vor Lücken bestanden zu haben, wie das Beispiel von Johann Sch. zeigt. Wegen »schlechte[r] Haltung« und unregelmäßiger Dienstableistung 1937 als Kameradschaftsführer der HJ abgesetzt, trat er zum Befremden des Bannführers in die SA ein.406 Aus solchem »gegebenem Anlaß« untersagte die Reichsjugendführung im Sommer 1938 ausdrücklich auch strafweise Überweisungen in andere Gliederungen der NSDAP.407 Endgültig war die »dauernde Entfernung« durch den »unehrenhaften« Ausschluss. Die organizistische Metaphorik dieser »schwersten« Strafe – im Parteirecht bis zur »Ausstoßung« von Fremdkörpern gesteigert408 – verrät bereits ihre Unumkehrbarkeit und ihre ausgrenzende Funktion. Bei Ausschluss erstellte das Gericht automatisch Warnkarten.409 Über ihre Erfassungskarteien waren die Disziplinarsysteme der nationalsozialistischen Organisationen eng miteinander vernetzt. So wurde ein Dienstrafverfahren automatisch gegen BDMMitglieder eingeleitet, die 1940 wegen »ehrenrühriger Handlungen« aus dem Frauenhilfswerk ausgeschlossen wurden.410 Dieser interorganisatorischen Dokumentations- und Informationspolitik durch das Netz von Warnkarteien steht die Geheimhaltung der Ausschlüsse und dauerhaftem Ausscheiden außerhalb der Organisation gegenüber. Nicht einmal in den internen Bekanntgaben wurden Begründungen der Ausschlüsse genannt. Diese Gespaltenheit deutet auf die Funktionalität der Strafe für die Parteiorganisation – und auf den Widerspruch, den ein Ausschlussvorgang für eine der Massenintegration 404 Mitteilung der HJ Duisburg an Gestapo Düsseldorf, 31.7.1937, HStA Düsseldorf, RW 5853 308, Bl. 14. 405 Anordnung der Reichsjugendführung, über die Aufnahme in SA und SS, VOBl. II/1, 8.6.1934; auch in: VHB, Bd. II, S. 247. 406 »In der Öffentlichkeit machte Sch. dahingehend Stimmung, dass er lieber in die Kirche ginge als in die HJ. Mich berührt es allerdings sonderbar, dass Sch. ohne weiteres in die SA aufgenommen wurde. Ich liess ihm jegliche Überweisung in die SA sperren. Wie es kommt, dass S. nun trotzdem in der SA ist, ist mir nicht ganz begreiflich.« Schreiben Bannführer Memmingen an örtliche SA, 26.4.1937, StA Augsburg, HJ-Bann Memmingen, Nr. 25. 407 Rundschreiben des HJ-Oberrichters, 23.7.1938, in: VHB, Bd. II, S. 1038. 408 Das Gaugericht. Ausarbeitung noch nicht endgültig. Daher nicht veröffentlichen! BA Berlin, Sammlung Schumacher, Nr. 380 [o. P.]. 409 Zucht und Ehre, Jg. 1, 1940, S. 8. 410 Vereinbarung, auch zum gegenseitigen Austausch der Dienststrafakten, der BDM-Reichsreferentin, Rüdiger, mit Reichsfrauenführung, Frauenhilfswerk, RB 43/K, 24.5.1940, S. 5.

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verpflichtete Organisation grundsätzlich darstellt. Auch nach ihrem eigenen Selbstverständnis musste er das Unvermögen verraten, jeden »rassisch« willkommenen Jugendlichen im nationalsozialistischen Sinn zu »erziehen«, wie es ihr »Totalitätsanspruch« forderte. Anstatt jedoch den Anspruch oder seine Umsetzung in Frage zu stellen, wurde – mithilfe des Ehrbegriffes – die Unzulänglichkeit auf den Einzelnen verlagert, der sich durch sein »ehrvergessenes« Verhalten selbst ausgeschlossen habe, wie in den Straf bescheiden begründet wurde. Die Strafsanktion, die zugleich als »jugendgemäße Sühne« wie als »Schutz« der Gemeinschaft galt,411 wurde als äußerstes Mittel begriffen, dessen Schärfe weder durch häufigen Gebrauch, noch durch inkonsequente Folgen abgeschwächt werden sollte. Die Dienststrafe Ausschluss sei daher »besonders vorsichtig« zu verhängen, hieß es 1940, denn »ein Ausschluß dieser Jugendlichen aus der HJ würde damit einer Ausstoßung aus der Volksgemeinschaft gleichkommen. Das kann bei Jugendlichen, die noch erzogen werden können, kaum jemand verantworten.«412 Der Ausschluss markiert die Schnittstelle von Integration und Ausgrenzung. Auf die Ordnung des Jugendverbandes bezogen, bildet er die Grenze zwischen korrigierender Disziplinargewalt und staatlicher Bestrafung. Als Disziplinargewalt, die Individuen aufgrund ihrer gesamten Erscheinung bewertet, zielten die disziplinierenden »Ehrenstrafen« auf eine grundsätzliche Phänomenologie als BDM-Mädel, Pimpf oder Hitler-Junge. Delikte und Verhaltensweisen, die Hitler-Jugend-Richter mit Ausschluss sanktionierten, benannten demgegenüber einerseits die Belastbarkeitsgrenze der Hitler-Jugend-»Erziehung«, zum anderen umreißen sie den Gegenentwurf des Ideals. Die Geheimhaltung folgte daher dem Interesse des Jugendverbandes, seine Defizite weder gegenüber konkurrierenden oder argwöhnischen politischen Instanzen noch gegenüber ihrer Zielgruppe und deren Eltern offen zu legen. Wegen dieser hohen organisatorischen Bedeutung lag die Kompetenz zum Ausschließen vor Erlass der Disziplinarordnungen allein beim zentralen Personalamt der Reichsjugendführung,413 dann bei den eng mit den Personalressorts verflochtenen eigenen Gerichten. Die Hitler-Jugend verteidigte ihre Kompetenz auch gegenüber der Partei. In der Frage einer geplanten »Einschaltung« der »Hoheitsträger« der Partei beim Ausschluss aus dem Jugendverband geriet Schirach im Herbst 1938 mit dem Stellvertreter des »Führers«, Rudolf Heß, aneinander.414 Als Disziplinarstrafe bildete der Ausschluss aus dem nationalsozialistischen Jugendverband den Strafmechanismus, den Michel Foucault im Herzen al411 Ruckdäschel, S. 38 [Hervorhebung im Original]. 412 Zucht und Ehre, Jg. 1, 1940, S. 5. 413 Anordnung des Personalamtes, VOBl. III/28, 8.8.1935, S. 3; erneut VOBl. IV/6, 28.2.1936, S. 43. Klarstellung der disziplinarischen Rechtslage, RB 21/I, 12.6.1936, S. 469f. 414 Notiz für den Stabsführer [der RJF], 21.9.1938, IfZ München, Fa 91/3; Wortmann, S. 168, schließt aus dieser Aktennotiz, Schirach habe ein Mitspracherecht »erbittert« zurückgewiesen.

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ler Disziplinarsysteme geortet hat.415 Im Disziplinarwesen der Hitler-Jugend nahm er die Kernfunktion ein, welche die Konstitution der »Jugendgemeinschaft« über die »rassischen« Aufnahmekriterien hinaus flexibel regulierte.

2.2.1 Strafwirkung und Identifikation Im Disziplinarsystem der Hitler-Jugend diente der Ausschluss Weniger der Disziplinierung der Masse. Ob die praktizierten Ausschlüsse tatsächlich die grundsätzliche, breite Abschreckungswirkung erzielten, die ihnen die Disziplinarpolitiker zuschrieben, lässt sich anhand der überlieferten Quellen nicht überprüfen. Ihre Wirkungslogik setzte entweder die Identifikation des betreffenden »Jugendgenossen« mit dem Verband oder eine Einschüchterung durch das offizielle Auftreten voraus. Versuche, einen Ausschluss durch Einsprüche oder gar Interventionen aufzuheben, belegen diese Strafwirkung für Einzelfälle, deren Argumentationen die konzeptionelle Seite des Disziplinarrechts um die Sicht jugendlicher Betroffener ergänzen. Der Beschwerdebrief des ausgeschlossenen Hitler-Jungen Fritz H. etwa, der unter Angabe von Leumundszeugen und der Betonung seines langjährigen Engagements in der Jugendorganisation und des Vaters für die örtliche SA um Wiederaufnahme bittet,416 folgt dem Muster parteigerichtlicher Gnadenakte und Ausnahmenregelungen. Vielschichtiger ist der Fall des siebzehnjährigen Friedrich B. aus Essen, der seine Entfernung im Kontext der antikirchlichen Politik von Reichsjugendführung und Gestapo ebenfalls nicht ohne Protest hinnahm. Der Sohn eines Pfarrers wurde als Mitglied der »evangelischen Bekenntnisfront« beschuldigt, er habe »Mitglieder[n] der H. J. den Dienst verleidet«, indem er die staatsloyale »Deutsche Glaubensbewegung« als »Neuheidentum« bezeichnet habe.417 Die Aufnahme des Oberschülers in die HJ war wegen seines kirchlichen Engagements abgelehnt worden. Seine Tätigkeit als Gruppenleiter eines Bibelkreises der Bekennenden Kirche hatte B. mit dem Hinweis auf die Rechtmäßigkeit seiner Arbeit aufgrund des »Jugendvertrag[s]«, der offiziellen Eingliederung der evangelischen Jugendverbände in die Hitler-Jugend,418 gerechtfertigt, schließlich seien die Mitglieder seines Bibelkreises »fast 415 Foucault, Überwachen und Strafen, S. 230. 416 Schreiben Fritz H. an Gebietsführung Hochland, 24.8.1938, StA Augsburg, HJ-Bann Memmingen, Nr. 25. 417 Akten der Gestapo Düsseldorf, Außenstelle Essen, HStA Düsseldorf, RW 58-25 673, Personalbogen, Bl. 2. 418 Abkommen über die Eingliederung der evangelischen Jugend in die Hitler-Jugend zwischen Schirach und Reichsbischof Ludwig Müller, datiert 19.12.1933, tatsächlich vom 20.11.1933, in: Hellfeld/Klönne, Dok. 18, S. 47f. Der Vertrag erlaubte dem Evangelischen Jugendwerk formal zunächst an zwei Nachmittagen pro Woche und zwei Sonntagen im Monat »die volle Freiheit

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alle in der Staatsjugend«. »Es käme hier nicht auf Kleinigkeiten an, es ging um die Ideen!«, empörte sich die Bannführung und beurlaubte B. »wegen HJ schädigenden Verhaltens«. Mit einer offiziellen Unterlassungserklärung bemühte Friedrich B. sich darauf hin um die »ehrenvolle Wiederaufnahme«: »Ich weiss, daß ich bei dem geringsten Verstoss aus der HJ für immer ausgeschlossen werde«, endet sein Schreiben feierlich.419 Unbeeindruckt lehnte die Reichsjugendführung seine Aufnahme ab. Die Gestapo, in deren Ermittlungsakten der Fall überliefert ist, wurde nicht weiter aktiv, weil sie keine Zeugen für den Vorwurf finden konnte, dass B. Teilnehmer des Bibelkreises vom HJ-Dienst abgehalten habe.420 Ausgerechnet ein Pfarrer wandte sich im März 1936 an die Hitler-Jugend, um sich für eine Wiederaufnahme B.s einzusetzen – erfolglos.421 Die Warnkartei dokumentiert den endgültigen Ausschluss wegen »unnationalsozialistischem Verhalten« im Januar 1936.422 Das Befremden, das die Fürsprache von Geistlichen für relegierte HitlerJungen auslöste, spricht auch aus einer umfangreichen Denkschrift des Führers des HJ-Gebietes Saarpfalz, Friedrich Thimel.423 Im Sommer 1936 waren drei Hitler-Jungen, die »ein ausgesprochenes Liebesverhältnis« unterhalten haben sollen, ausgeschlossen worden.424 Unter Missachtung des Berufungsrechtes der Hitler-Jugend – persönlich beim Gebietsführer, ohne Rechtsvertretung – versuchte der Vater eines Betroffenen, selbst NSDAP-Ortsgruppenleiter in Saarbrücken, durch einen Rechtsanwalt den Beschluss der Gebietsführung anfechten zu lassen. Darüber hinaus setzte sich der Seelsorger der Strafanstalt, in der die Jungen sich in Untersuchungshaft befanden, bei der Reichsjugendführung für sie ein. Er argumentierte, auf die verführten Jugendlichen habe »die erlittene Untersuchungshaft und damit verbundene seelische Belastung schon nachhaltlich gewirkt«, so dass ein Rückfall ausgeschlossen sei, überdies garantierten die Elternhäuser eine »geordnete Erziehung«. Ihre Berufsabsichten seien durch die Abmeldung von der Schule bereits weithin zerstört. Er bat abseiner Betätigung in erzieherischer und kirchlicher Hinsicht«, setzte jedoch die Hitler-JugendMitgliedschaft voraus; vgl. Riedel, S. 64–75. 419 Gestapo Düsseldorf, Außenstelle Essen, Schreiben B.s, 24.10.1935, HStA Düsseldorf, RW 58-25 673, Bl. 8. 420 Aktennotiz, 11.11.1935, ebd., Bl. 11. 421 Aktennotiz, 16.4.1936, ebd., Bl. 13. 422 BA Berlin, Warnkartei, Datensatz Nr. 517. 423 Thimel, Zur sexuellen Kriminalität. Die undatierte Schrift [nach dem 21. März 1936] dokumentiert Übersichten von Sexualdelikten (Anhang 1: Übersicht über charakteristische Fälle, 14–29, Anhang 2: Aufstellung über die bisher vorgekommenen Sittlichkeitsfälle getrennt nach §§ 175, 174, 176 und in Saar und Pfalz, 30–43.). 424 Walter M. aus Altenkessel, geb. 1916, ausgeschlossen 24.8.1936, BA Berlin, Warnkartei, Datensatz Nr. 2755; Karl M. aus Saarbrücken, geb. 1917, ausgeschlossen 11.6.1936, Datensatz Nr. 2786; Ludwig Sch. aus Saarbrücken, geb. 1920, ausgeschlossen 10.6.1936, Datensatz Nr. 3904. Vgl. Thimel, Zur sexuellen Kriminalität, S. 23–26, S. 28f.

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schließend, »vom erzieherischen und fürsorgerischen Gedanken aus erwägen zu wollen, dass ein Ausschluß aus der Hitlerjugend den jungen Leuten, die durch alles andere schon erheblich bestraft sind, alle Zukunftsmöglichkeiten verbauen würde.«425 Der Gebietsführer begriff diese Intervention des Pfarrers als Missachtung der Jugendführer und, da es sich um Oberschüler handelte, als »Kastenangelegenheit«.426 Zu Thimels Ärger trug zusätzlich bei, dass die drei Ausgeschlossenen erst nach Rückgliederung des »Saargebietes« an das Deutsche Reich im März 1935 der Hitler-Jugend beigetreten waren. Das Gefühl, durch den Ausschluss bestraft zu sein, wurde unterschiedlich artikuliert. Wegen »unzüchtiger Handlungen« festgenommen und aufgrund des Verfahrens von der HJ beurlaubt, bat der Stammführer Karl B. aus Oberhausen in der Vernehmung gegenüber der Gestapo um eine milde Behandlung, »da ich schon durch die Beurlaubung in der HJ erheblich bestraft bin«, und gestand. Dennoch endeten das strafrechtliche und das disziplinarrechtliche Verfahren im Dezember des Jahres für ihn mit der Verurteilung zu dreizehn Monaten Gefängnis und dem Ausschluss aus der HJ.427 Als Ausdruck einer gekränkten Ehre lässt sich schließlich auch die Sachbeschädigung des neunzehnjährigen Klempners und Installateurgehilfen aus Mönchengladbach, Heinz T. begreifen. Er wütete im Januar 1936 in den Räumen der Motorgefolgschaft der HJ, »weil man ihn aus der Hitlerjugend beurlaubt hatte«.428 Auf Antrag des Bannführers wurde dieser Rachefeldzug mit vorsätzlicher Sachbeschädigung nicht strafrechtlich verfolgt, Heinz T. aber endgültig aus dem Verband »entfernt«.429

2.3 Strafpolitik und Strafpraxis 2.3.1 Disziplinarrechtliche Massendaten Während für die Disziplinarpraxis der Hitler-Jugend durch »Ehrenstrafen« keine Zahlen vorliegen, ist aufgrund des Warnsystems die Strafpraxis des Ausschlusses in einem zentralen Bestand überliefert und so für eine quantitative Auswertung verfügbar.430 Als Hauptquelle dient die zentrale Warnkartei der Reichsjugendführung, in der die Ausschlüsse aus der Hitler-Jugend samt ih-

425 Schreiben des Ev. Jugend- und Wohlfahrtsamtes Saarbrücken-St. Johann, Pfarrer Wolff, 27.11.1935, an RJF. Abschrift in: Thimel, Zur sexuellen Kriminalität, S. 28f. 426 Thimel, Zur sexuellen Kriminalität, S. 25f. [originale Orthografie] 427 HStA Düsseldorf, RW 58-57 965, Bl. 15–17; Ausschluss 9.12.1937, BA Berlin, Warnkartei, Datensatz Nr. 614. 428 Vorladungsprotokoll, 13.1.1936, HStA Düsseldorf, RW 58-38 617, Bl. 8f. 429 Aktenvermerk 29.2.1936, ebd., Bl. 9, Rückseite. 430 Die folgende Analyse baut auf Ergebnissen meiner Magisterarbeit auf, vgl. Kollmeier.

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rer Untergliederungen gespeichert wurden.431 Mit der Warnkartei liegt eine serielle Quelle vor mit wenigen, stark formalisierten biografischen Informationen. Die Kartei, deren identische Kopie des NSDAP-Reichsschatzmeisters überliefert ist, umfasst 4 779 Einzelfälle mit einem deutlichen Schwerpunkt aus den Jahren 1934 bis 1938. Für die 1940er Jahre haben eher vereinzelte Fälle bis unmittelbar vor Kriegsende Eingang gefunden, meist aufgrund einer Meldung der Reichsleitung der Partei oder der Reichsjugendführung. Ebenso vereinzelte Warnungen stammen bereits aus der späten »Kampfzeit« der Hitler-Jugend seit 1929. Der letzte disziplinarrechtliche Ausschluss, der nach Meldung durch die Reichsleitung noch in die überlieferte Kartei des Reichsschatzmeisters in München eingegangen ist, datiert vom 5. April 1945.432 Nicht nur die HJ-Gerichtsbarkeit funktionierte im sich auflösenden Dienstbetrieb bis unmittelbar vor Kriegsende, sondern auch die formalisierten Informationsverbindungen zwischen den Parteiorganisationen. Die Vollständigkeit der offiziell im Juli 1939 eingestellten Warnkartei wird durch zwei Sammelveröffentlichungen im Hitler-Jugend-Führerblatt Reichsbefehl ergänzt. Ein Sonderdruck für den Zeitraum Juli 1939 bis August 1941 nennt 2 698 weitere Fälle von Ausschlüssen und dauerhaftem Ausscheiden mit reduzierten Angaben.433 Eine weitere Sammelveröffentlichung listet Ausschlüsse aus der Verwaltung des Jugendverbandes von 79 Frauen und Männern unter Angabe des Grundes auf, die im Zeitraum April bis Oktober 1939 verhängt wurden und in sechs Fällen einen nachweisbaren disziplinarrechtlichen Ausschluss nach sich zogen.434 Die Quellen beziehen sich auf verschiedene Zeitpunkte, für die sie jedoch ein vollständiges Bild bieten. Zusätzlich wurden die zahlreichen Einzelveröffentlichungen von Warnungen und Ausschlüssen, die in unterschiedlicher Kontinuität in den beiden Führerblättern, zunächst im Verordnungsblatt der Reichsjugendführung, dann im Reichsbefehl veröffentlicht wurden, ausgewertet und zum Teil in der Warnkartei identifiziert. Da diese Einzelveröffentlichungen keinen Anspruch auf Vollständigkeit erheben können, wurden sie in die quantitative Auswertung nicht einbezogen. Dennoch weisen sie etwa durch eine starke Häufung in den 1940er Jahren auf Veränderungen in der Disziplinarpolitik hin. Die fast 431 Nicht überliefert sind die Karten zu den mit dem Buchstaben A beginnenden Familiennamen; aufgrund der prozentualen Verteilung auf die Buchstabengruppen fehlen hier schätzungsweise 200 bis 250 Fälle. In den einzelnen Buchstabengruppen keine Hinweise auf Entnahmen. 432 Johann B., geb. 1925, Hilfsarbeiter aus Rinn im HJ-Gebiet Tirol-Vorarlberg (33), ausgeschlossen 5.4.1945. Warnkarte ohne Angabe des Deliktes, BA Berlin, Warnkartei, Datensatz Nr. 71. 433 RB Sonderdruck 35/41 K, 25.9.1941, S. 1–51. Stichproben ergaben keine Doppelungen mit der Warnkartei; eine angekündigte weitere Sammlung von Ausschlüssen konnte nicht ermittelt werden. 434 Ausschlüsse aus der Verwaltung der Hitler-Jugend durch Verfügung des Reichsschatzmeisters, RB 7/K, 27.10.1939, S. 18ff.; sechs von ihnen sind auch im RB Sonderdruck 35/41 K erfasst.

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vollständige Identifizierung der hier veröffentlichten Disziplinarstrafen aus den Jahren 1936 bis 1941 in der Warnkartei belegt die Funktionstüchtigkeit des Warnsystems in diesem Zeitraum. Auch die wenigen Nennungen von Zahlen über Ausschlussfälle in der Publizistik der Reichsjugendführung bezeugen die zuverlässige Überlieferung.435 Einzelne dieser Quellen wurden bereits in die Forschung eingebracht. Rempel dient die Sammelveröffentlichung im Reichsbefehl Sonderdruck vorrangig zum Nachweis existenter Kriminalität innerhalb der Jugendorganisation und zur Widerlegung des nationalsozialistischen Topos einer »reinen Jugendgemeinschaft«;436 in einer älteren Studie über Homosexualität in der Wehrmacht wird sie als – höchst problematischer – Nachweis dieses Deliktes zitiert.437 Kenkmann erwähnt erstmals die Warnkartei,438 die auch in Buddrus’ Kriegsgeschichte der Reichsjugendführung herangezogen wird.439 Ansatz, Fragestellung und die Kombination mit anderen Quellenbeständen gehen jedoch über die bloße Ergänzung der Organisationsgeschichte um ihre negative Mitgliederentwicklung hinaus. Außer der Entwicklung der Strafpraxis durch den Längsschnitt über einen Zeitraum von zwölf Jahren, den die Kombination der Massendatenquellen ermöglicht, werden auch das Verhältnis der Quellen zueinander und dadurch Veränderungen in der Strafpraxis nachvollziehbar. Ihre Einbettung in den Rahmen der Disziplinartechniken beleuchtet über das Ordnungsverfahren hinaus den Charakter dieser kargen Quellen selbst. Die Auswertung ermittelt – nach einer allgemeinen Beschreibung und Profilbildung – quantitative Schwerpunkte der Strafpraxis für spezifische Zeiträume. Aus der Analyse der Ausschlussbegründungen, wie sie in der Warnkartei festgehalten wurden, ergibt sich das Bild einer Strafpraxis für die Jahre 1933 bis 1939, welche die chronologische und geschlechtsspezifische quantitative Verteilung der Delikte bis zu diesem Zeitpunkt zeigt. Der Versuch, die Ausschlusspraxis zu den Mitgliederzahlen in Beziehung zu setzen und ihre relative Größenordnung zu bestimmen, ist nur für die Jahre der dichten Überlieferung und auch dort nur näherungsweise möglich. Eine aus der Korrelation der überlieferten Ausschlüsse und der Mitgliederzahlen erschlossene jährliche Ausschlussziffer als Quote der Ausgeschlossenen liegt mit Werten zwischen 0,03 Prozent im 435 Kaufmann, Erläuterungen, S. 222, nennt exemplarisch die Zahl von 508 Ausschlüssen für das Jahr 1938; die Abweichung zur hier ausgewerteten Überlieferung beträgt 13 Fälle. 436 Rempel, Tabellen 4.2, 4.3, S. 273, Auswertung S. 84ff. Zwar reflektiert Rempel den Bedeutungsspielraum der Kategorien der Jugendführung, übernimmt aber ihre Kriminalisierungen und Verzerrungen, wenn er spottet, der hohe Prozentsatz von Sittlichkeitsdelikten in der HitlerJugend spreche ihrem »puritanischen Ideal« Hohn. 437 Seidler, S. 227. 438 Erwähnung aufgrund des Schriftverkehrs der Hitler-Jugend, Kenkmann, Wilde Jugend, S. 199. 439 Buddrus, Totale Erziehung, S. 389f.

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Jahr 1935 und 0,01 Prozent in den Jahren 1937 bis 1939 im Promillebereich.440 Darüber hinaus scheinen Ausschlüsse in den ersten Jahren nach 1933 bis zur Etablierung der Disziplinarordnung in einem im Verhältnis zur Mitgliederzahl größeren Umfang erfolgt zu sein. So begründeten bei einer Befragung der Lippischen Landesregierung zum Organisationsgrad der Schülerinnen und Schüler im August 1935 immerhin zwei Prozent ihre Nichtmitgliedschaft mit einem disziplinarrechtlichen Ausschluss aus der Hitler-Jugend.441 Anhand der überlieferten Ausschlüsse lässt sich eine disziplinarrechtliche Straftätigkeit für die gesamte Organisationsstruktur des Jugendverbandes bis in die separaten »Reichsbanne« »Ausland«, »Seefahrt« und »Gehörgeschädigte« nachweisen.442 Die regionale Verteilung der überlieferten »Warnfälle« bildet mit den Gebieten Berlin und Ruhr-Niederrhein deutliche Schwerpunkte der Straftätigkeit.443 In beiden bevölkerungsreichen Regionen und großstädtischen Zentren, die auch von Zeitgenossen als Kriminalitätsschwerpunkte wahrgenommen wurden, war die Disziplinararbeit besonders intensiv. Die Großstädte Hamburg und München (im Gebiet Hochland) weisen hingegen keine entsprechenden Zahlen auf. Mit Ausnahme dieser Regionen zeigt die regionale Verteilung der Fälle der Warnkartei eine relativ gleichmäßige Straftätigkeit in den während des zeitlichen Schwerpunktes der Kartei bestehenden HJ-Gebieten bzw. BDM-Obergauen 1–26, wobei die ebenfalls städtisch geprägten Gebiete Hessen, Westfalen und Sachsen verhältnismäßig stark vertreten sind. Der Vergleich mit der intensiven Straftätigkeit zwischen 1939 und 1941, wie sie aus dem Sonderdruck des Reichsbefehls hervorgeht, bestätigt den Trend in abgeschwächter Form. Hier fällt zudem die hohe Aktivität im Gebiet Niederschlesien auf. Die Angaben zur Religion der Ausgeschlossenen, die nur für ein Drittel der Warnkarten vorliegen, weichen in der Verteilung auf die beiden christlichen Kirchen nicht signifikant von ihrer Repräsentation in der Bevölkerung ab.444 Trotz der Aktivität der Reichsjugendführung im »Kirchenkampf« bieten diese Quellen für eine zielgerichtete Instrumentalisierung der Disziplinarstrafe keinen Hinweis. Für die Hälfte der Einträge in der Warnkartei liegen auch 440 VOBl./ANBl. 1933–1937; BA Berlin Warnkartei; RB 1926–1944; RB Sonderdruck 35/41 K, 25.9.1941. 441 Von 234 validen Fällen, Pahmeyer/Spankeren, S. 201–224. 442 Ausschlüsse des 30-jährigen Hans K., Bann Seefahrt, Bekanntmachung, RB 43/K, 24.5. 1940, S. 9, RB Sonderdruck 35/41 K [Datensatz Nr. 5533]; des 18-jährigen Karl L., Gebiet Ausland, RB 48/K, 24.6.1940, S. 5, RB Sonderdruck 35/41 K [Datensatz Nr. 5815]; Ausschluss des gehörlosen Ernst G., geb. 1921, am 4.3.1936 wegen eines Sittlichkeitsvergehens an einem »Jungmädel«, BA Berlin, Warnkartei, Datensatz Nr. 1262. 443 Vgl. Tabelle 20. 444 Vgl. Tabelle 7; Im Jahr 1933 gehörten 63 Prozent der Bevölkerung der evangelischen, 33 Prozent der katholischen Kirche an, Benz u. a., S. 190.

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Berufsangaben vor. Die genannten Berufe wurden thematisch zu Gruppen zusammengefasst, wobei auch für einen erheblichen Teil der genannten handwerklichen und kaufmännischen Berufe von Lehrverhältnissen auszugehen ist, da auf den Karteikarten nicht grundsätzlich zwischen Ausbildungs- und Arbeitsverhältnis unterschieden wurde. Im Vergleich zum allgemeinen Sozialprofil der Mitglieder und der Führerschaft des Jugendverbandes, liegt die Verteilung dieser Berufsangaben zwischen den Profilen der jugendlichen Mitglieder und des Führerkorps.445 Seitens der Partei und der Reichsjugendführung wurden die in der Warnkartei archivierten Ausgeschlossenen grundsätzlich als politische Problemfälle eingestuft.446 Wie die Deliktgruppen zugeordneten Begründungen der Ausschlüsse zeigt, konzentrierte die Straftätigkeit der Reichsjugendführung sich auf Sexual- und Sittlichkeitsdelikte, disziplinarische Verfehlungen und Eigentumsdelinquenz, die neben »rassischen« Ausschlussbegründungen die Schwerpunkte bilden, während dezidiert politische Delikte und weitere Straftatbestände marginal blieben.447 Im Vergleich mit den Angaben für die Jahre 1939 bis 1941 im Reichsbefehl Sonderdruck 35/41 K fällt eine Steigerung des Anteils der Eigentums- und Vermögensdelikte auf.448 Der konstante Anteil von Sexualdelikten mit einem Drittel der Entfernungsbegründungen weicht augenfällig von der relativen Deliktverteilung der Jugendkriminalstatistik ab, die seit ihren Anfängen überragend von Eigentumsdelikten angeführt wird.449 In diesen relevanten Politikfeldern werden Strafpolitik und -praxis der Jugendführung untersucht, indem die knappen Personenangaben der Kartei und der Listenveröffentlichungen mit Einzelfällen aus den regionalen Aktenbeständen der Gestapo Düsseldorf und der HJ-Gebiets- und BDM-Obergauführung Hochland exemplifiziert werden.

2.3.2 Sexualitätspolitik und Homosexuellenverfolgung Ein knappes Drittel aller Ausschlüsse in der Warnkartei wurde mit Sexual- und Sittlichkeitsdelikten begründet, die damit die größte Gruppe unter den Begründungen von Ausschlüssen bilden. Mit sechs Prozent entfällt jedoch nur ein Bruchteil dieser 1482 Ausschlüsse auf BDM-Mitglieder. Während den Mädchen und jungen Frauen vorwiegend eine grundsätzliche »sittliche Verkommenheit« 445 Vgl. Tabellen 8 u. 9. 446 ROL der NSDAP, Hauptpersonalamt, Marrenbach, 13.8.1936, 2, BA Berlin, NS 1/1118. 447 Vgl. Tabelle 3. 448 Vgl. Tabelle 4. 449 Im Zeitraum 1882–1952 lag der Anteil an der statistisch erfassten Gesamtjugendkriminalität durchschnittlich bei 66 Prozent, in den Jahren des Nationalsozialismus knapp darunter. Kennert, S. 25, Tabelle 10; vgl. auch Roth, Entstehung des Jugendstrafrechts, S. 28.

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oder »Verwahrlosung« vorgeworfen wurde, die man als »sittliche Gefährdung der BDM-Mädel« begriff,450 lag über sechzig Prozent aller Sittlichkeitsfälle und damit einem Fünftel aller karteilichen Warnfälle der Vorwurf homosexueller Vergehen von Jungen und jungen Männern zu Grunde. Auch für den Zeitraum von Sommer 1939 bis Sommer 1941 machen Sexualdelikte ein Drittel der Entfernungen aus; hier lag der Anteil weiblicher Fälle mit einem knappen Drittel (268 von 917) jedoch wesentlich höher.451 Neben ihrer stark geschlechterspezifischen Prägung spiegelt sich in diesen Zahlen die langfristige und intensive antihomosexuelle Überwachungspolitik der Reichsjugendführung mithilfe des Streifendienstes und in enger Zusammenarbeit mit Gestapo und Justiz. Umgekehrt wird deutlich, dass die Disziplinarstrafe Ausschluss ein Element dieser übergreifenden Verfolgungspolitik bildete. Die Sanktionierung eines aktiven Sexualverhaltens durch die Jugendorganisation fand vor dem Hintergrund grundsätzlich fehlender gesellschaftlicher Akzeptanz von Jugendsexualität bis in die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts statt. Obwohl die Spielräume je nach Milieu und für männliche Jugendliche größer waren, wurden sexuelle Handlungen unverheirateter Jugendlicher bis weit in die 1950er Jahre als »unsittlich« abgelehnt.452 Im Nationalsozialismus trat zur sozialen Kontrolle durch die Familie und Gleichaltrige die institutionelle Wachsamkeit der Hitler-Jugend hinzu, die als deviant wahrgenommenes Sexualverhalten disziplinarisch ahndete. Bei den Jungen wurden im Vergleich mit homosexuellen Handlungen andere Sittlichkeitsdelikte nur marginal als ebenso schwerwiegend wahrgenommen und mit Ausschluss bestraft.453 Darunter befinden sich in erster Linie sexuelle Verbrechen und Vergehen wie die versuchte Vergewaltigung einer BDM-Führerin454 oder »unsittliches Betragen« durch die Belästigung einer erwachsenen Frau.455 Den geschlechtsspezifischen Umgang belegt der Fall eines minderjährigen Paares aus einem Führerkorps im oberschwäbischen Bann Memmingen. Als der siebzehnjährige HJ-Führer Christian M. und eine 22-jährige BDM-Führerin ein uneheliches 450 Ausschluss der 15-jährigen Elfriede Q. am 21.4.1936, BA Berlin, Warnkartei, Datensatz Nr. 3296; Ausschluss der 20-jährigen Rosel Sch. aus Frankfurt, die sich »mit homosexuellem Mann herum« getrieben und »2 x elterliches Haus verlassen« haben soll, November 1935, Datensatz Nr. 3742. 451 Vgl. Tabelle 12. 452 Vgl. Benninghaus, Die Jugendlichen, S. 241; Ubbelohde, S. 408. 453 Vgl. Ausschluss des 25-jährigen Scharführers Werner W., 20.8.1936 wegen »Fotografierens eines unbekleideten 14jährigen Mädchens«, BA Berlin, Warnkartei, Datensatz Nr. 4580, VOBl. IV/22, 18.9.1936, S. 253; dem 18-jährigen Berliner Walter G. wurden »mehrere Fälle von Exhibitionismus« unterstellt, Ausschluss 18.7.1934, Datensatz Nr. 1265. 454 Ausschluss des 17-jährigen Theodor R. im Februar 1935, BA Berlin, Warnkartei, Datensatz Nr. 3416; Thimel, Zur sexuellen Kriminalität, S. 30. 455 Ausschluss des 16-jährigen Willi W. im März 1936, BA Berlin, Warnkartei, Datensatz Nr. 4442; Thimel, Zur sexuellen Kriminalität, S. 36.

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Kind erwarteten, wurde die BDM-Führerin sofort zum Rücktritt gezwungen, während Christian M. nach einer Beurlaubung an die SA überwiesen wurde.456 Mit einer detaillierten Aufstellung von Sexualvergehen bietet die regionale »Denkschrift zur sexuellen Kriminalität von Jugendlichen« breites Material zu zahlreichen disziplinarrechtlichen Ausschlüssen. Unter den über hundert namentlich genannten Jugendlichen, die im Zeitraum eines Jahres – von April 1935 bis März 1936 – der Gebietsführung Saarpfalz mit Sexualstraftaten bekannt wurden, sind 36 als Ausschlüsse in die Warnkartei der Reichsjugendführung eingegangen.457 Diese Sittenakte, die den Hintergrund von Fällen einer breiten Spanne von Delikten skizziert – von der handgreiflichen Belästigung bis hin zu (auch inzestuösen) Übergriffen gegen Kinder und Jugendliche –, macht im Unterschied zu den knappen Karteivermerken sichtbar, dass Opferund Täterrollen sich oft überschnitten. Ausschlüsse wegen »Sittlichkeitsvergehen« oder »-verbrechen« stehen für wiederholte sexuelle Kontakte von Jungen mit gleichaltrigen oder jüngeren Mädchen. Ob es sich um Übergriffe handelt, macht das Berichtsvokabular nicht deutlich. Die Termini »geschlechtlich gebraucht« oder »mißbraucht« wechseln einander ab, so dass die Rolle der betroffenen Jugendlichen kaum zu bestimmen ist, wie beispielsweise im Fall der Liselotte K. Nachdem sie 1936 bei der Gebietsführung aktenkundig wurde, wurde die Vierzehnjährige im Juli 1937 wegen »sittlicher Verfehlungen« und aus dem Jungmädelbund ausgeschlossen und in eine Fürsorgeanstalt eingewiesen.458 Die Verantwortung für die als »Degenerationserscheinungen« betrachtete »Lockerung der Sitten und Anstandsregeln« im Saarland wies die Gebietsführung in ihrer Denkschrift dem »fremdländischen Einfluß« der französischen »Besatzungszeit« durch die Verwaltung des Völkerbundes von 1920 bis Anfang 1935 zu, für die Pfalz mit dem allzu freigiebigen Weingenuß ebenso einer regionalen Lebensart. Sie erkannte allerdings auch die beengten, »erschütternde[n] häusliche[n] Verhältnisse« als soziale Ursache an.459 Der Schwerpunkt der Aufmerksamkeit lag jedoch auf der Homosexualität junger Männer. In der Tradition ihrer gesellschaftlichen und strafrechtlichen Diskriminierung seit dem Kaiserreich wurde Homosexualität im Nationalso456 Schreiben, 2.10.1934 und 24.10.1934, StA Augsburg, HJ-Bann Memmingen, Nr. 25. 457 Thimel, Zur sexuellen Kriminalität, Anhang 2: Aufstellung über die bisher vorgekommenen Sittlichkeitsfälle getrennt nach §§ 175, 174, 176 und in Saar und Pfalz, S. 30–43. 458 BA Berlin, Warnkartei, Datensatz Nr. 2266; Thimel, Zur sexuellen Kriminalität, S. 33. 459 »Wir glauben, dass ein grosser Teil der Degenerationserscheinungen aus dem übermässigen Genuss von Wein herrühren. […] Es ist unumstritten, dass der erhöhte Alkoholgenuss sich auf das sexuelle Leben besonders stark auswirkt. Man denke daran, dass diese Art zu leben nicht erst seit 20, 30 oder 50 Jahren, sondern dass diese Lebensweise seit Generationen besteht. Weiter kommt hinzu, dass sich nicht nur die Erwachsenen dieses Haustrunks bedienen, sondern den kleinsten Kindern dieser Trunk schon vorgesetzt wird.« Ebd., S. 2f.

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zialismus besonders intensiv überwacht und verfolgt.460 Die Antihomosexuellenpolitik der Reichsjugendführung bildete argumentativ wie in der Praxis der Ausgrenzung ein typisches Element dieser »rassenhygienisch« motivierten Verfolgungspolitik und -praxis, wobei die Instrumentalisierung des Vorwurfs in der Hitler-Jugend eine spezifische Variante annahm. Die Disziplinarpolitiker begriffen Homosexualität als »Entartung«, als »Umkehrung des natürlichen Empfindens«. Als »Verweiblichung des Mannes und Vermännlichung der Frau« gefährde sie die »gesunde Haltung« und die Zukunft des Volkes keineswegs nur durch den angenommenen Geburtenausfall,461 der die justizielle Straf barkeit begründete. Zusätzlich wurde die ›falsche‹ sexuelle Bindung als Gefahr für die »Treueverpflichtungen gegenüber Volk, Staat und Familie« begriffen, nämlich als Ursache politischer Begünstigungen und damit als »volkszerstörend«.462 Aus dieser Bedrohung wurde die Figur des homosexuellen »Volksfeindes« stilisiert.463 Für Jugendliche schließlich sei eine besondere Gefährdung durch ihre Beeinflussbarkeit und die Pubertät als »Zeit der Triebunsicherheit« gegeben, wobei eine »seuchenartige Ausbreitung« befürchtet wurde.464 Homosexualität wurde grundsätzlich als kriminogen eingeschätzt. Die Reichsjugendführung identifizierte sexuelle Devianz mit politischer Zersetzung, wie Anfang 1941 zur »Kriminalität und Gefährdung der Jugend« erörtert wurde: »Gefahren birgt die Homosexualität aber nicht nur in krimineller Hinsicht, sondern auch durch ihre Auswirkung auf das politische Gebiet. Die Homosexualität ist eine asoziale Erscheinung. Der Jugendliche, der mit ihr in Berührung kommt, ist also nicht nur sittlich, sondern in seiner Gesamthaltung gefährdet. […] Infolge der Wechselwirkung zwischen kriminell-asozialer Betätigung und politisch-oppositioneller Einstellung führt die Homosexualität schließlich im Endergebnis zur politischen Zersetzung. Der Homosexuelle neigt, wie jeder Asoziale zur Cliquenbildung, die immer auch zur politischen Opposition führt.«465

Homosexualität bot auch den Anlass oder Vorwand für die machtpolitische »Säuberung« regionaler HJ-Führungsstäbe, bei der in den ersten Jahren nach der Machtübernahme auch der Ausschluss als Instrument benutzt wurde. Für 460 Vgl. grundsätzlich die kommentierte Quellensammlung Grau, Homosexualität in der NS-Zeit; zu Maßnahmen und Entwicklungsphasen der Antihomosexuellenpolitik im Nationalsozialismus ders.: Verfolgung, S. 32ff.; Jellonnek, Homosexuelle; ders./Lautmann; Micheler, S. 285–339. 461 Tetzlaff, Homosexualität, S. 6. Als strafrechtliche Position vgl. die Dissertation des SSScharführers Klare, die im Auftrag Himmlers entstanden sein soll. 462 RJF, Sonderrichtlinien zur Bekämpfung gleichgeschlechtlicher Verfehlungen, S. 5f. 463 Vgl. neuerdings zur Nieden, darin bes. Pretzel; sowie zur Hitler-Jugend Nolzen, »Streng vertraulich!«. 464 RJF, Sonderrichtlinien zur Bekämpfung gleichgeschlechtlicher Verfehlungen, S. 6. 465 JFdDtR, Kriminalität und Gefährdung der Jugend, Zitat S. 96, S. 114f. [Hervorhebung im Original].

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diese Politik stehen zwei Fälle von massenhaften Absetzungen und Strafverfahren gegen HJ-Führer im sächsischen Plauen, der »Keimzelle der HJ« (B. Jellonnek), und im Gebiet Hessen-Nassau aus den Jahren 1934 und 1935.466 In Plauen war der vermeintlich homosexuelle neunzehnjährige HJ-Führer Karl Lämmermann aufgrund von Gerüchten auf die Todesliste im »Röhm-Putsch« geraten und wurde erschossen.467 In Danzig scheint im Juli 1934 ein gespenstischer und gewalttätiger Schauprozess der HJ-Führerschaft gegen einen Unterbannführer wegen des Verdachts sexueller Mißbrauchshandlungen stattgefunden zu haben.468 Diese spektakulären Fälle mögen eine »Paranoia« in Führungskreisen der NS-Gesellschaft im Anschluss an die Ausschaltung der SA belegen.469 Als Resultat der intensiven Überwachungspolitik der Reichsjugendführung repräsentieren die in die Warnkartei eingegangenen Ausschlüsse demgegenüber die allgemeine Disziplinarentwicklung. Die antihomosexuelle Überwachungs- und Strafpolitik der Jugendführung setzte Mitte 1934 im Anschluss an die »Röhm-Affäre« ein.470 Intern wurde sie wiederholt mit dem »Führerbefehl« aus Hitlers Reichstagsrede zur Rechtfertigung der blutigen Ausschaltung der SA-Spitze begründet, demzufolge »jede Mutter« ihren Sohn »ohne Furcht, er könnte dort sittlich oder moralisch verdorben werden«, in die SA, NSDAP oder Hitler-Jugend schicken können sollte.471 Zentrale Maßnahmen der Überwachung im Jugendverband bildeten ab Januar 1936 die Meldepflicht für homosexuelle Vergehen472 und ab März 1938 die »Auf klärung« über die Paragrafen des Strafgesetzbuches §§ 174 bis 176, welche die Sittlichkeitsdelikte unter Missbrauch von Abhängigkeits- und Unterordnungsverhältnissen (§ 174), der Unzucht an Kindern (§ 176, Abs. 3) und der »Unzucht zwischen Männern«473 (§ 175) inkrimierten. Als Bestandteil der Lehrgänge an den Gebietsführerschulen richtete diese nachdrückliche 466 Vgl. auf Grundlage der Parteigerichtsakten Jellonnek, Homosexuelle, S. 87–94, der die Tolerierung des homosexuellen Gebietsführers von Hessen-Nassau durch Schirach bis zur »RöhmAffäre« betont. 467 Laut Bericht der Neuen Züricher Zeitung, 15.8.1934, wurde er »buchstäblich zu Tode geprügelt«; in den OPG-Akten ist hingegen von einer Erschießung die Rede, BA Berlin, BDC Personalakten. 468 Vgl. Pallaske, S. 130ff. 469 So Giles, Männerbund, S. 108–114, über die Vorgänge im HJ-Gebiet Hessen-Nassau. 470 Jellonnek, Homosexuelle, S. 87f.; vgl. Giles, Männerbund, S. 107f.; sowie Reichardt, S. 678– 684; ders./zur Nieden. 471 Reichstagsrede Hitlers am 30.6.1934, zitiert bei Tetzlaff, Homosexualität, S. 4. 472 RB 4/I, 31.1.1936, S. 55; Formular für die »Meldung über homosexuelle Straftaten Jugendlicher« an die RJF/Personalamt-Überwachung, bei Grau, Homosexualität in der NS-Zeit, Dok. 28 c, S. 122–125, mit Rubriken für Personalien, HJ-Formation, Unterscheidung in »Haupttäter, Mittäter und Verführte« und Strafanzeige. 473 Formulierung der Neufassung 1935; die Fassung des RStGB von 1871 sprach von »widernatürlicher Unzucht« zwischen Personen männlichen Geschlechts oder von Menschen mit Tieren. Beide Fassungen in: Grau, Homosexualität in der NS-Zeit, S. 95.

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und sorgfältig dokumentierte Unterweisung sich allerdings ausschließlich an das männliche Führerkorps. Per Unterschrift mussten die auszubildenden HJFührer die Belehrung bestätigen; in den Personalakten abgelegt, sollte dieser Nachweis bei etwaigen späteren Verfehlungen die »Ausrede« der Unwissenheit widerlegen.474 Eine entsprechende Praxis ist für BDM-Führerinnen nicht nachzuweisen.475 Neben einer fast schon paranoiden Angst vor einem offenbar als latent homosexuell angesehenen Führerkorps illustriert diese Dokumentationspraxis zugleich die rein formelle Bedeutung von Begriffen wie Auf klärung und Schulung in der Hitler-Jugend, die sich in der Information über Befehle und Anordnungen erschöpften. Gegenüber der Unterrichtung der Führer wurde eine breite »Massenauf klärung« der Jugendlichen in den Einheiten hingegen abgelehnt. Diese Aufgabe, individuell auf die Entwicklung der Kinder einzugehen, verwies die Jugendführung als »naturgegebene Erzieheraufgabe« an die Elternhäuser zurück.476 Unter dem Eindruck steigender Kriminalitätsziffern und der Bildung informeller Gruppen wurde die Verfolgung homosexueller Delikte in der Jugendorganisation Anfang der 1940er Jahre noch intensiviert. 1943 wurde eine eigene interne Auf klärungsschrift zur »Bekämpfung gleichgeschlechtlicher Verfehlungen im Rahmen der Jugenderziehung« entwickelt. Oberbannführer William Knopp, Leiter der Abteilung PersonalamtÜberwachung in der Kriegszeit, arbeitete diese »Sonderrichtlinien« zur Homosexualitätsbekämpfung aus, die sich gleichfalls auf männliche Jugendliche konzentrierten. Nur eine Fußnote wies darauf hin, dass »gleichgeschlechtliche Verfehlungen zwischen Personen weiblichen Geschlechts […] mit gleicher Schärfe abgelehnt« würden.477 Diese geschlechtsspezifische Überwachungs- und Strafpolitik in der Hitler-Jugend orientierte sich an der staatlichen Entwicklung. Gegenüber der propagandistisch, strafrechtlich und polizeilich massiv verfolgten männlichen Homosexualität, wurde die auch vor 1933 nicht kriminalisierte weibliche hingegen – zumindest im »Altreich« – im Nationalsozialismus nicht systematisch strafrechtlich verfolgt.478 Auch in der Warnkartei bildete sie kein ausdrückliches Delikt, verbirgt sich aber durchaus hinter der Umschreibung der »sitt474 Tetzlaff, Homosexualität, S. 6; Muster in: RJF, Sonderrichtlinien zur Bekämpfung gleichgeschlechtlicher Verfehlungen, S. 21. 475 Schoppmann, Nationalsozialistische Sexualpolitik, S. 45, spricht von einer »Tabuisierung«. 476 Tetzlaff, Homosexualität, S. 6; dies fand Zustimmung im Justizministerium, Schreiben Schäfer an Tetzlaff, 4.5.1942, BA Berlin, R 3001/alt R 22/1176, Bl. 144. 477 RJF, Sonderrichtlinien zur Bekämpfung gleichgeschlechtlicher Verfehlungen, S. 4, Anm. 1. 478 Zur Diskussion um die 1935 von der Amtlichen Strafrechtskommission abgelehnten Kriminalisierung vgl. Grau, Homosexualität in der NS-Zeit, S. 101–115; zur abweichenden Strafpraxis aufgrund des § 129 Ib (»Unzucht wider die Natur mit Personen desselben Geschlechts«) des österreichischen Strafgesetzbuches und zu Bedingungen weiblicher Homosexualität im an

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lichen Verfehlungen«. Denn während die BDM-Reichsreferentin Jutta Rüdiger retrospektiv abstritt, dass Fälle weiblicher Homosexualität der Gerichtsbarkeit oder im BDM bekannt geworden seien,479 erwähnte der HJ-Richter Tetzlaff – der eine Kriminalisierung nach österreichischem Vorbild energisch befürwortete480 – intern fünf BDM-Angehörige im Alter von 16 bis 27 Jahren, die zwischen 1936 und 1942 wegen »gleichgeschlechtlicher Unzucht« mit Ausschluss oder Ausscheiden bestraft worden seien.481 Als einer dieser wenigen Fälle lässt sich in der Warnkartei der Ausschluss der siebzehnjährigen Anne Ludwina P. im Juni 1937 identifizieren, weil die Begründungen neben der »Unzucht mit Kindern § 176« diesen Missbrauch explizit – und juristisch unzutreffend – als »Sodomie § 175« charakterisieren.482 Aufgrund der unterschiedlichen Beurteilung von männlicher und weiblicher Sexualität allgemein und dem ungleichen Status der Geschlechter im öffentlichen Leben wurde weibliche Homosexualität als sozial und politisch ungefährlich eingeschätzt.483 Außer dem ideologischen Sexismus hat diese geschlechtsspezifische Disziplinarpolitik aber auch jugendpolitische Gründe, die den strategischen Umgang der Hitler-Jugend mit Ausschlussverfahren veranschaulichen. Den Vorwurf der Homosexualität, der für eine streng nach Geschlechtern getrennte Organisation wie die Hitler-Jugend stets einen sensiblen Bereich bildete,484 verband die Jugendführung ursächlich stereotyp mit der Bündischen Jugend, die Homosexualität erst in HJ und Jungvolk hineingetragen habe: »Die Hitler-Jugend hat das Problem der Homosexualität vor 1933 in ihren Reihen nicht gekannt. Die Anforderungen des politischen Kampfes stießen homosexuelle Elemente im allgemeinen von selbst ab.«485

Die typische Doppelung von Vorwürfen registriert beispielsweise die Warnkarte für Wilhelm L.-B. aus Kaiserswerth, der im Mai 1935 mit der Begründung das Deutsche Reich »angeschlossenen« Österreich 1938–1945 Schoppmann, Verbotene Verhältnisse, bes. S. 125–148. 479 Schoppmann, Nationalsozialistische Sexualpolitik, S. 46. 480 Tetzlaff, Homosexualität, S. 6, in Übernahme der Argumentation Klares; in Reaktion auf Tetzlaffs Aufsatz lehnte Ministerialdirektor Schäfer die Kriminalisierung jedoch ab. Schäfer an RJF, Amt HJ-Gerichtsbarkeit, 4.5.1942, BA Berlin, R 3001/alt R 22/1176, Bl. 144. 481 Tetzlaff, Homosexualität, S. 6. 482 BA Berlin, Warnkartei, Datensatz Nr. 3231. Für die Auswertung nach der ersten Angabe statistisch erfasst. 483 Schoppmann, Situation, S. 35f. 484 Vgl. Klemer, Jugendstrafrecht, S. 42f. 485 JFdDtR, Kriminalität und Gefährdung der Jugend, S. 113, sowie ebd., S. 90, 94 u. 96ff. Tetzlaff, Homosexualität, S. 3: »Werden derartige Verfehlungen von älteren Führern in der Hitler-Jugend aufgedeckt, so stammen diese zu einem erheblichen Teil aus der bündischen Jugend«. Brisanterweise ist Tetzlaff als ehemaliger Freischar-Führer selbst ein Beispiel für Aufstieg und Einbindung bündischer Jugendführer in die Führung der Hitler-Jugend. Vgl. Jellonnek, Homosexuelle, S. 324, Anm. 72.

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»Verdacht homosexueller Veranlagung, bündische Umtriebe« ausgeschlossen wurde.486 Die Verfolgung homosexueller Delikte durch den Ausschluss diente damit eingestandenermaßen weniger moralisch-sittlichen, sondern vor allem politisch-weltanschaulichen Zielen als Maßnahme zur »Ausmerzung bündischer Führer«.487 Da Mädchen in der Bündischen Jugend traditionell bedeutungslos waren, erübrigte sich eine politische Aufladung etwaiger homosexueller Auffälligkeiten bzw. umgekehrt eine Instrumentalisierung des Vorwurfs gegen missliebige Jugendliche.488 Diese Verquickung des Vorwurfs politischer – als Angehöriger verbotener Jugendorganisationen – und sexuell-sozialer Abweichung erklärt nicht nur das quantitative Gewicht dieser Ausschlussbegründung.489 Sie verdeutlicht zugleich, weshalb diese intensive Überwachungsaufgabe sich in den weiblichen Organisationen nicht ausgrenzend auswirkte: Es bestand kein Bedarf, denn die Hitler-Jugend trug als ein Hauptakteur zur nationalsozialistischen Antihomosexuellenpolitik bei, die mit »Auskämmungen« und der Einführung der Todesstrafe in SS, Polizei und Wehrmacht ihre radikalsten Ausmaße gerade in den Männerorganisationen annahm, auf welche der Jugenddienst unmittelbar vorbereitete.490 Die demonstrative Ausgrenzung und Bestrafung (vermeintlich) Homosexueller sollte außerdem den wiederkehrenden Verdacht homosexueller Begünstigung, dem die Hitler-Jugend wie andere Parteigliederungen ausgesetzt waren, entkräften.491 Außer der ambivalenten Problematik homosexueller Attraktion als Konflikt in männerbündischen Gesellschaften,492 wie sie auch in den Gruppen von HJ und DJ erfahrbar gewesen sein wird, bestand für den Jugendverband zugleich der berechtigte Anspruch der Mitglieder auf Schutz vor etwaigen sexuellen Belästigungen oder gar Übergriffen, insbesondere durch Vorgesetzte. Die Gefährdung des Ansehens lokaler HJ-Gruppen durch derartige »Gerüchte« gehörte daher auch zu 486 BA Berlin, Warnkartei, Datensatz Nr. 2533. 487 JFdDtR, Kriminalität und Gefährdung der Jugend, S. 116; dazu Klönne, Jugendprotest, S. 615. 488 Zur Kriminalisierungsstrategie der RJF gegen Bündische Gruppen durch den Vorwurf und so begründete Maßnahmen gegen einzelne und prominente Angehörige vgl. Jellonnek, Homosexuelle, 324f.; zum »Nerother Wandervogel« und seiner Führungsfigur Robert Oelbermann, der 1941 im KZ Dachau starb, Krolle, S. 94–110, 122ff. u. 53ff. 489 Da der Ausschluss aufgrund »homosexueller Verfehlungen« also keineswegs zwangsläufig auf tatsächliche Delikte hinweist, können ihre Auflistungen nicht als Nachweis von Homosexualität interpretiert werden, wie bei Seidler, S. 227, und Rempel, S. 89, für den RB Sonderdruck 35/41 K. 490 Vgl. Grau, Homosexualität in der NS-Zeit, S. 242ff.; zur Auskämmung der Luftwaffe im Sommer 1944 Giles, »Most unkindest cut«, S. 56; zum Interesse von RAD und Wehrmacht an ›rechtzeitiger‹ Entfernung Homosexueller Seidler, S. 228. 491 Vgl. Jellonnek, Homosexuelle, S. 87f. u. 93; Rempel, S. 50 u. 88. Gerade um Schirach rankten sich entsprechende Gerüchte. 492 Theweleit, Bd. 2, S. 334f., deutet diesen Konflikt als »double double bind«.

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den Standards der strafgerichtlichen Urteilsbegründungen gegen Angehörige der Hitler-Jugend und besonders gegen Führer: »Die Väter der Jungen trugen sich darauf hin ernsthaft mit dem Gedanken, ihre Jungen aus der HJ herauszunehmen«, hieß es etwa im Urteil gegen einen Remscheider Unterbannführer, der 1935 wegen Missbrauchs von fünf Jungvolkangehörigen zu einer vierjährigen Zuchthausstrafe verurteilt und aus der Hitler-Jugend ausgeschlossen wurde.493 Bei den gerichtlichen Strafurteilen wegen homosexueller Delikte wirkte die Zugehörigkeit zur NSDAP oder einer Gliederung sich aufgrund dieses Vertrauensverlustes in der Regel strafverschärfend aus. Vor allem gegen Führer der Hitler-Jugend wurde vorgebracht, dass sie als »Vertreter der nationalsozialistischen Bewegung« in besonderem Maße dazu verpflichtet seien, ihre Aufgabe »in völliger Sittenreinheit« zu erfüllen. Die Urteilsbegründungen beziehen sich auf das geschädigte Ansehen der Jugendorganisation und darüber hinaus der gesamten »Bewegung«, da sexuelle Übergriffe an unterstellten Jugendlichen »zur schwersten Erschütterung des Vertrauens in den Wert der nationalsozialistischen Erziehungsarbeit führen« würden.494 Auch in der Urteilsbegründung des Landgerichts Wuppertal gegen den 23-jährigen Führer der Solinger Luftsportgefolgschaft und Träger des goldenen HJ-Abzeichens, Eugen L., wurde seine Führungsposition als erschwerend gewertet. Er habe seine Stellung in der HJ benutzt, »um Angehörige dieser Organisation, die seiner Obhut anvertraut waren, seinen Lüsten gefügig zu machen«.495 Die disziplinarische Strafpraxis der Jugendorganisation aufgrund homosexueller Delikte veränderte sich mit der Etablierung der eigenen Disziplinarordnung. Bei den »alltäglichen« Entfernungen, wie sie Tetzlaff für die Jahre 1934 bis 1936 schildert, reichte bereits der »Verdacht im Sinne des § 175 sich vergangen zu haben« aus, wie 1934 bei dem Mannheimer Studenten Walter B.496 Demgegenüber differenzierte die Disziplinargerichtsbarkeit ab 1936 zwischen »homosexuellen Verführern« und »Pubertätsentgleisungen«, wobei sie gleichermaßen die »strengen Maßstäbe« staatlicher Gerichte wie die »unerbittliche Einstellung« der Parteigerichtsbarkeit für sich beanspruchte.497 Als »Spielereien oder Neugierdehandlungen« seien die entwicklungsbedingten pubertären Handlungen 493 HJ-Unterbannführer und Landwirtschaftsgehilfe Ernst P. aus Remscheid, geb. 1899, Abschrift des Urteils des Landgerichts Wuppertal, 4.2.1935, HStA Düsseldorf, RW 58-4198, Bl. 6– 9; Ausschluss am 3.9.1935, BA Berlin, Warnkartei, Datensatz Nr. 3203. 494 Bülow, S. 174ff. Zitate aus dem Urteil gegen einen HJ-Führer aus dem Raum Hannover. 495 Abschrift des Urteils vom 7.3.1938 des Landgerichts Wuppertal, HStA Düsseldorf, RW 58-4871, Bl. 10–19; BA Berlin, Warnkartei, Datensatz Nr. 2622, Ausschluss am 9.3.1938 mit der Begründung: »§ 175, Unterschlagung von HJ-Geldern«. L. wurde zu 4 Jahren Gefängnis und Ehrverlust für die Dauer von 5 Jahren wegen Vergehens und Verbrechens gegen § 175 in insgesamt 16 Fällen und wegen Unterschlagung und gewinnsüchtiger Urkundenfälschung verurteilt. 496 Walter B., geb. 1903, Ausschluss am 5.11.1934, BA Berlin, Warnkartei, Datensatz Nr. 211. 497 RJF, Sonderrichtlinien zur Bekämpfung gleichgeschlechtlicher Verfehlungen, S. 8; Tetzlaff, Homosexualität, S. 4.

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zwar eine Episode, doch als »erster Schritt auf dem Gebiete des Unnatürlichen« der Anhaltspunkt für die Unterscheidung zwischen der gewünschten Entwicklung zu »gesunden, ordentlichen Männern« oder dem Anzeichen einer bereits bestehenden »schweren sittlichen Verwahrlosung«.498 Die Warnkartei, in der sich Ausschlüsse wegen homosexueller Delikte auf die Jahre 1935 bis 1938 mit einem deutlichen Höhepunkt 1936 konzentrieren, bestätigt diese Darstellung geringfügig zeitlich versetzt.499 »Verführer«, die nach Einschätzung der HitlerJugend-Gerichtsbarkeit eine »für die gesunde Gemeinschaft gefährliche Neigung« entwickelt hätten – also als »anlagemäßig« homosexuell anzusehen seien –, sollten »mit unnachsichtiger Härte zur Verantwortung gezogen« werden. Als hochkontagiöser »Gefahrenherd« einer »seuchenartigen Ausbreitung« und »Weiterpflanzung der Verführung« angesehen, bedeutete dies Ausschluss und Strafverfolgung.500 Als »jugendliche Verirrungen« betrachtete homosexuelle Kontakte zwischen gleichaltrigen Minderjährigen wurden hingegen mit den disziplinarischen Mitteln innerhalb der Hitler-Jugend bekämpft.501 Der problematische Terminus der »Verführung«, der zugleich Übergriffe auf jüngere oder unterstellte Kinder und Jugendliche umfasst, wurde nur bei einem größeren Altersabstand angenommen. »Ein 18jähriger HJ-Angehöriger begeht mit einem 17jährigen Kameraden gleichgeschlechtliche Handlungen: der 18jährige ist als Haupttäter zu werten, der 17jährige als Mittäter, da bei diesem Altersunterschied der 17jährige nicht als ›Verführter‹ gelten kann«, hieß es in Hinweisen zur Kriminalstatistik für den Streifendienst.502 Das Feindbild eines außen stehenden »Jugendverführers« als Ansteckungsherd erschien prompt in den lokalen Arbeitsberichten.503 Es wurde auch von den Beschuldigten selbst vorgebracht. So erklärte ein oberschwäbischer Gefolgschaftsführer, er sei von einem Puppenspieler verleitet worden. Wie die Kriminalpolizei überprüfte auch der Streifendienst das »freiwillige Mittun« der Verführten für die Straf beurteilung.504 Wo »nicht zufällig ein alter Mann« als Verführer in Frage komme, beobachtete die Hitler-Jugend die Verführung durch »ehemalige Mitglieder von bündischen und konfessionellen Gruppen«, wie 1936 in der »Denkschrift zur sexuellen Kriminalität von Jugendlichen« aus dem Gebiet Saarpfalz.505 498 RJF, Sonderrichtlinien zur Bekämpfung gleichgeschlechtlicher Verfehlungen, S. 6. 499 Vgl. Tabelle 13. 500 Entscheidung eines HJ-Gerichts, in: Der HJ-Richter, F. 5, Febr. 1942, S. 7. 501 Tetzlaff, Homosexualität, S. 4. 502 Rundschreiben 8/39, RJF Personalamt-Überwachung, Lüer, an Gebietsinspekteure des HJ-Streifendienstes, 10.7.1939, StA Augsburg, HJ-Gebiet Schwaben, Nr. 25, Bl. 120291f. 503 Vgl. Meldung von sittlichen Verfehlungen von 11 Jugendlichen, Arbeitsbericht des Streifendienstes, Bann 476/Kempten (Allgäu), 10.9.1940, StA Augsburg, HJ-Gebiet Schwaben, Nr. 57, Bl. 120743f. 504 SRD-Bericht für Monat Oktober 1940, ebd., Bl. 120738ff. Bl. 120739. 505 Thimel, Zur sexuellen Kriminalität, S. 11.

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Hier unterschied die Gebietsführung die jugendlichen Täter in »asoziale Elemente«, die als »dauernd in asozialen Verhältnissen lebende Täter« die klassische Klientel der Fürsorgeerziehung darstellten, und »den aus einer augenblicklichen Gefährdung heraus Verbrechen begehenden jungen Menschen«, die durch »geeignete Erzieher wieder auf den rechten Weg gebracht werden« könnten.506 Am Beispiel homosexueller Delikte sprach der Gebietsführer sich für eine differenzierte Ahndung aus: Für Jungen, bei denen eine »Infektion« erfolgt sei, empfahl sie die (jugendgerichtliche) Anordnung von Fürsorgererziehung zur Wiedergewinnung für die Gemeinschaft, radikale Maßnahmen hingegen für »die Jungen, die vollkommen verseucht sind und wahrscheinlich nie wieder zur menschlichen Gesellschaft gezählt werden können«. Hier bliebe nur die »vollkommene Unschädlichmachung durch Entmannung, Arbeitshaus oder Sicherheitsverwahrung«.507 Für Opfer von Missbrauchshandlungen hingegen sollte gemeinsam mit Eltern und dem vorgesetzten HJ-Führer erreicht werden, »dass er über das Erlebte hinwegkomm[e]« und »durch das starke Erlebnis der Kameradschaft der HJ« zurück »in normale Wege« finde.508 Solche Fälle der »Verführung« finden sich in den Düsseldorfer Gestapoakten. Als Ermittlungsergebnis, auf dem das Disziplinarverfahren auf baute, teilte die Gestapo Düsseldorf der Hitler-Jugend mit, dass der Essener Gefolgschaftsführer Friedrich K. »als Führer und auch als Angehöriger der HJ gänzlich ungeeignet ist und eine Gefahr für jüngere HJ-Angehörige bedeuten würde«, während den gleichfalls verhafteten Walter H. als den Verführten geringere Schuld treffe: »Ob ein gänzlicher oder zeitweiser Ausschluß aus der HJ geboten erscheint, stelle ich dem dortigen Ermessen anheim.«509 K. wurde zu einer Gefängnisstrafe von achtzehn Monaten verurteilt, die nach Einschätzung der Gestapo jedoch zur Abschreckung nicht ausreiche, »da es sich bei K. um einen ausgesprochenen Homosexuellen handelt, der vermutlich wieder rückfällig werden wird«, wie sie routinemäßig an die 1936 eingerichtete »Reichszentrale zur Bekämpfung der Homosexualität und Abtreibung« meldete.510 Die Warnkartei dokumentiert den Ausschluss des 27-jährigen kaufmännischen Angestellten K. vom 7. Januar 1937.511 Das Hitler-Jugend-Gericht Niederrhein entschied sich im April jedoch auch für den Ausschluss des zwanzigjährigen

506 Ebd., S. 9. 507 Ebd., S. 10f. [Hervorhebung im Original]. 508 Ebd., S. 10. 509 Vertrauliche Meldung der Gestapo an HJ-Führung Essen, 15.8.1936, HStA Düsseldorf, RW 58-51 808, Bl. 23. 510 Gestapo Essen an Reichszentrale zur Bekämpfung der Homosexualität und Abtreibung, 24.4.1937, ebd., Bl. 44. 511 BA Berlin, Warnkartei, Datensatz Nr. 2197; vgl. Schreiben HJ Essen, Rechtsreferent, an Gestapo, 2.11.1937, HStA Düsseldorf, RW 58-53 308, Bl. 53.

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H.512 und setzte die differenziertere Bewertung nicht in ihrer Disziplinarentscheidung um. Die Warnkartei bezeugt jedoch auch Ausschlüsse gegenüber als »Verführten« angesehenen Jungen, wie bei dem achtzehnjährigen Anton G.513 oder dem Düsseldorfer Mechaniker Günther B., der wegen »bündischer Umtriebe« und »§ 175 passiv« ausgeschlossen wurde.514 In der exemplarischen »Verführer«-Fallgeschichte eines Leisniger Lehrers, der 1939 wegen wiederholten Missbrauchs seiner Schülerinnen und Schüler zu einer Zuchthausstrafe und Sicherungsverwahrung verurteilt wurde, ging die Reichsjugendführung auch gegen die offensichtlichen Opfer vor und meldete: »Über 90 Jungen und Mädel wurden HJ.-disziplinarisch belangt«.515 Mit der grundsätzlichen Unterscheidung von Verführern und Verführten übernahm die Gerichtspolitik des Jugendverbandes die strafrechtlichen und polizeilichen Kategorien.516 Aufgrund des 1935 durch eine Ausweitung des Straftatbestandes wie durch eine Erhöhung des Strafmaßes erheblich verschärften StGB § 175 waren gleichermaßen die Täter und Opfer einer Missbrauchs- oder Nötigungshandlung unter Strafe gestellt, wobei »in besonders leichten Fällen« bei Minderjährigen von Strafe abgesehen werden konnte.517 Die Unterscheidung bestätigt das Konzept der Disziplinierung: Einmalige, geringfügige oder als »Pubertätsentgleisungen« gewertete Verfehlungen sollten durch Disziplinarmittel korrigiert werden; als grundsätzlich »verdorbene Elemente«518 angesehene Jugendliche wurden hingegen als Gefahrenherd ausgeschlossen und der Strafverfolgung ausgesetzt. Dies bedeutete schwere Zuchthausstrafen, an die sich Internierungen in Konzentrationslagern anschlossen. Gerade den als »Jugendverführer« und damit als »gefährliche Sittlichkeitsverbrecher« eingestuften Männern drohten auch Kastration oder Sterilisation.519 Gegen den 21-jährigen Elektrikerlehrling Gerhard E., der als Fähnleinführer mehrere Jungvolk-Mitglieder mit der Drohung, sie seinerseits auszuschließen, zu homosexuellen 512 HJ Essen an Gestapo Essen, 22.9.1937, ebd., Bl. 52, Ausschluss am 24.4.1937; BA Berlin, Warnkartei, Datensatz Nr. 1662 513 Kartenvermerk »§ 175, Verführter«, Ausschluss am 16.3.1936, BA Berlin, Warnkartei, Datensatz Nr. 1189. 514 Ausschluss am 29.7.1936, BA Berlin, Warnkartei, Datensatz Nr. 523; B. galt zuvor als vermisst, VOBl. III/39, 31.10.1935, S. 8. 515 JFdDtR, Kriminalität und Gefährdung der Jugend, S. 202. 516 Jellonnek, Homosexuelle, S. 328; Giles, »Most unkindest cut«, S. 50f.; Zustimmung des RJM, da disziplinarische Unterscheidung »durchaus den Tendenzen[,] die der Gesetzgeber bei der Novelle vom 28. Juni 1935 verfolgt hat«, entspreche, RJM, Schäfer, an RJF, Amt HJ-Gerichtsbarkeit, 4.5.1942, BA R 3001/alt R 22/1176, Bl. 144. 517 Strafgesetzbuch des Deutschen Reiches, § 175, Abs. 1, in: Grau, Homosexualität in der NS-Zeit, S. 95. 518 JFdDR, Kriminalität und Gefährdung der Jugend, S. 115. 519 Jellonnek, Staatspolizeiliche Fahndungs- und Ermittlungsmethoden, S. 355; Giles, »Most unkindest cut«, S. 42f. u. 45; Knoll, S. 78, 84 u. 99f.

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Handlungen gezwungen haben sollte,520 verfügte die Düsseldorfer Gestapo 1935, den »sittlich verkommene[n] Bursche[n]« umgehend in ein Konzentrationslager einzuweisen.521 Der »Schutzhaftantrag« wurde organisationspolitisch begründet. Da die »sexuellen Verfehlungen« innerhalb des Jugendverbandes überhand nähmen, müsse »mit allen zu Gebote stehenden Mitteln« eingeschritten werden.522 Noch vor der gerichtlichen Verurteilung wurde E. im September 1935 in das Konzentrationslager Esterwegen überführt.523 Am 14. Februar 1936 wurde er aus der HJ ausgeschlossen, die von ihm genötigten Hitler-Jungen wurden »ernstlich verwarnt«.524 Mit dem Organisator des »Reichsberufswettkampfes«, Hans Kurth, der im Berliner Stab der Reichsjugendführung als Jugendwalter der DAF arbeitete, gelangte auch ein hochrangiger Funktionär aufgrund einer homosexuellen »Sittlichkeitsverfehlung« in mehrjährige KZ-Haft. Von der Ehefrau denunziert, wurde Kurth noch am Tag der Verhaftung aus der Partei ausgeschlossen, am folgenden Tag von der Reichsjugendführung. Bis hin zum Eintrag in die »Schwarze Liste« der NSDAP belegen Kurths Personalakten die Effizienz der miteinander verknüpften Strafsysteme.525 In der Homosexuellenverfolgung arbeitete die Hitler-Jugend eng mit der Gestapo zusammen. Bereits Anfang Mai 1935 hatte Reinhard Heydrich als Chef der Sicherheitspolizei angeordnet, dass Meldungen der Reichsjugendführung oder einer Gebietsführung, einen HJ-Angehörigen festzunehmen, »grundsätzlich ohne weitere Prüfung zu entsprechen« sei.526 Folgerichtig lobte die Gebietsführung Saarpfalz die Kooperation mit der Gestapo.527 Im Zuge des Versuchs der Erfassung sämtlicher Homosexueller durch die »Reichszentrale zur Bekämpfung der Homosexualität und der Abtreibung« wurde die innerorganisatorische Meldepflicht der Hitler-Jugend, die mit Strafanzeige verbunden war, durch die staats- und kriminalpolizeiliche Erfassung ergänzt.528 Auch in 520 Anzeige der Ortspolizei Krefeld, 11.7.1935, HStA Düsseldorf, RW 58-21 378, Bl. 6; Schreiben Jungbann Krefeld an Gestapo, 29.6.1935, ebd., Bl. 9. 521 Gestapo Düsseldorf an Gestapo Berlin, 18.8.1935, ebd., Bl. 48. 522 Schutzhaftantrag, 11.7.1935, ebd., Bl. 5. 523 Gestapo Düsseldorf an Krefelder Oberbürgermeister, 9.9.1935, ebd., Bl. 52. Verurteilung durch Krefelder große Straf kammer, 16.9.1935, zu 18 Monaten Gefängnis. 524 Aktennotiz, Gestapo Düsseldorf, HStA Düsseldorf, RW 58-21 378, Bl. 57; BA Berlin, Warnkartei, Datensatz Nr. 908, Ausschluss am 14.2.1936, Begründung: §§ 174–176. 525 BA Berlin, Warnkartei, Datensatz Nr. 2427; BDC Personalakten; weitere biografische Angaben Buddrus, Totale Erziehung, S. 1175. Vgl. auch den Ausschluss des Jungvolksachbearbeiters in der RJF, Richard L., Datensatz Nr. 2540, BDC Personalakten. 526 Dienstanweisung der Gestapo, Heydrich, 3.5.1935, in Ergänzung seiner Dienstanweisung für den Bereitschaftsdienst vom 9.5.1934, in: Grau, Homosexualität in der NS-Zeit, Dok. 12, S. 82. 527 Thimel, Zur sexuellen Kriminalität, S. 24f. 528 Geheimerlass Heydrichs zur Bekämpfung der Homosexualität und der Abtreibung, an Gestapo und Kriminalpolizei, 10.10.1936, in: Grau, Homosexualität in der NS-Zeit, Dok. 27, S. 122–125.

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den Düsseldorfer Gestapoakten lässt sich die enge Verknüpfung von Strafverfolgung und anschließender disziplinarischer Ahndung nachvollziehen. In ihren Berichten an die Gebietsführung empfahl die Staatspolizei bei Homosexualitätsdelikten eindeutige und in der Regel schärfere Bewertungen, als Jugend- und Disziplinargerichtsbarkeit sie nachvollzogen, wie gegen den siebzehnjährigen kaufmännischen Lehrling Heinrich T., der sich als Zeuge in einem Sittlichkeitsprozess selbst belastet hatte. Zwar wurde er als »Verführter« eingeschätzt, dennoch war er aus Sicht der Gestapo als Führer »nicht mehr tragbar«.529 Das Disziplinargericht setzte den HJ-Kameradschaftsführer darauf hin unter Aberkennung seines Dienstgrades ab. Aufgrund guter Führung und des mehrjährigen Abstandes zu den »Verfehlungen« blieb er im Verband, ohne jedoch wieder als Führer eingesetzt zu werden.530 In einem eingestellten Ermittlungsverfahren gegen drei HJ-Angehörige wegen eines nicht nachweisbaren Verstoßes gegen StGB § 175 galt nach Einschätzung der Gestapo dennoch ihr »Ausschluss aus der HJ [als] gerechtfertigt […], da feststeht, dass dieselben wechselseitige Onanie betrieben haben.«531 Die Disziplinargerichtsbarkeit entschied anders und überwies den Hauptbeschuldigten Peter H., pflichteifriges HJ-Mitglied seit 1928, nach dem Ausscheiden an die SA.532 Während die Essener Hitler-Jugend den Fall mit dieser disziplinarischen Lösung schließen wollte, sprechen die Aktenvermerke der Gestapostelle (»nein, auf keinen Fall!«) für eine schärfere Sanktion. Im Dezember 1936 strengte die Personalabteilung des Gebietes Ruhr-Niederrhein eine Wiederaufnahme des Disziplinarverfahrens an, nachdem durch die SA-Brigade weitere Vorfälle bekannt wurden.533 Wie die Warnkartei dokumentiert, wurde H. im April 1937 schließlich aus dem Jugendverband ausgeschlossen.534 Der Fall einer Wiederholungstat bildet unter diesen reibungslosen Verfahren eine Ausnahme. Die Gestapo zeigte sich irritiert über die unterbliebene polizeiliche Anzeige gegen den ehemaligen Scharführer Kurt R., der im Januar 1938 wegen Verdachts homosexueller Handlungen verhaftet wurde.535 Aus Sicht der Gestapo war R. ein »unverbesserlicher Jugendverführer«, der bewusst in die Hitler-Jugend eingetreten sei, um dort »sein Wesen weiter[zu]treiben«.536 Bereits im Sommer 529 Bericht der Gestapo an HJ Gebietsführung Ruhr-Niederrhein, 7.12.1937, HStA Düsseldorf, RW 58-25 948, Bl. 8. 530 Schreiben der Hitler-Jugend, Gebiet 10, Personal, Bannführer Düppe, 17.2.1938, ebd., Bl. 14. 531 Gestapo an HJ-Gebietsführung Ruhr-Niederrhein, 9.9.1935, HStA Düsseldorf, RW 5849 450, Bl. 7. 532 Schreiben HJ Essen, 23.11.1935, ebd., Bl. 9. 533 Schreiben HJ-Gebiet Ruhr-Niederrhein an Gestapo Essen, 10.12.1936, ebd., Bl. 66. 534 Peter H., geb. 1913, BA Berlin, Warnkartei, Datensatz Nr. 1498. 535 HStA Düsseldorf, RW 58-1993, Bl. 4; Antwortschreiben des HJ-Gebietes ohne Angabe von Gründen, 7.3.1938, ebd., Bl. 7; wiederholt am 22.3.1938, ebd., Bl. 8. 536 HStA Düsseldorf, RW 58-66 906, Bl. 17.

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1936 war der Duisburger Bautechniker und ehemalige CVJM-Angehörige aus dem NS-Verband entfernt worden, da er als Führer eines Spielmannzuges »auf Fahrt« wiederholt sexuelle Übergriffe gegenüber ihm unterstellter Jungen verübt habe.537 Auch nach dem Ausscheiden soll R. weiterhin mit Jungen bzw. Gruppen des Deutschen Jungvolks gewandert sein.538 Die Jugendschutzkammer Düsseldorf schätzte die Vergehen hingegen als Gelegenheitsdelikte ein und verurteilte R. zu einer Freiheitsstrafe von achtzehn Monaten.539 Der instrumentalisierende Umgang der Hitler-Jugend mit dem Vorwurf männlicher Homosexualität an die Bündische Jugend verweist auf eine bewusste Identifizierung des politischen Gegners mit dem kriminellen Gegner zum Zweck öffentlicher Diskreditierung. Die Reichsjugendführung gestand diese Verfolgungspolitik der 1930er Jahre retrospektiv ein: »Bei der Bekämpfung der Bündischen Jugend aus politischen Gründen gelang mangels anderer gesetzlicher Grundlagen die Zerschlagung der Bünde fast immer auf dem Wege über ein Strafverfahren wegen Vergehens nach § 175 StGB.«540

Wegen der unterstellten Rückfallhäufigkeit und Verbindung zu weiterer Kriminalität als besonders gefährlich eingeschätzt, wurden »Jugendverführer« und »Strichjungen« in Kriminalstatistik und Reichszentrale zunächst in besonderen Kategorien erfasst, die Betroffenen nach der Strafverbüßung in Konzentrationslager deportiert und dort kastriert.541 »Ein Mensch, der als Jugendverderber erkannt ist, ist rücksichtslos der menschlichen Gemeinschaft zu entziehen«, formulierten kriminalpolizeiliche Richtlinien zur Durchsetzung des Geheimerlasses zur Bekämpfung der Homosexualität und der Abtreibung.542 Die diszipli537 BA Berlin, Warnkartei, Datensatz Nr. 3321, Ausschluss am 9.7.1936, Begründung: § 175, ausgeschieden. 538 Gestapo Düsseldorf, 4.2.1938, HStA Düsseldorf, RW 58-1993, Bl. 2. 539 Urteilsbegründung, 22.6.1938, Abschrift ebd., Bl. 12–14; da R. Parteianwärter war, wurde seine Aufnahme durch Beschluss des Kreisgericht I der NSDAP am 12.4.1938 abgelehnt, RW 58-66 906, Bl. 36. 540 JFdDtR, Kriminalität und Gefährdung der Jugend, S. 113 [Hervorhebung im Original]. In Parteigerichtsverfahren räumte Lüer für die Reichsjugendführung ein, der Kampf gegen die bündische Jugend sei »oft zu rein persönlichen Interessen« verwendet worden. BDC Personalakte Karl Lämmermann, Protokoll der Gaugerichtssitzung, 7.3.1935 [Name erscheint fälschlich als Luers]. Zur instrumentalisierten Strafverfolgung aufgrund § 175 StGB im Umgang mit oppositionellen Gruppen bereits Buchheim, S. 308ff.; Brandenburg, S. 201. 541 Vgl. die kriminalstatistische Auswertung des beratenden Wehrpsychiaters Otto Wurth, 24.2.1943, Aide-Mémoire, betr. Verbrechen und Vergehen § 175 RStGB. Statistische und andere Bemerkungen vorgelegt von Prof. Dr. O. Wurth, Oberstarzt, in: Grau, Homosexualität in der NSZeit, Dok. 56, S. 219–224, S. 221, dazu ebd., S. 140. Für die Jahre 1937 und 1938 wurden hier je etwa 7 500 Männer erfasst. Vgl. JFdDtR, Kriminalität und Gefährdung der Jugend, S. 196. 542 Vertrauliche Richtlinien der Kriminalpolizeistelle Kassel zur Bekämpfung der Homosexualität und der Abtreibung, 11.5.1937, in: Grau, Homosexualität in der NS-Zeit, Dok. 29, S. 129–135, S. 130.

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narische Erfassung der Hitler-Jugend übernahm die Kategorien, wie etwa die Warnkarte des sechzehnjährigen Hans K. aus Wuppertal zeigt, die ihn mit dem Vermerk »gewerbsmässig § 175« als Strichjungen qualifizierte,543 und trug so zu der spezifischen Verfolgung und »Sonderbehandlung« bei. Auch in der HitlerJugend diente der § 175, aufgrund dessen zwischen 1933 und 1943 etwa 6 000 Jugendliche strafrechtlich verurteilt wurden,544 als ein »besonders gut einsetzbares Strafverfolgungsmittel gegen mißliebige Kreise«.545 Die Disziplinarstrafe des Ausschlusses wurde in einem engen disziplinarischen Zusammenhang mit den Ermittlungs- und Erfassungsverfahren der Gestapo und der justiziellen Strafverfolgung verhängt. Die Verknüpfung des Vorwurfs von Homosexualität und »bündischer« Aktivität macht den Beitrag der Hitler-Jugend-Disziplinarpolitik bei der Instrumentalisierung sexueller Denunziation oder der Unterstellung gegen politische Gegner deutlich. Als zweite wichtige Stoßrichtung gehören auch die demagogischen Kampagnen gegen Kleriker wie die sogenannten Klosterprozesse 1935 bis 1938, in denen die antihomosexuellen Einstellungen der Bevölkerung instrumentalisiert wurden, in das Feld dieser kooperierenden Überwachungs- und Strafpolitik.546

2.3.3 Befehlsdisziplin und nationalsozialistische »Haltung« Ein HJ-Führer, der beobachtetes oder denunziertes homosexuelles Verhalten nicht an die Disziplinargerichtsbarkeit meldete, verstieß damit gegen einen »Befehl«. Als »im schwersten Maße disziplinlos« bewertet, machte ihn die Unterlassung in den Augen des HJ-Obergerichtes »als Jugendführer untragbar«.547 Nach den Sexualdelikten bilden solche disziplinarischen Übertretungen, Befehlsverweigerungen und Disziplinlosigkeiten mit einem Viertel aller Ausschlüsse die zweitgrößte Gruppe in der Warnkartei.548 Als strafwürdig galten neben objektiven Schädigungen durch finanzielle Verfehlungen oder die Schwächung von Führerautorität auch die indirekten Beeinträchtigungen ihres Ansehens, die aufgrund eines bestimmten Verhaltens oder einer nicht angemessenen »Haltung« der Angehörigen befürchtet wurden. Zunächst noch mit grundsätzlichen Charakterurteilen wie »HJ untauglich infolge schlechter Charaktereigenschaften« oder als »moralische Minderwertigkeit«549 beschrieben, normierten sich die For543 Ausschluss am 30.3.1936, BA Berlin, Warnkartei, Datensatz Nr. 2074. 544 Aide-Mémoire, in: Grau, Homosexualität in der NS-Zeit, Dok. 56, S. 220; sowie ebd., S. 279. 545 Knoll, S. 82. 546 Vgl. Hockerts; Blumenberg-Ebel; zuletzt Dierker; sowie Böseler; Bülow, S. 51–55. 547 Entscheidung des HJ-Obergerichts, in: Der HJ-Richter, F. 5, Febr. 1942, S. 7f. 548 Vgl. Tabellen 3 u. 14. 549 Harry B. u. Hermann D., BA Berlin, Warnkartei, Datensätze Nr. 55 u. 189.

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mulierungen auf den Warnkarten nach Erlass der Disziplinarordnung. So wurde z. B. der Ausschluss der sechzehnjährigen Renate-Ingeborg G. aus Remscheid formelhaft mit ihrer »nicht BDM entsprechende[n] Lebensweise« begründet.550 Gemäß der Disziplinarfunktion gegenüber sämtlichen Angehörigen galten Übergriffe des Führerkorps wie mangelnder Gehorsam der Unterstellten gleichermaßen als Ausschlussgrund. Autoritätsübergriffe sind in der Warnkartei jedoch nicht differenziert greif bar. Nur wenige dieser Fälle sind durch eine explizite Benennung von anderen Befehlsverletzungen zu unterscheiden, wie die Ausschlüsse aufgrund der »dauernden Mißhandlung von unterstellten Pimpfen«551 oder der »gemeinen und rohen Behandlung der Jungen im Landdienst«, einer agrarwirtschafts- und siedlungspolitischen Initiative des Jugendverbandes.552 Einen systematischen Hinweis auf Strafen gegenüber dem Führerkorps auch außerhalb der Reichsjugendführung553 bietet in der Kartei nur das Alter der Betroffenen bei ihrem Ausschluss. Denn nur etwa die Hälfte dieser »Warnfälle« sind Kinder und Jugendliche zwischen zehn und achtzehn Jahren; ein gutes Drittel repräsentiert die Altersgruppe von HJ-Funktionären bis etwa 36 Jahren.554 1939 lag das Durchschnittsalter der hauptamtlichen BDMFührerinnen und HJ-Führer bei knapp dreißig Jahren.555 Hinzu kommen ältere Personen, die als Fachpersonal für den Apparat der Hitler-Jugend anzusehen sind. Der hohe Anteil von Ausschlüssen, der sich aufgrund des Alters auf das Führungspersonal beziehen lässt, bestätigt die Funktion der Warnkartei auch für die Auslese der Führungskräfte. Ausschlüsse im höheren Führerkorps der Reichsjugendführung wurden offenbar oftmals auch vor dem Parteigericht verhandelt. So wurde der Leiter des Publikationshauses der Hitler-Jugend, dem Deutschen Jugendverlag, Horst Knöpke, wegen der »Veröffentlichung von Dienstgeheimnissen« entfernt.556 An den Ausschluss von Alfred Loose, der als Leiter der Verwaltungsabteilung in der Reichsjugendführung das Karteiwesen ausgearbeitet hatte, schlossen sich Parteiausschluss und die Internierung in einem Konzentrationslager an.557 550 BA Berlin, Warnkartei, Datensatz Nr. 1214. 551 Explizit nur in vier Fällen aus dem Jahr 1934, BA Berlin, Warnkartei, Datensätze Nr. 661, 956, 2941 u. 3098. 552 Walter C., Ausschluss 20.5.1938, BA Berlin, Warnkartei, Datensatz Nr. 134; zum Landdienst Buddrus, Totale Erziehung, S. 699–741. 553 Die Zugehörigkeit zur RJF ist auf den Karten als Herkunftsgebiet vermerkt, vgl. Tabelle 20. 554 Vgl. Tabelle 6. 555 Unter den Stelleninhabern der RJF gab es erhebliche Altersunterschiede von bis zu 37 Jahren, vgl. Buddrus, Totale Erziehung, S. 334. 556 BA Berlin, Warnkartei, Datensatz Nr. 82, BDC Personalakten; Buddrus, Totale Erziehung, S. 1168. 557 BA Berlin, Warnkartei, Datensatz Nr. 2633, BDC Personalakten; Buddrus, Totale Erziehung, S. 1181.

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Neben individuellen »Befehlsverweigerungen«, Verstößen gegen Anordnungen und Disziplinlosigkeiten, zu denen auch die pubertäre Störung einer feierlichen »Totenehrung« durch das Verteilen »zotiger Zettel« zählen konnte,558 beeinträchtigten auch kollektive Disziplinarwidrigkeiten den Dienstablauf der Hitler-Jugend. Gruppenausschlüsse wegen »Meuterei und Gehorsamsverweigerung« aus dem Jahr 1934 sind als ›Säuberungen‹ der Einheiten und Führungsstäbe im Zuge der Vereinheitlichung der Organisation zu deuten.559 Der romantische Begriff »Meuterei« bezeichnete offenen Widerspruch oder gar eine Aufwiegelung gegen Führer, wie die »dauernden Hetzereien gegen ihre Führerin (Sabotage)« von Gerti H.560 Aus den Aussagen Jugendlicher in staatspolizeilichen Vernehmungsprotokollen über Suspendierungen und Ausschlüsse wegen Dienstversäumnissen, die gegenüber den verkürzten, kategorischen Begründungen der Warnkartei die ursächlichen Sachverhalte präziser festhalten, finden sich gerade für die frühen Regimejahre auch scheinbar belanglose Anlässe und offenkundig willkürliche Ausschlüsse, etwa aufgrund einer Beschwerde wegen miserabler Verpflegung in Zeltlagern.561 Im August 1935, noch vor der Etablierung des komplexen Disziplinarsystems, wurden auch die Enkel Richard Wagners wegen »Disziplinlosigkeit« und »Beleidigung des Reichsjugendführers« aus der Hitler-Jugend in Bayreuth ausgeschlossen.562 Abgestraft wurden auch eigenmächtige Aktionen, welche die offizielle Politik der Reichsjugendführung unterliefen, ohne zwangsläufig grundsätzlich mit ihr im Widerspruch zu stehen, wie sich am Beispiel des Umgangs mit den aufmerksam überwachten konfessionellen Jugendgruppen zeigt. So beschwichtigte die Reichsjugendführung eine Beschwerde des evangelischen Reichsjugendpfarrers der »Deutschen Christen« mit dem Hinweis auf die disziplinarische Ahndung: Hitler-Jugend-Führer, die die Teilnahme von Mitgliedern am Gottesdienst gezielt verhinderten, würden »mit schwersten Strafen bis zum Ausschluss« belangt.563 Drei ältere Hitler-Jungen aus Gleiwitz wurden Anfang 1936 558 Ausschluss des 17-jährigen Walter W., 12.5.1936, BA Berlin, Warnkartei, Datensatz Nr. 4489. 559 Ausschluss von 14 Regensburger Mädchen im Alter von 14 bis 18 Jahren aus dem BDM am 6.11.1934, BA Berlin, Warnkartei, Datensätze Nr. 702, 866, 929, 937, 1088, 1252, 1581, 2752, 2994, 3036, 3041, 3457, 4106, 4676 u. 4701; und von neun Berliner Hitler-Jungen, Datensätze Nr. 398, 978, 1769, 2213, 2529, 3257, 3623, 3875, 4351. 560 Ausschluss von Gerti H. am 5.7.1935, BA Berlin, Warnkartei, Datensatz Nr. 426. 561 Vgl. Kenkmann, Wilde Jugend, S. 69, Anm. 180. 562 Wieland und Wolfgang Wagner, geb. 1917 u. 1919, BA Berlin, Warnkartei, Datensätze Nr. 4387f., mit Vermerk »Villa Wahnfried« auf beiden Karteikarten. Vgl. Erinnerungen des heutigen Leiters der Bayreuther Festspiele, Wagner, Lebens-Akte, S. 79f.; auf dieser Grundlage Hamann, S. 292. Zur Regimenähe der Familie und insbesondere der Mutter, Winifred Wagner, auch Bauer, S. 122–156. 563 Schreiben des Stellvertreters des JFdDtR, Lauterbacher, an den Jugendpfarrer der Deutschen Evangelischen Kirche, Zahn, Berlin-Charlottenburg, 24.11.1934, in: Müller, Jugend, S. 138f., S. 139.

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wegen eines »Überfalls« auf Angehörige katholischer Jugendverbände aus der Hitler-Jugend entfernt.564 »Einzelaktionen« gegen die Kirche und andere Einmischung in »religiöse Fragen« waren in dieser Hochzeit des »Kirchenkampfes« dem gesamten Parteiapparat untersagt.565 Eine einfache Befehlsübertretung, die wegen der ungünstigen Öffentlichkeitswirkung disziplinarisch belangt und auch mit Ausschlüssen bestraft wurde, stellt etwa das »unberechtigte Sammeln« von Geldern und Wertstoffen dar.566 Fortwährend zeugen die Befehlsblätter der Hitler-Jugend von dem Bemühen, die zahlreichen Sammelaktionen kontrolliert durchzuführen. Gerade diese typische Parteiaktivität sollte die Spender nicht verschrecken und ihre »Opferbereitwilligkeit« nicht dämpfen, außerdem musste die korrekte Abführung der Spendengelder gewährleistet werden.567 Finanzielle Schädigungen des Verbandes durch Unterschlagungen und Veruntreuungen im Amt, die über die Hälfte aller disziplinarischen Warnfälle begründeten, wurden bevorzugt und auf abweichendem Verfahrensweg behandelt.568 »Wer es unternimmt, Gelder der Bewegung zu entwenden, hat das Recht verwirkt, Mitglied einer Gliederung der Partei zu sein. Es war daher zu erkennen, wie geschehen«, begründete das Personalamt der Reichsjugendführung im Dezember 1935 den Ausschluss des Berliner Gebietsgeldverwalters Helmut G., der über 3 000 RM aus den Mitteln des Verbandes veruntreut hatte und sich in Untersuchungshaft befand.569 Da die Verwaltung dem Reichsschatzmeister der NSDAP Franz Xaver Schwarz unterstand, verfügte dieser über die Disziplinargewalt, die der Reichskassenverwalter der Hitler-Jugend in seinem Auftrag wahrnahm.570 Für »unlautere« oder »nachlässige Kassenführung« verhängte Entfernungen von »Verwaltungsführern« konnten zusätzlich einen regelrechten disziplinarrechtlichen Ausschluss nach sich ziehen.571 Als Dienstvorgesetzter für die hauptamtlich Beschäftigten 564 BA Berlin, Warnkartei, Datensätze Nr. 243, 603 u. 3092. 565 Verfügung des Stellvertreters des Führers, Heß, Nr. 225/35, 14.11.1935, VOBl. IV/11, 15.5.1936, S. 127f. 566 Z. B. Ausschlüsse von zwei Hitler-Jungen und einem BDM-Mitglied 1935/36; BA Berlin, Warnkartei, Datensätze Nr. 648, 1520 u. 3356. 567 Anordnung des RJF, VOBl. 72/I, 28.11.1933, S. 1; Sammlungsgesetz und Sammlungsordnung der Hitler-Jugend, in: VHB, Bd. IV, S. 3662ff.; Sammlungsordnung der NSDAP, 4.7.1935, RGBl. 1935, Teil I, S. 906; weitere Sammelverbote der RJF, VOBl. IV/20, 28.8.1936, S. 227f; Anordnung über Straftaten Jugendlicher beim Sammeln, Rundschreiben der RJF, F. 17/43, 21.6.1943, S. 371; Anordnung des Leiters der Parteikanzlei, Bormann, 22.5.1943, Rundschreiben der RJF, F. 19/43, 30.6.1943, S. 397f. 568 Zucht und Ehre, Jg. 1, 1940, S. 7. 569 Ausschlussverfahren gegen Helmut G., 18.12.1935, BA Berlin, BDC, Personalakten Heinz Hugo John, Warnkartei, Datensatz Nr. 1281. 570 RJF/Verwaltungsamt unter Kenntnisnahme des Personalamtes, RB 43/I, 4.12.1936, S. 951. 571 Disziplinarordnung 1936, S. 6. Vgl. Verfügung des Reichsschatzmeisters, Schwarz, mit Namensliste von 79 Betroffenen, die er und/oder der HJ-Reichskassenverwalter zwischen April und Oktober 1939 von ihren Verwaltungsaufgaben in der Hitler-Jugend durch »Ausschluss« ent-

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verfügte der Reichsschatzmeister auch über materielle Sanktionsmöglichkeiten wie die Streichung von Leistungszulagen oder Beförderungssperren.572 Aus den aufwendigen »Verfehlungsunterlagen« über den Geldverwalter eines Fähnleins im bayrischen Bann Günzburg aus dem Oktober 1939 lässt sich der Ablauf eines solchen Disziplinarverfahrens nachvollziehen.573 Ein halbes Jahr lang hatte der Lehrling Karl Otto L. die monatlichen Zahlungen an den Bann für private Zwecke veruntreut. Der Leiter der Verwaltungsabteilung der Gebietsführung, telefonisch vom Banngeldverwalter informiert, meldete die Verfehlung dem Reichskassenverwalter und dem Beauftragten des Reichsschatzmeisters im Gau Schwaben. Die Ermittlung weitete sich aus, da der beschuldigte Jungvolk-Führer in der Vernehmung behauptete, durch einen Arbeitskollegen, der »genau gewußt habe, daß es sich um Gelder der HJ handelt«, zum Gaststättenbesuch verführt worden zu sein. Nach einer ausführlichen Revision des gesamten Aufgabengebietes einschließlich der Mitgliederkartei leitete der Reichskassenverwalter gegen L. ein Disziplinarverfahren am Hitler-Jugend-Gericht ein. Der Straf bescheid ist nicht erhalten, die Gerichtsinstanz lässt eine Entfernungsstrafe vermuten. Der Vater des Minderjährigen musste sich als »Schwerkriegsbeschädigter« um ein Darlehen bemühen, um den Fehlbetrag von 230,26 RM zurückzuzahlen. Eine Ausschlusspraxis aufgrund von »Interesselosigkeit« gegen Jugendliche, die sich dem Dienst entzogen, um ihre Freizeit selbst bestimmt zu verbringen, wie sie regionale Studien bis weit in die 1930er Jahre hinein belegen, bestätigt die Kartei nicht. Gegen einen Hitler-Jungen, der die Verlockungen von »Tennisspielen, Motorradfahren, Einladungen« dem Dienst vorziehe, beantragte ein Detmolder Einheitenführer nach wiederholten »Ermahnungen« den Ausschluss.574 Im Fall des achtzehnjährigen Lehrlings Olaf G., der nach seinem Ausschluss wegen »Interesselosigkeit« aus der Hitler-Jugend im Februar 1936 aus Wut seine Uniform, die sein Eigentum war, demolierte, anstatt diese ordnungsgemäß abzuliefern, gibt das Vernehmungsprotokoll Auskunft über seine ablehnende Einstellung gegenüber dem Jugendverband. Der Dienstbetrieb war für das ehemalige Mitglied der Deutschen Freischar uninteressant geworden, weil ihm »die Kameradschaft in der HJ nicht mehr echt schien« und er sich »in der persönlichen Freiheit behindert« fühlte.575 Die Stigmatisierung solcher hob, RB 7/K, 27.10.1939, S. 18ff. Begründungen: finanzielle Verfehlungen (55 Fälle), mangelnde Eignung (20) und allgemeine »Unfähigkeit« (4); 6 der Veruntreuungen auch in RB Sonderdruck 35/41 K, 25.9.1941 als Delikte des »Vermögens«, in einem Fall der »Haltung«. 572 Entscheidung des HJ-Obergerichts gegen einen Gebiets-Verwaltungsleiter, in: Der HJRichter, F. 5, Febr. 1942, S. 8f. 573 StA Augsburg, HJ-Bann Günzburg, Nr. 19. 574 Antrag auf Ausschluss eines Detmolder HJ-Mitglieds, 27.5.1937, zitiert bei Pahmeyer/ Spankeren, S. 131. 575 Vernehmungsprotokoll der Gestapo, 12.3.1937, HStA Düsseldorf, RW 58-45 260, Bl. 5.

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individualistischer Jugendlicher, die sich der Organisation aus »Ichsucht« und »missverstandener persönlicher Freiheit« zu entziehen suchten, wurde antisemitisch identifiziert: »Wir kennen ja alle diesen Typ, der ›seine Zeit für sich hat‹, der im jüdischen Gigoli [sic] seinen sichtbaren Ausdruck findet«.576 Für die disziplinarische Gruppenahndung von kollektiv begangenen Straftaten von HJ-Mitgliedern steht ein politisch motivierter Einbruch. Der zwanzigjährige Oberschüler Heinz B., »schon seit Jahren in der Bewegung tätig«, wurde wegen erheblicher Sachbeschädigung in der Dinslakener Synagoge 1936 für die Dauer von zwei Jahren ausgeschieden.577 Gemeinsam mit einer größeren Gruppe, zu der u. a. vier weitere Hitler-Jungen und ein SA-Mann gehörten, war Heinz B. nachts in die Synagoge eingedrungen. Das zunächst angestrengte Strafverfahren wegen Gotteslästerung und der mutwilligen Beschädigung von Religionsgegenständen wurde jedoch aufgrund eines Amnestiegesetzes eingestellt, weil nach Ansicht des Gerichts »die Täter sich durch Übereifer im Kampfe für den nationalsozialistischen Gedanken zu den Straftaten haben hinreißen lassen«.578 Das Jugendgericht würdigte hier die Tatmotivation in einer politischen Eindeutigkeit, die der parteigerichtlichen Argumentation in nichts nachstand. Es blieb allein Sache der Disziplinargerichtsbarkeit, den Einbruch zu ahnden. Die Beteiligten wurden von ihren Führungspositionen abgesetzt und Ausschlussverfahren eingeleitet, die auf »sogenannte Zeitausschlüsse«, also Ausscheiden, erkannten. Die lapidare Bewertung dieses »Übereifers« in der Perspektive der HJ-Gerichtsbarkeit verrät B.s Warnkarte, die schlicht »Disziplinlosigkeiten« beklagt.

2.3.4 Delinquenz und politische Vorfälle Sieben Mitglieder einer des mehrfachen schweren Diebstahls überführten »Einbrecherbande« wurden im Oktober 1934 aus der HJ ausgeschlossen, unter ihnen der Elektrikerlehrling Albert B., der einen Einbruch in Uniform verübt haben sollte.579 Die Hitler-Jugend entfernte mit ihnen Mitglieder, die sich finanzieller Delikte außerhalb der Organisation schuldig gemacht hatten. Mit zwanzig Prozent der Ausschlussbegründungen schlägt sich Eigentumsdelinquenz als Hauptdeliktart von Jugendkriminalität nieder. Vorrangig lagen Diebstähle zu Grunde.580 576 Lokale HJ-Zeitung, 1934, zitiert bei Pallaske, S. 169f. 577 Personalberichtsbogen, HStA Düsseldorf, RW 58-10 096, Bl. 8, Bl. 2; BA Berlin, Warnkartei, Datensatz Nr. 36. 578 Schreiben des Landrates, Dinslaken, 26.5.1936, HStA Düsseldorf, RW 58-10 096, Bl. 4; Aktenvermerk, 24.7.1936, ebd., Bl. 20; Gesetz über die Gewährung von Straffreiheit vom 23.4.1936, RGBl. 1936, Teil I, S. 378; StGB §§ 166, 304. 579 HStA Düsseldorf, RW 58-2123. 580 Vgl. Tabelle 15.

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Im Sinne des Disziplinarrechtes wurden Delikte jedoch nicht formal, sondern nach ihrem Charakter beurteilt. Als die Pole einer solchen differenzierten Bewertung nannte Oberrichter John den gravierenden »Kameraden-Diebstahl«, dem der verzeihbare »Lausejungenstreich« eines gestohlenen Apfels gegenüberstand.581 Die Straf bescheide erkannten entsprechend eine »besonders verwerfliche Gesinnung« bei dem HJ-Führer Alfred A., der »sich nicht scheute, die eigenen Kameraden zu bestehlen,« und damit das Vertrauen zur Führerschaft untergrabe.582 Einer Unterschlagung hatte sich der ausgeschlossene Willy M. aus Grenzhausen schuldig gemacht. Er verschwand bei dem Auftrag, einen Scheck für seinen Arbeitgeber einzulösen, noch im Arbeitsanzug.583 Auch Wilhelm F. aus Essen wurde im Sommer 1935 von der Reichsjugendführung im Zusammenhang mit einem Diebstahl ausgeschlossen, »da F. auch sonst als Hitlerjunge nicht tragbar war«.584 Das konkrete Delikt diente in der disziplinarrechtlichen Gesamtbeurteilung als günstiger Anlass zur Entfernung. Die Hitler-Jugend entfernte diese Straftäter wegen der grundsätzlichen ›Ehrenrührigkeit‹ von Verbrechen aus ihren Reihen.585 Mit der Begründung ihrer »Ehrlosigkeit« wurden Vorbestrafte gar nicht erst aufgenommen. Tatsächlich orientierten sich – mit Ausnahme disziplinarischer Vergehen und sittlich-moralischer Bewertungen der »Haltung« – zahlreiche Ausschlussgründe sowohl an traditionellen wie an neuen, seit 1933 eingeführten Tatbeständen des Strafgesetzbuches. Unter ihnen findet sich mit dem Ausschluss von Heinz G. aufgrund eines Verstoßes gegen das »Autofallengesetz« auch ein Musterbeispiel der nationalsozialistischen rückwirkenden Gesetzgebung mit dem eindeutigen Ziel, für bestimmte Täter die Todesstrafe zu verhängen.586 Wenige Kapitalverbrechen sind in der Warnkartei dokumentiert, wie der Fall des neunzehnjährigen Arbeiters Hermann E., der nach seiner Verurteilung wegen Raubmordes »automatisch« ausgeschlossen wurde.587 Der fünfzehnjährige Oskar N. wurde wegen Diebstahls und des Raubmordes an seinen Eltern zunächst über die Überwachungsstruktur der Hitler-Jugend gesucht, bevor er im August 1935 581 John, S. 127; »Kameradendiebstahl« in 32 Fällen in der Warnkartei als Ausschlussgrund. 582 Ausschluss unter Aberkennung sämtlicher Dienstgrade des Alfred A., geb. 1918, 7.6.1940, auf Beschluss der RJF, Aktenvermerk 30.6.1942, HStA Düsseldorf RW 58-67 876, Bl. 4. 583 Vermisstenmeldung, VOBl. III/34, 26.9.1935, 5; BA Berlin, Warnkartei, Datensatz Nr. 2948. 584 Schreiben HJ Essen an Gestapo Essen, 21.9.1936, HStA Düsseldorf, RW 58-46 466, Bl. 3; Ausschluss am 25.8.1936, BA Berlin, Warnkartei, Datensatz Nr. 987. 585 Tetzlaff, Parteigerichtsbarkeit, S. 202f.; Unbescholtenheit verlangte bereits die Satzung der Hitler-Jugend e. V., Plauen, 27.11.1928, § 4. 586 Ausschluss des Heinz G., 3.3.1939, BA Berlin, Warnkartei, Datensatz Nr. 1305; Gesetz gegen Straßenraub mittels Autofallen, 22.6.1938, RGBl. 1938, Teil I, S. 651, rückwirkende Geltung ab 1.1.1936; für Jugendliche wurde offenbar von der Todesstrafe abgesehen, vgl. Gruchmann, Justiz, S. 897ff. 587 Ausschluss 2.9.1935, BA Berlin, Warnkartei, Datensatz Nr. 961; vgl. Tabelle 16.

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ausgeschlossen wurde.588 Vier junge Frauen im Alter von siebzehn bis 23 Jahren wurden wegen der Tötung ihrer unehelich geborenen Kinder aus dem BDM entfernt.589 Das Verbot der Abtreibung, als »Verbrechen wider das Leben« Straftatbestand seit 1871, wurde im Rahmen der rassistischen Bevölkerungspolitik – für »erbgesunde« und »arische« Frauen – scharf überwacht und zu volkspolitischer Bedeutung stilisiert.590 Mit fünfzehn Fällen ist auch dieses Delikt in der Kartei nur marginal vertreten. Sie speichert jedoch nicht nur junge Frauen, sondern auch mehrere Ärzte und einen Drogisten, die beruflich gegen StGB § 218 verstoßen hatten – unter ihnen den in der Reichsjugendführung tätigen Arzt Wilhelm Sch., der 1939 wegen »gewerbsmäßiger Abtreibung« zu einer mehrjährigen Gefängnisstrafe verurteilt worden war.591 Die hohe Bedeutung dieses Deliktes wird durch die gesonderte Registrierung als Kategorie in der Sammelveröffentlichung 1941 im Reichsbefehl deutlich. Mit 21 Fällen innerhalb von zwei Jahren hatte sich die Anzahl der Abtreibungsdelikte zudem signifikant erhöht. Auch diese Überwachung und Erfassung gliedert sich in die rassenpolitisch motivierte polizeiliche Verfolgung von individuellen Abtreibungsdelikten durch die »Reichszentrale zur Bekämpfung der Homosexualität und der Abtreibung« ein. Weitere Vergehen wie Wilderei, Grabschändung oder Selbstverstümmelung begründeten die disziplinarische Strafe in Einzelfällen. Häufiger erscheint noch verbotener Waffenbesitz, wie im Fall des achtzehnjährigen Hilfsarbeiters Johann Ludwig G. im Mai 1935.592 Im November 1934 hatte G. sich in HJUniform auf einer Banndienststelle im Raum Nürnberg als österreichischer Flüchtling gemeldet. Als der Bannführer ihn der Polizei übergab, um für ein Nachtquartier zu sorgen, verschwand er jedoch; war er doch unmittelbar zuvor wegen des unerlaubten Besitzes eines Schlagringes festgenommen und zu zwei Tagen Haft verurteilt worden.593 588 Warnung der RJF, VOBl. III/25, 4.7.1935, S. 7; BA Berlin, Warnkartei, Datensatz Nr. 3027. 589 StGB § 217; BA Berlin, Warnkartei, Datensätze Nr. 996, 2297, 3762 u. 4404; die Anzahl der Tötungen unehelicher Kinder durch ihre Mütter nahm im Nationalsozialismus zu. Bock, Zwangssterilisation, S. 127. 590 Trotz dieser Politik sanken faktisch die Verurteilungsziffern wegen Abtreibung in den Jahren des Nationalsozialismus im Vergleich zur Weimarer Republik um ein Sechstel. Zugleich führte das Sterilisationsgesetz eine medizinische, eugenische und ethische Indikation zur Abtreibung ein. Bock, Zwangssterilisation, S. 160f., 83 u. 94ff. 591 BA Berlin, Warnkartei, Datensätze Nr. 859, 1858, 1930, 3504 u. 3608; BDC Personalakten. Nach Übersendung der HJ-Warnkarte strengte auch die NSDAP ein Ausschlussverfahren an; vgl. Tabelle 17. 592 Vgl. Tabelle 18. 593 Warnung der RJF, VOBl. III/19, 23.5.1935, S. 7; BA Berlin, Warnkartei, Datensatz Nr. 1322.

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Dezidiert politische Vergehen und Auffälligkeiten machten Mitglieder eindeutig »untragbar«.594 Unter den Begründungen der Warnkartei sind Ausschlussgründe im Sinne einer politisch-ideologischen Orientierung und Begründungen, die eine grundsätzliche staatspolitische Bedeutung unterstellen, kaum gegeneinander abzugrenzen. Insgesamt machen diese Deliktgruppen lediglich drei Prozent aus. Die kargen karteilichen Zuschreibungen mit den Schlagworten der Überwachungsschriften der Reichsjugendführung ermöglichen keine Überprüfung dieser Gegnerwahrnehmung. Ein vollständigeres Bild für einige Fälle bieten die Gestapoakten aus dem Düsseldorfer Bestand. Ob beleidigende »Verächtlichmachungen« von Repräsentanten der NSDAP und des Staates oder deren »Verleumdung« sich gegen die Partei oder das Reich richteten, lässt sich – zumal im Fall der dualistischen Jugendführung – nicht unterscheiden. Das »Gesetz gegen heimtückische Angriffe auf Staat und Partei« kriminalisierte beide politischen Ehrenkränkungen.595 Auch ehemalige Mitglieder, die sich als Angehörige ausgaben, ihre Uniformen behielten, weiterhin trugen oder gar mutwillig beschädigten, wurden nach dem »Heimtücke«-Gesetz strafrechtlich verfolgt und mit mehrjährigen Gefängnisstrafen belangt.596 Neben den politischen Autoritäten unterlagen auch die Symbole der Parteiorganisationen strafrechtlichem »Ehrenschutz«, wodurch etwa das unberechtigte Führen von Ausweisen zur Straftat wurde.597 Als »politische Hochstapelei« sind solche »Schwindler« in die Kartei eingegangen. Vermutete oder wahrgenommene Distanz zum Nationalsozialismus hält die Kartei als »politische Unzuverlässigkeit« fest, deren Bezeichnungen von einer diagnostizierten »NS-Haltlosigkeit« bis zu »staatsfeindlichen Umtrieben« rangieren. Ein solches Verhalten konnte, wie in dem dargestellten Fall des Friedrich B. aus Essen, in kirchlichem Engagement bestehen, oder in der Entfernung eines Aushanges aus dem Schaukasten eines SS-Blattes und damit in der Störung eines breitenwirksamen Propagandainstruments.598

594 Vgl. Tabelle 19. 595 RGBl. 1934, Teil I, S. 1269f., §§ 1f. 596 Vgl. Strafantrag der Gebietsführung Niederrhein, Personalamt-Überwachung, 1.2.1938, gegen den 25-jährigen Heinrich C., der sich – als straf beurlaubter Fähnleinführer – als Scharführer ausgab; C. wurde vom Sondergericht Düsseldorf aufgrund § 4 des Gesetzes zu einer Haftstrafe von 2 Jahren verurteilt, HStA Düsseldorf, RW 58-31 338; das Verfahren wegen »Heimtücke« gegen Georg D., der sich nach seinem Ausschlusses in einer polizeilichen Vernehmung als HJ-Mitglied ausgab, wurde aufgrund einer Amnestie eingestellt, ebd., RW 58-16 594. 597 Kaufmann, Das kommende Deutschland, 1940, S. 24. Der »Ehrenschutz« wurde im nationalsozialistischen Rechtsdenken ausdrücklich als beispielgebend verstanden; vgl. Dahm, Ehre im Strafrecht, S. 418. 598 Ausschluss des 33-jährigen »Jugendsekretärs« Johannes P. aus Chemnitz, 23.1.1937, BA Berlin, Warnkartei, Datensatz Nr. 3253. Zur politischen Bedeutung von Schaukästen als breitenwirksame »Werkzeuge einer Auf klärung« Kaufmann, Das kommende Deutschland, 1943, S. 132.

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Karteivermerke der Hitler-Jugend bezeichnen auch die bekämpften und überwachten Gegnergruppen, doch diente die kriminalisierte Mitgliedschaft in einer verbotenen Organisation nur in geringem Maße offen als Ausschlussgrund. HJ-Oberrichter John hatte bereits 1935 angeordnet, bei Ausschlussanträgen die frühere Zugehörigkeit zu anderen Organisationen zu vermerken.599 Dennoch schlägt sich die kooperierende Überwachung von SRD und Gestapo, die »bündisch« orientierte Jugendliche seit 1934 als »Gefahr für die Jugend« begriff,600 in der Warnkartei explizit als »bündische Umtriebe«, »Zersetzungsarbeit« oder mit der Mitarbeit an einschlägigen, verbotenen Zeitschriften mit lediglich 36 Ausschlüssen von jungen Männern nieder. Mit den Jahren 1934/35 stammen sie aus dem Zeitraum, bevor die instrumentalisierte Strafpolitik über den Vorwand homosexueller Betätigung griff. In der Überwachungsarbeit wurde der Gegner »Bündische Jugend« nicht nur mit Homosexualität und Kriminalität identifiziert, sondern auch als kommunistische Unterwanderung gefürchtet. Auf dem »Umweg über die Kultur« werde die Jugend zum Kommunismus geführt, heißt es in einem typischen Kampfartikel, der gleichermaßen gegen bündisch wie katholisch organisierte Jugendliche hetzte.601 Wurde dem bündischen Gegner eine »weltfremde Flucht« und das »Fehlen einer gemeinschaftstiftenden Idee« vorgeworfen, unterstellte man der konfessionellen Jugendbewegung mit dem »1000jährigen und heute noch anhaltenden Ringen zwischen Staat und Kirche« einen offenen und durch seine Geschichtlichkeit quasi ewigen Machtkampf.602 Die Bedeutung des NS-Jugendverbandes als politische Ressource begründete die Stoßrichtung der Gleichschaltung: »Die Gewissheit, dass sich die nationalsozialistische Bewegung in wenigen Jahren ausschließlich aus den Mitgliedern der HJ zusammensetzen wird, gibt uns die Pflicht, unsere Reihen vor diesen Elementen zu schützen.« 603

Die Ausschaltung bündischen Einflusses in der gleichgeschalteten Organisation wurde nicht nur von der Reichsjugendführung mit einer politischen Motivation der betroffenen Jugendlichen gleichgesetzt. Auch die historische Jugendforschung, in der die Bündische Jugend als »prime target« der Hitler-Jugend gilt, folgte dieser Perspektive.604 Denn durch bewusste Übernahmen aus der 599 VOBl. III/18, 16.5.1935, S. 6. 600 Zum Konstrukt des Bündischen Jugendlichen aus Sicht der RJF, deren alltagskultureller Gruppenstil entweder als Anzeichen von »Verwahrlosung« oder Ausdruck politischer Opposition interpretiert wurde, Kenkmann, Wilde Jugend, S. 153–163. 601 Mögling, S. 17. 602 Heußler, S. 22ff. 603 Mögling, S. 19. 604 Stachura, German Youth Movement, S. 124; ähnlich Klönne und Hellfeld; auf Grundlage einer sozialstatistischen Überprüfung für das Rhein-Ruhr-Gebiet widerlegt Kenkmann, Wilde Jugend, S. 183, die These der Kontinuitätslinie von den Bündischer Gruppen der Weimarer Zeit zu den informellen Gruppen der 1930/40er Jahre.

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Alltagskultur der Jugendbünde wirkte der Einheitsverband trotz der massiven Propaganda und Überwachung geradezu als »Transmissionsriemen des ehemals bündischen Formenensembles«.605 Tatsächlich diente die Beschreibung »bündisch« zwischen 1937 und 1941 als dominierende Außenzuschreibung für jugendliche Angehörige einer spezifischen Jugendsubkultur im großstädtischen Arbeitermilieu.606 Zunächst mit »Verwahrlosung« und Disziplinlosigkeit begründet, verfolgten Ausschlussverfahren der Hitler-Jugend im Rhein-RuhrRaum ab Februar 1936 zunehmend »bündische Gesinnung«, die auf Meldungen des Streifendienstes beruhten.607 Außer der Zugehörigkeit in verbotenen Jugendgruppen als »Weiterführung illegaler Organisationen« führten Verstöße gegen das Verbot der »Doppelmitgliedschaft« in der Hitler-Jugend und einer katholischen Jugendgruppe zum Ausschluss. Vor einem Mitglied des Katholischen Jungmännervereins (KJMV), dem größten katholischen Jugendverband, warnte die Kartei bereits 1935 wegen seiner »Spionage« für diese Konkurrenzorganisation. Die Mitgliedschaft war zu diesem Zeitpunkt noch legal.608 Kontakte oder Sympathien mit der illegalen KPD wurden entweder direkt oder in der juristischen Wertung als Hochverrat benannt. So begründete der Vorwurf der »Vorbereitung zum Hochverrat« den Ausschluss von Heinz V.609 Der siebzehnjährige Brotfahrer war neben seiner Mitgliedschaft in der Marine-HJ in Essen zugleich im verbotenen Kommunistischen Jugendverband (KJVD) aktiv. Mit dem Vorwurf, Handzettel mit dem klassenkämpferischen Aufdruck »Jungarbeiter kämpft gegen den Steuerraub, steigert den Kampf bis zum Streik« geklebt zu haben, wurde er im Februar 1935 festgenommen. Als Hoch- oder Landesverrat wurden auch ein Versuch der »Wehrpflichtentgehung«, offenbar durch einen Grenzübertritt, oder das »Eisenbahn-Attentat« eines neunzehnjährigen Landarbeiters bewertet.610 Wegen zweimaliger Flucht nach Belgien wurden drei fünfzehn- und sechzehnjährige Hitler-Jungen aus einem Düsseldorfer HJ-Haus im Sommer 1935 unter Spionageverdacht gestellt. Seit Juni in den Amtsblättern der Reichsjugendführung wiederholt gesucht, wurden Karl Z., Josef H. und Joachim Sch. im Juli von der belgischen Polizei aufgegriffen und in eine Erziehungsanstalt gebracht. Dadurch standen sie in Deutschland »in dringendem Verdacht der Polizei in Belgien unwahre Angaben über die deutschen Verhältnisse gemacht 605 Kenkmann, Wilde Jugend, S. 357. 606 Ebd., S. 356. 607 Zitiert ebd., S. 78. 608 Ausschluss von Rolf H. aus Beckum, BA Berlin, Warnkartei, Datensatz Nr. 3460. 609 Begründung in BA Berlin, Warnkartei, Datensatz Nr. 4312, Ausschluss am 10.7.1935; abweichend datiert HJ Essen 31.1.1936, HStA Düsseldorf, RW 58-31 061, Bl. 21; u. RW 5836 208. 610 Ausschlüsse von Rudolf N., 7.7.1936, BA Berlin, Warnkartei, Datensatz Nr. 3060; Walter P., 7.2.1939, Datensatz Nr. 3254. Der Hintergrund des Attentats war nicht zu verifizieren.

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zu haben«, denn zwei Tageszeitungen hatten berichtet. In einem Interview in der flämischen »De Morgenpost« äußerte Karl Z. seine Angst vor dem nationalsozialistischen Regime und dem bei Heimkehr drohenden Hochverratsprozess.611 Nach der Rückkehr der drei Jungen, die sich über zwei Jahre hinzog, kam die Gestapo zu dem Ergebnis, es handelte sich um die »Verbreitung von Greuelmärchen«, nicht jedoch um eine spionagepolitische Angelegenheit.612 Auch das Verfahren wegen ihnen zur Last gelegter Diebstähle wurde – aufgrund ihres Alters – eingestellt.613 Wegen »Diebstahl, Flucht und Greuelpropaganda« waren die Jungen bereits im September 1935 in Abwesenheit aus der HJ ausgeschlossen worden.614 Neben der Bewertung der Öffentlichkeitswirkung macht dieser Fall auch die Funktionalität der zusammenwirkenden Disziplinartechniken deutlich: Aufgrund der verbundenen Vermisstenmeldungen von Hitler-Jugend und Polizei wurden die drei Gesuchten im Juni 1935 zunächst gestellt und der Düsseldorfer HJ zugeführt. Allerdings konnten sie aus einem Kellerraum, in dem sie dort offenbar drei Tage lang eingesperrt wurden, erneut entweichen und sich nach Belgien absetzen. Wie das Konstrukt des bündischen Gegners beruhte das aus der NSDAP übernommene Feindbild der »Freimaurer«615 ebenfalls auf einer antisemitischen Identifikation und irrationalen Angst vor Unterwanderung: »Beseitigen wir die Freimaurerei, so treffen wir den Juden!«616 erläuterte die HJ-Führerzeitschrift »Wille und Macht« die Stoßrichtung, die sich in der Warnkartei mit mehreren Vermerken niederschlägt.617 Hier finden sich vier Hitler-Jungen zwischen fünfzehn und 21 Jahren, die sich von der Fremdenlegion anwerben ließen, unter ihnen Heinrich B. aus Essen. Ein Grenzübertritt ohne Pass bot Anlass zu Ermittlungen wegen Landesverrats gegen den Elektrikerlehrling, als der polizeilich Gesuchte im Juni 1936 bei der Rückkehr aus der Schweiz in Lörrach gestellt wurde.618 Es war nicht die erste unerlaubte Reise des siebzehnjährigen 611 VOBl. III/22, 13.6.1935, S. 5f.; Vermisstenmeldung VOBl. III/25, 4.7.1935; HStA Düsseldorf, RW 58-47 397, 11.7.1938, Bl. 2. Eilschreiben der Deutschen Gesandtschaft an Auswärtiges Amt Berlin, 1.7.1935, ebd., Bl. 4; »De Morgenpost«, 1.7.1935, Bl. 33, mit deutscher Übersetzung. 612 Vermerk, 10.5.1938, HStA Düsseldorf, RW 58-47 397. 613 Vermerk 12.7.1938, ebd., Bl. 50f. 614 Mitteilung HJ Gebiet 10, Düsseldorf, 4.10.1935, ebd., Bl. 11; Josef H. mit Begründung »Hehlerei, Flucht«, BA Berlin, Warnkartei, Datensatz Nr. 1847; Joachim Sch. mit Begründung »Diebstähle, Flucht«, Datensatz Nr. 3760. 615 Gleichfalls bemüht bei Schmitt, Staat, Bewegung, Volk, S. 28. 616 L., Die Freimaurerei, S. 21. 617 Vgl. z. B. Ausschluss des Korvettenkapitäns Karl K., geb. 1883, 15.10.1935, BA Berlin, Warnkartei, Datensatz Nr. 2214; Vermerk »Aufnahme abgelehnt, Freimaurer, RL v. 16.4.40« auf Warnkarte von Hans Heinrich B., ausgeschlossen bereits 30.6.1934, Datensatz Nr. 413. Die Karten entstanden vermutlich in Zusammenhang mit Parteiaufnahmeverfahren. 618 HStA Düsseldorf, RW 58-12 568, hier Gestapo Karlsruhe, 9.7.1936, Bl. 1.

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Jungscharführers. Bereits zwei Mal hatte ihn in jenem Jahr die »Wanderlust« gepackt, wie er in der Vernehmung angab; nachdem sein Versuch, »zur See zu fahren«, einmal bereits in Bremerhaven endete, gelangte er schließlich bis nach Marseille. Er wurde von der Fremdenlegion angeworben, verließ aber das Sammellager. Da er in Frankreich »über die Organisation der Hitlerjugend und den Straßenbau in Deutschland« mehrfach vernommen worden war und Auskünfte über den Auf bau des Jungvolkes gegeben hatte, galt der »geistig aufgeweckte« Junge der Gestapo als »Gefahr für das Wohl des Deutschen Reiches«,619 denn es sei »mit Bestimmtheit anzunehmen, dass der Jugendliche infolge seines Zusammentreffens mit dem französischen Nachrichtendienst bestimmte Aufträge erhalten hat. Wichtige staatspolitische Interessen erscheinen gefährdet, wenn der Jugendliche auf freien Fuß gesetzt wird.« 620 Aufgrund mangelnden Materials wurde kein Gerichtsverfahren angestrengt, sondern lediglich ein disziplinarisches, das auf Ausschluss erkannte.621 Die vertrauliche Anfrage des Werkschutzes der Firma Krupp bei der Essener Gestapo im Juni 1938, ob gegen eine mögliche Einstellung B.s im Kraftwagenbau »Bedenken« bestünden, dokumentiert zugleich den Gebrauch der Disziplinartechnik von Auskunft und Warnung durch privatwirtschaftliche Firmen. Die postwendende Antwort erklärte Heinrich B. aufgrund seiner Vorgeschichte als »unzuverlässig«.622 Auf einer Reise nach Prag geriet der Lehrling Aloys Arnold C. aus Duisburg am 1. Mai 1937 in eine verschärfte Personenüberprüfung an der Grenze zur Tschechoslowakei.623 Da die Gestapo einen »Roten Aufmarsch« erwartete, wurde er verdächtigt, »den reichsdeutschen Staatsfeiertag meiden zu wollen«. Eine »staatsfeindliche Haltung« konnte ihm jedoch nicht nachgewiesen werden.624 Im folgenden Jahr fiel C. erneut an der Grenze auf; diesmal wollte er über Russland in den Iran reisen. Wie zuvor die Dresdner fragte nun die Berliner Gestapo eilig in Düsseldorf nach der verdächtigen Person und erhielt Auskunft über die Straf- und Disziplinarverfahren der HJ.625 Auch hinter dem Ausschluss von Andreas B. und Heinrich A. aus Neuenhausen stand mit einem »Sabotageakt« eine Tat, die von der Gestapo zunächst 619 Geheimes Protokoll der Gestapo Lörrach, 29.6.1936, ebd., Bl. 2–12. 620 NSV Essen an das Städtische Jugendamt mit Antrag auf vorläufige Unterbringung, 14.7.1936, ebd., Bl. 14ff. 621 BA Berlin, Warnkartei, Datensatz Nr. 533. 622 Anfrage 21.6.1938, Antwort 23.6.1938, HStA Düsseldorf, RW 58-12 568, Bl. 8. 1937 hatte B. als landwirtschaftlicher Arbeiter die Reichsführerschule der Hitler-Jugend in Remagen aus »Interesselosigkeit« für die Arbeit verlassen. 623 Ausschluss am 5.2.1937 wegen homosexuellen Vergehens und der Verurteilung zu einer Gefängnisstrafe von 6 Monaten; HStA Düsseldorf, RW 58-53 645; BA Berlin, Warnkartei, Datensatz Nr. 634. 624 Aktenvermerk Gestapo Düsseldorf, 29.5.1937, ebd., Bl. 19. 625 Telegramm, 2.5.1938, an Gestapo Düsseldorf, ebd., Bl. 20; Antwort per Fernschreiben, Bl. 21.

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auf ein politisches Motiv hin überprüft wurde. Die beiden sechzehn- und siebzehnjährigen Arbeiter hatten im Mai 1935 die Schaltanlage eines Transformatorhäuschens zerstört. Der erzeugte Kurzschluss unterbrach die Stromversorgung für zehn Ortschaften in der Umgebung Grevenbroichs, so dass hier (und in der nahe gelegenen Gauführerschule) eine »Führerrede« nicht zu empfangen war. Die Gestapo Düsseldorf, die einen Täter aus »kommunistischen Kreisen« suchte, ermittelte um Andreas B. und Heinrich A. eine Gruppe von Jungen zwischen elf und siebzehn Jahren als Täter. Da ihnen kein einschlägiges Motiv nachzuweisen war, endeten die Ermittlungen mit der Einschätzung als »Jugendstreich«. Das Strafverfahren wurde eingestellt, die Jungen »ernstlich« verwarnt und Ende 1935 aus der Hitler-Jugend ausgeschlossen.626 Jugendliche wurden auch ausgeschlossen, wenn sie Kontakte mit Juden pflegten und damit gegen die zunehmend gesetzlich fixierten Verbote sozialer und wirtschaftlicher Beziehungen verstießen, wie die sechzehnjährige Gerda H., die »trotz Verwarnung freundschaftl. Verkehr mit Juden« unterhalten hatte,627 oder Hans H., der sich von einem jüdischen Arzt behandeln ließ.628 Nach einer Anweisung für die NSDAP umfasste der Parteiausschlüsse begründende Terminus »Umgang mit Juden« neben der Rechtsvertretung, einer allgemeinen »Fürsprache« und der Annahme von Parteispenden auch den allgemeinen »Verkehr mit Juden in der Öffentlichkeit und in Lokalen«.629 Die »rassepolitische Schulung«, die diese Verhaltensgrundsätze vermittelte, war seit Anfang 1934 ein zentraler thematischer Bestandteil der Heimabende in BDM und HitlerJugend. Als Multiplikatoren wie künftige Parteigenossen richtete sich die Indoktrination hauptsächlich an die Führerschaft.630 Zu den dezidiert rassistischen Begründungen von Entfernungen aus dem Jugendverband gehören auch erbbiologische Kriterein. Mit marginalen Anteilen – siebzehn Entfernungen wegen psychischer Erkrankungen oder vermuteter erbbiologischer Belastung, 25 aufgrund angeordneter oder bestehender, auch kurzzeitiger Fürsorgeerziehung 631 – fallen diese wenigen Fälle aus den Jahren 1934 bis 1938 in der Warnkartei nicht ins Gewicht. Im Sonderdruck 626 HStA Düsseldorf, RW 58-62 349. 627 Ausschluss am 2.11.1936, BA Berlin, Warnkartei, Datensatz Nr. 1482. 628 Ausschluss am 16.3.1936, ebd., Datensatz Nr. 1499. 629 Anordnung des Stellvertreters des Führers, A 35/34, 16.8.1934, zitiert bei Nolzen, Parteigerichtsbarkeit, S. 978, Anm. 68; Tetzlaff, Parteigerichtsbarkeit, S. 204; vgl. Block, S. 182. 630 Verantwortlich war das Referat Rassenpolitik im HJ-Amt für weltanschauliche Schulung. Vgl. Buddrus, Zum antijüdischen Rassismus, S. 14ff. 631 Vgl. den Fall der Landarbeiterin Hildegard L., geb. 1919, Ausschluss 23.9.1935 wegen »Fürsorgeerziehung«, die nach »kleinen Gelddiebstählen« von ihrem Arbeitgeber, einem Gastwirt, auf dem Fahrrad verschwunden war, BA Berlin, Warnkartei, Datensatz Nr. 2607; Warnung der RJF, VOBl. III/25, 4.7.1935, S. 7; sowie Ausschluss von Heinz V. nach Anordnung von zwei Monaten Fürsorgerziehung aufgrund eines Fahrraddiebstahls; HStA Düsseldorf, RW 58-16 853, Bl. 3; vgl. Tabelle 3.

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des Reichsbefehls von 1941 bildeten sie keine eigene Kategorie mehr. Offenbar hatte sich die organisatorische Ordnung der Hitler-Jugend mit ihren automatisierten Meldeverbindungen zu Polizei, Jugendpflege und Justiz zu diesem Zeitpunkt so gefestigt, dass nachträgliche Korrekturen der Mitgliedschaft nicht mehr notwendig waren und dank des Warnsystems bereits die Aufnahmevorschriften die gewünschte »Sauberhaltung der Hitlerjugend« 632 bewirkten. Die Kategorien der Warnkartei setzten damit das rassistische Recht der NSDAP um, das mit dem Kontaktverbot eine »Rassen«-Trennung im sozialen Raum durchsetzen wollte.633 Mit den »Unterwanderungsphantasien«634 der Massenorganisationen, wie sie in Bezug auf die Minderheitengruppen und die gefürchteten Homosexuellen aus der Disziplinarpolitik sprechen, zeigt sich hier auch die Präsenz einer rassistischen Denkfigur, die von einer Wertminderung der Gemeinschaft durch eindringende Fremdkörper ausging und daher jedes Mittel der Bekämpfung rechtfertigte.635

2.3.5 Strafen als symbolischer Ausschluss Die Auswertung der Begründungen der Warnkartei und der exemplarischen Fälle ihrer Straf- und Entfernungspraxis zeigt, dass die Hitler-Jugend mithilfe der Disziplinarstrafe – im Zusammenwirken mit den Regelungen zur Aufnahme – eine klare Ordnungsvorstellung der gewünschten nationalsozialistischen Gesellschaft durchsetzte. Als »unehrenhaftes« Verhalten bedrohte jede strafrechtliche Übertretung – sittlicher wie materieller Normen – ihrer Mitglieder das Prestige der Gliederung, ihre Glaubwürdigkeit und Identifikationskraft. Interne Disziplinlosigkeiten oder Veruntreuungen gefährdeten nicht nur die Aufrechterhaltung des Dienstbetriebes, indem sie die Autorität des Führers der Einheit untergruben und die materielle Basis des Verbandes schädigten. Ereigneten sie sich auf etwa Märschen oder bei Sammlungen in der Öffentlichkeit, konnten sie den Eindruck wecken, die Hitler-Jugend könne sich nicht selbst disziplinieren. Indem sie nicht nur Vorbehalte bei misstrauischen oder ablehnenden Eltern verstärkten, sondern auch Kompetenzwünsche konkurrierender Instanzen, gefährdeten sie mit dem Prestige auch die Souveränität der Organisation. Denn zumal gegenüber dem Organisationsgefüge der Partei stand die Hitler-Jugend unter dem Beweisdruck, ihre Aufgabe der Jugenderfassung und -mobilisierung – im Rahmen kooperativer Vereinbarungen – selbständig durch632 RJF, John, an Reichsjustizministerium, 14.3.1936, BA Berlin, R 3001/alt R 22/1174, Bl. 286. 633 Vgl. dazu Essner, S. 233. 634 Meyer, S. 259. 635 Vgl. aus den Schulungsmaterialien der Hitler-Jugend exemplarisch die Darstellung des Leiters des Rassenpolitischen Amtes der NSDAP, Groß, S. 23.

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führen zu können. Im Einzelnen oft ideologisch motiviert und begründet, folgten die Ausschlüsse dem Interesse der Jugendbehörde an der Aufrechterhaltung ihrer eigenen Ordnung als neuer Erziehungsträger. Strafen diente zum einen der Durchsetzung des eigenen Monopols gegenüber konkurrierenden Einflüssen, zum anderen der Durchsetzung einer klaren Ordnungsnorm. Die einen Ausschluss begründenden Kriterien der »Warnkartei« benennen in den kämpferischen Formeln der Überwachungspropaganda Verhaltensformen, die den nationalsozialistischen Ordnungsanspruch im Jugendverband selbst in Frage stellten und Störpotential für die zeitlich anschließenden Ordnungen von Arbeitsdienst, Wehrmacht und Partei bedeuteten: Homosexualität, Abtreibungen und Kontakte mit Juden unterliefen die rassenpolitischen Ziele, Eigentumsdelinquenz gefährdete die materielle Gesellschaftsordnung. Die Begründungen der Disziplinarstrafe skizzieren Gegenentwürfe zur beabsichtigten Jugenderziehung. Die Liste der Vergehen, für die sie verhängt wurde, ergänzt sich zu einem Katalog der Schwachstellen des Systems bzw. dessen, was in den eigenen Reihen nicht toleriert wurde und, gemessen am eigenen Anspruch, nicht mehr korrigierbar erschien: Neben den Anlässen krimineller und sexueller Devianz, der unmittelbaren oder indirekten Schädigung der Organisation durch Dienstvergehen, Disziplinlosigkeiten oder eine fehlende Vorbildfunktion wurden die Jugendlichen als »Störer der Gemeinschaftsordnung« 636 ausgeschlossen, die wiederholt auffällig wurden und auf Disziplinarmittel nicht reagierten. In der Praxis bildeten ältere Hitler-Jungen eine Kerngruppe. Die negative Umschreibung lässt nicht nur eine Definition des gewünschten Jugendlichen erkennen, sondern auch die Sozialordnung des Nationalsozialismus. Der Ausschluss aus der Jugendorganisation erscheint als Ort und Mittel der »Auslese« für die »Volksgemeinschaft«. Das Disziplinarsystem der HitlerJugend mit der Kernfunktion des Ausschlusses folgt dem »Erziehungsanspruch« für diese Gemeinschaft, wobei die Strafe die Schnittstelle von Integration und Ausgrenzung innerhalb der Jugendorganisation markiert. Die, gemessen an der Anzahl der Mitglieder insgesamt marginalen, Ausschlusszahlen, die bis 1939 in der Warnkartei nachweisbar sind, stehen für das Konzept einer Disziplinierung der Masse durch die Bestrafung einer kleinen Minderheit. Die Gruppendisziplinierung, durch die als »erzieherisch« verstandenen »Ehrenstrafen« mit Bewährungsmöglichkeit innerhalb des Verbandes vollzogen, wurde durch eine klare Ausgrenzung der Ausgeschlossenen unterstützt. Zu der realen sozialen Trennung der Jugendlichen kam die symbolische Aufladung hinzu. Für diesen Ordnungsmechanismus ist die Kategorisierung selbst entscheidend, die ein hierarchisches Herrschaftssystem aufgrund einer Wertzuweisung etablierte. In der rassistischen Fundierung der Begriffe von »Ehre« und »Gemeinschaft« wie in der »rassenhygienischen« Perspektive, eine Ausbreitung von Devianz 636 Klemer, Jugendstrafrecht, S. 49.

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durch Isolation unterbinden zu müssen, wird die rassenpolitische Einbindung des Ausgrenzungsmechanismus deutlich – auch wenn die Ausschlussbegründungen selbst nur zum Teil rassistisch sind. Im Disziplinarmechanismus der Hitler-Jugend bildete sich die paradoxe Figur der strafweisen Entfernung aus der auf möglichst vollständige Erfassung angelegten Organisation die Struktur der »Volksgemeinschaft« ab. Gerade das weiche disziplinarrechtliche Instrumentarium ohne feste Rechtssätze ermöglichte, Abweichungen von der gewünschten »Haltung« subtil zu registrieren und die konkrete Ausgrenzungspraxis im Rahmen einer klaren ideologischen Orientierung flexibel zu handhaben. In der weitgehenden Imitation einer staatlichen Gerichtsbarkeit in Organen und Verfahrensweisen wurde neben den eigenen Symbolwelten der nationalsozialistischen »Bewegung« und der Kultur der Jugendverbände auch das psychologische und symbolische Gewicht rechtlicher Ordnungsetzung genutzt, um den Ausschluss mit einer über die Organisation hinausgehenden Bedeutung aufzuladen.

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Teil III Radikalisierung der Jugenddisziplinierung

1939 trafen zwei grundlegende Veränderungen der Rahmenbedingungen für die Jugendorganisation zusammen. Der lange hinausgezögerte Erlass der Durchführungsverordnungen zum »Gesetz über die Hitler-Jugend«, den Hitler sich persönlich vorbehalten hatte, verpflichtete alle »arischen« Jugendlichen im Hitler-Jugend-Alter gesetzlich zur Mitgliedschaft – zu einem Zeitpunkt, als die Regelung in der Öffentlichkeit schon nicht mehr erwartet worden war.1 Nach dieser Einführung der »Jugenddienstpflicht« im März zog auch die Zäsur des Kriegsbeginns im September des Jahres entscheidende Konsequenzen für den Verband und sein Disziplinarwesen nach sich. In der Disziplinarpolitik zeichnet sich die strukturelle Wende durch verschiedene Strategien der Ausweitung, Verlagerung und Kooperation ab. In ihnen werden die Dynamik und Flexibilität der disziplinarischen Ordnungsprozedur erkennbar.

1 Dienstpflicht und Kriegseinsatz 1.1 »Jugenddienstpflicht« und Dienstpflicht für Minderheiten Mit der »Jugenddienstpflicht« trafen zwei Durchführungsverordnungen am 25. März 1939 erst die eigentliche Bestimmung des 1936 erlassenen Hitler-Jugend-Gesetzes.2 Sie führten eine formale Unterscheidung zwischen einer »allgemeinen« Hitler-Jugend der Jugenddienstpflichtigen und einer »Stamm-Hitler-Jugend« als Gliederung der Partei ein. Da der Dienst in denselben Einheiten stattfand, bezog die Unterscheidung sich ausschließlich auf den Status des jeweiligen Mitglieds.3 Während durch die Zwangsmitgliedschaft ihrer Bezugsgruppe die staatliche Funktion des Einheitsjugendverbandes ausgebaut wurde, wertete die Binnendifferenzierung intern die Parteifunktion auf. Denn nur 1 Von der Zeitzeugin Erika Mann daher 1938 als reine Propaganda gedeutet, Mann, S. 138. 2 1. DFVO zum Gesetz über die Hitler-Jugend (Allgemeine Bestimmungen); 2. DFVO (»Jugenddienstverordnung«), §§ 1–2, RGBl. 1939, Teil I, S. 709–712 u. ANBl. Sonderdruck 2/39, 6.4.1939, S. 1–8. Vgl. Ramm, S. 43. 3 Vgl. Kaufmann, Das kommende Deutschland, 1943, S. 40.

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aus der »Auslese der politisch aktiven Jugend« sollte die zukünftige Führerschaft rekrutiert werden. Wer zum Stichtag des 20. April 1938 – der Geburtstag Adolf Hitlers war der offizielle Aufnahmetag – zur Hitler-Jugend gehörte, galt als »freiwilliges« und politisch interessiertes Mitglied,4 obwohl diese Klassifizierung die gleichermaßen »zwanghafte wie suggestive«5 Werbungs- und Übernahmepraxis der Reichsjugendführung seit 1933 verschleierte. Die Mitglieder der neuen »Pflicht-Hitler-Jugend« wurden hingegen als Mitläufer angesehen, »die mit ihrer Zugehörigkeit zur Hitler-Jugend keine politische Überzeugung vertreten«.6 Bei Bewährung sollten Pflichtmitglieder zwar in die »Stamm-Hitler-Jugend« übernommen werden, konnten jedoch »im Falle ihres Versagens« wieder in die allgemeine Hitler-Jugend und damit in die Masse der Opportunisten zurückgestuft werden.7 Dieses als »Abart der Degradierung« geplante neue Disziplinarmittel der »Zurückweisung« wurde nicht in die Strafordnungstexte aufgenommen.8 Es verdeutlicht jedoch, dass die Disziplinarordnung die Jugendlichen hinsichtlich ihrer politischen Eignung differenzierte. Im Frühjahr 1940 sollte die Dienstpflicht durch den Einzug aller zehnjährigen Mädchen und Jungen erstmals umgesetzt werden.9 Administrativ konnte sie aber erst 1943/44 realisiert werden.10 Nun waren ihre Wirkungsmöglichkeiten durch die Bedingungen des »totalen Krieges« eingeschränkt, so dass die angestrebte »totale Erfassung« der Jugendgeneration faktisch nie durchgesetzt wurde. Ihr Geltungsbereich wurde lediglich sowohl räumlich als auch hinsichtlich des Personenkreises sukzessive erweitert: Zunächst wurde das »Jugenddienstrecht« in den annektierten Ländern des »Großdeutschen Reiches« eingeführt,11 4 1. DFVO zum Gesetz über die Hitler-Jugend, § 2; Ruckdäschel, 16. 5 Klönne, Jugendprotest, S. 528. 6 RJF/Personalamt-Überwachung (Hg.), Cliquen- und Bandenbildung unter Jugendlichen, Berlin: September 1942, BA Berlin, R 22 alt/R 3001/1177; zitiert wird die Edition eines Entwurfes in: Peukert, Edelweißpiraten, S. 160–229, mit Seitenzahlen der Edition als: RJF/P-Ü, Cliquen- und Bandenbildung, hier S. 168. 7 Kaufmann, Erläuterungen, S. 214. 8 Ebd., S. 221; auch bei Klemer, Jugendstrafrecht, S. 60 u. 92. 9 Erfassungserlasse des JFdDtR über die pflichtmäßige Heranziehung der Jahrgänge 1929– 31 und des Jg. 1923 vom 30.11.1939, ANBl. VII/16, 5.12.1939, S. 1f.; 20.4.1940, ANBl. III/6, 10.5.1940, S. 52–57; 4.12.1940, ANBl. VIII/17, 21.12.1940, S. 163–165; Erfolgsmeldung bei Randel, Jugenddienstpflicht, S. 7. 10 Die ältere Forschung geht mit Klönne, Jugend, S. 37f., auf Grundlage der Absichtserklärungen der RJF von der Realität des Pflichteinzuges der Jahrgänge der Zehnjährigen ab April 1940 aus; dagegen zeigt Buddrus, Totale Erziehung, S. 250–304, dass zunächst Planungsfehler, dann Führermangel die Umsetzung verhinderten, bis 1943 eine gebietsweise Einführung den Gebietsführern anheim gestellt wurde. So auch bereits Rüdiger, Der Bund Deutscher Mädel, S. 72. 11 Verordnung über die Einführung der Gesetzgebung über die Hitler-Jugend in den Reichsgauen der Ostmark und im Reichsgau Sudetenland, 18.6.1941, RGBl. 1941, Teil I, S. 321; BA Berlin, R 43/II/514, Bl. 118; trotz des späteren Erlasses in Österreich »faktisch« im Sommer 1938 eingeführt, vgl. Gehmacher, S. 454; Gesetz über die Wiedervereinigung des Memellandes mit dem

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anschließend in den während des Krieges besetzten Gebieten.12 Trotz des auf Vollständigkeit zielenden Erfassungsanspruches und der erheblichen propagandistischen und logistischen Anstrengungen zu seiner Umsetzung gelang es einzelnen Jugendlichen, zumal in den Städten, sich der Verpflichtung dauerhaft zu entziehen, etwa wenn bei Ummeldungen etwas »behördenmässig« schiefging.13 Der lückenhafte Zugriff auf diese »unruhigen Elemente« wurde in den internen Berichten der Reichsjugendführung offen thematisiert.14 Dennoch versuchte sie, eine uneingeschränkte Geltung der staatlichen Dienstpflicht durchzusetzen und unterstrich den offiziellen Anspruch mithilfe des Disziplinarsystems. Die Dynamik der ubiquitären Erfassungsbestrebungen findet besonders sinnfällig Ausdruck in der temporären Verpflichtung von »rassischen Mischlingen«. Damit wurde eine Gruppe von Jugendlichen, die Mitte der 1930er Jahre durch Verweigerung der Aufnahme ausgeschlossen worden war, in die nationalsozialistische Jugendorganisation einbezogen. Die Dienstpflicht galt für alle Kinder und Jugendlichen zwischen zehn und achtzehn Jahren mit der – in Analogie zur Wehrpflicht – nationalen und »rassischen« Einschränkung der Staats- und Volksangehörigkeit.15 »Jüdische Mischlinge, sofern sie nicht als Juden gelten«, und farbige deutsche Staatsangehörige waren nunmehr dienstpflichtig, doch konnten »Aussehen, Charaktereigenschaften usw.« in Einzelfällen eine Befreiung von der Zugehörigkeit nahe legen.16 Als Beispiel solcher »unerwünschten Elemente« galt etwa ein »negroider Mischling«.17 Diese Erweiterung der Zielgruppe auf äußerlich und im Verhalten konforme »Mischlinge« bediente sich der graduellen Differenzierung von Abstammungsverhältnissen des 1935 erlassenen »Reichsbürgergesetzes« und wurde über die rechtliche Konstruktion der staatlichen Dienstpflicht gerechtfertigt.18 Nach den »Nürnberger Gesetzen« als jüdische Kinder und Jugendliche Definierte waren Deutschen Reich, 23.3.1939, RGBl. 1939, Teil I, S. 559f., § 4; unveröffentlichte Erlasse des JFdDtR über die vorläufige Regelung der Aufnahme in die HJ im Protektorat Böhmen und Mähren, in Luxemburg, im Elsaß und in Lothringen, 14.1.1941 und 8.3.1941, VHB, Bd. II, S. 200f. 12 Gesetz über Wiedervereinigung der Freien Stadt Danzig mit dem Deutschen Reich, 1.9.1939, RGBl. 1939, Teil I, S. 1547f., § 4; Erlass zur Durchführung der Wiedervereinigung der Gebiete Eupen, Malmedy und Moresnet mit dem Deutschen Reich, 23.5.1940, RGBl. 1940, Teil I, S. 803f., § 3, Abs. 1; Meldung über Einführung der Jugenddienstpflicht in Norwegen, in: DJD, Jg. 36, 1942, S. 69f.; Verordnung über Einführung der Gesetzgebung über die Hitler-Jugend in den eingegliederten Ostgebieten, 3.11.1943, RGBl. 1943, Teil I, S. 631f., § 1; BA Berlin, R 43/II/514, Bl. 149. 13 Vgl. exemplarisch Interview mit D., Jg. 1925, in: Sedlaczek, S. 297–321, S. 304f. 14 RJF/P-Ü, Cliquen- und Bandenbildung, S. 164 (Zitat); JFdDtR, Kriminalität der Jugend, S. 128f., 132, 137 u. 188f. 15 Randel, Jugendrecht I, S. 156. 16 Ebd., S. 157. 17 Randel, Heranziehung, S. 68. 18 1. Verordnung zum Reichsbürgergesetz vom 15.9.1935, 14.11.1935, RGBl. 1935, Teil I, S. 1333f., §§ 2, 5. Der hier geschaffene graduelle Judenbegriff lag allen späteren antijüdischen Maßnahmen zu Grunde, vgl. Essner, S. 18.

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durch die »blutmäßigen Anforderungen« ausgeschlossen, während »Mischlinge ersten Grades« gegenüber der vorherigen prinzipiellen Ausgrenzung zwischen März 1939 und Oktober 1941 im NS-Jugendverband dienstpflichtig wurden.19 Ein solcher Jugenddienstpflichtiger war Rudolf B. aus Düsseldorf, in den Gestapoakten als »kath. Mischling 1. Grades« klassifiziert. Ab November 1940 gehörte der getaufte Sohn eines Juden zur »Gruppe Pflicht-HJ« eines Düsseldorfer Banns. Der Schüler wurde 1942 mit einer Verwarnung aktenkundig, da er, so das Gestapo-Protokoll, das »Gerücht verbreitet [habe], daß die aus Düsseldorf evakuierten Juden im Osten alle von Soldaten erschossen würden.« Im Folgejahr wurde der wegen einer Liebesbeziehung denunzierte Rudolf B. staatspolizeilich »belehrt und verwarnt«, das Verhältnis zu lösen, das dem »Blutschutzgesetz« widersprach.20 Diese staatspolizeiliche Reglementierung von B.s Privatleben aufgrund der Rassengesetze zeigt deutlich, dass die Dienstpflicht von »Mischlingen« keineswegs als Aufhebung rechtlicher Ungleichheit und daraus folgender Repressionen missverstanden werden darf. Mit Einsetzen der systematischen Deportationen aus dem Reichsgebiet begrenzte sich die Dienstverpflichtung schließlich auf »Mischlinge 2. und niederen Grades«, die zum Dienst herangezogen werden sollten,21 während die »Halbjuden« 1941, »ohne großes Aufsehen zu erregen«, gezielt wieder aus der Hitler-Jugend ausgeschieden wurden.22 Die Aufnahme »farbiger und jüdischer Mischlinge« in die »Stamm-HitlerJugend« war durchgängig verboten.23 Hier galt die strengere Definition von »Juden« durch die Partei, um die Zugangsfunktion zu den Parteiverbänden zu schützen. Ein regionaler Befehl regelte im April 1939 die Aufnahme von »1/4- und 1/8-Jüdinnen« per individuellem Gnadengesuch: Selbst wenn die betreffenden jungen Frauen durch einen »Begnadigungsakt« durch die Kanzlei 19 »Jugenddienstverordnung« § 7; sowie Kaufmann, Erläuterungen, S. 241ff., demzufolge die Erweiterung nun Gnadengesuche von Jugendlichen, »die angesichts des totalitären Prinzips der HJ. ihre Nichtaufnahme teilweise als Härte empfinden konnten«, erübrige. Vgl. ebenfalls Meyer, S. 256. 20 HStA Düsseldorf, RW 58-3431; Gesetz zum Schutze des deutschen Blutes und der deutschen Ehre, 15.4.1935, §§ 1–2, RGBl. 1935, Teil I, S. 1146. 21 Jugenddienstpflicht für jüdische Mischlinge. Vertraulicher Erlass des RJF, Axmann, 18.10.1941, BA R 3001/alt R 22/1183, Bl. 2ff., Bl. 2; auch in: VHB, Bd. I, S. 124f. 22 Rundschreiben des K-Stabsleiters HJ-Gebiet Schwaben, 1.11.1941, S. 4, StA Augsburg, HJGebiet Schwaben, Nr. 7; erneut in: Rundschreiben Nr. 22/41, 20.11.1941, 3f., ebd., Nr. 2; zentrale Anweisung: VHB, Bd. II, S. 125. In diesem Zusammenhang wurden möglicherweise auch die Personaldokumentationen des Jugendverbandes überprüft, worauf die Anlage von doppelten »Warnungskarten« 1942 für in den 1930er Jahren ausgeschiedene jüdische Jugendliche einen Hinweis bieten könnte, der sich allerdings nicht verifizieren lässt. Vgl. z. B. Warnungskarten vom 28.3.1942 für Hans, Richard und Ulrich B. aus Berlin, am 12.3.1935 aufgrund »Nichtarierschaft« ausgeschlossen, BA Berlin, Warnkartei, Datensätze Nr. 444–447, oder Ise B., Ausschluss 13.11.1935, Warnungskarte vom 16.2.1942, Datensatz Nr. 174. Zur Dynamik der Politik gegenüber den »Mischlingen« Meyer, S. 96–104. 23 Randel, Jugendrecht I, S. 158.

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des Führers in den BDM aufgenommen wurden, blieben sie anschließend ausdrücklich von der Partei ausgeschlossen.24 Auch in annektierten und besetzten Regionen, in denen das »Jugenddienstrecht« (noch) nicht eingeführt war, verfuhr der Jugendverband »streng« nach den Grundsätzen der NSDAP. »Um ein Eindringen fremder Elemente zu vermeiden«, verlangte er den »zweifelsfrei[en]« kulturellen Nachweis deutscher Volks- oder Staatszugehörigkeit, der etwa durch die Parteimitgliedschaft der Eltern erbracht werden konnte.25 Integrierend wirkte die nationalsozialistische Rassenpolitik allein auf Grundlage der Kategorie des »Blutes«. Auch diese Richtung bildete sich in den Mitgliedschaftsvorschriften der Jugendorganisation ab. Denn ab 1941 wurden auch Kinder von »rassisch wertvollen, eindeutschungsfähigen nichtdeutschen Familien« aufgenommen, die die deutsche Staatsangehörigkeit auf Widerruf erhalten sollten.26 Im Sinne einer »volkspolitischen Jugendarbeit« partizipierte die Hitler-Jugend auf diese Weise an der rassistischen Germanisierungs- und Umsiedlungspolitik der Kriegsjahre.27 Noch in Erlassen zur Ausgrenzung weiterer stigmatisierter und verfolgter Bevölkerungsgruppen erklärte der Reichsjugendführer auch »Zigeunermischlinge mit vorwiegend deutschem Blutanteil« als dienstpflichtig, sofern das Reichkriminalpolizeiamt ihre Eltern als »sozial angepaßt« einschätzte.28 »Maßgebend für die Heranziehung zum Dienst ist der Gesichtspunkt, daß kein wertvolles deutsches Blut verloren gehen soll«, erläuterte Artur Axmann intern, allerdings dürfe die Erziehungsarbeit nicht dadurch beeinträchtigt werden, dass die Einheiten »überfremdet« würden.29 Nach dieser effizienten rassistischen Maßgabe, die der Maxime der Eindeutschungspolitik mithilfe der »Deutschen Volksliste« entspricht,30 wurden 1943 etwa auch die jugendlichen Mitglieder der adventistischen Religionsgemein24 Obergaubefehl Niederdonau, 20.4.1939, in: Miller-Kipp, »Auch du gehörst dem Führer«, Dok. 108, S. 263f. In seinen Memoiren behauptet Schirach, selbst Ausnahmegenehmigungen für »Tausende« jüdische Kinder bei Hitler persönlich erwirkt zu haben, Schirach, Ich glaubte an Hitler, S. 255. 25 Erlass des JFdDtR über die vorläufige Regelung der Aufnahme in die Hitler-Jugend in den ins Reich eingegliederten Ostgebieten, 15.4.1940, VHB, Bd. II, S. 199f. 26 Vertraulicher Erlass des JFdDtR über die Aufnahme nichtdeutscher Jugendlicher in die Hitler-Jugend, 27.11.1941, BA Berlin, NS 28/82; auch in: VHB, Bd. II, S. 124. 27 Vgl. dazu Kaufmann, Das kommende Deutschland, 1943, S. 192–211; zum rassen- und wirtschaftspolitischen »Osteinsatz« in Polen Buddrus, Totale Erziehung, S. 803–851, sowie Rempel. 28 Entwurf eines vertraulichen Erlasses des RJF über die »Jugenddienstpflicht von Zigeunerkindern«, 12.2.1943, BA Berlin, R 43 II/522b, Bl. 91; vertraulicher Erlass des JFdDtR, Stabsführer, Möckel, 15.5.1942, ebd., Bl. 95. 29 Entwurf eines vertraulichen Erlasses des JFdDtR über die Jugenddienstpflicht in den eingegliederten Ostgebieten, ohne Datum [1943], BA Berlin, R 43/II/514, Bl. 130ff., Bl. 131. 30 Verordnung über die deutsche Volksliste und die deutsche Staatsangehörigkeit in den eingegliederten Ostgebieten des Reichskommissars für die Festigung deutschen Volkstums, Himmler, 4.3.1941, RGBl. 1941, Teil I, S. 118ff.; zu den an das Reichsbürgergesetz anknüpfenden Kategorien Essner, S. 286f., Herbst, S. 287f.

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schaft »trotz ihrer antistaatlichen Einstellung« zum Dienst und die zuständigen HJ-Führer zur aufmerksamen Überwachung verpflichtet.31 Die Erfassung zur Hitler-Jugend auf Grundlage der »Jugenddienstpflicht« diente als Voraussetzung der rassistischen Bevölkerungspolitik, zu der die Disziplinarpolitik unmittelbar beitrug. Mit jeder Erweiterung des Kreises der Mitglieder wurde auch die Kontrolle innerhalb der Organisation ausgedehnt und spezifiziert. Ihre Funktion bei der Inkorporierung als »rassisch wertvoll« geltender Kinder war die Übertragung der Ordnungsgrundsätze und Disziplinarziele, wie Axmanns Erlass zeigt. Er mahnte, »Vorsorge zu treffen, dass das Verhalten der deutschen Jugendlichen den bestehenden Absichten angepasst wird.«32 Darin bezeugt die Ausweitung der Dienstverpflichtung entlang der rassischen Kriterien neben dem Erfassungs- und Kontrollanspruch der Reichsjugendführung auch die feste Etablierung ihres Disziplinarsystems. In der wachsenden Organisation der »erfassten Millionenmassen«, wie es im Duktus der Hitler-Jugend hieß,33 wurden die Überwachungsfunktionen zunehmend relevant. Die formale Differenzierung der Mitglieder in eine Pflichtorganisation und einen politischen »Kerntrupp«34 ermöglichte, eine »totale« Erfassung anzustreben, ohne den damit unvereinbaren, doch gleichermaßen vertretenen »Auslese«-Anspruch der Parteinachwuchsorganisation aufzugeben.

1.2 Kriegswichtiger »Ehrendienst« Anlässlich der neuen Erfassungsgrundlage wurde die Disziplinarordnung der Hitler-Jugend in eine »Dienststrafordnung« umbenannt, die durch die Dienstpflicht obsolet gewordene »Streichung aus den Listen wegen Interesselosigkeit« entfiel.35 Den Gesetzeskomplex zur endgültigen staatlichen Etablierung des Jugendverbandes schloss 1939 eine Verordnung des Innenministers ab, die dem Reichsjugendführer ermöglichte, auf die staatliche Verwaltung zurückzugreifen.36 Als dritte Durchführungsverordnung zum »Gesetz über die Hitler-Jugend« sollte eine dauerhafte Disziplinarordnung erlassen werden.37 Ihr Einbe31 Anordnung der RJF über die Heranziehung jugendlicher Angehöriger der AdventistenGemeinde, Rundschreiben der RJF, F. 19/43, 30.6.1943, S. 409. 32 Erlass des JFdDtR, 27.11.1941, BA Berlin, NS 28/82. 33 Heußler, S. 6. 34 Ruckdäschel, S. 16. 35 Dienststrafordnung 1941, S: 3. 36 Randel, Jugenddienstpflicht, S. 36; Verordnung des Reichsministers des Inneren über die nachgeordneten staatlichen Dienststellen des JFdDtR, 11.11.1939, RGBl. 1939, Teil I, S. 2178; angekündigt in der 1. DFVO zum Gesetz über die Hitler-Jugend, § 3. 37 Entwurf, inhaltlich mit der bestehenden Dienststrafordnung übereinstimmend, in: Tetzlaff, Disziplinarrecht, S. 150f.

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zug in die Organisationsgesetzgebung der Hitler-Jugend, die nach 1944 nicht mehr verwirklicht wurde, unterstreicht die hohe und während des Krieges noch gestiegene Bedeutung des Disziplinarsystems. Als »Ehrendienst am deutschen Volke«, wie nun auch die »Jugenddienstverordnung« definierte, war die Jugenddienstpflicht konzeptionell mit der Arbeitsdienst- und Wehrpflicht eng verbunden.38 Auch die Verwandtschaft mit dem Gesetz über die Schulpflicht stellten die Autoren der Hitler-Jugend heraus.39 Bereits die öffentlichen »Gestellungsaufrufe« zur Eingliederung ganzer Geburtsjahrgänge imitierten die Aufrufe zu Mobilmachung und Schulanmeldung.40 Die Durchsetzung der Jugenddienstpflicht mittels polizeilicher Zuführung nahm den »Schulzwang« auf und übertrug die Verantwortlichkeit den Erziehungsberechtigten. Als Gleichstellung zu schulischen und beruflichen Ansprüchen an Jugendliche konzipiert, machte die Dienstpflicht die Aktivitäten des Jugendverbandes obligatorisch und ermöglichte dem Führerkorps, frei von institutioneller Einmischung über Zeit und Energie der Jugendlichen zu verfügen. Mit Kriegsbeginn konnten so die knapp neun Millionen Mitglieder, die in der Selbstdarstellung rasch auf »annähernd 10 Millionen Jugendliche« anwuchsen,41 und die Organisationsstruktur für vielfältige »Kriegseinsätze« genutzt werden. Diesen praktischen Zweck brachte der Dienstrechtsspezialist der Hitler-Jugend, Edgar Randel, auf den Punkt: Die Verpflichtung machte den Jugendlichen »dem ganzen Volk nutzbar«.42 Denn nun hielt die Jugendführung auch, ebenso vage wie selbstbewusst, »die gesamte Organisation für alle Aufgaben, die der Krieg dem deutschen Volke stellt, einsatzbereit«.43 In Wach- und Kurierdiensten, im Luft- und Feuerschutz erfüllte die Hitler-Jugend die Funktion einer Art Kriegshilfsdienstorganisation bei der Durchführung von Wehrertüchtigung und in Einsätzen an der »Heimatfront«.44 Seit September 1939 traten neben zahlreiche Sammelaktionen auch Hilfsdienste für Post und Wehrmacht, Haushalte und

38 »Jugenddienstverordnung«, § 1, Abs. 1; Gesetz über den RAD, 9.9.1935, RGBl. 1935, Teil I, S. 769ff., §§ 1, 5; Gesetz über den Auf bau der Wehrmacht, 21.5.1935, ebd., 609f., §§ 1, 13; Kaufmann, Erläuterungen, S. 221. 39 Vgl. etwa Ruckdäschel, S. 13f.; Gesetz über die Schulpflicht im Deutschen Reich (Reichsschulpflichtgesetz), 6.7.1938, RGBl. 1938, Teil I, S. 799, §§ 12, 13. 40 Vgl. Plakate des Stadtpräsidenten von Berlin, Oktober 1940 und März 1943, BA Koblenz, Plakatsammlung, 3/1/14 und 3/1/16 sowie des Regierungspräsidenten von Oberbayern, Februar 1945, ebd., 3/1/30. 41 Würschinger, S. 269f. 42 Randel, Jugenddienstpflicht, S. 11. Randel, Jg. 1911, war ab 1941 Mitarbeiter in der Behördenabteilung und dem Rechtsamt der Reichsjugendführung. Buddrus, Totale Erziehung, S. 1190. 43 Kriegsdienstplan der Hitler-Jugend 1940, RB 26/K, 7.2.1940, S. 3. 44 Zum folgenden, der Entwicklung und der Breite der Einsätze vgl. ausführlich Buddrus, Totale Erziehung, bes. Kap. 1; Hellfeld/Klönne, S. 192; Klönne, Jugend, S. 40f.

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Kindergärten sowie kommunale Verwaltungen in wachsendem Umfang.45 Ein »Kriegseinsatzkalender« regelte die vielfältigen Aufgaben.46 Im Verlauf des Krieges kamen Soldaten- und Lazarettbetreuung durch den BDM und längere Einsätze im siedlungspolitischen »Landdienst«, bei der Ernte und in Fabriken hinzu. Seit 1941/42 erfolgte eine umfassende Jugendmobilisierung, ihren Höhepunkt erreichten die kriegswirtschaftlich orientierten Einsätze jedoch erst Ende 1944.47 Neben ihrer psychologischen Bedeutung machte die Hitler-Jugend sich in immer mehr Bereichen des täglichen Lebens unentbehrlich. Daher wurde die Jugenddienstpflicht, die diese Funktionalisierung ermöglichte, Ende 1942 als kriegswichtig eingestuft.48 Durch den massiven Abzug von Führern und auch Führerinnen beeinträchtigte der Krieg jedoch die organisatorische Infrastruktur gerade der großstädtischen Banne. Auch wenn der Jugendverband daher keineswegs im gesamten Reich seinem »Erziehungsauftrag« gerecht wurde, spielte die Jugend gerade in den späten Kriegsjahren eine wachsende Rolle für die Fortsetzung des Krieges.49 Andere staatliche Dienstverpflichtungen der Jugendlichen auf notdienstrechtlicher Grundlage ergänzten die jugenddienstrechtliche.50 Der Propagandatopos der Zukunftsicherung durch die Jugend variierte zu der Rollenzuweisung als »Treuhänder des Staates für die zukünftige totale Volkskraft«.51 Aufgrund der unermüdlichen Beschwörung ihrer Bedeutung durch die Propaganda trugen diese vielfältigen Kriegshilfsdienste auch zu einem Selbstwertzuwachs der Jugendlichen bei52 – und zu Selbstüberschätzungen. Bereits in den ersten Tagen des Krieges kam es offenbar in verschiedenen Großstädten zur willkürlichen Aneignung polizeilicher Befugnisse durch Angehörige der Hitler-Jugend, die etwa eigenmächtig Verdunkelungsmaßnahmen überprüften.53 Der Ausfall von Schule und Eltern als Erziehungsorgane verstärkte im Laufe des Krieges einerseits den Stellenwert des Verbandes für die Stabilität der »Heimatfront«, legitimierte andererseits aber den massiven Kom-

45 Anordnung des Stabsführers, Lauterbacher, RB 3/K, 23.9.1939, S. 6f.; Kaufmann, Das kommende Deutschland, S. 313f. 46 RB 1/K, 20.9.1939; Arbeitsrichtlinien 7/40, 1.4.1940. 47 Kaufmann, Das kommende Deutschland, S. 350f.; vgl. Ullmann, S. 39. 48 Verfügung des RJM über die Erzwingung der Jugenddienstpflicht, 24.11.1942, unter Wiedergabe des Runderlasses des Reichsführers SS und Chefs der Deutschen Polizei, 20.10.1942, in: Deutsche Justiz, Jg. 104, 1942, S. 782f., S. 783. 49 Vgl. Kenkmann, Wilde Jugend, S. 232. 50 Vgl. Schaar, Stellung und Kompetenzen, S. 47 u. 49. Zum konfliktreichen Nebeneinander von Schule und Hitler-Jugend in diesem Zusammenhang Keim, Erziehung, Bd. 2, S. 145f. 51 Müller, Sozialpolitische Erziehung, S. 66. 52 Vgl., auch zur Rolle der medial vermittelten Kriegsteilnahme am »Volksempfänger«, Hübner-Funk, S. 163. 53 Mitteilung der Anordnung des Stabsführers, in: Rundschreiben der Obergauführerin Schwaben, 26/39, 9.9.1939, 2, StA Augsburg, BDM-Obergau Schwaben, Nr. 3.

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petenzauf bau vergesellschafteter Kontrollinstanzen gegenüber den Jugendlichen.54 Den wachsenden Aufgaben trat der Jugendverband bei Kriegsbeginn jedoch geschwächt entgegen. Die Reichsjugendführung und die »Stäbe« von Gebieten und Bannen waren von der allgemeinen Mobilisierung stark betroffen und litten ebenso unter den Einberufungen wie unter Hitlers grundsätzlichem Verbot, wehrtaugliche HJ-Führer freizustellen. Im Frühjahr 1940 waren etwa 95 Prozent des hauptamtlichen HJ-Führerkorps eingezogen.55 Da die Jugendführung die massenhaften Freiwilligenmeldungen ihrer Führer als überragenden Erfolg ihrer politischen Erziehung wertete, prahlte sie mit dieser Einberufungsquote – auch wenn sie damit eingestand, dass weder ein »geregelter HJDienst« noch die Realisierung der Dienstpflicht möglich waren.56 Der Einsatz von BDM-Führerinnen und jüngeren Jugendführern kompensierte den Führermangel in der zentralen Leitung wie in den Gebieten nur zum Teil. Daher wurden Einheiten der Hitler-Jugend nun auch der örtlichen NSDAP-Führung unterstellt.57 Auflösungserscheinungen, die einen geregelten Dienstablauf schließlich nicht mehr zuließen, äußerten sich seit Herbst 1944 regional unterschiedlich.58 Organisationsgeschichtlich gingen sie mit der schrittweisen Aufhebung der Selbständigkeit des Jugendverbandes einher, der enger an die Partei angebunden wurde. Am 9. Dezember 1944 wurde schließlich die Unmittelbarkeit des Reichsjugendführers als eine Oberste Parteibehörde zugunsten der Parteikanzlei aufgehoben.59

1.3 Kriegserfahrung und Handlungsmotivation Zusätzlich zu dem erweiterten und gefestigten Erfassungsanspruch durch die Jugenddienstpflicht und den Personaleinbußen durch die Wehrmachtsrekrutierungen bestimmte ein verstärktes Kontrollinteresse als dritter Faktor die Entwicklung der Disziplinarpolitik in der Kriegszeit. Disziplinlosigkeit und Abweichungen, »Umtriebe und Haltungslosigkeit« wurden nun als unmittelbar 54 Kebbedies, S. 134. 55 Stabsführer Lauterbacher, Besprechung zur Jugendbetreuung, 22.12.1939, BA Berlin, R 3001/alt R 22/1189, Bl. 27f. 56 Lauterbacher, ebd., Bl. 27f. 57 Anordnung zur kriegsbedingten Kräfteeinsparung »aus zwingenden Gründen der totalen Kriegführung«, RB 7/43 K, 10.2.1943, S. 5ff.; Schaar, Stellung und Kompetenzen, S. 43f.; zum Versuch, den dauerhaften Mangel der Gesamtorganisation durch Umstrukturierungen, Arbeitseinsparungen und die Rekrutierung Außenstehender – Abiturienten, ehemalige Führer und Parteipersonal – auszugleichen, ohne dem Personalabzug grundsätzlich entgegenzuwirken Buddrus, Totale Erziehung, S. 338–344, S. 363. 58 Vgl. Schaar, Reichsjugendführung, S. 50. 59 Buddrus, Totale Erziehung, S. 363.

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politisch begriffen. Zugleich wurde die disziplinierte Formationserziehung im Jugendverband zum Maßstab allein akzeptablen jugendlichen Verhaltens erklärt: »In einer Zeit, wo die Väter und Brüder der Jugendlichen an der Front stehen und die deutsche Jugend im Kriegseinsatz der Hitler-Jugend und am Arbeitsplatz ihre Pflicht erfüllt, darf man das Treiben derartiger Elemente nicht allein vom Standpunkt des Strafgesetzbuches sehen, sondern muß für die Haltung eines Jugendlichen den Maßstab anlegen, der heute für einen Hitler-Jungen selbstverständlich ist. Von diesem Gesichtspunkt betrachtet, tragen die Umtriebe und die Haltungslosigkeit, besonders auch die mangelhafte Arbeitsdisziplin, politischen Charakter. Ob dies dem einzelnen Jungen bei seiner Tat zum Bewußtsein kommt oder nicht, tritt dabei in den Hintergrund.« 60

Der Dienstbetrieb sei »entsprechend den Erfahrungen des Weltkrieges […] heute […] schärfer und straffer denn je«, hieß es gleich im Herbst 1939.61 Seit Kriegsbeginn wurden in den Publikationsorganen der Reichsjugendführung geeignete Maßnahmen diskutiert, um »von vornherein einer Wiederholung der traurigen Erfahrung des Weltkrieges vorzubeugen«.62 Die Jugendführung befürchtete ein kriegsbedingtes Steigen der registrierten Jugendkriminalität, das die Stabilität der inneren Front schwächen und das eigene Erziehungsmonopol in Frage stellen könnte. In der spürbar gesteigerten Kriminalitätsfurcht wird der Erste Weltkrieg als entscheidende erfahrungsgeschichtliche Bezugsgröße der Überwachungspolitik deutlich. Da auch aus Sicht der Jugendpolitiker der letzte Krieg durch politische Unordnung in der Heimat verloren worden war, herrschten eine massive Angst und geradezu eine »moralische Panik«63 vor Auflösungs- und Verwahrlosungserscheinungen an der »Heimatfront«. Das »Novembersyndrom« (T. Mason) prägte auch das Verhalten der Reichsjugendführung, deren hauptamtliche Führer und Führerinnen im Personal- und Überwachungsbereich fast ausnahmelos den Kohorten angehörten, für deren politische Motivation das »epigonale Minderwertigkeitsgefühl der zum Kriege zu spät Gekommenen« als Konglomerat aus historischer Legitimation und generationellem Stil herausgearbeitet worden ist.64 Die hauptberuflichen Führer und Führerinnen der Reichsjugendführung in diesem Bereich, die – soweit namentlich identifizierbar – bis etwa 1940 amtierten, gehörten zum überwiegenden Teil der »Kriegsjugendgeneration« an, wie mit dem Reichsjugendführer 60 Bericht des HJ-Gebietes Sachsen an die RJF, 14.1942, in: RJF/P-Ü, Cliquen- und Bandenbildung, S. 213. 61 Vornefeld, Jugendkriminalität, S. 501. 62 Vornefeld, Jugendführung, S. 476 (Zitat); Wegener, S. 457; Möckel, S. 243. 63 Vgl. Kebbedies, S. 138–143. 64 Rusinek, Krieg als Sehnsucht, S. 141; Begriffsprägung von Peukert, Weimarer Republik, S. 25–31; vgl. dazu, unter Bezugnahme auf Karl Mannheim, Herbert, Drei politische Generationen, bes. S. 97–102. Eine Analyse der entsprechenden Generationslage für die weiblichen Angehörigen dieser Kohorten fehlt bisher.

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Schirach (geb. 1907), seinem Stabsführer Hartmann Lauterbacher (geb. 1909) und der BDM-Reichsreferentin Trude Bürkner(-Mohr) (geb. 1902) auch die hochrangigsten Funktionäre. Nach dem Führungswechsel an der Spitze des Reichsjugendführung 1940 übernahm mit Artur Axmann (geb. 1913) die »Nachkriegsjugend« die relevanten Positionen; Jutta Rüdiger (Jg. 1910) amtierte bereits seit 1938 als Reichsreferentin der weiblichen Organisationen.65 Nur einer von siebzehn namentlich bekannten, zeitweiligen hauptamtlichen Mitarbeitern der HJ-Gerichtsbarkeit und Überwachungsstelle in der Reichsjugendführung und Juristen der Hitler-Jugend war älter.66 Die fehlende Fronterfahrung im Ersten Weltkrieg, den die Angehörigen dieser Kohorten als Heranwachsende im Hinterland erlebt hatten, wurde durch die Übernahme des Frontkämpferideals für den Kampf im Inneren kompensiert.67 An die eigene Erfahrung auf der Grundlage des gemeinsamen Erlebnisses des Kriegsgeschehens knüpfte die Reichsjugendführung auch propagandistisch an, in dem sie die Hitler-JugendJahrgänge der 1923 bis 1933 Geborenen als eine neue Kriegsjugendgeneration begriff, als »Kriegsjugend Adolf Hitlers«.68 Die generationstypische Prägung ist auch hinter der kriminal- und disziplinarpolitischen Leitlinie der Reichsjugendführung zu erkennen, die Entwicklung des ersten Krieges unbedingt zu vermeiden. »Wie die Erfahrungen des Weltkriegs gezeigt haben, ist die Gefahr der Verwilderung der Jugend groß. Vorbeugungsmaßnahmen sind daher dringen[d] notwendig«, formulierte sie standardmäßig.69 In dieser Perspektive gerann der neue Krieg, die »Zielsituation« ihrer Erziehungsbestrebungen,70 zur Bewährungssituation der Diktatur und ihrer Institutionen.71 Mit der Fähigkeit

65 Generationeneinteilung der »Kriegsjugendgeneration« (geb. 1900–1910) und der »Nachkriegsjugend« (geb. ab 1910) nach Herbert, »Generation der Sachlichkeit«; vgl. die Begriffe bereits in der zeitgenössischen, wirkungsreichen Selbstdeutung der »Generation der Sachlichkeit« bei Gründel, S. 22–63. 66 Das Geburtsdatum von Fritz Nilli, Hauptamtsleiter der Gerichtsbarkeit nach 1943, ist nicht bekannt. Biografische Daten BA Berlin, BDC Personalakten, sowie Kurzbiografien, Buddrus, Totale Erziehung, S. 1111–1230. 67 Herbert, »Generation der Sachlichkeit«, S. 117. Vgl. auch Wildt, Politische Ordnung; zum maßgeblich aus dieser Generation zusammengesetzten Führungskorps des RSHA ders., Generation des Unbedingten. Exemplarisch zum Selbstverständnis der »politischen Generationen« der männlichen bürgerlichen Jugend, in denen individueller Lebensweg und Erfahrungen mithilfe eines Angebotes der Sinndeutung eingebunden wurden in Kategorien und Wertemuster der Generation Herbert, Best, Prolog u. S. 42–51. 68 Titel einer für den Druck vorbereiteten, aber nicht mehr publizierten Selbstdarstellung, 1944, BA Berlin, NS 26/358; vgl. Buddrus, Totale Erziehung, S. XXIV. 69 RJF, Möckel, an RJM, Gürtner, 13.11.1940, BA Berlin, R 3001/alt R 22/1175, 307. 70 Buddrus, Totale Erziehung, S. XXXIV. 71 Vgl. etwa Müller, Betreuung der Jugend, S. 25; ähnlich der RJM in seinem Geleitwort zur Umwandlung der Zeitschrift in eine amtliche Schriftenreihe, Thierack, Geleitwort; Typoskript: BA Berlin, R 3001/alt R 22/2952, Bl. 50ff., Bl. 50.

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adoleszenter Jugendführer, »ihre Kameraden zu disziplinieren«, sollte ein funktionierendes Disziplinarwesen das »sichere Fundament« der kriegsbedingten Aufgaben des Jugendverbandes bilden.72 Das allgemeine Phänomen der »Gefährdung« von Kindern und Jugendlichen durch die Kriegssituation – neben unmittelbaren existenziellen Gefahren durch Kriegseinwirkung vor allem die sozialen Folgeerscheinungen von Unterrichtsausfall und mangelhafter Betreuung durch die eingezogenen und stärker beanspruchten Eltern – nahm die Reichsjugendführung als massive Bedrohung wahr. Außer dem Vergleich mit der innen- und kriminalitätspolitischen Situation 1914 bis 1918 gehörte der Verweis auf ein durch Jugenddienstpflicht und Krieg verschärftes »Erziehungsproblem« zu den Standards der Analysen und Programmschriften der Jugendführung. Führungsmängel wurden zumindest intern eingeräumt.73 Anderen Instanzen gegenüber verteidigte sie sich gegen den Vorwurf, »die Jugend und damit die Hitler-Jugend allein« für »Verwahrlosungserscheinungen« verantwortlich zu machen, zumal angesichts der zahlreicher werdenden »Gefährdungsquellen«.74 Neben der Vernachlässigung der Aufsichtspflicht durch die Eltern, unter denen immer wieder die Figur der »vergnügungssüchtigen Mutter« erscheint, zählten dazu mit dem »erwachsenen Jugendverführer« das Feindbild der »Reichszentrale zur Bekämpfung der Homosexualität und Abtreibung« sowie Gefährdungen im öffentlichen Raum durch Gaststättenbesuche, Presse und Film.75 Als »Fremdvolkproblem auf dem eigenen Reichsboden« wurde auch der Arbeitseinsatz von Zwangarbeitern und Kriegsgefangenen zu diesen Gefährdungsfaktoren der Kriegsgesellschaft gerechnet.76 Schon im Ersten Weltkrieg hatte sich eine formalisierte Sozialkontrolle der Jugendlichen durchgesetzt.77 Im Zweiten Weltkrieg wurde sie mit maßgeblicher Unterstützung der Hitler-Jugend noch verschärft. Im zum Kampfgebiet erklärten zivilen Hinterland zeigen sich die entgrenzten Ordnungsvorstellungen ebenso in der Kriminalpolitik des Polizei- und Justizapparates wie in der disziplinarrechtlichen Entwickung der nationalsozialistischen Jugendbehörde. Sie verbanden sich zu einer umfassenden präventiven Jugendkontrollpolitik. Der erhöhte Strafanspruch des Staates, der sich in zahlreichen Sonderverordnungen ausdrückte, politisierte einerseits die Kriminalität, andererseits wurde politische Abweichung verschärfter kriminalisiert.78 Gleich zu Beginn des 72 Kaufmann, Das kommende Deutschland, 1943, S. 324. Die Überwachungs- und Rechtsarbeit der RJF galt in diesem Sinne als Kriegseinsatz. Vgl. Bartel, S. 21 u. 23ff. 73 RJF/P-Ü, Cliquen- und Bandenbildung, S. 165f.; Knopp, Überwachungswesen, S. 102. 74 JFdDtR, Kriminalität und Gefährdung der Jugend, S. 191. 75 Ebd., S. 191–208. 76 Groß, S. 28. 77 Vgl. Kebbedies, S. 55–69. 78 Vgl. dazu für den Jugendbereich Wolff, Hitlerjugend; Muth, Jugendopposition; Klönne, Jugendprotest, S. 527ff.

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Zweiten Weltkrieges war ein Anstieg des als Kriminalität registrierten Verhaltens Jugendlicher bemerkt worden.79 Die Kriminalstatistik folgte insgesamt den Trends des Ersten Weltkriegs, wobei auch die überhöhten Erwartungen an eine Senkung der Kriminalität im Nationalsozialismus und speziell durch die Wirkung der Hitler-Jugend zur Enttäuschung der beteiligten Behörden beitrugen. Denn nicht nur der Jugendverband begriff selbst Disziplin und das eigene Disziplinarwesen als grundsätzliche Kriminalitätsprävention, um sich als Akteur gegenüber Jugend- und Fürsorgeämtern einzubringen.80 Auch in der Kriminalistik wurde der Faktor politischer Organisation regelmäßig evaluiert: Nachdem 1935 ein grundsätzlicher stabilisierender Effekt empirisch analysiert worden war, nahm die regelmäßige Erhebung der Deutschen Vereinigung für Jugendgerichte und Jugendgerichtshilfen die Frage nach der Wirkung der »Erziehungsarbeit der HJ« routinemäßig auf.81 Um die Entstehung von Delinquenz zu verhindern, setze der Zugriff des Verbandes biografisch allerdings zu spät ein, wie eine Hamburger Studie zur weiblichen Jugendkriminalität feststellte.82 Tatsächlich hob die Kriminalitätsziffer sich gerade aufgrund der verstärkten Überwachung und der Schaffung neuer Delikte; das Problem einer ›massenhaften‹ Jugendverwahrlosung und -kriminalität im Zweiten Weltkrieg war also auch konstruiert.83 Im justiziellen Bereich führten die hypertrophe Problemwahrnehmung und der uneingeschränkte Kontrollanspruch zum Teil zu drakonischen Strafen – etwa gegen Angehörige illegaler Jugendverbände, informeller Jugend- oder Widerstandsgruppen.84 Hier werden die Faktoren der Problemwahrnehmung und des Kontrollanspruches für das disziplinarische Instrumentarium der Reichsjugendführung betrachtet.

79 Interner Bericht des Reichsjustizministeriums über die Entwicklung der Kriminalität, namentlich der Jugendkriminalität während des Krieges, BA Berlin, R 3001/alt R 22/1159, Bl. 12– 18. Vgl. Wagner, Volksgemeinschaft, S. 404; Kebbedies, S. 146–162; Blau, bes. S. 34 u. 44. 80 Vgl. etwa Thimel, Zur sexuellen Kriminalität, S. 6f.; Klemer, Jugendstrafrecht, S. 43f. 81 Jacoby, S. 93; Ehrhardt, S. 677f; Künemund, S. 185. 82 Topp, S. 40. 83 Waite, S. 44 u. 277; zur »Konstruktion der Kriegskriminalität« prägnant Kebbedies, S. 152– 159. 84 Hier sei exemplarisch verwiesen auf die Verfolgung der Leipziger »Meuten« als Hochverrat, vgl. Gruchmann, Jugendopposition, S. 109; sowie auf die »Weiße Rose« und die jüdischen Gruppen um Herbert Baum als die bekanntesten Beispiele eines dezidiert politisch motivierten Jugendwiderstands.

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2 Radikalisierung im Disziplinarwesen 2.1 Strafen Die Einberufung aller männlichen Mitarbeiter des Amtes HJ-Gerichtsbarkeit bis zum Februar 1940 lähmte zu Kriegsbeginn vorübergehend auch das Disziplinarwesen der Hitler-Jugend. Anfang 1941 ermöglichten Freistellungen von der Wehrmacht, die Arbeit unter dem HJ-Richter Werner Hess fortzuführen, der nun das Amt Gerichtsbarkeit in der Reichsjugendführung leitete.85 Durch eine organisatorische Verlagerung sollte der Personalmangel abgefangen werden: Neben der arbeitsentlastenden »Kriegsamnestie« übernahmen »Sonderbeauftragte der Reichsjugendführung« die Gerichtstätigkeit für ganze Obergebiete, in den Gebieten und Bannen wurden Untersuchungsführer eingesetzt.86 Die »BDM-Gerichtsbarkeit« arbeite uneingeschränkt, wurde versichert.87 Allerdings umfasste das Disziplinarwesen in den weiblichen Suborganisationen nur die »kleine« und »mittlere Disziplinargewalt« und erfüllte damit lediglich Disziplinierungsfunktionen. Um dennoch reaktionsfähig zu sein, erhielten Gebietsführer und Obergauführerinnen »im Falle einer dringenden politischen Notwendigkeit« Straf befugnis und konnten Entfernungen bis zur gerichtlichen Überprüfung vorläufig anordnen.88 Diese Dringlichkeit wurde 1942 strafrechtlich definiert. Sie bestand »nur bei schwersten Verfehlungen, in der Regel nur bei Kapitalverbrechen«, bei denen das »Volksempfinden« eine schnelle Ahndung erwarten könne.89 Auch die Mitwirkung an gerichtlichen Jugendstrafverfahren konnte die personell reduzierte Jugendorganisation kaum mehr leisten. So war die gewünschte »lebendige Zusammenarbeit« nach Einschätzung der Jugendgerichte in den Kriegsjahren vielfach nicht mehr möglich.90

85 Hess, Gerichtsbarkeit der Hitler-Jugend im Kriege, S. 2. Der 1900 geb. Hauptbannführer war seit 1937 im Personalamt der Reichsjugendführung tätig, seit Sommer 1939 stellvertretender HJ-Oberrichter; Buddrus, Totale Erziehung, S. 1154. 86 Dienststrafordnung 1940, S. 4; Beschlüsse des Sonderbeauftragten Süd, RB 55/K, 29.7. 1940, S. 7. 87 Dienstvorschrift für die Hitler-Jugend im Kriege, RB 1/K, 20.9.1939, S. 15; Hess, Gerichtsbarkeit der Hitler-Jugend im Kriege, S. 2; Dienststrafordnung 1940, S. 10. 88 Dienststrafordnung 1940, S. 9, »entsprechend[e]« Regelung für den BDM ebd., S. 4. 89 Anordnung des Amtes HJ-Gerichtsbarkeit, Rundschreiben der RJF, F. 8/42, 18.3.1942, S. 147. 90 RJGG 1943, § 25, Abs. 1; Schreiben des Bonner Landgerichtsdirektors Clostermann, 18.9.1944, BA Berlin, R 3001/alt R 22/1177, Bl. 141; vgl. auch Bericht des Breslauer Präsidenten des OLG und Generalstaatanwaltes, 26.7.1944, ebd., Bl. 113.

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2.1.1 Dysfunktionalität und das Problem der Wehrwürdigkeit Notgedrungen setzte die Reichsjugendführung sich nun mit dem widersprüchlichen Charakter ihrer Disziplinarstrafe auseinander. Denn die Dienstpflicht schloss einen Austritt aus. Da als einzige »ehrenvolle Entlassung« vor Vollendung des 18. Lebensjahres lediglich die Ehe für junge Frauen – also das Erreichen ihres geschlechtsspezifischen »Erziehungszieles« – vorgesehen war,91 blieb ein vorzeitiges Dienstende nur als entehrende Strafe möglich.92 Vor diesem Hintergrund argwöhnte die Jugendführung, dass Jugendliche durch zielgerichtete Verfehlungen ihren Ausschluss provozieren könnten, um sich der lästigen Dienstpflicht zu entziehen. Hier stießen die Disziplinarpolitiker auf die Grenzen ihrer Mittel, deren Wirksamkeit auf der Identifikation des Einzelnen mit der Organisation und ihren Werten beruhte.93 Artur Axmann präsentierte das typische Argumentationsmuster für dieses Dilemma im November 1940 auf der Tagung des Ausschusses für Jugendrecht der Akademie für Deutsches Recht. Bisher sei die Entfernung eines Jugendlichen, bei dem der »Appell an die Ehre nicht mehr fruchtete«, aufgrund eines Versagens »in der Erfüllung der freiwillig übernommenen Verpflichtungen« erfolgt, wie der Reichsjugendführer – dem Propagandatopos freiwilliger Mitgliedschaft getreu – ausführte. Nach Einführung der Jugenddienstpflicht könne aber »[a]us der Hitler-Jugend als Staatsjugend […] nurmehr der Jugendliche entfernt werden, der sich der Zugehörigkeit zu dieser Gemeinschaft unwürdig erwiesen hat. Die HJ-Unwürdigkeit aber steht der Wehrunwürdigkeit gleich. Unser Ziel ist es, zu erziehen, gerade auch diejengen zu erziehen, die sich gegen die Gemeinschaftsordnung vergangen haben. Nur in ganz schweren Fällen der Verletzung der Gemeinschaftspflichten kann noch ein Ausschluß erfolgen.«94

Aufgrund der juristischen Definition als »Ehrendienst« bedeutete der Ausschluss Jugenddienstunwürdigkeit, wie der Status der »Unwürdigkeit« umgekehrt von der Mitgliedschaft ausschloss. Neben »ehrenrührigen« und »Anstoß« erregendem »sittlichen Verhalten« galt er für Jugendliche, die in Einrichtungen der Fürsorge und in Jugendgefängnissen behördlich verwahrt wurden.95 Der bis 1939 regional uneinheitlich und insgesamt geringfügig praktizierte Ausschlussgrund der Fürsorgeerziehung galt wegen seines Charakters als »Erziehungsmaßnahme« nicht mehr generell als entwürdigend.96 Axmanns Stellvertreter 91 1. DFVO zum Gesetz über die Hitler-Jugend, § 10. 92 Randel, Jugendrecht I, S. 157. 93 Vgl. Lüer, S. 250. 94 Axmann, Erziehungsmittel, S. 278. 95 1. DFVO zum Gesetz über die Hitler-Jugend, § 3; Dienststrafordnung 1941, S. 2. 96 Klemer, Gegenwartsfragen; zur ambivalenten Beurteilung der Mitgliedschaft von Fürsorgezöglingen vor Erlass der Durchführungsverordnungen vgl. Huvalé, S. 9.

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Helmut Möckel formulierte 1941, als unwürdig werde nur der Jugendliche angesehen, dessen »Unerziehbarkeit […] feststeht und damit bewiesen ist, dass die Verfehlung nicht auf einer falschen Erziehung (für die der Jugendliche ja nichts kann) beruht, sondern auf einer charakterlichen Minderwertigkeit, also einer Ehrlosigkeit.«97 Diese charakterlich angelegte »Ehrlosigkeit« schloss die HitlerJugend aus dem Verhalten. Da sie sich erst mit der Zeit offenbare, galt bei zehnjährigen Pimpfen ein »Erziehungsversuch« immer als sinnvoll, bevor man zum Disziplinarverfahren oder zur Überweisung in behördliche Verwahrung greife.98 Denn als Verzicht auf weitere Erziehungsbemühungen komme ein Ausschluss der »Überweisung in die Gruppe der Asozialen« gleich und sei daher »nur nach reiflichster Prüfung« auszusprechen.99 Auf der kriminalbiologischen Prämisse eines vererbbaren und damit grundsätzlich gegebenen Charakters und Wertes sollten entwicklungsbedingte Fehlentwicklungen und Einzelerscheinungen nur dann toleriert und, im Sinne des Disziplinarkonzeptes, innerhalb des Jugendverbandes korrigiert werden, wenn nicht die charakterliche Substanz selbst als »minderwertig« klassifiziert wurde. Die bewusste Nicht-Festlegung strafwürdiger Delikte überließ die Entscheidung über die individuelle »Würdigkeit« der Jugendlichen der Einschätzung der HJ-Gerichtsbarkeit und damit fallweise der disziplinargerichtlichen Prüfung.100 Der mit den Durchführungsverordnungen zum Hitler-Jugend-Gesetz geschaffene neue juristische Begriff der »Unwürdigkeit« blieb so, im Sinne eines Disziplinarrechtes, offen und flexibel.101 Er knüpfte jedoch an das rassistisch begründete Ehrenrecht und seine kriminalbiologischen Prämissen an. Der Hitler-Jugend-Dienst diente so als Probe auf die gewünschte Gemeinschaftsfähigkeit.102 Die disziplinarrechtliche Auslegung der Unwürdigkeitsklausel verband die Jugendführung mit den Überlegungen zur weiteren Differenzierung von Jugendlichen nach dem Maßstab der Erziehbarkeit und Erziehungsfähigkeit. Die straf- und fürsorgerechtlichen Planungen, an denen die Reichsjugendführung aktiv beteiligt war, gingen zum einen von einer weiteren Differenzierung in der Fürsorgepraxis durch die Segregation von »erziehbaren und nicht erziehbaren Jugendlichen in den Anstalten« aus, zum anderen von der polizeirechtlichen Bestimmung als »erziehungsunfähig«, wie sie in der Einweisung in Bewahrungslager zum Ausdruck kam: »Jugenddienstunwürdig wird deshalb künftig im allgemeinen nur der Jugendliche sein, der in ein Jugendbewah-

97 RJF, Möckel, an Vertreter der Wehrmacht beim JFdDtR, 11.11.1941, BA Berlin, R 3001/ alt R 22/1175, Bl. 489–492, Bl. 491. 98 Randel, Heranziehung, S. 69. 99 Anonym, Arbeitsgemeinschaft für Jugendbetreuung, S. 266. 100 Kaufmann, Erläuterungen, S. 222. 101 Kaufmann, Das kommende Deutschland, 1943, S. 31. 102 Klemer, Jugendstrafrecht, S. 101.

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rungslager eingewiesen wird«, formulierte die Reichsjugendführung.103 Wenn sich, entgegen der grundsätzlichen Erwartung, der Jugendliche »ausnahmeweise« bessere und daher aus dem Lager entlassen werde, müsse dieser »Spätentwicklung« auch durch die Zulassung zum Reichsarbeitsdienst und zur Erfüllung der Wehrpflicht entsprochen werden, forderte die Jugendführung.104 In dieser Frage stimmte sie mit dem Justizministerium überein. Es bestand Einigkeit, dass der Ausschluss aus der Hitler-Jugend dann erfolge, wenn ein Junge oder Mädchen sich als »gemeinschaftsfremd« erwiesen habe. Rudolf Freisler, der als Staatssekretär für das Ministerium Stellung nahm, verwies auf die noch ausstehende gesetzliche Regelung und damit fehlende Definition der »Gemeinschaftsfremden«.105 Die Überlegungen zu diesem bereits in der Weimarer Republik als »Bewahrungsgesetz« diskutierten Gesetzgebungsvorhaben waren im Nationalsozialismus wieder aufgenommen worden, bevor der formulierte Gesetzentwurf 1944 wegen Kompetenzunklarheiten zwischen Polizei und Justiz als Gesamtpaket scheiterte. Die Regelungen, die Jugendliche betrafen, wurden in den Bereichen der kriminalpolizeilichen Erfassung und Internierung Minderjähriger in »Jugendschutzlagern« in der Praxis jedoch bereits seit 1940 umgesetzt.106 Für die Jugendlichen schlug Freisler vorab eine Definition vor: »Unter den Jugendlichen wird man jedenfalls solche als gemeinschaftsfremd bezeichnen können, die sich als praktisch unerziehbar erwiesen haben.«107

Die Beschreibung dieser Grenze der vermeintlichen Erziehbarkeit, die das Disziplinarwesen der Hitler-Jugend durch seine Strafe zog, spitzte sich in der Endphase des Krieges zu. Mitte 1944 hieß es in einer charakteristischen Ineinssetzung von Devianz und Kriminalität: »Ein Ausschluß aus der Hitler-Jugend ist nur bei völlig Unerziehbaren und Schwerkriminellen erforderlich und möglich.«108 Damit gab die Jugendführung ihren Anspruch auf eine politische Ausleseorganisation für die Gesamtorganisation auf und behielt auch Mitglieder, die »nicht nach dem Bilde der Gemeinschaft geraten« seien.109 Die Jugenddienstpflicht erscheint in dieser Rhetorik weniger als Erfolg der Jugendführung, die ihre Erfassungsgrundlage endlich gesetzlich verbindlich geregelt sah, denn als Eindringen potentieller Gefahren in die nun vergrößerte Gemein103 Möckel, 11.11.1941, BA Berlin, R 3001/alt R 22/1175, Bl. 489–492, Bl. 491f. 104 Ebd. 105 Stellungnahme des RJM, Freisler, an JFdDtR, 6.1.1942, BA Berlin, R 3001/alt R 22/1175, Bl. 489–492, Bl. 495. 106 Vgl. dazu Ayaß, »Asoziale«, S. 202–209; Wagner, Behandlung Gemeinschaftsfremder; Werle, S. 619–680; Peukert, Arbeitslager und Jugend-KZ, S. 415–422; sowie zur rechtshistorischen Entwicklung Willing. 107 Freisler, 6.1.1942, BA Berlin, R 3001/alt R 22/1175, Bl. 495. 108 Knopp, Überwachungswesen, S. 97. 109 Anonym, Arbeitsgemeinschaft für Jugendbetreuung, S. 266.

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schaft. Die Bedeutung der gesellschaftlichen Selektion innerhalb der Jugendorganisation wurde nun deutlicher: Die Entfernungsstrafen galten als Maßnahmen zur »Sicherstellung der Erziehung der gesunden Jugend«.110 Seit Anfang der 1940er Jahre vertrat die Jugendführung explizit den »Standpunkt einer energischen und gesunden Auslese«, um eine Gefährdung durch »gemeinschaftsfeindliche Kinder« zu vermeiden.111 Gemäß ihrer Funktion einer »Erziehung« bei korrigierbaren Verfehlungen und der »Entfernung Unwürdiger«,112 war es die Aufgabe des Disziplinarsystems, die Gemeinschaft der Hitler-Jugend vor diesen unerwünschten Mitgliedern zu schützen. Dazu boten jetzt die »großen Differenzierungsmöglichkeiten innerhalb der gesamten HJ […] eine noch verfeinerte Auslesemöglichkeit«.113 Zu dieser Ordnungs- und Selektionsaufgabe traten erstmals Überlegungen um die Folgen dieser Ausgrenzung. Die Ausgeschlossenen, denen zuvor kein über das Wiederaufnahmeverbot hinausgehender Gedanke gewidmet worden war, wurden nun gerade außerhalb des Verbandes als Gefahr wahrgenommen. Die Dienststrafe sei daher »besonders vorsichtig« zu verhängen, denn jede Bestrafung vergrößere den »Kreis der von der HJ nicht erfaßten und damit der Verwahrlosung besonders ausgesetzten Jugendlichen.«114 Diese neue Sorge über den entgleitenden Zugriff vermischte sich mit der alten Angst vor Unterwanderung und »Zersetzung« von innen heraus.115 Gerade die Disziplinarfunktionen wurden als Ansatzpunkt potentieller Subversion begriffen, wie einem internen Bericht über einen Anhänger des bündischen Jugendführers Eberhard Köbel, genannt »tusk«, von 1942 besonders deutlich wird: Mit dem Ziel eines bündischen Umsturzes habe G. versucht, das »Ideengut« der HitlerJugend zu verfälschen und ausgeschlossene Jungen zu sammeln. Dazu sollten als HJ-Führer tätige »Bündische« zielgerichtet »äußerst scharfe Disziplinarmaßnahmen […] ergreifen«, um noch mehr Mitglieder auszuschließen.116 Eine weitere Variante der Unterwanderungsfantasie bildete auch das befürchtete ›Wiedereinschleichen‹ »krimineller Jugendlicher« nach Ende des Strafvollzugs, das durch eine rechtzeitige Warnung seitens der Vollzugbehörden verhindert werden sollte.117 110 Klemer, Hitler-Jugend und Justiz, S. 31. 111 Müller, Betreuung der Jugend, S. 43. Das Argument der »Gefährdung« der Mehrheit begründete auch die »Unwürdigkeit« der »psychopathischen oder charakterlich abartigen Kinder und Jugendlichen, die durch eine anlagenmäßige Störung in ihrem Charakter Schwierigkeiten haben, mit der Gemeinschaft und ihren Forderungen fertig zu werden«. Ebd., S. 41. 112 Knopp, Überwachungswesen, Organigramm, S. 99. 113 Klemer, Jugendstrafrecht, S. 25. 114 Zucht und Ehre, Jg. 1, 1940, S. 5. 115 RJF, Überwachung der Gefährdung der Jugend, S. 15. 116 RJF/P-Ü, Cliquen- und Bandenbildung, S. 226f. u. 227. Zu Köbel Klein/Stelmaszyk. 117 Klemer, Jugendstrafrecht, S. 47; umgesetzt durch einen Abschlussbericht der Vollzugsanstalten mit einer »charakterologischen« Beurteilung, Erlass des JFdDtR im Einvernehmen mit

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Ein dauerhafter Ausschluss hatte dem auch zuvor bestehenden Anspruch auf die vollständige Erfassung der Zielgruppe widersprochen. Mit der Zwangsmitgliedschaft wurde er jedoch zum Problem, fürchtete die Reichsjugendführung im Krieg doch die Folgen einer Demoralisierung der Bestraften. Außerdem entzog ein Ausschluss den Dienstpflichtigen nicht nur dem Einsatz für die Jugendorganisation, sondern auch den anschließenden Dienstverpflichtungen im Arbeitsdienst und, für die männlichen Jugendlichen, im Wehrdienst.118 In der Kriegssituation erwies sich der mit der Folge von »Ehrendiensten« verknüpfte Ehr- und Würdigkeitsbegriff als kontraproduktiv. Ende 1941, als eine längere Fortsetzung des ausgeweiteten Krieges erkennbar war, einigten die Reichsjugendführung und das Oberkommando der Wehrmacht sich daher auf eine wehrfreudige Auslegung der »Generalklausel« über die Jugenddienstwürdigkeit, nach der »zwar jeder, der wehrunwürdig ist, zugleich jugenddienstunwürdig sein müsste, dass aber umgekehrt nicht jeder Jugenddienstunwürdige zugleich wehrunwürdig zu sein braucht.« Diese neue Sonderstellung ihres Dienstes wurde entwicklungspsychologisch begründet: Einerseits könne der Jugendliche durch Besserung wieder »RAD- oder wehrwürdig« werden.119 In seiner Stellungnahme pries auch Freisler den Arbeits- und Wehrdienst als eine zweite Gelegenheit für den »anderen Teil der Jugendlichen, die der HitlerJugend nicht angehört haben, […] sich in die Volksgemeinschaft hineinzudienen.« Andererseits gebiete die gleichfalls entwicklungsbedingte Beeinflussbarkeit der Jugendlichen einen erhöhten Schutz. Die Hitler-Jugend sei daher durch unwürdige Mitglieder stärker gefährdet als RAD und Wehrmacht. Daher müsse »die Beurteilung der Frage, wer der Jugendgemeinschaft angehören kann, in ungleich höherem Maße unter dem Gedanken des Schutzes vor der erziehlichen Gefahr stehen, die ein einziges minderwertiges Mitglied der Jugendgemeinschaft für die übrigen haben kann«, so Freisler weiter.120 Die Hitler-Jugend übernahm diese Argumentationsvorlage und pragmatische Wehrwürdigkeitserklärung. Zur Rechtfertigung berief sie sich auf einen engeren Ehrbegriff für Jugendliche. Ein Beispiel für eine wehrrechtliche Rehabilitation bildet der Fall des Düsseldorfer Bäckergehilfen Josef W. Der langjährige HJ-Führer war im Winter 1937/38 im Alter von 28 Jahren aufgrund sexueller Übergriffe gegen mehrere ihm unterstellte Minderjährige ausgeschlossen und von der Düsseldorfer Jugendschutzkammer zu einer zweijährigen Gefängnisstrafe verurteilt wordem RJM, 14.9.1940, über die Betreuung straffälliger Minderjähriger, ANBl. VIII/2, 23.9.1940, S. 121–124. 118 Reichsarbeitsdienstgesetz, 26.6.1935, RGBl. 1935, Teil I, S. 769, §§ 1, 5; Wehrgesetz, 21.5.1935, ebd., 609, §§ 1, 13. 119 Möckel, 11.11.1941, BA Berlin, R 3001/alt R 22/1175, Bl. 489–492, Bl. 489. 120 Stellungnahme des RJM, Freisler, 6.1.1942, ebd., Bl. 495f.

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den, da er »aus ehrloser Gesinnung« gehandelt habe.121 Nach Verbüßung seiner Haft fand W. eine Stelle als Bäcker in Neuss. Dem Antrag auf Wiederherstellung der Wehrwürdigkeit des dortigen Wehrmeldeamtes im Juli 1942 befürworteten sowohl die NSDAP-Kreisleitung wie auch die Düsseldorfer Gestapo. Aufgrund guter Führung erhoben sie keine Bedenken, und W. wurde unverzüglich eingezogen.122

2.1.2 Strafpraxis Strafte die Hitler-Jugend-Gerichtsbarkeit nach Einführung der Jugenddienstpflicht tatsächlich zurückhaltender? Im Zeitraum vom 1. Juli 1939 bis 1. August 1941 verfügte sie in 2698 Fällen Ausscheiden und Ausschlüsse. Mit durchschnittlich 112 Personen monatlich entfernte der Jugendverband in diesem Zeitraum ein Promille der Mitglieder.123 Diese Zahl hielt der Richter am Obergericht der Reichsjugendführung und Leiter der HJ-Gerichtsbarkeit, Hess, für einen »sparsame[n] Gebrauch« der Strafe.124 Die öffentlichen Zustellungen in den Befehlsblättern bezeugen fortgesetzte Entfernungen, die in die offiziell im Sommer 1939 eingestellte zentrale Warnkartei nicht mehr eingegangen sind. Ein Vergleich der Deliktverteilung dieser beiden Jahre mit dem vorausgehenden, dicht überlieferten Zeitraum von 1936 bis 1938 zeigt eine geringfügig gestiegene Anzahl der Ausschlüsse insgesamt.125 Mit 26 Prozent verdoppelte sich der Anteil der weiblichen »Warnfälle«. Der Hälfte aller Fälle lagen Eigentumsdelikte zu Grunde (»Vermögen«), die finanzielle Dienstvergehen einschlossen. Ein weiteres Drittel der Warnfälle wurde aufgrund von Sexualdelikten entfernt, wobei einem Drittel dieser Gruppe ein Verstoß gegen StGB § 175 vorgeworfen wurde. Disziplinwidrigkeiten und andere Mängel in der »Haltung« bilden mit einem Anteil von vierzehn Prozent die drittgrößte Gruppe unter den Begründungen. Marginal finden sich hingegen schwere Körperverletzung, Kapitalverbrechen und Abtreibungsdelikte.

121 HStA Düsseldorf, RW 58-19 827; BA Berlin, Warnkartei, Datensatz Nr. 4609. Einer der Tatbeteiligten, der 18-jährige Josef B., wurde ebenfalls verurteilt und als »Gefahr für die heranwachsende Jugend« am 9.8.1938 ausgeschlossen, die anderen »beteiligten« HJ-Angehörigen – alle seit 1933/34 organisiert – wurden »aus den Listen der HJ gestrichen«, HStA Düsseldorf, RW 5819 827, Aktenvermerk, 13.11.1937 (Zitat); BA Berlin, Warnkartei, Datensatz Nr. 505. 122 Schreiben an Wehrmeldeamt in Neuss, 9.10.1942, HStA Düsseldorf, RW 58-19 827, Bl. 41. 123 Vgl. Mitgliederzahlen bis Anfang 1939, Tabelle 1; während für die Kriegszeit Zahlen fehlen, liegt für den Mai 1939 eine letzte Zahl von 8.699 890 Mitgliedern der Gesamtorganisation im erweiterten Reichsgebiet vor. Vgl. Buddrus, Totale Erziehung, S. 288; Rempel, S. 70. 124 Hess, Gerichtsbarkeit der Hitler-Jugend, S. 18. 125 Vgl. Tabellen 4 u. 5.

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Die formale, im Reichsbefehl dokumentierte Unterscheidung der disziplinarrechtlichen Verurteilung zwischen »Ausscheiden« und »Ausschluss« zeigt ein deutliches Übergewicht des Ausscheidens in diesem Zeitraum (74 Prozent). Lediglich »Gewalttaten« wurden vorwiegend mit Ausschluss geahndet. Mit dieser Bevorzugung des Ausscheidens hielt die Disziplinargerichtsbarkeit für einen Großteil ihrer Warnfälle die Möglichkeit zur Wiederaufnahme in nationalsozialistische Organisationen nach einer mehrjährigen Bewährung potentiell offen, ohne auf die konkrete Bestrafung und Entfernung aus dem Jugendverband verzichten zu müssen. Immer häufiger endeten Ausschlussverfahren mit dem Ausscheiden des Beschuldigten für die Dauer eines oder mehrerer Jahre.126 Ein Beispiel, welches das Ausweichen innerhalb der Entfernungsstrafen verdeutlicht, bildet das Disziplinarverfahren gegen den sechzehnjährigen Franz Sch. im Dezember 1942. Nach der jugendgerichtlichen Verurteilung wegen eines Einsteigediebstahls zu einer Gefängnisstrafe von sieben Monaten wurde der junge Mann aus der Hitler-Jugend ausgeschieden. In seiner Erfassungsbiografie, die im Disziplinarverfahren abgerufen wurde, sprach die Anordnung von Fürsorgemaßnahmen im Jahr 1934 gegen ihn: Franz Sch. habe »seit seiner frühesten Kindheit dauernd Diebereien verübt«. Mit der Einschätzung seiner ›Unverbesserlichkeit‹ gab der Straf bescheid zwar eine klassische Ausschlussbegründung an, verhängte jedoch Ausscheiden: »Bei S. ist jeder Versuch ihn zu bessern als fruchtlos zu bezeichnen. S. ist nach seiner seelischen Struktur ein unverbesserlicher Junge, gegen den irgendwelche erzieherische Maßnahmen wirkungslos sind. Es ist damit eine Gefahr für die Hitlerjugend und unwürdig in diesen Reihen zu stehen.«127

In beiden Warnregistern, der Warnkartei wie dem Reichsbefehl Sonderdruck 35/41 K, zeigt sich derselbe Trend der quantitativen Verteilung der Deliktgruppen: Nach Sexual- und Sittlichkeitsdelikten einschließlich homosexueller Art, bildeten Eigentumsdelikte den Hauptanteil und der weite Bereich disziplinarischer Verfehlungen und der »Haltung« die drittgrößte Gruppe. In Übereinstimmung mit der kriminellen Deliktstruktur wurden Ausschlüsse bedeutend seltener mit Gewalt- und Kapitalverbrechen und Abtreibungsdelikten begründet, wenngleich in steigender Tendenz.128 Diese Trends gelten für beide Geschlechter. Als geschlechtsspezifische Abweichung, die sich aus dem enormen Anteil von Vergehen gegen StGB § 175 bei den Sexualdelikten ergibt, bilden bei den Mädchen die Eigentumsdelikte knapp vor den Sittlichkeitsdelikten die 126 Beispiele in den Bekanntmachungen des Amtes HJ-Gerichtsbarkeit, RB 43/43 K, 26.8. 1943, S. 415f. 127 Straf bescheid des K-Führers Gebiet Schwaben, 12.1942, StA Augsburg, HJ-Bann Memmingen, Nr. 26. 128 Zur Deliktstruktur ab 1939 in München und Berlin vgl. Wolff, Jugendliche vor Gericht, S. 305.

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größte Gruppe. Unter den marginalen Ausschlussgründen traten hier außerdem Abtreibungsdelikte vor politischen Delikten und Gewaltverbrechen in Erscheinung.129 Wie diese Deliktverteilung blieb auch der Anteil der aus der Reichsjugendführung selbst entfernten Funktionäre mit einem Prozent konstant.130 Zahlen für die reichsweite Anwendung der dauerhaften Entfernungsstrafe liegen auch für das Jahr 1943 vor. Die rein quantitativen Angaben der HJ-Gerichtsbarkeit erlauben jedoch weder eine Überprüfung, noch eine Differenzierung nach den zu Grunde liegenden Delikten. Vermutlich beruhen sie, wie der überlieferte Sonderdruck des Reichsbefehls, auf den Meldungen der regionalen Gerichte.131 Im Zeitraum vom 1. November 1942 bis zum 31. März 1943 wurden 1 111 männliche und 399 weibliche Angehörige ausgeschlossen oder dauerhaft ausgeschieden.132 Diese Zahlen steigerten sich bis zum Stichtag 1. November 1943 auf insgesamt 2 725 männliche und 1 107 weibliche Angehörige,133 also auf insgesamt 3 832 disziplinarische Entfernungen im Laufe eines Jahres. Gegenüber dem im Sonderdruck erfassten Vergleichszeitraum der ersten beiden Kriegsjahre bedeutet der rechnerische Durchschnitt von rund 300 Ausschlüssen im Monat mit einer Steigerung um mehr als 160 Prozent eine enorme Vervielfachung. Daher kommentierte der Jugendstrafrechtsreferent im Justizministerium, Heinz Kümmerlein, im April 1943 zutreffend, die Disziplinargerichtsbarkeit mache »in ziemlich großem Umfang von der Ausschlussmöglichkeit Gebrauch«.134 Der in beiden Angaben für 1943 vergleichbar hohe Frauenanteil von 29 bzw. 26 Prozent bestätigt eine Tendenz, die sich über die ersten beiden Kriegsjahre hin offenbar fortsetzte. Diese Steigerung lässt sich nicht allein auf einen erhöhten Straf bedarf gegenüber den Frauen durch häufigere Auffälligkeiten zurückführen. Als Voraussetzung ist zu berücksichtigen, dass Mädchen erst seit 1939 in vergleichbarer Anzahl im Jugendverband organisiert waren. Mit den älteren männlichen Hitler-Jungen und HJ-Führern war auch die kriminell aktivste Bevölkerungsgruppe als RAD- und Wehrmachtsangehörige der Hit129 Dass den homosexuellen Delikten der männlichen HJ »die Verstöße gegen den § 218 bei den Mädchen« entsprochen hätten, wie Seidler, S. 227, behauptet, ist – wie gezeigt – unsinnig. 130 Vgl. Tabelle 20. 131 Ankündigungen der HJ-Gerichtsbarkeit in: RB Sonderdruck 35/41 K, 25.9.1941, S. 1; Rundschreiben der RJF, F. 33/41, 4.12.1941, S. 19; sowie – nicht ermittelbare – Sammelmeldungen über Disziplinarverfahren innerhalb der Banne, in: Gebietsrundschreiben Schwaben, April 1943, Februar 1944, StA Augsburg, HJ-Gebiet Schwaben, Nr. 5 und 6. 132 RJF, Klemer, an RJM, Kümmerlein, 15.9.1943, BA Berlin, R 3001/alt R 22/1305, Bl. 346. 133 Tetzlaff, Disziplinarrecht, S. 46. 134 Aktennotiz Kümmerleins, 22.4.1943, BA Berlin, R 3001/alt R 22/1177, Bl. 556. Hingegen argumentiert Buddrus, Totale Erziehung, S. 397, mit der Geringfügigkeit der Ausschlussquote für eine »äußerst sparsame Anwendung« der Strafe und bestätigt damit die Selbsteinschätzung der RJF, verkennt jedoch den Charakter der Strafe.

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ler-Jugend-Gerichtsbarkeit entzogen; auch daher veränderte sich das Zahlenverhältnis der Geschlechter zueinander zugunsten der Frauen.135 Zudem waren junge Frauen kriegsbedingt durch den Führerabzug auch in neue Positionen innerhalb des Jugendverbandes aufgerückt, wodurch sie mehr Gelegenheit zu Verfehlungen im Amt hatten als zuvor. Andererseits stand das Verhalten gerade der älteren Mädchen seit Kriegsbeginn unter einer erhöhten Aufmerksamkeit der Überwachungsorgane. Denkbar ist auch, dass angesichts des gravierenden Führermangels in der Hitler-Jugend junge Männer gezielt zurückhaltender ausgeschlossen wurden. Der Blick auf das parallele Phänomen erhöhter Kriminalitätsziffern für weibliche Jugendliche, der keine entsprechende Steigerung des Anteils im Ersten Weltkriegs vorausging, verweist neben der Veränderung der »Gelegenheitsstrukturen« auf die Rolle der massiven Kontrollmaßnahmen, die eine höhere Auffälligkeit produzierten.136 Neue kriegsbedingte Ausschlussgründe verraten den erhöhten Strafanspruch der Reichsjugendführung, vor allem gegenüber Mängeln in der persönlichen »Haltung«. So wurde die neunzehnjährige Charlotte D. aus Schlesien im Frühjahr 1941 wegen »Umgang mit Kriegsgefangenen« aus dem Bund Deutscher Mädel ausgeschlossen.137 Seit dem Vorjahr war jeder private Kontakt mit Kriegsgefangenen gesetzlich verboten. Die – eigentlich befehlswidrige – Bekanntgabe dieser Urteilsbegründung im Nachrichtenblatt mag zur Abschreckung vor dieser »Verräter[in] an der Volksgemeinschaft« erfolgt sein, wollte die Reichsjugendführung sie doch »rücksichtslos mit Schimpf und Schande aus unserer Gemeinschaft« jagen.138 Im Frühjahr 1943 wurde auch der bereits zu mehrwöchiger Polizeihaft verurteilte Hordenführer Karl M. wegen »Verkehr mit einer Polin« ausgeschlossen.139 Ein Disziplinarverfahren und eine geheimpolizeiliche Verwarnung mit der Androhung von KZ-Haft wurde gegen einen HJ-Angehörigen aus dem oberschwäbischen Bann Mindelheim eingeleitet, da er seinen »fast freundschaftliche[n] Verkehr« mit einer im gleichen Betrieb beschäftigten polnischen Frau auch auf Aufforderung des Streifendienstes nicht beendet habe.140 Ausschlüsse als Konsequenz von gerichtlichen Jugendstrafen erfolgten neben Eigentumsdelinquenz vor allem offenbar wegen solcher 135 Vgl. Blau, S. 43f. u. 47. 136 Vgl. Wolff, Jugendliche vor Gericht, S. 284f.; Kap. 7. 137 Ausschluss durch einstweilige Verfügung des Obergaues Schlesien vom 8.3.1941, durch Gericht der RJF bereits am 7.4.1941 bestätigt. Bekanntmachung der HJ-Gerichtsbarkeit, RB 24/41 K, 19.5.1941, S. 11; RB Sonderdruck 35/41 K, 25.9.1941 [Datensatz Nr. 6877]. 138 Verordnung über den Umgang mit Kriegsgefangenen, 11.5.1940, RGBl. 1940, Teil I, S. 769, § 1; Anordnung der RJF, RB 35/K, 5.4.1940, S. 2f., Zitat ebd., S. 2. 139 Bann Memmingen an Gebietsführer Schwaben zur Einleitung des Verfahrens, 16.3.1942, StA Augsburg, HJ-Bann Memmingen, Nr. 25. 140 SRD-Bericht des Bannes Mindelheim für den Monat Oktober 1940, StA Augsburg, HJGebiet Schwaben, Nr. 57, Bl. 120738ff., hier Bl. 120740.

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»kriegsbedingter Straftaten« wie dem Umgang mit Kriegsgefangenen oder Arbeitsvertragsbruch.141 Das Ausnutzen von Verdunkelungsmaßnahmen bei der Begehung von Straftaten wurde ebenfalls mit Ausschluss sanktioniert.142 Eigenmächtiges Verlassen des Arbeitsplatzes als Verstoß gegen die »kriegswichtige« Arbeitsdisziplin galt jetzt als Nachweis der Unwürdigkeit.143 Die Entfernung aus dem Jugendverband gehörte hier zur Politik gegen »Arbeitsbummelanten«, deren massenhaft beklagte Disziplinlosigkeiten als Sabotage gewertet und mit rechtlichen und besonderen Maßnahmen bekämpft wurden.144 Auch die Veränderungen im gültigen Jugendrecht wirkten sich auf das Disziplinarinstrumentarium aus. So galt die Verurteilung eines Jugendlichen als »jugendlicher Schwerverbrecher«, wie sie seit Oktober 1939 gegen als »frühreif oder charakterlich abartig« betrachtete Minderjährige möglich war, als Nachweis seiner unverbesserlichen Ehrlosigkeit und damit unbedingt als Ausschlussgrund.145 Wie aus den Aussagen Jugendlicher bekannt ist, wurden sie ihrer eigenen Wahrnehmung nach durchaus auch »wegen Kleinigkeiten aus der HJ entlassen«.146 Eine solche unangemessene Anwendung der Disziplinarstrafe wurde offenbar auch im Justizministerium befürchtet. Hier beklagten Rückmeldungen aus dem Strafvollzug eine uneinheitliche Anwendung der Strafe in den einzelnen Gebieten sowie die automatischen Ausschlüsse bei geringfügigeren Straftaten. Daher legte das Ministerium der Reichsjugendführung im Sommer 1943 eine einheitliche und zurückhaltende Strafpraxis nahe.147 Unter Hinweis auf ihre Hauptfunktion des Gemeinschaftsschutzes wies die Gerichtsbarkeit diesen Vorwurf zurück und beteuerte eine stets zurückhaltende disziplinarische Strafpraxis: Nur Jugendliche, die »mit Rücksicht auf ihre kriminelle oder sittliche Verwahrlosung von den anständigen Jugendlichen ferngehalten werden müssen«, würden entfernt. Auch das Kontrollrecht der Reichsjugendführung 141 Bericht des Generalstaatsanwaltes Frankfurt/Main, Wackermann, 17.4.1943, BA Berlin, R 3001/alt R 22/1305, Bl. 342. 142 Vgl. Meldung einer solchen »besonders schweren Diebstahlsangelegenheit« im Gebietsbefehl Schwaben A 5/39 K 1, Oktober 1939, 7, StA Augsburg, HJ-Gebiet Schwaben, Nr. 1. 143 Entscheidung des HJ-Obergerichts, in: Der HJ-Richter, F. 5, Febr. 1942, S. 8. 144 1942 hatten diese Vergehen einen Anteil von 9 Prozent der Gesamtjugendkriminalität, Anfang 1943 von 17 Prozent. Vgl. Schreiben des Leiters der Parteikanzlei der NSDAP, Bormann, an die Reichs-, Gauleiter und Verbändeführer, 29.8.1944, in: Jahnke/Buddrus, Dok. 250, S. 374f.; AV des RMJ zur »Arbeitsdisziplin der Jugend«, 16.12.1943, in: Kümmerlein, Reichsjugendgerichtsgesetz, S. 223–237; Kenkmann, Jugendliche »Arbeitsbummelanten«, S. 273–286. 145 Verordnung zum Schutze gegen jugendliche Schwerverbrecher, 4.10.1939, RGBl. 1939, Teil I, S. 2000; Möckel, 11.11.1941, BA Berlin, R 3001/alt R 22/1175, Bl. 492; Tetzlaff, Disziplinarrecht, S. 46; zur strafrechtlichen Begründung Exner. 146 »Erzählung eines E.[delweiß] P.[iraten]«, 1942, zitiert nach: Peukert, Edelweißpiraten, S. 11. 147 RJM, Kümmerlein, an Jugendführung, Rechtsdienststelle, 13.7.1943, BA Berlin, R 3001/ alt R 22/1305, Bl. 345.

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über die Gerichtsentscheidungen gewährleiste grundsätzlich Einheitlichkeit. Der Untersuchungsführer und Rechtsreferent Klemer behauptete eine gezielt restriktive Anwendung und reduzierte die prinzipielle Kritik auf Einzelfälle.148 Generalstaatsanwaltschaften und Reichsstatthalter sollten Härtefälle, in denen der Ausschluss unangebracht erscheine, dem Ministerium mitteilen.149 Reaktionen auf diese Anfrage sind nicht überliefert. Die Rückmeldungen aus Justiz und Jugendpflege, die im Justizministerium bei Kümmerlein eingingen, drängten grundsätzlich darauf, während des Krieges »sehr viel vorsichtiger« disziplinarisch zu strafen. Außer der »Gefahr von Banden- und Cliquenbildung«150 fürchteten auch die Praktiker aus Strafvollzug und Fürsorgeerziehung die Demoralisierung der Jugendlichen, denen durch den Ausschluss »oft der Anreiz genommen werde, sich innerhalb einer Gliederung der Partei zu bewähren«.151 Kümmerlein, der als aktiver Hitler-Jugend-Jurist seit 1940 ministerieller »Verbindungsführer zur Reichsjugendführung« war,152 vertrat in Besprechungen mit Tetzlaff und Klemer die Position, Entfernungsstrafen nur im Ausnahmefall zu verhängen.153 Mehrfach beteuerte die Reichsjugendführung ihr Einverständnis mit dieser »allgemeinen Linie« der Zurückhaltung, erklärte den Verzicht auf die Strafe jedoch gerade während des Krieges für nicht praktizierbar.154 Offenbar bedeutete eine Disziplinierung auffälliger Jugendlicher innerhalb der Hitler-Jugend einen zu hohen Personalaufwand. Möglicherweise erforderte auch die Stimmung in den HJ-Einheiten eine harte Linie. Als Alternative zum Strafverzicht schlug die HJ-Gerichtsbarkeit die Betreuung der Ausgeschlossenen durch die NSV-Jugendhilfe vor.155 Mit der Meldung von Entfernungen an Jugendämter und Vormundschaftsrichter erweiterte sie das Warnsystem.156 Auf diese Weise versuchte die Reichsjugendführung, die durch den Ausschluss entstehende Disziplinierungslücke durch 148 Klemer an Kümmerlein, 15.9.1943, ebd., Bl. 346; ähnlich in der Publizistik, etwa Axmann, Erziehungsmittel, S. 278; Müller, Betreuung der Jugend, S. 33. 149 Schreiben Eichlers an die Generalstaatsanwälte, 27.9.1943, BA Berlin, R 3001/alt R 22/1305, Bl. 347ff. 150 Aktennotiz Kümmerleins, 9.3.1943, BA Berlin, R 3001/alt R 22/1177, Bl. 554. 151 Internes Schreiben des RJM, Abt. Strafvollzug, Marquard-Ibbeken, an Eichler und Kümmerlein, 4.6.1943, BA Berlin, R 3001/alt R 22/1305, Bl. 343; Aktenvermerk, ebd., Bl. 345. 152 Ernennung des seit 1934 aktiven Rechtsreferenten zunächst des HJ-Gebietes Ruhr-Niederrhein, dann – ehrenamtlich – der RJF, durch RJM, Schlegelberger, und RJF. Vgl. Wolff, Jugendliche vor Gericht, S. 97ff. 153 Kümmerlein an JFdDtR, Soziales Amt, Rechtsdienststelle, 13.7.1943, BA Berlin, R 3001/ alt R 22/1177, Bl. 345. 154 Aktennotizen Kümmerleins, 7.4.1943, ebd., Bl. 555; 22.4.1943, ebd., Bl. 556. 155 Aktennotiz Kümmerleins, 22.4.1943, ebd., Bl. 556. 156 Aktennotizen Kümmerleins über Besprechungen mit Klemer, 30.4.1943, ebd., Bl. 557; 13.10.1943, ebd., Bl. 558; Meldepflicht eingeführt durch Erlass des JFdDtR, 16.12.1943, ANBl. 1/ XII, 10.1.1944, S. 1–4, S. 3.

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eine engere Kooperation mit Organen der Jugendstrafrechts- und Jugendpflege zu schließen. Dieser Ausweg, eine unmittelbare Anschlussbetreuung einzurichten, ermöglichte es den Disziplinarpolitikern, die durch den Begriff der Jugenddienstwürdigkeit gestützte Grenzziehung am Kriterium der »Erziehbarkeit« aufrecht zu erhalten. Die kontrollierende Betreuung »unerziehbarer« Jugendlicher, die sich aus Sicht der Disziplinartheoretiker und der Juristen als »gemeinschaftsfremd erwiesen« hatten, überwies sie der Verantwortung anderer Dienststellen.157 Die immer wieder beteuerte Beschränkung der Entfernungsstrafe wurde hingegen nicht umgesetzt. Das gleichbleibende Niveau von Ausschlüssen bis 1941 und die massive Steigerung im Jahr 1943 deuten vielmehr auf einen ebenfalls gesteigerten Straf bedarf der Disziplinargerichtsbarkeit, den sie bis in die letzten Kriegswochen umsetzte. Noch am 9. Februar 1945 schloss etwa das HJ-Gericht Düsseldorf den zwanzigjährigen wehrdienstuntauglichen Wuppertaler HJ-Scharführer Günter Gustav P. gemeinsam mit anderen HJMitgliedern aus. Während sich Gesellschaft und Militär in Auflösung befanden, erschien P. wegen der Teilnahme an einer privaten Wanderung »nicht mehr würdig […], der Gemeinschaft der deutschen Jugend anzugehören«.158 Der Ausschluss des gleichaltrigen Hilfsarbeiters Johann B. aus Rinn in Tirol-Vorarlberg am 5. April 1945 gelangte noch bis in die Warnkartei.159

2.1.3 Zwischen Disziplinierung und Strafe: Arrest Als staatliche Dienstpflicht war die Verletzung der »Jugenddienstpflicht« selbst straf bar. Bereits ihr Einführungstext enthielt Straf bestimmungen gegen jede Person, die »böswillig einen Jugendlichen vom Dienst in der Hitler-Jugend abhält oder abzuhalten versucht«.160 Die gegen »hartnäckige Jugenddienstverweigerer« selbst anzuwendenden Mittel wurden zunächst zwischen Jugendführung, 157 Klemer, Jugendstrafrecht, S. 102; Freisler an RJF, 6.1.1942, BA Berlin, R 3001/alt R 22/1175, Bl. 495. 158 Akten des Ermittlungsverfahrens wegen Betätigung für die verbotene bündische Jugend, zitiert bei Muth, Jugendopposition, S. 391; Verbot »geschlossene[r] Wanderungen und Wanderfahrten von Jugendlichen außerhalb der Hitler-Jugend«, Gestapo, Stapoleitstelle Köln, 27.1.1943, in: Hellfeld/Klönne, Dok. 130, S. 317f; Anweisung zum Festhalten von Jugendlichen ohne HJFahrtenerlaubnisschein, Gestapo, Stapoleitstelle Köln, 6.19.1943, ebd., Dok. 131, S. 318f.; zur Wahrnehmung »wilder Fahrten« durch die Überwachungsdienststelle der Reichsjugendführung vgl. JFdDtR, Kriminalität und Gefährdung der Jugend, S. 173ff. 159 Warnkarte ohne Begründung mit Vermerk »lt. RL«, BA Berlin, Warnkartei, Datensatz Nr. 71. 160 »Jugenddienstverordnung« § 12; Strafverfolgung jedoch nur »auf Antrag« des JFdDtR, vgl. Erlass des JFdDtR über polizeiliche Maßnahmen zur Erfüllung der Jugenddienstpflicht, 26.3.1940, ANBl. VIII/6, 10.5.1940, S. 57ff.; Erlass des RFSSuChdDtPol zur Erzwingung der Jugenddienstpflicht, 20.10.1942, BA Berlin, R 3001/alt R 22/1176, Bl. 298.

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Justiz und Polizei diskutiert. Die Hauptentscheidung galt der Wahl zwischen polizeilicher Freiheitsentziehung oder Disziplinarmitteln.161 Die Regelung fiel zugunsten polizeilicher Mittel aus. Ähnlich der Durchsetzung von Schul- und Wehrpflicht war eine polizeiliche Zuführung möglich, die in den folgenden Jahren als polizeiliche »Erzwingung der Jugenddienstpflicht« praktiziert wurde. Auf Antrag der Hitler-Jugend erhob die Ortspolizei Bußgelder oder übte auch »unmittelbare[n] körperliche[n] Zwang« aus. Bei fortgesetzten Dienstversäumnissen konnten die nachgeordneten staatlichen Dienststellen der Jugendführung zusätzlich Strafanzeige gegen die Jugendlichen und ihre Erziehungsberechtigten stellen.162 Zahlreiche Strafanträge aus dem Jahren 1941 bis 1944, die im Bestand des oberschwäbischen HJ-Bannes Memmingen überliefert wurden, zeugen ebenso von einer aktiven Inanspruchnahme der polizeilichen Gewalt wie von einem erheblichen Potential an Dienstunwilligen in der oberschwäbischen Stadt. Aus den disziplinarischen Befragungsprotokollen der Jugendlichen und ihrer Eltern sprechen seltener eine bewusste Ablehnung des Dienstes als vielmehr wirtschaftliche Gründe.163 Mal könne die Arbeitskraft des Sohnes in der Landwirtschaft nicht entbehrt werden, ein anderes Mal wird angeführt, der Heimabend sei mit der frühen Arbeitszeit als Bäcker unvereinbar.164 Ein zum Pflichtdienst Herangezogener wehrte sich gegen seine »Pflichten als deutscher Junge« 1940 schlagfertig mit der zutreffenden Begründung, die Vorschriften über die Dienstverpflichtung seien ja noch nicht in Kraft getreten.165 Noch im Frühjahr 1945 stellte der benachbarte Bann Günzburg Strafanträge gegen »Jugendgenossen« und ihre Eltern.166 Wie ernst die Durchsetzung der Dienstpflicht von den lokalen Führungsstäben der Hitler-Jugend genommen wurde, zeigen eigene Vorschläge zur Ahndung einer Bannführung aus Augsburg.167 161 Schreiben Kümmerleins, 26.6.1942, an Landgerichtsdirektor Clostermann, ebd., Bl. 290. 162 Erlasse des JFdDtR zur Erzwingung der Jugenddienstpflicht und der Verfahren bei Zuwiderhandlungen zur Jugenddienstpflicht, 26.3.1940, ANBl. 3/VIII, 29.3.1940, S. 13f.; Verfügung des RJM, 5.7.1941 und 24.11.1942, in: Kümmerlein, Reichsjugendgerichtsgesetz, S. 467–470; Schulz, S. 200. Vgl. dazu vertrauliches Schreiben der NSDAP, Gauorganisationsleiter München-Oberbayern, 18.3.1940, über Polizeimaßnahmen bei Verweigerung des HJ-Dienstes, BA Berlin, NS 28/82, mit Verfügung des Dachauer Landrates, 10.2.1940, an Gendarmerie und Bürgermeister. 163 Die Strafanzeige wegen vorsätzlicher Köperverletzung und »Schädigung des Ansehens der Partei« gegen einen Sontheimer Bauern, der sich mit einer Ohrfeige gegen Maßregelung seines dienstsäumigen Sohnes wehrte, bildet ein Gegenbeispiel, datiert 2.11.1943, StA Augsburg, HJ-Bann Memmingen, Nr. 67. 164 28 Strafanträge gegen Dienstsäumige oder ihre Erziehungsberechtigten aus den Jahren 1940–1944, StA Augsburg, HJ-Bann Memmingen, Nr. 25. 165 SRD-Bericht des Bannes Kempten, ohne Datum [Ende 1940], StA Augsburg, HJ-Gebiet Schwaben, Nr. 57, Bl. 120 733f. 166 StA Augsburg, HJ-Bann Günzburg, Nr. 13, Bl. 3577, die Anträge datieren 13.2.1945 und 6.4.1945. 167 Vertraulicher Bericht des Streifendienstführers im Bann Augsburg-Stadt, 25.7.1940, StA Augsburg, HJ-Gebiet Schwaben, Nr. 49, Bl. 120552, der »Spielverbot« wegen Dienstversäumnis

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Gegen Dienstsäumige, die bereits in der Hitler-Jugend organisiert waren, dem Pflichtdienst oder besonderen Einsatzbefehlen »für die Zwecke der Reichsverteidigung«168 aber wiederholt fernblieben, wurde hingegen disziplinarisch vorgegangen. Dazu führte die Reichsjugendführung im September 1940 mit dem »Jugenddienstarrest« ein neues Disziplinarmittel ein.169 Diese Erweiterung ihres Katalogs von Maßnahmen der »großen Disziplinargewalt« machte eine Neufassung der Kriegs-Dienststrafordnung erforderlich. Hier erschien der Arrest erstmals zwischen der schwersten »Ehrenstrafe«, der »Aberkennung der Fähigkeit, Jugendführer zu sein«, und den Entfernungsstrafen.170 Als »der letzte Appell an die Ehre des Jungen, bevor die Hitler-Jugend ihn aufgibt und aus ihren Reihen entfernt«, wurde der Arrest als direkte Lösung des disziplinarrechtlichen Dilemmas verstanden, den gewachsenen Strafanspruch mit einer zurückhaltenden Strafanwendung zu vereinbaren.171 Da die Kurzhaft aber auf Jungen zwischen vierzehn und achtzehn Jahren beschränkt war, bedauerte die HJ-Gerichtsbarkeit noch 1944, über kein vergleichbares Mittel zur Durchsetzung der Jugenddienstpflicht bei Mädchen zu verfügen.172 Hier bestand der Konflikt also fort. Die »reine Disziplinarstrafe« Arrest nahm eine Sonderstellung unter den Disziplinarmitteln der Hitler-Jugend ein. Gleichermaßen für »grobe« Disziplinarverstöße wie straf bare Handlungen vorgesehen, ahndete sie auch »unwürdige Handlungen«, die in keiner Beziehung zur Jugendorganisation standen.173 Damit betraf das neue Disziplinarmittel Tatbestände, die zuvor mit Ausscheiden oder Ausschluss belangt worden waren. Im ersten Jahr nach seiner Einführung wurde der Jugenddienstarrest in ungefähr 800 Fällen angewandt.174 Davon betrafen 61 Prozent der Verurteilungen Disziplinlosigkeiten – vorrangig Verletzungen der Jugenddienstpflicht – und 39 Prozent straf bare Handlungen, vor allem Körperverletzung und Urkundenfälschung, auch von Dienstausweisen.175 Die Auswertung der Beispielentscheidungen im Schulungsblatt »Der Hitler-Jugend-Richter« legt die Vermutung nahe, dass der Arrest ebenfalls Ausschlüsse auffing: Wegen Kontaktaufnahmen zu Kriegsgefangenen oder dem »kollegialen Umgang« mit einem Polen im »Warthegau« verhängte die von 3 Handball spielenden Angehörigen der SRD-Gefolgschaft beantragte und Strafverfolgung gegen den anwesenden Sportlehrer. 168 Schulz, S. 199. 169 Einführung der Dienststrafe Jugenddienstarrest durch Erlass des JFdDtR, 17.9.1940, ANBl. VIII/14, 25.10.1940, S. 139–148; BA Berlin, R 3001/alt R 22/1174, Bl. 509ff. 170 Dienststrafordnung 1941, S. 2. 171 Axmann, Erziehungsmittel, S. 278; vgl. auch Tetzlaff, Jugenddienstarrest, S. 52. 172 Klemer, Disziplinarrecht, S. 158. 173 Tetzlaff, Jugenddienstarrest, S. 53; Lüer, S. 251. 174 Laut Mitteilung der HJ-Gerichtsbarkeit handelte es sich um 790 Fälle, Rundschreiben der RJF, F. 31/41, 15.11.1941, S. 15; Tetzlaff, Jugenddienstarrest, S. 56, nennt 815. 175 Ebd., S. 56f.

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HJ-Gerichtsbarkeit z. B. Wochenendarrest. Das Höchstmaß von einer Woche Haft wurde wegen der schweren Körperverletzung eines Streifendienstlers ausgesprochen.176 In diesen Urteilen formulierten die Disziplinarrichter ausdrücklich eine Bewährungsmöglichkeit, obwohl der Betreffende »nach seiner Haltung […] eigentlich unwürdig« sei, Mitglied zu bleiben und bei weiteren Verstößen sofort ausgeschlossen werde.177 Besonders empfohlen bei homosexuellen Handlungen von Jugendlichen, die als entwicklungsbedingte »Pubertätsentgleisungen« gewertet wurden, richtete sich das Mittel gleichfalls gegen schwere, doch als korrigierbar geltende Verstöße.178 Wie die anderen Mittel der »großen Disziplinargewalt« wurde der Jugenddienstarrest vorübergehend durch die »Sonderbeauftragten der Reichsjugendführung« verhängt, ab Februar 1942 von den Gebietsführern und HJ-Richtern.179 Der Arrest unterschied sich aber grundsätzlich von den Entfernungsstrafen. Im Unterschied zur Praxis bei Ausscheiden und Ausschlüssen wurde hier die Verfehlung, nicht der Delinquent benannt, entsprechend auch keine Warnkarte ausgestellt.180 Wie die anderen disziplinierenden »Ehrenstrafen« wurde Arrest »aus erzieherischen Gründen« vor den Einheiten bekannt gegeben,181 und, wie für die zeitgleich eingeführte Jugendstrafe »Jugendarrest«182, die Verurteilung an die Schulen der Jugendlichen gemeldet, allerdings unter ausdrücklichem Verbot dortiger Konsequenzen.183 Als »Zuchtmittel ohne Rechtswirkung einer Strafe« galten beide Arrestformen nicht als Vorstrafen.184 Dieser relative Persönlichkeitsschutz folgte der Definition des Arrestes als »Erziehungsmittel«, obgleich über ihre Wirkung als »Strafmaßnahme« Einigkeit bestand.185 Jugenddienstarrest sollte daher nur bei Jugendlichen, »auf die ein erzieherischer Einfluss noch möglich ist«, angewandt werden. Die schnelle Ahndung – binnen drei Wochen – sollte »schockartig« wirken, entsprechende Lektüre die 176 Entscheidungen der Sonderbeauftragten der RJF, in: Der HJ-Richter, F. 5, Febr. 1942, S. 9ff. 177 Entscheidungen der Sonderbeauftragten der RJF, in: Der HJ-Richter, F. 4, Juni 1941, S. 7–11, S. 7f. u. 10. 178 Tetzlaff, Homosexualität, S. 5. 179 Erlass des JFdDtR, 9.1.1942, ANBl. IX/2, 10.2.1942, S. 13–17, S. 13. 180 Amt HJ-Gerichtsbarkeit auf Grundlage der Anordnung des RJF vom 9.6.1941, Rundschreiben der RJF, F. 20/43, 15.7.1943, S. 429. 181 Lüer, S. 254. 182 Verordnung zur Ergänzung des Jugendstrafrechts, 4.10.1940, RGBl. 1940, Teil I, S. 1336; Allgemeine Verfügung (»Jugendarrestverordnung«), 1.11.1940, in: Deutsche Justiz, Jg. 102, 1940, S. 1243. Vgl. Boldt, Jugendarrest. 183 Runderlass des RMWEV, 18.6.1941, in: VHB, Bd. II, S. 1023. 184 RJGG § 7, Abs. 2 und 3; Anordnung der RJF über den Vermerk von Vorstrafen in den Karteimitteln der Wehrmacht, Rundschreiben der RJF, F. 19/44, 26.9.1944, S. 401. 185 Protokoll der Sitzung des Ausschusses für Jugendrecht über Grundsätze des Jugendrechts, 5.8.1938, in: Schubert, Bd. 11, S. 139–147, S. 140.

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Arrestzeit inhaltlich gestalten.186 Das strafrechtliche, »wesensverwandte Zuchtmittel Jugendarrest«, pries Reichsjugendführer Axmann bei seiner Einführung vor der Akademie für Deutsches Recht als »das modernste nationalsozialistische Erziehungsmittel«.187 Der Jugendarrest kodifizierte eine Forderung der Jugendgerichtsbewegung, die in der nationalsozialistischen Jugendrechtsreform wieder aufgenommen worden war. Als Zwitterform wurden »Zuchtmittel« als neue Kategorie neben Strafen und Erziehungsmaßnahmen im Reichsjugendgerichtsgesetz verankert.188 Die Definition als »Zuchtmittel«, das »Straf- und Erziehungszwecke in sich vereint«,189 sollte die Doppelfunktion von Erziehung und Strafe, wie sie die Reichsjugendführung vertrat, zum Ausdruck bringen.190 Unmittelbar nach seiner Einführung war der Strafarrest gerade bei Arbeitgebern so beliebt, dass geradezu ein Wirkungsverlust befürchtet wurde.191 Das neue Reaktionsmittel war auch insofern innovativ und charakteristisch für die Entwicklung des nationalsozialistischen Jugendstrafrechts, als es die Anwendung von Sanktionen des Jugendstrafrechts erstmals offiziell nach der Volkszugehörigkeit beschränkte. Damit zielte es, wie sämtliche anderen jugendrechtsreformerischen Vorhaben im Nationalsozialismus, die sich als »erzieherisch« verstanden, nicht auf alle Jugendlichen, sondern nur auf die »artgebundene«, deutsche Jugend »im Sinne des Reichsbürgergesetzes«.192 Bevor das »Volkstumsprinzip«, ein »Erziehungsgesetz« immer nur auf Deutsche anzuwenden,193 1943 für das gesamte Jugendstrafrecht verbindlich wurde und eine Doppelgleisigkeit mit sonderrechtlichen Verordnungen für »Angehörige anderen Volkstums« fixierte,194 verwirklichte bereits die parallele und in enger Zusammenarbeit entwickelte Erweiterung des Katalogs der disziplinarischen 186 Lüer, S. 252 u. 254; Verzeichnis geeigneter Lektüre für Jugendarrest und Jugenddienstarrestanstalten, hg. v. Reichsschrifttumsstelle und Amt HJ-Gerichtsbarkeit der RJF, BA Berlin, R 3001/alt R 22/1305, Bl. 32–36. 187 Titel der Rede Axmanns am 6.11.1940 auf der Festsitzung zur Einführung des Jugendarrestes des Ausschusses für Jugendrecht. 188 RJGG 1943, §§ 7–10. Vgl. zur Sanktionsform rechtshistorisch und -systematisch umfassend Meyer-Höger. 189 Schilf, S. 75. 190 Dörner, Erziehung, S. 206ff.; sowie Wolff, Jugend und Strafrecht, S. 50. 191 Vgl. etwa Bericht der Generalstaatsanwaltschaft München, 31.3.1941, BA Berlin, R 3001/ alt R 22/3379, Bl. 26f. Vom Vollzug zeigten sich Mädchen offenbar »weniger beeindruckt« als Jungen, ebd., Bl. 30f. Zwecks höherer Wirkung plädierten die Gau-AGs für »Exempel«, Seiler, S. 275. 192 Pritzsche, S. 69; der Autor war Amts- und Landrichter und Referent im Rechtsamt der RJF. 193 Vermerk Kümmerleins, 19.6.1942, BA Berlin, R 3001/alt R 22/1178, Bl. 334. 194 RJGG § 1, Abs. 2; als Sonderrechte für jüdische und polnische Jugendliche galten: 13. VO über das Reichsbürgergesetz, § 1, Abs. 1, 1.7.1943, RGBl. 1943, Teil I, S. 372; »Verordnung über die Strafrechtspflege gegen Polen und Juden in den eingegliederten Ostgebieten«, 4.2.1941, RGBl. 1941, Teil I, S. 759ff. Vgl. Dörner, Erziehung, S. 222.

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und strafrechtlichen Mittel diese rassistische Einschränkung. »Erziehungsstrafen« bezweckten eine Resozialisierung als Wiedereingliederung in die »Volksgemeinschaft«, die disziplinarrechtliche Variante »Jugenddienstarrest« zielte entsprechend auf die Reintegration in die Jugendgemeinschaft. Damit dienten beide Arrestformen, wie der bevorzugte Begriff »Zuchtmittel« unterstreicht, der Disziplinierung.195 Zugleich realisierte die parallele Etablierung der Arrestformen eine enge Verknüpfung der straf- und disziplinarrechtlichen Ahndung, auf welche die Rechtspolitik der Jugendführung langfristig hingearbeitet hatte. Denn die notwendige verfahrensrechtliche Abgrenzung beider Arrestformen sah bei dem strafrechtlichen Verstoß eines Hitler-Jungen vor zu prüfen, ob nicht eine disziplinarische Ahndung ausreiche.196 Die Ersetzung einer jugendgerichtlichen durch eine disziplinarische Sanktion, die im Reichsjugendgerichtsgesetz fest verankert wurde, wurde hier erstmals möglich.197 Die Reichsjugendführung erweiterte mit der Einführung des »Jugenddienstarrestes« ihren Disziplinarrahmen für die bisherige Hauptzielgruppe ihrer Strafe, die älteren Hitler-Jungen, deren einmalige »schwere« Verstöße nun als korrigierbar galten. Das neue Disziplinarmittel wurde jedoch nicht disziplinarisch vollstreckt. Die Inhaftierungen an einzelnen Wochenenden bis zu acht, schließlich zehn Tagen übernahmen Polizei und Justiz.198 In der Freiheitsentziehung auf Grundlage staatspolizeilicher Verfügung, die in Diensträumen der Polizei und in Jugendgefängnissen vollstreckt wurde,199 sah Axmann eine »gesunde Ergänzung« der Verfolgungs- und Überwachungsinstanzen von Hitler-Jugend, Justiz und Polizei.200 Die polizeilichen Maßnahmen erfolgten unabhängig von den disziplinarischen, sollten allerdings abgestimmt werden. Die HJ-Gerichtsbarkeit bemühte sich, ihre Maßnahmen nicht durch »laufende« Anwendung gegen Dienstsäumige zu schwächen.201 Das Vorgehen gegen die »Dienstverweigerung« entsprach dem Disziplinarkonzept, eine Großgruppe durch die Bestrafung Weniger zu disziplinieren, und galt als erfolgreich. 195 So für den »Jugendarrest« Wolff, Jugend und Strafrecht, S. 50. 196 AV des RJM über Jugendarrest und Jugenddienstarrest, 11.12.1940, in: Deutsche Justiz, Jg. 102, 1940, S. 1392f; ersetzt durch AV, 20.1.1942, ANBl. 10.2.1942, S. 15f., S. 15; vgl. Bergemann, S. 42f. 197 RJGG 1943, § 30, Abs. 2 (Absehen von Strafverfolgung), § 31, Abs. 1 (Einstellung des Strafverfahrens), präzisiert in AV des RJM über Hitler-Jugend und Strafrechtspflege, 18.12.1943, in: Deutsche Justiz, Jg. 105 1943, S. 569f.; Klemer, Hitler-Jugend und Justiz, S. 32; vgl. auch Wolff, Hitlerjugend, S. 666. 198 Freisler, 29.10.1941, BA Berlin, R 3001/alt R 22/1174, Bl. 510; Anfrage der RJF, 18.10.1941, ebd., Bl. 511; Erlass des JFdDtR, 9.1.1942, ANBl. IX/2, S. 13; Tetzlaff, Jugenddienstarrest, S. 53. 199 Rundverfügung des RJM an Generalstaatsanwälte, nachrichtlich an RJF und RFSS, 30.9.1941, BA Berlin, R 3001/alt R 22/1307, Bl. 196. 200 Axmann, Erziehungsmittel, S. 279. 201 Beneke, S. 5.

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Die Einheiten erreichten »rasch ihre volle Antrittsstärke […], sobald einmal gegen einen lästigen Jugenddienstpflichtigen polizeilich vorgegangen wurde.«202 Allerdings profitierte der Jugendverband dazu von der Autorität polizeilicher Organe. Die Form des Disziplinarmittels als mehrtägiger Arrest und ihr Vollzug durch staatliche Exekutivinstanzen ging über die ehrkränkenden »Ehrenstrafen« von Ermahnungen und Degradierungen weit hinaus. Wie die zunehmend auf »Ausscheiden« erkennenden Urteile drückte das »vielseitig verwendbare Disziplinarmittel zwischen Erziehung und Strafe«203 den erhöhten Strafanspruch der Reichsjugendführung innerhalb des Verbandes aus, der durch das neue, massive Disziplinarmittel als Disziplinierung abgeleitet werden konnte. Die Inanspruchnahme staatlicher Macht zu disziplinarischen Zwecken stellte zugleich die zuvor stets betonte Eigenständigkeit der HJ-Gerichtsbarkeit in Frage. Um diesen Preis suchte die Hitler-Jugend den strategischen Ausweg aus ihrem disziplinarischen Dilemma in der verstärkten und unmittelbar anschließenden Kooperation: Vormundschaftsrichter und Fürsorgeerziehung fingen den durch den Ausschluss entstehenden Disziplinierungsausfall ab. Der Jugenddienstarrest zögerte eine Entfernung adoleszenter Hitler-Jungen hinaus, wie zwei Beispiele zeigen. Wegen des »tätlichen Angriffs« auf einen Oberkameradschaftsführer wurde der Oberrottenführer Hans K. aus dem HJ-Bann Memmingen 1942 zu Jugenddienstarrest und Degradierung verurteilt.204 Deutlicher wird der Aufschub noch im Fall des sechzehnjährigen Willi F., der 1943 vom K[riegs]-Leiter des HJ-Gerichtes im Gebiet Düsseldorf zu einem zehntägigen »Jugendarrest« – dem Höchstmaß – verurteilt wurde. Durch eine abfällige Äußerung nach einer »Führerrede« gegenüber seinen Arbeitskollegen – »Wat het das brune Ferke gister Ovend all gesät?« –, habe der Schlosserlehrling sich »gegen den Führer und die deutsche Volksgemeinschaft in gröblichster Weise vergangen«. Erschwerend wirkte noch die unregelmäßige Dienstteilnahme. Der Straf bescheid, in einer Abschrift in der Gestapoakte überliefert, begründete mit spürbarer Empörung ausdrücklich die Verhängung von Jugenddienstarrest mit einer »Bewährung im HJ-Dienst« anstelle des eigentlich für angemessenen gehaltenen Ausschlusses.205 Der Bannführer beantragte anschließend dennoch ein Ausschlussverfahren, da er Willi F.s »Haltung« als »Gefahr« für die Einheit einschätzte.206

202 Kugler, S. 314. 203 Dörner, Erziehung, S. 213. 204 K-Hauptstammführer an Gebietsführer Schwaben, 4.3.1942, StA Augsburg, HJ-Bann Memmingen, Nr. 25. 205 Straf bescheid, HStA Düsseldorf, RW 58-61 913, Bl. 3ff.; Antrag auf Einleitung eines Disziplinarverfahrens durch den Bannführer Krefeld, 9.4.1943, ebd., Bl. 6. 206 Straf bescheid, 6.4.1943, ebd., Bl. 3–6.

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2.2 Überwachen Weitgehende Kooperation kennzeichnete auch die Überwachungsaktivitäten in den Kriegsjahren. Nach einer Burgfriedenserklärung gegenüber den Kirchen 207 sah die Reichsjugendführung in unorganisierten Zusammenschlüssen Jugendlicher, die sich in ihrem Freizeitverhalten oder einem betont individualistischen Lebensstil von der Hitler-Jugend absetzten und fernhielten, eine neue Kategorie von Gegnern. Ihre Existenz demonstrierte zugleich die Grenzen der Attraktivität und der Reichweite der Massenorganisation. Wie Polizei und Justiz nahm auch die Jugendführung die zahlenmäßig kaum bedeutenden, seit 1936/37 aber verstärkt beobachteten regionalen und spontanen Gruppenbildungen und »Cliquen« als bedrohliche »Gefährdungsund Verwahrlosungsherde« wahr. Sie befürchtete eine »Zersetzung« und Gefährdung ihrer ›Erziehungsarbeit‹ bereits durch geringfügige Abweichung und Nichtorganisation, auch wenn keine klare weltanschauliche oder politische Motivation der Gruppierungen erkennbar war.208 Zur Standardbeschreibung solcher Zusammenschlüsse, wie sie spätestens seit Ende der 1920er Jahre zur großstädtischen Alltagskultur gehörten,209 zählten beendete Mitgliedschaften in der Hitler-Jugend, seien sie durch Entfernungsstrafen – also durch disziplinarische Ausgrenzung – oder verwaltungstechnische Erfassungslücken – als Selbstausgrenzung der Jugendlichen – entstanden. Außerdem galt eine erklärte Opposition zum disziplinarischen Überwachungsorgan, dem HJ-Streifendienst, als typisch. Die Einschätzung des Sicherheitsdienstes, dass »Formationsentfremdung und allgemeine Verwahrlosung« miteinander einhergingen,210 wurde von der Jugendführung geteilt. Ende 1941 urteilte ihr kriminalstatistischer Bericht zur »Kriminalität und Gefährdung der Jugend«, der »gegenüber der Vielzahl der widersprechenden Meinungen ein klares Bild der wirklichen Lage vermitteln« sollte,211 es seien entweder Jugendliche, »die niemals mit der Hitler-Jugend etwas zu tun gehabt haben«, oder ausgeschlossene und ausgeschiedene Mitglieder, die den Überwachungsorganen auffielen:

207 Geheimes Schreiben des RJF zur Vermeidung von offenen Auseinandersetzungen während des Krieges, 11.9.1939, erneut 28.9.1939, in: Jahnke/Buddrus, Dok. 184 u. 189, S. 309 u. 313. 208 RJF/PÜ, Cliquen- und Bandenbildung, S. 177; Systematisierung der Gruppen ebd., S. 162f. Zur Unverhältnismäßigkeit der Reaktion vgl. Rempel, S. 10f.; Wolff, Jugendliche vor Gericht, S. 367. 209 Vgl. Mitterauer, S. 209ff.; Kenkmann, Wilde Jugend, S. 364; sowie Rosenhaft; Peukert, Jugend zwischen Krieg und Krise, S. 251–266. 210 Bericht SD-Unterabschnitt Königsberg, 15.3.1939 [?], zitiert in: JFdDtR, Kriminalität und Gefährdung der Jugend, S. 188. 211 Rundschreiben der RJF, F. 25/41, 26.8.1941, S. 15.

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»Es sind dies oft frühere bündische oder marxistische Elemente oder auch solche Jugendliche, denen die Erziehung in der Hitler-Jugend nicht paßte, und die sich nicht einzuordnen vermochten.«212

Tatsächlich war knapp ein Drittel der zwischen 1937 und 1941 von der Gestapo wegen »Cliquenbildung« im Rhein-Ruhr-Raum vernommenen Jugendlichen nicht Mitglied der Jugendorganisation.213 In Landshut beobachtete der HJ-Streifendienst jedoch, dass verdächtigte Jugendliche ihren Dienst bewusst »einwandfrei« leisteten, um jeder disziplinarischen Maßregelung zu entgehen.214 Die Gruppenbildungen standen nach Einschätzung der Überwachungsstelle im Personalamt der Reichsjugendführung zum Teil »in offener politischer Gegnerschaft zum Nationalsozialismus und zur Hitler-Jugend«. Insbesondere die als »Vergnügungs- und Swinggruppen« klassifizierten und daher als »politische Gegner« begriffenen »Gefährdetengruppen« und »Gelegenheitszusammenschlüsse« wiesen ihrer Einschätzung nach »ganz erhebliche sittliche und allgemeine Verwahrlosungserscheinungen« auf. Indem sie als »Träger« solcher Verwahrlosung durch Kriminalität – gleichermaßen von Delinquenz wie Homosexualität – galten, wurden beide Abweichungen miteinander identifiziert.215 In ihrer Ursachenanalyse musste die Reichsjugendführung – neben der Stigmatisierung der Heranwachsenden als »anlagemäßig asozial« – auch eigene Funktionsschwächen eingestehen.216 Mit den »wilden« Gruppen wurde die Hauptbedrohung nicht nur außerhalb der Organisation verortet, sondern auch außerhalb ihres Disziplinarzugriffs. »Unkontrollierbarkeit« war das zentrale Stichwort dieses Bedrohungsszenarios.217 Tatsächlich hatten die »wilden Cliquen« in ihrer Alltagskultur stets ein Gegenmodell zur Parteidisziplin gelebt, in dem ihre Nichtorganisierbarkeit ebenso wie der Konsum von Alkohol und Nikotin und eine ausgelebte Sexualität zu den Elementen demonstrativer Provokation und Gegenkultur gehörten.218 Ein zielgerichtetes Vorgehen »gegen Außenseiter und Cliquen« konnte für die Reichsjugendführung nur in enger Zusammenarbeit mit anderen Instanzen bestehen.219 Die Handlungsmöglichkeiten wurden in der Denkschrift über die »Cliquen- und Bandenbildung unter Jugendlichen«, in der das Personalamt-Überwachung im September 1942 Protokolle aus dem ganzen Reichsgebiet auswertete, erörtert. Nicht an rechtlichen Bestrafungsmöglich212 JFdDtR, Kriminalität und Gefährdung der Jugend, S. 189. 213 Kenkmann, Wilde Jugend, S. 228f. (Basis: 607 Fälle). 214 RJF/PÜ, Cliquen- und Bandenbildung, S. 219. 215 Ebd., S. 160f. 216 Ebd., S. 164ff. 217 Erlass des JFdDtR, Axmann, 10.12.1944, über die Bekämpfung jugendlicher Cliquen, in: Peukert, Edelweißpiraten, S. 133ff., S. 134. 218 Lindner, Die Wilden Cliquen, S. 464. 219 RJF/PÜ, Cliquen- und Bandenbildung, S. 173.

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keiten fehlte es aus Sicht der Überwachungspolitiker, sondern an effektiven Methoden der grundsätzlichen und vorbeugenden Disziplinierung, da das irritierende Auftreten der Jugendlichen eben keine Straftatbestände erfüllte: »Es handelt sich also weniger darum, bereits begangene kriminelle Straftaten zu sühnen […] als vielmehr darum, die jugendlichen Banden schon als Verwahrlosungsherde und kriminogene Faktoren zu bekämpfen und unschädlich zu machen.«220

Die Expertise regte neue Bestimmungen an, die »grobe Verstöße gegen Haltung und öffentliche Disziplin« Jugendlicher auch außerhalb des Disziplinarrahmens der Jugendorganisation erfassen konnten.221 Damit bemühte sich die Jugendführung, bestehende Leerstellen zwischen den polizeilichen, strafrechtlichen und disziplinarrechtlichen Instrumentarien zu schließen. In ihrem Lagebericht von 1941 hatte sie bereits »Verstöße gegen sonstige Rechtsgrundsätze« und »strafrechtlich nicht faßbare ungünstige Erscheinungen« der »Haltung« oder »auf sittlichem Gebiete« als zu beseitigende »Verwahrlosungserscheinungen« definiert.222 Eine aufeinander abgestimmte Serie von Erlassen von Polizei, Justiz- und Innenministerium und der Reichsjugendführung »zur Bekämpfung jugendlicher Cliquen« verwirklichte im Herbst 1944 solche ausgeweiteten Disziplinartatbestände gegen die beklagten »politische[n], geistige[n] und sittliche[n] Entartungserscheinungen jugendlicher Kreise«.223 Als »kriegswichtig« deklariert, sollten sie die stets gewünschte »erzieherische Wirkungseinheit« erreichen.224 Die juristische Formalisierung des Begriffs der »Fortführung der bündischen Jugend« im Erlass des Justizministers für jeden »organisierte[n] Zusammenschluß Jugendlicher mit dem Ziele, Unruhe zu stiften, die Arbeit der HJ zu stören und insbesondere auch Führer der HJ zu verprügeln«, machte die Gruppenerscheinungen greif bar und von nachweisbaren weltanschaulichen oder politischen Zielsetzungen unabhängig.225 Schon die »Interesselosigkeit gegenüber den Pflichten innerhalb der Volksgemeinschaft oder der Hitler-Jugend« begründete – als Nachweis einer »Cliquen«-Zugehö-

220 Ebd., S. 177 [Hervorhebung im Original]. 221 Ebd., S. 180. Vgl. zur begrenzten Reichweite der Strafjustiz Gruchmann, Jugendopposition, S. 114ff.; zu den nicht realisierten Projekten einer Verordnung gegen »unbotmäßiges Verhalten« oder der von Hitler geforderten Wiedereinführung der Prügelstrafe, der sich die RJF widersetzte, Muth, Jugendopposition, S. 378ff., Wolff, Jugendliche vor Gericht, S. 188–195. 222 JFdDtR, Kriminalität und Gefährdung der Jugend, S. 16. 223 Streng vertrauliches Erlasse zur Bekämpfung jugendlicher Cliquen des RFSS und ChDtPol, Kaltenbrunner, 25.10.1944, des RJM, Thierack, 26.10.1944 und des RJF, Axmann, 10.12.1944, BA Berlin, R 3001/alt R 22/1177, Bl. 514ff. u. 546ff., ediert in: Peukert, Edelweißpiraten, S. 123–137. Zitat: RJF/P-Ü, Cliquen- und Bandenbildung, S. 207. 224 Knopp, Überwachungswesen, S. 103. 225 Zitat zur Auslegung: RJM, Suchomel, an Generalstaatanwalt Celle, 3.10.1944, BA Berlin, R 3001/alt R 22/1177, Bl. 499.

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rigkeit – die kriminal- oder staatspolizeiliche Zuständigkeit.226 Die klassische Ausschlussbegründung des Jugendverbandes wurde hier zum Eingriffsanlass für außerorganisatorische Rechtsfolgen aufgewertet. Aufgabe der Jugendorganisation blieben die Überwachung, »Betreuung« und Disziplinierung der als »Mitläufer« eingeschätzten Jugendlichen und die enge Zusammenarbeit mit der Polizei. Vage Formulierungen ließen der Hitler-Jugend zwar Spielraum, als Streifen und Ermittlungsorgan in diesem Zusammenhang polizeiliche Funktionen auszuüben, doch fehlten der Organisation zu diesem Zeitpunkt längst Mittel und Personal, um diesen späten Kompetenzgewinn ihrer Überwachungsorgane umzusetzen.227

2.2.1 Organe und Maßnahmen Bereits mit der Einführung der Jugenddienstpflicht unterstand die gesamte Jugend der Kontrolle des HJ-Streifendienstes, der Anzeigen für Disziplinarverfahren und bei der Gestapo erstattete.228 Jedoch bestanden erhebliche Unterschiede in der personellen Ausstattung der Streifendienste in den einzelnen Gebieten.229 Darüber hinaus veränderte sich die Funktion der Sonderformation in den Kriegsjahren maßgeblich, denn auf Druck des Bündnispartners SS bildete die Soldatenrekrutierung für die Waffen-SS zunehmend ihre Hauptfunktion. In einer Reorganisation der Reichsjugendführung, die im August 1943 den Streifendienst aus der Zuständigkeit des Personalamtes löste und ihrem »Amt für Wehrertüchtigung« unter der Leitung von Edmund Heuser unterstellte, wurde nun die Kampfausbildung bestimmend.230 Ohne eine formale Auflösung endete die Überwachungsfunktion des Streifendienstes, der nun als Basis für die 1939 eingerichteten HJ-Feuerwehrscharen und als eine Art Hilfs226 Erlass Kaltenbrunners, 25.10.1944, in: Peukert, Edelweißpiraten, S. 123–133, S. 124. 227 Runderlass des RFSS und ChDtPol zur Zusammenarbeit zwischen Polizei und Hitler-Jugend bei der Bekämpfung der Jugendgefährdung und Jugendkriminalität, 30.1.1944, BA Berlin, NS 28/82; ANBl. XII/7, 29.4.1944, S. 81–89; vgl. Kenkmann, Wilde Jugend, S. 315. 228 Alfred A., geb. 1918, 1940 aus der Hitler-Jugend ausgeschlossen, wurde 1942 wegen unberechtigten Tragens eines goldenen HJ-Ehrenabzeichens und Amtsanmaßung als Bannführer festgenommen; das Verfahren wegen Verstoß gegen das »Heimtücke«-Gesetz wurde aufgenommen, A. 5 Tage nach Entlassung aus Untersuchungshaft zur Wehrmacht eingezogen, HStA Düsseldorf, RW 58-67 876, RW 58-16 366. 229 Während 1943 HJ-Gebieten etwa in Österreich und den besetzten Ländern ca. 300 Mitglieder den Streifendiensten angehörten, verzeichneten die meisten Gebiete 1 500–3 000 Mitglieder, Niederschlesien, Württemberg und Westmark um die 4 000, Baden-Elsaß sogar 6 200; Haushaltsvoranschlag der Hitler-Jugend 1943, Aufteilung der Leistungen für Sondereinheiten, BA Berlin, NS 1/510, Bl. 54. 230 RB 32/43 K, 26.8.1943, S. 404f.; Rempel, S. 79f.; Klose, S. 216f., erschöpfend Buddrus, Totale Erziehung, S. 381ff.

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polizei bei seinem staatlichen Kooperationspartner, der Polizei, diente.231 Als Sonderformation bestand der Streifendienst zwar fort, verlor jedoch erheblich an Attraktivität, galt die Überwachung doch als Hauptgrund, weshalb sich »unsere Jungen für den Streifendienst interessierten«, wie ein Gebietsinspekteur bekundete.232 Die Beobachtungs- und Repressionsfunktionen innerhalb der Hitler-Jugend übernahmen die Überwachungsdienststellen in den Personalressorts. Sie behielten das Bearbeitungsmonopol als Koordinationsstellen für sämtliche »HJ-schädigende Einflüsse, NS-feindliche und staatsgegnerische Strömungen und besonders alle auf dem Jugendgebiet liegenden unerfreulichen und unerwünschten Erscheinungen.«233 Als Organ »zur Überwachung des Auftretens und zur Bekämpfung aller Gefährdungserscheinungen der deutschen Jugend« besaßen sie Überwachungs- und Befehlsbefugnisse über sämtliche Jugendliche im Hitler-Jugend-Alter, unabhängig von der Mitgliedschaft. Auf zentraler, regionaler und örtlicher Ebene eingerichtet, erstreckte sich ihre Zuständigkeit auch auf den BDM.234 Neu gebildete Einsatzgruppen aus siebzehnjährigen HJ-Führern sollten als »HJ-Streife« die Überwachung praktisch durchführen, vorzugsweise gemeinsam mit Polizeibeamten.235 Die sorgfältige Personalauslese galt nun als kriegswichtige Aufgabe der Überwachungsdienststellen, die dazu routinemäßig auch »Belastungen […] in sittlicher, vor allem in gleichgeschlechtlicher Hinsicht« überprüften.236 Als vertrauliches Programm der Kontrolle dienten die Arbeitsrichtlinien »Die Überwachung der Gefährdung der Jugend«, die anlässlich der im April 1940 eingeführten »Polizeiverordnung zum Schutz der Jugend« entwickelt wurden.237 Die Einhaltung dieser erheblichen Beschränkungen der Freizügigkeit Minderjähriger in der Öffentlichkeit kontrollierten die Streifen der Hitler-Jugend, um 231 Aufgabe, Auf bau und Einsatz der Überwachungsdienststellen der Hitler-Jugend, RB 32/ 43 K, 26.8.1943, S. 404–407, S. 404f.; RB 3/K, 23.9.1939, S. 3; Erlass des JFdDtR über Verwendung von HJ-Angehörigen in Schnellkommandos der Polizei, 21.10.1941, ANBl. IX/12, 10.11.1941, S. 152. 232 Schreiben des SRD-Gebietsinspekteurs, HJ-Gebiet Franken, an RJF, Amt für Wehrertüchtigung, Hauptabteilung SRD, 1.7.1943, StA Augsburg, HJ-Gebiet Schwaben, Nr. 38. 233 Rundschreiben der Gebietsführung Schwaben, PÜ, Nr. 1/39, 9.8.1939, StA Augsburg, HJ-Gebiet Schwaben, Nr. 13, Bl. 120 278. 234 RB 32/43 K, 26.8.1943, S. 404. 235 Knopp, Überwachungswesen, S. 102. 236 Anweisung der RJF, RB 36/43 K, 25.9.1943, S. 453; Führeranwärter mussten eine politische Auskunft von der NSDAP und Strafregisterauszug vorlegen, vgl. Müller, Betreuung der Jugend, S. 35. 237 Polizeiverordnung zum Schutz der Jugend, 9.3.1940, RGBl. 1940, Teil I, S. 126f., bekannt gegeben durch Erlass des JFdDtR, 5.4.1940, ANBl. VIII/4, 10.4.1940, S. 21–35; Ausführungsbestimmungen, Erlass des RFSSuChDtPol, 18.3.1940, Mitteilungsblatt des RKPA 3 (1940), Nr. 4, BA Berlin, NS 7/181, Bl. 6–8; Neufassung der PolVO, 10.6.1943, RGBl. 1943, Teil I, S. 349.

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nicht »tatenlos zuzusehen, wie außerhalb unserer Reihen Jugendliche sich selbst und ihre Jugendkraft durch Alkohol und Nikotin zerstören oder sich an Stätten herumtreiben, die ihrer Entwicklung zur Gefahr werden müssen«.238 Aus Sicht der Überwachungspolitiker richteten sich die weitgehenden Reglementierungen des Freizeit- und Konsumverhaltens »gerade an die gutgearteten jungen Menschen«, indem sie »an der Bildung der Sitten« mitwirkten.239 Sie wurden also explizit als Disziplinierung verstanden. Einzelbestimmungen, die oft direkt auf Anweisungen von Parteidienststellen zurückgingen, ergänzten die altersgruppenspezifischen Polizei- und Sonderverordnungen. Zu ihnen gehörten etwa Kinoverbote »zugunsten der arbeitenden Volksgenossen«240 und speziell ausgerichtete Überwachungsanweisungen, wie gegen »swingfreundliche« Jugendliche.241 Ihre Beteiligung bei den zum Teil massiven Polizeieinsätzen gegen die sogenannten »Swing-Kids« in Hamburg machte den HJ-Streifendienst geradezu berüchtigt.242 Nach der Funktionsveränderung des Streifendienstes übernahmen kombinierte Streifen der Hitler-Jugend gemeinsam mit Polizei, Wehrmacht und Waffen-SS die Überwachung der Einhaltung der Polizeiverordnungen.243 Die Reichsjugendführung bemühte sich intensiv um eine zuverlässige Umsetzung des neuen Jugendreglements. 1940 musste sie die Justiz bitten, Verfahren nicht wegen Geringfügigkeit einzustellen.244 1942 wurden ehrenamtliche Helfer als Streifengänger gesucht, da der Polizei keine ständige Überwachung leisten konnte.245 Die Staatsanwaltschaften berichteten jedoch auch von der Wirkungslosigkeit der Disziplinarmittel der Hitler-Jugend, die aufgrund von Verstößen gegen die Polizeiverordnungen verhängt wurden.246 Im Dienstbetrieb setzte der Jugendverband zur Vorbeugung gegen die vermeintliche »Verwahrlosung« auf eine Mischung aus ideologischer »Charakterschulung« und »Geschmacksbildung« sowie auf disziplinarischen Druck. Regelmäßig wurden die Einheiten über die Disziplinarordnung und Straftatbestände belehrt.247 Die Meldepflicht des Führerkorps wurde von beobachteten, fak238 Vornefeld, Polizeiverordnungen, S. 92; RJF/P-Ü, Überwachung der Gefährdung der Jugend, S. 9. 239 Müller, Betreuung der Jugend, S. 60. 240 Anordnungen des Presse- und Propagandaamtes der RJF auf Anweisung der Reichsfilmkammer, Rundschreiben, F. 12/44, 8.8.1944, S. 245; ebd., F. 19/44, 26.9.1944, S. 398. 241 Anordnung der RJF, ebd., F. 10/43, 5.5.1943, S. 241; Verbot der »Swing«-Musik, ebd., F. 7/43, 27.4.1943, S. 187. 242 Vgl. die literarische Schilderung einer Konfrontation bei Kempowski, S. 340–344 u. 406– 414; Dokumente und Erinnerungsberichte in: Ritter. 243 Knopp, Jugendschutz, S. 250. 244 Schreiben des RJF, 13.11.1940, BA Berlin, R 3001/alt R 22/1175, Bl. 307. 245 Seiler, S. 272. 246 Bericht der Generalstaatsanwaltschaft München, 9.10.1944, BA Berlin, R 3001/alt R 22/3379, Bl. 120ff., Bl. 121. 247 RJF/P-Ü, Cliquen- und Bandenbildung, S. 174.

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tischen Vergehen auf potentielle »Gefährdungen« ausgeweitet und erhielt so einen erheblich willkürlicheren Charakter.248 Auch der Kampf gegen die äußerlichen Merkmale der Abweichung wurde hartnäckig fortgeführt, wie etwa eine Haarschneide-Aktion der Bannführung Eichstätt im März 1944 deutlich macht. Unter Androhung disziplinarischer Bestrafung wurde der einheitliche Kurzhaarschnitt durchgesetzt.249 Die immer wieder thematisierte Haartracht funktionierte als verlässliches Zuordnungsmerkmal der Gruppen; wie sie den nationalsozialistischen Offiziellen eine ›verlotterte Haltung‹ anzeigte, machte sie umgekehrt den Streifendienst bei Razzien erkennbar.250 Das Disziplinarnetz innerhalb der Jugendorganisation wurde situationsgemäß verdichtet. Im Rahmen ihrer Kriegsdienste, der Ausbildung in Wehrertüchtigungslagern und der »Erweiterten Kinderlandverschickung«, die ab September 1940 Kinder und Jugendliche aus durch den Luftkrieg bedrohten Städten und Gebieten evakuierte, fand der Hitler-Jugend-Dienst zunehmend auch in dauerhaften Lagern oder Heimen statt. Für diese galten separate Disziplinarordnungen. Sie dienten nicht nur der lückenlosen Disziplinierung, sondern sollten mithilfe eigener »Erziehungsmittel« zur Ahndung leichterer und durch die besondere Lebenssituation begünstigter Disziplinarverfehlungen auch beitragen, Verfahren nach der Dienststrafordnung der Hitler-Jugend zu vermeiden.251 So verfeinerten sie das disziplinarische Instrumentarium erneut. Auf lokaler Ebene erprobte der Jugendverband seit 1939 weitere Maßnahmen zur Jugenddisziplinierung, etwa Sonderschulungen und besondere Lager, die gemeinsam mit den Kommunen oder der Polizei eingerichtet wurden, oder einen massenhaften »Sammelarrest«, wie er 1942 in München gegen 200 Jugendliche zugleich verhängt wurde.252 So existierten etwa zur Bekämpfung der »Arbeitsbummelei« neben der Einweisung in »Arbeitserziehungslager« (AEL) und polizeiliche »Jugendschutzlager« auch regionale Speziallager der Hitler248 RB 32/43 K, 26.8.1943, S. 405. 249 Klönne, Jugendprotest, S. 598f. 250 Bericht des K-Inspekteurs des HJ-Streifendienstes, HJ-Gebiet Hamburg, 8.2.1940, in: Ritter, S. 100–104, S. 102f. 251 Lagerordnung der Erweiterten KLV, 1.6.1941, in: Tetzlaff, Disziplinarrecht, S. 139–142; Disziplinarbestellungen für die Lager der Erweiterten KLV, in: Der HJ-Richter, F. 5, Febr. 1942, S. 11f.; zur Erweiterten Kinderlandverschickung unter Leitung der Hitler-Jugend Gehrken; zum Ordnungssystem ebd., S. 210–221; Disziplinarbestimmungen für die Wehrertüchtigungslager der Hitler-Jugend, RB 14/42 K, 30.6.1942, S. 169; für Jugendwohnheime, RB 10/43 K, 13.3.1943, S. 132; für den Landdienst der Hitler-Jugend, RB 29/43 K, 2.8.1943, S. 385f.; Disziplinarregelungen der Wohnheime für Jugendliche in der Berufsausbildung, Ost, S. 86–89, mit ausdrücklicher Abgrenzung der Ausweisung aus den Heimen aus disziplinarischen Gründen von den Entfernungsstrafen. 252 Beispiele bilden Sonderschulungen durch Polizeioffiziere in Jena und mehrwöchige Schulungslager 1939 in Leipzig und 1942 in Erfurt, RJF/P-Ü, Cliquen- und Bandenbildung unter Jugendlichen, S. 170–173.

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Jugend wie im HJ-Gebiet Westmark. Auf der Burg Stahleck wurden hier jugendliche »Arbeitsscheue« zur Arbeit angehalten. Dieses Lager realisierte den Vorschlag der Reichsjugendführung, »Erziehungslager« nach Art von Wehrertüchtigungslagern einzurichten.253 Die Einrichtung temporärer Sondereinheiten für disziplinlose Jugendliche erwies sich jedoch als kontraproduktiv, als sich z. B. aus einer Erfurter Sondereinheit für »besonders hartnäckige Jungen« selbst eine ›wilde‹ Jugendgruppe bildete.254 1944 lehnte Tetzlaff daher »Erziehungs- oder Straflager« grundsätzlich ab. Die »Lagererziehung der Hitler-Jugend« sollte nicht durch wenig aussichtsreiche »Experimente« mit schwierigen Jugendlichen in »Mißkredit« gebracht werden.255 Die HJ-Gerichtsbarkeit entschied sich also für eine Konzentration auf das bestehende Instrumentarium und damit auf die Funktion, neben der Massendisziplinierung abweichende Jugendliche auffällig zu machen und auszusondern, sie jedoch nicht mehr selbst zu »betreuen«. Die Reichsjugendführung differenzierte die »Gefährdeten« nach der Maßgabe ihrer »Gemeinschaftsfähigkeit«: Während »Mitläufer« verstärkt zum Dienst herangezogen werden sollten, wurden in »hartnäckigen Fällen« schärfere Maßnahmen erwogen. Dazu gehörten die Einweisung in besondere Erziehungslager und, für »Rädelsführer«, längere Jugendgefängnisstrafen.256 Das Justizministerium begrüßte diese Strategie der Unterscheidung »einordnungsfähig[er]« Jugendlicher und Cliquenangehöriger und die vorbeugende, »verständnisvolle und energische Mitarbeit der HJ«.257 Die kriminalpräventive Aufgabe des Jugendverbandes bestand also einerseits in der »Ausmerzung des Störers« aus den eigenen Reihen.258 Anderseits verhinderte sie durch die Kontrolle der organisierten und damit in ihrer Leistungsfähigkeit nutzbaren Jugendlichen Abweichungen, sollte die Hitler-Jugend doch die Jugendlichen »zur positiven Leistung für die Gemeinschaft führen und dadurch jedem gemeinschaftswidrigen Verhalten von Anfang an vorbeugen.«259 Diese disziplinarische Überwachung ergänzte auch während des Krieges die Disziplinierungs- und Ausleseaufgaben der HJ-Gerichtsbarkeit, der sie zuarbei253 Stellungnahme der RJF, Klemer, 9.12.1943, BA Berlin, R 3001/alt R 22/1177, Bl. 432; Vorschlag in RJF/P-Ü, Cliquen- und Bandenbildung, S. 182. Weitere Lager waren u. a. ein »Bewährungslager für Mädel« des BDM im Obergau Köln-Aachen, in das weibliche Jugendliche eingewiesen wurden, die durch wiederholte Entfernung vom Arbeitsplatz oder »Bummelei« aufgefallen waren, jedoch noch nicht als »asozial« galten, sowie spezielle Arbeitserziehungslager für Jugendliche auf Anregung der HJ Ostpreussen. Vgl. Kenkmann, Jugendliche »Arbeitsbummelanten«, S. 277; Muth, Jugendopposition, S. 384. 254 RJF/P-Ü, Cliquen- und Bandenbildung, S. 215. 255 Tetzlaff, Disziplinarrecht, S. 54. 256 Klemer, 9.12.1943, BA Berlin, R 3001/alt R 22/1177, Bl. 432. 257 Antwort Kümmerlein, 14.1.1944, ebd., Bl. 429. 258 Klemer, Jugendstrafrecht, S. 59. 259 Ebd., S. 101.

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tete, und der »Ermittlung und Bekämpfung sozialer Krankheitsherde« durch das Soziale Amt der Reichsjugendführung.260 Trotz dieser kontinuierlichen Aufgabenverteilung innerhalb der Jugendführung erhielt die Überwachungsarbeit auch durch die gerade in den Gebietsstäben enger verknüpften und oft in Personalunion bestehenden Kontakte mit der Justiz einen bedrohlicheren Charakter. Bereits der verschärfte Ton der Verordnungsrhetorik verrät die weiter reichenden Konsequenzen dieser Zusammenarbeit. Denn seit Ende der 1930er Jahre engagierten sich die externen Kooperationspartner des Disziplinarwesens in eskalierenden Aktionen wie der erbbiologischen »vorbeugenden Verbrechensbekämpfung« und der »Asozialen«-Verfolgung. Im Rahmen dieser »rassenhygienisch« motivierten Verfolgungspolitik, die sich als Kriminalprävention verstand, wurde 1939 die Überwachung vermeintlich »asozialer« Jugendlicher in der neu eingerichteten und programmatisch benannten »Reichszentrale zur Bekämpfung der Jugendkriminalität« im Reichskriminalpolizeiamt zentralisiert.261 Die Grenzziehung der Reichsjugendführung zwischen erziehbaren, gemeinschaftsfähigen Mitgliedern der Hitler-Jugend und den »gemeinschaftsfremden« Auszuschließenden formulierte exakt die Zielgruppe dieser Verfolgungsorgane. Ende 1942 nutzte Himmler die disziplinarrechtliche Reichweite, um »Unerziehbarkeit« und »Verwahrlosung« zu definieren, wie Freisler für den Gesetzentwurf vorschlagen hatte. Das jüngste Disziplinarmittel der Hitler-Jugend wurde unmittelbar als Entscheidungskriterium für diese zwar gleichgesetzten, doch unbestimmten Begriffe angesetzt: »Unerziehbarkeit (Verwahrlosung) wird in vielen Fällen dann anzunehmen sein, wenn auch die Verhängung von Jugenddienstarrest ohne Erfolg geblieben ist.«262 Die Anwendung der Dienststrafordnung der Hitler-Jugend blieb auf Angehörige und Funktionäre beschränkt. Jedoch profitierten die organisationsbezogenen Anordnungen ab 1939 immer mehr vom Dualismus der Jugendführung. In einer »Zwischenzone von innerorganisatorischer Bedeutung und öffentlichem Recht« gewannen sie nach außen an Autorität und Einschüchterungspotential, so dass auch interne Anweisungen des Verbandes bisweilen von Gestapo und Polizei berücksichtigt wurden.263 Sinnfälliger Ausdruck dieser nach außen hin nur undeutlich erkennbaren Kompetenz waren die gemeinsamen Patrouillen zunächst des HJ-Streifendienstes, dann der (allerdings kaum existierenden) »HJ-Streife« mit Angehörigen der Polizei, der Wehrmacht und der Waffen-SS. Sie werteten das Disziplinarorgan ebenso auf, wie sie seine fehlende Selbständigkeit verrieten. Damit bezeugte die Zusammenarbeit der Hitler-Ju260 Knopp, Überwachungswesen, Organigramm S. 99. 261 Vgl. Ayaß, »Asoziale«, S. 180; Wagner, Volksgemeinschaft, S. 273. 262 Runderlass RFSSuChDtPol zur Erzwingung der Jugenddienstpflicht, 20.10.1942, in: AV des RJM, 24.11.1942, in: Deutsche Justiz, Jg. 104, 1942, S. 782f., S. 783. 263 Vgl. Muth, Jugendopposition, S. 394.

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gend im Bereich der Überwachung und Jugendkontrolle auch die begrenzte Reichweite und Durchsetzungskraft ihrer eigenen Organe in der veränderten Situation. Sie zwang die Jugendführung zur aktiven Beteiligung in einer übergreifenden Überwachungspolitik, in der sich die Disziplinarmittel mit kriminalstrafrechtlichen und polizeilichen Maßnahmen zu einer umfassenden Jugenddisziplinierung in »rassenhygienischer« Orientierung verbanden.

2.2.2 Konzertierte »Jugendbetreuung« Im Unterschied zu den bilateralen Absprachen mit staatlichen Exekutiv- und Verwaltungsorganen und den Parteiverbänden, wie sie das Disziplinarsystem der Hitler-Jugend seit Mitte der 1930er Jahre ergänzt hatten, ging die eng verzahnte Überwachungspolitik der Kriegsjahre nicht mehr auf die Initiative der Jugendführung zurück. Angesichts ihrer Personalschwäche bezweifelten Reichsbehörden und Parteiorgane schon Ende 1939 den Erfolg der »für die innere Front unerlässliche[n]« Arbeit der Hitler-Jugend,264 als mit der Kriminalitätsziffer die phantasmatische Angst vor einer »Verwahrlosung und Verwilderung« der Jugendlichen stieg.265 Um dieses »nicht nur lästig[e], sondern praktisch und weltanschaulich unangenehm[e]« Problem zu lösen, lud Hermann Göring als Vorsitzender des Ministerrates für die Reichsverteidigung im Dezember 1939 die mit Jugendpolitik befassten Minister und Parteidienststellen zu einer Konferenz über »Jugendfragen«.266 Eine ähnlich motivierte »kommissarische Besprechung« fand Ende Januar 1940 im von Göring bewusst ausgeschlossenen Justizministerium statt.267 Alle Akteure versammelten sich schließlich am 1. Februar 1940 zu einer hochrangig besetzten Tagung, auf der gemeinsame Maßnahmen einer ineinander greifenden »Jugendbetreuung« zentral verhandelt wurden. Zu ihnen gehörten die erste »Polizeiverordnung zum Schutze der Jugend«, die Einführung der straf- und disziplinarrechtlichen Arreststrafen »Jugendarrest« und »Jugenddienstarrest« und die Einrichtung polizeilicher »Jugendschutzlager«.268 264 Besprechung zur Jugendbetreuung, 22.12.1939, BA Berlin, R 3001/alt R 22/1189, Bl. 27. 265 Vgl. etwa Schreiben des Oberstaatsanwalts München an RJM, 7.12.1939, ebd., Bl. 9. Auszüge aus regionalen Berichten 1943 in R 3001/alt R 22/1177, Bl. 284–289; vgl. auch Boberach, Jugend unter Hitler, S. 111f., Wagner, Volksgemeinschaft, S. 323. 266 Protokoll der Sitzung beim Chef der Sicherheitspolizei und des SD, Heydrich, am 22.12.1939, BA Berlin, R 3001/alt R 22/1189, Bl. 25–30, mit Teilnehmern der RJF, dem Reichsgesundheitsführer, RMWEV, Stellvertreter des Führers, Reichsfrauenschaft und Reichsstudentenführung sowie des RSHA. Zitat: Wolff, Jugendliche vor Gericht, S. 32. 267 Protokoll der Besprechung am 25.1.1940, BA Berlin, R 3001/alt R 22/1189, Bl. 59–70 [auch in Schubert, Bd. 11, S. 336–383]. 268 Protokoll, BA Berlin, R 3001/alt R 22/1196, Bl. 80–92; Beteiligung von Vertretern der Parteikanzlei, der NSDAP-RL für Propaganda, des OKW, den Ministerien für Justiz, Inneres, Arbeit, Propaganda, Wirtschaft sowie Erziehung, der Generalstaatsanwaltschaft Landgericht

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Durch den doppelten Amtswechsel von Jugend- und Stabsführer im Sommer 1940 und durch eine verbesserte Versorgung mit Führern stabilisiert,269 gelang es der Reichsjugendführung, die Koordination der unterschiedlichen Maßnahmen dieses Gremiums von Partei- und Staatsorganen, »die an der Jugend irgendwie arbeiten«, unter eigener Federführung auszugestalten.270 Der Rechtsreferent und Untersuchungsführer der Hitler-Jugend, Gerhard Klemer, übernahm die Geschäftsleitung der im Herbst 1941 gegründeten »Reichsarbeitsgemeinschaft für Jugendbetreuung« (RAG), die sich mit den »gefährdeten« Jugendlichen präventiven Aufgaben widmete. Programmatisch fasste der neue Stabsführer der Jugendführung, Helmut Möckel, das nun ergänzte Führungskonzept des Jugendverbandes für die Kriegszeit zusammen und postulierte sogleich den Erfolg der soeben etablierten Kooperation: »Die deutsche Jugend ist diszipliniert, gesund und sauber, sie erzieht sich selbst im Geist ihrer älteren siegreichen Kameraden an der Front. Die Selbstführung der Jugend wird tatkräftig ergänzt durch die planmäßige Jugendbetreuung aller berufenen Stellen, die ihre Zusammenarbeit gegenwärtig auch organisatorisch noch enger und wirkungsvoller zu gestalten bemüht sind.« 271

Die tatsächliche praktische Bedeutung der Reichsarbeitsgemeinschaft, die sich in Gau- und Kreisarbeitsgemeinschaften vertikal fortsetzte und mithilfe eines eigenen Publikationsorgans kommunizierte,272 ist für die politische Zielsetzung der zivilen Stabilisierung umstritten.273 Ihre Hauptaufgabe lag in der Koordination und Kommunikation der bereits bestehenden Aktivitäten verschiedener Träger.274 Diese Vermittlung schloss auch die bisher vernachlässigten Eltern ein. Eine in den Gauarbeitsgemeinschaften eingerichtete »Elternauf klärung« Berlin, des RSHA, RKPA, der Gestapo und Ordnungspolizei, des Rassenpolitischen Amtes sowie zahlreicher weiterer parteilicher oder staatlicher mit Jugend-, Rechts- und Fürsorgefragen befasster Hauptämter und Dienststellen. Buddrus, Totale Erziehung, S. 427, bewertet das Gremium als »hochkarätiger und entscheidungsmächtiger zusammengesetzt« als die Wannsee-Konferenz; ähnlich beeindruckt Wolff, Jugendliche vor Gericht, S. 53f. 269 Schaar, Stellung und Kompetenzen, S. 46. 270 Bericht über die 1. Sitzung der RAG für Jugendbetreuung, 27.10.1941, BA Berlin, R 3001/ alt R 22/1197, Bl. 15–22, Bl. 17. 271 Möckel, S. 243. 272 Gründung auf Anordnung des Leiters der Parteikanzlei, Bormann, 17.4.1942, BA Berlin, R 3001/alt R 22/1197, Bl. 65; auch in: VHB, Bd. IV, S. 2405. Einrichtung der Gau-AGs durch Anordnung der RJF, Soziales Amt, RB 13/42 K, 15.6.1942, ebd., S. 2405ff. 273 Aus HJ-Sicht als Erfolg bewertet von Buddrus, Totale Erziehung, S. 461; aus der Perspektive kommunaler Jugendpflegepolitik hingegen Hansen, S. 287. 274 Vgl. Leitsätze zur Durchführung der Reichsarbeitsgemeinschaft, in: RAG, Mitteilungsdienst der RAG für Jugendbetreuung, Jg. 1, 1943, Juli 1943, S. 2 [zitiert als: Mitteilungsdienst]; auch in: VHB, Bd. IV, S. 2407; sowie Klemer, Jugendbetreuung, S. 128; dort berichtet der Geschäftsführer der Gauarbeitsgemeinschaft Niederschlesien, »daß seit Bestehen der Arbeitsgemeinschaft Kompetenzfragen so gut wie gar nicht mehr vorkommen«, S. 135.

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– Versammlungen, bei denen Parteiredner, Richter und Staatsanwälte sprachen – wandte sich speziell an die oft in den Familien allein zurückgebliebenen Mütter, deren eigene »Haltung« auch als verdächtig galt.275 Neben den bereits etablierten Feldern kriminal- und staatspolizeilicher Arbeit und der Überwachungsarbeit der Hitler-Jugend, insbesondere bezüglich der Homosexualität von Jungen,276 widmeten sich thematische Arbeitskreise neuen Aufgaben: der Durchsetzung von Jugenddienstpflicht und Arbeitsdisziplin, der »Bekämpfung von Cliquenbildung« und der »Haltung der weiblichen Jugend«.277 Im Rahmen dieses Erfahrungsaustausches erarbeitete die Reichsjugendführung Sonderrichtlinien wie die zur »Bekämpfung gleichgeschlechtlicher Verfehlungen«.278 Sie entstanden in enger Zusammenarbeit mit dem Reichssicherheitshauptamt und dienten der Hitler-Jugend als spezielle Überwachungsprogramme. In diesem Feldern verfolgte die Reichsarbeitsgemeinschaft zwischen Oktober 1941 und April 1944 eine abgestimmte »Beseitigung der durch den Krieg bedingten negativen Erscheinungen« und »die Unterstützung und Vervollkommnung positiver Erziehungsmaßnahmen«, wie in »rassenhygienischer« Perspektive und Terminologie als Grundsatz dieser Betreuungspolitik formuliert wurde.279 Noch prononcierter sprach der Hitler-Jugend-Funktionär und Chefredakteur des »Jungen Deutschland«, Albert Müller, in der Programmschrift »Die Betreuung der Jugend« von der »Pflege der wertvollen und Ausmerzung der wertlosen Eigenschaften« durch eine »totale Ertüchtigung der hochwertigen Erbträger und die Säuberung des Volkskörpers von gemeinschaftsunfähigen Personen«.280 Das ineinander greifende Disziplinarkonzept diente unter diesen rassistischen sozialpolitischen Vorgaben der grundsätzlichen Verhinderung jeder Art von sozialer, politischer oder alltagskultureller Abweichung. Es zielte auf einen weitgehenden Ausschluss von Risikosituationen durch eine konzertiert umgesetzte Kontrolle, 275 Anordnung des Sozialen Amtes der RJF, Gebietsrundschreiben der RJF 1/43, 28.1.1943. A 29/43; auch in: VHB, Bd. III, S. 2409f. Nicht veröffentlichte Rundverfügung des RMdJ, 30.9.1942, über die GauAGs, ebd., S. 2409; Anordnung des Leiters der PK zur Durchführung der Elternauf klärung der NSDAP, ebd., S. 2410; Anweisung des Sozialen Amtes über Mütterabende, Rundschreiben der RJF, F. 85/43, 10.5.1943; über den Einsatz für die Jugendbetreuung in Zusammenarbeit mit der HJ: Gebietsrundschreiben 13/43, 26.5.1943; A 216/43; auch in: VHB, Bd. III, S. 2411f. 276 Gründung des fachübergreifenden Arbeitskreises zur »Bekämpfung der Homosexualität in der Jugend« auf Anregung der RJF, 1. Sitzung unter Vorsitz von Oberbannführer Knopp am 12.1.1942, BA Berlin, R 3001/alt R 22/1175, Bl. 55a. 277 Mitteilungsdienst, F. 3, April 1944, S. 3; JFdDtR, Kriminalität und Gefährdung der Jugend, S. 163–170. 278 Schreiben des JFdDtR, RAG, Schroeder, an RJM, 3.10.1942, BA Berlin, R 3001/alt R 22/1197, Bl. 100. 279 Leitsätze zur Durchführung der RAG für Jugendbetreuung, VHB, Bd. IV, S. 2407f. Arbeitsberichte der RAG und einer parteiinternen Sitzung, 19.12.1941, BA Berlin, R 3001/alt R 22/1197; z. T. auch in: IfZ, Akten der Partei-Kanzlei, Teil II, Bd. 4, Nr. 41747. 280 Müller, Betreuung der Jugend, S. 5 u.81.

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in die auch bisher auf Distanz gehaltene »Erziehungsträger« wie die Familie einbezogen und zur Mitarbeit verpflichtet werden sollten. Wie gegenüber den Jugendlichen, wurde auch hier die Identifikation mit den Zielen der Organisation und eine grundsätzliche Kooperationsbereitschaft unterstellt. Im Rahmen dieser »Betreuungspolitik« näherten Intervention und Prävention sich zunehmend an, wie auch in der strafrechtlichen und polizeilichen Behandlung von Jugenddelinquenz und -abweichung sichtbar wird. Hatten bereits 1940 die Polizeiverordnungen den polizeilichen Umgang mit Jugendlichen »im Stil einer allgemeinen Disziplinarordnung« rechtlich entgrenzt,281 so gingen die Runderlassserien von Himmler, Thierack und Axmann 1944 darüber hinaus. Die synonyme Grenzziehung der »Erziehbarkeit« der Hitler-Jugend setzte sich in der Unterscheidung von lediglich pubertätsbedingt agierenden »Mitläufern« und verdorbenen »Rädelsführern« fort: »Die Bekämpfung der Jugendkriminalität stellt […] den Kampf der Volksgemeinschaft um die Rückgewinnung des gefährdeten, aber noch besserungsfähigen jungen Volksgenossen dar, ist also erzieherisch bestimmt.«282

2.2.3 Jugendkonzentrationslager Als nicht mehr besserungsfähig galten hingegen Jugendliche, die ab 1940 in die Jugendkonzentrationslager eingewiesenen wurden. Die Einweisungspraxis der Kriminalpolizei und der Jugendämter verwirklichte die vorgesehenen Maßnahmen für »verwahrloste Jugendliche« des geplanten »Gesetzes über die Behandlung Gemeinschaftsfremder«.283 An der Einweisung in diese »polizeilichen Jugendschutzlager« – drei Hauptlager Moringen, Uckermark und das »PolenJugendverwahrlager Litzmannstadt« in Lodz mit insgesamt fünf Nebenlagern – wirkte die Hitler-Jugend durch Gutachten entscheidend mit. Der Streifendienst trug das notwendige Material zusammen.284 Seit Anfang 1942 konnten die Gebietsführungen in Absprache mit der HJ-Gerichtsbarkeit und dem Personalamt-Überwachung Internierungen direkt vorschlagen.285 Darüber hin281 Wolff, Jugendliche vor Gericht, S. 53 u. 347. 282 Knopp, Überwachungswesen, S. 98. Ähnlich formulierte Kaltenbrunners Erlass, 25.10.1944: »Alle Maßnahmen gegen den einzelnen Jugendlichen werden bestimmt durch das Ziel seiner Einordnung oder Rückgewinnung in die Volksgemeinschaft«, in: Peukert, Edelweißpiraten, S. 128. 283 RJGG 1943 § 60; Erlasse des RFSSuChDtPol über die Einweisung Jugendlicher in polizeiliche Schutzlager, 25.4.1944, des RMdI, 26.4.1944, des RJM, 27.4.1944, und des JFdDtR, 9.5.1944, ANBl. XII/8, 7.6.1944, S. 144–153. 284 RJF, Stoff-Sammlung, S. 108. 285 Runderlass des RMdI über die Einweisung in das Jugendschutzlager Moringen, 3.10.1941; Erlasse des RJF sowie über das »Jugendschutzlager« Uckermark, 22.4.1942, ANBl. X/7, 30.5.1942,

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aus wurde Personal für das »Erziehungslager Moringen« unter den HJ-Führern angeworben. Der Charakter als Versuchslager versprach besonders rasche Aufstiegsmöglichkeiten, empfahlen sich die »jetzt eingesetzten Helfer« doch als spätere Leiter in einer »nach dem Kriege« expandierenden Lagerlandschaft, wie die Stellenausschreibung versprach.286 Wie Strafverfahren zogen Internierungen in den »Jugendschutzlagern« den Ausschluss aus der Jugendorganisation automatisch nach sich.287 Als polizeiliche Einrichtungen bildeten sie einen Teil des SS-Lagersystems, die in der Verbindung einer »strenge[n] und gerechte[n] Zucht mit der sorgfältigen Wertung und Auswertung des Menschenmaterials« der Aussonderung und Vernichtung vermeintlich »gemeinschaftsfremder« Jugendlicher dienten.288 Zugleich bildeten die Lager Propagandaobjekte der totalen Kontrolle und der »Verwahrung außerhalb der Volksgemeinschaft«. Die ohne gerichtliche Verfahren oder Kontrolle inhaftierten Jugendlichen im Alter von sechzehn bis 21 Jahren wurden diszipliniert, sollten vor allem aber als abschreckendes Beispiel dienen.289 So wurden sie zusätzlich Gegenstand strafrechtspolitischer Diskussionen und Anschauung wie 1940 während der Debatte über die Neuordnung des Jugendstrafrechts der Akademie für Deutsches Recht.290 Lediglich fünf Prozent der 1 400 von 1940 bis Kriegsende in Moringen inhaftierten Jugendlichen wurden im Laufe der Zeit wieder entlassen. Mindestens 56 starben aufgrund der Haftbedingungen.291 Unter ihnen befand sich Benno Gert, der 1941 wegen eines Eigentumsdeliktes aus der HJ in Tirol-Vorarlberg ausgeschieden worden war. Der Sechzehnjährige wurde am 25. Februar 1942 im »Block der Störer« in Moringen inhaftiert und starb dort im gleichen Jahr.292 In diesem S. 68, und 14.8.1942, ANBl. X/12, 12.9.1942, S. 110, unter Bezug auf nicht veröffentlichten Erlass vom 19.1.1942 über Moringen; Runderlass des RJM über die Unterbringung im Jugendschutzlager, 27.4.1944, in: Deutsche Justiz, Jg. 106, 1944, S. 151f.; Erlass des RJF, 9.5.1944, ANBl. XII/8, 7.6.1944, S. 144f., S. 144. Die KZ-Einweisung erfolgte – zumindest vorschriftsmäßig – nicht als »Dienststrafe der Hitler-Jugend«, wie Hellfeld, Davongekommen, S. 28, schreibt. 286 Rundschreiben der RJF, F. 15/41, 12.5.1941, S. 9; bereits in F. 9/40. 287 Tetzlaff, Disziplinarrecht, S. 46; Muth, Jugendopposition, S. 383. 288 Zitat aus dem Lagebericht des Präsidenten des Oberlandesgerichts Kassel, 2.8.1944, BA Berlin, R 3001/alt R 22/1191, Bl. 588. 289 Merten/Limbächer, S. 35f. 290 Vgl. etwa Diskussion des Lagers Moringen 23.11.1940, Protokoll in: Schubert, Bd. 11, S. 196–221; Besichtigungsbericht des Leiters des Heilbronner Jugendgefängnisses, 31.7.1943, BA Berlin, R 3001/alt R 22/1306, Bl. 12–20; die Beiträge von Paul Werner, Robert Ritter und Ernst Kaltenbrunner in der Ausgabe »Zum neuen Jugendstrafrecht«, Deutsches Jugendrecht, 1944, H. 4. 291 Vgl. Muth, »Jugendschutzlager«, S. 243; Ayaß, »Asoziale«, S. 182; Sedlaczek, S. 321. 292 Ausscheiden wegen »Vermögen«, RB Sonderdruck 35/41 K [Datensatz Nr. 5221]; Haftdaten laut Kopie des Lagerbuches (dort als Benno Gerl), Häftlingsnummer 576, BA Berlin, NS 4 Anhang, Nr. 41, Bl. 61 – ich bedanke mich für die freundliche Auskunft von Dr. Dietmar Sedlaczek, Leiter der KZ-Gedenkstätte Moringen, 16.8.2004; Grabplatte »Benno Gert/1925–1942« auf dem 1988 eingerichteten Gräberfeld der in Haft Verstorbenen auf dem Friedhof Moringen.

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»S-Block« wurden nach der Klassifizierung durch den leitenden »Kriminalbiologen« Robert Ritter im Sinne einer prognostischen Differenzierung die »besonders schwierigen Naturen (charakterlich hochgradig abartige und geistig etwas beschränkte), die in ständigem Konflikt mit der Gesellschaft leben«, zusammengefasst.293 Neben einer Abteilung zur Beobachtung klassifizierte die weitere Blockeinteilung ihre Insassen als »Erziehungsfähige«, »Fraglich Erziehungsfähige«, »Gelegenheitsversager«, »Dauerversager« oder als »Untaugliche«. 1943 wurde ein »St[apo]-Block« für politische Häftlinge eingerichtet, zu deren Auffälligkeitsbiografien Konflikte mit der Hitler-Jugend zählten.294 Die Verfolgungsgeschichte von Erwin Rehn dokumentiert einen solchen politischen »Warnfall« bis zu den Entschädigungsverfahren.295 Nach mehrfacher Verwarnung durch den HJ-Streifendienst wurde der fünfzehnjährige Schüler denunziert, als er im Sommer 1942 englische Flugblätter, die seine HJ-Staffel einsammelte, mit seinen Schulkameraden diskutieren wollte. Der Rottenführer der Marine-HJ wurde zunächst mit »verschärftem Verweis«, Suspendierung und Degradierung diszipliniert: Vor der angetretenen »Front« der HJ-Gefolgschaft wurden Armbinde und Achselklappen von seiner Uniform abgerissen, die anderen Hitler-Jungen angewiesen, nicht mit dem Degradierten zu sprechen. Der Polizeiaufsicht unterstellt, wurde Erwin Rehn Anfang 1943 von der HJ-Gebietsführung in Kiel wegen seiner Kontakte zu holländischen und dänischen Zivilarbeitern verhört und offenbar auf seine Eignung als möglicher Informant hin getestet. Anfang März flüchtete er, um einer bevorstehenden Verhaftung zu entgehen. Er wurde jedoch an der niederländischen Grenze gestellt und Ende Mai in Moringen inhaftiert. Per Straf bescheid des Kieler HJ-Gerichtes vom 16. Juni 1943 wurde er daher nachträglich aus der HJ ausgeschlossen, da er »durch staatsschädigende Umtriebe in Gemeinschaft mit Ausländern, Verbreitung von Feindflugschriften sowie beabsichtigte Landesflucht mit dem Ziele der Einreihung in die gegnerische Front heimtückischen Verrat an Volk und Vaterland geübt und sich so aus der Gemeinschaft ausgeschlossen« habe. Als »Lagerzögling 933« wurde Erwin Rehn dem St-Block der politischen Häftlinge zugewiesen.296 Er leistete schwere körperliche Arbeit in einer unterirdischen Munitionsfabrik, bis er Anfang April 1945 von amerika293 Ritters Kriterienkatalog im Bericht des Leiters des Heilbronner Jugendgefängnisses, 31.7.1943, BA Berlin, R 3001/alt R 22/1306, Bl. 12–20, Bl. 14; vgl. auch Bericht des Essener Landesgerichtspräsidenten, Heermann, 31.7.1944, ebd., R 3001/alt R 22/1197, Bl. 584–586, Bl. 584. Zur kriminal- und erbbiologischen Differenzierung Guse/Kohrs, »Bewahrung« Jugendlicher, S. 165–189. Ritter war, nach der kriminalbiologischen Erfassung von Sinti und Roma, seit 1941 Leiter des »Kriminalbiologischen Institutes der Sicherheitspolizei und des SD«. 294 Vgl. Rehn, Heider gottsleider, S. 168. 295 Interview 1984 mit E[rwin]. R[ehn]. und private Dokumente, in: Guse/Kohrs, »Bewahrung« Jugendlicher, S. 138f. 296 BA Berlin, NS 4, Anhang, Nr. 41, Bl. 179.

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nischen Truppen befreit wurde.297 Im Entnazifizierungsprozess wurde Erwin Rehn wegen seiner HJ-Mitgliedschaft zunächst als »Mitläufer« eingestuft, bevor seine Behandlung als politischer Gegner durch das Disziplinargericht der Hitler-Jugend und die Gestapo 1949 als Belege für die politischen Motive seiner Verfolgung anerkannt wurden.298 Mit den »Jugendschutzlagern« partizipierte die Reichsjugendführung direkt an der polizeilichen vorbeugenden Verbrechensbekämpfung. Aufgrund der weitgehenden konzeptuellen und praktischen Zusammenarbeit verfügte sie durch ihre Verbindungen zu Einrichtungen der Polizei und des NS-Justizwesens – neben den internen Disziplinarorganen der HJ-Gerichtsbarkeit und der Streifen – auch über außerorganisatorische Mittel zur Überwachung und präventiven »Bekämpfung« potentieller Kriminalität und »Verwahrlosung«. Unter den programmatischen Euphemismen von »Gefährdung« und »Betreuung«, die nicht nur den Anlass der Maßnahmen propagandistisch verschleierten, sondern in ihrer Betonung der Prävention zugleich die Disziplinierungsintention verraten, teilte die Hitler-Jugend sich im »Kontrollverbund« (F. Kebbedies) mit SS, Polizei und Justiz in den Kriegsjahren die Disziplinierung der Jugendlichen. Unterschiede zwischen tatsächlicher Delinquenz, politischer Gegnerschaft oder lediglich kultureller Differenz wurden zunehmend verwischt.299 Diese übergreifende nationalsozialistische Disziplinarpolitik, deren Intensität und Hyperthrophie aus der wechselseitigen Politisierung der Kriminalität und der Kriminalisierung abweichender Vorstellungen und Verhaltensweisen entstand,300 bezweckte die weitgehende Disziplinierung der gesamten Jugendgeneration, unabhängig von ihrer Hitler-Jugend-Mitgliedschaft. In »rassenhygienischer« Perspektive beschrieben und begründet, zielte sie auf die Normierung der Jugendlichen, die ihre Aufnahme und ihr Verbleiben in der Hitler-Jugend ermöglichte. ›Gemeinschaftsfähigkeit‹ und damit »Dienstwürdigkeit« ermöglichte nicht nur den unproblematischen Einsatz der Jugendlichen in den verschiedenen Dienstverpflichtungen. In der Logik der »Rassenhygiene« bedeutete eine erfolgreiche Disziplinierung auch die grundsätzliche Verringerung des Gefahrenpotentials. Hinsichtlich des Disziplinarwesens des Jugendverbandes spricht jedoch nicht zuletzt die ausgebliebene Senkung von Ausschlüssen gegen einen Erfolg dieser überwachenden Disziplinierung. Die Vehemenz der Kontrolle und der Wunsch nach lückenlosen Zugriffen bestätigt die Radikalisierungstendenz im Kampf gegen innere Feinde auch für diesen Bereich. Auf dem Feld der Jugendpolitik begründete die Radikalisierung sich zusätzlich aus 297 Rehn, Gedächtnisbericht. 298 Auch der Antrag auf Haftentschädigung war zunächst aufgrund der HJ-Mitgliedschaft abgelehnt worden. Rehn, Heider gottsleider, S. 185, 193 u. 200. 299 Vgl. Wolff, Hitlerjugend, S. 666f. 300 Wolff, Jugendliche vor Gericht, S. 367.

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der Effizienz, die eine Disziplinierung gerade der Jugendlichen versprach. Die Kontrolle und Eindämmung der »Jugendgefährdung« wurde in kriminalbiologischer Perspektive als vorbeugende Verbrechensbekämpfung schlechthin begriffen, um »der Erwachsenenkriminalität den Nachwuchs zu entziehen«. Abweichungen Jugendlicher bildeten als das »zuverlässigste Fieberthermometer für die innere Haltung des ganzen Volkes« daher ein besonderes Politikum.301

2.3 Erfassen Die verstärkte Bedeutung, die der Kontrolle der Jugendlichen beigemessen wurde, zeigt sich auch im Bereich der Erfassungstechniken. Als im Sommer 1944 nach der zweiten Proklamation des »totalen Krieges« das Statistische Reichsamt die Arbeit an sämtlichen Kriminalstatistiken einstellte, blieben von dieser Arbeitseinsparung allein die Statistiken über die Jugendkriminalität ausgenommen.302 Die »Zählkarte für Jugendliche« erfasste neben den Jugendstrafen, gerichtlich angeordneten Erziehungsmaßregeln und »Zuchtmitteln« wie dem Jugendarrest auch die Zugehörigkeit zur Hitler-Jugend. Etwaige Disziplinarverfahren wurden ausdrücklich abgefragt.303 Auch die aufwendige Erfassungstätigkeit des Jugendverbandes wurde in dieser späten Kriegsphase durch Personal- und Materialmangel beeinträchtigt, aber fortgeführt.304 Durch die sich auflösenden Strukturen entstanden zugleich neue kommunikative Aufgaben, etwa der Kontakt mit im Einsatz verstreuten HJ-Führern, die »sich nach wie vor der Hitler-Jugend zugehörig fühlen und nach dem Sieg zu ihr zurückkehren wollen«.305 Gegen Ende des Krieges bezeugten die Suchanlässe – Fahnenflucht, Wehrdienstentziehung, unerlaubtes Entfernen aus Lagern und Lehrgängen der Hitler-Jugend – auch die zunehmenden Auflösungserscheinungen des Organisationsapparates.306 Nun berück301 Knopp, Überwachungswesen, S. 98. 302 Schreiben Reichswirtschaftsministerium, Illgner, an RJM, 5.8.1944, BA Berlin, R 3001/ alt R 22/1159, Bl. 210. 303 Reichskriminalstatistik, Zählkarte für Jugendliche für das Jahr 1944, BA Berlin, R 3001/ alt R 22/1206, Bl. 336. 304 Zentralisierung der Mitgliederkartei auf Anweisung des Reichskassenverwalters, Gebietsrundschreiben 5/43, 26.2.1943, S. 7; Beschaffungsschwierigkeiten bei Mitgliederkarteikarten, ebd., 8/43, 26.3.1943, S. 4, StA Augsburg, HJ-Gebiet Schwaben, Nr. 1; allgemein zum Dienstbetrieb Kenkmann, Wilde Jugend, S. 230. 305 Spezielle Meldekarte, in: Die HJ im Kriege, S. 25; Bericht der Reichsjugendführung, Mai 1943, S. 1, BA Berlin, NSD 43/19. 306 Z. B. Warnungen vor dem angeblichen Stammführer Kurt M. aus Berlin mit dem angeblichen Befehl, »in Leipzig aufzuräumen«, RB 1/44 K, 7.1.1944; vor dem »homosexuellen Schwindler« H., »u. a. wegen Fahnenflucht« gesucht, RB 18/44 K, 31.5.1944, S. 223; vor einem polnischen Zwangsarbeiter und vor einem aus der Partei ausgeschiedenen HJ-Scharführer, der

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sichtigten die Fahndungsmeldungen in den Befehlsblättern sogar Anzeigen im Auftrag Verwandter, wie im März 1944 zur Suche nach einem Mitarbeiter der HJ-Befehlsstelle Kiew, von dem nach der Räumung Kiews jede Nachricht fehlte.307 Die Warnungen der Reichsjugendführung formulierten die Befürchtungen »verbrecherischer, wie unsittlicher oder hochverräterischer Absichten« nun konkreter.308 Dennoch ging die Arbeit an den Mitgliederkarteien, die während des Krieges dezentralisiert in den Bannen geführt wurden, weiter; Karten über »Warnfälle« und Vermisste wurden weiterhin angelegt und ausgetauscht.309 Seit 1941 wurden die »Warnkarteien« der regionalen Verwaltungsabteilungen in die Überwachungskarteien der Gebietsinspekteure des Streifendienstes und der Leiter der regionalen Abteilungen des Personalamts-Überwachung einsortiert. Diese personenbezogene Ablage von Beobachtungsprotokollen und Personalakten übernahm nun die Meldefunktionen des Warnregisters und stellte damit »die einzig maßgebende Kartei« zur Erfassung aller »ungünstig in Erscheinung getretenen« Jugendlichen beider Geschlechter dar.310 Möglicherweise ist die zentrale Warnkartei in der Reichsjugendführung ebenso pragmatisch durch eine Zusammenführung von Karteien und die Sammelmeldungen ersetzt worden.

2.3.1 Die »gerichtliche Erziehungskartei« Im Zuge der organisationischen Vereinfachungen und ihnen zum Trotz etablierten die Akteure der konzertierten Jugendüberwachung während des Krieges gemeinsam eine neue Personenkartei. Sie bezeugt die Aufwertung der Disziplinargerichtsbarkeit und die Anerkennung ihrer Disziplinarmaßnahmen und Strafen gegenüber den Jugendgerichten. Die Frage der Strafregistrierung von Jugendlichen war ein alter Topos der Jugendrechtsdiskussion. Aufgrund der »einschneidenden« Wirkungen einer Eintragung ins Strafrechtsregister wurden für Jugendliche neben wirtschaftlichen auch schwere »psychische Schädigungen« erwartet. Daher hatten Jusich dem Wehrdienst entziehe, RB 33/44 K, 28.9.1944, S. 429f.; vor mehreren Hitler-Jungen, die sich im Anschluss an Führungslager unerlaubt entfernten, RB 39/44 K, 12.12.1944, S. 496f. 307 Personalamt der RJF, RB 9/44 K, 11.3.1944, S. 113. 308 Warnung des Personalamtes, RB 16/42 K, 7.8.1942, S. 205. Vgl. Warnung der Gebietsführung in Innsbruck vor Walter U., der unter Vorlage einer falschen Bestätigung bei unteren Einheiten 30 RM zu entleihen suche. Gebietsführer Schwaben, an die K-Führer der Banne im HJ-Gebiet Schwaben, 18.7.1941, StA Augsburg, HJ-Bann Memmingen, Nr. 49. 309 Rundschreiben der RJF, F. 28/41, 1.10.1941, S. 25; ebd., F. 29/41, 15.10.1941, S. 17f.; RB 13/43 K, 18.4.1943, S. 177; RB 18/43 K, 13.5.1943, S. 243. 310 RJF/PÜ, Überwachung der Gefährdung der Jugend, S. 34f.

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gendrechtsreformer schon in der Weimarer Zeit gefordert, die Dokumentation von Jugendstrafen zu beschränken und eine langfristige Stigmatisierung zu vermeiden.311 In der nationalsozialistischen Reformdiskussion wurde 1938 eine Registrierung der Maßnahmen in einem separaten Straf- und Erziehungsregister empfohlen. Sie sollten in der strafrechtlichen Beurteilung und durch die Erbgesundheitsgerichte ausgewertet werden.312 Auch die »bedeutsamsten« Disziplinarmittel der Hitler-Jugend wurden einbezogen. Anstatt sie in die Strafregister und damit in die polizeilichen Führungszeugnisse aufzunehmen, setzte sich die Idee einer separaten Kartei durch. Die Einträge sollten im 25. Lebensjahr des Delinquenten gelöscht werden und wirtschaftliche Konsequenzen vermeiden.313 Gerhard Klemer, der als Vertreter der Reichsjugendführung maßgeblich an der Realisierung mitwirkte, begründete die Aufnahme der Disziplinarstrafen mit ihrer hohen Bedeutung für den »Werdegang« eines Jugendlichen, der gerade durch einen Ausschluss charakterisiert werde.314 Die Erweiterung der Registrierung um die Disziplinarmaßnahmen der Hitler-Jugend resultiert erneut aus dem Ehrenrechtsdenken, macht sie doch die durch die »Strafe klargestellte Ehrminderung des Rechtsbrechers durch seine Tat« auch der Beurteilung durch »Staat, Partei und Privatwirtschaft« zugänglich.315 Durch eine Ankündigung des Reichskriminalpolizeiamtes, das ein »Erziehungsregister für Jugendliche« einrichten wollte, unter Handlungsdruck gesetzt,316 wurde im Justizministerium 1943 auf den Plan einer eigenen Registrierung zurückgegriffen. In intensiver Abstimmung mit der Reichsjugendführung wurde eine Dokumentation der an Jugendlichen vollstreckten Straf-, Erziehungs- und Disziplinarmaßnahmen entwickelt. Dieses ursprünglich justizintern geplante »Erziehungsregister« sollte als »wertvolle Hilfe zur schnellen Unterrichtung über die Persönlichkeit des Jugendlichen« dienen und die gerade durch Parteidienststellen stark zunehmenden Strafregisteranfragen erleichtern.317 Denn für die Behörden und Dienststellen der Jugendrechtspflege habe sich die Notwendigkeit, sich gezielt und zuverlässig über die gegen einen Jugendlichen angeordneten Maßnahmen zu informieren, noch verstärkt:

311 Vgl. Messerer. 312 Sitzung des Jugendrechtsausschusses der ADR, 5.8.1938 über Grundsätze des Jugendstrafrechts, in: Schubert, Bd. 11, S. 145f. 313 Vgl. Klemer, Jugendstrafrecht und Hitler-Jugend, S. 91ff. u. 104. 314 Ebd., S. 91. 315 Ebd., S. 90. 316 Mitteilungsblatt des RKPA, Nr. 9, September 1942, BA Berlin, R 3001/alt R 22/1206, Bl. 60–65; Anfrage des RMdI, Ruppert, an RJM, 19.11.1942, ebd., Bl. 58; Kümmerlein an Creifeld, 3.9.1943, ebd., Bl. 289. 317 Entwurf, Februar 1941, ebd., Bl. 231ff; internes Schreiben Kümmerleins, 21.12.1942, ebd., Bl. 88; Kümmerlein, Das neue Reichsjugendgerichtsgesetz, S. 564 (Zitat).

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»Dieses Bedürfnis ist während des Krieges, der eine verstärkte Betreuung der Jugend erforderlich macht und andererseits die Einholung der über den Jugendlichen vorhandenen Vorgänge sehr erschwert, besonders in den Vordergrund getreten.«318

Außer den »großen« Disziplinarmitteln der Hitler-Jugend 319 wurden auf Verlangen des Sicherheitsdienstes auch Einweisungen in die Jugendkonzentrationslager in die Erziehungskartei aufgenommen.320 Kümmerlein versuchte als Sachbearbeiter im Justizministerium, die Auskunftsrechte auf Straf- und Vormundschaftsgerichte zu beschränken, um »ein Auskunftsrecht der Parteigerichte auszuschließen«.321 Entgegen seiner Absicht stieß die geplante Kartei jedoch auf reges Interesse. Jugendämter, Reichsarbeitsdienst und Wehrmacht meldeten Ansprüche an, die Parteikanzlei beanspruchte die Berücksichtigung der NSV-Jugendhilfe.322 Die Reichsjugendführung teilte Kümmerleins Bedenken gegen ein erweitertes Auskunftsrecht. Nach dem Modell ihres Warnkarteisystems plädierte sie für einen wechselseitigen Informationsaustausch, der nur die Stellen unterrichte, deren Maßnahmen vermerkt werden sollten, also Hitler-Jugend, Polizei und Justiz.323 Außer zahlreichen Dienststellen von Ordnungs- und Sicherheitspolizei bis zur regionalen und lokalen Ebene, Gestapo und SD erhielten schließlich die HJ-Gerichtsbarkeit und die Rechtsdienststelle der Reichsjugendführung Auskunftsrechte; darüber hinaus Jugendämter und Jugendhilfe.324 Die Einträge wurden außerdem vollständig in die Jugendlichen-Karteien der Kriminalpolizei aufgenommen,325 die ihre Überwachungsdaten so um die Registrierung straf- und disziplinarrechtlicher Maßnahmen erweiterte. Praktisch scheint die zentrale Erziehungskartei die Informationsrechte der Hitler-Jugend jedoch eher begrenzt zu haben. Aufgrund der kriegsbedingten Überlastung auch der Rechtsdienststelle, die ihre Mitwirkung in allen Jugendstrafverfahren nicht mehr leisten konnte, wurden im Justizministerium die bereits gewährten Auskunftsrechte auf Urteile, »die rechtlich von Bedeutung sind oder Angehörige des Führerkorps betreffen«, beschränkt.326 Der bekannte Bonner Jugendrichter Ludwig Clostermann schlug vor, die Ortsrichter fallweise entscheiden zu lassen. Wenn die Hitler-Jugend 318 BA Berlin, R 3001/alt R 22/1206, Bl. 276f. 319 Aktenvermerk für Kümmerlein, 7.10.1943, über Gespräch mit Klemer am Vortag, ebd., Bl. 256; Erlass des JFdDtR, 16.12.1943, ANBl. XII/1, 10.1.1944, S. 4. 320 RSHA, Werner, 10.12.1943, an RMJ, BA Berlin, R 3001/alt R 22/1206, Bl. 293f. 321 Interne Schreiben Kümmerleins, 6.12.1943, ebd., Bl. 230, Bl. 292. 322 Internes Schreiben Kümmerleins, 16.12.1943, ebd., Bl. 287. 323 Schreiben der RJF, Klemer, an RJM, Kümmerlein, 15.12.1943, ebd., Bl. 312. 324 BA Berlin, R 3001/alt R 22/1206, Bl. 234–238, Bl. 238. 325 AV des RJM, 16.12.1943, in: Deutsche Justiz, Jg. 105, 1943, S. 579; zur Kartei Runderlass des RFSSuChDtPol, 3.1.1944, ANBl. XII/7, 29.4.1944, S. 89–114, S. 101f. 326 Kümmerlein an Klemer, 1.11.1944, BA Berlin, R 3001/alt R 22/1177, Bl. 157; Einschränkung der Mitteilungspflicht, ebd., Bl. 169.

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in Einzelfällen Auskunft wünsche, stehe »dazu die Erziehungskartei zur Verfügung«.327 Auseinandersetzungen verursachte auch die Frage der Benennung dieser neuen Kartei unter dem »Leitgedanken der Erziehung«, die vom Strafregister klar abgegrenzt werden und dessen »diffamierende Wirkung« vermeiden sollte.328 Innenministerium und Reichssicherheitshauptamt drängten auf möglichst präzise Titel, die den Charakter der Maßnahmen deutlich machen sollten, wie »Kartei über gerichtliche Zuchtmittel und Erziehungsmaßregeln sowie über Disziplinarmittel der Hitler-Jugend«.329 Schließlich wurde »Gerichtliche Erziehungskartei« als Kompromiss gefunden. Im Frühjahr 1944 richteten die Strafregisterbehörden erste Dokumentationen ein.330 Die Herstellung von Musterformularen für Auskunftsgesuche kam der großen Nachfrage kaum nach.331 Kaum etabliert, beantragte das Reichskriminalpolizeiamt, das neue Jugendregister auch für die kriminalbiologische Forschung zu erschließen. Diese zentrale Verfolgungs- und Forschungsstelle, die bereits vor Beginn des Krieges eine Auswertung der Strafregister angeregt hatte,332 interessierte sich für alle Fälle, die zum Tod, zu unbestimmter Strafdauer,333 zu Besserungsmaßnahmen oder mehrfach zu Freiheitsstrafen verurteilt worden waren, ferner »bei mehr als zweimaliger Verurteilung wegen Landstreicherei, Bettelns oder gewerbsmäßiger Unzucht; bei allen Vermerken über die Einstellung von Verfahren wegen Zurechnungsunfähigkeit sowie bei Vermerken über Entmündigung wegen Geisteskrankheit, Geistesschwäche oder Trunksucht«.334 Lediglich mit Rücksicht auf die Kriegsverhältnisse wurde diese Nutzung zurückgestellt.335 Die systematische Registrierung jugendlicher Straftäter und Disziplinarfälle wurde damit ambivalent behandelt. Zwar wurde die Gewährung von Auskünften grundsätzlich im Interesse des Jugendlichen begrenzt, da der ›Erziehungscharakter‹ der vermerkten Maßnahmen auf eine Besserung abzielte, die durch eine langfristige Stigmatisierung konterkariert würde. Die Bereitstel327 Clostermann an Kümmerlein, 18.9.1944, ebd., Bl. 141f., Bl. 141. 328 Aktenvermerk RMJ, 9.3.1944, BA Berlin, R 3001/alt R 22/1206, Bl. 328. 329 RMdI, Ruppert, an RJM, ebd., Bl. 284; Schreiben des RSHA, Werner, 10.12.1943, ebd., Bl. 293f. 330 Bericht der Generalstaatsanwaltschaft Breslau, 28.3.1944, BA Berlin, R 3001/alt R 22/1206, Bl. 329; Erlass des RJF, 24.4.1944, mit Auskunftsformularen, ANBl. XII/8, 7.6.1944, S. 136–138. 331 Arbeitsverwaltung des Strafgefängnisses Tegel, Druckerei, an RJM, 17.1.1944, BA Berlin, R 3001/alt R 22/1206, Bl. 315; Rechnungsamt des OLG Wien, an RJM Berlin, 17.2.1944, ebd., Bl. 327. 332 Vgl. Parteikanzlei an RJM, 14.4.1944, BA Berlin, R 3001/alt R 22/1206, Bl. 357. 333 Einführung der unbestimmten Verurteilung jugendlicher Straftäter durch VO des Ministerrates für die Reichsverteidigung, 10.9.1941, RGBl. 1941, Teil I, S. 567f. 334 RJM, an Parteikanzlei, 25.4.1944, BA Berlin, R 3001/alt R 22/1206, Bl. 358f., Bl. 359. 335 BA Berlin, R 3001/alt R 22/1206, Bl. 360.

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lung der Informationen zur weiteren strafrechtlichen, polizeilichen und jugendpflegerischen Beurteilung und als Datengrundlage für eine an den kriminalpolitischen Figuren des »Gewohnheitsverbrechers« und des »Asozialen« ausgerichteten Forschung und Erfassung galt allen Beteiligten hingegen als selbstverständlich. Die Auslagerung von Jugendmaßnahmen in einer separaten und zentralen Kartei, die bestehende Dokumentationen verdoppelte, verfing sich in dem typischen Widerspruch, unter dem Anspruch eines jugendgemäßen Schutzes die Kontrolle noch zu intensivieren.

2.3.2 Geheimhaltung und Sprachregelung Der die Ordnung des Jugendverbandes konstituierende komplexe Disziplinarmechanismus wirkte keineswegs im Verborgenen. Vielmehr wurde er selbstbewusst ausgebaut und stolz präsentiert. So warb 1935 ein regionales Werbeplakat der Hitler-Jugend für die »Einheit der Jugend in der Hitlerjugend« im Zuge ihrer Monopolisierung deutlich sichtbar mit dem Preis. Unter der Drohung »Hinaus mit allen Störenfrieden!« treiben darauf übermächtige Trommler und Fahnenträger der Hitler-Jugend verschreckte »Gegner der Gemeinschaft«336 in ängstlich fliehenden Grüppchen symbolisch auseinander und aus dem Bild. Diese sind durch ihre Kleidung und die Begleitung erwachsener Jugendführer als Angehörige konfessioneller Jugendgruppen, individualistische Lebemänner und Arbeiterjungen karikiert. Die hier visualisierte Dichotomie der gesellschaftlichen Auslese, deren Hegemonialanspruch auch die Größenverhältnisse der Figuren symbolisch umsetzten, paraphrasierte die blutig-romantische Drohung, die Schirach bereits in seiner Programmschrift ausgesprochen hatte: »Es ist eine einfache, aber heroische Philosophie: Was gegen unsere Einheit ist, muß auf den Scheiterhaufen«.337 Kontrollierte Öffentlichkeit begleitete die Entwicklung des Disziplinarsystems. Über den Auf bau des HJ-Streifendienstes im Lipper Land berichtete 1938 etwa eine lokale Tageszeitung;338 1939 referierten die Münchner Neuesten Nachrichten die Grundzüge des HJ-Disziplinarrechtes einschließlich seiner Warnfunktion.339 Andererseits sorgte eine Politik der Geheimhaltung für die diskrete Behandlung der disziplinarischen Angelegenheiten und namentlich der Entfernungsstrafen, die nur über das interne Netz der Warnkarteien mitgeteilt wurden. Die Kontrolle behielt das Personalamt der Reichsjugendführung. Während 1934 336 Heußler, S. 22. 337 Schirach, Hitler-Jugend, S. 85. 338 Lippische Tageszeitung, 27. Februar 1938, zitiert bei Pahmeyer/Spankeren, S. 131. 339 Münchner Neueste Nachrichten, Nr. 82, Donnerstag, 23. März 1939, BA Berlin, NS 28/81; die Berichterstattung basierte auf der Märzausgabe »Das junge Deutschland«.

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Plakat der Gaupropagadaleitung der NSDAP, Abt. Aktive Propaganda, Hitler-Jugend, Grafiker: Rinne; Druck: Südwestdeutsche Druck- und Verlagsgesellschaft mbH, Karlsruhe, BA Koblenz, Plakatsammlung, 3/11/42

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noch der pathetische Ausschluss eines Jungbannführers in der Essener National-Zeitung detailliert beschreiben worden war,340 wurde die eigenmächtige Veröffentlichung von disziplinären Maßnahmen 1935 unter Androhung von Disziplinarverfahren verboten.341 Auch die kurzzeitige Praxis, wichtige Disziplinarentscheidungen in den Führerblättern bekannt zu geben, wurde aufgegeben. Wiederholt verbot die Reichsjugendführung nicht genehmigte Veröffentlichungen über das Disziplinarrecht, insbesondere Begründungen von Ausschlüssen.342 In der Jugendrechtsdiskussion und den eigenen Publikationsorganen wurde das eigene Recht hingegen stolz herausgestellt.343 Diese Ambivalenz verrät die Grundproblematik des dichotomen Ordnungsprozesses, wenngleich die Disziplinarpolitiker eine Grauzone zwischen gerechtfertigten »verschärften Bestimmungen« und befürchteten »Auswüchsen« abstritten: »Auf keinen Fall dürfen irgendwelche Strafen bei Nichtdurchführung irgendeines Befehls schriftlich allgemein und in der Presse im besonderen veröffentlicht werden. […] Disziplin ist die Grundlage einer jeden Arbeit und kann gewiß manchmal nur durch verschärfte Bestimmungen erreicht werden. Es dürfen dabei aber niemals Auswüchse entstehen, durch die das Ansehen der HJ in der Öffentlichkeit geschädigt wird.«344

Schließlich konnten Maßnahmen durch Veröffentlichungen schlicht unterlaufen werden. Die Ankündigung von Kontrollstreifen des HJ-Streifendienstes, wie sie am 9. Juni 1941 in der Kauf beurer Tageszeitung unter der unmissverständlichen Überschrift »Warnung an alle Jungen und Mädel unter 18 Jahren« erschien, ist ein so auffälliges Beispiel solcher Kontraproduktivität, dass man Absicht vermuten möchte. Schließlich beruhte die Wirkung der Kontrollen doch darin, sie »vollkommen überraschend und unvermutet« einzusetzen.345 Streng kontrolliert war auch der Zugang zu Arbeitsmaterialien und Dienstanweisungen. Die Vorschriftensammlungen für den Streifendienst, als »vertraulich« oder »geheim« eingestuft, blieben »Eigentum der Reichsjugendführung«. In der HJ-Dienststelle waren sie unter Verschluss aufzubewahren, jede Übergabe war zu quittieren. Ein »genauer Verwendungsnachweis« sollte die Kenntnisnahme dokumentieren. Die Ausweise, mit denen Angehö340 Ausschluss von Helmut Th., geb. 1907, wegen Diebstahl eines Medaillons; National-Zeitung Essen, 20.9.1934, HStA Düsseldorf, RW 58-2617, Bl. 7. 341 Anordnung des Stellvertreters des Führers, 6.7.1935, VOBl. III/29, 15.8.1935, S. 3; auch in: VHB, Bd. II, S. 1038; vgl. Block, S. 135. 342 Anordnung des Chefs des Amtes HJ-Gerichtsbarkeit, Gebietsrundschreiben 8/42, 18.3.1942, in: VHB, Bd. II, S. 1038; sowie »aus gegebener Veranlassung« in: Der HJ-Richter, F. 5, Febr. 1942, S. 11 (Zitat); RB 7/I, 21.2.1936, S. 117; erneut Rundschreiben, 7.10.1938, in: VHB, Bd. II, S. 1038; Gebietsrundschreiben 8/42, 18.3.1942, ebd. 343 Vgl. Märzausgabe DJD, Jg. 33, 1939, H. 3; RB 10/IV, März 1939, S. 207. 344 Anweisung des Organisationsamtes, RB 10/I, 13.3.1936, S. 184. 345 Kauf beurer Nachrichten, 9.6.1941, S. 4, zitiert im Schreiben des K-Gebietsinspekteurs, 12.6.1941, StA Augsburg, HJ-Gebiet Schwaben, Nr. 44, Bann Wertach (455).

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rige des Streifendienstes sich legitimierten, durften nicht auf Auslandsreisen mitgenommen werden.346 Selbst Aussagen vor Gericht waren genehmigungspflichtig.347 Ebenso reglementiert war auch der Zugang zum Material der Sexualitätspolitik. Die »Sonderrichtlinien« zur Homosexualitätsbekämpfung benannten präzise den Kreis der Führer und Erzieher, die sie lesen durften. Über diese streng kontrollierte Information hinaus wurde die Thematisierung von »Sexualfragen der Jugendarbeit« grundsätzlich auf die Maßgabe dieser internen »Auf klärungsschrift« und besondere Genehmigung beschränkt.348 Auch die Arbeitsgemeinschaften für »Jugendbetreuung« befürchteten die Wirkung von »Greuelpropaganda«, sobald die Rednermaterialien für die Elternabende in »unbefugte Hände« gerieten; daher wurde dringend empfohlen, »möglichst wenig von dem derzeitigen Stand der Jugendkriminalität«, ausführlich hingegen von den »Möglichkeiten der Hilfe und Unterstützung« zu sprechen.349 Über die Zensur durch die NSDAP hinaus mussten sämtliche Buchveröffentlichungen in »sachlicher oder schöngeistiger Form« und wissenschaftliche Studien über den Jugendverband der Reichsjugendführung vorgelegt werden,350 was den zahlreichen Dissertationen zur Hitler-Jugend ihren offiziellen Charakter verleiht. Schon 1934 war die Genehmigungspflicht für wissenschaftliche Arbeiten kämpferisch begründet worden, »Gegnern« kein Material in die Hände zu spielen.351 Mit der Kontrolle über Verschriftlichungen und Veröffentlichungen war eine unmittelbare Zensur der Sprache verbunden. Mit den zentralen Begriffen von »Ehre« und »Erziehung« beruhte das Disziplinarrecht der Hitler-Jugend konzeptionell auf aufgeladenen Euphemismen einer spezifischen politischen Semantik. Ab 1939 gehörte die Rede von »gefährdeten« und »nichterziehbaren« Kindern und Jugendlichen zu diesem »controltalk« des Jugendverbandes.352 Die Sprache sozialer Kontrolle wirkt als Seismograph der expandierenden Überwachung, denn in der Hochzeit der konzertierten Jugendkontrollpolitik ab 1940 wuchs mit der Angst um die Funktionsfähigkeit der Organisation auch die Sorge um die Sprachwahl. In Anschluss an eine Vorgabe des PropagandaMinisteriums verwies die Jugendführung wiederholt auf die Sprachregelung, 346 Vorläufige Dienstvorschrift für den HJ-Streifendienst. Hg. v. RJF/Amt für Jugendverbände, Berlin 15.5.36, S. 1f., BA Berlin, NS 26/338; Dienstanweisung für den Streifendienst, Berlin, 15.12.1941, S. 17. 347 Richtlinien für den HJ-Streifendienst, 1.6.1938, Teil I, S. 5. 348 RJF, Sonderrichtlinien zur Bekämpfung gleichgeschlechtlicher Verfehlungen, S. 4f. 349 Anordnung der RJF, 28.1.1943, in: VHB, Bd. IV, S. 2409. 350 Anordnung der RJF-HA III-Reichsschrifttumstelle, 29.7.1941, S. 4, Rundschreiben der RJF, F. 26/41, 15.9.1941, S. 15. »Doktorarbeiten über die Adolf-Hitler-Schulen« waren nicht erwünscht, RB 13/IV, 5.4.1939, S. 255. 351 Anordnung Nr. 377, VOBl. 2/115, 3.4.1934, S. 1. 352 On Constructing a Glossary of Controltalk, in: Cohen, S. 273–281; Begriff in Anlehnung an George Orwell.

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die das Hauptproblem einer drohenden »Verwahrlosung« ins Potentielle entfernte und äußeren Einflüssen anlastete: »Es wird immer wieder versucht, die nationalsozialistische Jugendarbeit unter Verwendung des Schlagwortes ›Jugendverwahrlosung‹ herabzusetzen. […] Wenn schon von Haltungsfragen negativer Art der deutschen Jugend in irgendeiner Form gesprochen oder geschrieben wird, soll dies notfalls mit ›Jugendgefährdung‹ bezeichnet werden.«353

Auch im »Arbeitskreis zur Bekämpfung gleichgeschlechtlicher Verfehlungen« war man sich 1942 einig, dass es nur der »Feindpropaganda« diene, wenn »dauernd allzuviel von ›Homosexualität‹« geredet werde.354 Zudem sorgte sich die Jugendführung um den Ruf der politischen Terminologie. So korrigierte Klemer in der Formulierung der Runderlasse zur »Bekämpfung jugendlicher Cliquen« im September 1944 den zentralen positiven Begriff »Führer« durch den als subversiv und feindlich erkennbaren »Rädelsführer«.355 Auf dieser begleitenden Ebene der Sprach- und Geheimhaltungspolitik, in der auch die Aufwertung der eigenen Aufgaben durch die Imitation von Militär, Geheimdienst und Bürokratie hervortritt, wird die Ambivalenz der disziplinierenden Jugendpolitik deutlich. Trotz ihres markigen Bekenntnisses zur Funktion der Auslese und dem Stolz auf das differenzierte und differenzierende Disziplinarsystem, blieb die Zwiespältigkeit des Vorgangs unverkennbar. Die beständige Angst von das Image schädigenden »Auswüchsen« verweist auf eine Sorge um die Akzeptanz der Organisation und ihres Disziplinarkonzeptes und auf eine widerspruchvolle Praxis. Wie sehr ein Machtanspruch sich nicht zuletzt in der Wortwahl äußert, verdeutlicht die Anweisung, die in den von der Hitler-Jugend organisierten Lagern der Erweiterten Kinderlandverschickung untergebrachten Zehn- bis Vierzehnjährigen als »Pimpfe und Jungmädel« und nicht als Kinder zu bezeichnen.356

353 Anordnung der RJF, Rundschreiben der RJF, F. 15/42, 20.6.1942, S. 346; Mitteilung der Anweisung des Ministeriums für Volksauf klärung und Propaganda, ebd., F. 25/41, 26.8.1941, S. 5. 354 Bericht über die 1. Sitzung des Arbeitskreises zur Bekämpfung gleichgeschlechtlicher Verfehlungen, 12.11.1942, mit Verabschiedung der »Sonderrichtlinien« zur »Bekämpfung gleichgeschlechtlicher Verfehlungen im Rahmen der Jugenderziehung«; streng vertrauliches Schreiben des RJF, RAG, Schroeder, an RJM, 3.10.1942, in: Grau, Homosexualität in der NS-Zeit, Dok. 85f., S. 292ff. 355 BA Berlin, R 3001/alt R 22/1177, Bl. 500. 356 Anordnung der Dienststelle KLV, A 484/42, Rundschreiben der RJF, F. 17/42, 15.7.1942, S. 396.

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3 Disziplinieren von Mädchen und Frauen als Sonderaufgabe Das Disziplinarsystem der Hitler-Jugend erstreckte sich auf den gesamten Verband und damit auch auf seine »Mädelorganisationen« BDM und Jungmädelbund. Der Gleichheitsrhetorik zum Trotz war es durchgängig geschlechtsspezifisch geprägt, ohne dass diese Differenz thematisiert wurde. Die Disziplinar- und Strafordnungstexte gingen auf Mädchen und junge Frauen nicht ein, obgleich sie Allgemeingültigkeit beanspruchten und voraussetzten. Bestenfalls hieß es, die Regelungen seien »entsprechend« auf die weiblichen Verbände anzuwenden.357 Diese konzeptionelle Vernachlässigung, in der sich die rein männliche Besetzung des Personalamtes der Reichsjugendführung und der HJ-Gerichtsbarkeit auswirkte, kennzeichnet auch die Publizistik im Disziplinarbereich. So finden sich in den überlieferten Weisungsblättern »Der Hitler-Jugend-Richter« keine Veröffentlichungen von Straf beispielen, die Mädchen oder junge Frauen betreffen; auch der begleitende Diskurs zur Rechts-, Kriminal- und Disziplinarpolitik in der Zeitschrift »Das Junge Deutschland«, den eine fast rein männliche Autorengruppe bestritt, ist von einer weitgehend fehlenden Thematisierung der Mädchenerziehung oder auch nur der Perspektive des BDM gekennzeichnet. Bevor Mädchen und junge Frauen zu Beginn des Krieges zum Objekt einer besonderen und dezidiert geschlechtsbezogenen Problemwahrnehmung wurden, sind sie im Disziplinarwesen des Jugendverbandes nur sinngemäß präsent. Diese traditionelle Asymmetrie reproduzierte eine grundlegende Geschlechterpolarität, auf der die widersprüchliche Geschlechterpolitik des Nationalsozialismus auf baute. Denn die weiblichen Untergliederungen der HitlerJugend stehen in einer längerfristigen Perspektive durchaus für einen Zuwachs an Handlungskompetenz und Verantwortung von Frauen, wie er gerade mit den nationalsozialistischen Frauenorganisationen möglich und als kollektive Partizipationschance im NS-Staat wahrgenommen wurde.358 Der BDM eröffnete nicht nur erstmals einen gesellschaftlichen Wirkungsbereich für eine breite Bevölkerungsmehrheit der Mädchen, er stellte auch Funktionsangebote für Mädelführerinnen bereit. Das vielfach stark ausgeprägte Loyalitätsverhältnis der »Jungmädel« und jungen Frauen, wie es in der Erinnerungsliteratur gerade ehemaliger Führerinnen deutlich wird, bezeugt eine effiziente Veränderung der weiblichen Sozialisation in diesem Bereich. Neben der bereitwilligen Übernahme soldatischer Haltungs- und Handlungsmuster erzeugte die radikale Entprivatisierung des Alltags durch die Einbindung von Frauen in »höhere« staatliche Aufgaben – wie sie sich an der Formationserziehung im BDM geradezu exemplarisch beobachten lässt – ein Gefühl politischer und »völkischer« 357 Vgl. z. B. Disziplinarordnung 1936, S. 4; Dienststrafordnung 1941, S. 5. 358 Hübner-Funk, S. 34.

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Verantwortung.359 Attraktiv an der in diesem Umfang neuartigen Organisation der Mädchen wirkte gerade die geschlechtsübergreifende Zugehörigkeit zur Jugend, wie sie der Jugendverband für sich beanspruchte.360 Propagandistisch vertrat die Hitler-Jugend ein Ideal der »gesunden Kameradschaftlichkeit« der Geschlechter361 und einer egalitären Bedeutung der Untergliederungen unter dem gemeinsamen Dach einer allgemeinen Jugendführung. Das Interesse an der »Erziehung der weiblichen Jugend […] als Angelegenheit der Gemeinschaft«362 begründete sich gleichwohl in ihrer familien- und volkspolitischen Bedeutung und damit in einer geschlechterspezifischen Funktions- und Rollenzuweisung. Auf bauend auf der »Erkenntnis«, dass die Erziehung von Jungen deren Persönlichkeit forme, die der Mädchen jedoch »das Gesicht der Familie von morgen« bestimme,363 bestand die sozialpolitische Bedeutung ihrer gesellschaftlichen »Erziehung« in ihrer künftigen Rolle als Multiplikatorinnen der im Jugendbund selbst erfahrenen Sozialisation, nämlich als Erzieherinnen in der Familie, aber auch in pädagogischen Berufen: »Erst die Umwandlung der privaten Sphäre durch den Nationalsozialismus, die Unterstellung auch der Familie und des häuslichen Lebens unter das Wohl der Gemeinschaft, hat das Interesse an der Mädelerziehung ganz erheblich gesteigert.«364

Die Mädchen wurden also weniger als politisches Reservoir angesehen, denn als bevölkerungspolitische Ressource. So steht der BDM für eine breite Vergesellschaftung junger Frauen, die zwar einer modernisierenden Veränderung gleichkam, aber keine Emanzipation brachte. Diese partielle ›Modernisierung wider Willen‹ ist Ausdruck der widersprüchlichen Geschlechterpolitik des Nationalsozialismus. Mit Recht ist die gängige Verbandsbezeichnung »Mädel« daher als auf den Begriff gebrachte Negation der Emanzipation bezeichnet worden.365

3.1 Disziplinarapparat: Vernachlässigungen und Spielräume Der implizite Bezug der Disziplinar- und Strafordnungstexte der Hitler-Jugend auf die weiblichen Formationen und Mitglieder folgte der Gleichheitsrhetorik 359 Reese, Emanzipation oder Vergesellschaftung, S. 203. 360 Reese, Straff, aber nicht stramm, S. 95 u. 57ff. 361 Vgl. etwa Bürkner, Bund Deutscher Mädel, S. 24; Kitzing, S. 23; Die geschlechtliche Frage in der Erziehung, in: RJF, Sonderrichtlinien zur Bekämpfung gleichgeschlechtlicher Verfehlungen, S. 11. 362 Müller, Sozialpolitische Erziehung, S. 95. 363 Bürkner, Bund Deutscher Mädel, S. 5. 364 Müller, Sozialpolitische Erziehung, S. 96. 365 »Die von Auf klärung, Sturm und Drang, Romantik und Klassik eingeleitete Emanzipation der Frau wird rückgängig gemacht, ihre Entwicklung und Entpersönlichung zu einem Element der deutschen Ideologie. ›Mädel‹ ist das Stichwort für diesen Vorgang«. Glaser, S. 137.

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und dem Selbstverständnis der Organisation, der ihre hierarchische Unterordnung jedoch widersprach. Die fehlende Thematisierung und Auseinandersetzung bezeugt zunächst ein Desinteresse gegenüber etwaigen Besonderheiten der weiblichen Gliederungen auch im Disziplinarbereich. Dass die pseudoegalitäre Geltung nicht als gleichartige Praxis missverstanden werden darf, zeigt gerade die Strafpraxis mit einer markanten Geschlechterdifferenz. Wie anhand der Instrumentalisierung des Vorwurfs männlicher Homosexualität bei der Ausschaltung konkurrierender Einflüsse deutlich geworden ist, bestand eine stark geschlechterspezifische Strafpolitik, die sich in der überlieferten Strafpraxis niederschlägt. Unter den mit Sexual- und Sittlichkeitsdelikten begründeten »Warnfällen« der Jugendorganisation insgesamt befinden sich Mädchen und Frauen nur mit fünfzehn Prozent, während sie seit Ende der 1930er Jahre etwa die Hälfte der Mitglieder stellten.366 Der Umgang mit dem Vorwurf der Homosexualität zeigt exemplarisch den unbeabsichtigten Effekt dieser Blindstelle im Ordnungskonzept, denn im Bereich der disziplinierenden Kontrolle führten Missachtung und Ignoranz auch zu gewissen Freiräumen. Gerade weil eine geschlechterspezifische Disziplinarpolitik nicht formuliert wurde, führte diese systematische Vernachlässigung nicht nur zu einer unterschiedlichen Praxis für die Geschlechter, sondern produzierte zugleich Lücken im disziplinarischen Zugriff. Dies gilt gleichermaßen für die Ebenen des Personals, der Organe und der Maßnahmen. Über die Disziplinarfunktionen in den lokalen »Einheiten« im Rahmen der »kleinen« und »mittleren Disziplinargewalt« hinaus, verfügten nur die Obergauführerinnen als höchste Funktionärinnen auf regionaler Ebene aufgrund ihres Ranges über weitergehende Kompetenzen. Wie die HJ-Gebietsführer konnten sie Ausschlussverfahren bei der Gerichtsbarkeit beantragen und ab 1940 im Falle einer besonderen Dringlichkeit vorläufige Ausschlüsse per einstweiliger Verfügung anordnen. Ab 1942 wirkten sie darüber hinaus auch bei der Einweisung weiblicher Jugendlicher in das Mädchenkonzentrationslager Uckermark mit. Axmann ordnete die Stellungnahme der »Mädelführerinnen« bezeichnenderweise erst nachträglich in einem separaten Erlass an.367 In spezifischen Disziplinar- und Strafpositionen wurden Frauen hingegen grundsätzlich nicht eingesetzt. Wenn über den Ausschluss eines »Mädels« oder einer Führerin zu entscheiden war, vervollständigte eine BDM-Führerin lediglich als Beisitzerin das Disziplinargericht.368 Ohne eigentliches Verbot wurde die Berufung einer Richterin nicht in Erwägung gezogen und nicht einmal wäh366 Mitgliederstatistik der einzelnen Untergliederungen der Hitler-Jugend, in: Kaufmann, Das Kommende Deutschland, S. 33; 19433, S. 42; vgl. Tabelle 1. 367 Erlass des RJF, 14.8.1942, ANBl. X/12, 12.9.1942, S. 110, im Nachgang zum Erlass vom 22.4.1942, ANBl. X/7, 30.5.1942, S. 68. 368 Disziplinarordnung 1936, S. 4.

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rend der zeitweiligen personellen Lähmung des Disziplinarwesens 1940 praktiziert.369 Aus der Parteigerichtsbarkeit der NSDAP waren Frauen ausdrücklich ausgeschlossen.370 Die stillschweigende Geltung der Disziplinarregelungen für die Gesamtorganisation fiel mit einer grundsätzlichen Vernachlässigung zusammen. Die begriffliche Inkonsistenz des Organisationsschrifttums unterstreicht noch die fehlende Reflexion und die Selbstverständlichkeit der sexistischen Kompetenzverteilung.371 Die BDM-Führerin Ilse Pfleumer, die ab 1940 im Amt für HJ-Gerichtsbarkeit der Reichsjugendführung arbeitete und dort ab 1944 die Position der BDM-Amtsreferentin innehatte,372 ist als einzige Akteurin der unmittelbaren Disziplinargerichtsbarkeit zu identifizieren. Ihre Funktion einer »Amtsreferentin« bringt die grundsätzliche Nachrangigkeit und Abhängigkeit der weiblichen Untergliederungen im organisatorischen Auf bau des Jugendverbandes zum Ausdruck. In jedem der Ämter und Hauptabteilungen der Reichsjugendführung agierte eine BDM-Führerin als Referentin für die Belange der weiblichen Organisationen des jeweiligen Fachressorts.373 Der Beitrag der BDM-Führerinnen zur jeweiligen Sachpolitik der Jugendführung war auf der entscheidenden Ebene also auf ihre Anpassung an die BDM-Verhältnisse beschränkt. Die regionalen »Stäbe« des BDM und der HJ arbeiteten hingegen stärker zusammen, möglicherweise auch bereits vor Kriegsbeginn.374 Doch selbst im Zuge der Personaleinsparungen für die »totale Kriegsführung« blieben die Leitungen der einzelnen Abteilungen in den gemeinsamen Führungen der HJ-Gebiete und BDM-Obergaue und der Banne Führern vorbehalten, während die »im Übrigen anfallenden Aufgaben« weitgehend Führerinnen übertragen wurden.375 Dass die entscheidenden konzeptionellen und exeku369 Obgleich eine Rekonstruktion aller tätigen HJ-Richter nicht möglich ist, findet sich unter den in den Führerblättern publizierten Ernennungen und Beförderungen kein Hinweis auf eine Frau. Vgl. z. B. Übersicht der federführenden Dienststrafvorgesetzten der sieben HJ-Obergebiete 1940, in: Zucht und Ehre, Jg. 1, 1940, S. 6; Beförderungen von HJ-Richtern, in: Der HJ-Richter, F. 4, Juni 1941, S. 11. 370 Anordnung 52 des OPG, 10.5.1937, in: Der Parteirichter, Jg. 3, 1936/37, S. 49. 371 So bezeichnete der zum HJ-Richter analoge Begriff »HJ-Gerichtsbarkeit« mit der zuständigen Dienststelle in der Reichsjugendführung den Planungsstab des gesamten Disziplinarwesens, während die genannten lokalen Disziplinarfunktionen in JM und BDM (gelegentlich) als »BDM-Gerichtsbarkeit« beschrieben wurden. 372 Jg. 1913, NSDAP-Mitglied seit 1942; Buddrus, Totale Erziehung, S. 1197. Laut Jutta Rüdiger war die Hauptabteilung Überwachung das einzige Referat der RJF, in dem keine BDMFührerin als Mitarbeiterin tätig war, Schoppmann, Nationalsozialistische Sexualpolitik, S. 45, Anm. 167. 373 Vgl. Struktur und Personal der RJF 1939 und 1941–1945, Buddrus, Totale Erziehung, S. 1074–1090. 374 Klaus, Mädchen in der Hitlerjugend, S. 61. 375 Reichsverfügungsblatt, Ausgabe B, 15.3.1943, F. 19/43, BA Berlin, R 3001/alt R 22/1196, Bl. 12–15.

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tiven Positionen im Disziplinarwesen BDM-Führerinnen selbst dann noch verwehrt blieben, als Männer kaum mehr zur Verfügung standen, verweist auf eine so unausgesprochene wie grundsätzliche Personalpolitik und Bewertung. Auch der HJ-Streifendienst als Überwachungsorgan war ausschließlich für die männlichen Untergliederungen konzipiert worden. Dies wurde im BDM offenbar als Mangel empfunden, denn am 31. August 1939 ordnete die BDMReichsreferentin Jutta Rüdiger die Einrichtung eines »BDM-Einsatzdienstes« an. Nach diesem Plan sollten »politisch einwandfrei[e]« junge Frauen ab dem Alter von siebzehn Jahren zur »innerdisziplinären Überwachung« eingesetzt werden. Die weibliche Sonderformation sollte Polizei und Sicherheitsdienst zugleich für intensive, ganztägige Sondereinsätze zur Verfügung stehen.376 Dieses Vorhaben, das in einer Serie von Geheimrundschreiben zur Mobilisierung und Reorganisation im Zusammenhang unmittelbar kriegsvorbereitender Maßnahmen steht, gilt als missglückter »Handstreich« der ranghöchsten BDM-Funktionärin.377 Tatsächlich verbot die Reichsjugendführung 1940 ausdrücklich die Bildung eines weiblichen Kontrollorgans.378 Aufgrund der Überlieferung lassen die Entscheidungsprozesse sich nicht nachvollziehen; doch unterstreicht die starke Verzahnung des HJ-Streifendienstes mit der SS die enge konzeptionelle Einbindung der HJ-Spezialformation in ein soldatisch ausgerichtetes, auf Männer bezogenes Organisationsgefüge. An einer weiblichen Formation bestand außerhalb einer unmittelbaren disziplinarischen Funktion im Jugendverband kein Interesse. Obwohl der HJ-Streifendienst Mädchen gegenüber nur beschränkt handlungsfähig war und ein innerorganisatorischer Bedarf daher bestand, wurde auf ein entsprechendes Organ dennoch verzichtet. Die Überwachungsdienststellen der Personalreferate, die Anfang der 1940er Jahre Funktionen des Streifendienstes übernahmen, waren »auch für den BDM« zuständig, wie es gewohnt lakonisch hieß.379 Intern wurde auch die Beschränkung des 1940 eingeführten Disziplinarmittels »Jugenddienstarrest« auf die älteren HJ-Angehörigen kritisiert. BDMFührerinnen forderten, dieses »Zuchtmittel« auch gegen junge Frauen anzuwenden, denn im Disziplinarkatalog klaffe zwischen den Entfernungsstrafen und den auf Führerinnen ausgerichteten disziplinierenden »Ehrenstrafen« eine Lücke. Für »besonders schwere Disziplinlosigkeiten« von Heranwachsenden zwischen vierzehn und achtzehn Jahren »ohne Dienstrang oder Dienststellung«, die keinen Straftatbestand erfüllten, stand so innerhalb der Organisa376 Geheimes Rundschreiben der BDM-Reichsreferentin Nr. 23/39 g, 31.8.1939, an den Stabsführer u. Führerinnen der Obergaue, BA Berlin, NS 28/31, Bl. 3. 377 Klaus, Mädchen in der Hitlerjugend, S. 61, daran anschließend auch Böltken. 378 RJF/PÜ, Überwachung der Gefährdung der Jugend, S. 38 u. 10. 379 Knopp, Überwachungswesen, S. 100.

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tion kein wirksames Mittel zur Verfügung.380 Die Betreffenden zu entfernen, galt hingegen als kontraproduktiv. »Ein Ausscheiden würde gerade von diesen Mädeln nur als erwünscht angesehen«, urteilte Klemer für die HJ-Gerichtsbarkeit.381 Daher unterstützte der oberste Hitler-Jugend-Richter Anfang 1944 die Forderung, auch ältere Mädchen durch kurzzeitigen Arrest zu disziplinieren. Tetzlaff wünschte, den Jugenddienstarrest vor allem gegen die Erscheinung einzusetzen, die als primäre Auffälligkeit junger Mädchen wahrgenommen wurde, nämlich als Mittel gegen die »Gefahr einer beginnenden sittlichen Verwahrlosung«, insbesondere bei Kontakten mit »Fremdvölkischen«. Um die einheitliche Anwendung des Disziplinarmittels zu gewährleisten, sollte sie der Richter der Reichsjugendführung – eine Funktion, die Tetzlaff zu diesem Zeitpunkt selbst innehatte – auf Antrag der Obergau-Führerinnen anordnen.382 Weiterführende Hinweise auf eine Umsetzung dieser direkt aus der disziplinarischen Praxis entwickelten Forderung fehlen. In der offiziellen Monografie der Reichsjugendführung zum Disziplinarrecht formuliert, ist die Position des maßgeblichen Autors und hochrangigen Praktikers des Jugenddisziplinarrechtes als repräsentativ anzusehen. Das Postulat, das entwickelte disziplinierende Instrumentarium auf beide Geschlechter vollständig anzuwenden, entspricht Tetzlaffs vorangegangenem Plädoyer für eine strafrechtliche Verfolgung weiblicher Homosexualität, die im Justizministerium abgelehnt worden war. Für das neue »Zuchtmittel« Arrest blieb die disziplinarische Praxis der Reichsjugendführung jungen Frauen gegenüber zurückhaltender als die strafrechtliche. Denn wenngleich Jugendarrest als eher »jungengemäßes« Mittel galt, wurde er durchaus auch gegen Mädchen verhängt.383

3.2 Das Konzept der »weiblichen Ehre« Die Allgemeingültigkeit der Disziplinarregeln vor dem Hintergrund einer geschlechterspezifischen Strafpolitik erwies sich als problematisch, sobald die Lücken des Zugriffs deutlich wurden. Nun wurde auch das für das Disziplinarsystem konstitutive Konzept der auf die völkische Gemeinschaft bezogenen »Ehre« und »Treue« geschlechtsspezifisch ausformuliert. Im disziplinarrechtlichen Umgang mit Mädchen und jungen Frauen trat mit dem Konzept der »weiblichen Geschlechtsehre« zu Kriegsbeginn eine traditionelle Variante des Ehrbegriffs auf. Dieses seit der Frühen Neuzeit sozialdisziplinierend wirkende Ehrkonzept begriff die Wahrung ihrer sexuellen Integrität durch die Einhaltung von Mo380 381 382 383

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Tetzlaff, Disziplinarrecht, S. 55f. Klemer, Disziplinarrecht, S. 158. Tetzlaff, Disziplinarrecht, S. 55f. Kümmerlein, Verfahren und Vollzug, H. 1, S. 17, H. 4, S. 61; Bergemann, S. 45.

ralvorschriften als Aufgabe der Frau. Bei Übergriffen und Vergewaltigungen galt die weibliche Ehre als das verletzbare Rechtsgut.384 Wie noch im bürgerlichen Diskurs des 19. Jahrhunderts konnte eine Frau das Kapital ihrer Ehre nur wahren oder ganz verlieren.385 Dieses auf die Person und ihre Familie bezogene Ehrkonzept nahm im Nationalsozialismus die zusätzliche »rassische« Bedeutung des völkischen Gemeinschaftsbezuges an. Als ›Hüterin der Art‹ musste die Frau den »Volkskörper« rein halten und rassisch wertvollen Nachwuchs garantieren.386 Die »Verantwortung« für diese Aufgabe gehörte zum von Hitler formulierten »Erziehungsziel« der »kommenden Mutter«,387 das auch durch die Sozialisation im BDM befördert werden sollte. Mit diesem geschlechtsspezifischen Ehrkonzept wurde ebenso in der Jugendorganisation argumentiert wie seitens anderer Organe und Institutionen des nationalsozialistischen Staates. Seit 1940 beschwor Jutta Rüdiger auf Führertagungen die besondere Ehre- und Treueverpflichtung der Frauen und gab dazu »moralische Leitworte« aus.388 »Deutsches Mädel, Deine Ehre ist die Treue zum Blute Deines Volkes«, hieß die viel zitierte Formel der BDM-Reichsreferentin, unter deren Motto 1941 die gesamte BDM-Arbeit stand.389 Mit diesem Appell verbunden war die Stilisierung des Umgangs mit Kriegsgefangenen oder »fremdvölkischen« Ausländern zum Verrat an den kämpfenden Soldaten und dem gesamten Volk, als eine Art sexueller Dolchstoß: »Deutsches Mädel, wenn Du Dich mit einem Kriegsgefangenen abgibst, verrätst Du unsere Soldaten. Deutsches Mädel, wenn Du mit einem Fremdvölkischen umgehst, dann verrätst Du Dein Volk. Deutsches Mädel, behandle den Ausländer höflich, achte seine Art und Nationalität, vergiss aber nicht, dass Du nie einem Mann angehören darfst, dessen Volk durch das deutsche Schwert besiegt worden ist, dass es für Dich nur einen Mann gibt, den tapfersten Soldaten dieser Erde, den deutschen Mann.«390

Der »Treuebruch« der Frauen, als welcher Beziehungen zu Männern außerhalb der völkischen Gemeinschaft wahrgenommen wurden, zog den Verlust ihrer Gemeinschaftsrechte nach sich. Eine Stellungnahme Thieracks, die sich 384 Vgl. dazu Beck, S. 285f.; zur sexuellen Qualität der weiblichen Ehre und der geschlechtsspezifischen Ausprägung des gesellschaftlichen Codes »Ehre« Frevert, Ehre – männlich/weiblich, S. 40 u. 23. 385 Vgl. ebd., S. 64. 386 Vgl. Bock, Zwangssterilisation, S. 116–140, bes. S. 133. 387 Ebd., S. 134, unter Hinweis auf die kulturelle und soziale Funktion der Mutterschaft im Gegensatz zu einer »natürlichen« oder biologischen Begründung. 388 Bericht von HJ-Bannführertagung in Stuttgart, 1940, in: Bericht des SD, betr. »Verwahrlosung der weiblichen Jugend«, Anlage 6: Mangelnde Gegenwirkung der nationalsozialistischen Jugenderziehung, IfZ München, Fa 298, Bl. 243–248, Bl. 248. 389 BA Berlin, NS 20/138, Bd. 6, Bl. 284; vgl. auch Groß, S. 4. 390 Jutta Rüdiger an RFSS Himmler, 24.4.1942, in: Miller-Kipp, »Auch du gehörst dem Führer«, Dok. 88, S. 220f.

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auf Ehefrauen von Wehrmachtsoldaten bezog, macht dies drohend deutlich. Der Wert der – sexuellen – Treue der Ehefrauen sei im Nationalsozialismus weniger eine moralische, als vielmehr eine rassenpolitische Verpflichtung. Unter Verweis auf den »altgermanischen Brauch« verknüpfte der Justizminister das Konzept einer spezifischen weiblichen Sexualehre mit den Erwartungen und Leistungen der Gemeinschaft: »Den vollen Schutz der Gemeinschaft verdient nur die Frau, die sich durch ihr einwandfreies Verhalten und ihre ordentliche Lebensführung des Schutzes des Gemeinschaft und des Lebenseinsatzes ihres Mannes an der Front würdig erweist.«391

Eine Soldatenfrau, die »ihre Ehre selbst nicht hochhält«, könne hingegen keinen besonderen Schutz erwarten. Die völkische Verantwortung für soziale und besonders sexuelle Kontakte und Bindungen wurde für Frauen mit dem sexistischen Stereotyp ihrer Schuld oder Mitschuld selbst bei Übergriffen verbunden. Albert Müller wies ihnen darüber hinaus eine geschlechtsspezifische Beteiligung am Sittenverfall zu, denn »immer sind es die Frauen und Mädel, die bestimmen, ob Zucht und Gesittung in einem Kriege einen Verfall erleiden, denn kein Mann geht weiter, als das Mädel es ihm erlaubt«.392 Allerdings appellierte die Hitler-Jugend sicherheitshalber auch an die Jungen. Im Sinne eines umfassenden »Sippenschutzes«393 wurden ihnen »Ritterlichkeit und Achtung vor dem Mädchen als der Kameradin in der Jugendorganisation und als der zukünftigen Frau und Mutter« eingeprägt. Mit dem klassischen Appell der Männergesellschaft an die Familienehre wurden sie ermahnt, die »Ehre jedes Mädels« solle ihnen ebenso hoch stehen wie »die der eigenen Schwester und Mutter«.394 Die Unterscheidung zwischen »ehrbaren« und »nicht-ehrbaren« Frauen bildete sowohl in der rassistischen Gesetzgebung wie in der Strafverfolgung einen wiederkehrenden Topos.395 Er verweist gleichermaßen auf die Konstruiertheit wie auf die Konventionalität der Frauenbilder im Nationalsozialismus. Dem erschreckenden (und offensichtlich faszinierenden) Bild der sexualisierten Frau, das Ängste und zugleich ein Bedürfnis nach Aufsicht und Kontrolle produzierte, steht die Konstruktion der reinen, makellosen Frau gegenüber, deren 391 Thierack, Richterbriefe. Mitteilungen des Reichsministers der Justiz, Nr. 2: Schutz der Frau im Kriege, Stellungnahme zu drei Sondergerichtsurteilen aus dem Jahre 1942, in: Boberach, Richterbriefe, S. 20–35, S. 24. 392 Müller, Betreuung der Jugend, S. 43f. Biografische Angaben zu Müller, geb. 1914, bei Buddrus, Totale Erziehung, S. 1190. 393 Bericht, betr. »Verwahrlosung der weiblichen Jugend«, Bl. 221. 394 RJF, Sonderrichtlinien zur Bekämpfung gleichgeschlechtlicher Verfehlungen, S. 11. Zur Figur der entsexualisierten, verehrten Schwestern und Mütter grundlegend Theweleit, Bd. 1; sowie zur »verführerischen Frau« als Komplement der »stahlharten Männer« Schilling, S. 333–341. 395 Vgl. etwa die Diskussion um »Schuld« oder »Schuldlosigkeit« der Frau im »Blutschutzgesetz«, Przyrembel, S. 172–182; sowie die Auswertung militärgerichtlicher Verhandlungen von Sexualverbrechen Beck.

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Sexualität tabuisiert wurde. Sie bilden das traditionsreiche Paar der Heiligen und der Hure.396 Vor diesem Hintergrund lässt sich auch die Vernachlässigung des weiblichen Disziplinarwesens jenseits sexueller Aspekte als Einschätzung geringerer Bedeutung und damit als Ausdruck der grundlegenden Geschlechterpolarität im Nationalsozialismus lesen. Darüber hinaus befand sich die Unterstellung einer »rassischen« Treulosigkeit in einem Spannungsverhältnis zur Etikettierung von Juden, Kriegsarbeitern und -gefangenen als gefährliche Vergewaltiger und Sittlichkeitsverbrecher, welche die »ehrbaren« Frauen und Mädchen bedrohten oder, in der Sprache der Jugendüberwachung, »gefährdeten«.397 Allein hinsichtlich ihrer Sexualität galten Mädchen und Frauen sowohl als bedroht wie als bedrohlich für die nationalsozialistische Gemeinschaft.

3.3 »Verwahrlosung der weiblichen Jugend« – Problemwahrnehmung und Gegenmaßnahmen Durch diese spezielle »Gefährdung« rückten die Mädchen zu Beginn des Krieges plötzlich aus ihrer Unsichtbarkeit im Disziplinarwesen. Innerhalb wie außerhalb der Hitler-Jugend waren sie nun einer erhöhten Aufmerksamkeit der Überwachungsorgane ausgesetzt, die massenhafte »Verwahrlosungs- und Entartungserscheinungen« gerade in sexueller Hinsicht beobachteten. Diese Zuschreibungen belebten den klassischen Topos im Umgang mit weiblicher Devianz und luden ihn mit einer »staatsgefährdenden« Bedeutung auf.398 Mit der verstärkten Wahrnehmung eines vermeintlich unmoralischen Verhaltens von Kriegerfrauen und ihren Töchtern ist der Topos der »sexuellen Unordnung« in der öffentlichen Rede überzeugend als Ausdruck auch des Spannungsverhältnisses zwischen überkommenen Geschlechterbildern und neuen Anforderungen im modernen Krieg gedeutet worden. Als Sorge um einen moralischen und in der Folge demoralisierenden ›Verfall‹ der Kriegsgesellschaften, wurden diese Phänomene seit dem Ersten Weltkrieg international artikuliert. Im Deutschen Reich begründeten die geschlechterspezifischen Topoi der ihren ›Halt‹ verlierenden Frauen und in sexuelle Nöte geratenden Männer eine spezifische Sozialpolitik.399 Eine Bedrohung des zivilen Hinterlandes durch einen bei Frauen aller sozialen Schichten beobachteten »lockeren« und »unsoliden Lebenswandel« wurde auch im Zweiten Weltkrieg von zahlreichen Institutionen befürchtet. Justiz und Fürsorge, die Ämter für Sozialunterstützung und der SD 396 Vgl. Schikorra, S. 108. 397 Zur kulturellen und strafrechtlichen Etikettierung aufgrund rassistischer und antisemitischer Stereotype Schneider, Sexualdelikte. 398 Zur Aufladung des Topos in beiden Weltkriegen Kundrus, S. 212–220 u. 374–393. 399 Hagemann, S. 15; zum in England zu Beginn des Ersten Weltkriegs beobachteten khakifever und Beispielen aus Dänemark Benninghaus, Die Jugendlichen, S. 240.

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beobachteten aufmerksam und berichteten alarmiert.400 Neben einem angeblich distanzlosen und herausfordernden Verhalten insbesondere junger Frauen gegenüber Soldaten und Ausländern zählen Klagen über eine »Vergnügungssucht« der Mütter und ihren schlechten Einfluss auf die Töchter zu den immer wiederkehrenden Motiven. Die bei jungen Mädchen befürchtete »sexuelle Verwahrlosung« bildete einen besonderen Bereich in der Problemwahrnehmung allgemeiner »Verwahrlosungserscheinungen« von Jugendlichen, auf die Staat und Partei mit konzertierten Gegenmaßnahmen reagierten. Mit dem Stichwort der »Verwahrlosung« stand diese Wahrnehmung begrifflich sowohl in der Tradition einer geschlechterspezifischen Aufmerksamkeit, wie sie praktisch zugleich der Tendenz einer »Feminisierung« der Verfolgung vermeintlich »Asozialer« zuarbeitete. Als zentraler Begriff der Zwangs- und Fürsorgeerziehung hatte der moralisch aufgeladene Terminus »Verwahrlosung« die generalpräventiven Begrifflichkeiten von Armut und Elternlosigkeit ersetzt. Das sentimentale Bild der »verführten Gefallenen« des 19. Jahrhunderts hatte sich nach der Wende zum 20. Jahrhundert zu dem der belasteten Verwahrlosten verändert. Die Beobachtung weiblicher Devianz, vor allem bei schulentlassenen Mädchen, konzentrierte sich auf sexuelle Delikte, während bei den Jungen Eigentumsdelikte und Vagabundieren im Vordergrund standen.401 Im Fürsorgediskurs bezeichnete »Verwahrlosung« allgemein die aus Sicht von Experten dauerhafte körperliche, geistige oder seelische Störung »geordneter Lebensführung« als unbestimmte Voraussetzung zum Eingriff in das Erziehungsrecht der Eltern. Versuche einer verbindlichen Definition vermischten diagnostische Symptommerkmale, moralisierende Alltagskonnotationen und sozialpädagogische Praktikabilitätsüberlegungen.402 Durch eine einseitig interessierte Empirie (mittels gynäkologischer Reihenuntersuchungen) und durch die moralische Aufladung und Umdeutung der Phänomene von Trebe und Eigentumsdelikten der Mädchen hatte die Fürsorge diese geschlechtspezifische Ausprägung von Devianz allerdings mitproduziert. Auch das psychiatrische Bild einer »psychopathologischen Minderwertigkeit« operierte mit einer sexuellen Aufladung und verband Ursachen und Folgen weiblicher Devianz eng mit der psycho-physiologischen Konstitution der Mädchen, während männliche »Verwahrlosung« eher mit Erziehungsdefiziten oder entwicklungsbedingten Störungen erklärt wurde.403 Die Wahrnehmung und Deutung der »Jugendverwahrlosung« durch nationalsozi400 Vgl. Kundrus, S. 374f. u. 380ff.; mit Beispielen aus Westfalen auch Kuhlmann, S. 193– 198. 401 Vgl. Schmidt, S. 280 u. 284; zum Schlüsselkriterium sexueller Aktivität im weiblichen Verwahrlosungsbegriff auch Kohtz, S. 190. 402 Kebbedies, S. 27, Anm. 46; vgl. auch Peukert, Grenzen, S. 157. 403 Vgl. Schmidt, S. 284.

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alistische Kontrollinstanzen baute auf diesen Mustern auf und ergänzte sie um die rassenpolitische Perspektive. Bereits in den 1930er Jahren stand bei der disziplinarischen Überwachung der Mädchen die »sittliche Verwahrlosung« im Vordergrund, wobei der unscharfe Begriff ein freizügiges bis deviantes Verhalten umschrieb und neben aktiven »Verfehlungen« auch das Erleiden sexueller Übergriffe bezeichnen konnte. Ab Beginn des Krieges bezeichnete er jedoch nicht mehr die Sozialauffälligkeiten einzelner Mädchen, sondern stand für ein Massenphänomen. Im BDM traf die Wahrnehmung auf ein grundsätzlich bestehendes Misstrauen hinsichtlich des Umgangs der Organisation mit sexueller Moral.404 Sie korrespondierte mit Klagen über die (hetero)sexuelle Aktivität und ein »SichAusleben« auch von erwachsenen Frauen, die als bedrohliche Phänomene der Kriegsgesellschaft wahrgenommen wurden.405 Eine Denkschrift des Sicherheitsdienstes wertete die »Verwahrlosungs- und Entartungserscheinungen in der weiblichen Jugend« im Winter 1940/41 als die gefährlichsten Phänomene unter den Meldungen über auffälliges Jugendverhalten.406 Im Sinne des Konzeptes einer weiblichen Sexualehre beklagten die Autoren bei den Mädchen ein ungenügend »gefestigtes Bewusstsein ihrer Frauenehre und ihrer künftigen Aufgaben als Gattin und Mutter« und beobachteten eine für die Perspektive der Volksgesundheit »besorgniserregende Verantwortungs- und Hemmungslosigkeit in geschlechtlicher Hinsicht«.407 Gegenüber den bagatellisierten Disziplinschwierigkeiten von Jungen sah der Bericht, der Meldungen aus dem Reichsgebiet zusammenstellte, bei den weiblichen Jugendlichen »biologische und charakterliche Schäden«. Die Ursachenanalyse griff neben dem stereotypen Verweis auf den »jüdische[n] Einfluß usw.« der Zeit vor 1933 auch kritisch die Unselbständigkeit und konzeptionelle Vernachlässigung der nationalsozialistischen Mädchenerziehung auf. Die »Weibliche Jugenderziehung« sei im Auf bau der Hitler-Jugend nur ein »Anhängsel der männlichen«. Der Bericht empfahl dagegen, den BDM in deutlicherer Geschlechtertrennung stärker an andere weibliche Formationen wie die NS-Frauenschaft anzubinden408 und damit aus der jugendbezogenen Verantwortlichkeit der Reichsjugendführung zu lösen. Denn die »Erziehung« in 404 Vgl. Böltken, S. 93ff.; sowie bereits Bleuel. 405 Vgl. exemplarisch die SD-Berichte Nr. 24, 4.12.1939, in: Boberach, Meldungen aus dem Reich, Nr. 103, 8.7.1940, Bd. 5, S. 1352–1362, S. 1358; Nr. 253, 22.1.1942, Bd. 9, S. 3193–3208, S. 3200–3204, sowie Brief an Reichsschatzmeister der NSDAP, 13.4.1944, Bd. 16, S. 6481– 6488. 406 Bericht, betr. »Verwahrlosung der weiblichen Jugend«, durch Chef des Sicherheitsdienstes, 12.1.1941, an OKW, General Reinecke, zuvor an »verschiedene Reichsbehörden«, IfZ München, Fa 298, Bl. 212–254. 407 Ebd., Bl. 213. 408 Ebd., Bl. 212, Bl. 218.

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den Formationen der Hitler-Jugend allein biete dem sexuellen Interesse der Soldaten und der neuen sozialen Durchmischung im Kriegshilfsdienst »kein ausreichendes Gegengewicht«. Im Gegenteil, führte die scharfe Kritik an der Jugendführung weiter aus, beförderten gerade Führungsmängel und Kasernierung die »Verwahrlosungserscheinungen«, deren Beispiele von rein äußerlichen Moden wie Nagellack und rasierten Augenbrauen bei »BDM-Mädeln« über eine – nach Razzien amtsärztlich überprüfte – promiske Jugendsexualität bis zur Fantasie eines sich ausbreitenden »Geschlechtsbolschewismus« reichten.409 Tanz, Flirts und Sexualkontakte mit Ausländern und Kriegsgefangenen wurden ebenso beklagt wie Belästigungen und Libertinage im Landdienst und »Pflichtjahr« oder gemeinsame Kameradschafts- und Tanzabende von HJ- und BDM-Gruppen.410 Der SD argumentierte, der Jugendverband würde durch diese »sittlichen« Mängel ebenso geschwächt wie durch seine Politik der Tabuisierung. Schließlich verboten Eltern ihren Töchtern manchen Orts sogar die Teilnahme am BDM-Dienst, und auch die Kirchen fänden als Orte von »Sitte und Ordnung« gegenüber der versagenden Jugendorganisation Zulauf.411 Die Reichsjugendführung distanzierte sich vehement von diesem Vorwurf, den sie als »konfessionelle Propaganda« abtat.412 Ihre zeitgleiche Schrift zur »Kriminalität und Gefährdung der Jugend« begriff die »Mädelverwahrlosung« dennoch ebenfalls als dringendes Handlungsfeld.413 Diesen »Lagebericht« stellte der Leiter der Überwachungsabteilung der Reichsjugendführung, William Knopp,414 auf Grundlage der Meldungen des eigenen Disziplinarapparates wie von Berichten der Polizeipräsidenten und des zitierten SD-»Sonderberichtes« zusammen. In der bevölkerungspolitischen Diagnose stimmte die Jugendführung mit dem SD überein. Als langfristige Belastung auch der »kommenden Generationen« sei die »Verwahrlosung« der jungen Frauen für das »Volksganze« relevanter als die junger Männer, die sich als Kriminalität äußere. Zugleich sei sie schwerer zu fassen, denn »die Mädchen handeln nicht so sehr gegen das Gesetz wie am Gesetz vorbei.«415 Die Klagen über eine größere »Hemmungslosigkeit« und »Triebhaftigkeit« der Mädchengeneration in den Berichten des HJ-Streifendienstes fielen regional unterschiedlich aus. Vor allem Gebiete mit starker Truppenbelegung meldeten eine Häufung 409 Ebd., Bl. 213. 410 Ebd., Anlage 6: Mangelnde Gegenwirkung der nationalsozialistischen Jugenderziehung, Bl. 243–248, Bl. 244f.; drei BDM-Angehörige, die bei einer Maifeier mit polnischen Landarbeitern tanzten, verteidigten sich mit der Rede des DAF-Obmannes, der zu fröhlicher Volksgemeinschaft aufgerufen habe; ebd., Anlage 3: Verhalten von Mädchen zu Ausländern, bzw. Kriegsgefangenen, Bl. 234. 411 Bericht, betr. »Verwahrlosung der weiblichen Jugend«, Bl. 217; Anlage 6: Mangelnde Gegenwirkung der nationalsozialistischen Jugenderziehung, Bl. 245f. 412 JFdDtR, Kriminalität und Gefährdung der Jugend, S. 140. 413 Ebd., S. 163–170. 414 Jg. 1909, Kurzbiografie bei Buddrus, Totale Erziehung, S. 1168. 415 JFdDtR, Kriminalität und Gefährdung der Jugend, S. 163 [Hervorhebung im Original].

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der Auffälligkeiten. Andere, vor allem ländliche Obergaue, verwiesen auch auf die Eigendynamik der Überwachung, deren verstärkte Aufmerksamkeit eine erhöhte Problemwahrnehmung produzierte.416 Außer dem jungen Alter der Mädchen – als Hauptgruppen galten die BDM-Jahrgänge ab fünfzehn Jahren, wobei Berichte über die sexuelle Aktivität noch jüngerer Mädchen besonders skandalisierten – wurde vor allem das »würdelose Verhalten« gegenüber Soldaten und Angehörigen des Arbeitsdienstes beklagt und auch als unerwünschter Nebeneffekt der »Volksgemeinschafts«-Propaganda interpretiert. Umgang mit Ausländern wurde, im Sinne einer unterstellten »rassischen« Natur, als zusätzlich »instinktlos« diffamiert.417 Die Kriegs- und NS-typischen Gruppenunterkünfte der Männer – Kasernen, Lager und selbst Sammellager von Zivilarbeitern – galten neben dem »Tanzboden« als die wichtigsten Kontaktorte. Auch die räumlichen und sozialen Ortswechsel durch Einsätze in der Wirtschaft und im Kriegshilfsdienst, die Mädchen der elterlichen Aufsicht entzögen, würden ein aktives Sexualverhalten begünstigen. Insbesondere die Unterbringung in Lagern – wie im Landdienst der Hitler-Jugend, in Landjahr und Arbeitsdienst – konterkariere durch den »schlechten Einfluß sittlich gefährdeter oder verdorbener Mädchen« die gewünschte »Erziehung zur Gemeinschaft«.418 Bei diesen Mädchen befürchtete man das »Absinken« in »heimliche Prostitution bzw. wahllosen Geschlechtsverkehr«.419 Zusätzlich wurde eine starke Zunahme der Geschlechtskrankheiten bei »einem großen Teil der heutigen Jugend« konstatiert.420 Auch die Berichte über informelle und oppositionelle Jugendgruppen beklagten detailfreudig »geschlechtliche Ausschweifungen« und eine »völlige Zügellosigkeit« gemischtgeschlechtlicher Gruppen. In Zusammenhang mit der seit 1937 in Hamburg beobachteten und staatspolizeilich verfolgten »Swing-Jugend« war auch von weiblicher Homosexualität die Rede.421 Übertretungen der sozialen Rassentrennung durch freundschaftliche und intime Kontakte von Jungen und Mädchen mit Juden und »Halbjuden«, »um deren Rassezugehörigkeit sie wußten«, wurden als Kennzeichen einer »Entartung« besonders aufmerksam vermerkt.422 Der kriminaljuristische Diskurs folgte denselben Topoi. In ihrer kriminalbiologischen Dissertation über weibliche Jugendkriminalität urteilte etwa Rena416 Ebd., S. 164. 417 Ebd., S. 165f. u. 168f. 418 Ebd., S. 167. 419 Ebd., S. 169f.; ähnlich Müller, Betreuung der Jugend, S. 57f. 420 JFdDtR, Kriminalität und Gefährdung der Jugend, S. 142 u. 161f. 421 RJF/P-Ü, Cliquen- und Bandenbildung, S. 210 u. 218; sowie JFdDtR, Kriminalität und Gefährdung der Jugend, S. 137f. Zur als Verweigerungs- oder Resistenzverhalten begriffenen Gegenkultur der »Swings« und ihrer Verfolgung vgl. Pohl; Kurz; Polster; Ritter. 422 RJF/P-Ü, Cliquen- und Bandenbildung, S. 201–207, Zitat S. 206. Zu den Phänomenen gehörten homosexuelle Kontakte beider Geschlechter, Bordellbesuche männlicher Gruppenmitglieder und »Geschlechtsverkehr gegen Entgeld« bei einigen Mädchen.

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Maria Topp 1941, »asoziales Verhalten« von Mädchen drücke sich weniger in kriminellem Verhalten aus als in »Verwahrlosung, besonders auch in sexueller Hinsicht«. Insbesondere in Form der Prostitution schädige diese »sexuelle Verwahrlosung« die Gesellschaft weitaus stärker als Delinquenz, »weil nicht nur das prostituierte weibliche Individuum als asoziales Element zur Ausfüllung seiner Stellung als Frau und Mutter innerhalb des Volksganzen unfähig wird, sondern weil es auch durch eine öffentliche Tätigkeit weitere Volkskreise vergiftet.«423 Der sexistische Überwachungsdiskurs der Jugendorganisation über die »Verwahrlosung der weiblichen Jugend«, der mit Beginn des Zweiten Weltkrieges einsetzte, stimmte in der stereotypen Problemwahrnehmung der Phänomene wie in der rassen- und volkspolitischen Bedeutungszuweisung mit weiteren Kontrollinstanzen ebenso überein wie darin, die begrenzte Reichweite einer Überwachung durch die Hitler-Jugend zu konstatieren. Die Kritik an der systematischen konzeptionellen Vernachlässigung der Mädchenorganisationen nahm die Reichsjugendführung nicht auf. Sie ergriff nun aber spezielle geschlechtsbezogene Maßnahmen, die im Rahmen der konzertierten Jugendüberwachung eng mit denen anderer Instanzen verknüpft wurden. Das wichtigste Mittel gegen die beobachteten »sexuellen Entgleisungen und Enthemmungserscheinungen« war die »strengste Überwachung« durch die Organe der Jugendorganisation.424 Gegenüber den zitierten überregionalen Lageberichten vermitteln die ihnen zu Grunde liegenden Berichte der einzelnen Gebietsinspekteure des Streifendienstes einen Eindruck von der Überwachungspraxis vor Ort. In den Arbeitsberichten im HJ-Gebiet und BDM-Obergau Schwaben aus den Jahren 1940 bis 1945 etwa wurde zum Punkt »Verwahrlosung der weiblichen Jugend« eine allgemeine »Haltlosigkeit« seit Kriegsbeginn, vor allem in Militärstandorten, gleichermaßen bei den »Nichtorganisierte[n]« wie den Angehörigen des BDM gemeldet. »Wenig Moralgefühl« sei erkennbar; »[b]esonders schlimm wirkt sich das Militär aus.«425 Wie in dieser regionalen Überlieferung deutlich wird, sahen die jugendlichen Akteure der unmittelbaren Überwachung sich vielfach behindert, weniger jedoch durch mangelnde Befugnisse gegenüber den zu überwachenden jungen Frauen, als vielmehr durch die Einmischung lokaler Autoritäten. Empört berichtete etwa der Augsburger Streifendienst über den Ratschlag eines Kriminalrates, bei älteren Mädchen nachsichtig zu sein. Die strenge Reglementierung ihres Freizeitverhaltens durch die HJ-Formation stieß nicht nur bei den Betroffenen auf Widerspruch, wie die Klage des Streifendienstes zeigt: 423 Topp, S. 6. Die Dissertation wurde von dem Strafrechtler und Kriminologen Prof. Dr. Rudolf Sieverts, Geschäftsführer der Hamburger Gau-AG für Jugendbetreuung, betreut. 424 Müller, Betreuung der Jugend, S. 43. 425 Berichte der K-Leiterin der Personalabteilung des BDM-Obergaus, 8.6.1940, StA Augsburg, HJ-Gebiet Schwaben, Nr. 27; SRD-Monatsbericht, Bann Augsburg-Stadt, 1.11.1940, ebd., Nr. 49, Bl. 120524.

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»Es ist nicht immer leicht für uns, sich mit Erwachsenen auseinanderzusetzen in deren Begleitung sich oft die Jugendlichen befinden, besonders trifft dies bei den Mädeln zu. Besonders groß sind die Schwierigkeiten mit dem Militär. […] Wenn dann noch oft ein HJ-Streifendienst kommt, so ist der Bart gleich ab. Da wir meistens im ›unrechten‹ Augenblick auf der Bildfläche erscheinen.«426

In diesem Dilemma griffen die lokalen Streifen auch eigenmächtig zur Selbsthilfe und werteten sich z. B. durch die Autorität von Offizieren auf, um junge Frauen in Begleitung von Soldaten zu verwarnen.427 Auch über die disziplinarische Ahndung hinaus fühlten die Kontrolleure sich weiter zuständig, wie die Reaktion auf Kinobesuche von zwei BDM-Angehörigen mit niederländischen Zivilgefangenen im September 1940 zeigt. Hermiene B. war bei einer »Filmkontrolle« des Streifendienstes erwischt, Gisela L. durch den Betriebsobmann ihrer Arbeitsstelle denunziert worden. Der BDM-Untergau erteilte beiden Mädchen Verweise. Der Streifendienst schloss die Meldung zufrieden mit dem Vermerk: »Beide Mädels werden nunmehr streng überwacht«.428 Ganz im Sinne ihres »Einsatzbefehls«, der den Steifendienstangehörigen einschärfte, »sich jederzeit als im Dienst befindlich«429 zu betrachten, hieß es aus der Umgebung von Kempten: »In engster Zusammenarbeit mit dem Untergau des BDM werden die Mädels auf Schritt und Tritt beobachtet, sodaß sie, obwohl äußerst vorsichtig, doch einmal in eine Falle gehen werden«.430 Zusätzlich zum disziplinarrechtlichen Reglement und verschiedenen Einzelmaßnahmen – so verboten lokale BDM-Führungen ihren Angehörigen kurzerhand dem Umgang mit Soldaten431 – griffen die polizeilichen Jugendverordnungen. Vom HJ-Organ Streifendienst gemeinsam mit örtlicher Polizei und Weiblicher Kriminalpolizei kontrolliert, dienten sie nach Einschätzung des SD allerdings nur dazu, die äußeren Verwahrlosungserscheinungen »wenigstens in ihren Auswüchsen« zu beseitigen.432 Im BDM-Obergau Schwaben beklagten die Untergau-Führerinnen auch mangelnde Mitwirkung der Polizei, was zu Kontrolllücken führe. Gegen das Verbot gingen etwa minderjährige Mädchen weiter ohne die Begleitung von Erziehungsberechtigten tanzen.433 426 SRD-Monatsbericht, Bann Augsburg-Stadt, 1.11.1940, ebd., Bl. 120524. 427 »Auf diese Hilfe kann auch der SRD jederzeit rechnen, selbst wenn er alleine, ohne Polizei einschreitet. Damit ist uns eine große Erleichterung in unserer Arbeit gegeben.« Bericht über die Streifen des Bannes Mindelheim, o. Dat. [1940–42], StA Augsburg, HJ-Gebiet Schwaben, Nr. 57, Bl. 120729 [rotes Fragezeichen am Rand]. 428 Ebd., Nr. 55, Bl. 120696. 429 RJF, Die Überwachung der Gefährdung der Jugend, S. 25. 430 SRD-Bericht für Monat Dezember 1940, StA Augsburg, HJ-Gebiet Schwaben, Nr. 57, Bl. 120727. 431 So im schlesischen Troppau (heute Opava), Bericht, betr. »Verwahrlosung der weiblichen Jugend«, Bl. 231. 432 Ebd., Bl. 217. 433 Gretel Weimann, Obergau Schwaben 8.3.1941, an Gebietsinspekteur, StA Augsburg, HJGebiet Schwaben, Nr. 47, Bl. 120849.

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Im Verbund mit einer weltanschaulichen und charakterlichen Erziehung zum »Lebenszweck« und »Beruf der Gattin und Mutter« hatte der SD Maßnahmen zur »Aufklärung« der jungen Frauen gefordert.434 In der Hitler-Jugend wandte diese Unterweisung sich, auch mit der Information über »Fragen der Geschlechtserkrankungen und ihrer Gefahren«,435 an beide Geschlechter. Als allgemeine Leitlinie propagierte die Reichsjugendführung die »Gesetze einer blutsgemäßen Sittlichkeit« für die gesamte Hitler-Jugend. Sie dehnte die allgemeine Selbstzucht im Dienstreglement auf die Sexualität der Heranwachsenden aus: »Nicht von irgendeiner willkürlichen Moral her, sondern aus einem Einblick in die lebensgesetzlichen Zusammenhänge stellt […] die nationalsozialistische Jugendführung die Forderung der Triebbemeisterung und der geschlechtlichen Reinheit.«436

Die konkrete Umsetzung dieses Appells zur »Sauberkeit« wurde geschlechtsspezifisch ausgelegt. Richtete die allgemeine Empfehlung einer »abhärtende[n] Lebensweise«, von Sport, Beschäftigung und den »positiven Kräften« – Selbstbeherrschung, Willensstärke und Disziplin – sich an beide Geschlechter, wurde an die Mädchen appelliert, zusätzlich ihre Gefühle zu prüfen. Es sei ihre Aufgabe, sich für echte Liebe zu bewahren, da »Wartenkönnen« zu den »Wesenszügen« deutscher Frauen gehöre.437 Auch die BDM-Reichsreferentin forderte mit Passivität und Ehelichkeit nicht nur zentrale Elemente der bürgerlichen Frauenrolle ein, sondern wandte sich vor allem gegen die Propagierung »rassisch« gewünschter, nicht- oder vorehelicher Geburten: »Verschwende Dich aber auch nicht innerhalb Deines Volkes, sondern bewahre Dich für den grossen Augenblick, wo Du innerhalb Deiner Familie Deinem Volke Kinder schenken darfst.«438

Diese »Auf klärung« war eng mit rassenpolitischer Schulung verbunden. So gehörte die »Auf klärung unserer Mädel über unsere Einstellung zum ausländischen Arbeiter« zur Betreuung der »volksdeutschen Mädel«.439 Anordnungen über den Umgang mit Ausländern und Kriegsgefangenen sollten die gewünschte maximale soziale Distanz zu den »Feinden« herstellen. Das didaktische Merkblatt »Wie verhalten wir uns gegenüber den Polen?«, das jeden Kontakt verbot,

434 Bericht, betr. »Verwahrlosung der weiblichen Jugend«, Bl. 217ff. 435 Müller, Betreuung der Jugend, S. 43. 436 Ebd., S. 44. 437 Ebd., S. 45; vgl. auch Kitzing, S. 23. 438 Rüdiger an Himmler, 24.4.1942, in: Miller-Kipp, »Auch du gehörst dem Führer«, Dok. 88, S. 220. Zur Problematik unehelicher Geburten Böltken, S. 94ff. 439 Typoskript »Jugendrecht«, BA Berlin, NS 28/71, Bl. 1–12. Unterscheidung in Analogie zur »Deutschen Volksliste« in die Gruppen: 1. »Volksdeutsche«, 2. »gleichstämmige«, 3. »fremdstämmige und slawische Völker«, 4. »Artfremde wie Polen, Zigeuner, Juden und Ostarbeiter«; VO über die Deutsche Volksliste, 4.3.1941, RGBl. 1941, Teil I, S. 118ff.

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drohte Anfang 1940 – zeitgleich mit den »Polenerlassen«440 – mit Ausschluss, Strafverfolgung und gesellschaftlicher Stigmatisierung.441 In den konzertierten Anstrengungen zur »Jugendbetreuung im Krieg« wurde auch der Arbeitsbereich »Haltung der weiblichen Jugend« auf Gau- und Kreisebene ausgebaut, etwa 1944 im Gau Hamburg.442 Auf »Gemeinschaftsabenden«, die sich an die Mütter der »gefährdeten« Mädchen wendeten, trugen BDMFührerinnen und NS-Frauenschaft gemeinsam rassenpolitische Regeln einer zurückhaltenden »Haltung gegenüber dem Mann« vor und warben zugleich für eine Berufsausbildung der Töchter.443 Im Sinne des kriminalbiologischen Disziplinarkonzeptes versuchte man zudem, »Gefahrenherde« auszuschalten. Da nach Einsicht der Reichsjugendführung in den Gruppenunterkünften von Dienstverpflichteten die angestrebte »Ausschaltung der negativen Elemente« ebenso wenig erreichbar sei wie die flächendeckende Beobachtung durch die Führerinnen,444 wurden die bisher favorisierten Sammelunterbringungen für heranwachsende Frauen aufgegeben oder auf kleine Heime beschränkt.445 Diese stillschweigende Rücknahme der idealisierten »Gemeinschaftserziehung« für das weibliche Geschlecht wurde im September 1944 noch prononcierter und entfernte junge Frauen, die bereits aufgefallen waren, notfalls auch aus Dienstverpflichtungen. Axmann bat dazu den Generalbevollmächtigten für den Arbeitseinsatz, »sittlich gefährdete weibliche Minderjährige« nicht zu auswärtigen Einsätzen heranzuziehen, wenn nur Gemeinschaftsunterkünfte zur Verfügung stünden. Dies wurde durch die Meldung der bereits unter Aufsicht von Jugendamt oder NSV stehenden Mädchen an die Arbeitsämter und durch entsprechende Vermerke auf ihren »Arbeitsbuchkarteikarten« erfassungstechnisch umgesetzt.446 Auf polizeilicher Seite galt längst eine erhöhte Alarm- und Aktionsbereitschaft. Seit Dezember 1939 sollte die Kriminalpolizei »Kindern und Jugendlichen, besonders weiblichen, im Tages- und Nachtstreifendienst besondere Beachtung schenken«.447 Im Polizeibezirk Dortmund etwa wurde dieser durch HJ-Streifendienstangehörige ergänzte Kontrolldienst noch um besondere Streifen mit Wehrmachtsangehörigen zur »Erfassung der weiblichen Jugend« 440 Vgl. Herbert, Fremdarbeiter, S. 74–82. 441 Verordnung über den Umgang mit Kriegsgefangenen, 11.5.1940, RGBl. 1940, Teil I, S. 769, § 1; Anordnung der RJF, RB 35/K, 5.4.1940, S. 2f., S. 2 [originale Orthografie]. 442 Klemer, Jugendbetreuung. Über den Hinweis hinaus gibt der Straf- und Jugendrechtler Prof. Rudolf Sieverts, Geschäftsführer der Gau-AG Hamburg, jedoch keine Darstellung des Arbeitsbereiches, ebd., S. 129–133, S. 130. 443 Schönauer. 444 JFdDtR, Kriminalität und Gefährdung der Jugend, S. 167. 445 Typoskript »Jugendrecht«, BA Berlin, NS 28/71, Bl. 5f. 446 Anweisung des RMdI, 15.9.1944, und Anordnung der RJF, Soziales Amt, über den Arbeitseinsatz sittlich gefährdeter weiblicher Jugendlicher, Rundschreiben der RJF, F. 28/44, 23.12.1944, S. 536f. 447 Erlass des RSHA, 1.12.1939, zitiert bei Kenkmann, Wilde Jugend, S. 149.

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erweitert.448 Auf die stereotypen Meldungen des Reichskriminalpolizeiamtes und der Fürsorgestellen hin, »daß jugendliche Mädchen sich gegenüber Uniformierten besonders willig zeigten«,449 reagierten auch Wehrmacht und Polizei mit einer Ausdehnung ihrer Instrumentarien auf diese Uniformträger. Das »Herumstehen weiblicher Jugendlicher« in der Nähe militärischer Einrichtungen und Unterkünfte sollte gezielt verhindert, Wehrmachtsangehörigen die Beachtung der Jugend-Polizeiverordnungen eingeschärft werden.450 Der im April 1942 erlassene Befehl Himmlers »zum Schutze der weiblichen Jugend« erweiterte den Straftatbestand der Verführung eines »unbescholtenen« Mädchens unter sechzehn Jahren zum Beischlaf (StGB § 182) um weitere Handlungen. Aus bevölkerungspolitischen Gründen sollten Verstöße von Angehörigen der Polizei und der SS gegen dieses Verbot, »ein junges unmündiges Mädel zu verführen«, als militärischer Ungehorsam bestraft werden, läge die Gefahr doch darin, »unserem Volke eine künftige Ehefrau und Mutter« zu nehmen.451 Auch dieser ›Schutz‹ galt allein ›ehrbaren‹ Minderjährigen. Der Rückverweis auf diese Regelungen in der Neufassung der Polizeiverordnung zum Schutz der Jugend 1943 sorgte für eine umgreifende Reglementierung.452 Die Jugenddisziplinarpolitik außerhalb des unmittelbaren Zugriffs der Hitler-Jugend ist durch denselben geschlechterspezifischen Umgang gekennzeichnet, in dem eine verzögerte Aufmerksamkeit für die Mädchen mit einer dezidiert sexuellen Konnotierung der Problemwahrnehmung zusammenfiel. Auch die Einrichtung von disziplinierenden Lagern für junge Männer ging denen für Frauen voraus. Die »polizeilichen Jugendschutzlager« wurden am männlichen Modell entwickelt. Im August 1940 begannen Inhaftierungen in Moringen, das zum Konzentrationslager Ravensbrück gehörende Mädchenlager Uckermark wurde ab Juni 1942 aufgebaut. »Bei weiblichen Minderjährigen kommen insbesondere die sexuell schwer gefährdeten für die Unterbringung in Betracht«, formulierten die Erlasse übereinstimmend.453 In dieser geschlechterspezifischen Ausrichtung der Jugendkonzentrationslager wird die sexuelle Hauptbegründung weiblicher Devianz, die den gesamten Bereich der Verfol448 Bericht des Dortmunder Oberbürgermeisters, in: JFdDtR, Kriminalität und Gefährdung der Jugend, S. 148ff., S. 148. 449 Aktenvermerk, 24.2.1942, BA Berlin, NS 7/181, Bl. 9. 450 Erlass des Chefs des OKW, Reinecke, 10.6.1941, in: Erlass des JFdDtR, 28.6.1941, ANBl. IX/41, 22.8.1941, S. 95f.; Runderlass des RFSSuChDtPol zum Schutz der Jugend, 1.7.1943, ANBl. XI/12, 28.8.1943, S. 118–130, S. 125. 451 Befehl des RFSSuChDtPol zum Schutze der weiblichen Jugend, 6.4.1942, BA Berlin, NS 7/181; vgl. Vieregge, S. 125f. 452 Runderlass des RFSSuChDtPol zum Schutz der Jugend, 1.7.1943, ANBl. XI/12, 28.8.1943, S. 118–130, S. 125f. 453 Erlasse des RFSSuChDtPol über die Einweisung Jugendlicher in polizeiliche Schutzlager, 25.4.1944, des RMdI, 26.4.1944, und des JFdDtR, 9.5.1944, ANBl. XII/8, 7.6.1944, S. 144–151, S. 146f.

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gung vermeintlich »Asozialer« kennzeichnet, exemplarisch deutlich. Nach Geschlechtern getrennt wie das gesamte nationalsozialistische Lagersystem, arbeiteten beide »nach den gleichen Grundsätzen, jedoch mit naturbedingten Unterschieden«, wie Paul Werner, der als stellvertretender Leiter des Reichskriminalpolizeiamtes maßgeblich an der Konzeption beteiligt war, im November 1943 auf einer Jugendrechtstagung formulierte.454 Da die sexuellen Verwahrlosungen »begreiflicherweise« eine beträchtliche Rolle spielten, sei das Mädchenlager nach einer anderen Struktur aufgebaut.455 Aus dieser Einschätzung folgte eine unterschiedliche Behandlung bei der »Aufgabe«, die »Unerziehbaren« bis zu einer »endgültigen« Unterbringung in Konzentrationslagern zu verwahren.456 Kriminalrätin Lotte Toberentz, die das Mädchenlager bis April 1945 leitete, erläuterte dazu, eine weitreichende Differenzierung der Inhaftierten wie durch das in Moringen praktizierte System kriminalprognostischer »Blockeinteilungen« sei nicht erforderlich, denn »[d]er Typ des kriminellen und asozialen Mädchens ist einheitlicher geprägt. Ursache und Art des Entgleisens sind immer wieder entscheidend geprägt durch Triebhaftigkeit, die in Verbindung mit Hemmungslosigkeit und Minderbegabung zur sexuellen Verwahrlosung führt. […] Hinzu kommt, dass eine Verwahrlosung auf sexuellem Gebiet die Frau gründlich zu zerstören pflegt.«457 Die gesundheitlichen Folgen durch Geschlechtskrankheiten erübrigten mithin, überhaupt eine Prognose der weiteren Entwicklung der Jugendlichen zu stellen. Die Disziplinarpolitik der Jugendorganisation gliedert sich in diese geschlechtsspezifische Überwachung und Verfolgung von Devianz ein. Eine quantitativ relativ zurückhaltende Internierungspraxis in Lagern verschiedener Art, wie sie beispielsweise trotz verhältnismäßig hoher Quoten beklagter »Bummelei« von Frauen die »Arbeitserziehungslager« kennzeichnete,458 ging mit der einschlägigen moralisch-sexuellen Argumentation bei Einweisungen einher.459 Auf die Relevanz von Weiblichkeitskonstruktionen in der Begründungen der Verfolgung als »asozial« stigmatisierter, insbesondere junger Frauen ist verschiedentlich hingewiesen worden. Die »asoziale Frau« im 454 Werner, S. 97. Redebeitrag auf der Tagung von Justiz und Reichsjugendführung anlässlich der Neufassung des Reichsjugendgerichtsgesetzes, Bad Salzungen, 18.11.1943. 455 Ebd., S. 104. 456 Dienststrafordnung für das polizeiliche Jugendschutzlager Uckermark, BA Berlin, NS 4/Anhang, Nr. 42, Bl. 2. 457 Lotte Toberentz, im Mitteilungsblatt des RKPA, Januar 1945, zitiert nach Nienhaus, Hitlers willige Komplizinnen, S. 530. 458 Vgl. dazu Tech, S. 290; zum Problemzusammenhang weiblicher Dienstverpflichtungen bereits Winkler, S. 97ff. 459 Die Einweisung in AEL sei angebracht für Frauen, »die sich durch Müßiggang, liederlichen Lebenswandel, asoziales Verhalten außerhalb der schaffenden Volksgemeinschaft« gestellt hätten. Stellungnahme des Präsidenten des Landesarbeitsamtes Rheinland im Juli 1942, zitiert bei Tech, S. 293; zur KZ-Haft vgl. Schikorra, S. 58f.

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Nationalsozialismus galt als »sittlich verwahrlost« und umgekehrt.460 Hinweise sprechen dafür, dass eine Verfolgung lesbischer Frauen unter diese offenen Definitionen fiel.461 In ihrer Problemwahrnehmung, im Vokabular und nicht zuletzt durch die Differenzierung der »deutschen Jugend« mithilfe des Disziplinarsystems leistete die Disziplinarpolitik des Jugendverbandes gleichermaßen einen Beitrag zur verstärkten Repression von Normverstößen gegenüber dem gewünschten Bild der »deutschen Frau« in der Kriegszeit wie zur »Feminisierung der Asozialenverfolgung«.462 Die systematische Vernachlässigung der weiblichen Verbände durch die Reichsjugendführung bildet sich auch im Disziplinarsystem ab. Erst die Lücken des disziplinarischen Zugriffs veranlassten eine Formulierung der bis dahin unausgesprochenen geschlechterspezifischen Praxis, die in der sexuellen Konnotation der Abweichung sexistisch geprägt war. BDM-Führerinnen partizipierten aufgrund ihrer Tätigkeiten in der politischen Organisation an der Umsetzung der nationalsozialistischen sexistischen Rassenpolitik. Aufgrund der grundsätzlichen Nachrangigkeit des BDM in der Hitler-Jugend geschah dies in einer charakteristischen Begrenzung der Befugnisse auf die regionale und lokale Ebene. Bei der Konzipierung und Entwicklung des Disziplinarrechtes, der Abstimmung mit den Institutionen von Partei, Justiz und Polizei wirkten BDM-Führerinnen in der Regel nicht als Autorinnen mit, sondern in der Anwendung und Umsetzung der Konzepte auf die »Mädelorganisationen«. Zur Ausübung der zentralen Straffunktion im Disziplinarwesen trugen BDM-Funktionärinnen ebenfalls bei, die Entscheidung fällten jedoch die HJ-Richter.

460 Ayaß, »Asoziale«, S. 64; Schikorra, S. 105–112. 461 So argumentiert Mayer, allerdings ohne Quellennachweis; kritisch Schoppmann, Zum aktuellen Forschungsstand, S. 115. 462 Ayaß, »Asoziale«, S. 219.

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4 »Erziehbar« und »gemeinschaftsfähig« – Zwischenergebnis Als Erfahrungsraum einer spezifischen politischen Sozialisation, geprägt durch Logik und Symbole des Militärs, wirkte der nationalsozialistische Jugendverband programmgemäß als praktische »Volksgemeinschaft«. Eine Mischung aus Angeboten und Gratifikationen, Selbststilisierung und Anpassungsdruck sollte zur gewünschten Gemeinschaftsbildung beitragen. Das Disziplinarsystem klassifizierte das jugendliche Potential der völkischen Gemeinschaft nach dem Kriterium der »HJ-«, »Gemeinschafts«- bzw. »Erziehungsfähigkeit«. Von den weltanschaulichen Schulungsinhalten im Dienstbetrieb flankiert, stellte es mit seiner Praxis des Auffälligmachens, des – im Rahmen der Einheiten – öffentlichen Degradierens und schließlich des Ausschließens zugleich die soziale Distanz her, die in der rassistischen Gesellschaft des Nationalsozialismus als Voraussetzung einer gesellschaftlichen Ausgrenzung erzeugt werden musste.463 Diese Distanz begründete den Verzicht auf das (wenngleich zweifelhafte) »Recht auf Gemeinschaftserziehung« gegenüber den ausgeschlossenen Jugendlichen und ermöglichte, sie gegebenenfalls der Verfolgung durch andere Instanzen auszusetzen. Die immer gleiche Argumentation der Disziplinar- und Überwachungstexte, die das ausführende Personal schulten und ideologisch stützten, erfüllte hier ihre Funktion. Die wachsenden Sammlungen von Verordnungen und Gesetzen, die als Dienstanweisungen für den Streifendienst zusammengestellt wurden, wirkten als eine Art Disziplinarcode und Jugendgesetzbuch der Überwachung. Durch Beobachtung und Meldungen wirkte der HJ-Streifendienst als ein »eigener Überwachungsapparat der Hitler-Jugend«.464 Das polizeiähnliche Organ gehörte zugleich zu den entwicklungspsychologisch kalkulierten Angeboten an männliche Jugendliche, die ihren adoleszenten Geltungs- und Anerkennungsdrang durch die Übertragung von Verantwortung vordergründig befriedigten.465 Auch die symbolische Überhöhung von Führerschaft und »Ehrenzeichen« gehörten zu diesen, die Beteiligten zugleich aufwertenden und verbindenden Angeboten. Nach innen verstärkte das auf dem Begriff »völkischer Ehre« auf bauende Disziplinarkonzept die Identifikation mit der »Volksgemeinschaft«. Nach außen vervielfältigte es über das Warnsystem die politische Beurteilung von Abweichung und Ausgrenzung. Mit den Disziplinartechniken der Erfassung und Überwachung setzte die Jugendorganisation ihren »Totalitätsanspruch« in zwei Richtungen um. Das 463 Vgl. Wildt, Politische Ordnung, S. 57f. 464 Müller, Betreuung der Jugend, S. 34. 465 Vgl. dazu Klönne, Jugend, S. 82f. Mit dem Begriff der »Scheinidentitäten« hat Martin Klaus auf den abhängigen Charakter dieser positiven Identifikation hingewiesen, die auf intensiven Identitätsgefühlen ohne individuelle Identitätsbildung beruhte, Klaus, Mädchen im 3. Reich, S. 181f.

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umfassende Kontrollbedürfnis bildete sich in der Meldung und Verzeichnung aller erreichbaren Jugendlichen ab. Nicht einmal die als »Gegner« Wahrgenommen oder Ausgeschlossenen sollten der Erfassung entgehen. Das komplementäre System von Mitglieder- und Warnkartei überwachte und dokumentierte die Bewegungen von Mitgliedern und Nichtmitgliedern mithilfe einer hierarchischen Organisationsstruktur. Die Übernahme von jugendpflegerischen Funktionen durch den Jugendverband in NS-typischer Verknüpfung der Instanzen und Institutionen, kontrollierte schließlich die sozialpolitische Behandlung der auf diese Weise Erfassten. Mit der Differenzierung der Jugendlichen nach ihrer »Gemeinschaftsfähigkeit« durch die Disziplinarstrafe des Ausschlusses diente das Disziplinarsystem der Hitler-Jugend jener doppelten Funktion, die Jugendlichen in der Ordnung der »Volksgemeinschaft« zukam: Durch das Abstrafen fehlender Identifikation und potentieller Ansehensverluste der Massenorganisationen versuchte die HJ-Gerichtsbarkeit, der Aufgabe gerecht zu werden, nationalsozialistische Gegenwart zu repräsentieren. Die Massendisziplinierung diente mit dem Einüben der Ordnungsvorstellungen hingegen ihrer langfristigen Durchsetzung, wie es der Zielperspektive, in der die Jugendgeneration als politische Ressource galt, entsprach. Die Disziplinarpolitik verstand sich als ein Element der »Selbsterziehung der Jugend« zu einer nationalen und »rassischen« Gemeinschaft, deren »innerlich und äusserlich gesunde und saubere Jugend« so »den Bestand und die Zukunft des Reiches sichern« sollte.466 Andererseits wurde gerade der Schutz konformer Kinder, die »in Ordnung sind«,467 zur Begründung dieser permanenten Ausgrenzung angeführt. Daher wurde das Disziplinarrecht gegenüber den als kriminell geltenden Jugendlichen wie gegenüber der Fürsorgeerziehung abgegrenzt.468 Mit dem Begründungsmuster des Gemeinschaftsschutzes und ihrer rassistisch begründeten, an das »Blut« geknüpften »Ehre« beanspruchte die Jugendorganisation die Zuständigkeit für die Leistungsträger, und nur für diese: »Die HJ-Erziehung ist Erziehung in der Gemeinschaft durch freie Ausbildung des Verantwortungsbewußtseins und durch die Ermöglichung besonderer Leistungen.«469

Wie das Jugendstrafrecht von nationalsozialistischen Jugendrechtspolitikern als »negative Seite eines Jugendehrenrechts« begriffen wurde,470 so bildete im 466 Thimel, Zur sexuellen Krimialität, S. 13 [im Original hervorgehoben]. 467 Müller, Betreuung der Jugend, S. 33. 468 »Eine unmittelbare Beteiligung der HJ an der Bewahrung unerziehbarer und der Bestrafung krimineller Jugendlicher ist ausgeschlossen. Ebenso kommt eine Mitwirkung der HJ bei der Unterbringung biologisch unbrauchbarer Jugendlicher in Heil- und Pflegeanstalten nicht in Frage. Eine unmittelbare Beteiligung der HJ an der Anstaltserziehung ist abzulehnen.« Klemer, Jugendstrafrecht, S. 102. 469 Ebd., S. 46. 470 Formel von Freisler.

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Disziplinarrecht der Hitler-Jugend der Ausschluss die Kehrseite des »erzieherischen« Disziplinierens mittels »Ehrenstrafen«. Wenn es nicht gelang, im Verhalten abweichende Jugendliche der Organisationsdisziplin anzugleichen, wurden die Jugendlichen aus der Erziehungsordnung der Hitler-Jugend und damit symbolisch aus der Gesellschaft entlassen und ausgegrenzt. Auch die strafrechtliche Funktion der Differenzierung spiegelte das Disziplinarrecht in seiner strafenden Kernfunktion als Auslese für die Gemeinschaftsordnung. Der Jugendverband konzentrierte sich auf die Leistungsfähigen, denen Aufmerksamkeit und Förderung zukam, und praktizierte eine leistungsorientierte, »rassenhygienische« »Moral unserer Zeit«.471 Soziale Abweichung, die sich intern als Disziplinlosigkeiten im Dienstbetrieb, als Delinquenz oder Verletzung sittlicher und sexueller Normen äußern konnte, galt grundsätzlich als politische Gefahr, die frühzeitig erkannt und ausgeschaltet werden musste. Auch in den Übertretungen des Erziehungsrahmens der Hitler-Jugend manifestierte sich für die Disziplinarpolitiker eine grundsätzlich unterschiedliche Wertigkeit und damit Würdigkeit der potentiellen »Volksgenossen«, der ihre Ordnung der Ungleichheit entsprechen sollte: »Die Menschen sind einander nicht gleich, Rasse und Erbgut fügen sich in jedem anders zum Charakter. Der eine ist mehr, der andere weniger wertvoll für die Gemeinschaft, und oft bilden die weniger wertvollen schon die erste Gefahr für ihre Mitwelt.«472

Das Bild der gegenwärtigen und zukünftigen nationalsozialistischen Gesellschaft entsprach dem »Erziehungsziel« der Hitler-Jugend. Dieser »Volksgemeinschaft« als Grundlage wie Zukunftsvision verpflichtet, überprüfte der Jugendverband den individuellen ›Wert‹ der Heranwachsenden für diese »völkische Gemeinschaft«. Aufgrund dieser Unterscheidung wies das disziplinarrechtliche System der Differenzierung disziplinierend und strafend, einschließend und ausgrenzend, den Jugendlichen ihren jeweiligen Platz in der Gesellschaftsordnung zu.

471 Müller, Betreuung der Jugend, S. 81. 472 Ebd., S. 7.

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5 Zum Entwurf der nationalsozialistischen Gesellschaftsordnung aus dem Disziplinarrecht Das Disziplinarrecht und die in ihm festgeschriebenen politischen und sozialen Konsequenzen der Disziplinarstrafe verdeutlichen die politischen Ordnungsvorstellungen und das gesellschaftliche Wunschbild der Jugendpolitiker. Die Ordnung dieser gesellschaftlichen Utopie eines leistungsbereiten rassistischen NS-Staates erschließt sich einerseits aus der dichotomen Funktion der »Erziehung« für diese »Volksgemeinschaft«, in der der sozialdisziplinierende Zugriff die breite Mehrheit auf die Übernahme von Ämtern und Positionen vorbereitete, sowie den »Warnungen« vor der als abweichend identifizierten Minderheit andererseits. Konzeptionell schloss sich an den disziplinarrechtlichen Ausschluss mit anderen Einschränkungen auch ein staatsbürgerlicher Rechtsverlust an. Die Zuweisung unterschiedlicher Rechte als Konsequenz der Grenzziehung der Hitler-Jugend wird am differenzierten Rechtsstatus von »Reichs-« und »Staatsbürger« besonders deutlich, wie er in den Nürnberger Rassengesetzen entworfen wurde.

5.1 Differenzierung des Rechtsstatus im »Reichsbürgergesetz« Die Bedeutung der »Jugenddienstpflicht« unterstrich die Hitler-Jugend stets mit dem Hinweis auf die anschließenden Stationen im Lebenslauf, als deren unabdingbare Voraussetzung der Dienst im Jugendverband dargestellt wurde. Er galt als erste, aber bereits entscheidende biografische Stufe einer politischen Sozialisation und damit als Basis der politischen Gesellschaftsordnung. Die Dienstpflicht habe »entscheidende Wirkungen auf das spätere Leben des einzelnen Volksgenossen«, denn erst durch das »ehrenvolle Erfüllen« seiner Dienstpflichten weise der »junge Volksgenosse« nach, dass er »gewillt und geeignet ist, in Treue dem deutschen Volk und Reich zu dienen«.473 Diese besondere Treueverpflichtung wurde seit 1935 den Trägern des »Reichsbürgerrechtes« und damit der »vollen politischen Rechte« auferlegt, während die Staatsbürger- und Menschenrechte der bloß »Staatsangehörigen« fortan nicht mehr garantiert wurden.474 Das »Reichsbürgergesetz«, im September 1935 auf dem »Parteitag der Freiheit« gemeinsam mit dem »Gesetz zum Schutze des deutschen Blutes und der deutschen Ehre« und dem »Reichsflaggengesetz« als »Nürnberger Gesetze« verabschiedet und vom Reichstag nachträglich akklamiert, fragmentierte das tra473 Anonym: Jugenddienstpflicht, S. 97 u. 99. 474 Reichsbürgergesetz, 15.9.1935, RGBl. 1935, Teil I, S. 1146, § 2. Vgl. zu den »Nürnberger Gesetzen« Herbst, S. 150–159; Hirsch u. a., S. 336ff.

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ditionelle Staatsangehörigkeitsrecht.475 Es führte den neuen Status des »Reichsbürgers« ein. »Reichsbürgerschaft« setzte die Staatsbürgerschaft voraus und qualifizierte zugleich eine privilegierte Gruppe. Die Staatsbürgerschaft als Rechtsinstitution des modernen Nationalstaates wurde dadurch entwertet, denn das neue, zweiklassige System von persönlichen Rechten bedeutete politischen Rechtsverlust für die dadurch diskriminierten »Staatsangehörigen«. Indem der vom Privileg der »Reichsbürgerschaft« ausgeschlossene Nur-Staatsangehörige weniger durch die mangelnde Teilhabe am »Blut« konstruiert wurde als durch das Konzept seiner »völkischen Untreue«, wie Cornelia Essner gezeigt hat, etablierte die Begrifflichkeit des Gesetzes eine staatsrechtliche Ungleichartigkeit innerhalb des deutschen »Volkskörpers«.476 Auf der gemeinschaftsrechtlichen Grundlage des Treueverhältnisses zur »Volksgemeinschaft« wurde Ungleichheit mit der Unterscheidung von Reichs- und Staatsbürgern in die Institution der Staatsbürgerschaft eingeschrieben. Auf diese Weise trat zur Stigmatisierung und Aussonderung der »Fremden« als Ausländer die der »Fremden im eigenen Staat«.477 Essners Argumentation ist allerdings dahingehend zu ergänzen, dass der juristische Begriff der auf die »Volksgemeinschaft« bezogenen »Treue« sich, wie dargestellt, seinerseits auf das »Blut« bezieht, also rassistisch fundiert ist.478 Die neu etablierte Antinomie innerhalb der »Volksgemeinschaft« baute also auf der grundsätzlichen Abgrenzung gegen »Fremdblütige« auf und verfeinerte sie, bediente sich jedoch letztlich derselben Argumentation. Der neue Rechtsstatus des Reichsbürgers wurde nicht auf eine elitäre Minderheit beschränkt, etwa die Parteimitglieder als »bewährte Volksgenossen«. Er sollte im Gegenteil nur eine kleine Gruppe, die sich durch ihr Verhalten »des Erwerbs nicht würdig« zeige, ausschließen.479 Wie bei der Erfassung zur Jugendorganisation ging man von einem breiten Einbezug der Mehrheit der Staatsangehörigen aus, von der eine kleine Minderheit getrennt wurde: Nur »Ungeeignete« würden durch die »notwendige ständige Überprüfung der Nation« ausgeschieden.480 Die staatsbürgerrechtliche Unterscheidung, die primär auf die Ausgrenzung der Juden als Staatsangehörige ohne politische Rechte zielte, diente der Binnendifferenzierung. Der neue Rechtsstatus, der wie die Staatsbürgerschaft wieder entzogen werden konnte, verlangte auch von den 475 Zur Staatsbürgerschaft Gosewinkel, Staatsbürgerschaft; zur Entwicklung im Deutschen Reich ders., Einbürgern und Ausschließen, S. 369–420. 476 Essner, S. 154. 477 Vgl. Gosewinkel, Einbürgern und Ausschließen, S. 400. 478 Vgl. Teil I, Kap. 2.2.2. 479 Begründung zum Entwurf zu einem Gesetz über den Reichsbürgerbrief. Streng vertraulich. GStA PK Berlin, I. HA, Rep. 90 A, Nr. 2256, Bl. 95–105, Bl. 97. Umgekehrt galt »Reichsbürgerschaft« jedoch als Voraussetzung der Parteimitgliedschaft; NSDAP, Richtlinien für das Verfahren bei der Aufnahme, 1937, S. 7f. 480 Stuckart, Die völkische Grundordnung, S. 560f.

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»Blutsangehörigen« und »Artverwandten« eine Prüfung ihrer Würdigkeit als »subjektive Voraussetzung« der »Reichsbürgerschaft«.481 Als ein Kriterium für die Verleihung dieses Rechtsprivilegs in Form besonderer »Reichsbürgerbriefe« galt die Mitgliedschaft in der Hitler-Jugend. Anfang 1937 sollte die »wertvollste Urkunde […], die die Nation zu vergeben hat und die ein Deutscher in seinem Leben empfangen kann«, eingeführt werden.482 Der Gesetzentwurf des Innenministeriums sah für ihre Verleihung an »ehrbare« Männer wie Frauen »deutschen und artverwandten Blutes« ab dem 25. Lebensjahr die Absolvierung von Hitler-Jugend und Arbeitsdienst, bei Männern auch des aktiven Wehrdienstes, als Voraussetzungen vor.483 Wille und Eignung zur nationalen »Treue« waren durch das »Verhalten in Leben und Beruf« nachzuweisen.484 Während der »Wille« bis zum Beweis des Gegenteils unterstellt wurde, musste die objektive »Eignung« individuell bewiesen werden, und zwar durch Erfüllung der Dienstpflichten.485 Diese Voraussetzungen sollten die polizeilichen Meldebehörden mittels Fragebögen überprüfen.486 In seinem Gesetzentwurf Ende 1936 überließ das Innenministerium die Regelung der Verbindlichkeit, Mitglied des Jugendverbandes zu sein, der »näheren Ausgestaltung« des soeben erst veröffentlichten Hitler-Jugend-Gesetzes, d. h. seiner Durchführungsverordnungen.487 Während der langwierigen Verabschiedung der »Jugenddienstverordnung« ging man weiterhin von einer erheblichen Relevanz des Jugenddienstes aus. So hieß es Anfang 1938 in einer Stellungnahme: 481 Ebd., S. 559; 12. Verordnung zum Reichsbürgergesetz, 25.4.1943, RGBl. 1943, Teil I, S. 268f.; Verordnung über die Staatsangehörigkeit auf Widerruf, 25.4.1943, ebd., S. 169f., rückwirkende Geltung seit 7.3.1941. 482 Stuckart, Die völkische Grundordnung, S. 561. 483 Angekündigt in der 1. VO zum Reichsbürgergesetz, 14.11.1935, RGBl. 1935, Teil I, S. 1333, § 1. 484 Entwurf zu einem Gesetz über den Reichsbürgerbrief mit Begründung. Streng vertraulich, 10.12.1936, §§ 1, 2; GStA PK Berlin, I. HA, Rep. 90 A, Nr. 2256, Bl. 83–105, Bl. 83f. Als notwendige »Versagensgründe« galten hohe Kriminal- und Gefängnisstrafen, Verlust der Wehrwürdigkeit oder der bürgerlichen Ehrenrechte, Entmündigung und Geisteskrankheit, die Aberkennung der Fähigkeit zur Bekleidung öffentlicher Ämter, eine hohe berufsständische ehrengerichtliche Verurteilung und die Sammelbestimmung einer Unwürdigkeit aus »anderen Gründen«, die »Straßendirnen, Arbeitsscheue, Bettler und Landstreicher, erklärte Feinde von Staat und Bewegung« meinten, ebd., §§ 6, 7, Bl. 86f., Bl. 106. 485 Begründung zum Entwurf zu einem Gesetz über den Reichsbürgerbrief, ebd., Bl. 97. 486 Entwurf einer Ausführungsanweisung zum Gesetz über den Reichsbürgerbrief. Streng vertraulich, ebd., Bl. 111–136. Nicht Ausschluss, sondern nur »Ausstoßung« aus der NSDAP galt als unbedingter Versagensgrund. 487 Begründung zum Entwurf zu einem Gesetz über den Reichsbürgerbrief. Streng vertraulich, ebd., Bl. 99. Offenbar hatte man erwogen, nicht die bloße Ableistung der »Schule der HitlerJugend« vorzuschreiben, sondern »eine besondere Bewährung« während des Jugenddienstes. Da »man von heranwachsenden jungen Menschen nicht verlangen kann, daß sie die Tragweite ihres Verhaltens in der Hitlerjugend für ihr künftiges Leben übersehen«, wurde darauf verzichtet.

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»Die Zugehörigkeit zur Hitler-Jugend wird künftig zweifellos die tatsächliche Voraussetzung nicht nur für viele Lauf bahnen im öffentlichen Leben, sondern auch für ein Fortkommen in privaten Berufen werden. Auch auf die Verleihung des Reichsbürgerrechts wird die frühere Zugehörigkeit zur Hitler-Jugend Einfluß haben.«488

Tatsächlich unterblieb jedoch die geplante feierliche Verleihung des »Reichsbürgerbriefes« an »die heranwachsende Jugend« und damit die symbolische Inszenierung der vollen Rechtsperson.489 In der Planung des Innenministeriums, die Mitte 1937 auf Hitlers Anordnung hin zurückgestellt und nicht wieder aufgenommen wurde,490 wird die hohe Symbolik des staatsbürgerlichen Rechtsstatus erkennbar: Neben die Stationen des Dienstes in verschiedenen militärischen Massengemeinschaften trat im nationalsozialistischen Lebenszyklus auch die Bestimmung des völkischen Rechtsstatus als ein entscheidender Schritt der staatspolitischen Reife und Initiation. Die im Reichsbürgergesetz etablierte Zweiklassigkeit von persönlichen Rechten übernahm die Reichsjugendführung in ihre gleichfalls gemeinschaftsrechtliche Argumentation der Dienstwürdigkeit. Ein Jugenddienstunwürdiger gelte in der »Volksgemeinschaft« nicht mehr als »vollwertiger Angehöriger«,491 habe er mit seinem Platz in der »Gemeinschaft der Jugend« doch auch die »Anwartschaft eingebüßt, in seinem späteren Leben ein vollwertiger Jugendgenosse zu sein«, sofern er sich nicht rehabilitiere.492 Im völkischen Rechtsdenken galt das Reichsbürgergesetz als exemplarischer Ausdruck des Gemeinschaftsdenkens. »Der Reichsbürger des nationalsozialistischen Rechts ist nicht der abstrakt öffentlich ›berechtigte‹ Einzelne, sondern der von der Volksgemeinschaft mit der Gliedschaft in der konkreten Gemeinschaft belehnte Volksgenosse«, erläuterte 1936 die Dissertation des SD- und SS-Mitglieds Erhard Mäding zum Rechtsbegriff des Staates.493 Auch die rechtspolitische Bedeutung der Nürnberger Rassengesetze insgesamt liegt in der Etablierung der völkischen Werte Blut und Ehre als rechtliche Kategorien und damit als Schritt zur Verwirklichung der »rassischen« »Volksgemeinschaft«. Carl Schmitt feierte sie daher als »Verfassung der Freiheit«.494

488 Reichsministerium des Inneren, Pfundtner, an Reichskanzlei, 8.3.1938; Stellungnahme zum Entwurf der Jugenddienstverordnung, in: IfZ, Akten der Partei-Kanzlei, Teil I, Bd. 2, Nr. 22014, Bl. 103 08762–103 08766, Bl. 103 08765. Hier als Argument für die Mitwirkung staatlicher Behörden bei Feststellung körperlicher »Untauglichkeit« durch HJ-Ärzte nach § 4, 1 der »Jugenddienstverordnung«. 489 Begründung zum Entwurf zu einem Gesetz über den Reichsbürgerbrief, GStA PK Berlin, I. HA, Rep. 90 A, Nr. 2256, Bl. 98. 490 Reichs- und Preußischer Ministerium des Inneren an Reichsminister, 28.5.1937, ebd., Bl. 160. 491 Kaufmann, Das kommende Deutschland, 1940, S. 222. 492 Randel, Heranziehung, S. 60. 493 Mäding, S. 17; zur Biografie Wildt, Generation des Unbedingten, S. 107f., Anm. 105. 494 Schmitt, Die Verfassung der Freiheit, S. 1135.

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Wirksam wurde der mit den »Nürnberger Gesetzen« de jure eingeführte Reichsbürgerbegriff jedoch erst mit den Kriterien der »Deutschen Volksliste«.495 Die Gradation der allgemeinen Staatsbürgerschaft wurde also nicht als Privilegierung der Bevölkerungsmehrheit im Reich realisiert, sondern durch die hierarchisierenden Kategorien für die unterdrückte polnische Bevölkerung. Bevor die Staatsbürgerschaft ihre rechtlichen Konturen in diesem System gestufter Zugehörigkeiten und Rechte im Rassenkrieg nach 1939 verlor, hatte das »Reichsbürgergesetz« dennoch ein neues System der Staatsbürgerschaft im Rassestaat eingerichtet.496 Die Nürnberger »antisemitischen Grundgesetze« (B. Lösener) trugen zur Durchsetzung der Idee einer völkischen Identität bei, indem diese verrechtlicht und die Möglichkeiten gesellschaftlicher Partizipation nach ihrem Maßstab begrenzt wurden. In diesen Klassifikationsprozess mit rechtlichen Instrumentarien innerhalb der »Volksgemeinschaft« wurde der erfolgreich absolvierte Dienst in der Hitler-Jugend konzeptionell einbezogen. Umgekehrt bezogen die Jugendpolitiker sich auf die juristische Ordnung. Über seine unmittelbare organisationspolitische Bedeutung hinaus wurde das Disziplinar- und Scheidesystem des Jugendverbandes in das neue Recht des völkischen Staates eingebaut: Der disziplinarrechtliche Prüfungsmechanismus über die würdige Zugehörigkeit zur »Erziehungsgemeinschaft« und »deutsche[n] Jugendordnung« von Partei und Staat galt als Bedingung des individuellen Rechtsstatus.497 Die hierarchische Klassifikation nach einer sozialen und politischen »Würdigkeit« trat damit neben die rassistische Ausgrenzung aufgrund der Abstammung. Beide Kriterien grundsätzlicher Wertunterscheidung definierten die rassenpolitische Konstitution des völkischen Staates juristisch. Über die Abgrenzung Juden gegenüber hinaus, trug das Konzept des differenzierten Rechtsstatus von »Reichs-« und »Staatsbürgern« die rassistisch begründete Grenzziehung in die Gruppe derer hinein, die von ihrer Herkunft her zunächst potentiell zur »Volksgemeinschaft« zählten. Es war die Aufgabe des Disziplinarsystems der Hitler-Jugend, bei den Heranwachsenden dieses Potential zu überprüfen und sie entweder durch »Erziehung« in den völkischen Staat zu integrieren oder diesen vor ihnen zu »warnen«.

5.2 Konsequenzen der disziplinarrechtlichen Selektion 5.2.1 »Erziehen« – Kaderpolitik Die Sozialisationsstationen, die auf den »Dienst« der Jugendlichen in HitlerJugend und Bund Deutscher Mädel folgen sollten, führten nicht nur zu einer »Gleichschaltung der Lebensläufe«, indem sie ganze Altersgruppen zu weit495 Essner, S. 268; sowie bereits Herbst, S. 287. 496 Vgl. Gosewinkel, Einbürgern und Ausschließen, S. 407–420. 497 Zitate Wehner, S. 23.

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gehend gleichen Erfahrungen verpflichteten.498 Sie dienten vor allem der gesellschaftspolitischen Integration. In zahlreichen Reden beschwor Hitler einen solchen organisierten Lebenslauf als Konzept einer planmäßig aneinander anschließenden Indoktrinierung und Disziplinierung. Eine Abfolge ähnlich strukturierter nationalsozialistischer Organisationen sollte dem Volk »eine Erziehung […] geben, die schon mit der Jugend anfängt und nimmer auf hört«.499 Als wichtigste dieser formenden Ordnungssysteme galten die Partei und ihre Gliederungen.500 Die Hitler-Jugend bildete als erste Station die Grundlage, in der die notwendige Anpassung, Organisationsdisziplin, positive Identifikation und gesellschaftliche Segregation gelernt und eingeübt werden sollten. Denn gerade das »Entwicklungsalter« der Pubertät, das von HJ und Mädelbund abgedeckt wurde, sei für den Staat bedeutsam, führte die Reichsjugendführung programmatisch aus. Der Jugendbewegung seit der Jahrhundertwende warf sie vor, diese Phase, in der Jugendliche »natürlicherweise« auf die späteren Aufgaben als »Reichsbürger« vorzubereiten seien, nicht genutzt zu haben.501 Nicht nur der Begriff der »Erziehung« wurde so instrumentell auf die Einordnung in die Gesellschaft reduziert, auch der Jugendbegriff beschränkte sich auf die entwicklungsbiologisch geeignete Lernstufe. Er bezeichnete nicht mehr einen durch die Entwicklungsfähigkeit charakterisierten eigenen Lebensabschnitt, sondern lediglich eine Übergangsstufe, welche die Sozialisation in der Hitler-Jugend zielgerichtet ausfüllte. Als »Erziehungsziel« formulierte der Verband entsprechend die »Heranbildung einer zweiten Generation des Nationalsozialismus«, die mit der »Volksgemeinschaft« das politische Ziel der ersten bereits verkörpere.502 In ihren Untergliederungen sah sie folgerichtig »das werdende Volk, die Reichsleiter, Minister, Generäle, Führer der Wirtschaft und Wissenschaft, die Dichter und Denker der deutschen Zukunft, und die Mütter kommender Geschlechter von Nationalsozialisten« marschieren.503 Der geschlechterspezifische Karriereplan sah mit dem »Weg vom Pimpfen zum Staatsbürger« für Jungen eine politische Entwicklung vor, für Mädchen hingegen das private und biologistische Reifen »vom Jungmädel zur Frau und Mutter«.504 Die programmatische Formulierung blendete die gesellschaftliche Realität, wie sie gerade durch das im 498 Lehmann, S. 426. 499 Etwa Reden Adolf Hitlers auf dem Reichsparteitag, Nürnberg 1935, in: Schirach, HitlerJugend, S. 197; Rede beim SA-Appell, in: Hitler, Reden, S. 61; Rede in Reichenberg, 2.12.1938, vollständiges Zitat bei Schmitt-Sasse, S. 137. 500 Wehner, S. 22; die Organisation des Auf baus nach Jahrgängen und der Weg des Deutschen Mädels, VHB, Bd. II, S. 37. 501 JFdDtR, Kriminalität und Gefährdung der Jugend, S. 101; vgl. auch das Schulungsheft Helle u. a. 502 Wehner, S. 154. 503 Ebd., S. 23. 504 Referat der Antrittsrede Axmanns als RJF, 21.10.1940, in: Deutsche Allgemeine Zeitung, 22.10.1940, BA Berlin, R 43/II/522a.

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Jugendverband geförderte öffentliche, ehrenamtliche und auch hauptberufliche Engagement von Führerinnen sichtbar war, aus. Um die Vision eines »Zeitalters der Tüchtigen«, wie es etwa Albert Müller entwarf, zu verwirklichen, herrschte das »Gesetz des Aufstiegs der Besten«. Es bestehe in der »Entfaltung der positiven und der Unterdrückung der negativen Eigenschaften des einzelnen und der Gesamtheit«,505 also in einer eugenischen Betrachtung und Behandlung von Individuen und Sozialgemeinschaften. Als grundsätzliche Voraussetzung jeder Förderung und »Entfaltung« begriffen die Jugendpolitiker die »Jugenddienstwürdigkeit« und eine erfolgreiche, besser noch »freiwillige« Mitgliedschaft in der »Stamm-Hitler-Jugend«: »Wo auch immer später besondere Voraussetzungen und Fähigkeiten verlangt werden müssen, kann in erster Linie nur der mit seiner Berücksichtigung rechnen, der schon in seiner Jugend durch die Zugehörigkeit zur Stamm-Hitler-Jugend bewiesen hat, daß er besondere Pflichten erfüllen kann.«506

Auch 1941 war diese Forderung jedoch noch auf die Zukunft gerichtet: »Später« werde kein Jugendlicher mehr in der »Volksgemeinschaft« Platz finden, der nicht durch die Schule der Hitler-Jugend gegangen sei; erst »im Laufe der Zeit« werde sich der Lebensweg eines Jugendlichen, »der seiner Dienstpflicht in der Hitler-Jugend nicht genügt hat, immer schwieriger gestalten«.507 Die Rhetorik einer determinierenden Unverzichtbarkeit des Jugenddienstes formulierte für die Perspektive der gesamten Gesellschaft, was Disziplinarsystem und organisatorischer Auf bau für deren Basisverband praktisch erfahrbar machten. Über die Absichtserklärung hinaus wurden verhältnismäßig wenig Restriktionen verbindlich festgeschrieben, die unmittelbar an den Verlust der Mitgliedschaft anknüpften. Neben tatsächlichen Anordnungen ist auch die Wirkungskraft der Diktatur zu berücksichtigen. Für die Zielgruppe der Jugendlichen, die der massiven Propaganda der Reichsjugendführung und ihrer glanz- und gewaltvollen Rhetorik ausgesetzt waren, mögen die wiederholten Drohungen und Beteuerungen durchaus wirkungsvoll gewesen sein. Neben realen Konsequenzen ergeben auch die Planungen über systematische Einschränkungen und Bevorzugungen ein deutliches Bild des gesellschaftlichen Ordnungskonzepts. Aus Sicht der Reichsjugendführung zählten die nationalsozialistischen Sozialgefüge zu den Förderungsangeboten und Auszeichnungen, als deren Zugangsvoraussetzung sich die Hitler-Jugend verstand. Tatsächlich erforderte die Mitgliedschaft in der NSDAP, die sich mit vorübergehenden Aufnahmesperren einen Auslesecharakter als »Orden der Bewegung« zu erhalten suchte, bereits 1935 den Nachweis eines durchgängigen vierjährigen Dienstes in der Hitler505 Müller, Betreuung der Jugend, S. 84. 506 Randel, Heranziehung, S. 64. 507 Ebd., S. 63.

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Jugend.508 1936 wurden neben Führern der Hitler-Jugend nur noch Personen mit anderen »besonderen Verdiensten« für die Partei aufgenommen.509 Wiederholt wurde die Hitler-Jugend als einziger Nachwuchsträger der NSDAP bestimmt und ihre Bedeutung als Reservoir der zukünftigen politischen Kader beschworen.510 Hier verhinderte ein disziplinarrechtlicher Ausschluss aus der Jugendorganisation grundsätzlich und unmittelbar den Zugang.511 Auch wenn das Interesse an politischer Arbeit oder an einer Parteimitgliedschaft unter den Hitler-Jungen selbst offenbar gering war, galt der Übertritt zumindest des Führerkorps als »üblich«.512 1941 wurden schließlich weite Teile des Geburtsjahrganges 1923 in die NSDAP oder ihre Gliederungen übernommen, ab 1943 war die »Überweisung« des jeweils ältesten HJ-Jahrganges automatisch vorgesehen.513 Damit bildete das Führerkorps des Jugendverbandes einerseits die Eingangsstufe zum nationalsozialistischen Karrieresystem.514 Die »strengen« Auslesekriterien für die Führerschaft blieben zugleich jedoch diffus, da – wie im Disziplinarrecht – die gesamte Persönlichkeit bewertet werden sollte.515 Andererseits sollte der neue Staat auf den im Jugenddienst erworbenen Führungsqualitäten auf bauen. Dieser galt auch als Voraussetzung für »die spätere Einordnung in die Volksgemeinschaft und die Stellung in Staat, Wehrmacht und Wirtschaft«, wie es in den maßgeblichen Erläuterungen des »Jugenddienstrechtes« hieß.516 Die Jugendführung betonte 1942 ihre Vorbereitungsrolle für die Wehrmacht, der sie »erfahrene junge Führerpersönlichkeiten mit erprobter Verantwortungsfreude« und eine bereits an soldatische Prinzipien gewöhnte »Masse« liefere.517 Tatsächlich betrachtete man im Heer die HJ offenbar als eigene Nachwuchsorganisation.518 Bis 1941 die Voraussetzungen der Jugenddienstpflicht auf die Wehrwürdigkeit abgestimmt wurden, forderte der Dienstrechtsspezialist Edgar Randel immer wieder eindeutige Konsequenzen 508 Anordnung des Reichsschatzmeisters, Schwarz, 25.10.1935, bekannt gegeben durch RJF, RB 11/I, 20.3.1936, S. 219f.; Verfügung Schwarz’ über ihre »eng[e] und streng[e]« Auslegung, 28.8.1936, RB 34/I, 2.10.1936, S. 745; Tetzlaff, Disziplinarrecht, S. 16. 509 Bekanntgabe des Reichsschatzmeisters, 20.4.1937, vgl. Buchheim, S. 316. 510 Anordnungen des Stellvertreters des Führers, 11.8.1937 u. 30.11.1940; Verfügung Hitlers V 25/42, 14.7.1940, BA Berlin, NS 1/1117; Buddrus, Totale Erziehung, S. 297–304, sowie bereits Orlow, S. 317. 511 NSDAP, Richtlinien für das Verfahren bei der Aufnahme neuer Mitglieder, 1939, S. 11. 512 Klönne, Jugend, S. 47; zur begrenzten Resonanz Orlow, S. 342; Schultz, S. 169. 513 NSDAP-RJF, Führerdienst der HJ, S. 3f., auf Anordnung Hitlers vom 7.4.1943; Orlow, S. 425. 514 Klönne, Jugendprotest, S. 539. 515 Rüdiger, Die Hitler-Jugend und ihr Selbstverständnis, S. 50. Eine Analyse weiblicher »Führungstypen« bei Reese, Verstrickung und Verantwortung, S. 206–222. 516 Kaufmann, Erläuterungen, S. 213. Zu Kaufmann vgl. Buddrus, Totale Erziehung, S. 1162. 517 Kaufmann, Der Krieg und die Jugend, S. 2. 518 Notiz für den Stabsleiter: Referat Axmanns an den Stellvertreter des Führers, 29.10.1940, BA Berlin, NS 28/81, S. 5.

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aus der ideellen und rechtlichen Gleichstellung von Jugenddienst, Arbeitsdienst und Wehrdienst als »Ehrendienst am deutschen Volk«.519 Die Jugendorganisation ging stets von einer analogen Berücksichtigung der eigenen Disziplinarstrafe zum Parteiausschluss aus, der im 1935, vor dem Hitler-Jugend-Gesetz und der Etablierung ihrer Disziplinarordnung erlassenen Gesetz über den Reichsarbeitsdienst wie im Wehrgesetz erwähnt wurde.520 Bereits 1935 hatte ein Ausschluss die Einsetzung als Führer im Arbeitsdienst unmöglich gemacht, wie der Fall des Essener Steigers Otto W. zeigt. Auf Anfrage des RAD reproduzierte das Führungszeugnis der Gestapo den Hinweis auf seine unehrenhafte Entlassung aus der Hitler-Jugend wegen »Betruges« und »Urkundenfälschung« und stufte ihn daher als »ungeeignet« ein; als Sechzehnjähriger hatte Otto W. eine Unterschrift auf einem Führerausweis gefälscht.521 Die Erklärung Schirachs, die Hitler-Jugend wolle sich »für den Staat« ausbilden,522 realisierte sich nicht nur in den Nachwuchsfunktionen, sondern auch in verschiedenen Professionalisierungen des Jugendverbandes. In der Reichsjugendführung reichte die weitgehende und im Vergleich zu anderen Gliederungen starke »Verberuflichung« des Personals bis zur Verbeamtung.523 Für den »Beruf des 20. Jahrhunderts«, den professionellen Jugendführer, war eine umfassende Ausbildung in verschiedenen NS-Verbänden vorgesehen, um ein »in Arbeitsdienst und Wehrmacht gestählt[es]« Führerkorps zu formen.524 Außer der politischen Ausbildung für männliche Jugendführer bot gerade das Disziplinarwesen neue Berufsbilder. Als »Überwachungssachbearbeiter« sollten im Überwachungsdienst erprobte HJ-Führer qualifizierten Nachwuchs für Sicherheitspolizei und SD,525 bewährte BDM-Führerinnen »mit sozialem Verständnis, psychologischem Einfühlungsvermögen und pädagogischem Geschick« den Nachwuchs der Weiblichen Kriminalpolizei stellen.526 Im Sommer 1942 beendete etwa die Gauführerin des BDM-Obergaus Hessen-Nas519 Vgl. Randel, Jugenddienstpflicht, S. 30 u. 76; ders., Heranziehung, S. 62f.; Reichsarbeitsdienstgesetz, § 1, 5; Wehrgesetz, 21.5.1935, RGBl. 1935, Teil I, S. 609, § 1, 13. 520 »Reichsarbeitsdienstgesetz«, 26.6.1935, RGBl. 1935, Teil I, S. 769, § 5, Abs. 1. 521 Aktenvermerke der Gestapo Essen, 15.10.1935 u. 16.10.1935, HStA Düsseldorf, RW 5858 034, Bl. 3; Ausschluss aus der Hitler-Jugend am 16.7.1934, BA Berlin, Warnkartei Nr. 4520. W. wurde 1939 verhaftet und starb nach drei Jahren im KZ Flossenbürg. 522 Schirach, Hitler-Jugend, S. 71; variiert bei Kaufmann, Das kommende Deutschland, 1940, S. 29: »Die Hitler-Jugend als Gliederung der NSDAP will nicht vom Reich, sondern für das Reich ausgebildet werden.« [Hervorhebungen im Original] 523 Zur Professionalisierung der hauptamtlichen Führerschaft und ihrer Ausrichtung zu einem einheitlichen Korps ab 1939 Buddrus, Totale Erziehung, S. 305–368, S. 329; Schaubild der Stationen vom einfachen Dienst bis zum hauptberuflichen Einsatz bei Schultz, S. 249. 524 Kaufmann, Jugendführer, S. 32. 525 RB 23/43 K, 26.8.1943, S. 404f.; Knopp, Überwachungswesen, S. 106; vgl. Klose, S. 216f. 526 Anordnung des Personalamtes, Rundschreiben der RJF, F. 16/44, 17.8.1944, S. 341.

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sau, Else Staab, ihre hauptberufliche Tätigkeit im Jugendverband, um eine einjährige Ausbildung bei der Weiblichen Kriminalpolizei anzutreten.527 Auch die Anwerbung als Personal für die Jugendkonzentrationslager und der Einsatz der Rechtsreferenten in der Jugendgerichtsbarkeit gehörten zu diesen spezifischen, institutionell vorbereiteten Karriereangeboten. Insbesondere die Jugendlichen, die sich in Führerstellungen engagierten, galten als die künftige Elite, die im Staats- und Parteiapparat auf die Führungsebenen in den Sonderbehörden, Gauleitungen und Parteiorganisationen nachrücken sollten.528 Sie profitierten von der vergrößerten gesellschaftlichen Mobilität durch neue Stufen des sozialen Aufstiegs als Führer oder Amtswalter im Parteigefüge, die über die beruflich-gesellschaftliche Herkunft hinaus Prestige, Einfluss und auch materiellen Status erreichbar machten und das Mobilitätsversprechen der »Volksgemeinschafts«-Propaganda einzulösen schienen.529 Aufgrund des Monopolcharakters der Hitler-Jugend in der Jugendarbeit hingen auch mittelbare materielle Förderungen von der Mitgliedschaft ab. Der Verband verwaltete soziale Einrichtungen wie Jugendherbergen und Wohnheime, deren Aufnahmekriterien die der »Jugenddienstwürdigkeit« widerspiegelten,530 und monopolisierte spezielle öffentliche Angebote, wie etwa Musikunterricht.531 Wo immer politische Zuverlässigkeit und nationales Engagement als Kriterium galten, wurde die Mitgliedschaft in nationalsozialistischen Organisationen abgefragt. Entsprechend verwiesen Antragsteller zur Beweisführung auf ihre Zugehörigkeit. So sollte etwa ihre Mitwirkung im BDM die politische Zuverlässigkeit einer als »Mischling 1. Grades« eingestuften Frau in einem Antrag zur Ehegenehmigung beim »Reichsausschuss zum Schutz des deutschen Blutes« aus dem Januar 1939 belegen.532 Auch bei Petitionen um eine Befreiung von der Anwendung der Vorschriften des Reichsbürgergesetzes führten Bittsteller die Mitgliedschaft als Beleg ihrer Übereinstimmung mit der nationalsozialistischen »Bewegung« an.533 527 Geb. 1906, BA Berlin, BDC Personalakten; Buddrus, Totale Erziehung, S. 1214. 528 Definition der »NS-Elite« bei Herbert, NS-Eliten. 529 Broszat, S. 207. Zum zusätzlichen Mobilitätsgewinn in der ersten Kriegsphase Klönne, Deutsche Jugend, S. 29; Thamer, S. 125. 530 Ost, S. 60. 531 Meyer, S. 195. 532 »Wenn das Jugendamt den Vater gewußt hat und auch seine Abstammung dann konnte man das Mädel darauf aufmerksam machen und unfruchtbar machen und man brauchte mich nicht in das Verderben zu reizen denn, wenn ein Mädel im BDM ist, dann ist sie meines Erachtens nach rein arisch und kann auch heiraten da meine Verlobte ca. 5 Jahre im BDM mitgewirkt hat und für die Nationale Idee mitgeworben hat, habe ich als Nationalsozialist auch das Recht, mich in das Mädel zu verlieben und sie zu heiraten«, argumentierte der Verlobte, der seit Monaten auf die Entscheidung des Innenministers zur Ehegenehmigung wartete, während die Schwangerschaft seiner Braut fortschritt; zitiert nach Essner, S. 180. 533 Vgl. Meyer, S. 107.

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Vor diesem Hintergrund stellte das Disziplinarwesen des Jugendverbandes sich als ständige personelle »Auslese« nicht nur für den eigenen Apparat, sondern für die gesamte »Volksgemeinschaft« dar. Den Maßstab dieser Abgrenzung zwischen »der Auslese Befähigter und der Ausmerzung Schädlicher«534 bildete die Anpassung und Übernahme der organisatorischen Ordnung, die von ihren »Anhängern« eine »bestimmte Haltung und demgemäßes Handeln« verlangte.535 Personalarbeit fiel so mit der Disziplinarpolitik zusammen. Die pädagogische Motivation und Rhetorik der Maßnahmen, die den gemeinsamen Diskurs der disziplinarischen und strafrechtlichen Jugendrechtspolitik durchzieht, bestimmte die Identität von »Erziehung« und Disziplinierung. Wenn Schirach pädagogisierte, der Wert der Hitler-Jugend-Sozialisation liege für die Jugendlichen im Einüben und Verständnis von Disziplin,536 lässt sich neben der gemeinten Charakterübung auch der Hintergrund des Disziplinarkonzeptes herauslesen. Der biografische Gewinn für die Jugendlichen bestand in der geglückten Disziplinierung, die eine Normierung in Hinblick auf die nationalsozialistische Gesellschaftsordnung bedeutete und ihnen darüber hinaus spezifische Karrieremöglichkeiten des Regimes eröffnete. Dieses personelle »Auslesesystem« in der Jugendorganisation funktionierte in zwei Richtungen: »Einerseits findet eine Auslese im negativen Sinne der Abstoßung alles Unbrauchbaren und Untauglichen statt, andererseits eine Auslese im positiven Sinne der Suche und Förderung geeigneten Führernachwuchses.«537

Während die positive Selektion durch »Bewährung« im Führersystem der Hitler-Jugend stattfand und im staatlichen Rahmen mit vollen Bürgerrechten und -pflichten belohnt werden sollte, vollzog die negative Auslese sich durch Aufnahmeverweigerung oder die Disziplinarstrafe. Sie zog einen geminderten Aktionsradius und Rechtsanspruch in der Gesellschaft nach sich. Diese funktionelle Dichotomie entspricht den sich ergänzenden Polen von Gratifikationen und Sanktionen.538 Strafen bildete auch im Disziplinarsystem der Hitler-Jugend die unverzichtbare Kehrseite eines doppelseitigen Mechanismus, der sich in eine polare Gesellschaftsstruktur einfügte. 5.2.2 »Warnen« – Ausgrenzung und Entrechtung Der strafweise Ausschluss von Jugendlichen und Jugendführerinnen und -führern aus der Hitler-Jugend entfaltete durch die formalisierten Informationsverbindungen seine Wirkung. Die automatisierten Warnungen vor den Ausgeschlos534 535 536 537 538

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Dietze, S. 113. Wehner, S. 20. Schirach, Hitler-Jugend, S. 69. Ebd., S. 25. Foucault, Überwachen und Strafen, S. 234.

senen sollten auf diese Weise den Ausschluss aus der »Jugendgemeinschaft« in die Ausgrenzung aus der »Volksgemeinschaft« umsetzen. Mit den Stationen einer nationalsozialistischen Sozialisation der »Tüchtigen«539 korrespondierten weitere Ausgrenzungsmechanismen, die sich an die strafweise Entfernung und die Klassifizierung der »Unwürdigkeit« anschließen konnten. Diese Kehrseite der nationalsozialistischen Gesellschaftsordnung erlebte der Jugendliche, dessen vermeintliche »Unerziehbarkeit« in seiner »Minderwertigkeit« diagnostiziert worden war. Aus Gliederungen oder Verbänden »in Unehren« ausgeschlossene Bewerber, auf die das Warnkarteisystem aufmerksam machte, nahm die NSDAP nicht auf.540 Vorläufige Mitgliederkarten in der NSDAP-Mitgliederkartei, mit dem Stempelaufdruck »Warnungskarte« und dem Zusatz »Hitler-Jugend« gekennzeichnet, bezeugen den Routinecharakter der Kandidatenprüfung in den Parteiaufnahmeverfahren. Die Konsultation der überlieferten Hitler-JugendWarnkartei der NSDAP erfüllte damit ihren unmittelbaren Zweck und führte zur Ablehnung und Einstellung des Vorgangs.541 Dadurch blieb den disziplinarisch Ausgeschlossenen der Mobilitätsgewinn innerhalb der neuen Strukturen versperrt. In der Regel waren ihnen auch die anderen Gliederungen verschlossen, wie seit 1935 der Zutritt zu SS und SA, die zuvor noch als Rehabilitationsmöglichkeit für ›untaugliche‹ Hitler-Jugend-Führer bereitgestanden hatten.542 Ebenso wenig war die Übernahme von Führungsstellungen oder die Aufnahme in nationalsozialistische Schulen wie die Nationalpolitischen Erziehungsanstalten möglich.543 Auch nachdem 1941 festgelegt wurde, dass die strafweise Entfernung nicht zwingend zur Wehrunwürdigkeit führe, blieben Offizierslauf bahnen den aus der HJ ausgeschlossenen Jungen weiterhin versperrt; Gliederungsangehörige, die zugleich Bereitschaftsoffiziere waren, wurden bei Ausschluss aus dem Offizierskorps entlassen.544 Aufgrund der cha539 Müller, Betreuung der Jugend, S. 84. 540 NSDAP, Richtlinien für das Verfahren bei der Aufnahme neuer Mitglieder, 1937, S. 9; Zusatz 1939, S. 11: Wiederaufnahme von »Volksgenossen, die in Unehren aus einer Gliederung der Partei oder aus einem der NSDAP angeschlossenen Verband ausgeschieden sind […] nur auf ausdrückliche Befürwortung des zuständigen Hoheitsträgers und mit Zustimmung des zuständigen Parteigerichts«. 541 Diesen Hinweis auf die NSDAP-Mitgliederkartei verdanke ich Dr. Michael Buddrus, Institut für Zeitgeschichte München/Berlin. Beispiele sind mit den Datensätzen Nr. 1083, 3245 u. 3402 drei junge Männer, die vermutlich nach der Auf hebung der Mitgliedersperre 1937 Parteiaufnahmeanträge stellten. 542 Anordnung der RJF über die Aufnahme von Hitler-Jungen in SA und SS, VOBl. III/5, 7.2.1935; auch in: VHB, Bd. II, S. 247. 543 Randel, Heranziehung, S. 63; vgl. Beschwerdebrief eines Vaters, dessen Sohn nicht in die Auf bauschule Gotha – nach 1933 eine nationalsozialistische Musterschule – aufgenommen wurde, da er nicht der HJ angehörte, 13.2.1936, in: RJF, Informationsdienst 3/36, 8.3.1936. 544 Tetzlaff, Disziplinarrecht, S. 102; vorläufiges Ehrenabkommen zwischen dem Obersten Richter der Partei und dem Oberkommando der Wehrmacht, 31.8.1939, Gebietsrundschrei-

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rakteristischen Verflechtungen der Parteiinstanzen mit dem Staatsapparat verhinderte der Ausschluss zugleich den Zugang zum öffentlichen Dienst. Beamten war bereits 1935 nahe gelegt worden, ihre Kinder in die Hitler-Jugend zu schicken, wobei Androhungen von Karierrebehinderung oder Entlassung die parteiamtliche Anordnung unterstützten.545 Über den Kreis der Beamten hinaus wurde der Erlass auch auf Arbeiter und Angestellte in öffentlichen Betrieben angewandt.546 Während sich für Beamtenanwärter eine rechtsverbindlich vorgeschriebene Bedingung der Parteimitgliedschaft nicht durchsetzte, in der Praxis Parteigenossen oder Gliederungsangehörige gleichwohl bevorzugt eingestellt und befördert wurden,547 wurde ab Ende 1935 von Neueingestellten verlangt, dem Jugendverband »mit Erfolg« angehört zu haben.548 Härtefällen wurde jedoch eine wohlwollende Prüfung eingeräumt.549 Nachdem die Kandidaten ab 1939 ihre Mitgliedschaft in nationalsozialistischen Organisationen angeben mussten, war eine Karriere in der Verwaltung und Justiz ohne diese gesellschaftspolitische Qualifikation zumindest unwahrscheinlich.550 Die Mitgliedschaft in der Hitler-Jugend galt nicht nur für die Partei- und die staatliche Funktionselite als Voraussetzung. Eine Lehrerin im Frauenjugendgefängnis Frankfurt-Preungesheim beklagte 1943, der Ausschluss aus dem BDM treffe die inhaftierten jungen Frauen nicht nur »oft seelisch sehr hart«, sondern behindere sie außerdem nach der Entlassung »in ihrem Fortkommen«.551 Gerade in den ersten Jahren des Nationalsozialismus ermöglichte die Mitgliedschaft auch den Zugang zu begehrten Arbeitsplätzen und Lehrstellen. So wies die Reichsanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung (RAVAV) 1934 die Arbeitsämter an, Lehr- und Arbeitsstellen bevorzugt an in HJ und BDM organisierte Jugendliche zu vermitteln,552 der Finanzminister ordnete ihre privilegierte Einstellung in öffentlichen Betrieben an.553 ben der RJF 6/42, vertraulicher Sonderdruck, 20.2.1942; auch in: VHB, Bd. II, S. 1034–1037, S. 1036. 545 Anweisung des Stellvertreters des Führers, Heß, Nr. 183/35, 24.8.1935, in: Jahnke/Buddrus, Dok. 49, S. 103f.; Schultz, S. 131. 546 Urteilsbegründung des Landesarbeitsgerichtes Essen, 11.12.1935, zitiert in: E. R., Ablehnendes Verhalten, 91f. 547 Longerich, Hitlers Stellvertreter, S. 257; Majer, Grundlagen, S. 221f. 548 Runderlass des R(und Preußischen)MdI, 1.11.1935, RB 8/I, 28.2.1936; auch in: VHB, Bd. II, S. 1065. 549 Erlass des RMdI, 21.7.1942, BA Berlin, R 43 II/421a. Aufgrund seiner Entstehung und abschwächenden Wortwahl als dem verkündeten ideologischen Bekenntnis direkt widersprechende Rechtslage interpretiert bei Rebentisch/Teppe, Einleitung, S. 7–32, S. 22f. 550 Majer, Grundlagen, S. 232. 551 Bericht des Generalstaatsanwaltes Frankfurt/Main, Wackermann, 17.4.1943, BA Berlin, R 3001/alt R 22/1305, Bl. 342. 552 Erlass des Präsidenten der RAVAV, 31.7.1934 auf Grundlage einer Vereinbarung mit der RJF, 20.6.1934, in: VHB, Bd. III, S. 2429. 553 Reichsminister der Finanzen, 20.4.1936, VOBl. IV/13, 12.6.1936, S. 165.

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In Hessen und einigen bayrischen Regierungsbezirken wurden Handwerkskammern und -meister aufgefordert, nur Mitglieder als Lehrlinge zu akzeptieren.554 Nach der Eingliederung der »Jugend der DAF« in die Hitler-Jugend drohte Arbeitsplatzverlust, da die notwendige Mitgliedschaft im nationalsozialistischen Berufstätigenverband seit März 1934 die Teilnahme in der Jugendorganisation voraussetzte.555 Entsprechend stellten etwa Zechenleitungen und größere Betriebe im Rheinland und Ruhrgebiet nur noch Lehrlinge an, die Hitler-Jugend und Arbeitsfront angehörten.556 Der 1940 wegen »Befehlsverweigerung« aus dem Jungvolk ausgeschlossene Fritz Theilen erinnert sich in seinem Lebensbericht, dass ihm seine Lehrstelle in den Kölner Ford-Werken verweigert wurde, obwohl er die Aufnahmeprüfung bestanden hatte. Erst nach der durch Beziehungen des Vaters bewirkten Wiederaufnahme in die eigene »Werks-HJ« konnte er ein Ausbildungsverhältnis beginnen.557 Das indirekte Arbeits- und Lehrstellenverbot für Ausgeschlossene und Nichtmitglieder durch die Restriktionen in der Privatwirtschaft wirkte bis 1937 existenziell bedrohlich. Wie das Beispiel von Fritz Theilen zeigt, bot aber die Verweigerung einer Ausbildungsmöglichkeit und die damit verbundene Unterqualifizierung und langfristige Minderung des Lebensstandards auch nach Erreichen der Vollbeschäftigung weiterhin Einschüchterungspotential. Noch nach Erlass der »Jugenddienstpflicht« kalkulierte die Reichsjugendführung daher die Abhängigkeit, eine Lehrstelle zu erhalten, vom Jugenddienst.558 Über den Umweg der Gestapo zeigte die Privatwirtschaft sich jedoch an Disziplinarentscheidungen der nationalsozialistischen Organisationen interessiert. So fragte etwa der Werkschutz der Krupp AG in Essen routinemäßig auf einem eigens vorgedruckten Formular nach Bedenken der Gestapo »gegen die Einstellung bzw. Weiterbeschäftigung« bestimmter Personen.559 Die Politik der Ausbildungsverweigerung verfolgte im akademischen Bereich zunächst der »Abiturientenerlaß« des Innenministers, der im Januar 1934 den Hochschulzugang auf weniger als die Hälfte der männlichen Abiturienten begrenzte. Er schrieb die Prüfung der Zugehörigkeit zu nationalsozi554 Klönne, Jugendprotest, S. 574. 555 Vereinbarung zwischen dem Führer der DAF, Ley, und dem RJF, 8.12.1933, in: Jahnke/ Buddrus, Dok. 24, S. 81f.; Erlass der Leiter des Organisations- und des Jugendamtes der DAF, in: Roth, Katholische Jugend, Dok. 46, S. 104; Boberach, Jugend unter Hitler, S. 26f. Hinsichtlich der Folgen von Parteiausschlüssen wurde ein automatischer Arbeitsplatzverlust abgelehnt. Über die »harte Strafe« hinaus sei es nur »in ganz besonders schwer gelagerten Fällen« richtig, den Ausgeschlossenen »um Arbeit und Brot zu bringen«. Anordnung des Stellvertreters des Führers, Nr. 20/37, 29.1.1937, VHB, Bd. II, S. 1038. 556 Politischer Lagebericht des Oberpräsidenten der Rheinprovinz, Reeder, 16./17.8.1935, in: Vollmer, Dok. 24, S. 267–274, S. 274. 557 Hellfeld, Fritz Theilen, S. 30 u. 46. 558 Randel, Heranziehung, S. 66. 559 HStA Düsseldorf, RW 58-12 568, Bl. 8.

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alistischen Verbänden und die »nationale Zuverlässigkeit« des Bewerbers als Zulassungskriterien vor.560 Für Frauen, die nur noch zehn Prozent dieses begrenzten Hochschulkontingents stellen durften, wird diese Überprüfung sich aufgrund des verschärften Wettbewerbs entscheidender ausgewirkt haben, zumal die Kontingentierungspolitik für »arische« männliche Studienbewerber im Folgejahr aufgehoben wurde.561 Für jede Art staatlicher Studienförderung blieb der Nachweis der »Einsatzbereitschaft für den nationalsozialistischen Staat« durch die Mitgliedschaft bestehen.562 Die fehlende Mitgliedschaft konnte darüber hinaus als Kriterium der Begutachtung durch Lehrer dienen.563 Zeitzeugen erinnern sich auch an die Drohung, Nichtmitglieder würden nicht zur Abiturprüfung zugelassen.564 Planungen der Gerichtsbarkeit, die Schulen mit dem »Ziel der gleichzeitigen Verweisung von der Höheren Schule« in das disziplinarische Warnsystem einzubeziehen, hätte den Zugang zu sämtlichen akademischen Berufen für Ausgeschlossene grundsätzlich verhindert.565 Als Vorenthaltung jeder Art von Förderung wurde der Ausschluss auch in die sozialpolitischen Instrumente integriert. So verloren seit 1941 die Eltern eines ausgeschlossenen Kindes ihren Rechtsanspruch auf Kinderbeihilfe durch das Finanzamt.566 Der disziplinarrechtliche Ausschluss wirkte sich auf diese Weise als Verringerung der sozialen Mobilität der Betroffenen aus, indem ihr beruflicher Entfaltungsspielraum in der nationalsozialistischen Gesellschaft grundsätzlich begrenzt wurde. Da der Dienst in den Parteiverbänden seit 1933 vielfach als Bedingung, um in der Berufslauf bahn voranzukommen, wahrgenommen worden zu sein scheint,567 konnte bereits die Drohung wirken. Der Ausschluss erweist sich so als Kehrseite des qualifizierenden Führersystems. Die Disziplinarpolitik der Reichsjugendführung bezweckte eine geradezu deterministische Verbannung des Betreffenden als »politisches Todesurteil«,568 doch wirkte der Ausschluss entgegen der einschüchternden Absichtserklärungen der Disziplinarpolitiker nicht generell als Automatismus. Seine Wirkung lag zunächst in 560 Verordnung über die zahlenmäßige Begrenzung des Zugangs zu den Hochschulen, 9.1.1934, auf Grundlage des Gesetzes gegen die Überfüllung deutscher Schulen und Hochschulen, 25.4.1933, RGBl. 1933, Teil I, S. 225f.; Schellenberger, S. 47. 561 Zymek u. a., S. 231f. Der Numerus Clausus für Frauen und jüdische Hochschulbewerber (fünf Prozent) blieb jedoch bestehen. 562 Grüttner, S. 147. 563 Vgl. Ellger-Rüttgart, S. 137f. 564 Meyer, S. 256; weitere Beispiele bei Pahlke, S. 143. 565 Entwürfe zum Disziplinarrecht der Hitler-Jugend; 3. DFVO zum Gesetz über die HitlerJugend. In: Tetzlaff, Disziplinarrecht, S. 150–158, S. 152. Als Realität urteilt so Rempel, S. 69. 566 Erlass vom 9.3.1941, zitiert bei Tetzlaff, Disziplinarrecht, S. 102f. 567 Pätzold/Weißbecker, S. 363ff.; Rempel, S. 59. 568 Tetzlaff, Rechtsphilosophie, S. 6; als Einschätzung eines »political and social banishment« übernommen bei Kater, The Nazi Party, S. 158.

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der Abschreckung gegenüber den jungen Adressaten und in der Erfahrung des symbolischen Ausschlusses aus der nationalsozialistisch geprägten und durchdrungenen Lebenswelt. Die Drohung mit dem Ausschluss und mit seinen Konsequenzen diente vor allem der Disziplinierung innerhalb der Organisation. Unverkennbar lag dem Disziplinarsystem aber die Absicht zu Grunde, tatsächliche und langfristig spürbare Konsequenzen als Stigmatisierung an diese erste Ausgrenzung zu binden. Solche weitaus schwerwiegenderen und bedrohlicheren Folgen zog der Ausschluss nach sich, wenn über die Entfernung hinaus eine weitere Auffälligkeit andere Mechanismen der Ausgrenzung einleitete. In den überwiegenden Fällen, in denen der Ausschluss aufgrund eines Straftatbestandes erfolgte, bedeutete der Warneintrag aufgrund des polizeilichen Meldesystems zugleich Strafverfolgung. Sonderverordnungen und teilweise Auf hebungen des Strafrechtsprivilegs für Jugendliche schränkten den strafrechtlichen Schutzraum Jugendlicher nach 1939 erheblich ein. Ehemalige Mitglieder, die sich weiterhin als Angehörige ausgaben oder die – selbst angeschafften – Uniformen behielten oder mutwillig beschädigten, wurden nach dem »Heimtücke«-Gesetz strafrechtlich verfolgt und mit Gefängnisstrafen belegt.569 Verurteilungen wegen verbotener »bündischer Tätigkeit« und Vorbereitung zum Hochverrat erkannten auf mehrjährige Freiheitsstrafen, wie gegenüber fünfzehn jungen Männern zwischen fünfzehn und 25 Jahren, die im Sommer 1940 vom Sondergericht Köln und dem Volksgerichtshof abgestraft wurden.570 Eine Zwanzigjährige, die aus familiären Gründen Spät- und Sonntagsschichten bei ihrer Dienstverpflichtung in einer Munitionsfabrik ablehnte, wurde im Sommer 1943 wegen dieser »Arbeitsverweigerung« im Mädchenkonzentrationslager Uckermark inhaftiert. In ihrer Biografie hatte eine frühere unehrenhafte Entlassung aus dem BDM gegen sie gesprochen.571 Da die in den Jugendkonzentrationslagern inhaftierten Jugendlichen grundsätzlich als nicht mehr besserungsfähig galten, war kein Ende ihrer Haftzeit vorgesehen, sondern ihre Überweisung in Konzentrationslager.572 Die Stigmatisierung durch die interne Warnung erwies sich in diesem Fall als unmittelbare Vorstufe der Verfolgung als vermeintlich »Gemeinschaftsfremde«. Auch die Erfassungsbiografien von Jugendlichen, die 569 Vgl. z. B. Verurteilung von Heinrich C. durch Sondergericht Düsseldorf zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren, HStA Düsseldorf, RW 58-31 338. 570 »Fall J.«, RJF (Hg.), Cliquen- und Bandenbildung unter Jugendlichen, S. 227. 571 Interview 1984 mit M. S., Jg. 1923, w., in: Guse/Kohrs: »Bewahrung« Jugendlicher, S. 137. 572 »Besserung« und Entlassung erwartete die RJF nur »ausnahmeweise« als »Spätentwicklung des Jugendlichen«, Möckel, 11.11.1941, BA Berlin, R 3001/alt R 22/1175, Bl. 489–492, Bl. 491f.; Landgerichtspräsident Essen, 31.7.1944, an Oberlandesgerichtspräsidenten Hamm, ebd., R 3001/ alt R22/1191, Bl. 584ff., Bl. 585; Dienststrafordnung für das polizeiliche Jugendschutzlager Uckermark, ebd., NS 4/Anhang, Nr. 42, Bl. 2.

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Anfang der 1940er Jahre wegen »Arbeitsbummelei« in das »Arbeitserziehungslager« Hunswinkel eingewiesen wurden, dokumentieren bereits Ausschlüsse aus dem Jugendverband.573 Der Plan der Reichsjugendführung, die Differenzierung nach dem Kriterium der gemeinschaftsgebundenen »Erziehbarkeit« auch in der Fürsorgeerziehung durchzusetzen, wurde nicht mehr realisiert.574 Als Lauf bahn der Ausgrenzung zeichnete sich nach dieser Planung die Folge von Fürsorgebewahrung und polizeilichen »Jugendschutzlagern« ab.575 Seit 1940 schlossen sich bereits Einweisungen in Konzentrationslager an die mit der Volljährigkeit des Zöglings endende Fürsorgeerziehung an.576 Das Beispiel einer ›Karriere‹ an die Disziplinarstrafe anschließender Auffälligkeiten bildet die Gestapoakte von Heinz M. aus Düsseldorf, der in den polizeilichen Akten als »arbeitsscheue[r] Mensch« und »gewissenloser Betrüger«, »Querulant« und »Aufschneider« beschrieben wird. Auf den Ausschluss des Düsseldorfer Unterbannführers und Propagandaleiters 1934 wegen »H. J. schädigenden Verhaltens« folgten Parteiausschluss und schließlich die Inhaftierung im Konzentrationslager Sachsenhausen, »da sein Verhalten geeignet war, das Vertrauen der Bevölkerung zur Partei schwer zu beeinträchtigen«. Unter anderem sollte er »Gerüchte« über den Jugendverband verbreitet haben. In Sachsenhausen starb M. nach wenigen Monaten.577 Die einzelnen Ermittlungs- und Personenprotokolle verwiesen immer wieder auf den Ausschluss aus der Hitler-Jugend. Der wiederholte Verweis auf die Disziplinarstrafe vervollständigte das Gesamtbild. Ohne allein die Folgeentscheidungen zu bedingen, wurde diese Information zu deren Begründung herangezogen.

573 Vgl. z. B. Hein A., geb. 1922, Aktenvermerk zum politischen Lebenslauf, HStA Düsseldorf, RW 58-30 415, Bl. 2; Willi F., geb. 1918, ebd., RW 58-46 466, BA Berlin, Warnkartei, Datensatz Nr. 987; Kurt K., geb. 1921, ebd., RW 59-25 795, Datensatz Nr. 2931. Zum »Arbeits- und Erziehungslager« Hunswinkel bei Lüdenscheid vgl. Tech, S. 80–85; zu Entstehung, Funktion und Lagerrealität der »Arbeitserziehungslager« im Nationalsozialismus grundsätzlich Lofti. 574 Vgl. Möckel, 11.11.1941, BA R 3001/alt R 22/1175, Bl. 489–492, Bl. 491. Zur Fürsorgeerziehung Kuhlmann, Kraus sowie zuletzt Welkerling/Wiesemann. 575 Kaufmann, Das kommende Deutschland, 1943, S. 326. 576 Anweisung Bormanns, 30.8.1941, in: Klönne/Hellfeld, Dok. 125, S. 309. 577 Vorbericht, 16.1.1938, HStA Düsseldorf, RW 58-4042, Bl. 4; Bericht, 16.1.1940, ebd., Bl. 76; einstweilige Verfügung des NSDAP-Ortsgruppenleiters Düsseldorf-Oberbilk, 15.2.1940, ebd., Bl. 18; Mitteilung KL Sachsenhausen an Gestapo Düsseldorf, 18.12.1940, ebd., Bl. 77.

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Schluss

Die Konstitution der »Volksgemeinschaft« basierte auf Ein- und Ausschließung, denen Klassifizierungsprozesse vorausgingen – auch zu Beginn des Verfolgungs- und Vernichtungsprozesses stand, wie Raul Hilberg gezeigt hat, die Definition.1 Die gesamte Gesellschaft des Nationalsozialismus war von einer graduellen Systematik solcher Abgrenzungen durchdrungen. Ihre Konsequenzen reichten auf der einen Seite von der Einschränkung von Lebenschancen bis zur Zerstörung der Existenz, auf der anderen Seite förderten sie Partizipation und Mobilität. Gemeinsam verfolgten sie eine fundamental rassistische Sozialutopie. Die Vision einer leistungsbereiten, homogenen völkischen Gemeinschaft baute auf der rassistischen Ordnung grundsätzlicher Ungleichheit auf, vertiefte diese systematisch und vergegenwärtigte sie in einer Logik der Repräsentation, ebenso in Rechtsbegriffen wie in der Sozialwelt der nationalsozialistischen Organisationen. An die Grundfigur »völkischer« Zugehörigkeit wurden im Disziplinarsystem der Hitler-Jugend wie in den begleitenden Rechtsdiskursen und Ausgrenzungspraxen gesellschaftliche Dichotomien gebunden. Die paradoxe Figur einer umfassenden und sich zugleich deutlich abgrenzenden »Volksgemeinschaft« provozierte ein dynamisierendes Spannungsverhältnis zwischen massenhafter Integration und zielgerichteter Ausgrenzung. Die Hitler-Jugend beschrieb die erforderliche Bezugsgrenze analog zu ihrer Aufgabe einer nationalsozialistischen politischen und »sittlichen« Jugenderziehung als »Erziehungs-« oder »Gemeinschaftsfähigkeit«, begründete sie über den Ehrbegriff und markierte die Ausgeschlossenen durch ihre Disziplinarstrafe. Die Warnkartei wies diese Stigmatisierung bei Bedarf nach, um eine biografisch erste soziale Ausgrenzung aus der »Jugendgemeinschaft« systematisch fortzusetzen. Insofern erweist sich diese »ungeheuer primitive« Erfassung 2 als kennzeichnend für die Herrschaftstechnik des Nationalsozialismus. Im Umkehrschluss wird auch die Herrschaftsstrategie der »Volksgemeinschaft« als funktioneller Disziplinarmechanismus eines dynamisierten Ordnungsprozesses erkennbar. Auf individueller Ebene realisierte der gesellschaftliche Ausschlussmechanismus die Grunderfahrung totalitärer Herrschaft, wie sie Hannah Arendt als

1 Hilberg, Bd. 1, S. 69–84. 2 Ayaß, »Asoziale«, S. 110.

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Erfahrung der Verlassenheit beschrieben hat.3 Der Isolation der Ausgegrenzten steht die geschlossene Welt der Massenorganisationen gegenüber. Dieser Effekt der Herrschaftsstrategie wird im Disziplinarsystem besonders deutlich: »Gemeinschaftsgebundene Ehrenstrafen« stigmatisierten vordergründig, dem juristischem Strafzweck allgemeiner Prävention vergleichbar, zum Zweck der »Erziehung« und Disziplinierung der Gemeinschaft. Tatsächlich zielten sie zugleich darauf, die Identität der Betroffenen auszulöschen. Eine Voraussetzung ihrer Wirksamkeit war gerade die Identifikation. Im dichotomen Disziplinarmechanismus aus Kaderpolitik und Nachwuchsrekrutierung einerseits, Ausgrenzung und Entrechtung andererseits, fielen Disziplinar- und Personalpolitik der Hitler-Jugend zusammen. Sie bildeten die komplementären Pole des Zugriffs auf die Kinder und Jugendlichen: Die Zulassung zum Dienstbetrieb des staatlichen Parteijugendverbandes mitsamt den sich von der Mitgliedschaft ableitenden Förderungen gehörte ebenso zu den politischen, sozialen, kulturellen und in der Konsequenz auch wirtschaftlichen Instrumenten der nationalsozialistischen Rassenpolitik wie die Ausschließung vage definierter kleiner Gruppen. Als eine der vielfältigen Formen im Kern rassistisch begründeter Diskriminierung ordnet sich der Ausschluss aus dem Jugendverband als ein paßgenaues Element in die umfassende, alle Lebensbereiche durchdringende nationalsozialistische Rassenpolitik ein. Das Disziplinarsystem des Jugendverbandes mit eigenem Disziplinarrecht und Organen wurde als interner Ordnungsmechanismus entwickelt. Als Element formeller Sozialkontrolle wirkte es jedoch in enger Verflechtung mit anderen Instanzen und Politiken und gehörte so auch zu den Maßnahmen einer umfassenden Jugendkriminalitätspolitik. Indem sie abweichendes Verhalten auf subtilere Weise sanktionierte, diente die Disziplinarpolitik in noch höherem Maße der symbolischen Herstellung von Normalität. Im Disziplinarwesen der Hitler-Jugend verschränkten sich die sozialen und symbolischen Ordnungen der Lebenswelt, die parteigebundenen Massenverbände, mit der zentralen staatlichen Ordnungssetzung durch Recht. Zugleich war es mit juristischen Expertendiskursen und der Politik von Verfolgungsinstitutionen eng verbunden. In dieser Verknüpfung ist der komplexe Ordnungsprozess durch eine außerordentliche Entwicklungsdynamik der Ausdifferenzierung, Ausweitung und Professionalisierung gekennzeichnet. Die wechselseitige Verschränkung bekräftigte den Ordnungsanspruch und gab seiner Dynamisierung Raum. Die Ausformulierung des rechtsförmigen und Rechtsprozesse imitierenden Disziplinarrechts nutzte einerseits die ordnungsetzende Autorität des staatlichen Rechtswesens. Damit folgte die Ordnungssetzung der Hitler-Jugend einer 3 Arendt, S. 975–978; abgegrenzt von Einsamkeit als ambivalenter Zustand von individueller Identität, ebd., S. 977.

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Legitimitätstaktik. Andererseits drückte die Etablierung eines »Gegenrechts«4 das Selbstbewusstsein des Verbandes als vitaler Teil der »Bewegung« aus, der nach politischer Durchdringung und »totaler« Expansion strebte. Durch seinen staatlichen Erfassungsanspruch stand der Jugendverband an der Schnittstelle von Partei und Gesellschaft. Im Unterschied zu anderen Parteiverbänden vertrat die Hitler-Jugend den Anspruch, die Gesamtgesellschaft einer Altersgruppe zu erfassen und zu vertreten, innerhalb derer sie nach dem Kriterium der »Gemeinschaftsfähigkeit« und des »Wertes« für die Gemeinschaft gleichwohl selegierte. Durch diese gesellschaftspolitische »Auslese« und die dichotome Doppelaufgabe von »Erziehung« und »Warnung« trug sie zielgerichtet zur »Aufartung« eines von »Fremdkörpern« und »Schädlingen« zu befreienden »Volkskörpers« bei, die sich die nationalsozialistische Mord- und Vernichtungspolitik seit 1939 zum Ziel gesetzt hatte. Das strafende Disziplinarinstrumentarium, das die Vorstufe einer weitergehenden Ausgrenzung bilden konnte, machte den Jugendverband zu einem Ort, an dem nach einer volks- und rassenpolitischen ›Wertigkeit‹ über gesellschaftliche Chancen entschieden wurde. Die Disziplinarpolitik wurzelt in der Organisationsgeschichte der politischen Kampfverbände der Weimarer Zeit. Ihre Grundsätze waren an das Parteirecht angelehnt. Die Form des Disziplinarwesens mit eigenen, mit Jugendlichen oder Jugendführern besetzten Organen der Überwachung und Rechtsprechung verweist zugleich auf die Traditionslinie des modernen Jugendrechtes. Als aktiver Teilnehmer der nationalsozialistischen Jugendrechtsreform verfolgte der Verband mit der »Eroberung wissenschaftliche Meinungen durch Publikationen« den eigenen universalen Machtanspruch im Jugendbereich.5 Darüber hinaus knüpfte die Reichsjugendführung an wissenschaftliche Topoi und Themen an und verflocht die eigene Rechts- und Disziplinarpolitik personell und diskursiv eng mit der rechtspolitischen Bewegung. Über die Machtstrategie hinaus steht die Rechtspolitik des Verbandes in einer jugendrechtlichen Tradition, freilich in einer spezifischen nationalsozialistischen Wendung. Die Disziplinar- und Dienstrechte basierten auf der Einbindung der Partei in den nationalsozialistischen Staat und den besonderen Hoheitsrechten der Parteiverbände. Neben diesem veränderten politischen Raum bildete der darauf reagierende politisierte Rechtsdiskurs eine weitere Voraussetzung für die ausdifferenzierte Entwicklung dieses rechtlichen Subsystems. Grundlegend war die gemeinschaftsrechtliche Ausrichtung der Rechtswissenschaft. So erhob das »konkrete Ordnungs- und Gestaltdenken«, wie es Carl Schmitt formulierte, die Massenorganisationen der Diktatur zu volkstümlichen Rechtsquellen und ihre eigenen Gerichtsbarkeiten zu geradezu beispielgebenden Formen der Rechtsprechung. Dieses Rechtsdenken flankierte und legitimierte die Entfaltung der 4 Foucault, Überwachen und Strafen, S. 285. 5 Wolff, Hitlerjugend, S. 659.

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nationalsozialistischen Disziplinargerichtsbarkeiten rechtsphilosophisch und -methodisch. Als flexibles und subtil wirkendes Gemeinschaftsrecht bot das Disziplinarrecht sich als Modell für die gesamte und insbesondere die strafrechtliche Entwicklung an. Es empfahl sich gleichermaßen für die Methode einer weltanschaulich gebundenen, ›ganzheitlichen‹ Rechtsauslegung wie als breitenwirksames Mittel, das neue, vermeintlich ›lebensnahe‹ Recht einzuüben und seine Ordnung dauerhaft zu stabilisieren. Die Propagierung einer selbständigen Rechtsdisziplin Jugendrecht nahm auf gemeinschaftsrechtliche Ordnungsbegriffe Bezug, zusätzlich auf das traditionelle jugendrechtliche Leitmotiv der »Erziehung«. Der Anspruch auf besonderen Schutz und Förderung der Jugendlichen, der die rechtssystematische Unterscheidung im Sinne eines modernen Jugendbegriffes begründet hatte, wurde jedoch rassistisch begrenzt. Im Nationalsozialismus galt nicht mehr eine Altersgruppe als Jugendliche im Rechtssinn, sondern nur die disziplinierten, »rassisch« wertvollen »Jugendgenossen«. Die Entwürfe einer umfassenden rechtlichen Regelung des Lebens Jugendlicher als allgemeines nationalsozialistisches Jugendrecht gestanden der Hitler-Jugend die zentrale Position darin zu. Die Aufwertung von Disziplinarrecht und Dienstpflicht als »Verfassungsgrundlagen« dieses Jugendrechtes korrespondierte mit der Wertung des Parteiprogramms als Teil der – ungeschriebenen – nationalsozialistischen Verfassung. Mit der jugendrechtlichen Expertendiskussion in den Jugendausschüssen der Akademie für Deutsches Recht und auf weiteren Fachtagungen nutzte der Jugendverband einen politisierten und zugleich traditionsreichen Diskurs zum Ausbau des eigenen Rechtsinstrumentariums und zur Sicherung seines unmittelbaren Ordnungsanspruches. Die Grundforderung einer jugendgemäßen Behandlung bestätigte zugleich das Generalargument für die Zuständigkeit des Jugendverbandes. Die Disziplinargerichtsbarkeit der Hitler-Jugend, die seit 1935 aufgebaut wurde, imitierte die Formen der Strafgerichtsbarkeit. Zugleich konkurrierte sie mit den Jugendgerichten, auf deren Verfahren der Jugendverband zunehmend Einfluss gewann. Das Selbstverständnis der HJ-Gerichtsbarkeit bewegte sich zwischen den Polen einer der »Gemeinschaftserziehung« verpflichteten Disziplinargewalt und dem Strafanspruch als öffentliche Institution. Diese neue »Zweispurigkeit« der Jugendgerichtsbarkeit im Nationalsozialismus war unter den Rechtsexperten grundsätzlich akzeptiert. Die Aufwertung des Disziplinarrechtes gegenüber der staatlichen Gerichtsbarkeit dokumentieren verschiedene Regelungen im Reichsjugendgerichtsgesetz 1943. Zu ihnen gehört das separate Jugenddisziplinarregister einer »Erziehungskartei«, das neben gerichtlich angeordneten Jugendstrafen und Erziehungsmaßnahmen auch die Disziplinarstrafe erfasste. Mit der politischen Neudefinition des Rechts als »Ehrenrecht«, das ein Treueverhältnis des Einzelnen gegenüber der Gemeinschaft abbilden sollte, wurde ein zentraler Grundsatz der nationalsozialistischen »Rechtserneuerung« in das Disziplinarrecht übernommen. Über den Ehrbegriff wurden Rechte und 300

Pflichten in Staat und Gesellschaft an eine rassistisch definierte Gemeinschaft geknüpft, für die Jugend zusätzlich der Anspruch auf »Erziehung« – selbst wenn dieser Begriff seinerseits entgrenzt war. Aus der Einheit des »totalen« Ehrbegriffes resultierten einheitliche Konsequenzen dieser Würdigkeit. Auf dieser gemeinschaftsrechtlichen Grundlage mit den rassistisch begründeten Kernbegriffen »Ehre« und »Treue« wurde eine grundsätzliche gesellschaftliche und rechtliche Zweiklassigkeit formal 1935 in das Reichsbürgergesetz eingeschrieben. Es fragmentierte die Rechtsinstitution der Staatsbürgerschaft und nutzte den neu geschaffenen Statusunterschied zur Aufwertung der Mehrheit und zur Diskriminierung einer Minderheit. Der Rechtsstatus des »Reichsbürgers« verrechtlichte so die Idee einer völkischen Identität. Realität gewann diese Abstufung jedoch nicht als Normalstatus im Reich, sondern in der Diskriminierung der polnischen Bevölkerung. Im Rechtsdiskurs wurde die rassistische Unterscheidung gleichwohl begeistert aufgenommen und ein bürokratisch-feierlicher Initationsritus der vollen Rechtsperson geplant. Die Mitgliedschaft in der Hitler-Jugend galt als Voraussetzung. Das im Reichsbürgergesetz gesetzlich verankerte Konzept eines ideellen, auf den Nationalsozialismus und seine Gemeinschaften bezogenen »Treueverhältnisses« wurde über seine psychologische Dimension adaptierbar. Im komplexen Disziplinarsystem der Hitler-Jugend unterschied der irrationale Rechtsbegriff zwischen den inkludierenden »Ehrenstrafen« und der Ausgrenzung der Bestraften. Die – im Sinne Foucaults – einzige Strafe der dauerhaften Entfernung bildete die Kernfunktion, welche die Konstitution der »Jugendgemeinschaft« über die Aufnahmekriterien hinaus flexibel und subtil regulierte. Die Ausschlussfunktion, aus der sich nach 1933 der gesamte Disziplinarkatalog entwickelt hatte, wurde durch dokumentierende Erfassungs- und disziplinierende Überwachungstechniken gerahmt. Die Techniken wirkten sozialisierend wie sozial kontrollierend. Seit 1935 verfügte die Hitler-Jugend mit der HJ-Gerichtsbarkeit über eine eigene Judikative und mit dem HJ-Streifendienst über ein Überwachungsorgan, deren zentrale Führung im Personalamt der Reichsjugendführung konzentriert war. Den dienstrechtlichen Rahmen hierarchisch abgestufter Disziplinar- und Strafrechte fixierten seit 1936 Disziplinar- und Strafordnungen. Der Streifendienst arbeitete als jugendliches Kontroll- und Ermittlungsorgan wesentlich an den Disziplinarverfahren mit; seine kriminalstatistischen Meldungen dienten den disziplinarpolitischen Entscheidungen der Jugendführung als Material. Die Dokumentation ihrer Aktivitäten in Berichten und Statistiken sowie Fahndungen nach polizeilich gesuchten und »Warnungen« vor unliebsamen Personen ergänzten die Disziplinargewalt. Die Personaldokumentation stellte in der komplementären Ergänzung von Mitglieder- und Warnkartei die Grundlage des disziplinarischen Zugriffs wie einer anschließenden Ausgrenzung bereit. Im Unterschied zu anderen sozialdisziplinierenden Karteisystemen im Nationalsozialismus, wie 301

sie etwa in der »Asozialen«-Verfolgung, als Gegnerkarteien der Gestapo oder in der Registrierung homosexueller Männer die unmittelbare Voraussetzung der Verfolgung und Vernichtung politischer Gegner und sozialer Randgruppen bildeten, wirkte die Warnkartei weitaus indirekter. Die Informationsvernetzung mit Parteibehörden, Polizei und staatlichen Dienststellen sollte die Verzeichneten von Integrationsangeboten der nationalsozialistischen Gesellschaft, ihren Organisationen, spezifischen Förderungen und Führungspositionen systematisch ausschließen. Umgekehrt wurde die Ausbildung aktiver Hitler-Jungen und auch von BDM-Führerinnen als zukünftige Kader von Staat und Partei bereits in der Jugendorganisation initiiert. Die Elitekonzeption des HJ-Streifendienstes verrät eine hohe gesellschaftliche Wertschätzung der Disziplinarorgane, die auch spezifische Karrieren eröffneten. Die Disziplinarpolitik der Gesamtorganisation wurde – in Absprache mit der NSDAP und in enger Zusammenarbeit mit Polizei und Justiz – maßgeblich von HJ-Führern entwickelt und – als HJ-Richter, Untersuchungsführer und Streifendienst – auch exekutiert. BDM-Führerinnen nahmen in untergeordneten Funktionen an dieser Praxis teil. An der Theoriebildung und wissenschaftsförmigen Konzeptualisierung arbeiteten die Rechtsreferenten der Hitler-Jugend auf besondere Weise mit. Sie verbanden ihr politisches Engagement im Jugendverband mit ihrer beruflichen Qualifikation. Als doppelt ausgebildete Juristen entsprachen sie dem neuen Typus eines politischen »Rechtswahrers« mit nationalsozialistischer Persönlichkeit, der sich gerade für den Einsatz als Jugendrichter durch seine Erfahrung als Jugendführer empfahl. Die widersprüchliche Geschlechterpolitik des Disziplinarwesens ist für den gesamten Verband kennzeichnend. Die allgemeine Geltung der Disziplinarund Strafordnungstexte unter dem Siegel jugendbewegter Kameradschaft suggerierte eine geschlechterneutrale Disziplinarpraxis. Tatsächlich führte sie zu einer stark geschlechterspezifischen Strafpraxis. Initiativen, das gesamte Instrumentarium auch auf junge Frauen anzuwenden, wurden nicht umgesetzt. Erst zu Kriegsbeginn wurde die Disziplinierung von Mädchen und jungen Frauen als eigenes Problem wahrgenommen, allerdings auf die phantasmatische Bedrohung einer »sittlichen Verwahrlosung« konzentriert. Mit dem traditionellen Sexismus der sexuellen Konnotation weiblicher Devianz wurde das Konzept einer spezifisch weiblichen, an die Fortpflanzungsfunktion gebundenen Geschlechtsehre rassenpolitisch aktualisiert. Die prinzipielle Vernachlässigung der Mädchenorganisationen unterstreicht die Perspektive der »Jugenderziehung« als Sozialisation und Auslese für eine völkische Gesellschaft, deren Machtpositionen Männern vorbehalten blieben, und für ihre soldatisch ausgerichteten Männerorganisationen. Galten die Jugendlichen in der Propaganda grundsätzlich als politisches Reservoir dieser zukünftigen Gesellschaft, zeigte sich spätestens in der Kriegszeit, dass Frauen als bevölkerungspolitische Ressource verstanden und vor allem in Hinblick auf diese Funktion sozialisiert und diszipliniert werden sollten. 302

Nach der politischen und organisatorischen Zäsur 1939 erwies die strafweise Entlassung aus der Zwangsorganisation sich als kontraproduktives Paradoxon. Die kriegsvorbereitende, gesetzliche Pflichtmitgliedschaft schloss die seit 1933 betriebene Expansion des Jugendverbandes auf sämtliche »arische« Jugendliche ab und wurde temporär sogar auf »rassische Mischlinge« ausgedehnt. Sie widersprach parteilichen Auslesekonzepten ebenso wie der Idee volksgemeinschaftlicher Integration. Dieser selbst produzierte Widerspruch gewann durch die rechtliche Gleichstellung der Jugenddienstpflicht mit der Wehrpflicht zu Kriegsbeginn an Schärfe, da ausgeschlossene Hitler-Jungen bis 1941 als wehrunwürdig galten. Die Reichsjugendführung stärkte darauf hin ihre überwachenden Disziplinierungstechniken gegenüber der Strafe: Sie erweiterte 1940 den Kanon ihrer Disziplinarmittel um den »Jugenddienstarrest«, der nun auch erhebliche Verstöße älterer Hitler-Jungen innerhalb des Verbandes korrigieren sollte; die Gerichte formulierten die Entfernungsstrafe vorrangig als dauerhaftes Ausscheiden, um eine Bewährungsmöglichkeit potentiell zu erhalten. Drittens wurden »Betreuungen« der ausgeschlossenen Jugendlichen durch Jugendhilfe und Fürsorgeerziehung vereinbart, um Kontrolllücken zu schließen und eine mögliche Attraktivität des Ausschlusses zu verhindern. Zugleich wurden die Konsequenzen der Strafe gravierender, konnte das Verdikt »unerziehbar« und »gemeinschaftsunfähig« seit 1940 doch die Unterbringung in Fürsorgeerziehung oder den Jugendkonzentrationslagern bedeuten. Hier schloss das Disziplinarinstrumentarium an die Politik einer präventiven »Jugendbetreuung« an, in der jede Form von Abweichung politisiert und konzertiert bekämpft wurde. Sie entstand aus einer moralischen Panik von Parteiinstanzen, Polizei und Justiz, die auf eine Funktionsschwäche der Hitler-Jugend zu Kriegsbeginn traf. In der hyperthrophen Problemwahrnehmung und ihrem nervösen Aktionismus wird der Erste Weltkrieg als prägender erfahrungsgeschichtlicher Hintergrund auch der Überwachungspolitiker der Jugendführung sichtbar. Vor dieser Negativfolie wurde der neue Krieg zur entscheidenden Bewährungssituation. Das Disziplinarwesen der Hitler-Jugend partizipierte an den übergreifenden Kriegsmaßnahmen einer »Jugendkontrollpolitik« 6 mit den eigenen Organen: Streifen überwachten die Einhaltung der »Polizeiverordnungen zum Schutz der Jugend«, HJ-Gerichtsbarkeit und Gebietsführungen wirkten an Einweisungen in Jugendkonzentrationslager mit. Mit der »Reichsarbeitsgemeinschaft für Jugendbetreuung« richtete die Jugendführung ein übergreifendes Kommunikations- und Koordinationsgremium ein. Durch die vielfältigen Aktionen unterschiedlicher Akteure seit 1939/40 wurde der konzertierte Disziplinarzugriff auf Jugendliche intensiviert und in seinen Auswirkungen radikalisiert. Diese Radikalisierung betraf sowohl die Eingriffsanlässe wie die Intensität der Maßnahmen und ihre geplante Lückenlosigkeit. 6 Kenkmann, Wilde Jugend, S. 148.

303

Trotz der Ausweitung der Disziplinierungstechniken strafte die HJ-Gerichtsbarkeit nicht zurückhaltender. Die neue Arreststrafe, die nicht disziplinarisch vollstreckt wurde, bestätigte zudem das ausschließende Konzept einer Grenze vermeitlicher Erziehbarkeit. Der Kriegsbeginn bedeutete so weniger eine Zäsur in der Strafpraxis selbst, als in ihren Konsequenzen durch die Einbindung der Kooperationspartner in die eskalierende Verfolgungs- und Vernichtungspolitik gegen vermeintlich »Gemeinschaftsfremde«. Diese wirkungsmächtige Zusammenarbeit mit Polizeiapparat und Justiz verschärfte auch das Disziplinarwesen der Hitler-Jugend, dessen Strafe die Zielgruppe der Verfolgungsorgane selegierte. Der Handlungsdruck eines Bedrohungsszenarios an der »Heimatfront« bewirkte gemeinsam mit den institutionellen Konkurrenzen eine kumulative Radikalisierung. Die Teilnahme des Jugendverbandes an der aktionistischen und »symbolischen Kriminalpolitik«7 in einer flächendeckenden »Jugendbetreuung« steht auch für den Versuch, sich institutionell als Akteur zu behaupten. Das Disziplinarsystem war flexibel genug, sich dieser Dynamik anzupassen. Die Kriegsideologie einer notwendig radikalen Gegnerbekämpfung und die Orientierung an sozialen Pathologien des »Ordnungsdenkens« unterstützten diesen Prozess. Die Hitler-Jugend erweist sich so nicht nur als Ort und Mittel der Mobilisierung und Integration, sondern zugleich als Instanz, die Ausgrenzung bestimmte, beschrieb und vollzog. »Hitler-Jugend-Fähigkeit« funktionierte als Selektion für die »Volksgemeinschaft« und wurde durch die Disziplinarstrafe umgesetzt. Nach einer rassistischen Vorauswahl durch die nationalen, ethnischen und rassenbiologischen Aufnahmekriterien bezeichneten die Ausschlussbegründungen die politisierte soziale Normierung nach innen. Die quantitativ auffällige Begründung männlicher Homosexualität exemplifiziert die zielgerichtete politische Instrumentalisierung sittlicher Normen wie die »rassenhygienische« Begründung des Ausschlusses, um eine imaginierte »Infizierung« und Ausbreitung sexueller, sozialer und damit politischer Devianz zu verhindern. Das Warnsystem selbst ist direkter Ausdruck dieser Orientierung. Der Massenzugriff des nationalsozialistischen Erfassungswesens erweist sich als voraussetzungsvolle Prozedur eines radikalen Ordnungsdenkens. In kulturgeschichtlicher und medientheoretischer Perspektive lässt sich die Disziplinarpolitik auch als Objektgeschichte der Erfassung beschreiben. Die rassistische Grundmotivation und ihre wissenschaftsförmige Rationalisierung im Rechtsdiskurs gingen in ein einfaches, verwaltungskonformes Ordnungsraster dichtotomer Personenerfassung ein, an das weitreichende politische, soziale und rechtliche Konsequenzen geknüpft waren. Die im politischen Ordnungskampf omnipräsenten Karteisysteme illustrieren, wie bürokratische Organisationsmethoden die politischen Prozeduren routinierten und standardisierten, zugleich aber die Bevölkerung zersplitterten.8 Die Vielzahl von 7 Kebbedies, S. 181. 8 Beyerchen, S. 391.

304

Dienst- und Disziplinarordnungen, Lager- und Transportordnungen, Grußund Kleiderordnungen9 sind der bürokratische Ausdruck des ebenso massiven wie kleinteiligen Ordnungsanspruchs dieser Disziplinarbürokratie, die rechtsförmige Regelungen mit hohem Aufwand entwickelte, aktualisierte und durchsetzte. Die bisweilen groteske Akribie der Überwachung von Äußerlichkeiten, die zu einer Frage der individuellen Disziplin erklärt wurden, resultiert aus der Repräsentationslogik der Ordnung der Ungleichheit: Wie in den Strafen des »Ehrenrechtes« sollte der Gemeinschaftsstatus des Einzelnen sichtbar werden. Recht, Disziplinarwesen und Massenorganisationen entschieden nicht nur über die Zugehörigkeit oder Ausgrenzung aus der völkischen Gemeinschaft, sondern hoben dieses Verhältnis zugleich symbolhaft hervor. Die Disziplinierung der Hitler-Jugend, die Irritationen ihrer Ordnung auszuschließen versuchte, verdeutlicht die Stabilisierungsfunktion gesellschaftlicher Ausgrenzung. Der Ausschluss bezeichnete die Grenze zwischen der »zwanghaft normalisierten Gesellschaft«10 und der Entrechtung vermeintlich »Gemeinschaftsfremder« im Deutschen Reich. Das Disziplinarrecht des Jugendverbandes passte sich konzeptionell und institutionell nahtlos in die rassistische Gesellschaft und seine Ordnungsinstanzen ein. Es diente unmittelbar der Differenzierung und Auslese und gewöhnte die Mitglieder darüber hinaus an die Selektionsregeln. So wurde die für eine radikalere Ausgrenzungspraxis notwendige »ideologische Energie« innerhalb der gemeinschaftlichen Solidarität produziert.11 Die »Jugendordnung« Hitler-Jugend verband auf diese Weise ideologische Sinnstiftung und Angebote der sozialen Integration an eine Mehrheit mit der Gewöhnung an legitimierte und akzeptierte Gewalt gegen eine Minderheit. Die Konstruktion dieser Gegnergruppen außerhalb und – durch das Disziplinarsystem – auch innerhalb der Verbandsgemeinschaft diente als Projektionsfläche für diese Gewalt. Die ständige Beschwörung eines existenziellen, unerbittlichen Ordnungskampfes, der durch die Disziplinierung ebenso kleinteilig wie kleinlich geführt wurde, besetzte die Grenze zwischen Ordnung und Unordnung überdies wirkungsvoll mit Angst. Diese Angst trug zur Akzeptanz der nationalsozialistischen Ordnung ebenso bei wie das Bedürfnis nach Normalität, das die Ordnungsnorm der »Volksgemeinschaft« für die Dazugehörenden gleichfalls bediente – die Sicherheit verheißende Ordnungsutopie der Einen bedrohte die Anderen existenziell.12 Die disziplinierte »Volksgemeinschaft« basierte auf dieser Abgrenzung nach innen ebenso wie auf der nationalen nach außen – und auf den Angeboten, an dieser doppelten gewaltvollen Abgrenzung mitzuwirken. 9 Vgl. Kaufmann, Das kommende Deutschland, 19433, S. 53f. u. 64. 10 Peukert, Volksgenossen, S. 295. 11 Foucault, Verteidigung, S. 301f. 12 Vgl. Rusinek, »Ordnung«, S. 107; zur Sehnsucht der krisengeschüttelten Bevölkerung nach Normalität Peukert, Volksgenossen, S. 89; sowie Bartov, 94.

305

Tabellen Tabelle 1: Entwicklung der Mitglieder der Hitler-Jugend im Verhältnis zur Zahl der deutschen Jugendlichen, 1932–1939 10–14 Jahre Jahr

14–18 Jahre

10–18 Jahre

Bevölke- davon in in Bevölke- davon in in rung DJ/JM % rung HJ/BDM %

1932 4 134 000 1933 4 629 000 1934 4 749 000 1935 4 620 000 1936 4 488 000 1937 4 394 000 1938 4 320 000 1939 4 275 000 Mai 1939

33 347 1 480 003 2 319 621 2 544 343 3 395 740 3 607 073 3 919 657 4 061 013

1 32 49 55 76 82 91 95

3 450 000 2 900 000 2 933 000 3 552 000 4 168 000 4 666 000 4 789 000 4 595 000 5 342 000

74 609 812 038 1 257 944 1 398 960 2 041 861 2 272 882 3 111 569 3 226 457

2 28 43 39 49 49 65 70

Bevölkerung

davon in % HJ

7 584 000 7 529 000 7 682 000 8 172 000 8 656 000 9 060 000 9 109 000 8 870 000 10 226 000

107 956 2 292 041 3 577 565 3 943 303 5 437 601 5 879 955 7 031 226 7 728 470 8 699 890

1 30 47 48 63 65 77 87 85

Quelle: Buddrus, Totale Erziehung, S. 288.1 Tabelle 2: Überlieferte »Warnfälle« der Hitler-Jugend, 1929–1945 beide Geschlechter Warnkartei Verwaltungsausschlüsse RB Sonderdruck 35/41 K Einzelveröffentlichungen** »Warnfälle« gesamt

4 779 73 2 698 345 7 895

weiblich 634 40 710 19 1 403

13 % 55 % 26 % 5% 18 %

männlich 4 145 33 1 988 326 6 492

87 % 45 % 74 % 94 % 82 %

*

Ohne Doppelungen mit den im RB Sonderdruck 35/41 K erfassten Fällen. Nachweisbare Warnungen, Ausschlüsse und Ausscheiden, soweit sie nicht in den anderen Quellen enthalten sind; Vermisstenmeldungen wurden nicht erfasst. **

Quellen: BA Berlin, BDC Warnkartei; RB Sonderdruck 35/41 K, 25.9.1941; Ausschlüsse aus der Verwaltung, RB 7/K, 27.10.1939; VOBl./ANBl. 1933–1937; RB 1936–1944. 1 Auf der Grundlage der Angaben von Kaufmann, Das kommende Deutschland, 1940, S. 33; 19433, S. 42, und des Statistischen Jahrbuchs des Deutschen Reiches. Die Zahlen 1932–1938 datieren vom Jahresende. Prozentzahlen wurden gerundet.

307

Tabelle 3: Deliktverteilung in der »Warnkartei«, 1933–1945 »Warnfälle« Deliktgruppen

davon

beide Geschlechter

Sexualdelikte

weiblich

männlich

1 482

31 %

89

6%

1 393

94 %

938

20 %

74

8%

864

92 %

1 179

25 %

204

17 %

975

83 %

»Rasse«

607

13 %

181

30 %

426

70 %

Politische Delikte

149

3%

16

11 %

133

89 %

Gewalttaten

45

1%

4

9%

41

91 %

Sonderfälle

28

1%

0

0%

28

100 %

Staatsdelikte

22

0%

0

0%

22

100 %

Fürsorge

25

0%

20

80 %

5

20 %

Abtreibung

15

0%

10

67 %

5

33 %

Psyche

17

0%

6

35 %

11

65 %

267

6 %

30

11 %

237

89 %

4 774

100 %

634

13 %

4 140

87 %

Eigentumsdelikte Disziplinlosigkeiten

Keine Deliktangabe gesamt

Quelle: BA Berlin, Warnkartei.

Tabelle 4: Ausschlüsse und Ausscheiden, 1. Juli 1939–1. August 1941 »Warnfälle« insgesamt in %

w.

m.

davon Ausschlüsse

Ausscheiden

w.

m.

w.

m.

»Vermögen«

1 332

49

297

1 035

316

31

285

1 016

266

750

»Sittlichkeit«

628

23

268

360

126

27

109

492

241

251

»§ 175«

294

11



294

116



116

178



178

»Haltung«

367

14

116

251

101

40

61

266

76

190

»Gewalttat«

60

2

10

50

43

10

33

17

0

17

»§ 218«

21

1

19

2

4

3

1

17

16

1

gesamt

2 698

100

710

1 988

714

111

603

1 984

599

1 385

Quelle: RB Sonderdruck 35/41 K, 25.9.1941. 308

Tabelle 5: Chronologische Verteilung der »Warnfälle«, 1929–1945 »Warnfälle« Ausschluss vor 1933

Davon

beide Geschlechter 5

0%

1933

15

0%

1934

782

1935

weiblich –

5

100 %

1

7%

14

93 %

16 %

131

17 %

651

83 %

1 073

22 %

200

19 %

873

81 %

1936

1 315

28 %

85

6%

1 230

94 %

1937

782

16 %

102

13 %

680

87 %

1938

474

10 %

65

14 %

409

86 %

1939

122

3%

21

17 %

101

83 %

1940

30

1%

4

13 %

26

87 %

1941

46

1%

10

22 %

36

78 %

1942

44

1%

6

14 %

38

86 %

1943

15

0%

4

27 %

11

73 %

1944

14

0%

1

7%

13

93 %

1945

1

0%



1

100 %

61

1%

4

7%

57

93 %

4 779

99 %*

634

13 %

4 145

87 %

ohne Datum gesamt *



männlich



Abweichung von 100 aufgrund gerundeter Prozentzahlen.

Quelle: BA Berlin, Warnkartei.

Tabelle 6: Alter der »Warnfälle«, 1929–1945 Altersgruppe

»Warnfälle«

DJ und JM

9–13 Jahre

256

5%

HJ und BDM

14–18 Jahre

2 163

46 %

Führerkorps

19–35 Jahre

1 691

36 %

Mitarbeiter

älter als 36 Jahre

639

13 %

30

100 %

Alter nicht zu erschließen gesamt

4 779

Quelle: BA Berlin, Warnkartei. 309

Tabelle 7: Religionsangaben Konfessionen

beide Geschlechter

Evangelisch 2

1 197

Katholisch Sonstige Christen

3

Konfessionslos Religionsangaben

weiblich

männlich

68 %

218

979

553

32 %

92

461

4

0%

3

1

1

0%

0

1

1 755

100 %

313

1 442

Quelle: BA Berlin, Warnkartei.

Tabelle 8: Berufsangaben »Warnfälle« Berufsgruppen ohne Beruf

beide Geschlechter

weiblich männlich

5

0%

2

3

Schulbesuch und Studium

162

6%

51

111

Lehr- und Ausbildungsverhältnisse

277

11 %

1

276

Hilfstätigkeiten

328

13 %

61

267

Arbeiter(innen)

405

16 %

24

381

handwerkliche Berufe

720

28 %

4

716

Angestellte

318

13 %

65

253

kaufmännische, selbständige und freie Berufe

210

8%

3

207

Beamte und Militär

66

3%

3

63

Funktionen in NS-Organisationen

35

1%

0

35

1

0%

1

0

2 527

*

215

2 312

Sonstige Angaben zum Beruf *

99 %

Abweichung von 100 aufgrund der gerundeten Prozentzahlen.

Quelle: BA Berlin, Warnkartei.

2 Hier auch die Angaben „d. Chr.“ bzw. „deutsche Christen“. 3 Je eine Angabe „freichr[istlich]“, „mennonitisch“, „ref[ormiert].

310

Tabelle 9: Soziale Herkunft in der Hitler-Jugend, 1938

Schüler kaufmännische Berufe technische Berufe landwirtschaftliche Berufe Jungarbeiter Studenten Lehrer sonstige Berufe ohne Beruf gesamt

Mitglieder

Führerschaft

21 % 5% 3% 23 % 42 % – – 6% –

16,4 % 25,5 % 8,7 % 3,4 % 20,9 % 5,9 % 5,4 % 11,3 % 2,5 %

100 %

Quelle: Buddrus, Totale Erziehung, S. 336, auf Grundlage von Kaufmann, Das kommende Deutschland, S. 45. Dort keine Differenzierung nach Geschlecht.

Tabelle 10: »Rassisch« begründete Entfernungen laut »Warnkartei« Deliktuntergruppe

»Warnfälle«

davon weiblich

männlich

Juden Kontakt mit Juden Nichtdeutsche Staatsangehörigkeit

574 13 19

95 % 2% 3%

164 7 10

29 % 54 % 53 %

410 6 9

71 % 46 % 47 %

gesamt

606

100 %

181

30 %

425

70 %

Quelle: BA Berlin, Warnkartei.

Tabelle 11: Chronologische Verteilung der »rassisch« begründeten Entfernungen Davon Nichtdeutsche

gesamt

Juden

Kontakt mit Juden

1933 1934 1935 1936 1937 1938 1939 nicht datiert

2 41 151 247 104 47 7 7

1 40 139 238 98 44 7 7

1 0 6 5 5 2 0 0

0 1 6 4 1 1 0 0

gesamt

606

574

19

13

Quelle: BA Berlin, Warnkartei. 311

Tabelle 12: Ausschlüsse und Ausscheiden 1933–1945 aufgrund von Sexualdelikten Quelle

Deliktuntergruppe

Warnkartei

männliche Homosexualität heterosexuelle Vergehen sittliche »Verwahrlosung« Delikte an Minderjährigen weitere Sittlichkeitsdelikte gesamt männliche Homosexualität »Sittlichkeit« gesamt

RB Sonderdruck

beide Quellen

»Warnfälle«

davon weiblich

männlich

918

62 %

0

0%

918 100 %

264

18 %

6

2%

258

98 %

224

15 %

77

34 %

147

66 %

40

3%

1

2%

39

98 %

36

2%

5

14 %

31

86 %

1 482 100 %

89

6%

1 393

94 %

31 %

0

0%

630 69 % 917 100 % 2 399

268 268 357

43 % 29 % 15%

287

287 100 % 362 649 2 042

57 % 71 % 85%

Quellen: BA Berlin, Warnkartei und RB Sonderdruck 35/41 K, 25.9.1941.

Tabelle 13: Chronologische Verteilung der Ausschlüsse aufgrund homosexueller Delikte Ausschluss 1933 1934 1935 1936 1937 1938 1939 1940 1941 1942 1943 1944 1945 nicht datiert »Warnfälle«

Warnkartei 0 73 149 295 231 133 24 0 0 0 0 0 0 13 918

RB Sonderdruck

beide Quellen 222

659

287

311

0

287

13 1 205

Quellen: BA Berlin, Warnkartei und RB Sonderdruck 35/41 K, 25.9.1941. 312

Tabelle 14: Ausschlüsse aufgrund von Disziplinlosigkeiten und Dienstvergehen, 1933–1945 Deliktuntergruppe

»Warnfälle«

Finanzielle Delikte Rufschädigung Befehlsverweigerung Betrug Meldungen anderer Organisationen Sonstige

657 146 254 56 44 19

56 % 12 % 22 % 4% 4% 2%

70 56 72 3 3 0

11 % 38 % 28 % 5% 7% 0%

587 89 % 90 62 % 182 72 % 53 95 % 41 93 % 19 100 %

1 176

100 %

204

17 %

972

gesamt

davon weiblich

männlich

83 %

Quelle: BA Berlin, Warnkartei.

Tabelle 15: Eigentumsdelinquenz als Ausschlussbegründung, 1933–1945 »Warnfälle«

davon weiblich

männlich

Diebstahl Raub Einbruch Urkundenfälschung Betrug Sonstige

685 11 66 67 67 42

73 % 1% 7% 7% 7% 5%

62 0 0 5 4 3

9% 0% 0% 7% 6% 7%

623 11 66 62 63 39

91 % 100 % 100 % 93 % 94 % 93 %

gesamt

938

100 %

74

8%

864

92 %

Quelle: BA Berlin, Warnkartei.

Tabelle 16: Ausschlüsse und Ausscheiden wegen Gewaltdelikten, 1933–1945 Quelle

»Warnfälle« davon weiblich

männlich

Warnkartei

Körperverletzung Mord Totschlag gesamt

21 47 % 9 20 % 15 30 % 45 100 %

0 1 3 4

0% 12 % 10 % 9%

21 100 % 8 88 % 12 80 % 41 91 %

RB Sonderdruck

»Gewalttat«

60 100 %

10

17 %

50

83 %

105 100 %

14

13 %

91

87 %

beide Quellen

Quellen: BA Berlin, Warnkartei und RB Sonderdruck 35/41 K, 25.9.1941. 313

Tabelle 17: Ausschlüsse und Ausscheiden wegen Abtreibungsdelikten, 1933–1945 Quelle Warnkartei

»Warnfälle« davon weiblich männlich vollendete Abtreibung versuchte Abtreibung Beihilfe gesamt

8 1 6 15

53 % 7% 40 % 100 %

8 1 1 10

100 % 100 % 17 % 67 %

0 0 5 5

0% 0% 83 % 33 %

RB Sonderdruck »§ 218«

21

19

90 %

2

10 %

beide Quellen

36

29

81 %

7

19 %

Quellen: BA Berlin, Warnkartei und RB Sonderdruck 35/41 K, 25.9.1941.

Tabelle 18: Einzel- und Sonderfälle als Ausschlussgründe, 1933–1945 »Warnfälle«

weiblich

männlich

Waffenvergehen Meineid, Beleidigung Verwahrlosung Einzeldelikte

3 5 11 9

11 % 18 % 39 % 32 %

0 0 0 0

3 5 11 9

gesamt

28

100 %

0

28

Quelle: BA Berlin, Warnkartei.

Tabelle 19: Ausschlüsse 1933–1945 aufgrund von Staats- und politischen Delikten »Warnfälle« Beleidigungen der Partei Verleumdungen Politische Haltung »Bündische Umtriebe« »Kommunistische Umtriebe« katholische Jugendorganisation Fremdenlegion, Logen Hoch- und Landesverrat Wehrkraftzersetzung sonstige gesamt Quelle: BA Berlin, Warnkartei. 314

weiblich

männlich

11 35 37 35 11 6 14 14 4 4

7% 23 % 25 % 23 % 7% 4% 9% 64 % 18 % 18 %

1 10 4 0 1 0 0 0 0 0

9% 29 % 11 % 0% 9% 0% 0% 0% 0% 0%

10 25 33 35 10 6 14 14 4 4

91 % 71 % 89 % 100 % 91 % 100 % 100 % 64 % 18 % 18 %

171

100 %

16

9%

155

91 %

Tabelle 20: Regionale Verteilung der überlieferten »Warnfälle«

HJ-Gebiet/BDM-Obergau

Ausschlüsse und Ausscheiden Warnkartei RB Sonderdruck beide Quellen

1 Ostpreußen 2 Mark Brandenburg 3 Berlin 4 Niederschlesien 5 Pommern 6 Nordmark 7 Nordsee 8 Niedersachsen 9 Westfalen 10 Ruhr-Niederrhein 11 Mittelrhein (Köln-Aachen*) 12 Westmark (Moselland*) 13 Hessen-Nassau 14 Kurhessen 15 Mittelland 16 Sachsen 17 Thüringen 18 Franken 19 Hochland 20 Württemberg 21 Baden 22 Bayrische Ostmark 23 Mittelelbe 24 Mecklenburg 25 Saarpfalz (Westmark) 26 Hamburg 27 Wien (ab 1938) 28 Niederdonau (ab 1938) 29 Oberdonau (ab 1938) 30 Steiermark (ab 1938) 31 Kärnten (ab 1938) 32 Salzburg (ab 1938) 33 Tirol-Vorarlberg (ab 1938) 34 Düsseldorf

143 3 % 113 2 % 495 11 % 149 3 % 193 4 % 84 2 % 154 3 % 124 3 % 301 6 % 429 9 % 201 4 % 109 2 % 343 7 % 71 2 % 86 1 % 340 7 % 163 3 % 210 4 % 130 3 % 159 3 % 139 3 % 72 2 % 150 3 % 85 2 % 106 2 % 43 1 % 44 1 % 5 0% 0 0% 5 0% 0 0% 1 0% 13 0 % 0 0%

*

121 75 162 246 85 110 90 61 83 30 28 37 72 18 55 107 154 124 63 177 237 78 38 39 5 53 19 13 12 32 22 8 38 65

4% 3% 6% 9% 3% 4% 3% 1% 3% 1% 1% 1% 3% 1% 2% 4% 6% 5% 2% 7% 9% 3% 1% 1% 0% 2% 1% 0% 0% 1% 1% 0% 1% 2%

264 188 657 395 278 194 244 185 384 459 229 146 415 89 141 447 317 334 193 336 376 150 188 124 111 96 63 18 12 37 22 9 51 65

4% 3% 9% 5% 4% 3% 3% 2% 5% 6% 3% 2% 6% 1% 2% 6% 4% 5% 3% 5% 5% 2% 3% 2% 1% 1% 1% 0% 0% 0% 0% 0% 1% 1%

Umbenennungen von Gebieten

315

Tabelle 20 (Fortsetzung):

HJ-Gebiet/BDM-Obergau 35 Sudetenland 36 Schwaben 37 Danzig-Westpreußen 38 Wartheland 39 Mainfranken 40 Oberschlesien 41 Osthannover (ab 1942/43) 42 Westfalen-Süd (ab 1942/43) Reichsbanne4 Ausland 5 Reichsjugendführung Gebietsangaben insgesamt

Ausschlüsse und Ausscheiden Warnkartei RB Sonderdruck beide Quellen 4 0 0 1 0 0 0 0 2 7 34

0% 0% 0% 0% 0% 0% 0% 0% 0% 0% 1%

30 38 8 4 11 3 0 0 0 23 22

1% 1% 0% 0% 0% 0% 0% 0% 0% 1% 1%

34 38 8 5 11 3 0 0 2 30 56

0% 1% 0% 0% 0% 0% 0% 0% 0% 0% 1%

4 708 97 %

2 696

95 %

7 404

100 %

Aufgrund der fehlenden Ortsangaben wurden die Verwaltungsausschlüsse nicht einbezogen.

Quellen: BA Berlin, Warnkartei und RB Sonderdruck 35/41 K, 25.9.1941.

4 Reichsbanne »Blinde«, »Binnenschiffahrt«, »Gehörgeschädigte«, »Seefahrt«. 5 Neben Vermerk »Ausland« oder »Gebiet Ausland« auch Meldungen einzelner auslandsdeutscher Hitler-Jugend-Organisationen, sofern sie (noch) nicht, wie zunehmend nach 1938, eigene HJ-Gebiete des »Großdeutschen Reiches« bildeten.

316

Abkürzungen AEL ADR AfS ANBl. AV BA BDC BDM CEH ChDtPol CVJM DAF DBO DFVO DJ DJD Dok. DV Fs. Gestapo GG GStA PK GWU HJ HStA HZ JADJB JFdDtR Jg./Jgn. JGG JHB jur. JWG (RJWG) JM IfZ KKJMV

Arbeitserziehungslager Akademie für Deutsches Recht Archiv für Sozialgeschichte Amtliches Nachrichtenblatt des Jugendführers des Deutschen Reiches und der Reichsjugendführung der NSDAP Allgemeine Verfügung Bundesarchiv Bestand des ehemaligen Berlin Document Center, jetzt Bundesarchiv Berlin Bund Deutscher Mädel (in der Hitler-Jugend) Central European History Chef der Deutschen Polizei Christlicher Verein junger Männer Deutsche Arbeitsfront Disziplinarstraf- und Beschwerdeordnung (der SS) Durchführungsverordnung Deutsches Jungvolk (in der Hitler-Jugend) Das junge Deutschland Dokument Dienstvorschrift der Hitler-Jugend Festschrift Geheime Staatspolizei Geschichte und Gesellschaft Geheimes Preußisches Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz Geschichte in Wissenschaft und Unterricht Hitler-Jugend Hauptstaatsarchiv Historische Zeitschrift Jahrbuch des Archivs der Deutschen Jugendbewegung Jugendführer des Deutschen Reiches Jugendgenosse/Jugendgenossin Jugendgerichtsgesetz Jahrbuch für historische Bildungsforschung Juristisch Reichsgesetz für Jugendwohlfahrt Jungmädel (in der Hitler-Jugend) Institut für Zeitgeschichte, München Kriegs(bedingt) Katholischer Jungmännerverband

317

KJVD KLV KPD KL/KZ LKPA MB Napola/NEPA NS NSDAP NSKK NSRB NSV OLG OPG PartG PO PolVO PÜ RAD RAG RAVAV RB Rdschr. RFSS RJF RJGG RJWG/JWG RJM RG RGBl. RKPA RL RM RMdI RMWEV ROL RSHA RStGB SA SchEO SD SS StA StGB SRD TAJB u. d. T.

318

Kommunistischer Jugendverband Deutschland Kinderlandverschickung Kommunistische Partei Deutschlands Konzentrationslager Landeskriminalpolizeiamt Mädelbund (in der Hitler-Jugend) Nationalpolitische Erziehungsanstalt Nationalsozialismus, nationalsozialistisch Nationalsozialistische Deutsche Arbeiter-Partei Nationalsozialistisches Kraftfahrkorps Nationalsozialistischer Rechtswahrerbund Nationalsozialistische Volkswohlfahrt Oberlandesgericht Oberstes Parteigericht der NSDAP Gesetz über die politischen Parteien Politische Organisation (der NSDAP) Polizeiverordnung Personalamt-Überwachung (der Reichsjugendführung) Reichsarbeitsdienst Reichsarbeitsgemeinschaft für Jugendbetreuung Reichsanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung Reichsbefehl der Reichsjugendführung der NSDAP Rundschreiben der NSDAP-Reichsjugendführung Reichsführer SS Reichsjugendführung/Reichsjugendführer der NSDAP Reichsjugendgerichtsgesetz Reichsgesetz für Jugendwohlfahrt Reichsminister/Reichsministerium der Justiz Reichsgesetz Reichsgesetzblatt Reichskriminalpolizeiamt Reichsleitung/Reichsleiter der NSDAP Reichsminister/Reichsministerium Reichsminister/Reichsministerium des Inneren Reichsministerium für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung Reichsorganisationsleiter/Reichsorganisationsleitung (der NSDAP) Reichssicherheitshauptamt Reichsstrafgesetzbuch Sturmabteilung Schieds- und Ehrengerichtsordnung (der SS) Sicherheitsdienst des Reichsführers SS Schutz-Staffel Staatsarchiv Strafgesetzbuch für das Deutsche Reich Streifendienst der Hitler-Jugend Tel Aviver Jahrbuch für deutsche Geschichte Unter dem Titel

USchlA VHB VO VOBl. VfZ ZfG ZGSRW ZNR

Untersuchungs- und Schlichtungsausschuss Vorschriftenhandbuch der Hitler-Jugend Verordnung Verordnungsblatt der Reichsjugendführung (Hitler-Jugend) Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte Zeitschrift für Geschichtswissenschaft Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft Zeitschrift für neuere Rechtsgeschichte

319

Quellen- und Literaturverzeichnis

Unveröffentlichte Quellen Bundesarchiv Berlin (BA Berlin) NS 1 (Reichsschatzmeister der NSDAP) 427, 428, 510, 670, 760, 785, 1116–1118, 2298, 2542 NS 4 (Konzentrationslager) Anhang 41, 42 NS 7 (SS- und Polizeigerichtsbarkeit) 181, 235 NS 19 (Persönlicher Stab Reichsführer SS) 844, 2744 NS 20 (Kleine Erwerbungen NSDAP) 138 (Unterlagen Jutta Rüdiger) NS 26 (Hauptarchiv der NSDAP) 338, 346, 347, 351, 359 NS 28 (Reichsjugendführung der NSDAP) 30–32, 45, 51–55, 71, 81, 82, 101, 126 NSD 41 (Druckschriften der SS) NSD 43 (Druckschriften der Hitler-Jugend) R 3001/alt R 22 (Reichsministerium der Justiz) 941, 955, 963, 970, 1157–1159, 1165, 1174–1180, 1183, 1185, 1189, 1191, 1195–1197, 1206, 1226, 1305–1307, 1462, 2952, 3379, 5007, 5008, 5016 R 43/II (Reichskanzlei) 512, 514, 515, 515 a, 522a, 522b, 525, 525a, 3534 R 58 (Reichssicherheitshauptamt) 149, 152, 240, 242, 243, 254, 261, 267, 451, 473 Sammlung Schumacher Nr. 380 Warnkartei der Hitler-Jugend BDC-Bestände: Parteikorrespondenz, Oberstes Parteigericht, NSDAP Mitgliederkartei

Bundesarchiv Koblenz (BA Koblenz) Plakatsammlung

Institut für Zeitgeschichte, München (IfZ) Db 23.10, Db 44.02, Db 44.06, Db 44.19, Db 44.22, Db 44.32, Db 44.34, Db 44.55, Db 44.63, Dc 17.02 ED 156/3, ED 349 (Sammlung Heinrich Muth), ED 444 (Sammlung Ilse Braune) F 37/3 1936–39, Fa 88/Fasz. 339, Fa 91/3, Fa 119, Fa 120–122, Fa 199/44, Fa 204, Fa 298, Fa 503, Bd. 1,2 Ms 356, Ms 696

Geheimes Preußisches Staatsarchiv, Preußischer Kulturbesitz Berlin (GStA PK Berlin) I. HA Rep. 90 A Staatsministerium Jüngere Registratur, Nr. 2256

320

Nordrhein-Westfälisches Hauptstaatsarchiv Düsseldorf (HStA Düsseldorf) Bestand RW 58, Personalakten der Geheimen Staatspolizei, Staatspolizeistelle für den Regierungsbezirk Düsseldorf. Bestände der Polizei- und Sicherheitsdienststellen 1933–1945, insbesondere der Gestapo(leit)stellen Aachen, Düsseldorf und Köln mit ihren nachgeordneten Dienststellen

Staatsarchiv Augsburg (StA Augsburg) Bestand NSDAP Gau Schwaben und Gliederungen: BDM-Obergau Schwaben; HitlerJugend-Gebiet Schwaben; Banne und Untergaue im Hitler-Jugend-Gebiet und im BDM-Obergau (Hitler-Jugend-Banne Allgäu, Augsburg-Stadt, Günzburg, Memmingen, Wertach; BDM-Untergaue Günzburg, Nördlingen)

Veröffentlichte Quellen Anonym, HJ im Rechtsleben der Nation, in: Deutsche Justiz, Jg. 97, 1935, S. 76f. –, Die neue Disziplinarordnung der HJ, in: DJD, Jg. 30, 1936, H. 12, S. 41f. –, Juristische Rundschau, in: Deutsche Juristen-Zeitung, Jg. 41, 1936, H. 24, S. 148f. –, Arbeitsgemeinschaft für Jugendbetreuung, in: DJD, Jg. 35, 1941, H. 11, S. 265– 268. –, Die Jugenddienstpflicht, in: DJD, Jg. 36, 1942, H. 5, S. 97–100. Axmann, A., Das modernste nationalsozialistische Erziehungsmittel, in: DJD, Jg. 34, 1940, H. 12, S. 277ff. –, Zum Jugendstrafrecht, in: DJD, Jg. 33, 1939, H. 3, S. 97. – (Hg.), Hitlerjugend 1933–1943. Überblick über ein Jahrzehnt, in: DJD, Jg. 37, 1943, Nr. 1/2, S. 1–64. Baaden, F., Jugendverfassung und Jugenddienstpflicht, Berlin 1943 (Schriften zum Jugendrecht, hg. v. W. Siebert, F. Schaffstein, F. Wieacker; Bd. 4). Bartel, Otto Ernst, Der Kriegseinsatz der Hitler-Jugend, Berlin 1944 (Schriften zum Jugendrecht; Bd. 6). Beneke, Gebietsrechtsreferent Gf., Zuwiderhandlungen gegen die Jugenddienstpflicht und deren Erzwingung. Anweisungen für die Führer und Führerinnen der HitlerJugend, Weimar o. J. [1942]. Bergemann, W., Die Zusammenarbeit zwischen Justiz und Hitler-Jugend, in: Deutsches Jugendrecht, 1941, H. 1, S. 38–46. Boldt, G., Um den Jugendarrest, in: ZGSRW, Jg. 59, 1940, S. 336–359. Boldt, H. (Bearb.), Gefahrenquellen für die Jugend. Erläuterungen zu den neuen Polizeiverordnungen. Erläutert v. H. Vornefeld, K-Hauptabtl. im Sozialen Amt der RJF, Berlin 1940 (Das Recht der Jugend, hg. i. A. des Sozialen Amtes der RJF v. Obf. H. Boldt; H. 1). Brieger, S., Die Erziehungsbeihilfe im Lehrverhältnis, Berlin o. J.3 [zuerst 1941] (Schriften zum Jugendrecht; Bd. 3).

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355

Register 1. Personenregister Arendt, Hannah 14, 37, 39, 89, 297 Aßhauer, Hilde 117, 122 Axmann, Artur 26, 42, 50, 81f., 203, 213, 228f., 232f., 243, 259, 273, 285, 287 Baum, Herbert 211 Bauman, Zygmut 36 Bender, Horst 75 Berger, Georg 96 Bock, Gisela 14–17 Boldt, Heinrich 101f. Bormann, Martin 145, 184, 222, 241 Bouhler, Philipp 154 Block, Nils 27 Brandt, Günther 68f. Broszat, Martin 43 Buch, Walter 72, 119, 133, 142, 155 Buddrus, Michael 22, 28, 130, 164 Bürkner(-Mohr), Trude 42, 47, 209 Clostermann, Ludwig 85, 212, 225, 250f. Creifeld (RJM) 249 Curschmann, Heinrich Ferdinand 69, 72 Dahm, Georg 68 Dietze, Hans-Helmut 50, 65f., 71f. Düppe, Herwarth 179 Ebert (Staatssekretär) 113, 143 Eichler, Johannes 223 Essner, Cornelia 281 Foucault, Michel 16–18, 136, 159, 301 Fraenkel, Ernst 26, 33f. Frank, Hans 58, 73, 80f. Frei, Norbert 12 Freisler, Rudolf 50, 80f., 84f., 113, 215, 217, 224, 229, 239, 278

356

Gellately, Robert 27 Gert, Benno 244 Giesecke, Hermann 25 Goebbels, Joseph 44 Goldmann, Theo 114, 146 Göring, Hermann 240 Grass, Günter 26 Greiner (Streifendienst) 130 Grimm, Jakob und Wilhelm 14 Gruber, Kurt 93 Hauriou, Maurice 58 Hellfeld, Matthias von 190 Heuser, Edmund 130, 234 Heußler, Wilhelm 51f., 136f. Heydrich, Reinhard 178, 240 Hess, Werner 132, 212, 218 Heß, Rudolf 44, 147, 159, 184, 292 Hilberg, Raul 297 Hille (Staatsrat) 124 Himmler, Heinrich 74, 125, 203, 239, 243, 263, 272, 274 Hitler, Adolf 43f., 49, 155, 170, 199f., 207, 209, 233, 283, 285, 287 Hofmann, Hasso 56 Höhn, Reinhard 34, 60 Huber, Ernst Rudolf 60 Illgner (Wirtschaftsministerium)

247

Jellonnek, Burkhard 170 John, Heinz Hugo 96, 101–103, 109, 111, 113, 123, 126, 133, 135, 143f., 146f., 149, 152, 154, 156f., 184, 187, 190, 195 Kaltenbrunner, Ernst 233f., 243f. Kater, Michael H. 24 Kebbedies, Frank 28, 246

Keller, Christian 99, 103 Kenkmann, Alfons 28, 164 Klare, Rudolf 169, 172 Klaus, Martin 277 Klein, Emil 127, 147, 151 Klemer, Gerhard 85, 145, 220, 223, 238, 241, 249f., 256, 262 Klotz, Adolf 93, 131 Klönne, Arno 23, 190 Knöpke, Horst 182 Knopp, William 171, 242, 268 Köbel, Eberhard 216 Koellreutter, Otto 60 Kümmerlein, Heinz 81, 145f., 220, 222– 225, 229, 249–251 Kurth, Hans 178 Krajewski, Markus 108 Lämmermann, Karl 156, 170 Lauterbacher, Hartmann 49, 114, 123f., 183, 206f., 209 Lenk, Gustav Adolf 91 Lerche (Bannführer) 47 Lepsius, Oliver 58 Ley, Robert 45, 103, 293 Liszt, Franz von 76 Lösener, Bernd 284 Loose, Alfred 182 Lüer, Heinrich 101, 114, 124f., 128, 132, 175, 180 Luther, Martin 58 Mäding, Erhard 283 Mann, Erika 23, 199 Mannheim, Karl 208 Marrenbach, Otto 103, 166 Marquard-Ibbeken (RJM) 223 Mason, Timothy 208 Maus, Wilhelm 140 McKale, Donald 27 Meuter, Günter 57 Miles, Robert 17 Möckel, Helmut 203, 214f., 217, 241, 295 Mommsen, Hans 35 Müller, Albert 242, 264, 286 Müller, Ludwig 160 Müller, Tobias 62 Mussolini, Benito 58 Neeße, Gottfried

40, 83

Neun (Bannführer) 121 Nilli, Fritz 209 Nolzen, Armin 28 Oberndorfer, Georg 102 Oberwittler, Dietrich 79 Oelbermann, Robert 173 Orwell, George 255 Ostermann, H. 143, 149 Peukert, Detlev 36, 70 Pfeffer, Franz von Salomon Pfleumer, Ilse 260 Pfundtner, Hans 283 Picker, Henry 136, 140 Preuß, Ulrich 61

93

Randel, Edgar 205, 287 Raphael, Lutz 35 Reeder, Eggert 293 Reese, Dagmar 24 Rehn, Erwin 245f. Reichel, Peter 122 Reinecke, Hermann 267, 274 Rempel, Gerhard 28, 164 Ritter, Robert 244f. Romani, Santo 58 Rosenberg, Alfred 141 Rüdiger, Jutta 26, 47, 130, 158, 171, 209, 260f., 263, 272 Rüthers, Bernd 60 Ruppert, Fritz 249, 251 Schäfer, Ernst 171f., 177 Schaffstein, Friedrich 68f., 80f., 83, 85 Schirach, Baldur von 26, 42–44, 46, 51, 66, 81f., 84, 95, 114, 119, 122f., 134, 159, 170, 173, 203, 209, 252, 288, 290 Schlegelberger, Franz 223 Schneider, Peter 61 Schneider (OPG) 147 Schmitt, Carl 54–67, 71, 89, 119, 283, 299 Scholl, Hans 122 Scholl, Sophie 26 Schroeder, Otto 242, 256 Schwarz, Franz Xaver 99, 102, 184, 287 Siebert, Wolfgang 81, 83 Sieverts, Rudolf 80, 270, 273 Sottler (OLG München) 145

357

Suchomel, Hugo 233 Staab, Else 289 Stolleis, Michael 57, 62 Stuckart, Wilhelm 33, 36 Tetzlaff, Walter 75, 80–82, 140, 151, 171f., 174, 223, 238, 262 Theilen, Fritz 293 Thierack, Otto Georg 82, 233, 243, 263 Thimel, Friedrich 144, 161f. Toberentz, Lotte 275 Topp, Rena-Maria 269f. Verhey, Geoffrey

33

Wackermann, Kurt 222 Walser, Martin 26

358

Wagner, Richard 183 Wagner, Wieland 183 Wagner, Winifred 183 Wagner, Wolfgang 183 Weimann, Gretel 271 Wessel, Horst 97 Westenburger, Herbert 105 Westphal, Carl 101f. Werner, Paul 111, 146, 244, 251, 275 Wieacker, Franz 81 Wildt, Michael 33f., 36 Wolf, Christa 26 Wolff (Pfarrer) 162 Wolff, Jörg 86 Wurth, Otto 180 Zahn (Pfarrer)

183

2. Sachregister Aufgrund der häufigen Nennungen werden die Stichwörter »Hitler-Jugend« und »Reichsjugendführung« nicht für die Verweise auf die Gesamtorganisation aufgenommen. Abiturientenerlass 293 Abstammungsnachweis 96 Abtreibung 188, 196, 218–220 Adolf-Hitler-Schule 25, 255 Adventisten-Gemeinde 203f. Ächtung 75 Ahnentafel 96 Akademie für Deutsches Recht 19, 42, 59, 76, 80, 83, 85, 144, 213, 228, 244, 248, 300 Akademie für Jugendführung 113 Antisemitismus, antisemitisch 13, 15, 57, 186, 192, 284 Amnestie 154f., 186, 189 Amtliche Strafrechtskommission 85, 171 Arbeiterbewegung 24 Arbeitsdisziplin, »Arbeitsbummelei«, »Arbeitsverweigerung«, »arbeitsscheu« 67, 222, 237, 242, 275, 296 »Arbeitserziehungslager« (AEL) 237f., 275, 296 Arbeitshaus 176 Arbeitswissenschaftliches Institut der DAF 107 »Ariernachweis« 96, 98 »Arisch« 45, 87, 188, 199, 294, 303 »Asozial/e/r« 104, 169, 176, 214, 232, 238f., 252, 266, 270, 275 »Asozialenverfolgung« 239, 266, 276, 302 Ausländer 97, 245, 261, 268, 272, 281 Ausschließungspraxis 17 Ausschluss, Entfernungsstrafe, siehe auch HJDisziplinar-/Dienststrafe 14, 21, 23, 26, 34, 75, 91–93, 95f., 103, 110, 122, 124, 136, 146, 148, 150f., 154–156, 158–167, 172–186, 190–197, 213, 215, 217–224, 226f., 234, 237, 244, 246, 248, 259, 273, 278–280, 287f., 290, 294–296, 298, 303, 305 Ausschuss für Jugendrecht der Akademie für Deutsches Recht 19, 80f., 83, 85, 144, 213, 227f., 248 Auswärtiges Amt 192

Bayerische Politische Polizei 124, 144 BDM-Amtsreferentin 250 BDM-Einsatzdienst 130, 261 BDM-Führerin, »Mädelführerin«, siehe auch HJ-Führerkorps 17, 22, 96, 114, 133f., 167f., 171, 182f., 207f., 257, 259–261, 271, 273, 286, 288, 290, 296, 302 BDM-Gerichtsbarkeit 212, 260 BDM-Reichsreferentin 26, 47, 119, 130, 209, 261, 263, 272 BDM-Werk Glaube und Schönheit 47f., 51 Bekennende Kirche 160 Bewahrungsgesetz, siehe Gesetz über die Behandlung Gemeinschaftsfremder Bewegung, Massenbewegung 37, 76, 91, 94f., 186, 299 – nationalsozialistische 19, 32f., 36, 38, 41, 43f., 60–62, 71, 73, 75, 89, 99, 116, 120, 132f., 137, 140f., 147, 153, 174, 184, 190, 197, 282, 286, 289 – totalitäre 37 Biomacht 16, 19 »Blutschutzgesetz«, siehe Gesetz zum Schutz des deutschen Blutes und der deutschen Ehre 202, 264, 280 Bündische Jugend, »bündisch« 24, 47, 104f., 119, 122, 125f., 150, 171–173, 175, 177, 180f., 190f., 216, 224, 232f., 295 Bund Deutscher Mädel (BDM) 39, 47f., 92, 96, 98, 101, 109, 113, 116–122, 129– 131, 156, 158, 166f., 173, 182, 194, 203, 206, 212, 221, 235, 238, 257–276, 284, 289, 292, 295 Bund Nationalsozialistischer Deutscher Juristen 60, 68 Chaos 56f., 66, 74, 88 Chef der Deutschen Polizei 105, 125, 206, 224, 234f., 239, 243, 250, 274 Chef der Kanzlei des Führers, siehe auch Kanzlei des Führers 154 »Clique«, »Cliquenbildung«, Jugendbande 24, 26f., 169, 223, 231–233, 238, 242, 256 CVJM 180

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Desertion, Fahnenflucht, siehe auch Wehrdienstentziehung 247 Deutscher Arbeiterverein 94 Deutsche Arbeitsfront (DAF) 67, 145, 148, 178, 268, 293 Deutsche Christen 183 Deutsche Freischar 172, 185 Deutsche Glaubensbewegung 160 Deutsche Informationsstelle 83 Deutsche Vereinigung für Jugendgerichte und Jugendgerichtshilfen 211 Deutscher Gemeindetag 38 Deutscher Jugendverlag 182 Deutscher Juristentag 36, 80, 83 Deutsches Institut für Jugendhilfe 83 Dezisionismus, dezisionistisch 55f., 58–62, 66 Dienstordnung siehe HJ-Dienstordnung Disziplin 12, 56, 63f., 117, 119–121, 123, 136, 233, 254, 305 Disziplinargewalt 18, 70, 133, 147, 159, 184, 300f. – kleine/niedrige 133, 136, 149, 212, 259 – mittlere 133, 136, 139, 149, 212, 259 – große/höhere 133f., 147, 151, 154, 156f., 226f., 240 Disziplinargerichtsbarkeit, siehe auch HJGerichtsbarkeit, Parteigerichtsbarkeit 63f., 69, 128, 144, 150, 154, 300 Disziplinarmittel, Disziplinarmaßnahmen 177, 200, 229, 236, 239f., 248f., 251, 261 Disziplinarordnung, disziplinarische/disziplinarrechtliche Ordnung, siehe auch HJ-Disziplinarordnung 48, 53f., 63, 76, 199 Disziplinarrecht, Disziplinarstrafrecht, siehe auch HJ-Disziplinarrecht 55, 58, 63–65, 68–72, 89f., 141, 148, 187, 287, 300 Disziplinarstrafe siehe Ausschluss, HJ-Disziplinarstrafe Doppelstaat 33 Edelweißpiraten 24, 26, 222 »Ehre«, Ehrbegriff, Ehrenhaftigkeit, siehe auch »Geschlechtsehre« 56, 63f., 68f., 71– 74, 89, 122, 136–142, 148, 152f., 159, 162, 196, 226, 255, 262f., 278–280, 283, 300f. Ehrendienst 139, 204f., 213, 288

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Ehrengerichtsbarkeit, ehrengerichtlich 63, 67, 69, 71, 147, 282 Ehrenrecht 58, 68, 72–75, 85, 89, 148, 214, 249, 278, 300, 305 – bürgerliche Ehrenrechte 74 Ehrenschutz 68, 126, 140, 189 Ehrenstrafe, Ehrenstrafrecht 68f., 71, 73f., 122, 136–138, 141, 144, 149, 159, 162, 196, 226, 230, 261, 279, 298, 301 Erbgesundheit, erbgesund 97, 188 Erbgesundheitsgericht 249 Erweiterte Kinderlandverschickung 237, 256 Erziehung, Jugenderziehung 23, 49, 76–78, 82, 85–89, 116, 118, 135–137, 146–148, 153f., 157, 159, 174, 196, 203, 206, 211, 213f., 219, 228, 231, 233, 242, 249, 255, 258, 267, 278–280, 284f., 290, 298, 300f. Erziehungskartei, gerichtliche 248–252, 300 Erziehungsmaßregel, Erziehungsmittel, siehe auch Zuchtmittel 65, 94, 144, 146, 227f., 237, 247, 251 Erziehbarkeit, Erziehungsfähig(keit) 79, 85, 88, 157, 214, 224, 239, 243, 245, 277, 296f. Emanzipation 25, 258 Evangelische Kirche, siehe auch Kirche 165, 183 Evangelisches Jugendwerk 159 Falken, die 25 Ford-Werke 293 Fortschritt Fabriken GmbH 99 Führer, der, siehe auch Hitler, Adolf 40, 230 Führer, siehe HJ-Führer Führerausbildung, Führungsnachwuchs 25, 290 Führerkartei der Hitler-Jugend 109 Führerprinzip, Führergrundsatz 59, 61f. Führerschule der Hitler-Jugend 170, 193f. Freimaurer 97, 192 Fremde, »Fremdblütige«, »Fremdvölkische«, siehe auch Ausländer 210, 262f., 281 Fremdenlegion, Fremdenlegionär 97, 192f. Gemeinschaft 11, 17, 32f., 53, 56–58, 61–63, 65f., 70–73, 75, 82, 87, 95f., 116, 119f., 136–139, 141, 152f., 159, 196, 213,

221f., 224, 238, 245, 252, 258, 264f., 279, 298f. – konkrete 283 – »rassische« 278 – völkische 33f., 60, 262f., 277, 279, 297 – vorgestellte 13 – Blutgemeinschaft 32, 70, 136 – Lebensgemeinschaft 32 – Rechtsgemeinschaft 32, 70 – Sozialgemeinschaft 32, 46 Gemeinschaftserziehung 116, 118, 136, 144, 273, 277, 300 »Gemeinschaftsfähig(keit)« 238f., 246, 277f., 297 »Gemeinschaftsfremd«, »gemeinschaftsfeindlich«, »gemeinschaftsunfähig«, »gemeinschaftswidrig« 215f., 224, 238f., 242, 244, 295, 303–305 Gemeinschaftsrecht, Gemeinschaftsdenken 53, 58, 68, 70–72, 82, 88f., 136, 283, 300 Generalbevollmächtigter für den Arbeitseinsatz 273 Generation, Generationenkonzept 24f., 41f., 209 Geschichtswissenschaften 24, 55 »Geschlechtsehre, weibliche« 262–265, 302 Gesetz gegen heimtückische Angriffe auf Staat und Partei und zum Schutz der Parteiuniformen, siehe auch »Heimtücke« 110, 140, 189, 234, 245, 295 Gesetz gegen Straßenraub mittels Autofallen 187 Gesetz über den Auf bau der Wehrmacht (Wehrgesetz) 50, 217, 288 Gesetz über die Behandlung Gemeinschaftsfremder 215, 243 Gesetz über die Hitler-Jugend (»Staatsjugendgesetz«) 43, 48–50, 83, 100, 132, 199, 202, 204, 213f., 282, 288, 294 Gesetz zur Ordnung der nationalen Arbeit 67 Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses 97 Gesetz zur Sicherung der Einheit von Partei und Staat 48f., 67, 113, 149 Gesetz zum Schutz des deutschen Blutes und der deutschen Ehre (»Blutschutzgesetz«) 202, 264, 280

Gestaltungsdenken, konkretes, siehe auch Ordnungsdenken, konkretes 54–56, 58, 60, 63, 66 Gestapo, staatspolizeilich, geheimpolizeilich 22, 104f., 111, 114, 126, 128, 140f., 150f., 153, 160–162, 166f., 176–181, 192– 194, 202, 218, 224, 234, 239, 241, 246, 250, 288, 302 »Gewohnheitsverbrecher« 252 Gliederung der NSDAP, Parteigliederung 27–29, 38, 45, 50, 101–103, 106, 113, 140, 144, 147, 157f., 173f., 195, 199, 224, 285, 288, 291f. Jude, jüdisch, siehe auch »Mischling(e)« 11, 23, 57, 87, 98, 105f., 127, 147, 192, 194, 196, 201f., 228, 265, 267, 269, 272, 281, 284, 294 Jugend, Jugendbegriff, Jugendlichkeit, Jugendkonzept 23–25, 28, 39–46, 49, 51, 53, 67, 76–78, 82, 87, 89, 112, 115, 120, 129, 135, 143, 190, 210, 252f., 256, 272, 276, 283–285, 300 Jugendamt, siehe auch Jugendpflege 104, 144, 149, 193, 211, 223, 243, 250, 273 Jugendarbeitsrecht 81, 83, 87 Jugendarrest 80, 227–230, 240, 247, 262 »Jugendbetreuung« 240–242, 246, 250, 304 Jugendbewegung 11, 24, 78, 115, 122, 135, 285 – bürgerliche 115, 285 – Großdeutsche 91 – konfessionelle 190, 252 – nationalsozialistische 136, 146 Jugendbund der NSDAP 91f., 95 Jugenddienstarrest 226f., 229f., 239f., 261f., 303f. »Jugenddienstpflicht«, Jugenddienstrecht, Jugenddienstverordnung 40, 48, 81, 83, 121, 132, 139, 199–207, 210, 213, 215, 224–226, 234, 239, 242, 280, 282f., 287, 293, 300, 303 »Jugenddienstwürdigkeit« 24, 246, 286, 289 »Jugenddienstunwürdigkeit«, siehe auch »HJUnwürdigkeit« 213f., 217, 222 Jugendfilmstunde 44 Jugendforschung, historische 32, 190

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Jugendführer/innen, siehe auch BDM-Führerin, HJ-Führer 13, 302 Jugendführer des Deutschen Reiches 46, 48f., 101, 113, 183, 200, 203f., 214f., 223–226, 235, 243, 274 Jugendfürsorge, Fürsorgeerziehung, Fürsorgemaßnahmen, Fürsorgeanstalt, Fürsorgezögling, siehe auch Jugendpflege 27, 76–79, 81, 105, 157, 168, 176, 194, 211, 213f., 219, 241, 265f., 273f., 278, 296, 303 »Jugendgefährdung«, Gefährdung von Kindern und Jugendlichen 210, 216, 231, 234, 237, 246f., 255f. Jugendgefängnis, Jugendgefängnisstrafen 213, 229, 238, 244f., 292, 295 Jugendgericht, Jugendgerichtsbarkeit, siehe auch Jugendrichter, Jugendstaatsanwalt 76, 79, 146, 186, 212, 219, 221, 248f., 289, 300 Jugendgerichtsbewegung 76, 82, 84, 87, 228 Jugendgerichtsgesetz 13, 65, 77–79, 86f., 144 Jugendhilfe der NSV 104, 145, 223, 250, 303 Jugendkriminalität 22, 27, 81, 166, 186, 208, 211, 222, 231, 234, 243, 247, 255, 269 Jugendkonzentrationslager 27, 243, 250, 274, 289, 295, 303 Jugendkultur, jugendliche Subkultur 24, 28, 122 Jugendpflege, Jugendpflegerecht 77, 79–81, 83, 104, 112, 146, 195, 223f., 252, 278 »Jugendschutzlager«, polizeiliche, Jugendbewahrungslager 214f., 237, 240, 243– 247, 274f., 295f. – Moringen 27, 243–245, 274f. – Uckermark 27, 243, 259, 274f., 295 Jugendstrafe 221, 227, 247, 249, 300 Jugendstrafrecht, Jugendstrafrechtspflege, Jugendstrafvollzug, Jugendstrafverfahren 27, 69, 76f., 79–81, 83–86, 144, 146, 149, 212, 214, 216f., 220, 222, 224, 228, 244, 249f., 252, 278 Jugendstrafrechtsprivileg 88, 295 Jugendrecht, Jugendrechtsdiskurs 11, 19, 23, 28, 53, 65, 75–84, 88–90, 138, 146f., 222, 228, 248, 254, 275, 290, 299f.

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Jugendrichter 84, 144–146, 302 Jugendstaatsanwalt 145f. Jugendverbände, Jugendgruppen 27, 40, 50f., 64f., 100f., 114, 123, 126, 197, 211, 269 – evangelische 160 – illegale, oppositionelle 191, 211, 269 – jüdische 126, 211 – katholische 24, 50, 100, 127f., 184, 191 – konfessionelle 24, 127f., 175, 183f. »Jugendverführer«, siehe auch Verführer 129, 175, 177, 179f., 210 Jugendwiderstand, Widerstandskämpfer 24, 122, 211 Jugendwohlfahrtsgesetz 77–79 Jungmädel(bund) ( JM) 39, 47, 49f., 97f., 116f., 120, 131, 168, 257 Jungvolk (DJ) 39, 47, 49f., 116f., 120, 122f., 125, 132, 134, 172–174, 177f., 180, 185, 193, 293 Justiz, Justizapparat, siehe auch Reichsministerium der Justiz 18, 53, 71, 79, 84, 113, 143f., 146, 149, 167, 210, 215, 223, 225, 229, 233, 236, 239, 246, 265, 275f., 292, 302–304 »Haltung der weiblichen Jugend« 242, 273 »Heimtücke«, »heimtückisch«, siehe Gesetz gegen heimtückische Angriffe auf Staat und Partei und zum Schutz der Parteiuniformen Herrenmensch 119 Herrschaft – nationalsozialistische 12, 35, 57 – totale, totalitäre 37, 39, 297 Hitler-Jugend, (NS-)Jugendorganisation, Jugendverband, siehe auch Reichsjugendführung – allgemeine Hitler-Jugend, »PflichtHitler-Jugend« 199f., 202 – Marine-HJ 191, 245 – »Stamm-Hitler-Jugend« 199f., 202, 286 Hitler-Jugend-Bewegung 92f., 117 Hitler-Jugend-Heime 126 Hitler-Jugend-Kartei 99 HJ-Befehlsstelle Kiew 248 HJ-Dienstordnung, Dienstordnung 117, 134, 155, 305

HJ-Dienststrafordnung, Dienststrafordnung 132f., 139, 154, 200, 204, 226, 237, 239, 258, 301 HJ-Disziplinarordnung, Disziplinarordnung 120, 131–136, 139, 152, 154, 156, 159, 165, 173, 200, 204, 236f., 258, 288, 301 HJ-Disziplinarrecht 19, 36, 53, 76, 81–83, 85, 114, 148, 157, 214, 252, 254, 262, 276, 278–280, 284, 294, 298f., 305 HJ-Disziplinarstrafe, Dienststrafe, siehe auch Ausschluss 155, 159, 164, 181, 195f., 216, 220, 222f., 244, 300, 303f. HJ-Feuerwehrscharen 234 HJ-Führer, Führerkorps, Führerschaft, siehe auch BDM-Führerin 17, 20, 47, 53, 60, 66, 85, 96, 103, 112, 115, 118, 120, 123, 131, 133f., 138, 156, 166f., 170f., 174, 176, 179, 181–183, 186f., 194f., 201, 204–208, 218, 220f., 233, 235f., 241, 244, 247, 250, 255, 277, 287f., 290f. HJ-Gericht, Disziplinargericht 101, 143, 149, 154, 157, 175f., 179, 185, 220, 224, 230, 245f. HJ-Gerichtsbarkeit, siehe auch Reichsjugendführung, Amt für HJ-Gerichtsbarkeit 81, 114, 143–147, 151–156, 163, 175, 181, 186, 209, 214, 218, 220–224, 226f., 229f., 238, 243, 246, 248, 250, 257, 259f., 262, 278, 294, 300f., 303f. HJ-Obergericht 21, 113, 143, 147, 151, 153f., 156, 181, 185, 218, 222 HJ-Oberrichter 113, 134–136, 143, 155, 187, 190, 212 HJ-Richter, Disziplinarrichter 84, 133f., 143, 145, 149, 151, 156, 159, 172, 212, 218, 227, 260, 262, 276, 302 HJ-Streife 234f., 239, 303 HJ-Streifendienst 21, 28, 105, 110f., 114, 117, 149, 123–131, 167, 175, 190f., 221, 225–227, 231f., 234–237, 239, 243, 245, 248, 252, 254f., 261, 268, 270–273, 277, 301–303 »HJ-Unwürdigkeit«, siehe auch »Jugenddienstunwürdigkeit« 213f., 216 Hochverrat 75, 191f., 211, 295 Homosexualität, homosexuelle Handlungen 101, 115, 150f., 164, 167–181, 190, 193, 195f., 219f., 232, 242, 247, 255f., 259, 262, 269, 302, 304 – weibliche 169, 171f., 276

Kanzlei des Führers, siehe auch Chef der Kanzlei des Führers 202f. Kameradschaft 42, 116f., 120, 136, 139f., 150, 153, 176, 185, 302 »Kameradschaftlichkeit der Geschlechter« 118, 258 Kastration, Entmannung 176f., 180 Katholische Kirche 127, 165 Katholischer Jungmännerverein (KJMV) 191 »Kieler Schule« 68 Kinderbeihilfe 294 Kirche, kirchlich 69, 165, 184, 189f. Klasse, Klassenbewusstsein 37, 42, 46, 120 Kommunismus, kommunistisch, siehe auch marxistisch 190, 194 Kommunistische Partei Deutschlands (KPD) 21, 191 Kommunistischer Jugendverband (KJDV) 191 Konzentrationslager, KZ-Haft, »Schutzhaft«, siehe auch Jugendkonzentrationslager 37, 177f., 180, 182, 221, 244, 274f., 295f. – Dachau 173 – Esterwegen 177 – Flossenbürg 288 – Ravensbrück 274 – Sachsenhausen 296 Krieg(führung), totale(r) 200, 207, 247 Kriegsdienst, Kriegshilfsdienst, Kriegseinsatz (der Hitler-Jugend) 28, 81, 205, 210, 237, 268f. Kriegsjugendgeneration, Kriegskinder 26, 208f. Kriegsgefangene 152, 210, 221f., 226, 263, 265, 268, 272f. Kriegswichtig 204, 206, 222 Kriminalbiologisches Institut der Sicherheitspolizei und des SD 245, 250 Kriminalpolizei, siehe auch Weibliche Kriminalpolizei, Reichskriminalpolizeiamt 101, 104f., 111, 115, 126, 175, 215, 234, 243, 250, 273, Kriminalstatistik 76, 125, 166, 175, 180, 211, 247, 301 Krupp AG 193, 293 Landdienst der Hitler-Jugend 28, 182, 206, 237, 268f. Landesverrat 75, 191f.

363

Landjahr 269 Legalitätsprinzip

65

Mädelbund, siehe auch BDM, Jugendmädel(bund) 47, 285 Marburger Programm 76 Marxistisch, siehe auch Kommunismus 232 Maßnahmenstaat 34 Meldepflicht 106 Ministerrat für die Reichsverteidigung 68, 240, 251 »Mischling(e)« 201f. – »jüdische Mischlinge«, »Halbjude«, »halbjüdisch« 26, 98f., 201f., 269, 289 – »rassische Mischlinge« 201, 303 – »Zigeunermischling« 203 Nachkriegsjugend 209 Nachrichtendienst – der Hitler-Jugend 94 – französischer 193 Nationalsozialistisches Kraftfahrkorps (NSKK) 38 Nationalsozialistischer Rechtswahrerbund (NSRB) 38, 59, 74 Nationalpolitische Erziehungsanstalt (Napola, NEPA) 25f., 291 NSDAP, Partei, Parteiapparat, Parteidienststellen, Parteimitglied 11, 20, 27, 38f., 41, 43, 45–48, 59, 63, 71, 86, 91f., 95–97, 99, 102–105, 109, 113, 124, 128, 131f., 140, 144, 148, 151, 153, 158, 161, 166, 170, 174, 178, 180, 188f., 194–196, 202f., 207, 218, 225, 235, 240, 247, 250, 253, 255, 260, 266, 276, 281, 285–287, 289, 291f., 299, 302f. NSDAP-Mitgliedschaftsamt 103 NSDAP-Zentralkartei, Mitgliederkartei 99, 101f., 291 NS-Frauenschaft, Reichsfrauenschaft, Frauenhilfswerk 38, 92, 158, 240, 267, 273 NS-Hauptarchiv 20, 91, 117 NS-Ordensburg 157 NS-Schülerbund 40, 51, 94 NS-Studentenbund 52 Nationalsozialistische Volkswohlfahrt (NSV) 38, 104f., 145, 193, 273 Nerother Wandervogel 173 Normativismus, normativistisch 55–57, 61, 63, 65, 89

364

Normenstaat 34 November-Pogrom 21, 126, 147 Numerus Clausus 294 »Nürnberger Gesetze«, siehe auch Reichsbürgergesetz 201, 280, 283f. Oberster Parteirichter der NSDAP 72, 143, 291 Oberstes Parteigericht der NSDAP (OPG) 113, 133, 147, 156, 170 Opportunitätsprinzip 70, 152 Ordnung, Ordnungsbegriff, Ordnungskonzept, Ordnungsprozess, Ordnungsprozedur, Ordnungssetzung, Ordnungssystem, Ordnungsvorstellungen, siehe auch Disziplinarordnung 11–15, 19–21, 28, 31–37, 50–54, 56, 58f., 62f., 65f., 69, 71, 73, 88f., 91, 96f., 105f., 108, 111, 116, 119f., 123, 133, 136, 138, 141, 143, 152, 195f., 199, 204, 210, 216, 237, 252, 259, 278f., 285f., 297f., 300, 305 – berufsständische 63 – Gemeinschaftsordnung 141, 196 – gesellschaftliche, soziale, Sozialordnung, Gesellschaftsordnung 11, 13, 18, 28, 31, 35, 43f., 53, 59f., 62, 71, 73, 196, 298 – gestaltete 66, 82 – konkrete 19, 33, 35, 55–64, 66f., 89, 119 – nationalsozialistische 32, 42f., 305 – politische 13, 31, 34, 51, 53, 73, 82 – polizeilicher Ordnungsbegriff 31f. – »rassische«, rassistische 11f., 297 – rechtliche, Rechtsordnung 34, 52–54, 59f., 68, 73, 122, 197 – völkische 33, 56 – weltanschauliche 54 Ordnungsdenken 11, 54–64, 66, 299, 304 – deutsches 57 – konkretes 11, 54–58, 65f., 299 – radikales 34, 36, 304 Ordnungsgeschichte 23, 29, 105 Ordnungsnorm 36, 305 Ordnungskampf 36, 304f. Ordnungspolizei, Ortspolizei, siehe auch Polizei 111, 123f., 225, 241, 250 »Ostarbeiter« 272 »Osteinsatz« der Hitler-Jugend 203

Parteiausschluss, Ausstoßung 27, 92, 94, 104, 158, 182, 194, 282, 288, 293, 296 Parteigericht der NSDAP, Parteigerichtsbarkeit, siehe auch Oberstes Parteigericht 27, 67, 95f., 103, 113, 140, 142, 145f., 151, 153, 155f., 170, 174, 182, 186, 250, 260, 291 Parteijugend der NSDAP, Parteinachwuchsorganisation 19, 40, 49, 92, 204, 298 Parteikanzlei der NSDAP 20, 145, 207, 222, 240–242, 250f. Pole, Polin, polnisch 27, 87, 152, 221, 226, 229, 247, 268, 272, 284, 301 »Polenerlasse« 273 »Polen-Jugendverwahrlager Litzmannstadt« 27, 243 Policey 31 Polizei, polizeilich, siehe auch Gestapo, Kriminalpolizei, Ordnungspolizei, Sicherheitspolizei 64, 104f., 109, 111, 114, 123f., 127f., 130f., 144f., 149, 173, 177, 188, 191f., 210, 215, 225, 229f., 233–237, 239f., 246, 250f., 261, 271, 274, 276, 282, 302–304 Polizeiverordnung zum Schutze der Jugend 104, 235f., 240, 243, 271, 274, 303 Polykratie, polykratische Machtverteilung 39 Pranger 75 Preußischer Staatsrat 59 Propaganda 26, 31, 33, 41–43, 50, 60, 94, 120f., 192, 196, 206, 213, 244, 253, 255f., 268f., 286, 288f., 302 Prügelstrafe 233 Radikalisierung 12, 15, 19, 31, 35f., 41, 199, 212, 246, 303 »Rasse«, »rassisch« 33, 86, 96f., 137, 195, 203f., 263, 265, 272, 279, 300 Rassenpolitik, rassenpolitisch 14–16, 23, 95–99, 197, 203, 272f., 276, 298f., 302 Rassenpolitisches Amt der NSDAP 195, 241 Rassenkonstitution, Rassenkonzeption 17, 23 Rassismus 14–17, 86, 106f. Rechtsdenken 68, 74, 299 – institutionelles 55 – nationalsozialistisches 56, 64, 87, 189 »Rechtserneuerung« 11, 19, 28, 53f., 67f., 70, 84, 89, 300

»Rechtskrise« 71 Rechtsreferent der Hitler-Jugend 66, 80, 84f., 101, 145, 176, 223, 289, 302 Rechtswissenschaft 53–55, 57, 68, 70, 80, 85, 89, 140, 299 Reichsärzteführer 104 Reichsanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung (RAVAV) 282 Reichsarbeitsdienst (RAD), Arbeitsdienst 45, 50, 60, 68, 106, 112, 146, 157, 173, 196, 215, 220, 205, 217, 220, 250, 269, 282, 288 Reichsarbeitsdienstgesetz 45, 50, 217, 288 Reichsarbeitsgemeinschaft für Jugendbetreuung (RAG) 241, 255, 303 Reichsausschuss der Deutschen Jugendverbände 81 »Reichsausschuss zum Schutz des deutschen Blutes« 289 Reichsberufswettkampf der Hitler-Jugend 178 Reichsbürger, Reichsbürgerschaft 20, 49, 280–285, 301 Reichsbürgerbrief 281–283 Reichsbürgergesetz, Reichsbürgerrecht 23, 201, 203f., 228, 280–284, 289, 301 Reichsfilmkammer 236 Reichsflaggengesetz 280 Reichsfrauenführung 158 Reichsführer SS (RFSS) 75, 105, 125, 129, 148, 206, 224, 229, 234f., 239, 243, 250, 263, 274 Reichsgesundheitsführer 240 Reichsgruppe Junger Rechtswahrer 71 »Reichsjugend« 49, 132 Reichsjugendführer der NSDAP 26, 42, 46, 49, 114, 123, 132, 134, 183f., 203f., 233, 241, 259 Reichsjugendführung (RJF) – Amt für Jugendverbände 114, 117f., 125, 128, 255 – Amt für HJ-Gerichtsbarkeit, siehe auch HJ-Gerichtsbarkeit 95, 113, 132, 143f., 149, 152, 154, 156, 177, 209, 211, 218–221, 229, 254, 260 – Amt für Wehrertüchtigung 234f. – Amt für weibliche Jugend 47 – Amt für weltanschauliche Schulung 194 – Behördenabteilung 205

365

– Grenz- und Auslandsamt 96, 111 – Personalamt 96, 99, 101–103, 109– 114, 124–126, 133, 154, 156, 159, 184, 212, 234, 248, 252, 257, 288, 301 – Personalamt-Überwachung, Überwachungsdienststelle 109–111, 114, 129f., 170f., 175, 189, 200, 209, 224, 232, 235, 243, 248, 261, 268 – Presse- und Propagandaamt 236 – Polizeiverbindungsstelle 101, 109f., 114 – Rechtsamt 113, 114, 146, 205, 229 – Sonderbeauftragte/r der Reichsjugendführung 153, 212, 227 – Soziales Amt/Rechtsdienststelle 81, 85, 146, 222f., 239, 241f., 250, 273 – Stabsführer, Stabsleitung 49, 94, 99, 103, 114, 120, 123, 134f., 159, 206, 209, 241, 261 – Verwaltungsamt 96, 99, 154 Reichsjugendgerichtsgesetz 79, 86f., 229, 275, 300 Reichsjugendpfarrer 183 Reichskanzlei 133 Reichskartei der Juden und jüdischen Mischlinge (»Volkstumskartei«) 106 Reichskassenverwalter der Hitler-Jugend 96, 103, 184f., 247 Reichskommissar für die Festigung des deutschen Volkstums 203 Reichskonkordat 127 Reichskriminalpolizeiamt 115, 203, 239, 241, 249, 251, 274f. Reichsleitung der Hitler-Jugend, siehe auch Reichsjugendführung 94, 224 Reichsleitung der NSDAP 81, 163, 240 Reichsministerium für Arbeit 240 Reichsministerium für Finanzen 292 Reichsminister/Reichsministerium des Inneren 33, 45f., 105, 125, 140, 204, 233, 240, 243, 251, 274, 282, 289, 292f. Reichsminister/Reichsministerium der Justiz 19f., 80f., 101f., 132f., 143–145, 153, 177, 195, 206, 209, 211, 215, 217, 220, 222f., 229, 233, 238, 240, 242–244, 247, 249, 256, 262, 264 – Verbindungsführer zur Reichsjugendführung 223 Reichsministerium für Wirtschaft 240, 247

366

Reichsminister/Reichsministerium für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung 46, 240 Reichsminister/Reichsministerium für Volksauf klärung und Propaganda 121, 240, 255f. Reichsnährstand 28 Reichsorganisationsleiter der NSDAP 102 Reichsparteitag der NSDAP 43, 91, 130, 153 Reichsschatzmeister der NSDAP 20, 48, 99, 103, 163, 184f., 287 Reichssicherheitshauptamt (RSHA) 15, 104, 114, 145f., 209, 240–242, 250 Reichssippenamt 106 Reichsstelle für Sippenforschung 106 Reichsstudentenführung 240 Reichstagswahl 121 Reichszentrale zur Bekämpfung der Homosexualität und Abtreibungen 176, 178, 180, 188, 210 Reichszentrale zur Bekämpfung der Jugendkriminalität 239 Richterbriefe 153 »Röhm-Affäre«, »Röhm-Putsch« 170 Roma, siehe auch »Zigeuner« 245 SA 38, 60, 67, 71, 92–94, 113, 123, 158f., 168, 170, 179, 186, 285, 291 Sachsenspiegel 74 »Schwerverbrecher, jugendliche(r)« 88, 222 Schulpflicht 205, 225 Sicherheitsdienst (SD) 34, 114, 125–128, 231, 240, 250, 261, 265, 267f., 271f., 283, 288 Sicherheitspolizei, siehe auch Polizei 178, 250, 288 Sicherheits-, Sicherungsverwahrung 176f. Sinti, siehe auch »Zigeuner« 245 Sondergericht, Sondergerichtsbarkeit 27, 53, 67f., 146, 295 SS 28, 38, 67f., 94, 129f., 137, 141, 146, 148, 153, 158, 173, 189, 234, 244, 246, 261, 274, 283, 291 SS-Gericht, SS- und Polizeigerichtsbarkeit, SS-Richter 53, 68, 75 Staatsangehörigkeit, Staatsangehörige(r) 96f., 201, 203, 281 – deutsche 96, 201, 203 – nicht-deutsche (»fremde«) 97

Staatsbürger, Staatsbürgerschaft, Staatsbürgertum, Staatsbürgerschaftsrecht 94, 281, 284f., 301 Staatsjugend 19, 49f., 106, 124, 161, 213 Staatsjugendtag 100 Staatsrecht 34, 54, 74 Standesgerichtsbarkeit 63f. Statistisches Reichsamt 247 Stellvertreter des Führers 103, 132, 147, 184, 240, 254, 287, 292f. Sterilisation, siehe auch Kastration 177, 188 Strafen, peinliche 74f. Strafgewalt, Strafjustiz 18, 300 Strafmündigkeit 13, 75, 87f. Strafrecht, siehe auch Jugendstrafrecht 53, 69–74, 76, 85, 87, 300 Strafregister, Strafregistrierung 74, 235, 248–252 Swing 232, 236, 269 Tod, bürgerlicher 75 Todesstrafe 75, 88, 173, 187 Totalitarismuskonzept 39 »Treue«, Treuebruch, Treuepflicht 63f., 70, 72–74, 122, 132, 139f., 153, 169, 262, 280–282, 301 Überwachungssachbearbeiter der HitlerJugend 288 »Unerziehbar(keit)«, »nichterziehbar« 79, 85, 214f., 224, 239, 255, 278, 291, 303 Untersuchungs- und Schlichtungsausschuss (USchlA) 93f. Unordnung 34, 36, 305 – konkrete 66 – politische 208 – sexuelle 265 »Untreue, völkische« 281 »Verbrechensbekämpfung, vorbeugende« 105, 239, 246f. »Verführer, homosexueller«, siehe auch Jugendverführer 174–177 »Verhalten, unbotmäßiges« 233 Verordnung des Reichspräsidenten zum Schutz von Volk und Staat (»Reichstagsbrandverordnung«) 34, 125 Verurteilung, unbestimmte 88, 251 »Verwahrlosung«, Verwahrlosungserscheinungen, »Verwilderung« 77f., 112, 126,

167, 175, 190f., 210f., 216, 222, 231–233, 236, 239f., 243, 246, 256, 262f., 265– 276, 302 Völkerbund 168 Völkerrecht 54 Volk 33, 61f., 73, 86f., 119f., 169 – deutsches, germanisches 56 Volksangehörigkeit, Volkszugehörigkeit 201, 203, 228 Volksdeutsche 97, 140, 272 Volksempfänger 206 Volksempfinden 70, 212 »Volksfeind, homosexueller« 169 »Volksgemeinschaft« 11, 13, 16, 19f., 31– 33, 38, 42f., 46, 49, 51, 54, 60–62, 67, 69, 73, 82, 87, 89, 91, 107, 121, 123, 137, 159, 196f., 217, 221, 229f., 233, 243, 268f., 275, 277, 280–287, 289–291, 297, 304f. Volksgerichtshof 50, 146, 295 Volkskartei, Deutsche 100, 106f. Volksliste, Deutsche 203, 272, 284 Volkstumsprinzip 87, 228 Vormundschaftsrecht, -gericht, -richter 75f., 223, 250 Vorstrafen, vorbestraft 187, 227 Waffen-SS 234, 236, 239 Warnkartei der Hitler-Jugend 93, 97–103, 110, 112, 148, 150f., 157, 161–167, 170–172, 174, 176f., 179, 181, 183, 185, 187–192, 195f., 218, 224, 248, 278, 291, 297, 301f. Warn(kartei)system 250, 252, 277, 291, 304 Wehrdienst 48, 106, 157, 217, 248, 282, 288 Wehrdienstentziehung, siehe auch Desertion 247 Wehrertüchtigung, Wehrertüchtungslager 28, 237f. Wehrmacht, Militär 67, 69, 120, 122, 146, 153, 155, 164, 173, 196, 207, 212, 214, 220, 236, 239, 250, 264, 270f., 273f., 277, 287 – Heer 287 – Luftwaffe 173 – Oberkommando der Wehrmacht (OKW) 217, 240, 267, 274, 291 Wehrpflicht 50, 139, 201, 205, 215, 225, 303 Wehr(un)würdigkeit 213, 217f., 282, 287, 291

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Weibliche Kriminalpolizei 105, 271, 288f. »Weiße Rose« 122, 211 Weltkrieg 208, 265 – Erster 31f., 140, 208–211, 221, 265, 303 – Zweiter 12, 46, 210f., 265, 270 Werks-HJ 293 »Zigeuner«, siehe auch »Mischling(e)« 203, 272 Zivilarbeiter, Zivilgefangene 271

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105,

»Zucht« 12, 69, 71, 73, 86, 117–120, 123f., 133, 152 Zuchthausstrafe 74f., 174, 177 Zuchtmittel, siehe auch Erziehungsmittel 83, 86, 227–229, 247, 251, 261f. Zwangsarbeit, Zwangsarbeiter 210, 247, 265 Zwangsmitgliedschaft, Pflichtmitgliedschaft, siehe auch Jugenddienstpflicht 45, 50, 146, 199, 217