Schulversagen und Kindertherapie: die Überwindung von sozialer Ausgrenzung 3760904416

Die hier vorgelegte Veröffentlichung unterscheidet sich in wesentlicher Hinsicht von den üblichen Arbeiten zur Kinderthe

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Schulversagen und Kindertherapie: die Überwindung von sozialer Ausgrenzung
 3760904416

Table of contents :
Vorwort 7
I. Die Entwicklung der therapeutischen Arbeit im historischen
Überblick
Henning Siemens
Vom Lese-Rechtschreibtraining zur Kindertherapie 11
Dieter Baumann, Sabine von der Lühe und Helga Renfordt
Kindertagesstättenprojekt: Institutionsberatung und Therapie ... 44
II. Einblicke in therapeutische Arbeit
Monika Leonard und Dieter Pilz
Kinder unterwegs - Therapeuten auf ihrer Spur? 49
Beate Dotzenroth und Magret Uhe
Jonas, der aus dem Walfischbauch ausgespuckt wurde in unsere
böse Welt, und seine Schwierigkeiten, sich in dieser zurecht zu finden . 69
Ulrike Zimmermann
Nina oder: Wie man Sonderschüler herstellt 76
Marianne Franssen und Heidrun Kloppenburg
Wir da oben- Ihr da unten? Kinder und Therapeuten in Aktion .. 92
Hannes Drummer und Peter Eberbach
Kindermarathon im Frankenwald 102
Fred Lüttger, Ferdinand Mülder, Margit Pfeiffer und Almut
Schmidt
Die unheimliche Euphorie - Ein Versuch, den faszinierenden Verlauf einer Reise zu beschreiben 122
Monika Schlösser
Therapieabbruch als Resultat von Elternarbeit? 156
Dieter Baumann und Sabine von der Lühe
Kindertherapie und Erzieherarbeit - Können Psychologen Erzieher beraten? 171
Helga Renfordt und Siegfried Schubenz
Kinderpsychotherapie - was kann das in der Praxis sein? 178
30,1III. Die Institution
Jörg Dannenberger und Sabine Egloff
Die institutionellen Rahmenbedingungen der pädägogisch-therapeutischen Tätigkeit im Legasthenie-Zentrum e. V. Berlin ... 188
Lutz Gawe
Ergebnisse der Eingangsuntersuchungen von Anmeldungen im
Legasthenie-Zentrum 1970-1977 223
Axel Greve
Statistische Angaben zur Klientel des Legasthenie-Zentrums 236
IV. Rückblick auf die pädagogische Ausgangskonzeption
Siegfried Schubenz
Eine Morphem-Analyse der deutschen Sprache und ihre lernpsychologische Bedeutung für die Vermittlung von Schriftsprachenkompetenz 239
Dieter Pilz
Die Morphemmethode - ein psycholinguistischer Ansatz in der
Legasthenietherapie 256
Anhang
Rangreihe der häufigsten 1651 Morpheme der deutschen Sprache
nach H. Meier (zusammengestellt von Scubenz, Engelkamp, Rabe
und Bellingrodt) 271

Citation preview

Dieter Pik7 o r ~ c

Schubern Herausgeber

Schulversagen und Kindertherapie Die

Überwindung

v o n sozialer Ausgrenzung

ri,

i•

Studien zw Kritischen Psychologie sich interiorisieren. Die Arbeitsbögen konfrontierten es mit seiner spezifischen Unfähigkeit. Erst das Vermeidungsverhalten, das Weg-vom-Arbeitsbögen - für den Schriftsprachenerwerbsprozeß ein Störverhalten - machte die Kinder gruppenfähig. Es ermöglichte gemeinsarhe Tätigkeiten und Solidarisierung auch wenn es um gesellschaftlich negativ bewertete Handlungen ging. Durch die Konfrontation mit Lerngegenständen in der Therapie, an denen die Kinder in der Schule gescheitert sind und die den unmittelbaren Anlaß zur Ausgrenzung gegeben haben, reproduzieren sie das in der Schule entwickelte Vermeidungsverhalten. Die Auseinandersetzung mit Aneignungsgegenständen, z. B. Schriftsprache, hat für sie in dieser Entwicklungsphase, wie die o. g. individuellen Ausgrenzungsgeschichten aufzeigen, nur relativ untergeordnete Bedeutung. Wir lernten im weiteren Verlauf, daß auch vermitteitere Zugänge zur 57

Schriftsprache, z. B. Rezepte zum Kochen, persönliche Briefe, die in eindeutigeren Bedeutungszusammenhängen zum Leben der Kinder standen, von einzelnen Kindern als andere Form einer Manipulationstechnik der Therapeuten erkannt und abgelehnt wurden - solange die Therapeuten diese Einbettung der Schriftsprache als subtilen Trick zur Wiedereinführung des Aneignungsgegenstandes in die Sitzungen anwandten. Für einige Kinder können wir heute rückblickend sagen, daß unser Insistieren auf den Arbeits bogen ihnen die Möglichkeit gab, an ihrem Symptom festzuhalten. Bettina (11 Jahre) bearbeitete bereitwillig die von uns vorgegebenen Arbeitsbögen. Allen den Arbeitsablauf »störenden« Gruppenaktivitäten entzog sie sich. Sie kritiserte das Ausflippen der anderen Kinder: »Wir sind doch hier, um Schreiben und Lesen zu lernen!« Sie ordnete sich anpaßlerisch den Forderungen der Therapeuten unter, konnte ihre eigenen Bedürfnisse nicht entwickeln, sie grenzte sich selbst erneut aus und wurde kein vollwertiges, von den Kindern akzeptiertes Gruppenmitglied.

Bettina als einziges »Mittelschichtskind« unter sonst aus Arbeiterfamilien stammenden Kindern mußte die in ihrer Familie repräsentierten Normen wie Karriere, Aufstieg etc. auch in der Gruppe explizit vertreten, um nicht das psychische Gleichgewicht ihres Vaters zu gefährden, den diese Normen »lebensfähig« machten, auch wenn sie dadurch am nachdrücklichsten ihre hinter dem Symptom stehende Problematik verleugnete. Der Druck auf die Kinder durch Schule und Familie, sich zu durchschnittlichen, »normalen« gesellschaftlichen Individuen zu entwickeln, die auch durchschnittlichen schulischen Anforderungen genügen, wird durch die Therapeuten und die gegenständlichen Angebote als Anforderung in die therapeutische Situation hineingetragen. In der Eingangsphase unserer Therapie vertraten wir geradezu massiv diese Repräsentation gesellschaftlichen Drucks, indem wir die Kinder explizit auf die Funktion von Lerngegenständen hinwiesen und entsprechende Forderungen an sie stellten - eine mechanistische Umsetzung unserer theoretischen Vorstellungen:des - wie wir erst lernen mußten falschen Verfahrens, auf sinnvolle kooperative Zusammenhänge hinzuweisen. Wir hatten eine Stufe zu hoch angesetzt und versuschten in der nachfolgenden Phase, deren Negation, nämlich Lerngegenstände vollständig aus der therapeutischen Situation zu eliminieren und den durch Schule und Eltern nachdrücklich vermittelten Druck zu ignorieren. Diese Phase schaffte, trotz ihrer arideren Einseitigkeit, Voraussetzungen für das selbständige Lernen der Kinder: Sie bestimmten, wann, wie und was sie für sich an gesellschaftlichen Anforderungen realisieren und welche Unterstützung sie von uns dafür haben wollten. 58

Die o. g. therapeutisch gewendete Maxime der Sachorientierung entsprach einerseits unserer praktischen Verarbeitung der Theorie des i. w. S. Aneignungskonzepts, andererseits der aus unserer damaligen aus der Praxis abgeleiteten Theorie der »Sonderverhältnisse« (siehe hierzu den Beitrag von H. Siemens). Die emotionalen Ansprüche der Kinder an uns und umgekehrt versuchten wir durch den Hinweis auf dit Sache zu ignorieren. Die Theorie der Sonderverhältnisse war rationalisierter Ausdruck unserer Angst vor symbiotischer Abhängigkeit und Behinderung. Wir versuchten, dieses »Theorem« so lange wie möglich aufrechtzuerhalten, d. h. uns aus Personenbeziehungen - aus dem therapeutischen Gruppenprozeß - bewußt herauszuhalten. Wir lernten jedoch, daß der Weg zur Aneignung von Sachgegenständen immer über uns als Personen geht, daß sich also hinter unserem Rücken Personenbeziehungen entwickelten, die Entwicklungsmöglichkeiten für die Kinder (aber auch für uns) darstellten. Indem wir verstanden, daß das Schriftsprachentrainingsprogramm den Gruppenprozeß behinderte, der notwendig für die Aufhebung der Ausgrenzung als ersten Schritt zur Bearbeitung des individuellen Problems des jeweiligen Kindes war, strebten wir die Konstituierung der Kindergruppe, ihre Kooperationsfähigkeit als unser gemeinsames Therapieziel an. Kooperationsfähigkeit heißt für die Therapiegruppe, daß die Kinder in der Lage sind, eigene Bedürfnisse zu entwickeln, sie miteinander abzustimmen und in Handlung umzusetzen. So war die Vorbereitung, Koordination und Durchführung unserer Gruppenreise ein Beispiel gelungener Kooperation: Die Kinder suchten sich das Reiseziel, den Harz, selbst aus, besorgten sich Wanderkarten für die Umgebung, schrieben und telefonierten mit Jugendherbergen, rechneten, wieviel Geld wir brauchen würden, tippten Entschuldigungen für die Schule, Listen für die Eltern. Sie waren wie beliebige andere Kinder! Wir, die Erwachsenen, waren in der von uns erhofften Weise nur noch für Unterstützungsfunktionen zuständig. Das gesamte Ereignis der Gruppenreise bedeutete einen relativ großen Entwicklungsschritt zur Gruppenfähigkeit, d. h. zur tendenziellen Aufhebung der Entwicklungsbehinderung der Kinder. Kooperation der Therapeuten oder »Therapie der Therapeuten«? In der Gruppe hat das Kind die Möglichkeit, nicht realisierte Anteile seiner Persönlichkeitsstruktur am Modell anderer Kinder vorzufinden und sich dadurch zu ergänzen und daran abzuarbeiten. Das Modell des 59

anderen bietet so die Antizipation der nächsthöheren Stufe von Entwicklung. Für die Therapeuten ist es schwierig, für alle Kinder der Gruppe gleichzeitig Entwicklungsschritte zu unterstützen, wie das o. g. Beispiel von Oschi und Zorro deutlich gemacht hat. Durch das Mehrtherapeutenprinzip und die Therapie der Therapeuten ist die Voraussetzung gegeben, daß die Therapeuten mit einem Wissen um die eigene Geschichte die von ihnen eingebrachten Persönlichkeitsanteile erkennen und eine Funktionalisierung der Kinder für ihre eigenen Wünsche verhindern. Die Therapieeingangssituation oder auch das Beispiel von Kalle hat deutlich gemacht, daß der abstrakte Anspruch, daß die Kinder die Therapiekonzeption mitentwickeln, d. h. sich selbständig und gleichberechtigt in die Gruppe einbringen, dadurch realisiert wird, daß die Kinder eine »Antikonzeption« zu der der Therapeuten entwickeln. Antikonzeption heißt, daß die Kinder uns zeigen, daß Therapie dann läuft, wenn wir nichts für sie an ihrer Stelle tun. Dies ist mit extremen Belastungen der Therapeuten verbunden (z. B. Angst vor Verletzung der Aufsichtspflicht; Angst vor Gefahrensituationen überhaupt). Sich z. B. das Konzept aus der Hand nehmen zu lassen, keinen unmittelbaren Einfluß mehr auf die Kinder zu haben, bedeutet relative Ohnmacht für die Therapeuten. Das heißt nicht, einen »Laissez-FaireStil« zu praktizieren, sondern geht (siehe Beispiel Kalle) von einem bestimmten Verständnis der Entwicklungsbehinderung aus und ist gleichzeitig ein Umgehen mit der eigenen Ohnmacht. Ohnmacht ist das Moment, das die Kinder zum Stillstand, zur Verweigerung gebracht hat, und die Therapeuten greifen dies exemplarisch auf, indem sie dem Kind an dieser einen Stelle gestatten, Macht (über den Therapeuten) auszuüben. Diese Machteinbuße der Therapeuten ist selbstverständlich nicht perspektivlos hinzunehmen. Wir haben im Verlauf unserer Gruppentherapie mit Kindern, in der wir immer mit mindestens zwei Therapeuten arbeiteten, die Erfahrung gemacht, daß wir in jeder therapeutischen Situation auf die Entlastung durch andere Therapeuten (mittelbar oder unmittelbar) angewiesen waren. Wir haben festgestellt, daß in jeder therapeutischen Situation Konkurrenz und damit Angst in jeweils spezifischen Ausprägungen vorhanden ist. Die Entlastungsfunktion durch das Zwei-TherapeutenPrinzip kann nur dann zum Tragen kommen, wenn auch die Konkurrenzprobleme, die emotionalen Probleme und Konflikte der Therapeuten miteinander, die Beziehungen der Therapeuten zu den einzelnen am Therapieprozeß beteiligten Personen (Eltern, Lehrer, Kinder) veröffendicht werden.1 60

Zu Beginn unserer Gruppentherapie praktizierten wir eine Verschleierung der Konkurrenz, damit sich unsere Arbeits beziehung entwickeln konnte und wir den Anforderungen der Kinder und damit unserer gegenseitigen Entlastung genügten. Wir anerkannten uns auf der Erscheinungsebene in arbeitsteiliger Form, die traditionelle Rollenverteilung zwischen Mann und Frau - sie die Seelentrösterin, für die Emotionalität zuständig; er für die sachlichen Anforderungen, für die Schriftsprachenvermittlung, für das »Rationale« zuständig-wurde aufrechterhalten. Unsere Gespräche fanden zu dieser Zeit überwiegend »versachlicht«, »objektiviert« statt unter Nicht-Thematisierung unserer emotionalen Konflikte/Diese Tabuisierung bedeutete gleichzeitig die etikettierende Festschreibung auf die jeweiligen Bereiche und die Erfahrung der Inkompetenz im anderen Bereich. Das, was unter dem Anspruch der Gleichberechtigtheit der Therapeuten angefangen hatte, führte durch die Kontinuität der Beziehung zur Festschreibung bestimmter Rollen und Arbeitsteilungen, die ohne die veröffentliche Form ihrerseits zur Entwicklungsbehinderung wurde. Das Postulat der Wertgleichheit erweckt somit den Anschein, daß die Konkurrenzbeziehungen, die für diese Gesellschaft konstituierend sind, in der Therapie auflösbar wären. Praktiziert wird demgegenüber subtile Konkurrenz: Wer kann besser auf die Kinder eingehen? Wer kann bessser mit ihnen toben? Wen mögen die Kinder mehr? Wer ist großzügiger? Wer ist didaktisch besser? Wer ist imstande, problematische Situationen zu managen? Die Verschleierung der Konkurrenz zwischen uns als Frau-MannTherapeutenpaar konnte nicht aufrechterhalten und mußte aufgebrochen werden. Der Therapeut war gewohnt, in problematischen Situationen (z. B. Gefahr in der Therapie, Komplikationen bei Beratungsgesprächen) diese an sich zu reißen. Die Therapeutin fühlte sich dadurch überfahren, konnte aber ihre Betroffenheit darüber erst nach einiger Zeit verbalisieren. Das Infragestellen scheinbar anerkannter Rollenteilung erzeugte beim männlichen Therapeuten ebenfalls Betroffenheit (er hat doch nur das beste gewollt für die gemeinsame Therapie! Er wollte nicht entwicklungshbehindernd für seine Co-Therapeutin sein!). In dieser direkten unmittelbaren Konfrontation im Kampf um Gleichberechtigung der Therapiepartner ist die Veröffentlichung des Konflikts, d. h. die Aufhebung der Individualisierung eines gesellschaftlichen Problems, im erweiterten Therapeuten-Kollektiv, in der Therapie der Therapeuten oder in Frauen- und Männergruppen eine Möglichkeit, die Konkurrenzbeziehungen partiell zu durchbrechen. Die Formulierung 61

der Betroffenheit auf beiden Seiten wurde erst möglich, als wir erkannten, daß alle Therapeutenpaare ähnliche Probleme wie wir haben, daß sehr häufig theoretische Differenzen in der Therapiekonzeption ideologisierter Ausdruck der Konkurrenzbeziehungen sind und der Aufrechterhaltung bestehender Machtstrukturen dienen. Nur durch die Herstellung der eigenen Betroffenheit war es möglich, die Kinder/die Klienten sowohl in ihrer subjektiven als auch in ihrer objektiven Betroffenheit wahrzunehmen, zu verstehen und zu begreifen. Die Wahrnehmung der Kinder als Subjekte hängt unmittelbar damit zusammen, die eigene Subjektivität wahrzunehmen. Diskussion** Monika L.: Wir haben unsere Gruppenarbeit im Sommer beendet und die Kinder entlassen. Oschi ist aber jeden Mittwoch wiedergekommen, und wir begriffen, daß da noch irgendwas sein müßte. Er hat sich konsequent geweigert, aus der Therapie zu gehen. Er hat immer schön sein Englischbuch mitgebracht und wollte was arbeiten, hat es dann aber nicht gemacht, sondern einfach geredet. Wir sind dem noch mal nachgegangen und haben festgestellt, daß er das Kind war, das in der Gruppe immer bereit war, zu schreiben und zu lesen, am angepaßtesten war im positiven Sinne und am kooperativsten. Er hatte eine Art Hilfsheriffsfunktion, die uns ungeheuer entlastete. Er holte die Kinder, die ausflippten irgendwie an die Gruppen heran, indem er was organisiert hat, z.B. einkaufen oder mit den Kindern etwas geplant hat. Er diente auch als Modell z. B. für Zorro, der ja gerade ganz unangepaßt war. Oschi hat es geschafft, Zorro auch immer wieder reinzuziehen, etwas zusammen in der Gruppe zu machen. Bei der Rückblende ist uns eingefallen, daß Oschi am Anfang in die Therapie kam - richtig angeklammert an seine Mutter - und wir aufgedeckt haben, daß dieses Schreiben- und Lesenwollen, das die anderen Kinder bald nicht mehr gemacht haben, daß Oschi sich daran festgeklammert und dadurch an uns appelliert hat: Um gottes Willen, halten wir bloß an dem Schreiben und Lesen fest, damit hier nichts anderes passiert. Oschi schien uns schon sehr früh hochgradig gruppenfähig. Dieter P.: Oschi war nicht anpaßlerisch, sondern er baute auch Mist mit den anderen Kindern, aber an bestimmten Stellen war er wieder gruppenintegrierend. Die Mutter war vorher in einer Erziehungsberatungsstelle und tauchte bei uns mit dem Hinweis - mit der Drohung auf, daß sie in dieser Beratungsstelle gewesen sei, und dort wäre sie dann 62

gleich weggeblieben, nachdem man ihr gesagt hatte, daß es ja eigentlich um sie ginge. Sie brauche eine Therapie und sie solle das Kind ruhig zuhause lassen. Bei uns kam das so an: Wehe, ihr macht hier was mit mir, dann haue ich mit meinem Sohn auch hier sofort wieder ab. Seht zu, daß ihr mit ihm Schreiben und Lesen macht. Zuhause hatte Oschi natürlich auch Konflikte. Zunächst sahen wir die mit seinem Vater, den er provozierte, und der immer dann ausflippte, wenn Oschi schlechte Schulleistungen mit nach Hause brachte. Margret U.: . . . und eingekotet hat er auch. Dieter P.: Unser Problem war, daß wir sehr schnell in der Therapie die Situation zuhause reproduziert haben, also daß er auch auf unsere Normen eingestiegen ist, wie zuhause auf die Normen der Mutter und sich jetzt also sozialintegrativ - wie wir es anstrebten - verhalten hat, mit den gelegentlichen Ausflippern, aber insgesamt zeigte er ein der Therapie angepaßtes Verhalten, weil er die Verbindung, die Beziehung, zu den Therapeuten nicht verlieren wollte. Wir sind darauf eingestiegen, wir haben seine Sache nicht gesehen und die sozialintegrative Funktion, die er gespielt hat, immer unterstützt. Das Ausflippen, das andere Kinder gemacht haben, haben wir bei ihm nicht zugelassen. Und in der Gruppe mußte er stehenbleiben, weil er die anderen Kinder, die ausflippten, so sah, wie er nicht sein konnte. Er hat sich durch die anderen Kinder ergänzt gesehen. Zorro und Oschi waren ein Ergänzungspaar. Zorro, der Flipper, mußte lernen, sich anzupassen, um weiterzukommen. Oschi war derjenige, der integrativ angepaßt war, der aber auch ausflippen wollte, um von seiner Mutter - und anderen besonderen Abhängigkeitsverhältnissen - loszukommen. Aber wir haben in der Therapiesituation auf eine ganz subtile Art die gleiche Abhängigkeit - die gleiche Art von Symbiose - wieder hergestellt, wie er sie zuhause mit seiner Mutter hatte, aber jetzt vermittelt über bestimmte soziale Normen. Das Ausflippen, das ihm die Möglichkeit gegeben hätte, sich weiterzuentwickeln, also vom Symptom wegzukommen, haben wir ihm nicht genügend gestattet. Er hat sich an sein Symptom geklammert. Monika L.: Oschi mußte bestimmte Persönlichkeitsanteile überhaupt nicht in die Therapie einbringen, weil das ja Zorro für ihn getan hat. Auch Konflikte mit uns brauchte er nicht einzugehen, weil er immer von Zorro den Ersatzpart gespielt bekam. Für Zorro war Oschi eine Art Orientierungspunkt. Für Zorro war da ein Lernschritt möglich, für Oschi aber in dieser Konstellation nicht. Eine Situation ist uns dazu eingefallen. Nämlich als Oschi einmal mit den gleichen Mitteln wie Zorro reagierte, als er Zorro gegenüber einmal losbrüllte: »Du alte Fotze!«, was sonst nie vorkam. Zorro konnte das so 63

wenig ertragen, daß er ihm voll eine reingeschlagen hat. Für Zorro war klar: Oschi darf nicht so sein wie er, weil er dadurch den Orientierungspunkt verloren und damit auch seine Emanzipationsbestrebungen eingeengt gesehen hätte. Für Zorro eröffnete sich dadurch eine Perspektive, für Oschi wurde sie gleichzeitig beschnitten. Wir haben überhaupt nicht gesehen, daß Oschi von Anfang an diese Norm, die wir aufgestellt hatten, freiwillig erfüllt hat - wie zuhause - und wir so unbemerkt mit den Eltern paktiert haben gegen ihn. Die Eltern haben gesagt, zuhause ist er ja ganz toll, nur in der Schule flippt er immer aus. Und wir haben den Eltern immer optimistisch erzählt, was für positive Erfahrungen wir mit Oschi in der Gruppe machen. Aber im Grunde genommen hat es keine Veränderung, keine qualitativ wesentliche Veränderung für ihn gebracht. Dieter P.: Zuhause und auch in der Therapie konnte er seine eigenen Bedürfnisse nicht realisieren, in der Schule mußte er darum total ausrasten. Monika L.: Die Mutter sagte z. B.: »Ich bin ja auch Legastheniker. Er ist ja so wie ich, ich bin ja so wie er!« Es bestand sozusagen eine Einheit zwischen Mutter und Kind. Die entwicklungsnotwendigen Ablösungsprozesse konnten da noch nicht ablaufen. Die Mutter hat sich auf Elternabenden ihrem Sohn ähnlich verhalten. Sie trug uns ihre Vorstellungen von Elternarbeit mit, als wären sie ihre eigenen. Als ein Elternbeirat gewählt werden sollte, sagte ich zu ihr: »Frau B., machen Sie das doch!« Sie hat sich wählen lassen, aber sie ist nie zu den Sitzungen hingegangen, weil sie es nur für mich gemacht hat. Dieter P.: Weil wir an einer entscheidenden Stelle, diese Gruppennorm »sozialintegrativ« » als eine Norm von uns - für die Kinder als Idealvorstellung hingestellt haben und die Notwendigkeit für Oschi nicht gesehen haben, zu regredieren, und zwar an der Stelle, an der er hätte ausflippen müssen, weil er seine Bedürfnisse in der Gruppe nicht realisieren konnte, weil er unsere soziale Norm übernommen hat, ist für ihn nichts gelaufen. Da liegt der Widerspruch, da scheidet sich irgendetwas, da geht individuelle Entwicklung und Entwicklung der Gruppe total auseinander. Wir wissen noch zuwenig über uns selbst, was wir als Funktionalisierung von Kindern in die therapeutische Situation mit einbringen, und was eine Entwicklung von Kindern ermöglicht oder behindert. Insofern koppeln wir immer unsere eigene Neurose mit der der Kinder. Heute habe ich mit Oschi gesprochen. Immer wenn er auf seine Angst vor seinem Vater zu sprechen kam, ist er sofort abgeschwenkt und hat von der Schule erzählt, von der Zwei, die er in Physik bekommen hat. 64

Das hat er immer so gemacht, wenn er sich zu sehr bedrängt fühlte. Dann hat er solche Abwehrmechanismen mobilisiert. Er hat Schokolade herausgeholt und in sich hereingestopft. Früher sind wir immer auf die als Ersatz angebotene schulische Ebene eingestiegen. Monika L.: Wir waren begeistert, daß er auf die Gesamtschule gekommen ist, daß er motiviert war, zu lernen, daß er Kontakte knüpfte. Wir haben viel zu wenig die Kinder in der Genese ihrer jeweiligen Entwicklungsbehinderung betrachtet und daher viel zu wenig beachtet, wie die Beziehungen zuhause aussahen. Dieter P.: Ich will einen Schritt weitergehen: In bezug auf die Gruppe kann ich sagen, daß die Gruppe der Raum ist, wo sich die Kinder auch mit ihrem Symptom einrichten können. In der Gruppe wird das Symptom in einer gewissen Weise verwaltet und wir kommen da allein nicht raus. Wir müssen die Analyse der Genese der individuellen Störung weiter vorantreiben. Bei Oschi z. B. hat sich gezeigt, daß er, wenn er sich weiter sozialintegrativ verhält, nicht lernfähig wird, den Sprung los von seiner Mutter und von seinem Vater nicht schafft. Hannes D.: Ich glaube vielmehr, daß er sich euch gegenüber anders verhalten muß, daß sein Verhältnis zu Monika in Frage steht, und in gewisser Weise auch zu Dir, Dieter, daß Du für ihn in Deiner Art - so wie ich dich kenne und erlebe - seinen Vater reproduzierst, daß er sich gegen Dich vielleicht mal spaßeshalber wehren kann, aber nicht ernsthaft. Er kann sich sicherlich in der Gruppe sozial verhalten, ohne daß es gleich therapiebehindernd sein muß. Beate D.: Aber das heißt doch, daß man bei jedem Kind genau hingucken muß! Wenn es sich z.B. sozial verhält, muß das nicht unbedingt ein Fortschritt sein. Das heißt auch, daß wir viel zu allgemein an die Kinder herangegangen sind, daß wir noch viel mehr die einzelnen individuellen Schwierigkeiten herauskriegen müssen. Und was wir dann damit machen sollen, ja, das weiß ich auch noch nicht! Sabine E.: Also ich finde, daß das Wort sozialintegrativ hier nicht paßt, denn in Wirklichkeit habt ihr ja die Norm gesetzt und Oschi hat sich euch gegenüber normentsprechend verhalten und gar nicht so sehr in bezug auf die Gruppe. Die Funktion der Gruppe ist da gar nicht drin. Dieter P.: Ich denke doch! Wir sind aber erst darauf aufmerksam geworden, als wir ihn aus der Therapie entlassen haben. Wir taten das, weil er sich nach unserer Ansicht nach so verhalten konnte, wie sich jemand verhält, bei dem die Therapie zum Erfolg geführt hat, der seine Entwicklungsbehinderung überwunden hat, der sich selbst regulieren kann. Und dann stellten wir fest, daß das eine Fehlinterpretation von uns war, daß sich in Wirklichkeit nichts qualitativ Neues eingestellt hatte, denn in der Schule wurde er wieder auffällig. 65

Hannes D.: Ihr redet immer nur davon, daß Oschi seine Mutter nicht verlieren wollte, aber es gibt garantiert in einer solchen Situation auch die Bemühung, gerade von seiner Mutter wegzukommen. Es ist nie eindeutig! Dieser Prozeß der versuchten Loslösung kann nur über Dich, Dieter, laufen und die Aggression gegen dich, die er haben muß irgendwie, irgendwo, die habt ihr wahrscheinlich nicht zugelassen. Monika L.: Genau das meinen wir. Wir haben ihn an der falschen Stelle unterstützt. Beim Planen, Organisieren, Einkaufen. Das sozialintegrative Verhalten haben wir unterstützt, aber die anderen kleinen Stellen - da wo er mich z . B . mit »Du alte Fotze« angeredet hat - diese Stellen haben wir ignoriert, nicht wahrgenommen, daß da ein Ansatz war. Das haben wir sogar noch bestraft. Dieter P.: Wir haben genau an dieser Schnittstelle die Entwicklung nicht in der richtigen Richtung unterstützt, als Oschi sich z. B. gegen Zorro wehrte, sondern wir haben ihn ganz falsch in seiner sozialen Leistung unterstützt, nämlich, daß er nicht zurückgeschlagen hat. Monika L.: Unser Interesse galt mehr der Beherrschbarkeit der therapeutischen Situation, denn wir hatten ja genügend andere Kinder, die ausflippten, wir wären über ein Kind mehr, das ausflippt, nicht glücklich gewesen. Dieter P.: Wir müssen darüber Bescheid wissen, was wir von uns mit in die Therapie hineintun, damit wir wahrnehmen können, was die Kinder in die Gruppe oder an uns herantragen. Wir müssen uns besser kennenlernen, um nicht entwicklungsbehindernd für die Kinder zu werden. Siegfried S.: Das ist ja richtig, aber es ist bezeichnend für unsere Diskussion, daß nur von den Kindern, und nicht von Euch die Rede ist. Ich habe den Eindruck, das war sehr analytisch, ausgesprochen psychoanalytisch, und ich finde, daß etwas fehlt. Ich sage es einmal provozierend: Es war eine Verdrängungsdarstellung! Ihr habt nicht von euch geredet, sondern von den Kindern, und zwar in einer filigranen Differenzierung, die möglicherweise ein Problem kennzeichnet, nämlich, daß in einer ganz deftigen Form von euch geredet werden muß. Dies steht im Gegensatz zu den Reiseberichten2 und zu eurem eigenen Reisebericht. Ihr habt auch eure eigene Fahrt damals als eine Gefährdung beschrieben für euch. Aber das laß ich jetzt hier im Raum, das ist nicht alternativ, sondern additiv, da stehen zwei Aspekte unvollständig nebeneinander. Daß jeder von seiner Seite einen defizitären Standpunkt einnehmen muß, und den müssen wir - glaube ich - zulassen, obwohl wir unheimliche Schwierigkeiten haben mit der defizitären Darstellung des anderen. Dieter P.: Ich finde nicht, daß wir nicht an uns herangehen, z. B. 66

wenn ich sehe, was in der Therapie abläuft, auch mit Monika, daß wir schon sehr intensiv - manchmal zu intensiv - reflektieren, was zwischen uns abläuft und was wir als Therapeuten mit in die Therapie reinbringen. Aber es ist schon richtig, daß wir in der Gruppensituation mit den Kindern nicht an uns persönlich herangehen und uns auch nicht qualitativ entwickeln, wenn wir nur die Gruppenprozesse im Auge haben. Margret U.: Jörg hat gestern einen guten Satz gesagt: »Die Gruppe als Ort der unauffälligen Begegnung«. Jörg D.: In der Gruppe kannst du für dich alles realisieren, was du realisieren willst, ohne daß es irgendjemand merkt . . . Dieter P.: . . . ohne daß du dich verändern mußt. Siegfried S.: Sich mit dem einzelnen Kind zu beschäftigen, ist der klassische Weg, das Ziel der eigenen Veränderung zu verfehlen. Ich glaube übrigens, daß ich aus einer ganz pauschalen Gesellschaftsanalyse und aus einer eigenen politischen Zielsetzung, und zwar immer wiedertäglich - in der Umsetzung dieser pauschalen gesellschaftsanalytischen Ergebnisse auf ganz konkrete Situationen, zwangsläufig dazu komme, dem einen das eine und dem anderen das andere möglich zu machen, ohne das Aufarbeiten der individuellen Geschichte, ich habe sie doch als Klassengeschichte aufgearbeitet. Ich bin immer mehr der Meinung, daß dem einzelnen hilft, seine Klassenlage begriffen zu haben, um weiterzubegreifen, daß es dem einzelnen nicht hilft, seine individuelle Geschichte zu kennen. Da bin ich ganz rabiat! Ich will die Geschichte des einzelnen nicht kennen. Ich werde behindert, wenn ich die individuelle Geschichte der Kinder kenne. Ich werde dadurch gezwungen, die Fehler zu machen, die die Agenten dieser realen Geschichte des Kindes gemacht haben. Das ist meine Erfahrung, und ich habe immer gedacht, daß es uns hilft, die Geschichte aller Menschen mit ihren Varianzen aufzuarbeiten und uns da als einer unter allen verstehen zu lernen, und daß wir uns identifizieren müssen mit dem anderen über die gemeinsame Geschichte der Gesellschaft. Das ist der einzige Weg, den ich gehen kann, und die sinnvolle Ausweitung der Varianz meines Verhaltens, die kommt doch aus einem weiterentwickelten Kooperationsbemühen, das du als Mitmensch entwickelst. Dieter B.: Ich halte sowohl deine Argumentation, Siegfried, für zu global, als auch das, was du, Dieter, gesagt hast. Ich kann mit beiden Seiten relativ wenig anfangen. Wenn ich mir vorstelle, wie ich mit Kindern in der Therapie umgehe, dann nützt mir die Klassenspezifik von irgendwas relativ wenig, aber ich sehe auch, daß die Erweiterung von Gruppen und gleichzeitig das Sich-Kennenlernen vom Kind aus nur Kennenlernen von Individualgeschichte ist. 67

Beate D.: Unsere Frage ist doch jetzt, wo arbeiten wir weiter, um zu sehen, was in den einzelnen Therapien gelaufen ist. Ich habe das auch nicht so verstanden, daß man möglichst schon am Anfang alles über das Kind wissen müßte und dann einen Therapieplan entwickelt, dann läuft die Sache, sondern daß einem selber klar ist, was an eigenen Schwierigkeiten - gefühlsmäßigen - eingeht in die Therapie und ob sich da nicht in bestimmten Situationen genau das wiederholt, was an anderer Stelle mit dem Kind passiert ist, und daß wir von daher genauer die spezifischen Schwierigkeiten der einzelnen Therapiekinder und unsere eigenen Schwierigkeiten kennenlernen müssen - wie, das weiß ich nicht . . . Margret U.: Ich glaube, wir sind gerade an dem Punkt, an dem wir merken, daß unsere eigenen Grenzen in unserem Verhalten anderen Menschen gegenüber einfach auch die Grenzen für die Kinder sind. Das ist hier der Punkt! Daß es da nicht weitergeht und daß auch kein Wissen uns da nützt - oder ein diagnostisches Feststellen. Siegfried S.: Also kann sich nur etwas ändern, wenn sich die Struktur der Zusammenarbeit der Therapeuten qualitativ ändert, denn das ist der einzige Punkt, an dem ich da einen Ausweg sehe, aus dem was du, Dieter, beschrieben hast. Hannes D.: Meines Erachtens schlägt zur Zeit in unseren Therapien das Pendel dahin aus, daß wir der Frage nachgehen und Erfahrungen darüber machen, was ist mit dem einzelnen Kind los und wie stabilisiert sich die Gruppe über dieses Wissen über das einzelne Kind, daß sich die Therapeuten immer besser verstehen - also bessere Kollektivität praktizieren - , aber die läuft auch nur über die Erfahrung der eigenen Geschichte. Wenn ich mir über meine eigenen Emotionen bewußt werde, was woher kommt, kann ich mich besser kollektiv verhalten, genau in solchen therapeutischen Prozessen . . . Siegfried S.: Das glaube ich nicht! Der Therapeut kommt nur über einen gewerkschaftlichen oder fortschrittlichen politischen Standpunkt in der Arbeit weiter.

Anmerkungen * Die Namen der Kinder sind verändert, es handelt sich um authentische Fälle aus den Therapiegruppen der Autoren. ** Auszüge aus Tonbandprotokollen 1 Vgl.: M. Leonard/D. Pilz: Wie umgehe ich Widersprüche oder der Umgang mit Widersprüchen, in: Materialien zur Entwicklung einer Kindertherapiekonzeption 1970-1978, Berlin (W) 1978, S. 222 ff. 2 Siehe hierzu den Beitrag von Fred Lüttger et al in diesem Band

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Beate Dotzenroth, Margret Uhe

JONAS, der aus dem Walfischbauch ausgespuckt wurde in unsere böse Welt, und seine Schwierigkeiten, sich in dieser zurecht zu finden.

Hauptthema unserer Ausführungen ist unser Erleben mit den Therapiekindern, der Prozeß des Sich-Einlassens auf ihre Wirklichkeit, ihre Probleme. Die Frage, die uns im Moment am stärksten beschäftigt, ist, welche Momente uns behindern, die Kinder wirklich zu verstehen, und wie wir unsere subjektiven Voraussetzungen entwickeln können, um die Kinder da abzuholen, wo sie sind. Wir bewegen uns dabei im Spannungsfeld, unserem gesellschaftlichen Auftrag nachzukommen, das Kind möglichst schnell und effektiv wiedereinzugliedern, unserer Erfahrung, daß nur dann, wenn wir diesem Druck nicht nachgeben und an das Kind weitergeben, es eine Chance zur Veränderung, Heilung, hat, und unseren Ängsten und Unsicherheiten. Auf der institutionellen Ebene stellt sich dieser Prozeß dar als Entwicklung von der Legasthenie-Therapie zur Kinder-Therapie. Wir wollen im folgenden nur eine Seite dieses Prozesses schwerpunktmäßig aufzeigen, daß die Aufdeckung unserer eigenen Behinderung ein wichtiger Ansatz für die Entwicklung der Kinder und Therapeuten ist. Diese Fragestellung wollen wir am Beispiel eines unserer Therapiekinder verdeutlichen, das uns am vehementesten auf dieses Problem aufmerksam gemacht hat. Entscheidend dabei ist, daß wir durch die konkrete Erfahrung mit den Kindern zur Modifizierung unseres Vorgehens gezwungen wurden und dies der Anstoß zur Weiterentwicklung unseres theoretischen Verständnisses über unsere Therapie-Konzeption war. Besonders ein Kind führte uns am deutlichsten vor Augen, daß das Nicht-Lesen- und -Schreiben-Können nicht sein einziges und auch nicht sein eigentliches Problem war. Dies wurde schon in den ersten Begegnungen mit den Eltern und dem Kind deudich. M. U.: »Bei unserem ersten Zusammentreffen verblüffte mich Jonas dadurch, daß er mir zur Begrüßung von einem Tisch herab an den Hals

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sprang und mich küßte. Nachdem er in Windeseile alle Schränke in dem Raum ausgeräumt hatte, konnte ich ihn dazu überreden, ein Testdiktat zu schreiben. Es war für mich sehr mühsam, ihn immer wieder an diese Sache zurückzubringen, da er zwischendurch blitzschnell zu mir kam und mir einen Schlag in den Magen versetzte oder mich wieder küßte, oder mit einem spitzbübischen Lächeln sagte: »Dich finde ich aber besser als die Alte dahinten« (unsere Sachbearbeiterin im Büro). Nachdem ich nach etwa einer halben Stunde ziemlich erschöpft noch ein Gespräch mit seiner Mutter hatte und vorsichtig sein Verhalten mir gegenüber ansprach, beruhigte sie mich damit, daß er immer etwas anhänglich sei. Auch sonst sei alles ziemlich normal mit ihm verlaufen, außer daß er in der Schule nicht mitkomme und nicht stillsitzen könne, gäbe es keine Probleme. Bei einem der nächsten Gespräche fragte der Vater einmal ängstlich besorgt: »Glauben Sie, daß Jonas nicht normal ist?« Ich war erschrokken über die Frage, da mir Jonas zu dieser Zeit noch sehr fremd war, und ich beruhigte den Vater und mich selbst, indem ich etwas darüber redete, daß Normalität eine Definitionsfrage sei.« In der Kindergruppe war Jonas das Kind, das uns von allen sechs Kindern am schärfsten die Grenzen unserer Konzeption vor Augen führte. In einer ersten längeren Therapiephase brachten wir neben einem nach der Morphem-Methode aufgebauten Arbeitsbogen ein Bastel- und Spielangebot in die Kindergruppe ein, das dem durchschnittlichen kognitiven Entwicklungsstand von Kindern der zweiten und dritten Klasse entsprach: etwa Beschäftigung mit Zeit- und Raumeinteilung, Uhr etc. Dieses eher pädagogisch orientierte Vorgehen war nicht an den subjektiven Bedürfnissen der Kinder orientiert, es war aber trotzdem ein Anknüpfungspunkt, um etwas zusammen zu machen. Die Kinder funktionierten jedoch unsere Angebote um, indem sie beispielsweise die Arbeitsbogen anzündeten oder zerrissen. Damit war der Anfang einer Auseinandersetzung zwischen uns Therapeuten und den Kindern gesetzt. Jonas unterschied sich von Anfang an ganz deutlich von den übrigen Kindern, indem er sich überhaupt nicht auf unsere Vorschläge einließ, noch sich auf die anderen Kinder bezog, sondern mit großer Hartnäkkigkeit seine eigenen Wege ging. So läßt sich sein Verhalten während der ersten Zeit so beschreiben, daß er kam, um zu verschwinden. Wir Therapeuten und die anderen Kinder suchten ihn häufig und versuchten, ihn in das Gruppengeschehen einzubeziehen. Immer wieder verschwand er aber ganz plötzlich und tauchte oft ebenso unvermutet wieder auf. 70

Er fiel sehr oft aus dem Gruppengeschehen heraus. Die anderen Kinder schüttelten den Kopf über ihn, sie sagten: »Der ist ein bißchen verrückt.« Auch wenn er da war, konnten sie oft nichts mit ihm anfangen, weil er für sie nicht erreichbar war. Wir beide sahen überhaupt kein Land. M. U.: »Seine totale Verweigerung machte mich zusehends hilfloser und zuweÜen streng, weil ich ihn nicht verstand. Nach Zeiten, wo ich freundlich auf ihn zugehen konnte und akzeptierte, was er alles nicht machte, erlag ich doch immer wieder dem Druck der Schule und den Forderungen der Eltern an uns, Jonas lesen und schreiben beizubringen. Trotz des theoretischen Wissens, daß man nur warten kann, bis das Kind von selbst kommt und sagt: »Zeig mir, wie das geschrieben wird«, stellte ich Forderungen an ihn wie: »Du gehst heute nicht eher nach Hause, bis du wenigstens ein Wort geschrieben hast.« Jonas setzte sich auf meinen Schoß und ritzte ein Wort in den Arbeitsbögen. Er zeigte mir sehr deutlich meine Ohnmacht, und ich ließ ihn wieder laufen. Nicht einmal den anderen Kindern gelang es, Jonas für einen Moment zum Lesen oder Schreiben zu bewegen, während alle anderen letztendlich diese Forderung formal erfüllten. Die Verbissenheit und scheinbare Grenzenlosigkeit, mit der Jonas bestimmte Aktivitäten machte, brachte mich mit meiner Geduld sehr oft an meine Grenzen, und ich ließ mich dazu hinreißen, an ihm »herumzuzerren«, wenn er innerhalb einer Sitzung zum vierten Mal zuhause anrufen wollte, oder Stunde um Stunde in den Werkraum wollte, um zu hämmern.« B. D.: »Zunächst habe ich oft mit Abwehr auf Jonas reagiert. Es fiel mir wahnsinnig schwer, ihn, wirklich dort abzuholen, wo er war. Ich konnte seine Art des Zugehens auf mich kaum ertragen: sein unvermutetes Anspringen von hinten, um mir mit seinem Arm die Luft abzudrücken; sich stinkend mit vollen Hosen auf den Schoß zu setzen; fast in einen hineinzukriechen; sich anzuklammern, anzuhängen, plötzlich beißend oder knuffend. Jedesmal, wenn ich ihn direkt ansprach, lief er aus dem Raum oder machte einfach »dicht«. Er war nicht trotzig oder wütend oder traurig, sondern einfach abwesend, nicht mehr erreichbar, als wenn er mich überhaupt nicht wahrnehmen würde. Mein Abholen war ein Vom-Hals-Abschütteln, weil ich mich bedroht fühlte, ein sachtes Vom-Schoß-Schieben, weil ich mich ekelte, ein Sich-Total-Ohnmächtig-Fühlen, wenn meine Versuche der Kontaktaufnahme an ihm vorbeigingen. Sein distanzloses Mir-Auf-Die-Pelle-Rücken, unvermutet und unvermittelt, hat mich beängstigt.« Was hinderte uns eigentlich daran, seiner deutlichen Aufforderung nachzukommen, sich wirklich auf die Suche nach ihm zu machen? 71

Alle, die das Kind als »Legastheniker« bei uns im Legasthenie-Zentrum abgegeben hatten, die Lehrer, die Eltern, der Geldgeber, forderten die effektive Beseitigung seines Symptoms. Jonas wurde trotz zahlreicher anderer Symptome wie Einnässen, Einkoten ete. nicht von seinen Eltern zur Therapie angemeldet, sondern aufgrund von Schulschwierigkeiten von seiner Deutsch-Förderlehrerin zu uns gebracht, da er trotz durchschnittlicher intellektueller Fähigkeiten nicht lesen und schreiben lernte, die 2. Klasse wiederholen mußte, eine Sonderschuleinweisung kurz bevorstand, und er am Unterricht so gut wie überhaupt nicht teilnahm, sondern träumte und spielte. In den Beratungsgesprächen mit den Eltern waren Jonas' Schulschwierigkeiten das Thema, auf das sie sich als einen ungefährlichen Anknüpfungspunkt bezogen, da sie noch alle seine anderen Probleme verleugneten. In unserer damaligen Konzeption hatten wir zwar den Anspruch, mehr als nur Nachhilfe mit den Kindern zu machen, trotzdem stand das Ansetzen am Symptom »Nicht lesen und schreiben können« im Mittelpunkt unserer pädagogisch-therapeutischen Bemühungen. Neben diesen oben aufgeführten Momenten, die uns daran hinderten, uns eindeutig auf die Seite des Kindes zu stellen, waren es vor allem auch unsere eigene Angst und Abwehr, uns wirklich auf Jonas einzulassen. Wie sind wir nun damit umgegangen? In unserer Ratlosigkeit versuchten wir in den Gesprächen mit den Eltern, Hypothesen dafür zu finden, wie wir Jonas verstehen können. Gemeinsam mit ihnen fanden wir heraus, daß beide Eltern sehr unterschiedliche Erwartungen an ihn hatten. Die Mutter beschrieb ihr Verhältnis zu Jonas damit, daß sie wünschte, daß er ihr »kleiner Schmuser« bleibe, während der Vater hohe intellektuelle Anforderungen an ihn stellte, sich große Sorgen um seine Zukunft machte und sich schon um eine Lehrstelle für ihn bemühen wollte. Für uns stellte es sich so dar, daß diese extrem auseinanderklaffenden Erwartungen der Eltern bei Jonas einen starken seelischen Druck erzeugten, indem er gleichzeitig noch ein kleines Kind sein sollte und auf der anderen Seite schon fast ein Erwachsener. Den Schwerpunkt unserer therapeutischen Bemühungen sahen wir daher darin, Jonas in der Therapie ein Nachholen bestimmter emotionaler Entwicklungsphasen zu ermöglichen, wozu wir die Gruppensitzungen durch Einzeltherapiesitzungen ergänzten. M. U.: »Die andere Seite des Zugangs auf das Kind lag darin, uns selbst zum Thema zu machen: Als mir eine Kollegin zu Beginn unserer Therapie einmal die Frage stellte: »Magst du die Kinder eigentlich?«, 72

antwortete ich: »Ja, wenn's sein muß, warum nicht«, ohne zu wissen, was das bedeuten könnte, geschweige denn, wie ich dahin komme. In unseren Nachbesprechungen und der Supervisionsgruppe stellte sich für uns als auch für die anderen Therapeuten die Frage, wie es einem eigentlich gelingt, als wesentlichem Bestandteil von Therapie ein freundliches Verhältnis zu den Kindern zu entwickeln. Im Rahmen unseres Studiums hatte die Aneignung von Gegenstandsbedeutungen, eine bestimmte gesellschaftliche Sache, stets im Mittelpunkt gestanden, die personalen Beziehungen waren eher störende Randerscheinungen. Jetzt in der konkreten praktischen Arbeit mit den Kindern waren wir als Personen gefordert und konnten unsere neutrale Rolle als »Aneignungsberater« nicht ungebrochen durchhalten. Ein Kind wie Jonas, das mich in Erstaunen und Verlegenheit versetzte, und mir so fremd erschien wie ein Wesen von einem anderen Stern, forderte mich dermaßen heraus, daß es unumgänglich wurde, sich auch mit mir selbst zu beschäftigen. Wichtig dabei war, sich mit den anderen Therapeuten zusammen zuerst einmal diese »negativen« Gefühle einzugestehen und zu akzeptieren, daß es offenbar harter Arbeit an sich selbst bedarf, um zu Freundlichkeit zu so einem Kind fähig zu sein. Die Reflektion und Analyse der Geschichte des Kindes, meiner eigenen Gefühle zu diesem Kind und meiner eigenen Geschichte war eine wesendiche Voraussetzung für den weiteren Therapieverlauf, machte jedoch noch nicht gleich ein neues Verhalten Jonas gegenüber möglich. Für mich war bedeutsam das Erleben der anderen Therapeutin mit ihm.« B. D.: »Die beschriebenen Prozesse bewirkten bei mir, glaube ich, eine größere Offenheit. Ich konnte zulassen, daß ich Jonas mochte, und zwar, weil mich bestimmte Seiten an ihm faszinierten. Ich war jetzt so entlastet, ihm nachzugehen. Ich fand es spannend, daß er in jeder Kiste, in jedem Schrank, in jeder dunklen Ecke verschwand und sich suchen ließ und wurde neugierig auf ihn. Wir besorgten riesige Kartons für die Kindergruppe. Jonas wurde in und mit den Kisten in der Gruppe aktiv. Er erstach Ungeheuer, segelte übers Meer, flog durch die Luft, landete im Weltraum oder auf einem Floß, erzählte von fernen Ländern, Zauberern u. a., hatte ein großes Wissen, holte Kreide aus der Tasche und machte aus dem Raum eine Insel. Das gefiel mir. Ich bin ihm eine Weile einfach nachgegangen. Ich fand es luitig, wenn er, der nicht lesen und schreiben konnte, ein T-Shirt mit der Aufschrift: »Kleine Zeitung« anhatte. Auf die Frage: »In dir gibt es wohl viel zu lesen?« antwortete er verschmitzt: «Ich bringe immer eine Nachricht mit, ihr müßt sie nur rauskriegen.« 73

Thema von mehreren eingeschobenen Einzeltherapiesitzungen war Sich-Verstecken und Gefunden-Werden. Ich entwickelte eine traumwandlerische Sicherheit, ihn an den unvermutetsten Stellen ohne Hinweis zu finden. Waren wir unterwegs, hatte ich kaum noch Angst, wenn er verschwand. Ich war inzwischen sicher, er würde wieder auftauchen. Er erzählte manchmal Dinge, von denen ich nicht wußte und nicht herausfinden konnte, ob sie wirklich waren oder seiner Phantasie entsprangen. Jonas bewegte sich zwischen Phantasie und Realität, manchmal war beides für ihn nicht auseinanderzuhalten. Wer war er, wo war er, wo hört er auf, und wo fängt der andere an? Er fing an, Spuren zu hinterlassen. Uberall, wo er hinging, auf den Straßen, in der U-Bahn, hinterließ er weiße Kreidepfeile. Wir konnten ihm jetzt leichter folgen. In der Gruppe wurde seine Idee mit den Pfeilen aufgegriffen. Zusammen spielten wir alle Schnitzeljagd im Viertel. Er war akzeptiert. Andererseits war er der Hosenscheißer. Neben den wollte sich niemand setzen. Das war hart. Einmal im Bus, alle anderen Kinder setzten sich im Oberdeck in die letzte Reihe. Er durfte sich nicht neben sie setzen. Ganz allein saß er vorn, ich setzte mich zu ihm. Plötzlich riefen die anderen Kinder laut durch den Bus: »Jonas, der Hosenscheißer!« und auch noch: »Wie wird denn Hosenscheißer geschrieben?« Jonas konnte mir zeigen, wieviel ihm das ausmachte, daß ihn auch die Kinder in der Schule hänselten und daß er Angst vor seinem Vater hatte, wegen dieser Sache. Wir waren irgendwie Freunde geworden. Zentral hierfür war wohl mein wirkliches Interesse an ihm. Auf dieser Grundlage und dem langsamen Verstehen seiner »beschissenen« Situation konnte ich besser ertragen, wenn er sich an mich klammerte. Am Anfang hatte ich eher Angst gehabt, daß ein Gefühl wie Faszination den therapeutischen Prozeß störte. Oft hatte ich noch ein schlechtes Gewissen, keine Anforderung bezogen auf Lesen und Schreiben an ihn zu stellen. Der Schuldruck war ja real immer da. Wir sorgten uns um ihn, weil es ihm oft schlecht ging, und er uns immer wieder zu entgleiten drohte in seine »andere Welt«. Eines Tages rief er mich in einer Therapiesitzung vor die Tür, ganz dringlich und allein. Er holte ein kleines Bild aus der Tasche mit einem riesigen Kriegsschiff darauf und sagte todernst und nicht im Spiel: »Auf diesem Dampfer lebe ich seit drei Jahren!« Ich bekam einen Wahnsinnsschrecken und Angst. Hier zeigte sich das Ausmaß seiner Bedrohtheit und Gefährdung in aller Schärfe. Ohne Hilfe der anderen Therapeutin hätte ich an dieser Stelle nicht weitermachen können.« M. U.: »Zu diesem Zeitpunkt fühlte ich mich selbst eher in der Position eines distanzierten Zuschauers. Von weitem sah ich die beiden auf 74

dem Kriegsschiff, war deshalb nicht so unmittelbar davon bedroht wie die andere Therapeutin. Ich war jedoch genauso besorgt um Jonas wie sie, und wir stellten uns häufig die Frage, ob wir ihm überhaupt helfen konnten. Bei einem Erfahrungsaustauch mit Kindertherapeuten einer Familienberatungsstelle erzählten wir von ihm und unserer Angst um ihn, um uns abzusichern und von ihrer Erfahrung her einzuschätzen, ob wir mit Jonas auf dem richtigen Weg waren. Jonas ging mir nicht mehr aus dem Kopf. In Veranstaltungen mit anderen Institutionen, wo wir über unsere Arbeit berichteten, stellte ich immer wieder Jonas als »Fall« vor, ein Ausdruck meiner Art und Weise, mich mit ihm zu beschäftigen, andererseits auch immer wieder der Versuch, von anderen eine Unterstützung zu erfahren. In der Therapie hat sich mein Verhältnis zu Jonas verändert, d . h . unser Umgehen miteinander. In einer Sitzung nahm Jonas sich einen großen Karton und kroch darunter. »Komm, laß uns Post spielen, gib mir was zu schreiben.« Etwa eine halbe Stunde lang schrieben wir uns schweigend Briefe. Nur wenn ich meinen Zettel durch einen Schlitz zu ihm reinsteckte, klopfte ich an seiner Tür an. Er reichte mir seinen Brief heraus. Erst als ich zufällig einmal hochschaute und meine Kotherapeutin am Fenster stehen sah, die zuschaute, merkte ich: »Ach, wir spielen ja zusammen«, so versunken war ich gewesen. Für mich war es wichtig, daß ich aus der Rolle des Zuschauers herausgetreten war, und ich entdeckte, daß es mir Spaß machte, mit ihm zu spielen.« Zwei Beispiele sollen zeigen, daß Jonas inzwischen unverschlüsselter seine Probleme äußern kann und imstande ist, zwischen seinen Phantasien und der Realität zu unterscheiden, und anfängt, sich als eigenständige Person zu begreifen. Jonas fragt: »Habt ihr hier einen Chef?« »Nein, wir entscheiden alles zusammen.« »Ist schon mal jemand rausgeflogen, wenn er was Schlimmes gemacht hat?« »Nein, wir versuchen dann, rauszukriegen, warum er das macht, und helfen ihm, daß er es anders machen kann.« »Ist schon mal ein Kind rausgeflogen?« »Nein, noch nie. Das gibt's gar nicht, daß wir ein Kind rausschmeißen. Aber es gibt Eltern, die manchmal nicht einverstanden sind mit dem, was wir machen und dann das Kind rausnehmen.« »So'n Kind bin ich.« Jonas steckte in der Klemme. Er ist hin- und hergerissen zwischen seinen Eltern und uns. In den Gesprächen mit ihnen haben wir immer wieder ihr Mißtrauen uns gegenüber thematisiert. Im Spiel mit der Taschenlampe, die Jonas als Laserstrahl benutzt, um die Therapeutin zu töten, beruhigt er sie, als sie Angst zeigt: »Es ist doch nur eine Taschenlampe, du brauchst keine Angst zu haben.« 75

Die Mutter berichtet, daß er, anstatt seine Hausaufgaben zu machen, Asterix liest. (Jonas hat bis vor kurzem freiwillig kein Wort gelesen.) Seine schulische Situation ist nach wie vor äußerst schwierig, er ist immer noch sehr isoliert und kann sich schlecht konzentrieren. Die Kindergruppe ist der einzige Ort, wo er teilweise integriert ist und zu einem Kind eine Freundschaft geschlossen hat.

Ulrike Zimmermann

Nina oder: Wie man Sonderschüler herstellt

Auf den folgenden Seiten wollen wir von einer Entwicklung berichten, die trotz allem stattgefunden hat. Gleichzeitig wollen wir festhalten, welch ein Kampf gekämpft werden mußte, um eines der elementarsten Rechte eines jeden Menschen durchzusetzen: sein Recht auf Entwicklung bzw. entwicklungsunterstützende Hilfestellungen. Wir lernten Nina im Mai 1976 kennen. Dies war der Anlaß: Nina Z. (10 Jahre) Die schat dutban-coedint dem schnllaker.4-Iie fabenensitsin goriescheifen-aorer-bt-btönau fon ein naergten. Om eeen Raen kafasche und Moten-M-mth Koer-k-Re-in dei gsch. Schle-f-Faen knen Dinen uenfgr olen. Keine gäuschen-kat -gt-get dem Faksfeo. Meise lin Makien-de-din Tag Faschuen. Das 3WTnot kont du geint du gau sehen geatflen.-Ö-Egn fabn f on ist goch fil Schier baulen genlaunen. Bf = Buchstabenfehler PR Prozentrang

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Seit Mai 1976 nimmt Nina an einer Gruppentherapie des Legasthenie-Zentrums teil. Seither kämpfen wir um die Bewilligung der Kostenübernahme dieser Therapie, richtiger: um die Aufhebung der Verurteilung zu Minderbegabung und Sonderschule. Die Therapie ist noch immer nicht bewilligt, aber der Kampf ist gewonnen: Nina lernt wieder, ihrer Begabung und ihrem Alter entsprechend. 76

I. Nina tabellarisch. - Nina Z., geb. Juni 1966 - Drittes von vier Kindern. - Bis zur Einschulung Krippe bzw. Kindergarten. - Kurz nach Einschulung auf Antrag der Mutter Zurückstellung. Grund: Sprachauffälligkeit (Babysprache). - Vom Sommer 1973 bis 1976 Besuch einer Grundschule. - Frühjahr 1975 erste Sonderschulüberprüfung, durchschnittlicher Intelligenzquotient, Ablehnung der Sonderbeschulung. - Anfang des Jahres 1976 Anmeldung im Legasthenie-Zentrum. Mitte März erstes Gutachten: Antrag auf Bewilligung einer Therapie unter Einschluß legasthenie-therapeutischer Maßnahmen. - Anfang Mai 1976 zweite Sonderschulüberprüfung, ohne Wissen der Eltern. Folge: Überweisung auf Sonderschule. - Mitte Mai Beginn der Therapie im Legasthenie-Zentrum. - Anfang Juni Intervention des LZ beim Schulrat. Zurücknahme der Sonderschuleinweisung, probeweise Übernahme in eine andere Grundschule, verbunden mit Wiederholung der 3. Klasse. - September 1976 erste Ablehnung der Kostenübernahme für eine psychologische Therapie. - Anfang 1976 erneuter Versuch, Nina in eine Sonderschule einzuweisen. Nach Verhandlungen mit Rektor, Schulpsychologie und Legasthenie-Zentrum: Zugeständnis einer neuerlichen Probezeit. - Anfang Oktober 1976 Widerspruch der Mutter gegen Ablehnung ihres Antrags auf Bewilligung einer Therapie. - Mitte Oktober 1976 weiteres Gutachten des Legasthenie-Zentrums. - Anfang April 1977 zweite Ablehnung der Bewilligung einer Therapie. Begründung: Vorliegen einer allgemeinen Lerribehinderung auf Grund von Minderbegabung, keine Legasthenie. - Ende September 1977 drittes Gutachten des Legasthenie-Zentrums. - Ende Januar 1978 Erwiderung des Verwaltungsgerichts auf Klagebegründung. - Mitte April 1978 Anforderung eines Sachverständigengutachtens durch das Verwaltungsgericht. - Ende Juli 1978 Sachverständigengutachten. - Ende Juli 1978 Stellungnahme des schulpsychologischen Dienstes zum Sachverständigengutachten. - Ende November 1978 Entwicklungsbericht des Legasthenie-Zen77

trums, Erwiderung auf Stellungnahme des schulpsychologischen Dienstes. II. Nina auf Papier zerquetscht 1. Auszüge aus dem Gutachten des Legasthenie-Zentrums vom 19. 10. 1976: »Nina ist das dritte von vier Kindern der Familie Z. Nina war kein erwünschtes Kind. Frau Z. fühlte sich auf Grund der äußerst unerfreulichen Familiensituation völlig überlastet. Nicht nur, daß sie von Beginn an mitarbeiten mußte, um den Lebensunterhalt der Familie abzusichern, das weitaus größere Problem sei der sich immer deutlicher manifestierende Alkoholmißbrauch ihres Mannes gewesen. Die desolate Familiensituation habe sich während ihres Klinikaufenthaltes anläßlich der Geburt Ninas unerträglich zugespitzt.« »Nina wird von der Mutter als ein Kind von besonders stabiler Konstitution und Gesundheit beschrieben. Schon aus diesem Grund habe sie der Pflege und Betreuung Ninas keine besondere Beachtung geschenkt. Sie habe jedoch das Gefühl gehabt, daß der akute Zustand der Verwahrlosung ihrer Familie irgendwie im Zusammenhang mit der Existenz Ninas stünde. Dies habe bei ihr Nina gegenüber eindeutig aggressive Impulse ausgelöst.« »Nina habe sich mehr und mehr dem Vater zugewandt. Der völlig unerwartete und unter dramatischen Umständen erfolgte Tod des Vaters (er wurde im Streit erstochen) löste bei Nina erwartungsgemäß den größten Schock aus.« »Nach Aussage von Frau Z. sei Ninas frühkindliche Entwicklung sowohl vor dem Vorfall als auch danach unauffällig verlaufen. Lediglich im Bereich der Sprachentwicklung sei es zu Auffälligkeiten gekommen. Nina habe bis zur Einschulung eine nur für die Familie verständliche >Babysprache< gesprochen. Dagegen berichtete die Kindertagesstättenleiterin, daß bei Nina keinerlei Sprachauffälligkeiten zu bemerken gewesen seien. Nina wurde von ihr als ein Kind von schneller Auffassungsgabe und großem manuellem Geschick beschrieben. Ihre Gedächtnisleistungen seien auffallend gut gewesen. Auch die Vorschulzeit sei unproblematisch verlaufen.« Interpretation und Empfehlung: »Unseres Erachtens ist davon auszugehen, daß bei Nina eine zunächst auf den Erwerb der Lese- und Rechtschreibkompetenz begrenzte Lernschwäche vorlag, die jedoch für Nina die Grundlage einer permanenten Überforderungssituation mit sich brachte und schließlich in Verbindung mit den auch weiterhin bestehenden Schwierigkeiten im familiären Bereich zu einer Generalisierung der Lernschwäche auch auf andere Fächer führte. Dagegen wird Nina von ihrer Lehrerin bis zum Ende des dritten Schuljahres ein besonders gut ausgebildetes Sozialverhalten bescheinigt, sie wird als besonders hilfsbereit und kontaktfreudig beschrieben. Positive Aussagen wurden auch bezüglich ihrer hohen Lernmotivation und ihres Sachinteresses gemacht.« »Trotz der Häufung unmißverständlicher Anzeichen, daß es sich bei Nina um

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den typischen Verlauf einer Lernstörung auf der Grundlage einer Lese- und Rechtschreibschwäche handele, wurden auch nach schulpsychologischer Begutachtung keinerlei pädagogische Maßnahmen ergriffen, um Ninas Verbleib auf der Grundschule abzusichern. Durch das fehlende Angebot von Fördermaßnahmen, die ihren Schwierigkeiten angemessen gewesen wären, konnten die sich ausbreitenden Lernschwierigkeiten schließlich als Beweis einer vorliegenden Minderbegabung mißinterpretiert werden. Die daraufhin seitens der Schule angeforderten ständigen Sonderschulüberprüfungen sind als exakte Widerspiegelung einer durchgängig pessimistischen Grundhaltung Ninas Entwicklungs- und Lernfähigkeiten gegenüber aufzufassen und führten erwartungsgemäß dazu, daß Nina in der zuletzt vorgenommenen Uberprüfung besonders schlecht abschnitt. An dieser grundsätzlichen, von Nina als bedrohlich und beängstigend wahrgenommenen Lage, änderte sich auch durch den Schulwechsel nichts. Ninas neue Klassenlehrerin äußerte bereits 16 Tage nach Eintritt Ninas in ihre Klasse uns gegenüber die feste Meinung, daß die Grundschule für Nina der falsche Platz sei. Auch sie bot als einzig in Frage kommende Maßnahme nur die möglichst schnelle Uberweisung in eine Sonderschule an. Wir sehen in diesen Äußerungen, der andere gleichen Inhalts folgten, nicht nur den Ausdruck massiver Vorurteilsbildung, sondern gleichzeitig die Aufforderung an uns, der Lehrerin durch Beratung und Unterstützung zu helfen, ihr Vorurteil abzubauen. Nina braucht - mehr denn je - Menschen, die bezüglich ihrer Lernmöglichkeiten und Leistungsfähigkeit eine grundsätzlich optimistische Haltung einnehmen, um damit die bei ihr ja noch vorhandene Hoffnung (als Beispiel sei ihre noch immer sehr hohe Lernmotivation genannt) auf Verbesserung ihrer schulischen Situation zu erhalten. Auch ist zu befürchten, daß Ninas bislang in erstaunlicher Weise positiv verlaufende Persönlichkeitsentwicklung unter dem Eindruck der ihr von der Umwelt zugewiesenen Sonderstellung - durch Sonderschuleinweisung - eine negative Wendung nimmt, daß Nina mehr und mehr zur Produktion von Auffälligkeiten übergeht an Stelle der Produktion von Leistungen, wie sie von jeder normalen Schule durchschnittlich gefordert werden. Dafür braucht Nina allerdings eine Zeitlang Hilfestellung, auch in Form von Fördermaßnahmen, welche über die schulischen Föraermaßnahmen hinausgehen.«

2. Nina in der Schule, die Schule über Nina Aus den Zeugnisköpfen Der Zeugniskopf der ersten Klasse »Nina war eine sehr unruhige Schülerin, der es trotz guten Willens nicht gelang, sich genügend auf den Unterricht zu konzentrieren. Ihre Leistungen waren deshalb im Lesen nicht immer ausreichend. Im Schreiben und in Mathematik zeigte sie befriedigende, im Singen und im bildnerischen Gestalten gute Leistungen. Nina war sehr hilfsbereit.«

Der Zeugniskopf der zweiten Klasse: »Nina war eine freundliche, sehr hilfsbereite Schülerin mit gutem Betragen. Sie bemühte sich, dem Unterrichtsgeschehen zu folgen. Sie war aufmerksam

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und arbeitete bei Sachthemen interessiert mit. Zu ihren Mitschülern hatte sie guten Kontakt.«

Der Zeugniskopf der dritten Klasse : »Nina war eine freundliche und hilfsbereite Schülerin mit gutem Betragen. Trotz erkennbaren Lernwillens gelang es ihr nicht, ausreichende Leistungen zu erzielen.«

Der Zeugniskopf der wiederholten dritten Klasse: »Nina zeigte zeitweise Bemühungen, dem Unterricht zu folgen. Sie schien jedoch überfordert und hatte große Schwierigkeiten, den Lehrstoff zu bewältigen. Nina störte oftmals durch Zwischenrufe den Unterricht oder beschäftigte sich mit unterrichtsfremden Dingen. Die Hausaufgaben lagen regelmäßig vor. Das Betragen war nicht immer einwandfrei.«

Zitate aus Beobachtungen und Bemerkungen zum Verhalten und zur körperlichen und seelischen Entwicklung des Schülers/Schülerin. (Teil des Schülerbogens!) »Nina zeigt Eingliederungsschwierigkeiten in die Klassengemeinschaft. Sie verhält sich ihren Mitschülern gegenüber aggressiv. Sie hat noch keine freundschaftlichen Kontakte knüpfen können. Nina folgt dem Unterricht wenig, ist unkonzentriert. Hausaufgaben liegen regelmäßig vor.« (Sept. 76, d. h. drei Wochen nach erfolgter Umschulung) »Nina ist oft abgelenkt, auffallend große Abneigung gegen schriftliche Arbeiten, starke Konzentrationsschwächen, jetzt gutes Verhältnis zu einigen Schülern, stört durch Zwischenrufe den Unterricht, ißt und beschäftigt sich mit schulfremden Dingen.« (Juni 77) »Nina schwätzt und stört ständig den Unterricht. Sie läuft in der Klasse herum und widersetzt sich den Anordnungen des Lehrers. Sie weigert sich teilweise, schriftliche Arbeiten anzufertigen (Hausaufgaben unregelmäßig!).« (Sept. 77) Aus dem Bericht über den Leistungsstand und das Verhalten der Schülerin Nina Z . (Angefertigt am 2. 6. 77) x »Nina ist oft abgelenkt und unaufmerksam. Sie folgt dem Unterricht kaum, ißt oder beschäftigt sich mit schulfremden Dingen.« »Auffallend ist ihre Abneigung gegenüber schriftlichen Arbeiten.« »Nina hat auch sehr große Schwierigkeiten, ein in der Klasse vorgelesenes Schriftstück nachzuerzählen. Oft gelingt es ihr gar nicht, den Sinngehalt wiederzugeben.« ^ »Von drei Gedichten, die die Schüler in den letzten neun Monaten lernen sollten, konnte Nina lediglich das erste, das zum Schuljahrsbeginn zu lernen war, wiedergeben. Sie erhielt dafür die Note: ausreichend. Die beiden folgenden Gedichte lernte Nina nicht. Sie sagte, daß sie dieses nicht könne und auch keine Lust dazu habe, lieber würde sie eine sechs bekommen.« »Bis vor einiger Zeit lagen die Hausaufgaben regelmäßig vor. Seit sechs Wochen ist dies nicht mehr der Fall. Nina meint: >Das habe ich nicht ge-

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Beurteilungsbögen aus der Vorschuluntersuchung

unselbständig

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Besondere Bemerkungen:

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if> hLÜ CD C h minutenlang in dieser Haltung verharre als wolle er auf jeden Fall eine Kontaktaufnahme vermeiden. Bei Therapiebeginn stellte sich zunächst das Problem, daß Michael nicht mitwollte. Da die Eltern der KITA-Kinder meistens berufstätig sind, können wir von ihnen nicht erwarten, daß sie die Kinder in unser Zentrum bringen. Wir holen die Kinder also aus der KITA ab. Besonders für die Kleinen ist diese Abholsituation anfangs undurchschaubar: Sie kennen uns zwar, weil wir während der diagnostischen Phase häufig in der KITA-Gruppe beobachten und Gespräche mit der Gruppenerzieherin führen, aber es ist den Kindern nicht durchschaubar, warum ausgerechnetste mitkommen sollen (oder dürfen). Besonders für Kinder mit derartig gravierenden sozialen Ängsten, wie Michael sie hatte, ist dieses Herausreißen aus dem gewohnten Alltag eine massive Bedrohung ihrer Festung von (verfestigten) Verhaltensweisen, ihres still176

schweigenden Abkommens mit Erziehern und anderen Kindern, sie in ihrer Isolation zu respektieren und zu belassen. Für die Therapeuten stellt sich in diesem Falle das Problem, dem Erzieher die vermeintlich besondere Qualifikation dadurch auszuweisen, daß sie sofort dazu in der Lage sind, mit dem Kind positiven Kontakt aufzunehmen, in diesem Fall also Michael trotz seiner Kontaktscheu dazu zu motivieren, mitzukommen. Der Gefahr eines solchen »von außen« herangetragenen Bewährungsdruckes muß man sich von vornherein bewußt werden, will man nicht - für sich selbst und den Erzieher jegliche Basis kooperativen Handelns schon von Anfang an in Frage stellen. Ein Erzieher kann in einer solchen Situation nur mit uneingestandener Abwehr reagieren, da hier eine Konkurrenzsituation zwischen Erzieher und Psychologen besteht. Für das Kind - in diesem Fall Michael - stellt sich das Problem zweifach: Es ist einerseits plötzlich das Objekt der Bemühungen und Befürchtungen sowohl des Erziehers als auch der Therapeuten, andererseits hat es Angst vor einer ihm unbekannten Situation, in welcher es noch dazu im Mittelpunkt des Geschehens zu stehen scheint. Erst durch die Erfahrungen, die Michael in der Therapiegruppe im LZ zusammen mit den anderen Kindern und den Therapeuten macht, besteht tendenziell die Möglichkeit für alle Beteiligten, die angstbesetzte Situation zu bewältigen. Michael lernt die neue Situation in der Therapiegruppe und die daran beteiligten Personen konkret kennen, er merkt, daß er als Person akzeptiert und nicht über seine psychischen Kräfte hinaus gefordert wird: Er stellt fest, daß er in dem, was er einzubringen in der Lage ist, angenommen und nicht abgelehnt wird. Das Akzeptieren und Anerkennen subjektiven Erlebens und persönlicher Betroffenheit und damit deren Veröffentlichung gegenüber den Erziehern seitens der Therapeuten schafft die Möglichkeiten, die gegenseitigen Bewährungsängste gemeinsam zu bearbeiten. Die Therapeuten sind - um überhaupt therapeutisch tätig sein, d. h. die in diseser Situation auftretenden Konflikte bewältigen zu können - dazu gezwungen, ihre eigenen Ängste sowohl gegenüber ihrem Kotherapeuten, als auch im Tandem oder Mini-Colloquium zu veröffentlichen und damit bearbeitbar zu machen. Dies versetzt sie in die Lage, ihr subjektives Erleben von Konflikten mit den Kindern und daraus auch resultierende Bewährungsängste gegenüber den Erziehern und/oder Eltern diesen gegenI- über zu veröffentlichen, dadurch eine Vergleichbarkeit mit deren Situation herzustellen und eine gemeinsame Bearbeitung dieser Probleme einzuleiten. Damit sind auch den Erziehern Möglichkeiten gegeben, ihre Ängste 177

und Probleme zunächst mit den Therapeuten, zunehmend aber auch mit ihren Kollegen in der KITA zu besprechen und zu überwinden.

Anmerkungen: 1 Vgl.: Senator für Familie, Jugend und Sport: Zweiter Bericht über Maßnahmen zur Betreuung geistig und seelisch behinderter Kinder und Jugendlicher. Berlin (West) 1975. Vgl. auch: Speck, O.: Früherkennung und Frühförderung behinderter Kinder, in: Muth, J., Hrsg. Sonderpädagogik 1, Dt. Bildungsrat, Bd. 25, S. 111-150.

Helga Renfordt, Siegfried Schubenz

Kinderpsychotherapie - was kann das in der Praxis sein? In unser theorie- und methodenorientierten Lehrtätigkeit haben wir mit der Sache der Kinderpsychotherapie wenig Schwierigkeiten. Die Entwicklung im Sektor Kindertherapie des Faches Psychologie zu verfolgen und mitzugestalten erscheint uns recht attraktiv. Die immer deutlicher werdende Tendenz der Auflösung der Therapieschulen in ihre im Rahmen eines universitären Curriculums lern- und lehrbaren Theorieund Methodenbestandteile macht Studierende und uns Lehrende zunehmend handlungsfähiger und produktiver, weil es mit unserer Haltung dem Fach Psychologie gegenüber immer besser vereinbar wird, daß auch bei der Sache der Kindertherapie die kritische Distanz gegenüber Einzeltheorien und das Herausarbeiten eines größeren Überblicks, das Feststellen von Zusammenhängen und von Überschneidungen angeregt und praktiziert werden kann. Psychotherapieforschung erweist sich bei näherer Betrachtung als ein sehr lebendiger Zweig unseres Faches, der Wissenschaftler anlockt, die durch »einfache« Problemstellungen ermüdet, nach komplexen Aufgaben suchen, die sich im Leben wirklicher Menschen stellen. Aber die Berufspraxis, die mit dem Begriff Kinderpsychother,apie verbunden ist, scheint von dieser Bewegung erschreckend wenig zu profitieren. Um Mißverständnisse zu vermeiden: Wir erschrecken nicht, weil die Ergebnisse der Kinderpsychotherapie in der allgemeinen 178

therapeutischen Berufspraxis nicht rechtzeitig und vollständig ankommen. Wir erschrecken über unsere eigene Berufspraxis im Bereich Kindertherapie, in der die gegenwärtig veröffentlichten Theorie- und Methodengrundlagen nicht so handlungsfähig machen, wie es unsere Klienten von uns erwarten müßten. Wir meinen hier nur die Erwartungen, die wir akzeptieren gelernt haben: Die Erwartung der Aufhebung persönlich drastisch erfahrener Entwicklungshindernisse und sozialer Ausgrenzung. Unsere Erfahrung in der Beratung von hilfesuchenden Menschen, die sich Entwicklungsgefährdungen ausgesetzt sehen, nimmt stetig zu. Wir verhalten uns in der konkreten Situation immer kontrollierter und planvoller. Wir helfen unseren Klienten, auf den Punkt zu kommen, der das »Zentrum« der Entwicklungshindernisse ist. Es laufen in unserem Beisein in Übereinstimmung mit veröffentlichten Therapievorstellungen »psychotherapeutische Prozesse« ab. Wir können uns unseren Klienten auch dann noch zuwenden, wenn diese besondere Konfliktsituationen reproduzieren. Was uns aber nicht zur sicheren und von uns selbst akzeptierten Ausübung dieser Berufstätigkeit kommen läßt, ist dieses: Wir lernen in dem gemeinsamen Prozeß, daß die nachweisbaren Erfolge, die den Erfolgen anderer erfahrener Psychotherapeuten vergleichbar sind, auch bei einer Ausweitung der Betreuung bis an die Grenzen des Üblichen, nicht ausreichen, die deutlich zutage tretenden Entwicklungshindernisse voll zu überwinden. Wir haben keine Schwierigkeiten, das allgemeine Therapieziel für alle Klienten von Psychologen zu beschreiben: Abbau von Entwicklungsgefährdungen bzw. Aufbau durchschnittlicher kooperativer Beziehungen zu anderen Menschen im Rahmen gesellschaftlich gegebener Strukturen. Anders gesagt: Realisierung eines durchschnittlichen Anteils an kooperativer Aufgabenbearbeitung in den Institutionen der Vorbereitung und Ausübung eines selbständigen Lebensvollzuges in der Vorschule, der Schule, der Berufsvorbereitung und im Beruf. Erschrekkende Schwierigkeiten haben wir aber, dieses Ziel mit unseren Klienten zusammen in der gemeinsamen Praxis zu erreichen. Sind wir zu anspruchsvoll? Kann ein Arzt bei erheblicher Gesundheitsgefährdung sichere Heilung erreichen? Muß sich sein Patient nicht meist mit erreichter Linderung abfinden? Kann ein Pädagogie das Ziel einer befriedigenden Qualifizierung seiner Schüler für das Berufsleben in jedem Fall erreichen? Bedenken wir doch die großen Klassen und andere entwicklungshemmende Faktoren der Institution Schule als objektiv seine persönlichen Kräfte verbrauchenden Bedingungen. Wir sind aus unserer Beschäftigung mit den veröffentlichten Theorien 179

über die Zielsetzung von Kinderpsychotherapie und aus unseren Beziehungen zu Klienten zu der Meinung gekommen, daß der mit den gesellschaftlichen Verhältnissen herangewachsene Anspruch auf psychotherapeutische Hilfeleistung nicht bedeutet, daß persönliches erhebliches Leiden erträglicher gemacht und mit Entwicklungs- und Qualifikationsmängeln ausgesöhnt werden soll, sondern daß Entwicklungshindernisse mindestens soweit überwunden werden müssen, daß die Ausgrenzung der Klienten aus durchschnittlichen kooperativen sozialen Prozessen aufgehoben wird. Hierzu müssen im Rahmen des von Psychologen in Gang gesetzten therapeutischen Prozesses die Mittel der wissenschaftlichen Forschung, der sozialen Aufklärung und alle materiellen und gesetzlichen Spielräume ausgeschöpft werden. Wir sehen uns zu der Feststellung gezwungen, daß wir den gesellschaftlichen Auftrag, Möglichkeiten der Kinderpsychotherapie zu entwickeln, die gefährliche Entwicklungshindernisse und soziale Ausgrenzung bei Kindern und Jugendlichen überwinden, noch nicht bis an die Grenzen des gegenwärtig gesellschaftlich Erreichbaren erfüllen. Was hindert uns in der Praxis? Uns hindert der gegenwärtige Stand der Theorieentwicklung, der bestimmte Rahmenbedingungen für die Ausübung des Berufs von Kinderpsychotherapeuten fortschreibt. Psychotherapie wird allgemein verstanden als eine von einem einzelnen Menschen ausgeübte Berufstätigkeit. Orientiert man sich an diesem Modell, gerät die eigene Arbeit mit Kindern und Jugendlichen zu einer Sisyphosarbeit, in der das intensiv angestrebte Ziel unerreichbar bleibt. Die Orientierung an diesem Modell wird zum Zwang, dem kaum zu entgehen ist, weil die sich abzeichnenden Konturen psychotherapeutischer Praxis als neuer gesellschaftlicher Institution die allgemeine Festlegung auf dieses Modell der Einzelfallpsychotherapie zeigen. Auch wir sind bisher aus diesem Zwang noch nicht entlassen. Aber wir sehen jetzt schon klarer, in welche Richtung sich unsere Praxis verändern muß: Der Handlungsrahmen Psychotherapie darf nicht im Widerspruch zum aufgestellten Therapieziel stehen! Er steht aber im Widerspruch zum oben genannten Therapieziel. Die Arbeit von Psychotherapeuten ist durch einen krassen Mangel an Kooperation gekennzeichnet, und zwar der Kooperation, die diese Fachdisziplin mit anderen Fachdisziplinen verbindet, die an der Versorgung unterstützungsbgdürftiger Menschen beteiligt sind. Dieser Kooperationsmangel kann solange unbemerkt bleiben, wie psychotherapeutische Arbeit sich auf intrapsychische Vorgänge und Verhaltensprobleme eines Individuums bezieht. Sobald aber die realen Lebens180

Verhältnisse der Klienten den psychologischen Änderungsabsichten Grenzen setzen, wird die interdisziplinäre Kooperation dringlich. Wir müssen nach unserer Erfahrung jetzt davon ausgehen, daß bei allen erheblichen Ausprägungen von sozialer Ausgrenzung von Kindern und Jugendlichen, die sich darin äußert, daß die in dem sozialen Sektor üblichen Entwicklungsschritte in Richtung auf die Integration in die Gruppen Gleichaltriger nicht gemacht worden-sind, über die Herstellung von Kommunikations- und Kooperationsfähigkeit die soziale Ausgrenzung überwunden wird und im Rahmen zunehmend gelingender Kommunikation und Kooperation die realen Entwicklungshindernisse erkannt, bearbeitet und aus dem Weg geschafft werden können. Wir erfahren aber in unserer praktischen Arbeit, daß zu Kommunikation und Kooperation nur dann wirklich sicher angeleitet wird, wenn die soziale Situation, in der die Kinder und Jugendlichen in der psychotherapeutischen Einrichtung stehen, auch eindeutig praktisch differenziert und sehr redundant kommunikativ und kooperativ geprägt ist, also ein Modell von gelingender produktiver Kommunikation und Kooperation vorgegeben werden kann. Diese Aufgabe ist am Beginn eines psychotherapeutischen Prozesses sicherlich von den Fachleuten zu realisieren. Der Kinderpsychotherapeut muß am Beginn des Beratungsprozesses also modellhaft konstruktiv, kommunikativ und kooperativ wirken, wenn seine Klienten zu entsprechenden Tätigkeiten sicher angeleitet werden sollen. Die vermutlich noch häufigste psychotherapeutische Situation, in der ein einzelner Klient mit einem Psychologen zusammentrifft, ist nun aber die denkbar ungünstigste Bedingung, um zu kommunikativer und kooperativer Tätigkeit anzuleiten. Wo ist hier die gemeinsame Sache, die von den Beteiligten begriffen und in der Situation arbeitsteilig realisiert wird? Wir finden sie nicht. Wie soll man aber in dieser Einzelfallkinderpsychotherapie dann zu kooperativer Tätigkeit anleiten können? Psychotherapie mit einer Gruppe von Kindern und Jugendlichen mit mehreren anwesenden Betreuern ist dagegen weitgehend geeignet, zu kooperativer Tätigkeit anzuleiten. Die freie Auseinandersetzung der Kinder • untereinander bietet Ansätze zu Soldidarisierungen. Dieses Klima des Interesses aneinander und der praktischen Zuwendung zueinander ist geeignete Voraussetzung, sich als Kindergruppe mit den Erwachsenen auseinanderzusetzen, deren Bereitschaft zur Auseinandersetzung eine Voraussetzung zur Identifikation ist und deren kooperative Tätigkeiten das gesellschaftlich vermittelte Modell und der komplexe Identifikationszusammenhang sind. Ergebnis ist die wachsende Bereitschaft zur Einübung in kommunikative und kooperative Handlungen. 181

Die noch sehr engen Grenzen dieser Kindergrüppentherapie mit mehr als einem Betreuer liegen in den räumlichen Bedingungen und in den sozialen Strukturen, die von diesen räumlichen Bedingungen beeinflußt werden. Kinderpsychotherapie findet - wie Psychotherapie im allgemeinen auch - in der Regel in speziell dafür geschaffenen Räumen statt, deren praktische Integration in die soziale Wirklichkeit nicht gewährleistet ist. In diesen »therapeutischen Räumen« herrschen in der Regel in nicht sicher vermittelter Weise durch die Therapiekonzeption bestimmte andere Handlungsgesetze als in der Alltagswelt der Kinder und Jugendlichen (worauf sich die Betreuer selbst ermutigend und anleitend einlassen unter relativer Vernachlässigung von gesellschaftlich vermittelten Kooperationshandlungen durchschnittlicher erwachsener Menschen). Aber selbst diese Kindergruppenpsychotherapie mit mehr als einem Betreuer in den Kontextbedingungen einer psychosozialen Beratungseinrichtung, die sich selbst um gesellschaftliche Integration bemüht, kann nach unserer Erfahrung noch immer nicht die Verwirklichung der Uberwindung sozialer Ausgrenzung garantieren. Gruppentherapie dieser Art heißt sicherlich, die Kinder dort »abholen«, wo sie gerade stehen, auf ihre Äußerungen warten und auf sie eingehen; heißt sicherlich auch, beobachten, auswerten von komplexen Eindrücken, mit ungewöhnlichen Affektäußerungen der Klienten umgehen, unkonstruktive Handlungen so aufnehmen, daß die Beziehung zwischen Klienten und Betreuern noch tragfähiger wird. Was uns bei der eigenen Tätigkeit in diesem Arbeitsrahmen immer mehr erschreckt hat, ist die Feststellung der Ähnlichkeit dieser sogenannten therapeutischen Handlungsweisen mit denen der Eltern dieser Kinder und Jugendlichen. Die Eltern bzw. die primären Bezugspersonen dieser Kinder (oft ist das auch nur eine alleinstehende Mutter) haben in der Regel ein uns änderungsbedürftig erscheinendes Verhältnis besonderer personaler Abhängigkeit zu den Kindern, die ihrer gefährlich gewordenen sozialen Ausgrenzung wegen in die Praxis von »Psychotherapeuten« geschickt wurden. Wir stellen in weitgehender Ubereinstimmung mit Theorien der Genese von Störungen der kindlichen Entwicklung fest, daß die in den Institutionen Kindertagesstätte und Schule in der Regel erst manifest werdenden Erscheinungen von gefährlicher sozialer Ausgrenzung im unmittelbaren Zusammenhang stehen mit dem besonderen Abhängigkeitsverhältnis dieser Kinder zu ihren primären Bezugspersonen. Aus Gründen, die sie nicht persönlich zu verantworten haben, waren die primären Bezugspersonen dieser Kinder gezwungen, oft bereits an deren Lebensanfang, ein ungewöhnlich intensives Verhältnis zu meist 182

nur einem einzelnen von vielleicht mehreren eigenen Kindern einzugehen. Die Intensität dieser Beziehung wird in der Regel durch auf dieses Kind gerichtete eigene, zu einem intensiven Gefährdungserlebnis angewachsene soziale Angst bestimmt. Die das eigene Leben sichernde gesellschaftliche Integration der eigenen Person wird von diesen primären Bezugspersonen infrage gestellt oder nicht mehr wahrgenommen. Der das eigene Leben gefährdende Konkurrenzaspekt gesellschaftlichen Lebens überwiegt in der Einschätzung dieser Menschen. Die Ansätze von gelingender Kooperation werden nicht mehr gesehen. Diese Lebenseinstellung hat ihre unmittelbaren und entsprechenden Auswirkungen auf die aktive Lebensgestaltung dieser primären Bezugspersonen. Die Ursachen für diese Einstellung liegen in entsprechenden Erfahrungen und eigenen sozialen Verhältnissen, in denen diese Erfahrungen nicht aufgefangen und als Ausnahme entschlüsselt werden konnten. Die entstandene pessimistische Lebenseinstellung macht es verstehbar, daß diese Menschen als primäre Bezugspersonen von Kindern in die Situation geraten können, eine Beziehung zu einem Kind zu entwickeln, in der soziale Angst durch intensives Strukturieren und Agieren in einer sicheren Miniaturwelt gemeistert werden soll. Es ist in dem Zusammenhang verstehbar, warum in einer die gesellschaftlich nahegelegten Entwicklungsintentionen des Kindes ignorierenden und damit die wirklichen Interessen des Kindes systematisch vernachlässigenden Weise Kinder von ihrer eigenen Entwicklung immer wieder abgelenkt und in einem Verhältnis besonderer personaler Abhängigkeit auf die Interessen der primären Bezugsperson orientiert werden. Diese Kinder sollen nicht in der gesellschaftlich üblichen Weise, von ihren primären Bezugspersonen unterstützt und angeleitet, ihren eigenen Entwicklungsaufgaben nachgehen, sondern sie sollen, in ungewöhnlichem Ausmaß und mit ungewöhnlicher Intensität angefordert und kontrolliert, die Aufgabe erfüllen, die stabile soziale Angst ihrer primären Bezugsperson gering zu halten. Häufig dient der hierbei zwangsläufig entstehende Entwicklungsrückstand des Kindes als Material, aus dem in Umdeutung der Wirklichkeit die Stabilität einer Beziehung, die besondere Wichtigkeit der Bezugsperson, eine ungewöhnliche Qualität von »Geborgenheit« abgeleitet » wird. Intensive, aber instabile und stark oszillierende Gefühle beherrschen das Verhältnis. Die kumulative Vernachlässigung von Aufgaben, ' die in unserer Gesellschaft an Einzelne gestellt werden, läßt im Prozeß negative wechselseitige Bewertungen überwiegen und zeigt dem Außenstehenden, daß sich hier Menschen aneinander gebunden haben mit der Wirkung gegenseitiger Vernachlässigung, dem Ignorieren der auf Entwicklung gerichteten Lebensäußerungen des anderen.

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Toleranz gegenüber zu kleinen Entwicklungsschritten, Toleranz gegenüber unvergleichlicher Individualität, sensibel und durchgängig aufeinander orientiert sein, beobachten und auswerten komplexer Eindrücke, mit ungewöhnlichen Affektäußerungen der Kinder umgehen, unkonstruktive Handlungen so aufnehmen, daß das Verhältnis zwischen Bezugsperson und Kind noch fester wird, sind Verhaltensmittel, mit denen - anfangs einseitig von den Bezugspersonen gegenüber dem Kind, später wechselseitig - das Verhältnis gefestigt und nach außen abgeschirmt wird und nach innen in seiner affektiven Intensität mit zunehmend unkonstruktiven Erscheinungen eskaliert. Auch wir haben erfahren, daß Kinder in für sie bereitgestellten »therapeutischen Räumen«, in denen von den Betreuern die oben genannten Therapieprinzipien eingehalten werden, zur Steigerung von affektiven Äußerungen tendieren. Eine Teilrechtfertigung für das besondere personale Abhängigkeitsverhältnis von Klienten und Betreuern in der therapeutischen Situation ist darin zu sehen, daß ohne ein Akzeptieren der Kinder und Jugendlichen, wie sie sind, wenn sie in die therapeutische Situation eintreten, ein gemeinsamer Entwicklungsprozeß nicht anfangen könnte. Ohne dieses Akzeptieren kann ihnen sicherlich nicht geholfen werden, die Notwendigkeit und den wirklichen individuellen Nutzen von kooperativer Tätigkeit kennen und einüben zu lernen. Es ist also unvermeidlich, daß Betreuer ganz nahe an die wirklichen Verhältnisse ihrer Klienten herantreten. Sie müssen aber nicht in diese Verhältnisse eintreten, so wie Therapeuten aller Konzeptionen und auch wir es bisher tun. Wir sind jetzt erst dabei, uns die Bedingungen zu schaffen, unter denen wir dieser Forderung gerecht werden können. Allgemein gesagt heißt der neue Auftrag: Kindergmppenpsychotherapie muß in der wirklichen Welt der Kinder und Jugendlichen durchgeführt werden. In speziellen »therapeutischen Räumen« werden auch unter Entfaltung aller denkbaren Mittel stets Verhältnisse besonderer personaler Abhängigkeit zwischen Kindern und Betreuern hergestellt, die nur die besonderen Familienverhältnisse (und Kindergarten- bzw. SchulVerhältnisse) der Kinder und Jugendlichen unmittelbar widerspiegeln und als Erfolg nicht mehr erreichen können als eine Aussöhnung der Klienten mit ihrer besonderen Lebenslage. Nur in der wirklichen Welt der Kinder kann ein therapeutischer Prozeß gedacht werden, der sichere Anleitung zu kooperativer Tätigkeit ist, der wirklich an der Aufhebung der besonderen personalen Abhängigkeitsverhältnisse der Kinder zu ihren Bezugspersonen arbeitet und damit unmittelbar auf Überwindung der sozialen 184

Ausgrenzung zielt. Die wirkliche Welt der Kinder besteht aus Eltern und Geschwistern, den potentiellen Bezugsgruppen im Freizeitbereich, den Bezugsgruppen in Erziehungs- und Ausbildungsinstitutionen, den Identifikationsfeldern und sozialen Modellstrukturen aus der Welt der Erwachsenen; sie besteht auch in der Auseinandersetzung mit den Produkten menschlicher Arbeit und ist insgesamt abhängig von den Grundprinzipien der Arbeitswelt, umgesetzt in die Erziehung und Ausbildung in Familien, Kindertagesstätten, Schulen und Berufsausbildung; und die wirkliche Welt der Kinder wird bestimmt durch die öffentlichen Einrichtungen und ihre Strukturen im Zusammenhang mit der Absicherung des gesellschaftlichen und individuellen Lebens. Kinder und Jugendliche, die in psychotherapeutische Betreuung genommen werden, sind allein nicht in der Lage, die lebenswichtigen Verhältnisse mit ihrer Realität selbständig einzugehen. Sie bedürfen der Hilfe, sind vorübergehend auf Vermittler angewiesen, die sie mit der gesellschaftlichen Wirklichkeit, so wie sie sich im allgemeinen Kindern und Jugendlichen des betreffenden Alters zeigt, zu verbinden imstande sind. Eine institutionalisierte Ausbildung, die diese Qualifikation, solche therapeutischen Prozesse zu ermöglichen, herstellt, gibt es noch nicht. Wichtige Teilmomente werden von Erziehern im Jugendfreizeitbereich oder Sozialarbeitern vertreten. Psychologen bringen vielleicht nützliche Einsichten in die historische und gesellschaftliche Bestimmtheit und in die Gesetzmäßigkeiten der Entwickelbarkeit der menschlichen Persönlichkeit ein; dies, zusammen mit der Bereitschaft, die eigene Arbeit in den Dienst von gefährdeten Kindern und Jugendlichen zu stellen, mag eine für den Anfang hinreichende Grundlage für die neue Aufgabe sein; es zeigt sich aber deutlich, daß Psychologen für diese Aufgabe nicht allein kompetent sind, also auf Kooperation mit anderen Berufsgruppen verwiesen sind. Betreuer von in ihrer Entwicklung gefährdeten Kindern und Jugendlichen stehen - wenn sie der Meinung sind, daß therapeutische Prozesse in der Realität der Kinder stattfinden müssen - vor der Aufgabe, ein freundschaftliches Verhältnis zu den Kindern einzugehen, das diesen Kindern von allen anderen Menschen, einschließlich der familialen Bezugspersonen, verweigert wird. Sozial ausgegrenzt zu sein, heißt soviel wie Verweigerung von Freundschaft, von spontaner Solidarität und die Widerspiegelung dieser Verweigerung im Bewußtsein dieser Kinder. Eine wesentliche Voraussetzung, um diese Freundschaft mit gefährdeten Kindern und Jugendlichen bewußt und mit sicherem Erfolg herstellen zu können, sehen wir jetzt in der persönlichen Entscheidung, im Prinzip keinen Schweregrad von sozialer Ausgrenzung als änderungsresistent zu bezeichnen Wenn man sich diese Ent185

Scheidung erarbeitet hat, braucht man nicht mehr mit dem Mißtrauen zu kämpfen, es mit änderungsresistenten Kindern und Jugendlichen zu tun zu haben. Wir sind der Meinung, daß diese Voraussetzung, es mit weitreichend änderungsfähigen Kindern und Jugendlichen zu tun zu haben (als wissenschaftlich abgesicherte Annahme), die Wirksamkeit dieser Freundschaftsbeziehung bestimmt. Die Freundschaftsbeziehung der Betreuer zu sozial ausgegrenzten Kindern und Jugendlichen ist der qualitative Rahmen, in dem produktive, belastbare, geduldige, aktive, fein differenzierende soziale Vermittlungen zwischen der (von den Betreuerun nicht beeinflußten) gesellschaftlichen Wirklichkeit und der Kindergruppe erst stattfinden können. Anders als in bisheriger kinderpsychotherapeutischer Praxis müssen die so arbeitenden Betreuer einer Kindergruppe vor allem Einsichten in diejenigen Erfahrungen und Prägungen der Kiijder entwickeln, die annähernd altersgemäß sind; von dieser betonten Grundlage altersentsprechender Entwicklung ausgehend, kann eine umfassende altersgemäße Persönlichkeitsentwicklung gemeinsam angegangen werden. Erfahrungen, die gemessen am Alter der Kinder und Jugendlichen noch fehlen, Entwicklungsdefizite also, sind für die Betreuer ein relativ untergeordnetes Problem. Denn sie können davon ausgehen, daß mit der schrittweisen Aufhebung von sozialer Ausgrenzung (also der zunehmenden Integration in die Altersgruppen und der entsprechenden neugewonnenen solidarischen Beziehung zu den gleichaltrigen Kindern der Therapiegruppe und anderen Altersgenossen) die entscheidende Voraussetzung zur erfolgreichen und schnellen Auffüllung der Defizite geschaffen ist. Nur diese Erfahrung von zunehmender altersgemäßer und erfolgreicher, ansatzweise schon kooperativer Tätigkeit im praktischen Rahmen einer realen Altersgruppe ermöglicht den Kindern, ihre Defizite unängstlich zu erkennen und die Motivation zu entwickeln, diese Entwicklungslücken zu schließen. An der tendenziell solidarischen und freundschaftlichen Haltung von Bezugsgruppenmitgliedern, zu denen erste Kontakte geknüpft sind, entsteht ein neues Selbstbewußtsein von praktizierter Altersgemäßheit; die Kinder können freiwillig den ernsthaften Umgang mit eigenen Defiziten aufnehmen, der aus der Identifikation mit der Altersgruppe heraus gleichzeitig als beiläufige Aufgabe betrachtet wird, die die zunehmend altersgemäße Lebensgestaltung nicht einschränken darf. Die Betreuer repräsentieren dabei die für eine gelingende Entwicklung verantwortlichen Erwachsenen. Sie nehmen sowohl Funktionen der Eltern als auch der Erzieher und Lehrer wahr, die die Kinder bei der Entwicklung von Fähigkeiten, Fertigkeiten und Bedürfnissen unter186

stützen; sie orientieren sich wie diese an den gesellschaftlichen Verhältnissen, an den Bewertungsnormen, an denen Erfolg oder Mißerfolg von Handlungen gemessen wird. Anders als diese sehen sie aber im Mißerfolg bei dem Versuch, eine entwicklungsriützliche Aufgabe zu bewältigen, den noch unvollständigen ersten Versuch und ermutigen zu weiteren Versuchen, damit der Erfolg sich schließlich einstellt. Die Kinder werden nicht nach der Anzahl benötigter Versuche bis zur erfolgreichen Aufgabenlösung klassifiziert, denn die Betreuer haben kein Interesse an Selektion. Ihr Interesse gilt ausschließlich der letztlich sicheren Herstellung von gesellschaftlich positiv bewerteter, notwendiger Qualifikation, der Herstellung von Kooperationsfähigkeit als Voraussetzung für gesellschaftliche Integration.

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Teil III Die Institution

Jörg Dannenbergery Sabine Egloff

Die institutionellen Rahmenbedingungen der pädagogisch-therapeutischen Tätigkeit im LegasthenieZentrum e. V. Berlin

Die historische Entwicklung der Therapiekonzeption wurde am Anfang dieses Bandes im Beitrag von Henning Siemens beschrieben; jetzt geht es um die differenzierte Darstellung des aktuellen Standes der institutionellen Arbeitsstruktur, die den Rahmen für die Betreuung von zur Zeit 320 Kindern und Jugendlichen durch etwa hundert Mitarbeiter in vier Regionalbereichen West-Berlins bildet. Die institutionellen Rahmenbedingungen sind einerseits die organisatorischen Voraussetzungen für die therapeutische Arbeit mit den Kindern - und wirken sich ganz entscheidend auf die inhaltliche Arbeit aus - ; sie sind andererseits Resultat der Erkenntisse des therapeutischen Handelns, sind also durch die inhaltliche Arbeit bestimmt; insofern geht es hier um die institutionellen Strukturmomente als Elemente der inhaltlichen Arbeit. Die Organisation der therapeutischen Maßnahmen und ihre Finanzierungsgrundlage. Unsere bisherigen Erfahrungen mit legasthenen und/oder verhaltensauffälligen Kindern verdichten sich in der Auffassung, daß die therapeu188

tische Arbeit mit Menschen im Entwicklungsalter immer eine Einheit von Betreuung des Kindes, Erziehungsberatung der Eltern und Beratung und Zusammenarbeit mit den Institutionen sein muß, die für die Entwicklung des Kindes verantwortlich sind (insbesondere die Schule). Die Betreuung des Kindes umfaßt bei uns grundsätzlich vier Stunden Gruppentherapie (GT) wöchentlich während der Schulzeit, wobei die Gruppentherapie in Einzelfällen durch einzeltherapeutische Sitzungen (ET) ergänzt wird (die Gruppentherapie begleitend, die Integration in eine Gruppe vorbereitend oder als Nachbetreuung nach Beendigung der Therapiegruppe). Die Therapiegruppe besteht immer aus sechs Kindern und zwei Therapeuten, die beide in gleichem Maße für die therapeutische Arbeit verantwortlich sind. Die Beratung der Eltern erfolgt in Einzelgesprächen (EB), vorwiegend in Hausbesuchen, mit einem Umfang von etwa zwei Stunden monatlich, der jedoch in Einzelfällen und entsprechend aktuellen Krisensituationen in erheblichem Maße überschritten werden muß. Darüber hinaus finden einmal monatlich zwei- bis vierstündige Elterngruppenberatungen (GB) statt, an denen sich alle Eltern einer Therapiegruppe beteiligen sollen. Die Beratung mit Institutionen bzw. sonstigen Erziehungspersonen umfaßt - soweit Schulschwierigkeiten (Leistungsdefizite und Verhaltensauffälligkeiten) Anlaß für die therapeutischen Maßnahmen sind - die Beratung mit Lehrern (LB), wobei »Beratung« hier ein sehr weitgefaßter Begriff ist und die wechselseitige, kollegiale Kooperation zwischen Lehrern und Therapeuten mit dem Ziel einer gemeinsamen Abstimmung der schulischpädagogischen und der therapeutischen Maßnahmen ebenso beinhalten kann wie durch scharfe Konfrontation bestimmte Auseinandersetzungen auf höheren Ebenen der schuladministrativen Hierarchie (Rektoren, Schulräte usw.) mit dem Ziel der Verhinderung von Ausgrenzungsakten gegenüber Kindern (Sonderschuleinweisung, Einweisung in Beobachtungsklassen oder Erteilung von Einzelunterricht) oder auch gegenüber den Therapeuten (Verbot an die Therapeuten, die Schule zu betreten, Verbot an die Lehrer, sich um Kontakt zu den Therapeuten zu bemühen). In Einzelfällen finden auch Beratungen mit anderen Institutionen zwecks wechselseitiger Abstimmung der Maßnahmen statt, so mit Erziehungsberatungsstellen, Familienfürsorgestellen, Behindertenfürsorgestellen, Familienhelfern usw. Damit ist der Kern der unmittelbaren therapeutischen Maßnahmen beschrieben. Die praktischen Erfahrungen mit dieser Arbeitsweise haben uns gelehrt, daß die Qualität des therapeutischen Prozesses, damit des Entwicklungsfortschritts der betreuten Kinder, wesentlich abhängt von der Intensität des Angebots an Kooperations- und Kommunika189

tionsmöglichkeiten, womit einerseits die räumlich-zeitlichen, situativen Rahmenbedingungen der Gruppentherapie und andererseits die Bedingungen für die Herstellung und Erhaltung der spezifisch psychotherapeutischen Kompetenz der Therapeuten angesprochen sind (der letztgenannte Aspekt wird unter »Arbeitsstruktur« näher beschrieben). Wir haben gelernt, daß eine Intensivierung von Kooperations- und Kommunikationsmöglichkeiten gebunden ist an eine Überschreitung der räumlich-zeitlichen Grenzen, denen Gruppentherapie gemeinhin unterliegt. Dies hat dazu geführt, daß inzwischen sehr viele Therapiegruppen, zumindest über bestimmte Phasen der Therapie hinweg, statt der zwei doppelstündigen Sitzungen pro Woche sich einmal wöchentlich zu einem vierstündigen »langen« Therapienachmittag treffen. In diesem Rahmen sind auch die Gruppenreisen (zweitägige Wochenend-Ausflüge innerhalb West-Berlins oder mehrtägige Aufenthalte in Westdeutschland), die von vielen Therapiegruppen geplant und durchgeführt werden, zu sehen. Ein weiterer Schritt bei der Intensivierung von Kooperations- und Kommunikationsangeboten ist die Organisierung von Aktivitätsangeböten und sozialen Interaktionsmöglichkeiten außerhalb der Therapiegruppe. Dies wird z. B. in den Räumlichkeiten des Legasthenie-Zentrums in Berlin-Tempelhof dadurch erreicht, daß immer drei Therapie-Gruppen zu einer Therapie-Einheit zusammengefaßt sind und über eigene, von den Therapieräumen anderer Gruppen relativ abgegrenzte Räume verfügen. Dadurch besteht für jede Gruppe die Möglichkeit, in Kontakt zu anderen Gruppen zu treten und an deren Aktivitäten teilzunehmen, die eigenen Aktivitäten auf andere Gruppen zu beziehen und umgekehrt. Ebenso ist durch diese Organisationsform der gruppentherapeutischen Aktivitäten gewährleistet, daß das Verlassen des Therapieraumes bzw. der eigenen Therapiegruppe durch ein Kind nicht zwangsläufig das Ende der therapeutischen Betreuung in dieser aktuellen Situation bedeutet, sondern daß auch außerhalb der eigenen Therapiegruppe ein weiteres, »offenes« Lern- und Auseinandersetzungsangebot besteht. In einem anderen Bezirk Berlins, in Reinikkendorf, wo das Legasthenie-Zentrum (noch) keine eigenen Räumlichkeiten unterhält, wurde das anstehende Problem durch die Integration der Therapiegruppe in die »offene« Kinderfreizeitarbeit eines staatlichen Kinderfreizeitheimes gelöst. Aktivitätsangebote und soziale Interaktionsmöglichkeiten mit »offenem« Freizeitcharakter werden für diese Therapiegruppe nicht durch andere Therapiegruppen realisiert, sondern durch die kontinuierliche und alltägliche Arbeit der in dieser Einrichtung berufstätigen Erzieher mit den jeweils anwesenden Kindern der Wohngegend.

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In der beschriebenen Grundstruktur der therapeutischen Maßnahmen einschließlich der Integration einzelner Kinder in Therapiegruppen und der Therapiegruppen in übergreifende Kooperations- und Kommunikationszusammenhänge (»Therapie-Einheiten«, »offene« Kinderfreizeitarbeit), die Resultat unserer langjährigen praktischen Arbeit mit Kindern ist, kommen unseres Erachtens verallgemeinerbare Grundprinzipien für die therapeutische Betreuung von Menschen im Entwicklungsalter zum Ausdruck. Die therapeutischen Maßnahmen können der Aufgabenstellung, »Eingliederungshilfe« bei psychischer Entwicklungsbehinderung von Kindern und Jugendlichen zu sein, nur dann voll gerecht werden, wenn die Möglichkeit der Integration in alltägliche, durchschnittliche Entwicklungsprozesse von Gleichaltrigen besteht. Therapeutische Betreuung von Kindern ist also angewiesen auf das Vorhandensein von Aktivitätsangeboten und Beschäftigungsmöglichkeiten, die unabhängig vom (gruppen-therapeutischen Prozeß stattfinden, wobei diese Beschäftigungsmöglichkeiten zu verstehen sind als laufende Aktionen, für gleichaltrige Kinder in perspektivisch gerichteten Handlungszusammenhängen. Wo diese Voraussetzung nicht gegeben ist, muß sie hergestellt werden, damit auf dieser Grundlage die spezifisch psychotherapeutische Bearbeitung der individualgeschichtlich bestimmten Konflikte der Kinder erfolgen kann bzw. dies ermöglicht wird. Psychotherapeutische Bearbeitung der familialen Abhängigkeitsbeziehungen des Kindes einerseits (dies ist ein Schwerpunkt der Elternberatung) und Integration des Kindes in von der Familie unabhängige Handlungszusammenhänge mit Gleichaltrigen andererseits sind zwei notwendige, sich ergänzende Momente. Bearbeitung der familialen Abhängigkeitsbeziehungen ermöglicht den Kindern die Erprobung neuer Verhaltensweisen gegenüber Gleichaltrigen; Integration in die Gruppe der Gleichaltrigen und damit verbundene Stabilisierung der Selbständigkeitsentwicklung schafft ein Gegengewicht zur familialen Abhängigkeit und damit die Grundlage für die Ermöglichung entwicklungsnotwendiger Konflikte, insbesondere das Sich-Wehren gegenüber dem Abhängig-Gehalten-Sein in der Familie; damit wird wieder die psychotherapeutische Bearbeitung der familialen Abhängigkeitsbeziehungen des Kindes unter veränderten Bedingungen möglich usw. Bei der Institutionalisierung therapeutischer Maßnahmen im Entwicklungsalter ist eine Integration in jene gesellschaftlichen Institutionen anzustreben, die Träger des durchschnittlichen Entwicklungsprozesses in der unmittelbaren Lebensumwelt des Kindes sind. Deshalb sind wir dabei, die Regionalisierung unserer Arbeit voranzutreiben (zur 191

Zeit ist die Arbeit des Legasthenie-Zentrums in vier Regionalbereiche aufgeteilt); dabei soll allmählich eine Integration der therapeutischen Arbeit in das jeweils vorhandene regionale psychosoziale Versorgungsnetz erreicht werden, wobei ein erster Schritt hierzu die Mitarbeit in regionalen psychosozialen Arbeitsgemeinschaften ist. Die Institutionalisierung therapeutischer Maßnahmen in isolierten Einrichtungen (ob als private »Psychotherapeutische Praxis« oder als »Therapie-Institution«), wie sie auf der Grundlage des vorliegenden Psychotherapeutengesetz-Entwurfs vorgesehen ist, muß demnach als äußerst fragwürdig angesehen werden, da diese Organisationsform letztlich in Widerspruch zur inhaltlichen Aufgabenstellung steht. Im Rahmen der damit beschriebenen Gesamtstruktur der therapeutischen Maßnahmen werden im Legasthenie-Zentrum zur Zeit etwa 320 Kinder und Jugendliche betreut, wobei die überwiegende Mehrzahl der Kinder und Jugendlichen sich zwischen zwei und dreieinhalb Jahren in Therapie befinden bzw. die meisten Therapiegruppen über zweieinhalb Jahre bis drei Jahre laufen. Das bedeutet, daß durchschnittlich jedes Jahr etwa 120 Kinder aus der Therapie entlassen werden und eine ent* sprechende Anzahl Kinder jedes Jahr neu aufgenommen werden kann. Die Frage, welche Kinder in die Therapie aufgenommen werden, welchen Kindern das beschriebene therapeutische Unterstützungsangebot zuteil wird, kann durch eine ausführliche Beschreibung des Aufnahmeverfahrens auf der Grundlage derzeit gültiger gesetzlicher Regelungen geklärt werden. - Grundlage für unsere Arbeit bilden folgende gesetzliche Bestimmungen des Bundessozialhilfegesetzes (BSHG): § 39 (1) »Personen, die nicht nur vorübergehend körperlich, geistig oder seelisch wesentlich behindert sind, ist Eingliederungshilfe zu gewähren. Personen mit einer anderen körperlichen, geistigen oder seelischen Behinderung kann sie gewährt werden.« (2) »Den Behinderten stehen die von einer Behinderung Bedrohten gleich . . .« (3) »Aufgabe der Eingliederungshilfe ist es, eine drohende Behinderung zu verhüten oder eine vorhandene Behinderung oder deren Folgen zu beseitigen oder zu mildern und den Behinderten in die Gesellschaft einzugliedern. . . .« (4) »Eingliederungshilfe wird gewährt, wenn und solange nach der Besonderheit des Einzelfalls, vor allem nach Art und Schwere der Behinderung, Aussicht besteht, daß die Aufgabe der Eingliederungshilfe erfüllt werden kann.« § 40 (1) »Maßnahmen der Eingliederungshilfe sind vor allem 1. ambulante oder stationäre Behandlung oder sonstige ärztliche oder ärztlich verordnete Maßnahmen zur Verhütung, Beseitigung oder Milderung der Behinderung, . . .

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2 a. heilpädagogische Maßnahmen für Kinder, die noch nicht im schulpflichtigen Alter sind, 3. Hilfe zu einer angemessenen Schulbildung, vor allem im Rahmen der allgemeinen Schulpflicht und durch Hilfe zum Besuch weiterführender Schulen einschließlich der Vorbereitung hierzu; die Bestimmungen über die Ermöglichüng der Schulbildung im Rahmen der allgemeinen Schulpflicht bleiben unberührt«.

Einzelne Begriffe dieses Gesetzestextes werden in der Verordnung nach §47 des Bundessozialhilfegesetzes (Eingliederungshilfe-Verordnung) konkretisiert: § 3 »Seelisch wesentlich behindert im Sinne des § 39 Abs. 1 Satz 1 des Gesetzes sind Personen, bei denen infolge seelischer Störungen die Fähigkeit zur Eingliederung in die Gesellschaft in erheblichem Umfang beeinträchtigt ist. Seelische Störungen, die eine Behinderung im Sinne des Satzes 1 zur Folge haben können, sind 1. körperlich nicht begründba^e Psychosen, 2. seelische Störungen als Folge von Krankheiten oder Verletzungen des Gehirns, von Anfallsleiden oder von anderen Krankheiten oder körperlichen Beeinträchtigungen, 3. Suchtkrankheiten, 4. Neurosen und Persönlichkeitsstörungen.« § 4 »Als nicht nur vorübergehend im Sinne des § 39 Abs. 1 Satz 1 des Gesetzes ist ein Zeitraum von mehr als 6 Monaten anzusehen.« § 12 »Die Hilfe zu einer angemessenen Schulbildung im Sinne des § 40 Abs. 1 Nr. 3 des Gesetzes umfaßt auch 1. heilpädagogische sowie sonstige Maßnahmen zugunsten behinderter Kinder und Jugendlicher, wenn die Maßnahmen erforderlich und geeignet sind, dem Behinderten den Schulbesuch im Rahmen der allgemeinen Schulpflicht zu ermöglichen oder zu erleichtern, 2. Maßnahmen der Schulbildung zugunsten behinderter Kinder und Jugendlicher, wenn die Maßnahmen erforderlich und geeignet sind, dem Behinderten eine im Rahmen der allgemeinen Schulpflicht üblicherweise erreichbare Bildung zu ermöglichen, . . .« § 24 »Bei der Prüfung von Art und Umfang der in Betracht kommenden Maßnahmen der Eingliederungshilfe sollen, soweit nach den Besonderheiten des Einzelfalles geboten, ein Arzt, ein Pädagoge, jeweils der entsprechenden Fachrichtung, ein Psychologe oder sonstige sachverständige Personen gehört werden.«

Für diese Regelungen ist im Hinblick auf das Aufnahmeverfahren charakteristisch, daß zwar für Personen mit »seelisch wesendicher Behinderung« ein gesetzlich geregelter Anspruch auf »Maßnahmen der Eingliederungshilfe« besteht, ohne daß es jedoch einen gesetzlichen Auftrag an staatliche Institutionen gibt, entsprechende Maßnahmen der Eingliederungshilfe durchzuführen oder ein quantitativ und qualitativ ausreichendes Angebot bereitzustellen. Folglich beinhaltet die genannte gesetzliche Regelung lediglich einen Kostenerstattungsanspruch3 sofern Maßnahmen der Eingliederungshilfe durch die Betroffenen genutzt 193

werden; d. h. die Kosten werden von den zuständigen Trägern der Sozialhilfe (hier in Berlin die Bezirksämter, Abteilung Jugend und Sport, Behindertenfürsorge) übernommen. Weiterhin ergibt sich aus dieser gesetzlichen Regelung die Notwendigkeit der Feststellung einer seelisch wesentlichen Behinderung im Einzelfall durch dafür zuständige staatliche Institutionen (hier in Berlin die Kinder- und jugendpsychiatrischen Beratungsstellen der Bezirksämter, Abt. Gesundheitswesen, in Zusammenarbeit mit dem Landesnervenarzt beim Senator für Gesundheitswesen und Umweltschutz) als Voraussetzung der Bewilligung des Kostenübernahmeantrags der Betroffenen. Für die betroffenen Eltern und Kinder, die die therapeutische Betreuung in Anspruch nehmen wollen, heißt dies, daß sie sich um die amtliche Beglaubigung »ihrer« Behinderung bemühen müssen, daß sie detaillierte Auskünfte über ihre individuelle Lebensgeschichte preisgeben müssen, und sich selbst schließlich in Form einer Akte, der »Aktenpersönlichkeit«, gegenüberstehen, die unter dem Etikett »seelisch wesentliche Behinderung« verwaltet wird, und die - unkontrollierbar für die Betroffenen - schließlich einen gefährlichen Einfluß für das wirkliche Leben der Betroffenen haben kann. Für das Legasthenie-Zentrum als Anbieter von Maßnahmen der Eingliederungshilfe folgt aus diesen Regelungen, daß der Kostenerstattungsanspruch vieler Einzelfälle die Finanzierungsgrundlage der gesamten Arbeit darstellt. Demnach ist das Aufnahmeverfahren zugleich ein Verfahren zur Sicherstellung und materiellen Absicherung der gesamten Arbeit. Aus der Perspektive der Träger der Sozialhilfe ergibt sich nach der Feststellung der seelisch wesendichen Behinderung die Aufgabenstellung, die Betroffenen bei der Suche nach Institutionen oder Personen, die geeignete Maßnahmen der Eingliederungshilfe durchführen, zu unterstützen. Von der Logik des gesetzlichen Verfahrens her gesehen, müßte das Aufnahmeverfahren im Legasthenie-Zentrum also so aussehen, daß Eltern auf der Grundlage einer Empfehlung von Behindertenfürsorgestellen bzw. Kinder- und Jugendpsychiatrischen Beratungsstellen bei uns anfragen, ob wir geeignete Maßnahmen der Eingliederungshilfe durchführen können, da eine seelisch wesentliche Behinderung anerkannt ist bzw. einzutreten droht. Unsere Aufgabenstellung wäre es, dann zu entscheiden, ob bzw. wie das jeweilige Kind in die oben beschriebene Maßnahmenstruktur zu integrieren wäre. -Tatsächlich kommen jedoch auf diesem Wege nur sehr wenige Kinder in therapeutische Betreuung ins Legasthenie-Zentrum. 194

In der Regel werden Kinder oder Jugendliche durch Eltern, Lehrer oder sonstige Institutionen im Legasthenie-Zentrum angemeldet, mit der Anfrage, ob wir mit bzw. für das Kind etwas tun können (Angaben über Ausmaß und Ergebnisse des Arbeitsbereichs »Anmeldung« liefern die Beiträge von Gawe uhd Greve). Da die beschriebenen gesetzlichen Regelungen die materielle Basis für unser therapeutisches Unterstützungsangebot bilden und wir folglich nicht in jedem Fall von Hilfeersuchen tätig werden können, sind wir gezwungen, in einem ersten Selektionsakt zu entscheiden, ob sich aus unserer Sicht der jeweiligen individuellen Problematik die Notwendigkeit einer therapeutischen Betreuung im Rahmen unseres institutionalisierten Angebots ergibt oder nicht. Diese Selektion findet bisher auf der Grundlage von zwei- bis dreimal jährlich stattfindenden Gruppendiagnosen statt, wobei mit den Kindern und Jugendlichen Intelligenztests und Rechtschreibtests durchgeführt werden und die Eltern parallel in Gruppen beraten werden und einen ausführlichen Elternfragebogen ausfüllen. Die Gruppendiagnosen werden in der Regel in Zusammenarbeit mit dem Landesverband Legasthenie Berlin e. V. (die Selbsthilfeorganisation betroffener Eltern) durchgeführt. Die Praxis der Gruppendiagnosen wird aktuell verändert und soll in Zukunft durch individuelle kurze Beratungssitzungen mit den Eltern ersetzt werden, um Wartezeiten zu reduzieren und um einen persönlichen Eindruck von den jeweils vorliegenden Problemen zu bekommen. - Sofern wir auf der Grundlage von Ergebnissen aus der Gruppendiagnose und der Beratung der Eltern zu der Einschätzung kommen, daß eine Förderung des Kindes über das Bundessozialhilfegesetz nicht zu erreichen ist oder andere Maßnahmen sinnvoller sind, werden die Eltern an andere Stellen verwiesen oder sich selbst überlassen, wobei sich hier der Landesverband Legasthenie nach seinen Kräften um weitere Hilfestellung bemüht. Sofern wir zu der Einschätzung kommen, daß im jeweiligen Einzelfall eine Entwicklungsbehinderung, damit eine seelisch wesentliche Behinderung, möglicherweise vorliegt und begründet werden kann, wird in einer ausführlichen Einzeldiagnose (Anamnese, Exploration) die Sachlage endgültig abgeklärt. Die dabei erhobenen Daten, Hypothesen und Schlußfolgerungen dienen einerseits als erste Grundlage für die Orientierung der Therapeuten. Unter diesem Aspekt sprechen wir hier von der Therapie-Eingangsphase, die mit der Zusammenstellung von Kindern zu Kindergruppen, der verantwortlichen Beauftragung von zwei Therapeuten und schließlich dem Beginn der therapeutischen Maßnahmen im Rahmen der beschriebenen therapeutischen Struktur endet. 195

Andererseits dienen die im Rahmen der Einzeldiagnosen erhobenen Daten usw. der Erstellung eines Gutachtens, mit dem der Antrag der Eltern auf Kostenübernahme durch die zuständigen SozialhÜfeträger unterstützt wird. Das Gutachten des Legasthenie-Zentrums ist u. a. deshalb notwendig, weil sich die Bezirksämter häufig weigern, den Antrag der Eltern auf Kostenübernahme für Eingliederungsmaßnahmen überhaupt entgegenzunehmen bzw. zu bearbeiten, sofern nicht bereits eine psychologische Stellungnahme mit einer entsprechenden Empfehlung (etwa von unserer Seite) vorliegt. Das Gutachten des Legasthenie-Zentrums wird ergänzt durch einen Kosten- und Behandlungsplan> der regelmäßig den therapeutischen Mindestrahmen, entsprechend der beschriebenen Maßnahmenstruktur (4 Stunden GT, 1 Stunde GB, V2 Stunde EB als Durchschnittswerte pro Woche), beinhaltet und in Einzelfällen durch zusätzliche Einzeltherapie- und/oder Einzelberatungsstunden ergänzt wird. Für eine volle Zeitstunde GT/GB werden zur Zeit 34,70 DM, für eine volle Zeitstunde EB/ET werden 69,40 DM in Rechnung gestellt. Mit der Beantragung der Kostenübernahme für Eingliederungsmaßnahmen, deren Notwendigkeit im Gutachten des Legasthenie-Zentrums begründet wird, beginnt für die Eltern und Kinder ein langer Weg der staadich-administrativen Be- und Verarbeitung in verschiedenen Instanzen, der schließlich mit der staatlichen Verwaltung ihres »Falles« als • einem »Fall von seelisch wesentlicher Behinderung« vorläufig endet, und der damit die Grundlage für die materielle Absicherung der Entwicklungsförderung des Kindes herstellt. - Der Instanzenweg für die finanzielle Absicherung der therapeutischen Maßnahmen durch öffentliche Gelder ist in einem Rundschreiben des Senators für Familie, Jugend und Sport (Rundschreiben Nr. 16/78 vom 1. 8. 78) als Empfehlung an die Bezirksämter von Berlin »zur Sicherstellung eines einheitlichen Verwaltungsverfahrens« dargestellt. Auszüge: »1.2 Anträge sind dem örtlich zuständigen Jugendamt zuzuleiten. 2. Das Jugendamt leitet den Antrag an das Schulamt mit der Bitte um Stellungnahme weiter. Die Stellungnahme soll die Frage beantworten, ob über die Maßnahmen in der Berliner Schule aufgrund der AV zur Förderung von Schülern mit Lese- und Rechtschreibschwierigkeiten in der Grundschule vom 3. 12. 1974 hinausaußerschulische Förderung erforderlich ist. Dies ist in der Regel nur der Fall, wenn die Schule und der schulpsychelogische Dienst eine außerschulische Förderung für unumgänglich halten. 3. Das Jugendamt leitet den Antrag mit der Stellungnahme des Schulamtes... an das Gesundheitsamt mit der Bitte um Stellungnahme weiter. 4.1 Das Gesundheitsamt fügt dem Antrag und der Stellungnahme des Schulamtes seine Stellungnahme bei und leitet sie . . . an den Landesarzt mit

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der Bitte um Stellungnahme weiter. Bei der Feststellung der Kausalität ist be-

sonders sorgfältig zu verfahren. 4.2. Kommt das Gesundheitsamt in seiner Stellungnahme zu einer von der Stellungnahme des Schulamtes abweichenden Auffassung, so hat es diese Abweichung ausführlich fachlich zu begründen. 5. Der Landesarzt erstellt sein Gutachten aufgrund des Antrages und der Stellungnahme des Schulamtes und des Gesundheitsamtes. 6. Das Jugendamt trifft die Entscheidung über die Kostenübernahme aufgrund des Gutachtens des Landesarztes (s. Nr. 5). 7.1. Das Jugendamt soll nach Möglichkeit Therapeuten beauftragen, die

vom Schulamt vorgeschlagen werden. Die Schulämter können zu diesem Zweck eine Liste mit geeigneten Personen oder Institutionen führen. 7.2. Bei der Beauftragung des Therapeuten ist auf die Wohnnähe des Schülers zu achten, um evtl. notwendig werdende Transportkosten in einem vertretbaren Rahmen zu halten. 8.1. Das Jugendamt gibt dem Schulamt von seiner Entscheidung (s. Nr. 6) Kenntnis unter Angabe des beauftragten Therapeuten. 8.2. Das Schulamt gibt dem Jugendamt Mitteilung, sobald Erkenntnisse über den Abbau der besonderen Schwierigkeiten oder über die offenbare Unwirksamkeit der außerschulischen Förderungsmaßnahmen vorliegen. 9.1. Die außerschulischen Förderungsmaßnahmen sind von Zeit zu Zeit ei ner Bewährungskontrolle zu unterziehen. Über ihre Fortführung oder Be-

endigung entscheidet das Jugendamt als Organ des Trägers der Sozialhilfe

unter Berücksichtigung einer Stellungnahme des Schulamtes. Abgesehen vom erheblichen Kosten- und Zeitaufwand dieses Verfahrens, das oft sechs bis zwölf Monate (und in Einzelfällen auch erheblich länger) dauert, liegt die Ungeheuerlichkeit dieses Verwaltungsverfahrens in der Herausgabe von psychologischen Gutachten, die als zum persönlichen Lebensbereich gehörende streng vertrauliche Information zu betrachten sind, an die Schulverwaltungsbehörde. Es handelt sich hierbei um die unberechtigte Veröffentlichung von persönlichen Lebensdaten hilfesuchender Menschen, die zu der Entscheidung, ob ein Betroffener durch die Schule gefördert werden kann oder nicht, keine Bedeutung haben dürfte, durch das Jugendamt als Organ des Trägers der Sozialhilfe. Durch die folgenden Ausführungen unseres Rechtsanwaltes soll die Fragwürdigkeit dieses Vorgehens verdeutlicht werden: »Nach § 35 Sozialgesetzbuch - Allgemeiner Teil - hat Jeder Anspruch darauf, daß seine Geheimnisse, insbesondere die zum persönlichen Lebensbereich gehörenden Geheimnisse von den Sozialhilfeträgern nicht unbefugt offenbart werden. Eine Offenbarung ist dann nicht unbefugt, wenn der Betroffene zustimmt, od^r eine gesetzliche Mitteilungspflicht besteht. Medizinische und psychologische Gutachten sind zum persönlichen Lebensbereich gehörende Geheimnisse. Ihre Geheimhaltung fällt unter die Amtspflicht der Sozialverwaltung. Nach einhelliger Auffassung aller einschlägigen Kommentare

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wird auch innerhalb der Sozialverwaltung die unbefugte Offenbarung privater Geheimnisse nicht zugelassen. Nur wenn der Betroffene zustimmt, oder wenn eine gesetzliche Mitteilungspflicht besteht, ist die Offenbarung privater Geheimnisse an andere Träger der Sozialhilfe befugt. Verwaltungsvorschriften wie etwa die Allgemeinen Verwaltungsvorschriften über die Gewährung von außerschulischer Förderung für lese- und rechtschreibeschwache Schüler können derartige Offenbarungsbefugnisse dagegen nicht begründen. Ein weiterer Rechtfertigungsgrund für die Weitergabe von Geheimnissen besteht lediglich im Rahmen der Amtshilfe unter den Leistungsträgern der Sozialhilfe, soweit die ersuchende Stelle zur Erfüllung ihrer Aufgaben die geheim zu haltenden Tatsachen kennen muß. Diese Voraussetzung ist hinsichtlich des Schulamtes und der Schule nicht zutreffend. Nach dem im Rundschreiben des Senators für Familie, Jugend und Sport Nr. 16/1978 näher beschriebenen Verwaltungsverfahren sind Schulamt und Schule am Entscheidungsprozeß über die Erteilung einer außerschulischen Förderung zu beteiligen. Das Schulamt soll zu der Frage Stellung nehmen, ob über die Förderung von Schülern mit Lese- und Rechtschreib-Schwierigkeiten in der Grundschule hinaus eine außerschulische Förderung erforderlich ist. Hierzu ist jedoch nicht erforderlich, daß das Schulamt die dem Antrag beigefügten Gutachten des Legasthenie-Zentrums erhält. Sinn und Zweck der Beteiligung der Schule und des Schulamtes ist vielmehr, daß sie aufgrund eigener Kenntnis des Betroffenen und eigener Erfahrungen zur Frage der Erforderlichkeit einer außerschulischen Förderung Stellung nehmen. Dabei soll es sich um eine eigene Stellungnahme aus der Sicht der Schule, und nicht lediglich um eine Bestätigung eines schulfremden Gutachtens, handeln. Ein Interesse des Schulamtes, die dem Antrag beigefügten Gutachten zur Kenntnis nehmen zu können, kann dagegen nicht anerkannt werden. Bei der Interessenabwägung muß berücksichtigt werden, daß einerseits Gründe des Persönlichkeitsschutzes des Betroffenen Vorrang haben müssen, es ist ihm nicht zuzumuten, daß Informationen über seine Persönlichkeit und seinen persönlichen Lebensbereich der Schule zugänglich gemacht werden - andererseits muß berücksichtigt werden, daß nicht ausgeschlossen werden kann, daß dem Betroffenen Nachteile entstehen, wenn etwa am Lehrverhalten einzelner Lehrer in dem betreffenden Gutachten des Legasthenie-Zentrums Kritik geübt wird. Dagegen erscheint die Weiterleitung der fraglichen Gutachten an das Gesundheitsamt und den Landesarzt unbedenklich. Die Erforderlichkeit der Weitergabe der Gutachten des Legasthenie-Zentrums an das Schulamt im Rahmen der Amtshilfe ist demnach zu verneinen. Allenfalls in Einzelfällen kann nach sorgfältiger Interessenabwägung eine andere Entscheidung getroffen werden, insbesondere dannn, wenn die Zustimmung der Erziehungsberechtigten vorliegt. Allerdings bestehen keine Bedenken, wenn innerhalb des Schulamtes der Schulpsycnologe, aber auch nur dieser, Zugang zu dem Gutachten erhält. Das Legasthenie-Zentrum sollte deshalb in den Anträgen ausdrücklich,darauf hinweisen, daß die Einwilligung der Erziehungsberechtigten in die Weitergabe des Gutachtens sich nicht auf die Kenntnisnahme durch das Schulamt erstreckt.«

Mit der Bewilligung der Kostenübernahme für die »Psychologische 198

Therapie unter Einschluß legasthenietherapeutischer Maßnahmen« - so die offizielle Bezeichnung unseres Therapieangebots - ist das Aufnahmeverfahren insgesamt abgeschlossen. Entgegen der beschriebenen »Logik des gesetzlichen Verfahrens« läßt sich das Aufnahmeverfahren für therapiebedürftige Kinder im Legasthenie-Zentrum also so beschreiben, daß am Anfang unsere Entscheidung über die Aufnahme in die Therapie und damit verbunden der baldestmögliche Therapiebeginn steht und parallel dazu die Unterstützung der Eltern bei der Durchsetzung ihres berechtigten Anspruchs nach therapeutischen Fördermaßnahmen für ihr Kind erfolgt. Beginn der Therapie und Herstellung der Finanzierungsgrundlage werden also unabhängig voneinander behandelt. Die Notwendigkeit dieser Vorgehensweise ergibt sich einerseits daraus, daß das Bewilligungsverfahren, wie oben erwähnt, oft sechs bis zwölf Monate (und länger) dauert und die therapeutische Entwicklungsförderung des. Kindes in unvertretbarem Maße verzögert würde, wenn vor Therapiebeginn die staatliche Befürwortung der therapeutischen Maßnahmen abgewartet werden würde; andererseits ist dieses Vorgehen auch deshalb notwendig, weil es ja keine staatliche Verpflichtung zur Durchführung geeigneter Maßnahmen gibt, wenn Probleme sichtbar werden oder »Problemfälle« auftreten, und deshalb eine entsprechende Entwicklungsförderung des Kindes nicht automatisch erfolgt; vielmehr müssen die Eltern in jedem einzelnen Fall ihrem Recht Geltung verschaffen, sich um die Anerkennung ihrer Ansprüche bemühen und diese durchsetzen, wobei sie in der Regel auf die Unterstützung durch Fachleute angewiesen sind. Dieses Verfahren ist natürlich nur solange tragbar, solange für die Kinder, die wir in Therapie nehmen, in der Regel die Therapie auch bewilligt und rückwirkend übernommen wird und solange die Anzahl der Kinder, die sich schon in Therapie befinden, aber noch nicht bewilligt sind, eine bestimmte Grenze nicht übersteigt, wobei wir allmählich an die Grenzen der daraus resultierenden finanziellen Belastbarkeit stoßen (bis Ende 1978 beliefen sich die Rechnungen für diese Kinder auf etwa 250 000 DM, das sind etwa .15 % des Gesamthaushaltes des Legasthenie-Zentrums). Die gesetzlichen Bestimmungen des Bundessozialhilfegesetzes und der EingHederungshilfeverOrdnung sowie das vom Senator für Familie, Jugend und Sport empfohlene Verwaltungsverfahren, sind jedoch nicht nur für das Aufnahmeverfahren maßgeblich, sondern sind auch für die therapeutischen Maßnahmen bestimmend, so daß sich auf dieser Grundlage die gesamte Arbeit noch näher charakterisieren läßt. Jede therapeutische Maßnahme hat ihren Finanzierungsaspekt, in Form der monatlichen Rechnungsstellung, in Form von Zusatzanträ199

gen, wenn über den beantragten und bewilligten individuellen Kostenund Behandlungsplan hinausgehend in aktuellen Situationen zusätzliche therapeutische Maßnahmen notwendig sind, und in Form von Weiterbewilligungsanträgen, wenn ein Bewilligungszeitraum (in der Regel wird die Therapie nur für ein Jahr bewilligt) abgelaufen ist, wobei bei der Entscheidung über die Weiterbewilligung derselbe Instanzenweg vorgeschrieben ist wie er im Rahmen des Aufnahmeverfahrens beschrieben wurde. Bei der Entscheidung über die Weiterbewilligung der therapeutischen Maßnahmen steht immer auch die Frage des Abbruchs bzw. der Beendigung der Therapie durch die staatlichen Entscheidungsträger ah, sei es wegen der Erfolglosigkeit der durchgeführten Maßnahmen, sei es wegen des Erfolgs der durchgeführten Maßnahmen, wobei in diesem Fall - da Erfolg der Maßnahmen immer auch Uberwindung der seelisch wesentlichen Behinderung bedeutet - die rechtlichen Voraussetzungen für eine weitere Förderung nach dem Bundessozialhilfegesetz (§ 39) entfallen. Maßgeblich für den vorgeschriebenen Instanzenweg ist die Tatsache, daß es für die Entwicklungsförderung im Kindes- und Jugendalter unterschiedliche gesetzliche Bestimmungen im Rahmen unterschiedlicher Gesetzes werke (in unserem Arbeits Zusammenhang insbesondere die Schulgesetzgebung, das Jugendwohlfahrtsgesetz und das Bundessozialhilfegesetz) gibt, wobei jeweils unterschiedliche Aspekte der Persönlichkeitsentwicklung und unterschiedliche Grade der Entwicklungsbehinderung bzw. -förderung Gegenstand der einzelnen Gesetze sind, die dann durch Prioritätsregelungen (»VorfährtsVorschriften«) aufeinander bezogen sind und für deren Realisierung unterschiedliche Institutionen verantwortlich sind. Daraus ergibt sich dann die Notwendigkeit der Abgrenzung von »Personenkreisen«, in Unserem Falle die Abgrenzung des Personenkreises der Kinder und Jugendlichen, die im Rahmen der Schule weitergefördert werden können, vom Personenkreis derer, die einer außerschulischen Förderung bedürfen, weiter die Abgrenzung des Personenkreises derer, die seelisch »wesentlich« behindert sind, vom Personenkreis derer, die lediglich »seelisch behindert« sind, weiter die Abgrenzung des Personenkreises derer, die »nicht nur vorübergehend« seelisch wesentlich behindert sind, vom Personenkreis derer, die »nur vorübergehend« seelisch wesentlich behindert sind, schließlich die Abgrenzung des Personenkreises derer, bei denen »Aussicht besteht, daß die Aufgabe der Eingliederungshilfe erfüllt werden kann«, vom Personenkreis derer, bei denen diese Aussicht nicht besteht. Bei all diesen Entscheidungen bleibt schließlich immer die Frage offen, was mit dem jeweils aus dem Geltungsbereich des Gesetzes aus 200

gegrenzten Personenkreis zu geschehen hat. Damit werden unsere therapeutischen Maßnahmen auf der gegebenen gesetzlichen Grundlage (Maßnahme der Eingliederungshilfe bei »nicht nur vorübergehender« seelisch »wesentlicher« Behinderung) als eine am Individuum zu verrichtende »Partialmaßnahme« verständlich, deren gesetzliche Grundlage verschwindet, wenn bestimmte abgrenzende Merkmale zum Verschwinden gebracht werden können. Damit wird deutlich, daß die gesetzliche Grundlage, die unsere Arbeit ermöglicht und die durch Partialisierung eines isoliert zu betrachtenden Individuums gekennzeichnet ist, in Widerspruch steht zu der Aufgabe, die wir auf der Grundlage des Gesetzes erfüllen und die - als »Eingliederungshilfe« im Kindes- und Jugendalter - durch die kontinuierliche Unterstützung der Entwicklung und Integration der Gesamtpersönlichkeit des Kindes in immer größere Lebenszusammenhänge seiner unmittelbaren Lebensumwelt gekennzeichnet ist (wie anfangs beschrieben). Die therapeutischen Maßnahmen werden je nach Schweregrad der im individuellen Fall amtlich festgestellten Entwicklungsbehinderung individuell verordnet und je nach Entwicklungsfortschritt im individuellen Fall auch wieder individuell abgesetzt. Dies bringt für die gesamten therapeutischen Angebote gravierende Probleme mit sich, insbesondere deshalb, weil Gruppenangebote und Beschäftigungsmöglichkeiten ja in der Regel nicht unabhängig von der individuellen Verordnung therapeutischer Maßnahmen bestehen; vielmehr müssen Gruppenangebote, da die Therapie des Einzelfalls immer abhängt von der Möglichkeit der Bezugnahme auf Gruppenaktivitäten gleichaltriger Kinder, erst durch Gruppenzusammenstellung von vergleichbaren therapiebedürftigen Einzelfällen hergestellt werden. Die Realisierung therapeutischer Angebote für ein Kind hängt also direkt ab von der Therapiebedürftigkeit und einer entsprechenden Realisierung therapeutischer Angebote für andere Kinder. Die sich daraus ergebenden Probleme lassen sich für verschiedene Phasen des Therapieverlaufs beispielhaft beschreiben. So kann es am Therapieanfang vorkommen, daß trotz schwerwiegender Entwicklungsbehinderung, damit dringender Therapiebedürftigkeit, kein therapeutisches Angebot gemacht werden kann (da keine genügende Anzahl vergleichbar therapiebedürftiger Kinder als Grundlage für die Realisierung gruppentherapeutischer Angebote zur Verfügung steht), und umgekehrt, daß auch weniger therapiebedürftige Kinder, bei denen zum Beispiel die seelische Behinderung nicht »wesentlich« ist, einen Therapieplatz erhalten müßten, damit ein entsprechendes Gruppenangebot für andere Kinder als Grundlage für die psychotherapeutische Behandlung realisiert werden kann (was aber die gesetzlichen Bestimmungen nicht zulassen). 201

Für laufende Therapien stellt sich durch Einzelfallbetrachtung und -finanzierung das Problem, daß wirklicher (oder auch nur administrativ behaupteter) Entwicklungsfortschritt einzelner Kinder, da nur der Einzelfall unter Vernachlässigung seines Gruppenzusammenhangs betrachtet und beurteilt wird, zur Beendigung der Therapie einzelner Kinder führt (»die Maßnahme wird abgesetzt«), womit die laufenden Gruppenprozesse innerhalb einer Therapiegruppe beeinträchtigt oder zerstört und damit die Grundlage für die therapeutische Behandlung der anderen Kinder beeinträchtigt oder zerstört werden. Dies bedeutet, da Unterschiede im Entwicklungsfortschritt der Kinder einer Therapiegruppe immer anzunehmen sind, daß der Entwicklungsfortschritt einzelner Kinder zur Beeinträchtigung oder Behinderung der Entwicklung der anderen Kinder führen kann oder führt. Am Therapieende, wo die Aufgabe der Eingliederungshilfe erfüllt, das einzelne Kind »eingegliedert«, in größere Zusammenhänge integriert sein soll, ergeben sich Probleme daraus, daß die Beendigung der therapeutischen Maßnahmen einen Prozeß darstellt, bei dem in der Betreuung der Kinder und Jugendlichen eine Schwerpunktverschiebung von der »geschlossenen«, »verpflichtenden« psychotherapeutischen Betreuung zur Nutzung »offener«, »unverbindlicher« Beschäftigungsangebote (bei nur noch vereinzelter Inanspruchnahme psychotherapeutischer Unterstützung) stattfindet, womit die individuelle Nutzung von Angeboten immer weniger quantifizierbar und nach individuellen finanziellen Anteilen bestimmbar wird und die notwendigen »offenen« Beschäftigungsmöglichkeiten mit Gleichaltrigen letztlich nicht auf der gleichen gesetzlichen Grundlage wie die therapeutischen Maßnahmen realisiert werden können, was beinhaltet, daß notwendigerweise Zusammengehörendes faktisch auseinandergerissen ist. Die individuelle Verordnung der Partialmaßnahme »Eingliederungshilfe« bei »seelisch wesentlicher Behinderung« und die damit zusammenhängende Einzelfallfinanzierung als Grundlage für die Realisierung dieser Maßnahmen sind also Momente, die unser therapeutisches Angebot, für die eine finanzielle Absicherung der Gesamtkonzeption erforderlich wäre, ständig akut gefährden und den Erfolg der Arbeit ständig in Frage stellen. Aus der Notwendigkeit der Aufrechterhaltung und ständigen Weiterentwicklung der Gesamtkonzeption unserer therapeutischen Maßnahmen unter den gegebenen partialisierten Existenzbedingungen ergeben sich eine Fülle von Aufgaben und Problemen, deren Bewältigung im Rahmen der Institution »Legasthenie-Zentrum« im folgenden Teil im einzelnen beschrieben werden soll. 202

Beschreibung der Arbeisstruktur Die Arbeitsstruktur des Legasthenie-Zentrums bestimmt sich einerseits aus den Anforderungen, die sich aus der Bewältigung der therapeutischen Arbeit ergeben, andererseits aus einer Arbeitsteilung zwischen therapeutischer Arbeit und institutioneller Arbeit. Für die therapeutische Arbeit, das heißt für die Betreuung von sechs Kindern einschließlich der Beratung der Eltern und der Lehrer, werden immer jeweils zwei Therapeuten mit gleichlautender Arbeits Verpflichtung angestellt. Die Arbeits Verpflichtungen und die Aufschlüsselung der Arbeitszeit sind für jeden einzelnen Therapeuten im Anstellungsvertrag entsprechend festgehalten: »Die Arbeit umfaßt die Durchführung einer Gruppentherapie - zusammen mit einem Kotherapeuten/in - und aller damit in Zusammenhang stehenden Tätigkeiten. Eine Gruppe umfaßtin der Regel sechs Kinder. Zur Durchführung einer Gruppentherapie gehören insbesondere alle zur therapeutischen Versorgung der Kinder und aller zur Beratung der Eltern und Lehrer notwendigen Arbeiten ?owie die Durchführung aller zur rechtzeitigen Bewilligung bzw. Weiterbewilligung der Kostenübernahme (nach BSHG) notwendigen Arbeiten einschließlich Schlußgutachten im Rahmen der gültigen Kosten- und Behandlungspläne. Ebenfalls gehören dazu sämtliche damit zusammenhängende Verwaltungsarbeiten, die nach LZ e. V.-Plenumsbeschluß in die Obliegenheiten der Therapeuten fallen. . . . Die Arbeitszeit, die Durchführung einer Therapie betreffend, ist in der Regel die nach den Richtlinien des Senators für Schulwesen festgesetzte Schulzeit. Die wöchentliche Arbeitszeit richtet sich nach dem jeweils gültigen Kosten- und Behandlungsplan des LZ e. V., der vom Senator für Familie, Jugend und Sport bestätigt und mit den zuständigen Stellen der Bezirksämter festgelegt worden ist. Die wöchentliche Arbeitszeit zur Durchführung einer Therapie umfaßt 25 Stunden: 8 Stunden therapeutische Arbeit am Klienten 8 Stunden für entsprechende Vor- und Nachbereitung 2 Stunden Supervision - Minicolloquium 2 Stunden Supervision - Tandemmodell 2 Stunden Teambesprechung der regionalen Bereiche 1 Stunde Verwaltungsarbeit zur Durchführung der Therapie 2 Stunden Fahrzeit im Rahmen der Arbeitstätigkeit Da in den Schulferien nicht gearbeitet wird, entspricht die oben aufgeschlüsselte Arbeitszeit bei 37 Wochen Therapie einer durchschnittlichen Arbeitszeit von 20 Stunden pro Woche.«

»8 Stunden therapeutische Arbeit am Klienten« ergeben sich aus den im Rahmenplan für die therapeutische Behandlung jedes der sechs Kin-

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der festgelegten Therapie- und Beratungsstunden: insgesamt vier Stunden Gruppentherapie (mit allen sechs Kindern), eine zwei- bis vierstündige Gruppenberatungssitzung für die sechs Eltern monatlich ergibt (rechnerisch) circa eine Stunde Gruppenberatung pro Woche, je zwei Stunden Einzelberatung von Eltern oder Lehrer pro Kind und Monat ergeben bei sechs Kindern zwölf Einzelberatun^sstunden monatlich oder durchschnittlich drei Stunden Einzelberatung pro Woche, insgesamt also acht Stunden therapeutische Arbeit mit den Klienten. »8 Stunden Vor- und Nachbereitung« sind die Arbeitszeit, die die zwei Kotherapeuten benötigen, um die gegenständlichen Rahmenbedingungen für die eigene Therapiegruppe herzustellen (Beschäftigungsangebote organisieren, Material besorgen, evtl. schriftsprachliches Material für die Therapie aufbereiten), um ihre in den Therapie- und Beratungssitzungen gewonnenen Eindrücke und Erkenntnisse auszutauschen und zu verarbeiten, um Therapie- und Gesprächsverläufe zu protokollieren, um sich über entsprechend nötige Veränderungen der Therapieplanung zu verständigen, um ihr eigenes Verhalten als Therapeuten zu kontrollieren und zu reflektieren, um sich auf einem dem Zwei-Therapeuten-Prinzip angemessenen Niveau der Kooperationsfähigkeit für die Durchführung der therapeutischen Arbeit arbeitsfähig zu erhalten bzw. (insbesondere in Konfliktsituationen) diese Arbeitsfähigkeit wieder herzustellen. »2 Stunden Supervision - Tandemmodell« ergeben sich aus der wechselseitigen Bezugnahme von mehreren (zwei oder drei) Therapiegruppen, wie sie als »Therapieeinheiten« beschrieben wurden. So wie sich den Kindern im Rahmen der Therapieeinheit beim Verlassen der eigenen Therapiegruppe eine Erweiterung ihrer Interaktionsmöglichkeiten bietet (und nicht das Ende der therapeutischen Betreuung bedeutet), indem sie zu Kindern aus anderen Therapiegruppen, zu anderen Therapiegruppen und auch zu anderen Therapeuten in Kontakt treten können, so bietet die Zusammenarbeit der Therapeuten im Rahmen des Tandems eine prinzipielle Erweiterung der Handlungsmöglichkeiten und Erkenntnismöglichkeiten der einzelnen Therapeuten (-paare): Im Laufe der Zusammenarbeit lernen alle Therapeuten auch alle Kinder der Therapieeinheit kennen, so daß jedem Therapeutenpaar für seine Arbeit und seine Kinder eint kompetente - weil aus unmittelbarer Kenntnis der Kinder und Situationen resultierende Supervision zuteil werden kann. Hieraus ergibt sich nicht lediglich eine Kumulation von unterschiedlichen Sichtweisen auf dieselbe Situation, sondern insbesondere von unterschiedlichen Sichtweisen auf der Grundlage unterschiedlicher Verantwortungs- und Beziehungsverhältnisse zu den Kindern; damit kön204

nen also Erlebnis-, Beziehungs- und Handlungsschranken der Therapeuten (paare) selbst sichtbar werden und die Überwindung angegangen werden. Bestimmend für diese Unterschiede ist hier ein spezifisches wechselseitiges Verhältnis von Nähe (eigene Kinder, Kotherapeut) und Distanz (Kinder der anderen, Therapeuten der anderen Gruppe), wobei trotzdem ein gemeinsamer Handlungszusammenhang besteht. Im Rahmen dieser Konstellation wird die Bearbeitung und Überwindung etikettierender Sichtweisen auf einzelne Kinder und auch auf den jeweiligen Kotherapeuten ermöglicht und somit die Gefahr der Behinderung der Entwicklung des Kindes und der Behinderung der Arbeitsfähigkeit des Kotherapeuten gemindert oder beseitigt. Hier wird deutlich, daß die Vertiefung des Verständnisses für das Verhalten einzelner Kinder in gemeinsam erfahrenen Erlebnis- und Handlungszusammenhängen letztlich nicht zu trennen ist von der Bearbeitung der Handlungsmöglichkeiten und -schranken des Therapeuten auf der Grundlage seiner eigenen Beziehungsprobleme. Supervision der therapeutischen Arbeit gewinnt so immer auch den Charakter einer »Therapie des/der Therapeuten«, wobei dies als die entscheidende Arbeitsbedingung für die kontinuierliche Erhaltung oder auch Wiederherstellung spezifisch psychotherapeutischer Kompetenz des individuellen Therapeuten zu betrachten ist. »2 Stunden Supervision -Minicolloquium« ergeben sich aus der Notwendigkeit der gemeinsamen Reflektion der therapeutischen Arbeit in relativer Distanz zur unmittelbaren, tagtäglichen praktischen Arbeit, damit in relativer Entlastung von unmittelbarem Handlungsdruck. In den Minicolloquia arbeiten immer zehn bis fünfzehn Therapeuten zusammen, die zwar im gleichen Regionalbereich tätig sind, ohne daß jedoch der intensive direkte Arbeitszusammenhang der »Therapieeinheiten« bzw. des »Tandems« bestehen muß. Gegenstand der gemeinsamen Arbeit sind hier Fallbesprechungen, Weiterentwicklung konzeptioneller Vorstellungen, wie sie sich aus der Veränderung der inhaltlichen Arbeit ergeben, Erarbeitung von konkreten Handlungsstrategien für Therapeuten in besonderen Fällen, insbesondere im Zusammenhang mit institutionellen Konflikten um die optimale Förderung einzelner Kinder usw. Hier ist auch der Ort, wo längerfristig die Bedürfnisse der Therapeuten nach intensiver Zusammenarbeit mit Kollegen der eigenen »Generation« (ähnlicher Stand der Therapieerfahrung, ähnlicher Entwicklungsstand der Therapie, also Therapie-Anfangsphase oder Absehlußphase)integrierbar sind. Die Bearbeitung der Handlungs- und Erlebnisschranken der Therapeuten auf der Grundlage ihrer eigenen Beziehungsprobleme geht hier - da eine relative Distanz und Entlastetheit 205

von der unmittelbaren Arbeit gegeben ist - in Richtung Selbsterfahrung der Therapeuten, wobei sich hierfür allmählich eigenständige Organisationsformen wie »Therapie der Therapeuten«, »Frauengruppen« oder »Männergruppen« herausgebildet haben. »2 Stunden Teambesprechung der regionalen Bereiche - Bereichsplenum«, dies ist die gemeinsame Arbeitssitzung aller in einem Regionalbereich tätigen Kollegen, wobei hier organisatorisch-institutionelle Probleme im Vordergrund stehen; das Bereichsplenum ist zugleich Koordinationsgremium für die oben angesprochene Arbeitsteilung zwischen therapeutischer Tätigkeit und institutioneller Arbeit. Dieses Arbeitsgremium ist wohl am ehesten vergleichbar mit den »Teambesprechungen« in anderen psychosozialen Versorgungseinrichtungen. »1 Stunde Verwaltungsarbeit zur Durchführung der Therapie«ist ein durchschnittlicher Arbeitsschätzungswert für Tätigkeiten wie Rechnungen schreiben, Gutachten erstellen, Weiterbewilligungsanträge schreiben, Vorbereitung von Gesprächen mit staatlichen Entscheidungsträgern in Konfliktfällen etc. - Tätigkeiten, die sich aus den Bedingungen ergeben, unter denen für uns psychologisch-therapeutische Dienstleistungen gesellschaftlich ermöglicht und finanziert werden. »2 Stunden Fahrtzeit im Rahmen der Arbeitstätigkeit« ergeben sich daraus, daß in der Regel bei der Elterneinzelberatung//rf&s£es#d?e (und bei der LehrerberatungSchulbesuche) notwendig sind, da ein Erscheinen der Eltern in unserer Institution selbst erfahrungsgemäß nicht zu erwarten ist oder als nicht zumutbar erscheint. Die detaillierte Darstellung und Differenzierung der Arbeitsbedingungen und -Verpflichtungen der Therapeuten soll deutlich machen, daß qualifizierte Durchführung von Therapien im Entwicklungsalter nach unserer Erfahrung an Arbeitsbedingungen für die Therapeuten gebunden ist, die ihre Arbeitsfähigkeit als Therapeuten erst herstellen und erhalten. Therapeutische Qualifikation ist also nicht etwas, was man sich einmal erwerben kann und dann für immer hat, sondern etwas, das in einem engmaschigen Netz von Kooperationsmöglichkeiten ständig aufrechterhalten werden muß. Therapeutische Tätigkeit ist gebunden an Arbeitsbedingungen, die diese Qualifikation herstellen. In diesem Sinne ist die individuelle Qualifikation des einzelnen Therapeuten notwendige, keineswegs jedoch hinreichende Voraussetzung für kompetente therapeutische Arbeit; Garant und Träger therapeutischer Kompetenz ist vielmehr die überindividuelle therapeutische Arbeitsstruktur, in die der individuell qualifizierte Therapeut integriert ist. Die Problematik der Einzelfallfinanzierung auf der Ebene des Kindes - f ü r ein Kind werden Therapiemaßnahmen finanziert, wobei jede The206

rapiemaßnahme auf die Finanzierung vieler anderer Therapiemaßnahmen angewiesen ist - reproduziert sich auf der Ebene der Therapeuten : Einzelfallfinanzierung heißt ja nicht nur Therapiemaßnahmen für ein Kind, sondern auch Honorar für einen Therapeuten, der als privates Individuum den Auf trag der Therapie durchführung erhält und auch privat für die Herstellung geeigneter Therapiebedingungen sorgen muß. Es bleibt somit in das Belieben jedes Therapeuten gestellt, ob er die - nach unseren Erfahrungen unabdingbar notwendigen - Arbeitsbedingungen und -strukturen sich sucht oder nicht, welche findet oder nicht, wobei die Integration in therapieadäquate Arbeitsbedingungen ein hohes Maß an zusätzlicher Arbeitsbelastung bedeutet, die er unbezahlt auf sich nehmen muß. Einzelfallfinanzierung heißt hier also ökonomischer Druck in Richtung auf Berufstätigkeit unter dequalifizierenden Bedingungen, damit langfristig Dequalifizierung der Arbeitskraft der Therapeuten und ständige Qualitätsverminderung der anzubietenden konkreten Dienstleistung. Die »ökonomische Absicherung« des Therapeuten durch Einzelfallfinanzierung hat jedoch auch ganz unmittelbar Auswirkungen auf die inhaltliche Arbeit des Therapeuten. Der Therapeut wird nur in dem Maße bezahlt, wie seine Dienstleistung vom Klienten auch in Anspruch genommen wird; der Therapeut ist also in seiner ökonomischen Existenz unmittelbar abhängig von der Bereitschaft des Klienten, sich therapieren zu lassen. Um die Probleme zu verdeutlichen, die sich ergeben aus der - für die Einzelfallfinanzierung charakteristischen - direkten Koppelung von Existenzabsicherung des Therapeuten und Auftrag zu therapeutischer Arbeit mit bestimmten Klienten, seien einige Beispiele aus unserer Praxis dargestellt. Für die Therapeuten ergibt sich aus der Planung der therapeutischen Maßnahmen bis zu ihrem Abschluß, d. h. bis zur Entlassung der Kinder aus der Therapie, die Notwendigkeit der Planung der eigenen ökonomischen Existenzabsicherung über diesen Zeitpunkt hinaus. Da die Planung des Therapieabschlusses selbst eine therapeutische Maßnahme ist, wird dies als Gesprächs- und Konfliktstoff vom Therapeuten in die Therapiegruppe eingebracht und wirkt sich hier auf die Kinder und ihren Entwicklungsfortschritt aus: Die Kinder planen jetzt selbst und arbeiten zügig auf den Therapieabschluß hin und realisieren - in diesem konkreten Fall - den Therapieabschluß drei Monate früher als vom Therapeuten geplant; dies bedingt nun beim Therapeuten eine existentielle Verunsicherung, der deshalb versucht ist, die Kinder zu halten, sich verstärkt um sie zu bemühen, sie zur Weiterarbeit zu bewegen. Hier besteht also das Problem, daß der (unvorhergesehene) Entwicklungsfort207

schritt der Kinder zur unmittelbaren Existenzbedrohung der Therapeuten wird. Da, wo durch die Kinder die Loslösung vom Therapeuten und von der Therapie aktiv betrieben wird und vom Therapeuten auch aktiv zu unterstützen wäre, wird ihm jetzt unter dem Druck der Existenzbedrohung eine gegenteilige Handlungstendenz nahgelegt: Kinder halten, an sich binden usw. Ein anderes Beispiel: Wesentliche Grundlage für die Therapiedurchführung ist die durchschaubare und offene Kommunikation und Kooperation zwischen den beiden Kotherapeuten, wobei in Konfliktfällen die institutionalisierten Supervisionsstrukturen als Hilfe bei der Bewältigung der entstandenen Probleme zur Verfügung stehen. Für die Therapeuten, die - in diesem konkreten Fall - nur noch sehr eingeschränkt kooperations- und kommunikationsfähig sind, bringt die Bearbeitung ihrer Beziehungskonflikte das Risiko offen-aggressiver Eskalation mit sich. Dies beinhaltet die Gefahr des offenen Bruchs zwischen beiden, mit der Konsequenz, daß überhaupt keine Zusammenarbeit mehr möglich wäre, womit die Gefahr antizipierbar wird, daß einer der Therapeuten aus der Arbeit eventuell aussteigen müßte. Dies würde zugleich Verlust der ökonomischen Existenzgrundlage bedeuten. Wo also von der Aufgabe der Therapiedurchführung her die Bearbeitung entstandener Konflikte als Grundlage für die Wiederherstellung offener und durchs schaubarer Kommunikation und Kooperation erforderlich und notwendig ist, wird unter dem Druck der Existenzbedrohung die gegenteilige Handlungstendenz nahegelegt: Konflikte vertuschen, nicht darüber reden, formale Aufrechterhaltung der »Therapieveranstaltung« bei undurchschaubarer Interaktion zwischen den Therapeuten. Der dargestellte Arbeitsvertrag hat hier, durch die Verpflichtung der Therapeuten auf eine bestimmte Arbeitszeit, einerseits die Funktion, eine relativ gesicherte Existenzgrundlage zu garantieren, also die Unmittelbarkeit der ökonomischen Abhängigkeit des Therapeuten vom Verlauf des therapeutischen Geschehens zu durchbrechen bzw. abzumildern; es findet hier in gewisser Weise eine Umverteilung des Risikos der Arbeit auf alle Mitarbeiter der Institution, damit eine relative Entlastung der einzelnen Therapeuten, statt. Bezahlt wird die Arbeitszeit, die der Therapeut zur Verfügung stellt, nicht die therapeutische Dienstleistung, die von Klienten in Anspruch genommen wird. Hierdurch entsteht im Rahmen der Institution ein neues Problem, da die gemeinsame Existenz aller Mitarbeiter abhängt vom individuellen Beitrag jedes einzelnen (»wieviele Stunden konntest du in diesem Monat in Rechnung stellen?«). Damit ist die Grundlage für wechselseitiges Mißtrauen gegeben, ob jeder auch sein Möglichstes getan hat, um Ausfälle zu vermei208

den, oder ob einzelne durch »individuelle Unfähigkeit« die Existenz aller gefährden. Daraus resultiert dann das Bedürfnis nach Kontrollinstanzen, die stellvertretend für jeden einzelnen den Therapeuten auf die Finger sehen. Die Funktion einer solchen Kontrollinstanz mit teilweiser Weisungsbefugnis gegenüber den Therapeuten nimmt z. Z. die »Personalkommission« wahr. Aktuell noch nicht gelöst ist das Problem der Abhängigkeit von Arbeitsverträgen von der Dauer der Therapiebedürftigkeit bestimmter Klienten. Die Arbeitsverträge für Therapeuten sind zur Zeit noch befristete Teilzeitverträge, die mit der Beendigung der Gruppentherapie auslaufen. Dies hängt einerseits mit der aktuell praktizierten Einheit von Dienstleistung und Ausbildung zusammen, hat jedoch andererseits eine wesentliche Grundlage im Fehlen verläßlicher Planungsdaten über notwendige therapeutische Kapazität für Kindertherapie in West-Berlin. Die Entscheidung über eine mögliche Verlängerung von Teilzeitverträgen hängt jeweils davon ab, ob neue Gruppen therapiebedürftiger Kinder zur Verfügung stehen, ist also von Fall zu Fall nach »Marktlage« zu entscheiden. Zugleich hat der Arbeitsvertrag mit der Aufschlüsselung der unterschiedlichen, notwendigen Arbeitstätigkeiten die Funktion, jeden einzelnen Therapeuten in die Arbeitsstruktur als überindividuellem Träger therapeutischer Qualifikation und Kompetenz zu integrieren und damit einer, durch die Einzelfallfinanzierung bedingten, tendenziellen Dequalifizierung der gemeinsamen Arbeit entgegenzuwirken. So wie die durch den Arbeitsvertrag erreichte minimale individuelle Existenzsicherung erkauft wurde durch Erzeugung von innerbetrieblichem Mißtrauen und Erhöhung der internen Konfliktspannungen, so ist die Integration jedes einzelnen Therapeuten in die institutionellen Arbeitszusammenhänge letztlich erkauft durch die Verpflichtung zu unbezahlter Arbeit bzw. durch eine generelle Unterbezahlung der gesamten Arbeit. So ist zur Zeit für die therapeutische Arbeit bei einer durchschnittlichen Arbeitszeit von zwanzig Stunden pro Woche nur eine Vergütung möglich, die der Hälfte einer BAT Vc-Bezahlung entspricht; üblich wäre entsprechend der Qualifikation als Diplom-Psychologe die Einstufung entsprechend BAT II a. Mit der unterdurchschnittlichen Bezahlung und der Befristung der Arbeitsverträge geht eine generelle Unzufriedenheit mit der eigenen Berufssituation einher. Daraus resultiert letztlich das immer neue Bemühen, durch immer neue »Entwicklungspläne«, »Haushaltspläne« und »Hochrechnungen« den Nachweis zu erbringen, daß eine bessere Bezahlung unter den gegebenen Bedingungen vielleicht doch ermöglicht werden könnte, wobei sich diese Bemühun209

gen inzwischen in der »Finanzkommission« institutionalisiert haben» Zusammenfassend läßt sich die institutionalisierte Arbeitsstruktur, soweit sie direkt auf die therapeutische Tätigkeit bezogen ist, so kennzeichnen: Therapiedurchführung: Zusammenarbeit der zwei Therapeuten - Zwei-Therapeuten-Prinzip; Supervision: Zusammenarbeit von zwei oder drei Therapeutenpaaren - Tandem, und Zusammenarbeit von zehn bis fünfzehn Therapeuten - Minicolloquium; Organisation: Zusammenarbeit aller in einem Regionalbereich tätigen Therapeuten - Bereichsplenum. Neben den therapeutischen Maßnahmen, die im Rahmen der beschriebenen therapeutischen Arbeitsstruktur bewältigt werden, ergeben sich durch die Besonderheiten des Aufnahmeverfahrens für therapiebedürftige Kinder und Jugendliche und durch die damit zusammenhängende Finanzierungsgrundlage der therapeutischen Arbeit eine Fülle von Aufgaben, die wir als institutionelle Arbeit bezeichnen. Die institutionelle Arbeit wird nicht von allen Therapeuten gleichermaßen durchgeführt, sondern wird von zwei Sachbearbeiterinnen und zehn Therapeuten mit zusätzlicher Arbeitsverpflichtung arbeitsteilig durchgeführt. Diese Personengruppe bildet den Stamm der »festangestellten Mitarbeiter« des Legasthenie-Zentrums, die hier unbefristet und ganztags berufstätig sind. Die zehn Therapeuten, die neben der Verpflichtung zur Durchführung einer Gruppentherapie (wie alle sonstigen Therapeuten) auch die Verpflichtung zur Bewältigung der institutionellen Arbeit haben, werden - im Unterschied zu den sonstigen Therapeuten mit Teilzeit-Anstellungsverträgen (TZA) - als VollzeitAngestellte (VZA) bezeichnet. Die Bezahlung der Sachbearbeiterinnen erfolgt entsprechend der im öffentlichen Dienst üblichen Einstufung nach BAT VI, die Bezahlung der vollzeitangestellten Diplom-Psychologen erfolgt bezüglich der zwanzigstündigen Therapieverpflichtung nach BAT V c (wie bei den übrigen Therapeuten), bezüglich der 20stündigen Verpflichtung zu institutioneller Arbeit nach BAT III, wobei die Aufsplitterung von Gehaltsanteilen und unterschiedlicher Bezahlung die Problematik unserer angespannten finanziellen Situation besonders deutlich zum Ausdruck bringt. Für die institutionelle Arbeit ist charakteristisch, daß alle Aufgaben, die unmittelbar mit der inhaltlichen Arbeit der Therapiedurchführung und der Aufnahme in die Therapie zu tun haben, also die differenzierte Betrachtung des Einzelfalls unter den gegebenen regionalen Besonderheiten erfordern, in den regionalen Bereichszentren des LegasthenieZentrums organisiert und bewältigt werden, wobei sich hierfür der Begriff »Bereichsarbeit« herausgebildet hat. Demgegenüber werden alle 210

Aufgaben, die der Aufrechterhaltung und Absicherung der gesamten Arbeit dienen (»Außenvertretung«, »Finanzverwaltung und Rechnungswesen«) und die der Vereinheitlichung und Weiterentwicklung der internen Arbeitsbedingungen dienen (»Personalverwaltung«, »Information und Dokumentation«), zentral organisiert und bewältigt. Hinzu kommt die Unterstützung der regionalen Bereichsarbeit durch die zentrale Organisierung der »Anmeldung und Diagnostik«. Diese Arbeitsbereiche werden im folgenden stichwortartig beschrieben, wobei die mit der finanziellen Existenzgrundlage unserer Arbeit zusammenhängenden Aspekte wegen, ihrer besonderen Bedeutung etwas ausführlicher dargestellt werden. Die Bereichsarbeit umfaßt die Betreuung der therapeutischen Tätigkeit in bezug auf Gutachtenerstellung, Beantragung von Kosten- und Behandlungsplänen, die aktive Unterstützung von Therapeuten (z. B. durch Hospitationen) in aktuellen Krisensituationen, die Unterstützung der Therapeuten bei institutionellen Konflikten, die Beobachtung des Bewilligungsvorgangs, um den Vorgang nach Möglichkeit zu beschleunigen. Sowohl die Unterstützung der Therapeuten durch Hospitationen, Besprechung von besonderen Fällen, unter Umständen auch durch Teilnahme an zusätzlichen Supervisionsveranstaltungen als auch durch die Betreuung der Therapeuten bei der Erstellung von Erstgutachten oder Weiterbewilligungsanträgen kommen die Bereichs verantwortlichen allmählich in die Lage, die Situation und die Entwicklung der im jeweiligen Regionalbereich betreuten Kinder genau zu kennen, was für die institutionellen Kontakte zu anderen psychosozialen Versorgungseinrichtungen und staatlichen Dienststellen der Bezirke sehr wichtig ist. Die Außenvertretung umfaßt die Koordination der Vereinsangelegenheiten und Kontaktaufnahme zu Institutionen und Senatsdienststellen auf überregionaler Ebene, weiter die Unterstützung der Bereichsverantwortlichen in bestimmten Krisensituationen, wobei hier in der Regel ein Rechtsanwalt hinzugezogen werden muß, weiter Verhandlungen mit Banken um Kredite und Liquiditiätsabsicherung. Zentrale Aufgabe ist hier die Bemühung um offizielle Anerkennung unserer therapeutischen Konzeption und um Absicherung der Arbeit im Rahmen unserer Institution, wobei in diesem Zusammenhang das derzeit vorläufige Ergebnis aus dem folgenden Schreiben des Senators für Familie, Jugend und Sport zu entnehmen ist: »Sehr geehrte Damen und Herren! 19. Januar 1978 Mit Ihrem Schreiben vom 28. 3. 1977 hatten Sie um Anerkennung neuer Kostensätze für das Rechnungsjahr 1977 gebeten. Aus ihren umfangreichen

211

Unterlagen ergab sich für das Rechnungsjahr 1977 ein Gesamtkostenumfang von 1 558 490,- DM, der neben der quantitativen Ausweitung bezüglich der Platzzahl vor allem auf wesentliche qualitative Verbesserungen zurückzuführen war. Hierbei ragten vor allem folgende Faktoren hervor: - 25 Va- Planstellen der Vgr. II a BAT - Einführung des »Zwei-Therapeuten-Prinzips« - erheblicher Stundenaufwand für Vor- und Nachbereitung sowie wissenschaftliche Begleitung . . . Nach Uberprüfung Ihres Antrages vom 28. 3. 1977, insbesondere in fachlicher Hinsicht in Zusammenarbeit mit dem Senator für Schulwesen und dem Senator für Gesundheit und Umweltschutz, habe ich Ihnen in einem persönlichen Gespräch am 10. 10.1977 mitteilen müssen, daß mir die Anerkennung von 25 / 2 Planstellen der Vgr. II a BAT im Rahmen des derzeitigen Berechnungsprinzips nicht möglich ist. Ebenfalls nicht anzuerkennen vermag ich die pauschale Anwendung des >Zwei-Therapeuten-Prinzips r—1

"

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IU ! L J 101

192



77

121

0 . 0 . 0 70 71 72

31

32 7»

74



O.A.

I

Die Kinder, die zur Untersuchung kommen, haben meist schon vorher einen Selektionsprozeß durchlaufen: Schule, Arzt, Fürsorge, Landesverband Legasthenie etc. haben bereits eine Begutachtung vorgenommen und eine Empfehlung zur weiteren Untersuchung ausgesprochen. Aber auch bei den Kindern, die von ihren Eltern direkt dem LZ gemeldet werden, erfolgt eine Vorauswahl durch langjährig erfahrene Dienstkräfte, die bereits am Telefon heraushören, ob sich der Schüler von einer Zwei im Deutschen auf eine Eins verbessern, das Probehalbjahr im Gymnasium unbedingt geschafft werden soll oder ob wirklich Legasthenie verdacht besteht. Dieser Vorauswahl wird ein Elternfragebogen zugesandt und anschließend werden die Kinder für die Gruppenuntersuchung zusammengestellt. Aufgrund der Ergebnisse in der Gruppendiagnose, von 224

Psychologen durchgeführt, wird nochmals ein Teil abschlägig beschieden und für Nachhilfeunterricht u. ä. empfohlen- meist wegen zu guter Rechtschreibleistungen. Die Grenzen für diese Entscheidung liegen bei Prozentrang Fünf (bei Kindern ohne Verhaltensauffälligkeiten) im einschlägigen Test bzw. bei Zehn (bei Kindern mit Verhaltensauffälligkeiten). Die so verbliebenen Kinder und ihre Eltern werden in psychologischen Einzeluntersuchungen über ihre Probleme befragt bzw. geprüft. Über diese Gruppe (B-E) liegen die ausführlichsten Daten vor, so daß in den meisten Fällen auf diese Gruppe Bezug genommen wird. Eine Aufteilung der Gesamtgruppe zeigt Abbildung 2.

Abb. 2: Zusammensetzung der untersuchten Gruppe (N = 664) A. Abgelehnte Fälle B. Laufende Fälle C. Abgeschlossene Fälle D. Abgebrochene Fälle E. Wartefälle F. Unklassifizierbare Fälle

359 196 41 30 22 16

(54.1 (29.5 ( 6.2 ( 4.5 ( 3.3 ('2.4

%) %) %) %) %) %)

Als Ausgangsmaterial für diesen Uberblick dienten alle Aktenmaterialien, die für die erfaßten 664 Fälle bis zum 1. 8. 77 angelegt wurden (insgesamt über 2100 Dokumente) und Befragungen der Therapeuten.1 Darin sind u. a. sämtliche Formen von Elternfragebögen, Testergebnisse aus Einzel- und Gruppendiagnosen, Gutachten von LZ und anderen Stellen sowie Therapieberichte enthalten. Die Daten wurden für die EDV aufbereitet, in eine Datenbank gespeichert und ausgezählt.2

Voruntersuchungen Abgesehen von den früheren Jahren mit geringen Fallzahlen, ist regelmäßig ein erheblicher Teil der Kinder (60 % der Gesamtgruppe) voruntersucht worden. Bei den später in Therapie genommenen Kindern ist der Anteil der Voruntersuchten noch höher (71 % zu 25 %). Für rund 30 % der Gesamtgruppe ist das LZ die erste Einrichtung gewesen, die sich ihrer Probleme angenommen hat.

225

Zum Anlaß für frühere Untersuchungen wurden von den Eltern hauptsächlich Lernschwierigkeiten genommen, daneben dann Verhaltensauffälligkeiten (Abbildung 3). Abb. 3: Anlaß früherer Untersuchungen (N = 279/ Mehrfachantworten) Legasthenieverdacht Allg. Lern- u. Leistungsstörungen Verhaltensauffälligkeiten Sprachauffällikeiten Auffälliges Sozialverhalten Erziehungsschwierigkeiten Sonstiges

42,3 38,0 21,9 6,5 4,7 3,9 6,6

% % % % % % %

Voruntersuchende Stellen waren besonders Schulpsychologische Dienste und Sonderschulen - aber auch medizinische Einrichtungen und Erziehungsberatungen (Abbildung 4). Abb. 4: Voruntersuchende Stellen (N = 388/Mehrfachantworten) Schulpsychologischer Dienst Erziehungsberatung Kinderpsychiatrie Sonderschule Freie Träger Arzt/Klinik/AOK Sonstige Stellen

62,4 25,7 22,4 20,6 7,9 4,4 1,3

% % % % % % %

Es entspricht auch der praktischen Erfahrung, daß sich Eltern bei Schulschwierigkeiten ihrer Kinder nicht selten zuerst an einen Arzt wendenwohl in der Hoffnung, die Probleme könnten einfach durch ein passendes Medikament behoben werden. Bei den von Voruntersuchern gestellten Diagnosen (Abbildung 5) ist auffallend, daß nur in 61 % der Fälle Legasthenie konzidiert wurde und stattdessen ausgrenzende Urteile wie »Minderbegabung« und »Lernbehinderung« ausgesprochen wurden. Verhaltensauffälligkeiten werden recht häufig genannt und auch organische Befunde erhoben. Untersuchungen im Legasthenie-Zentrum Eine Auswertung der Frage 48 des Diagnostischen Elternfragebogens von Dehmelt et al. und ähnlicher Fragen, die bei allen Anmeldungen ab 226

Abb. 5/ Frühere Diagnosen (N = 93/Mehrfachantworten) Legasthenie Psychische/neurotische Fehlentwicklung/Störung Verhaltensauffälligkeit/Verhaltensstörung Auffälliges Sozialverhalten Organische Befunde (Epilepsie/MCD etc.) Sprachdefizit Retardation Psychosomatische Symtome Minderbegabung Lernbehinderung Sinnesminderleistungen Intellektuelle Fehlentwicklung Hospitalismus (Krankenhaus/Heim)

61,3 % 25,8 20,4 19,4 17,2 11,8 8,6 8,6 7,5 7,5 6,5 2,2 1,1

% % % % % % % % % % % %

Ende 1975 den Eltern vorgelegt wurden, ergab folgendes Bild (Abbildung 6): Durchschnittlich werden sieben Items angekreuzt. An erster Stelle werden von den Eltern die schlechten Schulleistungen, Konzentrationsschwäche, Streiten und Hemmungen genannt. Die weitere Reihenfolge der Beschwerden ist bei Jungen und Mädchen unterschiedlich - einerseits sicher bedingt durch das ungleiche Zahlenverhältnis von Jungen und Mädchen im LZ - andererseits manifestieren sich hier wahrscheinlich die ungleichen Rollenerwartungen der Eltern an die beiden Geschlechter. Ein großer Teil der Eltern sieht die Ursachen der Schwierigkeiten ihrer Kinder offenbar begründet in »Konzentrationsschwäche« (Platz 1) und »Faulheit« (Platz 7), während ein von den Voruntersuchern häufig genanntes Merkmal, wie z. B. Sprachauffälligkeiten, von den Eltern selten angeführt wird (Platz 30). Auffallend sind weiter die häufig genannten psychosomatischen Symptome »Kopfschmerzen« (Platz 11) und »Bauchschmerzen« (Platz 14). Die Beschwerden der Schulen lassen sich an Zensuren und schulischen Maßnahmen ablesen. Von der späteren Therapiegruppe wurden 50 Prozent der Schüler im Fach Deutsch mit »mangelhaft« oder noch schlechter benotet. Der Rest wurde noch nicht benotet (Klassen 1 und 2) oder erhielt aus pädagogischen Gründen bessere Noten. In den Fächern Mathematik und Sachkunde wurden nur 10 Prozent der Schüler schlechter als »ausreichend« benotet.

227

Abb. 6: Elternfragebogen (.Mehrfachantworten) Item Ängstlichkeit Albernheiten Bauchschmerzen Bettnässen Daumenlutschen Eifersucht Einknoten Erbrechen Eßstörungen Faulheit Feuchte Hände Frechheit Hemmungen Hypermotorisch Kontaktarmut Konzentrationsschwäche Kopfschmerzen Krämpfe Linkshändigkeit Lügen Nägelkauen Nervöse Zuckungen Rauchen, Trinken, Drogen Schlafstörungen Schlagen, Aggressionen Schlechte Schulleistungen Schüchternheit Sexuelle Spielereien Sprachauffälligkeiten Stehlen Streiten Tagträumen Trotz Unbeherr'schtheit Unreife Unselbständigkeit Unsicherheit Sonstige Auffälligkeiten I N

228

J' % 4 1.70 73 31.06 47 20.00 21 8.94 24 10.21 53 22.55 8 3.40 15 6.38 28 11.91 72 30.64 28 11.91 53 22.55 89 37.87 1 0.43 1 . 0.43 176 74.89 54 22.98 2 0.85 41 17.45 47 20.00 56 23.83 16 6.81 0 0.00 30 12.77 49 20.85 180 76.60 63 26.81 23 9.79 16 6.81 31 13.19 91 38.72 31 13.19 65 27.66 79 33.62 21 8.944 53 22.55 2 0.85 3 1.28 1646 700.42 235

M 1 27 19 7 11 22 1 2 12 16 10 10 27 0 0 54 23 4 9 11 24 3 0 15 10 58 19 7 1 4 33 9 19 21 15 0 0 508 76

% •J'+M % 1.32 5 1.61 35.53 100 32.15 25.00 66 21.22 9.21 28 9.00 14.47 35 11.25 28.95 75 24.12 1.32 9 2.89 2.63 17 5.47 15.79 40 12.86 21.05 88 28.30 13.16 38 12.22 13.16 63 20.26 35.53 116 37.30 0.00 1 0.32 0.00 1 0.32 71.05 230 73.95 30.26 77 24.76 5.26 6 1.93 11.84 50 16.08 14.47 58 18.65 31.58 80 25.72 3.95 19 6.11 0.00 0 0.00 19.74 45 14.47 13.16 59 18.97 76.32 238 76.53 25.00 82 26.37 9.21 30 9.65 1.32 17 5.47 5.26 35 11.25 43.42 124 39.87 11.84 40 12.86 25.00 84 27.01 27.63 100 32.15 5.26 25 8.04 19.74 68 21.86 0.00 2 0.64 0.00 3 0.96 668.43 2154 692.59 311

Bei 32 % der Therapiekinder war zur Zeit der Anmeldung die Versetzung gefährdet, bei 44,3 % nicht gefährdet und bei 9,8 % eine Versetzung aus pädagogischen Gründen vorgesehen (dabei muß berücksichtigt werden, daß 55 % der Schüler schon einmal eine Klasse wiederholt haben). Nach Einschätzung der Eltern gingen 41 % der Kinder ungern ' zur Schule; bei 36 % bestand sogar Schulangst und 8 % schwänzten gelegentlich. Schwangerschaft und Geburt Von 139 befragten Eltern gaben zwei Drittel an, daß das im LZ vorgestellte Kind nicht geplant gewesen sei (Abbildung 7). Betrachtet man in diesem Zusammenhang noch die Geschwisterposition und die Frage nach den psychosozialen Belastungen wahrend der Schwangerschaft, so zeigt sich, daß Einzelkinder am seltensten vertreten sind (8,7 % der Therapiegruppe, 14,2 % der Gesamtgruppe), letzte Kinder in der Geschwisterfolge am häufigsten (37,4 % bzw. 36,0 %) und daß die Schwangerschaft bei 56 % der Befragten psychosozial belastet war. Als Gründe für die Belastung wurden hauptsächlich angegeben: familiäre Schwierigkeiten, Finanzprobleme und Alkohol. Man kann wohl davon ausgehen, daß in der untersuchten Gruppe überwiegend Familien vertreten sind, die schon mehrere Kinder haben, ein weiteres nicht eingeplant und dieses dann unter Schwierigkeiten zur Welt gebracht haben. Dabei stehen familiäre Probleme im Vordergrund, in beträchtlichem Abstand gefolgt von finanziellen Belastungen. Der Schwangerschaftsverlauf war bei rund 19 % aller Befragten von Komplikationen begleitet, und zwar besonders von Herz- und Kreislaufstörungen, Schwangerschaftstoxikose und Nierenbeckenentzündung. Die Geburten verliefen bei rund 30 % aller Befragten nicht ohne Besonderheiten. An erster Stelle der Komplikationen standen Übertragungen, Frühgeburten, Wehenschwäche, Lageanomalien und Sauerstoffmangel. Bemerkenswert hoch ist auch die Anzahl der vertretenen Zwillinge (3,4 % von 238) - zum Vergleich: 1975 in Berlin 1 % Zwillinge.3 Vergleicht man die Daten über Schwangerschafts- und Geburtskomplikationen mit entsprechenden Werten aus der amtlichen Statistik4, so ergeben sich bei der LZ-Gruppe doppelt so hohe Werte . Entwicklung

Die Entwicklung der Kinder war in 51 % der befragten Fälle gesundheitlich beeinträchtigt (Abbildung 8). An erster Stelle der Zwischenfälle

229

Abb. 7: Schwangerschaft und*Geburt Frage Kind geplant Psychosoz. Belastungen Krankheiten in Schwach. Geburtskomplikationen Geschlecht nach Wunsch Geschwisterposition Einzelkind Erstes Kind Mittleres Kind Letztes Kind

J 35 96 24 48 22

%

M

%

J+ M %

33.98 54.0 17.1 28.6 62.86

11 77 11 17 8

30.56. 59.6 23.9 34.0 66.67

46 173 35 65 30

33.10 55.50 18.8 29.8 63.89

13 27 46 54

9.3 19.3 32.9 38.6

4 15 17 19

7.3 27.3 30.9 34.5

17 42 63 73

8.7 21.5 32.3 37.4

N 139 173 186 218 47 195

standen Ernährungsstörungen, Atembeschwerden, Erbrechen und Gelbsucht. Krankenhausaufenthalte von mehr als drei Wochen waren bei 51 % der Befragten innerhalb der ersten drei Lebensjahre nötig, und zwar bei 83 % wegen organischer Leiden und bei 14 % wegen psychosomatischer Störungen. Diese Werte liegen ebenfalls wesentlich über den vergleichbaren Angaben der Gesamtbevölkerung. Weiter bestanden während der Entwicklung der Kinder in 55 % der befragten Familien psychische, soziale oder gesundheitliche Belastungen - besonders innerfamiliäre Spannungen, Krankheiten und Alkoholmißbrauch. Uber die motorische Entwicklung liegen nur wenige Angaben vor. Lediglich die Anzahl der Linkshänder. Hier ist (vgl. Abbildung 6) über dreimal so stark vertreten wie in der Gesamtbevölkerung (16 %). Abb. 8: Entwicklung Frage Psychosoziale o. gesudh. Belastungen in Familie Komplikationen bis 24. Mon. Krankenhausaufenthalte von mehr als 3 Wo. bis 24. Mon. Sprachl. Entw. auffällig Hörschwierigkeiten Sehschwierigkeiten Krippenaufenthalt Heimaufenthalte

230

J

%

M

%

-

-

-

-

82

50.0

29

53.7

119 111

54.6 218 50.9 218

48 79 4 26 22 32

53.0 47.6 3.5 21.1 15.3 8.3

17 19 1 12 11 14

44.2 38.8 2.9 30.8 22.4 10.9

65 98 5 38 33 46

50.5 45.6 3.4 23.5 17.1 8.9

J+ M %

N

186 215 149 162 193 89

Die sprachliche Entwicklung war bei 46 % der untersuchten Kinder auffällig und hebt sich damit wesentlich von normalen Entwicklungsverläufen ab. Hauptsächlich wurden genannt: Verzögerte Sprachentwicklung, Lispeln und undeutliche Aussprache (s. a. Testergebnisse). Hör- und Sehschwierigkeiten sind nicht häufiger vertreten als bei Erstuntersuchten in der Gesamtbevölkerung. Ein recht hoch erscheinender Anteil der Kinder (17 %) war in Kinderkrippen, während der Anteil der Heimkinder geringfügig ist (die amtliche Statistik führt überhaupt keine Legastheniker in Heimen auf - dagegen rund 20 % Lernbehinderte in Heimen. Es ist auch bekannt, daß Heimkinder auch bei überdurchschnittlicher Intelligenz zum großen Teil Sonderschulen für Lernbehinderte besuchen müssen). Die übrigen Angaben über die soziale Entwicklung zeigen zunächst nichts Auffälliges. Testergebnisse und Diagnosen Im LZ kommen für die Lese-Rechtschreibdiagnostik hauptsächlich das Diktat von Kraft/Wedding, die Bremer Serie und die verschiedenen Stufen des DRT (Diagnostischer Rechtschreibtest) zur Anwendung. Abgesehen von der Vergleichbarkeit dieser Tests zeigt Abbildung 9 die Verteilungen der Prozentränge im Schreibtest.5 Für die Therapiegruppe ist zusätzlich noch einmal die Verteilung mit den jüngst für die Bewilligung bedeutsam gewordenen Grenzen aufgeführt. Abb. 9: Prozentränge im Rechtschreibtest Bezugsgruppe

0-2

%

2.1--16 %

16.1--50%

I

Alle Anmeldungen Therapiekinder

209 142

38.7 56.6

225 106

106 3

540 251

0-5

16.1--5.0%

I

212

% 84.5

5.1--16 %

Therapiekinder

36

3

251

41.7 42.2 14.3

19.6 1.2 1.2

Hieraus ist ersichtlich, daß die im LZ vertretene Therapiegruppe eine Auswahl von Kindern mit extrem schlechten Rechtschreibleistungen darstellt und daß der dem LZ bisweilen gemachte Vorwurf, bei der Vergabe der 1 herapieplätze würde zu großzügig verfahren, unzutreffend ist. Angaben über die Leseleistungen sind nicht möglich, da zu wenig Daten vorliegen

231

Die Ergebnisse aus den verschiedenen Intelligenztests wurden ebenfalls ohne Rücksicht auf Vergleichbarkeit für eine grobe Ubersicht (Abbildung 10) zusammengefaßt (»Durchschnitt« heißt hier: alle Werte um 100 ± z). Danach liegen 98 % der Therapiekinder im Bereich durchschnittlicher bis überdurchschnittlicher Intelligenz.

Abb. 10: Ergebnisse der Intelligenzuntersuchungen " Bezugsgruppe

Unterdurchschn. Durchschnitt

Uberdurchschn.

Alle Anmeldungen Therapiekinder

25(5.4%) 6 (2.1 %)

170 (36.6 %) 88 (30.2 %)

270 (58.0 %) 197 (67,7 %)

Von sonstigen Testergebnissen liegen noch ausreichende Werte im BLDT (Lautdiskrimination) mit 36 % unterdurchschnittlichen Leistungen und im BAT (Aussprache) mit 51 % entspr. Ergebnissen vor. Diese Werte bestätigen die bereits aus der Anamnese bekannten Angaben. Eine Ubersicht der zusammenfassenden Diagnosen von 230 Therapiekindern der verschiedenen Untersucher im LZ gibt Abbildung 11.

Abb. 11: Diagnosen im LZ-Gutachten (N = 230/Mehrfachnennungen) 223 (97.0 %) Legasthenie 1 ( 0.4 %) Minderbegabung 5 ( 2.1 %) Lernbehinderung 4 ( 1-7 %) Intellektuelle Fehlentwicklung 7 ( 3.0 %) Retardation 15 ( 6.5 %) Psychosomatische Symtome 35 (15.2 %) Psch./Neurot. Fehlentwicklung/Störung 53 (23.1 %) Auffälliges Sozialverhalten 57 (24.8 %) Verhaltensauffälligk./V erhaltensstörung 7 ( 3.0 %) Organische Befunde 11 ( 4.8 %) Sprachdefizit 2 ( 0.9 %) Hospitalismus 3 ( 1.3 %) Sinnesbeeinträchtigungen

Bei der Beurteilung solcher Diagnosen muß berücksichtigt werden, daß die für Einzeluntersuchungen bestimmten Kinder schon stark ausgelesen sind und andererseits die Angaben für den Zweck der Antragstellung auf Kostenübernahme über das BSHG bestimmt sind. 232

Klassifikation der Therapiekinder Um eine sinnvolle Einteilung der im LZ behandelten Kinder vorzunehmen, wurde das Untersuchungsmaterial auf zehn relevant erscheinende Variablen reduziert (Abbildung 12) und Konfigurationsfrequenzanalysen nach Krauth und Lienert gerechnet.6 Es ergaben sich einige stark überzufällige Konfigurationen (Abbildung 13), die sich so deuten lassen, daß in der untersuchten Gruppe mit größter Wahrscheinlichkeit eine Untergruppe mit folgenden Merkmalen vorhanden ist: Schüler mit mindestens je zwei Symptomen im Verhaltens-, psychosomatischen und psychischen Bereich und durchschnittlicher Intelligenz (KFA Nr. 7/Abbildung 13). Daneben ergeben sich weitere Gruppen, und zwar Kinder ohne Symptome mit überdurchschnittlicher Intelligenz (Gegentyp von 7), Kinder aus belasteten Familien mit Symptomen (4) und Kinder aus nicht belasteten Familien ohne Symptome (Gegentyp von 4) sowie Kinder, die in Deutsch, Mathematik und Sachkunde schlecht sind trotz durchschnittlicher, Intelligenz (6). Die gerechneten KFAn überlappen sich verschiedentlich, da eine KFA über alle zehn Variablen gleichzeitig nicht möglich ist. In Abbildung 13 sind daher noch weitere Typen aufgeführt mit einer in den Sozialwissenschaften noch üblichen Irrtumswahrscheinlichkeit, die für die Interpretation der Typen ergänzend herangezogen werden können. Diese Erkenntnisse bestätigen zwar die bereits aus der LZ-Erfahrung bekannten Tatsachen, daß hier überwiegend Kinder vertreten sind, bei denen die Legasthenie zusammen mit psychischen, Verhaltens- und sozialen Störungen auftritt - zeigen aber auch, daß sich ebenso Kinder mit mehr oder weniger isolierter Legasthenie und solche mit allgemeinen Lernstörungen finden. Eine ähnliche Einteilung der in der Praxis anzutreffenden Legastheniker wurde auch von anderer Seite7 vertreten, indem fünf Gruppen von Schriftsprachegestörten herausgetellt wurden (die sich alle - außer der Gruppe mit schulspezifischer Störung - auch im LZ nachweisen lassen), für die unterschiedliche Behandlungsformen als notwendig erachtet wurden und folglich nicht zu therogene Therapiegruppen zusammengestellt werden sollten, um eine angemessene Förderung zu ermöglichen. Es ist zu hoffen, daß diese Erkenntnisse aus einer aufwendigen Diagnostik auch Konsequenzen für die therapeutische Praxis im LZ haben werden.

233

Abb. 12: Variablen und Klassen für die KFA 1. Familiensituation Klasse 1: Belastet (Kind nicht bei Eltern wohnhaft/Familie psych./soz./gesudh. beeintr./Kind war oder ist im Heim/Eltern nicht verheiratet/Kinderreichtum/Kind tagsüber allein/Bevorstehende Heimeinweisung) Klasse 2: Nicht belastet (alle Alternativen) 2. Eltern berufstätig Klasse 1: Eltern berufstätig Klasse 2: Eltern nicht berufstätig 3. Verhaltenssymtome Klasse 1: Mindestens zwei Symtome vorhanden Klasse 2: Weniger als zwei Symtome vorhanden 4. Psychosomatische Symtome Klasse 1: Mindestens zwei Symtome vorhanden Klasse 2: Weniger als zwei Symtome vorhanden 5. Psychische Symtome Klasse 1: Mindestens zwei Symtome vorhanden Klasse 2: Weniger als zwei Symtome vorhanden 6. Schreibtest Klasse 1: Prozentrang 0 - 2 Klasse 2: Prozentrang 2.1 - 16 7. Mathematiknote klasse 1: Mindestens ausreichend Klasse 2: Mangelhaft/Ungenügend 8. Sachkundenote Klasse 1: Mindesten ausreichend Klasse 2: Mangelhaft/Ungenügend 9. Intelligenztestwert Klasse 1: Unterdurchschnittlich Klasse 2: Durchschnittlich Klasse 3 : Uberdurchschnittlich

( x115) ( x^115)

10. Behinderung Klasse 1: Behindert (Sprachliche Auffälligkeiten/Hörschwäche/Sehschwäche/Linkshänder) Klasse 2: Nicht behindert (alle Alternativen) 234

Abb. 13: Konfigurationen

KFA-Nr.

Variablen

Konfiguration N

1 2 3

12 3 45 1 34 5 6 3 45 6 7

4

1 3 4 5

5 6 7

2 6 7 8 6 78 9 3 4 5 9

1 2 2 2 1 2 1 1 1 2

1 2 2 2 1 2 1 2 1 2

1 2 2 2 1 2 2 2 1 2

11 22 12 1 22 2 1 2 2 2 2 3

f = beobachtete Konfigurationsfrequenz E = erwartete Konfigurationfrequenz B = Oberschreitungwahrscheinlichkeit N = Anzahl der Meßwertträger

271 254 176 283 212 186 276

E

F

B

d

8.4 6.5 1.2 0.2 16.4 16.3 1.4 1.0 20.0 11.8

19 16 7 3 31 31 7 7 43 27

0.98"3 0.92"3 0.24"3 0.52"3 0.57~3 0.49*3 O.53-3 0.79- 4 0.21 " 5 0.65"4

0.05 0.05 0.05 0.05 0.01 0.01 0.05 0.01 0.01 0.01

Im übrigen dürften diese noch vorläufigen Auswertungen der LZStatistik Anregungen für weitere Arbeiten im LZ und zur Weiterführung der Datenbank geben, obwohl dies aus Kostengründen immer schwieriger wird. Anmerkungen: 1 Den sechzig Therapeuten, die nicht unbeträchtliche Zeit für die Datenerfassung ihrer Kinder aufgewandt haben, sei an dieser Stelle noch einmal gedankt. 2 Die Datenverarbeitung erfolgte mit Hilfe der CYBER 172 der ZEDAT an der Freien Universität Berlin und der CYBER 175 des Wissenschaftlichen Rechenzentrums Berlin. 3 Statistisches Jahrbuch Berlin 1977. Stat. Landesamt Berlin. 1977. 4 Daten des Gesundheitswesens. Bundesmin. f. JFG. Bonn 1974. 5 Prozentrang 2 heißt: 98 von 100 Kindern zeigen bessere Leistungen. 6 Das Programm stellte Prof. B. Roeder, PH Ruhr, dankenswerterweise zur Verfügung. 7 R. Müller (Schulpsych. Dienst Bln-Wilmersd.) auf der III. Bundeskonferenz f. Schulpsychologie in Bremen, 1977.

Axel Greve

Statistische Angaben zur Klientel des LegasthenieZentrums Alle Zahlenangaben beziehen sich auf die 218 zum Zeitpunkt der Untersuchung in Therapie befindlichen Kinder (einschließlich der Kinder, deren Therapiebeginn unmittelbar bevorstand). Die Geschlechterverteilung der Therapiekinder verhält sich etwa 3:1 zugunsten der Jungen (74,1 % : 25,9 %). An der Altersstruktur der Kinder (zugrunde gelegt wurde das Alter beim Zeitpunkt der Anmeldung) läßt sich ablesen, daß die überwiegende Mehrheit der Klienten des LZ zwischen acht und elf Jahre alt war (80 %) bzw. die Klassenstufen 2 bis 4 besuchte (76,5 %). Die berufliche Situation der Eltern: Bei der überwiegenden Mehrheit der Klienten war der Vater berufstätig, bei 59,9 % der Kinder auch die Mutter. Von den berufstätigen Müttern arbeiteten gut die Hälfte ganztags, knapp die Hälfte halbtags (52 % : 48 %). Nach einer groben Einteilung der ausgeübten Berufe in Berufsgruppen ergab sich, daß 60 % der berufstätigen Väter bzw. 58 % der berufstätigen Mütter einen

236

handwerklichen Beruf ausübten bzw. eine ungelernte Arbeit verrichteten. 31 % der Väter bzw. 39 % der Mütter üben einen Beruf aus, der ein mitderes Ausbildungsniveau erfordert (Angestellter etc.) und 8,3 % der Väter bzw. 1,9 % der Mütter üben einen akademischen Beruf aus. Offenbar spiegelt sich die gesamtgesellschaftliche Verteilung der Bevölkerung auf Schichten in etwa auch im Klientel des LZ wieder. Uber die Familienverhältnisse läßt sich sagen, daß bei etwa zwei Dritteln der Klienten die Eltern verheiratet sind und daß etwa ein Drittel der Kinder bei einem Elternteil, in der Regel der Mutter, lebt. 12 % der Therapiekinder sind Einzelkinder, knapp die Hälfte aller Klienten haben ein Geschwister (41 %), 20 % haben zwei Geschwister und 21 % haben drei bis sechs Geschwister. Gut drei Viertel der Kinder leben in Drei- bis Vier-Zimmer-Wohnungen (mit einer Größe zwischen 60 und 110 qm), wobei man mindestens bei 11,4 % der Klienten die Wohnsituation als schlecht bezeichnen muß, da dort jedes Familienmitglied höchstens ein halbes Zimmer (statistisch) zur Verfügung hat. Gut die Hälfte der Herkunftsfamilien der LZ-Therapiekinder sind durch mindestens eines ihrer Mitglieder psychisch und/oder sozial und/oder gesundheitlich belastet (54,6 %), wobei in 28,6 % dieser Fälle Alkohol und in 49,6 % innerfamiliäre Belastungen ein Problem darstellen. Uber die bisherige Schulsituation der Kinder liegen an Daten vor: Die überwiegende Mehrheit der Klienten (91,4 %) besucht eine öffentliche Schule. Die Grundschule wird von 84,5 % der Therapiekinder besucht (zum Zeitpunkt der Anmeldung im LZ), 8 % der Therapiekinder sind Sonderschüler. Erst seit 1975 werden Sonderschüler im LZ in Therapie genommen; zwischen 1970 und 1974 wurden nur Grundschüler der Klassen 2 und 3 als Therapiekinder akzeptiert. Gut die Hälfte der Therapiekinder hat vor ihrer Anmeldung im LZ mindestens eine Schulklasse wiederholt (55,2 %), wobei ca. 90 % von diesen in einer der Klassen 1 bis 3 scheiterten. Ein Drittel der Klienten wurde in den ersten drei Schuljahren mindestens einmal i^mgeschult. Nach Einschätzung der Eltern gingen 40 % der Therapiekinder ungern zur Schule und liege bei 36 % der Kinder Schulangst vor. Quantitative Aspekte der Arbeit der Institution LZ Von den 71 Kindern, deren Therapie bis zum 1. 8. 77 beendet war, haben 30 Kinder die Therapie vorzeitig abgebrochen; die häufigsten 237

Gründe hierfür waren, daß die Eltern den bisher erreichten Therapieerfolg als unzureichend einschätzten und andererseits die Kinder wegen Umzugs in die BRD oder wegen ihrer Entlassung aus der Schule für die Weiterführung der Therapie nicht mehr zur Verfügung standen. Laut Abschlußgutachten haben 41 Kinder die Therapie erfolgreich abgeschlossen, die dafür benötigte Therapiedauer betrug in gut drei Viertel aller Fälle zwischen 2,6 und 4,6 Jahren, während die Therapieabbrecher in der Regel die Therapie zu einem frühen Zeitpunkt abbrachen (im ersten oder zweiten Jahr). Die LZ-internen Wartezeiten, die zwischen der Anmeldung und dem Therapiebeginn liegen, betragen für ca. 80 % der Betroffenen mindestens vier Monate, wobei ca. 50 % länger als sechs Monate, in Einzelfällen auch länger warten müssen. Abgesehen vom zeitaufwendigen diagnostischen Prozeß ist nicht zuletzt die lange Bearbeitungsdauer auf Seiten der Bezirksämter ein Grund für die relativ langen Wartezeiten: ca. 90 % der Anträge auf Kostenübernahme wurden frühestens vier Monate nach Antragstellung entschieden, immerhin in 22 % der Fälle betrug die Bearbeitungsdauer zehn Monate und mehr, bis hin zu 23 Monaten. Bis zum Stichtag 1. 8. 77 wurden 297 Anträge auf Übernahme der Therapiekosten bei den Bezirksämtern gestellt, von denen nur 11 (=3,7 %) abgelehnt wurden, 51 Anträge waren noch nicht entschieden, für 216 Kinder (= 72,7 %) wurden die Kosten aus BSHG-Mitteln übernommen.

238

Teil IV Rückblick auf die pädagogische Ausgangskonzeption

Siegfried Schubenz

Eine Morphem-Analyse der deutschen Sprache und ihre lernpsychologische Bedeutung für die Vermittlung von Schriftsprachkompetenz

Der allgemeine Zusammenhang Am Psychologischen Institut der Freien Universität Berlin besteht seit einem Jahr eine Projektgruppe, die sich mit theoretischen und praktischen Problemen der Herstellung von Arbeitsmaterial für Schulanfänger befaßt, das Schriftsprachkompetenz im systematischen Zusammenhang mit der Vermittlung aller für Kinder in den ersten zwei Schuljahren relevanten Inhalte vermitteln soll. Diese Arbeit geschieht unter folgenden fünf Aspekten: 1. Das Arbeitsmaterial, an dem Schriftsprachkompetenz im Zusammenhang mit in ihrer Bedeutung ausgewiesenen Inhalten vermittelt werden soll, muß weitgehend ohne die Hilfe des Lehrers erschließbar und verarbeitbar sein. Genauer noch, es soll den Lehrer zu einem in der Sache kompetenteren Helfer präzisieren, dessen Verhalten durch entsprechenden Inhalt des Arbeitsmaterials vorbildhaft festgelegt ist, und der damit für die Kinder - wenn schon nicht faktisch, so doch wenig239

stens in der Vorstellung - in bezug auf seine subjektive Eigentümlichkeit korrigierbar wird. i 2. Das Arbeitsmaterial muß in erster Linie nach inhaltlichen Gesichtspunkten organisiert werden, d. h., es wird ein Gesamtrahmen festgelegt, der - über bestehende Lehrpläne weit hinausgehend - alle für Kinder der ersten zwei Schuljahre zum sicheren Verständnnis ihrer Umwelt und ihrer eigenen Lage und zur Sicherung der Ausweitung dieses Verständnisses relevanten Inhalte enthält, die in entwicklungspsychologisch kontrollierten Schritten von der Einsicht in einfachere und globalere zur Einsicht in komplexe und differenzierte Zusammenhang darstellungen hinführen. 3. Das Arbeitsmaterial muß den Kindern in möglichst vielen Darbietungsfällen Gelegenheit geben, den gebotenen Inhalt in soziale Handlungen umzusetzen und in eigenen Darstellungen dabei schöpferisch über diesen Inhalt hinauszugehen. Nachbilden, Nacherzählen, schauspielerisch-dynamisches Nachgestalten in der Gruppe und Aufsuchen von Lebenssituationen, wie sie in dem Arbeitsmaterial abgebildet sind, sind die Mittel, die ständig eingesetzt werden müssen. 4. Das Arbeitsmaterial muß die zu vermittelnden Inhalte in hinreichend vielen Variationen enthalten, damit eine Konkretion dieser Inhalte nicht mehr als einmal behandelt zu werden braucht. Es soll dadurch die Motivation der Kinder erhalten bleiben und die Darstellung nicht ihrem unmittelbaren Zweck entfremdet werden, der darin besteht, Information zu sein, also einmal aufmerksam aufgefaßt zu werden. Die allgemeinen Prinzipien, die in den jeweiligen inhaltlichen Darstellungen angesprochen und vermittelt werden sollen, lernen die Kinder allmählich entdecken durch die Häufung von Beispielen, die dasselbe Prinzip an anderen Gegenständen zeigen; oder sie lernen sie durch die Wiederkehr einfacher, früher vermittelter Inhalte in später angebotenen komplexeren Zusammenhängen. 5. Das Arbeitsmaterial muß die Vermittlung der Schriftsprachkompetenz, also die Ausbildung des GrundWerkzeuges, das zum selbständigen und bewußten Umgang mit relevanten Inhalten befähigt (und damit zur Mitbestimmung über die Entwicklung des eigenen Wissens), ökonomisch und mit dem höchsten Grad an Sicherheit leisten. Das Verfahren soll Kindern mit unterschiedlichen Erfahrungsvoraussetzungen in gleicher Selbstverständlichkeit den Zugang zur Schriftsprache und darüber hinaus die Möglichkeiten zur Erweiterung des gesamtsprachlichen Erfahrungsraumes eröffnen. Außer für eine unvermeidliche, aber kurze Anfangsphase soll Lesen- und Schreibenlernen als ein uneingeschränkt inhaltlich motiviertes Tun möglich werden.

240

Die Voraussetzungen der Morphem-Methode und ein Überblick über ihre Anwendung Wir haben eine Methode entwickelt, mit der wir dieses Ziel in der gewünschten Weise erreichen können: die Morphem-Methode. Wir nennen sie so, weil ihr kleinster inhaltlicher Organisationsbestandteil das Morphem ist (das ist auch die Definition des Morphems in der Sprache: kleinster invarianter Bedeutungsträger, z. B.: Ver/tret/er, Ver/tret/ung, be/tret/en). Wir sind zu dieser Methode gelangt, als wir nach neuen Wegen suchten, um Kindern zu helfen, die das Symptom der sogenannten Legasthenie aufweisen. Man versteht darunter eine auffällige Disprepanz zwischen relativ guter allgemeiner Begabungshöhe und der relativ geringen Fähigkeit, das Lesen und das orthographisch richtige Schreiben in der von der Schule dafür eingeräumten Zeit und mit dem vorgesehenen Maß an Training der Erwartung entsprechend zu erlernen. Wir fanden heraus, daß fliese Kinder nicht, wie bis dahin2 behauptet wurde, eine in der Qualität eigentümliche Schwäche haben, durch die die auffälligen Fehlerformen verursacht werden, an denen man solche Kinder vor allem diagnostiziert hatte, sondern daß die Gesetzmäßigkeit ihrer Fehler ihnen durch die Sprache bzw. Schriftsprache, die sie wiederzugeben versuchen, diktiert wird. Wir konnten zeigen, daß die sogenannten Legastheniker an jenen Einheiten der Sprache (gleichgültig ob Buchstaben oder Wörter) scheitern und Fehler produzieren, die im Zusammenhang von gebundener (Schrift-)Sprache systematisch, d. h. gesetzmäßig und notwendig, selten auftauchen, und daß sie demgegenüber in der Regel die systematisch sehr häufig wiederkehrenden Spracheinheiten fehlerfrei wiedergeben können. Sie verhalten sich dabei im Prinzip wie jedes andere Kind, ihr Gesamtfehlerniveau ist nur auffällig höher. Wir schlössen daraus, daß der regelmäßige Umgang mit gebundener Spräche die Lernfähigkeit für Spracheinheiten bestimmt - und nicht hervorgehobene, isolierte Intentionen des Lehrers. Wir entwickelten daraufhin ein Trainingsverfahren für sogenannte Legastheniker, das darauf zielt, ökonomisch und sicher Lernmöglichkeiten für Spracheinheiten auch aus dem seltener zur Anwendung kommenden Bereich von Sprachmaterial zu schaffen. Dies geschah durch Texte, bei denen die Worthäufigkeit sorgfältig kontrolliert wurde. Den Erwerb dieser Wörter sicherten wir, indem wir, von einem kleinen Grundwortschatz der in der deutschen Sprache häufigsten Wörter ausgehend, diesen systema241

tisch um neue, d. h. relativ seltenere Wörter vermehrten. Die zeitweilige Beschränkung des vorhandenen Gesamtwortschatzes garantierte den intensiven Gebrauch der in den Texten enthaltenen neu eingeführten Wörter. Durch die systematische Kontrolle der Wortebene der Sprache beim kontinuierlichen Aufbau eines Wortschatzes, d. h. nach dem Häufigkeitsgesetz der Sprache vom häufigsten zu den selteneren voranschreitend, und in der Organisation dieses Verfahrens durch die Sprache selbst, nämlich in gebundenen Texten, die wir in großer Zahl bereitstellten, entstand eine so große Lernsystematik und Lernintensität für die von uns betreuten Kinder, daß ihr Rückstand in der Entwicklung der Schriftsprachkompetenz voll ausgeglichen werden konnte. Nach einiger Zeit der Anwendung bemerkten wir, daß durch die Beachtung der Auftretenshäufigkeit von Wörtern in der Sprache, die in unserem Ansatz liegenden Möglichkeiten der ökonomisierung, auf die wir im Interesse der Kinder unser Hauptaugenmerk legen mußten, noch nicht voll ausgeschöpft wurden. Wir fanden, daß die Hervorhebung der Morpheme, aus denen die Wörter bestehen, und die Vermittlung des Wissens, aus wie wenigen und welchen Morphemen die meisten im Text vorkommenden Wörter gebildet werden, einen bedeutenden Schritt zur Vergrößerung der Ökonomie und Sicherheit unseres Verfahrens darstellen mußte. Daraufhin stellten wir unser Verfahren um und brachten den Kindern nun - unter Beibehaltung der Kontrolle der Worthäufigkeiten - die Morpheme als eine Art von »Bedeutungsalphäbet« der Sprache nahe. Wir achteten in der Abfolge unseres Arbeitsmaterials darauf, daß dieses sogenannte Bedeutungsalphabet von den Kindern als eine neue Art von Gliederungshilfe bei der Reproduktion und Produktion von Wörtern systematisch gelernt und schließlich auch aktiv gebraucht werden konnte. Um das zu erreichen, führten wir auch die Morpheme entlang einer Rangreihe ihrer Auftretenshäufigkeit in unserer Sprache nacheinander ein; wir achteten auf ihre Lernbarkeit, indem wir im Text für jede neue Einheit die Chancen, sie zu lernen, sicherten. Das Verfahren, das wir zusammenstellten, erwies sich als geeignet, sogenannten Legasthenikern zu helfen. Es ist seit langem in Berlin in praktischer Anwendung: In Einzelfällen in einer Einrichtung, die wir ins Leben gerufen haben (sie heißt Legasthenie-Zentrum e. V.), und regelmäßig in acht Förderklassen in den Bezirken Wedding und Reinikkendorf. Das Verfahren, das sich bereits als erfoglreich erwiesen hat, Legasthenie zu beheben, halten wir für geeignet, um auch Schulanfängern ökonomisch und sicher die Kenntnis der Schriftsprache zu vermitteln. 242

Es wird jetzt kurz geschildert, wie wir die auf der Morphem-Struktur der Sprache und auf der Auftretenshäufigkeit von Spracheinheiten beruhende Methode bei Schulanfängern einsetzen wollen, und danach werden dann die theoretischen Hintergründe dieser Methode dargestellt. Den festen Bezugsrahmen für den gesamten Unterricht und auch für die Vermittlung der Schriftsprachkompetenz bilden die erarbeiteten Inhalte. Die Auseinandersetzung mit ihnen und mit der Bedeutsamkeit der durch sie vermittelten Erfahrungen stellt dabei den festen Zusammenhang auch für alle Teilbemühungen her. Eine schriftsprachliche Beschäftigung der Kinder kann sich unserer Uberzeugung nach jeweils nur in der Beziehung zu diesem Zusammenhang ausweisen und nur durch diesen Zusammenhang Wirksamkeit erlangen. In der »Buchstabenphase«, mit der wir unser Verfahren einleiten, und in einer kurzen isolierten »Morphemphase« steht die Vermittlung der Schriftsprachformen noch unvermeidbar neben der Vermittlung von Sprachinhalten, die wir in dieser Zeit an - in Comic-Art gezeichneten Bildergeschichten betreiben müssen. Sobald jedoch genug Morpheme bekannt sind, beginnt die »Textphase«, in der die Teile der zu erfassenden Inhalte, die durch die nun zu Wörtern kombinierten Morpheme als Sätze oder Satzteile zu gestalten sind, in Schriftsprache erscheinen. Der noch nicht in Schriftsprache darstellbare Rest bleibt in Bilderform erhalten. Den Kindern wird alle Schriftsprache als aus Morphemen zusammengesetzt vorgestellt. Die sich bei diesem Vorgehen nicht sofort fest zusammenfügende Gestalt von Wörtern als selbständige Bedeutungseinheiten nehmen wir vorübergehend in Kauf. Aus den allmählich sichtbar werdenden Zusammenhangsregeln von Morphemen werden die Kinder das Prinzip des Wortes zwar etwas später, aber notwendig und um so sicherer erfahren und vertiefen. Mit der zunächst hervorgehobenen Morphem-Gegliedertheit aller Schriftsprache lernen die Kinder aber schon am Anfang ihres Umgangs mit dieser Schriftsprache etwas, das auch die meisten kompetenten Sprachbenutzer nicht bewußt zur Verfügung haben, obwohl auch sie über Schriftsprache und Sprache schlechthin im Grunde in morphem-codierter Form verfügen. Kinder lernen bereits am Schulanfang und ohne große Mühe die Synthetisierbarkeit aller sprachlich oder im Unterricht schriftsprachlich abgebildeten Erfahrungswerte aus Morphemen. Sie erleben auch bald den besonderen Werkzeugwert dieser Kenntnis im Sinne einer besseren Verfügbarkeit von Sprache schlechthin. Die kontinuierliche und überwachte Ausweitung des Vermittlungs243

prozesses bringt ständig neue Gesamtbedeutungen in ihrer neuen schriftsprachlichen Abbildung und zeigt in dieser wieder die besondere Morphem-Gegliedertheit auf. Damit lernen die Kinder kontinuierlich neue Morpheme, neue Morphem-Zusammenhänge und deren Gesamtbedeutung. Es schärft sich allmählich und beiläufig ein immer klareres Wissen, wie in gesetzmäßiger Weise Sprache auf der Synthese von Morphemen beruht. Sie lernen dabei, daß nicht immer die Bedeutungen der einzelnen Morpheme die Gesamtbedeutung bedingen, sondern daß die Gesamtbedeutung immer die Teilbedeutungen der einzelnen beteiligten Morpheme prägen muß. Die Kinder werden in dem gesamten Vermittlungsgang in der geplanten allmählichen Ausweitung ihres Erfahrungsschatzes und der Mittel zu seiner schriftsprachlichen Abbildung von den sprachstatistisch häufigsten Morphemen ausgehend zu den seltenen fortschreitend auf einem regelmäßigen und für das Kind übersichtlichen Weg geführt. Wir erinnern uns, daß über diese Morphem-Ebene der Sprache hinaus von uns auch die nächsthöhere Ebene, die Wortebene, der gleichen lernwirksamen Kontrolle unterworfen wird. Das Ganze ergibt sich aber immer nur beiläufig, für die Kinder kaum bemerkbar, bei der inhaltlichen Auseinandersetzung mit einem Text. Wir schaffen mit der Morphem-Orientierung bei unserer Schriftsprach-Vermittlung und mit der strengen Unterordnung unter das Häufigkeitsprinzip, nach dem die Sprache ihre Bestandteile einsetzt, bei den Schulanfängern in den ersten zwei Jahren eine Grundlage, die sich danach durch jede aufmerksame schriftsprachliche reproduktive oder produktive Tätigkeit ohne Hilfe des Lehrers ergänzen wird, durch die also ein Weiterwachsen und schließlich vollkommenes Sicherwerden in der Beherrschung der Schriftsprache für jedes Kind unumgänglich wird. Um diese Behauptung zu begründen, müssen genauere Ausführungen über die theoretischen Voraussetzungen der Morphem-Gegliedertheit der Sprache und über die Gesetzmäßigkeiten der relativen Auftretenshäufigkeiten von Einheiten der Sprache gemacht werden: Die Morphem-Struktur der deutschen Sprache Es gibt zwar seit langem eine Liste von Wörtern der deutschen Sprache unter Angabe ihrer relativen Auftretenshäufigkeit3 und auch eine darauf beruhende Häufigkeitsrangreihe4, die die häufigsten 8000 Wortformen der deutschen Sprache (der Schriftsprache) in der Abfolge ihrer Häufigkeit ausweist. Eine entsprechende Analyse der Morpheme der deut244

sehen Sprache lag am Beginn unserer Arbeit aber nicht vor. Wir mußten sie uns selbst erstellen. Wir stellten zunächst eine operationale Definition des Morphems auf, die in ihrer allgemeinen Aussage mit der von W. Fleischer5 übereinstimmt: Das Morphem ist danach die kleinste, Bedeutung tragende Einheit der Sprache oder die kleinste Einheit des Ausdrückssystems, die unmittelbar zu irgendeinem Teil des Inhaltssystems in Beziehung gesetzt werden kann. Wenn somit Morpheme Einheiten der Sprache sind, sind - abgehoben davon - Silben Einheiten des Sprechvorganges. Sie teilen das Wort nicht in Bedeutungseinheiten auf, sondern in Sprechbarkeitseinheiten. Sie sind deshalb völlig ungeeignet, als Gliederungseinheiten von Sprache verwendet zu werden. Wir unterscheiden die Morpheme in Hauptmorpheme (z. B. in ver/such/en und ver/seh/en: »such« und »seh«) und in funktionale Morpheme (z. B. in ver/such/en und ver/seh/en: »ver« und »en«). Die Hauptmorpheme sind worttragende Morpheme, also solche, die den eigentlichen Sinn eines Wortes wesentlich bestimmen. Die funktionalen Morpheme ergänzen die Hauptmorpheme. Sie verändern dabei nicht den Sinn des Hauptmorphems, sondern modifizieren ihn oder weisen ihm einen bestimmten Bezug im sprachlichen Kontext (im Satz) zu. Sie können dem Hauptmorphem als Anfangsmorphem vorgeschaltet oder als Endmorphem nachgestellt sein. Da die worttragenden Hauptmorpheme schwieriger eindeutig zu identifizieren sind als die funktionalen Morpheme, definieren wir sie formal negativ als den (einsilbigen) Wortrest, der übrig bleibt, wenn von einem Wort alle funktionalen Morpheme, zuerst alle Anfangsmorpheme, abgetrennt werden (es können mehrere hintereinander stehen, z. B. in un/ver/träg/lich: »un« und »ver«) und danach alle Endmorpheme (z. B. in Un/ver/träg/lich/keit: »keit« und »lieh«). Eigennamen und Fremdwörter haben wir aus unserer MorphemAnalyse ausgeschlossen, weil sie unter besonderen Gesetzmäßigkeiten stehen und weil ihnen außerdem in unserem Unterrichtsverfahren keine wesendiche Rolle zukommt. Mit Hilfe der Morphem-Definition, die hier nicht in ihren operationalen Feinheiten dargestellt wird, haben wir die 8000 häufigsten Wörter der deutschen Sprache, die Meier zusammengestellt hat, und deren Häufigkeitszahlen sich auf eine Zählbasis von 11 Millionen Wörtern beziehen, in ihre Morpheme zerlegt. Jedes Morphem, das wir dabei fanden, erhielt als seinen abgeleiteten Häufigkeitswert die Summe der Häufigkeiten aller Wörter zugeordnet, in denen es auftrat. Aus den so 245

gewichteten Morphemen stellten wir eine Rangreihe der Auftretenshäufigkeiten von Morphemen in der deutschen Sprache her. Die Rangreihe umfaßt ca. 1600 Morpheme. Wir haben andere Untersuchungen, die jetzt vorliegen, und theoretische Aussagen dazu herangezogen, um abzuschätzen, wie viele Morpheme insgesamt in der deutschen Sprache vermutet werden dürfen, und sind dabei auf die Zahl von ca. 3000 gekommen. Auf unserer Auszählung, dieser Schätzung und auf allen empirischen Werten über die Wortauszählung der deutschen Sprache von Meier und von Kaeding beruhen unsere Zahlenangaben im weiteren Verlauf dieses Berichtes. Unter den von uns gefundenen Morphemen befinden sich unserer Schätzung nach alle Funktionsmorpheme, die ihrer Eigenart gemäß in der Häufigkeitsrangreihe der Morpheme ganz weit vorn stehen müssen. Wir kennen somit alle grammatikalischen Endmorpheme, die das Wort beim Konjugieren abwandeln: z.B. e in bleib/e, st in schreib/st, t in hör/t (ferner en, n, et, est, end, ent, nd), die für die Wortabwandlungen beim Deklinieren: z.B. er in Kind/er, es in Haus/es, e in Haus/e (ferner en, s, n, em, m und die für die Komparationsformen: z. B. er in größ/er, st in höch/st (ferner t und est); das sind 22 Morpheme. Sie bestimmen einzeln (z. B. e in: ich be/reit/e) oder aneinandergereiht (z. B. et und est in: du be/reit/et-est) - die Rolle der Wörter im Satzzusammenhang. Wir kennen auch die sonst noch möglichen Endmorpheme, nämlich die wortbildenden oder bedeutungsmodifizierenden (z. B. heit in Ver/gang/en/heit, keitin Freund/lich/keit, schaft in Freund/schaft, ung in Ver/such/ung (ferner: tum, tüm, nis, niss, mand, ei, ling, in lieh, ig, sam, haft, bar, isch, chen, lein, sal, lei, falt, el, 1, er, r, en, n, e, end, zig usw.) zusammen 41, also mit den zuerst genannten insgsamt 63 Funktionsmorpheme, die einem Hauptmorphem nachgeordnet werden. Schließlich kennen wir noch die Anfangsmorpheme, die ausnahmslos bedeutungsmodifizierenden Charakter haben: z. B. be in be/weg/en, ent in ent/scheid/en, emp in emp/fang/en (ferner er, ge, ver, zer, ant, miss, rück, ur, un). Diese zwölf Anfangsmorpheme werden noch ergänzt durch die Präpositionen (z. B . vor in vor/seh/en, an in an/seh/en, zu in zu/seh/en), die auch als Anfangsmorpheme wirken können, an sich aber Hauptmorpheme und sogar einmorphemige Wörter sind. Nicht mehr als insgesamt 75 Morpheme üben an Wörtern und Sätzen der deutschen Sprache jede Art von wortbildender oder bedeutungsmodifizierender Funktion aus. Alle übrigen der von uns gefundenen ca. 1600 Morpheme, aber auch alle uns nicht bekannten (wir vermuten, daß es etwa 3000 sind) sind Hauptmorpheme, also die Wortbedeutung wesentlich bestimmende Morpheme. 246

Die ca. 1600 uns bekannten Morpheme, die wir in unserem Unterrichtsverfahren kontrolliert anbieten, repräsentieren zusammen mehr als 85 % der in einer hinreichend großen Textstichprobe überhaupt verwendeten Morpheme. Das heißt aber, daß uns die nicht bekannten Morpheme bei unserer Arbeit nicht allzu sehr fehlen werden. Sie vertreten zusammen schließlich nicht mehr als 15 % jeder repräsentativen Textstichprobe. Jedes von ihnen hat also bereis eine so große Seltenheit, daß es als systematisch in einem Unterrichtsverfahren zu festigende Einheit unter regelmäßigen und sinnvollen Bedingungen keine rolle spielt.

Die Bedeutung des Morphems Manfred Bierwisch6 und auch Wolfgang Fleischer7 bezeichnen das Morphem als »Einheit der Sprachtheorie« und stellten es dem Wort als einer »Einheit der Sprache« gegenüber. Diese Unterscheidung wird auch jener Tasache gerecht, daß Morpheme nicht prinzipiell Untereinheiten von Wörtern sind. Sie können in vielen Fällen als selbständige Wörter auftreten, z. B. Haus, Baum, Tisch, schön, gut, an, auf, und, mit. Diese einmorphemigen Wörter gehören im übrigen in der Regel zu den häufigsten Wörtern in der Rangreihe der Auftretenshäufigkeiten aller Wörter. Die meisten Morpheme sind aber unselbständig. Sie treten nur in einem festen Verband mit anderen Morphemen auf und bilden erst in dieser Form ein Wort der deutschen Sprache, z. B. Be/such, Hoff/nung, ver/gelt/eii, be/streb/en, Un/ver/zagt/heit, Ge/richt/s/schreib/er; keines der beteiligten Morpheme kann allein stehen. Man kann die Morphem-Zusammenhänge zwar um einzelne Morpheme verkürzen und damit andere Wörter entstehen lassen (z. B. aus Un/ver/zag/t/heit kann man Ver/zag/t/heit und ver/zag/t machen), aber es muß stets ein bestimmter mehrmorphemiger Rest übrig bleiben, wenn das Gebilde noch ein Wort sein soll. Wenn wir eine Liste von Morphemen ganz schnell überfliegen, haben aber auch die meisten unselbständigen Hauptmorpheme, die also allein kein Wort bilden können, die Anmutung von Wörtern, d. h., sie haben einen hohen Signalwert. Das zeigt, in welcher Prägnanz sie das Bedeutungszentrum eines Wortes bilden. Es ist aber in der Regel nicht so, daß unsere Kenntnis der MorphemBedeutungen uns ermöglicht, auf die Gesamtbedeutung der aus ihnen gebildeten Wörter zu schließen. Die morphologische »Motivation«8 ei247

ner Wortbedeutung aus den Bedeutungen seiner Morpheme tendiert dazu, sieh im Laufe der Entwicklung unserer Sprache zu verschleiern. Das Morphemgefüge »Wort«8 erfährt in seinem Gebrauch und durch die sich in der Zeit aus eigenen Gesetzen verändernde Eigenart der Erfahrung über Realität, die mit diesem Wort abgebildet werden soll, oft eine »Idiomatisierung«9, d. h. eine eigene Gesamtbedeutung, die nicht mehr aus der Summe der sonst gültigen Morphem-Bedeutung zu begreifen ist. Eine Reihe mit zunehmender Idiomatisierung von Morphem-Gefügen findet sich bei Fleischer10, z. B. Diskussionsbeitrag r- Morgenhimmel - Jahresdurchschnitt - Nachtarbeit - Großstadt - Großmutter Augenblick. Eine Großstadt ist trotz der Größe des Bedeutungshofes dieses Wortes immer noch eine große Stadt. Eine Großmutter ist zwar keine große Mutter, aber immer noch eine Mutter. Ein Augenblick hat aber - so meint Fleischer - weder etwas mit Auge noch mit Blick zu tun. Idiomatisierte Morphem-Gefüge müssen zusammen in ihrer abgeleiteten Bedeutung gelernt werden. Wir können jetzt abschätzen, welche Voraussetzungen erfüllt sein müssen, damit ein Sprachbenutzer über die mehr als 250 000 in der deutsehen Sprache möglichen Wortformen sicher verfügen kann. Er muß die ca. 3000 Morpheme der Sprache beherrschen, d. h., er muß ihre werkzeughafte Teilbedeutung spontan wissen, damit er die aus ihnen unmittelbar motivierbaren Gesamtbedeutungen (Fleischer) synthetisieren kann, und er muß zusätzlich die in der Sprache entstandenen Idiomatisierungen von Morphem-Gefügen kennen. Das Gesamt der Grundbestände einer Sprache, die ein Sprachbenutzer zur Verfügung haben muß, wird niemals eine Summe von 250 000 sein, sondern nur ein Bruchteil davon. Die meisten Wortformen unserer Sprache entstehen nämlich dadurch, daß in Abwandlung einer Grundform die festen Morphem-Gefüge unter Anhängung von grammatikalischen Endmorphemen in ihrer Funktion für den Satz festgelegt werden. Eine weitere sehr große Zahl unter den selteneren Wörtern unserer Sprache besteht aus nicht idiomatisierten zusammengesetzten Wörtern. Die Bedeutung der Zusammensetzung kennt man, wenn man die Bedeutung der Grundwörter kennt. Wenn man von dem verbleibenden Rest aller Wörter noch die eindeutigen Idiomatisierungen einfacher Morphem-Gefüge als unvermeidbar zu lernende abzieht, dann bleibt ein Anteil von Wörtern, der für sich genommen zwar noch eine unüberwindlich große Anzahl umfaßt, hätte man vor, diese Wörter wie Vokabeln lernen zu wollen; es handelt sich aber dabei um einfache Wörter, d. h. sie sind in ihrer Gesamtbedeutung 248

aus nicht mehr als 3000 Morphemen zu synthetisieren. Man braucht also, um sie zu beherrschen, nur eine extrem kleine Anzahl von Teilbedeutungen, nämlich die Morpheme und die wenigen morphologischen Regeln ihrer Verbindbarkeit, zu kennnen. Das Prinzip der unterschiedlichen Auftretenshäufigkeit von Einheiten in der Sprache Wir haben gesagt, daß in den aufeinander aufbauenden Unterrichtseinheiten die Morpheme und auch die verwendeten Wörter in der Reihenfolge ihrer relativen Auftretenshäufigkeit in unserer Sprache eingesetzt werden, daß also - vom häufigsten Bestandteil ausgehend - ein regelmäßig in die Richtung der seltenen Einheiten sich ausweitender Morphem-Bestand oder Wortschatz aufgebaut wird. Dieser Begriff der relativen Auftretenshäufigkeit von bestimmten Einheiten (z. B. Buchstaben, Morpheme, Wörter oder Sätze) der Sprache weist auf den zweiten tragenden Aspekt der von uns konstruierten Methode hin und bedarf der näheren Erläuterung. Die Berücksichtigung der relativen Auftretenshäufigkeit von Einheiten in der Sprache - bei uns also vor allem die der Morpheme und der Wörter - entscheidet, so können wir zunächst sagen, über die Ökonomie der Morphem-Methode. Darüber hinaus verschafft die systematische Entfaltung von Sprach- oder Schriftsprachmaterial - von den häufigsten Einheiten zu den selteneren Einheiten gehend - so etwas wie das implizite Verständnis von Sprachstruktur im Ganzen. Die häufigsten Morpheme oder Wörter werden bald als die Träger grundsätzlicher Strukturierungsaufgaben der Sprache erkannt und die selteneren als jene die Gesamtbedeutung etwa des Satzgefüges immer spezieller und schärfer präzisierenden Träger von Ausgestaltungsaufgaben. Sprache vemittelt sich in jeder ihrer stichprobenartigen Realisationen - ob in Gesprächen oder in Geschriebenem - unter strenger Berücksichtigung dieses Prinzips der unterschiedlichen Verwendungshäufigkeit von Einheiten, seien es nun Buchstaben, Morpheme, Wörter oder ganze Sätze. Die Rangreihe der unterschiedlich häufigen Verwendung z. B. von Buchstaben ist also in jeder repräsentativen Textstichprobe gleich, und zwar: e, n, i, r, s, t, a, d, h, u, 1, g, c, m, o, b, f, w, k, z, v, p, ü, ä, ö, j, y, Zwischen dem häufigsten Buchstaben e und dem seltensten Buchstaben q besteht keine lineare Beziehung. Wir haben es hier mit einer Ex249

ponential-Funktion zu tun, die durch folgende drei Abschnitte deutlich zu charakterisieren ist: Die sechs häufigsten Buchstaben der Buchstabenrangreihe bilden in jeder größeren Textstichprobe ca. 50 % aller in ihr vorhandenen Buchstaben. Mit den 15 häufigsten Buchstaben - das ist die häufigere Hälfte der gesamten Buchstabenrangreihe - werden regelmäßig ca. 90 % jedes zusammenhängenden Textes auf der Buchstabenebene gefüllt. Und die letzten sechs Buchstaben, die relativ seltensten also (im Vergleich mit den ersten sechs), können nicht einmal mehr ca. 1 % jedes zusammenhängenden Textes füllen. Bei den Morphemen ist der eben sichtbar gewordene Effekt der besonderen unterschiedlich häufigen Verwendung in einem zusammenhängenden Text von repräsentativem Umfang noch markanter: die häufigsten 35 der insgesamt ca. 3000 Morpheme bilden hier in der Regel mehr als 50 % jedes zusammenhängenden Textes. Mit den 1600 häufigsten Morphemen kann man in der Regel mehr als 85 % jedes größeren Textes gestalten. Und der gesamte Rest von ca. 1400 Morphemen hat nur noch bei 15 % jedes zusammenhängenden Textes eine Funktion. Je höhere komplexe Ebenen der Sprachorganisation wir betrachten (Wörter oder Sätze), desto auffälliger tritt uns eine Asymmetrie der Häufigkeitsverteilung entgegen. Wir wählen zum Abschluß nur noch das Beispiel der Wörter: Die 200 häufigsten aus den mehr als 250 000 in der deutschen Sprache vorkommenden Wortformen bilden hier in der Regel jeweils 50 % jedes zusammenhängenden Textes. Die 8000 häufigsten Wortformen gestalten in der Regel 85 % jeder repräsentativen Textstichprobe. Im Zusammenhang mit der früher gemachten Feststellung, daß ein Sprachlerner die in dem regelmäßigen Sprachangebot, das er aus seiner Umwelt erhält, notwendig häufiger sich wiederholenden Grund- (oder Komplex-) Einheiten eher sicher lernen wird als die notwendig selteneren Einheiten, können wir mit der eben gegebenen Information weiter folgern: Die deutlich hervorgetretene eigentümliche Ökonomie der Sprache in der Verwendung ihrer Mittel weist darauf hin, daß der Sprachlerner in dem Entwicklungsgang des Spracherwerbens am Anfang rasch in den sicheren Umgang mit den sehr häufigen Spracheinheiten eingeführt wird, und zwar mit den Einheiten, die auch den höchsten Werkzeugwert haben, und daß jede Erweiterung des Sprachelernens nach den Gesetzmäßigkeiten des Angebots ein prinzipiell immer langsameres Lernen ist, wenn nicht durch systematische Umstände, eine größere Quantität des Angebots hier den Mangel an Lernmöglichkeiten ausgleicht. 250

Die für unser Unterrichtsverfahren bedeutsamen Bedingungen der Sprachentwicklung Die durch ständige Wiederholung mit der Zeit rasch immer sicherer und fester werdende Grundlage der in der Nähe des Entwicklungsanfanges erworbenen Spracheinheiten bildet ein schließlich automatisiertes, schnellem und präzisem Zugriff zugängliches Sprachgerüst, die Grundstruktur der Sprache, den sprachlichen Orientierungsrahmen; seine automatisierte Festigkeit und sein Umfang an differenzierten, strukturbildenden Bestandteilen entscheiden über Schnelligkeit und Differenziertheit der Sprachanwendung. D. h., die Festigkeit der vorhandenen Grundlage an bereits verfügbaren häufigen Einheiten der Sprache entscheidet über die Möglichkeit, in einer gegebenen Zeit quantitativ größere Bereiche und damit auch größere neue Bereiche der Sprache zu erfassen, also Gesprochenes schneller zu begreifen und in der Zeiteinheit mehr lesen oder schreiben zu können. Daneben beschleunigt sich das Lerntempo des Sprachlerners auch deshalb, weil neue, also seltenere Spracheinheiten sich als relativ immer kleinere Teile von - relativ dazu immer größeren, bereits sicher vorhandenen Umgebungsstrukturen erweisen, die sich - weil sie in ein immer umfangreicher vorgeprägtes Beziehungsgefüge eintreten - notwendig leichter assoziativ verankern lassen oder mit weniger Wiederholungen die zum aktiven Gebrauch erforderliche Festigkeit der Repräsentation im Gedächtnis erreichen. Die 1600 häufigsten Morpheme der deutschen Sprache können wenn sie in zusammenhängenden inhaltlich relevanten Texten vermittelt und somit in ihrer Teilbedeutung und mit dem Werkzeugwert dieser Teilbedeutung richtig aufgefaßt und gelernt worden sind - als Repräsentation dieses Sprachgerüsts, dieser Grundstruktur der Sprache, dieses sprachlichen Orientierungsrahmens angesehen werden, und zwar in der werkzeugmäßig schärfsten und wirksamsten Differenziertheit, nämlich strukturiert auf der Morphem-Basis. Aus diesen 1600 häufigsten Morphemen sind 85 % jedes zusammenhängenden Textes gestaltet oder gestaltbar. Das entspricht bereits einer sehr fein differenzierten Grundstruktur der Sprache, die große Sicherheit im Umgang mit Sprache und Eigenständigkeit in der Ausweitungsmöglichkeit des gesamten Sprachbereiches bewirken müßte. Es darf sicher auch damit gerechnet werden, daß ein deutlicher Einfluß von einer so vermittelten Schriftsprachkompetenz auf die weitere Entwicklung der Umgangssprache der Rinder übergeht (Transfer von Prinzipien). 251

Im Sprachvermittlungsprozeß differenziert und in ihrer besonderen Teilbedeutung und Teilfunktion geschärft, werden Morpheme für die von uns unterrichteten Kinder in ihrem gesamten Sprachbereich klarer die ihnen eigene Rolle spielen: Als sprachliche Abbildungen von in dieser Gesellschaft möglichen Grunderfahrungen mit der Wirklichkeit. Die hervorgehobenen Hauptmorpheme werden für diese Kinder klarer, als sie sich anderen Sprachbenutzern in der Regel erschließen, wenn sie die je spezifischen Grunderfahrungen mit einem Gegenstand der Umwelt zum Ausdruck bringen, z. B. Mensch, Baum, Wald, Berg, Stab, Stein, Erd, Tier usw., mit seinem Zustand, z. B. groß klein, lang kurz, lieb bös, leicht schwer, jung alt, gut schlecht usw., einem an ihm zu bemerkenden Prozeß z. B. folg, fall, seh, geh, trag, fang, bring, lauf usw., und mit Grundorientierungen in Raum und Zeit, z. B. zu, von, auf, nach, vor, bei usw. Die beiden anderen Formen von Morphemen, die Anfangs- und Endmorpheme, werden in ihrer - wenn auch abstrakten, aber dabei scharfen und einfachen - Bedeutung von den Kindern auch leicht erfaßt werden: als Werkzeuge, mit denen man die Hauptmorpheme im Fall der Anfangsmorpheme in ihrer Bedeutung bereichen, verschieben, verwandeln, verkehren und im Fall der Endmorpheme entweder die im Hauptmorphem abgebildeten Grunderfahrungstypen verändern (z. B. ver/such/en, Ver/sueh/ung) oder diese in ihrer Erkennbarkeit und besonderen Aufgabe im Satz sichern kann. An neuen und größeren Morphem-Gefügen, an anderen Wörtern also, die eine über die bisherige Kenntnis der beteiligten MorphemBedeutungen hinausgehende neue Gesamtbedeutung vermitteln, lernen die Kinder dann (manchmal ganz bewußt), wie sich der Teilbedeutungsbereich des Morphems erweitern muß, um die neue Gesamtbedeutung, die neue, komplexe Erfahrung mit der Realität codierbar zu machen. Der gesamte Prozeß des Umgangssprache-Lernens ist mit dem Schulanfang, wie wir wissen, in einer besonders intensiven Phase, auch mit unserem Morphem-Verfahren und nach Abschluß des Zwei-JahresKurses sind die Prozesse des Erwerbens von Umgangs- und von Schriftsprache noch nicht abgeschlossen. Beide Prozesse können objektiv niemals zu einem Ende kommen. Jedoch betrachten wir Menschen dann als (relativ) kompetente Sprachbenutzter - und so sehen sie sich auch selbst - , wenn sie für sich und ihre unmittelbare soziale Umwelt, d. h. für ihre soziale Schicht nicht mehr als Lernende gelten. Dieses Urteil signalisiert, daß sie sich von da ab bezüglich der Sprache in einem relativ stabilen nicht mehr merkbar expandierenden Erfahrungsraum be252

wegen. Alle für diese Menschen relevanten Dinge des Lebens haben dann ihren sicheren Platz in der verbalisierbaren Gesamterfahrung bekommen, d. h., daß sie auch ihre sichere sprachliche Abbildbarkeit erreicht haben und somit jederzeit aus den nun in ihrer Teilbedeutung genau festliegenden Morphemen sicher synthetisiert werden können. Es gibt dann für diese Menschen so etwas wie eine geschlossene »Weltansicht« (wie es Wilhelm von Humboldt in allen seinen sprachwissenschaftlichen Arbeiten nennt), und zwar durch das Gesamt der erworbenen Sprache repräsentiert. Die bestimmte »innere Form« (ein zweiter tragender Begriff bei Wilhelm von Humboldt) dieser Sprache, und zwar - wie wir meinen - in ihrer klaren Morphem-Codiertheit, bildet die sprachliche Entsprechung der Gesamterfahrungen, die mit der Wirklichkeit gemacht worden sind. Wir erwarten, daß Kinder, die ihre Schriftsprachgrundkenntnisse mit der Morphem-Methode erworben haben, das Ziel einer befriedigenden Schriftsprachkompetenz ohne spezielle Anleitung durch einen Lehrer erreichen können. Wir sind davon überzeugt, daß sich nach dem ZweiJahres-Kurs - allein durch weitere permanente Beschäftigung mit schriftsprachlich angebotenen, für die Kinder relevanten Inhalten - die Entwicklung der Schriftsprachkompetenz und auch die der allgemeinen Sprachkompetenz bei allen Kindern in vergleichbarer Weise bis zu einem befriedigend hohen Stand ausweiten wird. Die »Weltansicht«, die diesen Kindern später einmal in ihrem Sprachgesamt zur Verfügung stehen wird, und die »innere Form« dieser Sprache werden dabei durch die Summe aller inhaltlichen Vermittlungsbemühungen und die Schärfe ihrer sprachlichen Abbildung auf der einen Seite, auf der anderen Seite durch die selbsttätig auch später noch weiter wirkende Morphem-Methode bestimmt werden. Wir haben allerdings vor, im Anschluß an die Herstellung des Arbeitsmäterials für den Schulanfang, in dem die Gesetzmäßigkeiten der Schriftsprache den Kindern unmittelbar und beiläufig nahegebracht werden, für das darauffolgende Schuljahr eine - wie wir sie nennen »Wortinnengrammatik« bereitzustellen. Mit dieser Grammatik wollen wir die bis dahin nur implizit erfaßten Regeln für die Wortgestaltung explizit machen und für den eigenständigen erfahrungsmäßigen Ausgriff der Kinder in ihre weitere Umwelt zur Verfügung stellen und schöpferisch produktiv werden lassen. Diese »Wortinnengrammatik« wird das Prinzip der generativen Grammatik von Noam Chomsky12 über den syntaktischen Bereich auf den morphologischen Bereich, also auf die Struktur des Wortes, ausdehnen.

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Die Schule

Wir haben unser Schriftsprachvermittlungsverfahren schon sehr vielen Lehrern erklärt. Immer ist es am Anfang auf heftige Ablehnung gestoßen. Aber die, die sich durchgerungen haben, es einmal zu versuchen, waren damit erfolgreich. Am Anfang müssen wir vor allem immer wieder den Vorwurf entkräften, daß unser Ausgangsmaterial, die Häufigkeitsliste deutscher Wörter, nur die Verhältnisse in der Erwachsenensprache und nur in der vorfindbaren Schriftsprache wiedergibt und eben nicht die Verhältnisse in der Kindersprache. Unserer Meinung nach ist dieser Vorwurf unbegründet. Kindersprache ist etwas vorübergehendes, etwas, das die Kinder einengt, von dem sie selbst loskommen wollen. Die Schule darf sie durch eine falsche eigene Anpassung an diese Phase nicht an diesen Zwischenzustand fesseln wollen. Ziel der Schule kann unserer Meinung nach nur das Verständlichmachen der Erwachsenenerfahrungswelt sein. Von ihr sind die Kinder abhängig, in ihr müssen sie schnell Eigenständigkeit erlangen. Ein anderer Vorwurf oder doch eine Skepsis gilt der zu großen Genauigkeit, die wir bei der Konstruktion des Arbeitsmaterials und der Abfolge der Darbietungsschritte walten lassen. Wir haben aber festgestellt, daß die Lehrer, die lieber anders vorgehen als wir, die z. B. eine der beiden wenig strukturierten herkömmlichen Vermittlungsverfahren für das Lesen- und Schreibenlernen verwenden, den Erfolg, den sie damit haben, eigentlich nicht ihrer eigenen Vermittlungsintention verdanken können. Sowohl die Ganzheitsmethode als auch die synthetische Methode sind bei genauem Hinsehen keine Methoden in strengerem Sinn. Beide Angebote legen allenfalls so etwas wie einen Ausgangspunkt fest. Die synthetische Methode will mit Buchstaben und Lauten anfangen, die Ganzheitsmethode will mit ganzen Wörtern oder kleinen Sätzen beginnen, aus denen die Lehrer zusammen mit den Kindern die Buchstaben herausanalysieren sollen. Was sich dann in den ersten zwei Schuljahren wirklich vollzieht, ist immer wieder das gleiche Wunder, leider allzu oft eben aber auch das böse Wunder :Die meisten Kinder in der Klasse lernen lesen und schreiben, aber einige lernen es immer wieder nicht. Keiner kann eigentlich sagen, warum die einen es lernen und die anderen nicht. Wir finden es nicht übertrieben, wenn wir feststellen, daß die Lehrer in den ersten beiden Klassen den Lernprozeß nicht gezielt vorantreiben, denn sie kennen eigentlich keinen anderen Weg, als Lesen und Schreiben an Lesen und Schreiben zu vermitteln. Das ist aber 254

keine Methode. Und oft gefährden sie selbst dieses Naiwerfahren noch, indem sie durch Strafen und negative Benotungen die Motivation der Kinder zerstören. Die Schule - die ein Schriftsprachlehrverfahren einsetzt, das Kinder nicht vor kleinen und auch nicht vor großen Mißerfolgen bewahren kann, weil es eben kein Verfahren ist, das seine Vermittlungsschritte sichern und aufeinander aufbauen kann - fordert schließlich von den Kindern etwas, das wir selbst im Zusammenhang mit unserer Methode niemals fordern würden, weil wir den Sinn nicht erkennen können, nämlich eine fast unbegreifliche Genauigkeitsleistung in der Reproduktion und Produktion von Schriftsprache. Wir finden diesen Anspruch in zweifacher Hinsicht nicht gerechtfertigt: Einmal kann man nicht etwas bei Kindern finden wollen, nämlich Fehlerlosigkeit, für die man keine Gewähr übernommen hat und auch nicht übernehmen kann; zum anderen glauben wir zu sehen, daß die Schule, aber vielleicht sogar wir alle, die Schriftsprachproduktionen mit wirklich unbegründeten Anforderungen belasten. Denn die Genauigkeit, die dabei gefordert wird, ist zu einem deutlich sichtbaren Teil nicht mehr sachlich begründet, wenn wir sachlich nennen, daß Schriftsprache ein Werkzeug ist, dessen Genauigkeit die Grenze nicht überschreiten muß, von der ab eine schriftsprachliche Kommunikation unbehindert möglich ist.

Anmerkungen: 1 Habilitationsvortrag Dr. S. Schubenz, gehalten am 3. 2. 1971, vgl. hierzu auch den Anhang auf S. 271 ff. 2 Schubenz, S./Buchwald, R.: Untersuchungen zur Legasthenie. I: Die Beziehung der Legasthenie zur Auftretenshäufigkeit der Buchstaben des Alphabets in der deutschen Sprache. Z. exp. angew. Psychol., 1964, 11, 155-186. 3 F. W. Kaeding: Häufigkeitswörterbuch der deutschen Sprache. Steglitz 1898. 4 H. Meier: Deutsche Sprachenstatistik. Hildesheim 1964. 5 Wortbildung der deutschen Gegenwartssprache, Leipzig 1969, S. 35. 6 Manfred Bierwisch: Über den theoretischen Status des Morphems, Studia Grammatica I, 2. Aufl., Berlin 1965, S. 51-89. 7 Vgl.: Wolfgang Fleischer, a. a. O., S. 33. 8 Ebd., S. 12. 9 Ebd. 10 Ebd., S. 13. 11 Vgl.: Wolfgang Schönpflug, n-Gramm-Häufigkeiten in der deutschen Sprache, I. Monogramme und Diagramme, Z. exp. angew. Psychol., 16, 1969, 157-183. 12 Aspects of the theory of syntax, Cambridge, Mass., 3. Aufl., 1966.

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Dieter Pilz

Die Morphemmethode - ein psycholinguistischer Ansatz in der Legasthenietherapie1

Die Legasthenietheoriediskussion ist im Augenblick in einem Stadium, das durch einseitige Verallgemeinerungen gekennzeichnet ist. Nahm man gestern noch an, daß die Theorie der vererbten Legasthenie vom Tisch ist, so muß man heute sehen, daß diese Theorie schon wieder aufblüht. Sicherlich wird niemand leugnen, daß für die Entwicklung eines Individuums Erbanlagen und ein zentrale Nervensystem notwendig sind, aber ist das alles? Seit der Menschwerdeung des Affen hat sich doch unsere Welt grundlegend geändert - woran liegt das? Haben sich die Erbanlagen verändert? Wohl kaum - die morphologischen Voraussetzungen sind seit dieser Zeit fast unverändert geblieben - verändert aber hat sich das, was die Menschen aus Werkzeugen und Produkten geschaffen haben. Dazu gehört auch unsere Sprache und davon abgeleitet die Schriftsprache. Die haben sich die Menschen geschaffen die waren nicht von Anfang an da und die sind auch noch nicht im Embryo genetisch kodiert vorhanden. Ob es sich um den Umgang mit einer Tasse oder einem Löffel handelt oder um die Verwendung von Sprache, beides wird vom Kind in seiner Entwicklung gelernt, das Kind eignet sich die Erfahrung vorhergehender Generationen an, indem es mit den Erwachsenen kommuniziert, indem es tätig wird.2 Tasse, Löffel und sprachliche Zeichen sind Werkzeuge, die sich die Menschen geschaffen haben und mit denen das Kind konfrontiert wird, die es sich aneignen muß, damit es ein gesellschaftliches Wesen werden kann. Gewiß beeinflussen genetische Faktoren die Entwicklung eines Individuums, aber die Voraussetzungen sind multipotent. Es kommt auf die Lernbedingungen an, um diese Anlagen zu entwickeln. Warum sind minimale cerebrale Dysfunktionen (frühkindliche Hinrschädigungen) so schwer und nie eindeutig zu diagnostizieren? Weil in der Entwicklung nachher soviel passiert, nämlich das, was den Menschen vom Tier unterscheidet. Das Tier paßt sich seiner Umgebung an, der Mensch eignet sich in der Kommunikation und in seiner Tätigkeit seine Umwelt mit Hilfe anderer Menschen an. 256

Bei Kindern, die wir in Therapie nehmen, haben wir in einer umfassenden Diagnose, die die individuelle Lerngeschichte des Kindes aufarbeitet, »eine Störung der sprachlichen Kommunikationstätigkeit« festgestellt, die nach dem Bundessozialhilfegesetz eine »wesentliche seelische oder geistige Behinderung« darstellt, oder es ist abzusehen, daß diese Behinderung bei unterbleibender Hilfeleistung oder unterlassenen Förderungsmaßnahmen eintreten kann. Diese Fälle, bei denen eine derartige Störung vorliegt und die wir auch als schwerste Fälle von Legasthenie bezeichnen könnten, sind in ihrem Schriftsprachenaneignungsprozeß zum Stillstand gekommen. Sie zeigen eine Art von Lernbehinderung in diesem Aneignungsprozeß. Dabei handelt es sich meist nicht nur um ein reines Lerndefizit, das durch verschiedene Verursachungskomponenten hervorgerufen wurde, sondern um eine neurotische Störung. Die Kinder haben aufgehört, in diesem Bereich zu lernen, d. h. sie zeigen ein nicht sachadäquates Auseinandersetzungsverhalten mit Schriftsprache. Die in der Schule verhaltensauffällig werdenden Kinder zeigen ein Vermeidungsverhalten, das es ihnen unmöglich ijnacht, sich mit dem Gegenstand auseinanderzusetzen. Sie schaffen eine Situation, in der es nicht möglich ist, sich mit Schriftsprache zu beschäftigen. Diese Auffälligkeiten können bis zu psychosomatischen Störungen und häufigem Schulschwänzen gehen. Im durchschnittlichen Normalfall äußert sich dieses als Unkonzentriertheit, Hypermotorik, Passivität oder Aggressivität. Lernstillstand bzw. Lernblockierung ist in der Vergangenheit und wird in der Gegenwart häufig als Grund für eine Sonderschulüberprüfung bzw. -einweisung genommen. Bei einer gezielten Therapie, die auf Deblockierung ausgerichtet ist, ist dies keinesfalls immer notwendig. Bei unseren älteren zu Ende therapierten bzw. auslaufenden Gruppen läßt sich dies an nicht wenigen Fällen nachweisen. Der Schriftsprachenaneignungsprozeß ist ein sehr komplexer Vorgang, der gestört werden kann durch eine Vielzahl von Faktoren. Sie liegen zum einen im Kinde selbst. Aber das Kind wird nicht isoliert betrachtet, sondern als gesellschaftliches Wesen, das sich in sozialen Gruppen entwickelt. Da ist das häusliche Milieu, da ist der Kindergarten, da sind die außerfamialen Kontakte, die Vorschule und die Schulklasse.3 Die Kontakte, die das Kind hat, wirken sich auf seine Persönlichkeit aus - auf die inneren Bedingungen. Treten bestimmte Störfaktoren in den verschiedensten Bereichen auf, so wirkt sich dieses auf die inneren Bedingungen aus, und diese inneren Bedingungen werden mit dem Beginn der Schulzeit auf die Schriftsprache stoßen. Diese Schriftsprache ist der komplexeste Gegenstand, den sich das Kind in der Schul257

zeit - vor allem in der Grundschulzeit - aneignen muß und insofern am störanfälligsten. Schwierigkeiten bzw. Störfaktoren in der Entwicklung des Kindes, die sich in den inneren Bedingungen niederschlagen und manifestieren - entäußern sich aus diesem Grunde mit hoher Wahrscheinlichkeit an dem Gegenstand, der auch in sich selbst eine Vielzahl von Störfaktoren birgt. Wir kommen also zum Gegenstand der Aneignung - zur Schriftsprache. Dieser Gegenstand enthält bestimmte Gesetzmäßigkeiten, die das Kind erkennen muß, um sich diesen Gegenstand adäquat aneignen zu können. Die Lese- Rechtschreibvermittlungsmethoden sind die Vehikel, mit denen die Gesetzmäßigkeiten der Schriftsprache durch die Lehrer, Trainer, Therapeuten vermittelt werden. Also zwei Störfaktoren. Wir wollen im folgenden nur die erste Komponente betrachten. Die traditionellen Methodiken sind u. E. systematische Legasthenieproduzenten, weil sie die Gesetzmäßgikeiten der Schriftsprache nicht oder nur ungenügend erkennen lassen. Wir finden bei diesen Methodiken entweder eine einseitige Betonung des optischen Analysators- oder aber des akustischen Analysators. Sie enthalten beide rationale Kerne, nur in der Überbetonung eines Aspekts werden sie falsch, da das Kind den Rest allein machen muß. Eine Synthese (im log. Sinne) aus diesen beiden extremen Methodiken stellt sicherlich die in der DDR angewandte analytisch-synthetische Methode dar, jedoch wird von ihr auch nur die formale Seite der Sprache beachtet. In der lautsprachlichen Entwicklung steht die formale Seite der Sprache - also ihr Lautcharakter der phonematische Aspekt im Hintergrund. Er kommt nicht ins Bewußtsein. Die Artikulationsorte bleiben unbewußt etc. Im Vordergrund steht die Kommunikationstätigkeit also die inhaltliche Seite der Sprache. Bei der Schriftsprachenvermittlung steht dieser inhaltliche Aspekt im Hintergrund - die formale Seite (der von der gesprochenen Sprache abgeleitete Charakter der Schriftsprache) steht ausschließlich und über einen sehr langen Zeitraum im Vordergrund - die eigentliche Funktion von Sprache wie von Schriftsprache - ihre kommunikative Funktion wird dem Kind nicht bewußt gemacht, diese Funktion muß es beiläufig selbst mitbekommen. In der Sprachentwicklung des Kindes - in der vorschulischen Lautsprachenaneignung - können wir beobachten, daß das Kind, indem es Sprache anwendet, auch grammatische und morphematische Kategorien benutzt, ohne daß diese ihm bewußt wären. Die Mehrzahl der Erwachsenen benutzt Sprache, ohne die ihr innewohnenden Gesetz258

mäßigkeiten bewußt zu kennen. Man nennt das Sprachgefühl (Kompetenz). Beim Kind zeigt sich im Alter von 3-5 Jahren ein Phänomen, das sich darin äußert, daß es Wörter und Sätze bildet, die nach unserem Sprachgefühl nicht korrekt sind, es sagt z. B. gehattet statt gehabt; gegeht statt gegangen; rennte für rannte; Flugzeughafen statt Flughafen. Es wendet also Gesetzmäßigkeiten der Sprache an, es benützt unbewußt Wortbildungsregeln, es geht mit bedeutungstragenden Einheiten - mit Morphemen - um. Unregelmäßigkeiten, die es auf einer früheren Stufe der Sprachentwicklung zum Teil schon beherrschte, verlernt es wieder und benutzt die Gesetzmäßigkeiten, die es sich unbewußt angeeignet hat. Auf einer späteren Stufe verschwindet dieses Phänomen wieder. Durch die Korrektur der Erwachsenen eignet es sich die Unregelmäßigkeiten auf höherer Stufe erneut an. Die kleinsten bedeutungstragenden Einheiten, die Morpheme (z. B. -tret-, -lauf-, -zieh-, -stell-, -folg-) haben den Vorteil, wenn man sie mit Schriftsprachenvermittlungsprozeß verwendet, daß sie immer gleich geschrieben werden, wenn sie graphemisch kodiert sind. Sie stellen die inhaltliche Seite der Sprache in den Vordergrund und sind deshalb motivierender. Das Ziel der Schriftsprachenaneignung kann dadurch in den Vordergrund gerückt werden. Der Lese-Rechtschreibunterricht hat das Ziel bzw. sollte das Ziel haben, die sprachliche fdommunikationsfähigkeit zu entwickeln. Die Schrift, die wir heute benutzen, ist ein Kommunikationsmittel, das der Sprache untergeordnet ist, d. h. die Schriftsprache ist gesellschaftlichhistorisch wie individualgeschichtlich (ontogenetisch) von der Lautsprache abgeleitet.4 Die Schrift ist das Ergebnis einer äußerst langen Entwicklung, die von einem dringenden gesellschaftlichen Bedürfnis ausging. Als die Menschheit ihre ersten Fortschritte etwa im technischen Bereich zu verzeichnen hatte, mußte man diese Erfahrungen und Erkenntnisse anderen Gemeinschaften oder den nachfolgenden Generationen überliefern. Die mündliche Kommunikation erwies sich nicht als ausreichend, schon aus der begrenzten Speicherkapazität des menschlichen Gedächtnisses heraus. Uber mnemotechnische Zeichen, Pictographien, Idiogramme bildeten sich in einem langen Entwicklungsprozeß Zeichen heraus, die als Repräsentanten für lautsprachliche Einheiten eine größtmögliche Ökonomie bei der schriftlichen Fixierung darstellen. Die Buchstabenschriften ermöglichen allen, die lesen und schreiben können, den Zugang zu jedem Lebensgebiet, also die Möglichkeit zu einer objektiv unbegrenzten Bildungsbereicherung, die allerdings durch andere gesellschaftliche Faktoren, auf die ich hier nicht näher eingehen will, wieder eingeschränkt werden kann. Diese systema259

tisch strukturierte und in sich logische Entwicklung muß dem Kind in der Schriftsprachenvermittlung durchschaubar gemacht werden. Die Regelkompetenz der Lautsprache bleibt bei Schuleintritt bestehen und wird zum Bestandteil der schriftsprachlichen Funktionen. Hören und Sprechen z. B. sind Funktionen der Lautsprache. Diese Funktionen sind notwendig für z. B. Diktatschreiben oder Lesen und sind deshalb notwendige Voraussetzungen für die Ausbildung von schriftsprachlichen Funktionen.5 Bei den lautsprachlichen und schriftsprachlichen Funktionen handelt es sich um funktionelle Hirnsysteme, d. h. Lesen, Hören, Sprechen oder Schreiben besitzen im Großhirn keine eigenen Zentren, sondern es sind in sich geschlossene, selbstregulierende Regelkreise.6 Das funktionelle System, das die Lautsprache ermöglicht, wird zum integrativen Bestandteil des neuen funktionellen Hirnsystems der Schriftsprache. Die Rindenzonen, die das optisch-räumliche Erfassen von Schriftsymbolen und die Schreibmotorik ermöglichen, werden jetzt mit in das funktionelle System eingeschlossen. Wir hatten schon gesagt, daß sich in der gesellschaftlich-historischen Entwicklung die Buchstabenschrift herausgebildet hat, daß die Schrift aus einzelnen Zeichen besteht, die auch Grapheme genannt werden, daß diese die kleinsten distinktiven Einheiten darstellen, die ein Phonem repräsentieren. Grapheme sind also auch Buchstabenverbindungen, vorausgesetzt, sie beziehen sich auf ein Phonem; Beispiel: ie, 11, dd, ee, äh, eh. Diese Beziehungen zwischen Phonemen und Graphemen, auch GP-K-Regeln (= Graphem-Phonem-Korrespondenzregeln) genannt, sind im Laufe der Zeit erstarrt und durch Konvention und etymologische Gesetzmäßigkeiten festgelegt worden.7 In der Vergangenheit und Gegenwart hat es zahlreiche Diskussionen über die Lauttreue bzw. Lautuntreue der deutschen Sprache gegeben. Diese Auseinandersetzung ging in nicht unwesendichem Maße auch in die Methodik des Erst-Lese-Rechtschreibunterrichts und davon abgeleitet in die Legasthenietherapie ein. Eine 1:1 Zuordnung zwischen Graphem und Phonem besteht in unserem schriftsprachlichen Zeichensystem nicht. Durch verschiedene Wirkungskräfte bedingt, hat sich ein wesentlich komplizierteres und mehrschichtiges Graphemsystem entwickelt. Wir wollen die zwei Hauptprinzipien8, die die Struktur der deutschen Orthographie ausmachen, kurz darstellen. Aus der GraphemPhonemzuordnung ergibt sich das erste Prinzip - das phonematische. Die deutsche Schrift ist zunächst eine Phonemschrift. Diese Tatsache wird in den meisten Therapiemodellen bzw. Lese-Rechtschreibvermitt260

lungsmethoderi verabsolutiert, d. h. nur dieser Aspekt wird berücksichtigt, oder aber als anderes Extrem bei der Ganzheitsmethode, bei deren Konzipierung man von der überwiegenden Lautuntreue ausging, wird die optische Komponente in den Vordergrund gerückt. Die Grapheme treten aber nicht einzeln, sondern stets als bedeutungstragende Einheiten in Gestalt von Morphemen auf, die immer in der gleichen Weise geschrieben werden, damit die Bedeutung realisiert werden kann. Auf diese Weise wird auch die Wortverwandtschaft sichtbar. Deshalb bildet das phonematische und das Morphemprinzip eine Einheit. Ein Morphem9 ist für uns die kleinste semantische, invariant bleibende Einheit der Sprache. Historisch-gesellschafdich dem phonematischen Prinzip nachgeordnet setzte sich in der Schreibung das Morphemprinzip durch. Die Umlautschreibung wurde erst im Neuhochdeutschen eindeutig bestimmt. Die Wortverwandtschaft wurde in der Schreibung sichtbar gemacht, was zu einer Erleichterung in der Kommunikation führte, väterlich, schädlich10 konnte im Mittelhochdeutschen noch veterlich und schädlich geschrieben werden. Neben der Umlautschreibung wurde durch dieses Prinzip auch die Schreibung der Verschlußlaute -b, -d, -g in Finalstellung, die als -p, -t, -k in Stab, Hand und Berg gesprochen werden, reguliert. Die Wortverwandtschaft wurde neben dem phonematischen Prinzip zum tragenden Prinzip der deutschen Orthographie. Gleiche Morpheme werden stets gleich' geschrieben, unabhängig vom speziellen Wortinhalt und der Position des Morphems in der Aussprache. Mit dem Morphemprinzip11 erfassen wir nicht nur Hauptmorpheme, also das -tret- in Ver/tret/er, ver/tret/en, weg/tret/en, Ver/tret/ER, sondern auch Endmorpheme, das -e in Berg/e, Bäum/e, das -t in geh/t, sagt/t, nimm/t, das -st in geh./st, sowie Wortbildungsmorpheme wie -ig, -nis- schaft-, ung in schmutz /ig, Hinder/nis, Gemein/schaft, Eingeb/ung und Anfangsmorpheme wie ver- in ^er/gelten, ^er/lassen etc. Wir sehen also, daß die Schriftsprache ein regelhaftes, historisch-gesellschaftlich gewordenes, System darstellt und die Auffassung von der Willkürlichkeit und Unregelmäßigkeit unserer Schriftsprache der Unkenntnis in bezug auf diesen Gegenstand entspricht. Die pädagogisch-therapeutische Arbeit mit Legasthenikern im LZ beschränkt sich nicht auf die reine Vermittlung von Schriftsprachenkompetenz, sondern hat weitgehend das komplexe Bedingungsgefüge für die Entstehung von Legasthenie zum Gegenstand. Hierbei erfolgt das Lesen- und Schreibenlernen und -üben exemplarisch, d. h. am Beispiel Lesen und Schreiben soll das gezielte und systematische Herange261

hen an alle Lernbereiche eingeübt werden, mit anderen Worten: Lernen selber soll gelernt werden. Bei schweren Fällen von Legasthenie* bei denen der funktional sinnvolle und sachadäquate Lernprozeß teilweise oder ganz zum Stillstand gekommen ist und überwiegend nicht-sachadäquate Vermeidungsverhaltensweisen ausgebildet werden, wird diese Modifizierung von Lernstrategien zur psychologisch-therapeutischen Aufgabe. Gerade diese weitergehende Aufgabe erfordert von der einzusetzenden Schriftsprachenvermittlungsmethode ein Höchstmaß von sowohl den Lerngegenstand als auch den Lernmöglichkeiten des Kindes entsprechender Systematik. Für uns heißt das: Unsere Methode orientiert sich einerseits an den der Sprache innewohnenden, wissenschaftlich erforschten Gesetzmäßigkeiten, andererseits an den Ergebnissen der Psychologie über die Persönlichkeitsentwicklung. In diesem Sinne können wir von einer psycholinguistisch fundierten Schriftsprachenvermittlungsmethode* sprechen. Stabile Lernergebnisse, d . h . Kenntnisse und Fertigkeiten, sind in der Regel bedingt durch die große Häufigkeit des Angebots bzw. des Umgangs mit den zu erfassenden Umwelttatbeständen. Je häufiger ein Ereignis, ein Gegenstand oder ein Merkmal in der Umgebung eines Menschen vorkommt, desto besser und stabiler kann der Mensch einen Begriff davon bilden, sowohl die betreffende Einzeltatsache als auch ihre regelhaften Beziehungen zu anderen Tatbeständen wird erkannt und kann bewußt gehandhabt werden. Die regelhaften Beziehungen zwischen den häufigen, zuerst erkannten Tatbeständen werden verallgemeinert und dienen dazu, auch seltene oder ganz neue Tatbestände einordnen und handhaben zu können. Die menschliche Sprache ist ein Zeichensystem, das die gesamte gegenständliche und soziale Umwelt des Menschen abbildet. Entsprechend diesem Abbildcharakter finden wir in unserer Sprache bei ihren Elementen auf verschiedenen Strukturebenen ähnliche Häufigkeiten wie in der abgebildeten Welt vor. Dabei gibt es relativ wenige sehr häufige Wörter in der deutschen Sprache im Vergleich zur überwiegenden Masse der relativ oder sehr seltenen Wörter. Bei diesen, der Anzahl nach wenigen, aber häufig autretenden Wörtern handelt es sich um solche, die grundsätzliche sprachliche Beziehungen herstellen und damit in ihrer allgemeinen Anwendbarkeit einen hohen Werkzeugwert besitzen. Der Wortschatz im Deutschen12 beträgt etwa 500 000 Wörter, wobei die verschiedenen Pflanzen- und Tierarten sowie die spezifischen Termini geographischer, physikalischer usw. Natur durch ein Wort gekennzeichnet werden, ansonsten ginge die Zahl in die Millionen. Der 262

einzelne Mensch besitzt durchschnittlich etwa 6000 bis 10 000 Wörter, wobei der passive Wortschatz wesentlich größer anzusetzen ist als der aktive. Diese einzelne Wörter repräsentierenden Zahlen können nach den herkömmlichen Methoden nicht im normalen schulischen Prozeß abgesichert werden. Die Effizienz des Orthographieunterrichts wie des Legasthenietrainings hängt also unmittelbar mit der Frage zusammen, welche Wörter erlernt, geübt und gefestigt werden. Die Häufigkeit der einzuprägenden Wörter ist also ein entscheidendes.Kriterium bei der Auswahl des Materials. • * Das umfangreichste Unternehmen, die Häufigkeit der Wörter der deutschen Sprache festzustellen, war die Auszählung von Kaeding. Meier hat diese Untersuchung weiter bearbeitet und ausgewertet. Kaeding zählte mit seinen Mitarbeitern 20 Millionen Sprachsilben, etwa 10 Millionen Wörter aus den unterschiedlichsten sprachlichen Dokumenten. Die Zählung erfaßte reale Wortformen, also nicht Grundformen, wie Infinitive, Nominative usw., sondern z. B. lange, langes, langem, länger usw. Aus den Zählungen ergibt sich, daß die 30 häufigsten Wortformen bereits 31,79 Prozent aller Wörter des fortlaufenden Textes umfassen, die 100 häufigsten bereits 47,10 Prozent, die 1022 häufigsten 69,20 Prozent. Für die Rechtschreibung heißt das, mit den 1000 häufigsten Wortformen, die von den Schülern abgesichert sind, schreiben sie 70 Prozent aller Wörter sicher. Die allerhäufigsten Wörter sind satzbildende Elemente, Artikel, Konjugationen, Präpositionen, Pronomen, Hilfsverben. In der Rangfolge der Häufigkeiten - die, der, und, in, zu, den, das, nicht, von, sie, ist, des, sich. Wir haben uns bei der Untersuchung, die in unserem Projekt durchgeführt wurde, davon leiten lassen, daß das häufigste Wortmaterial der Sprache zuerst und vordringlich gesichert werden muß. Wir sind allerdings in der Nutzung der Auszählung von Kaeding/Meier einen Schritt weitergegangen. Weil in einer großen Anzahl von Wörtern die gleichen Hauptmorpheme und/oder funktionalen Morpheme vorkommen, konnte eine Auszählung auf Morphemebene vorgenommen werden. Mit einer relativ begrenzten Anzahl von orthographisch gesicherten Morphemen, die graphemisch kodiert invariant bleiben, ist auf eine ökonomische Art durch Ableitung und Zusammensetzung der Schüler in die Lage zu versetzen, die richtige Schreibweise anderer Wörter zu erschließen. Die durchgeführte Morphemanalyse bezog sich auf die 8000 häufigsten Wörter der Meierschen Häufigkeitsrangreihe. Die Morphemrangreihe umfaßt ca. 1600 Morpheme. Die deutsche Sprache insgesamt hat einen Morphembestandteil von ca. 3000 Morphemen. Unter den gefundenen Morphemen befinden sich alle Funktions263

morpheme, insgesamt 75, 13 die in der deutschen Sprache jede Art von wortbildender und bedeutungsmodifizierter Funktion ausüben. Alle übrigen Morpheme der 1600, aber auch die nicht ausgezählten, sind Hauptmorpheme, also die Wortbedeutung wesentlich bestimmende Morpheme. Diese 1600 Morpheme repräsentieren zusammen mehr als 75 Prozent der in einer hinreichend großen Textstichprobe überhaupt vermittelten Morpheme. Die Vermittlung von Morphemen erweist sich als sehr ökonomisch und effektiv für jegliche Form von Lese-Rechtschreibkompetenzvermittlung. Bei dem Wort »ziehe« mit dem Hauptmorphem -zieh- erstreckt sich z. B. der Umfang der Wortfamilie auf 1000 EinzelWörter.14 Ist also die Schreibung des Morphems abgesichert und hat eine Verallgemeinerung stattgefunden, so daß ein Transfer erfolgen kann, hat man einen sehr hohen Lernwert mit der Vermittlung nur eines Morphems realisiert. Durch die Beherrschung von nur einigen hundert Morphemen ist der Schüler in die Lage zu versetzen, eine um das vielfache höhere Anzahl von Wörtern, in denen die gelernten Morpheme wieder auftauchen, abzusichern. Durch die Einbeziehung der Morpheme läßt sich die Schriftsprache also nicht nur ökonomisch vermitteln, ihre Funktion als Bedeutungsträger und damit als Kommunikationsinstrument wird berücksichtigt. Eine Aneignung von Schriftsprache wie auch von gesprochener Sprache kann nicht anders erfolgen als über die Vermittlung und Erweiterung der Einsicht in ihren Bedeutungsgehalt. Die Aneignung der die Umwelt widerspiegelnden Begrifflichkeit, die zugleich Aneignung der gesellschaftlichen Erfahrung ist, muß die Grundlage der Schriftsprachenaneignung bilden. Die Bedeutung der einzelnen Morpheme erfolgt über die sinngeleitete Abstraktion von real existierenden Spracheinheiten, z. B. Aussage, Wort, Morphem. Durch diese Art des Vorgehens erweitert sich systematisch die Erkenntnis des Werkzeugcharakters der Sprache. Die Schwierigkeiten der Legastheniker im Lautdiskriminationsbereich und Artikulationsbereich sowie ihre relative Unsicherheit im Segmentieren von sprachlichen Einheiten unterstützen die Berechtigung der Anwendung unseres Morphemansatzes in der Therapie. Durch die Vermittlung von Morphemen wird das Defizit im Phonemdiskriminationsbereich abgebaut, indem wir einen anderen Vermittlungshebel benutzen und die Möglichkeit schaffen, sinnvoll mit Sprache umzugehen. Hauptsächlich und ausschließlich Lautunterscheidungsübungen und Artikulationsübungen mit einem Legastheniker zu machen, ist das glei264

che, wie wenn man fußkranken Menschen in jedem Fall als Therapie weite Spaziergänge empfiehlt. Bei der Ausbildung der schriftsprachlichen Funktionen vollziehen sich zahlreiche psychische Prozesse, deren Erkenntnis Voraussetzung für ein adäquates Herangehen an die methodische Arbeit ist. Die Aneignung, das Behalten und Reproduzieren der schriftsprachlichen Einheiten ist ein komplexer und für die Kinder schwer zu bewältigender Prozeß, was sich ja gerade an dem Phänom Legasthenie sehr deutlich aufzeigen läßt. Die Aneignung der Schriftsprache ist in die Kommunikationstätigkeit eingebettet, in den Austausch und die Übermittlung von Informationen, im Festhalten von Erkenntnissen - also, die inhaltliche Seite steht bei der Motivierung im Vordergrund. Um die Fähigkeiten adäquat auszubilden, ist es jedoch notwendig, die Aufmerksamkeit z. B. auf die Rechtschreibung zu lenken. Die Prozesse, die der geübte Leser und Schreiber automatisiert ausführt, müssen beim Anfänger, bzw. beim »Versager«, erst in entfalteter Form ausgebildet werden. Man kann es vergleichen mit einem Fahrschüler und einem langjährig trainierten Autofahrer.15 Der trainierte Autofahrer richtet seine Aufmerksamkeit, sein Bewußtsein auf eine zukünftige oder vergangene Angelegenheit, im günstigsten Falle auf die Fahrstrecke. Gasgeben, Kuppeln, Lenken macht er automatisch, er verschwendet keinen Gedanken an diese Operationen, passiert etwas, ist z. B. die Fahrbahn glatt, so treten diese Operationen wieder ins Bewußtsein, sie werden zu Handlungen. Beim Anfänger muß jede einzelne dieser zukünftigen Operationen in entfalter Form als Handlung gelernt werden. Durch entsprechendess Training werden alle Komponenten automatisiert zu Operationen. Das Lesen- und Schreibenlernen ist sehr viel komplizierter, aber auch hier müssen zuerst alle Teilkomponenten entfaltet werden, bevor sie zu automatisch ausgeführten Komponenten der bewußten menschlichen Tätigkeit werden. Die motorische Tätigkeit des Schreibens ist bis zu deren Beherrschung noch eine bewußte und entfaltete Handlung, die nach und nach verkürzt und automatisiert und damit zur Komponente der übergeordneten Handlung, nämlich des Schreibens, als Akt der schriftlichen Kommunikation wird. Ähnlich ist es mit dem Rechtschreiben. Uber lange Zeit erfolgt das Rechtschreiben weitgehend bewußt. Der Schüler muß über Schreibungen nachdenken, sie probieren, die Wörter vor sich hinsprechen, bestimmte Beziehungen herstellen, wenn er richtig schreiben will. Tut er das nicht, und das ist bei vielen Legasthenikern der Fall, schreibt er also zu früh automatisiert, begeht er Fehler. Diese falsche Automatisierung muß beim Legastheniker aufgebrochen bzw. 265

im günstigsten Fall unterbrochen werden. Der Prozeß - in den Bereichen, in denen die Entwicklung inadäquat verlaufen ist - muß erneut entfaltet werden. Dabei wirkt der Lehrer, Trainer, Therapeut als Regulator. Er besitzt die Kompetenz, d. h. in bezug auf die Rechtschreibung die Regeln, die zur richtigen Schreibung führen. Dieses sich im Kopf des Therapeuten befindliche verinnerlichte - interiosierte - Wissen, wird entäußert, und zwar in dem konkreten Material, das dem Kind oder der Gruppe vorgelegt wird oder aber in Form von Hilfestellung beim Rechtschreibversuch, die Regeln werden so durch den Lehrer oder Therapeuten gesteuert - es spielt sich ein interpsychischer Prozeß ab. Im Laufe des Trainingsprogramms wird die kommunikative Handlung des Trainers, die zur richtigen Schreibung führt, vom Kind übernommen. Es kommentiert seine Schreibung, wobei das jeweils spezifische Ziel beim Kommentieren im Vordergrund steht. Beim Wort weg/ge/fall/en z. B. die Ableitung von Morphem -fall-, das bereits gesichert wurde. Das Regelwissen wird also lautsprachlich aktiviert in einer Kommunikationssituation mit dem Trainer.' Es bleibt so für diesen kontrollierbar. Ist diese Etappe - in bezug auf das spezifische Trainigsziel - gesichert, d. h. auf dieser Ebene automatisiert, so erfolgt eine verkürzte Kommentierung, danach entfällt diese ganz - die Regel bzw. das spezifische Morphem ist verinnerlicht worden - , sie ist interiorisiert und wird auf dieser Etappe durch weiteres Training automatisiert. Das, was als interpsychischer Prozeß zwischen Trainer und Kind begann, ist nun nach Wygotski zum intrapsychischen Bestandteil des Kindes geworden. Bei Komplikationen im weiteren Verlauf, z. B. wenn das Kind Schwierigkeiten bei der Rechtschreibung eines Wortes hat, in dem ein ihm bekanntes Morphem auftaucht, es dieses aber nicht auf Anhieb erkennt, kann es von der automatisierten Operation auf die Handlungsebene herunterschalten und die bestimmten Regeln aktivieren. Die Regulation durch den Trainer, die anfangs bestanden hat, wird zur Selbstregulation des Kindes. Als zusätzliche äußere Stütze werden die Morpheme in den einzelnen Wörtern durch Morphemstriche abgetrennt. Diese Stütze soll im Verlauf des Aneignungsprozesses verinnerlicht werden und die Durchgliederung des Wortes soll im Kopf stattfinden. Auf der automatisierten inneren Etappe kann dann die äußere Stütze entfallen. Durch Übung werden immer mehr Schreibungen automatisiert, und die Tätigkeit des Schreibens kann sich auf den Inhalt, auf die Kommunikation, konzentrieren. Die Fertigkeit funktioniert also jetzt als automatisierte Methode zur Durchführung einer Handlung.16 Das im LZ zur Schriftsprachenvermittlung angewandte Material stellt die materialisierte oben beschriebene Methode dar. Den verschiedenen 266

Aneignungsphasen entsprechend werden die aufeinander aufbauenden Strukturebenen, also Buchstaben, Morphem, Wort, Satz und Textebene mit ihren Elementen besonders hervorgehoben und stehen damit im Zentrum der Aufmerksamkeit. Dabei gilt der Grundsatz, daß Sprache immer motivierend, d. h. in ihrer Funktion als Bedeutungsträger und Kommunikationsmittel angeboten werden muß, d. h. das Material soll grundsätzlich sinnvolle Aussagen in Satz- und Textform enthalten. Andererseits müssen am Anfang auch notwendigerweise Einzelbuchstaben und -morpheme unterschieden und geübt werden, die entlang ihrer Häufigkeitsrangreihe angeboten bzw. hervorgehoben sind, wobei es dann Aufgabe eines Therapeuten ist, die inhaltliche und formale Vervollständigung der Aufgabe des Kindes so zu leisten, daß das Kind nicht überfordert wird, aber gleichzeitig zu einem vollständigen und brauchbaren Arbeitsergebnis gelangt. Das für die Therapie bereitgestellte Material, das zur Abfassung der Texte dient, besteht aus der Häufigkeitsrangreihe der Morpheme nach Schubenz et al., der Häufigkeitsliste der Wörter nach Meier und den protokollierten lautsprachlichen Äußerungen der Kinder, von denen die entwicklungsfähigsten für das Therapiematerial genommen werden. Das LZ gebraucht daher kein einheitliches, von allen Gruppen benutztes Material. Um die geschriebene Sprache als ein für die Kinder brauchbares Kommunikationsmittel einzusetzen, werden vielmehr in allen Gruppen inhaklich unterschiedliche, den geäußerten Bedürfnissen und Interessen der Kinder angemessene Texte und Materialien für jede Sitzung von den Therapeuten angefertigt, die jedoch alle einheitlich die genannten sprach- und lerntheoretischen Grundlagen und Aufbauprinzipien berücksichtigen. Der entscheidende Ansatz, der die »Morphemmethode« nicht lediglich zu einem Instrument der Vermittlung einer isolierten Lese-Rechtschreibkompetenz werden läßt, sondern als therapeutsiche Methode verhaltensmodofikatorisch auf die Persönlichkeitsentwicklung der Kinder Einfluß nimmt, liegt in der Aufgabe der Therapeuten, das wissenschaftlich erarbeitete, morphematisch aufgegliederte schriftsprachliche Grundlagenmaterial mit den konkreten und individuellen Äußerungen der Kinder in Zusammenhang zu bringen. Das Therapiematerial besteht also nicht lediglich aus grundsätzlich sinnvollen Aussagen in Satz- und Textform, sondern aus Aussagen, die für die Kinder in ihrer konkret-historischen Lebenslage unmittelbar sinnvoll sind und die so in schrifdich fixierbarer, durch die Therapeuten verallgemeinerter Weise Auskunft über die aktuellen Lebensprobleme der Kinder geben. In den Texten ist inhaltlich so vorzugehen, daß am Anfang die kon267

krete Therapiesituation dargestellt wird - also ein situativer Text, in dem konkret die Namen der Kinder auftauchen und erst langsam von der konkreten Situation abstrahiert wird. Das Therapiematerial, das hier von den Kindern, vermittelt über den Therapeuten, letztlich selbst produziert wird, wird also einerseits von den Notwendigkeiten bestimmt, die im Aneignungsgegenstand »Schriftsprache« liegen, andererseits von den Notwendigkeiten der Lebensbewältigung, wie sie sich in den Äußerungen, Handlungen und Verhaltensweisen der Kinder unter den Bedingungen der Gruppensituation widerspiegeln. Demnach ist in der Therapie das LegasthenieTraining und die ständige Erweiterung der Lese- Rechtschreibkompetenz nicht zu trennen von der ständigen Entwicklung des Sozialverhaltens der Kinder, was das Zur-Kenntnisnahme der gemeinsamen objektiven Lebenslage samt den Notwendigkeiten und Möglichkeiten ihrer Veränderung einschließt. Der Prozeß der Verhaltensregulierung bzw. die Entwicklung und Modifizierung des Sozialverhaltens durchläuft aber im pädagogischtherapeutischen Prozeß die gleichen Etappen, wie die spezifischen schriftsprachlichen Leistungen, nur ist er wesentlich komplexer und sehr viel schwieriger zu beschreiben, da es sich um jeweils individuelle Ausprägungen handelt. Die gruppentherapeutische Situation wirkt sich hier sehr günstig aus, da wir es bei Defiziten oder Differenzen in der Ausbildung der schriftsprachlichen Funktionen in den meisten Fällen auch mit einem gestörten Sozialverhalten zu tun haben. Der Therapeut als Regulator des Verhaltens, der die spezifischen Verursachungsbedingungen der einzelnen Kinder erkannt hat, kann bestimmte Steuerungsfunktionen der Gruppe übergeben. Einzelne Verhaltensnormen können über die Gruppe von den jeweiligen Kindern verarbeitet werden, so daß sie sich schließlich in bezug auf bestimmte Normen selbst regulieren können. Dei Regulation des Verhaltens orientiert sich am gemeinsamen Ziel der Gruppe, das zunächst hergestellt werden muß. Alle Kinder der Gruppe wollen Lesen und Schreiben lernen. In der Gruppe können sie ihr Verhalten in bezug auf dieses gemeinsame Ziel korrigieren. Sie werden sich der realen Konsequenzen ihres Verhaltens bewußt und können in diesem Zusammenhang bewußte Normen aufbauen. Die Tatsache, daß für das skizzierte konkrete therapeutische Vorgehen kein feststehendes Material vorgegeben ist, sondern daß das Therapiematerial erst in der Therapie, vermittelt über die für den pädagogisch-therapeutischen Prozeß charakteristische asymmetrische Kooperationsbeziehung zwischen Kindern und Therapeuten, produziert wird, verleiht den Arbeitsprodukten der Kinder eine besondere Quali268

tat. Die Kinder arbeiten hier - unterstützt durch die Therapeuten - an der schriftsprachlichen Fixierung ihrer eigenen und gemeinsamen Lebensgeschichte; im Laufe der 2- bis 3jährigen Therapie entstehen so konkrete, authentische Dokumente über die objektive Lebenslage der Kinder, über ihre Veränderung und über die Perspektiven ihrer Weiterentwicklung. Dadurch ist dieses Material einerseits besonders gut geeignet, um im Rahmen der therapiebegleitenden Elternarbeit bei den Eltern Verständnis für die Probleme, Wünsche und Bedürfnisse ihrer Kinder zu wecken und um den Eltern den Fortgang der Therapie sowie den Erfolg der Therapie durchschaubar zu machen. Andererseits dienen die Arbeitsprodukte der Kinder in ihrer Spezifik als Dokumente ihrer Lebens- und Lerngeschichte im Rahmen der vom Legasthenie-Zentrum e. V. wahrzunehmenden Forschungsaufgaben als Grundlagenmaterial. So werden von Mitarbeitern des LZ in Kooperation mit dem Psychologischen Institut der FUB (PI) z. Z. auf der Grundlage der Arbeitsergebnisse praktisch durchgeführter Gruppentherapien verschiedene Problembereiche in Angriff genommen. Einerseits geht es hierbei um die Herausarbeitung und Konkretisierung bestimmter allgemeiner Aspekte der Störung der Persönlichkeitsentwicklung im Schulalter und um die Erarbeitung entsprechender Grundprinzipien für die pädagogisch-therapeutische Einflußnahme bei Kindern, wobei sich hier immer mehr eine Konvergenz zwischen der persönlichkeitstheoretischen Konzeption, wie sie z. Z. am PI ausgearbeitet wird, und unserer praktischen Arbeit abzeichnet. Zum anderen wird, entsprechend den auftretenden unterschiedlichen Graden der Gestörtheit der Lese-Rechtschreibkompetenz und entsprechend dem dringlichen Bedarf nach differenzierten Förderungsmaterialien, die Erarbeitung und Veröffentlichung von Material für Legasthenie-7 herapie, Material für schulische Förderkurse und außerschulischen Nachhilfeunterricht sowie Material für den Erstleserechtschreibunterrieht in Angriff genommen.

Anmerkungen: 1 Vortragsmanuskript des Referats D. Pilz: Die Morphemmethode - ein psycholinguistischer Ansatz in der Legasthenietherapie, gehalten auf der Tagung des Bundesverbandes Legasthenie in Kiel, 1975. 2 Vgl. Leontjew, A. N.: Probleme der Entwicklung des Psychischen, Berlin 1970;

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Holzkamp, K.: Sinnliche Erkenntnis - historischer Ursprung und gesellschaftliche Funktion der Wahrnehmung, Frankfurt 1973. 3 siehe: Angerriiaier, M.: Legasthenie - Verursachungsmomente einer Lernstörung, Weinheim 1973/2. - Valtin, R.: Legasthenie - Theorien und Untersuchungen, Weinheim 1973/2. 4 siehe Weigl, E.: Zur Schriftsprache und ihrem Erwerb - neuropsychologische und linguistische Betrachtungen, in: Flitner (Hrsg.): Spracherwerb und Linguistische Theorien, München 1974. 5 siehe Weigl, E.: a. a. O. 6 siehe Leontjewe, A. N.: a. a. O. - Luria, A. R.: Die höheren kortikalen Funktionen des Menschen und ihre Störungen bei örtlichen Hinrschädigungen, Berlin 1970-Weigl, E., a. a. O. 7 siehe Riehme, J.: Probleme und Methoden des Rechtschreibunterrichts, Berlin 1974; Bierwisch, M.: Schriftstruktur und Phonologie; in: Probleme und Ergebnisse der Psychologie, Berlin 1972. 8 siehe Riehme, J.: a. a. O. - Schubenz, S.: Die Morphemanalyse der deutschen Sprache und ihre lernpsychologische Bedeutung für die Vermittlung von Schriftsprachenkompetenz (Habil. Vortrag), Berlin 1971. 9 siehe Fleischer, W.: Wortbildung der deutschen Gegenwartssprache, Leipzig 1969 10 zitiert nach Riehme, a. a. O. 11 siehe: Schubenz, S.: a. a. O. . 12 Bei der Wortschatzproblematik stützen wir uns auf Riehme, J.: a. a. O., und Schubenz, S.: a. a. O. 13 zitiert nach: Schubenz, S.: a. a. O. 14 zitiert nach: Riehme, J.: a. a. O. 15 siehe: Galperin, J. P.: Die Psychologie des Denkens und die Lehre von der etappenweisen Ausbildung geistiger Handlungen in: Untersuchungen des Denkens in der sowj. Psychologie, Berlin 1973. 16 siehe: Lompscher, J. et al: Theoretische und experimentelle Untersuchungen zur Entwicklung geistiger Fähigkeiten, Berlin 1972.

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Anhang zum Beitrag Schubenz Rangreihe der häufigsten 1.651 Morpheme der deutschen Sprache nach H. Meier (zusammengestellt von Schubenz, Engelkamp, Rabe u. Bellingrodt Klasse Klasse Klasse Klasse 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9. 10. 11. 12. 13. 14. 15. 16. 17. 18. 19. 2a 21. 22. 23. 24. 25. 26. 27. 28. 29. 30. 31. 32. 33. 34. 35. 36. 37. 38. 39 40. 41. 42. 43.

1: 2: 3: 4:

Anfangsmorpheme Fugen (S) Hauptmorpheme Endmorpheme

4 en 4 e 4 er 4 t 3 der 3 die 3 und 3 ein 1 ge 3 zu 3 in 4 ung 1 be 3 den 4 ig 3 nicht 3 das 4 lieh 3 von 4 n 4 s 1 ver 3 an 3 auf 4 es 3 mit 3 des 4 te 3 sie 3 is 3 dem 3 sich 1 er 3 so 3 daß 3 er 3 es 3 all 3 ich 3 dies 3 da 3 ab 3 aus

1.300.796 832.609 667.116 400.513 367.610 355.043 320.072 313.639 269.924 266.152 207.958 166.520 160.294 148.286 144.661 136.381 126.554 119.478 116.655 116.199 110.729 110.470 109.539 108.601 108.252 105.355 105.271 104.751 102.212 100.827 100.358 96.367 93.133 89.019 88.260 87.029 86.778 85.335 82.835 78.745 76.235 74.623 73.372

'

44. 3 nach 45. 4 em 46. 4 el 47. 3 auch 48, 3 als 49. 3 vor 50. 3 üb 51. 3 bei 52. 3 selb 53. . 3 für 54. 3 wie 55. . 3 weich 56. 3 sein 57. 3 war 58. 3 hab 59. 3 durch 60. 3 im 61. 3 sein 62. 3 werd 63. 3 man 64. 3 ihr 65. 4 end 66. . 3 uns 67. 4 st 68. 4 m 69. 3 ha 70. 3. um 71. 3 wenn 72, 3 noch 73. 7 nur 74. 3 wir 75. 4 et 76. 3 ihn 77. 3 geg 78. 3 was 79. 4 ten 80. 3 wird 81. 3 unt 82. 3 viel 83. 3 kann 84. 3 sind 85. 3 od 86. 3 mein

67.407 61.771 61.330 60.750 59.260 58.492 58.394 56.413 55.142 54.225 54.220 51.828 51.807 51.762 51.608 51.473 50.770 46.332 44.880 44.284 44.221 43.823 42.636 42.201 41.834 41.050 40.979 40.607 39.691 39.507 37.840 36.902 36.039 35.385 35.220 34.742 34.711 33.038 31.816 31.117 30.532 30.329 29.708

271

87. 1 ent 88. 3 mehr 89. 3 mir 0. 3 herr 91. 3 kein 92. 3 doch 93. 3 ganz 94. 3 mach 95. 3 har 96. 3 ihm 97. 3 teil 98. 3 stell 99. 3 soll 100. 3 setz 101. 3 recht 102. 4 isch 103. 3 hier 104. 3 gleich 105. 3 erst 106. 3 zeit 107. 3 and 108. 4 heit 109. 3 komm 110. 3 mich 111. 3 weit 112. 3 könn 113. 3 hand 114. 3 du 115. 3 mal 116. 3 bis 117. 3 hat 118. 3 sag 119. 3 halt 120. 3 groß 121. 3 geb 122. 3 sond 123. 3 wo 124. 4 keit 125. 3 muß 126. 3 stand 127. 3 nun 128. 3 leb 129. 3 rieht 130. 3 einz 131. 3 steh 132. 3 am 133. 3 denn 134. 3 wurd 135. 3 ob 136. 3 wied 137. 3. folg 139. 3 lang 139. 3 lieb 140. 3 seit 141. 3 hin 142. 3 hat 143. 3 sehr 144. 3 schon

272

29.624 27.158 27.092 26.454 26.348 25.561 25.543 25.431 25.328 25.214 24.028 23.826 23.697 23.549 23.427 23.355 22,190 22.166 22.006 21.967 21.815 21.616 21.402 21.334 21.016 20.763 20.234 20.232 20.167 20.102 20.066 19.799 19.698 19.688 19.679 19.434 19.386 19.089 19.088 19.059 19.033 19.020 19.005 18.955 18.934 18.523 18.488 18.483 18.454 18.090 17.703 17.634 17.606 17.459 17.378 17.307 17.293 17.223

145. 146. 147. 148. 149. 150. 151. 152. 153. 154. 155. 156. 157. 158. 159. 160. 161. 162. 163. 164. 165. 166. 167. 168. 169. 170. 171. 172. 173. 174. 175. 176. 177. 178. 179. 180. 181. 182. 183. 184. 185. 186. 187. 188. 189. 190. 191. 192. 193. 194. 195. 1%. 197. 198. 199. 200. 201. 202.

4 schaft 3 dann 3 weg 1 un 3 würd 3 will 3 fuhr 4 nis 3 weis 3 lass 3 wohl 3 sieht 3 seh 3 gut 3 woll 3 nehm 3 fall 2 reich 3 wen 2r 3 eig 3 tag 3 geh 3 stimm 3 vo 3 find 3 jähr 3 ohn 3 word 3 solch 3 schein 3 mög 3 leg 3 ja 3 imm 3 zwei 4 1 3 weil 3 mitt 3 jetzt 3 mein 3 mensch 3 lag 3 alt 3 wiss 3 was 3 eb 3 wort 3 trag 3 such 3 leicht 3 wirk 3 mann 3 frei 3 bild 3 t 3 jed 3 voll

,

17.082 16.948 16.456 16.436 16.064 15.873 15.845 15.831 15.807 15.570 15.118 14.988 14.979 14.929 14.714 14.463 14.307 14.247 14.077 14.019 13.959 13.903 13.737 13.688 13.636 13.365 13.314 13.281 12.827 12.736 12.682 12.661 12.545 12.527 12.438 12.366 12.197 12.193 11.905 11.859 11.858 11.720 11.686 11.583 11.551 11.372 11.369 11.333 11.297 11.202 11.196 11.181 11.177 10.937 10.685 10.489 10.476 10.436

20-3. 204. " 205. 206. 207. 208. 209. 210. 211. 212. 213. 214. 215. 216. 217. 218. 219. 220. 221. 222. 223. 224. 225. 226. 227. 228. 229. 230. 231. 232. 233. 234. 235. 236. 237. 238. 239. 240. 241. 242. 243. 244. 245. 246. 247. 248. 249. 250. 251. 252. 253. 254. 255. 256. 257. 258. 259. 260.

4 o 3 letzt 4r 3 end 3 aug 3 neu 2 rück 3 nam 2 haus 3 währ 3 zahl 3 haupt 3 hör 2 s 3 hält 3 stand 3 kann 3 grund 3 glaub 3 war 3 ar 3 beit 3 wahr 3 als 3 müss 3 fahr 3 frag 2 s 3 inn 3 groß 3 land 3 deutsch 3 nie 3 bück 3 halb 3 in 3 denk 3 gab 3 wend 3 dien 3 freund 3 lieg 3 ding 3 fest 3 glück 3 ord 3 konn 2. dir 3 zieh 3 sach 3 herz 3 samm 3 bald 3 fern 3 kön 2 sitz 3 weiß 3 sich

10.381 10.268 10.249 10.240 10.227 10.223 10.053 10.037 10.036 9.981 9.958 9.948 9.762 9.741 9.724 9.542 9.536 9.459 9.340 9.248 9.234 9.234 9.210 9.197 9.133 8.978 8.967 8.917 8.847 8.839 8.785 8.754 8.603 8.579 8.565 8.565 8.561 8.555 8.465 8.459 8.347 8.288 8.211 8.162 8.109 8.076 8.023 7.985 7.965 7.961 7.955 7.908 7.903 7.884 7.781 7.681 7.663 7.611

261. 262. 263. 264. 265. 266. 267. 268. 269. 270. 271. 272. 273. 274. 275. 276. 277. 278. 279. 280. 281. 282. 283. 284. 285. 286. 287. 288. 289. 290. 291. 292. 293. 294. 295. 296. 297. 298. 299. 300. 301. 302. 303. 304. 305. 306. 307. 308. 309. 310. 311. 312. 313. 314. 315. 316. 317. 318.

3 je 3 reit 3 schön 3 jen 3 heut 3 gott 3 dank 3 acht 3 höh 3 zwisch 3 geist 3 vat 3 frau 3 art 3 nahm 3 reg 1 emp 3 bleib 3 fang 3 gar 3 beid 3 deut 3 früh 3 maß 4 sam 3 spiel 3 kind 3 schied 3 fehl 3 euch 4 bar 3 auß 3 zeig 3 tret 3 klein 3 dess 3 sprach 3 fäll 3 's 3 dein 3 rad 3 ganz 3 merk 3 bin 3 ruh 3 nomm 3 ford 3 feind 3 red 3 zeich 3 fort 3 kam 3 Heß 3 weit 4 ete 3 näh 3 statt 3 staat

7.596 ; 7.505 7.464 7.447 7.441 7.403 7.376 7.330 7.195 7.116 7.112 7.097 6.992 6.940 6.910 6.875 6.809 6.754 6.721 6.689 6.644 6.621 6.577 6.566 6.542 6.529 6.504 6.490 6.420 6.316 6.235 6.254 6.233 6.200 6.179 6.178 6.171 6.161 6.157 6.136 6.134 6.111 6.102 6.066 6.057 6.041 6.038 6.016 5.991 5.975 5.936 5.887 5.877 5.856 5.850 5.838 5.812 5.738

273

319. 320. 321. 522. 323. 324. 325. 326. 327. 328. 329. 330. 331. 332. 333. 334. 335. 336. 337. 338. 339. 240. 241. 242. 343. 344. 345. 346. 347. 348. 349. 350. 351. 352. 353. 254. 355. 356. 357. 358. 359. 360. 361. 362. 363. 364. 365. 366. 367. 368. 369. 370. 371. 372. 373. 374. 375. 376.

274

3 3 3 3 3 3 3 3 3 3 3 3 3 3 3 3 3 3 3 3 3 3 3 3 3 3 3 3 3 3 3 3 3 3 3 3 3 1 3 3 3 3 3 3 3 3 3 3 3 3 3 3 3 3 3 3 3 3

nach öff dort gib fühl leid Sprech tat werk wer laß lass brach wart zeug gründ zwar neb zog schrift sinn volk schäft punkt bring drei lehr oft jung dicht meist mark treff bess änd spät Stadt ur scheid griff sonst heb darf schließ fand hielt meind wert schloss nacht tun ging wöch rat schwer wicht wand fried

5.711 5.674 5.655 5.575 5.553 5.507 5.503 5.486 5.474 5.455 5.444 5.420 5.408 5.406 5.391 5.357 5.353 5.318 5.306 5.257 5.251 5.211 5.196 5.166 5.147 5.126 5.049 4,956 4.953 4.948 4.940 4.910 4.872 4.834 4.8.20 4.807 4.807 4.796 4.778 4.768 4.767 4.766 4.761 4.752 4.703 4.700 4.685 4.671 4.628 4.621 4.607 4.594 4.592 4.589 4.573 4.501 4.485 4.462

377. 378. 379. 380. 381. 382. 383. 384. 385. 386. 387. 388. 389. 390. 391. 392. 393. 394. 395. 396. 397. 398. 399. 400. 401. 402. 403. 404. 405. 406. 407. 308. 409. 410. 411. 412. 313. 414. 415. 416. 417. 418. 419. 420. 421. 422. 423. 424. 425. 426. 427, 428. 429. 430. 431. 432. 433. 434.

t

3 ehr 3 ring 3 wünsch 3 arm 3 steu 3 seil 3 läng 3 tief 3 hoff 3 fach 3 brauch 3. not 3 züg 3 kehr 3 klär 3 schien 3 et 3 mutt 3 walt 3 brief 3 stalt 3 heiß 1 ant 3 satz 3 wid 3 nann 3 zug 3 schuld 3 sah 4 wa 3 irg 3 druck 3 fremd' 3 wärt 3 mag 3 schreib 3 maß 3 nug 3 kais 3 ruf 3 heim 3 dürf 3 sorg 3 hint 3 äuß 3 wohn 3 sich 3 leut 3 tritt 3 eh 3 deck 3 füll 3 tracht 3 kraft 3 schick 3 bitt 3 wund 3 eu

4.414 4.355 4.349 4.323 4.311 4.300 4.289 4.289 4.277 4.268 4.235 4.194 4.149 4.146 4.146 4.139 4.131 4.130 4.121 4.110 4.110 4.096 3.088 4.061 3.989 3.987 3.972 3.955 3.932 3.932 3.923 3.899 3.866 3.844 3.839 3.828 3.820 3.783 3.771 3.771 3.760 3.723 3.721 3.714 3.711 3.702 3.689 3.686 3.648 3.648 3.644 3.637 3.624 3.606 3.603 3.589 3.566 3.564

435. 436. 437. 438. 439. 440. 441. 442. 443. 444. 445. 446. 447. 448. 449. 450. 451. 452. 453. 454. 455. 456. 457. 458. 459. 460. 461. 462. 463. 464. 465. 466. 467. 468. 469. 470. 471. 472. 473. 474. 475. 476. 477. 478. 479. 480. 481. 482. 483. 484. 485. 486. 487. 488. 489. 490. 491. 492.

3 fürst 3 zweck 3 höh 3 pflicht 3 krieg 3 rech 3 söhn 3 tod 3 trau 3 wuß 3 schicht 3 schaff 3 stund 3 schau 3 hoch 3 form 3 sern 3 nimm 3 sonn 3 seel 3 nöt 3 be 3 zähl 3 bloß 3 ert 3 bund 3 laß 3 les 3 kreis 3 blieb 3 wed 3 nah 4 chen 3 dach 3 leit 3 bund 3 lauf 3 vier 3 nein 3 wieg 3 biet 3 kaum 3 händ 3 mand 3 trag 3 zweif 3 Schluß 3 link 3 schritt 3 geld 3 näm 3 off 3 schlag 3 wähn 3 hol 3 der 4 ern 3 kurz

3.536 3.536 3.516 3.496 3.495 3.490 3.490 3.484 3.482 3.479 3.461 3.448 3.444 3.400 3.389 3.370 3.367 3.353 3.349 3.345 3.331 3.311 3.306 4.298 3.296 3.296 3.286 3.284 3.278 3.263 3.260 3.249 3.235 3.229 3.205 3.204 3.202 3.187 3.173 3.169 3.167 3.148 3.146 3.146 3.136 3.134 3.096 3.090 3.058 3.020 3.015 3.002 2.991 2.991 2.968 2.962 2.959 2.959

493. 494. 495. 496. 497. 498. 499. 500. 501. 502. 503. 504. 505. 506. 507. 508. 509. 510. 511. 512. 513. 514. 515. 516. 517. 518. 519. 520. 521. 522. 523. 524. 525. 526. 527. 528. 529. 530. 531. 532. 533. 534. 535. 536. 537. 538. 539. 540. 541. 542. 543. 544. 545. 546. 547. 548. 549. 550.

3 himm 3 kunst 3 bau 3 freud 3 reih 3 morg 3 wiß 3 reis 3 glied 3 kauf 3 künst 3 heil 3 klar 3 drück 3 bind 3 stet 3 häng 3 schrieb 3 sprich 3 nied 3 hob 3 dritt 3 uhr 3 greif 3 stärk 3 fund 3 art 3 buch 3 still 3 schnell 3 nau 3 ziel 3 rein 3 dau " 3 bot 3 echs 3 breit 3 laut 4 tum 3 erd 3 hoch 3 wass 3 wick 3 stab 3 heer 3 trotz 3 ward 3 trupp 3 leist 3 schütz 3 nutz 3 stark 4 est 1 rück 3 lust 3 schlecht 3 trieb 3 seit

2.956 2.943 2.942 2.942 2.930 2.906 2.900 2.888 2.881 2.868 2.868 2.864 2.863 2.857 2.844 2.832 2.821 2.817 2.816 2.807 2.793 2.778 2.759 2.748 2.743 2.741 2.726 2.722 2.722 2.720 2.695 2.687 2.676 2.668 2.665 2.650 2.648 2.642 2.640 2.637 2.633 2.622 2.614 2.612 2.598 2.598 2.569 2.568 2.561 2.558 2.554 2.551 2.546 2.534 2.531 2.525 2.520 2.506

275

551. 552. 553. 554. 555. 556. 557. 558. 559. 560. 561. 562. 563. 564. 565. 566. 567. 568. 569. 570. 571. 572. 573. 574. 575. 576. 577. 578. 579. 580. 581. 582. 583. 584. 585. 586. 587. 588. 589. 590. 591. 592. 593. 594. 595. 596. 597. 598. 599. 600. 601. 602. 503. 604. 605. 606. 607. 608.

27 6

3 weib 3 ernst 4 Sten 3 nenn 3 licht 3 bahn 3 tu 3 winn 3 kräft 3 trat 3 länd 3 ahn 3 rasch 3 schiff 3 lief 3 kunft 3 bod 3 wa 3 faß 3 kost 3 lös 3 preis 3 tan 3 körp 3 mind 3 treu 3 mut 3 scheh 3 sproch 3 numm 3 sätz 3 wag 3 werb 3 füg 3 manch 3 lern 3 nüg 3 graf 3 müh 3 straf 3 mang 3 lor 3 fähr 3 gelt 3 platz 3 kämpf 3 krank 3 frau 3 rief 3 tat 3 fing 3 neig 3 wirt 3 fiel 3 klag 3 stoff 3 luft 3 schul

2.506 2.493 2.472 2.466 2.458 2.450 2.450 2.441 2.408 2.407 2.403 2.396 2.383 2.366 2.354 2.341 2.328 2.327 2.322 2.320 2.319 2.307 2.307 2:289 2.277 2.261 2.244 2.242 2.242 2.231 2.219 2.216 2.204 2.202 2.198 2.193 2.177 2.170 2.170 2.16^ 2.167 2.163 2.145 2.139 2.139 2.133 2.122 2.108 2.105 2.104 2.101 2.101 2.100 2.089 2.084 2.078. 2.054 2.049

609. 610. 611. 612. 613. 614. 615. 616. 617. 618. 619. 620. 621. 622. 623. 624. 625. 626. 627. 628. 629. 630. 631. 632. 633. 634. 635. 636. 637. 638. 639. 640. 641. 642. 643. 644. 645. 646. 647. 648. 649. 650. 651. 652. 653. 654. 655. 656. 657. 658. 659. 660. 661. 662. 663. 664. 665. 666.

3 furcht 3 fuhr 3 hilf 3 wähn 3 städt 3 köpf 3 laub 3 spruch 3 fünf 3 wurf 3 gold 3 bi 3 feu 3 wähl 3 eis 3 straf 3 bürg 3 jüng 3 mäd 3 feld 3 ew 3 schwier 3 tür 3 streng 3 stütz 3 pfleg 3 mann 3 herrsch 3 schränk 3 zimm 3 fert 3 wähl 3 bank 3 samt 3 ginn 3 sund 3 amt 3 hälft 3 räum 3 wein 3 led 3 last 3 tocht 3 eng 3 band 3 güt 3 ed 3 rühr 3 klass 3 brud 3 ach 3 grenz 3 plötz 3 dunk 3 woch 3 hof 3 steig 4 haft

2.012 2.010 2.000 1.988 1.970 1.965 1.965 1.965 1.963 1.957 1.950 1.942 1.931 1.930 1.912 1.909 1.908 1.908 1.904 1.891 1.890 1.890 1.882 1.873 1.864 1.859 1.856 1.841 1.839 1.834 1.827 1.813 1.807 1.807 1.790 1.722 1.771 1.768 1.766 1.759 - 1.752 1.721 1.714 1.712 1.701 1.700 1.6% 1.679 1.656 1.629 1.628 1.616 1.605 1.599 1.599 1.596 1.595 1.587

667. 668. 669. 670. 671. 672. 673. 674. 675.^ 676. 677. 678. 679. 680. 681. 682. 683. 684. 685. 686. 687. 688. 689. 690. 691. 692. 693. 694. 695. 696. 697. 698. 699. 700. 701. 702. 703. 704. 705. 706. 707. 708. 709. 710. 711. 712. 713. 714. 715. 716. 717. 718. 719. 720. 721. 722. 723. 724.

3 fang 3 voll 3 Hnd 3 samt 3 los * band 3 häuf 3 pferd 3 sieg 3 gest 3 prüf 3 günst 3 streb 3 wald 3 bhit 3 trug 3 triff 3 treib 3 jug 3 fein 3 half 3 stück 3 schlacht 3 zehn 4 sal 3 troff 3 schmerz 3 wünsch 3 mächt 3 saß 3 säch 4 at 3 burt 3 tisch 3 schad 3 noss 3 berg 3 wachs 3 einst 3 fuß 3 stör 3 moch 3 ton 3 fürcht 3 flüg 3 schwarz 2 heft 3 schloß 3 sitt 3 mund 3 spitz 3 tot 7 ling 3 kleid 3 bös 3 waff 3 gess 3 meer

1.577 1.566 1.559 1.546 1.545 * 1.540 1.537 1.531 1.530 1.524 1.522 1.521 1.520 1.519 1.510 1.500 1.489 1.483 1.478 1.477 1.473 1.468 1.467 L463 1.460 1.449 1.443 1.442 1.431 1.419 1.414 1.408 1.407 1.404 1.402 1.400 1.400 1.394 1.378 1.372 1.372 1.368 1.367 1.366 1.346 1.346 1.345 1.341 1.337 1.337 1.333 1.324 1.314 1.311 1.310 1.305 1.301 1.299

725. 726. 727. 728. 729. 730. 731. 732. 733. 734. 735. 736. 737. 738. 739. 740. 741. 742. 743. 744. 745. 746. 747. 748. 749. 750. 751. 752. 753. 754. 755. 756. 757. 758. 759. 760. 761. 762. 763. 764. 765. 766. 767. 768. 769. 770. 771. 772. 773. 774. 775. 776. 777. 778. 779. 780. 781. 782.

3 förd 3 eil 3 ziem 1 zer 3 dring 3 säur 3 gleit 3 gött 3 schöpf 3 lach 3 frisch 3 wonn 3 seid 3 fräu 4 lein 3 wach 3 täg 3 trenn 3 fäh 3 gilt 3 post 3 mess 3 stolz 3 kämpf 4 nd 3 färb 3 falsch 3 heit 3 sand 3 stein 3 ganz 3 schwest 3 bör 3 summ 3 wir 3 dest 3 schieh 3 läch 3 schwind 3 mass 3 dopp 3 sech 3 schreck 3 tier 3 dam 3 Her 3 taus 3 haar 3 streit 3 weich 3 dräng 3 trän 3 schenk 3 gatt 3 schied 3 schätz 3 wald 3 sterb

1.293 1.288 1.285 1.282 1.281 1.275 1.272 1.266 1.259 1,249 1.248 1.244 1242 .235 1.235 1.231 1.230 1.230 1.229 1.227 1.223 1.220 1.212 1.209 1.207 1.200 1.198 1.192 1.191 1.190 1.187 1.187 1.186 1.186 1.186 1.184 1.184 1.181 1.173 1.159 1.150 1.146 1.135 1.132 1.130 1.128 1.119 1.113 1.112 1.105 1.097 1.096 1.095 1.091 1.091 1.084 1.083 1.082

277

841. 842. 843. 844. 845. 846. 847, 848. 849. 850. 851. 852. 853. 854. 855. 856. 857. 858. 859. 860. 861. 862. 863. 864. 865. 866. 867. 868. 869. 870. 871. 872. 873. 874. 875. 876. 877. 878. 879. 880. 881. 882. 883. 884. 885. 886. 887. 888. 889. 890. 891. 892. 893. 894. 895. 896. 897. 898.

278

3 3 3 4 3 3 3 3 3 3 3 3 3 3 3 3 3 3 3 3 3 3 3 3 3 3 3 3 3 3 2 3 3 3 3 3 3 3 3 3 3 3 3 3 3 3 3 3 4 3 3 3 3 3 3 3 3 3

storb mäh eif ing lauf sprüng lad tal süd scharf sieb heim blätt sei rund grüß leer tor leib quell tant brav wind hart dorf frucht schlug send lied see künft fei nebst sein nord drang stem lehn dehn stieg kirch erb räum wehr fecht grün völk leucht lei ohr schlüss gast kauf weh fläch ält glas kohl

900 899 896 896 895 895 893 893 892 885 884 883 879 879 871 868 868 866 865 864 853 850 849 841 840 826 826 825 824 811 821 816 811 807 840 791 791 790 787 784 780 779 773 771 770 768 776 765 764 762 759 757 757 755 752 751 751 749

783. 784. 785. 786. 787. 788. 789. 790. 791. 792. 793. 794. 795. 796. 797. 798. 799. 800. 801. 802. 803. 804. 805. 806. 807. 808. 809. 810. 811. 812. 813. 814. 815. 816. 817. 818. 819. 820. 821. 822. 823. 824 825 826. 827. 828. 829. 830. 831. 832. 833. 834. 835. 836. 837. 838. 839. 840.

3 rot 3 gült 3 schwach 3 teu 3 letz 3 brech 3 kalt 3 mang 3 jähr 3 flüss 3 schweig 3 hell 3 duld 3 teid 3 rett 3 schläg 3 wild 3 fenst 3 elt 3 häus 3 füß 3 trug 3 meil 3 bill 3 gann 3 irr 3 kund 3 gnüg 3 hang 3 streck 3 schül 8 opf 3 brüst 3 werf 3 gn ad 3 worf 3 schnitt 3 schütz 3 silb 3 roll 3 grab 3 forsch 3 krön 3 schlaf 3 ort 3 froh 3 schuß 3 west 3 glänz 3 rühm 3 gunst 3 müt 3 knab 3 bäum 3 nütz 3 sünd 3 bald 3 warf

1.081 1.078 1.078 1.077 1.075 1.071 1.069 1.062 1.058 1.049 1.048 1.042 1.040 1.038 1.036 1.027 1.026 1.017 1.016 1.016 1.1015 1.011 1.005 1.003 1.003 1.002 1.001 1.000 996 996 989 973 971 971 964 954 950 946 935 932 931 930 926 925 921 920 920 920 918 915 915 914 909 906 904 903 902 . 902

956. 3 fed 957. 3 mau 958. 3 b at 959. X 3 wes 960. 3 wett 961. 3 brüd 962. 3 brech 963. ^ 3 haft 964. 3 gnäd 965. 3 blatt 966. 3 flucht 967. 3 küst 968. 3 grau 969. 4 ling 970. 3 wann 671. 3 pfund 972. 3 täusch 973. 3 nomm 974. 3 lipp 975. 3 rohr 976. 3 kämm 977. 3 mahl 978. 3 grad 979. 3 schwef 980. 3 fleisch 981. 3 grupp 982. 3 meid 985. 3 wint 984. 3 gräf 985. 3 litt 986. 3 reiß 987. 3 schmack 988. 3 blau 989. 3 kart 990. 3 starb 991. 3 fleiß 992. 3 brenn 993. 3 hies 994. 3 sprach 995. 3 schwäch 996. 3 knüpf 997. 3 schäd 998. 3 hübsch 999. 3 nörd 1.000. 3 pflanz 1.001. 3 schärf 1.002. 3 schult 1.003. 3 el 1.004. 3 nas 1.005. 3 rag 1.006. 3 stirn 1.007. 3 must 1.008. 3 nunft 1.009. 3 flasch 1.010. 3 trock 1.011. 3 fluss 1.012. 3 stürm 1.013. 3 nahr

641 638 637 636 634 633 627 627 625 623 618 618 616 616 164 610 610 609 605 604 603 602 599 598 597 595 595 593 592 592 591 591 590 590 589 588 586 585 585 583 581 580 576 576 573 572 569 568 567 565 565 561 561 560 560 559 559 557

899. 900. 901. 902. 903. 904. 905. 906. 907. 908. 909. 910. 911. 912. 913. 914. 915. 916. 917. 918. 919. 920. 921. 922. 923. 924. 925. 926. 927. 928. 929. 930. 931. 931a. 932. 933. 934. 935. 936. 937. 938. 939. 940. 941. 942. 943. 944. 945. 946. 947. 948. 949. 950. 951. 952. 953. 954. 955.

3 klug 3 büch 3 stät 3 echt 3 durf 3 flamm 3 sucht 3 steck 4 tet 3 wüß 3 jetz 3 markt 3 hörd 3 mond 3 uf 3 sehn 3 holz 3 stürz 3 kühn 3 plan 3 traf 3 heir 3 blum 3 zweig 3 gart 3 ost 3 staum 3 lob 3 warm 3 stoß 3 schlimm 3 wäg 3 pred 1 ma 3 bet 3 söhn 3 teuf 3 trost 3 heu 3 ad 3 gier 4 test 3 reiz 3 fromm 3 schah 3 spur 3 schrei 3 hitz 3 nieß 3 stuf 3 pfenn 3 droh 3 wärm 3 brück 3 träum 3 tücht 3 ritt 3 behr

742 741 741 740 737 736 736 730 738 727 724 723 722 719 719 718 715 715 714 710 709 708 707 707 706 705 703 701 701 700 699 699 698 694 693 691 686 684 681 678 678 678 676 672 66& 668 666 664 662 661 657 653 652 649 649 647 645 643

279

1.072. 3 wieg 1.073. 3 ernt 1.074. 3 öst 1.075. 3 lohn 1.076. 3 worb 1.077. 3 kling . 1.078. 3 seufz 1.079. 3 blüt 1.080. 3 kett 1.081. 3 pfarr 1.082. 3 widm 1.083. 3 scheu 1.084. 3 gast 1.085 3 nicht 1.086. 3 münd 1.087. 3 rand 1.088. 3 raub 1.089. 3 sprüch 1.090. 3 bog 1.091. 3 schütt 1.Ö92. 3 galt 1.094. 4 tüm 1.095. 3 wem 1.096. 1 miss 1.097. 3 schwend 1.098. 3 spar 1.099. 3 klang 1.100. 3 haf 1.101. 3 haut 1.102. 3 plätz 1.103. 3 ird 1.104. 3 zwölf 1.105. 3 lüg 1.106. 3 gönn 1.107. 3 rang 1.108. 3 wölk 1.109. 3 haß 1.110. 3 zwang 1.111. 3 wink 1.112. 3 schweb 1.113. 3 fahn 1.114. 3 trüb 1.115. 3 schieß 1.116. 3 stil 1.117. 3 spring 1.118. 3 saal 1.119. 3 gläub 1.120. 3 höf 1.121. 3 narr 1.122. 3 fug 1.123. 3 tön 1.124. 3 spieg 1.125. 3 paß 1.126. 3 sang 1.127. 3 bühr 1.128. 3 hund 1.129. 3 schar 1.130. 3 nünft

280

468 467 467 466 466 461 461 460 459 457 457 455 453 453 452 451 451 450 449 448 446 444 439 435 435 434 433 433 430 430 429 425 424 422 420 420 '418 417 417 416 415 415 412 412 411 409 405 404 404 403 403 402 401 401 397 397 397 395

1.014. 1.015. 1.016. 1.017. 1.018. 1.019. 1.020. 1.021. 1.022. 1.023. 1.024. 1.025. 1.026. .027. 1.028. 1.029. 1.030. 1.031. 1.032. 1.033. 1.034. 1.035. 1.036. 1.037. 1.038. 1.039. 1.040. 1.041. 1.042. 1.043. 1.044. 1.045. 1.046. 1.047. 1.048. 1.049. 1.050. 1.051. 1.052. tf .053. 1.054. 1.055. 1.056. 1.057. 1.058. 1.059. 1.060. 1.061. 1.062. 1.063. 1.064. 1.065. 1.066. 1.067. 1.068. 1.069. 1.070. 1.071.

3 dächt 3 oft 3 platt 3 rest 3 süß 3 ahn 3 sanft 3 ei 3 hals 3 zeil 3 zwung 3 angst 3 lung 3 leis 3 nuß 3 kurz 3 pa 3 prob 3 hut 3 kam 3 münz 3 küss 3 schwert 3 fluß 3 fels 3 rühm 3 vorn 3 quem 3 ros 3 derb 3 hieß 3 trink 3 taf 3 ess 3 frist 3 seg 3 borg 3 nirg 3 zins 3 weck 3 sing 3 würf 3 finst 3 brot 3 würz 3 fahl 3 leih 3 leich 3 büt 3 zorn 3 zwanz 3 wirf 3 stamm 3 well 3 thron 3 sink 3 zwang 3 speis

556 556 556 555 555 554 554 553 548 546 543 542 542 540 535 535 534 533 530 529 527 524 524 523 522 520 518 517 516 511 509 509 507 506 504 503 502 501 499 497 494 ,493 492 491 491 484 493 482 481 478 478 477 476 476 475 471 471 469

1.188. 3 zart 1.189. 3 dick 1.190. 3 bünd 1.191. 3 mien 1.192. 3 tasch 1.193. 3 knie . 1.194. 3 witt 1.195. 3 wüß 1.196. 3 häuf 1.197. 3 falt 1.198. 3- knecht 1.199. 3 at 1.200. 3 dreh 1.201. 3 streich 1.202. 3 höll 1.203. 3 wen 1.204. 3 fiehl 1.205. 3 schnee 1.206. 3 riet 1.207. 4 ut 1.208. 3 flank 1.209. 3 guld 1.210. ' 3 misch 1.211. 3 flieh 1.212. 3 sprang 1.213. 3 bus 1.214. 3 bech 1.215V 3 laun 1.216. 3 zucht 1.217. 3 witw 1.218. 3 zitt 1.219. 3 jag 1.220. 3 riss 1.221. 3 treid 1.222. 3 leug 1.223. 3 rahm 1.224. 3 roh 1.225. 3 guß 1.226. 3 binn 1.227. 3 krauz 1.228. 3 onk 1.229. 3 lück 1.230. 3 schluss 1*231. 3 wirr 1.232. 3 glänz 1.233. 3 witz 1.234. 3 mant 1.235. 3 müd 1.236. 3 öl 1.237. 3 schmal 1.238. 3 zung 1.239. 3 list 1.240. 3 riß 1.241. 3 sprung 1.242. 3 säul 1.243, 3 wört 1.244. 3 hütt 1.245. 3 flut

337 336 335 335 333 331 330 329 328 327 327 326 323 323 321 318 316 316 315 312 311 309 309 308 308 307 306 306 304 308 303 302 302 302 301 301 301 299 298 298 297 294 293 292 291 291 289 289 289 289 289 287 287 286 285 285 284 283

1.131., 1.142. 1.133. 1.134. 1.135. 1.136. 1.137. 1.138. 1.139. 1.140. 1.141. 1.142. 1.143. 1.144. 1.145. 1.146. 1.147. 1.148. 1.149. 1.150. 1.151. 1.152. 1.153. 1.154. 1.155. 1.156. 1.157. 1.158. 1.159. 1.160. 1.161. 1.162. 1.163. 1.164. 1.163. 1.166. 1.167. 1.168. 1.169. 1.170. 1.171. 1.172. 1.173. 1.174. 1.175. 1.176. 1.176a. 1.177. 1.178. 1.179. 1.180. 1.181. 1.182. 1.183. 1.184. 1.185. 1.186. 1.187.

3 eit 3. mild 3 or 3 fess 3 schoß 3 fäß 4 ner 3 braut 3 köpf 3 sau 3 staub 3 tonn 3 schüss 3 wänd 3 zärt 3 ström 3 grüß 3 zieh 3 plan 3 hug 3 räch 3 kur 3 las 3 salz 3 zück 3 gäng 3 scheib 3 vers 3 eck 3 kalk 3 kält 3 wann 3 fließ 3 schreit 3 ström 3 brann 3 drauß 3 kür 3 jäg 3 tap 3 bühn 3 schätz 3 dampf 3 flücht 3 au 3 hing 3 ß 3 börs 3 strahl 3 bein 3 tuch 3 zuck 3 hör 3 huf 3 reif 3 wut 3 Schwund 3 mord

394 391 391 389 385 384 384 380 380 380 380 380 378 377 376 373 372 372 371 370 370 368 368 468 368 367 365 365 364 360 359 359 358 358 358 356 353 353 351 351 350 350 349 349 348 348 347 346 345 344 340 341 339 339 339 339 338 337

281

1.304. 1.305. 1.306. 1.307. 1.308. 1.309. 1,310. 1.311. 1.312. 1.313. 1.314. 1.315. 1.316. 1.317. 1.318. 1.319. 1.320. 1. 321. 1.322. 1.323. 1.324. 1.325. 1.326. 1.327. 1.328. 1.329. 1.330. 1.331. 1.332. 1.333. 1.334. 1.335. 1.336. 1.337. 1.338. 1.339. 1.340. 1.341. 1.342. 1.343. 1.344. 1.345. 1.346. 1.347. 1.348. 1.349. 1.350. 1.351. 1.352. 1.353. 1.354. 1.355. 1.356. 1.357. 1.358. 1.359. 1.360. 1.361.

282

3 mörd 3 bier 3 träum 3 fohl 3 lamp 3 nähr 3 ah 3 wuchs 3 dag 3 gierd 3 kuß 3 ball 3 wang 3 fracht 3 ahm 3 stemp 3 stuhl 3 kast 3 milch 3 sank 3 käst 3 mied 3 prächt 3 stock 3 durst 3 mär 3 jeh 3 satt 3 deih 3 küch 3 stamm 4 em 3 mehl 3 gelb 3 wang 3 sach 3 faust 3 brand 3 schlei 3 glut 3 statt 3 gift 3 scherz 3 stahl 3 beut 3 bursch 3 hüls 3 jagd 3 mäng 3 spaß 3 stich 3 fisch 3 räts 3 fröh 3 hart 3 töcht 3 brach 3 ruch

241 239 239 238 238 238 235 235 234 234 233 232 232 229 228 228 227 226 226 226 224 224 224 224 223 223 222 222 221 221 221 220 220 219 218 217 217 216 216 215 215 214 214 214 213 212 212 212 212 212 211 210 210 207 207 207 206 205

1.246. 1.247. 1.248. 1.249. 1.250. 1.251. 1.252. 1.253. 1.254. 1.255. 1.256. 1.257. 1.258. 1.259. 1.260. 1.261. 1.262. 1.263. 1.264. 1.265. 1.266. 1.267. 1.268. 1.269. 1.270. 1.271. 1.272. 1.273. 1.274. 1.275. 1.276. 1.277. 1.278. 1.279. 1.280. 1.281. 1.282. 1.283. 1.284. 1.285. 1.286. 1.287. 1.288. 1.289. 1.290. 1.291. 1.292. 1.293. 1.294. 1.295. 1.296. 1.297. 1.298. 1.299. 1.300. 1.301. 1.302. 1.303.

3 pulv 3 schwank 3 trepp 3 blind 3 streu 3 dünn 3 greis 3 kern 3 brich 3 vett 3 mal 3 zoll 3 stieß 3 schmuck 3 paus 3 birg 3 gen 3 läss 3 of 3 gipf 3 bunt 7 fleck 3 stub 3 kumm 3 schrie 3 hag 3 herbst 3 qual 3 wahn 3 litz 3 neun 3 tad 3 blei 3 schrank 3 vät 3 warb 3 gehr 3 gönn 3 vord 3 knoch 3 schand 3 kass 3 ho 3 sess 3 hie 3 kläg 3 tropf 3 glatt 3 schob 3 mild 3 rüst 3 wüst 3 ängst 3 drung 3 lärm 3 priest 3 wächs 3 lies

282 281 281 280 280 278 278 278 277 276 275 275 274 274 274 274 273 273 273 272 271 271 271 270 270 266 266 266 266 264 264 264 262 262 262 262 260 260 258 257 256 255 253 255 252 250 250 248 248 247 246 246 244 242 242 242 242 241

1.420. 1.421. 1.422. 1.423. 1.424. 1.425. 1.426. 1.427. 1.428. 1.429. 1.430. 1.431. 1.432. 1.433. 1.434. 1.435. 1.436. 1.437. 1.438. 1.439. 1.440. 1.441. 1.442. 1.443. 1.444. 1.445. 1.446. 1.447. 1.448. 1.449. 1.450. 1.451. 1,452. 1.453. 1.454. 1.455. 1.456. 1.457. 1.458. 1.459. 1.460. 1.461. 1.462. 1.463. 1.464. 1.465. 1.466. 1.467. 1.468. 1.469. 1.470. 1.471. 1.472. 1.473. 1.474. 1.475. 1.476. 1.477.

3 dünk 3 ziff 3 stoß 3 tröst 3 daum 3 fieb 3 enk 3 kolb i schmach 3 schmück 3 näss 3 dfuß 3 hauch 3 raub 3 flüst 3 bord 3 neg 3 park 3 web 3 gläs 3 jamm 3 säng 3 schlang 3 sam 3 nicht 3 trog 3 ärg 3 löt 3 schäm 3 hüll 3 öf 3 strich 4 ter 3 dörf 3 schwand 3 vög 3 gas 3 lenk 3 rät 3 rent 3 geiz 3 lag 3 türm 3 lieh 3 pfort 3 strit 3 vörd 3 es 3 funk 3 hold 3 rausch 3 starr 3 fett 3 jub 3 kass 3 nam 3 schwung 3 tee

174 173 172 172 169 168 167 167 167 167 166 165 164 164 163 162 162 162 162 161 161 161 160 159 158 158 157 157 157 155 155 155 155 154 154 154 153 153 153 153 152 152 152 151 151 151 150 149 149 148 146 145 144 144 144 144 144 144

3 stürm 3 reu 3 trank 3 zähn 3 bäum 3 gärt 3 lanz 3 hung 3 korn 3 rock 3 stirb 3 zaub 3 loch 3 ärzt 3 vierz 3 fad 3 töt 3 spott 3 elf 3 hät 3 schwor 3 schwieg 3 weiz 3 dämpf 3 fluch 3 horch 3 kerl 3 gab 3 glock 3 weih 3 klost 3 pracht 3 streif 3 räch 3 arm 3 kupf 3 röhr 3 brunn 3 drüb 3 büß 3 o 3 bad 3 eid 3 flieg 3 gär 3 half 3 schwell 3 stumm 3 biß 3 flog 3 neid 3 hirn 3 löhn 3 rauch 3 hüg 3 braut 3 matt 3 nächt

205 204 204 204 203 202 202 201 201 200 200 200 199 198 198 197 197 195 194 194 194 193 193 192 192 189 189 188 188 188 187 187 187 186 185 185 184 183 183 183 183 182 182 181 181 181 181 181 180 180 180 179 179 179 178 176 175 175

283

1.536. 3 kränz 1.537. 3 maul 1.538. 3 rühr 1.539. 3 schuf 1.540. 3 schwur 1.541. 3 bach 1.542. 3 dem 1.543. 3 heg 1.544. 3 wurst 1.545. 3 lein 1.546. 3 ack 1.547. 3 butt 1.548. 3 hast 1.549. 3 schäm 1.550. 3 wasch 1.551. 3 weig 1.552. 3 zünd 1.553. 3 barm 1.554. 3 färb 1.555. 3 schlaf 1.556. 3 schneid 1.557. 3 schuss 1.558. 3 wasch 1.559. 3 häß 1.560. 3 näg 1.561. 3 schal 1.562. 3 schieb 1.563. 3 grosch 1.564. 3 hin 1.565. 3 höhl 1.566. 3 schimm 1.567. 3 dämm 1.568. 3 dutz 1.569. % 3 netz 1.570. 3 öd 1.571. 3 kess 1.572. 3 jungf 1.573. 3 schnür 1.573. 3 vog 1.575. 3 zier 1.576. 3 acht 1.577. 3 braun 1.578. 3 gaß 1.579. 3 tanz 1.580. 3 zog 1.581. 3 pfeil 1.582. 3 rud 1.583. 3 senk 1.584.. 3 fänd 1.585. 3 lächt 1.586. 3 alp 1.587. 3 bar 1.589. 3 sechz 1.590. . 3 teil 1.591. 3 mahn 1.592. 3 neff 1.593. 3 ör 1.594. 3 täl

284

129 129 128 128 128 127 127 127 127 126 125 125 125 125 125 125 125 124 124 124 124 123 123 122 122 122 122 121 121 121 121 120 120 119 119 118 118 118 118 118 117 117 117 117 117 116 116 116 115 115 114 114 113 113 112 112 112 112

3 bang 3 herd 3 giß 3 joch 3 low 3 rung 3 zücht 3 fäd 3 flach 3 munt 3 holf 3 schief 3 schwist 3 zöll 3 blass 3 glüh 3 kell 3 magd 3 wirb 3 zinn 3 bos 3 bürg 3 duft 3 feucht 3 heid 3 tauf 3 blitz 3 fährd 3 gram 3 perl 3 schoss 3 gras 3 kutsch 3 achs 3 form 3 fromm 3 barg 3 dumm 3 murm 3 gramm 3 donn 3 koch 3 roß 3 Schröck 3 trank 3 warn 3 zehr 3 künd 3 lock 3 noß 3 sunk 3 zett 3 hohl 3 klapp 3 last 3 sung 3 vieh 3 büß

143 143 142 142 142 142 142 141 141 141 140 140 140 140 139 139 139 139 139 139 138 138 138 138 138 138 137 137 137 137 137 136 136 134 134 134 133 133 133 133 132 132 132 132 132 132 132 131 131 131 131 131 130 130 130 130 130 129

1.595. 1.596. 1.597. 1.598. 1.599. 1.600. 1.601. t.602. 1.603. 1.604. 1.605. 1.606. 1.607. 1.608. 1.609. 1.610. 1.611. 1.612. 1.613. 1.614. 1.615. 1.616. 1.617. 1.618. 1.619. 1.620. 1.621.

3 3 3 3 3 3 3 3 3 3 3 3 3 3 3 3 3 3 3 3 3 4 3 3 3 3 3

spann trümm zirk kühl streik grub naß pöb hart drieß gass gieß floh höhn knet loch präg stüm wich wölb drin m säh schwag arg oh quer

III 111 111 110 110 109 109 109 108 108 108 108 107 107 107 107 107 107 107 107 106 106 106 106 105 105 105

1.622. 3 rausch 1.623. 3 schelt 1.624. 3 schmeich 1.625. 3 trächt 1.626. 3 bärd 1.627. 3 beug 1.628. 3 flagg 1.629. • 3 ras 1.630. 3 schrak 1.631. 3 wüt 1.632. 3 fäch 1.633. 4 icht 1.634. 3 ross 1.635. 3 schwör 1.636. 3 stroh 1.637. 3 tör 1.638. 3 wog 1.639. 3 ärm 1.630. 3 ank 1.641. 3 dorb 1.642. 3 fab 1.643. 3 rast 1.644. 3 rogg 1.645. 3 sack 1.646. 3 dämm 1.647. 3 nest 1.648. 3 rauh 1.649. 3 tränk

105 105 105 105 . 104 104 104 104 104 104 103 103 103 103 103 103 103 102 102 102 102 102 102 102 101 101 101 101

285

Alphabetisch geordnete Morphemliste (Angaben siehe Häufigkeitsliste) ab ach achs acht ack ad ächt ahn alt änd angst ärg ärm ärzt äuß ah ahm ahn all alp als als alt am atm an and angst ank ant ar arg arm arm art arzt asch at at au auch auf aug aus auß bach bad band bärd bäum bahn bald ball band

286

74.62 1.628 134 7.330 125 678 117 2.396 751 4.820 244 157 102 198 3.711 235 228 554 85.335 114 59.260 9.197 11.583 18.523 1.771 109.539 21.815 542 102 4.088 9.234 105 4.323 185 6.940 444 217 326 1.408 348 60.750 108.601 10.227 73.372 6.254 127 182 1.701 104 203 2.450 7.903 232 1.540

bang bank bar bar barg barm bart bat bau bäum be be be bech behr bei beid bein beit berg bess bet beug beut bi bier biet bild bill bin bind binn birg bis biß bitt blätt blass blatt blau blei blei bück blieb blind blitz bloß blüt blum blut bod börs bös bog bor bord borg bos

143 1.807 6.235 114 133 124 108 637 2.942 906 160.294 160.294 3.311 306 643 56.413 6.644 344 9.234 1.400 4.834 693 104 213 1.942 239 3.167 10.685 1.003 6.066 2.844 298 274 20.102 180 3.589 879 139 623 590 262 6.754 8.579 3.263 280 137 3.298 460 707 1.510 2.328 346 1.310 449 1.186 162 502 138

bot brach bräut brand brann brauch braun braut brav brech breit brenn brich brief bring broch brot bruch brud brück Brüd brunn brüst buch bück bühn bühr bünd bürg bund bunt bürg bursch burt bus büß butt chen da dach dächt dämm dämpf dam dämm dampf dank dann dar darf das daß dau daum deck deg dehn deih

2.665 5.408 176 216 356 4.235 117 380 850 1.071 2.648 586 277 4.110 5.147 627 491 206 1.629 649 633 183 971 2.722 741 350 397 335 1.908 3.204 271 ' 138 212 1.407 307 129 125 3.235 76.235 3.229 556 120 192 1.130 1013 349 7.376 16.948 2.962 4.761 126.554 88.260 2.668 169 3.644 234 787 221

3 3 3 3 3 3 3 3 3 3 3 3 3 3 3 3 3 3 3 3 3 3 3 3 3 3 3 3 3 3 3 3 3 3 3 3 3 3 3 3 3 3 3 3 3 3 3 3 3 3 3 3 3 4 3 3 3 3

dein dem dem den denk denn der derb des dess dest deut deutsch dicht dick die dien dies ding doch dörf donn dopp dorb dorf dort dräng drang drauß dreh drei dreiß drin dring dritt droh druck drüb drück drang druß dünk dünn dürf du duft duld dumm dunk durch durf durst dutz e eb echt eck ed

6.136 100.358 127 148.286 8.561 18.488 367.610 511 105.271 6.178 1.184 6.621 8.754 4.948 336 355.043 8.459 78.745 8.211 25.561 154 132 1.150 102 840 5.655 1.097 791 353 323 5.126 108 106 1.281 2.778 653 3.899 183 2.857 242 165 174 278 3.723 20.232 138 1.40 133 1.599 51.473 737 223 120 832.609 11.369 740 364 1.696

287

eh ehr ei eid eif eig eil ein einst einz eis eit el el elf elt em emp en end end eng enk ent er er er erb erd ern ernst ernt ert erst es es es ess est et et ete eten eu eu euch ew fab fach fad fach fäd fäh fähr fährd fäll fand fang

288

3.645 4.414 553 182 896 13.959 1.288 313.639 1.378 18.955 1.912 394 61.330 568 194 1.016 61.771 6.809 1.300.796 43.823 10.240 1.712 167 29.624 667.116 87.029 93.133 779 2.637 2.959 2.493 467 3.296 22.006 108.252 86.778 149 506 2.546 26.902 4.131 5.850 2.472 3.564 3.564 6.316 1.890 102 4.268 197 103 141 1.229 . 2.145 137 6.161 115 1.577

3 3 3 3 3 3 3 3 3 3 3 3 3 3 3 3 3 3 3 3 3 2 3 3 3 3 3 3 3 3 3 3 3 3 3 3 3 3 3 3 3 3 3 3 3 3 3 3 3 3 3 3 3 3 3 3 3 3

färb faß fahl fahn fahr fall falsch falt fand fang färb fass faß faust fecht fed fehl fei fein feind feld fels fenst fern fert fess fest fett feu feucht fieb fiehl fiel find fing finst fisch flach fläch flagg flamm flank flasch fleck fleisch flieg flieh fleiß flog floh fluch flucht flücht flüg flüss fluss fluß flut

124 384 484 415 8.978 14.307 1.198 317 4.703 6.721 1,200 5.420 2.322 217 770 641 6.420 816 1.477 6.016 1.891 522 1.017 7.884 1.827 389 8.162 144 1.931 138 168 316 2.089 13.365 2.101 492 210 141 752 104 736 311 560 271 597 181 308 358 180 107 192 628 349 1.346 1.049 559 523 283

förd form fohl folg form forsch fort fracht fräu frag frau frei fremd freu freud freund fried frisch frist fröh fromm froh fromm frucht früh füg fühl führ füll fünf für fürcht fürst

m fug fuhr fund funk furcht fuß gab gab gäng ganz gär gärt gäst glat gang gann ganz gar gart gas gass gast gaß gatt