Mitteilungen des Vereins für Geschichte der Stadt Nürnberg [71]

Table of contents :
Nürnberg-Bibliographie 1975—1980, hrsg. von der Stadtbibliothek, bearb. von Günther
Thomann, Nürnberg 1983. (Dieter Schug) .......................................................... 277
Das Lehenbuch des Fürstbischofs Albrecht von Hohenlohe, 1345—1372, bearb. von Hermann
Hoffmann, Würzburg 1982. (Gerhard Rechter) ............................................. 278
Johannes Müllner, Die Annalen der Reichsstadt Nürnberg von 1623. Teil II: Von
1351-1469, hrsg. von Gerhard Hirschmann, Nürnberg 1984. (Ludwig Schnurrer)....................................................................................................................
................279
Jeffrey Chips Smith, Nuremberg, A Renaissance City, 1500—1618, Austin/Texas 1983.
(Rainer Schoch) ............................................................................................................ 281
Hermann-Josef Müller, Uberlieferungs- und Wirkungsgeschichte der Pseudo-Strickerschen
Erzählung,,Der König im Bade*. Berlin 1983. (Dieter Merzbacher) .... 282
Hans Sachs Werke, hrsg. von Adalbert von Keller und Edmund Goetze, New York 1982.
(Dieter Merzbacher)....................................................................................................... 283
Walter Tauber, Der Wortschatz des Hans Sachs, Berlin 1983 (Dieter Merzbacher) . . 283
Dürer in Dublin, Nürnberg 1983. (Gerhard Mammel)............................................................286
Das Wappenbuch des Reichsherolds Caspar Sturm, bearb. von Jürgen Arndt, Neustadt
(Aisch) 1984. (Eugen Schöler)................................................ 287
Ludwig Popp, Die Geschichte der Gutteter aus Kulmbach, hrsg. von den Freunden der
Plassenburg e.V., Kulmbach 1984. (Christa Schaper) ..................................................289
Elisabeth Pfeiffer, Der Kartograph Paul Pfinzing als Metrologe in seiner Methodus geometrica
und bei seinen Karten, Neustadt a. d. Aisch 1983. (Hans Vollet) .... 290
Michael Bauer, Christoph Weigel (1654-1725). Kupferstecher und Kunsthändler in
Augsburg und Nürnberg, Frankfurt am Main 1982. (Rainer Schoch) ..........................292
Hermann Rusam, Der Irrhain des Pegnesischen Blumenordens zu Nürnberg, Nürnberg
1983. (Albert Bartelmeß) ..............................................................................................293
Hans Haller von Hallerstein,... und die Erde gebar ein Lächeln. Der erste deutsche
Archäologe in Griechenland, Carl Haller von Hallerstein (1774-1817), München
1983. (Klaus Dieter Dornisch).........................................................................................295
Johannes Mayer und Peter Tradowsky, Kaspar Hauser, Stuttgart 1984. (Gerhard Hirschmann)
........................................................................................................................... 298
Hartmut Heller, Der Nürnberger Dutzendteich, Nürnberg 1983 (Gerhard Hirschmann)
........................................................................................................................... 300
75 Jahre kommunales Verhältniswahlrecht — 75 Jahre SPD-Stadtratsfraktion Nürnberg
1908-1983, hrsg. im Auftrag des Stadtrats zu Nürnberg vom Stadtarchiv, bearb. von
Walter Lehnert und Dieter Rossmeissl, Nürnberg 1983. (Richard Kölbel) . . 301
Georg Wolfgang Schramm, Der zivile Luftschutz in Nürnberg 1933—1945, Nürnberg
1983. (Rainer Hambrecht) ..............................................................................................302
Robert Fritzsch, Nürnberg im Krieg. Im Dritten Reich 1939-1945, Düsseldorf 1984.
(Georg Wolfgang Schramm) .........................................................................................305
Nürnberger Altstadtberichte Nr. 4-6, hrsg. von den Altstadtfreunden Nürnberg e.V.,
Nürnberg 1979-1981. (Rudolf Endres)........................................... 306
Hans Gründl, Die Landschaft um Nürnberg, Nürnberg 1983. (Helmut Häußler) . . 307
Evi Kleinöder und Wilhelm Rosenbauer, Rückersdorf. Ein Ort im Wandel, Nürnberg
1984. (Barbara Hellmann) ....................................................................................308
Jahrbuch für fränkische Landesforschung Bd. 43, hrsg. vom Zentralinstitut für fränkische
Landeskunde und Allgemeine Regionalforschung an der Universität Erlangen-Nürnberg,
Neustadt (Aisch) 1983. (Manfred Jehle).................................................................309
VI
Jahrbuch für fränkische Landesforschung Bd. 44, hrsg. vom Zentralinstitut für fränkische
Landeskunde und allgemeine Regionalforschung an der Universität Erlangen-Nürnberg,
Neustadt (Aisch) 1984. (Gerhard Hirschmann) ............................................310
Mittelfranken in alten Landkarten, Neustadt (Aisch) 1984. (Walter Satzinger) .... 311
Neustadt an der Aisch und sein Umland in alten Karten, Ansichten und Portraits, hrsg.
von Gertraud Geißendörfer in Zusammenarbeit mit August Wolf Schmidt und Wolfgang
Mück, Neustadt (Aisch) 1983. (Gerhard Hirschmann) .................................. 312
In memoriam Otto Jakob, Nürnberg 1983. (Richard Kölbel)............................................ 312
Walter Grass er, Bayerische Geschichtstaler — Von Ludwig I. und Maximilian II.,
Rosenheim 1982. (Konrad Lengenfelder) ...............................................................

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Mitteilungen des Vereins für Geschichte der Stadt Nürnberg

71. Band 1934

Nürnberg 1984 Selbstverlag des Vereins für Geschichte der Stadt Nürnberg

Schriftleitung: Dr. Gerhard Hirschmann und Albert Bartelmeß Für Form und Inhalt der Aufsätze und Rezensionen sind die Verfasser verantwortlich

Für Druckkostenzuschüsse dankt der Verein der Stadt Nürnberg, der Stadtsparkasse Nürnberg> dem Bezirk Mittelfranken, dem Bischöflichen Ordinariat Eichstätt und dem Industrie- und Kulturverein Nürnberg

Gesamthersteilung: Verlagsdruckerei Schmidt GmbH, Neustadt/Aisch Alle Rechte, auch des Abdrucks im Auszug, Vorbehalten. Copyright by Verein für Geschichte der Stadt Nürnberg (Geschäftsstelle: Egidienplatz 23, 85 Nürnberg 1) ISSN 0083—5579

INHALT Erika San den, Die romanische Rundkapelle in Altenfurt als Zeugnis der Zeit des Zweiten Kreuzzuges ................................................. Andreas Marx, Der Ostchor der Sebalduskirche

1

....................................23

Richard Perger, Kaiser Friedrich III. und Katharina Pfinzing — Geheimnis einer Beziehung...........................................................

87

Rudolf End res, Nürnberger Bildungswesen zur Zeit der Reforma­ tion ....................................................................................................... 109 Gunter Zimmermann, Das Nürnberger Religionsgespräch von 1525 ..................................................................................................

129

Frank Ganseuer, Hans Hergot und der ,linke Flügel der Reformation* in Nürnberg........................................................................................ 149 Ralf Schürer, Ein unbekannter Nürnberger Silberzettel von 1616

.

167

Matthias Mende, Zwei Lorenz Strauch (1554—1630) zugeschriebene Zeichnungen zur Nürnberger Topographie....................................... 178 Gerhard Seibold, Zur Situation der italienischen Kaufleute in Nürn­ berg während der zweiten Hälfte des 17. und der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts................................................................................... 186 Henry Vredeveld, Zur Herkunft des Wortes „Noris“

.

.

.

.

. 208

Dorothee N eh ring, Die „Hesperidengärten“ in Nürnbergs Stadtteil St. Johannis ........................................................................................ 212 Hans-Jürgen Kot zur, Die Nürnberger Burg als bayerisches Königs­ schloß. Ein Beitrag zur Geschichte des Bauwerks im 19. Tahrhundert.......................................................................................................242 Jose Ortega y Gasset, Die Brünnlein von Nürnberg (1906) Hans von Hanf f stengel (f), Der Jansen-Plan

.

.

........

. 255 260

Miszelle

Gottfried Seebaß, Zur Geschichte der reformatorischen und sozialen Bewegung in der Reichsstadt Nürnberg im Jahre 1524/25 . . . 269 Buchbesprechungen (im einzelnen siehe Rückseite)..................................277 Kleinere Veröffentlichungen zur Nürnberger Geschichte........................ 315 Jahresbericht über das 106. Vereinsjahr 1983

317

V

BUCHBESPRECHUNGEN Nürnberg-Bibliographie 1975—1980, hrsg. von der Stadtbibliothek, bearb. von Günther Thomann, Nürnberg 1983. (Dieter Schug) .......................................................... 277 Das Lehenbuch des Fürstbischofs Albrecht von Hohenlohe, 1345—1372, bearb. von Her­ mann Hoffmann, Würzburg 1982. (Gerhard Rechter) ............................................. 278 Johannes Müllner, Die Annalen der Reichsstadt Nürnberg von 1623. Teil II: Von 1351-1469, hrsg. von Gerhard Hirschmann, Nürnberg 1984. (Ludwig Schnurrer).....................................................................................................................................279 Jeffrey Chips Smith, Nuremberg, A Renaissance City, 1500—1618, Austin/Texas 1983. (Rainer Schoch) ............................................................................................................ 281 Hermann-Josef Müller, Uberlieferungs- und Wirkungsgeschichte der Pseudo-Strickerschen Erzählung,,Der König im Bade*. Berlin 1983. (Dieter Merzbacher) .... 282 Hans Sachs Werke, hrsg. von Adalbert von Keller und Edmund Goetze, New York 1982. (Dieter Merzbacher)....................................................................................................... 283 Walter Tauber, Der Wortschatz des Hans Sachs, Berlin 1983 (Dieter Merzbacher) . . 283 Dürer in Dublin, Nürnberg 1983. (Gerhard Mammel)............................................................286 Das Wappenbuch des Reichsherolds Caspar Sturm, bearb. von Jürgen Arndt, Neustadt (Aisch) 1984. (Eugen Schöler)................................................ 287 Ludwig Popp, Die Geschichte der Gutteter aus Kulmbach, hrsg. von den Freunden der Plassenburg e.V., Kulmbach 1984. (Christa Schaper) ..................................................289 Elisabeth Pfeiffer, Der Kartograph Paul Pfinzing als Metrologe in seiner Methodus geometrica und bei seinen Karten, Neustadt a. d. Aisch 1983. (Hans Vollet) .... 290 Michael Bauer, Christoph Weigel (1654-1725). Kupferstecher und Kunsthändler in Augsburg und Nürnberg, Frankfurt am Main 1982. (Rainer Schoch) ..........................292 Hermann Rusam, Der Irrhain des Pegnesischen Blumenordens zu Nürnberg, Nürnberg 1983. (Albert Bartelmeß) ..............................................................................................293 Hans Haller von Hallerstein,... und die Erde gebar ein Lächeln. Der erste deutsche Archäologe in Griechenland, Carl Haller von Hallerstein (1774-1817), München 1983. (Klaus Dieter Dornisch)......................................................................................... 295 Johannes Mayer und Peter Tradowsky, Kaspar Hauser, Stuttgart 1984. (Gerhard Hir­ schmann) ........................................................................................................................... 298 Hartmut Heller, Der Nürnberger Dutzendteich, Nürnberg 1983 (Gerhard Hir­ schmann) ........................................................................................................................... 300 75 Jahre kommunales Verhältniswahlrecht — 75 Jahre SPD-Stadtratsfraktion Nürnberg 1908-1983, hrsg. im Auftrag des Stadtrats zu Nürnberg vom Stadtarchiv, bearb. von Walter Lehnert und Dieter Rossmeissl, Nürnberg 1983. (Richard Kölbel) . . 301 Georg Wolfgang Schramm, Der zivile Luftschutz in Nürnberg 1933—1945, Nürnberg 1983. (Rainer Hambrecht) ..............................................................................................302 Robert Fritzsch, Nürnberg im Krieg. Im Dritten Reich 1939-1945, Düsseldorf 1984. (Georg Wolfgang Schramm) ......................................................................................... 305 Nürnberger Altstadtberichte Nr. 4-6, hrsg. von den Altstadtfreunden Nürnberg e.V., Nürnberg 1979-1981. (Rudolf Endres)........................................... 306 Hans Gründl, Die Landschaft um Nürnberg, Nürnberg 1983. (Helmut Häußler) . . 307 Evi Kleinöder und Wilhelm Rosenbauer, Rückersdorf. Ein Ort im Wandel, Nürn­ berg 1984. (Barbara Hellmann) .................................................................................... 308 Jahrbuch für fränkische Landesforschung Bd. 43, hrsg. vom Zentralinstitut für fränkische Landeskunde und Allgemeine Regionalforschung an der Universität Erlangen-Nürn­ berg, Neustadt (Aisch) 1983. (Manfred Jehle).................................................................309

VI

Jahrbuch für fränkische Landesforschung Bd. 44, hrsg. vom Zentralinstitut für fränkische Landeskunde und allgemeine Regionalforschung an der Universität Erlangen-Nürn­ berg, Neustadt (Aisch) 1984. (Gerhard Hirschmann) ............................................310 Mittelfranken in alten Landkarten, Neustadt (Aisch) 1984. (Walter Satzinger) .... 311 Neustadt an der Aisch und sein Umland in alten Karten, Ansichten und Portraits, hrsg. von Gertraud Geißendörfer in Zusammenarbeit mit August WolfSchmidt und Wolf­ gang Mück, Neustadt (Aisch) 1983. (Gerhard Hirschmann) .................................. 312 In memoriam Otto Jakob, Nürnberg 1983. (Richard Kölbel)............................................ 312 Walter Grass er, Bayerische Geschichtstaler — Von Ludwig I. und Maximilian II., Rosenheim 1982. (Konrad Lengenfelder) ............................................................... 313

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VERZEICHNIS DER MITARBEITER Bartelmeß, Albert, Archivrat, Hallweg 7, 8501 Wendelstein-Sperberslohe Bemmerlein, Anton, Studiendirektor, Braille-Weg 17, Nürnberg 90 Dornisch, Klaus Dieter, Dr. phil., Archäologe, Danziger Straße 25, 8500 Nürnberg 20 Endres, Rudolf, Dr., Universitätsprofessor, An den Hornwiesen 10, 8520 Erlan­ gen-Buckenhof Ganseuer, Frank, Dr., Scharderhohlweg 18, 6240 Königstein 2 Häußler, Helmut, Dr., wissenschaftl. Angestellter, Franz-Reichel-Ring 19, 8500 Nürnberg 50 Hambrecht, Rainer, Dr., Archivrat, Bahnhofstraße 13, 8630 Coburg von Hanffstengel, Hans, 8500 Nürnberg (t) Hellmann, Barbara, Archivoberinspektorin, Fritz-Soldmann-Straße 6, 8720 Schweinfurt Hirschmann, Gerhard, Dr., Ltd. Archivdirektor i. R., Gerngrosstraße 26, 8500 Nürnberg 10 Jehle, Manfred, Dr., Zirndorfer Straße 90, 8500 Nürnberg 60 Kölbel, Richard, Oberstudiendirektor, Neuwerker Weg 66, 8504 Stein-Deutenbach Kotzur, Hans-Jürgen, Dr., Schadecker Straße 5, 6251 Runkel Lengenfelder, Konrad, Studiendirektor, Jägerstraße 66, 8500 Nürnberg 60 Mammel, Gerhard, Dr., Heroldsberger Platz 10, 8500 Nürnberg 10 Marx, Andreas, M. A., Wilhelmshöher Straße 3, 1000 Berlin 41 Men de, Matthias, Kunsthistoriker, Westtorgraben 9, 8500 Nürnberg 80 Merzbacher, Dieter, wissenschaftl. Mitarbeiter, Meuschelstraße 11, 8500 Nürnberg 10 Nehring, Dorothee, Dr., Degenfeldstraße 1, 8000 München 40 Ortega y Gasset (* 1883, f 1955) Perger, Richard, Dr., Josefstädter Straße 11, 1080 Wien Rechter, Gerhard, Dr., Archivrat, Kriemhildstraße 24, 8500 Nürnberg 40 San den, Erika, M. A., Eismannsberg 114, 8503 Altdorf Satzinger, Walter, Dr.-Ing., Regierungsdirektor, Wingertstraße 6, 6074 Waldacker Sch aper, Christa, Bingstraße 30, App. 605, 8500 Nürnberg 30 Schnurrer, Ludwig, Dr., Studiendirektor, Gerhart-Hauptmann-Straße 12, 8803 Ro­ thenburg o. d. Tauber Schoch, Rainer, Kunsthistoriker, Germanisches Nationalmuseum, Kartäusergasse 1, 8500 Nürnberg 1 Schöler, Eugen, Studiendirektor, Schmauserstr. 5, 8540 Schwabach Schramm, Georg Wolfgang, Dr., Stud.-Ass., Reichenbacher Straße 75, 8540 Schwa­ bach Schürer, Ralf, Kunsthistoriker, Bismarckstraße 66, 8500 Nürnberg 20 Schug, Dieter, Dr., Bibliotheksdirektor, Meisenweg 52, 8520 Erlangen See baß, Gottfried, Dr., Universitätsprofessor, Langgewann 53/1, 6900 Heidelberg Seibold, Gerhard, Dr., An den Hecken 39, 7180 Crailsheim Vollet, Hans, Dr.-Ing., Ziegelleite 12, 8580 Bayreuth Vredefeld, Harry, Professor, The Ohio State University, Department of German, 314 Cunz Hall of Languages, 1841 Millikin Road, Columbus, Ohio 43210, USA Zimmermann, Gunter, Dr., Peter-Böhm-Str. 41, 6904 Eppelheim

VIII

DIE ROMANISCHE RUNDKAPELLE IN ALTENFURT ALS ZEUGNIS DER ZEIT DES ZWEITEN KREUZZUGES Von Erika Sanden Die Kapelle in ihrer ursprünglichen Gestalt

Etwa eine Meile südöstlich von Nürnberg1 machte eine Furt2 das in dieser Gegend von Bächen, Teichen und Sümpfen durchzogene Gebiet des Reichs­ waldes passierbar. Darüber führte die Heer- und Handelsstraße von Nürnberg über Feucht und Neumarkt nach Regensburg, Wien, Hainburg, Budapest, Byzanz. Zeidler und Bauern von den umliegenden Dörfern und Königshöfen überquerten die alte Furt auf ihrem Weg zum Markt in der Stadt und Könige auf ihren Umritten von der Mitte zum Südosten des Reiches3. Kreuzfahrer und Pilger vom Niederrhein zogen über die alte Furt ins Heilige Land und Wall­ fahrer aus Ungarn zu den Heiltümern nach Aachen. An diesem verkehrsmäßig wichtigen Ort „nahe bei Nürnberg“4, keineswegs in abgelegener Waldeinsamkeit, wurde die Kapelle erbaut. Ursprünglich war sie ein einfacher Rundbau von etwa 5,60 m lichter Weite und lichter Höhe mit 1,05 bis 1,10 m starken Mauern. In der Höhe von 2,20 m wölbt sich über einem schlichten Kranzgesims die Kuppel in Form einer Halbkugel. Fenster waren, wenn überhaupt vorhanden, sehr klein. Keinesfalls durchschnitten sie, wie das jetzt der Fall ist, das Kranz­ gesims im Innenraum. Der Eingang lag vermutlich im Norden, wo sich jetzt die Nische mit den Votivtafeln befindet.5 Der niedrige, schmale Türdurch1 Johannes Müllner: Die Annalen der Reichsstadt Nürnberg von 1623. Teil I. Hrsg, von Gerhard Hirschmann. Nürnberg 1972. S. 25. Nach „Trübners Deutsches Wörterbuch“. Bd. 4 (hrsg. von Alfred Goetze. Berlin 1939. S. 595) umfaßt eine Meile im Mittelalter die Wegstrecke von etwa 7,5 km oder von zwei Wegstunden. 2 Schon in der Urkunde König Wilhelms von Holland von 1255 — NUB 359 — heißt der Ort ganz selbstverständlich Altenfurt: „. . . capellam in Altenwrt“. Ob es sich.dabei um die Ablei­ tung von dem deutschen Wort „alt“ oder dem lateinischen „altus“ — breit, hoch — handelt, könnte noch überlegt werden. 3 Konrad III. war 11 mal in Nürnberg und 12- oder 13mal in Regensburg, abgesehen von 1145 und der Zeit des Kreuzzuges, in jedem Jahr seiner Regierung. Dazu Andreas Kraus: Civitas Regina. Kallmünz 1972. S. 64. Rainer Haussherr: Die Zeit der Staufer. Bd. 4. Stuttgart 1977. — Die Itinerare Konrads III. 4 „... prope Nuremberg“ — NUB 359. 5 Traugott Schulz: Die Rundkapelle zu Altenfurt bei Nürnberg. In: Studien zur deutschen Kunstgeschichte. Bd. 94. Straßburg 1908. S. 38 f. Der Eingang im Norden findet sich auch bei den Rundkapellen in Tulln, Mistelbach an der Zaya, Pulkau und Znojmo. Vermutlich geht diese Anlage auf ein gemeinsames Vorbild zurück. Dazu zunächst: August Heisenberg: Gra­ beskirche und Apostelkirche. In: Untersuchungen zur Kunst und Literatur des ausgehenden Altertums. 2 Bde. Leipzig 1908.

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Erika Sanden

bruch befremdet nur, wenn wir voraussetzen, die Kapelle habe von Anfang an als Versammlungsraum einer Gemeinde gedient.6 Von außen muß die Kapelle trotz des rötlichen Sandsteins und romanischer Stilelemente7 den Eindruck eines byzantinischen oder orientalischen Bau­ werkes erweckt haben. Die aus Bossenquadern gefügte Kuppel erhob sich ursprünglich freiliegend über dem Plateau der starken Mauern, die einen Umgang bildeten.8 Wer war der Stifter dieser Kapelle, deren erste Bauphase der Mitte des 12. Jahrhunderts zugeordnet wird?9 Die relativ späten Urkunden von 1225, 1255 und 1264 setzen die Existenz des Bauwerkes voraus. Schon früh bemächtigte sich seiner die Legende. Noch heute stehen drei Thesen über die Entstehung der Altenfurter Kapelle unvermittelt nebeneinander: 1. Die Rotunde ist eine alte Taufkapelle oder der Nachfolgebau einer — womöglich hölzernen — Taufkapelle, die in die Frühzeit der Frankenmis­ sion zurückreicht. Die Vertreter dieser These führen das Johannespatrozi­ nium und die Legende von der Stiftung durch Karl den Großen als Argu­ mente an.10 2. Die Kapelle wurde 1073 erbaut. Dieses Datum entdeckte Karl Schornbaum als Randnotiz in einem Salbuch des Nürnberger Augustinerklosters von 1501.11 6 Die Höhe des Türdurchbruchs beträgt 1,70 m, die Breite innen 0,75 m, außen 0,65 m. Beim Heiligen Grab in der Heiligkreuzkirche in Eichstätt hat der Zugang vom Vorraum zur Grab­ kammer, also zur Rotunde, ähnliche Ausmaße: Höhe 1,52 m, Breite 0,52 m. 7 Kranzgesims und Rundbogenfries. Dazu Schulz: a.a.O. S. 11 f. Die Tatsache, daß der Rundbo­ genfries um den ganzen Zentralbau herumführt, auch dort, wo er jetzt vom Dach der Apsis verdeckt ist, könnte ihn als der ersten Bauphase zugehörig ausweisen. Ob die Ausmalung der Kuppel und der Wände zum ursprünglichen Bau gehörten, läßt sich nach der weitgehenden Zerstörung der Malerei nicht mehr beurteilen. Möglich wäre es. Die Gliederung des ikonographischen Programms in acht Segmente finden wir auch in der 1134 erbauten oder restaurierten Katharinenkapelle auf der Burg in Znojmo. 8 Schulz: a.a.O., S. 35 f. Eine freiliegende Kuppel hatte auch die Johanneskapelle auf der Burg Hardegg. Vgl. Konrad Jeckl: Der Karner. In: Hardegg und seine Geschichte. Wien 1976. S. 66. Die Johanneskapelle in Roding wird mit ihren auf die Kuppel aufgemauerten Ziegeln ursprünglich wie eine byzantinische Kapelle gewirkt haben. Vgl. Karl Schwarzfischer: Geschichte der Stadt Roding. Roding 1967. S. 58. Freiliegende Kuppeln kennen wir aus dem normannischen Süditalien und Sizilien, z. B. bei San Giovanni al Sepolcro in Brindisi oder Santa Caterina in Conversano, beides Bauwerke aus der Kreuzzugszeit. 9 Schulz a.a.O., S. 43 f. B. Hermann Röttger: Die Rundkapelle zu Altenfurt und ihr Verhältnis zu Würzburg und Altötting. In: Mitteilungen zur Geschichte der Stadt Nürnberg. 44 (1953), S. 11 f. 10 Romuald Bauerreiss: Kirchengeschichte Bayerns Bd. 3. St. Ottilien 1973. S. 183 f. 11 NUB Nr. 203, Anm. 2, S. 129. Zs. für bayerische Kirchengeschichte 8 (1933), S. 192: Alten­ furt ... die cappeln ist paut anno M73 (1073).

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MVGN 71 (1984)

Rundkapelle Altenfurt

3. Die Altenfurter Kapelle ist eine Nachbildung des Grabes Christi in Jeru­ salem und entstand in der Zeit der Kreuzzüge.12 Diese Thesen wirken spekulativ, weil sie nicht oder zu wenig in den histori­ schen Zusammenhang hineingestellt sind, in dem allein sie ihre Tragfähigkeit erweisen könnten. Die letzte Veröffentlichung zu diesem Thema erschien 1956.13 Um das Gespräch über die Entstehung der Altenfurter Kapelle wieder auf­ zunehmen, wird hier versucht, die dritte These in ihrem historischen Kontext darzustellen: Die Kapelle ist als Nachbildung des Heiligen Grabes ein Zeugnis aus der Zeit des Zweiten Kreuzzuges. Ihr Stifter ist König Konrad III. Diese These hat viel für sich; denn sie stimmt mit dem Baubefund überein. Im zweiten Teil wird versucht, darzustellen, wie die Altenfurter Kapelle an das Nürnberger Egidienkloster gelangte, und welche Rolle die Legende von der Stiftung durch Karl den Großen in diesem Zusammenhang spielt. Der Sache nach kann es sich bei dieser Studie nur um einen Diskussionsbei­ trag handeln. Kritik, Fragen und Gegenargumente sind erwünscht. Rundkapellen aus der Zeit der Kreuzzüge

Von der Mitte des 12. bis zur Mitte des 13. Jahrhunderts entstanden zahlreiche Rotunden von der Art der Altenfurter Kapelle, vor allem im Südosten des Rei­ ches: in der Oberpfalz, in Böhmen, Mähren, Österreich und der Steiermark. Die Kapellen von Perschen, Rottendorf und Roding in der Oberpfalz, der damaligen Mark Cham-Nabburg, von Mistelbach an der Zaya, Petronell, Tulln, Mödling, Deutsch-Altenburg, Hainburg, Hadersdorf am Kamp, Burg­ schleinitz, Zwettl, Kühnring, Pernegg, Hardegg und Pulkau in Niederöster­ reich, von Znojmo und Vranov an der Thaya in Mähren, sowie die drei Rotunden in Prag, um nur die wenigen zu nennen, die die Verfasserin selbst angesehen hat, weisen das gleiche Baukonzept auf: Zentralbau mit zeltför­ migem Dach, ebenerdig oder auf einem Untergeschoß errichtet, — an den zylindrischen Baukörper angelehnt — die Apsis, bei den späteren Kapellen eingeplant, bei den älteren zumeist nachträglich angefügt. Verblüfft steht der Betrachter aus dem Nürnberger Raum in Hadersdorf am Kamp vor der in größeren Maßstab gesetzten, gewaltig wirkenden „Alten12 Bauerreiss a.a.O., S. 179 f. B. behandelt die Altenfurter Kapelle im Zusammenhang der Heilig­ grab-Kapellen, entscheidet sich aber doch, sie als frühchristliches Baptisterium zu deuten (S. 183). Dabei überlegt er nicht, welcher Gemeinde eine solche Taufkapelle gedient haben könnte. Überhaupt kommt die dritte These in der Literatur nur negativ vor: Die Altenfurter Kapelle ist keine Heilig-Grab-Kapelle. Vgl. Schulz a.a.O., S. 44 f. 13 B. Hermann Röttger a.a.O. Sh. Anm. 9 dieser Arbeit.

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Erika Sanden

furter Kapelle“. Andere Rotunden haben weniger gedrungene Bauformen. Aber selbst in den späten, architektonisch durchgearbeiteten Bauwerken wie in Tulln und Pulkau ist die Grundkonzeption erkennbar. Nicht nur der Bauplan ist diesen Kapellen gemeinsam. Es ist sicher kein zufälliges Zusammentreffen, daß Mitglieder all der Stifterfamilien an den Kreuzzügen teilgenommen haben.14 Auf dem Zweiten Kreuzzug urkundeten allein aus der Umgebung König Konrads III.: Markgraf Heinrich II. von Österreich, Markgraf Diepold der Jüngere von Vohburg, Alram von Cham, Hadamar II. und Adalbero III. von Kuenring, Graf Liutold von Plain (Hardegg), Herzog Konrad von Znaim, König Vladislav von Böhmen und unter vielen Amtsbrüdern die Bischöfe Gebhard von Eichstätt und Heinrich von Regensburg.15 In einigen Fällen ist ein direkter Bezug zwischen Kreuzzug oder Pilgerfahrt und dem Bau einer Rundkapelle zu belegen: Vor dem Aufbruch zum Zweiten Kreuzzug stiftete Welf VI., der Gegner des Königs, die Johanneskapelle in Steingaden.16 Ebenfalls eine Johanneskapelle, die „capella speciosa“ in Klosterneuburg, ließ Herzog Leopold VI. von Österreich um 1217 vor seiner Teilnahme am Kreuzzug gegen Damiette erbauen.17 Auf dem Zweiten Kreuzzug konnte Dompropst Walbrunn von Rieshofen eine Kreuzpartikel erwerben. Nach der Heimkehr stiftete er in Eichstätt das Heiligkreuz Kloster und ließ im südlichen Querhaus der Kirche die maßstab­ getreue Nachbildung des Heiligen Grabes errichten.18 Rundkapellen als Nachbildungen des Grabes Christi

Gehen wir davon aus, daß die im 12. und 13. Jahrhundert entstandenen Rund­ kapellen als Abbilder des Grabes Christi gestiftet wurden, und versuchen wir, uns in die Stimmung der Pilger und Kreuzfahrer hineinzudenken: Ziel aller Pilgerfahrten ins Heilige Land waren seit der ausgehenden Antike die Orte, an 14 Karl Bosl: Die Reichsministerialität der Salier und Staufer. Teil I. In: Schriften der Monumenta Germaniae historica 10 (1950), S. 121 f. — Paul Kluckhohn: Die Ministerialität in Südost­ deutschland vom 10. bis zum Ende des 13. Jahrhunderts. Weimar 1916. 15 Reinhold Röhricht: Deutsche Pilgerreisen nach dem Heiligen Land. 2. Aufl. 1880, S. 342—367. 16 Schulz a.a.O., S. 47. 17 Karl Oetinger: Die Babenberger Pfalz in Klosterneuburg als Beispiel einer bairischen Dyna­ stenpfalz. In: Jahrbuch für Fränkische Landesforschung. 19 (1959), S. 371—76. 18 Bauerreiss a.a.O., S. 182 ff. Eigentlich wäre es an dieser Stelle nötig, den archäologischen Befund über die Grabeskirche und das Heilige Grab in Jerusalem zur Zeit der Kreuzzüge zu referieren. Das kann im Rahmen eines Aufsatzes nicht geschehen. Glücklicherweise haben wir mit dem Heiligen Grab in der Heiligkreuz Kirche in Eichstätt eine genaue Nachbildung des Originals vor uns, an der wir uns orientieren können. — Zum ganzen Themenbereich siehe auch: Le Saint-Sepulcre. L’apport del* Histoire et deP Archeologie, in: Le Monde de la Bible 33 (März—April 1984).

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Rundkapelle Altenfurt

denen Jesus Christus auf Erden gelebt hat. Besonders verehrt wurden die Stätten seines Leidens und Sterbens und unter diesen vor allem das Heilige Grab.19 Die Kreuzzüge wurden unternommen, um das Grab Christi zu befreien. „Beschützer des Heiligen Grabes“ nannte sich Gottfried von Bouillon. Schon für 1147 ist das Kreuzfahrerlied überliefert: „In Gottes Namen fahren wir. Seiner Gnad begehren wir. Nun hilf uns die Gotteskraft und das Heilige Grab . . .“.20 Das Grab Christi wird hier geradezu mit der Macht Gottes gleichgesetzt. Das verstehen wir nur auf dem Hintergrund der Depression, die die Menschen in der ersten Hälfte des 12. Jahrhunderts ergriffen hatte. Selbst der vorsichtig urteilende Bischof Otto von Freising war davon überzeugt, daß das bevorste­ hende Endgericht nur durch Verdienst und Fürbitte der zahlreichen Mönche hinausgezögert werde.21 19 Zeugnisse für die um das Jahr 1000 einsetzende Verehrung der Grabstätte Christi sind auch die Busdorfkirche in Paderborn und die Johanneskapelle auf der Krukenburg über Helmars* hausen. Vor dem Bau der Busdorfkirche hatte Bischof Meinwerk von Paderborn (1009—1036) den Abt Wino von Helmarshausen nach Jerusalem geschickt, um die genauen Maße des Hei­ ligen Grabes aufzunehmen. Als Ersatz für eine gelobte Wallfahrt ins Heilige Land stiftete Bischof Heinrich II. von Paderborn (1090—1127) die Johanneskapelle auf der heimatlichen Krukenburg als Nachbildung des Grabes Christi. Beides waren Rundkapellen, an die sich Apsiden anschlossen, so daß sich die Form eines griechischen Kreuzes ergab. Vgl.: Kunst und Kultur im Weserraum. Münster 1966. Bd. 1, S. 168 f. Bd. 2, S. 654 f. — „Iter Sancti Sepulcri“ oder „Via Hierosolymitana“ wurde die Pilgerfahrt genannt. — Das Pilgergelöbnis wurde fol­ gendermaßen bestätigt: „Constitutus talis fervore atque devocionis vovit, Sanctum Dominum Sepulcrum in Jerusalem pergere et visitare.“ Sh. James Brundage: A Note on the Attestation of Crusaders Vows. In: Catholic Historical Review 52 (1966), S. 234—239. — „Das Herz der Welt ist das Grab Christi“, heißt es im zweiten Teil der emphatischen Predigt“In Laudem Sancti Sepulcri“ des Abtes Petrus Venerabilis. Sh. Migne PL Bd. 189, Sp. 978. — Abaelard nennt Jerusalem die „Hauptstadt des Reiches Christi“. Sh. Theologia Christiana. Migne PL Bd. 179, Sp. 1150. — Seit dem 12. Jahrhundert entstanden jene Weltkarten, auf denen das Hei­ lige Land in die Mitte des Kartenbildes rückte. Das Heilige Grab, die Mitte der Welt. Dazu: Wilhelm Rosien: Die Ebsdorfer Weltkarte. 1952. Uwe Ruberg: Mappae mundi des Mittelalters im Zusammenwirken von Text und Bild. In: Text und Bild. Hrsg, von Christel Meier und Uwe Ruberg. Wiesbaden 1980. S. 580 f. — Zum ganzen Themenkreis: Robert Konrad: Das himmli­ sche und das irdische Jerusalem im mittelalterlichen Denken. In: Festschrift für Johannes Spörl. 1965, S. 523—540. — Alphonse Dupront: La spiritualite des croises et des pelerins. In: Convegni del Centro di studi sulla spiritualita medievale. 4 (1963), S. 449—480. 20 Reinhold Röhricht: Die Pilgerfahrten nach dem Heiligen Land vor den Kreuzzügen. In: Histo­ risches Taschenbuch. 1875. S. 356. 21 Otto von Freising: Chronik. Hrsg, von Walter Lammers. Darmstadt 1960. S. 560.

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Viele seiner Zeitgenossen wußten sogar den Ort, an dem das Jüngste Gericht stattfinden sollte: im Tal Josaphat, nahe dem Grab Christi. So kehre Christus als Richter an den Ort seiner Hinrichtung und Bestattung zurück. Otto von Freising kritisiert zwar den Brauch vieler Pilger, sich durch aufgestellte Stein­ male einen günstigen Platz an der Gerichtsstätte zu sichern, aber er wagt nicht, diesen Heilsegoismus als Aberglauben zu verurteilen.22 Aus dieser von Endzeiterwartung und Furcht vor dem Endgericht bestimmten, auf massive Beweise ausgerichteten Frömmigkeit haben wir die Verehrung des Heiligen Grabes zu verstehen. Die Pilger wollten das Osterfest in der Grabeskirche mitfeiern, ihre Öllampen und Kerzen an dem Osterfeuer entzünden, Ampullen mit geweihtem Öl kaufen und womöglich gar ein kleines Stück vom Verputz oder ein Steinbröckchen vom Fußboden des Hei­ ligen Grabes als kostbare Reliquie an sich bringen.23 Wie das irdische Jerusalem verklärt wurde durch die Hoffnung auf das ver­ heißene himmlische Jerusalem24, so war das Grab, aus dem Christus aufer­ standen ist, für die Pilger und Kreuzfahrer das Unterpfand der eigenen Aufer­ stehung. Aus dieser Haltung erklären sich die Nachbildungen des Heiligen Grabes, die die vermögenderen Pilger nach ihrer Heimkehr in Auftrag gaben: Sie wollten das Symbol ihrer Hoffnung greifbar vor sich haben und den Daheim­ gebliebenen Anteil geben an der ihnön zuteil gewordenen Gnade. Tiefster Aus­ druck dieser Frömmigkeit — auch wenn uns die Praxis der Sekundärbestat­ tung abstößt — sind die Karner, die Rundkapellen, in deren Untergeschoß die Gebeine aus den aufgelassenen Gräbern verwahrt wurden. In diesen Kapellen, die dem Ort der Auferstehung Christi nachgebildet sind, erwarten die Toten ihre Auferstehung. Patrozinien der Rundkapellen

Auch die Patrozinien der Rundkapellen bringen die Stimmung der Kreuzzugs­ zeit zum Ausdruck:25

22 a.a.O., S. 522. 23 Reinhoid Röhricht: Pilgerfahrten, a.a.O., S. 356 f. 24 Robert Konrad a.a.O., S. 523 f. Vgl. Anm. 19 dieses Aufsatzes. 25 Neben Johannes und Katharina kommt vor allem der Erzengel Michael als Schutzheiliger von Rundkapellen vor. Nach Dan. 10,13 und 12,1 f., nach Henoch, Baruch, dem „Testament der Patriarchen“ und dem „Leben Adams und Evas“ ist Michael der Beschützer des auserwählten Volkes. Er hat den Leib Adams begraben und mit Luzifer um den Leichnam des Mose gekämpft. — Zwei der drei Rotunden in Prag gehören nach ihren Patrozinien in die Zeit der Kreuzzüge: die Heiligkreuzkapelle in der Altstadt und die Longinuskapelle in der Prager Neu­ stadt.

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Johannes der Täufer ist der Schutzheilige der Kapellen von Altenfurt, Roding, Steingaden, Hardegg, Petronell, Margarethen im Moos, Steirisch Laß­ nitz, Flattnitz und auch der „Capelia speciosa“ in Klosterneuburg.26 Nächst dem Grab Christi war die Taufstelle des Johannes, die sich der Über­ lieferung nach acht bis zehn Kilometer östlich von Jericho am Ostufer des Jordan befand, Hauptziel der Pilger und Kreuzfahrer.27 Das Untertauchen im Jordan sollte wie einst die Taufe des Johannes die Zugehörigkeit zum Gottes­ volk der Endzeit sichern, Vergebung der Sünden und vollkommenen Ablaß gewähren und so auf die Wiederkunft Christi vorbereiten.28 Das Hemd, das die Pilger dabei trugen, bestimmten sie als ihr Sterbehemd. — Sie nahmen Jordan­ wasser mit heim zur Taufe ihrer Kinder, zur Weihe ihrer Häuser, als Heil­ mittel gegen die unheilbaren Leiden des Leibes und der Seele. In der Kreuz­ zugszeit wurde Johannes der Täufer wie in der Ostkirche, wo er den Beinamen „Prodromos“ trägt29, als Vorbereiter der Endzeit und als Fürbitter im Jüngsten Gericht verehrt. Ebenfalls in die Heiligengeschichte der Ostkirche gehört Katharina von Alexandrien, die Schutzheilige der Kapellen von Altenfurt, Znojmo und Mistelbach an der Zaya. — Die Rotunde in Pulkau ist zwar dem heiligen Bar­ tholomäus geweiht, aber im nördlichen Seitenschiff der daneben liegenden Kirche brachte die Restaurierung sehr schöne Fresken mit Szenen aus der Kat­ harinenlegende zum Vorschein. Auch in den Kapellen von Tulln und Roding finden sich Darstellungen aus der Katharinenlegende. Seit seiner Gründung im 4. Jahrhundert war das Dornbuschkloster auf der Sinai-Halbinsel ein Hauptziel der Palästinapilger. Als das Kloster um die Wende vom 8. zum 9. Jahrhundert Bischofssitz wurde, entstand die Kathari­ nenlegende: Engel hätten den Leichnam der um 305 enthaupteten Märtyrin aus Alexandrien gerettet und auf einem Berg in der Nähe des Sinaiklosters bestattet. Die Mönche hätten die Gebeine der Heiligen geborgen und sie als Reliquien in der Kirche ihres Klosters verwahrt.30 Zur Zeit der Kreuzzüge ver26 Johannes dem Täufer ist auch die in der Kreuzzugszeit entstandene Kapelle in Pürgg in der Steiermark geweiht. Das ist zwar keine Rundkapelle, aber nach dem Programm der Ausmalung gehört sie in unseren Themenkreis. 27 Clemens Kopp: Die heiligen Stätten der Evangelien. 2. Auflage. Regensburg 1964. S. 137—39, 145 ff. Ludwig Schneller: Kennst du das Land? Bilder aus dem gelobten Land. 21.Aufl. Leipzig 1905. S. 348. 28 Reinhold Röhricht: Pilgerfahrten a.a.O., S. 364. 29 Hans-Georg Beck: Kirche und theologische Literatur im Byzantinischen Reich. München 1959. S. 262, S. 482. 30 Auf dem Friedhof des Sinaiklosters befindet sich ein Beinhaus. Der Brauch, die Überreste aus den aufgelassenen Gräbern an einem geweihten Ort zu verwahren, geht hier auf die frühe Zeit des Klosters zurück, als die Mönche die Gebeine der verstorbenen Eremiten aus den Felsen­ höhlen in den geweihten Bereich ihres Klosters brachten. Womöglich wurde dieser Brauch in den Karnern aufgenommen und weitergeführt.

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drängte die zu Wunderglauben und Reliquienkult neigende Frömmigkeit die Mosestradition des Dornbuschklosters zugunsten des Katharinenkultes.31 Wählten die Menschen in Johannes den Fürsprecher im Endgericht als Kir­ chenpatron, so ist die heilige Katharina für sie ein Beispiel dafür, daß Gott in der Schwachheit der Menschen seine Macht erweist und selbst den Leib der Verstorbenen aus der Hand der Feinde befreit. Die Altenfurter Kapelle, ein Zeugnis aus der Zeit des Zweiten Kreuzzuges Kehren wir von diesen allgemeinen Beobachtungen zurück zur Altenfurter Kapelle. Ihre Baugestalt entspricht den Heilig-Grab-Kapellen. Ihre beiden Pa­ trozinien, Johannes Baptista und Katharina von Alexandrien weisen in die Zeit der Kreuzzüge. Der Baubefund deutet auf die Entstehung um die Mitte des 12. Jahrhunderts32, also auf die Zeit des Zweiten Kreuzzuges. Damit stellt sich die Frage nach dem Stifter und den möglichen Motiven der Stiftung. Einen Hinweis gibt uns zunächst die Urkunde König Wilhelms von Holland von 1255.33 Das Bauwerk wird hier offiziell als „capella“ bezeichnet, also als ein Sakralbau zur Aufbewahrung von Reliquien und zu privater Andacht. Es ist auf Reichsgut erbaut, eine königliche Eigenkapelle34, die bei der Weihe keinem Bischof tradiert wurde. Erst 1255 ging die Altenfurter Kapelle aus dem Königsgut an das Kloster Heilsbronn über. Unter diesen Voraussetzungen kommt als Stifter nur ein Mitglied des um die Mitte des 12. Jahrhunderts regie­ renden staufischen Herrscherhauses in Betracht: Konrad III. oder Friedrich I. Vieles spricht dafür, König Konrad III. als den Stifter anzunehmen.35 Die Beziehungen Konrads III. zu Nürnberg Diese reichen in die Zeit seines Gegenkönigtums zurück. Mit Wärme schreibt Otto von Freising über die Stadt, deren Bürger schon zu Kaiser Lothars Zeiten auf der Seite der Staufer standen, die ihrerseits das Reichsgut um Nürnberg als Erbe ihrer salischen Vorfahren betrachteten.36 Konrads Machtzentrum lag in Franken, in Würzburg und Nürnberg und reichte bis nach Regensburg. In jedem Jahr seiner Regierung — mit Ausnahme des Kreuzzuges — verbrachte er mehrere Wochen in Nürnberg. Hier hielt er 31 32 33 34

Hans-Georg Beck: a.a.O., S. 123, S. 202 ff. Schulz a.a.O., S. 43 f. Sh. Anm. 5 dieser Arbeit. NUB 359, S. 219. Ulrich Stutz: Die Eigenkirche als Element des mittelalterlich-germanischen Kirchenrechts. Darmstadt 1955. 35 Wilhelm Bemhardi: Konrad III. 2 Bde. In: Janrbücher der Deutschen Geschichte. Leipzig 1883. 36 Otto von Freising und Rahewin: Die Taten Friederichs. Hrsg, von Franz-Joseph Schmale. 1974. S. 158.

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am Georgstag 1147 den letzten Reichstag vor der Kreuzfahrt. Von hier brach er Anfang Mai 1147 auf, um in Regensburg die Führung des Kreuzheeres zu übernehmen. Auf der Burg in Nürnberg ließ er seinen ältesten Sohn zurück. Heinrich VI., gerade zehn Jahre alt, war wenige Wochen vorher, am Sonntag Laetare 1147, zum König gewählt und gesalbt worden. In seinem Namen führten der Kanzler, Heinrich von Mainz, und Konrads persönlicher Freund, Wibald von Stablo, während des Kreuzzuges die Regierungsgeschäfte. Mit wachsender Sorge begleitete Konrad aus der Feme die beiden ersten Regie­ rungsjahre seines Sohnes. Es gibt keinen Brief aus dieser Zeit, ii> dem er den Freund nicht zur Fürsorge für den jungen König verpflichtet oder ihm für seine Treue gedankt hätte.37 Die glückliche Ankunft in Jerusalem teilte Konrad dem Sohn selbst mit.38 Alle Briefe König Heinrichs VI. datieren von Nürnberg.39 Nach Nürnberg kehrte Konrad im Juni 1149 zurück, begleitet von König Heinrich, der den Vater in Regensburg eingeholt und an dem dortigen Reichstag teilgenommen hatte.40 Was veranlaßt uns, Konrad III. die Stiftung einer Heilig-Grab-Kapelle zuzutrauen? Zunächst ist es seine — manchmal unkritische — Offenheit gegenüber den religiösen Gedanken und Bewegungen seiner Zeit. Man hielt ihn eines Briefwechsels mit der heiligen Hildegard von Bingen für fähig.41 Schon 1124, als sich am Fest Mariae Lichtmeß (2. Februar) eine Mondfin­ sternis ereignete, versprach Konrad, sein Leben zu ändern, und gelobte, nach Jerusalem zu ziehen und dort für Christus zu kämpfen.41* Bernhard von Clair­ vaux konnte sich vornehmen, Konrad durch die Macht seiner Predigt — gegen alle politische Vernunft — zur Kreuznahme zu „bewegen“.42 Dem Orden vom Heiligen Grab stand Konrad als Förderer nahe.43 Wesentlicher allerdings ist seine eigene Beurteilung des Zweiten Kreuz­ zuges. Wie ein Rechenschaftsbericht liest sich das Protokoll der ersten Urkunde nach der Rückkehr ins Reich44, in dem Konrad seine Herrschaft 37 38 39 40 41

MGH DD K III. 194, 195, 197, 205. MGH DD K III. 196. MGH DD IX. Bearb. von Friedrich Hausmann. 1969. Otto von Freising: Die Taten Friedrichs a.a.O., S. 266. Bernhard Schmeidler: Bemerkungen zum Corpus der Briefe der hl. Hildegard von Bingen. In: Corona quernea. Festgabe für Karl Strecker: Leipzig 1941, S. 335—66. Schmeidler bezweifelt die Echtheit des Briefwechsels. Besonders S. 351 f. 41a Ekkehard von Aura: Chronik. In: Ausgewählte Quellen zur Geschichte des Mittelalters. Bd. 15. Hrsg. v. Rudolf Büchner, Darmstadt 1972. S. 364. 42 Otto von Freising: Taten Friedrichs, a.a.O., S. 208. 43 Kaspar Elm: St. Pelagius in Denkendorf. In: Festschrift für Otto Herding. Stuttgart 1977. S. 86 f. Hermann Tüchle: Die Kirche oder die Christenheit. In: Die Zeit der Staufer. Bd. 3. Stuttgart 1977. S. 165—76. 44 MGH DD K III. 198.

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durch ein Bündnis von Welfen und Normannen bedroht sah, das bis in die Kreise der Staufer-Ministerialen hineinreichte45: „Nachdem die Stadt Damaskus von den Heiden eingenommen war, machten wir — aufgefordert und ermahnt durch den Heiligsten Vater Eugen und Herrn Bernhard, den allerfrömmsten Abt von Clairvaux, — uns auf den Weg zur Befreiung der Christen. Da wir wegen unserer Sünden vertrieben wurden und wenig erreicht haben, befinden wir uns nun, nachdem wir in Jerusalem das Zeichen des lebenund heilbringenden Kreuzes angebetet haben, auf dem Heimweg . . .“ Diese Sätze sind auf dem Hintergrund der beiden Briefe vom Februar und September 114846 zu verstehen, in denen Konrad dem Freund Wibald die Kata­ strophe beim Vormarsch nach Iconium und bei der Belagerung von Damaskus schildert. Da wird nichts beschönigt. Der Kreuzzug war für die Überlebenden „ein Weg unendlicher Mühsal... bis zur Verzweiflung am eigenen Leben“.47 Konrad kennt die Ursachen für das Mißlingen der Kreuzfahrt.48 Trotzdem übernimmt er als Christ die Deutung Bernhards von Clairvaux49: Der Ausgang des Kreuzzuges ist mehr als eine militärische Katastrophe — ein Gottesurteil über die Sünden seiner Teilnehmer. Waren damit die Leiden der Überlebenden umsonst? Sind die vielen vergeblich gestorben? Konrad klammert sich an seine Hoffnung: „Pilgerfahrt“50 nennt er den Kreuzzug und die „Anbetung des Kreuzes“ Christi ihren Ertrag. Das bleibt, trotz der Katastrophe des Feld­ zuges. Er hätte auch schreiben können: Wir haben das Osterfest am Grabe Christi gefeiert51 und sind auf den Spuren des Herrn durch Samaria und Galiläa gepilgert.52 Noch einmal wird in den Urkunden Konrads der Kreuzzug erwähnt: In der Schutzurkunde für das Kloster Havelberg53, mit der Konrad auch die Schen­ kung der Kirche von Jerichow durch den Bremer Bischof Hartwich von Stade bestätigte, ließ er den Schlußsatz anbringen: „Signum domini Conradi Roma­ norum regis secundi. Anno 11° postquam reversus est a civitate sancta Jherusalem.“ Es ist die einzige Datumsangabe dieser Art in den Urkunden Konrads III. 45 * 42 4» 49 50 51

Otto von Freising: Taten Friedrichs, a.a.O., S. 264. MGH DD K III. 195, 197. MGH DD K III. 204. MGH DD K III. 197. Otto von Freising: Taten Friedrichs, a.a.O., S. 266 f. MGH DD K III. 198: „... propter diutinam peregrinationis moram ..." Ann. Herbipol. „Cunradus rex per mare Jherusalem navigat, ubi hebdomadam palmarum et totam festivitatem pasche in honore sancti sepulchri solempniter fatiens ...“ MG SS XVI. S. 7. Ann. Palid.: „Sepulcrumque Christi debito honore veneratus“. MG SS XVI. S. 83. Dagegen Otto von Freising: Taten Friedrichs. 262 f. 52 Otto von Freising: Taten Friedrichs, a.a.O. S. 264. 53 MGH DD K III. 241, 1150 Dez. 3.

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1150 war Konrads ältester Sohn gestorben. Heinrich VI. war noch nicht 14 Jahre alt. Seine Erhebung zum König und die ersten Jahre seiner Regierung hatten im Zeichen des Kreuzzuges gestanden. Wenn Konrad in der für den Freund Anselm von Havelberg bestimmten Urkunde diese feierliche Datums­ angabe benutzt, dann ist darin wohl mehr als eine Erinnerung an die Kreuz­ fahrt zu sehen. Da richtet ein Christ, der im innerweltlichen Bereich keine Zukunft mehr sieht, seine Hoffnung auf das himmlische Jerusalem, die „heilige Stadt“ der Offenbarung.54 Diesem Herrscher trauen wir zu, daß er eine Kapelle als Abbild des Heiligen Grabes gestiftet hat — aus der Stimmung seiner Zeit heraus und aus eigener Betroffenheit. Wenn das Dargestellte überzeugt, ist die Altenfurter Kapelle eine Heilig- Grab-Kapelle. Die beiden Patrozinien, Johannes der Täufer und Katharina von Alexandrien, sind dann als ursprüng­ lich zu betrachten, wobei Johannes als Vorbereiter der Endzeit und als Für­ sprecher der bedrohten Menschen im Endgericht verstanden wird. Konrad III. hätte demnach die Kapelle nach der Rückkehr vom Zweiten Kreuzzug zwi­ schen 1149 und 1151 erbauen lassen.55 Abschließend noch zwei Bemerkungen: 1. Immer wieder wird gefragt, warum die Kapelle ausgerechnet an der Alten Furt erbaut worden sei. Darüber können hier nur Vermutungen angestellt werden: Das Gebiet um Nürnberg war Reichsgut. Unter dieser Voraussetzung ist der Ort gut gewählt: auf festem Grund im Sumpfgelände, an der Furt, an der Straße, auf der die Pilger nach Jerusalem zogen.56 Vielleicht hat der Stifter bei der Wahl des Ortes auch an die Taufstelle des Johannes gedacht, eine Meile südöstlich von Jericho.57 2. Die andere Frage lautet: Steht die Altenfurter Kapelle als Rotunde nicht in der Tradition der antiken Grabbauten, wie des Grabmals von Theoderich in Ravenna? In ähnliche Richtung gehen die Überlegungen der tschechischen Archäologin Anezka Merhautovä-Livorovä: Die Architektur des Mittelmeer-

54 Off 21,2. Otto von Freising gebraucht den Ausdruck „Urbs Sancta“ auch für das irdische Jeru­ salem. Vgl. Taten Friedrichs, a.a.O. S. 262. 55 Zu erwähnen ist hier Konrads enge verwandtschaftliche und freundschaftliche Beziehung zu dem Basileus Manuel. Wegen seiner schweren Erkrankung verbrachte Konrad im Winter 1147/48 und 1148/49 jeweils mehrere Monate am Hof in Byzanz. Hier wird er mit der Theo­ logie und Heiligenverehrung der Ostkirche und mit dem byzantinischen Baustil vertraut geworden sein. 56 Auch die Kapellen von Petronell, Deutsch-Altenburg und Hainburg liegen an der Straße, auf der die Pilger und Kreuzfahrer ins Heilige Land zogen. 57 Ludwig Schneller, der um 1870 Pastor in Bethlehem war, beschreibt diesen Ort als ein Waldge­ biet mit üppiger Vegetation von Weiden, Silberpappeln, Föhren und Tamarisken. Vgl. Anm. 27 dieser Arbeit.

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raumes habe — vermittelt durch den Patriarchat von Aquileia — die Bauweise der mährischen Rundkapellen bestimmt.58 Für die in der Kreuzzugszeit entstandenen Rotunden läßt sich wohl sagen, daß sie das Grab Christi nachbilden, das in seiner ursprünglichen Form von Konstantin in der Tradition des spätantiken Heroon erbaut wurde. Über die Nachbildung des Grabes Christi findet die Bauform des spätantiken Helden­ grabes in die romanische Architektur nördlich der Alpen Eingang.

Die Altenfurter Kapelle im 13. Jahrhundert Im 13. Jahrhundert scheinen drei Urkunden Licht in die Geschichte der Alten­ furter Kapelle zu bringen: die im Original vorliegende Königsurkunde von 125559, die Papsturkunde von 126460 und die fälschungsverdächtige Königsur­ kunde von 1225.61 Aber sie beleuchten nur die Besitzverhältnisse: Daß die Kapelle 1255 dem Kloster Heilsbronn übertragen wurde und sich 1264 im Besitz des Egidienklosters befand, das bis zur Reformation die wirtschaftlichen Zugehörungen der Kapelle nutzte. Wir hingegen möchten wissen, warum die Kapelle dem Kloster Heilsbronn übertragen wurde, wer sie in der uns bekannten Weise umgebaut hat und wie sie an das Egidienkloster gelangte. Wir sind also darauf ange­ wiesen, die drei Urkunden im Zusammenhang der historischen Ereignisse in der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts zu interpretieren. Die Altenfurter Kapelle im Besitz des Klosters Heilsbronn: Am 27. März 1255, vier Monate vor der nach Nürnberg einberufenen Fürstenversammlung zur Königswahl Ottokars von Böhmen62, übertrug König Wilhelm von Hol­ land63 die Altenfurter Kapelle samt ihren Zugehörungen an das Zisterzienser­ kloster Heilsbronn.

58 Anezka Merhautovä-Livorovä: Einfache mitteleuropäische Rundkirchen. In: Rozpravy Ceskoslovenske Akademie ved. Rada Spolenskych Ved. Rocnik 80 — Sesit 7. 1967. » NUB 359, S. 219. « NUB 404, S. 246. « NUB 203, S. 125. 62 Ottokar von Böhmen empfahl sich der Versammlung als Urenkel Friedrich Barbarossas und war zudem seit 1252 mit Margarete von Österreich, der Witwe Heinrichs VII., verheiratet. Die Königswahl war für den 25. Juli 1255 nach Nürnberg einberufen worden, sicher nicht ohne Zutun der Burggrafen Konrad und Friedrich von Hohenzollem. Als der Papst, Alexander IV., weiterhin an dem Gegenkönig Wilhelm von Holland festhielt, sagte Ottokar seine Teilnahme an der Fürstenversammlung ab — aus Rücksichtnahme auf die von einer Hungersnot betrof­ fene Nürnberger Bevölkerung. Vgl. NUB 362, S. 220. 63 Adolf Ulrich: Geschichte des Römischen Königs Wilhelm von Holland 1247—1256. Diss. Hannover 1882.

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Mit der Auflage, die Mönche sollten dafür sorgen, daß hier Gottesdienst stattfinde64, forderte der König nicht nur die Renovierung und den zweckdien­ lichen Umbau des hundert Jahre alten Bauwerkes, sondern — vor allem — die ständige Anwesenheit einer kleinen klösterlichen Gemeinschaft, die den Got­ tesdienst feiern sollte. Aus der politischen Situation des Jahres 1255 erklärt sich, warum der König das 40 km entfernte Kloster Heilsbronn mit dieser Aufgabe betraute: Die Burggrafen Konrad und Friedrich von Hohenzollem, unter denen Nürnberg zum Zentrum des Widerstandes gegen König Wilhelm von Holland zu werden drohte, waren als Erben der Abenberger zugleich Vögte des Klo­ sters Heilsbronn. Sie bedrückten die Mönche mit harten Forderungen und jahrelangen Prozessen.65 Wenn Wilhelm von Holland sich mit der klöster­ lichen Ansiedlung an der Alten Furt einen Stützpunkt vor der Hochburg seiner Gegner schaffen wollte, lag es nahe, einen Orden zu berufen, für den die Zusammenarbeit mit den Burggrafen nicht in Frage kam.66 Es spricht allerdings auch für die Bedeutung der Alten Furt und der Kapelle, wenn der König, dessen Machtbereich am fernen Niederrhein lag, sich in der bedrohlichen Lage des Jahres 1255 dieses Reichsgutes erinnerte und es bewußt zur Sicherung seiner Herrschaft einsetzte. Aus der Urkunde von 1255 sind vier wichtige Angaben festzuhalten: 1. Die Altenfurter Kapelle war bis 1255 königliche Eigenkapelle.67 2. Sie ging 1255 als Lehen an das Kloster Heilsbronn über.68 3. Bis dahin hatte in der Kapelle kein Gottesdienst stattgefunden. Sie wird als Wegkapelle der Verwahrung von Reliquien und der privaten Andacht gedient haben. 4. Ein Patrozinium ist nicht erwähnt.

64 NUB 359, S. 219: »Insuper de ipsorum industria plena in Domino fiduciam obtinentes ipsis capellam in Altenwrt prope Nuremberg cum suis attinentiis, ut in ea faciant Domino deserviri, possidendam committimus usque ad nostre benepiacitum voluntatis.* 65 Georg Muck: Geschichte des Klosters Heilsbronn. 2 Bde. Nördlingen 1879. Bd. 1, S. 62 f. 66 Obgleich der Butigler, der für das Richteramt über das Reichsgut und den Schutz der Kirchen zuständige Reichsbeamte, seit 1249 nicht mehr in diesen Funktionen erwähnt wird, scheinen die Burggrafen 1255 diese Aufgaben noch nicht wahrzunehmen. Erst 1265 werden sie als Land­ richter urkundlich erwähnt. Dazu siehe: Heinz Dannenbauer: Die Entstehung des Territo­ riums der Reichsstadt Nürnberg. In: Arbeiten zur deutschen Rechts- und Verfassungsge­ schichte 8 (1928), S. 78 f. 67 Siehe Anm. 34 dieser Arbeit. 68 »Ipsis capellam in Altenwrt... possidendam committimus, usque ad nostre benepiacitum voluntatis.“ NUB 359, S. 219.

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Die neuen Besitzer kamen der Auflage, die Kapelle für den Gottesdienst umzugestalten, mit Eifer nach, wobei sie sich offenbar an den Umbauplänen anderer Rotunden orientieren konnten.69 Die Apsis wurde angebaut, der Eingang im Norden zugesetzt und die Tür im Westen neu angelegt oder erweitert. Die Fensteröffnungen wurden neu ein­ gebrochen oder vergrößert. Wahrscheinlich erhielt das Bauwerk damals das zeltähnliche Dach und die Ausmalung des Innenraumes.70 Wie die Abflachung des Mauerwerkes um den Eingang zeigt, war ein Vorbau geplant, vielleicht ein Trichterportal wie in Deutsch-Altenburg und Mistelbach an der Zaya.71 Unter dem Kranzgesims der Apsis ist ein Rundbogenfries, am Mittelfenster der Apsis ein Schachbrettfries andeutungsweise eingetieft. Die Bauarbeiten wurden offenbar ganz plötzlich abgebrochen und später nicht wieder aufgenommen. Da die Kapelle — urkundlich belegt — seit 1264 bis zur Reformation ununterbrochen dem Egidienkloster gehört, erklärte sich der Abbruch der Baumaßnahmen nur mit dem Besitzwechsel. Wie alle späteren Urkunden und Wirtschaftsbücher zeigen, waren die Mönche des Egidienklosters mehr an den wirtschaftlich nutzbaren Zugehö­ rungen interessiert als an dem kirchlichen Bauwerk selbst.72 Für die Umbauar­ beiten hatten die Mönche des Klosters Heilsbronn höchstens den Zeitraum zwischen 1255 und 1264 zur Verfügung. Im folgenden wird versucht, diesen Zeitraum noch enger zu begrenzen und Gründe für den Besitzwechsel aufzu­ zeigen. Wann gelangte die Altenfurter Kapelle an das Nürnberger Egidienkloster? In der Schutzurkunde Papst Alexanders IV. für das Egidienkloster vom 2. Juni 1257 ist die Altenfurter Kapelle nicht erwähnt.73 Angesichts der Bedeu­ tung, die die beiden späteren Urkunden diesem Bauwerk und seinen Zugehö­ rungen zumessen, ist aus dem Schweigen zu entnehmen, daß die Kapelle 1257 69 Möglich, daß der Anbau der Apsis als Altarraum und die Anlage des Eingangs gegenüber den liturgischen Bedürfnissen des 13. Jahrhunderts entsprachen. Es kann aber auch sein, daß der um die Mitte des 12. Jahrhunderts erfolgte Umbau des Heiligen Grabes in Jerusalem in den Umbauten der Rundkapellen nachgeahmt wurde. Dazu vgl. die Berichte von den Ausgra­ bungen am Heiligen Grab und im Bereich der Grabeskirche in Jerusalem von Charles Coüasnon, OP: The Church of the Holy Sepulchre in Jerusalem. In: The Schweich Lectures of The British Akademy. Oxford 1974. 70 Schulz: a.a.O.7 S. 40. 71 Mistelbach an der Zaya. Bd. 1. Hrsg, von Herbert Mitscha Märheim. Mistelbach 1974, S. 42 f. Eduard von Sacken: Die Kirche und Rundkapelle zu Deutsch-Altenburg in Niederösterreich. In: Mitteilungen der kk. Central-Commission zur Erforschung und Erhaltung der Baudenk­ male Bd. 1. 1856, S. 251—54. 72 Es geht eigentlich nur noch um die Nutzung von Holzrecht und Fischweihern sowie der Ein­ nahmen aus dem Opferstock der Kapelle. Selbst der bei der Kapelle ansässige Einsiedler kommt nur in seiner Funktion als Waldarbeiter vor. 73 NUB 373, S. 227.

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noch dem Kloster Heilsbronn gehörte. Der Schutzbrief Papst Urbans IV. für das Egidienkloster vom 10. Juli 1264 führt die „Kirche der Heiligen Johannes und Katharina“ an erster Stelle eines summarischen Güterverzeichnisses an — gleich hinter dem Kloster selbst.74 Wie die Kapelle zwischen 1255 und 1264 in den Besitz des Eigidienklosters und in den kirchenrechtlichen Stand der Kirche (ecclesia) gelangt war, wird nicht mitgeteilt. Diese Frage wird zunächst zurückgestellt. Neben der Benen­ nung der Altenfurter Kapelle als „Kirche“ fällt — zwischen andere Bestim­ mungen eingeschoben — die folgende Angabe auf: „Wir verbieten darüber hinaus, daß jemand es wage, innerhalb der Grenzen eurer Pfarrei — sofern ihr eine habt — ohne Erlaubnis des Diözesanbischofs und eure Zustimmung eine Kapelle oder ein Oratorium neu zu errichten, päpstliche Privilegien ausge­ nommen.“75 Der gesamte Schutzbrief ist nach dem Engelthaler Privileg von 1248 ausgefertigt.76 Der Einschub — „si eam habetis“ — fehlt in der Vorlage. Der zitierte Absatz richtet sich gegen das Eigenkirchenrecht des Adels — für das Kloster Engelthal mit seiner ausgedehnten Pfarrei durchaus ein Problem. Das Egidienkloster hatte keine Pfarrei. Es hätte nahegelegen, diesen Absatz wegzulassen. Wenn er trotzdem übernommen wurde, muß eine Absicht unter­ stellt werden. Tatsächlich war dieses Thema für das Egidienkloster aktuell: Die Altenfurter Kapelle war eine königliche Eigenkapelle. Sie war durch die Heilsbronner Mönche zwar nicht neu erbaut, aber erheblich umgebaut worden, ehe sie auf eine für uns nicht mehr zu klärende, aber sicher rechtlich anfechtbare Weise an das Egidienkloster gelangte.77 Es ging nun darum, den Neuerwerb rechtlich absichem zu lassen, um den kritisch fragenden Zeitgenossen die Version von der auf dem Klostergut von St. Egidien illegal errichteten und erst nachträglich kirchenrechtlich legiti­ mierten Eigenkapelle anbieten zu können.78 Obgleich die Mitarbeiter der 74 NUB 404, S. 246: .. ecclesiam sanctorum Johannis et Katherine in Altenfurt cum omnibus pertinenciis suis ..." 75 NUB 404, S. 247: „Prohibemus insuper, ut infra fines parrochie vestre — si eam habetis — nullus sine assensu diocesani episcopi et vestro capellam seu Oratorium de novo construere audeat, salvis privilegiis pontificum Romanorum.“ 76 Johann Christoph Martini: Beschreibung des ehemaligen berühmten Frauenklosters Engelthal in dem Nürnbergischen Gebiete. Nürnberg 1768. S. 17—21. Offenbar bestand eine enge Ver­ bindung zwischen St. Egidien und dem Kloster Engelthal: In der Schenkungsurkunde für En­ gelthal von 1243 erscheint der Abt von St. Egidien an zweiter Stelle einer langen Zeugenreihe nach dem Abt von Kastl. A.a.O., S. 10—11. 77 Die rechtmäßige Besitzübertragung der Altenfurter Kapelle vom Kloster Heilsbronn an das Egidienkloster wird nicht einmal behauptet. Es wird so formuliert, als wäre die Übertragung des Königsgutes an das Kloster Heilsbronn niemals erfolgt. 78 Vielleicht soll die Erwähnung der „Kirche“ in Altenfurt im Zusammenhang mit dem als Muster benutzten Engelthaler Privileg den Eindruck erwecken, als sei mit dieser Kirche der Heiligen Johannes und Katharina eine Pfarrei des Klosters St. Egidien verbunden.

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päpstlichen Kanzlei durchaus kritisch waren, wie der Einschub zeigt, der die Existenz einer Parochie beim Egidienkloster in Frage stellt, durften die Mönche von St. Egidien in Rom eine gewisse Objektfeme voraussetzen. Durch die Wahl eines zweckdienlichen Musters, des Engelthaler Privilegs von 1248, durch sprachliche Manipulation79 und durch die als Beweismittel vorgelegte Urkunde Heinrichs VII. von 1225, von der noch zu sprechen ist, erlangte das Egidienkloster die Absicherung seiner Besitzrechte an der Altenfurter Kapelle in der Papsturkunde von 1264. Die Schutzurkunde Heinrichs VII. für das Egidienkloster vom 2. Juli 1225 liegt uns nur als Transsumpt der Bestätigungsurkunde Rudolfs von Habsburg vom 21. Januar 1276 vor.80 Sie wurde nach dem Privileg gleichen Datums für das Regensburger Schottenkloster erstellt81 und gilt als fälschungsverdächtig.82 Darin ist an drei Stellen von der Altenfurter Kapelle die Rede83: In der Einlei­ tung wird die „Kirche“ in Altenfurt als Zugehörung des Egidienklosters 79 80 81 82 83

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Vor allem die Bezeichnung „Kirche“ für die Altenfurter Kapelle. Sh. Anm. 73. NUB 203, S. 125 f. Transsumpt von 1348. Winkelmann: Acta Imp. ined. I, Nr. 452, S. 386. Dieser Befund wird in der vorliegenden Arbeit erhärtet. NUB 203, S. 125—26: Quapropter notum sit Omnibus Christi fidelibus tarn presentibus quam futuris, qualiter monasterium Scotorum et Hybemiensiumc) in Nurenberg«2) constructumd necnon ecclesiam2) in Altenfurte*) vulgo dictam ad idem monasterium sancti Egidii Scotorum attinentem... rogatu Martini abbatis et fratrum eiusdem monasterii atque fratrum sancti Johannis et sancte Katherine in Altenfurte*) supplicacione, que Scotis sancti Egidii subdita esse probatur, cum omnibus possessionibus... in mundiburdium defensionis nostre suscepimus eo scilicet tenore, ut, sicut constitutum«) est ab antecessoribus nostris imperatoribus et regibus, idem monasterium sancti Egidii in Nuremberg ac ecclesia in Altenfurteh) necnon et bona ei*) attinencia ac ibidem solummodo Scoti et Hybemiensese) inhabitantes et nulli alii perpetuam libertatem habeant et tutelam. Tantum eciam humane prosperitatis bonum in adsciscendisk) pauperibus Christi Scotis et Hyberniensibus*) animadvertentes decemimus et regia auctoritate prohibemus, ne quis preter Scotos et Hybemienses«) prefatam ecclesiam sancti Egidii monastico habitu inhabitet.1) Quiam) eciam predicta ecclesia de eleemosinis regalibus fundata est, ubicumque abbas vel monachi sui regie curie interfuerint, stipendia a curia, sicut ab antiquo statutum est, habeant, statuentes, ut nulla persona humilis vel alta, ecclesiastica vel secularis in eos aut in°) bona eorum qualemcumque dominacionem habeant preter nos et successores nostros reges vel imperatores excepto abbate sancti Jacobi Scotorum Ratispone. — Es ist fast unmög­ lich, die Aussagen über die Altenfurter Kapelle zu interpretieren. Der mehrmalige Subjektwechsel gibt dem Text eine — sicher beabsichtigte — Unklarheit. Diese sprachlichen Manipu­ lationen sind in der Regensburger Vorlage vorgegeben. Zunächst ist von dem „monasterium sancti Egidii in Nuremberg* die Rede, außerdem von der „ecclesia in Altenfurte“. Der folgende Satz schließt inhaltlich an mit „prefatam ecclesiam sancti Egidii*. „Prefatam ecclesiam*, damit könnte eigentlich nur die Altenfurter Kapelle gemeint sein. Von einer „ecclesia sancti Egidii*war im vorhergehenden noch nicht die Rede. Der anschließende Satz, der mit „Quia pre­ dicta ecclesia .. .* eingeleitet wird, handelt von den Privilegien einer königlichen Eigenkirche. Er kann sich inhaltlich nur auf die Altenfurter Kapelle beziehen. Formalgrammatisch ist er auf die vorher genannte „ecclesia sancti Egidii* bezogen. Durch die Wörter „predicta“ und „prefata* ist es möglich, die Aussage über die Eigenkapelle auf die „ecclesia in Altenfurte* zu bezie­ hen.

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bezeichnet. Weiter heißt es, das Privileg werde ausgestellt auf Bitten des Abtes Martin und der Brüder von St. Egidien, sowie auf Ersuchen der Brüder von St. Johannes und St. Katharina in Altenfurt, einer Kirche, die den Schotten von St. Egidien bekanntlich unterstellt ist. Außerdem unterstreicht König Heinrich VII. die Bestimmungen seiner Vorgänger: „Es sollen das Kloster St. Egidien in Nürnberg und die Kirche in Altenfurt. .. und nur die dort wohnenden Schotten und Iren — unter Ausschluß aller anderen — immerwährende Frei­ heit und steten Schutz haben.“ „Kraft königlicher Autorität verbieten wir, daß jemand anderes als Schotten und Iren die genannte Kirche (des heiligen Egidius) als Mönch bewohne.“ Die Tendenz dieser Urkunde ist, soweit sie die Altenfurter Kapelle betrifft, offenkundig. Es geht darum: 1. die Besitzrechte des Egidienklosters zu legitimieren, 2. die Vertreibung der Heilsbronner Mönche zu rechtfertigen. Zu 1) Die Formulierungen, die „Kirche“ in Altenfurt „gehöre“ dem Egidienkloster, oder sie sei dem Egidienkloster „bekanntlich unterstellt“, gehen auf die Regensburger Vorlage zurück. Abgesehen davon, daß sie unangemessen sind, das Verhältnis einer klösterlichen Filiale zu ihrem Mutterkloster zu beschreiben, wirken sie — beabsichtigt — unklar. Besonders das Wort „bekanntlich“ stört. Es wird heute noch in der gleichen Weise gebraucht, wenn ein keineswegs allgemein bekannter Sachverhalt verschleiert oder der kriti­ schen Nachprüfung entzogen werden soll. Abweichend von der Regensburger Vorlage, in der nur die einzelnen Besitztitel aufgezählt sind, führen die Mönche von St. Egidien in dieser Urkunde mit größter Sorgfalt den Nachweis über die Herkunft des gesamten Klosterbesitzes, in der Absicht, den Erwerb aller Güter in der Zeit vor 1225 zu belegen und möglichst auf König Konrad III. selbst zurückzuführen. Andere Herrscher kommen als Stifter von Klostergut nicht vor. Damit sind wir beim Anlaß der Urkunde in der uns vorliegenden Form:84 Schon auf dem ersten Hoftag in Speyer, wenige Wochen nach seiner Krönung, forderte König Rudolf von Habsburg die Rückgabe aller unter den letzten Staufern, den Gegenkönigen und in der Zeit des Interregnums entfremdeten Reichsgüter. Er hatte bereits Maßnahmen getroffen, nach 1245 erworbene Güter, für die keine überzeugenden Besitztitel beizubringen waren, zugunsten

84 Anders als der Herausgeber des NUB (S. 128) bin ich der Auffassung, daß die Fälschung in der uns vorliegenden Form des genauen Besitznachweises kurz vor dem Ausstellungsdatum der Bestätigungsurkunde (21.1.1276) zu datieren ist. Die Absicht der Fälschung in der ursprüngli­ chen Form (vor 1261) lag darin, die Vertreibung der Heilsbronner Mönche zu rechtfertigen.

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des Reiches einziehen zu lassen.85 In dieser Situation gestalteten die Mönche von St. Egidien die nach dem Regensburger Privileg von 1225 konzipierte Königsurkunde zu einem pedantischen Herkunftsnachweis des ganzen Klo­ sterbesitzes um. Da sie für den Erwerb der Altenfurter Kapelle keinen Rechtstitel beibringen konnten, versuchten sie, diesem Mangel durch den Traditionsbeweis abzu­ helfen: Schon 1225 gehörte die „Kirche“ in Altenfurt so selbstverständlich zum Kloster, daß man dafür keinen Besitztitel brauchte, so wenig wie für das Kloster selbst. Diese Fälschung im Jahre 1276 hätte dem Egidienkloster nichts genützt, wenn es nicht mit der Zustimmung der Heilsbronner Klostervögte in den Besitz der Altenfurter Kapelle gelangt wäre. Immerhin war der Nürnberger Burggraf Friedrich von Hohenzollern einer der engsten Freunde Rudolfs von Habsburg. Zu 2) Mit der in keiner späteren Urkunde wiederholten Behauptung, bei der Alten­ furter Kapelle habe sich vor 1225 eine Filiale des Egidienklosters befunden, sollte gegenüber dem Kloster Heilsbronn die Priorität der klösterlichen Ansiedlung beansprucht werden. Die gleiche Absicht steht auch hinter der Aussage: Nur Iren und Schotten sollten im Egidienkloster und in der „Kirche“ in Altenfurt auf Dauer Freiheit und Schutz genießen. Das heißt: Es ist schon möglich, daß sich Angehörige eines anderen Ordens zeitweise in der Altenfurter Kapelle (und den zugehörigen Gebäuden) angesie­ delt hatten. Allerdings waren sie dazu nicht berechtigt. Daher konnte ihr Aufenthalt dort auch nicht von Dauer sein. Diese Argumente haben ihren historischen Ort in der Zeit gleich nach der Vertreibung der Heilsbronner Mönche. Offenbar war das Egidienkloster daran maßgeblich beteiligt, und die Schottenmönche sahen sich der Kritik aus­ gesetzt. Wann war das? Hier hilft uns eine unscheinbare Abweichung in den Angaben der Papstur­ kunde von 126486 und der Urkunde von 1225: In der Urkunde Urbans IV. von 1264 wird ein Dorf namens „Heul“ erwähnt, das der Burggraf Konrad dem Egidienkloster in frommer Großmut geschenkt habe. Er ist der einzige in der Urkunde erwähnte Stifter. Offenbar hat die Schenkungsurkunde für diesen neuen Besitz in Rom Vorgelegen. In der Urkunde von 1225 werden „9 Mansen“ in dem Dorf „Heul“ als Geschenk des Burggrafen Gottfried von Nürnberg, wohl des Zeitgenossen Konrads III., erwähnt. Die Nennung des 85 Heinz Dannenbauer: Die Entstehung des Territoriums der Reichsstadt Nürnberg. S. 95 f. MGH Const, 3, Nr. 28—33, 72, 87. * NUB 404, S. 246.

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Burggrafen Konrad hätte der Tendenz der Urkunde entgegengewirkt87 und hätte auch nicht zum Jahr 1225 gepaßt. Die Angabe in der Papsturkunde ist sicher richtig: Es handelt sich um den Nürnberger Burggrafen Konrad von Hohenzollern. Er starb 1261. Ein Jahr vor seinem Tode hatte er die mehr als 15 Jahre andauernden Streitigkeiten mit dem Kloster Heilsbronn bereinigt. Er habe dem Kloster ungerecht Güter entrissen und Rechte aufgehoben. Im Gedenken daran, daß es ohne Wiederherstellung des Schadens keine Sünden­ vergebung gebe, schenke er den Mönchen alle seine Güter innerhalb und außerhalb des Dorfes Veldebrecht.88 Nach dieser Aussöhnung wird er das Klo­ ster Heilsbronn nicht mehr geschädigt haben. Zu den dem Kloster gewaltsam und schuldhaft entrissenen Gütern gehörte sicher auch die Altenfurter Kapelle. Es ist anzunehmen, daß die Heilsbronner Mönche um 1260 von der Alten Furt vertrieben wurden. Möglicherweise ließ der Burggraf die mit Bauarbeiten beschäftigten Mönche derart behelligen, daß sie nicht weiter bauen konnten, und er einen Vorwand hatte, die Kapelle dem Egidienkloster zu übertragen, dessen Vogteirechte er erstrebte.89 Offizielle Besitzrechte an der Altenfurter Kapelle hat das Egidien­ kloster niemals erlangt. Nur der König hätte sie verleihen können. Es war aber die Zeit des Interregnums. Um dem neuen Besitz wenigstens den Anschein der Rechtmäßigkeit zu geben, mußte eine Urkunde beschafft werden. In dieser heiklen Situation bot das Regensburger Mutterkloster die eigene Schutzurkunde Heinrichs VII. vom 2. Juli 1225 als Vorlage an. Es erwies sich als vorteilhaft, die Beziehung des Egidienklosters zur Alten­ furter Kapelle entsprechend dem Verhältnis des Schottenklosters St. Jakob zur „Kirche“ Weih-Sankt-Peter und dem dort ansässigen kleinen Konvent zu gestalten. So entstand um 1260 das Privileg Heinrichs VII. für das Nürnberger Egidienkloster vom 2. 7. 1225.90 Damit war die Situation natürlich völlig verändert: nicht das Egidienkloster hatte in jüngster Vergangenheit den Besitz des Klosters Heilsbronn an sich gebracht, sondern die Mönche des Klosters Heilsbronn hatten sich unter Miß­ achtung der alten Privilegien des Egidienklosters an der Alten Furt angesiedelt und auch noch an der Kapelle gebaut. Mit der Vertreibung der Zisterzienser 87 Vgl. Anm. 84. 88 Georg Muck: Geschichte des Klosters Heilsbronn a.a.O., S. 62 ff. 89 Wahrscheinlich wehrt sich das Kloster gegen diese Bestrebung, indem es in der gefälschten Urkunde von 1225 das Verbot der Vogtei formuliert, das in der Vorlage fehlt. Entgegen den tatsächlichen Verhältnissen wird hier auch das Verbot des weltlichen Gerichts im Bereich des Egidienklosters behauptet. Das Egidienkloster war— 1294 urkundlich belegt — Malstätte des Landgerichts. Dieses lag seit 1. Dezember 1265 in der Hand der Burggrafen von Nürnberg. Vgl. NUB S. 128, A. 1. Dannenbauer: Territorium der Reichsstadt Nürnberg. S. 83. 90 Vgl. NUB, S. 128, Anmerkung.

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hatte das Egidienkloster nur den alten, rechtmäßigen Zustand wiederherge­ stellt. Da während des Interregnums eine königliche Bestätigung dieses gefälschten Privilegs nicht zu erlangen war, ließen die Mönche von St. Egidien sich ihre Besitzrechte an der Altenfurter Kapelle durch die Papsturkunde vom 10. Juli 1264 bestätigen.91 Eine Abschrift des gefälschten Privilegs hat offensichtlich in Rom Vorgelegen. Die Bezeichnung „Kirche“ für die Altenfurter Kapelle wurde daraus in die Urkunde Urbans IV. übernommen. Kirche im kirchenrechtlichen Sinne ist die Altenfurter Kapelle nie geworden. In den späteren Urkunden wird diese Bezeichnung auch nicht mehr gebraucht. So ist in dem Brief Karls IV. vom 3. Oktober 1372 von dem Einsiedler die Rede, „der zu der Kapell, der zu dem Altenfurt im Forst gesessen ist“92 und das Holzrecht für das Egidien­ kloster wahrnahm. Die Heilsbronner Mönche hatten die Kapelle nur 5 Jahre in ihrem Besitz. Die Spuren ihrer Bautätigkeit haben sich bis heute erhalten. Warum hat das Kloster Heilsbronn die Entfremdung seines — durch die Königsurkunde von 1255 ausgewiesenen — Besitzes widerspruchslos hinge­ nommen? In der Zeit des Interregnums gab es keine Instanz, bei der die Zister­ ziensermönche hätten Beschwerde führen können. Ein König war nicht da. Der Butigler, jener Reichsbeamte aus dem Ministe­ rialenstand, der seit der Stauferzeit das Reichsgut um Nürnberg verwaltete und die Aufsicht über die Kirchen und das Landgericht innehatte, wird seit 1246 nicht mehr erwähnt. Seit 1. Dezember 1265 lag das Landgericht offiziell im Machtbereich der Burggrafen.93 Sie müssen es in der Zwischenzeit an sich gerissen haben. Womöglich brachten sie sogar kraft dieses usurpierten Amtes das Kloster Heilsbronn um seinen rechtmäßigen Besitz an der Altenfurter Kapelle. Als 1273 mit Rudolf von Habsburg endlich wieder ein König da war, stand sein Regierungsprogramm, die Rückgewinnung aller unter den Gegenkönigen entfremdeten Reichsgüter, einer Beschwerde im Wege. Möglicherweise aber hatte der Burggraf Konrad das Kloster Heilsbronn für den Verlust der Alten­ furter Kapelle großzügig entschädigt.94

n Vielleicht versprachen sich die Mönche auch von der geringeren Vertrautheit mit den lokalen Verhältnissen einen Vorteil. 92 Franz von Soden: Historisch-topographische Beschreibung der uralten Kapelle zu Altenfurt. Nürnberg 1834. S. 51. 93 Dannenbauer: Territorium der Reichsstadt Nürnberg, S. 83. 94 Sh. Anm. 84.

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Die Legende von der Stiftung der Altenfurter Kapelle durch Karl den Großen

Ausgehend von der Erklärung des Wortes „capella“, das als Verkleinerung von „capa“ Mantel oder Umhang bedeutet, erzählt der Nürnberger Stadtschreiber Johannes Müllner 1623 die Legende von der Stiftung der Altenfurter Kapelle, die er aus den Büchern des Egidienklosters entnommen habe.95 Karl der Große habe bei seinen Jagden im Reichswald stets ein Zelt mit den Reliquien des hei­ ligen Dionysios und dem Mantel des heiligen Martin von Tours mitgeführt. An den jeweiligen Standorten des Reliquienzeltes habe er später Rundkapellen in Form und Größe dieses Zeltes erbauen lassen. Eine davon sei die Altenfurter Kapelle.96 Papst Leo III. habe sie geweiht und für die Kirchweihtage mit Ablaß ausgestattet. Karl der Große habe die Altenfurter Kapelle den Schottenmön­ chen „befohlen“, für die er zuvor in der Nähe der Nürnberger Burg eine Mar­ tinskapelle errichtet habe. Müllner betrachtet diese Erzählung skeptisch, denn er versteht sie, ohne ihre Tendenz zu betrachten, als den naiven Versuch, die Entstehung der Kapelle und die Herkunft gewisser Privilegien zu erklären. Versuchen wir, die Aussageabsicht der Legende zu verstehen: Der Verfasser wußte um den Bautyp97 und die Funktion als Aufbewahrungsort von Reli­ quien. Die Legende entstand in einer Zeit, als sich die Praxis der Ablaßgewäh­ rung an Kirchweihtagen bereits durchgesetzt hatte. Die Altenfurter Karlslegende steht in einem breiten Traditionsstrom: In der Nachfolge des heroisch überhöhten Karlsbildes der französischen Dichtung und Geschichtsschreibung98 entstand im deutschen Raum die Legende von dem heiligen Idealherrscher.99 Die staufische Publizistik war bestrebt, unter Berufung auf Karl den Großen die Machtstellung des Kaisers gegenüber dem Papst aufzuwerten: Karl führte Papst Leo III. wieder nach Rom zurück. Er setzte die Kurfürsten als Königswähler ein und dehnte das Reich bis nach Apu­ lien aus. Karl war sogar Führer eines Kreuzzuges und brachte die Christusreli­ quien nach Aachen und St. Denis. Ein Zentrum der Legendenbildung war Regensburg. Hier entstanden zwi­ schen 1135 und dem Ende des 13. Jahrhunderts das „Rolandlied“ des Pfaffen Konrad, die „Kaiserchronik“ und die „Translatio sancti Dionysii“ des Otloh von St. Emmeram. Eine Eigenart der Regensburger Karlslegenden ist die Dar95 Annalen der Reichsstadt Nürnberg (Anmerkung 1) a.a.O., S. 24 f. 96 Es werden noch die Kapelle in Persschen und Weih-Sankt-Peter in Regensburg genannt. 97 Als die Karlslegende entstand — vor 1261 — waren die Kapellen offenbar mit dem kegelför­ migen Dach versehen, wie es in Altenfurt bei der Restauration wiederhergestellt wurde. 98 Robert Folz: Le Souvenir et la legende de Charlemagne dans PEmpire germanique medieval. Paris 1950. 99 Frank Shaw: Karl der Große und die schottischen Heiligen, ln: Deutsche Texte des Mittelal­ ters. Bd. 71 (1981). Hier wird die ältere Literatur zur Karlslegende in einem sorgfältigen Litera­ turverzeichnis erfaßt.

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Stellung der besonderen Ergebenheit des Kaisers gegenüber der Kirche. Im Schottenkloster St. Jakob entstand zwischen 1245 und 1261 eine eigene Ver­ sion der Karlslegende, der „Libellus de fundacione ecclesie consecrati Petri Ratispone“, die Schottenlegende.100 In dieser weitschweifigen Chronik wird die „Kirche“ Weih-Sankt-Peter als königliche Eigenkirche beschrieben. Von Karl dem Großen gestiftet, wurde sie nicht von dem zuständigen Diözesanbischof geweiht, nicht einmal von Papst Leo III., der unterwegs in Verona starb, sondern von Petrus selbst. Papst Leo III. hatte durch seinen Legaten die zahlreichen mit der „Kirche“ Weih-Sankt-Peter verbundenen Ablässe bestätigen lassen und durch eigene ergänzt. Die enge Verbindung des Schottenklosters St. Jakob und der „Kirche“ Weih-Sankt-Peter geht auf Karl den Großen zurück. Er hat beide Kirchen und die damit verbundenen klösterlichen Ansiedlungen gestiftet und angeordnet, daß darin nur Schottenmönche Aufnahme finden sollten. Die Bestimmungen der Urkunde Heinrichs VII. von 1225 werden durch den „Libellus“ auf Karl den Großen zurückgeführt. Dieses „Büchlein von der Gründung der Kirche Weih-Sankt-Peter in Regensburg“ oder zumindest einen Auszug daraus hat Johannes Müllner101 unter dem Titel „Regensburgische Bischofschronik“ in den nachgelassenen Büchern des Nürnberger Egidienklosters gefunden. Es ist die Vorlage für die Legende von der Gründung des Egidienklosters und der Altenfurter Kapelle durch Karl den Großen. Die Mönche von St. Egidien werden den Libellus zusammen mit dem Privileg Heinrichs VII. von ihrem Mutterkloster St. Jakob in Regensburg erhalten haben, um beide Schriftstücke den eigenen Verhältnissen entsprechend umzugestalten. In der Tat füllt die Karlslegende die Informationslücke der Urkunde von 1225. In dem Privileg wird mitgeteilt, daß die Altenfurter Kapelle 1225 bereits dem Egidienkloster gehörte. Durch die Karlslegende erfahren wir, wer sie gestiftet hat und wann sie in den Besitz des Egidienklosters gelangt war: Karl der Große ließ die Altenfurter Kapelle als Eigenkapelle102 erbauen, und er stif­ tete das Egidienkloster. Ihm unterstellte er die Altenfurter Kapelle, und in beiden Bauwerken siedelte er Schottenmönche an. Karl der Große hat die enge Verbindung zwischen dem Nürnberger Egidienkloster und der Altenfurter Kapelle gestiftet. Gegen diesen mächtigen „Traditionsbeweis“ der Legende konnten die Mönche des Klosters Heilsbronn sich nicht durchsetzen, auch wenn sie eine Königsurkunde im Original vorzuweisen hatten. 100 Shaw: a.a.O., S. XXV. Der Libellus lehnt sich inhaltlich eng an die Vita Mariani an und setzt die Kenntnis der in der Urkunde Heinrichs VII. von 1225 aufgezählten Besitztümer des Jakobsklosters voraus, ebenso das Privileg Friedrichs I. von 1245, das der Stadt Regensburg die Selbstregierung verbürgt. 101 Johannes Müllner: Annalen, S. 102 f. Trotz der kritischen Abwertung durch den Historiker des 17. Jahrhunderts ist die Vorlage aus der Inhaltsangabe klar erkennbar. 102 Die historische Distanz und die Autorität Karls des Großen ermöglicht den Mönchen das Ein­ geständnis, daß es sich um eine königliche Eigenkapelle handelt.

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DER OSTCHOR DER SEBALDUSKIRCHE Von Andreas Marx Dieser Aufsatz ist die gekürzte Fassung meiner Magisterarbeit „Zur Archi­ tektur des Ostchors der Kirche St. Sebald in Nürnberg“, Bamberg 19821. Hauptgegenstand ist der mittelalterliche Baubestand des Ostchores. Dabei wird kein Wert gelegt auf die Eingliederung des Baus in die allgemeine Kunst­ geschichte mit Hilfe stilkritischer Argumente. Vielmehr wird versucht, das derzeitige unmittelbare Wissen zur Chorarchitektur zusammenzufassen und durch einige Beobachtungen zu ergänzen. Anstelle der somit weitgehend unberücksichtigten Bauornamentik und Bauskulptur werden in einem wei­ teren Abschnitt zentrale Ausstattungsstücke und Funktionen des Ostchores besprochen. Am Anfang steht ein Kapitel zur großen Restaurierung 1882—1906, die starke Eingriffe in die mittelalterliche Substanz mit sich brachte und anders als die noch laufende Nachkriegswiederherstellung z. Zt. besser zu fassen ist. Darin wird auch dem Verbleib der alten Unterlagen nach­ gegangen, die für eine umfassende Baugeschichte von großem Interesse wären. Inhaltsübersicht A. Die Restaurierung 1882—1906 (S. 24—36) Überblick S. 24 — Gutachten S. 24 — Berichte S. 25 — Chronologie S. 26 — Einschätzung S. 27 — Pläne S. 30 — Fotos S. 32 — Modelle S. 32 — Ausgetauschte Originalsteine S. 33 B. Zum Bau (S. 36—63) Quellen zur Baugeschichte S. 36 — Portale S. 43 — Kapellen S. 45 — Die gotischen Fenster im ehemaligen Querhaus S. 47 — Sakristeien S. 49 — Baunähte S. 51 — Steinschnitt S. 52 — Maßwerkrippen S. 55 — Chorga­ lerie S. 56 — Zum Bauablauf S. 58 — Unregelmäßigkeiten S. 59 — Bau­ leute S. 60 — Sog. ,Meisterzeichen* S. 61 C. Ausstattung und Funktionen (S. 63—83) Altäre S. 63 — Sakramentsnische S. 65 — Grablegen S. 65 — Wallfahrt S. 71 — Aufbewahrung der Reliquien S. 73 — Sebaldsfest S. 77 — Herr­ scherbesuche S. 79 D. Anhang

1 Wie schon dort, so möchte ich mich auch an dieser Stelle bei dem Pfarrer von St. Sebald, Herrn Bibelriether, dem Betreuer der Arbeit, Herrn Suckale, sowie bei meinen Eltern für gewährte materielle und ideelle Unterstützung bedanken.

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A. Die Restaurierung 1882—1906

Um mit einigen Namen und Begriffen bekanntzumachen, soll ein kurzer Überblick den Anfang bilden. Zur Einleitung der Restaurierung gab die Verwaltung des vereinigten protestantischen Kirchenvermögens — als Besitzer der Kirche — 1882 drei Gutachten in Auftrag, und zwar bei Franz Josef Denzinger (Restaurator der Dome in Regensburg und Frankfurt/M.), August von Essenwein (dem Direktor des GNM) und dem Architekten Georg von Hauberrisser (v. a. neugotisches Rathaus und Paulskirche in München). Aufgrund dieser Gutachten sollte Denzinger die Wiederherstellung übernehmen; nachdem er aus zeitlichen Gründen abgelehnt hatte, wurde Hauberrisser damit beauftragt. Der in München ansässige Hauberrisser schickte seinen Schüler Joseph Schmitz als Bauleiter vor Ort nach Nürnberg, damals (1888) 28 Jahre alt. Im Lauf der Jahre entwickelte sich Schmitz zum eigentlichen Träger der Restaurierung, was 1903 in der Übernahme der Gesamtleitung manifest wurde. Bei der Lösung größerer technischer Probleme leisteten verschiedene Nürnberger Ingenieure und Architekten Beistand. Auch der Architekt Otto Schulz, der später, 1928, die Bauleitung an der Lorenzkirche seinerseits von Schmitz übernahm, war in der späteren Phase der Restaurierung an den Arbeiten beteiligt. Aus den Reihen der Kirchenverwaltung wurde ein Bauaus­ schuß unter dem Vorsitz des Pfarrers von St. Sebald, Friedrich Michahelles, gewählt (Marmorbüste von Michahelles im südlichen Seitenschiff, Wandfeld D 617)1. Der Bauausschuß entschied nach Bericht und Antrag der Bauleitung über die durchzuführenden Arbeiten, die Sitzungen des Bauausschusses wurden protokolliert. Die Geldbeschaffung übernahm ein eigens gegründeter „Verein für die Restaurierung der St. Sebalduskirche“, der u. a. verschiedene Lotterien organisierte. Vorsitzender des Vereins war ebenfalls Michahelles. Die Arbeiten begannen mit der Renovierung des Ostchor-Äußeren (s. u.), darauf folgte die Wiederherstellung der westlichen Hälfte der Kirche samt der Türme. Die Westhälfte wurde unmittelbar anschließend im Inneren erneuert. 1906 war mit der Instandsetzung des Chorinneren (s. u.) das Vorhaben beendet. Interessante ausgewechselte Originalsteine wurden in einer Stein­ sammlung zusammengestellt. Alle Steinmetzarbeiten führte die Firma Göschei und Alt aus; Modelle für die figürliche Ausstattung stellte der Bildhauer Leistner her, der Lehrer an der Kunstgewerbeschule war. An schriftlichen Unterlagen, die die Restaurierung dokumentieren, haben sich zunächst drei Gutachten erhalten; vor Beginn der Baumaßnahmen angefertigt sollten sie deren etwaigen Umfang abstecken. 1, „Gutachten über den gegenwärtigen Zustand der S. Sebalduskirche zu Nürnberg und die daraus sich ergebenden Arbeiten“, 1882 gemeinsam von Essenwein und Hauberrisser 2 Zur Lokalisierung s. den schematischen Grundriß Abb. 2.

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verfaßt3. 2, „Gutachten über die Wiederherstellung der Sebaldskirche zu Nürnberg“, 1882 von Denzinger abgegeben4. 3, „Gutachten über den bauli­ chen Zustand der St. Sebald-Kirche in Nürnberg nach Aufsetzung der Gerüste und genauer Untersuchung des Bauwerks“, angefertigt am 18. Dezember 1888 von Hauberrisser, nachdem er die Renovierung übernommen hatte5. Die Gut­ achten 1 und 2 geben in sehr allgemeiner Weise, Gutachten 3 naturgemäß wesentlich detaillierter Auskunft über die vorhandenen Schäden am Bau und skizzieren den Ablauf der zur Wiederherstellung nötigen Arbeiten. Interessant dabei, daß diese Arbeiten größtenteils nach Denzingers Vorschlägen durchge­ führt wurden, obwohl ja Hauberrisser die Restaurierungsleitung übernommen hatte. Die in Denzingers Gutachten geübte Kritik an den Ausführungen seiner Kollegen war nachträglich „als richtig erkannt“ worden6. Ihrem Charakter entsprechend können diese Gutachten jedoch nichts über die tatsächlich erfolgten Baumaßnahmen aussagen. Dazu sind die sechs erhalten gebliebenen Berichte zur Restaurierung heranzuziehen. Sie schil­ dern in chronologischer Ordnung den Ablauf der Wiederherstellung und ähneln einander recht stark. Einige liegen in gedruckter Form vor. Den Berichten evtl, zugrundeliegende Tagebuchaufzeichnungen o. ä. sind bisher nicht bekannt. 1. „Bericht der Bauleitung über die Wiederherstellung des Äußeren 1888—1904“ von Joseph Schmitz, abgedruckt bei Hoffmann, Seb.K. S. 86—104. 2. „Jährliche Bauberichte über die Wiederherstellung des Äußeren der Sebalduskirche“, Msch.Schr., mit dem Stempel der Bauleitung von St. Sebald unterzeichnet; LKA Seb. Nr. 442; entspricht weitestgehend dem o. g. „Bericht der Bauleitung . ..“ von Schmitz. 3. „Bericht der Bauleitung über die Wiederherstellung des Innern 1903—1906“ von Joseph Schmitz, abgedruckt bei Hoffmann, Seb.K. S. 104—126. Derselbe ist in zwei masch.schr. Exem­ plaren unter dem Titel „Bericht über die Instandsetzung des Innern von St. Sebald in Nürnberg 1903—1906“ noch in den Stadtgeschichtlichen Museen Nürnberg und im Pfarrarchiv von St. Sebald, Findbuch-Nr. 270, erhalten. 4. „Bericht über die Innenrestaurierung im Chor vom 1. Januar 1905 bis Ende Februar 1906“ von Joseph Schmitz, LKA Seb. Nr. 437; im wesentlichen mit dem o. g. Bericht Nr. 3 gleich. 5. „Die Wiederherstellung der St. Sebaldkirche in Nürnberg 1888—1905“ von Otto Schulz, unter diesem Titel gedruckt 1905, unterscheidet sich relativ am meisten von den anderen Berichten; mit einigen weiterführenden Gedanken. 6. „Bericht über die Wiederherstellung der Sebal­ duskirche“, unbezeichnete Hs. im LKA Seb. Nr. 440; der Handschrift nach zu urteilen käme als Schreiber Pfarrer Michahelles in Frage. Die Hs. endet 1903 3 4 5 6

In mehreren Exemplaren erhalten: LKA Seb. Nr. 431; Stadtbibliothek Nürnberg; GNM. LKA Seb. Nr. 431; GNM. LKA Seb. Nr. 432; die Fotos, die diesem Gutachten beigelegt waren, haben sich nicht erhalten. N. N., Vortrag Hauberrisser S. 3.

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vor Beginn der Innenrestaurierung und hält sich weitgehend an den Bericht Nr. 3 von Schmitz. Im folgenden sind aus den Berichten chronologisch alle die Nachrichten zusammengestellt, die über Eingriffe in die Ostchor-Architektur Aufschluß geben. Wo nicht anders erwähnt, wird nach den beiden veröffentlichten Berichten von Schmitz referiert (Nr. 1 und Nr. 3). Die Arbeiten begannen 1889 am Außenbau mit der Wiederherstellung der Galerie am Polygon. Nach Entfernung des 1561 schon einmal erneuerten Dachgesimses und der noch originalen Strebepfeilerenden wurden das Dachgesims mit der darunter anschließenden Steinlage, die Galerie und die oberen Teile der Fensterwim­ perge als z. T. freie Rekonstruktion sowie die kopierten Strebepfeilerenden neu versetzt. Man führte die Arbeiten, beginnend bei A 77, um den Chor herum und konnte im Dezember 1890 den letzten, reichlich mit Urkunden versehenen Stein an der abschließenden Fiale des Strebepfeilers D 7 vermauern. Vor der Erneuerung der Strebepfeiler selbst (1891—1893) „stellte sich jedoch bei näherer Untersuchung eine so starke Verwitterung aller Profilierungen und Skulpturen heraus, daß bei jedem Pfeiler ungefähr fünfzig Werkstücke ganz neu ersetzt werden mußten, wobei jedesmal 2xh—3 m hohe Teile des Pfeilers bis in die eigentliche Umfassungsmauer hinein auszubrechen waren“8 (s. Abb. 4 und 5). Das hatte zur Folge, daß von dem über einfache Streben oder Profilleisten hinausgehenden bauornamentalen Apparat (Fialen, Wimperge, Maßwerke o. ä.) keine originale Substanz mehr vorhanden ist (Abb. 6). Ebenso sind sämtliche Figurenbaldachine sowie die meisten Konsolen Kopien. Bei Gelegenheit des Pfeileraustausches unterzog die Bauleitung „die sehr rui­ nösen Maßwerke der Fenster“ einer wohl ebenso vollständigen Erneuerung9. 1894 wurden die beiden Strebepfeiler, an die die nördliche Sakristei anschließt (A 9 und A 10), ausgewechselt. Weiterhin erledigte man die „Neuherstellung und Ausbesserung der Wandflächen unterhalb des Kaffgesimses bis zum Sockel des Ostchores, die durch die früher eingebauten Kramläden erheblich gelitten hatten“10. Für den Mauerabsatz an der nördlichen Hälfte des Chor­ westgiebels erfanden die Restauratoren die Verlängerung der Dachgalerie und dazu ein Treppentürmchen als Zugang. 1895 „wurde die südliche Sakristei in ihrem äußeren Mauerwerk restauriert, . .. das Dach niedriger gelegt“11. 1896 wechselte man die Außenwand der Pfinzingkapelle neben dem Brautportal komplett aus. 1897 fand der Ausbau der südlichen Hälfte des Chorwestgiebels statt. „Es handelte sich hier um Neuherstellung der Giebelabdeckung, eines 7 8 9 10 »

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Vgl. Baier, 600 Jahre Ostchor, Abb. 14. Hoffmann, Seb.K. S. 89. Hs. Bericht (= Bericht Nr. 6), LKA Seb. Nr. 440, S. 28. Hoffmann, Seb.K. S. 92. Zu den Ständen s. u. S. 36 f. Ebd., S. 95.

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Fensters, der Maßwerkgalerie [s. o. zu 1894] und der Endigung des romani­ schen Strebepfeilers“12. An dieser Stelle fielen 1898 weitere Arbeiten an, da „in früherer Zeit der Querschiffgiebel der Orgel wegen durch Ausbrüche so geschwächt worden war, daß mehrere handbreite Risse entstanden waren. Auch war der Steinverband in bedrohlicher Weise gelockert“13. Die Fenster der nördlichen Sakristei wurden vergrößert, Gitter davor z. T. entfernt, der Fußboden innen betoniert. Das Jahr 1899 brachte dem Brautportal den kom­ pletten Austausch der „beiderseitigen Postamentprofilierungen unter den Jungfrauenstatuen“14. Von Baldachinen und Maßwerkvorhang wurden nur geringe Teile original belassen. Seit 1901 ist der sog. Dreikönigschor neben der Schultüre total neu. 1904 wurde der Chorsockel mit einer großen Zahl neuer Quader „gründlich ausgebessert“15. Damit war die Außenrestaurierung beendet. Im Inneren des Chors traten größere bauliche Schäden v. a. an den in den gotischen Bau integrierten romanischen Teilen auf. Am Brauttor und am Drei­ königschor mußten Hohlräume im Mauerwerk ausgefüllt werden. 1905 wurde der ehemalige Vierungspfeiler B 9 vom Boden bis zum Kämpfer ausgewech­ selt, ebenso 1905—06 der Pfeiler C 9. An der Chorwestwand, besonders an der südlichen Hälfte, waren noch größere Ausbesserungen zu erledigen. Ebenso waren an den übrigen Chorwänden und sogar den Freipfeilern verschiedent­ lich Steine auszuwechseln. Die nördliche Sakristei wurde von „störenden Umgestaltungen“ befreit und in ihrem alten Zustand rekonstruiert16. Der Chor erhielt einen neuen Fußboden aus Wendelsteiner Quarzitplatten17. Die Ein­ griffe in die Substanz der Architektur waren innen also wesentlich geringer als am Außenbau; das gilt insbesondere für die Bauteile des 14. Jahrhunderts. Die übrigen Arbeiten waren noch das Freilegen von vermauerten Spolien sowie der Reste eines romanischen Rundfensters, das Abschaben der verschiedenen Tün­ cheschichten und die Auffrischung dabei freigelegter Bemalungen sowie Ergänzungen an den Figurenbaldachinen im Chorumgang. 1905 war — mit Ausnahme des Pfeilers C 9 — die Wiederherstellung des Inneren vollbracht. Eine moderne Einschätzung der Restaurierungsarbeiten an der Sebaldus­ kirche gibt Brix im Jubiläumsband 600 Jahre Ostchor St. Sebald18. Er kommt zu dem Schluß, „daß man bei den umfangreichen Ergänzungen des Ostchores insgesamt recht sorgfältig vorging“19, man aber gleichzeitig „bei aller Bemü12 13 14 15 16 17 18 19

Ebd., S. 96. Ebd., S. 97. Ebd., S. 99. Ebd., S. 103. Schulz, Wiederherstellung, S. 30 f. Schmitz, Bericht (= Bericht Nr. 4), LKA Seb. Nr. 437. Brix, Restaurierungen, S. 60—66. Ebd., S. 63.

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hung um Originaltreue nur annäherungsweise rekonstruieren konnte“20: „Bei der Behandlung der Ornamente war man zunächst bemüht, sie nach Steinmetz­ art möglichst flächig und scharfkantig herzustellen. Nachdem man aber eine im Urzustand erhaltene, also nicht verwitterte Krabbe gefunden hatte, die wei­ chere, gerundete Formen aufwies, ging man zu einer entsprechenden, bildhau­ erischen Behandlung der Details über“21. Zusammenfassend schreibt Brix: „Damals kursierte als Leitsatz der Denkmalpflege, lediglich den erhaltenen originalen Bestand eines Monuments zu konservieren und auf stilkonforme Ergänzungen im Sinne der historischen Restaurierungspraxis zu verzichten. Solche Forderungen waren bei der Restaurierung der Sebalduskirche indes nur teilweise eingelöst; das Unternehmen war noch stark geprägt von der Restau­ rierungsgesinnung des späten Historismus, wofür der Name des ,Gotikers‘ Hauberrisser steht. Zugunsten einer geschlossenen ästhetischen Wirkung des Denkmals hat man, vor allem beim Außenbau, sehr weitgehende Ergänzungen vorgenommen. Über das Ausmaß der Rekonstruktion ließe sich streiten; prin­ zipiell aber war damals bei der ohnehin notwendigen durchgreifenden Sanie­ rung des ruinösen Gebäudes kaum ein anderer Weg denkbar“22. Der Wandel der „Restaurierungsgesinnung“ läßt sich ebenso an drei Gene­ rationen von Restauratoren Nürnberger Kirchen festmachen, an Hauberrisser, Schmitz und Schulz. Hauberrisser glaubte nicht nur, die Ostchorgalerie leicht nach Analogien — das bedeutet aber doch: frei — rekonstruieren zu können und lag damit, wie sich später herausstellte, prompt verkehrt23, sondern er plante auch einen frei erfundenen Giebel für die Nordsakristei und eine eben­ solche Galerie über dem Brautportal24. Später machte er noch den wirklich etwas befremdlichen Vorschlag, am romanischen Westchor die gotisch erwei­ terten Fenster innen mit halber Wandstärke wieder in romanischen Formen zu vermauern. Dadurch sollte nach außen das gewohnte gotische Angesicht erhalten bleiben, innen dagegen die feierliche romanische Lichtwirkung wieder erstehen25. Solche Vorstellungen sind von Gedanken, wie sie Schmitz in einem Ebd., S. 62 f. Ebd., S. 63. 22 Ebd., S. 65. 23 Zur Dachgalerie s. u. S. 56 ff. 24 N. N., Vortrag Hauberrisser, S. 4. Zum Brautportal Brix, Restaurierungen, S. 63: „Man ver­ zichtete hier auf die Rekonstruktion einer bekrönenden Galerie, über deren mögliches ursprüngliches Aussehen nichts bekannt war. Gerade am Brautportal, dem berühmtesten und meistreproduzierten Bauteil der Sebalduskirche, hätte wohl noch die vorangegangene Genera­ tion ihre Kunst des einfühlenden ergänzenden Restaurierens erprobt*. Das hätte Hauberrisser hier wohl auch gerne getan, nur strich ihm die k. b. Staatsregierung Sakristeigiebei und Braut­ portalgalerie aus seinem Entwurf (N. N., Vortrag Hauberrisser, S. 4). 25 Diesen Vorschlag erläuterte Hauberrisser dem Bauausschuß an einem dazu vorbereiteten Holzmodell; ein Jahr später wird der Plan verworfen; LKA Seb. Nr. 446, Prot. BAS vom 8. März 1897 bzw. vom 27. April 1898. 20

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kurzen Aufsatz über „Die Grundsätze für die Herstellung von St. Lorenz und St. Sebald in Nürnberg“26 äußert, ein bedeutendes Stück entfernt. Ihm kommt es schon wesentlich auf den wissenschaftlichen Charakter der Restaurierungen an, bis hin zur Kennzeichnung wichtiger ausgetauschter Teile27. Ein weiterer Schritt in diese Richtung zeigt sich an dem kleinen Beispiel der Ausgrabungen, die in St. Sebald 1899 von Schmitz und 1929 in St. Lorenz von Schulz vorge­ nommen wurden. Dem Anspruch einer wissenschaftlichen Ausgrabung können diese Schürfungen zwar nicht genügen, aber Schulz hat immerhin überhaupt einmal einen ausführlichen Grabungsbericht angefertigt und die aufgedeckten Fundamente genauer in Augenschein genommen28. Die Freile­ gung von Schmitz ist hingegen nur in den wenigen und dazu äußerst allge­ meinen Sätzen dokumentiert, die sich bei Hoffmann gedruckt finden29. Sie ent­ halten nichts über eventuelle Beobachtungen zu den romanischen und goti­ schen Fundamenten, zu Gräbern, Kleinfunden, Spuren ehemaliger Altäre, der Fundamentierung des Sebaldusgrabes o. ä. So ist das eigentliche Ergebnis in vier Abbildungen bei Hoffmann festgehalten, drei Zeichnungen des Ergra­ benen sowie das Foto eines Modells davon30 (Abb. 7). Dieses in natura plasti­ sche Modell sagt einiges über den Charakter der Ausgrabung. Während die Lage, Form und Größe der Aushubhaufen mit großer Sorgfalt wiedergegeben werden, ist der innere Umriß der südlichen Nebenapsis in das Modell einge­ zeichnet, ohne daß entsprechende Befunde sichtbar wären31. Die Diskrepanzen, die bei der an St. Sebald betriebenen *wissenschaftlichrekonstruierenden Denkmalpflege“32 zwischen Wissenschaft und Rekonstruk­ tion, zwischen Anspruch und Durchführung auftreten, zeigen sich nicht hur am Bau selbst, sondern schon im Sprachgebrauch der Restauratoren bzw. bei deren Urteilen über herzustellende Objekte. Das Vorhaben von Hauberrisser, die Bauteile zwar nicht zu purifizieren, aber „thunlichst“ in ihrer alten Form wiederherzustellen33, deutet an, daß nicht unbedingt ein „Verständnis für alle Stilperioden des Baus und für alle Gegenstände der Inneneinrichtung“34 bestand. Entsprechend wurden dann auch Übertünchungen entfernt, weil sie 26 In: Die Denkmalpflege Band 21, Berlin 1918, S. 93 f. 27 Eine solche Kennzeichnung wurde an St. Sebald noch nicht vorgenommen. 28 Der Ausgrabungsbericht von Schulz in: Schulz/Stolz, Die Grabungen in der St. Lorenzkirche zu Nürnberg, in: 500 Jahre Hallenchor St. Lorenz zu Nürnberg 1477—1977, S. 213—241. 29 Hoffmann, Seb.K., S. 16 bzw. S. 99. Im LKA Seb. Nr. 431 hat sich ein Dreipunkteplan mit zugehöriger Skizze erhalten, der zur Vorbereitung der Grabung diente und vorsah, die als halbrunder, gestelzter Chor mit quadratischen Nebenräumen vorgestellte Ostpartie durch drei kleine Schnitte nachzuweisen. Hoffmann, Seb.K., Taf. II, Taf. III, Taf. VI, Abb. 1. 31 Diese Stelle wird in den Rekonstruktionen dann auch anders dargestellt ($. Abb. 23 und 24). 32 Brix, Restaurierungen, S. 60. 33 N. N., Vortrag Hauberrisser, S. 4. 34 Hoffmann, Seb.K., S. 80.

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„geschmacklos“ oder Ergänzungen, weil sie „falsch verstanden“ waren. Insbe­ sondere die Arbeiten von Restauratoren der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts fanden keine Gnade in den Augen jener der zweiten Hälfte. Der Eingang der westlichen Krypta z. B. wurde durch „Wegmeißeln der stillosen Profile“ aus dem frühen 19. Jahrhundert „vereinfacht“35; v. a. die Ergebnisse Heideloffscher Restaurierung wurden kurz und bündig als „schlecht“ (ein Maßwerkfen­ ster, das Chorgestühl) oder „geschmacklos“ (Hauptaltar), deren Entfernung dann natürlich als „notwendig“ erachtet36. Selbst an Produkten ,der Alten* konnte sich ein wilhelminischer Ästhet durchaus reiben, obwohl ja „beson­ derer Wert darauf gelegt wurde, daß die mannigfaltigen Unregelmäßigkeiten, welche sich an den alten Bauteilen ergaben, bei den Neuherstellungen erhalten blieben“37. Konnte schon an den Chorstrebepfeilern der alte Fugenschnitt lediglich „im wesentlichen . . . beibehalten werden“, so „konnte“ man dies sicher nicht an Stellen, über die das Urteil gefällt wird, daß „die Architektur­ formen wie auch die einzelnen Entwicklungen und der Steinschnitt in schlechter Weise gelöst waren“38. Selbst wenn der betont wissenschaftliche Anspruch der Wiederherstellung nicht in allen Punkten durchgehalten wurde, so trug man ihm doch Rechnung in einer ziemlich umfangreichen Dokumentation der Arbeiten. Hierbei ist an erster Stelle das Planmaterial zu nennen, das aus einer großen Zahl von Pro­ jekten, Bestandsaufnahmen, Werkzeichnungen, Baualtersplänen etc. bestand. Einiges davon ist in Veröffentlichungen wiedergegeben39, doch läßt sich an verschiedenen Punkten nachweisen, daß diese Reproduktionen nur einen win­ zigen Ausschnitt aus dem ursprünglich vorhandenen Material darstellen40. Dessen Geschichte ist ansatzweise verfolgbar. Nach dem Ende der Außenre­ staurierung (1904) teilte man die Unterlagen auf zwei Orte auf. „Die Haupt­ pläne der Restaurierung überwies Professor von Hauberrisser dem städtischen Archiv“41; die Hauptpläne waren „die wertvolleren Übersichtszeichnungen und einzelnen Darstellungen wichtiger und charakteristischer Bauteile“42. Schulz hat 1905 Baurisse „unter Benutzung der im städtischen Archiv befind­ lichen Pläne der Bauleitung gezeichnet“43. In der privat angelegten kleinen » Ebd., S. 103. 36 Ebd., S. 100 und S. 121; Schulz, Wiederherstellung, S. 19, S. 26, S. 32. Heute findet wiederum die große Restaurierung 1882—1906 nicht mehr nur einhellige Zustimmung; s. Brix, Restaurie­ rungen, S. 60—66 und v. a. Pilz, K. Führer, an verschiedenen Stellen. 37 Schulz, Wiederherstellung, S. 11. 38 Ebd., S. 11 und S. 15 (zum Dreikönigschor). 39 Bei: Hoffmann, Seb.K. Kramer, Seitenschiff. Schulz, Sakristei; ders., Roman. Bauteile; ders., Wiederherstellung. 40 Die Pläne sind etwas ausführlicher behandelt in der Magisterarbeit S. 9 ff. 41 Hoffmann, Seb.K., S. 104. 42 Schulz, Wiederherstellung S. 14. 43 Ebd., Vermerk auf den beiden Planreproduktionen im Anhang (s. a. Abb. 23).

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Sammlung der Planreproduktionen verweist Schmitz auf die Originale im Stadtarchiv44. Später berichtet er in seinen „Erinnerungen aus dem beruflichen Leben“ über den Verbleib der Arbeiten aus seiner Architektenlaufbahn — worunter sich möglicherweise Unterlagen der Renovierung befinden könnten —: eine „Sammlung von Handzeichnungen und Skizzen im Stadt-Archiv zu Nürnberg“45. Mögen Schmitz und Schulz es auch noch so oft feststellen — das ändert nichts an der Tatsache, daß von alledem heute im Stadtarchiv sich nicht die leiseste Spur mehr findet46. Der andere Teil der Unterlagen blieb bei der Kirche: „Die große Zahl der gefertigten Detail- und Werkpläne sind jedoch der Bau-Sammlung einverleibt“47. Dort waren sie 1931 noch vorhanden. In diesem Jahr macht Schmitz seine Vorschläge zur Säuberung und Neuordnung der Bausammlung im Obergeschoß der nördlichen Sakristei von St. Sebald; er zählt dabei auf: „wichtige Planblätter . . . weniger wichtige Planblätter, die falls keine Mappe vorhanden, auch gerollt werden können“48. Hier, im südöst­ lichen Eckschrank im Obergeschoß der Nordsakristei, muß sie dann im Zweiten Weltkrieg ihr Schicksal ereilt haben, denn heute ist davon kein ein­ ziges Stück mehr vorhanden. Nur im Nachlaß des Architekten Schulz hat ein kleinerer Posten verschiedener Pläne und Werkskizzen bis jetzt überdauert49. Die St. Sebald betreffenden Papiere wurden aussortiert und dienen auf dem Werkgelände der Fa. Franke als Unterlagen für die z. Zt. noch laufenden Wie­ derherstellungsarbeiten. Im Depot des Kirchenbauamtes im Keller der Reformations-Gedächtnis-Kirche dürften demnach — wenn überhaupt — nur sehr wenige Stücke verblieben sein50. Die bei der Fa. Franke verwendeten Zeich­ nungen (die deshalb im Moment auch nicht zur Verfügung stehen) sind vor­ zugsweise Detailrisse, kleinere Werkzeichnungen o. ä. An wichtigeren Unter­ lagen sind zwei Baualterspläne der Westfassade (Turmaufriß bzw. Quer­ schnitt), ein gepauster Aufriß der Chornordseite (relativ schematisch) sowie 44 Ein unbedrucktes, größer#: (Notiz-)Buch mit hs. Anmerkungen von Schmitz, hs. Titel: „Re­ produktionen von Bauplänen der Sebalduskirche in Nürnberg die während der Wiederherstel­ lung 1888—1906 entstanden und deren Originale sich meist im städt. Archiv befinden“; Stadt­ geschichtliche Museen Nürnberg, Inv. Nr. 2289. In dieses Buch hat Schmitz die bei Hoffmann, Seb.K. veröffentlichten Pläne eingeklebt. Hier handelt es sich aber noch uni Probedrucke, denn die veröffentlichten Abbildungen weisen verschiedentlich Abänderungen auf. Eine in die Monografie nicht übernommene Westansicht ist im Klebebuch noch vorhanden. 45 Masch.schr. „Erinnerungen aus dem beruflichen Leben“, GNM, Kupferstichsammlung, Nachlaß Schmitz; hier S. 12. 46 An dieser Stelle sei den Herren im Stadtarchiv Nürnberg, die sich darum mehrfach bemühten, vor allem aber Herrn Bartelmeß, ein besonderer Dank ausgesprochen. 47 Höffmann, Seb.K., S. 104. 48 Schmitz, „Vorschlag zu einer Säuberung und vorläufigen Instandsetzung der Bausammlung in der oberen Sakristei von St. Sebald“ vom 25. Oktober 1931; Pfarrarchiv St. Sebald, Findbuch-Nr. 270. 49 Für diesen freundlichen Hinweis habe ich mich bei Herrn Architekten Stolz zu bedanken. 50 Freundliche Auskunft von Herrn Wundram, Fa. Franke.

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ein Foto des Restaurierungsprojektes von Hauberrisser (Abb. 3) zu nennen. Die Handvoll darüber hinaus noch nachweisbarer Originale51 ist von geringem Interesse, so daß die Pläne der Restaurierung im wesentlichen als verschollen gelten müssen. Fotos wurden in beträchtlicher Zahl angefertigt, z. B. zur Dokumentation von Bauschäden (s. o. Gutachten 3 und Anm. 5), des Zustandes vor und nach der Restaurierung (s. Hofmann, Seb.K., Abb. 40 und 41 auf S. 98) oder des Inventars (s. Hoffmann, Seb.K., v. a. Abb. 53 ff., S. 140 ff.). Zudem werden in Berichten und Akten immer wieder einzelne abgelichtete Objekte erwähnt. Von den im Auftrag der Bauleitung hergestellten Fotos hat sich keines erhalten. Die Bilder der Bausammlung waren zusammen mit den Plänen in der nördlichen Sakristei aufbewahrt und haben somit wohl deren Schicksal geteilt (s. o.)52. Ebenso sind die entsprechenden Teile der Fotosammlung des Vereins für Geschichte der Stadt Nürnberg (der Herausgeber der Monographie) unter den Kriegsverlusten abzubuchen53. Die einzig relevante Sammlung von Bildern der Sebalduskirche vor und während der Restaurierung besitzt das LKA in einer Fotomappe im Großfolio-Format54. Von den noch vorhandenen 56 Kar­ tons bezieht sich nur ein kleiner Teil auf die Ostchorarchitektur. Vereinzelt finden sich noch alte Aufnahmen in der Bildstelle des Nürnberger Hochbau­ amtes, im Marburger Index und — sehr wenige — im Pfarrarchiv St. Sebald. Die Bauleitung ließ neben Plänen und Fotos noch eine Anzahl vollplasti­ scher Architekturmodelle hersteilen. Sie dürften weniger als Unterlagen für die mit der Restaurierung beschäftigten Architekten gedient haben als dazu, dem Bauausschuß der Kirchenverwaltung, der für die Geldvergabe unmit­ telbar zuständig war, die Notwendigkeit bestimmter Vorhaben (und damit Ausgaben) plastisch* vor Augen zu führen. Andererseits sollten sie wohl durchaus zur Mehrung des Ruhmes der Bauleitung beitragen. Denn die Modelle lassen sich fast durchweg auf Arbeiten beziehen, die in den Restaurie­ rungsberichten als besonders knifflige und nur mit Einfallsreichtum zu lösende Probleme geschildert werden. Die Aufzählung der Modelle, deren Inhalt fest­ stellbar ist, erfolgt, wo nicht anders vermerkt, nach der ausführlichsten Lite51 Zwei in den Stadtgeschichtlichen Museen im Einklebebuch von Schmitz (s. Anm. 44); fünf in einem Rechnungsbuch der Restaurierung, LKA Seb. Nr. 448. 52 Sie werden 1931 in dem Vorschlag von Schmitz zur Säuberung der Sammlung noch genannt; s. o. Anm. 48. 53 Freundliche Auskunft von Herrn Bartelmeß, Stadtarchiv Nürnberg. 54 LKA Inv. Nr. 58; ehemals 62 Fotokartons mit dem Prägestempel „G. FERD. SCHMIDT / PHOTOGR. ATELIER FÜR / PORTRÄT UND ARCHITEKTUR. / BURGSTR. 24 / NÜRNBERG.* Mappe und Kartons mit Stempel „P. C. Erberich*. Unterlagen über die Vor­ bereitung der Monographie (= Hoffmann, Seb.K.) weisen einen Erberich als Ausführenden der Zeichnungen aus, die im Buch als Taf. V, Taf. VII und Abb. 21 abgedruckt sind. (StadtAN, Verein für Geschichte der Stadt Nürnberg, 687 Nr. 16 I—III).

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ratur zu diesem Bereich; das ist der von Reicke verfaßte Führer zu einer Aus­ stellung über die Restaurierung, die 1905 aus Anlaß des in Bamberg stattfin­ denden Sechsten Tages für Denkmalpflege in der Moritzkapelle gezeigt wurde. Den einzelnen Posten ist ein Vermerk beigegeben, wo die auf die Modelle zu beziehenden Arbeiten erwähnt werden. Zwei der Plastiken kennt man von Fotos her: 1) Ein Modell der Ausgrabung im Ostchor (Abb. in Hoffmann, Seb.K., Abb. 1, S. 17) (= Abb. 7). 2) Ein Modell mit Schäden und Armie­ rungen eines Vierungspfeilers (Abb. in Hoffmann, Seb.K., Abb. 44, S. 110; auch auf dem Foto auf dem Vorsatzblatt zum Ausstellungsführer von Reicke zu erkennen). Die übrigen sind nur literarisch dokumentiert: 3) Ein Modell zur Abstützung der Ostchor-Strebepfeiler bei deren Austausch (vgl. Hoff­ mann, Seb.K., S. 89). 4) Ein Modell des Anzeigers für Mauerbewegungen (vgl. Hoffmann, Seb.K., S. 115). 5) Ein Modell mit farbigen Gläsern, das die ver­ schiedenen Dachformen (wohl der Seitenschiffe) zeigt (vgl. Hoffmann, Seb.K., S. 91 und S. 94). 6) Ein Studienmodell der Bleideckung am Kölner Dom. 7) Modelle von Rundfenstern und Treppen in den Türmen (vgl. Schulz, Roman. Teile). 8) Modelle mit Treppenanlagen der Türme, deren Risse und deren Auf­ füllungen (vgl. Schulz, Roman. Teile). 9) Ein Modell zur Auswechslung der Galeriesteine am Nordturm (erwähnt im Prot-BAS vom 8. März 1897 (LKA Seb. Nr. 446); vgl. Hoffmann, Seb.K., S. 96). 10) Ein Modell einer nicht ausge­ führten Abstützung an den Schallfenstem im Turm (vgl. Hoffmann, Seb.K., S. 100). 11) Ein Modell der Löffelholzkapelle (= Westchor) mit Mauerrissen (erwähnt im Prot.BAS vom 13. Dezember 1901 (LKA Seb. Nr. 446); vgl. Hoffmann, Seb.K., S. 101 f.). 12) Ein Holzmodell, Hauberrissers Projekt, die Fenster im Westchor außen gotisch zu belassen, nach innen aber zu reromanisieren (erwähnt im Prot.BAS vom 8. März 1897 (LKA Seb. Nr. 446); vgl. o. S. 28. 13) Ein Modell zur Auswechslung eines Baldachins am Südturm (vgl. Hoffmann, Seb.K., S. 101). 14) Ein Modell zur Aufstellung der ausgetauschten Steine in einem Park (vgl. unten S. 35). Im Zusammenhang mit hier interessie­ renden Fragen wären lediglich die ersten drei Posten aufschlußreich gewesen — aber es ist sowieso nicht bekannt, wo die Modelle geblieben sind. Zum Abschluß dieses Kapitels soll noch die Geschichte der ausgetauschten Originalsteine erzählt werden, die, wie oben erwähnt, wegen der weitge­ henden Renovierung ja reichlich anfielen. Ein Teil davon wurde zu einer Stein­ sammlung in der Westkrypta zusammengetragen. Den Grundstock, wenn nicht gar den Anlaß dafür bildeten die Relikte der 1561 abgebrochenen Dach­ galerie, die sich 1888 unter dem Gewölbeschutt „hinter den Strebepfeilern ver­ mauert“55 gefunden hatten. Im übrigen enthielt die Steinsammlung „eine große Anzahl originaler Steinreste, welche... für die während der Wiederherstel55 N. N., Vortrag Hauberrisser, S. 4.

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lung erneuerten Bauteile als Vorbilder und Anhaltspunkte dienten . . aus der gotischen Zeit eine Reihe von sehr wertvollen Konsolen, Kapitalen, Balda­ chinen und anderen architektonischen Details“56. Sie hat sich bis zum heutigen Tag erhalten und füllt z. Zt. einen mittelgroßen ehemaligen Luftschutzkeller im Sebalder Pfarrhof. Da aber der wohl an die 300*Posten umfassende Bestand gänzlich ungeordnet, nicht katalogisiert und schon gar nicht nach der Her­ kunft der Steine aufgeschlüsselt ist, ist ein systematisches Arbeiten damit im Moment nicht möglich. Was mit der wenigen am Ostchor vorhandenen Skulptur geschah, ist schnell mitgeteilt. An zwei nördlichen Strebepfeilern war im 2. OG. je eine Prophe­ tenfigur angebracht. Eine davon erhielt das GNM, die andere wanderte in das Lapidarium57. Am Dreikönigsportal wurden Maria und Johannes der Kreuzi­ gung kopiert und die Originale in der Kirche aufgestellt58. Das gleiche geschah mit den beiden Bischöfen an den Seiten des Portals59. Angeblich wurden alle ausgetauschten Figurenkonsolen der Chorstrebepfeiler der Bausammlung ein­ verleibt60. Ausnahmen waren aber möglich: Martin weist darauf hin, daß die Originale der beiden Konsolen der Westseite des Pfeilers A 12 1. OG. — deren Kopien bei Hoffmann, Seb.K., in Abb. 36 und 37 auf S. 91 wiedergegeben sind — sich in stark verwittertem Zustand im „Freiherrlich Tucherschen Stadt­ schlößchen“ befinden61. A 12 ist einer der beiden Strebepfeiler, deren Renovie­ rung von der Familie Tücher finanziert wurde. Einige Architekturteile konnten an Interessenten abgegeben werden. Die Steine der vollkommen erneuerten Pfinzingkapelle (zwischen A 8 und A 9) sowie einige Stücke der Galerie des Nordturms wurden der Stadt Nürnberg vermacht. Sie erhielten ihren neuen Standort an der Stadtmauer, wo sie heute noch zu finden sind62 (Abb. 12). Ebenso erhielt die Stadt „eine Anzahl interessanter Steinstücke vom Dreikönigschor und der südlichen Turmgalerie zur Aufstellung an der Stadt­ mauer“63. Ob es dazu kam, ist genauso unbekannt wie der heutige Verbleib der Steine. Je einen der besterhaltenen Ostchorstrebepfeiler (d. h. natürlich die ausgetauschten originalen Teile derselben) erhielten das Germanische Natio­ nalmuseum in Nürnberg und das Bayerische Nationalmuseum in München64. 56 Hoffmann, Seb.K., S. 209 f. Ebd., S. 148. s» Ebd., S. 149. » Ebd., S. 150. w Ebd., S. 148. 61 Martin, Plastik, in Anm. 3 zum 6. Kapitel (S. 128). 62 Hoffmann, Seb.K., S. 96; Fehring/Ress, Inventar, S. 32. Die Reste wurden in den 1930er Jahren noch von zwei Strebepfeilerendungen flankiert (von St. Lorenz?), diese im Inventar schon nicht mehr erwähnt. 63 Hoffmann, Seb.K., S. 102. 64 Hs. Bericht, LKA Seb. Nr. 440 (= Bericht Nr. 6) S. 29.

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Um Überlassung eines Pfeilers hatten 1891 außerdem noch gebeten die Herren Paul Ritter, Anton Seitz sowie ein Mitglied der Familie Tücher65. Nach Läge der Dinge dürften diese Anträge positiven Bescheid erhalten haben. Vielleicht sind damit die „verschiedenen einzelnen Pfeilerteile“ gemeint, die „zur Anbringung von Gruppen in Gärten oder Höfen an Private vergeben“ wurden66. Einen Strebepfeiler, wahrscheinlich vom nördlichen Seitenschiff, erhielt Frau Wagler in Allersberg67. Fünf sehr stark verwitterte Werksteine eines Ostchorpfeilers haben sich im Garten des Sebalder Pfarrhofes erhalten. Die restlichen Stücke, die sich Kunsthändler und Penthousebesitzer heute wohl kaum entgehen lassen würden, waren damals nur mit Mühe an den Mann zu bringen. Im Dezember 1890 begann der Sebalder Bauausschuß, für die aus­ gebauten Strebepfeilerteile geeignete Aufstellungsplätze in öffentlichen Anlagen zu suchen68. 1891 im Sommer stellte Schmitz ein Modell im Maßstab 1:50 vor, das seinen Vorschlag veranschaulichte, den größten Teil der anfal­ lenden Steine „malerisch“ in einer Parkanlage aufzustellen69. Zugleich sollte an verschiedene Persönlichkeiten der Stadtverwaltung herangetreten werden, um den Magistrat für eine Annahme des Projekts zu erwärmen. — Inzwischen ver­ stellten immer mehr alte Werkstücke den Platz um die Bauhütte, ihre Entfer­ nung wurde täglich dringender. Der Stadtrat lehnte trotz mehrfacher Bitten die Übernahme der Steine ab, obwohl sie ihm schließlich sogar kostenlos angeboten wurden70. Eine Annonce in Nürnberger Zeitungen brachte nicht ein ein­ ziges Angebot71. Vor diesem Hintergrund unterbreitete am 21. September 1891 Schmitz dem Leiter des Bauausschusses, Pfarrer Michahelles, resigniert den Vorschlag, die alten Werkstücke dem Bäckermeister Pröls, Julienstraße 14, zu überlassen, der sich angeboten habe, die Steine kostenlos abzuholen72. Dem entsprach der Bauausschuß am 7. Oktober 1891: „2. Genehmigt wurde das Abkommen mit dem Bäckermeister Pröls bezüglich der Abfuhr der alten Steine nach einem von Herrn Architect Schmitz vorgelegten Entwurf“73. Abkommen und Entwurf sind nicht erhalten, die weitere Verwendung der Steine ist nicht bekannt. Den Weg dieser Werkstücke sind wahrscheinlich auch die Hausteine des Ostchor-Dachgesimses gegangen, die seit 1561 das Gesims der damals entfernten Galerie ersetzten. Sie waren mit die ersten Steine, die bei Beginn der großen Restaurierung ausgetauscht wurden und fanden zunächst « 66 67 68 69 70 71 72 73

LKA Seb. Nr. Wie Anm. 64. LKA Seb. Nr. LKA Seb. Nr. LKA Seb. Nr. LKA Seb. Nr. Ebd. Ebd. LKA Seb. Nr.

446, Prot. BAS 1891 (Sommer). 446, 446, 446, 446,

Tagesordnung zur BAS am 18. Juni 1896. Prot. BAS vom 5. Dezember 1890. Prot. BAS vom 25. Juli 1891. Brief von Schmitz an Michahelles vom 21. September 1891.

446, Prot. BAS vom 7. Oktober 1891.

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eine zweite Verwendung auf dem Plateau vor dem Westchor der Kirche: sie bildeten die Mauer um die 1888 errichtete Bauhütte74. Auf Abb. 13 im Ost­ chor-Jubiläumsband ist die Mauer noch einmal dokumentiert75. B. Zum Bau Im folgenden soll betrachtet und schließlich kurz zusammengefaßt werden, welche Aussagen zur Baugeschichte die bisher (v. a. bei Hoffmann) veröffent­ lichten schriftlichen Quellen erlauben. Die Ablässe, die im hier interessierenden Zeitraum für die Sebaldkirche ausgestellt wurden76, enthalten in ihrem Text — soweit dieser überhaupt veröf­ fentlicht ist — kaum Informationen zum Bauvorgang. Nicht ein einziges Mal ist darin vom Chor der Kirche die Rede, sondern nur ganz allgemein von „edificiis et aliis ornamentis ecclesiasticis“ wie Büchern und Kelchen, deren „reformacio“, „restauracio“, „reedificatio“ oder (1379) „perfeccio“ vonnöten sei. Lediglich der Ablaß von 1362, also nach Baubeginn, gibt mit der Bemerkung „ad novam structuram ecclesie sancti Sebaldi“ indirekt einen Hinweis auf das groß angelegte Bauvorhaben, welches der neue Chor tatsächlich darstellt. Nur wenig mehr Informationen lassen sich aus den Nachrichten über die Verkaufsstände unterschiedlicher Art ziehen, die im Bereich zwischen Sebalder Kirchhof und Rathaus aufgestellt waren. Aus Urkundenregesten77 und den über die Literatur verstreuten Hinweisen ist kein klares Bild über die genaue Einteilung der Standplätze zu gewinnen. Daher ist es sehr fraglich, ob der Ankauf von Rechten an solchen Ständen durch die Pfleger von St. Sebald — belegt für 1357 und 135978 — tatsächlich zur Gewinnung von Bauland diente. Ein wichtiger Beleg für den Fortschritt der Arbeiten ist hingegen, daß in der zweiten Hälfte des Jahres 1372 verschiedene Brotbankeigner neue Stell­ plätze zwischen den Strebepfeilern des neuen Chores zugewiesen bekamen. Die beiden bei Hoffmann wiedergegebenen Urkunden79 sind um zwei ähn-

^ LKA Seb. Nr. 440, Hs. Bericht (= Bericht Nr. 6) S. 15. 75 Baier, 600 Jahre Ostchor, Abb. 13; dieses und zwei ähnliche Originalfotos in der Fotomappe Nr. 58 im LKA. 76 Ohne die Ablässe für einzelne Altäre sind dies die Ablässe mit den Ausstellungsdaten: 28. Februar 1358 (Hoffmann, Seb.K., S. 218), 21. September 1358 (ebd., S. 227 in Anm. 20), 15. Dezember 1360 (ebd., S. 219), 1362 (ebd., S. 219), 10. März 1364 (ebd., S. 236), 5. Juni 1379 (ebd., S. 220), 18. Juni 1379 (ebd., S. 228 in Anm. 31). 77 StadtAN, Rep. B 5, St. Sebald, v. a. Nr. 108 ff. 71 21. Juni 1357 (Hoffmann, Seb.K., S. 235) und 31. Oktober 1359 (ebd., S. 236). 79 Vom 15. Oktober 1372 (Hoffmann, Seb.K., S. 228 in Anm. 40) und vom 20. Dezember 1372 (ebd., S. 228 in Anm. 30).

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liehe, etwas frühere, zu ergänzen80. In allen vier Urkunden ist ausschließlich von Brotbänken die Rede, was den Schluß zuläßt, daß nur diese Art von Ver­ kaufsständen dem Chorneubau unmittelbar im Wege stand. Heute weisen die Strebepfeiler, die nach Süden an das Schreyer-Landauersche Grab anschließen, vermörtelte Spuren dazwischengespannter Dachschrägen auf, letzte Zeichen solcher, u. U. sogar dieser Brotbänke. Neben mehreren Brotständen fiel auch fast die gesamte Häuserzeile „am Stock“ (s. Abb. 8) der Chorerweiterung zum Opfer. Von Gebäude 1 ist nichts Näheres überliefert. Die Häuser 2, 3, 4 waren „schon mindestens seit 1300 mit der Dienstbarkeit beschwert, zur Tageszeit einen Durchgang auf den Friedhof offenzuhalten“81. Die Anwesen 2 und 3 wurden im Mai 1361 vom Egidienkloster «tauscht82, womit eventuell eine Tauscherlaubnis durch Bischof Leopold von Bamberg zusammenhängt, die er ein Jahr zuvor, am 6. Mai 1360, erteilt hatte83. Das Haus 4 hatte Christian Pfinzing schon 1358 an die Kirchenpfleger verkauft84. Der Revers von Pfarrer Krauter über die Nichterweiterung des Friedhofes von 136485 bezieht sich auf das Gelände dieses Gebäudes. Wie in Abbildung 8 zu erkennen ist, war zwar das Niederlegen des Anwesens für die Errichtung des Chores notwendig, der Grund wurde dann aber nur teilweise wieder bebaut; es blieb eine Restfläche, „quoddam spacium siue planicies“ wie Krauter schreibt, die neu zu nutzen war. „Uno spacio vie publice, que ab antiquo in medio predicte planiciei solita et debita erat esse“ meint die für das — vormalige — Gebäude geltende Auflage, einen Durchgang zum Friedhof offenzuhalten. Die ausführliche Versicherung von Krauter, das Restgrund­ stück von Haus 4 nicht dem Friedhof zuzuschlagen, wurde übrigens nicht eingehalten. So berichtet Sebald Schreyer Mitte des 15. Jahrhunderts, daß das Grab seiner Familie eingerichtet wurde „zu St. Sebolt hinder dem sacrament, als der kor new gepawt und der kirchhof erweytert worden ist“86. Er bezeichnet seine Familiengruft auch sonst öfters als auf dem Friedhof gelegen, und die Grabsteine deuten solches ja tatsächlich an87. Das Anwesen 5 wird im Revers ebenfalls erwähnt: „... inter quem korum et domum... Johannis Ebner...“. Es wurde erst 1395 aus Ebnerschem Nachlaß aufgekauft und

80 Für den 30. August 1372 (Regest, StadtAN, Rep. B 5, St. Seb. Nr. 150) sowie für den 8. Oktober 1372 (Regest, ebd., Nr. 151). 81 Kohn, Umgebung, S. 71. 82 Ebd., S. 72. 83 Hoffmann, Seb.K., S. 219. Reicke, Stadtgemeinde S. 105. 84 Kohn, Umgebung, S. 71. 85 Hoffmann, Seb. K., S. 220. 86 Caesar, Seb. Schreyer, S. 153. 87 Gümbel, Kirchenstiftungen, S. 100—103. StaatsAN, Rst. Nürnberg, Salbücher Nr. 2, fol. LXXVIII: „auff dem Kirchhoff“.

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abgerissen88. Dem daran nach Norden anschließenden Haus 6 entspricht in etwa die heutige Kugelapotheke. Eine nähere Betrachtung verdienen noch drei einzelne Probleme. 1542 behauptet der ansonsten zuverlässige Christoph Scheurl, daß Elisabeth Tücher, geb. von Mayenthal, die erste Frau von Berthold Tücher, 1364 schon im neuen Chor begraben worden sei: „Dieselbe starb anno 1364 vnd ward zu Sant Sebolt im neuen Chor, die erst in der Tücher Begrebnis, begraben, denn man hat denselben Chor allererst anno 1361 zu pauen ange­ fangen und kostet bey vier und zwainzigtausend Gulden, derhalb mußt menigklich für das Leger im Chor zu Steuer des Pauens zahln fünfzehn Pfund Haller“89. Demnach wäre drei Jahre nach Baubeginn im Bereich des Strebepfei­ lers A 1290 zum allerwenigsten soviel Mauerwerk vorhanden gewesen, daß die Gruft an Wandverlauf und Fußbodenniveau orientiert angelegt werden konnte. Wie Scheurl schon erwähnt, hatte man, wollte man in der Kirche begraben werden, eine bestimmte Gebühr zu entrichten91. Diese Regelung betrifft aber offenbar nur die Fälle, in welchen tatsächlich eine neue Ruhestätte ausgehoben und nicht eine schon vorhandene Gruft weiterbenutzt wird92. So waren z. B. die 10 fl. Begräbnisgebühr, die die Kirchenverwaltung 1499 von der Familie Imhoff forderte, nur dann zu entrichten, wenn für den Verstor­ benen ein neues Grab angelegt würde; bei Beerdigung im bestehenden Famili­ engrab entfiel die Zahlung93. 1435 schreibt Sebald Tücher in seinem Testament 15 Gulden für Grabgebühren aus, mit denen er sich eine neue Gruft einrichten läßt, welche überhaupt erst die zweite innerhalb des Tucherschen Begräb­ nisses wird94. Wenn Anna Tücher geb. Pfinzing, die zweite Frau von Berthold Tücher, 1379 in ihrem Testament 15 Pfd. Haller für eine Grablege in St. Sebald bestimmt95, dann dürfte das für die Erstanlage der Tuchergruft gelten, zumal zwischen 1364 und 1379 kein Tücher verstorben ist. Warum sollte sie 1379 ein zweites Mal für das Grab bezahlen, wenn es wirklich schon 1364 angelegt worden wäre? Unsicher ist weiterhin, woher Scheurl überhaupt weiß, daß Eli­ sabeth Tücher mit im ersten Grab der Tuchergruft bestattet wurde; die Grab­ platte war offenbar nur mit dem bronzenen Familienwappen versehen96. Aber 88 Kohn, Umgebung, S. 71. 89 Tücher, Grüfte, S. 216; nach: Christoph Scheurl, Entwurf für ein Tucherisches Geschlechter­ buch (1542) fol. 9 v. 90 Vgl. S. 66 unf l^rflteanW^iri^ n)fi|o ntabcxf mich nmifTtxffc XdqL u^aciwtuitxüas*t ^iHHjnachrwärt) lt?uliid5Vrt>lc»f 1f .’rt^huu