Mitteilungen des Vereins für Geschichte der Stadt Nürnberg [17]

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Mitteilungen des

Vereins für Geschichte der Stadt Nürnberg. Herausgegeben im Auftrag des Vereins Von

Dr. Ernst Mümmenhoff, Arcftivr#:.

Siebzehntes Heft. Mit drei Abbildungen und drei Plänen.

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NÜRNBERG. VERLAG VON J. L. SCHRÄG (In Kommission). 1906.

Königl. Bayer. Hofbuchdruckerei G. P. J. Bieling-Dietz, Nürnberg.

Inhalt Seite

Abhandlungen und Quellenpublikationen: Die letzten Jahre der Reichsstadt Nürnberg und ihr Übergang an Bayern. Von Kreisarchivar Dr. Georg I —177 Schrötter.................................................................................. Zur Politik der ‘ Reichsstadt Nürnberg vom Ende * des Reichstages zu Speier 1529 bis zur Übergabe der Augsburgischen Konfession 1530. Von Dr. K. Schornbaum 17/—245 Die Wiederherstellung der St. Sebaldkirche in Nürnberg 1888—1905. Von Otto Schulz, Architekt . .... 246 — 280 Kleinere Mitteilungen: ' 281-^286 Hans Boesch f. Von —sS................................ .... Der letzte Woelckern f. Von —ss..................................... 286—291 Der Name Dutzendteich. Von Lehrer J. SchmidkontzWürzburg.................................................................................. 292 —306 Die Verschanzungen im sog. »Sachs-Wald« westlich von Gebersdorf bei Nürnberg — Glieder der Ostfront des befestigten Wallensteinschen Feldlagers vor Nürnberg vom Sommer 1632. Von Friedr. Sixt, Major b. St. d. ki I. Chevaul.-Regts.......................................................... 306—318 Die älteste Stadtbefestigung Nürnbergs. Entgegnung auf die Angriffe Dr. Siegfried Rietschels, o. ö. Pro­ fessors an der Universität Tübingen. Von E. Mum­ menhoff ...................................................................................... 319—339 Literatur: Die Schlacht im Nürnberger Walde (auch genannt die Schlacht vor den Toren Nürnbergs) vom 19. Juni 1502. Ein Beitrag zur Geschichte der Nürnberger Vorstadt St. Peter. Mit besonderer Berücksichtigung der Örtlichkeiten bearbeitet von Ottmar Kreppei. Nürnberg 1905. Verlag von Heerdegen-Barbeck. 8°. 71 S., mit 3 Tafeln. Von H. Heerwagen ............... 340—346 Zur Politik des Markgrafen Georg von Brandenburg vom Beginne seiner selbständigen Regierung bis zum Nürnberger Anstand 1528—1532. Auf Grund archivalischer Forschungen von Carl Schornbaum. Mün­ chen, Theod. Ackermann, Königl. Hofbuchhändler. 1906. 8°. VIIL und 559 S. Von —ss........................... 346—348

IV Seite

Nürnberger Ratsverlässe über Kunst und Künstler im Zeitalter der Spätgotik und Renaissance (1449) 1474 — 1618 (1633) von Dr. Th. Hampe. 3 Bde. Sonderaus­ gabe aus »Quellenschriften für Kunstgeschichte etc.« Wien, Karl Graesser & Co. Leipzig. G. B. Teubner. 1904. 8°. XXIV und 618, 541 und 137 S. Von E. Mummenhoff................................................................. 349 --356 Alt-Nürnbergs Profanarchitektur. Ein Bild ihres ge­ schichtlichen Werdegangs. Mit Berücksichtigung der Stadtbefestigung, Straßenbilder und Brunnen. In 151 Lichtdruckdarstellungen mit einem anleitenden Text, Von Dr. Fritz Traugott Schulz. Verlag von Gerlach & Wiedling. Wien und Leipzig. 40. 32 S., 113 Tafeln. 356—360 Von E Mummenhoff.............................................. Der Nürnberger Buchhändler Johann Philipp Palm, ein Opfer Napoleonischer Willkür. Zu dessen 100. Todes­ jahre quellenmäßig bearbeitet von Prof. Dr. J. Rackl. Mit 14 Bildern. Nürnberg. Carl Kochs Buchhandlung. 8°. 176 S. Von —ss .................................................. 360-362 Die Jugend und Erziehung der Kurfürsten von Bran­ denburg und Könige von Preußen. Von Archivrat Dr. Schuster, kgl. preuß. Hausarchivar, und Prof. Dr. Friedr. Wagner (*j*). 1. Bd. Die Kurfürsten Friedrich I. und II., Albrecht, Johann, Joachim I. und II. (Auch unter dem Titel: Monumenta Germaniae Paedagogica etc. Herausg. von Karl Kehrbach etc.). Berlin, A. Hofmann & Comp. 1906. 8°. XXIII und 608 S. Von E. Mummenhoff ........................... . 362—365 Das Heilige Römische Reich teutscher Nation im Kampfe mit Friedrich dem Großen. Von Dr. Artur Brabant. Erster Band. Joseph Friedrich, Herzog von Hildburg­ hausen, des Heiligen Römischen Reichs Generalissi­ mus 1757. Berlin, Verlag von Gebrüder Paetel 1904. 8°. 394 S. Von —ss ................... ....................... 365-369 Die Stadt Nürnberg im Jubiläumsjahre 1906 von deren I. rechtskundigem Bürgermeister Dr. von Schuh, königl. Geheimer Hofrat. Nürnberg, G. P. J. BielingDietz, Kgl. Bayer. Hofbuchdruckerei, 1906. Gr.-8° XVI und 647 S. Von — ss............................................ 369—373 Katalog der historischen Ausstellung der Stadt Nürnberg auf der Jubiläums-Landes-Ausstellung Nürnberg 1906. Im Selbstverlag des Stadtmagistrats Nürnberg. 1906. 8°. 460 S. Von —ss......................... ... 373

Die letzten Jahre der Reichsstadt Nürnberg und ihr Übergang an Bayern. Von

Kreisarchivar Dr. Georg Schrötter.

Einleitung. In der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts hatte die Reichsstadt Nürnberg den Höhepunkt äußerer Machtentfaltung und inneren Glanzes erreicht. Ihre politische Bedeutung als Reichsstadt, ihre wirtschaftliche Wichtigkeit als Handels­ zentrum, ihre kulturelle Überlegenheit, namentlich auf dem Gebiete der Kunst, ließen sie als »des Reiches Schatzkästlein« erscheinen. Den ersten Stoß erlitt sie in ihrer wirtschaftlichen Geltung durch die Verschiebung der Welthandelswege nach dem Westen, der zweite Stoß, geführt von dem wilden Mark­ grafen Albrecht Alcibiades 1552, erschütterte ihr politisches Ansehen und fügte ihr einen auf nahezu 2 Millionen Gulden berechneten Schaden zu. Doch noch immer bewegte sie sich auf stattlicher Höhe. Erst der 30 jährige Krieg, so unheilvoll für das deutsche Vaterland wie kein anderes Ereignis seiner Geschichte, schlug der Stadt so tiefe Wunden, daß sie sich davon sehr lange nicht mehr erholen konnte. Die kaiserliche Macht war gebrochen und damit neigte sich* auch die Größe der Reichsstädte zum Niedergang. Durch die namenlosen Opfer, welche der Krieg von der Bürgerschaft an Menschen und Gütern forderte, verlor sie die feste Grundlage ihrer i

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Existenz. Die Fürstenmacht konnte, gestützt auf das Ausland, stolz ihr Haupt erheben, während das Reich und die Reichs­ städte zu politischer Ohnmacht verurteilt waren. Die letzteren vermochten ihrer Industrie nicht mehr die alte Blüte wiederzu­ geben, nicht mehr die alten Handelsbeziehungen zurückzuge­ winnen. Größere politische Einheiten nahmen auch als größere wirtschaftliche Einheiten den Städten den Wind aus den Segeln, sie schlossen Nürnberg so gut wie andere von ihren Märkten aus*, es mußte sich darauf beschränken, für den lokalen Markt zu arbeiten, es mußte auf die Massenproduktion wie auf den gewinnbringenden Außenhandel verzichten. »Kunst und Schick« wich aus dem Gewerbe, pedantisch vermarkte man die Gerecht­ same und hielt den Luftzug fremder Konkurrenz ferne. Dynastische Kriege zehrten am Marke des Stadtstaates. Der spanische Erbfolgekrieg kostete . der Stadt 6V4 Millionen Gulden, der 7 jährige Krieg legte ihr schwere Kontributionen auf. Die Reichs- und Kreisbeiträge waren 1521 nach dem Reichtum der Stände festgesetzt worden. Nürnberg war höher veranschlagt als Ansbach und Bayreuth zusammen. Im Jahre 1709 ließ es sich in übel angebrachtem Bettelstolze sogar eine Erhöhung der Römermonate gefallen. Die hergebrachte Hauptabgabe war die sog. Losung, eine teils persönliche, teils vermögensrechtliche, einprozentige Steuer1). Seit dem 30 jährigen Kriege wurde sie alljährlich ausgeschrieben. Nach dem spanischen Erbfolgekrieg schritt man zur Erhöhung der Losung, seit 1758 wurde sie in doppeltem Betrage erhoben. Die geheime Finanzführung des patrizischen Stadtregi­ mentes, die bei der Ungunst der Verhältnisse fast unerschwing­ liche Höhe der Abgaben veranlaßten 1730 viele Kaufleute, beim Reichshofrat in Wien Beschwerde zu führen und die Ein­ setzung einer Kommission zur Prüfung des Stadthaushaltes zu verlangen. Die in Wien fast ein Vierteljahrhundert dauernde Untersuchung endete mit Zurückziehung der Klage seitens der Kaufmannschaft. 1786 wurde vom Rate zur doppelten Losung

*) Die erstere mußte jeder Bürger entrichten, der von seinem Geschäfte lebte, sonst aber kein Vermögen besaß. Der Bürger, der Vermögen hatte, mußte auch Vermögenssteuer bezahlen.

3 und den bestehenden hohen indirekten Abgaben noch eine Einkommensteuer eingeführt und dazu nicht einmal das Genanntenkollegium befragt Das gab zu neuen Beschuldigungen und Beschwerden Anlaß. Unter Mitwirkung von Reich und Kreis trat im August 1792 aus Mitgliedern des kleineren und größeren Rates (der Genannten) eine sog. »Ökonomie-Ver­ besserungskommission« zusammen, die erst mit beratender, dann mit entscheidender Stimme unter dem Namen »Ökonomie-Verbesserungs- und Rechnungskollegium« .als ständig erklärt wurde. Nach dem »Haupt- und Grundvertrag« von 1794 sollte das Kollegium der Genannten fortan aus 250 Mitgliedern bestehen, die jedoch sämtlich vom kleineren Rat gewählt und von denen 70 aus dem Patriziat sein mußten, Grund genug dafür, daß die Bürgerschaft mit einer derartig zusammengesetzten Gemeinde­ repräsentation noch keineswegs zufrieden sein konnte. Im Jahre 1791 hatte der letzte kinderlose Markgraf Karl Alexander die Markgrafschaften Ansbach-Bayreuth an Preußen abgetreten. Sogleich machte König Friedrich Wilhelm II. durch seinen Minister Freiherrn von Hardenberg die verrosteten burggräflichen Ansprüche auf Nürnberg und sein Gebiet geltend. Am 4. Juli 1796 erfolgte die Besetzung eines großen Teiles des Gebietes der Stadt, ein kaiserliches Mandat vom 9. Mai 1797 blieb unbeachtet. Nach dem Rücktritt Preußens von der 1. Koalition gegen Frankreich im Baseler Frieden vom 5. April 1795 warfen sich die französischen Revolutionsheere auf Österreich. Die Armee des Generals Jourdan rückte im August 1 796 raubend, plündernd und mordend in Franken ein; noch im gleichen Monat wurde sie durch Erzherzog Karl vertrieben. Die Verluste Nürnbergs beliefen sich in der kurzen Zeit nach amtlichen Erhebungen auf 1 529 651 Gulden. Die dadurch unerträglich gewordene Last der Staatsschuld und die ganze Jämmerlichkeit der Zustände ließen unter kräftiger Beförderung durch Hardenberg den ver­ zweifelten Entschluß reifen, sich Preußen freiwillig zu unter­ werfen. Friedrich Wilhelm II. jedoch nahm mit Rücksicht auf den Kaiser und wohl auch auf den Schuldenstand der Stadt den »Subjektions- und Exemtionsvertrag« vom 1. September 1796 nicht an. Das besetzte Gebiet blieb freilich weiter besetzt. i

4 Noch hatte Nürnbergs Stunde nicht geschlagen, und seinem alten Gegner sollte es überhaupt nicht verfallen. Auch Bayern hatte bereits 1791/92 das im Landshuter Erbfolgekrieg verlorene Gebiet, dessen Besitz von den pfälzischen Linien des Hauses Wittelsbach seit dem Tode Ott Heinrichs 1559 angestritten worden war, zurückgeholt, wodurch die Nürnberger Staatskasse einen Ausfall von jährlich 36 400 Gulden erlitt. Ein papierener Protest beim Wiener Hofe hatte keinen Erfolg. Der Eifer des »Ökonomie-Verbesserungs- und Rechnungskollegiums« bei Säuberung der Nürnberger Finanzen fiel dem Rate höchst beschwerlich. Er erbat von dem Kaiser die Niedersetzung einer kaiserlichen Lokalkommission. Dieser be­ stimmte den Hoch- und Deutschmeister Erzherzog Maximilian zum kaiserlichen Hofkommissär, welcher den Deutschordenschen Hof- und Regierungsrat Philipp Ernst Gemming subdblegierte. Am 1. Dezember 1797 trat die kaiserliche Subdelegations­ kommission ihr Amt an, in die Finanzen Nürnbergs Ordnung zu bringen. Ihr traten unüberwindliche Schwierigkeiten in den Weg: eine jahrhundertlange Mißwirtschaft und das Mißtrauen eines vorurteilsvollen Rates. Der Erfolg war verschwindend. Als Nürnberg an Bayern überging und die »Subdelegations­ kommission« »exspirierte«, zeigte Gemming dem Rate seine Abreise an. Es klingt wie Hohn, wenn der Rat die Anzeige »auf eine obligeante Art«1) beantworten ließ. Der Friede von Campo Formio (17. Oktober 1 797) und der Friedenskongreß zu Rastatt (Dezember 1797—April 1799) begründeten keinen dauernden Frieden. Der Krieg der 2. Koa­ lition gegen Frankreich (1799 —1801) brachte Ende des Jahres 1800 von neuem französische Truppen nach Nürnberg, die sich zwar gesitteter benahmen als die zuchtlosen Banden Jourdans, deren Anwesenheit aber wieder ganz außerordentliche Ausgaben und demgemäß eine Erhöhung der Steuern verursachte. Der Friede von Luneville (9. Februar 1801) und die Reichs­ deputation %w. Regensburg eröffneten Nürnberg endlich Aus­ sicht auf die Wiederkehr von Ruhe und Frieden zur Sanierung seiner Finanzen, garantierten ihm die Erhaltung seiner Selb*) Ratsverlaß vom 8. September 1806.

5 ständigkeit und Reichsstandschaft und gaben ihm gute Hoffnung auf eine friedliche Auseinandersetzung mit seinen beiden Nach­ barn Bayern und Preußen, die ihm sein zum größten Teile verlorenes Gebiet zurückbringen sollte1).

Im Frieden von Luneville überließ das Deutsche Reich an Frankreich das linke Rheinufer, dessen bisherige weltlichen Besitzer für den erlittenen Verlust auf dem rechten Rheinufer durch geistlichen Besitz entschädigt werden sollten. Die Aus­ führung der Entschädigung wurde einer Reichsdeputation über­ tragen, bestehend aus den Vertretern von 8 Reichsfürsten, welche am 25. Februar 1803 den Reichsdeputationshauptschluß faßte, der am 24. März von dem Reichstage und mit einigen unbe­ deutenden Vorbehalten am 2 7. April von dem Kaiser ratifiziert wurde. Abgesehen von allen übrigen Veränderungen blieben nur 6 Reichsstädte — Augsburg, Nürnberg, Frankfurt a. M., Bremen, Hamburg, Lübeck — im Besitze ihrer Unabhängigkeit. Nürnberg hatte schon im September 1801 die annähernde Gewißheit, daß seine Reichsfreiheit erhalten bleiben werde; es war das der Erfolg einer Mission des Senators Jobst Wilhelm Karl Tücher, Mitgliedes des Rates, und des Marktadjunkten Justus Christian Kießling, Mitgliedes des Genanntenkollegiums, nach Paris (April—September 1801). »Zu unserer ausnehmenden großen Freude haben wir gestern (2. September) allen fremden Machinationen ohngeachtet namens des französischen Gouver­ nements durch den Minister Taleyrand eine unsere Erwartung bei weitem übertreffende günstige Erklärung zu erhalten das Glück gehabt. Wir verlieren keinen Augenblick, solche einer Wohllöblichen Zentraldeputation mitzutheilen, müssen jedoch Wohldieselbe auf das angelegendste und dringendste bitten, niemand eine weitere Abschrift davon nehmen zu lassen, indem unsere Ehre für deren Geheimhaltung verpfändet worden ist. Eine Wohllöbliche Zentraldeputation, belebt von den wärmsten Wünschen für die Erhaltung der Freiheit unseres Staates und x) Nach E. Reicke, Geschichte der Reichsstadt Nürnberg, 1896. — L. A. W. Marx, Geschichte der Reichsstadt Nürnberg, 1856. — K. Süßheim, Preußens Politik in Ansbach-Bayreuth 1791 —1806. 1902. — E. Fentsch in der Bavaria. III. Band. 1865. — J. Baader, Streiflichter auf die Zeit der tiefsten Erniedrigung Deutschlands. 1878.

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für die Wiedererlangung seines ehehörigen Flors wird mit ufis die reinste Freude über die in jener öffentlichen Erklärung des Ministers zu Tage liegenden zu den schönsten Hoffnungen be­ rechtigenden Kennzeichen eines ganz besonderen Wohlwollens und einer ausgezeichneten Zuneigung des französischen Gouver­ nements genießen1)«. In einer Bekanntmachung vom 24. November 1802, also noch bevor der Reichsdeputationshauptschluß zu Regensburg gefaßt war, haben »Bürgermeister und Rat der freien Reichs­ stadt Nürnberg« diese Kunde der Bevölkerung gebracht: »Nach dem 2 7. Paragraphen des allgemeinen Entschädigungs- und Herstellungsplans, welcher von den erhabenen vermittelnden Mächten der hochansehnlichen Reichsdeputation zu Regensburg zur Annahme vorgeleget und von dieser auch wirklich ange­ nommen worden ist, bestehet das Kollegium der Reichsstädte in Zukunft aus 6 freien und unmittelbaren Städten. Gottes allwaltende Fürsehung hat den ersten Wunsch jedes guten Bürgers der Stadt Nürnberg erfüllt. Sie, unser teures Vaterland, steht in der Reihe jener freien und unmittelbaren Städte. Ihrer wartet nach so vielen erlittenen Bedrängnissen ein glückliches Loos durch alle die wichtigen Vorteile, welche nun jeder Reichsstadt, und namentlich auch Nürnberg, zuge­ standen worden sind. Unter sotanen Vorteilen ist dieser keiner der geringsten, daß die freien und unmittelbaren Reichsstädte »in dem ganzen Umfang ihrer resp. Gebiete die volle Landeshoheit und alle Gerichtsbarkeit ohne Ausnahmö und Vorbehalt, jedoch der Appellation an die höchsten Reichs­ gerichte unbeschadet, genießen«. »Elles jouiront dans toute l’etendue de leurs territoires respectifs de la pleine superiorite et de toute jurisdiction quelconque sans reserve, ni exception, sauf neansmoins Tappel aux tribunaux supremes de l’empire«. Wir bringen dieses andurch zu jedermanns Wissenschaft und erklären zugleich mittelst dieser öffentlichen, feierlichen J) Jos. Baader, Streiflichter auf die Zeit der tiefsten Erniedrigung Deutsch­ lands oder die Reichsstadt Nürnberg in den Jahren 1801 —1806. Nürnberg, 1878. S. 39 — 40.

7 Urkunde, daß wir, vorbehaltlich der zu den bisherigen Depu­ tations-Schlüssen zu erwartenden Ratifikation kaiserlicher Ma­ jestät und des Reiches, von allen den Rechten, welche hierunter auch der Stadt Nürnberg in dem vollen rechtmäßigen Umfang ihres Gebietes versehen sind — in so ferne wir sie nämlich nicht schon bisher ausgeübt hätten —, in bester Form Rechtens Besitz ergriffen — und sie uns namens der Stadt zu eigen gemacht haben —, die hieraus notwendig werdende weitere Verfügungen aber, für jetzt noch und (wenn nicht etwa in­ zwischen die Umstände frühere Maßregeln fordern sollten) bis auf denjenigen demnächst zu erwartenden, Zeitpunkt ausgesetzt sein lassen wollen, wo die auf fernere Vergleichshand­ lungen ausgestellte feste Bestimmmung des Gebietes hiesiger Stadt erfolgt sein wird1)«. Im Laufe des Jahres 1802 hatte es allerdings noch eine Zeitlang den Anschein, als ob auch Nürnberg einem der benach­ barten Territorialherren zugewiesen werden sollte* Denn ein kaiserliches Subdelegationskommissionsdekret an den Rat vom 6. Juli 1802 verbot, daß die erledigten Rats- oder Beamten­ stellen der Reichsstadt wieder besetzt würden, und ordnete an, daß sie gegen den Bezug der Accidenzien von einem anderen bereits angestellten Staatsdiener einstweilen versehen würden. Erst am 6. Dezember 1802, als die Reichsstandschaft Nürn­ bergs gesichert war, wurde die Anordnung zurückgenommen2). Die Hauptsorge des Stadtregimentes ging nunmehr dahin, mit Bayern und Preußen einen billigen Vergleich wegen der von diesen beiden Nachbarn okkupierten Gebiets­ teile und Einkünfte zu stände bringen und so die In­ tegrität des reichsstädtischen Gebietes wiederherzu­ stellen. Um sich das zu erleichtern, sparte man nicht mit Glückwunsch- und Ergebenheitsschreiben. Kurfürst Max Joseph antwortete auf die Glückwünsche bei seinem Regierungsantritt in den fränkischen Fürstentümern Bamberg und Würzburg, daß er sie »umsomehr mit besonderem Wohlgefallen aufgenommen habe, als die darin ausgedrückten Erwartungen vollkommen *) Einblattdruck. K. Kreisarchiv Nürnberg, S. XI, Frank. Kreisarchiv No. 196. 2) K. Kreisarchiv Nürnberg, XXIII 11/1, No. 95*

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denjenigen Gesinnungen entsprechen, welche Wir gegen Unsere älteren Territorialnachbarn stetshin an den Tag gelegt haben und deren Fortsetzung Ihr auch bei Erweiterung der bisher bestandenen Verhältnisse mit Gewißheit erwärtigen könnt1)«. An den König von Preußen und den Minister Freiherrn von Hardenberg gingen im November Schreiben ab, die »die Resti­ tution des diesseitigen okkupierten Gebietes« und die Anbahnung von »diesseitigen Negotiationen mit dem hohen Kurhause Brandenburg« zum Inhalt hatten2). Noch einen dritten Schritt tat die Reichsstadt, welcher ihr in Anbetracht der politischen Konstellation und der schon einmal gemachten guten Erfahrung glückverheißender zu sein schien als der direkte Verkehr mit dem Kurfürsten von Bayern und dem Könige von Preußen. Sie ordnete den Ratskonsu­ lenten Popp und den Kaufmann Kießling nach Paris ab und betraute sie mit der Aufgabe, den »Schutz und das Wohlwollen der großen Republik« zu erbitten. Die Bitte um Schutz richtete sich gegen Kurbayern wegen der gewalttätigen Wegnahme von Nürnberger Gebiet3) und gegen Preußen, welches 1796 das gesamte ehemalige Nürnberger Ge­ biet konfisziert und zum größeren Teile auch okku­ piert hatte4). Ein weiterer damit in engstem Zusammenhang stehender Auftrag der Ratsdeputation ging dahin, eine Purifikation des Nürnberger Gebietes von Untertanen anderer Staaten sowie des bayerischen und des preu­ ßischen Gebietes von Nürnberger Untertanen herbei­ zuführen, endlich »verschiedene andere Wünsche« anzu­ bringen. Als »erste unter den unmittelbaren deutschen Städten« hat die Reichsstadt Nürnberg »durch eine feierliche Abordnung an das französische Gouvernement den Schutz und das Wohl­ wollen der großen Republik ehrerbietig reklamiert«. »Alleine *) K. Kreisarchiv Nürnberg, S. XI, R. 3. Fränk. Kreisarchiv No. 5 c. 6. Dezember 1802. 2) Ratsverlässe vom 12. und 15. November 1802. 3) Es waren jene Gegenden, welche von Nürnberg im Landshuter Erb­ folgekrieg erobert und von Kaiser Maximilian ihm zugesprochen worden waren, ein Gebiet von 44 Quadratkilometern. Ygl. K. Süß heim, Preußens Politik in Ansbach-Bayreuth 1791 —1806. Berlin, 1902. S. 299 ff. 4) A. a. O. S. 174 -180.

9 nur bei der alles vermögenden Unterstützung der französischen Regierung kann Nürnberg hoffen, mit seinen mächtigen Nach­ barn ohne zu große unübertragbare Opfer ins Reine zu kommen«. Man sah mit weitgehenden Hoffnungen einem Erfolge entgegen. »Dann aber wird auch Nürnberg ganz glücklich und das er­ lauchte französische Gouvernement der erste Urheber, der einzige Grundstein dieses Glückes sein, das Nürnbergs Bürger und alle ihre Nachkommen diesem erhabenen Gouvernement ewig und mit täglicher Rückerinnerung feurigst verdanken werden«1). Mit Eifer gingen Popp und Kießling daran, der ihnen über­ tragenen Aufgabe gerecht zu werden. Bayern, so wissen sie sehr bald zu melden, habe zum Ersatz für das ihm entgangene Fürsten­ tum Eichstätt »um Zuteilung von Augsburg, Nürnberg und der bambergischen Reichsritterschaft angehalten«. Napoleon habe es verweigert und um andere Vorschläge ersucht. Ferner requirierten sie den in Paris lebenden diplomatischen Agenten Abel als ihren Charge d’affaires2). Diese Zuhilfenahme Abels war schon aus dem Grunde dringend notwendig, da Popp und Kießling die französische Sprache nicht hinreichend beherrschten. Am 3. Januar 1803 hatten die Deputierten die erste Audienz bei dem französischen Minister der auswärtigen Ange­ legenheiten Talleyrand, dem sie die obigen Aufträge der Reichs­ stadt Nürnberg unterbreiteten und die Überreichung eines Memoires, welches sie erst ins Französische übersetzen lassen mußten, in Aussicht stellten. Sie bekamen von der Audienz den Eindruck, »daß sie schon fast zu spät nach Paris gekommen seien«3). *) Erster Bericht der Deputation aus Paris, undatiert, in Nürnberg eingelaufen am 4. Januar 1803. Selektsakten im K. Kreisarchiv Nürnberg, S. IV, L. 2, No. 3. 2) Der ehemalige Württembergsche Landschaftskonsulent Abel weilte schon längere Zeit als diplomatischer Agent in Paris. Als er von der Nürn­ berger Ratsdeputation um seine Dienste angegangen wurde, was er sehr gerne an­ genommen hat, war er dadurch »gemeinschaftlicher Agent des ganzen reichsstädtb sehen Kollegiums« in Paris. AmlT/Tebruar 1803 bat die Nürnberger Gesandt­ schaft den Rat um ein Kreditiv für Abel an den 1. Konsul als ministre resident und um ein Gehalt von jährlich 30000 livres, welche Bitte sie am 19. Mai 1803 nochmal befürwortete. Nürnberg setzte sich deshalb mit der Reichs­ stadt Frankfurt a. M. in Verbindung (Ratsverlässe vom 6. und 22. Juni 1803). Die Anstellung selbst muß in dieser Zeit erfolgt sein, da Abel fortan offiziell als resident et Charge d’affaires der Reichsstädte auftritt und handelt. 3) Selektsakten, S. IV, L. 2, No. 3.

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Gleichzeitig hielt J. W. C. Tücher als Komitialbevollmächtigter in Regensburg Wacht über die Reichsherrlichkeit Nürnbergs1). In Berlin wurde der Geheime Legationsrat Karl Ludwig Woltmann als Geschäftsträger bestellt2)3 und zugleich vernachlässigte man auch nicht, sich das Wohlwollen des Kaisers Franz IL durch die üblichen Aufmerksamkeiten bei der Geburt eines kaiserlichen Prinzen zu sichern8). Daneben gingen Bestrebungen her zur Verbesserung der Verwaltung und Verfassung Nürnbergs. Die wirtschaftliche und finanzielle Lage der Stadt war seit einem halben Jahrhundert schon die denkbar schlechteste. Der dreißigjährige Krieg schlug Nürnbergs Wohlstand die tiefste Wunde; in der Folgezeit wurde die Stadt von den meisten europäischen und deutschen Märkten ausgeschlossen. Während um 1600 die jährlichen Staatseinnahmen an 3 000 000 Gulden betrugen, waren sie um 1790 auf 900 000 Gulden gesunken4). In dem einen Jahre 1755 betrug das Defizit 67 032 Gulden, im Durchschnitt der Jahre 1763—1792 erreichte es die Höhe von 80 000 fl.; einmal stieg es auf 293 054fl. und ein andermal während des siebenjährigen Krieges sogar auf 412 2 74 fl. Am Ende des Jahres 1791 betrug der Schuldenstand 9 454 941 fl. und 3 000 000 fl. Schulden hafteten auf den Ämtern. Einen Zins­ fuß von nur 4°/0 angenommen waren jährlich zur Verzinsung der ersteren Schuld 378 197 fl. notwendig. 4 633 533 fl. schuldete die Stadt ihren eigenen Bürgern5).* In der Zeit von 1792—1803 war die finanzielle Lage der Reichsstadt infolge der kriegerischen Ereignisse, namentlich aber infolge der bayerischen und preußi­ schen Okkupationen von Nürnberger Gebiet und des dadurch bedingten Ausfalles von Staatseinnahmen noch schlimmer ge­ worden, sodaß ein Staatsbankrott fast unausbleiblich war. Weder die im August 1792 eingesetzte »Ökonomie-Verbesserungs­ kommission«, welche bald unter dem Namen »Ökonomie-Verbesserungs- und Rechnungskollegium« eine ständige Einrichtung wurde, noch die 1797 vom Kaiser unter dem Hoch- und DeutschJ) Ratsverlässe vom 17.u. 29. Dezember 1802, 5., 7. und 25. Februar 1803. 2) Ratsverlässe vom 3. und 21. Januar 1803. Näheres über Woltmann siehe weiter unten. 3) Ratsverlaß vom 27. Dezember 1802. x 4) K. Süßheim, Preußens Politik in Ansbach-Bayreuth. S. 227 - 230. 5) Nach einem Gutachten des preußischen Kreisgesandten Soden vom 6. Mai 1792. K. Kreisarchiv Nürnberg, XXIII 11/1, No. 95.

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meister Erzherzog Maximilian eingesetzte kaiserliche Lokal­ kommission, die sog. kaiserliche Subdelegationskommission, an deren Spitze der Hof- und Regierungsrat des Deutschen Ordens Philipp Ernst Gemming berufen wurde, im Verein mit dem löbl. Genannten-KolTegium zu Verbesserung des Finanzstandes1) hatten irgend einen andern Erfolg aufzuweisen als die rechne­ rische Feststellung des vorhandenen erschreckenden Defizits. Nachdem die Erhaltung der Selbständigkeit Nürnbergs Ende des Jahres 1802 sicher war, dachte man an die gänzliche Neuorganisierung des reichsstädtischen Direktoriums2) und ver­ folgte man mit um so größerem Eifer die Reorganisierung der zerrütteten Finanzverhältnisse3). Eine hervorragende Rolle spielte dabei der Verkauf von Staatsrealitäten4). Ein greifbarer Erfolg ist nicht erzielt worden, alle Anläufe zu einer wirklichen Verbesserung erlahmten angesichts der Aussichtslosigkeit, neue Einnahmequellen zu erschließen oder wenigstens die verlorenen wieder zurückgewinnen zu können. Anfang Januar 1803 erschien in der Pariser Zeitung »Publiciste« eine Notiz, daß Preußen die Stadt Nürnberg angeboten worden sei, dieses aber das Angebot wegen der horren­ den Schulden zurückgewiesen habe5). Solche Nachrichten wurden meist nur zur Diskreditierung des Ansehens der Reichsstädte in die Welt gesetzt. Preußen ist nämlich die Reichsstadt nicht offeriert worden. Vielmehr hat es damals noch sehr begehrliche Blicke auf das immerhin volk- und gewerbereiche Nürnberg geworfen und würde keineswegs vor der Übernahme der Schulden in Anbetracht der Erwerbung von Land und Leuten, in Anbe­ tracht der Sicherung seiner Position in Süddeutschland zurück­ geschreckt sein. Aber eines beweist die Notiz, daß der finanzielle Zusammenbruch Nürnbergs unter seinen bisherigen Stadtregimente landkundig war. Die Ratsdeputierten in Paris waren unverdrossen an der Arbeit, zum Besten der Reichsstadt zu wirken und den Schaden *) 2) 3) 4) 5) tation in

Ratsverlaß vom 18. Oktober 1802. Ratsverlässe vom 11. und 14. März 1803. Ratsverlaß vom 6. April 1803. Ratsverlaß vom 31. Mai 1803. „qu’il ne vouloit pas se charger de ses dettesw. Bericht der Depu­ Paris vom 12. Januar 1803. Selektsakten, S. IV, L. 2, No. 3.

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zu reparieren, der dadurch entstanden war, daß sie schon fast zu spät nach Paris gekommen waren. »Existenz und Sub­ sistenz«1) der Reichsstadt waren ihre Ziele. Freilich mußten sie sich und ihre Auftraggeber mit großem Mut und großer Geduld wappnen. »Nürnbergs Hoffnungen, so trösten sie sich, ruhen auf ziemlich guten Stützen, wir müssen nur nicht exzentrisch sein. Es gibt mehr Leute in Deutschland, die im Grunde einerlei politisches Interesse mit Nürnberg haben* auch diese arbeiten sehr stark und arbeiten per indirektum für uns mit2)«. In diesen Januartagen war Napoleon »sehr und ernstlich mit den deutschen Angelegenheiten beschäftigt«, die Angelegenheit Nürnbergs war allerdings nicht darunter. Sie waren gleichwohl guter Hoffnung, daß es ihnen vergönnt sein werde, in Paris den Auftrag der Reichsstadt zu erledigen. Auf daß ihnen nicht unvermutet Schwierigkeiten erwachsen würden, warnen sie davor, daß Nürnberg das Direktorium der Reichsstädte übernehme3), wie sie auch eindringlich raten, ihre Sache gar nicht mehr an den Reichstag in Regensburg zu bringen4); denn dadurch würde der Zweck ihrer Pariser Mission durchkreuzt. Ihre »gegründeten Hoffnungen« setzten sie auf ein Wort Talleyrands, der sich einige Tage zuvor »sehr vorteilhaft« über die Handelsverbin­ dungen zwischen Frankreich und Nürnberg geäußert hatte5), überhaupt auf Frankreich und seine gegenwärtigen Machthaber. »Wer hülfe uns nur im allergeringsten, wenn wir die Hoffnung auf das Gouvernement nicht hätten? Was wären wir ohne unsere Hoffnung auf dasselbe? Unsere Reichs­ unmittelbarkeit würde bei uns eben das sein, was bei dem Lungensüchtigen die schöne rote Farbe ist: ein falsches Zeichen von Gesundheit6)«. Zur Audienz bei Napoleon am 6. Februar waren sie trotz ihrer rechtzeitigen Anmeldung noch nicht zuge­ lassen. Wir vernehmen darob aus ihrem Munde die erste Äu­ ßerung der Zaghaftigkeit. » UnsereSacheist wirklich weit schwerer, *) 2) а) 4) ö) б)

Bericht Vom 24. Januar 1803. Selektsakten, S. IV., L. 2, No. 3. Bericht vom 23. Januar 1803, ebend. Berichte vom 19. Januar und 9. Februar 1803, ebend. Berichte vom 24. Januar und 22. Februar 1803, ebend. Bericht vom 2. Februar 1803, ebend. Bericht vom 9. Februar 1803, ebend.

13 als man sich es anfangs, uns eben auch mit eingeschlossen, zu Nürnberg dachte: indessen ist sie gerecht. Das französische Gouvernement kann und wird sie also auch nicht abandonnieren. Und es hat bis jetzt hiezu auch noch keinen Anschein. In Bewegung ist unsere Sache, soviel merken wir bald hier, bald da, aber sie ist wirklich etwas verwickelt«. Mitte April 1803 wurde Popp abberufen, an seine Stelle trat Ratskonsulent Roth1). Die Angelegenheit Nürnbergs war in Paris auf einem toten Punkte angelangt. Abel, Roth und Kießling waren also darauf bedacht, einen anderen Weg der Förderung zu finden. Sie machten den Vorschlag, durch eine eigene Deputation.jden Minister Haugwitz anzugehen*, das würde größere Wirkung hervorbringen als die Schritte des in Berlin angestellten Agenten YVoltmann. Außerdem befürworteten sie, »die Minister der vermittelnden Mächte in Regensburg um die Mitteilung der ge­ machten Vergleichsvorschläge an die gegenseitigen Bevollmäch­ tigten« anzugehen2). Wenige Tage später legen sie, nachdem sie hiezu bei Talleyrand die Erlaubnis eingeholt hatten, den zum Vergleichsgeschäfte bestellten Selekten in Nürnberg diesen Schritt wiederholt nahe3). Erst wenn das geschehen und gelungen sei, könne man an die angeratene Absendung der Deputation nach Berlin denken. In Verfolgung dieses Weges wurden Roth und Kießling Anfang Mai bei dem preußischen Gesandten in Paris, dem Marquis Lucchesmi, vorstellig, der nach seiner Versicherung »als Mitarbeiter an dem Entschädigungsplane zur Rettung Nürn­ bergs beigetragen habe«. Klugerweise vermieden sie es, von dem Anteil zu sprechen, welchen die französische Regierung an dem Vergleichsgeschäfte nehme. Das Interesse Preußens er­ fordere schlechterdings, so deduzierte Lucchesini, »daß Nürnberg *) Roth war wohl der fähigste von den zahlreichen Staatsmännern Nürnbergs der Zeit. Landesdirektionsrat Freiherr von Lochner charakterisiert ihn 1807 folgendermaßen: „Der Konsulent Roth ist anerkannt einer der fähigsten und tätigsten Geschäftsmänner in hiesiger Stadt. Seine Jugend und die damit verbundene Lebhaftigkeit, die vielen und mancherlei Geschäfte, welche ihm hier übertragen waren, sein langer Aufenthalt in Paris und Berlin gaben seinem Charakter Gewandtheit und Biegsamkeit“. K. Kreisarchiv Nürnberg, XXIII 11/1, No. 95. 2) Bericht vom 15. April 1803 in Selektsaklen, S. IV, L. 2, No. 3. 3) Bericht vom 19. April 1803, ebend.

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entweder unabhängig oder preußisch sei, m keinem Falle, unter keinen Umständen dürfte es in fremde * Hände kommen«. Weiter wurde noch von etwaigen Verhandlungen mit Kurbayern gesprochen, den nürnbergischen Staatsschulden und den erlittenen Kriegsschäden. »Die ganze Unterredung bezeugt nach unserm Dafürhalten die gute Wirkung, welche das kluge und standhafte Benehmen Nürnbergs hervorgebracht, und den Eindruck, den die von der französischen Regierung geäußerte Gesinnung ge­ macht hat«. Ein Besuch bei dem kurbayerischen Gesandten Cetto hatte den Zweck, seine Verwendung bei dem Vergleichsgeschäfte zu erlangen. Er gab die Zusicherung, »daß er an den Kurfürsten schreiben und Instruktion erwarten wolle. Der Kurfürst sei über­ haupt sehr günstig gegen die Stadt Nürnberg gesinnt«. Ihr Urteil über die beiden Audienzen faßten sie dahin zu­ sammen, »daß der Ton, der in diesen Audienzen herrschte, nicht der alte und nicht der natürliche ist, sondern in einer höheren Einwirkung seinen Grund haben muß. Was die beiden Minister gesagt haben, ist der sprechendste Beweis von dem lebhaften Interesse, das man Nürnberg gewidmet hat und von der Unterstützung, die man ihm zu leisten gedenkt« *). Den vorläufigen Abschluß dieser Bemühungen bildete eine Audienz bei dem »großen verehrungswürdigen Mann« Talleyrand, der ihnen nahelegte, »daß die Nachbarn Nürnbergs veranlaßt werden, sich in Vergleichshandlungen wirklich einzulassen«. »Die Folge dieser Handlung kann keine andere sein, als daß die Nachbarn von Nürnberg auf die durch die vermittelnden Mächte ihnen mitgeteilten Vorschläge antworten; wie auch diese Ant­ worten ausfallen mögen, so steht Nürnberg der bisher betretene Weg immer noch offen; an Frankreich, das alsdann die so oft gewünschte Initiative wirklich genommen haben wird, kann es sich alsdann aufs neue wenden und kann den zweiten Akt der Intervention, wirklichen Schutz gegen Unterdrückung, begehren« *2). Freilich erwiesen sich die schönen Hoffnungen nur allzu­ bald als trügerisch; denn die Minister der vermittelnden Mächte *) Bericht vom 5. Mai 1803, ebend. 2) Bericht vom 9. Mai 1803, ebend.

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verließen Regensburg, »ohne daß ihnen noch die ntirnbergischen Vergleichsvorschläge zur offiziellen Mitteilung an die Nachbarn (Nürnbergs) übergeben worden sind« *). * Die unmittelbare Folge davon war, daß der Pariser Auf­ enthalt der Ratsdeputation verlängert werden mußte. Ver­ stimmt lehnen Roth und Kießling alle Verantwortung für die Verzögerung der Übergabe der Vergleichsvorschläge "bei den zu Regensburg vermittelnden Mächten ab. Von Nürnberg ward ihnen nunmehr die Auflage, in Übereinstimmung mit dem ur­ sprünglichen Aufträge das Vergleichsgeschäft ausschließlich in Paris zu traktieren. Abel rang auch dem Minister Talleyrand sofort die Erlaubnis ab, das Geschäft in Paris erledigen zu können. »Wir dürfen an der Erfüllung dieser. Zusage nicht zweifeln und wir haben Ursache, sie als das Wichtigste, was bis jetzt hier ausgewirkt werden konnte, zu betrachten. Wir sind unbeschreiblich froh für unsere Sache selbst und für unsere Personen von der bangen Verlegenheit befreit zu sein, in welcher wir seit der ersten Nachricht von der nicht geschehenen Kommunikation nach Regensburg schweben mußten« *2). »Eh bien«, so sagte Talleyrand in einer neuerlichen Audienz zu Abel, Roth und Kießling, »nous arrangerons vos affaires au plustöt, vous savez que nous avons arrete jusqu’ici les mains e'tendues sur votre territoire« 3). Roth, Kießling und Abel wurden neue Vollmachten aus­ gestellt zu dem besonderen Zweck der Verhandlungen mit dem kurbayerischen und preußischen Gesandten in Paris. Die Hauptschwierigkeit des Vergleichsgeschaftes bestand darin, daß Nürnberg sowohl von Bayern wie von Preußen niemals Vergleichsvorschläge zu hören bekam. Der französische Gesandte Matthieu war nach seiner Versicherung in Regensburg wiederholt in den preußischen Be­ vollmächtigten Haenlein um positive Vergleichsvorschläge ge­ drungen, »eine bestimmte Antwort habe er nie. erhalten«, so erfuhr Abel von Matthieu selbst. »Im allgemeinen aber habe Herr Haenlein sich dahin geäußert, daß man sich mit Nürnberg *) Bericht vom 17. Mai 1803, ebend. 2) Bericht vom 25. Mai 1803, ebend. 3) Bericht vom 29. Mai 1803, ebend.

16 auf billige Bedingungen vergleichen und ihm, damit es für die Staaten des Königs selbst nützlich werde, alle Mittel zur Wiedererlangung des alten Wohlstandes einräumen werde, so­ bald es entschieden sei, daß es unabhängig bleibe« 1). Auf Grund so allgemein gehaltener Äußerungen läßt sich kein Vergleichsgeschäft anbahnen. Talleyrand hatte diesmal Wort gehalten, er hatte Preußen dazu bewogen, mit der Nürnberger Ratsdeputation über Ver­ gleichsvorschläge in Unterhandlung zu treten. Der bayerische Gesandte in Paris, Cetto, hatte schon früher Vollmacht, Anträge entgegenzunehmen. Am 26. Juni 1803 meldet sie die erfreuliche Nachricht nach Nürnberg — »ohne Zweifel eine der wichtigsten .und entscheidendsten in unserm ganzen Geschäfte« —, »daß vorgestern (2 4. Juni 1803) die offiziellen Aufforderungen zur Vergleichshandlung an den preußischen und bayerischen Minister förmlich erlassen worden sind« 2). »DieWohllöblichen Selekte werden sich mit uns innigst freuen, daß die so oft angerufene Inter­ vention uns endlich einmal gewährt ist. Ein Geheimnis kann und soll diese Intervention nicht bleiben * indessen rät die Klug­ heit, daß sie nicht durch uns bekannt werde«. Die Erlangung dieses »kostbaren Aktenstückes« wird als ein Verdienst Abels bezeichnet3). Mitte Juli 1803 hatten wegen Abwesenheit des ersten Kon­ suls die Verhandlungen noch nicht begonnen. Cetto wies in einer Unterredung mit Abel darauf hin, »daß die zwischen dem Bambergischen und der Oberpfalz liegenden nürnbergischen Ämter für Bayern durchaus notwendig seien«. Die Nürnberger Bericht vom 4. Juni 1803, ebend. a) Talleyrand machte Abel davon folgendermaßen Mitteilung: Monsieur, en conformite de la note en date du 30. floreal, que vous m’avez fait l’honneur de m’adresser, je viens d’inviter M. le M*s de Lucchesini ä demander des instructions et des pouvoirs ä l’effect de concurir de la part de Ja Prusse au regiement d^finitif, que le reces d’empire a laisse ä determiner par un arrangement ulterieur, par rapport ä la fixation du territoire de Nurenberg: et si ä mon retour les ministres de Prusse et de Baviere se trouvent investis ä cet egard de pouvoirs convenables, je serai empresse de prendre moi-meme les ordres du Premier Consul, pour contribuer ä terminer une affaire, qui interesse aussi essentiellement la ville de Nurenberg et qui obtiendra en consequence la bienveillance du gouvernement“. 8) Bericht vom 26. Juni 1803, ebend.

17 Deputierten dagegen stellten die Frage, »ob nicht das Amt Betzenstein für irgend ein ansehnliches Äquivalent an Bayern abgetreten werden könne, wenn dieses darauf bestehen sollte«. Eine militärische Straße durch das Nürnberger Gebiet könnte nie von ihnen befürwortet werden. Cetto riet nach diesen allgemeinen Informationen zur Absendung einer spe­ ziellen Nürnberger Gesandtschaft nach München, wodurch das Vergleichsgeschäft die größte Beschleunigung erfahren werde. Der preußische Gesandte Lucchesini aber äußerte anfänglich »einige Empfindlichkeit« über den »Schritt, der von seiten des Ministers der auswärtigen Angelegenheiten gegen ihn und den bayerischen Gesandten geschehen ist«, welche aber die Rats­ deputation glücklich zu beruhigen vermochte1). Die innige Freude der Nürnberger Deputierten war von keiner langen Dauer. Cetto, der sich vom kurbayerischen Hofe Vollmacht zu Verhandlungen erbeten hatte, wartete vergeblich auf ihr Eintreffen; er deutete ihr Ausbleiben auf Unterhandlungen zwischen München und Berlin2). Roth und Kießling empörten sich über die »traurige und für uns beide persönlich über allen Ausdruck un­ angenehme Zögerung«3). In der zweiten Hälfte des September 1803 erfuhr Abel von Lucchesini, daß sein König Ansbach oder Berlin als geeig­ neter für die Unterhandlung ansehe. Abel machte wohl Gegen­ vorstellungen, aber Lucchesini meinte, daß die französische Regierung »überall, wo auch die Unterhandlungen stattfinden mögen, ihre Intervention ausüben« könne4). Dabei hatte es trotz des Versprechens Talleyrands, »die Angehung der Ver­ gleichshandlung zu betreiben« sein Bewenden. Welches waren die Gründe für die veränderte, den Mi­ nister Talleyrand kränkende Haltung Preußens in der Frage der Vergleichsverhandlungen mit Nürnberg? Die Antwort darauf

’) Berichte vom 14. und 24. Juli 1803 a. a. O. 2) »Unsere Anträge zu empfangen, ist er (Cetto) längst autorisiert; aber dieses ist zu dem Geschäfte nicht hinlänglich«. Bericht vom n. August 1803 a. a. O. 8) Bericht vom 31. August 1803 a. a. O. 4) Bericht vom 24. September 1803 a. a. O. 2

18 wird die Betrachtung des Ganges der Ereignisse auf deutschem Boden geben. Am 30. Juni 1803 war zwischen Bayern und Preußen der sog. J^nerallandesyergleich zu stände gekommen, geschlossen von den beiderseitigen Bevollmächtigten, dem kurfürstlichen Staats- und Konferenzminister Maximilian Joseph Freiherrn von Montgelas und dem königlichen Staats-, Kriegs- und Kabinetsminister Karl August Freiherrn von Hardenberg, in welchem 1) beide Teile aller alten, bloß petitorischen Ansprüche auf ewige Zeiten sich begaben, 2) die Grenze des Fürstentums Bayreuth gegen die Ober­ pfalz geregelt wurde, 3) die Grenze gegen das Fürstentum Neuburg neuerdings bestimmt wurde, 4) zu einer zweckmäßigen, der Staatsverwaltung und den Untertanen gleich ersprießlichen Ausgleichung und Ab­ schneidung aller Kollisionen in die Zukunft Brandenburg dem bayerischen Kurhause 12 dem kurbayerischen Inte­ resse näher gelegene Bezirke überließ, wogegen 5) Bayern 13 dem brandenburgischen Interesse näher ge­ legene Bezirke abtrat, 6) die Anlegung einer geraden Verbindungsstraße von Schnaittach aus bis Forchheim festgesetzt wurde1). Diese Einigung zwischen Bayern und Preußen verschlechterte die Lage der Reichsstadt Nürnberg um ein Bedeutendes. Sie hatte nunmehr zwei einige, überlegene Nachbarn gegen sich, die auf sie möglichst wenig Rücksicht nahmen, ihr Schwierig­ keiten über Schwierigkeiten in den Weg legten, welche höchstens darin verschiedener Auffassung waren, wem die Reichsstadt einmal zufallen sollte. Die Lage Nürnbergs war die denkbar schwierigste. Die Stadt befolgte den Rat des bayerischen Gesandten Cetto in Paris, eine Deputation zur Anbahnung und Beschleuni­ gung des Vergleichsgeschäftes nach München zu schicken, insoferne, als sie mit der kurbayerischen Regierung in Korrespondenz trat, während sie am preußischen Hofe schon seit dem Frühjahr *) K. Kreisarchiv Nürnberg, XXIII 1803.

ii/i,

No. 155.

Druck vom Jahre

IQ 1803 eine ständige Vertretung in dem Residenten K. L. Woltmann hatte1). Seine Berichte aus Berlin vom 12. Februar bis 28. Mai 1803 spiegeln deutlich das Widerstreben Preußens wieder, mit Nürnberg überhaupt in die von den vermittelnden Mächten gewünschten Vergleichsverhandlungen einzutreten. Als im Mai 1803 König Friedrich Wilhelm III. mit seiner Gemahlin die fränkischen Provinzen Ansbach und Bayreuth besuchte und zu Fürth große Revue abhielt, wurde er auch durch eine nürnbergische Ratsdeputation, die zur kgl. Tafel gezogen wurde, be­ grüßt. Die Majestäten besuchten auch Nürnberg selbst, wo ihnen alle Merkwürdigkeiten gezeigt worden sind und über die ehemaligen burggräflichen Gerechtsame Aufschluß gegeben wurde. Hardenberg war gleichfalls in Nürnberg anwesend. Namentlich drang Woltmann darauf, den preußischen Geheimrat Lombard, der »feinen Schmeicheleien« wohl zugänglich sei und in besonderem Grade das Ohr des Königs besitze, zu gewinnen2). Und er selbst war sorgfältig darauf bedacht, durch keinen seiner Schritte bei dem Grafen Haugwitz, dem preußischen Mi­ nister der auswärtigen Angelegenheiten, anzustoßen, obwohl dieser im Vergleich zu Hardenberg für das »Fränkische Departements sich wenig interessierte. Im Oktober 1803 ruhte in Berlin die ganze Angelegenheit. Hardenberg hatte sich zu seinem Sohne nach dem Holsteinischen begeben. Schwere, aber wohl be­ gründete Anklagen gegen Preußen erhebt Woltmann in seinem Berichte an Nürnberg vom 22. Oktober 1803: »Weil Preußen so gewaltsame Schritte gegen Nürnberg getan hat und sein Unrecht lebhaft fühlen muß, will sein Stolz, indem es dasselbe einigermaßen gutmacht, dazu durch keine fremde Macht getrieben werden. Vorzüglich ist dies Hardenbergs Charakter. Als das Entschädigunsgeschäft noch obwaltete, schmiegte sich Preußen wohl vor dem französichen Gouvernement, von welchem es soviel hoffte und fürchtete. Jetzt steht es damit anders. Auch scheint sich die französische Regierung doch nicht leb­ haft für unser Geschäft zu interessieren, da sie die nürnbergischen Deputierten so lange über die Antwort des Herrn von Lucchesini 0 Jos. Baader, Streiflichter. 2) A. a. O. S. 59.

S. 12. 3*

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ununterrichtet ließ. — Mit Bayern zugleich würde Preußen das Geschäft der Ausgleichung vollbringen«1). Und in einem Schreiben Woltmanns an Roth und Kießling in Paris vom 25. Oktober 1803 spricht er sich noch schärfer über die Weigerung Preußens aus, die Vergleichsverhandlungen in Paris führen zu lassen: »Sowohl Hardenberg als der Graf von Haugwitz werden schwerlich dahin zu bringen sein, daß sie Paris als den Ort der Unterhandlung ansehen. Während des Entschädigungsgeschäftes mußte sich Preußen seines eigenen Vorteils wegen freilich sehr nachgiebig gegen Frankreich erweisen; aber dieses Müssen hat ohne Zweifel schmerzhafte Eindrücke hinterlassen. Jetzt hat es unmittelbar von Frankreich nichts zu hoffen und zu fürchten, wobei sein Verhalten in Hinsicht auf die nürnbergischen Angelegenheiten sehr in Anregung kommen könnte. Vorzüglich Herr von Hardenberg fühlt sich empört durch den Gedanken, es könnte das Ansehen haben, als wäre es einigermaßen Zwang von französischem Einfluß, wodurch Preußen bewogen würde, das der Reichsstadt Nürnberg zugefügte Unrecht zu vergüten. Auch äußerte mir dieser Staatsminister, daß freilich die Aus­ gleichung Bayerns mit Nürnberg zu gleicher Zeit geschehen müßte, diese aber durch preußischen2) in Berlin leichter als in Paris vollbracht werden könnte«3). Preußen, der Rücksicht auf Frankreich ledig, weigerte sich, im Vergleichsge­ schäfte mit Nürnberg es ein Wort zugunsten der Reichs­ stadt mitsprechen zu lassen. Das war auch die ferner von ihm zu befolgende Politik. Das trotz der freilich schwächlichen Unterstützung Frankreichs bedrängte Nürnberg mußte unterliegen. Sehen wir zu, wie Bayern sich zum Vergleichsgeschäfte stellte. Am 29. Juli 1803 wünscht Nürnberg in einer Vorstellung an Kurfürst Max Joseph, daß seine Irrungen bei Gelegenheit der vorbehaltenen Fixation des nürnbergischen Gebietes auch beständig hingelegt werden sollten. Das französische Gouver­ nement habe sich auf Nürnbergs Ersuchen zur Vermittlung herbei1) A. a. O. S. 6i. 2) sc. Einfluß. 8) K. Kreisarchiv Nürnberg, Selektsakten, S. IV, L. 2, No.

7.

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gelassen, die Verhandlungen sollten in Paris zu einem beide Teile befriedigenden Abschluß gelangen1). Eine Antwort ist nicht ergangen, weshalb die Stadt unterm 12. September 1803 in den Staatsminister Freiherrn von Montgelas dringt, zu veranlassen, daß die bayerische Gesandtschaft in Paris für die Vergleichsunterhandlungen instruiert werde, wenn es ihr auch vollkommen bewußt sei, »daß vordringliche Staatsgeschäfte den kurfürstlichen höchsten Entschluß bis nun zurückgesetzt zu haben scheinen« 2). Diese vordringlichen Staatsgeschäfte sind aber nichts anderes gewesen als der Wunsch Preußens, daß über das Ausgleichsgeschäft »mit Vermeidung alles Aufsehens vorderhand lediglich zwischen den beiderseitigen Kreis­ gesandtschaften und dem Magistrat zu Nürnberg, auch vorerst ohne Tei lnahme des kaiserlichen Subdelegaten ein Arrangement konzertiert werde« und die Beistimmung Frankreichs einstweilen ganz außer acht gelassen werde8). Die dem Gesandten Cetto ereilte Instruktion fiel auch ganz darnach aus. »Ihr habt gut daran getan, daß Ihr von Eurer Vollmacht für die Unterhandlungen über die Nürnberger Angelegenheit keinen Gebrauch gemacht habt, indem wir in den Antrag Sr. Majestät des Königs von Preußen gewilligt haben, daß wenigstens vorerst der Versuch gemacht werde, mit dem Magistrat oder dessen und der Bürgerschaft Bevollmächtigten ohne Dazwischenkunft einer dritten Macht über die in unserem mit Preußen geschlossenen Hauptlandesvergleich ausgezeichneten Gebietsteile eine Negotiation in Nürnberg selbst eröffnen zu lassen«*4). Gleichzeitig ward Hardenberg ersucht, eine Beratung des kurbayerischen Kreisgesandten von Oberkamp mit dem preußischen Kreisgesandten von Haenlein zu veranlassen, »auf welche Art die Unterhandlungen mit dem Magistrat und der Bürgerschaft oder deren Bevollmächtigten mit der Hoffnung eines guten Erfolges einzuleiten sein möchten« und ein Verbot der ferneren Unterhandlungen mit der Nürnberger Ratsdeputation in Paris auszusprechen5j. *) K. Geh. Staatsarchiv München, K. schw. 561, No. 81. 2) A. a. O. 3) A. a. O. 4) A. a. O. Instruktion vom 26. September 1803. 5) Schreiben vom 26. September 1803 a. a. O.

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Preußen war dem bayerischen Wunsche bereits zuvorge­ kommen. Nürnberg befand sich trotz der wiederholten Verspre­ chungen Talleyrands in der peinlichsten Situation. Maßgebende Persönlichkeiten in Paris meinten, man könne Preußen durch Verlegung der Unterhandlungen nach Berlin entgegenkommen insoferne, als man sich in Berlin über »die Basis des Vergleiches« einig werde, dann brauchten die Verhandlungen nicht in Paris geführt zu werden. Wenn aber »die Basis des Vergleiches« in Berlin nicht gefunden werde, müßten sie in Paris überhaupt geführt werden. Man habe sich daher immer den Rekurs an die Intervention der französischen Regierung vorzubehalten. In einer Unterredung Abels mit Talleyrand gab letzterer die be­ stimmte Erklärung: »die Erklärung des Herrn Ministers von Hardenberg ent­ scheide nichts in der Sache* Herr von Hardenberg habe nur provisorisch das Portefeuille der auswärtigen Angelegen­ heiten gehabt. Der nürnbergische Agent in Berlin sollte mit dem Grafen Haugwiz über die Sache sprechen; alsdann werde man hier wissen, was man weiter zu tun habe«1). Die vollkommene Aufklärung über den wahren Grund des preußischen Verhaltens hat Woltmann in seinen zwei Berichten vom 22. und 25. Oktober gegeben: Preußen wollte die französi­ sche Intervention zu Gunsten Nürnbergs ferne halten. Bayern und Preußen arbeiteten in ihrem Sinne gegen Nürn­ berg zusammen. Bayern instruierte am 29. September 1803 seinen Kreisdirektorialgesandten von Oberkamp über die mit dem preußi­ schen Kammervizepräsidenten und Kreisdirektorialgesandten von Haenlein zu pflegenden Unterhandlungen 2). Er kam dem erhal­ tenen Aufträge sofort nach. Über Preußens Auffassung und Absicht unterrichtet das Schreiben des Königs Friedrich Wilhelm vom 23. September 1803 an von Haenlein: »Wir finden uns veranlaßt, Euch vorläufig vertrauliche Kenntnis zu geben, daß Wir mit Kurbayern vermöge geschlossenen 1) Bericht aus Paris vom 20. Oktober 1803.

Selektsakten, S. IV, L. 2,

No. 3. 2) K. Geh. Staatsarchiv München, K. 561, No. 81. Die Instruktion deckt sich mit den Mitteilungen an Cetto in Paris und an den Minister Har­ denberg vom 26. September 1803.

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geheimen Vertragsartikels darüber besonders übereingekommen sind, daß beide Teile gemeinschaflich auf den Fall, daß Nürn­ berg Reichsstadt bleiben sollte, ein Arrangement dahin einzu­ leiten suchen wollen, daß Uns die Ämter Lichtenau, Gräfenberg, Hilpoltstein und Betzenstein nebst den Städten Lauf und Alt­ dorf, dem Kurhaus Bayern aber die Ämter Engelthal, Velden, Altdorf und Hersbruck mit Ausnahme der vorgenannten Städte vom nürnbergischen Gebiete mit Übernahme eines verhältnis­ mäßigen Anteils der Staatsschulden zustellenx) sollen. Bei Ratifikation des gedachten bayerischen Hauptvertrages ist auch dieser Punkt desselben von Uns Allerhöchst-unmittelbar mit der näheren Bestimmung genehmigt worden, daß über diese Akquisitionen und wo möglich zu diesseitiger Erwerbung der im Gebiet befindlichen zerstreuten Domanialbesitzungen durch die diesseitige Kreisdirektorialgesandtschaft und durch den kur­ bayerischen Kreisgesandten mit dem Magistrat zu Nürnberg vorerst ohne Teilnahme des kaiserlichen Subdelegaten ein Ar­ rangement konzertiert werden dürfe, daß jedoch hierüber vor der Hand und bis mit dem Magistrat eine Vereinigung zu stände gekommen, mit der französischen Republik nicht negoziiert werden solle. Da diese Unterhandlungen nach der ausdrück­ lichen Bestimmung des vorliegenden Vertrages und schon des beiderseitigen Interesses wegen gemeinschaftlich und mit gegen­ seitigem Einverständnis gepflogen werden sollen, so ist für nötig erachtet worden, vor allen Dingen hierüber mit dem kurbayerischen Ministerio vorläufige Rücksprache zu nehmen und darauf anzu­ tragen, daß die dem jenseitigen Kreisgesandten in dieser Ange­ legenheit erteilte Instruktion und die jenseitigen Gesinnungen in Ansehung der Art der Einleitung dieser Negoziation über­ haupt hieher mitgeteilt werden. Sobald nun die jenseitige Ant­ wort, welcher Wir entgegensehen, erfolgt, werden Wir Euch mit näherer bestimmter Instruktion über die Einleitung der Unterhandlungen von diesseits versehen. Wir machen Euch bei dieser Gelegenheit' ferner bemerklich, daß der hier accreditierte Geschäftsträger der Reichsstadt Nürnberg, Geheimer Legations­ rat Woltmann, die nürnbergischen Vergleichsanträge neuerlich J) D. h. zustehen.

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bei Unserem Kabinetsministerio in Anregung gebracht hat. Da diese aber in der Hauptsache bloß auf die auch in dem Unserer Allerhöchsten Person bei Unserer Anwesenheit in Franken über­ reichten Schreiben des dortigen Magistrates gebetene Restitution ihres angeblichen Gebietes gehen, so kann weiter keine Rück­ sicht darauf genommen werden. Inzwischen ist von Unserm geheimen Staats- und Kabinetsminister Freihern von Hardenberg gegen den Woltmann mündlich im Diskurs geäußert worden, daß man wohl diesseits geneigt sein würde, mit Nürnberg gegen Abtretung eines Teiles des jenseitigen Gebietes mit verhältnis­ mäßiger Übernahme von Staatsschulden dergestalt sich zu ar­ rangieren, daß man der Stadt einiges Arrondissement verschaffe, daß wir aber nach den bestehenden Verhältnissen und da auch Kurbayern bei dieser Sache interessiert sei und mit Nürnberg über die gegenseitigen Irrungen und Prätensionen vormals Unter­ handlung gepflogen habe, nur gemeinschaftlich mit diesem Kur­ haus unterhandeln könnten. Der Woltmann wird hiervon seinen Kommittenten wahrscheinlich Nachricht geben. Ihr habt daher Eure Aufmerksamkeit hierauf zu richten und Erkundigung ein­ zuziehen, welchen Eindruck und was für eine Stimmung durch gedachte Äußerung erregt wird, auch welche Maßregeln der Magistrat hierüber allenfalls zu ergreifen gedenkt« 1). Haenlein gab dagegen seiner Überzeugung dahin Ausdruck, daß er »an einem glücklichen Erfolge der einzuleitenden Unter­ handlungen durchaus« zweifele. Im Rate der Stadt Nürnberg hat »nach einer sehr langen und stürmischen Sitzung die An­ sicht die Oberhand« behalten, »daß es auf keinen Fall rätlich sein werde, die einmal nachgesuchte französische Vermittlung aufzugeben und daß man daher, wenn es zu wirklichen Unterhandlungen kommen sollte, suchen müsse, diese in Paris zu führen und unter französischer Autorität abzuschließen, auch auf keine andere Basis sich einzulassen als diejenige Ew. K. Majestät aus mei­ nen Regensburger Berichten bekannte Basis«. Mit dem Kollegium der Septemvirn wäre ganz gut zu unterhandeln, »allein diese Behörde ist durch den kaiserlichen Subdelegationskommissär 1) Abschrift des Schreibens in K. schw. 561, Staatsarchiv München.

No.

81.

K. Geh.

25 Gemming längst außer Wirksamkeit gesetzt. Diese ehemalige Teutsch-Ordensche-Landbeamte, dessen Händen das Schick­ sal der hiesigen Stadt zu ihrem wahren Unglück seit 6 Jahren anvertraut ist, und der weder Talente noch Kenntnisse im Finanzfach noch die mindeste Erfahrung in Staatsgeschäften besitzt, hat sein zweideutiges Ansehen besonders dadurch zu gründen gesucht, daß er dem Magistrat und der sonst herr­ schenden patriziatischen Partei das Ruder der Regierung hat aus den Händen gespielt und seinen Anhängern unter der Bürger­ und Kaufmannschaft die Konkurrenz und die Stimmenmehrheit in allen wichtigen Regierungsangelegenheiten zugewendet hat. Auf diese Weise hat er den sogenannten Selekt organisiert, welcher seit mehreren Jahren die öffentlichen hiesigen Angelegen­ heiten und alle politischen Unterhandlungen leitet«. Dieser Selekt hatte den Kaufmann Kießling und den Konsulenten Roth als seine Deputierten in Paris. »Letzterer ist ein junger Mann von noch nicht 30 Jahren, ein Württemberger von Geburt, ohne alle Erfahrung, Welt- und Geschäftskenntnis. Ersterer bloßer Kaufmann von sehr wenig Bildung, dem alle Geschäfte und politischen Verhandlungen ebenso fremd sind«. Die zwei Leute, selbst getäuscht, haben die Nürnberger wieder mit eitlen Hoffnungen getäuscht, so z. B. daß der Besitzstand von 1796 für Nürnberg wieder hergestellt werden und der Stadt »noch ein großes Arrondissement, worunter Fürth, Erlangen und Schwabach sich befinden, zu teil werden soll«. Aus diesem und anderen Umständen erklärt sich die Vorliebe der Stadt, daß sie »die unmittelbare französische Mediation nicht aufgeben« wolle. Dadurch wird das Geschäft unendlich in die Länge ge­ zogen. Kommt es doch nach den königlichen Intentionen zu­ stande, so ist die kaiserliche Genehmigung notwendig. Diese zu erlangen, wird sehr schwer halten. Es läßt sich daher »die französische Einwirkung in das hiesige Vergleichsgeschäft nicht umgehen«. Er befürwortet darum einen »Vergleich unter franzö­ sischer Vermittlung in Paris«. Die Nürnberger Deputierten müßten dasjenige unterzeichnen, »was das französische Gouver­ nement für Tätlich und ihrem Interesse für angemessen hielte, und wenn das französische Ministerium ihnen alsdann mit Ernst und Nachdruck die Unzulässigkeit ihrer Forderungen vorstellte

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und seine Willensmeinung mit dem Beifügen, daß dieses die einzige Bedingung sei, unter welcher die bisherige Existenz Nürnbergs als Reichsstadt erhalten werden könne, eröffnete, so würde wohl der Abschluß nach den Hauptgrundzügen ohne die geringste Teilnahme des kaiserlichen Subdelegaten und ohne allen Aufenthalt erfolgen müssen, um vorerst die Territorialgrenzen regulieren und beiderseits von den neuverglichenen Linien Besitz nehmen zu können. Die weitere und gänzliche Kameralaus­ gleichung, die genaue Regulierung wegen Übernahme und Be­ zahlung der Schulden sowie die Abschließung eines wechsel­ seitigen detaillierten Kommerztraktates mit Nürnberg würde immer noch ein nachfolgendes wichtiges Geschäft abgeben, welches eine hiesige Unterhandlung und einigen längeren Zeit­ raum hiezu erforderte«. Das sei viel besser als die französische Einwirkung von Paris her unter dem Drucke der nürnbergischen in Paris gemachten Vorspiegelungen. Doch erklärt er auch seine Bereitwilligkeit, die Verhandlungen, nach dem er auf alle Schwierigkeiten aufmerksam gemacht, in Nürnberg zu führen *). Von übertriebenem diplomatischen Geschick ist das Gut­ achten nicht diktiert; denn Diplomatie und Säbelrasseln sind zwei grundverschiedene Dinge. Trotz aller entgegenstehenden Bedenken Haenleins wurde von Preußen wie Bayern daran festgehalten, die Verhandlungen in Nürnberg beginnen zu lassen. Haenlein und Oberkamp überreichten dem Rate der Stadt eine gemeinsame Note mit der Aufforderung, »daß unverlängt aus dessen Mitte eine Deputation ernannt und bevollmächtigt werde, mit welcher in nähere Eröffnung und weitere Unterhandlungen getreten werden kann« *2). Allerdings fand auch Oberkamp sehr bald, »daß, ohne zu Paris den Rücken sicher zu haben, in Nürnberg mit Vergleichs­ unterhandlungen ehrenvoll nicht fortzukommen sei«*, denn die stärkere Partei in Nürnberg sei fort und fort für die französische Vermittlung3). Infolgedessen trug man von München aus bei Frei­ herrn von Hardenberg dahin an, »den verabredeten Vergleich unter unmittelbarer französischer Vermittlung in Paris einzuleiten und J) A. a. O. 2) A. a. O. 3) Bericht Oberkamps vom 24. Oktober 1803 a. a. O.

27 allda abzuschließen« *), und beauftragte man den kurbayerischen Gesandten in Berlin, dahin zu wirken, daß die Verhandlungen über die Nürnberger Sache nicht in die Länge gezogen werden und daß er darauf dringe, dem preußischen Gesandten in Paris zur Behandlung dieses Geschäftes eine andere Instruktion zu erteilen*2). Gleichzeitig erging an Oberkamp die Weisung, »alle weitere Einleitung bei dem Magistrat zu Nürnberg auf sich beruhen zu lassen«, bis ihm »eine fernere Ent­ schließung zugehen werde« 3). Dieser Wechsel der Entscheidungen und Entschließungen hatte, ob beabsichtigt oder unbeabsichtigt, den Erfolg, daß man in Nürnberg niemals recht wußte, woran man war, daß man im Vergleichsgeschäfte keinen Schritt vorwärts kam. Fast D/2 Monate hören wir dann überhaupt nichts mehr von dem Ver­ gleichsgeschäfte, abgesehen davon, daß in den Ratsverlässen der Zeit das rastlose Bestreben Nürnbergs nach Klärung der Verhältnisse sich kundgibt, namentlich nach der Seite der bayerischen Übergriffe vom Bamberger in das Nürnberger Gebiet und gegen Nürnberger Untertanen4). Die Anlehnung Nürnbergs an Frankreich entsprang dem Selbsterhaltungstrieb, dem ganz richtigen Gefühle, daß für seine Selbständigkeit nur von da Unterstützung zu erwarten sei. Sie war im allgemeinen Schiffbruch der Balken, an den man sich an­ klammern mußte. Die Verhältnisse hatten sich glücklich so ge­ fügt, daß auch Bayern und Preußen auf die französische Mediation zurückkamen. So hatte man sich doch wenigstens bei dem ersten Schritte, bei der Einleitung zum Vergleichs­ geschäfte, gefunden. Es war also nicht ganz vergeblich gewesen, daß man schon fast ein Jahr eine teure Ratsdeputation in Paris unterhielt, daß man am bayerischen Hofe für die Wahl von Paris als Verhandlungsort eingetreten war, daß man auch in Berlin trotz allen Mangels an Entgegenkommen nicht er­ müdete, in dem Sinne wirken zu lassen. Von Berlin aus dem Munde Woltmanns vernehmen wir am 29. November 1803 wieder *) Schreiben vom 7. November 1803 a. a. O. Schreiben vom 13. November 1803 a. a. O. 3) Schreiben vom 13. November 1803 a. a. O. 4) Ratsverlässe vom 17. August, 3. Oktober, 7. Dezember, zember 1803, 7. Januar, n. Januar, 25. Januar 1804. 2)

22. De­

28 Belangreiches über die Förderung des Vergleichsgeschäftes. Am 23. November hatte er Audienz bei dem Grafen Haugwitz: »Ich teilte ihm zuerst alles mit, was in seiner Abwesenheit über die Ausgleichung zwischen Preußen und Nürnberg gesprochen war, die Ideen desselben, welche meinen Herrn Kommittenten mit eintretenden begünstigenden Modifikationen nicht unannehm­ lich schienen, und entwickelte dann die Gründe, warum die Unterhandlung in Paris am leichtesten geschähe und warum es wünschenswert wäre, daß sie in den beiden nächsten Monaten vollbracht würde. Ich ersuchte endlich den Minister, daß Herrn von Lucchesini eine Instruktion mitgeteilt werden möchte, welcher die Ideen des Herrn von Hardenberg zum Grunde lägen. Damit auch von preußischer Seite die nötigen Lokal­ kenntnisse in Paris sogleich gefunden werden könnten, möchte man den Herrn von Haenlein hinsenden, welcher das Vertrauen des Königs und der Reichsstadt Nürnberg hätte«. Nach längeren Hin- und Herreden kamen sie zu folgenden Resultaten: 1. Nürnberg müßte in einer gewißen Entfernung von seinen Mauern notwendig ein unabhängiges Gebiet besitzen. 2. Preußen müßte ihm die günstigsten Kommerzialverhältnisse schaffen, 3. ebenso Erleichterung von dem Druck, unter welchem die nürnbergischen Finanzen seufzten. Schließlich gestattete Graf Haugwitz auch die Mitteilung dieser Unterredung an Minister Talleyrand 1). Der Bericht über diese Audienz ging auch der Ratsdeputation in Paris zu*, er bildete für sie den Ausgangspunkt zu neuen Vorstellungen bei Talleyrand, der, »dieses neue Memoire auf­ merksam gelesen und sogleich derjenigen Person, welche ein Gutachten darüber machen muß, übergeben hat« 2). Welch unzuverlässige Stütze aber dieser Staatsmann war, mag daraus zu ersehen sein, daß er wenige Tage darnach Abel den Rat gab, die Unterhandlungen doch in Berlin führen zu *) J. Baader, Streiflichter. S. 61 — 63. 2) Bericht von Roth und Kießling vom 23. Dezember 1803. akten, S. IV, L. 2, No. 3.

Selekts-

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lassen. Er werde die Sache auch noch dem ersten Konsul und dem französischen Gesandten in Berlin unterbreiten 1). Die Erledigung zog sich ungebührlich lange hin. »Wir (Roth und Kießling) fühlen tief und schmerzlich, was dieses lange Harren auf eine Entscheidung Kränkendes und Nachteiliges hat; übrigens ist noch keine Ursache vorhanden, Mut und Hoffnung sinken zu lassen und die Not selbst macht hier Geduld und Standhaftigkeit zur Pflicht« 2). Was Woltmann aus Berlin meldete, war auch nicht darnach angetan, die angestrebten Vergleichshandlungen einem Anfang entgegenzuführen. »Die dem Minister Grafen von Haugwitz übergebene Note hat wenigstens soviel gewirkt, daß der Minister, was bisher noch nie in den nürnbergischen Sachen geschah, sie ad referendum ausgeteilt hat. Der Referent ist mein vertrauter Freund, der vortreffliche geheime Legationsrat Küster. Indessen hat der Graf von Haugwitz dabei geäußert, daß er vor der weitern Einleitung der Sache in den Geschäftsgang noch eine Konferenz mit dem Staats­ minister von Hardenberg über sie halten wolle. Ich fürchte, daß das Resultat derselben uns wegen der neuesten Begeben­ heiten in Paris noch verzögert werde. Graf Haugwitz, der nur arbeitet, was ihm auf den Fingern brennt, kann nur durch Frankreich zur Beschleunigung unserer Angelegenheit gedrängt werden, und nur durch Gefälligkeit gegen dasselbe wird er sich zu einem Arrangement mit Nürnberg bequemen. Hätte ich allein und unmittelbar mit Herrn von Hardenberg zu tun, so wäre eine Basis, wenigstens eine Bestimmung des Geschäfts, bald vollbracht. Nun aber ist er durch das auswärtige Departe­ ment gebunden, und ohne den Grafen Haugwitz kann er uns gar keine befriedigende Antwort geben. Ich bin überzeugt, daß der Referent alles Mögliche zur Beschleunigung der Verhandlung vollbringt. Indessen zweifelt er gänzlich, daß man diese nach Paris gehen lassen werde. Nur einem starken Andringen der französischen Regierung wird man hier weichen«3). Am 2. März 1804 war die Angelegenheit nicht um Haares Breite weiter gediehen. In einer Audienz bekundete Talleyrand *) Desgl. vom 8. Januar 1804 a* a< O* 2) Desgl. vom 1. Februar 1804 a. a. O. 3) Bericht vom 28. Februar 1804 in J. Baader, Streiflichter, S. 63.

30 gegen Abel seinen »festen Vorsatz, die Sache ohne weiteren Verzug einzuleiten und in Ordnung zu bringen«. »Auf welche Art es geschehen soll, hat er nicht gesagt« 1). Wunderlich genug, am 22. Marz 1804 bringen Roth und Kießling eine Erklärung, »welche man als Meinung des Ministers (Talleyrand) ansehen darf«, zur Kenntnis ihrer Auftraggeber. »Der erste Konsul habe sich bewogen gesehen, seine Vermittlung in den deutschen Angelegenheiten wieder eintreten zu lassen und durch öffentliche Verhandlungen mit der Reichsversammlung alles, was noch nicht hinlänglich bestimmt sei, festzusetzen. Da man die Absicht habe, den Rezeß in allen seinen Teilen zur Vollziehung zu bringen, so werde notwendig auch die Angelegen­ heit von Nürnberg einer der Verhandlungsgegenstände sein. Somit könne diese Angelegenheit, welche nur wegen der Abreise der vermittelnden Minister von Regensburg hieher gebracht worden sei, nicht mehr hier, sondern sie müsse in Regensburg behandelt werden, umsomehr, da die französische Regierung nur als vermittelnde Macht in derselben wirken könne« Übrigens dürfen wir uns versichern, daß man den französischen Bevoll­ mächtigten den Auftrag, diese Sache vorzunehmen, erteilen werde; nur müsse in einer eigenen Note darum gebeten werden. Die Verweisung des Geschäfts nach Regensburg werde uns eher vorteilhaft als nachteilig sein, weil man in Regensburg auf Um­ stände und Verhältnisse, welche sonst einen entscheidenden Einfluß haben, weniger Rücksicht nehmen dürfte« 2). So setzt sich also das Versteckenspiel weiter fort. Schon sehr bald darauf halten die Deputierten infolge der veränderten Verhältnisse die Führung der Vergleichs Verhand­ lungen in Regensburg eher für verderblich. »Es bleibt uns also für jetzt nichts übrig, als die Sollizitation um Eröffnung der Vergleichshandlung in Paris fortzusetzen«. Sie halten Woltmann nicht für die geeignete Persönlichkeit in Berlin, sie dringen mit Abel auf die Abordnung einer Spezialgesandtschaft nach Berlin und zwar empfehlen sie dazu den Konsulenten Popp, der auch Kenntnisse von den Pariser Verhältnissen habe. »Übrigens ist große Eile nötig, und es wäre zu wünschen, daß die Abreise *) Bericht vom 2. März 1804. Selektsakten, S. IV, L. 3, No. 3. 2) Bericht vom 22. März 1804 a. a. O.

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eine Zeit lang geheim bleiben könnte« 1). Wieder einige Tage später glauben sie überhaupt nicht mehr an die Verweisung der Sache nach Regensburg 2). Lediglich der Vorschlag, eine Spezialgesandtschaft nach Berlin zu schicken, wurde angenommen und Roth in Paris dazu ausersehen3). Während man in Paris auf einen Wink Napoleons für Regensburg als Verhandlungsort schwärmte und dann doch wieder auf Paris zurückkam, wirkte Woltmann in Berlin auf Graf Haugwitz und Freiherrn von Hardenberg ein, dazu Paris zu wählen. Indessen »leider höre ich von den Referenten, daß Graf Haugwitz noch immer geäußert habe, jetzt sei nicht der Zeitpunkt der Verhandlung mit Nürnberg und Paris nimmermehr der Ort derselben« 4). Kurz darauf hat er gehört, daß »Preußen und Frankreich die Ergänzung des Deputationsschlusses zu Regensburg vollbracht zu sehen wünschen, entweder am ganzen Reichstag oder durch einen neuen Depu­ tationsschluß i. Er hegt nur noch den Wunsch, »in Paris wenig­ stens eine Basis und ein Prinzip für unsere Verhandlung schnell auszumitteln« 5). Selbst im Juni 1804 war Roths Abreise von Paris nach Berlin noch nicht angeordnet* sie erfolgte endlich am 11. Juli 1804. Bei dieser Gelegenheit raten Roth und Kießling dringend, »daß man bereit sei, über die Abtretung der 3 Ämter Hilpoltstein, Gräfenberg und Bezenstein, wenn sie von seiten Preußens gewünscht würde, zu unterhandeln«. »Auf welche Art, unter welchem Titel, gegen welche Vorteile und Kompensationen — dies wäre Gegenstand der Unterhandlung« 6). Dem allein zurückgebliebenen Kießling ward es schwer, auf dem fast verlorenen Posten in Paris auszuhalten. Doch hielten seine und Nürnbergs Freunde dafür, daß er als * außer­ ordentlicher Mitdeputierter« in Paris bleibe, er selbst aber hoffte auf eine baldige Erlösung 7). h 2) 3) 4) 5) ®) 7)

Bericht vom 13. April 1804 a. a. O. Bericht vom 19. April 1804 a. a. O. Bericht vom 13. Mai 1804 a- a- O. J. Baader, Streiflichter. S. 64. Bericht vom 21. April 1804. A. a. O. Bericht vom 24. April 1804. Bericht aus Paris vom 10. Juli 1804. Selektsakten, S. IV, L. 2, No. 3. Desgl. vom 31. August 1804 a. a. O.

32 Dem Gange der diplomatischen Verhandlungen etwas zu hastig und einseitig gefolgt, gehen wir nunmehr der Entwicklung der Ereignisse auf deutschem Boden, auf dem Boden Nürnbergs, nach. Nachdem durch den Generallandesvergleich vom 30. Juni 1803 eine Einigung über die bayerische und preußische Inte­ ressensphäre in Franken zustande gekommen war, ohne daß Nürnberg beigezogen worden war, ging Bayern an die Neuorga­ nisation der gewonnenen Landesteile; zum Kommissär und Landes­ direktionspräsidenten in Franken ward Graf Thuerheim ernannt1). Bayern betrachtete die in den ehemals bambergischen Landesteilen ansässigen Untertanen Nürnbergs ohne weiters- als bayerische Untertanen2). Hauptsächlich wurde davon der Se­ nator C. F. W. Löffelholz als Besitzer einiger nach Nürnberg steuerbaren Untertanen zu Heroldsbach getroffen3). Gegen diese bayerische Maßnahme wie überhaupt gegen den zwischen Bayern und Preußen abgeschlossenen Landes- Grenz- und Tausch­ vertrag in Franken wurde von der Reichsstadt auch beim Kreis­ tage eine Verwahrung eingereicht4). Ein Protest gegen die an Nürnberg begangenen Vergewaltigungen bei dem kurbayerischen Ministerium und dem preußischen Minister Freiherr von Harden­ berg verhallte wirkungslos 5). Der Protest wurde durch die beiden Bevollmächtigten C. C. S. Harsdörffer und C. A Imhof am 26. Februar 1804 »vertrauensvoll auf die gerechteste Ge­ währung« der Bitte um Restitution auch der Kreisversammlung übergeben. Nach der offiziellen Anzeige des k. preußischen Direktorial­ gesandten von Haenlein von dem zwischen Bayern und Preußen »über eine Vertauschung verschiedener wechselseitiger Besitzungen abgeschlossenen Vertrage« wurde der Stadt Nürnberg das un­ glaubliche Gerücht bestätigt, daß unter denen an Ihro k. Majestät abgetretenen kurfürstlichen Besitzungen auch mehrere, besonders in den Territorial- und Fraißbezirken der diesseitigen ausgemarkten *) K. Kreisarchiv Nürnberg, Fränkisches Kreisarchiv, S. XI, No. 196. Eine köstliche Charakteristik von ihm gibt K. H. Ritter von Lang. Memoi­ ren II, 89 ff. 2) Ratsverlaß vom 3. Oktober 1803. 8) Ratsverlaß vom 7. Dezember 1803. 4) Desgl. vom 22. Dezember 1803. 5) K. Kreisarchiv Nürnberg, Frank. Kreisarchiv, S. XI, No. 196.

33 Pflegämter Hilpoltstein und Bezenstein situierte 14 Ortschaften sich befinden, welche ganz oder zum Teil aus diesseitigen hieher steuerbaren Untertanen bestehen und in dem Tauschver­ trag als oberpfälzische und bambergische Orte angegeben sind«. Nürnberg gibt daher »die feierlichste Verwahrung zum Protokoll der hochlöblichen allgemeinen KreisverSammlung« *). Bayern erklärte auf dem Kreistage kurz und bestimmt, daß dergleichen Territorialdifferenzen zu Kreisgeschichten nicht geeignet seien und daß Bayern und Preußen »eine den Verhältnissen dieser Sache angemessene Erklärung auf die vorgebrachten vermeintlichen Reservationen an den wohllöblichen Magistrat der Reichsstadt Nürnberg selbst gelangen lassen werden«. Dem Kreisdirektorialgesandten von Oberkamp wurde für dieses sein korrektes Verfahren die Anerkennung des Kur­ fürsten ausgesprochen a). Anfang des Jahres 1804 hatte es auch einmal den Anschein, als ob das Einvernehmen zwischen Bayern und Preußen Schaden nehmen sollte. Oberkamp berichtet am 5. Januar 1804 an die kurfürstliche Regierung von dem seit kurzer Zeit in Nürnberg sich verbreitenden, auch in die Bamberger Zeitung aufgenommenen Gerücht, als stehe Brandenburg im Begriff, mit der Reichsstadt Nürnberg einseitige Vergleichsunterhandlungen einzugehen. Er machte darum von Haenlein »mit der gehörigen Bescheidenheit« »hierauf und auf die wechselweise Verbindlich­ keit, welche beide höchste Hofe in einem solchen Vergleichs­ geschäft mit besagter Reichsstadt sich zugesagt haben, aufmerk­ sam«. Haenlein händigte zur Widerlegung dieses Gerüchtes Oberkamp ein »offizielles Promemoria« ein, mit dem Ersuchen, es auch an den Kurfürsten einzusenden. Es lautet: »In dem 1. Stück der Bamberger Zeitung pro 1804 ist ein Artikel enthalten, nach welchem die Stadt Nürnberg mit *) In dem nach Berlin gerichteten Protestschreiben lautet der Schluß: »Wir erachten es aber auch zugleich für unumgänglich notwendig, Euer — von diesen Umständen und Verhältnissen andurch respektuosest Eröffnung zu machen, in dem unbenehmlichen allerehrfurchtsvollsten Vertrauen, daß Ihre k. Majestät nach davon erlangter Allerhöchsten Kenntnis diejenige den vorliegenden Um­ ständen angemessene Allerhöchste Entschließung zu fassen geruhen werden, welche von Allerhöchst Ihrer erhabenen Gerechtigkeitsliebe wir uns mit Zuver­ sicht versprechen können«. *) 9. Februar 1804.

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34 den diesseitigen Fürstentümern Ansbach und Bayreuth in einer Tauschverhandlung begriffen sein soll. Da diese Nachricht nur auf vorläufigen in Berlin gegen den nürnbergischen Geschäftsträger geschehenen Äußerungen der königlichen Geneigtheit zu gütlichen Vergleichsunterhandlungen und auf den in dessen Gemäßheit von dem Unterzeichneten mit freundschaftlichem Einverständnis und Wissen einer kur­ pfalzbayerischen fürtrefflichen Kreisdirektorialgesandtschaft so­ wohl mit dem kaiserlichen Subdelegaten als den nürnbergischen Kreisbevollmächtigten darüber gehabten, von diesen selbst veranlaßten unverfänglichen Unterredungen bestehet, übrigens aber indessen weder der mindeste Vorschritt, noch irgend eine sonstige Äußerung geschehen ist, so hält Unterzeichneter, um allen denkbaren Mißdeutungen über diesen Zeitungsartikel beim jenseitigen höchsten Kurhof vorzubeugen, für Pflicht, gegen­ wärtige ausdrückliche Erklärung an eine kurpfalzbayerische fürtreffliche Kreisdirektorialgesandtschaft gelangen zu lassen, und hat zugleich die Ehre, sich zu fernerem kollegialischem Ver­ trauen und schätzbarstem Wohlwollen angelegentlichst zu empfehlen. Nürnberg, den 5. Januar 1804. von Haenlein« 1). Es ist bisher noch mit keinem Wort davon die Rede ge­ wesen, daß Nürnberg als Reichsstadt den Schutz von Kaiser und Reich gegen Gewalttat angerufen hätte. Nur davon ist gesprochen worden, daß in der Frage der Einleitung von Ver­ gleichsverhandlungen die Minister der vermittelnden Mächte auf dem Reichstage zu Regensburg angegangen werden sollten. Es ist dieser Gedanke sehr bald wieder fallen gelassen worden. Hier muß nachgeholt werden, daß die Existenz von Kaiser und Reich immerhin noch einen Faktor bildete in der deutschen und europäischen Politik. Klein genug war er allerdings. Vom 7. Januar 1802 ist ein Bericht an den fränkischen Kreistag vom Reichstag in Regensburg datiert, der mit den inhaltschweren Worten beginnt: »Es wird hiermit eine schwere Arbeit angetreten und ein Jahrgang von Reichstagsberichten anfangen, welcher der wichtigste seit dem so weit entfernten *) K. Geh. Staatsarchiv München, K. schw. 561, No. 81. — K. Kreis­ archiv Nürnberg, Fränkisches Kreisarchiv, S. XI, No. 196.

35 Anfänge des jetzigen Reichstags sein wird, weil in dem gegen­ wärtigen doch wohl aufzuzeichnen ist, auf welche Art der letzte Reichsfriedensschluß, der unglückseligste aller vorherigen, un­ glücklich vollzogen worden sei. Es werden also in .diesem Jahr­ gange die traurigen Nachrichten zu lesen sein, was für Zerrüttungen in den Gebieten der deutschen Reichslande und was für Ver­ änderungen in der bisher glücklichen, so lange bestandenen Staatsverfassung dieses Reiches vorgegangen sind, Begebenheiten, gegen die alle bisherigen unbedeutend sind und welche die Nachwelt noch in Erstaunen und Bestürzung setzen werden. Sie wird, wenn sie den ganzen Gang des letzten beispiellosen Krieges nicht genau kennen gelernt hat, nicht einsehen, wie alles dieses aus der französischen Revolution habe entstehen und wie es zu dem Schimpf habe kommen können, daß Frankreich eine neue Staatsverfassung in Deutschland gebildet habe. Sie wird ver­ wundert sein, daß europäische Mächte dieses traurige Schicksal von Deutschland nicht abgewendet haben, da dessen bisherige Verfassung, die sich von der Verfassung aller andern europäi­ schen Reiche auszeichnete, keinem gefährlich — mithin allen so wichtig war, daß der berühmte Herr von Real im 6. Teil seiner Staatskunst, Kap. 3, § 34 und 36, gesagt hat, Teutschland habe fast von niemanden als von den Königen in Frankreich und von den Türken etwas zu fürchten. Ganz Europa werde aber die Waffen zu Beschützung des deutschen Reichs ergreifen, wenn Frankreich es unter sich bringen wollte«1). Als Gesandter Nürnbergs ging im August 1802 der bis-' herige Deputierte der Rentkammer J. W. C. Tücher nach Regens­ burg, in den Ratsverlässen kurzweg der »Herr Abjegatus« ge­ nannt. Empfehlungsschreiben wurden ihm mitgegeben »an den französischen Minister Laforest, an den französischen Herrn Envoye Matthieu, an den russisch kaiserlichen Herrn Minister und Gesandten Freiherrn von Bühler, an den kurböhmischen Herrn Subdelegaten Reichshofrat von Schraut«2). Unterstützt wurde er ferner von Nürnberg dadurch, daß er »in betreff der äußeren Staatsverhältnisse« um den Schutz des Kaisers, der kurbrandenburgischen Subdelegaten Grafen von *) K. Kreisarchiv Nürnberg, Fränkisches Kreisarchiv, S. XI, No. 104^. Ratsverlaß vom 31. August 1802.

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Goerz und Kammerpräsidenten Haenlein, des kurpfalzbayerischen Subdelegierten Freiherrn von Rechberg in den schmeichelhaftesten Schreiben sich bemühte 1), wie es auch den Kaiser von Rußland, den Kurfürsten von Sachsen, den Landgrafen zu Hessen-Kassel, den Herzog von Württemberg für sich zu interessieren suchte 2), namentlich aber das französische Gouvernement und dessen Minister der auswärtigen Angelegenheiten Talleyrand um­ schmeichelte3). Daß es nach Wien die »alleruntertänigste Be­ folgungsanzeige ad Rescriptum Caesareum clementissimum« »die von seite hiesiger Reichsstadt mit Nachbarn zu pflegende Vergleichsunterhandlungen betr.«4) richtete, liegt auf der Hand. Als durch die Reichsdeputation die Selbständigkeit Nürn­ bergs völlig gesichert war, gewährte man J. W. C. Tücher gerne einen erbetenen Weihnachtsurlaub 5) und nach Beendigung seiner Mission in Regenßburg wurde ihm »der ungeteilte Dank eines hochlöblichen Rates für seine während der Dauer seiner diplo­ matischen Carrtere in Regensburg so vielfältig erprobten patrio­ tischen Bemühungen« 6) ausgesprochen. Auch nach dem Reichsdeputationshauptschluß suchte man mit dem kaiserlichen Hofe und den maßgebenden Persönlich­ keiten in Wien auf gutem Fuße zu verbleiben. Dem Fürsten Metternich-Winneburg wurde in Ansehung seiner Erhebung in den Reichsfürstenstand in »sachgemessener Art« gratuliert7); dem Kaiser Franz II. und dem Reichsvizekanzler Fürsten von Colloredo wurde ein eigenes Dank- und Empfehlungsschreiben wegen »der erhaltenen Unmittelbarkeit hiesiger Reichsstadt und deren Territorialdifferenzen« zugestellt 8), in gleicher Weise dem Minister der auswärtigen Angelegenheiten Ludwig Grafen von Cobenzel in Wien und dem Minister Philipp Grafen von Cobenzel in Paris »für die Mitwirkung zur Erhaltung der Immedietät hiesiger Reichsstadt und resp. huldvolle Aufnahme der diesseitigen löblichen Abordnung nach Paris« 9). 2) Ratsverlaß vom 15. September 1802. 2) Desgl. vom 17. September 1802. 3) Desgl. vom 20. September und 29. Oktober 1802. 4) Desgl. vom 27. September 1802. 5) Desgl. vom 20. Dezember 1802. 6) Desgl. vom 16. Mai 1803. 7) Desgl. vom 10. August 1803. 8) Desgl. vom 22. September 1803. 9) Desgl. vom 16. November 1803. Bericht der Ratsdeputation aus Paris vom 14. Juli 1803 in Selektsakten, S. IV., L. 2, No. 3.

37 Im November 1803 wurde zum Regensburger Reichstage wieder J. W. C. Tücher abgeordnet*). Der Reichstag dieser Jahre entbehrt jeder Bedeutung, so daß es sich tatsächlich nicht lohnt, auf seine Verhandlungen, die fast nur Klagen und Beschwerden wegen des Säkularisations- und Mediatisationsgeschäftes enthalten, näher einzugehen. Welche weitgehenden Hoffnungen man aber in Nürnberg immer noch auf den Kaiser setzte, erhellt aus den Anordnungen, welche man auf die Nachricht Tuchers von der baldigen An­ kunft des kaiserlichen Herrn Kommissärs, akkreditierten Ministers und Gesandten am fränkischen Kreise Freiherrn von Hügel *2)*traf: 1. »Der Herren Altern Herrlichkeiten vordersamst zu er­ suchen, zur Bekomplimentierung des gedachten kaiser­ lichen Herrn Ministers Exc. eine Ratsdeputation zu ernennen, 2. den Herrn Baumeister zu beauftragen, mit Zuziehung des Herrn Komitialablegats ein konvenables Privat­ quartier für des mehrerwähnten kaiserlichen Herrn Ministers Exc. hochdesselben eigenen Antrag gemäß auf die Dauer hochdessen Anwesenheit allhier zu mieten und zwar die diesfallsigen Kosten ex aerario zu über­ nehmen, 3. hochgedacht Seiner Exc. die angemessenen Honneurs durch Beigebung einer Ehrenwache u. s. w. zu bezeigen und zu dem Ende die im Fall befindlichen löblichen Behörden vorläufig anzuweisen, sich hiezu einstweilen in der erforderliche Bereitschaft zu setzen« 8). An Freiherrn von Hügel wandte man sich auch in der Vergleichsangelegenheit und in Sachen der zwischen Bayern und Preußen geschlossenen Landestausch- und Grenzkonvention4), wie man auch den Kaiser und den Reichstag in eigenen Schreiben darüber unterrichtete5). Einen Vorteil durfte man sich davon *) Ratsverlaß vom 21. November 1803. 2) Alois Freiherr von Hügel ist von Kaiser Franz II. am 9. November 1803 a^s Nachfolger des Grafen Schlick ernannt worden. Er traf am 5. Mai 1804 in Nürnberg ein, wo er im »Roten Hahn« abstieg. K. Kreisarchiv Nürnberg, Frank. Kreisarchiv, S. XI, No. 5JL. 8) Ratsverlässe vom 27. und 28. Dezember 1803. 4) Ratsverlässe vom 9. Januar und 8. Februar 1804. ß) Desgl. vom 25. Januar und 6. Februar 1804.

38 kaum erhoffen; denn die kaiserliche und Reichsgewalt war durch eine jahrhundertlange Politik lahmgelegt, sie mußte namentlich jetzt bei dem Übergewichte Frankreichs so ziemlich auf alle Einflußnahme bei der Ordnung der deutschen Angelegenheiten verzichten. Bayern und Preußen taten in Ausnützung der günstigen politischen Konjunkturen, was ihnen dien­ lich dünkte, kaum merklich gehindert von Frankreich, das für Nürnberg nicht, viel mehr als vertröstende Worte übrig hatte. Nachdem durch die offene Erklärung von Haenleins vom 5. Januar 1804 jeder Anlaß zu einer Spannung beseitigt war, berichteten übereinstimmend von Oberkamp und von Haenlein an ihre Höfe über ein Gerücht von der beab­ sichtigten Abtretung Nürnbergs an den Kaiser. »Auch wird von der Reichsstadt nürnbergischen Regierungsverwaltung, eigent­ lich von einem oder dem andern unüberlegt einratenden Kon­ sulenten, das Vorhaben, vielleicht nur bedrohende Vorgeben, doch zu laut und öffentlich bekannt, daß im Falle Pfalzbayern und Preußen-Brandenburg, so wie es bei dem dermaligen Austauschungsvollzug bereits geschehen, nürnbergische Pflegeämter oder einzelne Teile davon, okkupieren würden, die Reichsstadt Nürnberg sich gänzlich dem Kaiser und seinem Hause zu unter­ werfen entschlossen sei, auch Urkunden mit cedieren würde, die gegründete Ansprüche auf schon pfalzbayerische und brandenburgische Besitzungen zu ihrer Wiedererhaltung an handen geben sollten« 1). Amtlicherseits dachte man in Nürnberg nicht an solche Übergabe. Vielmehr ließ man eine Deduktion: »Die Rechte der Reichsstadt Nürnberg in Hinsicht auf den zwischen Sr. kgl. Majestät in Preußen und Sr. kurfürstlichen Durchlaucht zu Pfalz­ bayern am 30. Juni 1803 geschlossenen Landes-, Grenz- und Tauschvertrag«, zum Druck befördern und dem Verfasser neben dem Dank eines hochlöblichen Rates für seine »patriotische Be­ mühung« »eine angemessene Remuneration« zukommen2). Dem Ablegaten Tücher in Regensburg wurde gleichfalls »der geziemende Dank eines hochlöblichen Rates für seine *) K. Kreisarchiv Nürnberg, Frank. Kreisarchiv, S. XI, No. 196. 2) Ratsverlaß vom 30. Januar 1804.

39 wiederholt an den Tag gelegten Beweise von rastloser Tätig­ keit, Geschäftskunde und reinen Patriotismus« erlegt1). Einen Erfolg hatte er allerdings ebensowenig aufzuweisen wie Woltmann in Berlin und die Ratsdeputation in Paris. Denn trotz aller Anstrengungen ist seit dem Reichsdeputationshauptschluß auch nicht das geringste greifbare Resultat erreicht worden. So hat nicht einmal ein Beschwerungs- und Protestationsschreiben an die bayerische Regierung zu Bamberg gegen die Eingriffe des »Centamtes Forchheim in die diesseitigen Gerechtsame« irgend etwas genützt2); weder hat ein Schreiben an den Kurfürsten von Bayern selbst3), noch ein wiederholtes Schreiben an die pfalzbayerische Landesdirektion zu Bamberg wie an den General­ landeskommissar Grafen Thuerheim 4)5in derselben Angelegenheit irgend eine Beachtung gefunden. Ob sich unter diesen Umständen der Rat von einer »mit soviel Statthaftigkeit entworfenen Proklamation, die zwischen den hohen Häusern Brandenburg und Pfalzbayern abgeschlossene Landes-Tausch- und Grenzkonvention vom 30. Juni 1803 und deren leidige Folgen betr.«, welche in nürnbergische und aus­ wärtige Zeitungen eingerückt, in Nürnberg und den Pflegämtern auch öffentlich angeschlagen werden sollte, irgend etwas anderes als die allgemeine Kenntnisnahme des ihm angetanen Unrechtes und Mitleid versprechen durfte, ist kaum zu bezweifeln ö). Das Gleiche gilt von dem auf dem Reichstage zu Regensburg am 6. Februar 1804 überreichten Prömemoria als Protest gegen den zwischen Bayern und Preußen geschlossenen Landesver­ gleich wegen »der Beeinträchtigung der Gerechtsame der Stadt und ihres Gebietes«, und von dem am 5. März 1804 über­ reichten weiteren Promemoria, welchem zwei Druckschriften beigelegt wurden, deren letztere mit den eindrucksvollen Worten schloß: »Die Sache Nürnbergs spricht laut für sich selbst; und die Stimme des Rechtes und der Wahrheit ist immer gewiß, Gehör zu finden. Könnte diese Stimme ungehört verhallen, *) 2) 3) 4) 5)

Ratsverlaß vom io. Februar 1804. Desgl. vom 7. Januar 1804. Desgl. vom 11. Januar 1804. Desgl. vom 10. Februar 1804. Desgl. vom 13. Februar 1804.

40 wozu nützte denn jede andere Betrachtung Pt1). Preußen ver­ suchte eine Rechtfertigung. Es übergab dem Reichstage eine »Erklärung nebst beigefügter Denkschrift«, »die Erledigung der mannigfaltigen Schwierigkeiten und Irrungen, die sich bei Aus­ führung des letzten Deputations- und Reichsschlusses ergeben, betr.«2), Bayern mußte zur Wahrung des Scheines auch etwas tun*, es veranlaßte die Landesdirektion zu Bamberg, »über angeb­ liche Eingriffe unsers Fürstentums Bamberg in Nürnbergs Ge­ rechtsame« Untersuchung anzustellen3). Von einem Resultate dieser Untersuchung findet sich in den Akten keine Spur. So sehr Nürnberg unter Bayerns Übelwollen litt, ließ es sein Stadtregiment gleichwohl nicht an weitgehendem Ent­ gegenkommen gegen den feindseligen Nachbar fehlen. Als der in bayerischen Diensten stehende französische Geniekapitän Brousseaut den Rat um die Erlaubnis bat, »zur Vollendung einer bayerischen Karte die um hiesige Stadt liegende Gegend auf­ nehmen zu dürfen«, wurde dem Ersuchen willfährig entsprochen und »demselben bei seinem Geschäfte aller behilfliche Vor­ schub« geleistet4). An Entgegenkommen auch gegen den Protektor Frankreich mangelte es nicht. Die im März 1804 gegen den ersten Konsul entdeckte Y^rschwörung gab dem Rate Veranlassung, ein Glück­ wunschschreiben zu schicken und auf eine offizielle Mitteilung des Agenten Abel »das löbliche Polizeidepartement zu beauf­ tragen, die hier befindlichen französischen Emigranten unver­ züglich erfordern zu lassen und diejenigen von ihnen, welche sich nicht vollkommen legitimieren und ausweisen können, ohne weiters aus hiesiger Stadt fortschaffen zu lassen, die übrigen aber unter der sorgfältigsten surveillance zu halten« 5). Dem Ablegaten Tücher in Regensburg wurde auf seinen Wunsch zur Mitteilung an den französischen Charge d’affaires eine Liste !) Fränkisches Kreisarchiv, S. XI., No. 104°- Von der Absicht, »in be­ treff der Fixation des hiesigen Gebietes« sich auch an den Kaiser von Rußland zu wenden (vgl. Ratsverlaß vom 17. September 1802), geben die Ratsverlässe vom 14. und 23. April 1804 Kunde. 2) Ratsverlaß vom 31. März 1804. 8) Erlaß vom 23. April 1804. K. Geh. Staatsarchiv München, K. schw. 561, No. 81. 4) Ratsverlässe vom 25. und 27. April 1804. 5) Desgl. vom 19. März und 6. April 1804.

der in Nürnberg lebenden Emigranten Übermacht1). Den 3 Emigranten Nicolas Gaudin de la Marsilli&re, Louis de Bouille und Jean Chevalier de Sainorie sowie den zwei Franzosen Laurent Alexis d’Angeli und Abricot Baron de Grusse wurde alsogleich bedeutet, »die hiesige Stadt und deren Gebiet inner­ halb 14 Tagen unfehlbar zu verlassen und hievon auch ihren Hauswirten Eröffnung zu machen, nach Verlauf dieser Zeit aber die genaueste Erkundigung einzuziehen, ob sie auch wirklich von hier abgegangen sind und, wenn solches nicht geschehen wäre, sie nicht nur augenblicklich zu exmittieren, sondern auch ihre Hauswirte, wenn sie ihnen einen längeren Aufenthalt geben würden, auf das nachdrücklichste zu bestrafen«. Die löbliche Kanzlei wurde angewiesen, von nun an keinem französischen Emigre mehr ein Certificat de sdjour et de vie auszustellen, sondern, im Fall ein solches Attestat verlangt werden sollte, deshalb vorher mit dem löblichen Polizeidepartement Rück­ sprache zu nehmen2). In der Folgezeit wurde eine strenge Überwachung der in Nürnberg und seinem Gebiete lebenden Franzosen durchgeführt3). Nunmehr trat in Frankreich in der Zusammensetzung des Staatsoberhauptes eine Änderung ein, welche wie in ganz Europa so auch in Nürnberg die amtlichen Stellen in Bewegung setzte. Am 18. Mai 1804 wurde unter dem Vorsitz des 2. Konsuls Cambacer&s ein »organisches SenatskonsulU erlassen, das den bisherigen 1. Konsul Napoleon Bonaparte zum erblichen Kaiser der Franzosen ernannte. Das erforderte von seiten Nürnbergs, welches von Frankreichs Gnaden sein Dasein als deutsche Reichsstadt fristete und von Frankreichs Gnaden sein Gebiet !) Ratsverlässe vom 30. April und 4. Mai 1804. 2) Desgl. vom 2. und 9. Mai 1804. 3) Desgl. vom 30. Juni 1804. Das löbliche Polizeidepartement wurde beauftragt — »b) dem Joseph Soplicy bekannt zu machen, daß man zwar nicht die Absicht habe, ihn auf der Stelle fortzuschaffen, daß er aber dennoch darauf Bedacht zu nehmen habe, sobald nur immer möglich ist, einen anderen Aufenthaltsort für sich ausfindig zu machen, sowie c) dem Endres zu bedeuten, daß er die Ausstellung des verlangten Certificat de vie zu Lauf als seinem Geburtsorte nachsuchen solle, dem Pflegamt Lauf aber ist zu reskribieren, daß es ihm damit an Händen gehen solle, zu welchem Ende denn auch besagtem Pflegamt das Formular, wie die vorherigen Certificats de vie für den Endres gelautet haben, zu kommunizieren ist, um sich bei der Ausstellung desselben hiernach richten zu können«.

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retten zu können hoffte, besondere Aufmerksamkeit. Auf Abels Anzeige wurde sofort der Komitialablegat J. W. C. Tücher in Regensburg davon benachrichtigt mit dem Aufträge, »sich dies­ falls mit den übrigen reichsstädtischen Herren Komitialbevollmächtigten zur Erzielung eines gleichartigen Benehmens in ver­ trauliche Besprechung zu setzen«1). Dann wurde an Seine kaiserliche französische Majestät zu Händen des Residenten Abel in Paris ein Gratulationsschreiben abgesandt, »um hievon, sobald als andere höchst- und hohe Reichsstände die dem Großkonsul Bonaparte übertragene Kaiserwürde anerkannt haben werden, Gebrauch zu machen« 2), und dem Residenten Abel ein neues Kreditiv ausgestellt 3). Die Frage, ob die Reichsstädte eigene Gesandte zur Krö­ nungsfeierlichkeit nach Paris abordnen sollten, wurde trotz des von Talleyrand ausgesprochenen Wunsches von J. W. C. Tücher »für einen bloß vorübergehenden flüchtigen Gedanken«, gegen welchen Abel »allsogleich die nötigen Erinnerungen« hätte machen sollen, angesehen4). Man kam jedoch im Verlaufe der Sommermonate zur Überzeugung, daß zwar nicht eine eigentliche Gesandtschaft, aber eine Vertretung notwendig sei, und dazu wurde »dem in Paris befindlichen diesseitigen Abge­ ordneten, dem Kaufmann Kießling, der Auftrag« gegeben5). »Ich befolge mit dem gehorsamsten Respekt diesen hohen und für mich so ehrenvollen Befehl und werde demselben nach der Würde und Ansehung und der Ehre unserer guten Stadt und eines hochlöblichen Rates mit den Herren Gesandten der andern Reichsstädte bei dem Krönungsfeste des Kaisers Napoleon ganz zu entsprechen mir eifrigst angelegen sein lassen« 6). So fanden Kießling und Abel wieder eine wenigstens daseinswürdige Aufgabe in Paris; denn das von ihnen zu be­ treibende Vergleichsgeschäft war fast ganz eingeschlafen. »In *) Ratsverlaß vom i. Juni 1804. 2) Desgl. vom 15. Juni 1804. 3) Desgl. vom 18. Juni 1804. 4) K. Kreisarchiv Nürnberg, E-Akt, No. 501. 1804, Juli 7. 8) Ratsverlässe vom 10. Oktober und 5. November 1804. Schon vor­ her waren in Paris erschienen von Lübeck Senator Rodde, von Hamburg Senator Schulte, von Bremen Senator Groening. Bericht Kießlings aus Paris am 6. Oktober 1804, Selektsakten, S. IV, L. 2, No. 3. 6) Bericht Kießlings vom 28. Oktober 1804 a. a. O.

43 unseren Angelegenheiten ist seit meinem ergebensten Letzten (31. August 1804) nichts Berichtwürdiges vorgefallen«, hatte am 6. Oktober Kießling nach Nürnberg berichtet1). Die Zeit­ umstände waren nicht darnach angetan, solche Geschäfte fördern zu helfen. In der Aufgabe, Nürnberg bei der Kaiser­ krönung würdig zu repräsentieren, geht Kießling ganz auf. In breiter Behaglichkeit berichtet er von allen Empfängen und Ceremonien, Einladungen und Visiten, Feiern und Festen2). *) Nicht unerwähnt darf hier bleiben, daß die bayerische Kreisgesandt­ schaft in Nürnberg von einer Reise des Deutschmeisterschen Geheimen Rates Gemming nach München berichtete, deren vermuteter Zusammenhang sich nir­ gends bestätigt findet. »Gemming reiste von hier (Nürnberg) in der Route über Mergentheimsche Ortschaften, doch aber auch weiter über Rüdesheim nach Mainz, ohnerachtet er hier seine letzte Direktion öffentlich anzugeben vermieden hat. Von mir aber verlangte er in gesandtschaftlicher Eigenschaft, ohne seines Sub­ delegatenpostens irgend zu gedenken, einen direktorialgesandtschaftlichen Kanzlei­ paß, den ich ihm auch nicht versagen konnte. Nun verbreitet sich das Gerücht, daß die Reichsstadt Nürnberg auf ihre Kosten ihren Kommissionssubdelegierten zu dieser Reise in der Absicht bewogen habe, um ihr letztes Heil in der Verwendung desselben, vorzüglich bei dem Divisionschef des Bureau französi­ scher auswärtiger Angelegenheiten Matthieu, der vormals sich mit Gemming in Hohenlohischen Diensten zugleich angestellt befand, angelegentlich und nachdrücklich zu setzen«. K. Kreisarchiv Nürnberg, Fränk. Kreisarchiv, S. XI, No. 219. Wahrscheinlich klingt das »Gerücht« nicht, daß Nürnberg gerade jetzt die Zeit für günstig fand, seine Reichsstandschaft durch Gemming retten zu lassen. 2) a) Am 17. November 1804 überreichte Kießling dem Minister Talleyrand sein Kreditiv als »Envoye extraordinaire de la ville libre et d’empire de Nuremberg«, er wurde für den 18. November 1804 zur Audienz bei Napoleon durch Mr. Segur, Grand-Maitre des C£r6monies, geladen. »Auf diese Einladung fuhr ich dann gestern (zur Ehre und Ansehung der Stadt mit zwei Bedienten, gekleidet in Frack bouteillegelb, mit roten silbergalonierten Kragen und Auf­ schlägen, rotgalonierter Weste, schwarzbaumwollnsammeten Beinkleidern und weißen Strümpfen, mit der Kokarde des dortigen löblichen Volontärcorps, weiß auf roth, gleich der andern Herren Gesandten) nach den Tuillerien und trat in den diplomatischen Versammlungssaal ein, dessen drei Piecen von Ge­ sandten, Fürsten, Grafen und Offiziers ganz angefüllt waren; man bekomplimentierte sich und wurde mit Chocolade, Liqueurs und Raffraichissements serviert. Nach Verlauf einer halben Stunde führte nun der Grand-Maitre des Ceremonies diese Versammlung die Stiege hinauf durch eine Spaliere von Grenadiers, die nur das Gewehr anzogen, ohne das Spiel zu rühren, nach dem Audienzsaal, wo S. M. der Kaiser in blau und weißer Uniform in Stiefeln und Sporn zwischen Cambac6res und Lebrun R. E. M., hinter derselben aber die Prinzen und einige Generäle standen, und nachdem sich ein Kreis gebildet, bei dem päbstlichen Nuntius angefangen hat, herumzugehen und sich von den hier residie­ renden Herren Gesandten die neuangekommenen Fremden vorstellen zu lassen. Unser Herr M. R. Abel präsentierte, da S. M. vor uns kamen, höchstderselben beede Herren Senatoren von Frankfurt und mich; wir überreichten unsere Kreditivschreiben, die Napoleon mit dem huldreichsten Blick annahm. Zu meiner Person sagten S. M.: »Va-t-il bien ä Nuremberg?« »Sire«, antwortete ich, »sous la protection gracieuse de V. M. il n’en peut pas manquer« —, dann

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Der Rat der Stadt Nürnberg hat nach Ablesung der Be­ richte Kießlings den innigen Wunsch, »daß dieses Ereignis für wandten sie sich an Herrn Generalmajor von Knobelsdorf: »Comment avez Vous trouve la parade« etc. — und innerhalb 20 Minuten war die Audienz und das ganze Ceremoniel vorüber, und jedermann eilte seiner Wohnung zurück«. Be­ richt Kießlings vom 19. November 1804. b) Am 20. November 1804 war »bei I. M. der Kaiserin Josephine zu St. Cloud ein Cercle diplomatique gewesen, zu dem ich auch als Envoye de Nuremberg mich begeben habe. Bis drei Uhr kamen die Herren Gesandten mit ihren Damen und Fremden angefahren, teils mit 6, teils mit 4 und die mehresten mit 2 Pferden, und versammelten sich rez de chaussee in einem Salon, aus dem sie, durch einen Hofceremonier die Stiege hinauf in den Au­ dienzsaal eingeführt wurden. Die Damen nahmen Platz zur rechten Hand des Saals auf Fauteils und die Herren stunden in mehrfacher Linie der Länge des Saals nach gegen diese. Nach wenigen Minuten wurde die doppelte Tür des an diesen Saal anstoßenden Zimmers eröffnet und I. M. die Kaiserin — ihre braunen Haare in einem goldenen Netz mit Perlen durchflochten, an den Ohren große orientalische Perlbirn hangend, mit einem Halsgehäng von großen Brillanten und außer diesem eine doppelte Schnur von größten orientalischen Perlen um den Hals, auf der Brust herabhangend, in einem reich mit Gold gestickten weis atlas lang schlependen Kleid, brilliantierte Armringe, mit dem Eventail in der Hand — mit der Oberhofmeisterin la Dame de Rochefoucault und 4 Dames d’honneur trat herein, bekomplimentirte jede Dame der Herren Gesandten separat und auf das schmeichelhafteste und dann auch jeden Herrn Gesandten, die die mitgebrachten Personen präsentierten; wobei nun auch unser Herr Ministerresident Abel die Herren Envoyes von Frankfurt und meine Person vorstellte und von I. M. mit einer Verneigung: »C’est mon plaisir de faire Votre connoisance« empfingen. Hierauf nahm I. M. d. K. Platz auf den ersten Fauteil, und nach einiger Unterredung mit den Damen über die Erwartung des Pabsts und ihrer Reise nach Fontaineblau erhob sich I. M., verneigte sich tief und trat mit der Hofmeisterin und Ehrendamen in ihr Zimmer zurück; und nachdem die Versammlung die prachtvolle Gallerie, die Kapelle und mehrere Säle in Augenschein genommen, fuhr sie nach und nach ab und nach Paris zurück, das wegen so vieler und Staatswägen einen schönen coup d’oeil gab. So viel von dieser Ceremonie«. Bericht Kießlings vom 21. No­ vember 1804. c) Am 29. November 1804 hatte Kießling Audienz bei dem Prinzen Louis Bonaparte. »— so kam der Kammerherr und begleitete mich in das Audienzzimmer bis zu dem Prinzen, der in blau und roter Generalsuniform vor dem Kamin stand und zwei Schritte mir entgegen gienge. Ich machte meine Verbeugung und die Verehrung und Wünsche im Namen der Stadt und meiner hochvenerablen Herren Kommittenten, welches alles von ihm auf das affableste erwidert wurde. Der Prinz fragte unter andern, ob ich schon einige Zeit hier wäre? ich antwortete: »Malgr6 moi, Monseigneur, deux ans! les contestations de la ville de Nuremberg avec« etc. etc. und ich wollte daher um sein alles vermögende gnädige Vorwort bei S. M. dem Kaiser submissest bitten, ohne dessen Schutz, Huld und Gnade mein gutes Vaterland nie in Ruhe, Ordnung und Salut kommen könnte. S. A. Imp, erwiderten ganz mit einer tröstenden Stimme: »Das will ich gern und gewiß tun, und Sie können glauben und gewiß versichert sein, daß S. M. der Kaiser an Nürnberg so sehr als an die übrigen villes libres et d’empire ganz attachiert ist und ihnen seinen faveur nie entziehen wird«. Ich dankte und setzte hinzu, das sei mir eine Nachricht, die mich neu belebe und die auch meinen Herren Kommittenten um so kon­ stanter von mir zu vernehmen sein würde. Der Prinz Louis begleitete mich



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hiesige Stadt von ersprießlichen Folgen sein möge«. Speziell der Bericht vom 7. Dezember 1804 wurde »unter oberherrlich danknehmigen Wohlgefallen für die gehabte Bemühung und wohlverfaßte Relation« zur Kenntnis genommen 1). Bald nach der Ernennung Napoleons zum Kaiser der Franzosen hat der deutsche Kaiser Franz II. den Titel eines Kaisers von Österreich angenommen. Am 11. August 1804 war das »Allerhöchst kaiserliche Patent« ergangen, Konsulent Popp beauftragt, »ein allerunterthännigstes Glückwünschungsschreiben« zu entwerfen, J. W. C. Tücher zu seiner Unterstützung berufen und am 5. September 1804 wurde es an den Legationsrat von Braun in Wien zur Übergabe an den Kaiser befördert. Auch Freiherrn von Hügel wurde eine Abschrift zugestellt2). Damit war die Sache erledigt. Das war die dem deutschen Reichsober­ haupte und Kaiser von Österreich von der Reichsstadt Nürnberg entgegengebrachte Huldigung 1 Das Verhältnis Nürnbergs zu Bayern und Preußen war andauernd sehr schlecht. Bayern ließ sich das Entgegenkommen Nürnbergs recht wohl gefallen, selbst aber hatte es keinen andern Gedanken als die Reichsstadt seinem neugewonnenen fränkischen Gebiete einzuverleiben. »Es ist wirklich an dem, wie J. W. C. Tücher am 3. Mai 1804 an den kaiserlichen Subdelegaten Gemming in Nürnberg schreibt, daß Bayern sein Territorialentbis an die Tür und von da der Kammerherr bis an das erste Vorzimmer«. — Am 30. November Audienz bei Prinzessin Elisabeth. »Ihre K. D. die Prinzessin ließ mich ausreden — sie war stehend von mir — und dann sagte sie: »Ich danke Ihnen für die mir erweisende Ehre, für ihre und ihre Stadt guten Wünsche und werde mirs zum Vergnügen machen, ihnen Angenehmes zu erzeigen«; sogleich fing ich diese Gnade und bat auch um ihr Vorwort und Empfehlung bei S. M. dem Kaiser für meine gute Vatterstadt in ihrer Ange­ legenheit: »O«! sagte sie, »das will ich bei erster Gelegenheit mit vielen Ver­ gnügen tun, denn S. M. ist ihrer Stadt gewogen«. Der Herr Graf Estrenot ist ihr Kammerherr und hat mich ihr vorgestellt. Er war A° 179b zu Nürnberg mit seiner vor einigen Monathen dahier verstorbenen Frau als Emigrierter«. Bericht Kießlings vom 3. Dezember 1804. d) Am 2. Dezember 1804 fand die Krönung in der Notre-Dame-Kirche, ein »unserer Laurenzer Kirche, die doch von innen und außen schöner und größer ist, viel ähnliches Gebäude«, mit allem denkbaren Pomp statt, welcher Kießling mit Abels Sohn und »dem unserer Stadt Ehre machenden jungen Künstler Mr. Reindel« beiwohnte. Der Bericht hierüber vom 7. Dezember 1804 und über die »Cer6monie de la distribution des aigles au Champ-de-Mars« am 5. Dezember füllt 8 eng beschriebene Quartseiten. Selektsakten, S. IV, L. 2, No. 3. *) Ratsverlässe vom 3. und 19. Dezember 1804. 2) Desgl vom 20., 25., 31. August, 5- und 10. September 1804.

45 Schädigungsgesuch abermals erneuert hatte, nachdem der Kurfürst die Disposition des ersten Konsuls zu einer neuen Intervention in die deutschen Angelegenheiten vernommen hat. Es ist aber auch ebenso gewiß, daß das französische Gouvernement weder im allgemeinen dem Kurfürsten eine neue Entschädigungszu­ weisung zugesichert hat, indem man überzeugt ist, daß Bayern, auch ohne das Bistum Eichstätt erhalten zu haben, dennoch hinreichend für seinen Verlust entschädigt worden ist, noch auch, daß dasselbe insbesondere das Begehren des Kurfürsten nach den Städten Augsburg und Nürnberg zü unterstützen ver­ sprochen, sondern vielmehr dem Herrn Kurfürsten damit aber­ malen, so wie ehehin, vollkommen abgewiesen hat. Einige derjenigen einsichtsvollen vertrauten Personen, mit welchen ich über diesen Gegenstand gesprochen habe, glauben dahero, so wie ich, daß obgedachte beide Städte vor dermalen in Ansehung ihrer Unabhängigkeit nichts zu besorgen hätten«1). Im Juni 1804 hat die bayerische Regierung in die Würz­ burger Zeitung das Verbot einrücken lassen, »keine nürnbergischen Realitäten in den jenseitigen Bezirken verkaufen zu lassen«, was Nürnberg zu einer Gegenerklärung in verschiedenen Zeitungen und zu einem »angemessenen Verwahrungsschreiben an Se. kur­ fürstliche Durchlaucht zu Pfalzbayern« veranlaßte. Der Gegen­ erklärung oder »Vermüssigten Erklärung« d. d. 9. Juni 1804 in No. 74 der »Nürnbergischen K. R. Postamtszeitung für das Jahr 1804« vom 21. Juni 1804 wurde von Bayern2) insoferne Beachtung geschenkt, als Montgelas sich beschwerend an die Reichsstadt wandte, welche darauf wieder antwortete. Damit schlief die Debatte über die Angelegenheit ein3). Ähnliche Eingriffe wie von Bayern sind auch von Preußen gemacht worden. Denn auch gegen verschiedene »jenseitige Anmaßungen als Folge des abgeschlossenen Landes-Grenzund Tauschvertrages« wurde von Nürnberg lebhafter Protest erhoben4). Die Hilf- und Schutzlosigkeit Nürnbergs äußert sich sehr charakteristisch in dem Ratsverlaß vom 25. August 1804: »das *) 2) 3) 4)

K. Kreisarchiv Nürnberg, D-Akt, No. 139. K. Geh. Staatsarchiv München, K. schw. 561, No. 79. Ratsverlässe vom 1. Juni, 18. Juli und 7. September 1804. Ratsverlaß vom 18. Juni 1804.

47 eingelaufene Schreiben der k. preußischen Kriegs- und Domänen­ kammer zu Ansbach vom 5. 1. Mts., die angeblich forstwidrige Behandlung der Reichswälder betr., ist der löblichen Forstdirek­ tion zur unverzüglichen Berichterstattung und Veranstaltung des Erforderlichen mitzuteilen«1). Also selbst in die innere Verwaltung der Reichsstadt griff Preußen ein. Würden Bayern und Preußen sich nicht gegenseitig mit Eifersucht überwacht haben, bald würde das eine oder andere seine Hand auf Nürnberg gelegt haben. Gleichwohl ließ es die Stadt, wie schon hervorgehoben, nicht an Entgegenkommen fehlen. Am 27. August 1804 wurde vom Rate der löblichen Obermarschkommissariatsdirektion der Auftrag gegeben, »nach den bestehenden Marschgesetzen das Erforderliche in Ansehung des verlangten Durchmarsches eines Corps jenseitiger (bayerischer) Truppen aus den fränkischen Fürstentümern Bamberg und Würzburg in das Übungslager bei Nymphenburg und deren dereinstigen Rückzuges durch hiesige Gegend zu veranlassen und zu beobachten«2). Nürnberg hatte dafür Unannehmlichkeiten zu erfahren. Denn auf dem Durch­ zuge wurden rücksichtslos die nürnbergischen Untertanen »in bambergischer. Cent« mit »unerlaubter Bequartierung« belegt. Die darüber bei der Landesdirektion zu Bamberg sowie bei der kurfürstlichen Kreis- und Konventsdirektorialgesandtschaft vorge­ brachten Klagen verhallten gänzlich wirkungslos3). Es ist schon einmal die Rede davon gewesen, in welch schlimmer finanzieller Lage Nürnberg am Ende des 18. und Anfang des 19. Jahrhunderts sich befand und wie man bestrebt war, diesem schlimmen Zustande ein Ende zu machen. Im August 1803 wurden die Herren Altern C. E. J. L. Geuder4) und J. C. B. Grundherr5) vom Rate als Deputierte in die »Konferenzen zur Verbesserung des hiesigen Finanzzustandes« abgeordnet. Beraten wurde u. a. über eine Luxussteuer, die *) Vgl. auch Ratsverlässe vom io. und 15. April 1805. 2) Ratsverlaß vom 27. August 1804. 3) Desgl. vom 26. September 1804. 4) Geuder wußte, nach Lochners Charakterisik, durch sein Äußeres und durch manche Verhältnisse sich ein gewisses Ansehen zu verschaffen und wurde dadurch sogar Ratsdirektor. Seine Kenntnisse aber waren äußerst beschränkt, es mangelte ihm an Eifer und Tätigkeit. K. Kreisarchiv Nürnberg, XXIII. 11. Januar, No. 95. ö) Grundherr zeichnete sich aus durch Kenntnisse, richtige Beurteilung, schnellen Blick, nur mangelte es ihm an anhaltender Tätigkeit. A. a. O.

48 Erhöhung des Getreideaufschlages u. s. w.1). Einen richtigen Einblick in die finanzielle Blöße der Reichsstadt gewährt ein Ratsverlaß vom Ende des Jahres 1803: »die löblichen Wald­ ämter werden hiemit angewiesen, ihren vorrätigen Kassenbestand alsogleich an das löbliche Zahlamt abzugeben, sowie auch die löbliche Rieterische Stiftungsadministration beauftragt wird, an besagtes Amt einen erklecklichen Geldvorschuß zu leisten, um den diesseitigen Herrn Komitialbevollmächtigten J. W. C. Tücher mit dem erforderlichen Geldverlag zum Behuf seine Abreise nach Regensburg versehen zu können« 2). Als im September 1803 die kurbayerische Landesdirektion Würzburg von Nürnberg das dem Domstift Würzburg und einigen andern milden Stiftungen schuldende Kapital von 44612 fl, und die Zinsen im Betrage von 13 289 fl. forderte, wurde ihr die Antwort, daß zurzeit ihre Kassen »entschöpft« und sie die Zinsen, die durch kaiserliche Reichshofratsverfügung von 1798 an auf 3 °/0 herabgesetzt worden waren, zu entrichten nicht im Stande sei. Die Stadt verwies die kurfürstliche Landesdirektion an die­ jenigen kurfürstlichen Kassen, welche seit 12 Jahren einen höchst beträchtlichen Teil (infolge der Okkupationen von 1791) ihrer Staatsgefälle bezogen hätten*, sie verwies aber auch auf das ihr von Kaiser Franz II. am 24. Januar 1800 auf 5 Jahre erteilte Moratorium bei Rückzahlung von aufgekündigten Kapitalien3). Dem Kloster Ebrach schuldete Nürnberg 10 000 fl. Kapital und 2800 fl. Zinsen4). Ein Beschluß der zur Verbesserung der reichsstädtischen Finanzen tätigen Kommission ging dahin, alle in fremden (d. h. bayerischen und preußischen) Gebieten belegenen städtischen Realitäten zu verkaufen. Dagegen erhob aber Graf Thuerheim Einspruch: »Unter die Palliativmittel, welche die vorlängst in Nürnberg bestehende kaiserliche subdelegierte Kommission, um die gänzlich zerrüttete Existenz *) Ratsverlaß vom 26. August 1803. Vgl. auch Ratsverlässe vom 23. Januar und 22. Februar 1804. 2) Desgl. vom 23. November 1803. 3) K. Geh. Staatsarchiv München, K. schw. 561, No. 81. Staatsrat von Zentner signierte auf dem Bericht der Landesdirektion in Würzburg: »Auf diese Anzeige ist bei den künftigen Unterhandlungen mit der Reichsstadt Nürnberg Rücksicht zu nehmen, wo sie alsdann zu reproduzieren ist«. 4) A. a, O.

49 dieser Reichsstadt zu fristen anwendet, gehört zurzeit der nun­ mehr angeordnet wordene Verkauf aller in fremden Gebieten belegenen städtischen Realitäten, wodurch aber der Vermögens­ stock nur zum Nachteil der Staatsgläubiger verringert und der sich daraus ergebende Erlös dem täglich mehr um sich greifenden Kurrentdefizit zum unwiederbringlichen Opfer gebracht wird. Sobald die k. preußische Regierung zu Ansbach von dieser Operation, vorzüglich durch das dabei als Nürnberger Kreditor besonders interessierte Fürther Banco, legale Kenntnis erhielt, veranstaltete sie eine öffentliche Warnung des Inhalts, daß sich niemand außergerichtlich in solche Kaufverträge bei Vermeidung der Nichtigkeit einlasse; wie denn auch bei einem etwaigen Verkauf beregter Eigentümlichkeiten der Kaufschilling für die Bank und übrige in gleichem Fall befangene k. Untertanen in Beschlag genommen werden solle. Da zu vermuten steht, daß die nürnbergischen finanziellen Maßregeln sich auch auf die in den Herzogtümern der Oberpfalz, Neuburg und Sulzbach hinter­ liegende städtische Besitzungen miterstrecken, so säume ich nicht Ew. kurfürslichen Durchlaucht von den dagegen preußischerseits getroffenen Anordnungen auf den Fall in Kenntnis zu setzen, wo höchstdieselben zu Deckung der diesseitigen Unter­ tanenforderungen ähnliche Vorkehrungen durch die kurfürst­ lichen Behörden treffen zu lassen gnädigst geruhen sollten«1). Daraufhin ist an die Landesdirektionen zu Amberg und Neuburg eine kurfürstliche Verfügung ergangen: »Wenn der­ gleichen Veräußerungen nürnbergischer Realitäten auch in unsern Herzogtümern der Oberpfalz, Neuburg und Sulzbach vorgenommen werden sollten, worüber wir berichtlich Anzeige erwarten, so sollen gleiche Vorsichtsmaßregeln zur Abwendung des zu fürch­ tenden Nachteils für unsere Untertanen verfügt werden«2). Der Stadt Nürnberg wurde so von ihren Nach barn das Messer an dieBrust gesetzt, ihr in der inneren Verwaltung die Lebensader unterbunden. Welcher Art die in dem Ratsverlaß vom 27. Juni 1804 erwähnte von kurzpfalzbayerischer und k. preußischer Seite x) K. Geh. Staatsarchiv München, K. schw. 561» No. 79* vom 29. März 1804. 2) A. a. O. Erlaß vom 9. April 1804.

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Bericht

50 »neuerlich unternommene, besonders in Hinsicht auf die finanzielle Angelegenheit derselben und das Allerhöchst kaiserliche Mora­ torium äußerst präjudtzierliche Anmaßung« war, vermag nicht erkannt zu werden, wenn es nicht die vorgenannte ist, wie die Schlußworte des Ratsverlasses vermuten lassen, »Befreiung hiesiger Stadt aus ihrer täglich gefährlicher werdenden Lage«. Eine Reihe von Ratsverlässen1) beschäftigt sich mit der Verlängerung des 1800 auf 5 Jahre bewilligten kaiserlichen Moratoriums auf weitere 5 Jahre. Gegen »die Bezahlung der dafür schuldigen Taxe mit 111 fl. 30 Kr.« ist am 26. August 1805 eine »Allerhöchst kaiserliche Resolution puncto moratorii ergangen«2). Das Original der im November 1805 »ein­ gelaufenen Allerhöchst kaiserlichen extensio moratorii auf ander­ weite 5 Jahre« wurde in das Archiv zur sorgfältigen Auf­ bewahrung abgegeben3). Einen guten Einblick in die Finanzverhältnisse Nürnbergs verschafft ein Gutachten des Kreisgesandten von Oberkamp: »1) Die Reichsstadt Nürnberg war schon in 1750er Jahren entschieden material konkursmäßig. Dieses bezeugt der Unterzeichnete, welcher im Jahre 1795 Mitinquisitor in vires et facultates Noricas war, auf diesem legalen Wege aber sowenig als die drei übrigen Nebeninquisitoren durch den endlichen Inquisitionserlaß etwas Wahreres bewirken konnte, als den fränkischen Kreiskonvent zu einer Matrikularmoderation auf dem Wege der sozietätsmäßigen Beherzigung zu stimmen und die Fürsten und Stände zu ihrer Einwilligung zu bewegen. 2) Gebessert ist der Finanzzustand Nürnbergs durch die kaiser­ liche Debitkommission nicht worden, vielmehr wird er varrücksichtlich jährlich schlimmer. Geht gleich das Mora­ torium des Reichshofra tes am Anfang des künftigen Jahres zu Ende, so wächst doch mit dem Übel die Verlegenheit nur desto höher. Man spricht schon von Minderung des Zinsfußes auf 2 vom 100 hinab und bis zu einem Retter ex machina steigt dieser Kurs gewiß nicht. *) Ratsverlässe vom n. Juli, 5. September, zember 1804. 2) Ratsverlaß vom 6. September 1805. 3) Desgl. vom 2. November 1805.

26. November,

10. De­

51 3) Rettung kann nur ein Größerer herbeiführen, dem offene Kassen zu Gebote stehen, und da Seine kurfürstliche Durchlaucht von Pfalzbayern diesseitiger gnädigster Herr keine Neigung zu Überkommung der verschuldeten Reichs­ stadt, wohl aber vollkommen gegründete Ansprüche auf die mit Ungebühr entrissenen nürnbergischen vorher ober­ pfälzischen Ämter fühlen, so kann wohl keiner zu diesem Rettungsgeschäft berufen sein als der König von Preußen. Aus diesen Prämissen fallen die Folgen zum Resultate von selbst auseinander: a) Bleibt Nürnberg seiner anarchischen Administration noch länger überlassen, so kann gar kein Geldgeschäft glück­ licher gemacht werden als dasjenige, was die kurfürstliche Landesdirektion resp. Separat abzuschließen vorhat. Verlässige Handlungs- und Zahlungshäuser versichern, daß sie bei der Ungewißheit der Aussicht solche nürnbergische Papiere nicht um 50 gegen 100 und bei dringenderen Anbieten nicht gegen 60 Verlust des Inhabers annehmen würden. Der Handel wäre also gut, nur mit dem pflichtmäßigen Rate von dem billigen Offerenten Georg Veit Roessei dahier erst den Numerär sich bar auf den Tisch zahlen zu lassen und Hand in Hand die würzburgischen Schuldbriefe dagegen aus­ zuantworten. b) In dem Falle Nürnberg mittel- oder unmittelbar preußisch würde, ließ sich noch eine einzige Betrachtung zum Überdenken übrig, ob man durch Zahlungen an diese Seite die nürnbergischen Schuldurkunden nicht al pari anbringen könnte? Dieser Fall ist aber weder so ganz nahe als die Spekulation verlässig. Indem der Unterzeichnete den Gebrauch von diesen nicht unsicheren Notizen einer kurfürstlichen Landesdirektion resp. Separat zur eigenen weisen Beurteilung überläßt, ist er seiner Pflicht noch schuldig, die eigentliche Lage der Bank in Fürth gegen die Reichsstadt Nürnberg, soweit sie ihm bekannt ist, näher aufzuklären. Sie entdeckt sich darin: Nach einem preußischen Landesgesetze hat jeder auswärtige Gläubiger das Recht, die unter brandenburgischer Hoheit liegende auswärtige 4*

52 Besitzungen auch bei einem formellen, öffentlichen Konkurs der auswärtig gantierenden oder in Kommission befangenen Herr­ schaft mit Arrest zu belegen und den beim Verkauf solcher Besitzungen und Realitäten erlöst werdenden Kaufschilling zur Befriedigung der einheimischen Gläubiger zu verwenden. Dieses Gesetz benutzte die Bank in Fürth für ihre Forderungen an Nürnberg, als seine Kasernen und mehrere liegende Gründe verkauft werden wollten. Sie ging aber auf den gerichtlichen Weg, klagte den Magistrat zu Nürnberg bei der Regierung zu Ansbach an, diese citierte gedachten Magistrat, welcher aber, statt auch nur durch einen Bevollmächtigten zu erscheinen, Fristenzahlungen versicherte, wie man aber vermeint nicht einhalten kann. Daß übrigens der äußerst fleißige und spekulative Finanzier, Kammer- und Bankdirektor Kräcker jede Gelegenheit benützt, mit Vorteil nürnbergische, selbst Kreisobligationen einzuhandeln und zur rechten Zeit mit seinen Forderungen loszuschlagen, ist ohnedies außer Zweifel«1). Die kurfürstliche Landesregierung in Würzburg unterstützte die von Oberkamp gemachten Vorschläge, auf daß der Kurfürst zu seiner Forderung von 38 625 fl. an die Stadt Nürnberg komme, nachdem es nicht möglich war, »weder Kapital noch Zinsen zu erhalten«2). Die kurfürstliche Regierung in München konnte sich jedoch nicht entschließen darauf einzugehen und ordnete an, »die angefangenen Unterhandlungen abzubrechep« und die definitive Entscheidung des Schicksals dieser Stadt abzuwarten3). Wir erinnern uns bei dieser Entscheidung an die Mitteilung, welche unterm 3. Mai 1804 der Reichstagsgesandte J. W. C. Tücher an Gemming gemacht hatte. Die kurfürstliche Regierung in München war also nicht gesonnen, die Stadt durch Finanzoperationen Preußen in die Hände zu spielen. Bestimmend war der Umstand, daß eine Vermehrung und Abrundung des preußischen Besitzes in Franken für Bayern eine Vermehrung der Schwierigkeiten und die *) K. Geh. Staatsarchiv München, K. schw. 561, No. 81. Konzept im Fränk. Kreisarchiv, S. XI, No. 219 (K. Kreisarchiv Nürnberg). Gut­ achten vom 1. Oktober 1804. 2) A. a. O. Schreiben vom 6. Oktober 1804. 3) A. a. O. Erlaß vom 19. November 1804.

53 Unmöglichkeit der eigenen Abrundung bedeute. Da sah man die abgehauste Reichsstadt lieber als Nachbarn denn das über­ legene Preußen. Im Juli 1804 war Ratskonsulent Dr. Roth von Paris zur Unterstützung des Legationsrates Woltmann *) nach Berlin gegangen. Sie hatten die undankbare Aufgabe, in Berlin das Vergleichs­ geschäft zu betreiben, auf dessen Einleitung die Bemühungen l) Karl Ludwig Woltmann war 1770 zu Oldenburg geboren. Als Professor der Geschichte zu Jena und als Schriftsteller erwarb er sich in der gelehrten Welt »eine bedeutende Wichtigkeit und Ansehnlichkeit«. Zwei Jahre lang leitete er die Studien des Erbprinzen von Mecklenburg-Strelitz, des Bruders der Königin Luise von Preußen. Nach Beendigung dieser Tätigkeit hielt er sich dauernd in Berlin auf, wo er erst Resident und Geschäftsträger des Land­ grafen von Hessen-Homburg wurde; von dem Landgrafen hat er vermutlich den Titel Geheimer Legationsrat erhalten. Im Dezember 1802 richtete er an die Reichsstadt Nürnberg das Gesuch, »ihn als diesseitigen Geschäftsträger in Berlin aufzustellen«. Noch im Januar 1803 wurde er ohne festes Gehalt als solcher bestellt. Auch für Hamburg und Bremen war er in gleicher Eigenschaft tätig. Im August 1804 bat er Nürnberg, »ihn als Ministerresidenten der sämtlichen Reichsstädte am Berliner Hofe mit einem angemessenen Salär zu akkreditieren und ihn hiezu bei den übrigen wohllöblichen Reichsstädten in Vorschlag zu bringen«. Der Rat gab Tücher in Regensburg Auftrag, die reichsstädtischen Ablegaten »deshalb zu sondieren«. Tücher selbst empfahl ihn angelegentlich: »Seine vorzüglichen Fähigkeiten und ausgebreiteten Kenntnisse brachten ihn mit Personen in Verbindung, deren Bekanntschaft und Wohl­ wollen für einen Geschäftsmann sehr wünschenswert ist und ihm Mittel, für das Beste der Städte zu wirken, geben. Er spricht mit Freimütigkeit und Nachdruck, arbeitet leicht, seine Denkungsart ist edel und rechtschaffen. Er ist von den vorzüglichsten Männern verschiedener Stände geschätzt und seine Verbindungen sind ausgebreitet und die wichtigsten, welche man in Berlin haben kann«. Am 30. Oktober 1804 befürwortete Roth das Gesuch Woltmanns. »Er (Woltmann) bemerkt, daß er nun seit 2 Jahren mit Nürnberg in Verbindung stehe und daß man ihm offiziell versprochen habe, ihn bis zu seiner perpetuierlichen Anstellung anständig zu honorieren«. Er bittet demnach, daß ihm 500 Taler als Remuneration verwilligt werden möchten. »Da Herr Woltmann, wiewohl ohne sichtbaren Erfolg, wirklich viel getan und viel Zeit aufgeopfert hat, so scheint dieses Gesuch gar nicht unverhältnismäßig zu sein«. Roth kommt wiederholt darauf zu sprechen und schildert die zweifachen Vorteile seiner Anstellung, »solche, welche sich bloß auf das Vergleichsgeschäft beziehen, und solche, welche zur Sicherung der künftigen Existenz von Nürnberg bei­ tragen«. Erst am 4. September 1805 wurde er »als Resident und Geschäfts­ träger hiesiger Reichsstadt mit einem jährlichen Gehalt von 800 Talern« angestellt, »solange es das Beste der hiesigen Stadt und die Besorgung der dortigen Geschäfte erfordern«. Seinen »ehrfurchtsvollsten Dank für die Er­ nennung« stattete er Nürnberg am 14. September 1805 ab. — Im Jahre 1813 siedelte er von Berlin nach Prag über, wo er 1817 starb. Auf dem Gebiete der Geschichte war er ein sehr fruchtbarer Schriftsteller. S. Baader, Streif­ lichter, S. 12, 87. Ratsverlässe vom 3., 21. Januar 1803, 5., 10. September 1804, 8. März und 14. September 1805. K. Kreisarchiv Nürnberg: a) D-Akt No. 139. b) Selektsakten, S. IV, L. 2, No. 18, Prod. 13. c) Desgl. Bericht vom 2. Februar 1805. d) Desgl. Bericht vom 19. März 1805.

54 Nürnbergs seit Dezember 1802 gerichtet waren. Roth blieb aber von seiten Nürnbergs bis zum 10. Oktober 18041) ohne Spezialvollmacht, so daß buchstäblich wahr ist, was der fran­ zösische Gesandte Laforet in Berlin in einer Unterredung scherzweise zu ihm sagte, »daß die Stadt Nürnberg überhaupt nicht gerne Vollmachten zu erteilen scheine«2). Vom Juli bis zum Oktober 1804 also weilte Roth lediglich als Privatmann in Berlin. Er ließ es sich aber sehr angelegen sein, im Sinne Nürnbergs zu wirken. Ausgangs- und Zielpunkt seiner Politik war: »Ich kenne nichts Wünschenswerteres für unser Geschäft, als daß es in Paris behandelt werde«3). An Stelle des erkrankten Grafen Haugwitz hatte am 13. August Freiherr von Hardenberg »die Gewalten eines Ministers der auswärtigen Geschäfte und eines Ministers in Franken« übernommen. Die Meinung der »wohllöblichen Selekte« in Nürnberg hatte nun in letzter Zeit sich dahin geändert, daß es »zuträglicher« sein werde, »die Unterhandlungen sogleich hier (Berlin) an­ zufangen, ohne erst einen neuen Antrag auf die Verlegung derselben nach Paris zu machen«. Auch Woltmann war der Ansicht, »daß man uns das gänzliche Abstehen von diesem Anträge sogar als Verdienst anrechnen und diese Nachgiebigkeit mit größerer Bereitwilligkeit belohnen werde. So wünschenswert es also an sich wäre, wenn die Sache in Paris verhandelt werden könnte, so vereinigt sich doch alles gegen den Antrag, welcher demnach auf sich beruht, wenn es anders nicht in der Folge notwendig wird, ihn zu erneuern, wozu doch noch ein Weg offen gehalten werden müsse«4). Am 2 7. August 1804 waren Roth und Woltmann bei Freiherrn von Hardenberg zur Tafel geladen. Bei dieser Gelegenheit äußerte er zu ihnen: »Noch immer wünsche er auf­ richtig und lebhaft, die Verhältnisse gegen Nürnberg durch einen Vergleich festzusetzen. Weit entfernt, die Unterdrückung von Nürnberg zu wollen, wünsche er vielmehr dessen größeres Emporkommen. Allein auf diejenigen Vorx) 2) 3) 4)

Ratsverlaß vom io. Oktober 1804. Bericht vom 23. Juni 1804. Selektsakten, S. IV, L. 2, No. 18. Bericht vom 31. Juli 1804 a. a. O. Bericht vom 14. August 1804 a- a* O.

55 schlage, welche vordem in Regensburg und kürzlich in Nürnberg durch den hochansehnlichen Herrn Sub­ delegat gemacht worden seien, könne er sich durchaus nicht einlassen. Wahres Vergnügen würde es ihm sein, wenn ich (Roth) beauftragt wäre, ihm neue zweck­ mäßigere Vorschläge zu übergeben; diese wünschte er schriftlich und detailliert zu erhalten; dann würde er sich offen darüber erklären, auch mündliche Ver­ handlungen pflegen. Er hoffe, daß sich ein Vergleich werde schließen lassen, der die Gerechtsame des Königs und das Wohl Nürnbergs, das ihm wegen der fränkischen Fürstentümer selbst sehr wichtig sei, in sich vereinige«1). Wenige Tage darnach übergab Roth im Einvernehmen mit Woltmann und dem französischen Gesandten Laforet den gewünschten schriftlichen Antrag an Freiherrn von Hardenberg dahingehend, »daß die Reichsstadt Nürnberg den vollen und uneingeschränkten Besitz des sogenannten Reichs­ wälderdistriktes oder des ganzen von der Rednitz, der Schwarzach und der Schwabach umschlossenen Land­ bezirkes als den Gegenstand der dem Unterzeichneten übertragenen Unterhandlung anzusehen, in dem ganzen Umfange ihrer Verhältnisse die dringendsten Beweg­ gründe findet. Dieselbe Rücksicht führt den Unter­ zeichneten weiter zu der ehrerbietigen Bitte, daß Seine Exzellenz geruhen möchten, Ihre Gesinnung hierüber ihm hochgefälligst zu erkennen zu geben«2). Die Selekte waren mit dieser »Note« wohl zufrieden, wenig zufrieden aber waren sie mit Roths Haltung bei der Unter­ redung mit Hardenberg am 2 7. August. Dieser bot sogar seine Entlassung an3). Die Ursache war Roths zu großes Entgegenkommen gegen die preußischen Ansprüche. Neuer­ dings aber tritt er mit aller Kraft dafür ein: »Das einzige J) Bericht aus Berlin von Roth am 28. August 1804 a a. O. 2) Note vom 31. August 1804 a. a. O 8) »Übrigens kann ich den Wunsch nicht bergen, daß, wenn die wohl­ löblichen Selekte glaubten, das Geschäft würde durch eine andere Person mit größerer Leichtigkeit behandelt werden, dieselben mir einen Nachfolger bestellen möchten; nichts könnte mir unter mancherlei Rücksichten erwünschter sein«.

56 Mittel, das Geschäft einzuleiten und zu beschleunigen, ist dem­ nach, neue Vergleichsvorschläge zu entwerfen und in denselben größere Vorteile anzubieteri«. »Soll ich einen bestimmten Antrag machen, so geht er dahin, daß man sich verstehe, Hilpoltstein, Betzenstein und Gräfenberg gegen das ganze Reichswäldergebiet nebst den schicklichen Arrondissements im Süden abzutreten; die übrigen zur Abtretung angebotenen Gegenstände aber zu Kompensationen und was davon übrig bleibt entweder zur Ausgleichung mit Bayern, wovon denn Preußen einen Teil zu übernehmen hätte, oder zur Erlangung einer Geldsumme abtrete« x). Dringend wrünscht Roth von den Selekten »eine bestimmte Instruktion zu neuen Vorschlägen«; dann »könnte ich ohne Bedenken eine Antwort auf die Note mit der Bemerkung ver­ langen, daß ich nur diese erwarte, um die geforderten Vor­ schläge zu entwerfen und zu überreichen«*2). Da macht sich das alte Bestreben wieder geltend, die Verhandlung auf die lange Bank zu schieben. In einer Unterredung Roths mit dem Geheimen Rat Nagler3) am 28. September 1804 schien es letzterem wieder einmal »weit besser, wenn die Sache in Nürn­ berg und nicht hier verhandelt werde«. Er wies auf die Unmöglichkeit, »daß der Minister selbst sich mit dem Detail befasse, auf die Ungewöhnlichkeit der Übertragung eines solchen Geschäftes an einen Rat von dem auswärtigen Departement und die in Nürnberg sich darbietende Leichtigkeit, die unum­ gänglich notwendigen Kommunikationen mit Kurbayern zu pflegen«. Roth wies diese und jede andere Begründung der Verlegung der Verhandlung mit guten Gründen zurück und erlangte schließlich die Zusicherung einer baldigen Antwort auf die Note vom 31. August4). Unbegreiflich ist unter diesen Umständen die Zögerung der Selekte, Roth eine umfassende Instruktion und Vollmacht zu erteilen für den Fall einer Antwort auf die »Note«. Viel­ mehr gaben sie ihm den Auftrag, durch eine »neue Note auf eine bestimmte Erklärung über die bereits vorgelegten Fragen *) Bericht von Roth aus Berlin vom 11. 2) Desgl. vom 22. September 1804 a. a. 3) Sieh die Charakteristik Naglers in K. ren II, 5 6 ff. 4) Desgl. vom 28. September 1804 a. a.

September 1804 a. a. O. O. H. Ritters von Lang Memoi­ O.

57 zu dringen«, zumal »es für uns nichts Wichtigeres gibt, als nicht mehr abzulassen und Schlag auf Schlag fortzuhandeln«1). Alle Bemühungen jedoch, bald eine Antwort zu erhalten, waren vergeblich*, immer wurden die »ungeheueren Geschäfte des Herrn Ministers« vorgeschützt. Einen Teil der Schuld schiebt Roth auch auf die Selekte; wenn sie ihm nämlich »die Autorisation zu dem bekannten Anerbieten (vom 11. September 1804), um welche ich bat«, erteilt hätten, »so hätte ich das Anmahnungsschreiben weit stärker und eindringender fassen können«. »Denn alle Ausflucht ist abgeschnitten, sobald Nürn­ berg erklärt, daß es die Abtretungen machen will, welche man längst verlangte«2). Mehr als zwei Monate vergingen. Am 25. Januar 1805 reichte Roth eine neue Note bei Hardenberg ein: »Die äußeren Verhältnisse dieser Stadt (Nürnberg) sind fortdauernd unaus­ sprechlich drückend; sie behaupten auf ihr Inneres den nach­ teiligsten Einfluß; und dadurch ist ihr die in dem neuesten Reichsschlusse verheißene Fixierung ihres Gebietes zu einem Bedürfnisse geworden, dessen Befriedigung sie immer sehnlicher erwarten muß. Hierüber hat ein ganz neuer Vorfall ein neues Licht verbreitet. Seit 1796 auf ihre Mauern eingeschränkt, mußte die Stadt kürzlich außerhalb derselben sich einen freien Platz erbitten, um den von dem fränkischen Kreise vor­ geschriebenen Maßregeln gegen die Einfuhr verdächtiger Waren Genüge zu' leisten. Schmerzlicher konnte sie wohl nicht fühlen, daß ihr Zustand noch derselbe wie vor dem neuesten Reichs­ schlusse sei; und dieses zu einer Zeit, wo alle anderen Reichs­ stände, die auf irgend eine Art durch dieses Reichsgesetz be­ günstigt wurden, schon längst in dem Besitze der ihnen zugewiesenen Vorteile sind. Wenn demnach die Fixierung ihres Gebietes durch die vorbehaltenen Vergleichshandlungen ein so dringendes Bedürfnis für die Reichsstadt Nürnberg ist; wenn ihr Wohl und beinahe selbst ihr Dasein von derselben abhängt; wenn sie b Desgl. vom 13. Oktober 1804 a. a. O. Die Note wurde am 10, November 1804 übergeben. »Seiner Excellenz dem Herrn Geheimen Staats-, Kriegs-, Kabinets- und dirigierenden Minister Freiherrn von Hardenberg soll der Unterfertigte vermöge Auftrages seiner Kommittenten die am 31. August von ihm ehrerbietig eingereichte Note in hochgeneigte Erinnerung bringen«. 2) Desgl. vom 10. November 1804 a. a. O.

58 durch ihr teuerstes Interesse genötigt ist, auf die mehrfach zugesicherte huldreichste Geneigtheit Ihrer Königlichen Majestät zu dem Vergleiche sich wiederholt ehrfurchtsvoll zu berufen; so werden Seine Exzellenz die wiederholte Bitte des Unter­ zeichneten nicht ungünstig aufnehmen, sondern die Angelegenheit, welche sie zur Absicht hat, derjenigen Aufmerksamkeit zu würdigen geruhen, mit welcher Hochdieselben alle Gegenstände Ihres ausgedehnten Wirkungskreises umfassen«1). Keine Antwort 1 Ende Februar 1805 sprach Roth einmal mit dem französischen Gesandten Lafor£t über die Sache. Dieser legte*ihm nahe, bei dem bayerischen Gesandten in Berlin Chevalier de Bray einen Besuch zu machen. Er kam dem Rate am 1. März 1805 nach und erfuhr dabei, »daß zwischen seinem und dem preußischen Hofe eine Verabredung existiere, nach welcher keiner von beiden für sich allein mit Nürnberg unterhandeln würde«. »Er sprach hierauf von dem Verlangen des Kurfürsten, seine Verhältnisse gegen Nürnberg zu berichtigen, und äußerte den Wunsch, daß man von seiten der Stadt auch gegen seinen Hof mit angemessenen Vorschlägen hervorgehen möchte«. Er gab sich aber damit zufrieden, »man möchte zu gleicher Zeit dieselben Schritte bei seinem Hofe wie beim hiesigen machen«. »Sein Rat wäre demnach, daß der Kurfürst ersucht würde, seinem Gesandten in Berlin Vollmacht und Vorschrift zu erteilen, in Unterhandlung zu treten«. Der französische Gesandte Laforet sagte seine Unterstützung zu, »eine offizielle Kommunikation zwischen dem hiesigen und dem bayerischen Ministerium zu bewirken«2). Wie weit war man nach ähnlichen Erfahrungen in Paris noch vom Ziele! Im April 1805 erkrankte Roth an einem rheumatischen Fieber, das ihn gänzlich erschöpfte. Auf sein Ersuchen führte die weitere Korrespondenz der Geheime Legationsrat Woltmann. Er benützte die Kunde von der beabsichtigten Reise des Königs in seine fränkischen Besitzungen, Nürnberg für den Aufenthalt des Königs im Interesse seiner Sache Verhaltungsmaßregeln anzuraten, ihn durch eine Deputation und ein Schreiben zu begrüßen. »Ich würde nichts in dasselbe *) Note an Hardenberg vom 25. Januar 1805 a. a. O. 2) Desgleichen vom 2. März 1805 a. a. O.

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setzen, als daß Nürnberg sich seiner um so mehr freue, weil sein biederes vor 2 Jahren im Angesichte’ seiner Vorfahren gegebenes Fürstenwort, daß mit der Stadt alles gut werden und daß der Deputationsschluß in Hinsicht auf sie auch endlich Kraft gewinnen solle, durch seine jetzige Gegenwart in Franken gleichsam erneuert und der Erfüllung nahe gebracht scheine«1). Namentlich drang er darauf, den Legationsrat Nagler, der den König und Hardenberg begleiten werde, einen Mann »voll Vorurteilen gegen den benachbarten kleinen Freistaat (Nürnberg) und voll Begierde, ihn den fränkischen Provinzen einzuverleiben, aber doch gutmütig und auf kluge Art nachgiebig«, zu gewinnen, dadurch daß ihm und Hardenberg stündlich in die Ohren klinge: 1) daß Nürnberg sich lieber in Trümmer ver­ wandeln, als seine Selbständigkeit aufgeben wird, 2) daß es innere Kraft und Mut genug habe, um sich durch sich selbst wieder blühend zu machen«2). Folgende drei Sätze stellt er als Richtlinien für die künftige Politik Nürn­ bergs im Vergleichsgeschäfte auf: »l)Herr von Haenlein und als sein Adjutant Herr von Schaden haben ein Privatinteresse, daß die Sache in Franken ausgeglichen'werde. Der Minister von Hardenberg folgt ihrem Gesichtspunkt, um allen Anschein zu vermeiden, als wenn der Einfluß Frankreichs durch die hiesige Ge­ sandtschaft ihn bestimmt hätte. 2) Nach deutlichen Winken will Herr Lafor6t die Sache aber hier zu Ende treiben, und er ist immer in dieser Aussicht zu erhalten, damit er nicht nachlasse, hier zu wirken. Am Ende muß es uns freistehen, wo wir abschließen wollen. Aber eben deswegen darf Dr. Roth nicht von hier ganz abgehen vor Beendigung des Geschäftes. Frankreich und Preußen würden dies als ein Zeichen ansehen, als ob wir die Beförderung desselben durch die hiesige französische Gesandtschaft aufgäben, und dies würde doppelt nachteilig für uns wirken. *) J. Baader, Streiflichter, S. 66. Bericht vom 27. April 1805. 2) A. a. O. Bericht vom 30. April 1805.

60 3) Preußen will bei der Verhandlung Frankreich nur brauchen, um sich von Bayern frei zu machen und dieses ganz in Schatten zu stellen. Französische Erklärungen derart gegen Bayern, daß sie dieses von jeder weiteren Hoffnung eines Erwerbes abschrecken, zu veranlassen und die Erbitterung Preußens gegen Bayern vorzüglich beim Geheimrat Nagler und bei andern zu nähren, dünkt mich daher sehr ratsam«1). Welche verschiedenartigen Ansichten übrigens in den Kreisen der mit dem Vergleichsgeschäft befaßten Persönlich­ keiten herrschten, ersehen wir aus einer Unterredung Woltmanns mit dem Geheimrat Nagler, der nach einer Mitteilung Haenleins berichtete, »wie die Gemüter in Nürnberg jetzt in einer solchen Stimmung wären, daß eine Ausgleichung zwischen der Stadt und Preußen jetzt leichter zu vollbringen sein werde«. Damit stand allerdings in direktem Widerspruch eine andere Äußerung Haenleins, »daß eine Kommission ernannt werden solle, um zu untersuchen, ob Nürnberg ein Gebiet nötig habe«, die ein Hohn auf das Vergleichsgeschäft war. »Ebenso stimme es mit einer ernsten Absicht von preußischer Seite, alles mit Nürn­ berg auszugleichen, gar nicht überein, daß sich der Minister von Hardenberg im geringsten nicht schriftlich gegen den Herrn Konsulenten erkläre«. Nagler versprach dahin zu wirken, daß Hardenberg noch vor der Abreise nach Franken »eine nach den jetzigen Verhältnissen befriedigende Erklärung schriftlich« an Roth gelangen lassen werde2). Kaum vom Krankenlager aufgestanden, bemühte sich Roth, noch »vor der Ankunft des Königs von Preußen in den fränkischen Provinzen die beiderseitigen Vergleichsvorschläge soweit miteinander in Übereinstimmung zu setzen, daß nur wenige einzelne Punkte für die fernere Diskussion übrig bleiben«3). Lafor6t aber riet ihm, nach Nürnberg zu gehen, »um mündliche Erläuterungen zu geben und der Verhandlung der Sache beizuwohnen«, nachher aber wieder nach Berlin zurückzukehren, »da das Geschäft nach aller Wahrscheinlichkeit hier werde beendigt werden«4). x) A. a. O., S. 68. Bericht vom 7. Mai 1805. a) A. a. O., S. 71, 72. Bericht vom 11. Mai 1805. s) Bericht Roths aus Berlin vom 21. Mai 1805, Selektsakten, S. IV, L. 2, No. 18. 4) Desgl. vom 25. Mai 1805 a. a. O.

61 Eine ungleich wichtigere Botschaft konnte er am gleichen Tage bringen; er war endlich einmal bei Hardenberg vor­ gelassen worden und erhielt von ihm die Antwort die Note vom 31. August 1804 »mit dem Beisatze, daß er aufrichtig bedauere, sie jetzt noch nicht befriedigender geben zu können« 1). Hardenberg eröffnet jetzt Vergleichsvorschläge »mit der Er­ klärung, daß ihm die gewünschte Festsetzung von Vergleichs­ bedingungen desto schwieriger scheint, je mehr er durch öftere Vorgänge überzeugt wird, daß man nürnbergischerseits die Gerechtsame Sr. k. Majestät über das die Reichsstadt umgebende Gebiet gänzlich zu mißkennen und in Abrede zu stellen sucht und dieses als Einleitung und Grundlage der Unterhandlungen betrachtet. Se. k. Majestät werden sehr gerne der Reichsstadt Nürnberg Beweise Ihres Wohlwollens geben und deren Bestes befördern helfen. So wenig aber dem jüngsten Reichsdeputations­ schluß eine Beziehung auf die Geltendmachung der königlichen Landeshoheitsgerechtsame in den fränkischen Fürstentümern und namentlich in der Gegend um Nürnberg beigelegt noch ein­ geräumt werden kann, ebensowenig können Allerhöchstdieselben sich zu einem solchen Tauschvertrage entschließen, wodurch nach dem Anträge des Herrn Konsulenten Dr. Roth der ganze Landdistrikt, welchen die Redniz, Schwarzach und Schwabach umschließen, an Nürnberg zu vollem und uneingeschränktem Besitz übergehen und den königlichen Provinzen in Franken die Ämter Burgthann, Cadolzburg, Schwabach und Erlangen zum größten Teil entzogen werden sollten. Unterzeichneter wird übrigens gerne andere Anträge, wodurch die jenseitige Konvenienz befördert werden kann, vernehmen, wenn sie irgend mit der diesseitigen in Übereinstimmung zu setzen sind«2). Noch am nämlichen Tage (25. Mai 1805) reiste der König mit Hardenberg und Nagler nach Franken ab; in den ersten Junitagen kehrte Dr. Roth nach Nürnberg zurück, Woltmann blieb als Geschäftsträger der Reichsstadt in Berlin3). 1) Desgl. ein zweiter Bericht vom 25. Mai 1805 a. a. O. 2) Note Hardenbergs vom 2 t;. Mai i8ck. Abschrift in Selektsakten, S. IV, L. 2, No. 18. 3) Bericht Woltmanns vom 25. Mai 1805 a. a. O. Der letzte Bericht Dr. Roths ist vom 4. Juni 1805 datiert.

62 Die Abwesenheit des Königs und seiner Ratgeber ließ naturgemäß eine Pause im Vergleichsgeschäfte zu Berlin eintreten. Es bestand noch ein Schimmer von Hoffnung, daß in Nürnberg selbst oder in Ansbach eine Auseinandersetzung über die schier unvereinbaren Vorschläge Nürnbergs und Absichten Preußens stattfinden werde. Bevor wir diesen folgen können, müssen wir der Nürn-_ _ (lgsa.ndtsr.haft. in Paris die letzte Aufmerksamkeit schenken und dann der Entwicklung des Verhältnisses Nürnbergs zu Bayern nachgehen, insbesondere die wiederholte Andeutung aufklären, daß zwischen Bayern und Preußen eine Spannung eingetreten sei, die für Nürnberg den Ausgangspunkt einer glücklichen Wendung des Vergleichsgeschäftes bilden könnte. Am 13. Dezember 1804 hatte Roth dem Rate den »Versuch einer Übersicht der bisherigen Geschäftsführung zu Paris und Berlin zugehen lassen«1). Darnach machten die Selekte den Vorschlag, Kießling ohne Verzug von Paris zurückzuberufen und ihm den Auftrag zu erteilen, »vor seiner Abreise dem Herrn Minister der auswärtigen Angelegenheiten Talleyrand die ent­ worfene und in das Französische zu übersetzende Note zu behändigen« 2). Abgesehen von verschiedenen Besuchen bei dem KurfürstErzkanzler Dallberg und bei dem damals in Paris weilenden Papst Pius VII.3), die keine Förderung seines Auftrages bedeuteten, *) Selektsakten, S. IV, L. 2, No. 18, Prod. 19. 2) Ratsverlaß vom 22. Dezember 1804. Endgiltig war diese Abberufung keineswegs, wie die Tatsache des noch längeren Verbleibens Kießlings in Paris beweist. 8) »Beide Türen des Audienzzimmers eröffneten sich; und schon er­ blickte ich den mir alle Achtung einflößenden Greis, den Pabst, vom Kamin mir entgegengehend; ich machte meine Verbeugung, trat vor ihm und sagte: »Das Glück vor S. H. treten zu dürfen und die Ehre zu haben, S. H. als Gesandter im Namen der Stadt Nürnberg die tiefste Ehrerbietung zu erstatten, sei der schönste und kostbarste Augenblick meines Lebens. Geruhen E. H. sich die Versicherung von den heißen Wünschen für dero langes Leben, be­ gleitet von allen Arten höchster Glückseligkeiten und des ununterbrochenen Wohlergehens, gnädig gefallen zu lassen; geruhen aber auch E. H. mir die submisse Bitte um dero Huld und Gnade für meine Vaterstadt nicht zu ver­ sagen, zu der ich sie und meine Person auf das untertänigste empfehle. S. H. antwortete halb italienisch und halb französisch. Ich danke Ihnen für alles Gute, was Sie mir im Namen Ihrer Stadt sagen, und für Ihre gute Gesinnung — und nun ergriff der ehrwürdige Greiß meine rechte Hand mit der Herz­ lichkeit eines Vaters und fuhr, sie drückend, fort; »Ihrer Stadt solls recht

63 verbrachte Kießling seine Zeit in Paris nach der Kaiserkrönung gänzlich nutzlos. Er hoffte und wartete. In den letzten Tagen des Dezember 1804 versammelte dann Abel die Gesandten der Reichsstädte und trug ihnen seine Meinung für ihr ferneres Verhalten vor: »Paris mußte nun nach aller Meinung als der Hauptstandpunkt, Regensburg aber für das Zentrum betrachtet und angenommen werden. Für not­ wendig wurde auch erachtet, daß das Direktorium zu Regens­ burg einen beständigen Briefwechsel mit Herrn Ministerresident Abel erhalte«1). Am 16. Januar 1805 übermittelte Kießling der Stadt Nürnberg ein schmeichelhaftes Schreiben Napoleons als Ausdruck seines Dankes für ihre Glückwünsche bei seiner Krönung: »Sehr liebe und gute Freunde 1 In dem Augenblick, da es der göttlichen Vorsehung gefiel, Mich zu dem französischen Thron zu berufen, konnte Mir nichts angenehmer sein, als von Ihnen einen Beweis des Anteils, den Sie an dieser Begebenheit nehmen, zu erhalten. Ihr außerordentlicher Gesandter, Herr Kießling, hat Mir Ihr Glückwunschschreiben vom 5. Oktober 1804 übergeben und durch die Art, wie er sich seines Auftrages entledigte, hat er dem Zutrauen, daß Sie ihm schenken, voll­ kommen entsprochen. Während seines Aufenthaltes aber konnte er sich von Meinem festen Vorsatz überzeugen, Ihnen fortwährend Beweis von dem Interesse, daß Ich an Ihrem Wohl nehme, zu wohl gehen und Ihnen fortdauernd Gesundheit und alles Gute nach meinem aufrichtigen Wunsche zufließen«. Nun. konnte ich mich nicht entbrechen, die Hand, die S. H. zurückziehen wollten, zu küssen, er erwiderte dieses mit einem nochmaligen Druck und entließ mich mehr herzlich als fürstlich. Er der Pabst war in seiner Benediktinerkleidung; sein Gesicht zart und weiß, seine Augen schwarz und brennend, seine Nase etwas gebogen und seine Stimme sanft. Zur rechten Hand stunden 6 Kardinäle und zur linken der Chambellan im roten, mit Gold reich bordierten Kleide. Ich eilte vergnügt und zufrieden nach meiner Wohnung zurücke; und da die Post im Abgehen ist, kann ich nur die Versicherung meines vollkommensten Respekts und Devotion hinzusetzen«. Be­ richt Kießlings vom ii. Dezember 1804, Selektsakten, S. IV, L. 2, No. 3. L) »Gegen Norden ist es noch trüb, und in Osten steigt eine schwarze Gewitterwolke auf, die sich nach Süden und West zu ziehen scheint! Ach! mögte sie doch von dem allmächtigen Regenten unsers ganzen Erdballs noch in Zeiten dissipiert und der ganze Horizont aufgeheitert und Licht werden damit das neue Jahr ein Jahr des kostbarsten Friedens, der Ruhe und der Menschen Wohl und Glückseligkeit für Europa werden und diesem sich die glücklichsten und frohesten anreihen mögen!!!« Bericht Kießlings vom 31. Dezember 1804 a. a. O.

64 geben. Ich wünsche, daß er Ihnen die Versicherung von Meiner Achtung und Meinem Wohlwollen überbringe. Hierüber bitte Ich Gott, sehr liebe und gute Freunde, daß er Sie in seinen hl. Schutz nehme«1). Eine »Vorstellung« Abels und Kießlings an Minister Talleyrand vom 14. Januar 1805 »supplizierte dringendst Hilfe und Rettung für die von Preußen und Bayern bedrängte Stadt Nürn­ berg«. Es werden die bisherigen vergeblichen Versuche, das Vergleichsgeschäft gedeihlich zu fördern, aufgezählt, namentlich über die Nichtbeantwortung der Note vom 31. August 1804 an Hardenberg bittere Klage geführt. »La ville de Nuremberg se voit donc forcee de recourrir de nouveau ä la protection de S. M. l’Empereur des Fran^ais et d’implorer ce monarque, corame un des mediateurs dans les affaires de l’Allemagne, de daigner s’interesser aupr£s de S. M. 1. R. de Prusse et aupr&s de S. A. S. 1. E. de Bavi£re par l’organe des ministres pldnipotentiaires de France ä Berlin et ä Munic ä ce qu'enfin les negotiations pour la fixation du territoire de Nuremberg, voulue par le reces d’empire, soient entamees et terminees d’une maniere juste et e'quitable«. Die Bereitwilligkeit Nürnbergs zum Eintritt in Vergleichsverhandlungen ist über allen Zweifel erhaben; es leide sehr unter dem Übelwollen seiner Nachbarn, nur Frankreich könne Preußen und Bayern zu Vergleichshand­ lungen drängen, worum sie inständigst gebeten haben wollen2). h Paris le 14 Nivöse, an 13. (4. Januar 1805). Orig, im k. Kreisarchiv Nürnberg, V*\2. Abschrift und Übersetzung in Selektsakten, S. IV, L. 2, No. 18, Prod. 35. — Bericht Kießlings vom 16. Januar 1805, Selektsakten, S. IV, L. 2, No. 3. — Konsulent Roth in Berlin und der französische Gesandte Laforet waren überzeugt, »daß niemand sein werde, dem die Wichtigkeit dieses Beweises von dem Wohlwollen des Kaisers entgehen könnte«. »Da die nach­ teilige Meinung, daß Nürnberg der französischen Regierung gleichgiltig sei und sich vergeblich bemühe, die Aufmerksamkeit derselben auf sich zu ziehen, durch nichts gründlicher widerlegt werden kann als durch die öffentliche Bekanntmachung dieses Briefes, so werden es die wohllöblichen Selekte nicht mißbilligen, daß ich eine Übersetzung desselben heute an die Redaktion des Hamburger Korre­ spondenten absende. Ich lege dieselbe abschriftlich bei. Wenn nicht für rätlich gehalten wird, sie auch in den nürnbergischen Zeitungen abdrucken zu lassen, so möchte es wenigstens gut sein, die Existenz des Schreibens in diesen Zeitungen mit einigen Worten anzuzeigen«. Bericht Roths aus Berlin vom 2. Februar 1805. Selektsakten, S. IV, L. 2, No. 18, Prod. 34. 2) Bericht Kießlings vom 18. Januar 1805, Kopie der »Vorstellung« vom 14. Januar 1805. Abel wies in einer eigenen Vorstellung vom 15. Januar 1805 noch ganz besonders auf die Schwierigkeiten hin, die die Regierung in Ansbach

65 Auch Daliberg versprach nach Durchlesung der Vorstellung »kräftigstes Vorwort und Empfehlung sowohl bei dem Minister als auch beim Kaiser«1). An ihn hatte sich die Stadt Nürnberg in eigenem Schreiben gewendet, »worinnen höchstdieselben um dero Protektion und Fürsprache für hiesige Reichsstadt geziemend ersucht« wurden2). Am 23. Januar 1805 wurde es ihm über­ geben, der wieder mündliche Unterstützung zusagte, eine schrift­ liche aber ablehnte3). In einer Audienz dieser Tage sagte Talleyrand zu Abel: »Ich habe Ihre Memoires gelesen, mir ist unangenehm, daß gewisse..........................die Betreibung der Nürnberger Angelegenheiten verzögert haben. Nun aber kann und werde ich sie vornehmen und durch die Ministerplenipotentiairs mit Ernst darauf dringen, daß diese Sache mit Berlin und München zu Stande und in Ordnung komme«4). Eine noch erfreulichere Nachricht vermochte Kießling Anfang Februar zu melden, eine Äußerung Napoleons zu Dali­ berg: »Die (nämlich die Reichsstädte) werde ich nie verlassen, ich werde mich ihrer stets annehmen und sie sollen fortdauernd meine Protektion genießen « 5). In mehr als zweijährigen Bemühungen hatten Nürnbergs Deputierte kein so verheißungsvolles Wort vernommen«* die Tatsachen entsprachen aber nicht den Worten. Denn weder in München noch in Berlin hat die französische Regierung Schritte für Nürnberg unternommen. Im März 1805 entschloß sich der Rat endgiltig, Kießling von Paris zurückzuberufen6). Abel wurde allein mit der Vertretung Nürnbergs in Paris betraut. Die Kosten der Ge­ sandtschaft verursachten fortwährend Schwierigkeiten der Stadt momentan dadurch bereite, daß sie ihr wegen des herrschenden Fiebers durch wirtschaftliche Maßnahmen großen Schaden zufüge. Selektsakten, S. IV, L. 2, No. 18. *) Bericht vom 18. Januar 1805, a. a. O. 2) Ratsverlaß vom 14. Januar 1805. 3) Außerdem wurden ihm 3 Druckschriften: a) Über die Rechte der Reichsstadt Nürnberg auf ihren außerhalb ihres Gebiets gelegenen Besitzungen (mit 1 Karte), b) Kurze Bemerkungen zur Erläuterung der nürnbergischen Gebietsverhältnisse, c) die Rechte der Reichsstadt Nürnberg in Hinsicht auf den Tauschvertrag, übergeben. 4) Bericht vom 24. Januar 1805 a. a. O. 6) Bericht Kießlings vom 9. Februar 1805 a. a. O. 6) Ratsverlässe vom 13. und 16. März 1805. Abberufungsschreiben vom 20. März 1805 in Selektsakten, S. IV, L. 2, No. 4.

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und die französische Regierung wünschte die Anwesenheit Kieß­ lings nicht weiter. Endlich hatte der kaiserlich-österreichische Gesandte am fränkischen Kreistage, Freiherr von Hügel, »be­ stimmte Versicherungen« gegeben, »daß Se. kaiserliche Majestät sich für das diesseitige Interesse bei günstiger Gelegenheit verwenden werden« 1). In den letzten Tagen des März 1805 reiste Napoleon mit seinem ganzen Hofe nach Italien ab. In der Abschieds­ audienz sprach Talleyrand also zu Kießling: »Vous voulez donc partir? Eh bien, je vous reit£re, que je ne cesserai de m'interesser pour votre ville. Vous connoissez les sentimens gracieux et l’attachement de S. M. l’Empereur pour eile. Vos affaires seront finies ä Berlin par Monsieur Laforet. II y est bien instruit et les finira au mieux de votre ville. Mais Monseigneur — erwiderte ich — de gräce 1 daignez, je supplie respectueusementl lui faire parvenir quelques möts d’empressement par ecrit, qui repondront certainement de plus ä nos desirsl Eh bien, je veux satisfaire votre demande, quoiqu’il n’est pas necessaire, etant instruit parfaitement, qu’il finisse vos affaires aussi bien avec la Prusse, qu’avec la Bavi&re. Vous pouvez en etre tranquil et en donner l’assurance ä vos cometans, je vous souhaite bon voyage, au plaisir de vous revoir (Dieses letzte hat Bezug, einst nach glücklicher Endigung den Dank zu erwarten, vermute ich). Mit dieser tröstlichen Versicherung entließ er mich auf das huldvollste, und aus seiner Miene konnte ich mich über­ zeugen, daß sie nicht leere Worte sind, noch bleiben«. »Noch ist nichts versäumt, noch ist nichts von dem Okkupierten ver­ loren, die mächtigen Nachbarn werden gewiß mit weit modi­ fiziertem Vorschlägen noch hervorkommen, als sie nicht gekommen wären, wenn nicht hier durch die Deputation Einhalt gemacht worden wäre«2). Es liegt Wahrheit darin, wenn auch eine gewisse Übertreibung nicht zu verkennen ist. Frankreichs Ein­ fluß auf die europäischen Kabinette war unbestritten, ^seine Winke fanden überall Beachtung, sie wurden umsomehr beachtet von den befreundeten Staaten Bayern und Preußen. *) Schreiben des Rats an Kießling vom 20. März 1805 a. a. O. 2) Bericht Kießlings aus Paris vom 2. April 1805 a. a. O.

67 Im April 1805 versäumte Nürnberg nicht, den Kaiser Napoleon »zu der italienischen Königskrone« zu beglück­ wünschen; dafür lief ein »in den gnädigsten Ausdrücken verfaßtes Antwortschreiben« ein, »aus welchem die besten Hoffnungen für die Zukunft zu schöpfen sind«1). Am 2. Osterfeiertag (15. April 1805) trat Kießling die Heimreise an. Der Zustand, den er bei seiner Rückkunft vorfand, war so wenig erfreulich, wie er damals war, als er voll festen Vertrauens auf die Protektion Frank­ reichs die Heimat verlassen hatte. Es herrschte trotz der Versicherungen Napoleons und Talleyrands noch die nämliche Unsicherheit, und es ist ein bescheidenes Verdienst, verhindert zu haben, daß aus der peinlichen Unsicherheit nicht schon der Verlust der Selbständigkeit geworden war. Wir kennen den Wunsch des Konsulenten Roth, von Nürnberg Vollmacht zu weitergehenden Konzessionen an Preußen zu erhalten, als er sie nach der am 31. August 1804 dem Minister Hardenberg überreichten Note machen konnte, weil er sich sagen mußte, es sei besser, »das kleine Übel wählen, um sich dem größeren zu entreißen; das Geringere aufgeben, um das Wichtigere zu erlangen; oder auch das im engeren Sinne Überflüssige aufopfern, um das Unentbehrliche zu behalten«2). Die Selekte in Nürnberg wollten nicht so weit entgegenkommen; sie hielten starr an den nach ihrer Meinung vollkommen hin­ reichenden Opfern Preußen gegenüber fest. Ein Ausfluß dieser Starrheit ist die Stellung der Frage: »Ob die Summe der nürnbergischen Staatsbesitzungen extra aquas so groß sei, daß mittels derselben nicht nur die durch den neuen Ländertausch sehr vergrößerten Besitzungen des k. Hauses Preußen tauschweise akquiriert werden können, sondern daß auch noch diesseitige Realitäten verkäuflich an dasselbe abgegeben werden müßten, um das beabsichtigte Arrondissement zu bewirken und bis auf welche Summe sich diese letzterwähnten zu verkaufenden Gegen0 Bericht Kießlings vom io. April 1805 a. a. O. — Ratsverlässe vom 3. und 30. April, 14. August 1805. 2) Bericht Roths aus Berlin vom 11. September 1804. Selektsakten, S. IV, L. 2, No. 18.

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stände belaufen möchten«1)?2 Am 27. Juni 1805 waren die Selekte damit fertig, der Bericht wurde im Rate abgelesen und vor »die in Kommissionssachen einratenden Herren Consiliarii befördert«3). Über das fernere Schicksal dieses hochwichtigen Aktenstückes vernehmen wir nichts mehr, die Ereignisse der folgenden Monate waren überhaupt wenig geeignet, friedliche Grenzregulierungen vorzunehmen, sie trieben zum Krieg. Noch einige Monate vor Ausbruch des Krieges hören wir von einem Ersuche Nürnbergs, mit Bayern in Vergleichs­ verhandlungen einzutreten. Der Wunsch, »daß man von seiten der Stadt auch gegen seinen Hof mit angemessenen Vorschlägen hervorgehen möchte«, welchen der bayerische Gesandte Chevalier de Bray in Berlin gegen Dr. Roth geäußert hatte3), hatte dem Rate Nürnbergs (präsidierender Bürgermeister von Tücher) Anlaß gegeben, dem Kurfürsten Max Joseph zu versichern, »daß es an Nürnberg nicht gelegen sei«, daß die »in § 2 7 des Reichsdeputations-Hauptschlusses vorbehaltenen weiteren Unterhandlungen« noch nicht zustande gekommen seien. Von bayerischer Seite sei der Beginn solange verweigert worden, bis nicht auch Preußen seine Zustimmung zum Beginn gegeben habe. »Wir würden jedoch einen Erfolg erwarten dürfen, wenn Ew. kurfürstliche Durchlaucht durch höchstdero bei Ihrer könig­ lichen Majestät von Preußen akkreditierten fürtrefflichen Herrn Gesandten die erforderliche Einschreitung dazu treffen zu lassen und hochdemselben die zu Angehung der Unterhandlungen nötigen Instruktionen zu erteilen, gnädigst geruhen wollten«4). Infolgedessen erging an den bayerischen Gesandten in Berlin eine Anweisung: »Obgleich der gegenwärtige Zeitpunkt zur Beendigung dieser Angelegenheit auf eine solche Art, wie unser Interesse erfor­ derte, nicht günstig zu sein scheint, so kann es doch nichts schaden, wenn Ihr diesen Anlaß benützt, um die Aufmerksamkeit des k. Ministeriums auf diesen Gegenstand, welcher zugleich in den Landesvergleich aufgenommen worden ist, zurückzuführen und *) Ratsverlaß vom 6. 2) Desgl. vom 8. Juli 3) Bericht Roths von L. 2, No. 18. 4) Schreiben vom 22. schw. 561, No. 81.

März 1805. 1805. Berlin am 2. März 1805. März 1805.

Selektsakten, S. IV,

K. Geh. Staatsarchiv München, K.

69 die Gesinnungen des Kabinettsministers Freiherrn von Harden­ berg hierüber zu erforschen. Diese Sache kann freilich nicht sowohl durch Unterhandlungen mit dem Magistrate der Reichs­ stadt Nürnberg als durch die entscheidende Einwirkung einer höheren vermittelnden Macht berichtigt werden, wofür der schickliche Zeitpunkt abgewartet werden muß. Allein wenn man königlich preußischerseits schon bestimmte Pläne hierüber ge­ faßt hätte, so wäre es doch wichtig für uns, solche noch vor gänzlicher Vollziehung des Landesvergleichs zu erfahren, wes­ halb Ihr Euch bemühen werdet, uns nähere Notizen hierüber zu verschaffen«1). Dadurch sind die von Woltmann einmal erwähnten Ge­ rüchte2) widerlegt, als ob zwischen Bayern und Preußen in dieser Zeit eine bemerkenswerte Spannung bestanden hätte. Hier war auch nur der Wunsch Vater des Gedankens gewesen. Am 25. Mai 1805 verließ der König von Preußen Berlin, um in seine fränkischen Provinzen zu reisen. Nürnberg beeilte sich auf die Anzeige von Haenleins, die Wege in den Pflege­ ämtern Gräfenberg, Hilpoltstein und Betzenstein ausbessern zu lassen3), den ungehinderten Durchmarsch des preußischen Infanterieregimentes von Unruh durch sein Gebiet zur Revue in Fürth zu bewilligen, den erforderlichen Vorspann zu stellen4) und die Herren C. C. S. Harsdorf und J. W. C, Tücher zur Begrüßung des Königs nach Fürth zu delegieren5). Für den Fall, daß der König nach Nürnberg komme, wurden umfang­ reiche Bestimmungen getroffen*’). In den ersten Tagen des Juni 1805 fand der Besuch in Fürth statt, der zur allgemeinen Zufriedenheit verlief. Harsdorf7) und Tücher wurde »für die so vortrefflich als zweckmäßig geschehene Vollziehung des *) Erlaß vom 18. April 1805 a. a. O. 2) Bericht Woltmanns an Nürnberg vom 30. April 1805. Selektsakten, S. IV, L. 2, No. 18. 3) Ratsverlaß vom 25. April 1805. 4) Desgl. vom 30. April 1805. 5) Desgl. vom 27. Mai 1805. 6) Desgl. vom 31. Mai 1805. 7) Harsdorf, ein junger Mann, welcher nach Lochners Charakteristik unter einer zweckmäßigen Leitung nützliche Dienste leisten wird, besitzt Kennt­ nisse, war auf auswärtigen Universitäten und nimmt sich der ihm übertragenen Geschäfte mit Tätigkeit an. Damit verbindet er einen guten moralischen Cha­ rakter. K. Kreisarchiv Nürnberg, XXIII 11/1, No. 95.

70 erhaltenen oberherrlichen Auftrages der schuldig gebührende Dank erstattet«1). Ob sie in dem von Woltmann am 27. April 1805 angeratenen Sinne gesprochen haben, ist nicht zu ermitteln. Mittlerweile wirkte Woltmann in Berlin für das Interesse Nürnbergs, ohne begreiflicherweise irgend ein Resultat zu er­ zielen; er mußte sich lediglich darauf beschränken zu referieren. In der zweiten Hälfte des Juni 1805 hatte er eine Besprechung mit dem Geheimen Finanzrat Altenstein, der wiederholt die Versicherung gab, »daß es Preußen sehr ernst sei, mit Nürn­ berg sich auszugleichen, und Geheimrat Nagler das Geschäft beschleunigen werde«. Nur als Stachel für Nürnberg wolle Preußen die Stadt Fürth behalten. »Sobald uns der innere Zustand Nürnbergs eine Bürgschaft gibt, daß es zum Flor nicht mehr von außen gespornt zu werden braucht, ist uns Fürth unnütz«. »Käme es«, so drohte er, »jetzt nicht zur gänzlichen Ausgleichung zwischen Preußen und Nürnberg (welches die Götter verhüten 1), so würde das Los des letzteren viel herber sein wie jemals. Planmäßig es zu Grunde zu richten, würde sich dann jenes berechtigt und gezwungen glauben«2). Das sind so Streiflichter auf die Zeit der tiefsten Erniedrigung Deutschlands, wo der Franzose dem Deutschen den Fuß auf den Nacken setzt, wo die Deutschen selbst einander zerfleischen! »Über Nürnberg tiefes Stillschweigen! Wann kommt die Basis der Negotiation von Haenlein? Kann ich etwas tun, was sie befördert?« ruft Woltmann im August 1805 ungeduldig und schmerzlich bewegt aus8). Gleichwohl war gerade in diesen Tagen ein wichtiger Schritt geschehen. Roth, der mit der Führung der Verhand*) Ratsverlaß vom io. Juni 1805. Nur das löbliche Genanntenkollegium hatte sich eine Kränkung des ausschließlichen jus ablegandi des Rates zu Schulden kommen lassen, indem es gleichfalls »2 Abgeordnete in den Personen des Dr. Zink und des Kaufmanns Kießling« nach Fürth schickte, wogegen der Rat auf Grund eines »höchstverehrlichen Reichshofratsconclusums vom 8. Juni 1803« lebhaft protestierte und damit »die in Kommissionsangelegenheiten ein­ ratenden Herren Konsulenten bekannt zu machen und zugleich aufzufordern« beschloß, »sich gutachtlich zu äußern, wie sich deswegen nicht nur für dermalen zu benehmen sei, sondern auch wie diesem anmaßlichen und die obrigkeitlichen Rechte eines hochlöblichen Rates so auffallend beeinträchtigenden Benehmen des löblichen Genanntencollegii für die Zukunft Schranken zu setzen sein möchten«. 2. Ratsverlaß vom 10. Juni 1805. 2) J. Baader, Streiflichter, S. 76, 77. Bericht vom 29. Juni 1805. ®) A. a. O. S. 83. Bericht vom 20. August 1805.

71 lungen betraut war, macht darüber Abel in Paris Mitteilung: »Preußen hat endlich durch von Haenlein einen positiven Vor­ schlag im Vergleichsgeschäfte gemacht, allerdings vorläufig nur privatim. Darnach wären 3/4 des Sebalderwaldes und ein kleiner Teil des Lorenzerwaldes für Nürnberg verloren, »und zwar alle Distrikte, die an den Straßen zwischen Ansbach und Bayreuth liegen, ferner die 3 oberen Pflegämter, Velden und der östliche und nördliche Teil von Hersbruck«1). In dem folgenden Halbjahre wurde aber der zweite wichtige Schritt nicht gemacht. Andere, bedeutendere Ereignisse waren eingetreten, die das Vergleichsgeschäft ganz in den Hintergrund treten ließen. Schon lange hatte der Krieg (der 3. Koalitionskrieg) seine Schatten vorausgeworfen. Nürnberg blieb neutral gemäß der im jüngsten Reichsschluß den Reichsstädten zugestandenen Neutralität. Die Einwohnerschaft wurde in einem Patente auf die unbedingte Neutralität aufmerksam gemacht und »gegen alles Unternehmen im Handeln und Reden« gewarnt2), und der Rat suchte sich die Hilfe des kaiserlichen Konkommissärs Freiherrn von Hügel und des russischen Gesandten Freiherrn von Bühler zu sichern »in betreff der nachgesuchten Verwendung für die Aufrecht­ erhaltung der Neutralität hiesiger Reichsstadt« 3). C. W. Welser4) und J. W. C. Tücher, die Kreisconsilarii und die bei dem löblichen Selekt einratenden Herren Consilarii beratschlagten »die vonseiten hiesiger Stadt in Ansehung ihres Neutralitätsverhältnisses aufzustellenden und zu befolgenden J) Schreiben Roths an Abel in Paris vom 29. Juli 1805. Selektsakten, S. IV, L. 2, No. 5. 2) K. Kreisarchiv Nürnberg, Frank. Kreisarchiv, S. XI, No. 286. Vom 30. September 1805. 3) Rats verlaß vom 1. Oktober 1805. 4) »Welser war« nach der Charakteristik Lochners »österreichischer Offizier gewesen, verließ diese Dienste, kam in den Senat und wurde Baudirektor. Man kann ihm natürlichen Verstand nicht absprechen. Dabei aber hat er alle die rauhen und eckigten Formen, welche der Kavallerieoffizier, wenn er nicht frühere Bildung erhalten hat, so leicht annimmt, in sein neues Verhältnis mit übergetragen, und auffallender Despotismus gegen Subalterne ist ihm eigen. Da er nur sehr oberflächliche Kenntnisse in dem Fache der Baukunst besitzt, so hat er gleichfalls den Eigendünkel, den Starrsinn, der mit oberflächlichen Kenntnissen stets verbunden ist, und sieht dabei neidisch auf jeden Vorschlag herab, der nicht aus seinem Kopfe kommt und hindert dadurch manches Gute«. K. Kreisarchiv Nürnberg, XXIII, Ii/i, No. 95.

72 Grundsätze«. Ihre Beschlüsse fanden die Genehmigung des Rates. »Es ist demnach 1) der 1. Militärbehörde wegen der von derselben bereits ohne Vorwissen und Genehmigung eines hochlöblichen Rates hereinzubringen erlaubten, in Kriegsrüstungen be­ stehenden Effekten, sowie wegen der bisherigen Bewachung derselben durch das hiesige Militär das oberherrliche Miß­ fallen zu erkennen zu geben. Es ist 2) die Verfügung zu treffen, daß die bereits dermalen sich hier befindenden kurfürstlichen Effekten, besonders die­ jenigen, welche in dem Zeughaus auf bewahrt werden, so schleunig als möglich aus hiesiger Stadt fortgeschafft und deshalb bei dem darüber die Oberaufsicht führenden kur­ bayerischen Artillerieobristleutnant und dem Fuhrmann Kemmater, der den Transport auf sich genommen, die erforderliche Einleitung getroffen werde. 3) Ist das zur Bewachung dieser Effekten bisher gebrauchte Militär abzuschaffen und statt desselben Polizeiwächter oder andere in Pflicht stehende Subjekte, z. B. Wagenhüter, zu gebrauchen, die Wahl derselben aber dem gedachten kur­ fürstlichen Artillerieobristleutnant zu überlassen. 4) Ist in Ansehung weiters hereingebracht werden wollender Effekten dem kurfürstlichen Artillerieobristleutnant zu er­ kennen zu geben, wie man zwar nicht entgegen sein wolle, wenn solche Effekten, welche nicht unter Kriegsarmaturen zu zählen sind, in hiesige Stadt herein und gleich wieder forttransportiert würden, daß aber die einem hochlöblichen Rat obliegende Polizeiobsorge und sonstige Rücksichten nicht gestatteten, solche Gegenstände, welche als Artillerie­ oder andere zum Kriegswesen gehörige Bedürfnisse anzu­ sehen seien, zumal in so großer Menge, in hiesiger Stadt gegen die bisherige Ordnung und Gewohnheit bringen zu lassen, und daß man daher, so sehr man sich auch die Förderung des kurfürstlichen Interesse bei jeder Gelegenheit angelegen sein lassen werde, gleichwohl wünschen müsse, daß dergleichen Transportfuhren künftighin außerhalb der Stadt gelassen werden möchten.

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5) Ist auch für die Zukunft das Zeughaus nicht mehr zur Aufbewahrung der Effekten, sie mögen bestehen, worin sie wollen, zu gebrauchen, sondern dafür zu sorgen, daß selbige entweder in Wirtshäusern oder in dem Ebracher Hof, der ohnehin kurfürstliches Eigentum ist, untergebracht werden. 6) Ist die löbliche Militärbehörde sowie das löbliche Polizei­ departement anzuweisen, bei künftig sich ereignen könnenden ähnlichen Begebenheiten und auf die diesseits zu beobachtende Neutralität Bezug habenden Veranlassungen nicht einseitig zu Werke zu gehen, sondern jedesmal mit der nunmehr aufgestellten löblichen Ratsdeputation darüber zu kom­ munizieren oder bei einem hochlöblichen Rat wegen des erforderlichen Verhaltens anzufragen. Übrigens ist den beiden Herren Deputierten sowie denen bei der Konferenz zugegen gewesenen Herren Consilariis für die hiebei gehabte Bemühung und zweckmäßig gemachten Vorschläge geziemender Dank zu erstatten und selbige zu ersuchen, bei morgender Ratssitzung das von dem Herrn Konsulent Popp E. entworfene Gutachten, enthaltend eine Zusammenstellung derjenigen Grundsätze, welche in An­ sehung der Neutralität hiesiger Reichsstadt nach dem Völkerrecht und der Wahlkapitulation aufzustellen wären, vorzulegen« 1). Dadurch wurde in erster Linie Bayern getroffen, welches nach mündlicher Relation des Kriegsobristen von Imhof auch noch eine Kanone und ein Pulverfaß in Nürnberg eingeschmuggelt und bei dem Kaufmann Schach abgeladen hatte2). Allein der Stärkere fragt nicht allzuviel nach dem Rechte des Schwächeren, wenn dessen Beugung ihm frommt. Bayerische Truppen mar*) Zwei Ratsverlässe vom 16. September 1805. 2) Ratsverlaß vom 16. September 1805. Eine Uniformänderung darf nicht unerwähnt bleiben: »Ehebevor auf die von dem Herrn Major von Fürer als Bataillonskommandanten unterm 16. September übergebene Vor­ stellung in betreff der wahrzunehmenden Umänderung der weißen Krägen, Auf- und Umschläge in rote, dann der Wiedereinführung der Bordenhüte eine oberherrliche Resolution erteilt wird, ist vor allem von seite der 1. Militärbe­ hörde eine genaue Berechnung zu fertigen, wieviel die vorgeschlagene Abänderung der Krägen, Auf- und Umschläge kosten würde (indem von der Wiederein­ führung der Bordenhüte zu abstrahieren ist), sodann aber diesen Überschlag der 1. Rentkammer zur berichtlichen Äußerung mitzuteilen«. Ratsverlaß vom 1. Oktober 1805.

74 schierten durch Nürnberger Gebiet, wo sie auch einquartiert wurden. Der bayerische Generalleutnant Freiherr von Wrede verlangte sogar für die Avantgarde der alliierten französischen und bayerischen Armee unter Bernadotte von Nürnberg in das Lager bei Fürth 20 000 Portionen (ä 2 Pfund) Brot, 15 Schlacht­ ochsen, 50 Eimer Branntwein, 200 Eimer Bier, 10 000 Rationen Haber und Heu zu 9 und 12 Pfund, 300 Pferdestriegel, 300 Kartätschen, 300 Pferdekämme, 6 gedeckte Rüstwägen, 100 Aufenthaltketten, 100 Sperrketten, 10 Winden, 1000 Klafter Yorzugsseile, 1000 fertige Hufeisen, 1000 Simmer Kartoffel. Wenn der Magistrat von seinen Untergebenen irgend welche Hindernisse erfahren sollte, so hatte der Generalmajor Minucci Befehl, ihm mit 5 Bataillons und 4 Eskadrons die nötige Unter­ stützung zu leisten1). Preußen hielt an der strikten Neutralität seiner fränkischen Provinzen fest; durch Haenlein ließ es dem fränkischen Kreis­ tage verkünden, »daß keine Truppendurchmärsche, von welcher Art sie seien, durch die k. Provinzen Ansbach und Bayreuth verstattet« seien2). Die.^Neutralität der Reichsstädte wurde nach einer Mit­ teilung Abels von der französischen Regierung3) und von, dem österreichischen Hauptquartier in Ulm4) anerkannt. Am 19. Oktober 1805 zogen sich die preußischen Soldaten von den Toren Nürnbergs weg5), am 20. Oktober hatten der Scholarch von Harsdorf und der Senator von Tücher die erste Unter­ redung mit dem in Nürnberg eingetroffenen französischen Feldherrn Murat. Eine eigene Deputation, bestehend aus C. C. S. Harsdorf, C. C. G. Grundherr^ J. W. C. Tücher, G. W. Kreß, Konsulent Dr. Roth und Kaufmann Kießling begab sich in sein Quartier, das »Rote Roß«, um »demselben im Namen der Stadt die schuldige Devotion zu erteilen« 6). Auch die bayerische Kreisgesandtschaft hatte ihm ihre Aufwartung gemacht, wobei Murat, der mit den österreichischen Truppen *) No. 286, *) 3) 4) 6) 6)

Ratsverlaß vom i. Oktober 1805. — Fränkisches Kreisarchiv, S. XI, Erlaß vom 3. Oktober 1805. Fränk. Kreisarchiv, S. XI, No. 286. 1805, Oktober 4. Ratsverlaß vom 15. Oktober 1805. Desgl. vom 18. Oktober 1805. Desgl. vom 19. Oktober 1805. Desgl. vom 20. Oktober 1805.

75 ein für ihn günstiges Gefecht gehabt hatte, etwas anmaßend sagte: »Hier haben Sie den Rest der kaiserlich-österreichischen Armee gesehen, welche gegen meinen Schwager in Deutschland steht. Der Kurfürst von Pfalzbayern wird seine Staaten nicht mehr verlieren, auf alle Fälle wird er weit mehrere erhalten« 1). J. W. C. Tücher und G. F. W, Löffelholz2) machten dem Prinzen Murat am 21. Oktober die Abschiedskomplimente3). Auf spezielles Ersuchen stellte er der Stadt ein »schriftliches Zeugnis über die von ihr beobachtete Neutralität« aus4). Mit hoher Befriedigung macht Roth seinem Freunde Woltmann Mitteilung von den Ereignissen in Nürnberg: »Am letzten Sonntag zog der Krieg hart an unsern Mauern vorbei; eingedrungen ist er nicht. Es ist wörtlich wahr, was die Zeitungen melden, daß durch Murats hohe Rechtlichkeit unsere Neutralität unverletzt geblieben ist. 6000 Franzosen brachten die Nacht vor unseren Toren unter freiem Himmel zu. Nur die Generäle waren unsere Gäste. Noch jetzt ist unsere Stadt des Lobes von Murat voll«. »Für die Waffen der Koalition hofft man nicht viel, wenn man den Geist des französischen Heeres vernommen hat. Er ist ohne Wildheit hoch und stolz; es herrscht eine Gewißheit des Obsiegens, die über Felsen hinwegschreitet«5).6 Woltmann hatte, soweit es die Umstände erlaubten, seine Bemühungen für Nürnberg fortgesetzt. »Dem Willen der Selekte gemäß« übergab er am S. September 1805 eine Note an Hardenberg“); dieser war aber »so beschäftigt durch die großen Angelegenheiten der Welt und die verwickelte Rolle, welche Preußen in derselben spielt, daß es schlechterdings nicht möglich ist, ihm über minder wichtige Gegenstände Rede abzugewinnen« 7). Er sprach auch einmal mit dem Geheimen Finanzrat von Alten­ stein; »ohne seine besondere Mitwirkung liest man unter den h Fränk. Kreisarchiv, S. XI, No. 286. 2) Von Löffelholz hat Lochner eine sehr schlechte Meinung; er nennt ihn »ganz unwissend und unbrauchbar in allen Beziehungen. Dies ist das einzige, was ich über dieses Individuum zu sagen vermag«. K. Kreisarchiv Nürnberg, XXIII, 11/1, No. 95. 3) Ratsverlaß vom 22. Oktober 1805. 4) Ratsverlässe vom 21., 23., 26. Oktober 1805. 5) Schreiben vom 26. Oktober 1805. Selektsakten, S. IV, L. 2, No. 16. 6)-J. Baader, Streiflichter, S. 85. Bericht vom 7. September 1805. 7) A. a. O. S. 86, 89. Berichte vom 10. September und 8. Oktober 1805.

76 gegenwärtigen Umständen meine Note nicht mit Aufmerksamkeit und hat nicht das geringste Interesse für uns«1). Angesichts der großen kriegerischen Ereignisse, die neue Bildungen im Schoße bargen, war es für Nürnberg unmöglich, mit seinem alten Anliegen irgend einen nennenswerten Erfolg zu erzielen. Dagegen wurden an die ohnehin überschuldete Stadt Anforderungen gestellt, die sie fast niederdrückten. Bayern erhob von den nürnbergischen Untertanen im Landgerichte Hilpoltstein von jedem Hof 21 fl. 46 Kr. Kriegssteuer2), der französische Kommissär Julien forderte eine beträchtliche Lieferung von Schuhen3). So befand sich Nürnberg hilflos in schwerer Bedrängnis. Am 2. Dezember 1805, dem ersten Jahrestage der Krönung Napoleons, erlitten die koaliierten Mächte Österreich und Ruß­ land bei Austerlitz eine entscheidende Niederlage. Die Stellung Bayerns und Preußens in diesem Zeitpunkte muß kurz erwähnt werden. Obwohl Kurfürst Max Joseph persönlich für die Neutralität des Südens und für einen Anschluß an Preußen schwärmte, fanden gleichwohl seit Frühjahr 1805 Verhandlungen statt zwischen München und Paris über eine bayerisch-französische Offensiv- und Defensiv-Allianz, die am 25. August bezw. 23. September 1805 abgeschlossen wurde. — Preußen beharrte in seiner seit dem Baseler Frieden beobachteten Neutralität, die es, wenn es nicht anders ging, mit bewaffneter Hand zu behaupten suchte4). Nach der furchtbaren Winterschlacht bei Austerlitz richteten sich die Blicke der Regierungskreise in München auf die zu erwartenden Entschädigungen. Noch vor dem entscheidenden Waffengange hatte der kurpfalzbayerische Landesdirektionsrat von Aretin zu Amberg in einer Druckschrift: »Das Staatsinteresse Bayerns beim 3. Koalitionskrieg« als »billige Entschädigungs­ objekte für die von dem Haus Österreich seit Jahrhunderten erlittenen Drangsale und um Bayern als Frankreichs natürlichem *) A. a. O. S. 89. Bericht vom 28. September 1805. 2) Ratsverlässe vom 29. Oktober 1805 und 27. November 1805. 3) Ratsverlaß vom 2. November 1805. 4) Th. Bitterauf, Geschichte des Rheinbundes. München 1905. 160-164, l9S> 203-

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und notwendigem Alliierten in Deutschland eine feste sichere Rundung zu gebeni vorgeschlagen, »zur ferneren Pazifikation im Norden Ansbach und Bayreuth oder wenigstens das erstere und von letzterem das Unterland bis an die Aisch nebst dem Nürnberger Gebiet« an Bayern zu geben1). Die Kreise um Nürnberg verengern sich zusehends, wenn auch vorläufig die Gefahr noch nicht so groß und sichtbar war. »Das so unerwartete als bedauernswerte Schicksal der Stadt Augsburg«, so berichten J. W. C. Tücher und Dr. Roth aus Wien, »hat ohne Zweifel auch in Nürnberg Besorgnisse erregt, welche durch die überall verbreiteten Gerüchte von weitgreifenden Veränderungeil im mittäglichen Deutschland sehr verstärkt werden mußten. Wir schätzen uns glücklich, daß wir schon jetzt, noch ehe die Bedingungen des Friedens öffentlich bekannt sind, die beruhigende Nachricht geben können, daß Nürn­ bergs Unabhängigkeit gegen viele und starke Angriffe, denen sie auch bei dieser Gelegenheit ausgesetzt gewesen, abermals aufrecht erhälten worden ist«2). So konnten sie mit gutem Rechte melden, weil sie wußten, Napoleon wünsche, um Preußen nicht zu reizen, daß von Nürnberg oder fränkischen Erwerbungen für Bayern nicht mehr die Rede sei3). Der Erfolg der Nürnberger Gesandtschaft an das Hoflager Napoleons war gleich Null gewesen. »Denn dem Kaiser Napoleon haben wir uns so wenig nähern können als andere Fremde, welchen nicht das wichtige Geschäft und der hohe Ruf eines Haugwitz diese Gunst verschaffte. Indessen war uns eine Audienz sehr bestimmt zugesagt, wenigstens ein Zeichen, daß er nicht abgeneigt war, sie zu gewähren. Seine Augen­ blicke waren gezählt wie immer«4), Preußen, welches nach dem Marsche Bernadottes durch das neutrale Fürstentum Ansbach der Koalition beigetreten war b Fränkisches Kreisarchiv, S. XI, No. 104JL.

Stück vom 5. Dezember

1805. 2) Bericht vom 30. Dezember 1805. Selektsakten, 3) Th. Bitterauf, Geschichte des Rheinbundes, J, Streiflichter, S. 103. Bericht Woltmanns vom 7. Januar 4) Schreiben Roths an Woltmann vom 21. Januar S. IV, L. 2, No. 16.

S. IV, L. 2, No. 19. 236. — J. Baader, 1806. 1806. Selektsakten,

78 und zum Kriege gerüstet hatte, ging am 15. Dezember 1805 mit Frankreich den Vertrag zu Schönbrunn ein, »nach welchem Preußen gegen die Abtretung von Ansbach, Kleve, Neufchätel, die Garantie des französischen Besitzstandes, Anerkennung des erweiterten Bayerns als Königreich und gegen gewisse andere Zugeständnisse Hannover erwarb«1). Im Frieden von Preßburg (26. Dezember 1805) verlor Bayern zwar das ehemalige Bistum Würzburg wieder, erhielt aber Tirol und Vorarlberg, die Markgrafschaft Burgau mit ihren Dependenzen, die Bistümer Eichstätt und Passau, die Graf­ schaften Hohenems, Tettnang und Argen, die Reichsstädte Augsburg und Lindau und die Grafschaften Königseck-Rothen­ fels und Isny, nachdem ihm schon im Vertrage von Brünn (10. Dezember 1805) gegen Verzicht auf jede Vergütung für die geleisteten Kriegslieferungen die Erhebung zum Königreich zugesichert worden war2). Am 1. Januar 1806 verkündete eine Proklamation München und dem Lande die Erhebung Bayerns zum Königreich3), und Minister Montgelas machte davon sämtlichen am bayerischen Hofe akkreditierten auswärtigen Gesandtschaften entsprechende Mitteilung mit dem Beifügen, daß Kaiser Franz und Kaiser Napoleon »mit der Anerkennung des angenommenen königlichen Titels schon traktatenmäßig vorangegangen sind«4). Am 20. Januar 1806 ging eine Nürnberger Deputation, bestehend aus dem Senator C. C. J. L. Geuder und dem Polizei­ direktor und Baumeister C. W. Welser, nach München, »um Ihro königlichen Majestät von Bayern zu der erlangten Königs­ würde die schuldigen Glückswünsche abzulegen«5), wofür ihr in Anbetracht des »mit so vieler Dexterität und Patriotismus ge­ schehenen Vollzuges des erhaltenen Auftrages« der »gefühlteste Dank« ausgesprochen wurde6). Nunmehr galt es die Bestimmungen des Schönbrunner Vertrages und des Preßburger Friedens auszuführen. Für Nürn*) 2) 3) 4) 5) 6)

Th. Bitterauf, Geschichte des Rheinbundes, I, 238. Ebend. I, 236—237. A. a. O. I, 248—250. Frank. Kreisarchiv, S. XI, No. 5jL. Ratsverlässe vom 8., 15. und 20. Januar 1806. Ratsverlaß vom 5. Februar 1806.

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berg galt es durchzusetzen, daß endlich die VergleichsVerhandlungen mit den Nachbarn über sein strittiges Gebiet einen Anfang nehmen, nachdem deren Beginn in Paris, München und Berlin seit Jahren betrieben, oft verheißen, aber nie ernstlich ins Auge gefaßt worden war. Woltmann hatte das richtige Gefühl, daß die noch bestehenden Reichs­ städte »im Gang der Negotiation (des Grafen Haugwitz in Paris wegen Ausführung der Bestimmungen des SchönbrunnerVertrages) Vorkommen oder gar begehrt werden«1). Wenige Tage hernach wußte er tröstend hinzuzu­ fügen: »So versichert mich ein sehr.gut unterrichteter preußischer Staatsmann, daß man preußischer Seite nicht die ge­ ringste Bewegung gemacht habe, irgend eine der Reichsstädte für Preußen oder sonst jemand zu er­ halten«2). Er sieht demnach die Lage Nürnbergs sehr optimistisch an, sodaß er die Zeit für gekommen erachtet, einen endgiltigen Ausgleich mit Preußen (und Bayern) anzubahnen. »Schwerlich geschieht nun auf längere Zeit noch eine bedeutende Veränderung in Deutschland, und ich glaube nicht, daß die Unabhängigkeit der Reichsstädte in den ersten Jahr­ zehnten wieder gefährdet sei. Inzwischen ist Preußen wegen des Hannoverischen noch immer in solcher Lage, daß es mit Frankreich Arrangements zu treffen hat. Dieser doppelte Gesichtspunkt läßt hoffen, daß zu einer völligen Ausgleichung zwischen Preußen und Nürnberg im gegenwärtigen Zustand der Dinge die französische Beiwirkung vorzüglich kräftig sein würde. Hiezu kommt, daß man nicht weiß, ob vielleicht Graf Haugwitz nach seiner Rückkunft wieder die Direktion der auswärtigen Angelegenheiten übernimmt. Wäre dies, so möchte von Harden­ berg dann gar nicht geneigt sein, ihn in Sachen des Fränkischen Departements greifen zu lassen, und für die nürnbergischen Unterhandlungen träte dann eine besondere Schwierigkeit ein, da wir sie doch eigentlich mit dem Kabinettsminister führen müssen« 3). Die nürnbergische Diplomatie hatte sich schon vorher, als »immer stärker und glaubwürdiger« das Gerücht auftrat, »daß 5) J. Baader, Streiflichter, S. 107. Bericht vom 14. Januar 1806. 2) A. a. O. S. 108. Bericht vom 18. Januar 1806. 3) A. a. O. S. 112. Bericht vom 4. Februar 1806.

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Preußen die beiden fränkischen Provinzen oder wenigstens Ansbach an Bayern abtreten werde«, in Bewegung gesetzt1). Es war ja bekannt, daß Graf Haugwitz »auf die entlegenen fränkischen Provinzen keinen sonderlichen Wert« legte. Dagegen fiel es König Friedrich Wilhelm sehr schwer, sich »seines Erb­ teils und der Wiege seines Hauses beraubt« zu sehen. Der bayerische Gesandte Bray in Berlin tat alles, die Bedenken des Königs zu widerlegen, insbesondere durch den Hinweis, daß auch die Hannoveraner unter preußischem Zepter sehr glücklich werden könnten2). Dann hieß es wieder, »daß der Gedanke, die beiden Fürstentümer zu vertauschen, ganz aufgegeben sei«. »In jedem Falle wird Preußen auch bei der gegenwärtigen Veränderung zu gewinnen suchen; dadurch erhalten wir viel­ leicht Gelegenheit, zu Gunsten unserer Stadt etwas zu bewirken, wenn auch die Markgraftümer nicht abgetreten werden«. Roth setzt dann die Ansichten in Nürnberg auseinander. »Ab­ getreten würden die Ämter Lichtenau, Hilpoltstein Gräfenberg, Betzenstein und Velden. Der Reichswald nebst Fürth und die übrigen Ämter machten künftig das Gebiet von Nürnberg aus. An Bayern würden außer dem Amte Velden die vielen in Bamberg zer­ streuten Untertanen abgetreten; von der Herrschaft Rothenberg wünschte man nur die südöstliche Spitze. Außerdem wären Hauptbedingungen, daß die Be­ schwerden wegen ungerechter Zölle behoben würden, daß das Dominium der Grenzwasser Nürnberg Vor­ behalten und daß eine freie Ausfuhr des Getreides nach Nürnberg für immer zugesagt würde, ln Ansehung der Domanialeinkünfte in den abzutretenden Distrikten würden weitere Verhandlungen zu pflegen sein«. »Übrigens sind wir *) Schreiben Roths an Abel vom 25. Januar 1806. Selektsakten, S. IV, L. 2, No. 5. 2) Th. Bitterauf, Geschichte des Rheinbundes, I, 299. — Die Besorgnisse der Stadt Ansbach wegen Losreißung von Preußen beruhigte Friedrich Wilhelm mit folgender ausweichenden Antwort: »Die Äußerungen der Treue und An­ hänglichkeit in Eurer Vorstellung vom 21. v. Mts., wozu auch die durch das verbreitete Gerücht einer Vertauschung des Fürstentums Ansbach entstandenen Besorgnisse veranlaßt haben, haben mich sehr gerührt. Ich danke Euch auf­ richtig dafür und werde es Euch nie vergessen als Euer wohlaffektionnierter König Friedrich Wilhelm. Berlin, 8. Februar 1806«. K. Kreisarchiv 'Nürnberg, XXIII 11/1, No. 4.

81 neuerdings durch die Stille, mit welcher alles, was Nürnberg hätte berühren können, übergangen worden ist, wenigstens für jetzt beruhigt«1). Nach einigen Tagen trat das Gerücht von der Abtretung Ansbachs an Bayern wieder stärker auf, »sodaß schon beinahe niemand mehr daran zweifelt«. Die Abtretung müsse ein Werk Frankreichs sein, da zwischen Preußen und Bayern von Verhandlungen nichts bekannt geworden sei. »Wenn Bayern Ansbach oder Bayreuth oder sogar beide Länder als Geschenk erhält, so kann das französische Ministerium für Nürnberg mehr tun, als es selbst bei Austeilung der Ent­ schädigungen nicht hätte tun können. Warum sollten nicht einige Quadratmeilen, die Nürnberg unentbehrlich sind, von der neuen Ausstattung Bayerns ausgenommen werden«? Daher legen ihm die Selekte einen modifizierten Entwurf für weitere Verhandlungen vor2). Bayern erlaube sich immer mehr Übergriffe. »Die Abgeordneten des Senats sind von dem König von Bayern huldvoll, von dem Minister von Montgelas aber unfreundlich empfangen worden. Der letztere beklagte sich über den Ton, welchen die Stadt angenommen (wenn sie ihre Rechte verteidigte), über Saumseligkeit in der Vergleichshandlung (als wäre diese auf unserer Seite) und über den im Oktober 1805 den bayerischen Truppen verweigerten Einmarsch (in die neutrale Stadt)«3). Daneben gingen immer die Eingriffe Bayerns in die nürnbergische Landeshoheit her, die in ihren Wirkungen die Vergleichsverhandlungen, ja sogar den Beginn störten. Eine ]) Bericht Roths an Abel vom 29. Januar 1806. Selektsakten, S. IV, L. 2, No. 5. 2) »Sollte Bayern nur das eine der beiden preußischen Fürstentümer er­ werben und Bamberg zugleich behalten, so würde vieles davon abhängen, ob das Bayreuther Unterland, in welchem Erlangen, dieser Erwerbung zugeteilt würde oder nicht. Erhielte Bayern Ansbach ohne dieses Bayreuther Unterland, was fraglich, keineswegs wahrscheinlich ist, so wäre bloß die Restitution und Purifikation des Reichs Wäldergebietes zum Hauptaugenmerk zu nehmen. Un­ schädlich wäre Bayerns Nachbarschaft durch Schnaittach, welches in diesem Falle zu fördern wäre. Vielleicht müßte auch auf die Erwerbung von Fürth nicht mehr so lebhaft gedrungen werden. Würde hingegen auch das Bay­ reuther Unterland eine bayerische Besitzung, so wäre für den nürnbergischen Handel schon größere Gefahr, da Bamberg und Ansbach hiedurch inniger verbunden würden. In diesem Falle wäre nicht nur nach der Erwerbung von Fürth beharrlich zu trachten, sondern auch nach der von Schnaittach oder wenigstens dem größeren Teile, damit nicht die längst projektierte Handelsstraße wirklich angelegt würde«. 2) Schreiben Roths an Abel vom 5. Februar 1806. Selektsakten, S. IV, L. 2, No. 5.

6

82 Beschwerde des Rates an die Bamberger Landesdirektion klagt »über Einquartierung bei den im bambergischen Gebiete liegenden nürnbergischen Untertanen, über Fouragelieferungen ohne Entschädigung, beruft sich auf die mit Bamberg früher geschlossenen Verträge und bittet um Abhilfe«1), Eine andere Beschwerde richtet sich gegen die »Eingriffe des Landgerichtes Höchstädt in die nürnbergische Gerechtsame richterlicher und Verwaltungssachen, gegen unrechtmäßige Besteuerung nürnbergischer Untertanen durch das Landrichteramt zu Neunkirchen« mit der Berufung auf »die Gerechtigkeitsliebe des Königs und Nürnbergs klares Recht«2). Die Antwort ließ ungebührlich lange warten3) und fiel höchst ungnädig aus: »Der Preßburger Friede, Artikel 14, sichert Sr. k. Majestät von Bayern die Souverainetätsrechte in Allerhöchst Ihro Staaten ganz in demselben Umfang zu, wie selbe von den Kronen Österreich und Preußen in ihren Ländern zur Ausübung gebracht worden. Die Herren sind genug und zum Teil aus eigener Erfahrung belehrt, daß in den souverainen Staaten dieser beiden Kronen keinem deutschen Reichsstand, noch weniger aber einem adeligen Gutsbesitzer Rechte zugestanden werden, welche mit dem Rechte der Souverainetät unvereinbarlich sind. Dieselben- werden daher von selbst ermessen, daß alle jene Vorkehrungen, welche man den Landgerichten Höchstädt, Burgebrach und Pottenstein hin­ sichtlich der Unterwerfung der Patrimonialgerichtshalter, Kon­ skription der Untertanen zum Militärdienste, des Dankfestes für die Königswürde Sr. Majestät und dergleichen die königlichen Souverainetätsrechte aussprechenden Handlungen getroffen hat, keineswegs als Stoff einer gegenseitigen gegründeten Beschwerde angesehen werden können«. Für den »Weigerungsfall gegen die landgerichtlichen Verfügungen« werden »die unangenehmsten Folgen« in Aussicht gestellt, »worauf einzig die Herren selbst verantwortlich sein würden«4). 1) K. Geh. Staatsarchiv München, K. schw. 561, No. 81. Ratsverlaß vom 10. Februar 1806. 2) A. a. O. Schreiben vom 21. Februar 1806. 8) Graf Thürheim hatte sich, bevor er Antwort gab, von der Regierung in München die nötigen Instruktionen geben lassen. Bericht vom 13. Februar 1806. K. Geh. Staatsarchiv München, K. schw. 561, No. 81. 4) Graf Thürheim an die Stadt Nürnberg am 9. Mai 1806 a. a. O.

83 Angesichts der ringsum lauernden Gefahren war es für Nürnberg ein großer Trost, aus dem Munde Talleyrands »be­ ruhigende« Äußerungen zu vernehmen. Freilich, meinte Roth, sei es notwendig zur Beruhigung der öffentlichen Meinung ein Publikandum ergehen zu lassen1). Als bekannt geworden war, daß aus Ansbach »vieles hinweggebracht worden, was man einem neuen Besitzer nicht mehr gönne«, befürwortete Roth lebhaft schnelles Handeln, »um von Rechten und Eigentümlichkeiten, welche es (Nürnberg) niemals aufgegeben, den alten Besitz wieder zu ergreifen«2). Am 23. Februar 1806 ließ Napoleon das Fürstentum Ansbach durch Bernadotte für Bayern besetzen. Schwer lastete der Druck der französischen Besetzung auf dem Lande wie auf ganz Süddeutschland3). Am 24. Februar 1806 begrüßten im Aufträge der Stadt J. W. C. Tücher und Roth den französischen General Drouet in Fürth »nach ihrer gewohnten Dexterität und erprobten Patriotismus«4). Er gab ihnen »beruhigende Ver­ sicherungen«-, beunruhigend war nur der Zusatz: »Wir könnten, wenigstens jetzt für den Augenblick, ganz ruhig sein«5).6 Am folgenden Tage hatten sie Audienz bei Maison, Chef des Generalstabes Bernadottes, der ihnen sagte, daß »der bisher zu Ansbach geschlagene Teil des okkupierten Reichswäldergebietes« auch an Bayern übergehen müsse. Nürnberg müsse daher, so meint Roth, vor der Zivilbesitznahme durch Bayern handeln. Das Gleiche gelte wegen der Ämter Altdorf, Lauf, Lichtenau0). Das waren Hoffnungen, an deren Erfüllung niemand dachte. Die Situation war keineswegs eine derartige, daß man sie überhaupt hegen und nähren konnte. Französische Truppen kamen am 2 7. Februar 1806 von Fürth nach Nürnberg und besetzten die »zum Fürstentum Ansbach gehörigen Ort­ schaften, nebstdem die Pflegämter Lauf, Hersbruck, die beiden Städtchen Altdorf und Lichtenau, mit Beschlag auf die Kassen J) Schreiben Roths an Abel vom 16. Februar 1806. Selektsakten, S. IV, L. 2, No. 5. 2) Desgl. vom 21. Februar 1806 a. a. O. 3) Th. Bitterauf, Geschichte des Rheinbundes. I, 305—308. 4) Ratsverlaß vom 24. Februar 1806. 5) Schreiben Roths an Abel vom 2K. Februar 1806. Selektsakten, S. IV, L. 2, No. 5. 6) Desgl. vom 26. Februar 1806 a. a. O.

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84 zu Lichtenau, dann die auf der linken Seite des Pegnitzflusses sich befindende Vorstadt Gostenhof und am Anfang drei Stadt­ tore, wovon jedoch das sogenannte Neutor auf der rechten Seite der Pegnitz von den französischen Wachtposten wieder verlassen wurde und nur zwei auf der linken Seite des Flusses liegende Stadttore, Spittler- und Frauentor, durch französische Wachen besetzt blieben«1). Die Besetzung war angeblich notwendig geworden wegen der Verschiebung preußischer Truppen. »Der Zeitpunkt ist offenbar entscheidend« ruft Roth aus, »jetzt muß der französische Minister Talleyrand seine Ver­ sprechungen einlösen«2). General Bernadotte ging eine »Verwahrung der Rechte Nürnbergs auf das Reichswälder­ gebiet« zu3). In der Nacht vom 6. auf 7. März 1806 rückte unter General Frere ein Kommando französischer Truppen in Nürn­ berg ein und besetzte auch die Vorstadt Wöhrd. Die Besetzung wurde von Bernadotte und von dem Rate als eine »für hiesige Stadt ganz unnachteilige Maßregel« erklärt, welche lediglich »aus militärischer Rücksicht« erfolge4). Rasch nacheinander wechselten die Entscheidungen über diese Besetzung-, am 8. März verließen die Franzosen die Stadt, um sie am 11. März wieder für längere Zeit zu besetzen5). An den Höfen zu Paris, Berlin und München arbeiteten Geschäftsträger oder Agenten für Nürnbergs Selbständigkeit *) Fränk. Kreisarchiv, S. XI, No. 286. 1806, Februar 28. 2) Desgl. vom 9. März 1806 a. a. O. 3) Desgl. vom 16. März 1806 a. a. O. — Ratsverlässe vom 15. und 17. März 1806. 4) »Besondere Umstände haben Se. Exc. den kaiserlich französischen Herrn Reichsmarschall Bernadotte als kommandierenden General en chef über die in der Nachbarschaft befindlichen französischen Truppen veranlaßt, eine Anzahl derselben in hiesige Stadt zu verlegen, dabei aber einem hochlöblichen Rat die ausdrückliche Versicherung erteilen lassen, daß diese Anordnung ledig­ lich als eine in militärischer Hinsicht notwendig gewordene Maßregel der hiesigen Stadt ganz unnachteilig sein solle. Da nun ermeldte Truppen diesen Morgen dahier einrücken und in den hiesigen Privathäusern einquartiert werden sollen, so ermangelt ein hochlöblicher Rat nicht, die gesamte hiesige Bürgerschaft hievon ungesäumt zu benachrichtigen und zugleich jedermann aufzufordern, die zu ihnen ins Quartier verlegt werdende Mannschaften willig aufzunehmen und zu beherbergen, dagegen aber versichert zu sein, daß der kommandierende Herr General die beste Mannszucht handhaben werde. Nürnberg, den 7. März 1806. Beschlossen bei Rat«. Einblattdruck. K. Kreisarchiv Nürnberg, XXIII 11/1, No. 4. 5) Fränk. Kreisarchiv, S. XI, No. 286.

85 und für Wiedererlangung seines Gebietes. Frankreich strafte eben seine lang jährigen Versicherungen für die Reichs­ stadt Lügen. Gleichwohl war die Anlehnung an Frank­ reich ein Gebot harter Notwendigkeit, der auch der Vorschlag Woltmanns entsprang, sich unter »eine unmittel­ bare Protektion des französischen Kaisertums« zu begeben1). Vorher schon hatte der Rat »bei den dermalig gefahrvollen und bedenklichen Ereignissen« sich dahin schlüssig gemacht, »kein Mittel durch den diesseits aufgestellten Charge d’affaires Abel zu Paris unversucht zu lassen, wodurch der hiesigen Stadt ihre fortdauernde Existenz durch Wiederverschaffung der ihr gewaltsam entrissenen, zu ihrer ferneren Subsistenz unumgänglich erforderlichen Gebietsteile gesichert werden könne«2). In Berlin hörte Woltmann, »daß für Nürnberg und die Hansastädte auch bei den Verhandlungen über das Ansbachische und Hannoverische von neuem sehr lebhafte Äußerungen von französischer Seite geschehen sind, sodaß man ihre fortdauernde Unabhängigkeit als eine notwendige Bedingung des ganzen Arrangements ansehen darf«3). Am Münchener Hofe suchte man durch ein außerordentlich schmeichelhaftes Glückwunschschreiben bei Gelegenheit der Erwerbung Ansbachs durch Bayern sich zu empfehlen. »Das Fürstentum Ansbach ist für Ew. k. Majestät bereits in militärischen Besitz genommen und bald wird diesem die Zivilbesitznahme folgen. Wir sehen auch hierinnen Ew. k. Majestät allerhöchste Wünsche erfüllt. Aber wir sehen hiebei auch für uns und die hiesige Stadt einer frohen Zukunft entgegen .... Es wird durch Ew. k. Majestät Großmut, Gerechtigkeit und angeborene Menschenliebe anders, besser werden«4). Gleichzeitig hatte man sich an Montgelas gewendet und der Hoffnung Ausdruck gegeben, daß das von Preußen 1796 okku­ pierte Nürnberger Gebiet von Bayern nicht werde mitbesetzt J) Bericht Woltmanns vom 22. März 1806.

J. Baader, Streiflichter,

S. 124. *) Ratsverlaß vom 13. März 1806. 3) J. Baader, Streiflichter, S. 117. Bericht Woltmanns vom 25. Februar 1806. 4) Schreiben vom 10. März 1806. K Geh. .Staatsarchiv München, K. schw. 561, No. 81. — Eine Kopie im K. Kreisarchiv Nürnberg, XXIII 11/1, No. 139.

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werden. »Bei einem so erhabenen und gerechten Ministerium, wie das Ew. Exzellenz ist, ist diese gerechte Bitte nicht kühn, die Hoffnung auf ihre Erfüllung keineswegs eitel«. Beigegeben wurde eine über »die Staatsverhältnisse des Fürstentums Ans­ bach und der hiesigen Stadt« unterrichtende »Deduktion oder Information« 1). Man verfehlte dann auch nicht, mit dem k. Generallandes­ kommissär in Franken, Grafen Thürheim, wegen der strittigen Fragen sich in Verbindung zu setzen. Es kam darauf an, den Grafen »bei dem vorseienden wichtigen Übernahmsakte mit diesen unsern Reklamationen respektuosest bekannt zu machen«. Tücher und Roth wurden nach Ansbach abgeordnet, »sich zu diesem Ende von Ew. Exzellenz einen persönlichen Zutritt zu erbitten und hochdenenselben dasjenige, was das Interesse und die Rechte hiesiger Stadt in dieser Hinsicht uns erwarten lassen, mündlich devotest und mit derselben Anliegenheit vorzutragen, mit welcher sie zugleich nach unserm Aufträge hochdenenselben unsere unbegrenzte Verehrung bezeugen und hochdero höchst­ schätzbaren Wohlwollen respektuosest empfehlen werden«2). Graf Thürheim erklärte der Abordnung: »Bayern erhalte das Land von Frankreich und nehme es, wie es diese Macht übergebe«. Er versicherte, »daß, wenn Nürnbergs Unabhängigkeit fortdauere, Bayern als Nachbar sich bestreben werde, das Wohl der Stadt zu fördern. Er äußerte sich hier­ über ganz nach seiner edlen Denkungsart. Befriedigend war dieses freilich nicht, allein wir hatten auch nicht mehr erwartet«. »Übrigens gab er auch deutlich genug zu verstehen, daß alle Verhältnisse dieses Landes in der Hand des französischen Kaisers liegen. Dieser ist gegenwärtig eigentlicher Souverain, da die preußische Kommission bereits vor 10 Tagen die Über­ gabe an den Marschall Bernadotte vollzogen hat3 No- 3700. 2) »Übrigens sind der Herren Älteren Herrlichkeiten zu ersuchen, in Überlegung zu nehmen, ob nicht mittels einer persönlichen Abordnung einer Deputation des Herrn Grafen von Thürheim Exc. sowie dem Herrn Geheimrat von Tautphoeus von den dekretierten Veräußerungen Kenntnis zu erteilen und sie von der unumgänglichen Notwendigkeit derselben zu überzeugen sein möchten«. Ratsverlaß vom 13. August 1806.

140 sich bis auf weiteres genau auf die Erledigung der Kurrent­ geschäfte beschränken werde«1). Als Ausfluß davon ist es anzusehen, wenn König Max Joseph dem Baron Tautphoeus aufträgt, »die Schritte, Bewegungen und Anwendungen des Magistrates bis zur förmlichen Zivilbesitznahme sehr aufmerksam zu beobachten und im Falle etwas Nachteiliges vorgenommen werden sollte, sie davon abzumahnen und Uns Anzeige zu machen« 2). Nicht bloß in der Veräußerungsangelegenheit, sondern auch »in Betreff der von verschiedenen Personen sowohl bei einem hochlöblichen Rat, als bei den Herren Ältern Herrlich­ keiten angebrachten teils Anstellungs-, teils Additions-, teils bloßen Titelerteilungsgesuche« trat der Rat den Rückzug an und verordnete: »1) daß zufolge der Äußerung« des Grafen Thürheim keinem derartigen Gesuche stattgegeben werde, 2) daß man billige Gesuche bei der künftigen Regierung befürworten werde, 3) daß man vakante Stellen, doch »sine spe succedendi«, be­ setzen und »hievon dem Grafen Thürheim die schuldigen Anzeigen machen« werde3). Für den Entgang des Erlöses aus dem Verkaufe von Staatsrealitäten zog der Rat »die Ausschreibung einer 1/(s Steuer« in Erwägung4), behielt aber gleichwohl den Verkauf einzelner Gegenstände im Auge, wovon auch Graf Thürheim unterrichtet wurde5). Schließlich wurden »1) die sämtlich verzeichneten Gefäße von Silber, Zinn und Kupfer, jedoch mit Ausnahme der kupfernen Kessel, der *) Bericht Thürheims an den König vom 16. August 1806. K. Geh. Staatsarchiv München. 2) Erlaß an Tautphoeus vom 22. August 1806. K. Geh. Staatsarchiv München, K. schw. 388, No. 16. Als Tautphoeus vernahm, »daß das Quartier­ amt sich unterstanden habe, in ein Eigentum S M. des Königs, in das sog. Bamberger Haus, jemanden abzuordnen und in dieses Haus Militärquartier an­ zusagen«, forderte er energisch von dem Magistrate, daß diese Anordnung sofort zurückgenommen werde. Tautphoeus an Nürnberg, 27. August 1806 a. a. O. 3) Ratsverlaß vom 25. August 1806. 4) Ratsverlaß vom 20. August 1806. ö) Ratsverlässe vom 1. und 5. September 1806.

141 Kasserolen und des Armen Sünder-Geschirres auf das Rat­ haus gebracht«, um verkauft zu werden; 2) dem löbl. Landalmosenamt aufgegeben, »die dort vor­ handenen Infuln auf das Rathaus schaffen zu lassen, woselbst solche unter strenger Aufsicht zu zertrennen, die Perlen davon zu verkaufen, der Erlös aber der Zentralkasse zur Bestreitung der dermaligen dringenden Bedürfnisse vorzu­ leihen« ist; 3) die auf dem Schloß befindlichen sogenannten Kaiserbetten vorderhand nach ihrem wahren Wert taxiert; 4) die übrigen vorhandenen, in ehemalig kriegsamtlicher Ver­ wahrung befindlichen Betten noch in statu quo belassen* Die angerufene Entscheidung des Freiherrn von Lochner1) ist vor der Zivilbesitznahme durch Bayern nicht mehr erfolgt. Auf andere wertvolle Dinge richtete die bayerische Regierung gleichfalls ihr Augenmerk, diesmal weniger unter dem Gesichtspunkte der Schädigung des Ärariums, als aus idealen wissenschaftlichen Rücksichten. »Unser Hofbibliothekar macht Uns auf die Stadtbibliothek in Nürnberg aufmerksam, indem dieselbe mehrere Tausend der seltensten und kostbarsten Hand­ schriften und Druckdenkmale enthalten soll. Wenn diese Stadt für uns in Besitz genommen wird, habt Ihr unverzüglich Augen­ merk darauf zu tragen, daß hiervon nichts entzogen werde, so wie Wir auch anweisen, die Kataloge der Stadtbibliothek und anderen allenfalls vorhandenen öffentlichen Bibliotheken in Nürnberg an Uns einzusenden«2). Graf Thürheim beauftragte mit dieser Recherche den scharf blickenden Lochner, der es sich »schon längst zur eigenen Pflicht gerechnet hatte, eine genaue Aufsicht der hiesigen Bibliothek und den übrigen dem Staate gehörigen Kunstwerken zu widmen, damit nichts davon nach der Besitznahme Sr. k. Majestät entfernt werde. Ich glaube auch, daß hierüber nichts zu besorgen ist, da ich die ersten Personen der hiesigen Stadtverwaltung bei schicklicher Gelegenheit selbst darauf auf­ merksam machte, welchen Wert man von seiten ,der künftigen *) Ratsverlaß vom 8. September 1806. 2) Erlaß an Thürheim vom 15. August 1806. XXIII 11/1, No. 99.

K. Kreisarchiv Nürnberg,

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k. Regierung auf die Erhaltung der Bibliothek und anderer Kunstwerke lege. Schwieriger aber ist es mir, einen Katalog über die hiesige durch die höchst bedeutende Sammlung von Druckdenkmalön so interessante Stadtbibliothek zu erhalten, indem der genauesten Erkundigung nach, so ich einzog, kein genau und richtig gefaßter Katalog sich vorfindet. Die Ursache mag darin liegen, weil schon seit vielen Jahren der erste Prediger an der Sebalduskirche auch zugleich Bibliothekar ist und diese Männer selten die nötigen Kenntnisse und ausdauernden Fleiß besaßen, eine solche Arbeit zu unternehmen«1). Wir kennen die Versuche Nürnbergs, aus dem Zusammen­ bruche der Reichsherrlichkeit noch einige Reste zu retten. Das Nürnberger Patriziat verlor am meisten-, es war also natür­ lich und begreiflich, daß gerade dieses bestrebt war, einige Vorteile seiner ehemaligen Sonderstellung zu bewahren. »Der löbliche patriziatische Selekt« hatte für gut angesehen, »zur Sicherung und Verwahrung seiner bisherigen Vorrechte eine eigene Abordnung nach München in den Personen des Land­ almosenamtspflegers von Wölckern und des Umgeldes von Haller abzuschicken, um daselbst allerhöchsten Orten die erforderlichen Vorstellungen zu machen«2). Sie überreichten dem König eine Adresse, in welcher das »Syndikat des nürnbergischen Patriziates« ihn seiner Loyalität versichert, »Schutz und Schirm für den Besitz, für jede genossene Eigentumssphäre, Befestigung der Bedingungen des Wohlstandes, Erweiterung der Quellen des­ selben« erbittet3), d. h. die Gewährung des Fortgenusses der innegehabten bevorzugten Stellung oder wenigstens ihrer finan­ ziellen Vorteile. Die Vorstellungen an den Grafen Thürheim und den Minister Montgelas gipfeln in dem Wunsche, »die devote inständigste Bitte des Patriziates durch unsere Ab­ geordneten von Wölckern und von Haller huldvoll aufzunehmen, J) Erlaß Thürheims vom 25. August, Bericht Thürheims ad regem vom 31. August 1806 a. a. O. Professor Männert, vormals in Altdorf, jetzt in Würzburg, hatte, »über die seltensten Werke der Stadtbibliothek zu seiner Privatnotiz« sich einen Katalog angefertigt, den Lochner anzukaufen vorschlägt. — Auch auf die wertvolle Universitätsbibliothek in Altdorf hatte Lochner sein Augenmerk gerichtet, »worüber aber genaue Kataloge sich vorfinden«. 2) Ratsverlaß vom 13. August 1806. 3) Adresse vom 13. August 1806. K. Geh. Staatsarchiv München.

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ihren diesfallsigen respektuosen Anträgen gnädige Attention zu widmen«1).2 3 4 5 6 7 8 Die vorgetragenen Wünsche fanden aber nicht die erhoffte »AtlexitiaiM. >:Wir vertrauen auf die Gesinnungen der Nürn­ berger Patrizier, daß sie auch unter den künftigen Verhältnissen ihrer Vaterstadt zum allgemeinen Besten kräftigst mitwirken und x) Vorstellungen vom il. und 13. August 1806 a. a. O. und K. Kreis­ archiv Nürnberg, XXIII 11/1, No. 114. Die Desiderien des Patriziates sind niedergelegt in 3 Denkschriften: Die erste in 15 §§ wurde in München überreicht und ist von Popp verfaßt, die zweite in 11 §§, die dritte in 6 §§ wurden dem Grafen Thürheim überreicht. Alle verbreiten sich über die historische und finanzielle Bedeutung des Patriziates und hoffen den Schutz der wohlerworbenen Rechte, als da sind: »1) Die Ausübung aller actuum voluntariae et contentiosae jurisdictionis nach den Landesgesetzen vorbehaltlich der zweiten Instanz bei letzteren, welche wir in einem von der Landesobrigkeit angeordneten foro privilegiato über uns erkannten. Dieser Vorzug ist auch denen unter k. preußische Hoheit gelangten nürnbergischen Güterbesitzern dahin zuteil geworden, daß sie außer den höchsten Landesstellen keine Instanz über sich zu erkennen haben. 2) Die Polizei- und Strafgerechtsame in Betreff der geringeren Fälle, als Verbal- und Realinjurienhändel, Waldfrevel, adulteria, fornicationes, ferners die Rechte der Obervormundschaft, Konsenserteilung, Inventurerrichtung in SterbfäJlen und dergleichen. 3) Freies Bestallungsrecht der Gutsverwalter, Justitiaren und Gerichtsdiener. 4) Alle erbzinslehenherrlichen Rechte nach gemeinem und statutarischem Rechtsinbegriff, insbesondere auch die den 10. Gulden betragende Nach­ steuerbeziehung und das Einstandsrecht auf den Erbgütern in den gesetzlich bestimmten Fällen. 5) Zollfreier Bezug aller von ihm selbst gebauten oder als Gülten und Zehnten erhobenen Naturalien. 6) Die willkürliche Freiheit, auf seinem Landsitze oder in der Stadt zu domi­ zilieren. 7) Steuer- auch Einquartierungsfreiheit der Wohnsitze auf den Gütern mit den dazu gehörigen Ökonomiegebäuden und Pachtwohnungen und das Beholzungsrecht auf ersteren. 8) Befreiung des Gutsbesitzers von Personaldiensten. Als besondere Befugnisse der Gutsbesitzer nach der singulären Beschaffen­ heit kommen übrigens in Betrachtung: Die Umgeldfreiheit auf den herrschaftlichen Brauereien, wobei manche Eigenherren, welche die Brauerei nicht exerzieren, das Umgeld mittels eines baren Aversionalquanti ersetzt erhalten, so wie übrigens alle Eigen­ herren rücksichtlich ihrer Konsumtion an Getränken auf ihren Landsitzen umgeldfrei sind. Jagd- und Fischereigerechtigkeit, die Gemeindeherrschaft mit denen daraus fließenden Befugnissen, die Dorfpolizei mit denen anhangenden Zuständig­ keiten, das Patronatsrecht, mit demselben die Befugnis, den Dorfpfarrer zu ernennen und zur landesherrlichen Konfirmation zu präsentieren, nebst der Aufsicht über Kirche und Schule und deren Vermögensverwaltung. Einige Eigenherren haben auch, gleichwie dies selbst in k. preußischen Landen verschiedenen Rittergütern zugestanden ist, die landesherrlichen Steuern gegen Bezug eines Drittels zu kolligieren«.

144 Uns mit Anhänglichkeit in der Erfüllung Unserer landesväter­ lichen Absichten unterstützen werden, sowie Unser Bestreben dahin gehen wird, bei den Veränderungen, welche durch die neuen Verhältnisse unnachsichtlich herbeigeführt werden, das Wohl des Ganzen mit möglichster Schonung des Einzelnen in Verbindung zu setzen.«1) Während das Föderativsystem Napoleons, das die Grund­ lage der von ihm erstrebten europäischen Diktatur bilden sollte, zu immer mächtigerer Entwicklung gelangte, ging das nur noch dem Namen nach bestehende deutsche Reich mit raschen Schritten seinem Ende entgegen. Nach dem Preßburger Frieden reifte allmählich in den maßgebenden Pariser Kreisen der Ge­ danke des Rheinbundes, welcher nach einer Instruktion Cettos für Bayern nur einen vorübergehenden Wechsel des Einflusses, aber eine dauernde Gebietserweiterung bedeute.2) Am 12. Juli 1806 gaben die Vertreter von 16 deutschen Reichsfürsten ihre Unter­ schrift zum Vollzug einer Urkunde, welche den Rheinbund begründete, dessen allmächtiger »Protektor« der Kaiser der Franzosen war. Die Bundesakte verpflichtete sämtliche Mit­ glieder zur Lossagung von dem bisherigen Reichsverbande; sämtliche Mitglieder erhielten größeren oder kleineren Gebiets­ zuwachs auf Kosten von mediatisierten Reichsständen. Bayern erhielt u. a. Nürnberg. Von dieser Umgestaltung der politischen Verhältnisse des südlichen Deutschlands ließ Napoleon am 1. August 1806 durch seinen Geschäftsträger Bacher zu Regensburg dem Reichstage mit der Erklärung Kenntnis geben, »daß er das Dasein der deutschen Reichsverfassung nicht mehr anerkennt«; dagegen hat er »die Würde eines Schutz- und Schirmherrn des Rhein­ bundes angenommen«. Dalberg legte das Erzkanzleramt nieder: »Mein Gewissen sagt mir, daß ich, soviel in meinen Kräften war, alles versucht habe, um diesen Reichsverband zu erhalten. Meine Mühe war vergeblich«. Kaiser Franz II. erließ eine vom 6. August 1806 datierte Erklärung des Inhalts, »daß Wir das 6 Erlaß vom 21. August 1806. K. Geh. Staatsarchiv München. Diese Antwort stimmt ganz überein mit . der von K. Heinrich Ritter von Lang überlieferten Auffassung Montgelas’ von dem Unterschiede der Stände und den Vorrechten des Adels. Memoiren II, 151. 2) Th. Bitterauf, Geschichte des Rheinbundes, I, 394.

145 Band, welches Uns bis jetzt an den Staatskörper des deutschen Reiches gebunden hat, als gelöst ansehen, daß wir das reichs» oberhauptliche Amt und Würde durch die Vereinigung der konföderierten rheinischen Stände als erloschen und Uns dadurch von allen übernommenen Pflichten gegen das deutsche Reich losgezählt betrachten und die von wegen desselben bis jetzt getragene Kaiserkrone und geführte kaiserliche Regierung, wie hiermit geschieht, niederlegen«.1) Die Folge dieser Ab­ dankungserklärung war die Auflösung des Reichstages in Regens­ burg und der beiden Reichsgerichte in Wien und Wetzlar. Im Anschluß daran lösten sich auch die Kreistage auf. »Wir gewärtigen«, so heißt es in dem Erlasse des Königs Max an Baron Tautphoeus, »daß Ihr bei dieser Gelegenheit (Auflösung des fränkischen Kreistages) alles, was Unser Interesse erheischt, beobachten und besonders die Archive sorgfältig in Verwahr nehmen werdet«.2) Die Auflösung erfolgte am 16. August durch Tautphoeus-, sie hat »unter den Kreisgesandten, wie voraus­ zusehen war, die lebhaftesten Eindrücke gemacht«3). Der Major und Kreiskassier Hammer erhielt die Weisung, die Kreis­ kasse unter seiner Verantwortlichkeit zu behalten, der Kassa­ bestand war 3295 fl. 51 Kr., die Außenstände betrugen 1 279506 fl. 22 Kr., Nürnberg allein schuldete 236900 fl.4) Der k. bayerische Legationssekretär Lippmann erhielt den Auf­ trag, »auf die Verwahrung des Kreisarchives den sorgfältigsten Bedacht zu nehmen und dessen Inordnungsetzung und genaue Erhaltung bestens zu besorgen«.5) Nürnberg verhielt sich dabei, »um sich bei der künftigen Regierung keiner Verantwortung auszusetzen« »ganz leidend«, es beließ sogar »die noch hier anwesenden Herren Gesandten bei dem Genuß der bisherigen Immunitäten«.6) Endlich »exspirierte« auch die kaiserliche Subdelegations­ kommission, deren Akten durch die Herren Altern von dem J) A. a. O. I, 408 — 413. 2) K. Geh. Staatsarchiv München, K. schw. 388, No. 16. Erlaß vom 11. August 1806. Das »Fränkische Kreisarchiv« befindet sich jetzt im k. Kreisarchiv Nürnberg; es wurde für diese Abhandlung sehr oft benützt. 3) A. a. O. Bericht vom 18. August 1806. 4) A. a. O. Weisung an Hammer vom 16. August 1806. 5) A. a. O. Auftrag an Lippmann vom 16. August 1806. 6) Ratsverlässe vom 20. August und 5. September 1806.

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146 Geheimen Rat Gemming zurückgefordert und an die Archivalbehörde abgegeben wurden.*) So waren alle politischen Bande, welche die Vergangen­ heit um Nürnberg geschlungen hatte, gelöst. Zu allerletzt lösten sich die harten Bande, welche ein eifersüchtiger Nachbar, der Markgraf von Ansbach und König von Preußen, in der jüngsten Vergangenheit um dasselbe geschlungen hatte, welche so drückend empfunden worden waren. Am 16. August, morgens 3 Uhr, marschierten die preußischen Besatzungstruppen von Wöhrd nach Bayreuth ab, nur ein Husarenoffizier und zwei Gemeine waren noch zurückgeblieben.*2) Nach und nach wurden alle preußischen Truppen zurückgezogen, Anfang September auch aus den Pflegämtern Hilpoltstein und Gräfenberg 3); in dem Amte Betzenstein scheint ein kleiner Rest noch einen Tag länger sich aufgehalten zu haben. Der Pflegamtsverweser Albrecht Müller zu Betzenstein und Hohenstein gab auf Erfordern des Landesdirektionsrates von Lochner am 13. September 1806 zu Protokoll, daß der letzte preußische Mann am 4. September die Ämter verlassen habe.4) Der Übergang Nürnbergs an Bayern schien sich auf diese Weise ohne Anstand zu vollziehen, was gewiß kaum erwartet worden ist. Nur von einem geringfügigen Widerspruche er­ fahren wir. Der reformierte Prediger »soll« sich in seiner letzten Predigt unpassender Ausdrücke in Ansehung der gegen­ wärtigen Zeitumstände bedient haben. Die Angelegenheit wurde untersucht, aber »bewandten Umständen nach« auf sich beruhen gelassen. Jedoch wurden »von Seite des hochansehnlichen Scholarchats die hiesigen Herren Geistlichen erinnert, sich in ihren öffentlichen Vorträgen alles dessen auf das sorgfältigste *) Ratsverlaß vom 20. August 1806. Die Anzeige der Abreise Gemmings wurde vom Rate »auf eine obligeante Art« beantwortetet. Ratsverlaß vom 8. September 1806. 2) Protokoll des Gerichtsdieners Messerer beim Amte Gostenhof vom 16. August 1806. K. Kreisarchiv Nürnberg, XXIII ii/i, No. 3 77b.. Bei dem Abmarsche haben die Truppen »die Wachstube ganz ruiniert, Fenster und Öfen eingeworfen, so daß jetzt schon auf Befehl des Justizamtmannes Ncägelsbach die Handwerksleute das Wachhaus schleunigst wieder herstellen müssen «. 3) Ratsverlaß vom 8. September 1806. 4) K. Kreisarchiv Nürnberg, XXIII 11/6, No. 4538. Korrespondenz zwischen König Max, Berthier, Montgelas und Thürheim vom 9. und 10. Sep­ tember 1806. In Abschrift im k. Geh. Staatsarchiv, München.

147 zu enthalten, was auf irgend eine Weise von seite der poli­ tischen Verhältnisse für anstößig erachtet werden könnte«1) Als wichtigste Vorarbeit für die Zivilbesitznahme Nürnbergs sind die Berichte anzusehen, welche Lochner auf Grund des k. Reskriptes vom 2. August 1806 teils selbst ausgearbeitet hat, teils ausarbeiten ließ, wodurch der neuen Regierung ein geeig­ neter Einblick in alle Verhältnisse der vormaligen Reichsstadt verschafft wurde. Nach und nach legte er vor: a) Topographische Notizen über die Stadt Nürnberg, b) Darstellung der bisherigen Staatsverwaltung in ihren verschiedenen Zweigen, c) Übersicht der sämtlichen wirklich angestellten Staats­ diener, d) Übersicht der Besitzungen, welche auswärtige Stände in hiesiger Stadt besaßen, e) Darstellung der Verhältnisse der Universität Altdorf2). Der Zeitpunkt der Zivilbesitznahme rückte immer näher heran. Ende August 1806 hat Marschall Bernadotte Befehl erhalten, die Stadt und das Gebiet von Nürnberg von französischen Truppen räumen zu lassen, »damit dieselben einzig durch königlich bayerische besetzt werden könnten«3). Das k. Geheime Kriegs­ bureau hat dann zu Besetzung der Stadt und auch des Gebietes Nürnberg »das 4. und 7. Linieninfanterieregiment, 4 Eskadrons des 2. Dragonerregimentes, eine Batterie von 4 Sechspfündern und 2 Haubitzen beordert«, der Generalmajor und Brigadier Franz Graf Minucci die Weisung erhalten, »sich wegen der Dislokation mit dem Generalkommissär Grafen von Thürheim zu benehmen«4). Landesdirektionsrat Lochner wurde von Grafen Thürheim beauftragt, wegen der Unterbringung des bayerischen Militärs in Nürnberg diejenigen Vorkehrungen zu 0 Ratsverlässe vom 25. und 27. August 1806. 2) K. Kreisarchiv Nürnberg, XXIII 11/1, No. 95, 114, 188. Die Be­ richte über die Justiz- und Vervvaltungsorganisation stammen von den Konsu­ lenten Popp und Roth. 3) Erlaß an das k. Geheime Kriegsbureau München. K. Geh. Staats­ archiv München. 4) K. Geh. Kriegsbureau an das k. Geh. Ministerialdepnrtement der auswärtigen Verhältnisse. K. Geh. Staatsarchiv München, K. schw. 388, No. 16. io*

148 treffen, welche den »in den k. Staaten bereits bestehenden Grundsätzen« entsprechen. »Da nach diesen Grundsätzen niemand von der Teilnahme an der allgemeinen Last befreit sein darf«, so muß besonders darüber gewacht werden, »daß keine Befreiung von der Einquartierung unter irgend einem Vorwand stattfinde«1). Bevor in die Schilderung des Überganges selbst ein­ getreten werden kann, ist hier eines tieftraurigen Ereignisses zu gedenken, welches die noch rechtlich und deutsch fühlenden und denkenden Zeitgenossen mit ohnmäch­ tigem Ingrimm erfüllt hat, an welchem wir selbst nach der 18 70/ 7 1 restlos getilgten Schmach zürnend und trauernd mittragen, die auf Befehl Napoleons voll­ zogene Erschießung des Nürnberger Buchhändlers Johann Philipp Palm. »Herzensschatz 1 Herzlich geliebte Kinderl Von Menschen, aber nicht von Gott verlassen, urteilte ein hiesiges Militär­ gericht über mich, nachdem ich zwei Verhöre hatte und gefragt wurde, ob ich politische Schriften verbreitet hätte. Ich sagte, was ich wußte, daß höchstens nur per Spedition zufälligerweise dergleichen könnte versandt worden sein, aber nicht mit meinem Wissen und Willen. Auf dieses richtete man mich vom Leben zum Tode ohne Defensor. Ich bat mir dazu N. aus, welcher aber nicht erschien* indessen vor Gott wird er mir erscheinen. Dir, Hausfrau, sage ich tausend Dank für Deine Liebe, tröste Dich mit Gott und vergesse mich nicht. Ich habe auf der Erde nun nichts zu sagen, aber dort desto mehr. Lebe wohl, Du und Deine Kinderl Gott segne Dich und siel Empfehle mich dem Herrn und der Frau Schwägerin und allen Freunden, denen ich für ihre Güte und Liebe danke. Nochmals lebe wohll Dort sehen wir uns wieder 1 Dein herzlicher Gatte und meiner Kinder Vater Joh. Phil. Palm. Braunau im Gefängnis, am 26. August 1806, eine Stunde vor meinem Ende«2). *) Thürheim an Lochner vom 9. September, 1806. K. Kreisarchiv Nürnberg, XXIII 11/6, No. 4538. 2) W. Ganzhorn, Löwenwirth Peter Heinrich Merckle von Neckarsulm und Kaufmann Gottlieb Link von Heilbronn, die Genossen des am 26. August 1806 erschossenen Buchhändlers Palm von Nürnberg. Heilbronn 1871. S. 8.

149 Darnach wäre ein gänzlich Unschuldiger durch den krasse­ sten Justizmord ums Leben gekommen. Wenn auch das Herz warm für den Patrioten Palm schlägt, so hält das nicht ab, die anderslautende Wahrheit zu sagen, wenn sie auch anders lautet, als sie in dem rührenden Abschiedsbriefe niedergelegt ist. Deutschland war nicht mehr, seine ehrwürdige alte Ver­ fassung erlag sich selbst, der Zeit und dem Alter, der erkalteten Schätzung ihres Wertes. Ihre eigenen Kinder trugen sie zu Grabe. Der größte Teil Süddeutschlands war auch nach dem Preßburger Frieden von französischen Truppen besetzt geblieben. Jeder Freund des Vaterlandes seufzte unter dem Druck des französischen Joches. Neben anderen mehr oder minder gehalt­ vollen Flugschriften erschien damals auch »Deutschland in seiner tiefen Erniedrigung 1806« ohne Angabe des Verfassers, Druckers und Verlegers. Verfasser war aller Wahrscheinlichkeit nach »der amovierte gräflich Rechternsche Konsistorialrat Yelin von Winter­ hausen bei Würzburg«*), ein Freund und Verwandter Palms, der auch seine Korrekturen besorgte. Nach Palms Ermordung entfloh er, selbst Familienvater, aus Furcht entdeckt zu werden; wohin, blieb unbekannt, wie auch über sein Ende der Schleier undurchdringlichen Geheimnisses gebreitet zu sein scheint. Yelin war 1799—1803 Hofmeister oder Hauslehrer des zu Fürth am 23. Februar 1864 im 73. Lebensjahre verstorbenen Privatiers Konrad Gebhard, ehemaligen Kaufmanns und Abgeordneten zum Frankfurter Parlament, von 1803—05 sein Privatlehrer in der lateinischen, italienischen und französischen Sprache* er ') Feststellung des k. Bezirksgerichtsregistrators Johann Jakob Maria Pedrazzi, der 1863/64 bei den letztüberlebenden Zeitgenossen sowie bei Palms einziger noch lebenden Tochter Nachforschungen anstellte und diese dem k. Kreisarchiv Nürnberg am 17. November 1869 behändigte. S. II, L. 25, No. ij*. Dieser Yelin ist nicht zu verwechseln mit Julius Konrad von Yelin, welcher 1771 zu Wassertrüdingen geboren, Professor der Mathematik und Physik war, dann Kammerassessor zu Ansbach, endlich Mitglied der Akademie der Wissenschaften und Oberiinanzrat in München wurde und auf einer nach Schott­ land unternommenen Reise zu Edinburg 1826 gestorben ist. W. Zimmermann berichtet in Band IV der »Geschichte der Deutschen« von August Wirth, daß der Verfasser Christian Heinrich Adler, Rektor der Stadtschule zu Altdorf, sei, nach Angabe seines Enkels des praktischen Arztes Dr. Preu in Hersbruck. Vgl. Stadtbibliothek Nürnberg, Nor. 619, 40, S. 224.

150 trug seinem Schüler die nämlichen politischen Ansichten vor, wie sie in seiner Schrift enthalten sind. In dieser »entwirft er ein überaus gehässiges, durchaus unwahres Bild von dem Aufenthalt der französischen Armee in Deutschland, erhebt gegen Napoleon nicht nur, sondern auch gegen den preußischen Staat so schwere Vorwürfe, daß selbst nach dem Geständnis des der Familie Palm nahestehenden Grafen Julius Soden keine geordnete Regierung in Friedens­ zeiten den ganzen Wiederabdruck jener Broschüre hätte gestatten können* die Verbreitung ähnlicher Schriften in einem Lande, in dem eine fremde Armee kantonierte, wurde zu jeder Zeit als eine kriminelle Handlung angesehen und mit den schwersten Strafen belegt«. Zugleich ist die Schrift aber auch voller Rühr­ seligkeit, ohne die ein Deutscher nach seiner Meinung die Er­ niedrigung seines Vaterlandes nicht einmal ansehen dürfte1). Die Schrift ist mehr von gutem Willen als von reifer Erkenntnis, mehr von patriotischem Geiste als Sachkenntnis geschrieben2). Drucker der Schrift war Hessel in dem Universitäts­ städtchen Altdorf. Verleger war Johann Philipp Palm, geboren am 18. Dezem­ ber 1766 zu Schorndorf (württembergischer Jagstkreis), welcher in die Buchhandlung von Stein in Nürnberg eingetreten war, die Tochter Steins geheiratet hatte und Besitzer des Geschäftes geworden war. »Ist die Piece D . . . . d fertig, so schicken Sie mir 12—25, alle andern verstecken Sie im Gewölbe hinter Ballen. — Man tut deshalb sehr wohl und verkauft an Particulier gar keine. Hessel schreiben Sie gleich, daß er alle mögliche Vorsicht beobachten solk3), so weist Palm seinen Buchhalter Pech an. In einem Briefe Pechs an Palm, der sich damals in München aufhielt, findet sich u. a. die Stelle: >Von *) Th. Bitterauf, Geschichte des Rheinbundes, I, 429. Die Charakte­ ristik »gehaltloses Machwerk« dürfte bei eingehender Würdigung ein zu scharfes Verdikt sein. 2) Im k. Kreisarchiv Nürnberg hinterliegen hunderte von Akten über die Einquartierung der Franzosen in den fränkischen Gegenden 1806. Kaum je einmal findet sich darin ein Fall von Ausschreitungen, ganz zu schweigen von Schandtaten, wie sie sich die Revolutionshorden Jourdans 1796 haben zu­ schulden kommen lassen. s) J. Braun, Deutschland in seiner tiefen Erniedrigung. Stadtbibliothek Nürnberg, Nor. 619. 4^. S. 221.

151 H. in A. haben Sie nichts zu befürchten, der hat keine Ge­ sellen, ich war sogleich selbst bei ihm, um ihn zu warnen« 1). Im Juni 1806 wurde die Schrift versandt. Sie ging auch an die Stagesche Buchhandlung in Augsburg2). Der bayerischen Polizei in Schwaben gelang es, festzustellen, daß sie von der Steinschen Buchhandlung in Nürnberg geschickt war, daß Exem­ plare dieser und einer anderen Schrift3) durch Nürnberger und Wiener Boten nach München und Salzburg gebracht wurden. Die Schriften wurden gratis verschickt und es ist darum nicht an geschäftsmäßigen Vertrieb, sondern an eine ganz bestimmte Tendenz zu glauben. Montgelas machte Berthier von dem Resultate dieser Feststellungen Mitteilung und hielt es für angezeigt, wenn Palm, der Inhaber der Steinschen Buchhand­ lung in Nürnberg, verhört würde. »Infolgedessen erschienen am 28. Juli 1806 vier schwarzgekleidete Herren in der Stein­ schen Buchhandlung in Nürnberg, fragten nach dem Vorrat jener Schrift und stellten eine Haussuchung an, mußten aber, ohne ein Exemplar gefunden zu haben, sich wieder entfernen«, da der Buchhalter Pech den vorhandenen Vorrat rechtzeitig beiseite geschafft hatte4). Palm war schon lange wegen seiner Propaganda für alle gegen Frankreich gerichteten Schriften in Deutschland bekannt. Während der erwähnten Haussuchung weilte er zur Messe in München, wo ihn Montgelas unter der Hand hatte warnen lassen, mehr Vorsicht und Zurückhaltung walten zu lassen, wenn er sich nicht den größten Gefahren J) A. a. O. S. 222. 2) Geschäftsführer dieser Firma war Karl Friedrich von Jenisch aus Winterbach bei Schorndorf; dieser wurde verhaftet und durch das Kriegsgericht in Braunau mit Palm dann zum Tode verurteilt. Das Urteil wurde an ihm nicht vollzogen, er hatte aber nach vielen Leiden eine Gefängnisstrafe abzubüßen. W. Ganzhorn S. 7, Anm. 3) Es war das die Schrift » Betrachtungen über die Anstrengungen Na­ poleons, um alle Staaten und Völker Europas zu unterjochen«, welche die besondere Aufmerksamkeit der Zeitgenossen und den Argwohn der Franzosen erregte. Der französische Gesandte Otto in München betrachtete mit steigender Unruhe den Vertrieb von Pamphleten, die gegen die französische und bayerische Regierung gerichtet waren. Aber trotz aller Wachsamkeit war es noch nicht gelungen, einen Schuldigen festzunehmen. Berthier setzte sogar auf die Entdeckung der Urheber solcher Schriften einen Preis von ioo Talern aus. Bitterauf I, 429 — 430. 4) Allg. deutsche Biographie, XXV, 102.

152 aussetzen wolle1). Am 9. August 1806 kam er von München zurück und bat das Vormundamt, die damalige Behörde der Buchhändler, um eine gerichtliche Untersuchung, die aber aus unbekannten Gründen abgelehnt wurde2). Als Jenisch, der Geschäftsführer der Stageschen Buch­ handlung in Augsburg, wegen Verbreitung der »Erniedrigung« verhaftet worden war, flüchtete Palm, gewarnt von dem fran­ zösischen Oberst Jean Baptist Charnotet3), zu seinem Oheim Johann Jakob Palm4) in der damals noch preußischen Stadt Erlangen. Bald darauf kehrte er jedoch nach Nürnberg zurück, wo er sich öffentlich freilich nicht sehen ließ, weil der General Fröre schon öfters nach ihm gefragt hatte. Er hielt sich anfänglich in dem Hause des Marktvorstehers Keßler in St. Johannis verborgen, fühlte sich aber auch da bald nicht mehr sicher5) und suchte seine Wohnung in der Winklergasse auf. Als Oberst Charnotet von der Rückkehr Kenntnis erhielt, äußerte er gegen den Vater des obengenannten Gebhard, der gerade in Nürnberg zu Besuch anwesend war: »Ich muß Ihnen leider mitteilen, daß der Buchhändler Palm, den ich doch habe warnen lassen, diese Warnung nicht befolgt hat und in die Hände der Gendarmerie fallen wird, von welcher er nicht mehr loskommt« „ Über die näheren Umstände der Verhaftung berichtete Palms Tochter Sophie, verehelichte Lechner, dem Registrator Pedrazzi in einer mit ihr am 12. Oktober 1863 zu Nürnberg gepflogenen Unterredung folgendes: J) Th. Bitterauf I, 431—432. 2) Allg. deutsche Biographie, XXV, 102. 3) Charnotet, eine wegen ihres ehrenhaften Charakters in allen Kreisen sehr beliebte Persönlichkeit, machte dem Buchhändler N. Campe, mit welchem er auf besonders freundschaftlichem Fuße stand, die Mitteilung, er möge Palm bedeuten, sich 'von Nürnberg fern zu halten, da dessen Person nicht mehr sicher sei. Nach Pedrazzi. 4) Allg. deutsche Biographie, XXV, ioi —102. 5) Sobald der bei Keßler einquartierte französische Kommandant von der bald nachher erfolgten Verhaftung Palms Kenntnis erlangte und von dem Keßlerschen Ehepaar erfuhr, daß der Verfolgte sich im Hause einige Zeit ver­ steckt gehalten habe, »schlug er seine beiden Arme über dem Kopf zusammen und äußerte höchst aufgeregt: Warum haben Sie mir davon keine Kenntnis gegeben? Ich hätte Palm als Sekretär zu mir in mein Zimmer genommen und niemand hätte geahnt, daß er bei mir sei; auch hätten die Gendarmen sich nie zu mir wegen einer Nachfrage nach Palm gewagt«. Mitteilung von Palms Tochter an Pedrazzi.

153 »Am 14, August, vormittags gegen 10 Uhr, kam ein junger Mensch, anscheinend gegen 18 Jahre zählend, in ärmlicher Kleidung, mit einem Brief in der Hand in unsern Laden S. 74 in der Winklerstraße und wünschte den Papa dringend zu sprechen. Faktor Pech führte den Fremdling und zwar gegen den Auftrag, die Anwesenheit Palms geheim zu halten, doch zu ihm in den zweiten Hausstock, in das vordere Zimmer, das er bewohnte. Den ersten Stock bewohnte unsere ganze Familie. Nachdem der Vater den Brief geöffnet, in welchem er um Unterstützung für eine abgebrannte Familie angegangen wurde, schenkte er dem Burschen 24 Kr. Derselbe entfernte sich, ging in den Wagkeller S. 13 a, woher er gekommen war, kam aber bald mit 2 französischen Gendarmen zurück, führte die­ selben, ohne zu fragen, durch den Laden über die Treppen in den zweiten Hausstock zum Vater, wo dann dessen Gefangennehmung erfolgte und er beauftragt wurde, sich marschfertig zu machen und seine Sachen zusammenzupacken. Von da an ließen ihn die Gendarmen nicht mehr aus den Augen und folgten ihm Schritt für Schritt Treppen auf und ab, da er seine Kleider bei uns im ersten Stock aufbewahrt hatte. Erst gegen 4 Uhr vermochten die Gendarmen den Vater in ein Arrest­ lokal auf das Rathaus zu bringen, wohin ihm auch die Mutter das Bett nachschickte. Das Lokal war das Schützengewölbe 9, früher die Wachtstube der Schützen, welches zur Zeit das k. Archiv inne hat. Veranlaßte schon diese Verhaftung eine allgemeine Bestürzung und Verwirrung im ganzen Hause, so erreichte diese doch am andern Tag den höchsten Grad, als morgens gegen 7 Uhr die Gendarmen den Vater brachten, damit er Abschied nehme, und der Reisewagen vor unserm Hause stand. Es war eine schreckliche Szene. Während wir drei damals noch unmündigen Kinder unsern guten Papa weinend und heulend umklammerten, lag die Mutter von tief­ stem Schmerz ergriffen in Ohnmacht zur Erde, und als sie wieder zu sich gekommen war, hatten die Gendarmen ihren Gatten schon abgeführt. Mehrmals fiel die Mutter dem Vater um den Hals, bat ihn weinend und händeringend, ihr den Verfasser zu sagen. Allein derselbe entgegnete immer: »Ich kann ihn Dir nicht nennen, er ist Familienvater wie ich, und

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es kostet ihm sein Leben, wenn ich ihn verrate. Wenn er sich aber stellen würde für mich, dann wäre es gut. Allein stellt er sich nicht, so mag er es jenseits verantworten. Seine Frau und Kinder werden um ihn ebenso weinen, wie Ihr um mich weinen werdet.« Als die Abführung meines Vaters in das französische Hauptquartier nach Ansbach bekannt wurde, geriet das Publikum in große Aufregung. Namentlich waren es die sog. Rußigen, welche ihren Unwillen hierüber laut werden ließen, sich vor Palms Wohnung sammelten und laut äußerten, sie würden, hätten sie von ihres guten Palm Abführung Kennt­ nis gehabt, den Transport mit Gewalt aufgehoben und ihren Mitbürger befreit haben. Dabei äußerte Sophie Palm noch weiter, daß es für ihre Familie ein schrecklicher Anblick war, nach der Gefangennehmung ihres Vaters den von ihnen ver­ meintlichen Verfasser des Buches »Deutschland in seiner tiefen Erniedrigung« in ihrer Wohnung bis zu dessen Flucht noch ein- und ausgehen zu sehen. Da mein Vater seinen Namen nie sagte, so sage ich ihn auch nicht«1). Auf dem Wege nach Ansbach begleitete Palm auf dringendes Bitten, »ihm Beistand und Verteidiger zu sein«, der Rechtskonsulent und spätere Rechtsanwalt Dr. R. Ch. K. S. Freiher von Holzschuher2) in das Hauptquartier des Reichs­ marschalls Bernadotte. Hier (in Ansbach) erklärte man ihm, daß alles verloren sei, da seine Verhaftung sich auf einen unmittelbaren Befehl aus Paris gründe, und brachte ihn in das bürgerliche Arrestlokal auf dem Rathause. Trotz aller Bitten war es Holzschuher unmöglich, weder für sich noch für Palm bei Bernadotte eine Audienz zu erhalten. Ein Adjutant des Marschalls eröffnete ihm in dessen Auftrag, daß er wegen *) Unmittelbar nach der Verhaftung Palms schickte Pech einen Eilboten an Hessel in Altdorf, der eben die 2. Auflage der Schrift für Palms Verlag druckte mit der Mahnung, alle Exemplare zu vernichten. Hessel versenkte nun den ganzen Ballen in seinen Hofbrunnen, wo er blieb, bis die Franzosen abgezogen waren, dann aber als unbrauchbar gehoben wurde. Ob und wie das berühmt gewordene eine Exemplar dieser 2. Auflage gerettet wurde, dann in welcher Weise die i. Auflage abgesehen von wenigen hinausgegangenen Exem­ plaren vernichtet wurde, sind Fragen, mit denen sich die Bibliophilen befassen mögen. Vgl. J. Braun, »Deutschland in seiner tiefen Erniedrigung«. Stadt­ bibliothek Nürnberg, Nor. 619, 40, S. 222 — 224. 2) Dessen Aussage ist von Pedrazzi am 14. Dezember 1860 erholt worden.

155 Palm die gemessensten Befehle aus Paris habe und derselbe nach Braunau abgeführt werden müsse. Palms Bitte, ihn auch dorthin zu begleiten, vermochte Holzschuher nicht zu entsprechen. Er brachte nur noch das nötige Reise­ geld für ihn auf, da ersonst den weiten Weg zu Fuß hätte machen müssen. Am 22. August 1806 traf er daselbst ein. Palm hatte noch volles Vertrauen auf seinen Gönner, den damaligen k. Generallandeskommissär Grafen Thürheim, gesetzt1). Seine Fürsprache war vergebens. Palms Gattin hatte beim französischen Gesandten in München ein Bittschreiben ein­ gereicht, das unbeantwortet blieb2), ebenso auch bei Berthier, auf welches der Bescheid erfolgte, daß alles vergebens und nichts mehr rückgängig zu machen sei. Die Stadt Nürnberg hatte auf »die durch den Herrn Polizeidirektor von Welser gemachte mündliche Relation« der Zentraldeputation den Auf­ trag gegeben, »in Überlegung zu nehmen, ob sich nicht mittelst eines Vorstellungsschreibens dieser Angelegenheit halben an des Herrn Reichsmarschall Fürst Bernadotte Durchlaucht zu wenden« sei. Noch am gleichen Tage ging es ab; es war gleichfalls umsonst3). Auch ein Versuch seiner Freunde, die Verwendung der bayerischen Regierung für Palm zu erreichen, blieb erfolglos. »Es ist Uns angezeigt worden, daß die Franzosen den Buch­ händler Palm in Nürnberg aus der Ursache arretiert haben, weil er die bekannte Piece »Deutschland in seiner tiefen Er­ niedrigung« verkauft hat. Da Wir noch nicht im Civilbesitz von Nürnberg sind, so können Wir auf Ansuchen seiner Freunde ]) Graf Thürheim trägt vielleicht selbst indirekt eine Mitschuld an dem Tode Palms. Er hat nach seinem eigenen Berichte vom 28. Juli 1806 Berna­ dotte »einige nur ganz kurz erst in Nürnberg verbreitete Brochüren mitgeteilt, welche eine offenbar aufrührerische Tendenz haben und die rohesten, bittersten Invektiven gegen die Person des französischen Kaisers enthalten«. K. Geh. Staatsarchiv München, K. schw. 109, No. 322 • 2) Johann Philipp Palm, Buchhändler zu Nürnberg, Nürnberg 1814, S. iii —114. 3) Zwei Ratsverlässe vom 20. August 1806. »Das angelangte Antwort­ schreiben des Herrn Reichsmarschall Fürsten von Pontokorvo Durchlaucht in betreff der geschehenen Arretierung des hiesigen Buchhändlers Palm und dessen Abführung nach Braunau ist ad acta abzugeben, der Ehegattin des ge­ dachten Palm hievon Nachricht zu erteilen und ihr selbst zu überlassen, was sie zur Befreiung ihres Mannes zu tun für dienlich halten wolle«. Ratsverlaß vom 25. August 1806.

156 nicht mehr tun, als Euch auftragen, Euch beim Marechal Bernadote, Prinzen von Ponte Corvo, soweit Ihr es tunlich findet, nachdrücklich für ihn zu verwenden« 1). Die österreichische Festung Braunau am Inn hatten die Franzosen unter dem General Saint-Hilaire des Friedens unerachtet als einen strategisch wichtigen Punkt noch besetzt gehalten. Hier ist die Sache mit der größten Eile betrieben worden gemäß dem Befehle Napoleons an Berthier vom 5. August 1806: »Ich setze voraus, daß Sie die Buchhändler in Nürnberg und Augsburg haben verhaften lassen. Mein Wille ist, daß sie vor ein Kriegsgericht gestellt und binnen 24 Stunden erschossen werden sollen«2). Schon unterm 12. August 1806 hatte Berthier in Braunau eine außerordentliche Henkerkommission niedergesetzt, bestehend aus den Obersten Latrille, Autie, Lemarois, L’Huillier, Lajonqui6re, Chauvel und Nicolas. Referent war Binot. Diese Fürstendiener haben nach zweimaligem Verhör, wobei ein Ver­ teidiger nicht zugelassen worden war, bereits am 25. August Palm wegen Verbreitung von Schandschrifte n »des Hochverrates schuldig« gesprochen3)* *und * * 8ihn damit zum Tode verurteilt. Als am 26. August 1806 vormittags 11 Uhr die Türe des Gefängnisses sich öffnete, glaubte Palm, der stets J) Erlaß vom 25. August 1806 an Graf Thürheim. K. Kreisarchiv Nürnberg, XXIII 11/1, No. 241. »Ad reponendum. Ansbach den 31. August 1806« signierte Thürheim darauf, weil Palm schon tot war. 2) Nach Pedrazzi: XIII. Band der Korrespondenz Napoleons. »Aus­ gewählte Korrespondenz Napoleons«. Hildburghausen 1870, III, 3$. Einen weiteren Beweis, daß Napoleon die Eusilierung Palms angeordnet hatte, erbringt Pedrazzi, welcher erzählt, daß sein Vater Martino Pedrazzi als Emigrant zu Ansbach sich häuslich niedergelassen hatte. Seiner Sprachkenntnisse wegen er­ hielt er von den Offizieren Bernadottes täglich Besuche. So kam es auch, daß ihm französische Offiziere im Vertrauen die Mitteilung machten, daß ein Nürnberger Buchhändler wegen Verbreitung von Schmähschriften über den Kaiser auf dessen Befehl verhaftet, ins Hauptquartier nach Ansbach transportiert und erschossen werden soll. 8) — »in Erwägung, daß, wo sich immer eine Armee befindet, es die erste und vorzüglichste Sorge des Chefs sein müsse, über ihre Sicherheit und Erhaltung zu wachen, daß die Verbreitung solcher Schriften, welche zu Auf­ stand und Meuchelmord reizen, nicht nur allein die Sicherheit der Armee, sondern auch der Nationen bedrohe, daß nichts dringender sei, als die Fort­ schritte einer Lehre zu hemmen, durch welche das Völkerrecht, die Achtung, die man den gekrönten Häuptern schuldig ist, gefördert wird, welche ferners denen ihrer Regierung anvertrauten Völkern schädlich ist und mit einem Wort alle Ordnung und Subordination zusammenstürzt«.

157 seine volle Unschuld beteuert hatte, der Freiheit zurückgegeben zu werden. Statt dessen wurde ihm das Todesurteil1) ver­ kündet, nachmittags 2 Uhr wurde es vollzogen. Da sich in der ganzen Gegend kein protestantischer Geistlicher befand, spendeten ihm 2 katholische Geistliche, der Spitalseelsorger Joh. Mich. Gropp und der Weltpriester Poeschel, beide von Braunau, den letzten geistlichen Trost2), Sein Leichnam wurde, obschon der Befehl gegeben war, ihn auf dem Richtplatze in ungeweihter Erde gleich einem Verbrecher zu verscharren, auf Veranlassung des Stadtmagistrates von Braunau in dem katho­ lischen Friedhof bestattet. 1823 errichteten seine Kinder über dem Grabe ein Denkmal: »Dem besten, zärtlichsten Vater, dem am 26. August 1806 im 41. Jahre seines Alters schuldlos ge­ opferten Bürger und Buchhändler Johann Philipp Palm aus Nürnberg von seinen drei trauernden Kindern Anna Maria Palm, Johann Philipp Palm, Anna Sophia Palm«. Am 29. April 1842 wurde auf Veranlassung König Ludwigs I. an Palms vormaligem Wohnhause in Nürnberg, S. 74 in der Winklerstraße, jetzt Nr. 29, eine Marmortafel angebracht mit der Inschrift: »Johann Palm Buchhändler wohnte hier, der ein Opfer fiel napoleonischer Tyrannei. Im Jahre 1806«. Am 12. Juli 1806 hatte Napoleon zu Paris das Protektorat über die Rheinbundfürsten übernommen, die Souveränität der­ selben öffentlich anerkannt und die freie Reichsstadt Nürnberg dem Könige von Bayern in der am 19. Juli zu St. Cloud ratifizierten Akte des Rheinbundes zugeteilt. Der erste Be­ weis, welchen Napoleon, die Rheinbundfürsten zu schützen und anzuerkennen, gab, war aber, daß er einen nunmehrigen Untertan des ersten Rheinbund­ fürsten3), des Königs von Bayern, im Frieden, mitten in Deutschland, aufgreifen, nach französischen Kriegs*) Das Todesurteil wurde in 6ooo halb französisch, halb deutschen Exemplaren bekannt gemacht und auf Befehl in den Rheinbundstaaten an Rat­ häusern und Kirchtüren angeschlagen. Stadtbibliothek Nürnberg, Nor. 598, 801 8.0. 2) Die beiden haben eingehende Schilderungen von dem Tode Palms verfaßt. Sie sind gedruckt in »J. Ph. Palm, Buchhändler zu Nürnberg«. Nürnberg 1814, S. 129—15g. 3) Bayern hatte allerdings von der Stadt Nürnberg noch nicht Civilbesitz ergriffen.

158 gesetzen, von französischen Offizieren, auf unbeweis­ bare Beschuldigung hin, verurteilen und erschießen ließ« *). Nach Napoleons Willen sollte die Konföderationsakte vom 12. Juli 1806 schnellstens zur Ausführung kommen. Berthier wurde zur Auswechselung der Ratifikationsurkunden an die Mitglieder des Rheinbundes abgeordnet. Er ernannte den Inspecteur aux Revues Joseph Matthias Fririon, Offizier der Ehrenlegion, zum Kommissär behufs Übergabe der Reichsstadt Nürnberg an den König von Bayern, der seinerseits den Minister Montgelas dazu bevollmächtigte. Am 8. September 1806 wurde der Übergabeakt in München vollzogen, wobei nachstehendes Protokoll aufgenommen und von den beiden Bevollmächtigten unterzeichnet wurde*2): »Seine Majestät, der Kaiser der Franzosen, König von Italien und Protektor des Rheinbundes, Allerhöchstwelche den Inhalt des unterm 12. Juli 1806 zu Paris abgeschlossenen Vertrages ohne Aufenthalt in Erfüllung gebracht wissen wollen, haben des zur Auswechselung der Ratifikationsurkunden bevoll­ mächtigten Herrn Fürsten Alexander Berthier, Herzogs von Neufchatel und Valengin Durchlaucht, ermächtigt, Kommissäre zur Übergabe .der den Bundesgliedern durch den Vertrag zu­ gefallenen Besitzungen zu ernennen. In dessen Gemäßheit ist Herr Joseph Matthias Fririon, Offizier der Ehrenlegion und Inspecteur aux Revues, von seiner Durchlaucht dem Fürsten Alexander zum Kommissär ernannt und beauftragt worden, sich mit den von Seiner Königlichen Majestät von Bayern ernannten Kommissär, des Herrn Staats­ ministers Freiherrn von Montgelas Exzellenz, wegen Übergabe der an gedacht Seine Königliche Majestät überlassenen und Allerhöchst Ihrer Souveränität unterworfenen Gebiete und Gebietsteile in das erforderliche Einvernehmen zu setzen. Nachdem nun die Vollmachten gegenseitig ausgewechselt worden sind, hat Herr Fririon die Erklärung abgegeben, daß x) Kurze Lebensgeschichte des......... Johann Philipp Palm. Nürnberg 1842, S. 13. 2) »Proces verbal de mise en possession de la ville et territoire de Nuremberg«. K. Kreisarchiv Nürnberg, XXIII 11/6, No. 4538.

159 er den Allerhöchsten Befehlen Seiner Majestät des Kaisers Napoleon zufolge dem Freiherrn von Montgelas übergeben habe und anmit übergebe die Stadt und das Gebiet von Nürnberg, welches außer der Stadt und den Vorstädten Wöhrd und Gostenhof aus nachfolgenden Ämtern besteht: Lauf, Altdorf, Hersbruck, Reicheneck, Engelthal, Pillenreuth, Velden, Hohenstein, Stierberg, Betzenstein, Gräfenberg, Hilpoltstein, Wildenfels, Lichtenau und Hauseck, mit allen Zuständigkeiten in der Art, daß Seine Königliche Majestät von Bayern von dem heutigen Tage an die gedachte Stadt Nürnberg mit ihrem Gebiete, sowohl was die Oberlehen­ herrlichkeit als das vollständige Eigentum und die Souveränetät betrifft, ganz auf die nämliche Weise besitzen sollen, wie solche von dem Magistrat und den Behörden bei der gegenwärtigen Übergabe besessen worden sind. Diejenigen Rechte, welche der letzte Besitzer nicht geltend gemacht hat, sollen als erloschen betrachtet werden, besonders wenn solche irgend ein Präjudiz für ein anderes Mitglied des Bundes zur Folge haben sollten. Diese Übergabe vollzog sich unter den folgenden Be­ dingungen : 1) Die Rechte, welche für irgend einen Gläubiger oder Pensionisten durch den Reichsschluß von 1803 begründet worden sind, bleiben demselben unverletzlich gesichert. Seine Königliche Majestät von Bayern übernehmen daher die Verbindlichkeit, für die Befriedigung aller derjenigen zu sorgen, deren Bezahlung durch den bemerkten Reichs­ schluß auf die Stadt oder das Gebiet von Nürnberg über­ wiesen worden ist. 2) Seine Königliche Majestät von Bayern übernehmen andurch die Verpflichtung, zu Bezahlung der gegenwärtigen Kreis­ schulden nach dem Verhältnis dieses Gebietszuwachses beizutragen. 3) Diejenigen Bediensteten der Stadt und des Gebietes von Nürnberg, welche Seine Königliche Majestät von Bayern in dem Staatsdienst nicht ferner zu verwenden gedenken, sollen eine Pension beziehen, welche derjenigen gleich ist,

160 die den Beamten von demselben Grade nach den Gesetzen und der Verfassung der älteren Staaten verwilligt wird. 4) Ordensgeistliche oder Glieder militärischer Orden, welche etwa infolge des Pariser Vertrages säkularisiert werden könnten, sollen eine jährliche Pension bekommen, welche den Einkünften, die sie vorhin bezogen haben, ihrer Dignität und ihrem Alter angemessen sein muß, und die nächstdem auf den Gütern, von welchen sie die Nutz­ nießung hatten, gesichert bleiben. Über alles dasjenige, was nach dem vorstehenden Inhalt Seine Exzellenz der Freiherr von Montgelas im Namen seines Souveräns anerkannt haben, haben wir das gegenwärtige Protokoll in 6 Exemplaren gefertigt. Eine Abschrift davon ist den Administrativbehörden zugestellt worden, um solche in dem Archiv zu hinterlegen und weiter bekannt zu machen.« Es wurde sodann beschlossen, diesem Akte die faktische Civilbesitznahme Nürnbergs alsbald folgen zu lassen. Am 9. September 1806 erhielt Graf Thürheim den Befehl, sich unverzüglich zur Besitzergreifung nach Nürnberg zu begeben1), alle fremden Wappen, welche in Nürnberg sich befinden, »jedoch mit Anstand«, abzunehmen »und auf alles, was Preußen oder der deutsche Orden darin besitzt und nicht allenfalls als eine Privatbesitzung von Bayreuth angesehen werden kann, in die Besitzergreifung zu erstrecken«. Durch die preußische Okkupation einiger nürnbergischen Ämter soll er sich nicht stören lassen, vielmehr soll er »von dem kommandierenden preußischen Offiziere in den schonendsten und höflichsten Aus­ drücken den Abzug der preußischen Truppen verlangen«2). Am 10. September 1806 reiste Fririon von München ab und traf mit Thürheim in Nürnberg zusammen, wo Ratsdirektor von Tücher »in Ansehung der Übergabe« eine »wichtige Unterredung« mit ihnen hatte3). Speziell »des Herrn Grafen von Thürheim Exz.« haben Geuder und Tücher »nomine publico die Empfindungen der innigsten Freude über hochdero h Der Befehl trägt das Datum 3. September 1806, ist am 9. September expediert worden. K. Kreisarcbiv Nürnberg, XXIII 11/1, No. 91. 2) Weitere Instruktion für Thürheim vom 6. September 1806. K. Geh. Staatsarchiv München. 3) Ratsverlaß vom 12. September 1806.

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Anwesenheit« ausgesprochen und seine Meinung, »was für An stalten und Solemnitäten bei nächstbevorstehender Übergabe hiesiger Stadt an die Krone Bayern zu treffen seien«, erforscht1). Fririon richtete am 14. September 1806 an den Rats­ präsidenten ein Schreiben, worin er demselben anzeigte, daß er und Graf Thürheim übereingekommen seien, des nächsten Tages früh 10 Uhr die Besitzergreifung Nürnbergs vorzunehmen. Er möge um diese Zeit den Rat versammeln, und da die Sache die ganze Bürgerschaft berühre, auch eine Deputation des größeren Rats erfordern, damit sie Kenntnis nehme, was er dem geheimen Rate bezüglich der Besitzergreifung eröffnen werde. Der 15. September 1806, der letzte Tag der alten Republik und der erste unter dem bayerischen Scepter, brach an. Kanonen­ donner verkündete schon am Morgen ein wichtiges Ereignis. Die französische Garnison unter General Frere und das städtische Militär rückten um 9 Uhr in Parade vor das Rathaus. Im großen Saale desselben versammelte sich der Rat und Bürger­ ausschuß2). Um 10 Uhr erschienen von französischer Seite: General Werle als Stadtkommandant, Inspektor Fririon als Übergabskommissär, von bayerischer Seite Graf Thürheim als Besitznahmekommissär, Landesdirektionsrat Freiherr von Lochner und Kammersekretär Faber als Protokollführer. Fririon verlas, während alle Glocken in der Stadt zu läuten und die Kanonen zu donnern begannen, folgende Ansprache3): J) Ratsverlässe vom 12. und 13. September 1806. 2) Am 13. September hatte der Rat »die dermalen von hier abwesenden hohen Ratsglieder schleunig und per expressum« aufgefordert, »sich sogleich zur Beiwohnung dieser Feierlichkeit allhier einzufinden«. Ratsverlaß vom 13. September 1806. 3) »Meine Herren! Durch den rheinischen Bundesvertrag vom 12. Juli dieses Jahres ist die Stadt Nürnberg nebst ihrem Gebiete dem Königreich Bayern einverleibt worden. Von Seiner Majestät dem Kaiser und König Napoleon beauftragt, die desfallsige Übergabe an Seine Königliche Majestät von Bayern zu bewirken, teile ich Ihnen hier die Akte mit, durch welche diese Handlung beurkundet wird. Die konstituierten Behörden und die sämtlichen Einwohner der Stadt Nürnberg und ihres Gebietes werden also hiedurch von dem ihrer vorigen Ver­ fassung gemäß geleisteten Eide entbunden und sind von nun an ihrem neuen Landesherrn, des Königs von Bayern Majestät, Treue schuldig. Diesem haben sie für die Zukunft ihre ganze Anhänglichkeit zu widmen und werden sich auch, wie ich versichert bin, um so mehr dazu aufgefordert finden, als die unermüdete Sorgfalt ihres künftigen Souveräns für dgis Wohl seiner Untertanen dafür bürgen kann, daß auch ihre Wohlfahrt der Gegenstand seiner steten Sorge dafür sein werde. 11

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»Messieurs, par le traite de la confederation des etats du Rhin, en date du douze Juillet dernier, la ville de Nuremberg est reunie ainsi que son territoire au royaume de Bavi&re. Charge par sa majeste l’empereur et roi Napole'on d’en faire la remise ä sa majeste le roi de Bavi&re, je vous notifie l’acte, qui constate cette Operation. Magistrats et habitants de la ville de Nuremberg et de son territoire, vous voilä degages du serment de fidelite ä votre ancienne Constitution; cette fidelite, vous la devez desormais ä votre nouveau souverain et c’est vers sa majeste le roi de Baviere que vos affections doiveres et vous, je suis sür, se dirigent. La constante sollicitude de sa majeste pour le bonheur de ses sujets vous est un sür garant des soins qu’elle prendra pour assurer votre prosperite. Je dois vous le commander, messieurs, de notifier sur le champs ä vos dependances le proces verbal de remise que je vous transmets et de lui donner toute la publicite' que son importance exige«. Hierauf wurde das Übergabsprotokoll, wie es Fririon und Thürheim vereinbart hatten, in französischer Sprache und deutscher Übersetzung vorgelesen und unterzeichnet. Sein Inhalt lautet: »Nachdem durch den XVII. Artikel der Föderativakte vom 12. Juli dieses Jahres bestimmt worden ist, daß sowohl die Souveränetät über die Reichsstadt Nürnberg selbst mit allem ihren Eigentum, als auch das durch die sogenannten Pflegämter konstituierte bisherige Territorium derselben an Seine Majestät den König von Bayern übergeben werden soll, so überweist heute zu dessen Vollziehung der von seiten Seiner Majestät des Kaisers von Frankreich und Königs von Italien Bevoll­ mächtigte an den Bevollmächtigten Seiner Majestät des Königs von Bayern: I. die Souveränetät über die Stadt Nürnberg selbst mit Aufhebung der bisherigen reichsstädtischen Verfassung und mit der vollen Befugnis, solche nach bayerischen Gesetzen zu »Ich ersuche Sie nächst dem, meine Herren, Ihren Untergebenen das Übergabsprotokoll, welches ich hier beifüge, ungesäumt bekannt zu machen und demselben alle die Publizität zu geben, welche seine Wichtigkeit erheischt«. K. Kreisarchiv Nürnberg, XXIII Ii/6, No. 4538.

163 regieren und einzurichten und nebstdem alles Eigentum an Gebäuden, Domänen, Waldungen, Geld- und Naturalgefällen, Aktivforderungen, Zinsen, welche der ehemalige Nürnberger Staat sowohl in der Stadt, in seinen Vorstädten Wöhrd und Gostenhof und den außerhalb der Mauern belegenen Gärten besessen, auch unter der seit 1796 hergestellten Landeshoheit der Fürstentümer Ansbach und Bayreuth, desgleichen im Fürsten­ tum Bamberg und sonst in Franken und in der Oberpfalz allerwärts noch besitzt, namentlich und vorzüglich auch die beiden Reichswälder mit den gewöhnlich unter dieser Benennung mitbegriffenen Distrikten, und zwar die Seite des Reichswaldes zu St. Lorenzen im Ansbacher und des St. Sebalder Reichs­ waldes im Erlanger Kreis des Bayreuther Fürstentums, des­ gleichen alle Stiftungen, Spitäler, Commenden und Ordens­ häuser in- und außerhalb der Stadt, alle Lehen, dominia directa et utilia, welche die Stadt durch Beleihung, durch Auftrag, durch erfüllte Lehensexspektanzen, per titulum onerosum oder sonst bis auf den heutigen Tag erworben hat, überhaupt mit allen Rechten eines Souveräns, eines Guts- und Lehensherrn, wie sie immer Namen haben mögen und wie sie bis jetzt unter Nürnberger Namen prätendiert und ausgeübt worden sind. II. Wird an Seine Majestät den König von Bayern über­ wiesen das Territorium von Nürnberg, bestehend in den jetzt noch vorhandenen Pflegämtern: 1) Altdorf mit allem, was dahin zu rechnen ist; 2) Lauf mit allem, was dahin zu rechnen ist, namentlich mit eingeschlossen die Landeshoheit über die in und an diesem Pflegamt gelegenen Rittergüter Neunhof und Beerbach, den Nürnberger Patriziern von Welser gehörig; 3) Hersbruck mit den einverleibten Ämtern Hersbruck und Reicheneck und was sonst dahin zu rechnen ist; 4) Velden mit allem, was dahin zu rechnen ist; 5) Betzenstein und Stierberg mit allem, was dahin zu rechnen ist, namentlich auch die Territorial- und Centobrigkeit über das von Egloffsteinsche Rittergut Leupoldstein; 6) Gräfenberg und Hilpoltstein mit allem dem, was dahin zu rechnen ist, und zwar also, daß unter diesen Übergaben nich allein die S ouveränetät, sondern auch das Eigentum ii

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mit dem vollen Rechte begriffen ist, solches gegen alle unbefugte Schmälerungen, Eingriffe oder Vergewaltigungen handzuhaben und frei zu erhalten. Der königlich bayerische Bevollmächtigte acceptiert diese Überweisung, vermöge deren Seine Majestät der König von Bayern hiermit wirklich in Besitz ergreift die Souveränetät über die Stadt Nürnberg in ihrem ganzen inneren Umfang und bis an ihre äußersten Posten und mit allen ihren Toren, keines davon ausgenommen, die Vorstädte Wöhrd und Gostenhof, alle übrigen bis ah die äußersten Linien gelegenen Häuser und Gärten, die Reichswälder St. Laurenzi und St. Sebaldi und alle gutsherr­ lichen Besitzungen, Gefälle, Lehen und Rechte der Stadt im Ansbacher und Bayreuther Fürstentum und sonst anderwärts in Franken und in der Oberpfalz oder wo sie gelegen, nichts davon ausgenommen. Desgleichen ergreift demzufolge Seine Majestät der König von Bayern außer der schon dem Fürsten­ tum Ansbach zugeteilten Pflege Lichtenau das Territorium und Eigentum von den Pflegämtern Altdorf, Lauf, Hersbruck, Velden, Gräfenberg, Hilpoltstein und Betzenstein mit allen den diesen Pflegämtern zukommenden Rechten und Ansprüchen und mit Widersprechung und Aufhebung aller von Dritten an diese Pflegämter gemachten oder noch zu machenden ungegründeten Zumutungen, indem Seine Majestät der König von Bayern die Stadt und ihr Territorium mit all dem, was dazu gehört und nach dem neuesten Stand der Dinge vor der französischen militärischen Besetzung und dem Sein der Föderativurkunde als dazu gehörig anzunehmen ist, fernerhin zu besetzen und hand­ zuhaben befugt sein sollen.« Graf Thürheim entband dann den Senat und alle Ein­ wohner in einer besonderen Adresse1) der bisherigen Pflichten und ließ das Besitzergreifungspatent vorlesen: »Wir Maximilian Joseph von Gottes Gnaden König von Bayern thun kund und fügen hiemit zu wissen, da vermöge des articuli XVII des rheinischen Bundesvertrages Unserm Königreiche mit Eigentum und Souveränetät die bis­ herige Reichsstadt Nürnberg und ihr Gebiet nebst den Deutsch*) K. Kreisarchiv Nürnberg, XXIII n/6, No. 4538.

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ordenskommenden Rohr und Waldstetten zugeteilt, auch dem­ selben in Gemäßheit des articuli XXIV des nämlichen Traktats mehrere Fürstentümer, Graf- und Herrschaften und Gebiete mit voller Souveränetät einverleibt und garantiert worden, als das Fürstentum Schwarzenberg, die Grafschaft Castell, die Herrschaften Speckfeld und Wiesentheid, das Fürstentum Hohen­ lohe, soweit dasselbe in der Markgrafschaft Ansbach und in dem Gebiete von Rothenburg inklarieret ist, namentlich die Oberämter Schillingsfürst und Kirchberg, die Grafschaft Stern­ stein, die Fürstentümer Öttingen, die Besitzungen des Fürsten Thurn und Taxis, welche an der Nordseite des Herzogtums Neuburg gelegen sind, die Grafschaft Edelstetten, die Besitzungen des Fürsten und der Grafen von Fugger, das Burggraviat von Winterrieden, endlich die Herrschaften Buxheim und Tann­ hausen und der ganze Umfang der von Memmingen nach Lindau ziehenden großen Landstraße, und diese genannten sämtlichen Besitzungen mit den oben ausgedrückten Rechten durch den Bevollmächtigten Seiner Majestät des Kaisers von Frankreich und Königs von Italien in einem besondern Akt an Uns über­ wiesen worden sind, so haben Wir in Gemäßheit des erwähnten Vertrages und dieser hiernach geschehenen Überweisung be­ schlossen, den Besitz gedachter Lande, Herrschaften und Ge­ biete nach herkömmlichen Formen ergreifen zu lassen und Unsere königliche Regierung über dieselbe hiermit wirklich anzutreten. — Wir thun dies kraft des gegenwärtigen Patentes und verlangen von deren Besitzern, ihrem bisherigen Militär, geistlichen und weltlichen Behörden sowie von Unsern übrigen neuen Untertanen, daß sie Uns als ihren König und Souverän erkennen, sich hiernach durchaus benehmen, alles verhindern und selbst vermeiden, was Unserm allerhöchsten Interesse nach­ teilig sein kann, überhaupt Unsern gegenwärtigen und künftigen Verfügungen jederzeit schuldigen Gehorsam leisten werden. — Dagegen erteilen Wir allen genannten Fürsten, Grafen, Herren und Unsern sämtlichen neuen Untertanen Unsere königliche Versicherung, daß Wir bei allen Unsern künftigen Anordnungen auf ihre Uns vorzutragenden Wünsche allezeit gerechte und gnädige Rücksicht nehmen und Unsere erste und angenehmste Regierungssorge dahin gerichtet sein werde, ihren Wohlstand

166 ebenso wie in Unsern ältern Landen zum höchstmöglichen Grade zu befördern. — Zu Urkunde dessen haben Wir gegen­ wärtiges Patent Allerhöchst eigenhändig vollzogen und mit Unserm königlichen Insiegel bestärken lassen. So geschehen und gegeben in Unserer Haupt- und Residenzstadt München am 3. September im Jahre 18061).« Graf Thürheim hat hierauf »nach einer gehaltenen kurzen Anrede den versammelten hohen Ratsgliedern nebst den Rats­ freunden und den beiden Ratssekretarien sowie dem Ausschuß* des löbl. Genanntencollegii den Eid der Treue und Unter­ tänigkeit im Allerhöchsten Namen Seiner k. Majestät von Bayern vorgehalten und sie zur Leistung desselben aufgefordert, worauf selbiger auch von sämtlichen Anwesenden mit erhobenen Fingern abgelegt und damit diese wichtige und feierliche Handlung beschlossen wurde«2). Als die bayerischen und französischen Kommissäre das Rathaus verlassen hatten, wurde die vollzogene Besitznahme »von einem Herold unter Begleitung der Krongardisten und der Trompeter an den bekannten Öffentlichen Plätzen feierlich verkündet und das k. Besitzergreifungspatent angeheftet«3). Bürgermeister und Rat zeigten der Bürgerschaft in einer eigenen Bekanntmachung die Besitzergreifung an: »Bürgermeister und Rat zu Nürnberg. Die Bundesakte der Rheinischen Staaten vom 12. Julius dieses Jahres verfüget im 17. Artikel: Seine Majestät der König von Bayern vereinigt mit seinen Staaten die Stadt Nürnberg und ihr Gebiet mit voller Souveränetät und Eigentum. Von dieser Verfügung hat, im Allerhöchsten Namen und Aufträge Seiner Majestät des Kaisers und Königs Napoleon, der kaiserliche Herr inspecteur aux revues, Generalkommissär und Offizier der Ehrenlegion, Fririon, uns heute öffentlich und feier­ lich Kenntnis gegeben. Und unmittelbar durch diese Verfügung höret die bisherige Staatsverfassung Nürnbergs und seines Gebietes auf. Beide, Stadt und Gebiet, treten unter die Herr­ schaft Seiner Majestät des Königs von Bayern. *) Originalausfertigung im k. Kreisarchiv Nürnberg, XXIII ii/i, No. 91. Gedruckte Patente in XXIII 1/6, No. 4537 und Akten des k. Be­ zirksamtes Nürnberg, No. 345. 2) Ratsverlaß vom 15. September 1806. 8) K. Kreisarchiv Nürnberg, XXIII 11/6, No. 4538.

167 In dieser Folge haben wir auch heute Allerhöchstgedachter Seiner Majestät dem Könige, unserm nunmehrigen Allergnädigsten Herrn, den Eid der Unterwürfigkeit und Treue abgelegt: Wir haben für uns und vorderhand auch in Eure Seelen, geliebte Mitbürger, gute Bürger und Untertanen Nürnbergs auf dem Lande, geschworen, und wir machen dieses alles hiemit öffent­ lich bekannt. Wollen wir alle unser wahrstes und innigstes Bestreben darinnen setzen, der allerhöchsten Huld und Gnade Seiner könig­ lichen Majestät von Bayern, unseres Allergnädigsten Herrn, durch Treue, Gehorsam und Liebe stets wert zu seinl Wir befestigen dadurch uns und unsern Nachkommen die glücklichste Zukunftl Nürnberg am 15. September 1806«. Nach Beendigung des Besitzergreifungsaktes hat Thürheim dem nunmehrigen Stadtmagistrate eine Reihe von Aufträgen erteilt: Einmal sollten sowohl Magistrat wie die ihm unter­ geordneten sämtlichen obrigkeitlichen Stellen in der Stadt und auf dem Lande »die bisherigen Geschäftsverrichtungen unter der obersten Leitung des Generallandkommissariates bis auf weitere in einzelnen Zweigen oder im Ganzen als notwendig und zweckmäßig erachtete Anordnungen ununterbrochen fort­ setzen«, wobei »das k. Generallandkommissariat sich der Über­ zeugung überließ, daß der Magistrat im Gefühle seiner heute beschwornen Pflichten gegen Seine k. Majestät sich beeifern werde, denen Allerhöchsten Gesinnungen in jeder Beziehung auf das genaueste zu entsprechen. Die Ausfertigungen werden bei dem Magistrate sowohl als bei allen andern Behörden mit Hinweglassung aller Prädikate, welche die vorige Verfassung bezeichnen, geschehen, die bisher üblichen sigilla werden aber solange noch beibehalten, bis die neuen verfertigt und dem Magistrat für sich und die übrigen Behörden übergeben sind«1). Diese Anweisung wurde abschriftlich sämtlichen Ämtern in der Stadt und auf dem Lande bekannt gemacht2). Dann hat Thürheim dem Stadtmagistrate »eine Anzahl Exemplarien des k, Besitzergreifungspatentes mit der Weisung 1) K. Kreisarchiv Nürnberg, XXIII ii/6, No. 4538. 2) K. Kreisarchiv vom 15. September 1806.

168 zugefertigt, solche auf dem Lande durch die geeigneten Be­ hörden an den Amthäusern, Gemeindehäusern und Kirchen anheften zu lassen und über die Befolgung dieser Weisung binnen 8 Tagen die schuldige Anzeige zu erstatten«1). Weiter hat der Stadtmagistrat »den kommissorialischen Auftrag erhalten, durch einige seiner Mitglieder und zwar durch den Ratsdirektor Freiherrn von Geuder, den Senator Freiherrn von Tücher, den Konsulenten Dr. Popp und den Konsulenten Dr. Roth alle ihm untergeordneten geistlichen und weltlichen Diener nach dem anliegenden Formular ungesäumt verpflichten zu lassen und die über diese Handlung aufzunehmenden Pro­ tokolle längstens binnen 8 Tagen einzureichen«2). Endlich wurde der Senator und Kriegsobrist Freiherr von Imhoff nachdem er selbst bei der Civilbesitznahme schon vereidigt worden war, beauftragt, »das sämtliche regulierte Militär der hiesigen Stadt, sowohl Offiziere als Gemeine, ungesäumt zu verpflichten, darüber ein Protokoll abzuhalten und solches binnen 3 Tagen mit Bericht vorzulegen«. Dieser berichtete erst am 2 7, September, daß »die Verpflichtung des gesamten allhiesigen Militärs und der dazu gehörigen wiewohl nicht obligaten Beamten« geschehen sei3). *) K. Kreisarchiv Nürnberg, XXIII ii/6, No. 4537. Auf eine An­ frage des Ratsdirektors von Geuder entschied das Generallandeskommissariat: »1) In denjenigen Orten, welche gegenwärtig noch von Preußen okkupiert sind, dürfen weder die k. Besitzergreifungspatente angeheftet, noch das in solchen Orten angestellte Dienstpersonal verpflichtet werden. 2) In denjenigen Orten, wo die bayerischen Landeshoheitszeichen unter anderen Verhältnissen schon angeheftet wurden und die Beamten den Diensteid Seiner k. Majestät geleistet haben, sind ebenfalls weder die Patente zu affigieren, noch sind die Beamten neuerdings zu verpflichten«. a) K. Kreisarchiv Nürnberg, XXIII ii/i, No. 178. Die Eidesformel hatte folgenden Wortlaut: »Ihr sollt geloben und schwören zu Gott dem All­ mächtigen einen leiblichen Eid, Seiner Majestät dem König von Bayern als Eurem nunmehrigen gnädigsten Souverän stets treu, hold und gewärtig sein, Allerhöchst dero Bestes und Interesse aus allen Kräften suchen und befördern, Schaden und Nachteil aber möglichst verhüten und abwenden, die Pflichten Eures Amtes nach ihrem ganzen Umfang mit der gewissenhaftesten Treue er­ füllen, Euren Vorgesetzten den gebührenden Gehorsam leisten und Euch über­ haupt in allen Stücken so betragen zu wollen, wie es einem getreuen Untertan und Diener des Staates gebührt. Ich N. N. schwöre, allem dem, was mir soeben vorgelesen worden und ich wohl verstanden habe, getreulich nachzu­ kommen, so wahr mir Gott helfe und sein heiliges Wort«. 8) K. Kreisarchiv Nürnberg, S. II, L. 47, No. 10 und XXIII 11/1, No. 178.

169 Gleichsam als Abschluß der Ereignisse des 15. September sandte Graf Thürheim über alle Vorgänge des* Tages einen Bericht nach München, der mit den Worten schließt: »Alle bis jetzt gesammelten Notizen bestätigen mich in der Über­ zeugung, daß diese Akquisition des Vorgefundenen enormen Schuldenstandes ungeachtet von der höchsten Wichtigkeit ist und in kurzer Zeit, von den Fesseln einer veralteten Verfassung befreit, eine blühende Lage erlangen wird«1). Eine wenig glückliche Hand hatte Graf Thürheim bei der Auswahl des neuen Polizeidirektors in der Person Christian Wurms, welchem noch am 1 5. September »die Akten und Papiere« des Polizeidirektoriums »hinausgegeben« wurden2). Er hat sich wegen seiner rücksichtslosen Strenge und Gewalttätigkeit ver­ haßt und berüchtigt gemacht3). Ihm wurde die Theaterzensur, »die Zensur des hiesigen Intelligenzblattes«, welchem er nach und nach jene Einrichtung geben sollte, »die dasselbe nach seiner Bestimmung als öffentliches Volksblatt haben soll«, die Zensur der politischen Zeitungen4) übertragen5).* Die dafür bestandenen Deputationen wurden aufgelöst0). Bei der Aus­ übung der Zensur hatte Wurm nach Anweisung Thürheims »seine Aufmerksamkeit darauf zu richten, daß keine Artikel, welche beim allerhöchsten kaiserlichen französischen Hofe und den anderen allerhöchsten und höchsten Souveränen Veranlassung zu Beschwerden geben könnten, aufgenommen werden* ferner solche Artikel, welche das allerhöchste Interesse des k. bayerischen Hofes zunächst angehen, nicht eher einrücken zu lassen, bis sie in der Münchener Hof- und Staatszeitung erschienen sind«7). h Konzept im k. Kreisarchiv Nürnberg, XXIII n/6, No. 4538, Ori­ ginalausfertigung im k. Geh. Staatsarchiv München. Der Kuriosität halber sei hier erwähnt, daß der k. preußische Legationssekretär am Kreise sowie der kurhessische und kursächsische Gesandte »die vor ihren Häusern befindlichen Wappen nicht abzunehmen gedenken, weil sie die Rechtmäßigkeit der vorge­ gangenen Auflösung des Kreises widersprechen. Ich werde, so berichtet Thürheim, die sämtlichen Herren, da ich von ihrem ehemaligen diplomatischen Charakter keine weitere Notiz nehmen kann, bis morgen durch die Polizei ersuchen lassen, die Wappen von den Haustoren abzunehmen, was denn nach eingeholter Instruktion wahrscheinlich ein jeder wohl auch tun wird«. 2) Ratsverlaß vom 15. September 1806. 3) Dr. E. Mummenhoff im Adreßbuch von Nürnberg 1905, IV. Teil, S. 1. 4) Die »Felseckersche Zeitung« und der »Fränkische Korrespondent«. 5) Ratsverlässe vom 17. und 19. September 1806. 0) Ratsverlaß vom 18. September 1806. 7) K. Kreisarchiv Nürnberg, XXIII 11/5, No. 3727.

170 In den folgenden Tagen und Monaten wurde die gesamte bis­ herige Staatsverwaltung einer eingehenden Kontrolle unterworfen, die Neuorganisation in Angriff genommen oder damit fort­ gefahren; sie zu schildern, fällt nicht mehr in den Rahmen dieser Ausführungen. Bayern hatte von Nürnberg und seinem Gebiete Besitz ergriffen-, diese Besitzergreifung sollte durch eine kirchliche Feier die religiöse Sanktion erhalten und durch ein kirchliches Dankfest verherrlicht werden. In Übereinstimmung mit einem »hochverehrlichen Reskript1) des hochpreislichen Generallandes­ kommissariates« wurde den Predigern aller Konfessionen in der Stadt und auf dem Lande befohlen, am Sonntag den 2 1. September folgende kirchliche Feierlichkeiten abzuhalten: »1. Über einen schicklichen Text die Frühpredigt zu halten, der Regierungsveränderung darin Erwähnung zu tun und die feierliche Absingung des Te Deum laudamus zu be­ sorgen; 2. in der Stadt sollten »das gesamte hochansehnliche Rats­ kollegium mit Einschluß der Herren Ratsconsiliariorum, dann die Gerichte, auf dem Lande aber die Pflegämter und Stadtmagistrate oder Gerichte, wie nicht minder in Altdorf die Akademie diesem Gottesdienste beiwohnen und sich deshalb in feierlicher Prozession in die Kirche be­ geben« 2). Dazu wurde ferner angeordnet, »dem kaiserlich franzö­ sischen Herrn General Werle hievon die erforderliche Anzeige zu machen« und »ist 1. Das Ratsdirektorium zu ersuchen, die sämtlichen hiesigen Gerichte unverzüglich aufzufordern sich auf künftigen Sonntag um halbweg 9 Uhr früh in schwarzer Kleidung einzufinden, um dieser Feierlichkeit beizuwohnen. 2. Ist von Seite der Militärbehörde der Herr General von Eckert zu ersuchen, die im fränkischen Zeughaus be­ findlichen Kanonen nebst denen dazu gehörigen Kanonieren zu der bevorstehenden Feierlichkeit verabfolgen zu lassen *) Reskript vom 17. September 1806. K. Kreisarchiv Nürnberg, S. II, L. 27, No. 18. 2) Ratsverlaß vom 18. September 1806.

171 und zu beordern*, nicht minder sind auch von bemeldeter Behörde in Ansehung der Feldwebel, der Einspänniger und der erforderlichen Militärs die nötigen Verfügungen zu treffen und zu dem Ende derselben von dem von Halleri­ schen Plan quoad passus concernentes Mitteilung zu machen. 3. Ist von Seite des Kirchen* und Vormundamtes die Ver­ anstaltung zu treffen, daß mit Hinweglassung des Vorgottes­ dienstes in der Sebalder Kirche (welcher jedoch in den übrigen Kirchen zu halten ist) der Gottesdienst auf das gegebene Zeichen angefangen und für den Herrn Baron von Lochner oder andere etwann hiebei sich einfindende hohe Standespersonen die Pömerischen und Nüzelischen Emporkirchen bereit gehalten werden«1). Graf Thürheitn wurde noch eine besondere Ehrung zugedacht, indem ihm bei der Feierlichkeit »die militärischen Honneurs mit Abfeuerung der Gewehre« gemacht wurden2). Das Vormund­ amt ordnete in Ausführung all dieser Weisungen an, daß sämtliche Mesner darauf Achtung haben sollen, »wenn in der Hauptpfarrkirche zu St. Sebald bei Absingung des Te Deum laudamus angefangen wird, mit allen Glocken zu läuten, wornach sie sodann ebenfalls ihr Geläute anziehen sollen, solange als bei St. Sebald geläutet wird«. Hierauf wird das k. Besitzergreifungspatent von dem Balkon der Frauenkirche herab verlesen. Sobald dieses geendigt und »mit dem Vivat-Rufen angefangen wird, müssen sogleich alle Glocken ertönen, wozu dem Sebalder Mesner ein Zeichen gegeben werden wird und hierauf alle Geläute wieder einfallen sollen«3). Am Samstag (20. September) nachmittags 2 Uhr wurde das Fest eingeläutet und die Kirchen »gleich an anderen Festen« dekoriert. »Wegen der künftig zu gebrauchenden Formel des Gebetes für den Landesherrn« wurde mit Freiherrn von Lochner Rück­ sprache genommen4). Der Kanzleibuchdrucker Milberdt stellte die nötige Anzahl her. Es hat folgenden Wortlaut: !) 2) 3) 4)

Ratsverlaß vom Desgl. vom 20 K. Kreisarchiv Ratsverlaß vom

19. September 1806. September 1806. Nürnberg, S. II, L. 27, No. 18. 17. September 1806.

172 »Fürnehmlich aber laß deine Barmherzigkeit groß werden über unsern allerteuersten König und Herrn, über die Königin, seine Gemahlin, über die königlichen Prinzen und Prinzessinen, über alle, die dem königlichen Hause anverwandt und zugetan sindl Setze sie bei gesundem und langem Leben zum be­ ständigen Segen und christlichen Fürbilde deinem Volke für und fürl Sonderlich wollest du, o Herr, unserem König zu seiner Regierung geben und verleihen ein weises Herz, königliche Gedanken, heilsame Ratschläge, gerechte Werke einen tapfern Mut, starken Arm, verständige und getreue Räte zu Kriegs- und Friedenszeiten, sieghafte Kriegsheere, getreue Diener, gehorsame Untertanen, damit wir noch lange Zeit unter seinem Schirm ein geruhiges und stilles Leben führen mögen, in aller Gottseligkeit und Ehrbarkeit«1). Bei der Feier in St. Sebald kam unter Mitwirkung von Mitgliedern des Theaters eine von dem Musikdirektor Mainberger verfaßte und komponierte Kantate zur Aufführung, die mit großem Beifalle aufgenommen wurde2). In aller Frühe wurden am 21. September 1806 aus dem Zeughause des fränkischen Kreises 8 Kanonen auf die Freiung vor der Burg gebracht, 4 gegen die Stadt, 4 gegen das Land gerichtet, die das erstemal bei Anbruch des Tages, das zweite­ mal bei dem Te Deum laudamus in St. Sebald, das drittemal bei und nach Verlesung des Besitzergreifungspatentes vom Balkon der Frauenkirche, das letztemal bei Sonnenuntergang abgefeuert wurden3). Am Abend fand Beleuchtung des Rathauses und einiger anderer Häuser und im Reichsadler Vauxhall statt. Bei diesen Festlichkeiten fehlte es natürlich nicht an Gelegenheitsgedichten, Kantaten, gereimten und ungereimten Toasten auf Napoleon, König Max Joseph, den Rheinbund und Grafen Thürheim, »der uns zu Bayern schuf«. *) K. Kreisarchiv Nürnberg, S. II, L. 27, No. 18. Ratsverlaß vom 20. September 1806. 2) A. a. O. — Ratsverlaß vom 25. September 1806. 3) Abgesehen von 25 fl. Remuneration für die Artilleristen, welche am 16. und 21. September 1806 die Kanonen bedienten, kam die ganze Kanonade laut Rechnung des Zeugwartes W. N. Kußwurm auf 203 fl. 35 Kr. Abgefeuert wurden 295 (i5o-f-i45)- Schuß. K. Kreisarchiv Nürnberg, S. II, L. 47, No. 11. — K. Geh. Staatsarchiv München, K. schw. 388, No. 16.

173 Alles verlief, wie es den Anschein hat, programmäßig, abgesehen von dem nicht vorgesehenen »Schießen, Schwärmer­ werfen usw.«, wodurch nach einer alten Sitte »der Pöbel aus mehreren Ständen« seine Teilnahme zu äußern sich erlaubte, »eine Ungezogenheit, welche die Toleranz der vorigen Polizei charakterisiert«1), und welche »an jene barbarischen Zeiten erinnert, da ungezähmte Willkür und ungebundene Pöbelhaftigkeit freien Lauf hatten«2). In den Pfarrkirchen auf dem Lande wurde gleichfalls am 21., zumeist aber erst am 28. September 1806, die vorgeschriebene kirchliche Feier abgehalten3). Am 13. Oktober 1806 übernahm Oberstleutnant De la Motte »die Kommandantschaft der Stadt Nürnberg«4). König Max Joseph drückte dem Grafen Thürheim seine Zufriedenheit aus über die von ihm geleitete Besitznahme der Stadt und ihres Gebietes. »Es ist wohl geschehen, daß Ihr dabei alles zu vermeiden gesucht habt, was irgend eine gegründete Beschwerde veranlassen könnte«5).б Erst nach zwei Jahren konnte die völlige Neuorganisation Nürnbergs ins Leben treten. Ein ehemals reichsstädtisches Amt nach dem andern ist aufgelöst worden, der Rat votierte allen den Dank für »den mit ebensoviel Einsicht und Geschäfts­ kenntnis als unermüdeter Tätigkeit bei ihren bisherigen Arbeiten und Geschäften bezeigten patriotischen Eifer«. Er selbst trat am 21. Oktober 1808°) zum letztenmal zusammen, nachdem sein Wirkungskreis mehr und mehr verengert worden war. Ihm stattete niemand einen Dank ab. x) Worte Wurms vom4 25 September 1806. K. Kreisarchiv Nürnberg, XXIII 11/1, No. 192. а) Polizeiverbot vom 23. September 1806 a. a. O. 3) Pfarrer J. G. W. Haas von Henfenfeld legte seiner Predigt I. Sam. 12—15 zu Gründe. »Von 12—I Uhr wurde mit allen Glocken geläutet, welches aber der französische Kapitän zu unterbrechen beliebte, indem er 2 Soldaten in die Kirche schickte, welche die Glockenstränge aufhielten, weil es seine Ohren beleidigte. Sobald sich aber die Soldaten entfernten, wurde angefangen und bis 1 Uhr ungehindert fortgeläutet«. K. Kreisarchiv Nürnberg, S. II, L. 27, No. 18. 4) K. Kreisarchiv Nürnberg, S II, L. 47, No. 11. 5) Konzept (von Staatsrat von Zentner) im k. Geh. Staatsarchiv Mün­ chen, Originalausfertigung im k. Kreisarchiv Nürnberg, XXIII 11/6, No. 4538. б) Von diesem Tage ist der letzte Ratsverlaß datiert. Die Auflösung erfolgte durch Verordnung vom 28. Oktober 1808. J. Priem, Geschichte der Stadt Nürnberg, 1875, S. 317*

174 Bei der^Bjjaeuen Landeseinteilung im Jahre 1808 wurde Nürnberg die Hauptstadt des Pegnitzkreises, Ansbach die Haupt­ stadt des Rezatkreises, durch k. Verordnung vom 23. September 1810 verschwand der Pegnitzkreis, Ansbach ward der Sitz des Generallandeskommissariates des Rezatkreises, dem ersterer ein­ verleibt worden war1). Die Bevölkerung Nürnbergs war nach einer von der k. Polizeidirektion vorgenommenen Zählung bei weitem nicht so stark, als man bisher, verleitet durch trügerische Schätzungen, anzunehmen gewohnt war. Sie bestand aus 25 1 76 Seelen2). Unsere Geschichtserzählung3) entrollt für die vier letzten Jahre der Selbständigkeit Nürnbergs ein düsteres Bild der Zustände im Deutschen Reiche und jener schmachvollen Zeit, in der deutsche Fürsten und Reichsstände als zudringliche Bettler vor der Türe des übermütigen Emporkömmlings Napoleon standen, entweder um einen Anteil am allgemeinen Länderraub oder um Fristung ihres politischen Daseins flehend. Alle Bemühungen der Reichsstadt Nürnberg um die Erhaltung der Reichsstandschaft und der Selbstherrlichkeit waren umsonst gewesen. Es fehlten die Grundbedingungen ihrer Fortexistenz, wenn ihr auch im Frieden von Luneville der Schein ihrer reichs­ unmittelbaren Selbständigkeit noch gelassen worden war. Die Gründung des Rheinbundes unter dem Protektorate Napoleons schlug das altehrwürdige heilige römische Reich deutscher Nation, welches über ein volles Jahrtausend bestanden hatte, in Trümmer, tilgte den Rest seines großen Namens, verscheuchte den Schatten ehemaliger Herrlichkeit. Neue, lebenskräftige Staatengebilde traten in die Erscheinung, welche Zwerggebilde, *) Dr. E. Mummenhoff im Adreßbuch der Stadt Nürnberg für 1905, IV. Teil, S. 1. 2) Davon waren 2712 Hausbesitzer, 4005 Mietsleute, 5297 Männer, 6079 Frauen, 3963 Kinder männlichen und 4573 Kinder weiblichen Ge­ schlechtes, 5264 Dienstboten und Verwandte. — K. Kreisarchiv Nürnberg, XXIII 11/1, No. 95. — 3) Das Folgende nach E. Reicke, Geschichte der Reichsstadt Nürnberg, 1896. J. Baader, Streiflichter auf die Zeit der tiefsten Erniedrigung Deutsch­ lands 1878. — J. Baader, der Reichsstadt Nürnberg letztes Schicksal und ihr Übergang an Bayern. 1863. — E. Fentsch in der Bavaria, III. Band. 1865. — L. A. W. Marx, Geschichte der Reichsstadt Nürnberg, 1806. — Th. Bitterauf, Geschichte des Rheinbundes, 1905. — K. Süßheim, Preußens Politik in Ansbach-Bayreuth 1791 — 1806. 1902. — J. P. Priem, Geschichte der Stadt Nürnberg, 1875.

175 wie sie im alten Reich so zahlreich vorhanden waren, neben sich nicht duldeten. Diesem Werdeprozeß fiel auch die Reichsstadt Nürnberg zum Opfer. Unfruchtbar zwar, aber rührend, erhebend und anerkennenswert waren die während vier Jahren nie rasten­ den Bemühungen, gegen ein unvermeidliches Schicksal sich zu stemmen. Nürnberg ward durch ein Dekret Napoleons dem mächtig um sich greifenden Neubayern einverleibt, an dessen Spitze ein kraftvoller und skrupelloser Staatsmann aus der Schule Macchiavellis stand, Max Joseph Freiherr (später Graf) von Montgelas. »Der Verlust der Reichsunmittelbarkeit«, sagte König Max Joseph in der Audienz zu Nymphenburg am 8. August 1806 zu den Abgeordneten der Stadt Nürnberg, »ist für Nürnberg allerdings ein Unglück* da es aber nicht anders sein konnte, so hoffe ich, es sei noch das Beste, daß die Stadt mir zugeteilt würde, statt einem anderen«. Diese Hoffnung des Königs hat sich in glänzender Weise erfüllt. Von ihrer Freiheit und Selbständigkeit sank sie zwar auf die Stufe einer bayerischen Provinzialstadt herab, aber nicht zu ihrem Nachteil. Nicht ohne Mißtrauen, das mehr im geheimen sich geltend machte, als sich an die Öffentlichkeit wagte, fügte sich die Stadt der neuen Ordnung. »Gutmütigkeit und Anhänglichkeit an die Regierung waren von jeher herrschende Züge der Be­ völkerung, die sie auch bis jetzt beibehalten haben* dazu gesellt sich aber ein Mißtrauen bei allen neuen Einrichtungen, welches aus dem Geiste der magistratischen Verwaltung und den politischen Verhältnissen der Reichsstädte überhaupt sich schon erklären läßt. Bei der beschränkten Lage derselben, bei dem beständigen Kampfe, eine Existenz zu erhalten, welche nach dem Geiste der Zeit und nach den höheren Forderungen der Politik und des allgemeinen Wohles sich längst als unhaltbar für den Denker ausgesprochen hatte, mußte eine beständige Aufmerksamkeit auf alle, auch die unbedeutendsten Vorgänge, ein ängstliches Streben der Regierungsgewalt, die wahre Lage der Sache vor den Augen des Bürgers zu verderben, die klein­ liche Beobachtung und Beibehaltung aller Formen, welche man als Ersatz der verlorenen Macht und Größe betrachtete, den Geist der Einwohner niederdrücken, den freien Gang des Genies aufhalten, den Menschen an beschränkte Ansichten gewöhnen

176 und blindes Vertrauen an das alte einflößen. Diese Maßregel brachte als eine Folge natürlich bei der gesamten Masse der Einwohner die nämlichen Wirkungen hervor, welche dieselbe bei dem einzelnen Menschen erzeugt, und welche sich in dem ängstlichen Mißtrauen bei neuen Einrichtungen äußert. Es ist auffallend wie sehr dieser Geist des Kleinlichen, diese Anhäng­ lichkeit an alte Formen, das Mißtrauen auf die Folgen jeder neuen Unternehmung, dies beschränkte Wirken in dem gewöhnten engen Kreise sich bei jeder Klasse der Einwohner äußert. Nur Belehrung und ein ruhiger Gang der Regierung bei Anwendung der Gesetze kann hier wohltätig auf den Geist des Volkes wirken, statt daß zu strenge Maßregeln hier im ganzen sowie bei dem einzelnen Menschen einen Starrsinn erzeugen würden, den man wohl bekämpfen könnte, welchen aber eine humane Regierung nie selbst veranlassen wird. Daß die leider in allen Ständen herrschende Armut sehr nachteilig auf die Geistes­ entwicklung wirkt, ist nicht zu verkennen, und daher werden zweckmäßig eingerichtete Schulanstalten, Beförderung der Indu­ strie und Aufmunterung der Einwohner, welche sich vorzüglich in irgend einer Beziehung auszeichnen, vorteilhaft dazu wirken, die schlafenden Kräfte zu wecken und den Charakter des Volkes zu erheben« *). Dieses in den Grundzügen vorgezeichnete Programm ward unter der Leitung der bayerischen Regierung und der Mitwirkung der Bevölkerung Nürnbergs verwirklicht. Wenn auch anfänglich nur schwach und langsam wiederaufblühend, nahm die Stadt etwa seit der Mitte des 19. Jahrhunderts einen fröhlichen, unaufhaltsamen Aufschwung. Mit der Einverleibung in einen größeren Staat, dessen Konstitution der städtischen Selbständig­ keit nichts weniger als eine unerträgliche Schranke setzte, gewann sie Muße und Sammlung, größere Verhältnisse schufen einen erweiterten Gesichtskreis, und dieser Gewinn konnte mit dem Verluste einer nicht republikanischen, sondern oligarchischen Verfassung leicht versöhnen. In kurzer Zeit gab Nürnberg Zeugnis, daß ihm jene Kraft nicht abhanden gekommen war, welche seine stolze Größe im Mittelalter gebildet hatte, daß es *) Gutachten des Freiherrn von Lochner vom 12. März 1807. K. Kreis­ archiv Nürnberg, XXIII 11/1, No. 95.

177 nur eines Fermentes bedurfte, um in die erschlafften Organe wieder Tätigkeit, in die Stagnation wieder Bewegung zu bringen. Nürnberg lebte wieder auf durch die Gunst seiner Lage, durch die Tüchtigkeit seiner Bewohner, durch verständnisvolle För­ derung, durch Eingehen auf die Forderungen des Jahrhunderts, durch rege .Teilnahme an allen Fragen, welche an das moderne Staatsbürgertum herantreten. Dadurch hat es das alte Erbe seines Ruhmes revindiziert und ist zu jener Bedeutung als Handels- und Industriestadt gelangt, die die Welt auf der Landesausstellung 1906 bewundern muß. Hoch und stolz erhebt heute Nürnberg unter dem Schirme eines gottbegnadeten Enkels)König Max’ I. sein Haupt; denn es hat verstanden und versteht es noch, die ganze unendliche Fülle des modernen Lebens zu vereinigen mit dem unvergäng­ lichen Glanze der Vorzeit.

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Zur Politik der Reichsstadt Nürnberg vom Ende des Reichstages zu Speier 1529 bis zur Über­ gabe der Augsburgisehen Konfession 1530. Von

Dr. K. Schornbaum. Oft genug hatten auf dem Reichstage zu Speier die evan­ gelischen Stände versucht, die Majorität zur Milderung der Beschlüsse zu bewegen, welche die Ausbreitung der neuen Lehre unmöglich machten, und da, wo sie schon eingedrungen war, ihren Bestand sehr gefährdeten. Es war vergebens. So sahen sie sich denn am 19. April 1529 gezwungen, gegen den Beschluß der Mehrheit, der zum Reichstagsbeschluß erhoben werden sollte, zu protestieren1). Der Größe der drohenden Gefahr konnte sich keiner von ihnen mehr verschließen. Es verwundert nicht, wenn sich jetzt etliche zur gemeinsamen Verteidigung ihrer religiösen Überzeugung zusammenfanden. Am 22. April 1529 schlossen Sachsen und Hessen mit Straßburg, Ulm und Nürnberg ein »sonderliches geheimes Verständnis«. Genaue Festsetzungen sollten am 6. Juni zu Rodach erfolgen2). Das war um so leichter gegangen, als eine Straßburger Erklärung die Gegensätze in der Abendmahlslehre möglichst hatte zurücktreten lasten3). *) J. Ney, Geschichte des Reichstages zu Speier im Jahre 1529. Ham­ burg 1880. S. 231 ff. F. W. Hassenkamp, Hessische Kirchengeschichte im Zeitalter der Reformation. Marburg 1852, I, S. i84ff. 2) J. Ney, S. 222, 270h J. J. Müller, Historie von der evan­ gelischen Stände Protestation und Augsburgisehen Konfession. Jena 1705. S. 229. Die Artikel, welche in Rodach beraten werden sollten, im Nürnberger Kreisarchiv. Ansb. Rel. Acta VII, F. 52 f. AA. No. 1459* Cf. H. Virck, Politische Korrespondenz der Stadt Straßburg. I. Straßburg. S. 367. K. Th. Keim, Schwäbische Reformationsgeschichte bis zum Augsburger Reichstag. Tübingen 1855. S. 113. 3) Virck S. 349, Anm. Auf diese Erklärung nimmt auch das weiter unten zu erwähnende Nürnberger Gutachten vom 19. Juni 1529 Bezug. S. J.

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Die Unionspolitik des Landgrafen Philipp hatte damit einen großen Erfolg erzielt. Unermüdlich arbeitete er jetzt daran, die Luther und Zwingli trennenden Punkte wo möglich durch eine mündliche Beratung zu beseitigen1). Doch bald machte sich in Sachsen ein lebhafter Wider­ spruch dagegen geltend. Melanchthon empfand nach der Heim­ kehr von Speier die ärgsten Gewissensbisse, daß man sich mit den »Sakramentierern« soweit eingelassen hatte2). Er glaubte schon den Untergang des ganzen Reiches vor Augen zu sehen3). Am liebsten wäre es ihm gewesen, wenn Kurfürst Johann ihm den Besuch des Marburger Religionsgespräches verboten hätte4). J. Camerarius5) wie Laz. Spengler6) und Hier. Baumgartner7) gegenüber schüttete er sein Herz in beweglichen Worten aus. Ihm schloß sich Luther an. Bei seinem unbedingten Gott­ vertrauen sah er der drohenden Gefahr ruhig ins Auge*, nach­ drücklich warnte er den Kurfürsten, sich in ein Bündnis mit den Schweizern einzulassen8)*, nicht minder entschieden war sein Widerspruch gegen das Marburger Gespräch9). Kurfürst B. Rieder er, Nachrichten zur Kirchen-, Gelehrten- und Büchergeschichte. II. Altdorf 1765. S. 219. Nürnberg hatte am 8. und 10 April 1529 in die Pro­ testation eingewilligt. Der Rat an Chr. Kreß, Chr. Tetzel, B. Baumgartner 9. und 10. April 1529. Briefbuch (Nürnb. Kreisarchiv) Nr. 99, F. 39. 44. Rats­ verlässe vom 8. und 10. April 1529, ged. in: Der freyen Reichs-Stadt Nürn­ berg vestgegründete Landes- und Oberherrlichkeit nebst der daraus abfließenden Kirchengewalt und des Episcopalrechts. Wittenberg 1797. S. 28. *) Hassenkamp II, S. 23b 2) Melanchthon an J. Jonas 11. und 14. Juni 1529. Corpus Reformatorum ed. C. G. Bretschnei der. Halle 1834. I, Sp. 1075b Luther an Jonas: Philippus sese macerat cura rei ecclesiasticae et reipublicae usque ad periculum valetudinis. 14. Juni 1529. E. L. Enders, Dr. M. Luthers Briefwechsel. Calw und Stuttgart 1897. VII, S. 115. Cf. L. Ranke, Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Leipzig 1804. 7. Aufl. III, S. 119. 3) Melanchthon an Spengler: et est periculum, ne qua imperii mutatio ex his principiis sequatur. C. Ref. I, Sp. 1069. Cf. Hassenkamp I, S. 190b 4) Melanchthon an Joh. Friedrich 14. Mai 1529. C. R. 1, Sp. 1064b 5) 17. Mai 1529. C. Ref. I, Sp. 1068. Cb Melanchthon an Philipp 22. Juni 1529. C. R. I, Sp. 1077. ö) 17. Mai 1529. C. Ref. I, Sp. 1069. 7) 17. Mai 1529. 20. Juni 1529. C. Ref. I, Sp. 1070, 1077, 1086. 8) Luther an Johann von Sachsen. 22. Mai 1529. M. De Wette, Dr. Martin Luthers Briefe, Sendschreiben und Bedenken. Berlin 1827. III, S. 454ff. Cf. Enders VII, S. ioif. ca. 31. Mai 1529. S. De Wette III, S. 465. Enders VII, S. noff. Cf. S. 138. Hassenkamp I, S. 192 ff. Ranke III, S. 119. °) Luther an Philipp v. Hessen d. d. 23. Juni 1529. Enders VII, S. 121 ff. Cb S. 140, 155. 2

180 Johann ließ sich von ihnen Überzeugen; er selbst hegte jetzt Bedenken, ob es zu verantworten wäre, allen Plänen des Land­ grafen zu folgen. Aber offen wagte er doch nicht mit ihm zu brechen. Es wäre ihm jetzt am liebsten gewesen, wenn in Nürnberg das Religionsgespräch stattgefunden hätte1). In Ab­ wesenheit Philipps glaubte er eines vollen Sieges über die Sakramentierer sicher zu sein. Die Reichsstadt selbst aber sollte einen derartigen Antrag an die Fürsten bringen. Aber noch mehr erwartete Johann von ihr, er hoffte sie dazu zu bewegen, auf dem Tage zu Rodach gegen ein Bündnis mit den Sakramentierern Widerspruch zu erheben, damit der Plan Philipps scheiterte. Am Ende Mai sollte in Nürnberg die Abordnung der Gesandtschaft zur Übermittlung der Appellation an den Kaiser erfolgen2). Sachsen wurde dabei vom Kanzler Christian Baier vertreten; bei dieser Gelegenheit sollte er bei dem Rate in obigem Sinne Anregung tun3). Man konnte auf Erfolg hoffen; denn vieler Sympathien erfreute sich Zwingli nicht in Nürnberg4). Hier übte auch einer seiner entschiedensten Gegner, Laz. Spengler, einen bedeutenden Einfluß in politischer Hinsicht aus. Und doch bereitete das Ansuchen Baiers, das in aller Stille an die Herren Ältern er­ ging5), dem Rate große Schwierigkeiten. Theologisch stimmte man Sachsen vollkommen bei. Von einem Religionsgespräch wollte man ebensowenig etwas wissen; aber für ein solch entschiedenesVorgehen, wie es Sachsen wünschte, für ein Abbrechen sämtlicher Beziehungen mit Straßburg und Ulm war doch nur eine Minorität unter Führung Spenglers zu haben. Er besaß etwas von dem Glaubensmute Luthers und Kurfürst Johann an Melanchthon 19. Mai 1529. C. R. I, Sp. 1071. G. Mentz, Job. Friedrich der Großmütige 1503 — 1554. I. Jena 1903. S. 43. 2) Fr. Dobel, Memmingen im Reformationszeitalter. III. Augsburg 1877. S. 22, 72. J. J. Müller S. 243ff. G. Ludewig, Die Politik Nürn­ bergs im Zeitalter der Reformation. Göttingen 1893. S. 94ff. Fr. v Soden, Beiträge zur Geschichte der Reformation und der Sitten jener Zeit. Nürnberg 1855. S. 326 f. 8) Corp. Ref. I, Sp. 1071. 4) W. Möller, Andreas Osiander. Elberfeld 1870. S. 8off. L. Eisenlöffel, Franz Kolb ein Reformator Wertheims, Nürnbergs, Berns. Zell 1893. Erl. Diss. S. 44 ff. ö) L. Spengler an Georg Vogler 12. Dezember 1529. Ansb. Rel. Acta VII, F. 396.

181 ließ sich durch die drohende Gefahr nicht abwendig machen, der Stimme seines Gewissens zu folgen1). Die Majorität hielt es aber nicht nur für möglich, mit den Städten Straßburg und Ulm trotz ihrer abweichenden Ansicht über das Abendmahl zu­ sammenzugehen 2)*, im Augenblick war es für die Reichsstadt noch dazu von unschätzbarem Vorteil, beide auf ihrer Seite zu haben. Der Bundestag zu Ulm (6. Febr. bis Anfang März 1529) hatte sich noch einmal mit den Packschen Händeln beschäftigt. H. Forner, der sich von dem Agenten Philipps, Seb. Haller, in Döckingen hatte anwerben lassen und atn Palm­ sonntage 1528 mit einem Haufen neugeworbener Kriegsknechte in Nürnberg zu erscheinen zugesagt hatte, hatte dem schwäbischen Bunde das Material zur Verfügung gestellt, auf Grund dessen man energisch gegen die Reichsstadt wegen Teilnahme an dem Kriegszug Philipps vorzugehen können hoffte3). Man hatte dem Rate eine lange Reihe von verfänglichen Fragen zur Ver­ antwortung auf dem nächsten Bundestage, der am 1. Juni 1529 in Augsburg abgehalten werden sollte4), zugeschickt. Mußte nicht jetzt nach dem Reichstage zu Speier der Mut der katholischen Stände des Bundes bedeutend gestiegen sein? Schon aus diesem Grunde glaubten es die Herren Altern nicht verantworten zu können, sich der Unterstützung Straßburgs und Ulms zu be­ rauben5). Mit Rücksicht auf den schwäbischen Bund hatte der Rat 5) Gegen das Bündnis: Laz. Spengler an Vogler 8. Nov. 1529. A. Rel. A. VII, 227, gedr. bei Ed. En gelhardt, Ehrengedächtnis der Reformation in Franken. Nürnberg 1869. S. 230. 15. November 1529: »ich bin so thöricht, daß ich leiden mag, daß aus diesem Verständnis nichts wird«. A. Rel. A. 10, F. 169, 12. Dezember 1529. A. Rel. 7, F. 396. Gegen das Gespräch: an Veit Diet­ rich, 10. August 1529, M. M. Mayer, Spengleriana. Nürnberg 1830. S- 6q. 2) So schrieb z. B. Kreß an B. Baumgartner nach dem resultatlosen Tage von Rodach 18. Juni 1529, die Sache stehe nicht unrecht und erhoffe, daß seine Herren noch Nutzen und Vorteil davon haben werden. S. I, L. 75, N. 19a, F. 10. 3) Hans Forner an die Versammlung des schw. Bundes d. d. Mon. n. Inv. (15. Februar) 1529. Kreisarchiv Nürnberg S. I, L. 75, N. 19a, Fase. 16. 4) Schw. Bund an Nürnberg 27. Februar 1529. S. I, L. 37, N. 7, F. 19. Die Klagepunkte F. 1 ff. S. I, L. 75, N. 19a, F. 1, gedr. bei K. KKipfel, Urkunden zur Geschichte des schwäbischen Bundes. Stuttgart 1853. II, S. 335* Berichte von Chr. Kreß und B. Baumgartner an den Rat vom 26. Februar und 2. März 1529. S. I, L. 75, N. 19a., F. 14. S. I, L. 84, N. 4. 5) Augsburg, Ulm, Nördlingen, Schw.-Hall, Gmünd, Ravensburg, Über­ lingen ersuchte am 12. Mai 1529 der Rat um Beistand auf dem Bundestag. Briefb. 99, F. 86, 89a. Verantwortung Seb. Hallers (von Spengler korrigiert) S. I, L. 75, N. i^a, F. 16. Gutachten der Juristen D. 153. Nach dem

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die Abmachungen zu Speier mit Freuden begrüßt* man hatte schon ein genaues Projekt über die Organisation der neuen Vereinigung ausgearbeitet und ausdrücklich eingefügt, daß diese auch gegen etwaige Angriffe" des Bundes sich richten werde1). Dem Kaiser wollte man allerdings in jedem Falle Gehorsam leisten; der Bündnisfall sollte bei einem Angriff seinerseits aber dann ge­ geben sein, wenn er als schwäbisches Bundesmitglied gegen die evangelischen Stände Vorgehen würde2). Sollte man aber deswegen Sachsens Anträge rundweg ablehnen? Der Rat liebte es, mit möglichst vielen Beziehungen zu haben. Die AntwortV der Herren Ältern wird demnach wohl eine ausweichende gewesen sein-, vielleicht beteuerte man, daß man bezüglich des Abendmahls ganz den lutherischen Standpunkt teile, erklärte aber, wegen des Abendmahlsgespräches erst die Theologen fragen zu müssen3). Einen derartigen Antrag, wie Sachsen wollte, hätte man auch so nicht gestellt. Es war ein Zug der Nürnberger Politik, jede prononzierte Stellung zu ver­ meiden. Auf die andere Frage scheinen die Herrn Ältern gar nicht eingegangen zu sein. Baier, der bei den andern Verhand­ lungen wohl meist mit Spengler verkehrte4), konnte so den EinSpenglerschen Entwurf (D. 153, N. 2) richtete sich auch die Verantwortung an den Bund d. d. 28. Mai 1529. S. I, L. 75, 19a, F. 1. S. I, L. 57, N. 11. Briefbuch 99, F. 108. Instruktion für den Augsburger Bundestag S. I, L. 75, No. 19a, F. 16 (Von Spengler geschrieben). Baumgartner überreichte 17. Juni 1529 die Nürnberger Verantwortung (Bericht vom 19. Juni. S. I, L. 75, N. 19 a, F. 10); die Angelegenheit scheint aber damit abgeschlossen zu haben. *) Der Nürnberger Entwurf A. R. A. VII, F. uff.; von Spengler ver­ faßt, Virck I., S. 369; auf Bitten Georgs (Georg an K. Nüzel und Chr. Kreß d. d. Ansbach, Fr. n. Trin. (28. Mai) 1529. VII, F. 8) am 31. Mai 1529 v. K. Nüzel und Chr. Kreß nach Ansbach gesandt. Briefb. 99, F. 122b. A R. A. VII, F. 9. Auf dem Tage zu Rodach den Beratungen zu Grunde ge­ legt. S. Müller S. 235h (Ranke S. 117), daselbst S. 236ff. gedruckt. — Ein Bedenken wahrscheinlich Nürnberger Ursprungs behufs Absendung der Gesandten nach Italien faßt auch schon ein Bündnis der evangelischen Stände ins Auge. A. R. A 7, F. 162JL. 2) Verzeichnis der Hauptpunkte, so in das vorstehende vertrauliche Verständnis, des sich etliche christliche Stände von Kurfürsten, Fürsten und Städten zu vergleichen Vorhaben, zu bedenken von nöten sind. A. R. A. VII, F. 22 ff. (28. Mai 1529 nach Ansbach gesandt). 3) Der Rat an Dr. jur. Chr. Baier 22. Juni 1529. Nürnberger Briefb. 99, F. 1504. 4) Spengler hatte an den Verhandlungen einen bedeutenden Anteil. So verfertigte er die Instruktion für die Gesandten. S. Virck I, S. 393. Die Bestimmungen über die Bezahlung sind auch von ihm zusammengestellt. A. R. A. VII, F. 131, ged. G. bei Neudecker, Urkunden aus der Reformationszeit. Cassel 1836. S. 83.

183 druck mit fortnehmen, daß Nürnberg den sächsischen Anschau­ ungen geneigt sei1). Der Kurfürst hoffte nun darauf, daß in Rodach (7. bis 8. Juni 1529) Nürnberg auf die Zulassung der Sakramentierer zu sprechen kommen und dieselbe in ablehnender Weise be­ handeln würde. Man glaubte dann dessen enthoben zu sein, selbst den Anstoß zum Scheitern des Bündnisses geben zu müssen. Denn davon war man in Sachsen überzeugt, daß ein Zusammengehen mit diesen unmöglich sei2). Aber wie erstaunte Hans von Minkwitz, der Vertreter Sachsens, als Kreß und Tetzel sich ängstlich hüteten, darauf die Sprache zu bringen. Der Rat hatte offenbar befohlen, diese Sache nicht zu berühren. So mußte er denn sich nach einem andern Grunde Umsehen, um den Abschluß eines Bündnisses hintanzuhalten. Die Uneinig­ keit über die Höhe der gegenseitigen Hilfeleistungen benutzte er3), um die Verhandlungen bis zum 24. August nach Schwabach zu verschieben4). Kurfürst Johann trat nun mit seinem Plane, alle lutherisch gesinnten Glieder des Reiches in einem großen Bunde zu ver­ einigen, sei es durch Gründung eines neuen, sei es durch ') Zu den Verhandlungen s. den Brief Spenglers an Vogler vom 12. Dezember 1529. Ansb. Rel. Akten VII, F. 397: mich berichten meiner herrn gesandten, das die sechsischen einen ratschlag, den unsere prediger gemacht, itzo zu Schmalkalden umbgetragen und in rate hoch darauf gepocht haben, als ob man sich nach anzaigung desselben mit den sacramentirern nit in bundtnus einlassen soll, das beschwert mich zum allerhöchsten, dann anfengklich hat der churfurst in höchster gehaimbd bey meinen herrn den eitern vmb dergleichen ratschlag angesucht und gesonnen sein gn. ansuchen in bester gehaimbd zu halten. Das ist beschehen und sein gn. canzler, der die Werbung bei den eitern gethan, in höchster gehaimbd zugeschickt und gebeten, ainem rate und die prediger auch darin verwart zu halten. Zum andern ist dieser ratschlag in der prediger und nit meiner herrn namen gefaßt und ausgangen. Zum dritten ist diser Ratschlag nit dahin gestellt, ob man sich mit den sacramentirern in pundtnus einlassen (wiewol dergleichen im ratschlag ain wenig mit untergeloffen), sonder ob es gut sei, das vorhabende Colloquium zu Marpurg furgeen zu lassen; wo nit, mit was Ursachen man dasselb mog und woll verhindern. Was dient aber dasselb zu dem, ob man sich mit den sacramentirern soll in pundt­ nus geben? 2) Müller S. 233h L. Ranke, Deutsche Geschichte, III, S. 120, Anm. 3) Virck I, S. 372. 4) Abschied zu Rodach. Ansb. Rel. Acta VII, F. 57. S. Müller S. 236. Keim S. 116f. Hassenkamp I, S. i88f. Th. Kolde, der Tag von Schleiz in den Beiträgen zur Reformationsgeschichte etc. Gotha 1896. S. 97. Ludewig S. 9b.

184 Anschluß an das Gotha-Torgauische Bündnis vom Jahre 1526, immer offener vor. Einen Bundesgenossen und Helfer fand er sogleich in dem Markgrafen Georg von Brandenburg. Beide waren sich vollständig einig, daß einem Bündnis auch eine gemeinsame Glaubensanschauung zu Grunde liegen müsse. Ja, letzterer ging noch weit über den Kurfürsten hinaus. Im Gegen­ satz zu dem einheitlichen kirchlichen Leben der Katholiken wünschte er, daß in allen evangelischen Gebieten eine gleiche gottesdienstliche Ordnung eingeführt werden sollte1). Die Schwierigkeiten, die sich bei Neuregelung der kirchlichen Dinge in seinem Lande ergeben hatten, die zögernde Haltung Nürn­ bergs bei Ausarbeitung einer Kirchenordnung hatten ihn vor allem auf solche Gedanken gebracht2). Andererseits erkannte er aber auch die Mängel der von Nürnberg entworfenen Organisation des Bundes. Die Bestimmungen über die Leistungen der Bundeshilfe waren derart ungeschickt, daß einer längst schon von seinen Gegnern niedergeworfen sein konnte, bis nur die erste Hilfe herankam. Dieser Punkt bedeutete keinen Gegensatz zwischen Brandenburg und Sachsen. Der Kurfürst ging bereitwillig darauf ein, den Nürnberger Entwurf in dieser Hinsicht umzugestalten3). Dagegen war es bedenklich, daß Brandenburg den Beitritt zum Gotha-Torgauischen Bündnis ablehnte4). Es war ja ganz isoliert in Süddeutschland, so daß dieses nichts helfen konnte. Man wollte hier vielmehr einen großen Bund sämtlicher evangelischen Stände5). Dann bot *) Instruktion Georgs zum Tag von Salfeld für Kaspar von Seckendorf d. d. Mittw. n. Vis. Mariae (7. Juli) 1529. A. Rel. Acta VII, F. 62 ff. Kgl. Preuß. Hausarchiv zu Charlottenburg I, K. 42, A. 4, F. 17 ff. S. Kolde S. 98ff. 2) H. Westermayer, Die brandenburgisch-nürnbergische Kirchen Visi­ tation und Kirchenordnung. Erlangen 1894. S. r9ff. G. Bossert in den Blättern zur bayerischen Kirchengeschichte. I. Rothenburg. 1887. S. 33 ff. 3) Bedenken des Kurfürsten auf den Tag zu Rodach. A. Rel. Acta VII, F. 36ff. Cf. G. Mentz, Johann Friedrich der Großmütige 1503—1554. I. Jena 1903. S. 73f., I22ff. L. v. Ranke III, S. 117. 4) Vom Tage zu Rodach brachten die Gesandten der Fürsten noch etliche Punkte nach Hause, die den Städtegesandten nicht vorgelegt waren. Am Schlüsse derselben heißt es, der Brandenb. Marschall soll bei dem Markgrafen den Eintritt in das Magdeb. (Gotha-Torg.) Bündnis in Anregung bringen. Dabei steht: non fiat. A. Rel. A. VII, F. 31. Cf. 62ff. (P. 11). A. R. A. 16, F. 267 ff. (Bedenken zum Tage von Schleiz). 5) Nicht nur den Beitritt Nördlingens, Bibrachs und Memmingens wünschte Georg, worauf man schon zu Rodach Rücksicht genommen hatte

185 Nürnberg Brandenburg einen erwünschten Rückhalt. Deshalb wünschte Markgraf Georg, daß auch Sachsen mit aller Energie daran arbeitete, daß Nürnberg unter Beiseitesetzung der lang­ wierigen Streitpunkte in religiösen Dingen mit Brandenburg zusammenging und es unterstützte. Schwieriger war es, Philipp zu gewinnen. Er hatte die Pläne des Kurfürsten durchschaut und deshalb schon vermieden, in eigner Person auf den Tag zu Salfeld (8. Juli 1529) zu kommen, wo dieser zuerst an die Verwirklichung seiner Ziele gehen wollte1). Hartnäckig weigerte er sich dann, den neuen Tag von Schleiz (24. August 1529) zu besuchen2), bis er Garantien bekommen würde, daß den Sakramentierern die Berechtigung in das beabsichtigte Bündnis einzutreten nicht genommen würde. Der erregte Briefwechsel brachte keine Klärung3). Johann von Sachsen übersandte ihn dem Mark­ grafen, der schon bis Heldrungen gekommen war; er überließ ihm, einen neuen Tag um Michaelis anzuberaumen4). Der Tag von Schwabach mußte verschoben werden5). ‘ ^ Georg ging darauf sofort ein und teilte dem Kurfürsten, der seinerseits auch den Landgrafen davon benachrichtigen sollte, am 3. September mit, daß er am liebsten in Schweinfurt (3. Oktober) mit beiden Zusammentreffen würde6). Er meinte schon mit der Wahl des Ortes Philipp entgegenkommen zu müssen. Sachsen bestand jedoch darauf, daß die Verhandlungen (A. R. A. VII, 33), sondern auch die Aufnahme von Weißenburg und Winds­ heim brachte er in Anregung. A. R. A. VII, 62 ff. (Gutachten für den Tag von Salfeld). 2) Einladung zum Tag von Salfeld d. d. Weimar 14. Juni 1529. Haus­ archiv zu Charlottenburg I, K. 42, A 4, F. 13. Abschied von Salfeld d. d. Don. n Ulrici 1529 (8. Juli). Ansb. Rel. Acta VII, F. 69. S. Müller S. 254 f. Hassenkamp I, S. 196 f. Kolde S. 98 f. 2) Auf Bitten Georgs (dd. Ansbach Fr. n. Marg. [16. Juli] 1529 A. Rel. A. VII, F. 73) von Naumburg nach Schleiz verlegt. S. Müller S. 256, 263, 273.‘ 3) Müller S. 256ff. Hassenkamp I, S. 197 f. Kolde S. ioof. 4) Müller S. 273f. 5) Kurfürst von Sachsen, Landgraf von Hessen und Markgraf von Bran­ denburg an Straßburg, Ulm und Nürnberg d. d. IO. August 1529, g. bei Virck 1, S. 388f. S. Ludewig S. 97. Hassenkamp I, S. 199. Am 17. August 1529 erst nach Nürnberg durch Georg gesendet, der es selbst nicht eher erhalten hatte Virck I, S. 389, A. 2. 6) Georg an den Kurfürsten und den Landgrafen d. d. Cadolzburg Fr. n. Egidii (3. September) 1529. A. Rel. A. VII, F. 93, 85.

186 zu Schleiz stattfinden sollten1). Mit guter Hoffnung machte sich Georg auf den Weg; Philipp hatte versprochen, Räte mit allen Vollmachten zu schicken2). Wie erstaunte man jedoch, als man in Schleiz hörte, daß er nicht gewillt war, seine Be­ ziehungen mit den Schweizern zu lösen. Man warf erregt den hessischen Räten vor, daß Philipp nur deswegen den Besuch jenen Tages bisher hintertrieben habe, um seinen Standpunkt nicht verraten zu müssen3). Um so fester schlossen sich Brandenburg und Sachsen zusammen; die Aufnahme in das in Aussicht genommene Bündnis sollte von der Annahme bestimmter allerdings erst noch zu verabfassender Glaubensartikel abhängig gemacht werden4). Vielleicht war es der Brandenburger, der den Vorschlag machte, bis zum Schwabacher Tag dem Land­ grafen noch Gelegenheit zur Annahme ihrer Beschlüsse zu geben. Waren doch noch 14 Tage bis zu demselben. Der hessische Rat sollte noch einmal seinem Herrn zur endgültigen Stellungnahme5)6 alles vortragen. Ebenso schnell einigte man sich über die Organisation des ganzen Bundes0). Branden­ burgs Wünsche wurden genügend berücksichtigt. Die erste Stadt, an die Sachsen und Brandenburg sich wandten, war Nürnberg. Von dessen Beitritt hatte ja Georg den seinigen abhängig gemacht. Dies schien diesmal von mehr Erfolg begleitet zu sein. Hatte doch bereits am 22. Juni 1529 der Rat ein Bedenken seiner Theologen überschickt, welches sich aufs schärfste gegen eine Unterredung mit den Sakramentierern aussprach, zugleich aber in manchen Bemerkungen 9 Johann an Georg d. d. Torgau Fr. n. nat. Mariae (9. September) 1529. A. Rel. A. VII, F. 78. Georg an Philipp und Johann d. d. Kadolzburg Don. n. ex. crucis (16. September) 1529. A. Rel. A. VII, F. 81, 76. An Philipp sandte er auch sein erstes Schreiben mit, das der Kurfürst wieder zurückgeschickt hatte. 2) Philipp an Georg d. d. Marburg Son. n. Matthei (26. September) 1529. A. Rel. A. 7, F. 84. 3) A. Rel. A. 7, F. 87 ff., gedr. bei Kol de S. 111 ff., cf. S. 105 f. 4) Müller S. 282 Kolde S. io7ff. Das Brandenburgische Exemplar der 17 Schwabacher Artikel in Ansb. Rel. Acta XV, F. 429 f. (cf. 433, 439), g. bei G. G. Weber, Kritische Geschichte der Augsburgischen Konfession, Frankfurt a. M. 1783. I, Beilage I. Kolde, Die Augsburgische Konfession. Gotha 1896. S. 123 ff. 6) Kolde S. 106. 0j Bedenken Brandenburgs zum Tage von Schleiz A. Rel. A. 16, F. 267 ff. Die Abmachungen s. b. Müller S. 281 ff. Cf. Hassenkamp I, S. 205.

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auch gegen ein Bündnis mit denselben Stellung nahm1). Die Herren Altern hatten erklärt, daß es sich mit ihrer Meinung vergleiche 2). Pünktlich erschien G. Vogler in Nürnberg3), etwas später H. v. Minkwitz4). Gemäß ihrer Instruktion5) suchten sie die Stadt zum Anschluß an die Abmachungen von Schleiz zu be­ wegen. Aber der Rat war nicht zu gewinnen. Die Situation schien ihm immer noch so gefährlich zu sein, daß er auf die Verbindung mit Straßburg und Ulm nicht verzichten zu können glaubte6). Doch scheint man die endgültige Antwort erst *) Nürnberger Stadtbibliothek, Bibi. Fen. IV 2°, 906, S. 251 — 258, g. daraus b. J. B. Riederer S. 216 — 226, bes. S. 223. A. Contzen, De unione et synodo generali evangelicorum Theologis et politicis necessario consultatio. Moguntiae. 1615. S. 119 ff. Grundtliche Wahrbafftige Historia von der Augspurgischen Confession . . . Magdeburg 1584. S. 105 ff. (Bibi. Fen. IV. 4°, 341). Cf. Möller S. 119 ff. Ludewig S. 99. 2) An Chr. Baier 22. Juni 1529 Briefb. 99, F. 150 f!: wirdiger hochgelerter lieber herr. Als eur wirde jüngst in unser stat Nurmberg gewest sein, haben uns dieselb in des durchleuchtigsten hochgepornen fürsten unsers gnedigsten herrn des churfürsten von Sachsen namen einen vertrewlich gehaimen handel angetragen betreffend die convocation deren, die bishere in der irrung des herrn nachtmals geschrieben, mit vererm antzaigen und gesynnen, wie eur wirden sonders zweyfels unverporgen ist. Nun haben wir denselben handel, darin wir uns gleichwol zu raten zu gering erkennen, mitler weyl mit vleys bedacht und den bei uns selbs etwas beschwerlich bewegen. Und demnach etliche unsere cristenliche prediger und verstendige der heylgen schrift, dieweil dis ein wichtige hohe sach ist, die noch viel mit sich pringen mag, in gehaimbdt und vertrauen umb iren rate angesucht; die haben uns iren rate und gutbedunken, der sich gleichwol mit unser maynung vergleicht, in Schriften behendigt. den schicken wir E. \V. hiemit zu, ungezweifelt, unser gnedigster herr, der churfürst, und ir wißen die Sachen wol mit bestem vleis cristenlich zu bedenken. Es ist auch unsern predigern der gehaimbdst artikel die vorsteenden sorgfeltigkait der person, wie ir wißt, belangend verhalten und nit eröffent und inen daneben eingepunden disen handel in pester still und gehaimbd zu behalten, wie uns zu geschehen gar nit zweifelt. 3) Vogler beklagt sich am 15. Oktober 1529 darüber, daß Sachsens Vertreter noch nicht erschienen sei. Vogler an Georg, d. d. Nürnberg Fr. n. Dion. 1529. A. Rel. A. 12, F. 67. 4) Credenz für ihn d. d. Grimma Son. n. Franc. (10. Oktober) 1529. S. I, L. 37, N. 2, g. b. Engelhardt S. 227. 5) A. Rel. A. 7, S. 98 ff. g. bei Müller S. 281 ff. 6) Am 10. August 1529 hatte der Rat Bernhard Besserer und Daniel Schleicher zu Ulm gebeten, etliche Tage vor Barth, nach Nürnberg zu kommen, um sich gemeinsam für den Tag zu Schwabach zu beraten. Briefb. 100, F. 29JU Cf. UJm an Straßburg. Virck I, S. 389, Nr. 642. Am 5. Oktober 1529 lud man Straßburg ein, schon am Mittwoch den 13. Oktober in Nürnberg zur Beratung für den Schwabacher Tag zu erscheinen. Briefb. 100, F. 87, g- bei Virck I, S. 397 f. Das zeigt, daß die Herren Altern nicht gewillt waren, sich von Straßburg und Ulm zu trennen. Eben damals berieten sie auch die Türkengefahr. Cf. Ludewig S. 97 f, 101.

188 zu Schwabach gegeben zu haben. Ulm und Straßburg ließen hier nach Vorlage der 17 Schwabacher Artikel, die Luther inzwischen nach den Beschlüssen zu Schleiz verfertigt hatte, wobei er seine Auffassung über das Abendmahl scharf betonte, erklären, nicht imstande zu sein, ein Bündnis auf ihrer Grund­ lage abschließen zu können1). Christoph Kreß, der Vertreter Nürnbergs, scheint dann mitgeteilt zu haben, daß er keine Vollmacht hätte, ohne die beiden andern dem Abschlüsse eines Bündnisses zuzustimmen2). So waren die sächsisch-brandenburgischen Pläne vorerst gescheitert3) (19. Oktober 1529). Es war sehr fraglich, ob je noch die evangelischen Stände auf einem neuen in Aussicht genommenen Tag zu Schmalkalden (15. Dezember 1529) Zusammenkommen würden. Da traf nur fünf Tage später, am 24. Oktober 1529, in Nürnberg die Mitteilung davon ein, daß die Gesandten der protestierenden Stände vom Kaiser verhaftet worden waren. Michael von Kaden gelang es gerade noch, K. Nüzel und H. Ebner davon in Kenntnis zu setzen, ehe er freiwillig das Los der andern teilte4). Sofort wurde Sachsen, Hessen, Brandenburg, Ulm und Straßburg in Kenntnis gesetzt5). Die Aufregung war ungeheuer6). Die bangen Befürchtungen hatten sich nur allzusehr erfüllt7). Wie verschiedenartig aber war die Wirkung, als der erste Schrecken vorbei war. Philipp von Hessen erblickte darin eine Aufforderung zu energischen J) Müller S. 303. Keim S. 127. J. J. Spieß, Brandenburgische historische Münzbelustigungen. Ansbach 1771. IV, S. 177. Hassenkamp I, S. 209. Ranke III, S. 126 f. 2y Keim S. 128. Ludewig S. 102 (woher ?). Müller S. 315: er soll auch sein Lieb insonderheit des berichten, daß die von Nürnberg von den Städten nit treten noch ein sonders on die andern eingehen oder aufrichten werden, wie solchs von iren abgefertigten eigentlich verstanden sei. 3) Abschied d. d. Schwabach Dinst. n. Lucie (19. Oktober) 1529. A. Rel. A. 7, F-, 121 f., g. bei G. G. Weber I, Beilage 1. 4) d. d. 13. Oktober 1529. Das Original Nürnb. Stadtbibi., Bibi. Nor. Will. VIII, Nr. 74 (20), Nr. 16, daraus gedruckt bei J. Fr. Frank, Memoria Michaelis de Kaden Syndici Norimbergensis. Altdorf 1773. S. 16 ff. Cf. Müller S. 210 ff. 5) d. d. 24. und 25. Oktober 1529. Briefb. 100, F. 113h, 114/1, g. bei Virck I, S. 405 f., Nr. 672. Das Schreiben an Brandenburg A. Rel. A. VII, F. 215. ej Ci das Gutachten Voglers A. Rel. A. VII, F. 294 ff., teilweise gedruckt bei Müller S. 318 ff. 7) Philipp an Johann von Sachsen d. d. Freitag 29. Oktober 1529, bei Müller S. 315.

189 Rüstungen, um jedem feindlichen Angriff mit Waffengewalt gegen­ übertreten zu können; von neuem versuchte er es, die evange­ lischen Stände zu einigen1). Selbst der bedächtige Kurfürst hielt es für nötig, die evangelischen Stände zur sofortigen Beratung nach Schmalkalden auf den 28. November zu berufen (1. November 1529)2). In Nürnberg dagegen wirkte es lähmend auf die ganze Politik. Der Jurist Hepstein trat jetzt mit der Ansicht hervor, daß es am besten gewesen wäre, in Speier die Appellation zu unterlassen und sich mit der Protestation zu begnügen3). Die Stimmen mehrten sich, welche rieten, alles zu vermeiden, was den Zorn des Kaisers erregen mußte. Das Bündnis mit den Schweizern verlor immer mehr an Anhängern. Spengler sah mit Befriedigung in dem Schicksal der Gesandten eine besondere Fügung Gottes, welche verhinderte, daß man sich allzu weit mit den Sakramentierern einließ4). Unter diesen Umständen war es für die Herren Ältern schwierig, an ihrer Meinung festzuhalten. Es wird schon genug Kampf gekostet haben, bis man endlich an Sachsen die Bitte richten konnte, auf dem Tage von Schmalkalden doch auch die Bündnis­ angelegenheit zu behandeln5). Welche Angst manche erfüllte, sieht man deutlich, wenn man die Beratungen verfolgt, welche in der Angelegenheit der Gesandten stattfanden. Hepstein hielt es für das beste, überhaupt nichts zu tun6); er nebst Közler vertrat den Gedanken, der später auch zur Ausführung kommen sollte, an den Kaiser eine neue Gesandtschaft zu schicken, welche die Maßnahmen der protestierenden Stärtfle ent­ schuldigen sollte7). Da war schon Christoph Scheurl entschieden; b Philipp an Straßburg 30. Oktober 1529, g. bei Virckl, S. 406 ff., Nr. 674, 408, Nr. 675; an Johann Müller S. 316 f.; an Nürnberg d. d. Immenhausen Sam. n. Sim. et Jude 30. Oktober 1529. A. Rel. A. VII, F. 228 ff. 2) Tohann von Sachsen an Nürnberg d. d. 1. November 1^29, Torgaü. A. Rel. A. VII, F. 236. 3) Nürnberger Kreisarchiv, Ratschlagbuch Nr. 24, F. 349 ff. 4) Spengler an Vogler 28. Oktober 1529. A. Rel. A. 7, F. 218: das uns got das alles zum besten ordnet — oder aber wir wollten mit unsern sacramentschwürmern bis an die kniibel hineingearbeitet haben. 8) Der Rat an Johann v. Sachsen 9. November 1529. Briefb. 100, F. 129a. Mitteilung davon an Philipp von Hessen 8. November 1529, F. 127. A. Rel A. VII, F. 231; an Ulm bezw. Straßburg 8. November 1529, F. 127^. Cf. Virck I, S. 411, Nr. 680; an Georg F. 125 a . A. Rel. A. VII, F. 226. 6) Ratschlagbuch 24, F. 349 ff. 1) ibidem F. 347J1 ff-

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man müsse, erklärte er, die Appellation nicht nur insinuieren, sondern auch fortsetzen. Wenn man jetzt schweigen wolle, so hätte man überhaupt nichts reden sollen; eine neue Gesandt­ schaft an den Kaiser sei zwar nicht nötig; aber ebenso gut hätte man dann auch die Appellation unterlassen können. Er war entschieden dafür, durch neue Gesandte bei dem Kaiser das gute Recht der Evangelischen zu betonen1). Da mag es manchen Kampf gekostet haben, bis Chr. Kreß und Klemens Volckamer ihre Instruktion für den Tag von Schmalkalden be­ kommen konnten. Noch einmal gelang es den Herren Altern durchzusetzen, daß Nürnberg nur dann ein Bündnis eingehen durfte, wenn auch Straßburg und Ulm aufgenommen würden2); doch sollte bei einem etwaigen Angriff wegen des Sakraments des Altars keiner zur Bundeshilfe verpflichtet sein. Jedoch, wenn alle sich über das Bündnis einigten, wollte auch Nürnberg nicht fern bleiben3). Spengler hatte doch einen bedeutenden *) Ratschlag Dr. Scheurls vom 20. November 1529 ibidem F. 337 ff. vom 21. November 1529I, 345 ff. 2) Erklärung des Chr. Kreß auf dem Tage von Schmalkalden. G. Th. Strobel, Miscellaneen literarischen Inhalts. IY. Nürnberg 1781. S. 120, 121. »hetten sie keinen bevel oder fertigung, sich allein on die andern stett in verpuntnus oder aynung einzulassen« f. 128. Schon die Einladung an Ulm und Straßburg, wegen des Bündnisses doch nach Schmal­ kalden zu kommen (8. November 1529), weist daraufhin. Unbedingt war aber diese Meinung nicht. Denn wenn die Gesandten erklären: »dann sich ire herren keiner trennung, sonder des verhofft hetten, die sach solt uf mittel kumen sein, das die fürsten und stedte semptlich hetten furfaren mögen« (S. 121), so muß daraus geschlossen werden, daß der Rat sich dachte, daß ein Punkt »die Abendmahlsangelegenheit« ganz beiseite gelassen resp. für sie ein Bündnis nicht in Anspruch genommen würde. Cf. auch den folg. Brief Spenglers vom 12. Dezember 1529 und Spengler an Brenz d. d. 20. März 1530. J. Hart­ mann und K. Jäger, Johann Brenz I, Hamburg 1840, S 455. 3) Spengler an Vogler 12. Dezember 1529. A Rel. Acta VII, F. 396: Ich bin, wie ich bekennen muß, für mein person herzlich erfreut, das die vor­ stend bundtnus mit denen, die sich des heiligsten sacraments halben irren, nit für sich gangen ist und das mein gnedigster herr der churfurst und ir von meins gn. herrn marggraven wegen so hart und christenlich gehalten hab; zweifei auch gar nit, es wurde uns nit allein bei gott, des er und preis hierin gesucht wurdet, sonder auch bei k. mjt. und allen andern, die uns auch veinde und widerwertig seyen, zu gutem gedeyen und wol darumb gesprochen, wo man hören wurdet, das solche verstentnus auf unserm taile und von dieser christenlichen ursach wegen erwunden hat. Es hat mich warlich hoher, denn ich jemand vertraut hab, angefochten, hab alle wege gedacht, nach dem der ander taile nit leiden kann oder woll, disen artikel des sacraments, das ain taile dem andern darin hilf zuthun nit schuldig sein sollt, in der verstentnus auszunemen, wo wir uns darüber mit inen verpinden sollten, das wir dadurch den herrn aller herren, wider des warhait wir uns wißentlich verpflichten und die irrenden dabey zu handthaben verschriben, müßen begeben oder verlieren. Hilf got, in

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Erfolg errungen; es war kaum zu erwarten, daß Sachsen und Brandenburg auf solche Vorschläge eingehen würden. Und doch hatte Spengler große Sorge, ob nicht die gemeinsame Not stärker sein würde als die theologischen Fragen und Unterschiede. Zahlreich fanden sich in Schmalkalden die evangelischen Stände ein; die gemeinsame Gefahr führte zusammen1). Wohin sich das allgemeine Interesse richtete, zeigte sich bald. Nach Anhören des Berichtes der drei Gesandten, die inzwischen glücklich nach Deutschland zurückgekehrt waren2), wurde all­ gemein der Wunsch ausgesprochen, über das einstens zu Speier in Aussicht genommene Bündnis sich zu unterreden. (29. und 30. November 1529). Kurfürst Johann gab seine Zustimmung zu dem Abschluß desselben, nur bestand er darauf, daß der Bei­ tritt von der Annahme der siebzehn Schwabacher Artikel ab­ hängig gemacht werden müsse. Lüneburg und Brandenburg unterstützten ihn dabei. Die Versuche Philipps, eine Ab­ schwächung der Forderung zu erzielen, waren vergeblich3). Dem Kurfürsten lag gar nicht soviel daran, auf den Anschluß von Ulm und Straßburg verzichten zu müssen, in deren Namen was jamer und färlikait wurden wir uns von ainer menschlichen Zuflucht willen stecken, was guten hertzens, trost und Zuflucht möchten wir auch alsdann in der not zu unserm getreuen Gott haben? Aber got sei lob und alle dankparkeit, der hat es nun zum besten geordent, und steen die Sachen also, das mich die gantz weit, wo sie gleich wider uns wüten wollt, nit mer erschrecken soll. Zweifel auch warlich vil weniger dan vor, gott werde uns vil dester beraiter, uns wunderlichen und den höchsten beistand zuthun, dem allain woll wir ver­ trauen (Voglers Bemerkung: die weil sie sich aber nit von inen sondern, sollen sie es inen angesagt). Nach diesem Briefe war das Benehmen Spenglers gegen Besserer bloße Verstellung. S. Keim, die Reformation der Reichsstadt Ulm. Stuttgart 1851. S. 163, Schwab. Ref. S. 129. An Brenz schreibt er, daß Kurfürst Johann und Markgraf Georg auf ihrem Verlangen bez. der 17 Schwabacher Artikel, wie er achte, »aus Wirkung des Geistes Gottes« bestanden seien. Hartmann und Jäger I, S 455.* »ich bin warlich kein dings nie froer gewest dan dieses.« *) Verzeichnis der Erschienenen bei Virck I, S. 418. 2) Bereits am 5. November 1529 teilte der Rat der Stadt Weißenburg mit, daß man der Hoffnung sich hingebe, daß die Gesandten entlassen worden seien. Briefb. 100, F. 125)1. 30. Oktober 1530 wurde Alexius Frauentraut und Hans Ehinger entlassen; etwas später entfloh Michael von Kaden. S. Müller S. 220. Dobel III, S. 26 f. H. Th. Leodius, Annalium de vita et rebus gestis Friderici II. libri XIV. Frankfurt 1624. S. 138 f. Am 24. November 1529 wurde Nördlingen vom Rate mitgeteilt, daß Michael von Kaden und Alexius Frauentraut in Nürnberg bezw. Ansbach angekommen seien. Briefb. Nr. 100, f. 138b. 3) A. Rel. A. 7, F. 376. Vorschlag des Landgrafen: VII, 368

192 Sturm entschieden erklärte, daß sie auch in dem Falle, daß sie wegen des Sakraments des Abendmahls angegriffen würden, unbedingt auf der Leistung der Bundeshilfe bestehen müßten (30. November 1529)1). Ihm kam es vor allem darauf an, Nürnberg zu gewinnen. Nicht nur die reichen Hilfsmittel der Stadt ließen ihren Anschluß wünschenswert erscheinen, an ihrem dem Beitritt hing ja auch der Georgs von Brandenburg. Gemäß dem Beschlüsse des Tages zu Schleiz hatte dieser auch jetzt seinem Kanzler G. Vogler und dem Amtmann von Schwabach W. Chr. von Wiesenthau die Weisung erteilt, nur in diesem Falle dem Bündnis beizutreten 2). Bei der isolierten Lage des Markgrafentums mußte das begreiflich sein. Kurfürst Johann war sich darüber klar, daß Nürnberg seinen theologischen Standpunkt vollkommen teile. Zur Rechtfertigung seiner Forderung berief er sich ja auf dessen Gutachten vom 19. Juni 15293). Er hoffte wohl, das Schicksal, das die Gesandtschaft betroffen hatte, würde die Hinneigung zu den beiden Städten arg erschüttert haben. Wie verwundert war er daher, als Kreß und Volckamer wohl erklärten, die siebzehn Artikel voll und ganz zu billigen, aber keinen Befehl zu haben, dem Abschlüsse eines Bündnisses ohne Straßburg und Ulm zuzustimmen. Nach der Erklärung Sturms war ihnen ja nichts andres mehr möglich4). Die sächsischen Räte waren empört; es kam zu lebhaften Auseinandersetzungen; man warf den Nürnbergern vor, daß sie doch vor allem die Be­ handlung dieser Angelegenheit auf diesem Tage veranlaßt hätten5). Daß diese Vorwürfe nicht ohne Grund waren, sahen Kreß und Volckamer wohl selbst ein; sie erboten sich daher, die andern Städte noch einmal zu bitten, die Annahme der bekannten Artikel zu beraten und bis Epiphaniae nach Nürnberg endgiltige Antwort kommen zu lassen. Es war wiederum umsonst; da Straßburg und Ulm ebenso hartnäckig an ihrem Standpunkt *) Keim, Schw. Ref., S. 129 f. Ref. v. Ulm S. 165 f. Virck I, Strobel IV, S. 117 f. A. Rel. A. VII, F. 376, 2) Instruktion für Vogler und Wiesenthau d. d. Ansbach Din. n. praes. Mariae (23. November) 1529. Ansb. Rel. Acta VI, F. 314. Credenz vom gleichen Tage VI, 292. 3) Spengler an Vogler 12. Dezember 1529. A. R. A. VII, F. 396, nebst den dabeistehenden Randbemerkungen Voglers. Strobel IV, 130. 4) Strobel IV, S. 119. A. R. A. VII, 376. Keim S. 130. 6) A. R. A. VII, F. 376. S. 419.

193 festhielten, mußten die Nürnberger selbst zugeben, daß es keinen Weg gebe, um aller Bedenken zu beschwichtigen und eine Einigung herbeizuführen. Der Kurfürst war so erbittert, daß er von dieser Sache ganz absehen wollte (1. Dezember 1529)1). Aber er sollte noch eine zweite Enttäuschung erleben. Er griff nämlich jetzt auf den Anlaß der ganzen Verhandlungen, das Los, das die Gesandten in Italien getroffen hatte, zurück und fragte, was Nürnberg und die andern Städte ihres Glaubens in dieser Hinsicht für Vorschläge zu machen wüßten. Sachsen hatte Brandenburg und Lüneburg dafür gewonnen, auch jetzt nur mit den lutherischen Ständen zusammenzugehen. Auf Nürn­ bergs Beitritt hoffte man nach seiner obigen Erklärung um so sicherer. Aber auch jetzt mußten die Gesandten erklären, kein Recht zu haben, die andern Städte im Stiche zu lassen. So waren die sächsischen Pläne zum zweitenmale durchkreuzt. Der Mißmut auf sächsischer Seite war nicht gering; man hatte jetzt wohl im Sinne, die Verhandlungen ganz abzubrechen2).3 Ein Vermittlungsversuch Ulms: »sich einander bei Gottes Wort zu erhalten, wie das ein jeder vermeine mit biblischer Schrift zu verantworten« mislang (1. Dezember)8). Mit aller Deut­ lichkeit erklärte man am Donnerstag, den 2. Dezember 1529, den beiden Städten Straßburg und Ulm, daß man nicht mehr im Stande sei, weiter zu verhandeln. Man bedauerte zwar, daß sie sich unnütz zu den Verhandlungen begeben hätten, aber Nürnberg hätte die Pflicht gehabt, die nötigen Vorkehrungen zu treffen4). Dabei blieb es auch, als Sturm darauf hinwies, daß doch der Streit über das Abendmahl schon in Speyer beigelegt worden sei (und die neuen Artikel nur von neuem den Streit der Theologen hervorrufen würden (2. Dezember 1529)5).* * *) Strobel IV, I2iff. Virck I, S. 419. Ansbach. Rel. Acta VII, 377. 2) Strobel IV, S. 124b A. R. A. VII, F. 378. 3) Virck I, S. 419. 4) Antwort an Straßburg und Ulm. d. d. Don. n. Andree 1529. A. Rel. A. VII, F. 359ff, g. bei Virck I, S. 421. Müller S. 333ff. Cf. Keim, Sckw. Ref., S. 131. Strobel IV, S. 125. Virck I, S. 420L A. R. A. VII, F. Cf. 378. 5) Bemerkung Sturms nach der Erklärung von Sachsen. A. R. A. VII, F. 362. Aussetzungen desselben an den Schwabacher Artikeln F. 365. Cf. Keim, Sch. Ref., S. 131. Virck I, S. 420. 13

194 Man hätte jetzt ruhig auseinandergehen können. Da legte sich der brandenburgische Kanzler G. Vogler ins Mittel. Er bat wenigstens in der Angelegenheit der Gesandten doch nicht auf seinem Standpunkt zu beharren, und als der Kurfürst erklärte daran festhalten zu wollen, bewog er ihn, wenigstens mit Nürnberg neue Verhandlungen anzubahnen, er versprach sein möglichstes zu tun, daß sie sich von Straßburg und Ulm sonderten1). Den ganzen Nachmittag beriet sich der Kurfürst (2. Dezember). Nur deshalb ging er wohl auf diese Anregung ein, weil sich jetzt der Abschluß eines Bündnisses eher absehen ließ. Am 3. Dezember 1529 erklärte er nun dem brandenburgischen Kanzler, dem Landgrafen und dem Herzog von Lüneburg, daß er wohl bereit sei, mit den lutherischen Ständen eine neue Gesandt­ schaft an den Kaiser zu senden; zugleich schlug er vor, Branden­ burg wie Nürnberg aufzufordern, doch in das Gotha-Torgauische Bündnis einzutreten*, vielleicht redete er davon, auch andern die Aufnahme zu gewähren*, etwaige Bedenken könnten durch eine neue Organisation desselben behoben werden. Er hatte also den Plan auf ein Bündnis der Lutherischen noch nicht aufgegeben und wollte es nur auf einem Umwege erreichen; denn das war klar, daß nur noch lutherische Stände auf Aufnahme hoffen könnten. Wenn auch Brandenburg wie Nürnberg den Beitritt zu diesem wiederholt abgelehnt hatten, so hoffte er doch durch eine Um­ änderung der Verfassung alle Bedenken zu beseitigen. Nur Lüneburg war bereit, diese Vorschläge anzunehmen. Philipp dagegen erklärte sich mit Entschiedenheit gegen jede Trennung der protestierenden Stände, und Vogler war zwar mit dem Vor­ schlag wegen der Gesandtschaft einverstanden, mußte aber das andere Anerbieten ablehnen. Mit aller Entschiedenheit stimmten jedoch Sachsen, Nürnberg und Brandenburg darin zusammen, daß nur noch lutherisch gesinnte Stände bei diesen Fragen weiter in Betracht kommen sollten2). Der erneute Versuch Sachsens war so wieder gescheitert. Nunmehr suchte jede Partei, mög­ lichst Bundesgenossen zu gewinnen3). Um 1 Uhr wurde den Städten eröffnet, daß die drei Fürsten beschlossen hätten, eine b A. Rel. A. 7, F. 378, 363. 2) A. Rel. A, VII, F. 379 ff. 3) Virck I, S. 420 F. Keim, Ref. v. Ulm, S. 166.

195 Gesandtschaft an den Kaiser zu schicken, doch müsse man Gewißheit haben über die Stellung der einzelnen zu den 17 Schwabacher Artikeln. Die Städte blieben jedoch solidarisch ver­ bunden, sie erklärten sich nicht von einander trennen zu wollen; sie müßten erst diesen Antrag nach Hause bringen (3. De­ zember1). So blieb denn nichts übrig, als die Städte, welche diese Artikel annehmen wollten, auf den Tag Epiphanias nach Nürnberg zu berufen, um dort über die weiteren Maßnahmen zu beraten2). Der sächsische Kanzler Brück bat Vogler, die nötigen Schritte zu tun, daß auf diesem Tage die Aufnahme Nürnbergs und Brandenburgs in das Gotha-Torgauische Bündnis erfolgen könnte3). Der Kurfürst bemühte sich sogar persön­ lich daran. Die Erregung über die Haltung Nürnbergs war groß. Mit Mißtrauen betrachteten auch die Städte sein Benehmen4). Selbst der Kanzler Vogler, ein vertrauter Freund Spenglers, machte seinem Unwillen Luft. Als Spengler sich beschwerte, daß man die Städte bei der Beratung über die neue Gesandt­ schaft an den Kaiser ausgeschlossen habe, schrieb er an den Rand: »Diesen Fall halten sie für den ersten und alles aus irem ratschlag«5)! Der Ratschreiber jedoch fühlte sich von einem großen Druck befreit; er war nie froher als jetzt, nach­ dem er immer noch die Befürchtung gehegt hatte, daß ein Bündnis sämtlicher Stände Zusammenkommen könnte6). Ein Bündnis mit Philipp war ihm noch dazu aus einem anderen Grunde sehr bedenklich. Seit dem Aufbruche des Kaisers nach Deutschland vernahm man dunkle Gerüchte, daß man vor einem Angriff seinerseits nicht mehr sicher sei. Philipp hatte daraufhin den Kurfürsten gefragt, ob er sich in diesem Falle auf seine Hilfe verlassen könne7). Gemäß dem Gutachten *) A. Rel. A. VII, F. 382. Strobel IV, S. I26ff. Virck I, 420. Keim S. 132. 2) Strobel IV, 128. Virck I, S. 420. Keim, Ref. v. Ulm, S. 165 f. Schw. Ref. S. 132 f. Abschied d. d. Sam. n. Andree (4. Dezember) 1529. A. R. A. 7, F. 356; 17, F. 203, g. bei Müller S. 330 ff. 3) Brück an Vogler. A. R. A. VII, F. 59, cf. 383. 4) Keim, Ref. v. Ulm, S. 166 ff. Schw. Ref. S. 133. Am 22. Dezember 1529 an Bernhard Besserer geschickt. Briefb. 100, F. 170^. ß) A. Rel. Acta VII, F. 396. 6) Spengler an Brenz 20. März 1530. Hartmann und Jäger I, S. 455 f. 7) Müller S. 274 ff. Hassenkamp I, S. 199 ff., 205 ff. 13*

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Bugenhagens 4) * 2hatte * man in Schleiz sich in bejahendem Sinne geäußert2). Luther jedoch glaubte, daß der Gehorsam gegen die Obrigkeit einen solchen Widerstand ausschlösse3). Neben ihm hatte besonders Spengler mit dieser Frage sich beschäftigt und war zu dem gleichen Urteil gekommen4). Ihm schloß sich Brenz an5).* Sie gewannen auch bald Georg von Branden­ burg für ihre Ansicht0). In dem Rate wurden der Gegner des Bündnisses immer mehr; die meisten Theologen außer Osiander7) fielen ihm zu. Der Mehrzahl erschien es am besten, gar nichts zu unternehmen, sondern einfach die Zukunft abzu­ warten8). *) d. d. Michaelis (29. September) 1529. Gedr. bei Fr. Hortleder, Der röm. K. u. K. Majestäten Handlungen und Ausschreiben. Gotha 1645. II, 2, 3. Cf. Ranke III, S. 128 ff. 2) Müller S. 282. Cf. Virck I, S. 413, Anm. 2. Auch schon im kurfürstl. Bedenken auf den Tag zu Rodach. A. R. A. VII, 36. Ebenso Brandenburg A. R. A. 16, F. 267. Dagegen schon im Mai Nürnberg. A. R. A. VII, 22. 8) Luther an Johann 18. November 1529. De Wette III, S. 526. Cf. Enders VII, S. 189, 192. 4) A. R. A. T. suppl. I, F. 351 ff., T. XVI, F. 198 ff. Königsberger Staatsarchiv, Pr. Foliant 84, F. 209. »Melanchthon weiß sich nicht anders zu erinnern, denn daß dieser Ratschlag sei Laz. Spengleri«. Cf. Hortleder II, 1, 7. Spengler sandte ihn auch nach Wittenberg. S. A. Rel. A. 9, F. 9. Cf. C. Ref. II, S. 22. Mayer S. 73. Cf. Stadtbibliothek Nürnberg, Bibi. Fen. IV, 906, 2.0, F. 154 ff., b. Th. Pressei, Lazarus Spengler, S. 60. ö) Am 15. November 1529 versprach Spengler G. Vogler, in Bälde sein ludicium ihm zuzuschicken. A. R. A. 10, F. 169. Der Kanzler schickte es Brenz zu. Dessen Urteil A. R. A. T. suppl. I, F. 216 ff., g. bei Th. Presse!, Anecdota Brentiana. Tübingen i8b8. S. 44 ff. Hart mann und Jäger I, 436 ff. Hortleder II, 1, 4. Nürnberger Stadtbibliothek, Bibi. Fen. IV, 906, F. 170. ®) In der Instruktion für den Tag von Schmalkalden hielt er noch am Schleizer Beschluß fest. A. R. A. VI, F. 314 ff. Dann aber änderte er seine Ansicht. Siehe den Briefwechsel Georgs und Philipps, bes. Philipp an Georg, d. d. Spangenberg Din. Thom. ap. (21. Dezember) 1529. A. R. A. VII, 405. Ein Stück: Bibi. Fen. IV, Nr. 906, S. 174. A. R. A. suppl. I, F. 347, g. bei Hortleder II, 2, 12, vor 2. Januar 1530 von Vogler an Spengler geschickt. Kreisarchiv Nürnberg Rep. 105 (S. X 2/5), Nr. 147, Pr. 79 30. Dezember 1529 an Brenz d. d. Ansbach Fr. n. Weihn. 1530. A. R. A. 16, F. 205. Hartmann und Jäger I, S. 277. Neues Gutachten von Spengler: Bibi. Fen. IV, 906, F. 178. Ansb. Rel. A. suppl. I, F. 390, g. bei Hortleder II, 1, 11; von Brenz: A. Rel. A. T. suppl. I, 297. Cod. Fen. IV, 906, F. 184, g. bei Hortleder II, 1, 10, Pressei S. 47 ff. — Beide am 18. Februar 1530 von Georg an Philipp geschickt, d. d. Ansbach Fr. n. Val. (18. Februar) 1530. A. R. A. 16, F. 18. 7) Osianders Gutachten im Kreisarchiv Nürnberg S. I, L. 68, Nr. 6, Pr. 28. Cf. Müller S. 126 ff. 8) Keim, Ref. v. Ulm, S. 168.

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Ob Vogler den Versuch machte, Nürnberg für die Pläne Sachsens zu gewinnen, wissen wir nicht. Jedenfalls hätte er auch wenig erreicht. Trotz des ergebnislosen Ausgangs des Tages von Schmal­ kalden beharrte der Kurfürst auf seiner Meinung. Er wollte noch einmal versuchen, seine letzten Vorschläge zur Ausführung zu bringen. Alle Glaubensgenossen wollte er auf dem Tage zu Nürnberg dazu bewegen, eine neue Gesandtschaft nach Italien zu schicken. Falls die Rede auf das Bündnis käme, sollten seine Gesandten bereitwilligst einen neuen Tag in Aussicht stellen. Vor allem sollten sie aber darauf sehen, daß die religiöse Grundlage festgehalten würde1). Mit den brandenburgischen Räten G. Vogler, W. Chr. v. Wiesenthau und Kaspar von Secken­ dorf hatten die sächsischen sich bald geeinigt. In geschickter Weise wußte es Vogler dahin zu bringen, daß der hessische Gesandte Sigmund von Boineburg nicht zu einer genauen Dar­ legung der Glaubensüberzeugung des Landgrafen gezwungen wurde2). Alle Vertreter der Fürsten einigten sich nun dahin, an den Kaiser eine neue Gesandtschaft zu schicken, welche ihn ersuchen sollte, die religiöse Frage durch ein Konzil entscheiden zu lassen. Gemäß dem brandenburgischen Vor­ schläge wollte man auch Ferdinand für diesen Plan günstig slimmen3). Es galt nun, die wenigen durch Nürnberg ver­ tretenen Städte zu gewinnen. Als nun die Frage an die drei Nürnberger Abgeordneten gerichtet wurde, wie sie sich zu den Schwabacher Artikeln stellten, erklärten diese zwar, sie an­ nehmen zu wollen, taten aber die Gegenfrage, wie sich die einzelnen Fürsten dazu^ stellten4). Die Absicht ist deutlich zu trennen. Man wollte die mühsam geeinigten Fürsten wieder erkennen, um die Gesandtschaft an den Kaiser hinfällig zu machen. Nur bei einer Beteiligung sämtlicher protestierenden Städte hätte man den Mut dazu gehabt. Doch gelang dieser Plan nofch nicht* geschickt erwiderte S. von Boineburg, daß er *) Instruktion des sächs. Kanzler Chr. Bai er. Müller S. 340 ff. Lud ewig S. 105. a) Müller S. 345 f. 3) Müller S. 349. Instruktion für den Kaiser S. 352 ff., 369 ff. Sendung an Ferdinand S^374 ff. Ludewig S. 107 f. 4) A. R. A. XI, F. 422. Müller S. 346 f.

198 ja gar nicht hätte erscheinen dürfen, wenn man über die Glaubensartikel nicht einig gewesen wäre. So nahmen denn CI. Volkamer und Chr. Koler den Vorschlag der Fürsten »auf einen Bedachte an1). Bei Gelegenheit der Verhandlungen kam auch die Rede auf die Frage, ob man dem Kaiser bei einem Angriff um des Glaubens willen Widerstand leisten dürfe. Sachsen und Hessen waren dafür, Brandenburg und Nürnberg dagegen. Die Verhandlungen wurden sehr lebhaft, da auch Spengler, Link und Osiander sich beteiligten. Der Streit war unnütz, Eine Verständigung unmöglich. Gegen Nürnberg fielen wegen seines Zögerns scharfe Worte, daß es auf einmal so ängstlich sei in religiösen Dingen und dabei noch die katholische Messe in seinen Kirchen dulde2). Das bestärkte den Rat noch mehr in seiner Ansicht, die Vorschläge der Fürsten mög­ lichst hinauszuschieben, ja alles womöglich im Sande verlaufen zu lassen. Am 8. Januar 1530 ließ er erklären, am besten sei es bei der Nähe des Reichstages, die ganze Sache auf sich beruhen zu lassen3). Sie drangen durch. Die Fürsten sahen ein, daß sie allein bleiben würden und der Erfolg der Gesandtscha^t/eitff hö.Qhst kläglicher sein würde. Man* überließ es den Gesandten, von dem Gutachten der Nürnberger zu Hause Bericht abzustatten4). Nur Georg von Brandenburg kam auf diese Sache noch zurück und wünschte wenigstens die Absendung eines Schreibens. Sachsen lehnte aber, da der Reichstag sich immer mehr näherte, ab5). In Nürnberg war man mit dem Ergebnis durchaus nicht unzufrieden. Man war entschlossen, auf andere Weise mit dem Kaiser sich zu verständigen. Man griff auf den Vorschlag Hepsteins und Közlers zurück, und sandte am 26. Januar 1530 Seb. Haller und Lienh. Stockheimer an den kaiserlichen Hof. h A. R. A. XI, F. 422. Müller S. 346 f. 2j Erklärung der Nürnberger Müller S. 350, Ludewig S. 106. 8) A. R. A. XI, F. 422. Erklärung der Nürnbergerbei Müller *S. 383 ff., cf. S. 349 f. 4) Abschied des Tages d. d Mittw. n. Trium Regum (12. Januar) 1530. A. R. A. 16, F. 5. Müller S. 347 ff. 5) Georg v. Brandenburg an Joh. v. Sachsen d. d. Fr. n. Dor. (11. Februar) 1530. A. R. A. VII, F. 183 (XVI, 12). Die vorgeschlagene Schrift F. 184 ff., g. bei J. J. Müller S. 388 ff. Antwort Sachsens d. d. Torgau Sam. n. Matthiae ap. (26. Februar) 1530. A. Rel. A. 16, F. 31. Erwiderung Georgs d. d. Liegnitz Mittw. n. palmarum (13. April) 1530. A. R. A. 16, F. 34.

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Eine Anzahl der kaiserlichen Räte wurde gebeten, ihre Mission zu unterstützen1). Über ihre Instruktion wissen wir nichts. Aber aus späteren Verhandlungen ergibt sich, daß sie durch Versicherung der Ergebenheit der Stadt den Zorn des Kaisers ablenken sollten. Ihre Aufnahme war wohl nicht die beste, die Stimmung gegen die Evangelischen eine feindliche. So überschritten sie denn ihre Instruktion und ließen sich zu Äußerungen herbei, die man als Rücktritt ihrer Stadt von der Protestation deuten konnte2).3 Ihre Berichte dienten natürlich nicht' dazu, die Ratsherrn mutiger zu stimmen. Man suchte ängstlich alles zu vermeiden, was des Kaisers Unwillen erregen konnte. Da machte es auch wenig Eindruck, daß das Aus­ schreiben des Reichstags merkwürdig mild und versöhnlich gehalten war8). Als Straßburg ein Zusammengehen mit Ulm und Nürnberg anbahnen wollte, lehnte man ab4), allerdings schon aus dem Grunde, weil Straßburg eventuell auch gegen den Kaiser sich verteidigt hätte5). Als nun L. Stockheimer und S. Haller nach 75 tägiger Abwesenheit wieder in Nürnberg ankamen6), hielt man es für das beste, sogleich wieder einen Diplomaten, P. Wagner, nach Italien zu senden, um das Interesse der Stadt überall zu ver­ treten7). Er sollte auch über alle wichtigen Angelegenheiten *) An Heinrich v. Nassau; Alex. Schweiß; Balthasar Waldkirch; Gattinara; de Roys; Granvella und Alf. Baldeo; Dom. Lasclia und den Hauptmann von Preßa; Jorg Geuder 26. Januar 1530. Nürnberger* Briefb. 99, F. 199 b ff. 2) S. Rat an seine Gesandten 10. Juni 1530. Briefb. 101, F. 110, g. bei W. Vogt, Die Korrespondenz des Nürnberger Rates mit seinen zum Augs­ burger Reichstag von 1530 abgeordneten Gesandten [Mitteilungen des Vereins für Geschichte der Stadt Nürnberg 1882], S. 13. — S. auch Virck I, S. 432, 449. 3) Nürnberg an Joh. v. Sachsen d. d. 8. März 1530. An B. Baum­ gartner d. d. 8. März 1530. Nürnberger Briefb. 101, F. 30 a , 31a (S. VII, L. 117, Nr. 103). 4) An Straßburg und Ulm 18. März 1530. Nürnberger Briefb. 101, F. 59b, g. bei Virck I, S. 431h An die dreizehn zu Straßburg. Briefb. 101, F. 43JL, g. bei Virck I, S. 432 f. Cf. Soden S. 331. Keim, Schw. Ref., S. 164 Anm. 5) Melanchthon an Baier 31. März 1530. Corp. Ref. II, S. 34. 6) S. Kreisarchiv Nürnberg. Belege zur Nürnberger Jahresrechnung 1530. Nach Jahresrechnung 1530, F. 124, kostete ihre Reise 318 fl.. 1 ® n., I Sch. Als Geschenk bekamen sie 2 Paar vergoldete Schalen auf Füßen im Werte von 110 fl. rh., I ® n, Jahresrechnung 1530, F. 211. Cf. Soden S. 330. 7) Pancr. Wagner war 9 Wochen 4 Tage am kais. Hofe. Er bekam 96 fl. Jahresrechnung 1530, F. I25_a. Bitten an Alex. Schweiß und B. Wald­ kirch, ihn zu unterstützen, d. d. 16. April 1530. Nürnb. Briefb. 101, F. 62_b, 63^.

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die Stadt in Kenntnis erhalten. Wenige Tage darauf fragte Kurfürst Johann von Sachsen an, ob man bereit wäre, während des Reichstages Luther zu beherbergen. Der Rat war in einer schwierigen Lage. Man wollte weder Sachsen vor den Kopf stoßen, noch auch den Kaiser durch Aufnahme eines Geächteten erzürnen. Hier aber gab es nur ein entweder oder. In der Ratssitzung vom 12. April 1530 kam man zu keinem Ende. Erst am folgenden Tage einigte man sich dahin, Sachsen eine ablehnende Antwort zukommen zu lassen. So mutig war man in Nürnberg nicht, daß man dem Manne, dessen Anschauungen von der ganzen Bevölkerung begeistert aufgenommen worden waren, eine Zufluchtsstätte gewährt hätte. Aber man fühlte die heikle Situation. Michael von Kaden wurde auserlesen, um die ab­ lehnende Antwort dem Kurfürsten zu übermitteln*). Der Kaiser kam immer näher. Man merkte, daß der Reichstag doch stattfinden würde. Der Rat beauftragte des­ wegen am 19. April 1530 die Juristen und Theologen, sich über die nötigen Schritte zu beraten2). Erstere sahen die ganze Sache von der günstigsten Seite aus an. Sie glaubten Grund zu der Annahme zu haben, daß von einer Verhandlung über den Glauben keine Rede sem würde. Es würde sich vielmehr um die Wiederherstellung der geistlichen Jurisdiktion handeln. Dagegen könne man sich leicht wehren. Derartige Verhand­ lungen habe das Reichstagsausschreiben nicht berührt und in Gewissenssachen hätten die Geistlichen überhaupt nichts zu beschließen. Wenn aber trotzdem ein Edikt ausgehen würde, *) S. Th. Kolde, Analecta Lutherana. Gotha 1883. S. 119 f.; Kirchengesch. Studien Hermann Reuter gewidmet. Leipzig 1890. S. 251 ff. (Akten im Nürnberger Kreisarchiv S. I, L. 37, Nr. 2, 9). v. Soden S. 331 f. Ratsverlaß vom 12. April 1530: herzog Johan des mel und habern halb willfaren und des weins halb erbieten, wie erteilt ist, des Luthers halb bedenken, burgermeister. 13. April 1530: zu hertzog Johansen churfursten Micheln von Ca den schicken der profiand halben wilfarig antwort geben, aber des Luthers halben ableinen laut der instruction, auch der botschaft halben mit gemeinen Worten zu verantworten. CI. Volkamer. Ratschreiber. R. V. 1529, H. 14. 6 Tage blieb Mich. v. Kaden aus und brauchte 6 fl. rh., 16 Sch., 8 Heller. Jahresrechnung 1530, F. 124 (S. auch die Belege zur Jahresrechnung). R. V. 20. April 1530: Michel von Kadans relacion ruen laßen, doch in acht haben, was von k. majestät ankunft weiter an einen rat gelangt, solchs dem kurfursten zu wissen zu fügen. 2) Ratsverlaß vom 19. April 1530: bei den theologen und gelerten rat­ schlagen, was in des glaubens Sachen auf dem reichstag zu handeln sei und ein rats vornemen sei zuverantworten. Chr. Koler. Jer. Baumgartner.

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solle man zur Protestation greifen. Nürnberg hätte noch dazu nur von Bamberg eine Klage zu erwarten. Die vielfachen Verhandlungen mit dem schwäbischen Bund böten die besten Mittel zur Verteidigung. Falls aber doch vom Glauben ge­ handelt würde, so sollten die Theologen ihre Ratschläge über­ geben, welche allerdings nicht sehr heftig sein dürften. Eine Berufung auf die Reichstagsabschiede 1524 und 1526 sei angebracht1). Die Theologen glaubten im Gegensatz dazu, daß es sich wohl darum handeln würde, besonders wegen Änderung der Ceremonien Rechenschaft zu geben. In einem langen Gutachten stellten sie zuerst fest, daß nach dem Worte Gottes alles in der Kirche sich richten müsse, und zeigten dann, wie im einzelnen, so bezüglich der Messe, Klosterleben, Jurisdiktion der Bischöfe, dieser Grundsatz zur Geltung komme2). Unterdessen war der Kurfürst von Sachsen in Nürnberg gewesen. Von Forchheim her langte er am 2 7. April 1530 in der Stadt an, von Hans Ebner und Hans Geuder feierlich empfangen3). Nur einen Tag hielt er sich hier auf*, Osiander hörte er predigen in der St. Lorenzkirche. Es scheint kaum glaublich, daß nichts von der politischen Lage geredet worden ist. Aber zu definitiven Abmachungen scheint es nicht ge*) S. 1. L. 68, Nr. 6 und Ratschlagb. 24, F. 355 ff., gedr. als Beilage II. 2) S. I, L 68, Nr. 6, g. als Beilage III. Ratsverlaß 31. April 153°: den ratschlag der prediger und gelerten sammeln und beim rat vorlegen. Coler. Baumgartner. 7. Mai 1530: den predicanten, die den ratschlag verfaßt, ein danksagung thun. Coler. Baumgartner. 8) Melanchthon an Luther dd. 28. April 1530, Nürnberg. Enders VII, S. 310. — Müller S. 464. v. Soden S. 332 f. Jahresrechnung 1530, F. 211 ff. Schenkbuch (Ms. 491) F. 54, 135. Ratsverlaß 21. April 1530: hertzog Johann von Sachsen um ein herberg besehen. Baumgartner. 23. April 1530: den kurfürsten von Sachsen in des von Ploben haus legen und das dem von Ploben zu wißen thun. Auch mit Pfannen handeln, ob man sein haus zu den jungen fürsten nottürftig werd. Volkamer. Baumgartner. 25. April 153°: dem churfursten von Sachsen Hans Veit unter äugen schicken zu erfaren, wann sein churfürstlich gnad herkomme. Kriegsherren. 26. April 1530: dem chur­ fursten ein wagen mit wein, drei wagen mit haber, 1 groß vaß bier und bei 20 fl fisch schenken. Volkamer. Baumgartner, dem churfursten von rats wegeh entgegen zu reiten hern Hans Ebner, Hans Geuder. 27. April 153°: dem churfursten und die andern fürsten das zeughaus und gebäu sehen laßen. Zeug­ herren. Grundherr. Ebner. 29. April 1530: mit dem Domlein handeln, die gemacher in des von Ploben haus frei zu laßen und dieselb herberg der fürsten halb, die verziehen, zu gut halten, des wartgeldes noch geschweigen. Baumgartner. Gf. Ratsbuch Nr. 14 im Nürnberger Kreisarchiv F. 103^.

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kommen zu sein. Bloß das eine hat der Kurfürst wohl betont, daß er sich zunächst mit Brandenburg verabreden würde1). Ein Gutes aber hatte sein Aufenthalt doch. Die Unerschrocken­ heit, die er bezeugte, ließ auch den gesunkenen Mut des Rats wieder aufwachen. Man war sich jetzt wohl klar, daß es noch zu bedeutenderen Verhandlungen kommen würde, als die Juristen meinten. Eine Verteidigung der Stadt durch ihre Juristen und Theologen auf dem Reichstage schien ihnen nunmehr geraten. Am 5. Mai 1530 erhielten Osiander und Hepstein den Auftrag, sich zur mündlichen Verantwortung der Reichsstadt bereit zu machen2). Zu einer bestimmten Instruktion konnte man sich aber in Nürnberg noch nicht entschließen, als Chr. Kreß und CI. Volckamer nach Augsburg abgeordnet wurden. Man gab ihnen nur im allgemeinen die Weisung mit, sich immer mit dem Kurfürsten und Markgrafen zu verständigen3). Am 5. Mai 1530 kamen beide in Augsburg an4). Chr. Kreß suchte seinem Aufträge redlich nachzukommen. Gleich nach seiner Ankunft begab er sich zum Kurfürsten von Sachsen, um sich mit ihm ins Benehmen zu setzen5).6 Die Vermutung liegt aber nahe, daß er von Anfang an den Stand­ punkt vertreten hat, daß sich die Nürnberger Sachsen unbedingt anschließen und das sächsische Bekenntnis zu dem ihrigen machen sollten. In den ersten Unterredungen mit den säch­ sischen Räten kommt er auf dasselbe zu sprechen- unausgesetzt b Nürnberg an Markgraf Georg 14. Mai 1530. Briefb. 101, F. 82, g. bei Vogt 4. 2) Ratsverlaß 1530, 5. Mai: den Osiander und doctor Hepstain ansagen bedacht zu sein, ob not des glaubens artikel halb mündlich verantworten thun, daß sie sich schicken laßen und ob not zwei des rats daneben, inen auch das gestellte ausschreiben zustellen. Coler. Baumgartner. Osiander an Luther 21. Juni 1530: ego Uisce diebus scribere coactus sum apologiam sive consilium, quomodo nostri agere debeant eo animo, ut me quoque illuc profecturum putarem. End-ers VIII (1898), S. 17. Cf. C. Ref. II, Sp. 53. 3) Corp. Ref. II, Sp. 68, 69, 88, 109. Vogt S. 12. 4) Stadtarchiv Nürnberg. Nürnberger Reichstagsakte 1530 (Ms. Cent. V, app. 34 K. K.), F. 1. Bericht der Gesandten vom 17. Mai 1530. C. Ref. II, Sp. 50.6) Chr. Kreß und CI. Volkamer an die Herren Eltern 17. Mai 1530. Corpus Ref. II, Sp. 51.

203 beschäftigt er sich mit ihm in seinen Briefen1). Leicht ward ihm nicht, diese Pläne zur Ausführung zu bringen. Bei den evangelischen Ständen wie Sachsen und Hessen herrschte großes Mißtrauen gegen die Reichsstadt. Die Politik Nürnbergs am Beginne des Jahres trug jetzt ihre Früchte. Dunkle Gerüchte hatten sich verbreitet, als ob man dem Speirischen Abschied 1529 zugestimmt hätte2). . Dreimal fragte Philipp von Hessen Chr. Kreß, wie es denn eigentlich damit sich verhielte3). Nicht minder wollte der sächsische Kämmerer Rietesel Gewißheit haben, ob Nürnberg sich wirklich dazu erboten hätte, die evangelische Predigt einzustellen4). Es kostete viel Mühe, diesen Verdacht von Nürnberg abzuwälzen. Man konnte nicht leugnen, daß Stockheimer und Haller zum mindesten sehr zwei­ deutig sich benommen hatten, und mußte sich gestehen, daß man auch an diesen Gerüchten selbst schuld war5). Pancr. Wagner, der noch am kaiserlichen Hofe weilte, wurde angewiesen, in seinen Versicherungen von der Ergebenheit der Stadt nicht zu weit zu gehen und den evangelischen Standpunkt wohl zu betonen6). Ob aber das der einzige Widerstand war? War nicht vielleicht in Nürnberg gleiches Mißtrauen gegen Sachsen zu überwinden? Kreß ging langsam aber zielbewußt vor. Er ließ nicht nach, bis er den sächsischen Ratschlag empfangen hatte7), *) Briefe vom 17., 20., 24 ,26., 28., 31. Mai 1530. Nürnberger Reichstagsakta F. 5, 6, 9, 14, 18, 20. C. Ref. II, Sp. 53, 56, 62, 68, 71, 78. E. vS. Cyprian, Historie der Augsburgischen Konfession. Gotha 1731. S. 249. G. Chr. Schwarz, De Norimbergensibus de augustana confessione bene meritis 1730. Altdorf. S. 5. 2) Campegius an Salviati 29. Mai 1530. Ce sono pratiche con Hulmensi et di Nurembergensi et si spera bene. H. Lämmer, monumenta Vaticana historiam ecclesiasticam saeculi XVI. illustrantia. Freiburg 1861. S. 35. 3) 16. Mai 1550. C. Ref. II, Sp. 51 f. Ludewig S. 110. Müller S. 129. 4) 25. Mai 1530. C. Ref. II, Sp. 68. Ludewig S. in. Kreß war wohl selbst andrer Meinung als die Ratsherren gewesen. S. Keim, Ref. v. Ulm, S. 181. 5) Der Rat an die Gesandten 27., 30. Mai, 10. Juni 1530. Nürnberger Briefb. 101, F. 95, 98, 110. Vogt S. 6, 13. Cf. Corp. Ref. II, Sp. 78. Virck I, S. 449. Noch zu geicher Zeit suchte man Albrechts v. Mainz Ver­ wendung für die Stadt. C. Ref. II, Sp. 67. Schwarz S. 5. . 6) An Pancr. Wagner. Briefb. 101, F. 99, g. bei Vogt S. 7. 7) Briefe vom 17., 24., 26., 28. Mai 1530. Corp. Ref. 11, Sp. 53, 62, 68, 72. Kreß übergab das Nürnberger Gutachten: wohl Beilage III. C. Ref. II, Sp. 53. Cf. 56. Möller 129.

204 und übersandte ihn sofort nach Hause1) (3. Juni 1530). Als man immer mehr von den Praktiken des Kaisers hörte, ver­ gewisserte er sich zunächst der brandenburgischen Zustimmung. Vogler erklärte sich vollkommen einverstanden mit seinen Plänen und wünschte, daß die sächsische Schrift in aller Namen über­ geben würde. Daraufhin fragte Kreß in Nürnberg an, ob er sein eignes Verzeichnis übergeben solle oder ob er mit Branden­ burg eine Anregung bezüglich gemeinsamer Überreichung des sächsischen Bedenkens tun solle2). Bereits am 10. Juni beriet man sich in Nürnberg über die Anträge von Chr. Kreß. Die sämtlichen Theologen, welche gefragt wurden, Link, Schleupner, Osiander, Koberer, Pistorius stimmten ihm zu. Osiander hatte nur das zu tadeln, daß der sächsische Ratschlag in manchen Punkten zu mild wäre und entscheidende Punkte gar nicht berühre. Ablehnend verhielten sich dagegen die Juristen Scheurl, Hepstein, Kötzler, Gugel, Müllner. Man merkt ihren Darlegungen die Furcht vor solch einem Schritt an. Zwar die Schärfe konnte man nicht tadeln, selbst Chr. Scheurl mußte zugeben, daß seine Haltung so ver­ söhnlich als nur möglich sei. So suchte man dann nach andern recht nichtssagenden Gründen, um den Wunsch Kreß’ ablehnen zu können. Man kam zum Beispiel auf die Verschiedenheit der Ceremonien in Sachsen und Nürnberg zu sprechen-, man warf ein, daß man ja noch gar keine Zusage von seiten des Kurfürsten hätte, am liebsten wäre es ihnen gewesen, Sachsen die ganze Verteidigung der Evangelischen zu übertragen. Osiander versuchte einen Mittelweg. Er schlug vor, eine eigene Schrift zu überreichen, in die man dann die sächsische Apologie einfügen könne. Doch darauf gingen die Juristen nicht ein. Beinahe könnte man meinen, Hepstein hätte es gar noch nicht *) Brief v. 3 Juni 1530. Zuerst wurde der lat. geschickt. Es fehlten aber noch 1— 2 Artikel am Ende samt dem Beschluß. C. Ref. II, Sp. 83; auch am 8., 15., 19. Juni war er noch nicht fertig. Sp. 88, 105, 113. Am 15. Juni 1530 wurde die deutsche Schutzschrift übersandt. C. R II, Sp. 105 (ohne Vorrede und Beschluß). a) Brief vom 8. Juni 1530. Nürnberger Reichstagsacta F. 34. C. Ref. II, Sp. 88. Gr. Chr. Schwarz, De Norimbergensibus quibusdam de Augustana confessione bene meritis 1730. Altdorf S. 6. Vorherige Verständigung mit Georg s. C Ref. II, S. 69. G. Chr. Schwarz S. 6. Vogt S. 4, 5. Ludewig S. m. Müller S. 129.

205 für siche.r gehalten, daß die Stände wegen ihres Glaubens sich rechtfertigen müßten1). Der Rat war aber doch nicht gewillt ihnen zu folgen. Seine Sympathien hatte das Vorgehen des Chr. Kreß doch schon längst2).* Man nahm eine zuwartende Stellung ein, bat die Gesandten, die noch fehlenden Stücke der >Schutzschrift« zu senden, gab ihnen aber zu erkennen, daß man ihren Plänen geneigt sei (10. Juni 1530)8). Kreß gab nicht nach. Am 15. Juni sandte er den deutschen sächsischen Begriff und erwähnte, daß Melanchthon schon auf den Beitritt der Evangelischen Rücksicht genommen hätte. Noch einmal erneuerte er seinen Vorschlag4). Es war schon nicht mehr nötig gewesen; denn am 14. Juni fand die entscheidende Sitzung statt, in der der Anschluß Nürnbergs an die Augustana beschlossen wurde5). Wohl nicht ohne Einfluß auf diesen Entscheid war die Nach­ richt vom Tode des Großkanzlers Gattinara6). Der Einfluß des Propstes Waldkirch stieg damit immer mehr. Noch drei Tage wartete man, erst am 17. Juni 1530 ging an Kreß und Volckamer die Nachricht von obigem Ratsbeschluß ab7). *) Protokoll. S. I, L. 68, Nr. 6, g. als Beilage IV. Ratsverlaß io. Juni 1530: bei den geistlichen und andern gelerten die ratschleg in evangeliums Sachen soll man beratschlagen, apologia, genannt. 2) Zuwartend noch der Brief vom 30. Mai; zustimmend der Brief vom 4. Juni; Nürnberger Briefbuch 101, F. 98Jl. 106Jl, Vogt S. 6, 9. Der Rat hatte inzwischen die lat. Apologie abschreiben und übersetzen lassen. S. Vogt 5. 13. Diese liegt S. I., L. 68, N. 6, Prot. 14, gedruckt bei Th. Kol de, Die älteste Redaktion der Augsburgischen Konfession mit Melanchthons Ein­ leitung. Gütersloh 1906. S. 4 ff. Ratsverlaß 4. Juni 1530: den lateinisch gestellten ratschlag der sächsischen unsern geistlichen gelerten Vorhalten und zuvor abschreiben lassen und doch vorkomen, daß der nicht abgeschrieben werde und in niemand hand kome. Coler. Baumgartner. Den gesanten zu augspurg schreiben, daß einem rat ihr schreiben zukommen und man die ratschlag woll abschreiben lassen und das sie die pfälzische tagsatzung in achtung haben sollen. Ratschreiber. 10. Juni: den lateinischen ratschlag soll man verteutschen lassen und das zu tun bitten herrn Jeronymus Baumgartner; man soll in mittlerzeit des rats freien. 8) d. d. 10. Juni 1530. Briefb. 101, F. uojl, g. bei Vogt S 12. 4) 15. Juni 1530. Nürnb. Reichstagsäkta F. 43. Corp. Ref. II, Sp. 105. S.. Ludewig S. m. Möller S. 129. 5) Ratsverlaß 14. Juni 1530: den gesandten zu Augsburg schreiben, daß einem rate der sächsische ratschlag gefalle und das sie bei dem churfürsten erkunden, ob sein gnaden leiden möge, daß ein rat sich mit unterschrieb und den beschluß des churfursten auch herabschicken oder ob man mit unterschied thun wolt. Ratsschreiber. 6) Corp Ref. II. Sp. 91. 7) Nürnberger Briefb. 101, F. 118a, g. bei Vogt S. 13ff. S. Lude­ wig S. 112.

206 Man war selbst zur Überzeugung gekommen, daß ein gemein­ sames Vorgehen das allein Richtige sein könne. Hepsteins und Osianders Gutachten waren dadurch überflüssig geworden. Es war die höchste Zeit. Eben die Vorgänge nach dem Einzuge des Kaisers in Augsburg bewirkten, daß Sachsen, Hessen, Brandenburg und Lüneburg sich fest zusammen­ schlossen1). Am 16. Juni 1530 kann Georg von Brandenburg schon reden von der confessio fidei nostrae2). Sofort nach Eintreffen des Nürnberger Schreibens eilte Chr. Kreß zu Brandenburg und Sachsen, um ihnen den Beschluß des Rates mitzuteilen3) (18. Juni). Einen Tag mußte er warten. Am 19. Juni 1530 wurde er in die Herberge des Kurfürsten berufen, wo die Fürsten zur Beratung über die endgültige Gestalt der Augustana berieten4). Man richtete an ihn die Bitte, die sofortige Absendung Osianders nach Augsburg zu veranlassen. Der Rat ging auch darauf ein* am 26. Juni 1530 reiste er nebst Hepstein von Nürnberg ab5). Er kam zu spät; bereits !) Zuerst wollte wohl Philipp eine gemeinsame Unterzeichnung. S. MeIanchthon an Luther 22. Mai 1530. S. Enders VII, S. 343. Der Zusammen­ schluß der Ev. war noch nicht am 8. Juni erfolgt. S. Nürnberger Bericht vom 8. Juni 1530. C. Ref. II, Sp. 88. Ebenso noch nicht 15. Juni 1530. S. Sp. 105. 2) G. Coelestinus, Historia comitiorum anno 1530. celebratorum. Francofordiae cis Viadrum. 1577* I, S. 82. Müller S. 528. 3) Bericht vom 19. Juni 1530. Corpus Ref. II, Sp. 112. S. J. F. Georgii, Uffenheimische Nebenstunden. 7 Stück. Schwabach 1743. I, S. 695. Cf. W. Vogt, Anteil der Reichsstadt Weißenburg a. Nordgau an der reformatorischen Bewegung. Erlangen 1874. S. 27, 58. 4) Corpus Ref. II, Sp. 124: postscriptum (Reichstagsakta f. 88). S. Th. Brieger, Zur Feier des Reformationsfestes (Zur Geschichte des Augs­ burger Reichstages von 1530). Leipzig 1903. S. 9. Möller S. 130. Ludewig S. 112. 5) S. Beilage V. Ratssitzung vom 22. Juni 1530. S. I, L. 68, N. 6. Osianders Schrift Beilage A. Hepsteins Schrift Beilage B, g. bei Hortleder I, 1, 8. Ratsverlaß vom 24. Juni 1530: den gesanten soll man doctor Hep­ steins vorschlege mit der Verbesserung, wie herr Christoph Kol er gemeint, abschreiben lassen und zuschicken und dann doctor Hepstein ein danksagung thun. 25. Juni 1530: herrn Andreas Osiander ein danksagung thun und sein ratschlag den andern predicanten vorzuhalten, ob sie dazu besserung wüßten zu raten, herrn Endres Osiander gen Augspurg zu reiten und mit dem ersten abzufertigen und zu Augspurg in unser herberg einzunehmen, das furderlich hinaufzuschreiben 26. Juni 1530: Andree Osiander prediger soll man verreiten lassen. Ratsverlässe 1530. Heft I. Cf. Möller S. 130, 134. Nürn­ berger Briefb. 101, F. 123 b. (23. Juni) und 125a (25. Juni), bei Vogt S. 19, F. 126a. (26. Juni), bei Vogt S. 20, 128 (28.Juni), beiVogt S. 21. Das Bedenken Hepsteins wurde nicht am 28. Juni, sondern mit dem Osianders am 30. Juni 1530 abgesandt. Briefb. 101, F. 129a. ced. — S. Ludewig S. 112. Die Jahresrechnung 1530 verzeichnet F. 106: 2 fl. rh. für Abschriften, 40 Blätter lang, der Ratschläge Osianders und Hepsteins nach Augsburg geschickt.

207 am 23. Juni hatte die letzte Sitzung der Evangelischen statt­ gefunden, in der das Bekenntnis unterschrieben worden war1), sodaß am 25. Juni 1530 die feierliche Überreichung stattfinden konnte2).

Beilagen. I.

Bericht

des

Kanzlers Vogler über Schmalkalden 1529.

den

Tag

von

Handlung zu Schmalkalden. Erstlich die botschaft gehört3). Darnach4) der von Stras­ burg und Ulm antwort, das die artikel weitleuftig und dispütirlich sein5). Daneben Hessen begeren. NB. Wie sein gn. solchs abgeleint. Auch was für ein rnittl0) forgeschlagen und wie solchs geweigert. Und was darauf zornsweis geredt ist, doch mit seinem erbieten gegen den churfürsten und marggrafen. NB. Was wir die marggrafen zu antwort geben. Item7) was darauf mit Nurmberg geredt ist, das sie weiter mit den zweien steten reden und handeln, sich mit uns zu vergleichen oder zu bedenken und uns solchs zwischen hie und purificationis Marie ab oder zuschreiben, sich auch in die maidburgische oder ander verstentnus einlassen sollen. Nurmbergisch antwort: »artickl des glaubens mit uns ains sein und pleiben. Aber mit den zweien steten zuhandeln, halten sie für unfruchtbar. Verstent­ nus halben kein bevel sich außerhalb der andern stete in die verstentnus einzelassen, wo aber die andern sich darein be]) Corp. Ref. II, Sp. 127 (Bericht vom 25. Juni 1530). Keim, Ref. v. Ulm, S. 186. Müller S. 571. Hassenkamp I, S. 246. Th. Kolde, Die Augsburgische Konfession. Gotha 1896. S. 8. Ludewig S. 112f. Virck I, S. 461. Keim, Schw. Ref., S. 167. Über Reutlingens Anschluß s. Georgii I, S. 688. C. Ref. II, Sp. 57. 2) S. Müller S. 58off. Dobel IV, S. 32. Hassenkamp I, S. 248. Th. Kolde, Die Augsburgische Konfession. S. 9. f. Virck I, S. 462. Georgii I, S. 700. Corp. Ref. II, S. 128 ff. Keim, Schw. Ref., S. 168ff. 3) Am 29. November 1529. Cf. Virck I, S. 418. Strobel IV, S. 114ff. 4) 30. November 1529. 5) Strobel IV, 117. Keim, Schw. Ref., S. 129. Virck I, S. 419. 6) A. Rel. Acta VII, 368. 7) 1. Dezember 1529.

208 geben, hetten sie bevelh ains raths beschwerden mit den andern steten anzuzeigen1)«. Weiter furhalten: das wir ir antwort die artickl den glauben betreffend gern gehört, bitend noch mit den steten zuhandeln, sich mit uns zu vergleichen oder die Sachen bis uf obersten zu bedenken. Verstentnus betreffend: sich der antwort nit versehen in bedacht, das sie begert, uf diesen tag davon zuhandeln, dann sie on das billich sein churf. gn. nit so gemuet solten haben (f. 377). NB. Zuschreiben, was ihr gemut sei. Und ist dabei begert von der relation der botschaft und Schickung zum kaiser mit einander zu reden. NB. Sie wollen mit den steten handeln, desgleichen von Schickung zu kai. mjt. mit den andern steten reden, aber in die maidburgischen bunduus zugehen, were einem rat ungelegen2). Was die von Nur mb erg bei den steten gehandelt und erlangt haben: sie hetten mit vleis mit inen gehandelt, aber kein anders, dann wie gestern gehört, erlangen können. Sie wolten sich auch uf die vorigen artickl weiter nit bedenken, dann sie westen, ire herren wurden die nit annemen, wo inen aber andere mittl furgeschlagen wurden, wolten sie die gern auf zu- oder abschreiben hinder sich bringen und wer inen zum höchsten beschwerlich on ends zuschaiden. Was den von Nürnberg weiter furgehalten ist: man hat sich irs vleis bei den steten furgewandt. Furzuschiahen westen. Wo aber sie uf weg gedencken konten, die mit gutem gewissen mochten gelitten werden, wolten wir sie heren und weiter dazu hören. Darauf haben sie gesagt, dieweil die artickel als cristlich und gut bekent sein, westen sie kein mittl dawider furzuschlagen. Uf solchs ist inen gesagt, weil die stet nit anders wolten, musten wirs gott bevelhen, wiewol wir am liebsten mit inen allen einig sein wolten3). Und dieweil man dann sonst uf der botschaft relation zu weiter handlung bedacht sein muß, wolten wir sie und die andern stet (f. 378) unsers glaubens darin hören und sich derhalben weiter mit einander entschließen. Item das die Schriften in dem handl ergangen, weil ditzmals nichts aus dem verstentnus wirt, wider gegeneinander ubergeben werden sollten. Nurmberg: das die stet außerhalb Straßburg und Ulm allein der botschaft halben hie heten auch ir zerung gelegt, darumb konten sie nit weiter davon handeln, wir mochten es aber selbst thun. Uf solchs ist die sach zu weiterm bedencken bis uf morgen angenommen, mitler zeit mit hertzog Ernsten und dem landb S. Strobel IV, ngf. . IV, 122 ff.

2) S. Strobel IV,

I2if.

3) Strobel

209 grafen weiter davon zureden1), Und alsdan2) den gesanten von steten Straßburg und Ulm ein schriftlich antwurt geben hiebei mit ^ bezeichnet3); aber daneben von uns den marggrefischen reten dem kurfursten der Schickung halben zum kaiser erinnerung getan, wie hiebei ufs kurtzt mit B gezaichent4) funden wirt. Welchs aber dem kurfursten nit gefallen, sondern angezogen hat, das er seins gewissens halben die stet, so vom sacrament nits halten, gleich so wenig neben sich zu prosequirung der appellation gedulden kan, als mit inen in hilflich verstentnus einzugeen, dann die sündigen wissenlich wider gots wort und also in den hailigen gaist, dem sonst kain sunde, so aus plodickait geschee, mog vergleicht werden* Und wiewol wir solchs zum tail wol heten wissen abzulainen, so haben wir doch die sach dahin gestalt, das sein kurf. gn. mit den von Nurmberg davon handeln möge, so wolten wir gern vleis tun sie zubewegen, das sie sich in solichem mit seinen churf. gnaden und uns vergleichen (f. 379). Darauf hat sich der kurfurst den halben tag underedt und uns am freitag5) frue umb sechs höre ufs haus beschiden, da ist gehandelt worden, wie hernach volgt: Erstlich haben wir uns mit einander underedt, was mit den von Nurmberg und andern, die unsers glaubens sein, der Schickung halben zu kaiserl. mjt. mocht gehandelt werden. Zum andern ob unsers g. h. gelegenheit auch sein wolt, sich in die maid­ burgische verstentnus zu geben, oder, wie die gepessert werden mocht. Daruf haben wir uns erstlich mit den von Nurmberg zehandeln mit den sechsischen verglichen. Aber der maid­ burgischen puntnus halben die antwort geben wie vor. Und als furter dem landgrafen und hertzog Ernsten von Lunenburg furgehalten, was den steten von Straß bürg und Ulm zu antwort geben, auch was mit Nurmberg und andern der Schickung halben zum kaiser beratschlagt und von wegen der maidburgischen buntnus für gut angesehen ist, hat erstlich Lunenberg gesagt, das sein gnad die zertrennung nit gern sehe und gerat, mit den gelerten noch einmal zusammenzu­ kommen, den andern teil zu uns zu bringen oder zu berat­ schlagen, wie man sich doch mit gutem gewissen zu inen verpunden mocht. Zum andern ließ im s. f. g. die Schickung zum kaiser gefallen. Zum dritten die maid burgische buntnus betr. het sich die stat Premen auch darein begeben zuversichtlich, das die stat Braunschweig auch darein kommen wurd, bittend ine zuverstendigen, was er inen für beschaid geben solt. *) 2) 3) 4) 5)

Strobel IV, 2. Dezember F. 359f. cf. F. 363 f. 3. Dezember

124 b 1529. (von hier ab Voglers Schrift). Virck I, S. 420. Strobel IV, S. 125. Keim S. 131. 1529.

210

Landgraf antwurt. Zertrennung gefall im nit. Sehe ine auch nit für gut an, zertrent zu kaiserlicher mjt. zuschicken, dazu sei schimpflich, die andern stete hieher zu beschreiben und nichts mit inen zu handeln [381]1). Und sei vil pesser zer­ trent nit zum kaiser zuschicken, dann die Schickung zutun. Sein f. gn. bedachten auch, das wir uns wol alle mit Straßburg und Ulm in verstentnus geben und den artickel vom sacrament dermaßen ausnemen mochten, das wir inen im selben fall zehelfen nit schuldig* das were je wider unser gewissen nit2). Wo aber solihs je nit sein, so wolten auch sein f. gn. in kein verstentnus geen, sondern bei vorigem maidburgischen verstentnus pleiben. Und wann marggraf Jorg und Nurmberg auch darein kom­ men wolten, sehe sein f. gn. gern, wo nit, so wolten doch sein f. gn. in dem und anderem leib und gut zu marggraf Jorg setzen; ob aber die sach je allenthalben on ends sein wolt, gefiel sein f. gn. der lüneburgisch ratschlag zu weiterzusamenschickung. NB. Wiewol von dem allem vil hin und wider geredet, so ist doch des kurfursten und unser antwort entlieh daruf gestelt, das wir mit gutem gewissen mit den mishelligen in kein verstentnus und gleich so wenig in weiter Schickung zum kaiser bewilligen mochten. So wüsten wir auch weiter weder on noch mit unsern gelerten mit inen zu taglaisten, wir weren dann zuvor, das sie uf irem teil weichen wolten, welche wir unserstails zeton nit gedöLchten, sondern wir wolten in solichem got mer dann ainig zeitlich gefare oder trost vor äugen haben, als auch got mechtig genug were, uns hinfur wie bisher zuerhalten und stund wol darauf, kai. mjt. und der andern widertail wurden mer entSetzung ob des clainen häufen bestendikait und antwort, dann ob des großen zwispeltikait haben [382]. Wo aber Lünenburg und andere mit iren gelerten zum gegenteil schicken oder körnen und etwas guts ausrichten mochten, sehen wir gern. Doch die­ weil sich die andern stet beschwern, das sie hieher kommen und noch nit erfordert weren, so wolt man sie nach essen fordern und hören, weliche bei dem rainen wort gottes bei uns besteen und mit uns zu kaiserlicher mjt. schicken wolten. Das hat im Lunenburg gefallen laßen, aber Hessen nit, und hat Hessen gesagt, er wolle für sich selbst mit den steten handeln und in ander weg sein notdurft bedenken. Uf solichs sind die stet nichts destoweniger umb ain höre ufs haus beschiden und ist mit inen gehandelt, wie hernach gemelt: erstlich hat man sich entschuldigt, warumb sie bisher nit J) Blatt 380 leer. 2) S. Virck I, S. 420.

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erfordert, mit erzelung, was auch mit Straßburg und Ulm gehandelt sei, und ist von inen begert, sich zueroffnen, ob sie die gestellten artickel unsers heiligen glaubens mit uns vergleicht haben und bekennen wolten oder nit. Darauf haben sie gesagt, das sie noch ire herrn die gestehen artickel zuvor nit gesehen und darumb kain abfertigung darauf heten, aber inen als teils gefielen solich artickel für sich selbst wol, hielten auch dafür, das ire herrn daran auch kain mangel haben würden, aber etlich under inen westen nit, was ire herrn im artickel das sacrament betr. zutun gedachten, derwegen wer ir bit, inen die artickel zugeben, das sie die hindersich bringen und ir herrn darauf weiter antwort geben mochten. So weren sie abgefertigt in Sachen die Schickung zu k. mjt. belangend neben andern zu handeln, was die billichait und notturft erfordert, auch mit der hilf gottes entlieh bei gottes wort zu besteen und zupleiben, es sei dawider, wer da wolle1). Uf solichs ist inen [383] erstlich muntlich antwort geben und nochmalen ain gemainer schriftlicher abschied zwischen allen stenden gemacht, wie der hiebei der sechsischen canzleihandschrift2) finden wurdet3). NB. Was der kurfurst der maid­ burgischen verstentnus halben gebeten hat, mit m. gn. h. und furter von seinen f. gn. mit Nurmberg zehandeln. Und was sich der kurfurst, sein sone und die herzögen von Lunenburg erboten haben. Kanzleivermerk von Voglers Hand: Memoriale der handlung zu Schmalkalden. A. R. A. VII, F. 376 ff. im Nürnberger Kreisarchiv.

II. Gutachten der Nürnberger Juristen für den Augs­ burger Reichstag. 7. Mai 1530. Ratschlag der handlungen halben uf dem reichtag zu Augspurg anno etc. 30 zu geprauchen durch der rechten dpetorn gemacht. Anfenklich haben die gelerten bedacht, das der erbern stett große notdorft were, irer session und stimme halben zu handeln, wie dann vorhin auch zum tail bescheen sey; dann es gantz unpillich, das die stet, so die mainst purde im reich tragen, kain stimme haben sollen. Wo sie dann die session erlangten, wer in allen iren anliegenden Sachen dester sicherlicher zu handeln. 1) S. Virck I, S. 420.

Strobel IV, 126ff.

Keim S. 132

2) F. 355. 3) S. Strobel IV, 129. 14*

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Zum andern werd irs achtens des heiligen glaubens Sachen, wie das ausschreiben vermag, gehandelt werden; aber nit der­ gestalt, das kaiserliche maiestat iden reichsstand insonder verhören werd, sonder werd durch Cardinal, bischof etc. audienz geben in gemain, vor denen die parteien als die bebstisch für aine und dann die evangelisch für die ander ire furtrage tun werden. Und sei zuvermuten, das der babstisch häuf sich gar in kain disputacion noch gefecht des glaubens halben einlaßen, sondern dohin dringen und arbten werd, das sie vor allen dingen, eh man vom glauben handel, wider in irn alten stand der gaistlichen jurisdiction etc. restituirt und eingesetzt und leichtlich davon nit weichen werden.

Dawider aber seien stattliche excepciones und gegenwer, nemlich das das ausschreiben dieses reichstags solicher restitucion nit, sonder gnedige verhöre und handlung ins heiligen glaubens Sachen vermöge1); so gestee man den gaistlichen ainichen pillichen poseß in diesen Sachen zuvor in den, die das gewissen belaugen, gar nit, haben' der weder aus göttlichem, noch menschlichem billichem gesetz oder Ordnung nie uber­ kommen, viel weniger besitzen mögen. Es kont und mocht auch diese vermaint restitucion kainswegs nimmer mehr beschehen mit erzelung, was unrats aufrur halben und in andere wege doraus erfolgen wurd, so man sich des understund. Wurden dann die bebstischen je darauf beharren und dar­ nach durch kaiserliche maiestat ain edict dorof ausgeen und durch die reichsversamblung also beschlossen werden, können die gelerten kain ander mittel bedencken, dan das sich die evangelischen und voraus die erbern stett wider zusamen halten und abermaln protestirn, appelirn für ain gemain frei concilium, dohin diese sach und nit uf den reichstag gehöre. Sollt aber ingemain vom heiligen glauben gehandelt und ain partei wdder die ander gehört werden, des sich doch wenig zuversehen, so achten die gelerten, das sich die evan­ gelischen stende uf die reichsabschied zu Nuremberg im virundzwaintzigsten und zu Spei er im sechsundzwaintzigsten jar ergangen zu behelfen hetten, sonderlich uf den articul des Nurmbergischen abschieds, do stet, das sich die stende des reichs, das kaiserlich edict zu Wormbs usgangen zu halten schuldig erkennen, sovil ine möglich, und stee der behelf uf dem wörtlein möglich. *) Ausschreiben des Kaisers Karl V. zu dem Reichstage nach Augsburg Ansb. Rel. Acta 15, Fol.3ff., gedr. z. B. bei K. E. Förstemann, Urkunden­ buch zu der Geschichte des Reichstages zu Augsburg im Jahre 1530. Halle, 1833. I, S. iff.

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Item weiter, das das heilig evangelion mittlerweil bis zu einem concilio frei und lauter gepredigt werden soll, wie das durch die lerer von der heiligen christenlichen kirchen angenom­ men ausgelegt worden sei1). Dieser articul: frei zu predigen, wie es die lerer usgelegt haben, wiewol er beder partei dien­ lich, sei er doch für die evangelischen gantz wol zuversteen; dan wir glauben nit, das die heilig christlich kirch sonder ain andere pose unchristenliche versamblung die babstischen leren angenomen hab. Soll man das evangelium frei lauter predigen, so mus es nit an die lerer gepunden sein, sonder ist für sich selbs ain frei lauter wort gottes. Item im speirischen reichsabschied steht, das ain ide oberkait mittlerweil des concilii sich in Sachen des heiligen evangelii halten soll, wie ers gegen gott und kaiserlicher maiestat zu verantworten wiß und getrau, welichs dann die evangelischen stende bishero getan und dermassen gehandelt, das ir gewissen gegen gott in diesem fall rain sei, des verhoffens, sollichs gegen kai. majestat mit gutem grund leichtlich zuverantworten2). Und obgleich der widertail sagen wurd, es were dieser articul im jüngsten spei rischen reichsabschied cassirt und aufgehept und den nimmer pundig sein lassen wollten, so haben doch die evangelischen dogegen furzuwenden, das sie sich des­ selben nie verziehen noch begeben, sondern dawider protestirt, appellirt. Item es mog auch zur excepcion furpracht werden, das durch die evangelischen in des evangelii Sachen nie nichts neues furgenomen, geendert oder angenomen worden, sonder was sie itzt halten und glauben, das sei über, das es in heiliger göttlicher Schrift reichlich gegrünt, vormaln vor viel hundert jarn in den conciliis gehandelt worden, nemlich von der pristeree, von sacrament, von gaistlicher oberkait, das es aber also,' wie es itzo aus christlichen genug darzubewegenden Ursachen furgenomen und gehalten wird, dergestalt in alten conciliis nit beschlossen worden, das irrt nit, dann die warheit ist, das viel und der merer tail fromer gelerter und gottsforchtiger Christen in denselben conciliis solliche strittige articul mit der schrift haben defendirt und erhalten; ob nun darüber die alten als papisten für sich und ire peuche beschlossen, trag nit uf ime, das ine idermann nachzufolgen schuldig sei. Verrer zaigen die gelerten an, das ires achtens meine herren ain erber rat uf diesem reichstag kain sonder anfechtung haben werden, es geschehe dann vom bischof von Bamberg, J) Neue und vollständigere Sammlung der Reichsabschiede I. Franckfurt a. M. 1747. 2. Teil S. 258$ 28h

2) 1. c. S. 274. § 4-

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der gleichwol nit feiern mocht, sein gaistliche jurisdiction uf die pan zu pringen und zu erhalten. Wurd ers dann furnemen, so sei vorhin in derselben Sachen vor den bundsstenden mit vleiß und dermassen gehandelt, wo man dieselbn Schriften und handlung widerhole und an die hand neme, das man der nit verpessern, sondern grunds genug darin finden werde. Darumb sollt auch ain auszug aus denselben Schriften und handlungen uf diesem reichstag zu geprauchen gemacht werden1). Item so sunst ingemain vom heiligen glauben gehandelt wurd, mußt durch die theologen und prediger mit der heiligen schrift gefochten werden und wurd der furtrag durch sie beschehen müssen. Und nachdem meiner herren prediger ainen ratschlag be­ griffen, sehe doctorn Hepstein für gut an, das derselb durch ander verstendig auch vleißig ersehen wurd, damit nit zu weit darin gangen und nachteiligs gehandelt werd. Und zum beschluß sagen sie, es werde gehandelt, was es woll, so es wider das heilig evangelion gehandelt und be­ schlossen, so sei kains wegs zuraten, das man darzu stillschweig, sonder sich treulich zusamen halt, stattlich dawider protestir und an ain christenlich gemain frei concilium appellir. Dann es gepur sich in kain wege, were auch gott und sein heilig wort schmehlich und allen Christen verweislich, über die erkanten göttlichen warheit sich wider uf das gotlos pfaffenwerk zu begeben. Und nachdem ungewiß, wie, was oder wellicher gestalt uf diesem reichstag gehandelt werd, so sei auch nit möglich, itzo aller ding gruntlich daran zuratschlagen, sonder der markt werd leren, wie man kaufen soll, und also sich selbs fuegen, wie sich in diese sach soll geschickt werden. So sei nit vermutlich, das die furtrage muntlich beschehen,

sonder in Schriften geantwurt und den tailn zuverantwurten zugestellt werden. Wo dann das geschiht, kann man allemal bedacht und rat haben. Der türkenhilf und ander Sachen im usschreiben gemelt geben die gelerten den Stenden, so das usgeben gepurt und am mainsten dorumb wissen, zubedenken, sei irs ampt nit. Actum freitag2) 7. Maii 1530. Kgl. Kreisarchiv Nürnberg S. I, L. 68, N. 6. Ratschlagbuch 24f. 355—358. *) H. Westermayer, Die brandenburgisch-nürnbergische Kirchenvisi­ tation und Kirchenordnung 1528—1533 Erlangen 1894. S. 45 ff. 2) Der Freitag war allerdings der 6. Mai.

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der Theologen

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III. Gutachten für den Augsburger Reichstag Mai 1530.

1530.

Fursichtig, erber und weis günstig lieb herrn. Euer weishait haben dise tag an uns lassen sinnen, ainen ratschlag zuverfassen, mit dem E. W. von ir selbs und der iren wegen zu künftigem reichstag geschickt sein möchten, ob es von noten sein und begert wurde, unser lere auch der geenderten kirchengepreuch halben gründlichen bericht und rechenschaft zu geben1). Dem haben wir als die gehorsamen, wie billich, gelebt und etliche puncten, daran auch am maisten gelegen, in ain verzaichnus gepracht, die auf alle wege zur notturft haben zu geprauchen, dergestalt, ob anfenklic'h die kai. mjt. oder gemaine stende des reichs grund und ursach unserer lere zu haben begerten oder wissen wollten, aus was cristenlichen pillichen bewegungen die beschehen enderung etlicher mispreuch forgenomen were, oder ob die kaiserlich mjt. über allen christenlichen bericht je darauf dringen wolt, das man von sollichem, wie es furgenomen, widerumb absteen und den alten bäbstischen mispreuchen, wie vor, anhangen sollt, das man mit diesem gaistlichen harnisch (dann weiter oder mer ver­ mögen wir nit) gerüstet sei; dann dise gaistliche waffen, der sich die Christen in diser suchen gegen irer oberkait allain geprauchen sollen, sind, wie Paulus sagt, mechtig vor gott, zuverstören die befestigung, anschleg und alle höhe, so sich erhebt wider die erkantnus gottes und nemen gefangen alle Vernunft unter den gehorsam Christi2). Wir haben warlich ain hohe sichere verhaißung unsers herrn Jhesu Christi Math. 16., das alle porten der hellen seine gemain nit uberweltigen sollen, darumb das si auf den felsen der bekantnus Christi erpauet ist3). Man kan je durch kainen andern wege allem gewalt, so wider die Christen lichtet, das sei, was es wöll, widersteen dan allain durch freie bekantnus christenlicher warhait, die got selbs ist. Wer nun also zum namen des herrn fleucht und den als ain gehorsam glid gottes bekennet, dem würdet gewißlich kain not, gewalt oder macht ainichen schaden fuegen, ine auch kain zwanck uberweltigen, wie Salomon spricht proverb. 18., der name des herrn ist ain vestes schloß, der gerecht lauft dahin und wurdet beschirmet4). Wir haben euer W. zu Zeiten nechstgehaltens speirischen reichstags für den grund und J) 2) s) 4)

Katsverlaß vom 19. April 1530. 2. Cor. 10, 4. 5. Matth. 16, 18. Spr. 18, 10.

216

hauptartickel dises wichtigen christenlichen handeis, der das hail, sterben und verderben der gewissen und seien belangt, durch unsern ubergeben ratschlag1) angezaigt, das von nöten sei, sich endlich zuentschließen, bei dem wort gottes bestendigklich zupleiben und das mit hertzen und mundt zu­ bekennen. Wie dann allen cristen, zum furnemlichsten aber den oberkaiten, die für ire bevolhene Untertanen sorgen und rechenschaft geben muessen, in allweg zu tun gepurt, und sich davon ainich zeitlich droe, forcht oder andere Ursachen abschrecken zulassen. Wissen auch in dieser Sachen noch kain andern grund zulegen oder E. W. ain anders zuraten, wir wollten dan für ungetreue hirten und plinde weglaiter bei gott und allen christenlichen menschen geurteilt werden* Und wollen denselben unsern gegeben ratschlag hiemit E. W. widerumb zu gedechtnus gefuert und unser getreuen ermanung erinnert haben. Dann wo E. W. sich stracks auf gottes wort erwegen dergestalt, das si als die christenlichen glider dem­ selben anhangen und davon nit weichen wollen, so ist über das weder unsers oder anderer menschen ratschlagens, anzeigens oder unterrichtens von nöten; dann E. W. werden alsdan den, dem si keklich vertrauen, wider die gantzen weit zu ainem starcken, unüberwindlichen helfer haben. Sollten aber euer erberkait (das gott genedigklich verhuetten wöll) zu ainem andern und dahin beredt werden, disen prunnen des lebens zuverlassen, so ist unser und der gantzen weit ratschlagen, warnen und ermanen hierin gantz vergebenlich und one frucht, dieweil si den wider sich haben, von dem si on not abgewichen sein. Wann nun der wider uns ist, bei wellicher creatur in himel oder auf erden haben wir alsdan ainichs trosts, hilf oder schütz zufursehen? Dan wie sollt und wurde uns der helfen, den wir nit so für getreu und mechtig geacht haben, das er uns helfen werde oder könne. Es sollen je E. W. und ain jede christenliche oberkait die wunderbarlichen taten gottes, die wir bishere in diser Sachen augenscheinlich gesehen haben, billich dahin fueren, got höher zu achten, dem auch kunlicher und statlicher zu vertrauen, dann sich ains rauschend plat menschlicher augenplicklicher forcht von der warhait schrecken zu lassen. Wir wollen der tröstlichen verhaissung und zusagung gottes, der die gantz Schrift vol ist, die auch nimermer feien mögen, geschweigen. Dan wer kan doch sagen, das die, so bishere gott in diser Sachen vertraut, ungeachtet, das si schier bei der gantzen weit für ketzer, verfürer, aufrürer und ’) Bamberger Kreisarchiv. Brand. Reichstagsacta 1529 Tom. 13, Fol. 107 ff. Cf. J. Ney, Geschichte des Reichstages zu Speier im Jahre 1529. Hamburg 1880. S. 144 ff.

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Verursacher alles unrats und irrsals berüchtigt und nun bei zwelf jaren an leib, guet und eren zuvervolgen unterstanden worden sein, je ainichen sondern schaden gelitten haben, zuvor aber die christenlichen oberkaiten; darumb wir uns auch unzweifenlich versehen, E. W. wissen sich hierin als christenliche regenten und obern also zu halten, wie vor gott dem gerechten richter, den nimandt betriegen kan, on forcht irer gewissen rechenschaft darvon zugeben und zu besteen verhoffen. Es were gleichwol unsers achtens nit von nöten, E. W. unser lere auch der beschehen enderung halben ainichen verrern bericht zutun, dweil die grund und Ursachen desselben von den beden pfarrbröbsten alhie im druck hievor offenlich ausgangen sein1); dergleichen haben wir E, W. der ceremonien halben hievor unsere sonderliche ratschlag, was man mit gottes wort erhalten kan oder nit, auch ubergeben. Zudem das wir uns nit versehen, das auf disem reichstag ain solcher proceß furgenomen werde, von ainem jeden insonderhait rechenschaft seiner handlung und glaubens zu nemen, dieweil dis ain gemaine sach ist, die gantzen christenhait betreffende, darumb si auch ainer gemainen handlung und örterung bedarf. So haben auch andere reichsstende sovil tapfer gelerter theologos bei sich und können die alle tag statlicher zu der hand pringen, das E. W. sich derselben ratschlege und christenliche anweisung zur notturft auch geprauchen mögen, derhalben wir auch unser anzeigen für überflüssig achten. Aber damit an unserm schuldigen ampt und fleiß nichtzit mangel, so wollen wir euer erberkait auf ir begern unsern dienst hiemit auch_getreulich und, wie wir uns schuldig erkennen, mittailen und dieselben zu den rechten christenlichen waffen und dem harnisch aus der harnischcammer götlicher schrift gewisen haben, durch welche euer W. nit allein das reich des sathans zerstören und gottes reich erobern, sonder auch das zeitlich regiment, so inen von got bevolhen, nutzbarlich erhalten mögen, welches auch on gottes gunst mit nichten beschehen mag, dann wo got nit gnad mittailt und seinen gaist verleihet, do kan kain regiment oder polizei besteen; wie wir dan in der tat befunden, das die allermechtigisten, tapfersten, schönsten policei und regirungen durch der allertrefflichsten, vernünftigsten regenten klughait und schickligkait vil mer abgenomen und verderbt dan gefurdert sein, nit darumb, das ine an macht, sterck und menschlicher weishait und schickligkait, sonder am wort gottes, in wellichem er seinen gaist gibt und als mit dem kuß seines munds h Fr. Roth, die Einführung der Reformation in Nürnberg 1517—1528. Würzburg 1885. S. 148ff. G. Ludewig, die Politik Nürnbergs im Zeitalter der Reformation 1520—1534. Göttingen 1893. S. 40.

218 sein freuntlikait erzaigt, gemangelt hat. Darumb wollen euer W., bitten und ermanen wir, dasselb götlich wort für alle schetz und reichtumber achten. Welliches wir auch hiemit euer waishait zum ainfeltigisten anzaigen und dartun, uns damit euer Erberkait bevelhende. Anzaigung, was wir 1eren und von der christenlichen freiheit halten, warumb wir auch die bäbstischen lere und kirchengepreuch, wie die bishere gehalten, geendert und abgetan haben. Der allmechtig gott hat von anfang den menschen wie auch alles anders umb seinen willen geschaffen und ime sein wort gegeben, durch welliches, wo er darinnen pliben were, er sampt allen seinen nachkomen ewig selig gewesen. Die weil er aber durch des teufels poshait und betrug von demselbigen gefallen, ist er durch sollichen schedlichen, erbermlichen fall vom wort mit allen seinen nachkomen also verderbt, das er furohin von und aus ime selbs nit allain nichts guts würcken, sonder auch weder gedencken oder reden kan, wie sollichs der heilig Paulus zu den Rom. 3 aus der Schrift ganz mechtigklich beweiset und den posen verderbten paumen sampt seinen fruchten offenlich beschreibt1). Soll nun den menschen aus sollichem jamer der sunden und ewigen tods, darein er durch die Verachtung und Übertretung des göttlichen worts gefallen ist, wider geholfen werden, so kan das durch kain andere weise und mittel dann durch dasselbig wort, durch welliches er geschaffen ist, beschehen; dieweil doch got nit anders mit uns handelt dann vermittels seines worts, durch welliches er uns allain hilft, wie er uns durch dasselbig allain geschaffen hat, wie auch David sagt ps. 107: got sendet sein wort und machet si gesund und errettet si von irem verderben2)*, und sap. 16: es hailet si weder kraut noch pflaster, sonder, o herr, dein wort, welliches auch alles hailet3). Und hie sehen wir am ersten menschen Adam gar klerlich, wohere alles verderben, nemlich aus ungehorsam und Verachtung des gütlichen worts, und herwiderumb alles hail, nemlich aus gehorsam und vertrauen in dasselbig wort komme. Dann do Adam das wort der verhaissung auf des weibs samen hörte und faßte, ward er widerumb gerechtfertigt und lebentig. Das bezeugt bedes David ps. 107, do er sagt: darumb, das si der rede gottes ungehorsam sind und lestern den rate des allerhöchsten, diemutigt er ir hertz mit Unglück, das si schwach werden und kain hilf haben; vom *) Röm. 3, 12 ff. 2) Ps. 107, 20. 8) Weish. 16, 12.

219 hail aber, welliches auch hangt am wort, spricht er: er sendet sein wort1)* Das alles aber, wie Paulus zu den Rom. 15 sagt, ist uns zur lere und ermanung geschriben,2) auf das wir fürsichtigklich und mit forchten wandeln und uns in all wege fleißig fursehen, gottes wortnit zuverachten; dann das hail, wie David sagt ps. 119, ist vern von den sundern, darumb das si nit fragen nach gottes wort, durch welches die rechtfertigung kompt3). Und so der mensch gleich sündigt und feilt, wie auch der mensch in allem seinem tun sündiget, dieweil nach anzaigung der schrift der mensch sibenmal im tag feilt und widerumb aufsteet pro. 244), so kan doch got der allmechtig in soilichem wol geduld haben* aber Verachtung seines heiligsten worts kan er mit nichten gedulden, wie dann sollich in der schrift gar reichlich und mannigfaltig angezaigt ist, welliche uns auch Vor der Verachtung und Übertretung des göttlichen worts getreulich verwarnt. Also spricht Joh. in der andern epistel: sehet euch für, das ir nit verlieret, was ir gewürkt habt, sondern vollen Ion empfahet. Wellicher ubertritt und nit in der lere Christi pleibt, der hat kainen got* wer aber in der lere Christi pleibt, der hat baide den vater und den sun. So jemand zu euch kombt und pringt diese lere nit, den nembt nicht zu haus, grueßet in auch nicht, denn wer ine grueßt, der hat gemainschaft mit seinen posen wercken5). Dieweil nun die baide das verderben und das hail allain am wort gottes ligt, so sollen wir warlich allzeit mit fleis wachen und fürsichtig sein, in massen uns dann die schrift an allen orten zum höchsten ermanet, das uns unser Widersacher der teufel solich hailsam wort aintweder nit gar entziehe und neme oder je durch menschen lere und fundlein nit verfelsch, wie auch durch die seinen sein tägliche ubung, fleis und arbeit ist, als Christus Math. 15°), auch Petrus und Paulus an vil orten bezeugen; also spricht Paulus 2. Cor. 11: ich eifer über euch mit ainem götlichen eifer, dann ich hab euch vertraut ainem mann, das ich Christo ain raine junckfrau zuprecht, ich forcht aber, das nicht, wie die schlang durch ir teuscherei Hevam verfuret, also auch eure sin verrückt werden von der ainfeltigkait an Christo7). Was besorgt alhie der heilig Paulus an seinen Corinthiern anders, dann das si von dem lauttern wort und glauben an Christum auf menschen wort, lere und fundlein fallen, welliches auch die schrift ain gaistliche hurerei nennet. Und disen einfeltigen gehorsam an sein wort will gott allain von uns haben und nichts anders, wie Hierem. 7 geschriben 24, 16.

J) Ps. 107, 12 f. 20. 5) 2. Joh. 8ff.

2) Röm. 15, 4. •) Matth. 15, iff.

8) Ps. 119, 155. 4) Prov. 7) 2. Cor. n, 2f.

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steet. Also spricht der herr Zebaoth der gott Israhel: tut eure schlachtopfer und prandopfer über ainen häufen und fresset das fleisch, dann an disem tag, do ich eure väter aus dem land Egipten gefuret, hab ich inen weder gesagt oder bevolhen von dem handel der prand- oder schlachtopfer, sonder dises ist der handel, den ich inen beval und sagte: gehorchet meiner stimm, so will ich euer got und ir sollet mein volck sein, und wandelt richtig den wege, den ich euch geboten hab, auf das euch wol gee etc.1). Und im ersten puch Samuelis 15. cap.: mainst du, das der herr lust hab am opfer und brandopfer und nit vil mer am gehorsam, seinem wort zu gehorchen; sihe der gehorsam ist pesser dan das Opfer und aufmerkung auf das wort pesser dann das faist vom wider, dann ungehorsam ist ain rauberei, sund und widerspenstigkait ist muhe und abgotterei. Weil du nun des herrn wort verworfen und veracht hast (sprach Samuel zum König Saul) hat er dich auch verworfen, das du nit könig seiest2). Alhie sehen wir offenlich, was großen sund es sei, Verachtung und Übertretung des wort gottes, für welliche auch gott kain gebete weder annemen oder erhören will; dann also spricht er zu Hieremia: du aber sollt nit für dieses volck bitten und von iren wegen kain geschrai machen, sollt auch nit für mich treten, dann ich wurd dich nit erhören3) etc., und zum Samuel, wellicher laid trug umb den Saul, sprach der herr, wie lang tregst du laid umb Saul, den ich ver­ worfen hab, das er nit könig sei über Israhel4). Dise exempel Saulis sollten pillich alle oberkaiten erinnern und erschrecken, nit wider das wort und den bevelch gottes mit Verachtung desselben zuhandeln, dhweil in gott umb seines Ungehorsams willen mit ainem sollichen ernst verwürft, das er auch nit will, das der prophet für ine bitten soll. Aber das findet man auch im puch der könig, auch der cronica, wie wol und glücklich es unter dem volck und im regiment stunde, wann die könig nach gottes wort regirten und handelten; herwiderumb, wie übel und unglückhaftig, wan si vom wort ab­ fielen und nach irem gutbeduncken und selbs erfindungen handelten. Derhalben bevilhet auch got den obern nach seinem wort zu regiren, da er spricht: wann nun der könig sitzen würdt auf dem stuel seines konigreichs, so soll er dises ander gesetz von den priestern den leviten neraen und auf ain puch schreiben lassen, das soll bei ime sein und er soll darin lesen sein leben lang, auf das er lerne förchten den herrn seinen got, das er halte alle wort dises gesetz und die sitten, das er darnach tue. Er soll sein hertz nit erheben über seine brüder *) Jer. 7, 21 ff.

2) i. Sam. 15, 22 ff.

3) Jer. 7, 16.

4) 1. Sam. 16, 1,

221

und soll nit wegehen von dem gepot weder zur rechten noch zur lincken, auf das er sein tag verleng auf seinem königreich, er und seine kinder in Israhel. Deut. 171). Und David spricht ps. 2: so seit nun klug, ir konig, und laßt euch züchtigen, ir richter im land; dienet dem herrn mit forcht und freuet euch mit zittern und huldet dem son, das er nicht zürne und ir umbkommet auf dem wege. Dann sein zorn wurd pald anbrinnen, aber wol allen den, die auf ine trauen2). Christus verwurft je selbs alles zur seligkait unnötigs und preiset uns allain sein wort, da er spricht zu Martha Luce 10: Martha, Martha, du sorgst und bekümmerst dich mit vil dingen, nur ains ist not, nemlich mit Maria sitzen und mein wort hören, dann das wurdet in ewigkait nit weckgenomen3); darumb auch, wer das wort hat, der hat gnueg und ist selig, wer das aber nit hat, der hat nichts, wann er gleich sonst alles het, und ist unselig. Darumb spricht der herr Luce 11: selig sind die das gotteswort horn und bewarn4). Wie greulich und ernstlich auch gott der allmechtig allezeit den ungehorsam gestraft hab und die Verachtung und Übertretung seines götlichen worts, bezeuget die gantzen schrift; sonderlich aber Hieremias am 8. cap: da got droet, er wöll auch die gepain der verstorbnen könig, fürsten, priester, propheten und aller inwoner aus den grebern werfen lassen, darumb, das si von seinem wort abgefallen und iren aigen fündlein nachgehuret haben5). Dieweil nun, wie nach lengs gehört, alle seligkait aus dem wort gottes fleußt, so gepeut demnach got so ernstlich an allen orten in der schrift, das dasselb allain auch lauter, rain und one verfelschung menschlicher treume und zusez solle gepredigt und angenomen werden. Erstlich Hieremias 23: also sagt der herr Zebaoth: ir sollt der propheten wort, die euch weissagen nit gehorchen, dann si betriegen euch, si reden ires aignen herzens gesicht und nit aus dem munt des herrn; und abermalen spricht der herr, weren si in meinem rate gestanden, so hetten si meinem volck meine worte zuwissen getan und si ja von iren pösen wegen und wercken abge­ wendet. Item weiter spricht der herr, hat jergend ain prophet ainen träum, so sag er ainen träum, hat ainer mein wort, der rede mein wort getreulich, dann wie vergleichen sich die spreier gegen dem waitz. Ist mein wort (spricht der herr) nit wie ain feur und wie ain hamer, der die felsen zerschmeisset6). So gepeut auch Christus selbst Math. 16, das man sich hueten sol vor dem sauertaig der pharizeer7). Item

11, 28.

h 5. Mos. 17, 18ff. 6) Jer. 8, 1.

2) Ps. 2, iof. 3) Luc. 10, 41 f. 4) Luc. 6) Jer. 23, 16, 22, 28. 7) Matth. 16, 6.

222

Paulus Rom. 16J), desgleichen Joh. in seiner andern epistel2). Also spricht Christus zu seinen jungem Joh. 15: ir habt mich nit erwelet, sonder ich hab euch erwelet und gesetzt, das ir hingeet und frucht pringet und eure frucht pleibe3). Daraus ist klar, das uns Christus nit erwelet hat vergebenlich zu arbaiten, sonder frucht zu pringen in das ewig leben, dann ain jegklicher paume, der nit gute frucht pringet, wurt abgehauen und in das feuer geworfen. Math. 34). Sollich frucht pringen geschieht aber, wann wir handeln nach seinem wort, welliches auch one frucht nit mag gehandelt werden. Esa. 555). Wie nun das wort gottes fruchtpar ist, also sind menschen wort unfruchtbar; es würd got vergebenlich darinen gedienet, wie Christus sagt Matth. 15: aber vergebenlich dienen si mir, dweil si lerefn solliche lere, die nichts dann menschen gepot sind6). Und Paulus spricht Titus 1., das si die menschen von der warhait abwenden7). Alle propheten sind von gott gesandt, das ainige wort gottes und nit iren tand zupredigen, darumb spricht Mose deut. 1.: und es geschehe im viertzigisten jar am ersten tag des ailften monats, do Moses redet mit den kindern Israhel, alles was im der herr an si geboten het8). Und alle propheten zaigen allenthalben an, das si nit ir tun, sonder des herrn wort reden, darumb sprechen si: höret das wort des herrn; also spricht der herr, und so es anders wurdt geschehen dann wir haben gesagt, so hat der herr nit in uns geredt. Und das bezeuget auch 2 Petri. 1 und spricht: das sollt ir für das erst wissen, das kain Weissagung in der schrift geschieht aus aigner auslegung, dann es ist noch nie kain Weissagung aus menschlichem willen herfür gepracht, sonder die heiligen menschen gottes haben geredt, getriben von dem heiligen gaist9). Darzu auch, nemlich gottes wort zu predigen, ist Christus unser hailandt selbs vom vater in die weit gesandt, wie geschriben ist ps 2: aber ich hab meinen könig eingesatzt auf meinen heiligen perg Zion, ich will von dem gesatz predigen, das der herr zu mir gesandt hat etc.10) item Esaie 61: der gaist des herrn ist bei mir, darumb hat mich der herr gesalbet, er hat mich gesandt, den elenden zu predigen11). Dise Weissagung deutet Christus auf sich Luce 412). Wie nun Christus vom vater gesandt ist, also sendet er auch die seinen, wie er selb spricht Joh. 20: Gleichwie mich der vater gesandt hat, so sende ich euch, und do er das saget, blies er si an und sprach zu ine, nembt hin den heiligen b Röm. 16, 17. 2) 2. Joh. 10. 3) Joh. 15, 16. 4) Matth. 3, 10, 5) Jes. 55» 1X* °) Matth. 15, 9. 7) 1. Tim. i, 6. 8) 5. Mos. 1, 3. 9) 2. Petr. 1, 20. 10) Ps. 2 6f. n) Jes, 61, 1. 12) Luc. 4, 18.

223 gaist etc.1). Wozu anders gibt er ine den heiligen gaist, dann das si nicht aus ine selbs reden und lugenhaftig erfunden werden*, dann wer aus im selbs redet, der redet lügen2). Joh. 8. Darumb auch Petrus spricht: 1 Petri 4: so jemand redet, das ers rede als gottes wort3). Also sagt Christus, ir seit nicht die da reden, sonder der gaist euers vaters. Math. 104). Dasselbig bezeugt auch Paulus 1. Corint. 1, do er spricht: dann Cristus hat mich nit gesandt zu taufen, sonder das evangelion zu predigen5)*, und in der ersten Cori. 9: das ich das evangelion predig, des bedarf ich mich nit rümen, dann ich mueß es tun und wee mir, wann ich das evangeliom nit predig. Tue ichs gern, so wurdet mir gelonet, tue ichs ungern, so ist mir doch das ampt bevolhen6). Und hie sehen wir, was das apostolisch ampt sei: nemlich das evangeliom zupredigen, nit taufen oder andere sacrament raichen, wellichs doch götliche ceremonien sein, wie farlich und ungeschickt' es auch ist, aigne ceremonien wider gottes wort aufzurichten und damit in den gewissen der menschen zu herschen. Wer hie mit Christo nit ist, der ist wider ine, und wer mit ime nit samelt, der zerstreuet. Math. 12. Wie dann die tun, die nit gottes wort, sonder ire aigne gesez und fündlein predigen7). Und dis ist auch die ursach, darumb sich die aposteln Christi von sollichen sundern und sich knecht und diener Christi nennen, dieweil si nichts anders furnemen noch reden, dann was Christus durch si würcket, wie Paulus tut Rom. 15 und spricht: darumb kan ich mich rümen durch Jesum Christum, das ich mit götlichen Sachen umbgee, dann ich dörfte nit etwas reden, wo dasselbig Christus nit in mir würket8); und 1 Cor. 4 spricht er: dafür halt uns jedermann: nemlich für Christus diener und haushalter über gottes gehaimnus9); welliches knecht und diener sind nun die, die ire aigne träum und erfindungen leren und predigen? Do wollen wir Paulum hören, der spricht Rom. 16: Ich ermane euch aber lieben brüder, daß ir aufsehet auf die, so zertrennung und ergernus anrichten neben der lere, die ir gehört habt, und weichet von denselben; dann solliche dienen nicht dem herrn Jhesu Christo, sonder irem pauch und durch sueße predig und prechtige wort verfüren si die unschuldigen hertzen10). Daraus vermercken wir klerlich, das die, so neben dem wort gottes andere leren einfüren, nit mit Christo sameln, sonder zerstreuen, dann ir ding ist nichts dann zertrennung und ergernus, und das si irem aigen pauch und nit dem herrn Christo dienen. Darumb sie b Joh. 20, 21 f. 2) Joh. 8, 13. 3) 1. Petr. 4, n. 4) Matth. 10, 10. 5) 1. Kor. 1, 17. ®) 1. Kor. 9, 16f. 7) Matth. 12, 30. 8) Röm. 15, 17. 9) 1. Kor. 4, 1. 10) Röm. 16, 17.

224 auch der apostel, wie gehört, verfuerer der unschuldigen hertzen nennt und gepeut si zu meiden, wie er auch tut Phil. 3: sehet auf die hunde, sehet auf die pösen arbaiter, sehet auf die zertrennung1). Darumb das si uns durch ire gepot von den gepoten gottes abschneiden, nennet si Paulus böse arbaiter, die Zerschneidung anrichten, item das si uns vom rainen glauben, durch wellichen wir gerechtfertigt werden und leben, auf die werck irer gesatz weisen, welliches doch ain lauter vergebenlicher gottesdienst ist. Math. 152). Wie nun der prediger ampt ist, allain gottes wort zu predigen und nichts anders, wie gemelt ist, also soll auch die gemain gottes nichts anders, dann sein wort hören und durch den glauben annemen. Darumb spricht gott zu seinem volck Hierein. 23: lr sollt der propheten wort nit hören, die ir aigen gedieht und nit aus dem mund des herrn reden3). Und Christus warnet die seinen Math. 7, das sie sich vor sollichen falschen propheten fursehen sollen4) mit anzaigung, wobei sie erkant werden, nemlich aus iren früchten, welches auch nichts anders, dann distel und dörner seien, ungeachtet das si dieselbigen durch schafsklaider pergen. Dann dabei will auch Christus die seinen erkennen, nemlich so sie nichts anders dann sein wort hören, wie er dann spricht ps 10.: ich bin ain guter hirt und kenne die meinen und bin bekant den meinen und sie hören mein stim, der frembden stim aber hören sie nicht, sonder fliehen davor5). Hie sihet man, was die christenlich kirch sei, nemlich das heuflein und die versamlung deren, die gottes wort hören, welliche aber gottes wort nit höret, die ist nit ecclesia sanctorum, das ist gottes gemaine, sonder ecclesia matignantium. Darumb straft si auch Christus Joh. 8: so ich euch die warhait sag, warumb glaubt ir mir nit, wer aus got ist, der höret gottes wort, darumb höret ir nit, dann ir seit nit von gott. Und abermalen: darumb kent ir mein sprach nit, dann ir könt je mein wort nit hören, ir seit von dem vater dem teufel und nach euers vaters lust wolt ir tun6). Alhie wurdet abermalen vermerckt, warumb Christus des teufels sinagog (die sich doch gottes als irs vaters rümet und unter ainem falschen schein auswendigs wandeis für gottes sampnung verkauft) verwurft und des teufels kinder nennet, nemlich allain darumb, das si gottes wort nit hören hoch hören können- darumb ist ir rum falsch, wie iiuch Paulus Tit. I7) sagt: sie sagen, si erkennen got, aber mit den wercken verlaugnen si es, darumb bevilcht auch Paulus am selbigen ort, sie hart zu strafen, auf das si gesund und rechtgeschaffen seien im *) Phil. 3, 2. 2) Matth. 15, 9. 3) Jer. 23, 16. 4) Matth. 7, 15. ß) Joh. 10, 14. 6) Joh. 8, 45, 47, 43, 44. 7) Tit. 1, 16, 9.

225 glauben und nit achtung haben auf die jüdischen fabeln und menschengepot, weliche die warhait abwenden. Dieweil sich nun unsere Widersacher Christi und seiner kirchen rümen, worumb gehorchen si dan seiner stimm nicht, erstlich, da er bevilhet, das evangelium zu predigen und sein volck das lernen zu halten, das er bevolhen hat. Matth. 28*); item Matth. 15 spricht er: vergebenlich dienen si mir, dieweil si leren soliche lere, die nichtzit dan menschengepot sein; und verer am selbigen ort: merkt ir noch nicht? alles was zum mund eingeet, verunrainigt den menschen nit; und dergleichen vil mer on not alles zu erzelen2). Sind sie nun irem berümen np.ch Christi vicarier, stathalter und diener seiner kirchen, warumb hören si dann mit Johanne, dem taufer, nit die stimm des preutigams, warumb freuen si sich nit über dem evangelion Christi? Wann predigen si auch dasselbig, weliches doch ir einig eigentlich ampt ist? Aber durch die predig des evangelions feilt aller Unrechter schein der gotseligkait, dhweil das evangelion allein Christum herforpringt, auch den ainigen glauben an denselben ervordert; derselb glaub hat aber allein in Christo all sein guet dunckel und wolgefallen, das ander aber alles, es hab namen, wie es woll, ist gleich bei ime angesehen, er acht auch kains für das ander, wie Paulus sagt Gal. 3: also is nun das gesetz unser zuchtmaister gewest auf Christum, das wir durch den glauben rechtfertig wurden; nun aber der glaub kommen ist, sein wir nit mer unter dem zuchtmaister, dem gesetz, dann ir alle, spricht Paulus, seit gottes kinder durch den glauben an Christo Jesu, dann wievil euer getauft sind, die haben Jesum Christum angezogen; hie ist kain Jud noch Krieche, hie ist kain knecht noch freier, hie ist kain man noch weib, dann ir seit allzumal ainer in Christo Jesu3). Ist nun kain unterschied in Christo, wie hie die schrift lauter schleußt, sonder alle namen verlieren sich in ime, also das allain Christen gelten, nit man, weib, herr, knecht, oberer oder undertan, wo wollen dann die getailten, seiberdichteten, volkomen stende und secten pleiben? Dann got achtet aines gläubigen armen menschen, aines gläubigen eemanns oder eeweibs; aines ungläubigen großen herrn oder scheinheiligens, wie hoch auch der immer sein kan, achtet er gar nit, dann die äugen gottes, wie Hiere. 5 geschrieben ist, sehen allein auf den glauben4), on welichen auch onmuglich ist, got zu gefallen oder zu ime zu körnen. Heb. II6). So dann, wie gehört, Christus sagt Matth. 15: das ime mit

5» 3-

x) Matth. 28, 19. ö) Hebr. 11, '6.

2) Matth. 15, 9, 17h

3) Gal. 3, 24ff. 15

4) Jer

226 menschen leren und geboten vergebenlich gedient1), und das mer ist, gottes gepot dadurch übertreten werde, weliche gepot doch das ewig leben sind, Joh. 122), warumb hören si dan dise stim des getreuen hirten Christi nit, aus des schafen sie sich doch zusein berumen? Warumb enthalten si sich nicht, die schaf und herd Christi mit so untreglichen menschengesetzen in iren gewissen zu beschwern und die seien der fromen in ewigs verderben zu füren? Dieweil si ine durch ernstliche verpindung menschlicher gesetz ursach geben, gottes gepot, wie Christus selbs sagt, zu übertreten, weliches je ain ganz ferlich elend ding und das ewige verdambnus ist, wie dann die haltung desselben das ewig leben, als Christus sagt Math. IQ: wilt du zum leben eingeen, so halt die gepot gottes3). Spricht nit Christus Math. 15: das in den mund geet, das verunrainigt den menschen nit, sonder das aus dem mund geet4), wie dann sind die unträglichen purden vilfeltiger menschengesetz. Und durch seinen apostel Paulum 1. Cor. 7 spricht er, wer sich nit enthalten mög, der werd eelich, dann es ist besser eelich sein dann brennen5). Warumb hören si dise stimm Christi nit und verpieten die speis und ee als das, dardurch der mensch verunrainigt werde, so es doch gute creaturen gottes und den gläubigen nit zu meiden sein, und wer erlaubt ine doch, den gläubigen soliche gute und frei gelaßne creaturen gottes, als ob man damit sündig, zuverpieten? Wann sie Paulum, ja den heiligen gaist durch Paulum hörten reden, so sollten sie billich zum höchsten vor irem furnemen erschrecken. Also spricht Paulus 1. Tim. 4: der gaist aber sagt deutlich, das in den letzten Zeiten etliche vom glauben abtreten werden und anhangen den irrigen gaistern und teufelsleren durch die, so in gleißnerei lügenreder sein und prandmal in iren gewissen haben und verpieten, eelich zuwerden und die speis zu meiden, die gott mit dancksagung zunemen geschaffen hat den gläubigen und denen, die die warhait erkennen; dann alle creaturen gottes seind guet und nichts verwerflich, das mit dancksagung empfangen wirt, dann es würt geheiligt durch das wort gottes und das gebete6). Spricht nit Christus auch durch gemelten seinen apostel Tit. 3: ainen abtrünnigen menschen meide, wann er ainmal und abermal vermanet ist, und wiß, das ain solicher verkert ist und sündigt, als der sich selbs verurtailt hat?7) wiirum hören si diese stimm Christi durch seinen apostel nit, sonder vervolgen täglich sovil fromer erlicher cristenlicher personen von predigern und andern, die si für ketzer und abtrünnige 15, 18.

*) Matth. 15, 9. 2) Joh. 12, 50. 3) Matth. 19, 17. 4) Matth. B) 1. Cor. 7, 9. 6) 1. Tim. 4, 1 ff. 7) Tit. 3, 10.

227

verurteilen, bis in den tod, allain darumb, das si die warhait bekennen und die öffentlichen verfürungen durch das götlich wort strafen? Weren si nun die vorgeer der kirchen Christi, wie si sich rümen, warumb tun si nit auch die werck derselbigen, wie Esaias dieselbigen am andern capitel anzaigt von denen, die zur kirchen gottes eilen und sagen: kombt, laßt uns auf den perg des herrn geen, zum haus des gottes Jacob, das er uns lere seine wege und wir wandeln auf seinen steigen1). Welcher würdet aber durch gottes wort schließen und sagen, das das gottes werck sei, jemand auch die abtrünnigen zum tod zuverdammen und zuvervolgen? Wo hat doch got der allmechtig solichs je bevolhen? Oder haist das auf gottes wege gewandelt, weliche doch alle, wie die schrift sagt, fridsam und hailsam sein? Sagt er nit zu dem eeprüchigen freulein Joh. 8: hat dich niemands verdampt, so verdamb ich dich auch nit, gee hin und sündig fortan nit mer2). Aus dem irrtumb soll man dem irrigen so vil möglich helfen und nit in seinem irrtumb verprennen und umpringen, auf das er auch an der seien nit ewig verderbe, umb welicher willen Christus gestorben ist, und das were christenlich und in den wegen gottes wandeln. Es hat je Christus sölliche tödliche Verfolgung stracks verpotten r Luce 9, da seine junger die Samariter darumb, das si Christum und seine apostel nit beherbergen, auch verprennen und umbpringen wollten. Herr, sagte Jacobus und Johannes, wilt du, so wollen wir sagen, das feuer vom himel kome und verzere sie; denen antwurtet Jesus, wist ir nit, wes gaists kinder ir seit? Des menschen son ist nit körnen, der menschen seien zuverderben, sonder zu erhalten3). Da sehen wir je gar klerlich, das die, so gottes kinder und Christen sein wollen, nit morden oder prennen, sonder erretten sollen. Welicher gaist aber morde und umbpringe, welche auch demselben volgen und von ime getriben werden, zaigt Joha. 8 lauter an4)* Will man aber je die gotlosen und abtrünnigen umbpringen und töten, so solle das nit mit leiblichem Schwert, sonder durch das schwert des gaists, weliches ist das wort gottes, beschehen, Ephe. 65), vermittels des auch alles abtrünnig, gottlos wesen recht und seligklich getödet und umpracht würdet* Und also hat im auch Christus, wie von ime Esa. 11 geschriben steet, getan0): Er würdet mit gerechtigkait (spricht der prophet) richten die geringen und mit pillichait strafen die armen im land und würdet mit der ruten seines munds die erden schlagen und mit dem ädten seiner lebsen den gottlosen töten. Disem töten des gottlosen wesens volgt eitel frid und ainig6,

17.

*) Jes. 2, 3. 2) Joh. 8, 11. 6) Jes. 11, 4.

3) Luc. 9, 54.

4) Joh. 8, 44. 15

5) Eph.

228 kait der gläubigen und gar nit ainich morden und prennen nach. Wie dann der prophet den wandel der christglaubigen in gottes gemain verrer beschreibt und sagt: man wurd niergend letzen noch verderben auf meinem heiligen perg1). Würd man nun nach den Worten des propheten in der christenlichen kirchen nimand verderben oder umbpringen, so schleußt sich gewaltigklich, wo man in des glaubens Sachen würgt und die menschen umbpringt, das daselbs nit gottes perg oder kirch, sonder des teufels sinagog ist, welicher von anbeginn ain mörder gewest und in der warhait nit bestanden ist. Joh. 82). Es ist warlich ganz färlich und erschröckenlich, auch nie erhört, ainen menschen unverhört und unüberwunden vom leben zum tod zupringen. Wollte doch Pilatus, der ain gott­ loser haid war, und den die phariseer gern dahin beret hetten, Jesum unverhört und unschuldigklich zu töten, Christum on vorgeende verhörung und unangezaigt der Ursachen seiner Ver­ schuldung nit verurtailen. Desgleichen do die hohenbriester und eltisten der Juden den heiligen Paulum suchten haimlich umbzupringen, antwortet inen der landpfleger Festus: es ist der Römer weis nit, das ain mensch zu töten übergeben werde, ehe der verclagt seine anklager gegenwertig hab und pillichen schub empfahe, sich der anklag zuverantworten. Act. 253). Ob man nun gleich gottes wort, welches auch an vil orten ernstlich gepeut, recht und gleich zu richten und nimand on vorgeende erkantnus gnugsamer ursach und verwürckung des tods zu töten, nit hören wollt, auch der exempel in hei­ liger schrift ausgedruckt nit warnemen, als do got Sodomam und Gomoram nit umbkeret, bis er Ursachen irer Übertretung erkennet, Gene. 18, weliches alles uns doch zum furpild geschriben ist, so sollt man doch kainen, ob er gleich ain ketzer were, aller erberkait und pilligkait nach, der auch die haiden anhangen, umbpringen, vor und ehe si zur notturft verhört und überwunden weren. Sonst hat es bei gläubigen und un­ gläubigen ain fast ungeschickt und nemlich dises ansehen, das man der warheit scheuhen hab, wie Christus sagt Joh. 3: wer übel handelt, der hast das licht4). Es schreien vil von ketzern und wissen doch im grund gar nit, was ketzer sein. Dann von dem irrtumb und offenlichen verfürungen zu fallen und zu der warhait zukomen, macht nit ketzer, sonder rechte Christen. Von dem wort gottes aber zu fallen oder aber den irrsalen mit willen anhangen und plind sein wollen, das macht ketzer, wie auch unser selbs widerwertigen aus iren Schriften und bäpstlichen rechten muessen bekennen. Wollt man nun sagen, wie *) Jes. ii, 9.

2)

Joh. 8, 44.

3)

Act 25, 16.

4)

Joh. 3, 20.

229

nochmaln in diser wichtigen Sachen gottes wort und exempel je nit volgen, die unverhörten und onüberwundenen zuver­ dammen, so sollte man doch derhalben? der Vernunft natür­ licher erberkait und den haiden pillich volgen, auf das wir von gott nit schwerer dann dieselben haiden verdampt wurden, in maßen auch Christus den verachtern seines worts Math. 11 droet, das es Sodoma und Gomorra treglicher ergeen werde dann inen an jüngsten gericht1). Hat nit Christus bevolhen, sein evangelion allen creaturen zu predigen und zu verkünden mit diser zusagung, welcher glaub, das der soll selig werden? Wie wollen dann etliche, die den laien, wie si dieselben nennen, verpieten wollen, vom glauben weder offenlich oder haimlich zureden und zu disputiren, lib. VI de hereticis, solichs immer on forcht irer gewissen bei got auch vor den menschen mit ainicher erberkait oder pillichait verantwurten? Und was ist doch solichs anders dan die seligkait der menschen zu hindern, welche seligkait doch allain aus dem glauben kombt? Ach got, wer kan doch die grausame verfüerung, die wir bishere augenscheinlich befunden haben, erzelen, durch welliche es summa summarum dahin kommen ist, das man schier nit wais, was gottes wort, was die christenlich freihait, die craft des gesetz und der Sünden, die craft des glaubens auch der rechtgeschaffen gottesdienst, was die kirch, was und weliches die sacrament, was auch sünd sei und wie man der ledig werden mög. So gar hat der satan durch die seinen alle ding zur seligkait notwendig verwüestet und in einander verwirret, alles durch aigne erdichte werck, gerechtigkait und unzeliche gesetz, welche doch, wie Esaias 64 sagt, vor got ainem greulichen unflat gleich sein2). Deshalben auch David am 31 ps. schreiet: o herr, in deiner gerechtigkait errete mich; als ob er sagen wolt: mein ding und alles mein wesen taug gar nichts und ist kain nutz3). So dann nun got der allmechtig aus grundloser seiner väterlichen guete und barmhertzigkait uns sein heilig evangelion widerumb zugesandt und eröffent hat, in welichem sein gerechtig­ kait, die aus dem glauben kompt, geofifenbaret würdt, Rom. I4), und unser "gerechtigkait, so aus den wercken kompt, gantz ver­ dampt, so sollen wir das pillich mit hohen freuden annemen und got hertzlich dancken, das er uns aus solichen gottlosen verfürungen so wunderberlich errettet hat. Und ob wir wol als die, so dazumal kain anders gewüßt und gleich andern in schwerer plindhait gelegen sein, vil von solichen hievor gehalten haben, so verachten wir doch das jetzo pillich, nach­ dem wir gotlob durch das licht des evangelions erleuchtet *) Matth, ii, 22.

2) Jes. 64, 6.

3) Ps. 31, 2.

4) Röm. 1, 17.

230 sein, solichs alles zu urteilen, und sagen mit fraidigkait, wie Paulus zum Phil. 3: aber was mir gewin war, das hab ich umb Christus willen lur schaden geacht, dann ich halt, es sei alles schaden umb des uberschwancks willen der erkenntnus meines herrn Jesu Christi, umb weliches willen ich es alles für schaden und kot acht, auf das ich Christum gewinne und in ime erfunden werde etc,1) Item Gal. 2. spricht er: wie wol wir von natur Juden und nit sünder aus den haiden sein, doch diweil wir wissen, das der mensch durch des gesetz werck nit rechtfertig würd, sonder durch den glauben an Jesum Christum, so glauben wir auch an Jesum Christum, auf das wir gerechtfertigt werden durch den glauben und nit durch des gesetz werk, darumb würt auch durch des gesetzes werck kain mensch gerechtfertigt2). Verachtet nun Paulus, nachdem er Christum und sein evangelium erkant, die gerechtigkait und werck des gesetz gottes, also das ers auch für schaden und als kot achtet, auf das er durch die gerechtigkait des glaubens in Christo erfunden wurde, welichem allain er die rechtfertigung und fromkait one zutun der werk zuschreibt, vil mer sollen wir verachten und für kot halten die gerechtigkait, werck und gesetz der menschen und mit Paulo 1. Cor. 2 nichts anders wissendann Jesum Christum den gekreuzigten3); dan dises wissen und erkantnus ist erstlich, wie Esa. 53 cap. anzaigt, die gerechtigkait4), darnach das ewig leben, Joh. 175), umb weliches willen, uns das zu erwerben und zugeben, Christus in die weit körnen ist und alles getan und gelitten hat; wie er sagt Johannes 10: ich bin körnen, das si das leben und volle gnug haben sollen6); und Luce 19: des menschen sun ist körnen zusuchen und selig zu­ machen, das verdorben war7). Nachdem nun, wie gehört, baides die gerechtigkait und das leben an der erkantnus Christi gelegen ist, weliche durch das evangelion kompt, so soll pillich nichtzit anders dann das evangelion gepredigt werden. Und das ist auch die ainig ursach und der grund, das wir alle lere außerhalb des evangelions unterlassen und verworfen haben, dhweil uns dieselb von Christo abfüret (der uns von gott gegeben ist zur weishait, zur gerechtigkait, heiligung und erlösung 1 Cor. 18)) und füret uns auf das widerwertig, nemlich auf aigne weishait, gerechtigkait und erlösung, weliches aber ain greuliche abgötterei ist, dann dardurch würt uns Christus unnutz und wir feien der gnaden gottes, wie Paulus sagt Gal. 5: sehet, ich Paulus sag >) Phil. 3» 72) Gal. 2, 15 f. 8) 1. Cor. 1, 23. *) Jes. 53, 11. (5 Joh. 17, 2. 6) Joh. 10, 11. 7) Luc. 19, 10. 8) 1 Kor. 1, 30.

231 euch, wo ir euch beschneiden laßt, so ist euch Christus kain nutz, ich zeuge abermaln ain jeden, der sich beschneiden laßt, das er noch das ganz gesetz schuldig ist zutun. Ir seit aber von Christo, die ir durch das gesetz rechtfertig werden wollt, und habt aber der gnaden gefelet, wir aber warten im gaist der hofnung, das wir durch den glauben gerechtfertigt sind1). Diser glaub aber an Christum kan und mag on puße und die furcht gottes weder geleret oder verstanden werden. Darumb so sehen wir das wort der warhait nach der mainung Pauli 2. Thim. 2 recht und christenlich, predigen am ersten den puch­ staben, das ist das gesetz und klar angesicht Mosi, darnach den gaist, das ist das evangelion und aufgedeckt angesicht Christi; durch den buchstaben füren wir die menschen in das erkantnus irer Sünde und also in Verzweiflung ir selbs, alles ires tuns, wercken und gerechtigkait, on weliche erkantnus uns Christus weder hören noch sehen will; wie David sagt, do er gesündigt hat und umb gnad bat, wendte er zur erlangung derselben nichtzit anders für, dann das er seine Sünden erkent und seine sunde imer vor ime hat. Ps. 512). Darumb spricht auch Joh. 1. Joh. 1: so wir sagen, wir haben kain sünd, so verfüren wir uns selbs, und die warhait ist nit in uns, so wir aber unsere sünd bekennen, so ist er treu und gerecht, das er uns die sund erleßt und rainigt uns von aller Untugend3). Hie sehen wir, wie ain köstlich ding ist, erkanntnus der sund, weliches allain kompt aus dem göttlichen gesetz. Rom. 3 u. 74). Darumb leren wir dasselb vor dem evangelio und nicht menschlich gesetz, welche nirgent zu dienen, dann die sei zu verderben. Wann wir nun durchs gesetz den menschen also zu seiner aigen erkantnus gefuert haben, das er hilf und anderstwo der gnaden begeret, dieweil er die bei ime selbs nit finden noch haben kan, alsdan predigen wir das evangelion, dardurch Christus erkant würdet für den, der allain helfen kan, bei welichem auch alles heil und hilf stet. Ps. 35). Wer nun sollichs höret und Cristum für den ainigen hailand erkent, der ist durch dis erkentnus from und gerecht für got und hat das ewig leben doch im glauben und hoffnung. Rom 86). Was wir von der ch ristenlichen freihait lern und halten*). Uber die christenlichen freihait soll man nit weniger ’) Gal. 5, 2 ff. 2) Ps. 51, 5. 3) i.Joh. 1, 8ff. 4) Röm. 3, 2°, 5) Ps. 3, 9. 6) Röm. 8, 24. *) In roter Schrift; ursprünglich schloß sich noch daran folgender Zusatz (jetzt durchstrichen): und warumb wir die alten bishere getrieben mißpreuch geendert haben. 7, 7.

232 halten dan über dem wort und glauben an dasselbig* darumb, wie Paulus vermanet zu wachen und im glauben zusteen, 1 Cor. 161), also vermanet er auch in der christenlichen freihait zu steen. Gal. 5, do er spricht: so besteet nun in der freihait, damit uns Christus gefreiet hat, und laßt euch nit widerumb in das knechtische joch verknüpfen2). Und 1 Cor. 7: ir seit teuer erkauft, werdet nit menschen knecht3), als solt er sagen: laßt euch die menschen durch ire Satzungen euer gewissen nit ver­ stricken, das ist, die so unsere gewissen durch ire vilfeltige tradition und menschenfundlein verpinden und uns dadurch von dem rechten dienst gottes, das ist, vom glauben, durch welichen allain got gedienet würdet, abwenden auf abgötterei der werck und die gerechtigkait derselbigen. Dann gleichwie got ain gaist und die warhait selbs ist, also will er ime auch im gaist und der warhait gedienet haben Joh, 44). Die schein­ heiligen aber vermainen ime durch auswendige leibliche ding, als do sind speis, klaider, tag etc. und durch gleisnerei irer werk zu dienen, dann damit vermainen si den himel und seligkait zu erlangen, die doch got allain aus lauter gnaden gibt, wie Paulus sagt Eph. 2: aus gnaden seit ir selig worden etc.5) Deshalben vermanet uns auch Christus, das wir uns hueten sollen vor irem sauertaig, das ist vor irer lere, Math. 16, auch vor iren wercken6). Dann si pinden, spricht er Math. 23, schwere und untrügliche pürden und legen si den menschen auf den hals, aber si selbs wollen die mit ainem finger nit anrüren7). Item sagen und tun es selbs nit, darumb tuet nit nach iren wercken, spricht er, dann si sind bös. Joh. 78). Aber hie würdet der wolf mit schafsklaidern bedeckt, und geben dieselbigen scheinheiligen für, das man ir ding, ob es gleich schwer und untreglich sei, gedulden und zum besten wenden soll, dann also würdet in decretis dist. 19 c. in memoriam gesetzt, und spricht der babst zur gedechtnus des heiligen apostels Petri: laßt uns eren und vor äugen haben die heiligen römischen kirchen und den apostolischen stuel, welche, gleich wie si uns ain muter ist der priesterlichen wird, also soll si uns auch sein ain muter der christenlichen maisterschaft; darumb sollen wir mit Sanftmut aller diemütigkait warnemen, und so uns gleich ain untreglich joch von dem heiligen stuel aufgelegt würdet, sollen wirs dannocht gedulden und in guetigkait zum besten auslegen; das ist, man soll zusehen und nit weren, das der wolf die schaf zerstreu und fresse, und stimpt hie der babst, wie schier an allen orten, gar schön mit Paulo Röm 15, do er spricht: wir aber, die wir starck sind, sollen der schwachen *) i. Cor. t6, 58. 2) Gal. 5, 1. 3) 1. Kor. 7, 23. 4) Joh. 4, 24. B) Eph. 2, 8. 8) Matth. 16, 11. 7) Matth. 23, 4. 8) Joh. 7, 7.

233 geprechligkait tragen und nit gefallen an uns selber haben1), dann auch Christus ime selbs nit gefallen hat, sonder, wie geschriben steet, die schmach deren, die mich schmehen, sind über mich gefallen2), welche wort oder den sin derselben Johannes der taufer klarer redet Joh. 18), do er sähe Jhesum zu ime körnen und sprach, sihe das ist gottes lamb, weliches der weit sünde tregt. Christus tregt unsere sünd und geprech­ ligkait, der hirt die schaf. Wie billich aber gottes Ordnung jetzo bei denen, die sich für hirten rümen, umbgekert und gepoten würt, das die schaf den hirten tragen und waiden sollen wider die lere Christi Joha. 21, do er sagt, waidne meine schaf, kan ain jeder fromer Christ wol bedencken4). Und aus disem capitel des gaistlichen rechtens kan auch ain jeder leichtlich schließen, wie färlich und schedlich die lere derselben puecher an vil orten ist, wie beschwerlich auch die menschlichen gewissen so lang damit verstrickt worden sein, bis sich Christus unsers elends und jamers erbarmet und durch das heilig evangelion die gnad mitgetailt hat, uns von dem gefänknus solicher beschwerlicher gesetz zuerledigen und frei zumachen, in welicher freihait wir auch nach den Worten Pauli, wie gesagt ist, steen und uns in kainen wege zu solchem knechtischen joch verknüpfen lassen sollen, auf das wir uns Christum, unsern ainigen hailand, der uns davon gefreit hat, damit nit unnutz machen und seiner gnaden feien. Gal. 55). Warumb die meß geendert und abgetun sei*). Christus unser lieber herr hat uns seinen leib gegeben zu ainer speis und sein plut zu ainem tranck und bevolhen, wann wir essen und trincken, das wir dasselb tun zu seinem gedechtnus. Luce 226). Das ist, wir sollen sein gedencken, die woltat, die uns Christus in diesem testament seines leibs und plut erzaigt hat, zuverkündigen. Die bäbstischen aber haben solichen göttlichen bevel umbgekehrt und verordnet, das wir (wie sich got über die falschen propheten Hiere. 23 beclagt) des namen des herrn bei disem testament gar vergessen, sein lob und woltat verschwigen und denen gantz undanckbar erzaigt haben, dann die wort der meß, daran auch alle macht liegt und allein die meß sein, haben si uns gar verporgen und so haimlich gesprochen, das die auch ain Christ weder hören oder glauben sollten, eben als ob uns die gar nit belangten oder all unser hail daran gelegen were, so doch Christus bevolhen hat, sie offenlich zupredigen und auszuschreien: was ich euch *) Röm. 15, I. 5) Gal. 5, 4. *) Rot.

2) Ps. 69, IQ. 8)Joh. 1, 29. ®) Luc. 22, 19.

l) Joh. 21, 16.

234 sag im finsternus, spricht er Matth. 10, das redet im liecht, und was ir höret in das ore, das predigt auf den techern1). Diesem bevelch Christi gemeß singen und lesen wir, so wir meß halten, die wort des testaments öffentlich mit lauter stimm wider den öffentlichen misprauch, der bishere gehalten ist, ungeachtet ob wir darüber für gottlos ketzer beschrait oder in ander wege verfolgt werden, dann sich gezimet je got alhie mer gehorsam zu laisten dann den menschen. Und dieweil Christus gehaißen hat, nit allein zu essen, sonder auch zu trincken, und dasselbig allen menschen on unter­ schied, dann er nam den kelch, spricht Matth. 262), und dancket, gab ine den und sprach: trincket alle daraus etc., so soll man demnach solichem bevel billich und schuldigklich gehorsam sein und den kelch niemand versagen, auf das man gegen seinem göttlichen wort nit widerspenstig erfunden werde, welichs auch die schrift ain Zauberei und abgotterei nennet 1 Reg. 153), das wir auch nit hören dörfen die wort Christi Luc. 6: was haist ir mich herr, herr, und tut nit, was ich euch sag4)? Wer nun hie anders tut und ordent, den Christus zutun bevolen hat, der ist wider Christum, Math. 125), und gilt hie nit, das man sich rümet, die kirch hab macht, dise und andere Ordnung und einsatzung Christi zu endern, dann die kirch Christi höret nicht anders denn irs maisters und hirten stimm, tuet und handelt derselben gemeß und endert darin gar nichts, dann si waiß und ist gewiß, daß kain creatur in himmel oder erden macht hat, got sein wort und Ordnung zu endern, dhweil solich wort unwandelpar ist, wie gott selbs; als er dann sagt Malach 3: dann ich der herr verender mich nit6); und so sich gott wie gemelt nit endert, so ist auch sein wort ewig, bestendig und unwandelbar, wie dann Christus spricht Matth. 24: und himel und erden werden zergeen, aber meine wort werden nicht vergeen7), und Esa. 40: die wort unsers gotts bleiben ewigklich8). Darumb ists ein erschröcklichs ding, das unsere widerwertigen iren ungehorsam, aus welichem si Christo sein wort und Ordnung verkeren, der christenlichen kirchen in puesen schieben, dann die christenlich kirch tut solichs gewißlich nit, kann es auch nit tun. Das si aber ain opfer und guet werck aus der meß gemacht, weliches si auch warlich allain von irs nutz und vortails wegen in das fegfeuer erstreckt haben, hat doch gar kain grund, dann so wir alhie der zusagung Christi glauben, nemen und empfahen wir von got, was er uns zusagt, nemlich Ver­ gebung der Sünden und sein gnad, geben oder opfern ime aber 6, 46.

*) Matth, io, 27. 2)Matth. 26, 27. 3) 1. Sam. 15, 23. 4) Luc. 6) Matth. 12, 30. 6) Mal. 3, 6.7) Matth. 24, 35. 8) Jes. 40, 8.

235 gar nichts, sonder bedencken allain, das wie er sich ainmal für uns geopfert hat und durch solich opfer ain ewige erlösung erfunden. Heb. 91). So ists auch ain lauter gedieht, als ob durch sollich ir erdicht opfern des laibs und pluts Christi den ver­ storbnen seien im fegfeuer geholfen werde, dieweil doch die Schrift von kainem fegfeuer wais oder redet, nach welichem wir doch als einer eben richtschnur in Sachen unser seligkait belangende on mittel handeln sollen. Darumb spricht got Esa 8: zum gezeugknus zum gesez2). Von der tauf*). Wir halten ain tauf, wie Paulus leret Ephe. 43). Darumb, was getauft ist, wie auch die kindlein, lassen wir pleiben und taufens nit wider, auf das wir die tauf und den pund Christi nit verachten und unnutz machen* so taufen wir auch disem herrlichen sacrament zu ern in teutschem gezung, auf das die, so dabei steen und zuhören, versteen und wissen, was alda gehandelt werde. Dann was ists, das man vil wort macht und spricht on verstand der zuhörer, darumb will David ps. 47, das man dem herrn lobsing mit verstand4), und Paulus 1. Cor. 14 spricht, das es kain nutz bring, so man singt oder list in der gemain on verstand, sagt darumb am selbigen ort, ich will in der gemain lieber fünf wort reden durch meinen sin, auf das ich andere unterweise, dann sonst zehen tausend wort mit zungen, das ist on sin und verstand5). Spricht David: ist guet, deshalb muß je Unverstand nit guet sein und ist demnach billich für ain teufels list zu urtailen, das man bishere lateinisch, das ist mit Unverstand der wort, getauft hat, dan es ist daraus kain frucht bei den Zuhörern körnen. So wais man auch wol, was für leichtfertigkait bishere bei dertauf getriben, weliches allain darumb beschehen, das man auf die wort nit acht gehabt oder hat haben mögen, dhweil man die nit verstanden hat*, und das hat gewißlich der teufel zugericht, dann er wais, wo gottes wort verstanden würt, das das on frucht nit abgeet. Esa. 55G). Von der priesteree, speisen und tagen etc.*). Die priesteree preisen wir pillich umb gottes gepots willen. 1. Cor. 7. Wer sich nit enthelt, der werd eelich spricht Paulus7). Auch darumb, das es ain offenliche teufels lere ist, die ee zu verpieten. Thim. 48).Dann es ist dem menschen unmöglichs on ee zu leben, gotgebe es dann sonderlich, wie

14, 19.

!) Hebr. 9, 12. 2) Jes. 8, 20. (l) Jes. 55, 11. *) Rot.

8) Eph. 4, 5. 4) Ps. 47, 8. 5) 1. Cor. 7) 1. Kor. 7, 9. 8) 1. Tim. 4, 3.

236 Christus sagt Matth. 191) und Paulus 1. Kor. 7. Darumb ist es auch aigentlich des teufels treiben, die ee zu verpieten und keuschhait zuschwern und dieselben zu loben und über die ee zu erheben, dieweil auch unmöglich ist, die zu halten. Darumb leren wir auch soliche gotlose, unmögliche gelübd nit zuhalten, nachdem si got nit gefallen. Es ist kain speis auch, an welichem tag der immer sein mag, den gläubigen verpoten zu meiden, so es doch alles ir ist. Kor. 32). Ists nun alles ir und darumb von got geschaffen, das si desselbigen got zu eren und inen zu nutz geprauchen sollen, wer hat dann macht, inen solichs zuverpieten oder gewissen darin zu machen? Derhalben spricht auch Paulus Col. 2: so laßt nun euch nimand gewissen machen über speis oder über tranck oder über ains tails tagen, nemlich den feiertagen, laßt euch das zil nimand verrücken, der nach aigner wal einhergeet in diemut und gaistlichait der engel3). Und weiter, so ir dann nun gestorben seit mit Christo von den weltlichen Satzungen, was laßt ir euch dann fahen mit Satzungen, als wert ir lebentig. Die do sagen, du sollt das nit anruren, du sollt das nit essen oder trincken, du solt das nit anlegen, weliches sich doch alles unter handen verzert und ist nach gepoten und leren der menschen, weliche wol haben ainen schein der weishait durch selb erwelte gaistligkait und diemut etc. Vom closterleben**). Clöster sollen darumb offen und kain gefencknus sein, damit der letzte will deren, die si gestift haben, verstreckt werde. Dann welicher ist doch so kindisch und ungeschickt, das er zweifeln wollt, das die Stifter got zu eren, den armen zu guet und iren seelen zur seligkait soliche Stiftung nit getan, sonder die zum ungeschicktesten, färlichsten und zum verderben der seien gemaint haben sollten? Der Ursachen aber kaine, nem­ lich gottes er, des nechsten hail und der seien seligkait, würdet in den clöstern gesucht, vil weniger gefunden, darumb soll man si pillich endern. Erstlich würdet gott durch das closterleben nit geeret oder ime damit gedienet, sonder vil mer geuneret und dem pauch gedienet, dann David spricht ps. 50: wer danck opfert, der preiset mich und das ist der wege, das ich ime zaig das hail gottes4). Das aber geschieht durch den glauben, welicher allein got eret, dieweil er die ersten drei gepot, weliche got betreffen, erfüllet, dann das erst gepot fordert, das wir ainen got haben und erkennen, demselbigen glauben und vertrauen -1) Matth. 19, 12. *) Rot. 4) Ps. 50, 23.

2) 1. Kor. 3, 22.

3) Kol. 2, 16, 18, 20.

237 und ine fürchten, weliches alles der glaub würket und nit die werck. Das ander gepot erfordert, das wir got anrufen und ain Zuflucht zu ime haben in aller unser not. Wie sollen sie aber den anrufen, an den si nit glauben. Ro. 101)? Das dritt, das wir ruen von unsern wercken und lassen gott in uns würcken, das abermalen der glaub tuet, welicher nichts anders wais und erkennet dann Jesum Christum und denselbigen gekreuzigt, 1 Cor. 22); von seinen wercken, gerechtigkait oder hailigkait wais er aber gar nichts. Math. 253). An welichem ort die auserwelten sich verwundern, das si gott umb irer guten werck willen rümet, die sie an ime getan haben sollen. Darumb sprechen si auch zum herrn, wann haben wir dich hungerig gesehen und haben dich gespeist, durstig und haben dich gedrenckt. Solichen glauben, der nichts wais von guten wercken oder aigner gerechtigkait, welichen auch got allain ansieht und daran ain wolgefallen hat, darumb das er sein ere sucht, kent das closterleben nicht. Und das mer ist, so vervolgen sie den­ selben, verwuesten ine auch, sovil an inen ist. Dann wann si denselbigen, wie billig, hören, ruemen und erheben, so lestern sie den und sprechen: Ei, tuts dann der glaub alles? und die­ weil sie sein kraft nit erkennen, verlaugnen si ine, dhweil sie iren wercken das zulegen und geben, das des glaubens ist; darumb mit Verachtung des glaubens preisen und erheben si ire werck und geben for, das man on werck nit fromm noch selig werden mög. Si nennen auch ir closterwesen die gaistlichen und vollkomen stende nit umb des glaubens, sonder irer werck willen. Was ist aber das anders, dann wie Hiob sagt .31: die hende küssen? Zum andern so hat soliche closterstiftung nur zur verdampnus der Stifter dann irer seligkait geraicht, dieweil si durch soliche werck für got und gein himel haben körnen wollen; dann wo si soliche mainung nit gehabt, hetten si ir stiften gewißlich und, wie menigklich leichtlich bedencken kann, unterlassen und irs gelt behalten for ire erben, denen auch das zugeburt het. Was ist aber das anders, dann Christum und sein gnad verlaugnen? Dann ist nit Christus die laiter, darauf man gein himel steigt? Joh. 1. Ist er nit der ainig wege zum vater zukomen, wie er selbs bezeugt Joh. 14: Ich bin der weg, nimand kompt zum vater dann durch mich4)? Weliches auch Paulus bezeuget 1. Thim. 2, do er Christum zu dem ainigen mitler macht zwischen got und den menschen5). Das wir aber aus gnaden und nit aus *) Röm. IO, 14. 2) 1. Cor. 2, 2. 51. 14, 6. 8) 1. Tim. 2, 5.

3) Matth. 25, 35ff.

4) Joh. 1,

238



den wercken selig werden, ist die schrift vol. Eph. 2. spricht Paulus: aus gnaden seit ir selig worden, item Gal. 2.: ich werfe nicht weck die gnad gottes etc.1). Aufs dritt so sind die closterleut gar nit die armen, die man von dem guet der gemein erneren soll, wie es got bevilhet; dann nach vermög göttlichs worts sollen allain zwaierlei leut von den guettern der gemain erhalten werden. Erstlich die diener des worts, von denen der herr sagt Matth. 10: Ain jeder arbeiter ist seines Ions wirdig, was man diesen tuet, das tuet man Christo selbs, wie er am selbigen ort bezeuget und spricht: wer euch aufnimbt, der nimbt mich auf; darin schreibt gar statlich Paulus 1. Cor. 9 und 1, Thim. 5, Gal. 62). Zum andern sollen die unterhalten werden, die ir prot oder narung kranckheit, alters oder anderer zufeil halben nit haben oder gewinnen mögen. Was man an disen tuet, das tuet man auch Christo. Matth. 253). Außerhalb diser zwaier geschlecht soll jedermann mit der hand arbaiten und sein aigen prot essen, wie Paulus leret Eph. 4 und spricht: wer gestolen hab, der Stele nun nit mer, sondern schaffe mit den händen etwas redlichs, auf das er hab zu geben den dürftigen4). Wer nun nach den Worten des heiligen gaists nit mit seinen henden arbeiten will, der wandelt nit nach gottes wort und Ordnung. Darumb soll er vemitten werden, wie Paulus gebeut 2. Thess. 3, da er spricht: wir gebieten euch aber, lieben brüder, in dem namen unsers herrn Jesu Christo, das ir euch entziehet von einem jeden bruder, der do unordenlich wandelt und nit nach der Satzung, die er von uns hat empfangen; und nennet hie das unordenlich wandeln, so man nit will arbaiten mit der hand. Darumb* spricht er weiter: Dann wir hören, das etlich unter euch unordenlich wandeln und arbaiten nit, sonder treiben fürwitz. Hie nennet Paulus die closterleut und andere der­ gleichen leut ain unordenlich volck. Tuet sie auch in ban, auf das man si vermeiden soll5). Und dis ist die ursach, darumb wir pillich und schuldigklich leren, das closterleben abzutun und dises volck in ain recht erbare christenliche Ordnung zu pringen, das si gleich andern ir aigene narung gewinnen, dieweil got kain müßiggeen, Ezech. 17, vil weniger pettlerei in seinem volck will leiden und haben. Deut. 156). Darumb spricht David ps. 128: wol dem, der den herrn furchtet und auf seinen wegen geet, du würdest dich neren mit deiner handarbait, wol dir, du hasts' guet etc.7). ') Eph. 2, 8. Gal. 2, 21. 2) Matth, io, 40. 1. Cor. 9, 1 ff. 1. Tim 5, 17. Gal. 6, 6 3) Matth. 25, 35. 4) Eph. 4, 28. 5) 2. Thess. 3, 6. 6) 5. Mos. 15, 4. 7) Ps. 128, if.

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Wie nun der müßiggang und pettlerei dises feirenden volcks wider gottes gepot ist, also auch gemainlich ander ir tun, das si pflegen fürzunemen* dann got hat je kain gefallen daran, dhweil ers nit gehaißen hat*, darumb wollen wir in gottes Ordnung und bevelch leben und seinem zorren empfliehen. So soll man aus den und andern christenlichen Ursachen, die hie zu erzelen zu lang weren, clöster abtun und derselben gueter den armen raichen, den si auch zu guet vermaint und gestift sind, auf das es alles unter den Christen in gottes Ordnung zugee, wie auch Paulus sagt 1. Cor. 141). Dasselb soll aber durch die oberkait geschehen, auf das unschickligkait verhuetet werde, weliche auch got darumb hat eingesetzt, das si dem pösen weren und abtun und das guet fordern und aufrichten sollen. Rom. 132). Von der

bischove

und anderer prelaten gaistlichen jurisdiction*). Die bischove und andere gaistliche klagen, das si von etlichen weltlichen oberkaiten irer jurisdiction unpillich entsetzt werden, darumb si auch mit inen darüber zancken. Ist nun diser zanck zwischen den gaistlichen und der göttlichen ober­ kait umb stett, Schlösser, dörfer und andere guetter, die vom kaiser zu lehen geen und in das weltlich reich gehören, so geet uns die sach und diser handel nit an, dann Christus richtet hie nit, sonder sagt: wer hat mich zum richter oder erbschaider über euch gesetzt? Luce 123). Ist aber der hader über dem predigtampt, weliches auch der bischofe ainiges werck ist, so ist man inen ir narung nach der Ordnung Christi in allweg schuldig, sollen auch von der gemain mit allen eren notturftigklich unterhalten werden, wie Paulus schreibt 1. Cor. 9, do er spricht: wisset ir nit, das die, so im tempel schaffen, neren sich des tempels und die des altars pflegen, neren sich des altars4), also hat auch der herr bevolhen: die das evangelion verkündigen, sollen sich auch vom evangelion neren. Es ist aber, dafür wir achten, dieses gezenck nit über dem predigampt als der gaistlichen jurisdiction, dhweil das predigampt kain jurisdiction, sonder vil mer ain dienst ist, wie Paulus sagt 1. Cor. 4: dafür halt uns jedermann nemlich für Christus diener (nit für oberherrn) und haushalter über gottes geheimnus, das ist, über das evangelion, spricht nit pfleger über stet, dörfer etc* item 2. Cor. 4 spricht er: wir predigen nit uns selbs, sonder Jesum Christum, das er der herr sei5), wir aber eure knecht umb Jesus willen. Sein si nun diener, l) i. Cor. 14, 26. 2) Röm. 13, 4. *) Rot. 4) 1 Cor. 9, 13. 5) 1. Cor. 4, 1. 2. Cor. 4, 5.

3) Luc.

12, 14.

240 wo kompt dann die jurisdiction oder der gerichtszwanck, der nimand anderm dann ainer oberkait und herrschaft zuver­ walten gepürt hete? So muß nun aigentlich diser hader umb die ceremonien, von dero wegen sie den namen der gaistligkait füren, zutun sein, dann umb derselbigen willen dringen si auf die oberkaiten mit irer jurisdiction. Da gepurt sich aber in allweg zu fragen, aus was pillichem grund und von wem sie disen gegewalt empfangen haben, dergleichen ding aufzurichten und dardurch die menschlichen gewissen zu verwirren und gefangen zu nemen, so doch Christus uns alle nit alain von der sünd und dem ewigen tod, sondern auch von allem andern, dadurch man nit fromm werden kan, gefreiet hat und derhalben in die weit kommen ist. Act. 131). Welicher art auch unwidersprechlich sein alle ir aigne aufgesetzet ceremonien, von dannen here dise jurisdiction kompt. Sagen sie dann, das sie solichs vom bapst haben, so gepurt inen warlich zu beweisen, das der bapst solichs aus götlichem rechten, bevelch und Ordnung inen zu­ geben und den menschlichen gewissen zuverletzung mitzutailen macht hab, und alsdann gezimbt uns auch, ir ding als göttlich anzunemen, wo nit, so sind wir als christenleut das anzunemen nit verpflicht. Dann darumb glauben wir den propheten und aposteln, das wir wissen, das ir ding göttlich und nit menschlich ist, wie Paulus sagt Rom 15: Derhalben kann ich mich rtimen durch Jesum Christum, das ich mit göttlichen Sachen umbgee; dann ich dörft nit etwas reden, wo dasselbig Christus nit durch mich würcket etc.2). Und Gal. 1. spricht er, das er sein ampt nit von menschen, sonder von gott empfangen hab, darumb verflucht er auch alle, so dawider handeln3). Werden sie nun ir ding auch also für gotlich, recht und christenlich beweisen wie Paulus, so wollen wir inen ir juris­ diction billich gesteen; wo nit, wie sie auch in ewig zeit nimmer­ mehr tun können, so gepürt uns nit unzeitlich dagegen Zusagen, das si sich aines dings anmaßen, des sie von gott kainen bevelch haben, sonder aus aignem gewalt sich in ain frembd und nemlich gottes gewalt dringen, und seien die, davon Paulus schreibt Rom. 2: dir grauet für den abgottern und raubest got, was sein ist4). Was ist aber gottes? Alle ere und gewalt furnemlich aber über die seien, weliche also sein ist, das er sie kainem andern gibt. Darumb spricht er auch Ezech. 18: Siehe alle seien sind mein, es sei gleich vater oder sun, so sind si mein5); und Christus spricht Matth. 10: Förcht euch nit vor denen, die den *) Act 13, 38. ß) Ez. 18, 4.

2) Röm. 15, 17.

3) Gal. 1, 12.

4) 2. Röm. 2, 22.

241 leib töten und die sele nit mögen töten, förcht euch aber vilmer vor dem, der leib und sele verderben mag in die helle1). Den leib können die gaistlichen wol töten und würgen, aber die sele nit, wie si sich durch das bannen unterstanden haben, Ezech. 132), auch in den gewissen der menschen zu jregiren, do doch got allain und sein heiligs wort regiren wollen, welches aber warlich got der allmechtig als der ainig herr unserer seelen mit nichten gedulden kan, welichem allain sei preis, lob und ere in ewigkait. Amen. Die prediger und diener des worts zu Nürnberg. Königliches Kreisarchiv Nürnberg.

S. I, L. 68. N. 6.

IV. Beratung über den Anschluß Nürnbergs an die Augsburgische Konfession. 10. Juni 1530. Ob mein herrn ain erber rat der apologia, das ist, dem gegenwurf, so mein gnedigster herr der churfürst von Sachsen wider der babstische unchristliche beschuldigen hat stellen und kai. mjt. zu ubersenden lassen gedenkt, sollen anhangen und darein gehellen oder aber ain sondere Verantwortung für sich selbs tun sollen, ob auch soliche apologia enderns oder besserns bedorf, wie und welicher gestalt beratschlagt. (am Rand: Die prediger Doctor Wentzel, D. Dominicus, herr Osiander, carteuser3), prediger zu sant Gilgen4). Juristen: Scheurl, Hepstein, Kotzier, Gugel, Mullner. Herr Christof Coler. Herr Bernhard Baumgartner). Die gelerten haben die apologia bei irn handen gehabt, dieselben gelesen und sich darob entsunnen und bedacht und geben dieser apologia alle einhellig dieses lob und preis, das sie gelimpflich, höflich, lauter, aus dem grund und mit rechter christenlicher ainfalt gestelt sei, also das ir kainer dieselben weder zu endern, noch zu bessern weiß des unzweifenlichen verhoffens, wo di dermaßen durch kaiserliche maiestat gehört und verstanden wurd und gott der herr sunst genad verleihen wollt, sollt sie große frucht wurken und schaffen. Und, so alle Schriften ins evangelions Sachen, meldet Doctor Scheurl, bishero mit dieser senft, gelimpf und beschaidenhait und nit so pitter, ran (?) und gehessig wern ausgangen, das heilig evangelion wurd *) Matth, io, 28.

2) Ez. 13, 23.

3) Gr. Koberer

4) Fr. Pistorius. 16

242 bei vil mehr leuten angenomen worden sein, dann bescheen ist* lassen ine demnach alle ainhellig gefallen, wo mein gn. herr der churfurst von Sachsen diese apologia der kai. maiestat überantwort, das es wol und recht getan und underrichtung genug sei. Ob dann nun ain erber rat dieser apologia anhangen, sich dazu bekennen und underschraiben sollen oder ine zu underschreiben gezime, ist darvon gered worden, wie volgt: Doctor Wentzel1) und Dominicus2) sagen, dieweil diese apologia so christenlich und vernünftig gemacht sei und ganz gut und fortreglich were, das vil christenlich stende zusamen stimpten, so raten sie, das sich ain erber rat zu dieser apologia bekennen und underschreiben und sich nit irren lassen, das die ceremonien in der apologia gemelt mit den nurembergischen gepreuchen nit gar uberainkomme, wie dann der prauch des abentmals des herrn und der catechismus noch nit im schwank gee, wo aber die visitacion angericht, werd es fast alles concordieren und zusammmen stimmen, das auch zum furderlichsten gescheen sollt. Und wiewol herrn Andree Osianders mainung anfenklich auch dieser gestalt gewesen, hat er sich doch in der andern umbfrag nach verhörung der Juristen dohin gelendet, das sein mainung sei, dem churfursten anzuhangen, aber nit also, .das sich mein herren in diese apologia underschreiben, sonder für sich selbs dieser gleich ain antwort stellen und des churfürsten apologia einziehen und inserirn sollten*, und nach dem diese apologia ganz lind und zum tail schir dohin gestellt, das dfe papisten doraus versteen möchten, man wollt in allen freien und unnotdurftigen iren ceremonien weichen und dieselben, wie narrisch und unnutz sie auch weren, so sie dem wort gotts nit widerstrebten, wider aufrichten, were es doch des tichters dieser apologia mainung nit, es hets auch Luther in sein itzigen schreiben an die reichsversamblung zu Augspurg lautend genugsamlich abgestrickt und soviel zu erkennen geben, das der evangelischen mainung nit sei, sich sogar in die jüdischen ceremonien zubegeben. Der carteuser und egidier sagen, sie haben der apo­ logia nit gelesen, dhweil sie aber von den andern so wol ge­ lobt und gerumbt wurdt, zweifeln sie nit, sie tuge wol, lassens in auch gefallen, das sich ain erber rat darzu bekenne und underschreib, sich auch nit an die ungleicheit der ceremonien kere. Dann so die visitacion auch für sich gee, werd kain un­ gleicheit mehr da sein. Die juristen aber alle zugleich wollen, das meinen herren b Wenz. Link.

2) Dominicus Schleupner.

243

aime erbern rat kainswegs fuegen und gezimen wollt, sich in des churfursten von Sachsen apologia zu underschreiben und mit darein bekennen us mancherlai nachvolgenden Ursachen* nemlich, das der ceremonien sonderlich aber der meß und sacrament halbn noch kain gleichait zu Nurmberg und Sachsen gehalten werd und mit warheit nit gesagt mocht werden, das wirs bishero gehalten hetten in der kirchen, wie die apologia ausweist. Wollt man dann jehling doruf fallen und solich ungleicheit in eil concordirn, wer spottlich und fueget sich auch nit. Dann die Verantwortung muß uf beschehne und vergangne ding und nit ufs künftig gestellt werden. Item diese apologia sei uf den churfursten als uf ain hohe person, der in des evangelions Sachen mit dem anfang enthaltung des Luthers etc. etwas mehr zuverantworten haben werd dann Nuremberg, und werd mein herren gepuern, in irem stand und wesen sonder Verantwortung zu tun. Item sie halten nit dafür, wissen auch nit, ob es dem chur­ fursten von Sachsen gemaint und gefellig were oder nit, das sich mein herren in sein apologia underschreiben sollten. Item ob sich gleich meine herren underschrieben, so were es nicht fortreglich, es wurd weder wenig noch mehr aussehens haben und eben das doruf gehandelt werden, wo sie sich under­ schrieben, das gehandelt werd, so sie sich nit underschriben. Dieweil aber diese apologia ganz christlich und wol ge­ stellt und der churfürst von Sachsen ains anselichen Stands und christlichn Vorhabens sei und sich also unerschrocken erzaig, so raten sie, das soiiche apologia in sein namen allain und für sich geantwort werde und er also allen christenlichen stenden ain vorgeer und vorfechter, wie Johannes Christi vorgeer gewesen sei, uf den auch die andern christenlichen stende ir ufsehen haben sollten. Wie sich dann der handel seinenthalben verlaufen und zutragen wurd, wer gut zu gedenken, das es der ander evangelischen stende halben auch also ergeen und gehandelt werden wurd. Und sollt demnach ain erber rat still und ruig sein, bis es wol an sie käme und sie zur antwort mehr ursach gewinnen; und mittlerweil sollten sie auch uf ain apologia trachten in irem namen, die man dann mutatis mutandis aus des chur­ fursten apologia ganz schicklich und wol ziehen kont mit anziehung, was im kais. mjt. ausschreiben der guetlichen verhöre halben aines iden opinion etc. gemeldt, und wo es zuschulden käme, dieselben überantworten, darus werd dann kaiserliche majestat wol versteen, mit weme Nuremberg uberainstimmet, und wurd die gleicheit im werk als dann ain groß ansehen gewinnen und unzweifelich frucht wurcken. 16*

244 Weiter hat doctor Hepstein gemedt, das gut were gewesen, das sich alle protestirend stend zugleich vorlangs und zur zeit des ausschreibens dieses reichstags hetten zusamengetan und aines ainhelligen furtrags verglichen; weil es aber nit gescheen und die papisten der großen zertrennung halben ein herz und mut fassen werden, sich auch entlieh untersteen, alle ding wider in alten stand zustellen, und ob ine im selben fall ain schanz geriet und sie furdrucken sollten, do doch got vor sei, und er nit gern dabei sein wollt, so wer große not, das man izt, eh es geschee, uf mittel und wege gedechte und sich mit ratschlegen gefaßt machet, was man alsdann tun, handeln und furnemen wollt; dann sich in solich der papisten alten tant wider lassen einzufuren und zuvergarnen, sei unchristlich, lesterlich und pöß; sich mit gewalt zu widersetzen, trag auch beschwerd uf ime; darumb sollt man itzo ratschlagen und die protestirenden stende ainer dem andern soliche ir ratschleg zuschicken und itzo beschließen, was sie alsdann in der not tun wollten, damit nit geeilt wurd. Actum freitag1), 9. Juni 1530. Kreisarchiv Nürnberg. S. I, L. 68, N. 6.

Ratschlagbuch N. 24, F. 471—474.

V. Unterhandlung mit Hepstein und Osiander wegen des Besuches des Reichstages. 22. Juni 1530. Nachdem den wirdigen und hochgelerten hern Andreasen Osiander und hern Johann Hepstain doctor durch hern Cristophen Coler und hern Bernhard Baumgartner ange­ zeigt, das si bede darum erfordert worden, weil inen und jedem besonders die purde ufgelegt und ein schrift oder antwort in Sachen die ceremonia und christliche lere, so allhie in der stat und ains erbern rats gepiet gehalten und gelert würden, zu­ machen, bevolhen worden2) etc., ob dieselben apologia und ant­ worten, wie inen bevolhen, durch si verfertigt weren, uf da£, wo ein erber rate neben andern christlichen stenden solcher lere und ceremonia halben inquirirt und gefragt wurd, daß die­ selben anzeigung neben andern auch möchte dargetan und furpracht werden. Darzu herr Andres Osiander angezeigt, daß er gleichwol hievor neben dem bevel vernomen, das man mit solcher *) Der Freitag war in diesem Jahre der 10. Juni. 2) Ratsverlaß vom 5. Mai 1530.

245 antwort schriftlich und mündlich solt bedacht und gefaßt sein*, und wie er acht, so werde am mündlichen mer dann am schrift­ lichem gelegen sein, und hab demnach sein schriftlich antwort gestelt mit A bezeichnt1), die werde sich fast mit des Melanchthons vergleichen*, und hab gleichwol an solche sein ge­ stehe schrift diser zeit ainichen eingang können oder mögen stellen, weil er nit gründlich und gewiß gewest, was das furhalten kais. mjt. beschließlich sein werde. Aber pald mög ein eingang gemeß dem furhalten gestellt werden. So hab er desglaichen kain beschluß oder erpieten ge­ macht, aber das erpieten, so zu jüngsten reichstag zu Spei er gehalten, gepraucht, welchs er gestellt und mein herrn uber­ geben, das müg hierzu genommen werden, darin konn man sich nit vergreifen. Und zu mündlichem anzeigen und fortrag hab er sich gleicherweis geschickt gemacht mit etlichen verzeichnussen aus dem alten und neuen testament, dardurch er vermeint, ver­ mittels göttlicher hilf di, nottorft auch anzuzeigen. Desgleichen so zaigt doctor Hepstain an, das man furnemlich uf zwen wege müß gerüst und gefaßt sein, dieweil man (wie vermutlich) von kais. mjt. oder den reichstenden neben andern christlichen stenden mocht angesprochen werden. Und nemlich erstlich: wo man begern würde, was hie in der kirchen gehandelt oder gelert, auch ob die ceremonia gehalten würden, solichs und wie das zuget, das werden und müssen die theologi verfechten und verteidingen. Aber zum andern: ob in einer gemain, wie vermutlich, bei allen stenden dem evangelio anhängig solt und wolt gehan­ delt und begert werden, nemlich, das man alle ceremonia in alten geprauch und stand stellen solt etc., das es meine herrn neben andern verantworten und nit tun solten, auch daruf ursach (warumb das nit sein sollt, kond oder möcht) anzaigen, wie er dann gegen wertige verzeichnus mit B bezeichet2) uf eins erbern rats weiter bedencken gemacht und gestellt hab. Dabei soll man in achtung haben, wo sondere personen meine herrn beclagen würden, als umb entsetzung der geist­ lichen iurisdiction oder anders, daruf diese Schriften nit anzuzaigen, sonder allain, wo ingemain gehandelt würde, solche Ursachen darzutun Actum 22. Juni 1530. Kreisarchiv Nürnberg. S. I, L. 68, N. 6. *) Liegt bei. 2) Liegt bei.

Gedruckt bei Hortleder I, i, 8.

Die Wiederherstellung der St. Sebaldkirehe in Nürnberg 1888 —1905. Von Otto Schulz, Architekt.

Als eine Folge des im Anfang des vergangenen Jahr­ hunderts wieder erwachten Interesses für die Kunst des Mittel* alters kann auch die Wiederherstellung einer Reihe von Kirchenbauten des heutigen Bayerlandes bezeichnet werden. Unter den letzteren ist bemerkenswert der Ausbau des Domes zu Regensburg, die Restauration der Dome zu Speyer und Bamberg, der Turmbau der Marienkirche, zu Würzburg sowie die Wiederherstellung der St. Lorenz- und der Frauenkirche zu Nürnberg. Nicht immer waltete über diesen Arbeiten ein glücklicher Stern. Der Absicht, die wieder zur Wertschätzung gelangten mittelalterlichen Baustile möglichst rein zum Ausdruck zu bringen, sind viele wertvolle Bauteile der Renaissance und der Barock­ zeit, besonders aber innere Einrichtungsgegenstände zum Opfer gefallen. Ein Beispiel hierfür bietet der trostlose Anblick, welchen das Innere des Bamberger Domes jetzt gewährt. Wie heute noch, war auch damals das Resultat einer Restauration in der Hauptsache von der Persönlichkeit des bauleitenden Architekten abhängig. War derselbe einseitig, wie der in mancher Beziehung immerhin verdienstvolle Nürnberger Architekt und kgl. Konservator HeidelofF, der außerdem das Bedürfnis hatte, die wenig verstandenen mittelalterlichen Formen zu »ver­ bessern«, so konnten beklagenswerte und schwere Schädigungen der alten Kunstwerke nicht ausbleiben. An Namen wie Denzinger und Essenwein knüpfen sich andererseits verdienstvolle

247 Leistungen, welche weit über den Anschauungen der damaligen Zeit stehen. Von bedeutendem Einfluß auf die Forderungen, welche man heute an die Erhaltung und Wiederherstellung eines alten Bauwerkes stellt, sind die wertvollen Hilfsmittel der neueren Zeit, die Photographie, die Erleichterung des Verkehrs, die Vertiefung des archäologischen und kunsthistorischen Studiums gewesen. Trotzdem ist bis heute in manchen Fragen eine Einigung der Sachverständigen nicht erzielt worden, und es wird nach wie vor in vielen Fällen Sache der Persönlichkeit sein, ob die Lösung einer Restaurationsaufgabe als glücklich bezeichnet werden kann oder nicht. Denn Vorschriften, Leit­ sätze und Regeln können manchmal Gefahr laufen, in ein trockenes Schema auszuarten, während wir oft persönlichen Takt, Pietät und feinfühlige Zurückhaltung von selbst das Richtige treffen sehen. Als die Wiederherstellung der Sebaldkirche vor 18 Jahren begann, befand sich die neuere Organisation der Denkmalpflege noch in den Anfängen. Im Laufe der Arbeiten haben sich daher in mancherlei Beziehung wertvolle Erfahrungen bei der Lösung von technischen und künstlerischen Fragen erst ergeben müssen. Die romanische Sebaldkirche des 13. Jahrhunderts, welche den Einfluß des benachbarten Bischofsitzes Bamberg und dessen Verwandtschaft mit dem Cistercienserkloster Ebrach erkennen läßtx), ist eine dreischiffige Basilika mit zwei Chören, östlichem Querschiff und zwei westlichen Türmen. Die baulichen Ver­ änderungen, welche im Anfang des 14. Jahrhunderts vor­ genommen wurden, bezweckten eine Vergrößerung des Innen­ raumes und die Schaffung einer besseren Lichtzufuhr. Die Seitenschiffe wurden auf die Breite der Querhausarme ver­ größert, während im Querschiff und im Westchore große spitzbogige Fenster ausgebrochen wurden. 1361 begann man mit dem Bau des gotischen Hallenchores in der durch das romanische *) Arthur Weese, Die Bamberger Domskulpturen, S. 146. — Redtenbacher, Zeitschr. f. bild. Kunst 1881, XVI, S. 271. — Dr. F. W. Hoffmann, Die Nürnberger Kirchen, in der »Baukunst«, 12. Heft, II. Serie.

248 Querschiff gegebenen Breite, unter Abbruch der alten Choranlage und der beiden östlichen Vierungspfeiler. Die Querschiffmauern blieben teilweise bestehen und bildeten die Außenwände der ersten Chorjoche. Die in denselben befindlichen schon früher erweiterten gotischen Fenster wurden von der Höhe der heute noch erhaltenen Kapitäle an, der Neuanlage entsprechend, erhöht. 1379 fand nach einer in der Mensa des Hochaltares gefundenen Pergamenturkunde die Einweihung dieses Altares nach der Fertigstellung des Chores statt. *) Erst am Ende des 15. Jahrhunderts fanden aber die Bauarbeiten an der Kirche mit dem Ausbau der Türme in der heute noch erhaltenen Form ihren Abschluß.2) Zur Veranschaulichung der verschiedenen Bauperioden mögen die beigefügten Tafeln dienen. Im Laufe der folgenden Jahrhunderte kamen durchgreifende bauliche Ver­ änderungen nicht zur Ausführung, wenn man von der Erneuerung der Turmgalerien, dem Abbruch der Chorbekrönung und dem Einbau der späteren barocken Emporen- und Orgelanlagen im Innern sowie der Herstellung der an den Chorgiebel angelehnten Fachwerkbauten auf den Dächern der Seitenschiffe absieht. Die hölzernen Emporen, mit Ausnahme der an der Nordseite der Kirche befindlichen, und die im ersten Joch am Westende des südlichen Seitenschiffes eingebaute Mesnerwohnung wurden im Anfang des 19, Jahrhunderts wieder entfernt.3) Das beim Bau der romanischen Sebaldkirche verwendete Steinmaterial besteht aus einem weißen Sandstein, der wohl in den Brüchen bei Erlangen gebrochen wurde. In den gotischen Bauperioden wurde der rote, noch heute in der nächsten Um­ gebung von Nürnberg gefundene Stein verwendet. Wenn auch bei den alten Kirchenbauten auf die Auswahl des zur Ver­ arbeitung gelangenden Steinmaterials offenbar eine weit größere *) Abschrift der Urkunde in den Pfarrakten von St. Sebald. Bezüglich der Versuche, die merkwürdige Abweichung der Chor­ längsachse von der Achse der romanischen Kirche zu erklären, vergl. im Korrespondenzblatt des Gesamtvereins der deutschen Geschichts- und Altertums* vereine, II. Sitzungsprotokoll dei Generalversammlung 1899. a) Lotz, Kunsttopographie Süddeutschlands. — Dr. F. W. Hoffmann a. a. O. 8) An dieser Stelle soll nicht verfehlt werden, äuf das demnächst im Aufträge des Vereins für Geschichte der Stadt Nürnberg erscheinende umfang­ reiche Werk über die Sebalduskirche von Dr. F. W. Hoffmann hinzuweisen.

St. Sebald in der Wiederherstellung 1899.

249 Sorgfalt wie in jetziger Zeit gelegt wurde, so hat sich der nicht sehr harte Stein dennoch als ungeeignet erwiesen, auf die Dauer den Witterungseinflüssen standzuhalten. 1561 sah man sich daher schon genötigt, die schadhafte Chorgalerie abzubrechen.1) Besonders die reichen Architekturteile gingen im Laufe der Zeit mehr und mehr in Verwitterung über, sodaß das Bedürfnis einer gründlichen Restauration immer dringender wurde. Daß eine Wiederherstellung der Sebaldkirche auch aus konstruktiven Gründen nicht weniger erforderlich war, hat sich erst im Laufe der Bauarbeiten ergeben, als die einzelnen Bauteile mit Hülfe von kostspieligen Rüstungen zugänglich gemacht wurden und nachdem im Innern die mehrfachen Tünchungen, welche bis dahin die bedrohlichen Schäden bedeckt hatten, entfernt werden konnten.

L Vorarbeiten der Wiederherstellung. Um über die Art der vorzunehmenden Wiederherstellungs­ arbeiten Klarheit zu erhalten, wurden im Jahre 1882 durch die Verwaltung des vereinigten protestantischen Kirchenvermögens der Stadt Nürnberg als der Besitzerin der Kirche von Autori­ täten im mittelalterlichen Kirchenbau Gutachten eingeholt und zwar vom damaligen Kreisbaurat Denzinger, vom Direktor des Germanischen Museums Essenwein und vom Professor Hauberrisser in München.2) Das Ergebnis dieser Gutachten ging dahin, zunächst nur einen der stark verwitterten und in seinen reichen Architekturformen kaum noch erkenntlichen Strebepfeiler des Ostchores zu erneuern, um hierbei für die Vornahme und den Umfang der übrigen Wiederherstellungsarbeiten sichere Anhalts­ punkte zu gewinnen. J) Dr. Mummenhoff, die 1561 abgebrochene Galerie an der Sebalduskirche, Mitt. d Ver. f. Gesch. d. Stadt Nürnberg 1889, 8. Heft. 2) Michahelles, Die Restauration der St. Sebalduskirche, Nürnberger Evangel. Gemeindeblatt 1893, No. 8 und 9.

250 Mit der Leitung dieser Arbeiten wurde, nachdem Dom­ baumeister Denzinger die Übernahme derselben abgelehnt hatte, Professor Hauberrisser, dessen Ruf als bedeutender Gotiker sich der rückhaltlosesten Anerkennung erfreut, betraut. Restaurationsarbeiten, wie sie hier in Frage kamen, er­ fordern von einem gewissenhaften Architekten bekanntlich ein großes Maß von Selbstverleugnung und Einfügung in die Ab­ sichten des alten Baumeisters. Es darf daher den Anschein erwecken, als wenn die hier erforderliche Beschränkung sich schwer vereinigen ließe mit der schöpferischen Kraft, der eigenartigen Persönlichkeit und dem Gedankenreichtum, welche Hauberrisser bei seinen bekannten monumentalen Bauten gezeigt hat.1) Wer Meister Hauberrisser aber kennt, kennt außer diesen Eigenschaften auch seine außerordentliche Gründlichkeit und Vertiefung in das Studium der alten Kunst. Jede, auch die scheinbar untergeordnetste Frage, insbesondere bei nicht mehr vorhandenen und daher nach neuen Entwürfen herzustellenden, zu ergänzenden Bau- und Architekturteilen wurde für ihn der Gegenstand sorgfältigster Erwägungen. Nur zu oft mußte während der Wiederherstellungsarbeiten, namentlich bei Auswechselungen, die Methode erst erfunden werden. In der Verbindung solcher Gründlichkeit und Genialität mit einer großen Pietät und Wert­ schätzung der alten Kunst liegt der Schlüssel zu dem an St. Sebald erreichten Erfolge. In Hauberrissers Auftrag fertigte der Nürnberger Architekt Kieser mehrere Aufnahmen des baulichen Bestandes der Kirche, auf Grund deren von Hauberrisser ein Restaurationsprojekt nebst Kostenanschlag gefertigt wurde. Dieses generelle Projekt er­ streckte sich auf eine Rekonstruktion der Nordfassade im Maß­ stab 1 :50, während die Projektierung der weiteren baulichen Vornahmen der Ausführung an Ort und Stelle, dem Fortschreiten der Bauarbeiten entsprechend, Vorbehalten bleiben mußte. Am Ende des Jahres 1886 erlangten die Vorlagen die Genehmigung *) Von den Bauwerken Professor v. Hauberrissers sind besonders zu erwähnen die Rathäuser zu München, Wiesbaden und St. Johann a. Saar, von Kirchenbauten die St. Paulskirche zu München und die Herz Jesukirche zu Graz, ferner die Wiederherstellung des Rathauses zu Ulm und der Burg Busau in Mähren.

251

der Vorgesetzten Behörden. Mit den Vorarbeiten am Bau selbst konnte im Jahre 1888 begonnen werden. Als seinen Vertreter und örtlichen Bauleiter bestimmte Professor Hauberrisser seinen Schüler, den Architekten und nunmehrigen Professor Schmitz, welcher daraufhin nach Nürnberg übersiedelte, während Professor Hauberrisser selbst zur jeweiligen Besprechung nach Nürnberg herüber kam. Die Kirchenverwaltung, an deren Spitze Kirchenrat Dekan Heller stand, wählte aus ihrer Mitte einen Bauausschuß, welcher unter dem Vorsitz des verstorbenen Kirchenrates Michahelles nach jeweiligen Berichten der Bauleitung über die zu treffenden baulichen Dispositionen Beschlüsse faßte.. Die übrigen Mitglieder dieses Bauausschusses waren im Laufe der Wiederherstellung Fabrikbesitzer v. Förster, Baumeister Goll, Großhändler Heer­ degen, Justizrat Hilpert, Brauereidirektor Liebei, Ingenieur Rupprecht und Fabrikbesitzer Thäter, ferner als Abgeordneter des Stadtmagistrats Privatier Tauber und späterhin Kaufmann Häberlein. Als im Jahre 1888 Kirchenrat Heller, welchem heute die Leitung des bedeutenden Werkes der Wiederherstellung der St. Lorenzkirche unterstellt ist, die Vorstandschaft der Kirchenverwaltung niederlegte, trat Stadtpfarrer Lotholz und nach dessen Erkrankung im Jahre 1898 Stadtpfarrer Schiller an seine Stelle. Zur Beschaffung der erforderlichen Geldmittel hatte sich der »Verein für die Restauration der St. Sebalduskirche« ge­ bildet, dessen Vorsitz Kirchenrat Michahelles führte (nach dessen Tode am 2. Juni 1905 trat Justizrat Freiherr v. Kreß als Stell­ vertreter des Vorsitzenden an seine Stelle), während außerdem dem Vorstande als Schriftführer Justizrat Vollhart und als Schatz­ meister Kommerzienrat Schwanhäußer angehörte. Wie bei den meisten größeren Kirchenrestaurationen entschloß man sich auch bei der Sebaldkirche, die Ausführung der Bauarbeiten im Regiebetriebe vorzunehmen. Nach Hauberrissers Plan wurde neben der Kirche eine Bauhütte errichtet, welche in ihrer einfachen aber malerischen Form die Kirche nicht im geringsten beeinträchtigte, sondern mit derselben organisch verwachsen erscheint.

252

Alle Rüstungen für Versetzarbeiten wurden in abgebun­ denem Kantholz hergestellt, nur die zu Vermessungen und kleineren Ausbesserungen erforderlichen Gerüste kamen in leichtem Rundholz zur Ausführung, in den ersten Jahren durch Zimmermeister Steger, nach dessen Tode durch Zimmermeister F. Birkmann*

II.

Der östliche Hallenchor. Die Einteilung der Bauarbeiten, besonders aber die an­ zubringenden Gerüstbauten ließen es zweckmäßig erscheinen, nicht wie früher beabsichtigt, mit der Erneuerung der Chor­ strebepfeiler, sondern mit der Wiederherstellung der Chor­ bekrönung zu beginnen. Bei den hierzu vorgenommenen Vermessungen, zeichne­ rischen Aufnahmen und Untersuchungen, die sich auch auf den konstruktiven Bestand des Chores erstreckten, machte man die unliebsame Entdeckung, daß sich der gewaltige Dachstuhl in einem bedenklichen Zustand befand. Die Balken waren teils verfault, teils überhaupt herausgeschnitten, sodaß die Chor­ mauern mit ihrem oberen Teile infolge des mangelhaften Zu­ standes des Gebälkes und des Fehlens eines notwendigen Zusammenhaltes ringsherum hinausgedrückt waren. Durch eiserne Verschlauderungen mußte der Dachstuhl wieder zu­ sammengezogen und gründlich in stand gesetzt werden, ehe mit der Wiederherstellung der architektonischen Schmuckteile be­ gonnen werden konnte. Außer den stark verwitterten, zum Teil fehlenden Strebe­ pfeilerendigungen waren die über den Chorfenstern aufragenden Wimperge und die zwischen letzteren herumlaufende Galerie zu erneuern. Die Anhaltspunkte, welche sich für eine Rekon­ struktion der Galerie aus alten Stadtansichten ergaben, waren, wie zumeist bei derartigen kleinen Darstellungen zu unbedeutend, um überhaupt in Frage zu kommen. Es war daher um so

253 erfreulicher, als bei der Abnahme des Karniesgesimses, welches nach dem Abbruch des Chorkranzes aufgebracht worden war, eine Anzahl zwar stark beschädigter Hausteinstücke der alten Galerie gefunden wurden. Mit Hülfe dieser äußerst wichtigen Überreste war man nun in der Lage, sogar die einzelnen ver­ schiedenartigen Maßwerkbildungen der von Zinnen bekrönten Galerie festzustellen. Für die Ergänzung der Wimperge waren die noch vorhandenen unteren Teile derselben maßgebend. Die oft ganz auffälligen Unregelmäßigkeiten und Abweichungen wurden überall sorgfältig beachtet und wieder zur Ausführung gebracht. Unter anderem ergab es sich auch, daß die Wimperge nicht, wie anzunehmen war, von dem wagerechten Hauptgesims durchschnitten wurden, sondern daß letzteres auf den Schrägen der ersteren endigte. Anhaltspunkte hierfür fanden sich an einem heute noch an seiner ursprünglichen Stelle befindlichen Gesimsstück des nördlichen Seitenschiffes. Am Ende des Jahres 1888 wurden durch die Baumeister Johann Göschei und Alt, von denen letzterer nach einem Jahr zurücktrat, die eigentlichen Bauarbeiten begonnen und am 14. Oktober 1889 konnte an der Nordseite der Chorgalerie der erste Stein zur Wiederherstellung der St. Sebaldkirche aufgezogen werden. Die Versetzarbeiten nahmen auch während des nächsten Winters ihren Fortgang und wurden so betrieben, daß bereits am 4. September 1890 der letzte Stein der Chorgalerie, welchem eine hierauf bezügliche Urkunde eingefügt war, zum Versetzen gelangte. Das verwendete Steinmaterial wurde durch die Bauleitung selbst bezogen. Für die Galeriestücke kam der außerordentlich harte Wendelsteiner Quarzit, für die übrigen Architekturteile und die Ornamentationen Sandstein aus den Brüchen bei Kulmbach, Bayreuth und Lahr in Baden zur Anwendung. Wie die Er­ fahrungen gelehrt haben, hat sich hauptsächlich der harte Quarzit als vollkommen wetterbeständig und außerdem auch für die reichsten Schmuckteile verwendbar erwiesen, jedoch sind die Bearbeitungskosten wesentlich höhere als bei den übrigen Steinen. Statuen und Reliefs wurden aus Donaukalk­ stein hergestellt. Als eine Frage von besonderer Bedeutung erwies sich die

254

bei der Erneuerung der einzelnen schadhaften Steine anzu­ wendende Technik. Eine etwaige Ankittung oder das Einsetzen von Vierungen konnte nicht in Betracht kommen, da die Ver­ witterung besonders bei den reicheren Steinen bereits sehr weit vorgeschritten war. Eine Fluatierung der einmal in Verwitterung übergegangenen Steine war gleichfalls erfolglos, da die Zer­ störung des Steines unter der durch die Fluatierung geschaffenen härteren Kruste ihren Fortgang nahm. Man mußte sich daher entschließen, jeweils die Quader in ihrer ganzen Größe zu er­ neuern. Hierbei war wiederum zu erwägen, ob es vorteilhafter wäre, die einzelnen Steine stückweise auszuwechseln oder je einen ganzen Bauteil abzutragen und in neuem Material zu er­ richten. Die erstere Arbeitsart konnte bei der Erneuerung der über den Chorfenstern befindlichen Wimpergteile angewendet werden, während bei den Strebepfeilern das Abtragen der ein­ zelnen erneuerungsbedürftigen Teile im ganzen ratsam erschien. Da es sich hierbei um ziemlich bedeutende Steinmassen handelte (etwa 50 Werkstücke an jedem Strebepfeiler), nach deren Herausnahme die stark geschwächten Pfeiler den Schubwirkungen der Gewölbe nicht genügenden Widerstand zu leisten vermocht hätten, wurde es erforderlich, eiserne Stützkonstruktionen zur Anwendung zu bringen. Diese Hülfskonstruktionen, unter Mit­ arbeit der Herren Direktor Rieppel und Oberingenieur Schuster ausgeführt, kamen an allen Pfeilern, sowohl bei den oberen als bei den unteren Auswechselungen zur Anwendung. Gleichzeitig im Innern der Kirche angebrachte Zeigervorrichtungen mit Hebel­ übersetzung sollten dazu dienen, die geringsten Ausweichungen der Mauern, Pfeiler und Gewölbe anzuzeigen. Im wesentlichen konnte an den Pfeilern der alte Fugen­ schnitt beibehalten werden. Auch hier wurde besonderer Wert darauf gelegt, daß die mannigfaltigen Unregelmäßigkeiten, welche sich an den alten Bauteilen ergaben, bei den Neuherstellungen erhalten blieben, damit nicht durch schablonenhafte Ausführung der große Reiz der alten Architektur verloren ginge. Von größter Wichtigkeit war auch eine charakteristische Behandlung der Ornamentation. Zunächst war man bestrebt, dieselbe nach Steinmetzart möglichst flächig und scharfkantig herzustellen. Dies Prinzip erfuhr aber eine wesentliche Einschränkung, nachdem

255 im abgebrochenen Mauerwerk eine im Urzustand befindliche alte Krabbe gefunden worden war, die weichere, gerundete Formen aufwies. Wie es wohl bei den meisten Bauhandwerkern der Fall ist, besitzen die heutigen Steinmetzen nicht mehr die Selbständig­ keit ihrer mittelalterlichen Berufsgenossen. Um daher die orna­ mentalen Formen und die reicheren Entwicklungen richtig zur Ausführung zu bringen, mußten jeweils Modelle gefertigt werden, die bei der Ausführung in Stein vermittelst des sog. Punktierens auf das genaueste zu kopieren waren. Für die Herstellung dieser Modelle erwies sich eine Aufmodellierung mit Plastelin auf den Originalstein oder auf einen Abguß desselben als am geeignetsten. Diese Methode kam daher mit bestem Erfolge während der ganzen Dauer der Restauration zur Anwendung. Sämtliche Modelle der Ornamentik wurden durch Bildhauer Leistner gefertigt. Bei der Erneuerung der unterhalb der großen Riesen an den Chorstrebepfeilern befindlichen Baldachine mußte es zu­ nächst scheinen, als ob unter 'das vorspringende Eck, dem Sockel entsprechend, Säulchen einzufügen wären. Da sich aber im Innern der Kirche ähnliche Entwicklungen fanden, bei welchen die Stellung der Sockel den Baldachinecken überhaupt nicht entsprach, wurde auch im Äußeren auf die Einfügung der Ecksäulen verzichtet. Für die im Jahre 1894 vorgenommene Neuherstellung der Galerie am westlichen Giebel des Chores hatten sich keine Anhaltspunkte gefunden. Der äußere starke Mauerabsatz, der früher jedenfalls nicht wie bisher eine Ziegelabdeckung trug, ließ aber das Vorhandensein eines zur Chorgalerie führenden Ganges vermuten. Letztere wurde, daher an der Giebelseite herumgeleitet und am Schiffdach an verschiedenartig ausgebildete, neu erfundene Ausbauten angeschlossen. Im Zusammenhang mit der Erneuerung des Chorumganges mußte innerhalb desselben auch eine neue Rinnenanlage ge­ schaffen werden. Die Ausführung der durch begehbare Holzroste geschützten Rinne erfolgte wie alle übrigen Blechausdeckungen mit kräftigem Kupferblech. Die teilweise recht schadhafte Ziegel­ bedachung mußte einer Ausbesserung und Instandsetzung unter­ zogen werden. Bei dieser Gelegenheit wurden auch die beiden

256

kupfernen Dachendigungen nach den vorhandenen Resten er­ neuert. Bei der Inangriffnahme der Wiederherstellungsarbeiten fanden sich an den Strebepfeilern des Chores nur vier Figuren und zwar zwei Propheten und die Statuen des Sebald und der Maria. Die beiden letzteren blieben an ihrem Standort, während die eine Prophetenfigur sich nunmehr in den Sammlungen des Germanischen Museums, die andere in der Kirche befindet. Für das ehemalige Vorhandensein weiterer Figuren ergaben sich keinerlei Anhaltspunkte, doch schien es nicht zweifelhaft, daß ein reicher Figurenschmuck die Wirkung des Chores noch steigern würde. Nach reiflicher Überlegung wurde beschlossen, nicht alle Nischen mit Figuren auszufüllen und entsprechend dem in einer Denkschrift niedergelegten Vorschlag des Vereins für die Geschichte der Stadt Nürnberg in den einzelnen Dar­ stellungen nicht über die Zeit der Erbauung des Chores hinaus­ zugreifen. Nach dem Entwurf des Kirchenrates Michahelles gelangte ein der christlichen Heilsgeschichte angehörender Cyclus von Figuren zur Aufstellung, welch letztere im unteren Teile der Strebepfeiler dem alten und im oberen dem neuen Testament angehören. Die Modelle zu diesen Figuren wurden gleichfalls von Bildhauer Leistner geschaffen. Gelegentlich des Abbruches eines alten Baldachins am Chor fand sich ein in Erz gegossenes Wappen vermutlich mit dem Steinmetzzeichen des Meisters des Hallenchores.1) Ehemals an der Galerie befestigt, mag es wohl beim Abbruch derselben herabgefallen und an den schwer zugänglichen Fund­ ort gelangt sein. An anderen Stellen kamen mittelalterliche Werkzeuge, Meißel, Senkel u. s. w. zum Vorschein. Alle der­ artigen Fundstücke bilden ebenso wie die wertvolleren durch Nachbildungen ersetzten Originalsteine sorgfältig aufbewahrt Gegenstände einer von Prof. Schmitz angelegten Sammlung in der Krypta des Westchores. Eine weitere Sammlung von Gypsmodellen der erneuerten Einzelformen sowie von kleineren Dar­ stellungen interessanter Bauteile kam in dem oberen Raume *) Dr. Groeschel, Centralblatt der Bauverwaltung 1896, S. 290; S. 545; 1901, S. 296.

1899

Sammlung von Bauresten in der westlichen Krypta (in der Mitte Fundstücke der 1561 abgebrochenen Ostchorgalerie).

257

der nördlichen Sakristei zur Aufstellung. Entsprechende Zeich­ nungen und zahlreiche photographische Aufnahmen des baulichen Befundes vor Inangriffnahme und nach Beendigung der einzelnen Bauarbeiten dienen zur Vervollständigung. Die wertvolleren Übersichtszeichnungen und einzelnen Darstellungen wichtiger und charakteristischer Bauteile wurden dem städtischen Archiv über­ geben. Innerhalb der Kirche an der nördlichen Seitenschiffwand gelangten ferner alle Originalstatuen, welche erneuert werden mußten, zur Aufstellung. Außer den in der Krypta aufbewahrten Originalsteinen wurde ein großer Teil der reicheren Bauteile an verschiedenen Stellen der Stadt und auch auswärts bei Kunstfreunden aufge­ richtet. Größere zusammenhängende Teile der Strebepfeiler­ entwicklungen des Ostchores wurden außerdem im Germanischen Museum, im Bayerischen Nationalmuseum zu München und im Pfarrgarten von St. Sebald aufgestellt. Für die Wiederherstellung des an der Nordseite des Ost­ chores befindlichen Magistratschores ergaben sich genügende Anhaltspunkte. An den anschließenden Strebepfeilern fanden sich sowohl Reste der bekrönenden Gesimse als auch der Galerieformen. Die aus jüngerer Zeit stammende Tür wurde in einfacherer Weise umgestaltet. Von der Rekonstruktion einer Galerie am nebenan befindlichen Brautportal wurde Abstand genommen, um den gewohnten Anblick desselben zu erhalten. Die Erneuerung beschränkte sich auf schadhafte Teile der reichen Maßwerkbildung, auf einzelne Baldachine und die metallene Bedachung der Portalvorhalle. Eine fehlende Figur unter den klugen Jungfrauen wurde neu hergestellt, die seitlich des Portales stehenden Statuen Sebalds und der Maria kamen als Nach­ bildungen der stark verwitterten Originale zur Aufstellung. An der gleichfalls auf der Nordseite der Kirche befind­ lichen Sakristei waren wesentliche Bauarbeiten nicht erforderlich, da auf einen früher beabsichtigten Giebelaufbau verzichtet wurde. Im Anschluß an die Auswechselung der schadhaften Hausteine erfolgte auch die Erneuerung des an der Westwand befindlichen Rieterschen Thomas-Christus nebst Konsol und reichem Baldachin. Eine gänzliche Neuherstellung erforderte dagegen der 1

7

258 sogenannte Dreikönigenchor der südlichen Chorseite, bei dem auffallenderweise die Architekturformen wie auch die einzelnen Entwicklungen und der Steinschnitt in schlechter Weise gelöst waren. Die an den Strebepfeilern des Chores befindlichen Reliefs1) wurden, ebenso wie die an den übrigen Teilen der Kirche befindlichen Epitaphien, nur dort erneuert, wo der gänzliche Untergang bei der fortgeschrittenen Verwitterung in kurzer Zeit bevorstand, während immerhin noch genügende Anhaltspunkte zu einer Rekonstruktion gegeben waren. In allen anderen Fällen, wo die Erhaltung der Originale noch irgend möglich war, wurde deren Bestand durch Fluatierungen gesichert. Am Schreyerschen Grabmal beschränkte sich die Erneuerung auf einzelne Architekturteile und das schützende Dach. 2)

III.

Die basilikale Westhälfte mit den Türmen. Nach der Beendigung der Bauarbeiten am Chore wurde im Jahre 1895 mit der Wiederherstellung des nördlichen Seiten­ schiffes begonnen. Hier handelte es sich um die Erneuerung der fehlenden Galerie, der Wimperge und der Strebepfeiler­ endigungen sowie um eine Änderung der Dachanlage. Im Laufe dieser Arbeiten ergaben sich wertvolle Anhaltspunkte für die Größenverhältnisse des romanischen Seitenschiffes und die ursprüngliche Dachform des gotischen Erweiterungsbaues. Es fanden sich sowohl die Wandanschlußgesimse des romanischen Daches als auch die dem romanischen Hauptgesims des Seiten­ schiffes entsprechenden Gesimsbildungen. Das erweiterte gotische *) Moritz, Maximilian Mayer, die Kirche des heiligen Sebaldus. 2) Dr. B. Daun, P. Yischer und Adam Kraft. R. Bergau, Veit Stoß und Adam Kraft in Dohme, Kunst und Künstler, No. 36. Dr. A. Gümbel, einige neue Notizen über das Adam Kraftsche Schreyergrab, im Repertorium der Kunstwissenschaft, XXV. Bd. V. Heft. Dr. B. Daun, Adam Kraft und die Künstler seiner Zeit. Fried. Wanderer, Adam Kraft.

259

Seitenschiff besaß, wie die erhaltenen Rinnenanlagen und Wasser­ abläufe erkennen ließen, ursprünglich Kapellendächer, die ver­ mutlich gleichzeitig mit der Abnahme der Galerie und der Wimperg­ endigungen abgebrochen wurden.1) An ihre Stelle trat dann ein ziemlich steiles, einheitliches Pultdach. Bei der notwendig ge­ wordenen Erneuerung desselben entschloß man sich zu einer Tieferlegung, um die bisher zum größten Teile verdeckten Fenster der Mittelschiffwand wieder freizulegen. Allerdings ergab sich hierbei, da eine Wiederherstellung der Kapellendächer nicht ratsam schien, für ein durchlaufendes Dach aber die Höhe der Trauflinie durch die Lage der Gewölbescheitei gegeben war, eine für Ziegeldeckung wenig geeignete geringe Neigung. Auf letztere Deckungsart glaubte man aus ästhetischen Gründen und aus Rücksicht auf die örtliche Bauweise nicht verzichten zu dürfen. Man sah sich daher genötigt, die Dachfläche zunächst mit Blech und über diesem mit Ziegeln einzudecken. Von der ehemaligen Galerie wurden außer wenigen Kalk­ spuren an den Wandanschlüssen keine Überreste gefunden, dagegen fanden sich von der Galerie des Portalvorbaues sowohl die mit Blattwerk geschmückten Abdeckgesimse als auch Reste der Maßwerke. Erstere kamen gleichfalls für die erneuerte Galerieabdeckung der Seitenschiffgalerie zur Anwendung, während für die Ausbildung des Hauptgesimses das schon früher erwähnte Gesimsstück vorbildlich war. Die Maßwerke selbst in ihren verschiedenartigen Gestaltungen wurden neu erfunden. Beachtet man, daß die Galeriemaßwerke des Chores, für welche sich genaue Anhaltspunkte zur Rekonstruktion ergeben hatten, ziem­ lich strenge, geradlinige Formen zeigen, so war zu vermuten, daß die aus früherer Zeit stammenden Maßwerke des Seiten­ schiffes, ähnlich denen des Portales, gleichfalls derartig sprenge Formen gezeigt haben. Immerhin kann nicht geleugnet werden, daß die Gesamtwirkung der erneuerten Galerie eine vortreff­ liche ist. Gleichzeitig mit den Arbeiten an den oberen Wand­ abschlüssen wurden auch hier wie schon früher am Chore die J) Fränkischer Kurier 1894, No. 137. — Ähnliche Anlagen sieh Viollet le duc, Diction. rais. de l’architecture, IV, p. 194: construction; VI, p. 3: gable.

1;

260

Fenstermaßwerke einer teilweisen Erneuerung und Ergänzung unterzogen. Letztere mußte natürlich dort unterbleiben, wo nach der Verstümmelung der Maßwerke wertvolle Glasmalereien angebracht worden waren. Vom Figurenschmuck der Pfeiler gelangten die Statuen der Maria mit Kind und des Christophorus als Nachbildungen der schadhaften Originale zur Aufstellung, die Figuren Luthers und Melanchthons wurden neu geschaffen. Auch der Humor kam an St. Sebald zu seinem Rechte, indem mehrere zur Bauhütte in näherer Beziehung stehende Personen als Vorbilder für Wasserspeier dienten. Um den Zugang zur Seitenschiffgalerie zu ermöglichen, mußte das am nördlichen Turm angebaute Treppentürmchen um ein Stockwerk erhöht werden. An Stelle des schadhaften aus Backsteinen aufgemauerten oberen Abschlusses trat nunmehr ein Steinhelm mit krönender Kreuzblume. Innerhalb des Dach­ raumes wurde ein neuer Zugang zu der am Westgiebel ange­ brachten Sängerempore geschaffen und der ebendort befindliche äußere Fachwerkaufbau entfernt. Gelegentlich dieser Vornahmen zeigte es sich, daß die Triforien der Mittelschiffwände durch die beim Umbau des Seitenschiffes erfolgte Erhöhung der Gewölbe unzugänglich geworden waren und daß man daraufhin in den tiefer liegenden Gewölbezwickeln neue Zugänge ge­ schaffen hatte. Durch diese in den Achsen der Pfeiler vorge­ nommenen Ausbrüche waren naturgemäß die Tragmauern auf das bedenklichste geschwächt worden, sodaß man sich bei den Wiederherstellungsarbeiten leider gezwungen sah, die heute nicht mehr benötigten Zugänge zu den Triforien zuzumauern. Von den ehemals die Hochschiffwand stützenden roma­ nischen Strebebögen zu beiden Seiten des mittelsten Fensters waren die Ansätze und der Querschnitt noch erkenntlich.*) Eine Erneuerung konnte jedoch nicht in Frage kommen. Eines­ teils waren nicht genügend Anhaltspunkte für eine einwandfreie Rekonstruktion gegeben und andererseits würden die romanischen *) Über romanische Strebebögen, welche verhältnismäßig selten Vor­ kommen, s. Dehio und v. Bezold, die kirchliche Baukunst des Abendlandes, S. 534, die Strebepfeiler in Limburg a. Lahn a. a. O. Taf. 178 und 224 und Förster, Denkmäler deutscher Baukunst, Bd. 1, S. 25.

261

Bögen den Verhältnissen des gotischen Seitenschiffes nicht mehr entsprochen haben. Bei allen Steinarbeiten am nördlichen Seitenschiff gelangte anstelle des bisher hauptsächlich benutzten Sandsteinmaterials und seit dieser Zeit ausschließlich Wendelsteiner Quarzit zur Anwendung, da dieser sich in bester Weise bewährt hatte. Am unteren Teile des nördlichen Turmes, in der Höhe des Treppentürmchens, fanden sich bedenkliche Risse, die wohl durch die Schubwirkung der großen, allerdings schon zugemauerten Öffnungen, deren Zweck nicht ganz erklärlich ist, entstanden sein mögen. Wenn auch eine unmittelbare Gefahr nicht zu befürchten war, so erschien es doch dringend nötig, etwaigen weiteren Bewegungen des Mauerwerkes vorzubeugen. Es geschah dies durch Einbringung einer das nordwestliche, das am meisten aus­ gewichene Eck umfassenden doppelten Verschlauderung. Die übrigen zum Teil ganz bedeutenden Schäden am nördlichen Turm hatten sich, soweit sie die Beschaffenheit des Mauerkerns betrafen, noch nicht ergeben, sondern fanden sich erst im Laufe der weiteren Bauarbeiten. Im Frühjahr 1897 konnte mit dem Abbruch der erneuerungsDedürftigen Turmgalerie und der unter ihr befindlichen Gesims­ bildungen begonnen werden. Die beim Entfernen der alten Steine zu Tage tretende Verschlauderung bestand aus vier einzelnen starken Eisen, die aber auffallenderweise untereinander, ähnlich wie auch am südlichen Turme von St. Lorenz, keine Verbindung besaßen. Um nun keinen gefahrdrohenden Zustand hervorzu­ rufen, sah man sich genötigt, die alten Schlaudern auch während des Versetzens der neuen Steine in ihrer Wirkung zu belassen, jedoch wurde zur Erhöhung der Sicherheit eine weitere zu­ sammenhängende Verschlauderung eingelegt. Nach der im Juli 1897 erfolgten Beendigung der ziemlich umständlichen Wieder­ herstellungsarbeiten der Galerie fand die Auswechselung der verwitterten Pfosten in den großen Schallöffnungen und sonstiger schadhafter Steine statt. Die romanischen Gesimse am unteren \ Teile des Turmes wurden soweit erforderlich erneuert, ebenso die unter ihnen befindlichen Bogenfriese mit ihren reichen im Stein vertieft eingehauenen Ornamentationen. Die Restauration des Portals blieb dagegen für spätere Zeit Vorbehalten.

262

An den ziemlich schadhaften und erneuerungsbedürftigen Zinntafeln des Turmdaches hatte sich eine eigentümliche Er­ scheinung gezeigt* Die einzelnen Stücke wiesen eine große Anzahl mehr oder weniger großer Löcher auf, deren Entstehen zunächst nicht zu erklären war.1) Wenn für die Neueindeckung des Turmes wiederum Zinn verwendet wurde, so geschah dies in dem Bestreben, im Nürnberger Stadtbild die gewohnte und charakteristische Erscheinung der mit verschiedenem Metall (Kupfer und Zinn) gedeckten Sebalder Türme zu erhalten. Eine längere Dauer der neuen Bedachung glaubte man durch Ver­ wendung von reinem Zinn anstatt des früher verwendeten 10°/o Blei enthaltenden erreichen zu können. An dem südlichen Seitenschiff, welches im Äußeren wesent­ lich einfacher wie das nördliche Seitenschiff gestaltet ist, fanden sich weder über den Umfassungsmauern noch am Portal Spuren einer früheren Galerie. Die Wiederhersteilungsarbeiten erstreckten sich daher im wesentlichen auf die Erneuerung der Gesimse und der Strebepfeilerendigungen. Auch die schadhaften Fenstermaß­ werke wurden ergänzt und in dem an den Turm anschließenden Joche wurde das von Heideloff in schlechten Formen hergestellte Maßwerk durch ein in Anlehnung an die übrigen Fensterformen neu erfundenes ersetzt. Am Portal beschränkte sich die Er­ neuerung auf die Gesimse, Wasserspeier und Figuren, von denen die Statue der Katharina in ihrer einfachen Schönheit besondere Beachtung verdient. Das auch hier die Mittelschifffenster ver­ deckende Dach wurde tiefer gelegt und, da es wesentlich steiler war wie dasjenige des nördlichen Seitenschiffes, mit einer Ziegel­ deckung versehen. Letztere mußte aber später durch eine Kupfer­ deckung ersetzt werden. Anstelle des zur Aufnahme des Orgel­ gebläses dienenden Fachwerkausbaues gelangte ein steinerner Aufbau zur Herstellung, dessen Giebel auf einem von der Mittelschiffmauer zur Außenwand gespannten Bogen ruht. Die westliche Querschiffwand, welche in früherer Zeit zur Aufnahme der Orgel stark geschwächt worden war, zeigte mehrfach Risse, *) Stockmaier, Über eine merkwürdige Bildung der grauen Modifikation des Zinnes, in den Verhandlungen deutscher Naturforscher und Ärzte. Nürn­ berg 1893.

263 auch der Steinverband war in bedenklicher Weise gelockert. Zwei vom Vierungspfeiler bis zur Außenwand reichende mit einander verbundene horizontale Verschlauderungen mußten daher eingefügt werden, um- dem Mauerwerk neuen Halt zu geben und weiteren Bewegungen desselben vorzubeugen. Wie am nördlichen Turm war auch am südlichen Turme die Erneuerung des schadhaften Kranzes notwendig geworden. Im Laufe des Jahres 1900 kamen sowohl diese Arbeiten sowie in Anschluß an dieselben Ausbesserungen des Kupferdaches, der Kugel und Wetterfahne zur Ausführung. Bedenklichere Schäden bestanden an den starken Mittel­ pfeilern der westlichen und nördlichen Schallöffnungen. Die an verschiedenen Stellen durch Backsteinmauerungen ausgebesserten stark belasteten Pfeiler waren mehrfach von Rissen durchzogen, sodaß eine Auswechselung unumgänglich erschien. Zu diesem Zweck war eine Abstützung der einzelnen Bögen erforderlich. Da aber eine Holzkonstruktion nicht die genügende Sicherheit zu bieten schien, wurden in den in Betracht kommenden Bogen­ öffnungen provisorische Backsteinpfeiler aufgeführt, welche die Bogenlast aufnahmen. Nach dem Abbruch und der Neueinfügung der Mittelpfeiler konnten diese Mauerungen, die sich vorzüglich bewährt hatten, wieder entfernt werden. Vor der Inangriffnahme dieser Auswechselungen mußte das nordöstliche Turmeck, welches durch eine vom Turm in den anstoßenden Gewölbezwickel des Mittelschiffes führende merkwürdige romanische Treppenanlage sehr geschwächt war, durch eine Ausmauerung der Hohlräume verstärkt werden. Späterhin wurden die stark verwitterten Strebepfeiler der Süd­ seite einer umfangreichen Erneuerung unterzogen, bei welcher auch der von einem Baldachin bekrönte Cruzifixus in einer Nachbildung des Originales zur Wiederaufstellung gelangte. Die romanischen Gesimse und Bogenfriese der unteren Stockwerke mußten teilweise gleichfalls erneuert werden. Weitere Schäden bestanden in einer Ausweichung des Mauerwerkes in derselben Höhe wie am nördlichen Turm, jedoch war es hier nicht möglich, die notwendig gewordene Verschlauderung unsichtbar anzubringen. Um ihr wenigstens einen Schutz vor Witterungseinflüssen zu geben, erhielt sie eine Monierumhüllung.

264 Am Löffelholzchor vom Hauptgesims bis**zu den unteren Fenstern herabreichende große Risse ließen auf ein allseitiges Ausweichen der strebepfeilerlosen Mauern schließen, die infolge der früheren Fensterumänderungen nicht imstande waren, dem durch eine hohe Sandauffüllung noch vergrößerten Gewölbeschube genügend Widerstand zu leisten. Eine im sog. Engelschore sich findende hölzerne Verschlauderung erwies sich als gänzlich unzulänglich. Zur Sicherung des Chores wurden nun zwei eiserne Verschlauderungen angebracht und zwar die eine in radialer Form in der Fußbodenhöhe des Engelschores, die andere als Kettenschlauder über den großen Fenstern in der Art, daß einzelne 50 cm lange Glieder durch Einbringung der einzelnen Stücke nacheinander innerhalb des Mauerwerkes eingelassen wurden. Außer den hierbei erforderlichen Erneuerungen von Steinen fanden auch am unteren Teile des Chores Auswechselungen statt.1) Das sehr schadhafte Dach wurde einer gründlichen Ausbesserung unterzogen und wiederum mit einem einfachen Aufzugserker versehen. Wie schon früher erwähnt, gelangten einzelne Reliefs in Nachbildungen der verwitterten Originale zur Aufstellung, während der große Christus von Erz aus dem Jahre 1482 nur einer Reinigung unterzogen wurde. Unter dem Dachstuhl des Chores fand sich in der Turmflucht ein romanischer Giebel mit ansteigendem Bogenfries, welcher ursprünglich das vermutlich niedere Chordach überragt haben wird. Die Chormauern selbst zeigen in ihrer oberen Endigung keine abgeschlossene Lösung, wahrscheinlich waren sie in ähnlicher Weise gestaltet wie an den Kirchen zu Geln­ hausen und Münstermaifeld, vorausgesetzt, daß die ursprünglich geplante Anlage nicht schon während der Bauzeit geändert wurde.2) Die an Stelle der heutigen gotischen Fenster von Anfang an bestehenden Lichtöffnungen zeigten offenbar dieselbe Form und Anlage wie die an der Nord- und Südseite noch jetzt 1) Frank. Kurier 1903, No. 71. *) G. Möller, Denkm. deutscher Baukunst, I, S. 20; Bock, Rhein­ lands Baudenkmale des Mittelalters, Bd. III. — Auch am Westchore des Bamberger Domes scheint ursprünglich eine ähnliche Anlage bestanden zu haben oder beabsichtigt gewesen zu sein.

265 erhaltenen. Bei den Wiederherstellungsarbeiten entstand nun die Frage, ob eine Rekonstruktion des alten Zustandes ange­ bracht sei oder nicht. Ersteres wäre allerdings für die romanische Stimmung des Mittelschiffes von Bedeutung gewesen, doch wurde davon abgesehen mit Rücksicht darauf, daß die bestehenden Fenster immerhin historische Berechtigung erlangt haben. Für die schon früher von Professor Schmitz aufgestellte Vermutung, daß die den Türmen an der Westseite vorgelagerten Portale erst nachträglich angefügt und daß sie wahrscheinlich alte Seitenportale seien, ergaben sich gelegentlich der Erneu­ erungsarbeiten am südlichen Portale mehrere Anhaltspunkte. Zunächst muß schon der Mangel einer organischen archi­ tektonischen Verbindung mit den Türmen und dem Chor ebenso wie der außergewöhnliche Vorsprung vor die Mauerflucht auf­ fallend erscheinen. Beim Abbruch der bisherigen Steinabdeckung des Portales fanden sich innerhalb der Schräge glatt behauene alte Quader, während die romanischen Bogenstücke auf der Innenseite abgestoßene Ecken zeigten, die auf einen früher schön einmal erfolgten Abbruch dieser Steine schließen lassen. Das Gesims der Abdeckung hat außerdem gotische Profilierung und die inneren Segmentbögen gleichen denen an den gotischen Seitenportalen. Auch lassen die Risse über diesen Bögen ein späteres Einsetzen der letzteren vermuten. Auffallend muß es aber erscheinen, daß die noch vorhan­ denen unteren romanischen Fenster an der Nord- und Südseite des Chores ohne ersichtlichen Grund nicht in der Mitte der Wandfläche angebracht wurden wie die oberen Fenster und die innere Blendarkade. Die seitliche Verschiebung, durch welche vermieden wird, daß der Portalvorbau die Fenster überdeckt, wird jedenfalls mit Rücksicht auf die Portale erfolgt sein. Am nördlichen Chorfenster endigen die Fensterprofile sogar über dem Portalanschnitt und ihre Endigungen zeigen dieselben Blattbildungen wie an den Portalen. Es erscheint demnach nicht unwahrscheinlich, daß die Portale gleichzeitig mit der Errichtung des Löffelholzchores vor 1274 an den damals schon vorhandenen Türmen angebracht wurden. *) Eine Rekonstruktion der romanischen Fensteranlage des Löffelholz­ chores findet sich in Förster, Denkmäler deutscher Baukunst, Bd. 4, S. 25.

266 Beide Portale wurden an den schadhaften Teilen einer Erneuerung unterzogen, insbesondere kamen hierbei die Kapitale und Basen, eine Reihe von Bogensteinen und die Abdeckungen in Betracht«

IV.

Wiederherstellung des Inneren. Nachdem die Wiederherstellungsarbeiten am Äußeren bis auf einzelne weniger umfangreiche Teile beendet waren, konnte im Jahre 1903 mit der Inangriffnahme der Restauration des Inneren der Sebalduskirche begonnen werden. Die Leitung dieser Arbeiten trat Professor v. Hauberrisser, da die hier zu treffenden Dispositionen eine dauernde örtliche Anwesenheit er­ forderten, an Professor Schmitz, den bisherigen örtlichen Bau­ leiter, ab. Als Schüler und Mitarbeiter Professor v. Hauberrissers bestrebt, dessen Intentionen zu folgen, war ihm daneben eine 15 jährige Schulung an St. Sebald selbst zuteil geworden, inner­ halb deren ihm die Ausführung künstlerisch bedeutsamer wie verantwortungsvoller Aufgaben übertragen war. Abgesehen von dieser Tätigkeit hatte Professor Schmitz seinen Ruf als Kirchen­ baumeister bereits durch eine Reihe von monumentalen Kirchen­ bauten begründet.*) Ohne Zweifel konnte daher die Beendigung der Restaurationsarbeiten an St. Sebald nach dem Rücktritt Professor v. Hauberrissers in keine besseren Hände gelegt werden. • Als Berater in ingenieurtechnischen Fragen fand der Bau­ leiter eine wertvolle Unterstützung in dem erfahrenen und um­ sichtigen Ingenieur Otto Weber der Bauunternehmung Weber und Körner, während die erforderlichen statischen Berechnungen durch Regierungsbaumeister Wallersteiner ausgeführt wurden. J) Schmitz erbaute u. a. die Adalberokirche, ferner die Kirche der barmherzigen Schwestern und die Josephskirche, sämtlich zu Würzburg, die Peterskirche zu Nürnberg und die Josephskirche zu Königshütte in Oberschlesien. Ihm sind zur Zeit auch die Wiederherstellungsarbeiten der St. Lorenzkirche unterstellt.

267

Die Wiederherstellungsarbeiten im Innern gelangten m zwei Zeitabschnitten zur Ausführung und wurden in der West­ hälfte begonnen, während der durch eine provisorische Scheide­ wand abgetrennte Chor unterdessen für den Gottesdienst benutzt wurde. Nachdem die vielen Tünchungen, welche Wände, Pfeiler und Gewölbeflächen mit einer dicken Kruste überzogen, entfernt worden waren, fanden sich ganz bedeutende konstruktive Schäden, deren Vorhandensein vordem weder zu vermuten noch festzu­ stellen war.1) Besonders bedenklich erwies sich der Zustand des nördlichen Turmes und der romanischen Vierungspfeiler. Mächtige Risse durchzogen die östliche Turmwand, da wo früher die romanischen Seitenschiffwände anschlossen und wo nach dem Abbruch derselben das innere Brockenmauerwerk zutage getreten war. Innerhalb der Mauerstärke, besonders in der Südwand, fanden sich auch in diesem Turm verschiedene Höhlungen und schmale Treppenläufe, welche naturgemäß die Mauern des Turmes außerordentlich schwächten und teilweise auch die Veranlassung zu den früher schon erwähnten Rissen gewesen sein mögen. Diese Hohlräume mußten, nachdem ihre frühere Gestalt durch zeichnerische Aufnahmen und Modelle festgelegt war, zum größten Teile zugemauert werden. Es ist dies zwar sehr zu bedauern, allein es fand sich kein anderer Ausweg, um dem Turme einen sicheren Bestand zu ermöglichen. Die östliche Turmwand mußte, nachdem vorher oberhalb der Öffnung zwischen Turm und Seiten­ schiff eine starke Verschlauderung eingelegt worden war, bis zur Höhe des alten Seitenschiffes zum größten Teile erneuert werden. Da eine Abstützung der darüber ruhenden Mauerlasten und eine Herausnahme der schlechten Mauerteile auf einmal nicht möglich war, so wurden in entsprechenden Höhenabständen aus harten Backsteinen horizontale Bänder in der schadhaften Wandfläche hergestellt und die Zwischenräume sodann nach und nach mit Hausteinen ausgewechselt. Die Mühseligkeit und Langwierigkeit dieser Arbeiten ist erklärlich, wenn man bedenkt, daß jeweils nach dem Einsetzen eines neuen Werkstückes das Erhärten des Mörtels abgewartet werden mußte, ehe die weitere Auswechslung *) Frank. Kurier 1903, No. 412.

268

ohne Bedenken möglich war. Die romanischen Mauern an St. Sebald bestehen durchwegs aus einer beiderseitigen Quaderverblendung, deren Zwischenräume mit losem Brockenmauerwerk ausgefüllt sind. Die gotischen, schwächeren Mauern zeigemdieselbe Technik, befinden sich aber im allgemeinen in einer besseren Verfassung. Auch an den Triforien zeigten sich, abgesehen von den schon beschriebenen, weitere bauliche Schäden. In der Barock­ zeit waren, um den Zugang zu den an den Schiffwänden an­ gebrachten hölzernen Emporen1) zu ermöglichen, Bögen und einzelne Säulchen ausgebrochen, nach dem Abbruch der Empore aber nur mangelhaft wieder ersetzt worden. Im Löffelholzchor wurden in den Turmwänden zugemauerte Bogennischen aufgedeckt, von denen die südliche noch die alte Mittelsäule enthielt, während in die andere ein viereckiger steinerner Schrank eingemauert war. Die bedeutendsten Schäden ergaben sich jedoch bei der Freilegung der alten romanischen Vierungspfeiler, deren Zustand geradezu als besorgniserregend bezeichnet werden mußte. Um aber die Beendigung der Wiederherstellung der Westhälfte nicht zu sehr durch die hier notwendig werdenden langwierigen Arbeiten hinauszuschieben, wurden zunächst nur die zur Sicherung der Pfeiler erforderlichen Arbeiten vorgenommen, die gänzliche Erneuerung aber bis zur Inangriffnahme der Restaurierung des Chores verschoben. Bei der Wiederherstellung der dekorativen Gestaltung des Inneren galt es als erste Aufgabe, nach sorgfältiger Entfernung der Tünchungen mit Hülfe von geschulten und erfahrenen Arbeits­ kräften zunächst den ursprünglichen Zustand und die polychrome Behandlung der einzelnen Teile festzustellen. Beschädigte Stücke unterzog man sodann unter Berücksichtigung vorhandener oder entsprechender Formen einer Ergänzung, jedoch vermied man wenn irgend möglich Neuherstellungen. Ganz besonderer Wert wurde darauf gelegt, daß alle Verschiedenheiten und die zahl­ reichen Eigentümlichkeiten der Architekturen sowohl wie der Ornamentationen gewahrt blieben, um auf diese Weise den alten *) Dr. F. T. Schulz, Denkmalpflege 1904, S. 3 und 40. der alten Emporen siehe im Kupferstich von Graff.

Abbildungen

269 Charakter nach Möglichkeit zu erhalten. Andererseits wurde wieder vermieden, in altertümelnde Künsteleien zu verfallen* Von gleichen Gesichtspunkten ging Professor Schmitz bei der Erneuerung der Bemalungen aus. Hier war er bestrebt, eine aufdringliche Wirkung, wie sie bei einer gänzlichen Neu- oder Übermalung der Flächen zu entstehen pflegt, zu verhindern. Jegliche Überreste der alten Farbtöne wurden daher sichtbar belassen und nur die fehlenden, zum größten Teile abgesprungenen Farbflecken in den entsprechenden Tönen nachretouchiert. Wo wie bei einzelnen Statuen eine gänzliche Neuherstellung der Bemalung nicht zu umgehen war, kamen die lebhaften Farben wie bei den Originalen zur Anwendung, doch wurde ihre Wirkung nachträglich gedämpft. Besonders dem gewissenhaften Erhalten der alten Farbreste und deren Berücksichtigung bei der vor­ genommenen Ergänzung ist es zu verdanken, wenn heute der Kirche ihr alter malerischer Reiz so gut erhalten werden konnte. Erwiesen sich Neuherstellungen notwendig, z. B. bei der Umgestaltung des von Heideloff stammenden Gestühles, so geschah dies ohne Anlehnung an historische Formen. Man beschränkte sich lediglich darauf, die einzelnen Gegenstände in zweckentsprechender Weise so herzustellen, daß sie sich dem Gesamtbilde harmonisch einfügten, ohne störend zu wirken oder den alten reichen Einrichtungsgegenständen gegenüber besonders in die Augen zu fallen. In diesem Sinne gelangten auch die kleinen Schutztürchen vor der Darstellung der Gregoriusmesse, dann das Wasserbecken im südlichen Turm, mehrere Türen und andere Gegenstände zur Ausführung. Die Wand- und Gewölbeflächen des Löffelholz- und des über diesem befindlichen sog. Engelschores zeigten als ursprüng­ lichen Grundton eine gelbliche, dem Mörtel ähnliche Färbung, Gesimse, Wulste und einzelne Säulenschäfte dagegen eine schwärz­ liche Tönung. Diese Behandlung erfährt eine Steigerung dadurch, daß die Gurten und Rippen abwechselnd gelblich und grau quadriert sind, während die Gewölbeflächen eine kleinere Stein­ teilung mit schwarzen Linien erhalten haben. Zu dieser Tönung, die jedenfalls noch als romanisch bezeichnet werden kann, tritt im Schiff eine weitere Dekoration hinzu, die dem 14, Jahrhun­ dert angehören dürfte. Sowohl im Mittelschiff wie in den

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Seitenschiffen sind die Gewölberippen nächst den Schlußsteinen mit reizvoller Linienornamentik in abwechselnden Farben leicht übermalt. Die Schlußsteine zeigen teilweise Vergoldung und erhöhen besonders in den Seitenschiffen, mit prächtigen, figuralen Darstellungen geschmückt, die reiche Wirkung. Die erst in späterer Zeit den romanischen Pfeilern ange­ fügten gotischen Figuren mit ihren Konsolen und Baldachinen sind für sich abgeschlossen farbig behandelt und heben sich mit den verschiedenartig gemalten Hintergründen wirkungsvoll Von der ruhigen gelblichen Wandfläche ab. Zur weiteren Bereicherung dienen auch die Wandmalereien, welche an ver­ schiedenen Stellen aufgedeckt wurden. Besonders zu erwähnen ist hier der gewaltige Christophorus an der Ostwand des süd­ lichen Turmes, über dem sich außerdem Reste von übereinander gemalten Bildern erhalten haben. An der Südseite der Kirche wurde ferner eine Darstellung der Gregoriusmesse, sowie an einem Schiffpfeiler ein figurenreiches, den Tod Mariä darstellendes Bild aufgedeckt. Obwohl sich diese Malereien in einem nichts weniger wie guten Zustand befanden, konnte ihre Restauration unter der Mitwirkung des Konservators Prof. Haggenmiller von München und des auf diesem Gebiete erfahrenen Münchner Kunstmalers Pfleiderer in bester Weise durchgeführt werden. Einen charakteristischen Schmuck der Sebaldkirche bil­ deten früher zahlreiche Totenschilder Nürnberger Patriziergeschlechter. Leider waren sie bei einer der mehrfach vor­ genommenen Austünchungen der Kirche entfernt und teils in verschiedenen anderen Kirchen aufgehängt worden, teils wieder in Privatbesitz zurückgegangen. Den Anregungen des Professors Schmitz gelang es, von den in Betracht kommenden Familien einen großen Teil der Totenschilder zurückzuerhalten und nach erfolgter Instandsetzung in der Kirche wieder zur Aufhängung zu bringen, wo sie jetzt nicht unwesentlich zur Steigerung der malerischen Wirkung beitragen. Die Fenster des Löffelholzchores erhielten eine neue Verglasung mit Malereien nach Entwürfen von Prof. Wanderer, über denen eine Anzahl vorhandener alter Wappen angebracht wurde. Auf der Brüstung der an der Nordseite der Kirche

271 befindlichen Empore fanden sich unter einer dicken Farbschicht aufgemalte Maßwerke mit Wappendarstellungen, die nun, gereinigt und erneuert, sichtbar gemacht wurden. Ebenfalls von den mehr­ fachen Anstrichen befreit und in den fehlenden Teilen ergänzt wurden die schönen barocken Eingangstüren. Die auf dem Engelschor stehende Orgel erhielt ein neues, größeres Werk. Die hierbei bedingte Vergrößerung des alten Gehäuses geschah in den vorhandenen Formen und unter Wieder­ anwendung der alten Bemalungsweise. Nach der Beendigung der Restaurationsarbeiten in der Westhälfte konnten seit Ostern 1904 die kirchlichen Handlungen in derselben wieder vorgenommen werden, während nunmehr die Bauarbeiten im östlichen Teile ihren Anfang nahmen.1) Als schwierigste Aufgabe stand hier zunächst die Erneuerung der romanischen Vierungspfeiler bevor, deren Festigkeit vermutlich beim Abbruch des alten Chores und infolge der durch die Schubwirkungen des Hallenchores veränderten neuen Bean­ spruchung wesentlich gelitten hatte. Wie das übrige romanische Mauerwerk bestanden auch diese Pfeiler aus einer äußeren Quaderverkleidung, welche ein loses Brockenmauerwerk um­ schloß. Durch Ausbrüche von Balkenlöchern, durch das Ein­ setzen der Konsolen und Baldachine waren die ohnehin stark beanspruchten Pfeiler bedenklich geschwächt worden. Am nördlichen Vierungspfeiler war sogar ein ziemlich umfangreiches Mauerstück weggespitzt worden, um für Stuhlwerk Platz zu schaffen, ohne daß beachtet worden war, daß der Querschnitt des Pfeilers hierdurch bedeutend verringert wurde. In dem vorhandenen Zustand mit den klaffenden Rissen konnten die Pfeiler unmöglich belassen werden, ohne daß für ihren weiteren Bestand nicht das Schlimmste zu befürchten gewesen wäre. Man entschloß sich daher zu einer Erneuerung bis zur Kämpferhöhe. Eine Abstützung der Gewölbe war aber wegen der Unsicherheit, die bei der außerordentlichen Höhe mit einer Ausrüstung ver­ bunden sein mußte, und mit Rücksicht auf Feuersgefahr und die hohen Kosten nicht möglich. Die Pfeiler wurden daher vom Fußboden bis zum Kämpfer mit einer starken eisernen *) Eine Würdigung der ausgeführten Arbeiten durch G. v. Bezold findet sich im Frank. Kurier 1904, No. 183.

272 Armierung umgeben, innerhalb deren die Auswechslungsarbeiten Stein für Stein vorgenommen wurden. Etwa 250 Steine waren erforderlich, um die zuerst in Angriff genommene Erneuerung des nördlichen Pfeilers zu bewerkstelligen» Die Langwierigkeit dieser Arbeiten erklärt sich am besten daraus, daß an einem Tag nur ein Stein ausgewechselt werden durfte, um dem Mörtel genügende Zeit zum Erhärten zu geben. Der schlechte innere Kern der Pfeiler wurde, soweit er erreichbar war, durch Neu­ ausmauerungen ersetzt, nachdem vorher alle offenen Fugen und Risse durch eingepreßten Zementmörtel gefestigt worden waren. Auf den zur Verwendung gelangenden Mörtel wurde sowohl bei der Zubereitung als bei der Verarbeitung ganz besondere Sorgfalt gelegt. Alle Arbeiten mußten unter Anwendung der größten Vorsichtsmaßregeln und unter ständiger Beobachtung des Ver­ haltens der anschließenden Mauerteile und der auf dem Pfeiler ruhenden Bögen und Gewölbe vorgenommen werden. Es wurden sogar im Laufe der Ausführung weitere Verstärkungen durch Aus­ bolzungen der Seiten- und Mittelschiffbögen angebracht. Die Fertigstellung dieser Arbeiten, wie sie wohl im Kirchenbau in solchem Umfang bisher kaum zur Ausführung kamen, hat am nördlichen Pfeiler im Juli des Jahres 1905 stattgefunden. Das gleiche Verfahren kam hierauf am südlichen Vierungspfeiler, der ebenfalls mit einer Armierung versehen worden war, zur An­ wendung. Nach Entfernung der Tünchungen hatte dieser Pfeiler, der eine 30 cm größere Breite wie der nördliche aufweist, zu­ nächst zwar nicht ein derartig schadhaftes Aussehen gezeigt, wie der gegenüberstehende, jedoch ließ eine Vorgefundene Backstein­ ummantelung und das Vorhandensein von zwei nach verschiedenen Richtungen eingezogenen Schlaudern wenig Gutes vermuten. Letztere weisen auf eine schon früher bedenklich erschienene Destruktion hin, während die in Kalkmörtel aufgeführte Backstein­ mauerung bei einem so stark belasteten Pfeiler als ungenügend bezeichnet werden muß. Unter solchen Umständen war auch hier eine gänzliche Erneuerung nicht zu umgehen. Dieselbe be­ findet sich während der Abfassung dieser Schrift noch in Arbeit. Die südliche Hälfte des Westgiebels, die schon während dei Wiederherstellungsarbeiten am südlichen Seitenschiff verschlaudert werden mußte, zeigte sich nach der Abnahme der

St. Sebald

ZU

Nürnberg.

Aufriß der baulichen Entwickelung.

Unter Benutzung der im städtischen Archiv befindlichen Pläne der Bauleitung gezeichnet von Otto Schulz.

Gotischer Hallenchor. Die in punktierten Linien dargestellten Galerien wurden bei der Wiederherstellung wieder aufgebaut.

Romanische Basilika

273

dort befindlichen Orgel von Rissen stark durchzogen, sodaß umfangreiche Auswechselungen nötig wurden. Auch an den übrigen Wandflächen erwiesen sich Erneuerungen von schadhaften Werkstücken und Ausmauerungen von Hohlräumen als erforder­ lich. Selbst an den hohen Gewölbepfeilern mußten zahlreiche Steine ausgewechselt und besonders die offen stehenden Fugen gedichtet werden. Unabhängig von den baulichen Arbeiten konnte die Restau­ ration des Kircheninneren vorgenommen werden. x) Hier ergab sich wie in der Westhälfte dasselbe System der Bemalung, bei dem der gelbliche Grundton der Wandflächen vorherrscht. Eine große Bereicherung erfahren außerdem die Chorwände durch die Figurengruppen, die unter mannigfaltigen in zierlich durchbrochener Arbeit und aus verschiedenem Material hergestellten Baldachinen auf reichen Konsolen stehen. *2) Baldachine und Figuren, welch letztere zum Teil von anderen Standorten herrühren mögen, hatten im Laufe der Jahrhunderte starke Beschädigungen erlitten und mußten in den fehlenden Teilen ergänzt und in der ursprünglichen Bemalung erneuert werden. Diese ist entsprechend dem früheren Zustand teils buntfarbig, teils im Tone der Wandflächen erfolgt. Die hinter den Figuren und Baldachinen aufgemalten reichen Teppich­ muster werden von den rot getönten Fensterfassungen begrenzt. Die dekorative Behandlung der Gewölberippen ist die gleiche wie im westlichen Teile, nur zeigen die Rippen der mittleren Joche eine Bereicherung durch bunt bemalte-und teilweise vergoldete herabhängende Maßwerkformen. Das reiche zugleich mit dem Ostchore erbaute Sakramentshäuschen, welches sich in einem sehr schadhaften Zustand befand, erfuhr eine gründliche Instandsetzung und bildet wieder einen hervorragenden Schmuck des Chores. 3) Auch in der Sakristei, welche mit der über ihr befindlichen Schatzkammer als eine interessante mittelalter­ liche Anlage gelten darf, aber im Laufe der Zeit im Innern viele störende Umgestaltungen erfahren hat, ließ sich der alte *) Frank. Kurier 1904, No. 457. 2) Siegfried Graf Pückler-Limpurg, die Nürnberger Bildnerkunst um die Wende des 14. und 15. Jahrhunderts, S. 126. Frank. Kurier 1905, No. 264. 3) Pückler-Limpurg a. a. O. S. 124.

18

274

Bestand wieder rekonstruieren. Die unter der Tünche aulgedeckten Malereien an Rippen, Schlußsteinen, Konsolen und an der Altarnische konnten wieder hergestellt werden. Die Glasfenster im Chor, deren wertvolle Malereien sich teilweise in einem äußerst schlechten Zustande befinden, konnten bisher, abgesehen von der Instandsetzung der mit einfachen Butzen verglasten Felder, aus Mangel an Geldmitteln einer Aus­ besserung nicht unterzogen werden.1) Die zur Sicherung der farbenprächtigen Malereien von der Hofglasmalerei F. X. Zettler in München angestellten interessanten Versuche, die alten Gläser mit einem Glasüberzuge zu versehen, sind noch nicht vollständig abgeschlossen, versprechen jedoch ein ganz neues Verfahren in der Konservierung alter Glasmalereien. Einen großen Schmuck des Chores von St. Sebald bilden ferner die Altar- und Tafelmalereien, die Epitaphien und Toten­ tafeln aus den verschiedenen Jahrhunderten, die wertvollen Holz­ schnitzereien am Stuhlwerk und an den Altären sowie die auf­ gedeckten Wandmalereien. Das Sebaldgrab, das hervor­ ragendste Kunstwerk der Sebaldkirche, wurde vor einigen Jahren durch den Erzgießer Lenz einer Reinigung unterzogen; während der Dauer der Bauarbeiten war es durch ein verglastes Holzgehäuse vor Staub und Beschädigung geschützt.2) Die Gemälde wurden ebenso wie schon früher diejenigen der Westhälfte von dem als Restaurator bewährten Konservator A. Mayer in Augsburg von Schmutz und entstellenden Über­ malungen befreit. Unter ihnen verdient besonders das schöne Madonnenbild von Hans von Kulmbach, die Paradiesdarstellung von Johann Kreuzfelder und die Kreuztragung von Wolgemut besondere Beachtung.3) Die Altäre und die Totentafeln mußten gleichfalls einer Säuberung und einer Ergänzung der fehlenden Teile unterzogen werden, desgleichen die plastischen Dar­ stellungen an den freistehenden Chorpfeilern, von welchen die schöne Madonna nächst dem nördlichen Vierungspfeifer, dann *) P. J. R6e, Nürnberg, Berühmte Kunststätten, S. 146. 2) Dr. W. Bode, Geschichte der deutschen Plastik, S. 145. Dr. B. Daun, P. Vischer und Adam Kraft. 3) M. M. Mayer a. a. O.

275 die neben dem Hauptaltar stehende Marienfigur von Erz hervor­ zuheben ist.*) Der von Heideloff an Stelle eines großen barocken Altars auf der alten Mensa aufgestellte geschmacklose Hauptaltar wurde entfernt.*2) Die auf ihm befindliche von Veit Stoß stammende Kreuzigungsgruppe zeigte die von Heideloff beliebte im Laufe der Zeit schwarz gewordene Bronzierung. Unter dieser fand sich nicht nur eine Bemalung vom Jahre 1652, sondern auch Reste der ursprünglichen Polychromierung, welche nunmehr wieder zur Erneuerung gelangte.3) Das in schlechten gotischen Formen im vergangenen Jahr­ hundert hergestellte Gestühl wurde entfernt und soll in einfachen Formen umgestaltet wieder zur Aufstellung kommen. Mancherlei Ausbesserungen und Erneuerungen waren auch an den reich geschnitzten und wertvollen alten Kirchenstühlen notwendig. Die gleichfalls von Heideloff in wenig glücklichen Formen um­ gebaute Orgel — wohl die älteste des Landes — ließ nach dem sorgfältigen Abbruch zum großen Teile die ursprünglichen Formen des wertvollen und interessanten Orgelbaues von 1444 erkennen.4) Die einzelnen reich geschnitzten und mit zahlreichen figürlichen Darstellungen ausgestatteten Stücke sollen rekonstruiert zur Wiederaufstellung gelangen. Neben der Orgel zeigten sich an den anschließenden Wandflächen verhältnismäßig gut erhaltene Malereien, welche den Holzvorbau der Orgel früher in reizvoller Weise umrahmten. Weitere Wandmalereien fanden sich im mittelsten Chorjoch hinter dem Petersaltar, dann hinter dem Madonnenbild von Hans von Kulmbach und auch unter der Totentafel des anschließenden Joches. Das erste Bild, eine farbenprächtige Darstellung der Petruslegende, konnte mit der anhaftenden Putzfläche von der Wand abgezogen und an anderer Stelle wieder angebracht werden. Das nächste Bild läßt zwei

J) bildende 2) Sammler 8) 1904, S. 4)

Dr. B. Daun, Eine Marienstatue Stefan Godls in der Zeitschrift für Kunst XII, S. 283. Eine Abbildung und Beschreibung dieses Altars findet sich im S. 49. Nürnberg 1824. R. Bergau, Veit Stoß und Adam Kraft. Schmitz, Denkmalpflege 96 und 131. Müllners Annalen im Stadtarchiv Nürnberg, Bd. III, S 330. 18*

276 übereinander gemalte von reicher Landschaft umgebene Kreuz­ tragungen erkennen. Die zuletzt angeführte Malerei unter der Tucherschen Totentafel bestand aus verschiedenen interessanten Bildern. Das größte zeigt wallfahrende kranke und gebrechliche Personen, daneben einen Thomaschristus sowie zwei Heilige. Von den in der St. Sebaldkirche befindlichen alten Gobelins wurde auf Veranlassung des Bauleiters ein Stück im Bayrischen Nationalmuseum unter der Leitung des Professors Haggenmiller durch Frau Olga Irmisch ausgebessert. Aus Mangel an weiteren Geldmitteln mußte man sich jedoch mit diesem Probestück begnügen und von der Fortführung dieser Arbeiten Abstand nehmen. Die bisher bei der Wiederherstellung von St. Sebald auf­ gewendeten Geldmittel belaufen sich auf über 1 200000 Mark. Dieselben wurden dank der unermüdlichen Tätigkeit des verstorbenen Kirchenrates Michahelles zum weitaus größten Teile durch freiwillige Spenden aufgebracht. Unter den hoch­ herzigen Stiftern sind vor allem von Fürstlichkeiten zu nennen S. kgl. Hoheit der Prinzregent Luitpold von Bayern, weiland S. Majestät der deutsche Kaiser Friedrich, S. Majestät der deutsche Kaiser Wilhelm II., S. Majestät Kaiser Franz Joseph von Österreich. In liberalster Weise hat die Stadt Nürnberg die Wiederinstandsetzung des hervorragendsten Bauwerkes der Stadt durch einen jährlichen Beitrag zu den Baukosten gefördert. Nächst ihr hat sich das Frhrl. von Tuchersche Gesamtgeschlecht durch Bewilligung großer Summen hervorgetan. Aber auch von anderen Patriziergeschlechtern und opferwilligen kunstsinnigen Freunden der Sache sind große Beträge gespendet worden. Einzelne haben, wie die entsprechenden Inschriften zeigen, die Kosten der Wiederherstellung je eines Chorpfeilers, die je 15 000 Mark betrugen, übernommen. Auch vom Handelsvorstand der Stadt Nürnberg wurde ein jährlicher Beitrag bewilligt. Recht bedeutend waren ferner die Summen, welche neben dem Ertrag der beiden Kirchenbaulotterien durch letztwillige Ver­ mächtnisse anfielen, endlich brachten mancherlei von Vereinen und einzelnen zu gunsten der Wiederherstellung getroffene Veranstaltungen und zahllose kleinere Spenden Jahr für Jahr dem Restaurationsfond von allen Seiten Zuwendungen.

277

Wenn es gelungen ist, die Wiederherstellung ohne Unter­ brechung in einer glücklichen und für alle Beteiligter* erfreu­ lichen Weise zur Durchführung zu bringen, so ist dies besonders dem Verständnis und der geschickten Leitung des verstorbenen Vorstandes des Bauausschusses Kirchenrat F. Michahelles »u verdanken. Als Ehrung für diese Verdienste wurde bereits nach der Fertigstellung der Westhälfte seine von Bildhauer Zadow modellierte Büste an der südlichen Seitenschiffwand zur Aufstellung gebracht. Bei der Abfassung dieser Schrift kann die Wiederherstellung des Inneren auch im Ostchor im großen und ganzen als abge­ schlossen betrachtet werden, nur die Erneuerung des südlichen Vierungspfeilers wird sich aus den oben dargelegten Gründen noch über eine geraume Zeit erstrecken.

V.

Ergebnisse für die Baugeschichte der St. Sebaldkirche.

Im Laufe der Wiederherstellungsarbeiten wurden mannig­ faltige für die Baugeschichte von St. Sebald beachtenswerte und interessante Ergebnisse zu Tage gefördert. Zum größten Teile sind dieselben bereits in vorhergehenden Abschnitten berührt worden, doch dürfte eine kurze zusammenfassende Be­ handlung angebracht sein. Die Grundformen der romanischen Sebaldkirche lassen sich mit ziemlicher Sicherheit feststellen. Das alte Mittelschiff, der untere Teil der westlichen Türme, der zwischen ihnen gelegene Chor mit Krypta und Teile des alten Querschiffes sind erhalten geblieben. Unerwähnt möge nicht bleiben, daß der ursprüngliche Zugang zu der Westkrypta bisher noch nicht fest­ gestellt werden konnte. Für die Abmessungen der früheren Seitenschiffe hatten sich, wie schon bemerkt, im Laufe der Bau­ arbeiten genaue Anhaltspunkte ergeben, während über die

278 wesentliche Gestalt des abgebrochenen östlichen Abschlusses der Kirche $rst die im Jahre 1899 vom Verein für die Geschichte der Stadt Nürnberg vorgenommene Aufgrabung Gewißheit verschaffte. Es fanden sich bei dieser Gelegenheit die Grundmauern einer an das Querschiff auf der Ostseite anschließenden Seiten­ apsis sowie die unter dem Chore befindliche bis zum Mittel­ schiff reichende Krypta. Die östliche Endigung dieser zweischiffigen Krypta zeigt zwar im Innern einen kleeblattförmigen Abschluß, doch ist zu vermuten, daß der Chor selbst halbkreis­ förmige Gestalt aufwies. Den Zugang zur Krypta bildeten im Mittelschiff zwei, im Querschiff seitlich je eine Treppenanlage. *) Da es leider nicht möglich war, die aufgedeckten Bauteile dauernd zugänglich zu erhalten, so mußte man sich vor der Wiedereinfüllung auf die Anfertigung von zeichnerischen und photographischen Aufnahmen sowie auf die Herstellung eines Modelles der zu Tage getretenen Anlage beschränken. Die in den Mauern der Türme gefundenen schmalen Treppenanlagen, deren Vorhandensein an wenigen Stellen die zugemauerten Tür- und Fensteröffnungen verraten hatten, konnten ebenfalls nicht erhalten bleiben. Die stark belasteten und mehrfach von Rissen durchzogenen Turmmauern waren durch diese Hohlräume in ihrem tragfähigen Querschnitt derartig geschwächt, daß ihr Zustand zu ernsteren Bedenken Anlaß gab. Daß schon früher ähnliche Befürchtungen aufgetreten waren, ergab sich daraus, daß die Treppenhöhlungen schon teilweise, wenn auch nur mit losem Bruchsteinmauerwerk, ausgefüllt worden waren. Vor der nunmenr mit größter Sorgfalt vorgenommenen Ausmauerung der Hohlräume mußte man sich auch hier mit genauen zeichnerischen Darstellungen und Modellen begnügen. Die frühere Form der romanischen Fenster im Löffelholz­ chore, ebenso die über dem Chore befindliche Giebelbildung und die vermutliche Dachendigung, ebenso die seitlichen Turmportale fänden bereits eingehend Erwähnung. Auf das Vorhandensein einer romanischen Orgelanlage läßt der an der Südseite der Mittelschiffwand an Stelle einer Triforie befindliche Bogen *) Bezüglich etwaiger weiterer unterirdischer Bauanlagen vergl. C. Frhr. v. Tücher, Krypten und Geschlechtergrüfte bei St. Sebald, in den Mitteilungen des Vereins für Geschichte der Stadt Nürnberg 1895, XI. Heft.

279

schließen, bei welchem erst nachträglich die kleinen Säulchen eingestellt worden sind. Auch die an den Mittelschiffwänden im Äußeren erkenntlichen Anschlüsse romanischer Strebebögen verdienen Beachtung. Überreste des romanischen Baues fanden sich vereinzelt an verschiedenen Stellen vor, sowohl am ursprünglichen Ver­ wendungsorte als auch innerhalb der gotischen Bauteile, wo sie nach dem Abbruch zur Wiederverwendung gelangt waren. Besonders die Reste der alten in Höhe der Gewölbekämpfer gefundenen Querschifffenster, welche eine kreisförmige Gestalt erkennen lassen, sind ein neuer Beitrag zur Kenntnis der Aus­ bildung der Osthälfte der Kirche. Die Säulchen in den zweiteiligen Fenstern des gotischen Treppentürmchens an dem südlichen Turme stammen ebenso von abgebrochenen Bauteilen her wie die am Westgiebel des Ostchores eingemauerten und die auf dem Dachboden Vor­ gefundenen Steine, z. B. ein Bogenfriesstück, ein Kapitäl, mit Zahnschnitten und Flechtwerk verzierte Werkstücke. Profilierte Steine kamen außerdem in einem freistehenden Pfeiler des Chores und in einem Pfeiler neben dem Brautportal zum Vorschein. Bei den Wiederherstellungsarbeiten war man bestrebt, diese Überreste des alten Baues nach Möglichkeit sichtbar zu belassen, was sich, wenn auch mit einigen Schwierigkeiten, an den meisten Stellen durchführen ließ. Im Löffelholzchor wurden Reste eines alten Fußbodens aufgedeckt, die, aus roten und schwarzen Ziegelstücken bestehend, viele Ähnlichkeit mit dem Terrazzo zeigen. Von größtem Wert aber für die Restauration der Sebald­ kirche waren jedenfalls die beim Abbruch der Chorwandaufmauerung gefundenen BAichstücke der gotischen Chorgalerie, ohne welche eine einwandfreie Rekonstruktion des Galeriekranzes nicht möglich gewesen wäre. Gleichfalls von Bedeutung waren auch die Anhaltspunkte, welche sich für die Galeriebekrönungen des nördlichen Seitenschiffportales und des Magistratschores ergaben, dann die interessanten Feststellungen über die frühere Form der Kapellendächer am nördlichen Seitenschiff. Zu erwähnen bleibt auch die aus der Höhe der alten Kämpferkapitäle er­ mittelte Größe der an Stelle der Rundfenster im Querschiff

280 zuerst ausgebrochenen gotischen Fenster, welche beim Ausbau des Hallenchores nur erhöht wurden. Das am Ostchor aufgefundene eherne Meisterzeichen hat bisher zwar noch nicht zur Bestimmung des Namens des alten Baumeisters führen können, doch wird es immerhin, ebenso wie die zahlreichen abgedrückten und . den Sammlungen eingefügten Steinmetzzeichen für spätere Untersuchungen einen nicht unwich­ tigen Beitrag bilden. Die Mensen der einzelnen Altäre enthielten außer der schon angeführten Konsekrationsurkunde vom Jahre 13 79 sowohl andere Urkunden wie auch Reliquien. In der Mensa des Löffelholzchores fanden sich ferner Reste eines steinernen Altar­ aufbaues und in der nördlichen Sakristei wurde eine vom Chor und von der Sakristei aus zugängliche Piscina mit dazugehöriger Abzugsgrube aufgedeckt.1) Fast alle Portale weisen heute noch Spuren einer Bemalung und einer teilweisen Vergoldung auf. Reste von figuraler Malerei finden sich an den beiden Strebepfeilern des Ostchores, welche von jeher durch die beiden Statuen Marias und Sebalds aus­ gezeichnet waren. Die im Schutte auf dem Dachboden des südlichen Turmes zum Vorschein gekommenen gotischen Schuhe von Erwachsenen und Kindern geben einen kleinen Beitrag zur Kenntnis der Fußbekleidung im Mittelalter und lassen vermuten, daß einer der Türmer das ehrsame Schusterhandwerk betrieben hat. Auch diese Funde wurden teils in die Sammlungen aufgenommen, teils dem bayrischen Nationalmuseum und dem Germanischen Museum überwiesen. Auf die an der Sebaldkirche in großer Anzahl besonders an der nördlichen Sakristei und auch in der Nähe der Portale sich findenden Wetzrillen darf vielleicht noch aufmerksam ge­ macht werden.2) *) Über Piscinen s. Näheres Otte, Handbuch der kirchlichen KunstArchäologie, Bd. I, S. 263. 2) Schulz, Denkmalpflege 1901, S. 65 u. f.

St. Sebald

ZU

Nürnberg',

Grundriß der baulichen Entwickelung.

Unter Benutzung der im städtischen Archiv befindlichen Pläne der Bauleitung gezeichnet von Otto Schulz. Romanisch, 13. Jahrhundert, noch vorhanden. Romanisch, vielleicht mit verändertem Standort. Romanisch, Rekonstruktion nach gegebenen AnhaltsGotisch, 14. Jahrhundert. punkten.

a. b. c. d. d. e. f. f.

Gotische Bauzeit: Romanische Bauzeit: Ostchor. g. g. Seitenschiffe (1309?) m. Sakramentshäuschen und h. Ostchor (1361 —1377). Querschiff. Schreyersches Grab. Mittelschiff, i. Brauttor. n. Pfinzigsche Kapelle. Seitenschiff. k. Dreikönigenportal. o. v. Tuchersche Grabstätten. Westchor (Löffelholzchor), 1. 1. Sakristeien. Türme. p. Sebaldusgrab 1508—1519.

Kleinere Mitteilungen. Hans Boesch f. Es war am Morgen des 13. November 1905. Ganz Nürnberg erwartete in festlicher Spannung die Ankunft des greisen Prinzregenten, der mit seinen Söhnen nach Nürnberg kommen sollte zur Enthüllung des Kaiser Wilhelm-Denkmals und zu dieser Feier den deutschen Kaiser, die Kaiserin, den Kronprinzen, den Großherzog und die Großherzogin von Baden eingeladen hatte. Niemand dachte an Tod und Sterben. Da drang die Trauerkunde zu uns, daß Hans Boesch, der II. Di­ rektor des Germanischen Museums, plötzlich nach kurzer Krankheit aus diesem Leben geschieden sei. Das war ein bitterer Wermutstropfen in den Becher der Freude. Einmal schon, als ein Kaiserbesuch in Nürnberg in Aussicht stand, hatten wir um das Leben des lieben Freundes gebangt. Drei Jahre vorher, im Jahre 1902, als das Germanische Museum sich rüstete, sein fünfzigjähriges Bestehen zu feiern und hohen Besuch zu diesem Feste erwartete, war Boesch von einem Schlaganfall gerührt worden, der ihn aufs Krankenlager warf. Er hatte sich langsam erholt, hatte im Herbst sein Amt wieder übernehmen können, und kein äußeres Anzeichen verriet, daß seine Tage gezählt seien. Aber es war doch so. Als wieder ein Kaiserbesuch in Nürnberg in Aussicht stand — ein merk­ würdiger Zufall 1 —, machte die tückische Krankheit seinem Leben ein jähes Ende. Er war krank von einer Reise nach Wien zurückgekehrt. Niemand hatte von dieser Erkrankung erfahren, bis die Todesnachricht sich in der Stadt verbreitete. Aufrichtig war die Trauer um den vortrefflichen Mann in der ganzen Stadt, tiefbetrübt in gedrängten Scharen umstanden am 15. November seine Freunde und Kollegen die Gruft auf dem Johanniskirchhof, in die seine irdischen Reste versenkt

282 wurden. Viel zu früh war er den Seinigen, der Anstalt, für die er sein Leben lang gewirkt, der großen Zahl von Freunden, die ihm vom Herzen zugetan waren, entrissen worden. Der Verein für Geschichte der Stadt Nürnberg aber hatte wieder eines seiner treuesten und tätigsten Mitglieder, seinen hoch­ verdienten I. Schriftführer verloren. Hans Boesch hatte durch eigene Tüchtigkeit sich eine Lebensstellung errungen, auf die er seiner Schulbildung nach nicht hatte rechnen können. Er war ein Autodidakt im besten Sinne des Wortes. Durch eisernen Fleiß und unermüdliches Streben hatte er das geringe Wissen, das er von der Schule ins Leben mitbrachte, in höchst respektabler Weise erweitert und so die Befähigung erlangt, das Amt als II. Direktor der großen nationalen Anstalt, zu dem vor ihm ein hervorragender Gelehrter berufen war, durchaus würdig zu bekleiden. Er war ein vortrefflicher Museumsbeamter und genoß in hohem Maße die Achtung seiner Fachgenossen. Die Verdienste, die er sich um das Germanische Museum erworben hat, im einzelnen dar­ zulegen, fehlt uns hier der Raum. Nur in knappen Zügen wollen wir versuchen, in Anlehnung an den Nekrolog, der ihm im Anzeiger des Germanischen Museums (1905, Heft 3, S. 33 ff.) von berufener Hand gewidmet war, seinen Lebensgang und seine Wirksamkeit an der Anstalt, an der er 36 Jahre lang fast un­ unterbrochen wirkte, zu schildern. Geboren am 23. Juni 1849 zu Ansbach als Sohn eines Kaufmannes, besuchte er die Volksschule und die Gewerbe * schule seiner Vaterstadt. Die Absicht, sich einem technischen Berufe zu widmen, mußte er aufgeben, da dem Vater die Mittel fehlten, ihn eine polytechnische Schule besuchen zu lassen. Achtzehnjährig trat er als Kanzlist in den Dienst des Germanischen Museums; von 1867 bis zu seinem Tode hat er mit einer einmaligen kurzen Unterbrechung der vaterländischen Anstalt zuerst im Kanzleidienste, dann als Sekretär und schließlich als II. Direktor gedient. Die kulturgeschichtlichen Sammlungen des Museums erregten alsbald sein lebhaftes Interesse. Von regem Wissenstrieb beseelt, mit scharfem Verstand und einem guten Gedächtnis ausgestattet, erwarb er sich nach und nach durch fleißiges Privatstudium Kenntnisse auf den verschiedensten

283 Gebieten der Altertumswissenschaft. Direktor Essenwein er­ kannte seine Begabung und unterstützte seiq, Streben dadurch, daß er ihn in allen Abteilungen des Museums verwendete. Sein praktischer Sinn fand sich überall zurecht. Im Jahre 187 7 wurde er Sekretariatsverweser und in der Bibliothek und im Archiv beschäftigt. Von da an begann er auch literarisch tätig zu sein. In seiner elfjährigen Dienstzeit als Sekretär, wozu er im Jahre 1879 ernannt wurde, hat er eine überaus fruchtbare literarische Tätigkeit entwickelt und zahlreiche kulturhistorische Arbeiten in verschiedenen Zeitschriften und Tagesblättern ver­ öffentlicht. Er verstand es, populär zu schreiben, und seine Arbeiten wurden gerne gelesen. Auch sein im Jahre 1890 als fünfter Band der von Georg Steinhausen herausgegebenen Monographien zur deutschen Kulturgeschichte erschienenes Buch über das Kinderleben in der deutschen Vergangenheit hat großen Anklang im Publikum gefunden. Eine Menge archivalischer Beiträge verdanken wir seinem Forscherfleiß; uner­ müdlich durchstöberte er Archiv und Bibliothek*, manch wert­ vollen Beitrag zur Kenntnis kulturgeschichtlicher Altertümer hat er uns geliefert. Als gewissenhafter Museumsbeamter hat er sich vor allem in der für die Anstalt schweren Zeit bewährt, in der Direktor Essenwein an einem ernsten Herzleiden erkrankte und den Mut und die Spannkraft verlor, die Verantwortung für die Leitung der großen Anstalt weiter zu tragen. Sein Leiden nötigte ihn wiederholt, für längere Zeit Urlaub zu nehmen und sich an klimatischen Kurorten aufzuhalten. Ein Stellvertreter war nicht für ihn vorhanden* denn die Stelle des II. Direktors war seit dem Tode Frommanns unbesetzt. Faktisch lag damals die Leitung der Anstalt in den Händen des Sekretärs, wenn auch formell die Sache anders geordnet war, und ihm ist es vor­ zugsweise zu verdanken, daß die Krisis ohne bleibenden Nach­ teil für das Museum vorüberging. Es war deshalb durchaus berechtigt, daß Essenwein energisch seine Wahl zum II. Direktor betrieb. Nicht alle Mitglieder des Verwaltungsausschusses waren damit einverstanden* mancher der Herren hätte einen Zunftgenossen als II. Direktor lieber gehabt. Indessen wurden die Satzungen geändert und die Möglichkeit geschaffen, dem II. Di-

284 rektor die Leitung eines Teils der Geschäfte unter eigener Ver­ antwortung zu übertragen, und in der Jahreskonferenz vom 29. Mai 1890 wurde Boesch einstimmig zum II. Direktor ge­ wählt. Der Verwaltungsausschuß hatte die Wahl nicht zu bereuen. Rasch fand sich der neue Direktor in die neuen Aufgaben, und die ihm übertragene Hauptaufgabe der Leitung der Finanzen des Museums hat er in 15 jähriger erfolgreicher Tätigkeit auf das glücklichste gelöst. Essenwein, wiewohl fortdauernd krank, betrieb mit allem Eifer den alten Lieblingsplan, die zur Be­ streitung der Verwaltungskosten des Museums erforderlichen beträchtlichen Mittel dadurch sicherzustellen, daß das Deutsche Reich, der bayerische Staat und die Stadt Nürnberg sie dauernd garantieren sollten. Die Verhandlungen waren dem Abschlüsse nahe, sie sollten hier in Nürnberg auf einer Delegiertenkonferenz zu Ende geführt werden. Essenwein traf von Neustadt a, H., wo er sich niedergelassen hatte, dazu in Nürnberg ein, — da machte ein Herzschlag seinem Leben ein rasches Ende. Boesch führte die Verhandlungen zu einem glücklichen Ende im Sinne Essenweins. Die drei genannten Faktoren übernahmen die ganze Summe der Verwaltungsausgaben auf ihre Etats-, die frei­ willigen Beiträge wurden ausschließlich für den Ausbau des Museums und seiner Sammlungen bestimmt. Seitdem aber mußte zweimal um Erhöhung der Beiträge der drei Faktoren gebeten werden, weil die Verwaltungsausgaben sich erheblich gesteigert hatten. Die definitive Genehmigung der zweiten Erhöhung hat Boesch nicht mehr erlebt; aber er hat sein red­ liches Teil dazu beigetragen, daß sie in sicherer Aussicht steht. Aber neben diesen gesicherten Einnahmen für die Verwaltung mußten die Mittel für die Bauten des Museums und die Ver­ mehrung der Sammlungen durch freiwillige Beiträge aufgebracht werden, und hier hat Boesch Erstaunliches geleistet. Er stand seinem Lehrmeister Essenwein nicht nach in der Kunst des Betteins und Werbens. Keine Reise war ihm zu weit und zu beschwerlich, um neue Mittel für die Anstalt aufzubringen. Neue Pflegschaften hat er geschaffen, alte reorganisiert, in allen Ecken und Enden des Vaterlands ist durch ihn das Interesse für die vaterländische Anstalt neu belebt worden. Seit 1895 sind die Einnahmen aus freiwilligen Beiträgen von 65 000 M

285 jährlich auf 105000 Jl und darüber gestiegen. Die beträcht­ lichen Summen, die zur Erwerbung des Königsstiftungshauses und seinem Umbau zum Bibliothekgebäude nötig waren, hat er allein aufgebracht. Seine Finanzverwaltung war eine mustergütige. Nicht minder tätig aber war er für die Vermehrung der Sammlungen. Er war ein eifriger und geschickter Sammler. Seiner speziellen Leitung war das Kupferstichkabinett des Mu­ seums unterstellt, das er nach dem Urteil berufener Sachkenner namentlich durch die verständnisvolle und unermüdliche Ver­ mehrung der historischen Blätter zu einem hervorragenden Institut seiner Art gemacht hat. Auch die kulturgeschichtlichen Sammlungen des Museums hat er durch geschickte Acquisitionen auf Auktionen wie durch unermüdlich zähes Werben bei Privat­ besitzern beträchtlich bereichert. An der einzigartigen Sammlung der bäuerlichen Altertümer hat er treulich mitgearbeitet, die Sammlung der Denkmäler der Heilkunde ist zum großen Teil sein Werk. Dabei ist er, wenn auch seines Werts sich wohl bewußt, bescheiden und anspruchslos geblieben. Ein gelehriger Schüler seines großen Meisters Essenwein, an dem er bis an sein Lebensende mit unbegrenzter Verehrung hing, war er stets eifrig bemüht, die nationale Anstalt den Tausenden, die dort Rat und Belehrung suchen, nutzbar zu machen. So hat er sich große und unvergeßliche Verdienste um das Museum erworben und den Anspruch auf ein dankbares Andenken bei den spätesten Geschlechtern. Hans Boesch hat seit 1891 dem Ausschuß des Vereins für Geschichte der Stadt'Nürnberg angehört und das Amt des I. Schriftführers in demselben bekleidet. Seine Freude an den Bestrebungen des Vereins und seine Anhänglichkeit an ihn hat er zu allen Zeiten bekundet*, er war der treuesten einer und fehlte fast nie in den Versammlungen, in den Sitzungen und bei den geselligen Zusammenkünften. Gewissenhaft hat er in seiner einfachen klaren Art die Verhandlungen in den von ihm verfaßten Protokollen festgehalten. Sein umfassendes Wissen auf dem Gebiete der Kulturgeschichte kam auch dem Verein zu statten. Doch hat er sich nie dazu verstanden, Vorträge im Verein zu halten* wohl aber lieferte er uns einzelne wert-

286 volle Beiträge für die »Mitteilungen«. An den Beratungen im Ausschüsse beteiligte er sich stets mit regem Interesse, und gern folgten wir seinen praktischen Ratschlägen. Ein biederer Charakter, auf den man sich verlassen konnte, ein treuer, opfer­ williger Freund, der bereit war zu nützen, wo er konnte, ein trefflicher Arbeiter, dem keine Aufgabe zu schwierig war, ein liebenswürdiger Gesellschafter, dem alle gut sein mußten,- so haben wir ihn im Gedächtnis. Möge ihm die Erde leicht sein! —ss.

Der letzte Woelckern f. Am 25. Mai 1905 verstarb zu Stuttgart der kgl. württ. General der Infanterie z. D. Leopold Ferdinand Karl Wilhelm von Woelckern als der letzte seines Geschlechts, ein hervor­ ragend tüchtiger Offizier, der mit Auszeichnung die Feldzüge von 1866 und 1870/71 mitgemacht und 1890 bis 1895 als kommandierender General das württembergische Armeekorps geführt hatte, ein liebenswürdiger, vortrefflicher Mann, der bei allen, die ihm im Leben nahe getreten waren, die höchste Ver­ ehrung genossen hatte. Mit ihm ist ein altes Nürnberger Geschlecht, das eine Reihe tüchtiger, um die Vaterstadt wohl­ verdienter Männer hervorgebracht hat und noch kurz vor der Einverleibung der Stadt Nürnberg in das Königreich Bayern, im Jahre 1788 unter die ratsfähigen Geschlechter der Reichs­ stadt aufgenommen worden war, im Mannsstamm erloschen. Der Urgroßvater des Verstorbenen, Hr. Karl Wilhelm von Woelckern auf Kalchreuth, war noch Pfleger der Reichsstadt Nürnberg zu Altdorf*, er starb am 19. April 1805. Einer seiner Söhne, der Großvater des verstorbenen Generals, Herr Ludwig Christoph Karl Leopold von Woelckern, geboren 1762 den 15. November, wurde, als der Reichsstadt Ulm durch ein reichshofrätliches Erkenntnis die Auflage gemacht worden war, die Zahl ihres Patriziats zu vermehren, in das Patriziat der Reichs­ stadt Ulm aufgenommen, heiratete eine Ulmerin, Ursula Freiin von Welser, und erwarb durch sie Anteil an dem Rittergut Balz­ heim, trat in den Dienst der Reichsstadt Ulm Und wurde II. Bürgermeister daselbst. Er starb am 5. April 1853. Sein Sohn

287 Ludwig Karl Wilhelm von Woelckern wurde am 26. November 1794 geboren und trat in württembergischen Militärdienst; er vermählte sich mit Wilhelmine Johanne Leopoldine Henriette Friederike von Htipeden, erzeugte mit ihr einen Sohn und vier Töchter und starb als Oberstleutnant beim Ehren-InvalidenCorps zu Stuttgart am 12. Dezember 1872. Der Sohn Leopold Ferdinand Karl Wilhelm wurde am 21. Oktober 1829 zu Ulm geboren und blieb unvermählt. Von den Töchtern sind zwei vor dem Bruder im ledigen Stand verstorben, Emma und Ottilie. Nur die älteste, Adele, Witwe des k. preußischen Geheimen Rats und Präsidenten der General-Kommission zu Merseburg, Herrn Otto Gabler, geboren zu Ulm am 3. Juni 1828, und die jüngste Chlothilde, geboren zu Stuttgart den 14. Februar 1840, überlebten den Bruder. General von Woelckern hat seine Familienpapiere dem Germanischen Museum letztwillig zugewendet. Sie enthalten ein reiches und interessantes Material über die Geschichte und Genealogie des im Mannsstamm nunmehr erloschenen Geschlechts. Nur einige Notizen daraus wollen wir im Nachstehenden mitteilen. Die Herren von Woelckern leiteten ihre Herkunft von einem Rittergeschlecht, den Herren von Wölkersdorf, ab, welches im 13. Jahrhundert in Franken ansässig war. Ein Marquart von Wölkersdorf hat Anno 1297 mit Einwilligung seiner Söhne Fritz, Hermann und Otto seinen Hof zu Wölkersdorf an das Kloster Ebrach verkauft. Von den drei Söhnen soll der eine nach Oesterreich ausgewandert, ein anderer in kaiserliche Kriegs­ dienste getreten, der dritte aber in fürstlich bambergischen Diensten verblieben sein. Zu den Nachkommen des letzteren gehörte ein Fritz von Wölkersdorf, der im Jahre 1512 fürstlich bambergischer Amtmann in Höchstädt und mit einer fränkischen Adeligen, Anna Motschiedler, verheiratet war, die ihm drei Söhne gebar. Der jüngste dieser Söhne, Johannes, wurde für den geistlichen Stand bestimmt und tat im Jahre 1549 Profeß im Kloster Heilsbronn. Seines Wohlverhaltens halber wurde er im Jahre 1581 zum Cellarius des Klosters erwählt. Aber Luthers Lehre war auch in die Mauern des Klosters Heilsbronn ein­ gedrungen, Johannes Wolkersdorfer wurde bald ein eifriger An­ hänger derselben und trat deshalb im Mai 1553 aus dem Kloster

288 aus. Darüber waren seine Brüder wenig erbaut. Als er von ihnen sein elterliches Erbteil verlangte, kam es zu heftigen Zwistigkeiten, die fortdauerten, bis durch Vermittlung des Herrn Franz Stibar von Buttenheim ein Vergleich zustande kam, nach welchem Johannes Wolkersdorfer mit 25 fl. von den Brüdern für sein elterliches Erbe abgefunden wurde, zugleich aber sich für sich und seine Nachkommen eidlich verpflichten mußte, den Namen von Wölkersdorf nicht mehr zu führen, sondern sich einfach Woelcker zu nennen. Johannes Woelcker heiratete am 5. Juli 1553 Barbara von der Grün, eine ehemalige Nonne von Klein-Amberg, die zuvor mit dem Pfarrer Leonhard Kettner von Bürgel verheiratet gewesen war, erhielt Nachkommenschaft und wurde so der eigentliche Stammvater der nachherigen Herren von Woelckern. Es wurde ihm zunächst das Diakonat in Katzwang übertragen, am 18. Juni 1554 wurde er vom Rat der Stadt Nürnberg auf die Pfarrei Mögeldorf berufen und am 2* Februar 1555 auf die Pfarrei Heroldsberg versetzt, wo er bis zu seinem Tod am 18. Mai 15 79 verblieb» Leider sind die Aufzeichnungen, die er selbst über seine Lebensschicksale gemacht hat, nach seinem Tode verloren gegangen. Einer seiner Söhne aber hat, was ihm davon im Gedächtnis geblieben war, neu aufgezeichnet. Dieser Sohn, Martin Woelcker, erwählte gleichfalls den geistlichen Beruf, verehelichte sich mit Elisabeth Brunner von Schwarzenbach und pflanzte das Geschlecht dauernd fort. Er war Pfarrer zu Regelsbach und von 1604 an zu Eschenbach. Seine Nachkommen studierten zumeist Rechtswissenschaft und zu ihnen zählen verschiedene um die Reichsstadt Nürnberg wohlverdiente Ratskonsulenten. Einen wechselvollen Lebenslauf während der Wirren des 30 jährigen Krieges hatte sein am 22. März 1598 geborener Sohn Georg Woelcker, der als Advokat in Nürnberg seine juristische Laufbahn begann, nach seiner Vermählung mit Marie Elisabeth Schlaudersbachin als Auditeur bei einem im Jahre 1632 in Nürnberg gebildeten Regiment eintrat, bald aber vom König Gustav Adolf von Schweden als Generalauditeur bei seiner Armee angestellt wurde. Später trat er in die Dienste des Herzogs Bernhard von SachsenWeimar, der ihm in Regensburg und nachher in Breisach

289 als Geheimen Kriegsrat die Justiz- und Polizeidirektion über­ trug. Als die Festung Breisach in die Hände der Franzosen fiel, beließen ihn die letzteren in seinen Funktionen und er trat somit in die Dienste des Königs von Frankreich. Da ihm aber die Franzosen übel mitspielten, verzichtete er im Jahre 1655 auf seine Charge, nachdem ihm die Reichsstadt Nürnberg die Stelle eines vordersten Ratskonsulenten angeboten hatte, und kehrte nach Nürnberg zurück, wo er am 16. September 1664 als Ratskonsulent starb. Die genaue Aufzeichnung seines Lebenslaufes verdanken wir seinem Sohne Christoph Karl Woelcker, der auch seine Lebensgeschichte für seine Nachkommen niedergeschrieben hat. Diese Biographien sind in dem reich mit Porträts und Wappen geschmückten 1721 angelegten von Woelckernschen Familien­ buch gesammelt. Hr. Christoph Karl Woelcker war, während sein Vater schon in Regensburg weilte, am 7. September 1632 zu Nürnberg geboren; er lernte ihn erst im Oktober 1639 in Breisach kennen, wohin der Vater Frau und Kinder nachkommen ließ. Nach einer sehr bewegten Jugendzeit trat er in nürnbergische Dienste, heiratete Amalie Eleonore Heher und wurde Ratskonsulent. Sein Leben lang hatte er viel unter Krankheiten zu leiden, namentlich setzte ihm ein Steinleiden schwer zu, so daß er schon mit 48 Jahren am 10. August 1680 verstarb. Von seinen Söhnen pflanzte Georg Karl Woelcker, geboren am 5. August 1660, das Geschlecht dauernd fort. Auch er trat nach absolvierten Studien und großen Reisen, die er unternahm, in nürnbergische Dienste und wurde Ratskonsulent und als solcher vielfach zu Missionen und Vertretungen der Reichsstadt verwendet. Auch war er Prokanzler der Universität Altdorf. Zweimal verheiratet, mit Sibylle Dorothea ImhofF und nach deren Tod mit Susanna Jakobine Harsdörffer, starb er am 19. November 1723. Aus erster Ehe entsprangen drei Söhne, Karl Wilhelm, geboren 11. Dezember 1690, Martin Karl, ge­ boren 26. Juli 1693, und Lazarus Karl, geboren 26. April 1695,die alle drei zu ehrenvollen Stellungen aufrückten und großes Ansehen bei ihren Mitbürgern genoßen. Kaiser Karl VI. bestätigte und erneuerte ihnen in Ansehung ihrer großen Verdienste um den nürnbergischen Staat und das deutsche Vaterland mit Diplom i9

290 vom 18. Januar 1728 den alten Adel. In das Diplom ist ^lie Geschichte des Geschlechts sehr ausführlich aufgenommen worden. Die drei Brüder aber werden in der Urkunde konstant nicht mehr Woelcker, sondern Woelckern genannt. Im Jahre darauf, am 23. März 1729, errichteten die drei Brüder von Woelckern ein Familienfideikommiß. Der älteste derselben, Karl Wilhelm, starb ohne eheliche Nachkommenschaft, da seine elf Kinder in früher Jugend verstorben waren, im Jahre 1748 als Konsulent des Banko- und Appellationsgerichts- in Nürnberg. Der zweite, Martin Karl, hinterließ ebenfalls keine Kinder und starb als Polizeiamtmann in Nürnberg am 8. Oktober 1760, der dritte aber, Lazarus Karl, war fürstlich schwarzenburgischer Rat und Konsulent seiner Vaterstadt und ist bekannt als Ver­ fasser der Commentatio succincta in Codicem Juris Statutarii Norici 1 737, dann der Historia Norimbergensis diplomatica 1738 und der Singularia Norimbergensia 1739. Er starb am 4. September 1751 und hinterließ den gleichnamigen Sohn La­ zarus Karl von Woelckern, der im Jahre 1799 den ehrenvollen Ruf als kaiserlicher Reichshofrat nach Wien annahm und 26 Jahre lang mit Auszeichnung an dieser, hohen Reichsbehörde wirkte. Er hat sich aber auch um seine Familie verdient gemacht und ihr die Aufnahme in das nürnbergische Patriziat und später die Ratsfähigkeit erwirkt. Er starb am 14. November 1805 an dem Tage, an dem die Franzosen in Wien einrückten. Der eingangs erwähnte Urgroßvater des Generals Wilhelm von Woelckern, Herr Karl Wilhelm von Woelckern, war ein jüngerer Bruder des Reichshofrats Lazarus Karl von Woelckern. Der letzte Woelckern, in der k. württembergischen Offiziers­ bildungsanstalt zu Ludwigsburg erzogen, wurde am 6. Oktober 1848 Leutnant im k. württembergischen 6. Infanterie-Regiment und war im Kriege vom Jahre 1866 Hauptmann und Kompagniekom­ mandant, im deutsch-französischen Krieg Major und Bataillons­ kommandant. Im Jahre 1876 wurde er Regimentskommandeur, im Jahre 1883 Brigadekommandeur. Im Jahre 1888 erfolgte seine Ernennung zum Generalleutnant und Kommandeur der 26. Division (1. k. württemb.), im Jahre 1890 wurde er mit Führung des XIII. (k. württemb.) Armeekorps beauftragt. General der Infanterie wurde er am 24. Februar 1892. Seit 1893 ä la suite

291 des 7. k. württembergischen Infanterie-Regiments Kaiser Friedrich König von Preußen Nr, 125 gestellt, trat er am 21. März 1895 unter Belassung in diesem Verhältnis in den wohlverdienten Ruhestand. Er genoß ihn noch zehn Jahre. Am 27. Mai 1905 wurde er mit allen militärischen Ehrenbezeugungen auf dem Fangelbachfriedhof zu Stuttgart zur letzten Ruhe gebettet. Zur Trauerandacht im Trauerhause hatte sich der König von Württemberg in Person mit den königlichen Prinzen ein­ gefunden. Am Grabe schilderte der Feldprobst Blum in zutreffenden Worten Charakter und Art des Verstorbenen: »Ja, was war unser Woelckern für ein Mann in Gestalt und Wesen so markig und charaktervoll, so klar und treu, daß er jeder­ mann anzog und fesselte, daß sein Bild sich unauslöschlich einprägte, besonders in den anhänglichen und vertrauenden Herzen seiner Soldaten 1 Soldat war er vom Scheitel bis zur Sohle, mit offenem Blick, zäher Energie und warmem Herzen in dem Beruf, den er sich einst hatte erkämpfen müssen, im Krieg und Frieden, vom Leutnant bis zum kommandierenden General, durch 48 Jahre treu bewährt und hochverdient. Be­ sonders populär war er als persönlich tapferer Führer, der den Ruhm des Helden von Mezi&res und Mont Mesly hertrug, als Führer des heimischen Armeekorps, was jeder Württemberger als Ehre mit Stolz mitempfand, und als ein Mann von Verständnis und Teilnahme auch für das bürgerliche Leben. Des Kaisers und des Königs Vertrauen genoß er, wie das seiner Offiziere und Soldaten. Wie an sich selbst, so stellte er an sie große Anforderungen, aber seine Gerechtigkeit, sein wohlwollendes, dem einzelnen nahetretendes Wesen, seine väterliche Fürsorge hat ihm die Herzen gewonnen. Viele alte Soldaten, Kriegskameraden und Siebener, deren Regiment er 7 Jahre führte, können erzählen, wie er mit Rat und Tat ihnen beigestanden bis in die letzten Tage, und wohin im Land und über seine Grenzen hinaus die Kunde von seinem Tode drang, da wird der Name Woelckern mit Dankbarkeit genannt«. So war er ein wahrer Edelmann, dessen Gedächtnis in Ehren gehalten werden wird. Wir aber rufen dem letzten Woelckern nach der Sitte der Altvordern nach ins Grab: »Heute von Woelckern und fortan nimmermehr«! —ss. 19*

292

Der Name Dutzendteich. Wie unzählig viele Menschen mögen schon nach der Be­ deutung und dem Ursprung des Namens Dutzendteich sich erkundigt haben! Die Antwort darauf war seit einer langen Reihe von Jahren immer die nämliche. Er habe seinen Namen von zwölf Teichen, die dort nebeneinander liegen. Dabei wußten nur die wenigsten der Antwortenden genau, wie viele Weiher in Wirklichkeit dort vorhanden sind. War aber hie und da doch einer, dem bekannt war, daß die Zahl der Teiche kein Dutzend ausmacht, so suchte man dem Widerspruch dadurch die Spitze abzubrechen, daß man sich auf die Vergangenheit berief. Früher seien es ein Dutzend Weiher gewesen, von denen man im Laufe der Zeit einige eingefüllt habe. Der alte Name sei auch dann noch fortgeführt worden, als die äußeren Ver­ hältnisse sich geändert hätten; daher komme es, daß zwischen Sache und Name heute eine Kluft bestehe, die nur durch die Geschichte überbrückt werde. Mit der Geschichte dieses angeb­ lichen Dutzends von Teichen hatte es indes seine eigene Be­ wandtnis. Niemand wußte anzugeben, wo sie zu finden war; niemand hatte sie je gesehen; alle aber, die den erwähnten Widerspruch kannten, beriefen sich auf sie und nahmen sie zu Hilfe. Im Notfälle wies man darauf hin, daß die Grund­ bedeutung des Namens an sich selbst eine Art Urkunde sei, also schon ein Stücklein der gesuchten Geschichte enthalte. Mit einer solchen Bewegung im Kreise konnte man nicht vorwärts kommen. Es gab ein einziges Mittel, wodurch Klarheit in die Sache gebracht werden konnte: nur durch urkundliche Fest­ stellungen über die Zahl der Weiher zu den verschiedenen Zeiten und über die alten Namensformen konnte die Frage ernstlich in Angriff genommen werden. Herr Archivrat Dr. E. Mummenhoff1) hat im letzten Jahre diese Aufgabe übernommen und gelöst und erst auf Grund seiner Ergebnisse kann an eine Untersuchung über die Bedeutung des Namens Dutzendteich *)' Dieser Herr hatte die außerordentliche Liebenswürdigkeit, den Befund seiner Untersuchungen bezüglich der Anzahl der Weiher sowie der alten Namensformen des Dutzendteiches und der Zeit ihres Vorkommens mir giitigst brieflich zur Verfügung zu stellen, wofür ich ihm hiermit meinen verbindlichsten Dank ausspreche. Auf seine Anfrage nach der eigentlichen Bedeutung des Wortes Dutzendteicfi sind auch gegenwärtige Ausführungen entstanden.

293 gegangen werden. In einer brieflichen Nachricht spricht er sich nämlich darüber folgendermaßen aus: »Als der Rat 1495 den Dutzendteich erwarb, bestand dieser aus höchstens zwei Weihern, führte aber schon den Namen »dutschetey« (1490) oder »tutzedey« (1495), »tutzchendey« und »tutzendey« (1498); der dritte Weiher wurde zwischen 1560 und 1570, der vierte nach 1590, die übrigen in den ersten Jahrzehnten des 17. Jahrhunderts ange­ legt. Mit Dutzend kann also der Name nicht zusammenhangen«. In einer weiteren Zuschrift an mich heißt es: »Die Form Tutschedeich oder Dutschendeich tritt verhältnismäßig erst spät auf, in den achtziger und neunziger Jahren des 16. Jahr­ hunderts, und wird erst im 1 7. Jahrhundert regelmäßig in der Literatur. Die gegenwärtige Schreibweise findet sich erst gegen Ende des 18. Jahrhunderts. In der Volkssprache hieß der Dutzendteich noch im späteren 19. Jahrhundert »Dutschatei« (S. Priem, Gesch. d. Stadt Nürnberg, 1875, wo es heißt: »Der schon mehrmals in unserer Geschichte genannte Dutzendtei :h, in der Volkssprache »Dutschatei i u. s. w.), und irre ich nicht, spricht der eingeborne und unverfälschte Nürnberger heute noch so«. Mir selbst ist die Form »Dutschatei« bei echten, der heimischen Mundart sich bedienenden Altnürnbergern wiederholt begegnet. Diese Form steht unbezweifelbar heute noch in vollster Lebenskraft. Bei der Erklärung des Namens Dutzendteich tritt uns zunächst die Frage entgegen, ob wir das Wort als Ableitung oder als Zusammensetzung anzusehen haben. In Tutscheday ist die alte Endung ay (ey) der bekannten Ableitungsendung ei in Schreiberei, Jägerei, Druckerei sicher nicht gleich­ zusetzen; denn es fehlt ihr der Hauptton, der der Ableitungs­ endung eigen ist und der ihr von ihrem ersten Auftreten an ausnahmslos zukam. Eine Ableitungsendung -tei (-dey) aber hat es in der deutschen Sprache nie gegeben. So bleibt uns keine Wahl: wir müssen das Wort als Zusammensetzung nehmen, entstanden aus Tutsche(n-) und tay (dey). Nun steht urkund­ lich fest, daß das heutige Dutzend in dem Bestimmworte des Namens nicht ursprünglich ist; demnach liegt hier eine volks­ tümliche Umdeutung eines unverstandenen älteren Wortes Tut sehen vor. Die Zahl der Umdeutungen, die unser Volk

294 seit den ältesten Zeiten an unverständlich gewordenen Teilen seines Sprachschatzes vorgenommen hat, ist ungeheuer groß. Da dieser Vorgang allgemein bekannt ist, so darf von Bei­ spielen hiefür Umgang genommen werden. Unter solchen Um­ ständen ist es erklärlich, daß wir auch dem Grundworte Teich in dem Namen Dutzendteich ein gewisses Mißtrauen entgegen­ bringen dürfen. Wer bürgt uns denn dafür, ob nicht das alte tay (dey) ursprünglich eine ganz andere Bedeutung hatte als das heute an seiner Stelle stehende Teich? Ein solcher Zweifel ist weder unbegründet, noch neu. Mummenhoff spricht sich darüber in folgender Weise aus: »Meines Erachtens hat die Endsilbe -tei oder -dei mit unserem Teich gar nichts zu tun. Das Wort Teich kommt in der ältesten, wie in den späteren Nürnberger Urkunden niemals vor, sondern stets Weiher, worauf der verdienstvolle Nürnberger Lokalhistoriker Rektor Dr. Gg. Karl Wolfg. Lochner, mein Vorgänger als Stadtarchivar, schon vor mehr als fünfzig Jahren hingewiesen hat«. Ein solcher Einwurf muß nach allen Seiten hin gründlich gewürdigt werden. Unbestreitbare Tatsache ist, daß in ganz Südwest- und Süd­ deutschland mit Ausnahme von Deutsch-Österreich an Stelle des Wortes Teich die Bezeichnung Weiher und See ange­ wendet wird. Das Wort Teich ist mittelhochdeutsch twh, auch dich. Der Unterschied in der Bezeichnung des Anlauts war rein schriftlicher Natur. Das Wesen des Lautes ist unter beiden Formen gleich. Das gilt auch für -tei und -dei. Dieses -tay, -tey (dey, dei) geht nun zweifellos zunächst auf ein 41 (di) der frühmittelhochdeutschen Zeit und nicht, wie so viele unserer heutigen -ei-, auf ein altes -ai- zurück. Die heutige mundartliche Aussprache des -ei- ist hiefür ein vollgiltiger Beweis. Denn Wörter mit altem, langem -i- haben heute an dessen Stelle in der Nürnberger Mundart -ei- mit dem Laute, der uns begegnet in Wortformen wie Weib, Zeit u. s. w. (Vgl. Gebhardt, Gram­ matik der Nürnberger Mundart, Leipzig, 1901; § 17); dagegen werden Wörter mit altem -ai- in 'Nürnberg gegenwärtig mit langem, hohem -a- gesprochen, z. B. Getreide: Traad, leid: laad, heiß: haaß u. s. w. (Vgl. Gebhardt a. a. O. § 28). Es entstehen nun die weiteren Fragen: 1) Ist das angeführte alte Grundwort -tay (dei) gleichen

295 Ursprungs und gleicher Bedeutung mit dem später dafür eingetretenen Teich und 2) Wie verhält sich das alte -tay (dey) zu diesem Teich und in welchem Verhältnis stehen beide zu Weiher? Die erste Frage muß trotz der gewichtigen Einwände bejaht werden, d. h. das Grandwort *tay (dey) ist aus der gleichen Grundform entsprungen, aus der auch Teich ent­ standen ist. Die Geschichte des Wortes Teich bietet nach der Seite der Laute keine besonderen Schwierigkeiten. Wir können das Geschick von ttch (dich) auf hochdeutschem Sprachgebiete zu­ sammenfassend folgendermaßen kennzeichnen: In der althoch­ deutschen Literatur läßt sich das Wort zwar nicht nachweisen, doch kann deswegen noch lange nicht seine Volkstümlichkeit in Frage gestellt werden. Denn es kommt für die ahd. Zeit mehrfach als Ortsname vor. Noch Jahrhunderte lang ist es allgemein bekannt. In der mittelhochdeutschen Literatur wird es verwendet (S. Grimm, Wtb. II, 904*, Lexer, Mhd.Wtb. II, 1431/2). Noch in frühmittelhochdeutscher Zeit werden mit dem Teich Ortsnamen in Gegenden gebildet, die das Wort heute in volks­ tümlicher Rede nicht mehr kennen. Nach Böhmen und der Ost­ mark wird es von deutschen Ansiedlern gebracht, die sich vorzugsweise aus Leuten mit bayerischer Mundart zusammensetzten. Da die Besiedelung dieser Landesteile und der Zug aus Westen dorthin mehrere Jahrhunderte anhielt, so folgt sowohl daraus, als auch aus der weiteren Tatsache, daß sich das Wort Teich bis auf den heutigen Tag auf jenem Boden lebendig erhalten hat, daß ttch bei den Ankömmlingen durchaus bekannt und allgemein gebraucht gewesen sein muß. Wenn Teich heute in Süd-und Südwestdeutschland bei den Altbayern, Schwaben und Franken unbekannt ist, so darf daraus noch lange nicht der Schluß ge­ zogen werden, daß es zu allen Zeiten so war. Das Wort hat eben das Schicksal so vieler anderer Wörter gehabt, die jetzt ganz unbekannt sind, obgleich sie in früheren Zeiten von jeder­ mann gekannt und angewendet worden waren. Sehen wir uns einige Beispiele aus den Ortsnamen an, in denen ttch verwendet ist. Sie sollen einerseits zur Bestätigung des Gesagten dienen, andererseits werden sie uns erkennen

296 lassen, daß auch anderwärts der gleiche Vorgang zu beobachten ist, demzufolge ttch zu tei wird. Ganz klar und mit ungeschwächtem Stamme liegt ttch vor aus dem elften Jahrhundert in dem Ortsnamen Tichmannesy dem Namen des oberösterreichischen Dorfes Teichmanns bei Mühldorf im Viertel ob dem Manhartsberg (S. Förstemann, Ahd. Namenbuch II, 1473). Einer noch viel früheren Zeit gehört die älteste Namens­ form des heute Teichstätt geheißenen Dorfes an. Der Ort liegt in Ober-Österreich im Innviertel, südlich von Mattighofen, an der Eisenbahnlinie Simbach-Braunau-Steindorf. In den Schenkungsurkunden des Klosters Mondsee erscheint im Jahre 780: Tisteti(S. Förstemann II, 147). Schon im Jahre 980 tritt dafür in dem­ selben Codex trad. monast. Lunaelac. in der Urkunde Nr. 156 die Form Tihsteti auf. 1363 wird das Dorf in der heutigen Namens­ form erwähnt1). Hier aber entsteht die Frage: Ist der heutige Name nicht eine Umdeutung des alten unverstandenen Wortes? Gewiß nicht, weil die Stelle des einst beträchtlichen Teiches heute noch leicht zu erkennen ist. Er war sicher auch in der ahd. Zeit vorhanden und gewiß schon zur Zeit der Gründung des Klosters Mondsee, wenn nicht noch früher angelegt worden. Die älteste Namensform aber gibt uns zu denken. Der Schreiber jener Zeit hat offenbar die durchaus volksmäßige Aussprache des Wortes wiedergegeben. Das ch war durch das nachfolgende sty den Anlaut des Grundwortes, bereits unhörbar geworden. Der schwierigen Aussprache von drei aufeinander folgenden Mitlauten ging man dadurch aus dem Wege, daß man den schwersten, das ch, auswarf. Aus Ttchsteti entstand so Tisteti. Ein anderes Beispiel für den Abfall des ch bietet uns der Name des Ortes Allentsteig in Nieder-Österreich. In Urkunden des Stifts Zwettl (Nieder-Österreich) aus dem Ende des 12. Jahr­ hunderts heißt der Ort: Adeloldestic; 1212: Alelostige (bei Oesterley, Hist.-geogr. Wörterb. S. 13 irrig Aelostige) und Aloldestey, 1258: Aloldstei (Fontes verum Austriacarum II. T., 3. B., *) Herr Lehrer M. Schlickinger-Mattighofen hatte die Güte, mir die beiden letzten . Angaben brieflich mitzuteilen; ich sage ihm hiefür meinen besten Dank.

297 298) 1331; Aloltsteyl) (ebend. S. 681). Der »Teich des Adalold« ist auch heute vorhanden* er erstreckt sich in unmittelbarer Nähe des Ortes gegen Süden. Zu Anfang des 13. Jahrhunderts hatte also in jener Gegend das Grundwort dieselbe Form wie in Tutzendey, Tutscheday und im abhängigen (dritten) Fall tritt der Gaumenreibelaut ch auf, der durch g wiederge­ geben ist. Gleichzeitig erscheint aber auch die Form mit i statt ey. Seit der Mitte des 13. Jahrhunderts treten allein die Formen mit -ei auf. Ein weiteres Beispiel aus Nieder-Österreich liegt vor im Namen des Flusses Thaya; an dessen Oberlauf ein gleichnamiges Dorf sich befindet. Eine Urkunde im Stift Zwettl vom Jahre 1175 nennt ihn Ttge2). Nach Oesterley, S. 682, hieß der Ort schon 1112: Taya. Offenbar liegt hier nicht die Schreibung der Ur­ kunde von 1112 vor, sondern es ist eine bei Abschrift der ursprünglichen Urkunde angebrachte neuere Namensform, die das leichtere Erkennen des gemeinten Ortes bezwecken wollte. Noch 1190 und 1194 wird dafür Tya geschrieben. Für den Namen des Flusses tritt sogar noch 12 78 die Form y>Tya alias Dyge Ursprung unmittelbar im Süden und Westen des Bahnhofes von Göpfritz an der Wild. Dort ist eine sumpfige Wiese an Stelle eines trocken gelegten Teiches. Der* alte Damm ist noch klar erkennbar und selbst auf der General­ stabskarte eingetragen. Bei den Leuten der Gegend heißt der Abfluß des an dieser Stelle vorhandenen Quellsumpfes noch jetzt »der Thaya-Bach«. Der Zusatz »Bach« gehört einer

299 Zeit an, als man die Grundbedeutung von Thaya vergessen hatte. Eine knappe Zusammenstellung der über den Ursprung des Namens Thaya vorgetragenen Ansichten findet man bei YVisnar, Die Ortsnamen der Znaimer Bezirkshauptmannschaft, Progr. d. k. k. Staatsgymn. zu Znaim, 1896, S. 33. Der Deutung des Namens Thaya aus Tichacha könnte entgegengehalten werden, daß dieser Ableitung eine sehr alte, allgemein für echt gehaltene Kaiserurkunde widerspricht. Sie ist von Heinrich III. in Niederaltaich am 3. Juni 1045 gegeben und wird im kgl. allg. Reichsarchiv (Kaiser-Selekt Nr. 363) aufbewahrt (Vgl. Stumpf, Die Reichskanzler, Innsbruck, Nr. 2275; Monumenta Boica XI, 152 und XXIX, 1. Abt., S. 83). Der marckio Sigefrid schenkt an Nieder-Altaich zehn Königshuben circa flmnen Taiove dictum1). Die Gauzugehörigkeit ist in der Urkunde nicht angegeben. An Stelle des Gaunamens ist eine Lücke gelassen, die später nicht mehr ausgefüllt wurde. Unter dem hier genannten Fluß wird gewöhnlich die Thaya verstanden. Diese Annahme ist durchaus unstatthaft. Die Sache liegt so: Entweder ist die Urkunde wirklich echt, dann bezieht sich der Flußname nicht auf die Thaya, und der Gegenstand der Schenkung muß an anderer Stelle gesucht werden, als wohin man ihn bisher verlegte*, — oder der marchio Sigefrid läßt sich wirklich als um die Thaya begütert nachweisen (die Entschei­ dung hierüber muß ich Historikern von Fach überlassen), die geschenkten Huben dürfen dann als der Thaya gelegen angenommen werden, dann — ist die Urkunde sicher kein Original. Der Laut des langen i in der alten Namensform der Thaya steht unbezweifelbar fest. Es ist sprachgeschichtlich ganz undenkbar, daß im Jahre 1045 der Fluß Taiove lautete, der 1190 und selbst 1290 noch als Tya (Dyge) erscheint. Wenn auch zuzugeben ist, daß dieses y = i der Urkunden aller Art beides für den Fluß- und Ortsnamen um die zweite Hälfte des 13. Jahrhunderts in der Volkssprache des täglichen Lebens schon seit längerer Zeit zu ei geworden war und nur in der *) Zufolge der liebenswürdigen Bemühungen des Reichsarchivrats Herrn Seb. Göbl in Würzburg wurde die Urkunde einer Nachprüfung unterzogen; auch diesem Herrn sowie dem Vorstand des allg. Reichsarchivs sage ich hiefür aufrichtigen Dank.

300 Schrift ein künstliches Dasein führte, so ist doch ganz sicher, daß es einst vorhanden war. Der einfache Stamm Thy als Ortsname an Stelle von Ttch begegnet uns in Österreich um 1171. Ein Heinricus de Thij erscheint um diese Zeit als Zeuge (S. Fontes rerum Austria­ carum 2. Abt., III, 58). Allerdings ist nicht ausgeschlossen, daß mit diesem Namen derselbe Ort verstanden sei, der später Tya, Teya} Taya heißt, so daß in Thij nur eine Kürzung vor* läge. Doch findet sich selbst im Jahre 1257 noch das einfache Tich(e) in Tirol im Urkundenbuch ob der Enns I, 253. Ebenfalls -tei, -tai; -dai statt teich, also gleicherweise aus 4% entstanden, finden wir als Grundwort in einem andern von Bajuwaren besiedelten Teil: in Tirol. Zum Bezirke Silz am Inn gehören zwei kleine Ortschaften (Weiler): Niederthei am Horlachbach, einem rechten Zufluß der Ötz; mehrere Stunden nördlich davon liegt Kühedai (auch Kühetai). Erstgenannter Ort heißt im Jahre 1121 : Nidirtaig(e) (S. Pertz} Mon. Germ. hist., Script. XXIII\ 617). Auf echt altbayerischem Boden hat ti (aus ttch) aus dem Ende des 11. Jahrhunderts in den Ortsnamen Diecha; Tiecha noch Spuren hinterlassen (S. Fürstemann II, 464). Daß sich in Ortsnamen neben Ti auch Ttch noch unge­ schmälert erhielt, das heute als Teich erscheint, hat nichts Überraschendes an sich. Im Nordgau, der heutigen Oberpfalz, und dem benachbarten Egerlande sind solche Beispiele zu finden. Mitterteich und Oberteich bei Weiden (O-Pf) sind bekannt. Daneben steht seit alter Zeit auch ein Niederteich, jetzt Hofteich geheißen. Im Jahre 1138 erscheint es als inferior Dich(e). Seit 1230 ist „ Hoft eich [quod antiquitus Niderteich dicebatur]11 nachweisbar (S. Gradl, Monum. Egr.); 1354: Hofteich (Regesta Boica VIII) 309). Eg er t eich ist noch auf bayerischem Boden, hart an der Grenze gegen Eger hin. Im Egerlande selbst finden wir die Orte Altenteich urkund­ lich so geheißen 1364 und 1386; 13Q5: Altenteych und .1475: zum olden teichy ferner Großenteich, beide nördlich von Franzens­ bad1). Die Teichnamen sind sowohl in der nördlichen Ober0 Diese Nachweise für das Egerland und das Gebiet um Mitterteich wurden mir gütigst durch Herrn Alois John, dem durch seine wertvollen volks-

301 pfalz, als auch in ganz Böhmen sehr zahlreich. Eigentümlich ist die Erscheinung, daß im Egerlande vereinzelt auch der Aus­ druck Weiher dafür auftritt. Immerhin hat Teich die unbe­ strittene Herrschaft1). Ausschließlich gebraucht wird Teich noch um Waldsassen und Tirschenreuth, d. h. im Gebiet der Wondreb und des Oberlaufs der Waldnaab. Hier ist die Menge der Teichnamen sehr groß. Es ist auffallend, wie plötzlich bei Falkenberg an der Waldnaab nur noch der Aus­ druck Weiher gebraucht wird. Dies führt uns auf das Verhältnis, in dem -tai (dei) zu Teich steht. Tei (dai) ist eine durch nachlässige Aussprache entstandene volkstümliche Nebenform zu Teich, die auf dem Gebiete der bayerischen Mundart mehrfach nachweisbar ist und die auch in der fränkisch-bayerischen Mischmundart, wie sie in und um Nürnberg und im größten Teil des bayerischen Kreises Mittelfranken gesprochen wird, sich entwickeln konnte und mit dem Namen »Tutschentai« tatsächlich sich entwickelt und mundartlich bis in die Gegenwart herein erhalten hat. Der Abfall des Auslautes hatte sich in Tutschendei ähnlich voll­ zogen wie in den mundartlichen Formen glei (= gleich), lou (= Loh, Loo, ahd. löh, loch — lucus —) und einer Anzahl anderer Wörter (Vgl. Gebhardt, Gram. d. Nbg. Mundart, S. 29, § 51, d). Ergebnis: ahd. tich — tih und ti — mhd. t% — tei, dei. Wenn wir dann das Verhältnis betrachten, in dem die Doppelformen Teich und Tei zu Weiher stehen, so dürfte durch die bisher gegebenen Ausführungen, der Nachweis er­ bracht sein, daß das Gebiet von tich (ti), Teich (Tei) seit der ahd. Zeit im Süden und Südwesten von Deutschland ständig abnahm; es wurde von Weiher verdrängt. Nach Kluge, Etym. Wtb.-A 418, soll Weiher schon in der römischen Zeit, kundlichen und geschichtlichen Arbeiten über das Egerland bestens bekannten Schriftsteller in Eger in liebenswürdigster Weise übermittelt, wofür ich auch hier ihm den wärmsten Dank abstatte. ’) Vgl. Alois John, Oberlohma (Beitr. z. deutsch-böhm. Volkskunde, Prag, bei Calve; IV. B., 2. Hft.) S. T7, 29ff., ferner von demselben Ver­ fasser: Sitte, Brauch und Volksglaube im deutschen Westböhmen (Beitr. z. deutsch-böhm. Vlkd. VI. B.) S. 409, 411—416; weiterhin v. demselb. Verf.: »Unser Egerland« Blätter für Egerländer Volkskunde II, S. 17 u. 24. Selbstverlag.

302 also vor der Völkerwanderung, von den Germanen aufgenommen worden sein. Diese Annahme entbehrt nicht nur jeder Stütze, sondern sie ruft auch Bedenken hervor, die einerseits in der Lautgeschichte, andererseits in der Kulturgeschichte begründet sind. Dann wäre lat. vivarium wirklich schon in römischer Zeit in unsere Sprache übergegangen, so hätte das inlautende w sich anders geltend gemacht, als es tatsächlich geschah. Unter dem Einflüsse jenes germ. w, das einen Laut hatte, wie er jetzt noch dem englischen w eigen ist, hätten sich in den ger­ manischen Mundarten Formen wie weori, wiuri ergeben* unsere nhd. Form würde dann wahrscheinlich Weuer statt Weiher lauten. Der Umstand allein schon, daß das inlautende ahd. w sich an vielen Orten bis in die mhd. Zeit herein fest erhält, spricht gegen eine Aufnahme in römischer Zeit. Auch ist nicht einzusehen, warum dieses Wort nur bei ein­ zelnen deutschen Stämmen Eingang gefunden haben sollte und bei andern nicht, namentlich nicht bei solchen, die Nach­ barn der Römer waren (Hessen) oder die sich auf ehemals römischen Boden niederließen (Rheinfranken), während doch andere in römischer Zeit aufgenommene Wörter wie Straße, Mauer, Wall und viele andere sich über ganz Deutschland verbreitet haben. Alle Zeichen deuten darauf hin, daß das lat. vivarium erst mit der Einführung des Christentums in unsere Sprache aufgenommen wurde. Die zunehmende Sorgfalt, die man mit Rücksicht auf die kirchliche Fasten- und Enthaltsamkeits­ gebote der Fischzucht und den hiezu künstlich angelegten stehenden Gewässern namentlich von Seite der Klöster angedeihen ließ, brachte das Fremdwort in immer weiteren Kreisen zur Verwendung und unterstützte seine Ausbreitung. An Tutschetai, Dutzendei ist bisher die Erklärung des Bestimmwortes Dutze(n), Tutsche(n) als der schwierigere Teil angesehen worden. Gebhardt, Gram. d. Nbg. Mundart, nennt sie S. 29, Anm. 2 geradezu eine crux etyynologorum. Die Sache löst sich jedoch sehr einfach, sobald wir erwägen, daß man in alter Zeit mit dem Worte Tutzen, Tutschen, Dützen, Dotzen die Rohrkolben bezeichnete. Die Blüte des Schilfrohrs (typha latifolia et angustifolia) wird nach einzelnen Landschaften mit sehr verschiedenen Ausdrücken benannt. Vielfach sind sie

303 unter dem Namen Moorkolben, auch Mooskolben, Riedkolben bekannt. In Nürnberg und der Umgegend heißen sie gegen­ wärtig Schlotfeger; der Ausdruck Dützen oder Tutschen ist heute vollständig vergessen, soviel mir bekannt ist. In Mecklenburg nennt man die Rohrkolben: Pameldutschen,’ Bammeldutschen, auch Pummeldutschen (= Baumwolldutschen); in Schlesien und in der Mark sagt man dafür Schmackedusen, in Ulm heißt es Schmackedutschen (= Summachdutschen; unter dem Summach ist der Hirschkolben, Bhus coriaria, gemeint, dessen Blüten und Früchte denen des Schilfrohrs der Form nach ähnlich sind); in Siebenbürgen sagt man Dotzekolwen, mhd. hieß es auch datscolwe; in der Pfalz um den Donnersberg heißen sie Kühtützel (Vergl. für die meisten dieser Namen: Pritzel und Jessen, die deutschen Volksnamen der Pflanzen, Hannover 1882 bei Cohen, S. 417 ff.). Auch im westlichen Teil von Mittelfranken muß Tutze einst bekannt gewesen sein, wie aus dem Flurnamen: Dutzendtal, nordöstl. von Mönchsondheim (A.-Ger. Scheinfeld), hervorgeht. In dem kurzen und schmalen Tälchen war früher ein Teichlein, dessen Stelle noch erkennbar ist. Hier haben wir also dieselbe volksmäßige Um­ deutung des unverstandenen Ausdrucks Tutze wie bei Dutzendteich. Aber nicht allein den Rohrkolben bezeichnet Dutze, Tutsche, sondern auch andere Dinge, die langgestreckt, beweglich und kolben-, zipfel*, keil-, keulenförmig, klobig sind. So spricht man landschaftlich von einer Dötsch-, auch Dötz-, Dützkappe und meint die Zipfelmütze, oder von einer Kappen­ dotze statt eines Kappenzipfels (S. Schmeller, Bayer. Wtb. I, 558/9). In übertragener Bedeutung kommt dieses Wort in ver­ schiedenen Städten als Name von langgestreckten Höfen, Häuservierteln, von ausspringenden Teilen der Stadtmauer vor. In Nürnberg findet es sich ebenfalls als Bezeichnung mehrerer Stadt­ teile, nur daß man in späterer Zeit aus Kappendotze ein alt­ klassisch anmutendes, feiner klingendes Kappadocia gemacht hat. Im südlichen Teil der Vorderpfalz bezeichnet man mit Dotzen Zweige, an denen mehrere Früchte dicht gedrängt stehen, oder eine Doppelfrucht überhaupt, also einen Frucht­ kolben, z. B. eine Dotze Äpfel, Nüsse, Haselnüsse u. s. w. Alle diese Wörter sind aber nichts anders als Scheide- und

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Schwesterformen zu Tutte, Dutte, ahd. tutta = Zitze, Euter (besonders der milchgebenden Nutztiere)*, es bezeichnet die Tutze, Tutsche u. s. w. vorzugsweise den Teil, der jetzt ge­ wöhnlich der Strichen genannt wird. Das Verhältnis zwischen Dutze und Tutsche ist so, daß letztere Form erst durch weniger sorgfältige Aussprache aus dem älteren Dutze, Dotze sich bildete. Dutze, Dütze, Dotze, Dötze gehen aber mit Tutte, tutta auf ein nicht mehr nachweisbares, früh ahd. tutja zurück. Je nachdem das j der Ableitung früher oder später verschwand, bewirkte es entweder die Verlängerung des t zu tt oder die Verschiebung des t zu tz} unter Umständen auch noch den Umlaut des u (o). Weil dem so ist, so kommt, je nach dem Belieben der Landschaften und unter Beobachtung der in der Mundart herrschenden Gesetze, nicht nur Tutze, Dotze, Tütze, Dötze und deren Verkleinerungsformen Tützel, Dötzel in dem Namen des Rohrkolbens zur Verwendung, sondern auch Tutte, Tüttel, Dittel, Döttel, Dettel, zumeist in Zusammen^ Setzungen mit -kolben. Die Gegenden, wo solche Namen Vor­ kommen, wolle man aus Pritzel und Jessen ersehen. Der Name Tutschatei in der mundartlichen Aussprache der Nürnberger mußte demnach in gemeinhochdeutscher Form mit Tutschenteich oder mit Dutschenteich, Dutzenteich wiedergegeben werden. Die Bedeutung: Rohrkolbenteich, Schlotfegerweiher trifft auch heute noch zu, wie jeder weiß, der einmal im Sommer oder Herbst am Dutzenteich war. Der Name ist somit rein naturbeschreibend; er regt die Einbildungs­ kraft in keiner Weise zu kühnem Fluge an; er hat nichts Selt­ sames, nichts Fremdes, er hat nur Altertümliches an sich. Der Name ist weder keltisch, noch slavischj er ist rein deutsch mit echt Nürnberger Gepräge. Teiche, Weiher, Seen, Quellsümpfe und Bäche, die von dem Schilfrohre, das üppig in dem Schlamm ihres Bodens gedeiht, ihren Namen haben, gibt es in großer Zahl. Namen wie Tüttensee (am Chiemsee), Schiatterweiher (Schladenweiher, Schlattenweiher, südl. von Eschenbach i. Obf.), Rußweiher (= Rußkolbenweiher, ebendort), Schlotteich (= Schlattenteich, bei Tirschenreut) sind häufig, selbst der Titisee im Schwarzwald hat seinen Namen von dem Schilfrohr, das früher in ihm wuchs, als er noch nicht durch Stauung so groß war. Seine

305 alten Namensformen: 12 75 Titunsee und Totensee weisen auf eine ältere Form Tutiinseo aus Tuttunseo hin. Schließlich mögen noch einige Gedanken über das Alter des Namens Dutzenteich hier eine Stelle finden. Wenn auch für diese Frage in erster Linie der Geschichtsforscher zuständig ist, so darf sie doch auch von dem Gesichtspunkt der Sprach­ geschichte aus beurteilt werden. Nach der Bedeutung des Wortes zu schließen, dürfte der Name einige Jahre nach der Anlage des Teiches entstanden sein. Höchst wahrscheinlich standen die Ausbreitung der Stadt und die Eindeichung des Langwassers im ursächlichen Zusammenhang. Von dem Augen­ blicke an, als Nürnbergs Stadtmauern sich auch südlich der Pegnitz erhoben hatten und auf dem linken Ufer des Flusses ein neuer Stadtteil entstanden war, wurde in diesem Viertel das Bedürfnis nach laufendem Wasser zum Betriebe gewisser gewerblicher Anlagen, sowie zur Aufrechthaltung eines gewissen Grades von öffentlicher Reinlichkeit immer dringender. Die Anlage eines Teiches geschah zu allen Zeiten mit der Absicht, einesteils den Wasserlauf zu regeln, andernteils ihn für allerlei Zwecke nutzbar zu machen. Diese Ziele mögen auch für die Entstehung des Dutzenteiches maßgebend gewesen sein. Die Anlage eines Weihers geschah zum Zweck der Fischzucht allein. Aus dem Namen läßt sich erkennen, daß der Dutzenteich zu einer Zeit gegraben wurde, als das Wort Weiher in der Gegend von Nürnberg noch nicht die Alleinherrschaft für die Bezeich­ nung eines stehenden Wassers hatte. Bei der Anlage des Dutzenteiches war aller Wahrscheinlichkeit nach der Gedanke an die Fischzucht nicht die Hauptsache gewesen, was bei Weiher immer der Fall war. Es ist wahrscheinlich, daß der erste Teich schon im 14., vielleicht gar schon gegen Ende des 13. Jahrhunderts entstand. Und nun noch eine und die letzte Frage. Wie sollen wir uns jetzt und die Nürnberger insbesondere der bisherigen Form des Teichnamens gegenüber verhalten? Was sollen wir tun, nachdem wir wissen, daß es sich um kein Dutzend von Teichen handelt, sondern daß hier eine volksmäßige Umdeutung vorliegt? Sollen wir weiterhin Dutzendteich schreiben und soll die heiligende Kraft der Jahre einem offenbaren Mißver20

306 ständnis zu gute kommen? Antwort: Gar nichts sollen wir tun, unterlassen sollen wir etwas, das nämlich, in der bisher gebrauchten Namensform noch weiter das zweite d zu schreiben. Damit tritt auch von selber das uralt volkstümliche und allein echte Wort Dützen wieder in seine vollen Rechte. Lehrer J. Schmidkontz-Würzburg.

Die Verschanzungen im sogen. ,, Sachs -Wald“ west­ lich von Gebersdorf bei Nürnberg — Glieder der Ostfront des befestigten Wallensteinschen Feldlagers vor Nürnberg vom Sommer 1632. Der Exerzierplatz der Standorte Nürnberg-Fürth bei Hain­ berg (auch Heimberg) umfaßt in seiner gesamten Ausdehnung geschichtlich denkwürdigen Boden des gewaltigen Wallenstein­ schen verschanzten Feldlagers vom Sommer 1632. Gut erhaltene Reste der Ostfront dieses Lagers birgt der in der Südostecke dieses Exerzierplatzes gelegene »Sachs-Wald«*), so benannt nach seinem Pflanzer, Heger und vormaligen Be­ sitzer Herrn Kommerzienrat Sachs zu Nürnberg. Erst nachdem der Wald in den Besitz des Militärärars übergegangen war — 2 3. November 1897 — wurden 4 Schneisen durchgeschlagen, 1 in nordwest-südöstlicher, 3 in nordost-südwestlicher Rich­ tung. Jede der 3 letztgenannten Schneisen traf auf eine der Wallensteinschen Halbredouten, die, unter sich durch Wall­ schüttung verbunden, in durchschnittlicher Entfernung von 30—45 Meter vom Westrand des Sachs-Waldes liegen. Ein weiteres — wenigstens stückweise — gut erhaltenes Erdwerk der Ostfront des fraglichen Lagers, die sogen. »AsbachRedoute«, wird durch den Wald 200 Meter nördlich des Wach­ hauses Hainberg geschützt. *) Fälschlich wird auch die Bezeichnung: »Sachsen-Wald« gebraucht und von einem Sturmangriff abgeleitet, den sächsisches Fußvolk am 22. Aug. 1632 gegen die jetzt bewaldete Höhe westlich von Gebersdorf durchgeführt haben soll. — Die Unrichtigkeit dieser Bezeichnung geht aus der nachfolgenden Schilderung der Angriffsversuche der Schweden gegen die fragliche Höhe klar hervor.

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Alle übrigen Schanzlinien dieser Front sind großenteils bis zur Unkenntlichkeit verfloßt und verschleift oder doch nur für das geübte Auge in schwachen Spuren verflachter und ver­ sandeter Erdbrustwehren und seichter Gräben erkennbar. Die genaue Kenntnis aller Einzelheiten des Friedländischen Feldlagers verdanken wir dem großen Plan, den die Gebrüder Hans und Paulus Trechsel im Jahre 1634 auf Befehl des Rates zu Nürnberg entworfen hatten. Der im kgl. Kreisarchiv Nürn­ berg aufbewahrte Lagerplan trägt die Aufschrift: »Wahrer geometrischer Grundriß des Legers, so der Rom. Kayserl. May. General-Feldherrn Herzog Albrecht von Fridlandt und Churfürstl. Durchl. Herzog Maximilian in Bayern, der cathol. Liga General-Feldobersten, anno 1632 den 7. Jully ein meyl von Nürnberg bei ZirndorfT geschlagen«. Eine getreue verkleinerte Nachbildung dieses Plans ent­ hält Dr. Chr. Fronmüllers Geschichte Altenbergs und der alten Veste bei Fürth, wie auch der I. Band des Werkes Gustav Adolf und sein Heer von 1631 —1635 von Franz Freih. von Soden. Auch unter Heerdegen-Barbecks kulturgeschicht­ lichen Bildern aus Nürnbergs Vergangenheit befindet sich eine Abbildung des Lagerplans auf Blatt 10 der Mappe »Nürnberg in Fehde und Krieg« zugleich mit einer Wiedergabe der »Königlich Schwedischen Läger zu Nürnberg 1632«. Im Frühjahr 1632 nahm Gustav Adolf die Operationen gegen Bayern auf, rückte aus der Gegend von Mainz über Windsheim-Nürnberg-Donauwörth an die Donau, erzwang in blutiger Schlacht bei Rain — 16. April — gegen Tilly den Übergang über den Lech und zog nach Augsburg. Kurfürst Maximilian marschierte mit seinem Heer, bei dem sich auch der zum Tod verwundete Feldmarschall Graf Tilly (f 30. April 1632) befand, nach Ingolstadt und bezog auf dem linken Donauufer — östlich der Stadt. — ein Lager. Am 29. April traf Gustav Adolf über Aichach und Schrobenhausen vor Ingolstadt ein; er beabsichtigte, wie der gleichzeitige schwedische Geschichtschreiber Chemnitz1) behauptet, Ingol­ stadt nach der Südseite durch Schanzen zu verschließen, gleich0 Bogislav Philipp Teutschland geführte Krieg.

von Chemnitz, Der königlich schwedische in I. Teil. Stettin 1648. 20*

308 zeitig aber der höchstwichtigen Stadt Regensburg sich zu bemächtigen. Am 4. Mai hob der Schwedenkönig die Belagerung Ingol­ stadts auf, weder gegen diese bayerische Festung, noch gegen Regensburg vermochte er einen Erfolg zu erzielen. Am 10. Mai zog er in Landshut an der Isar, am 17. Mai in München ein. Inzwischen hatte Kaiser Ferdinand, in seinen eigenen Erblanden bedroht, Wallenstein aufs neue in seine Dienste ge­ nommen. Nachdem letzterer mit einem neugebildeten Heer die sächsische Armee mit leichter Mühe aus Böhmen verdrängt hatte, vereinigte er sich mit dem Rest der bayerischen Armee in der Oberpfalz und zog über Tirschenreuth — Weiden — Amberg — Neumarkt gegen Nürnberg. Gustav Adolf, dessen Verbindungen mit Franken bedroht waren, sah sich dadurch zum Aufgeben seiner Offensive gegen Wien und zur Rückkehr nach Nürnberg gezwungen. Hier traf er am 9. Juni 1632 ein und ließ die Erweiterung und Verstärkung der Befestigung dieser getreuen Stadt, an deren Behauptung ihm alles lag, mit größter Energie betreiben. Wallenstein rückte am 1. Juli in Schwabach ein, am 4. Juli begannen seine Truppen, sich Nürnberg gegenüber im Raum Alte Veste — Zirndorf — Oberasbach — Stein — Neumühle — Fernabrücke (Rednitz-Übergang 1 km östlich von Altenberg) vorteil­ haft zu verschanzen. In das Feldlager einbezogen waren die Orte Zirndorf, Zirndorfermühle, Altenberg, Kreutles und Unterasbach (im Plan von 1634 nicht besonders bezeichnet). Eine zweite feste Stadt schien sich neben dem stark bewehrten Nürnberg zu erheben. In der Form eines länglichen Vierecks mit mehrfach ausund einwärts gebrochenen Linien und in einem Gesamtumfang von 2V2 Meilen (= 18 km) wurde das verschanzte Lager1) von 10 Regimentern und 9 Kompagnien in 3 Tagen soweit gefördert, daß es allenfallsigen Anstürmen schwedischer Ausfall­ truppen widerstehen konnte. Während 68 tägiger Benützung wurde das Feldlager noch wesentlich ausgebaut und verstärkt; *) Die wichtigsten verschanzten Stellungen während des 30jährigen Kriegs sind die bei Nürnberg 1632, Freiburg im Breisgau 1644 und Alerlieim im Ries (bei Nördlingen) 1645.

309 rund 65 000 Mann und 13 000 Pferde (ohne den zahlreichen Troß) lagen in ihm. Gustav Adolf verfügte — nach Zuzug aller Verstärkungen — über mindestens 70 000 Mann (einschließlich der Nürnberger Mannschaft)*, sie lagerten zum größten Teil innerhalb der verstärkten Außenwerke der Stadt unter dem Schutze sehr zahlreicher Artillerie1). Das Viereck des Wallensteinschen Gegenlagers hatte verschieden starke Fronten. Die am meisten geschützte nördliche Seite zog sich nördlich um Zirndorf herum, nahe an der Alten Veste vorbei bis zum Weinberg. Sie hatte einen Graben vor sich, dessen Lauf von Strecke zu Strecke durch geschlossene Redouten unterbrochen war*, zwischen 2 solchen Werken bestrich ein Halbmond den toten Winkel derselben. Die Brechung dieser Linie nahe der Rednitz zur Bibert hin und damit zur Ostfront des Lagers war durch 2 nahe aneinander liegende Redouten und 1 Bastion verstärkt. Zur Nordfront gehörten überdies 4 nördlich vorgelagerte Außenwerke und zwar: 1 Redoute (Sternschanze) am Abhang zwischen Alter Veste und Rednitztal, 1 redouitartiges Werk im Anschluß an die Ruine der Alten Veste, geschützt durch Waldverhaue, 1 Redoute, verstärkt mit Halbbastionen und einem Cavalier, bei den Steinbrüchen westlich der Alten Veste und schließlich 1 ein­ fache Redoute nördlich von Zirndorf, nahe am Wald. Auch diese Verschanzungen sind im Lauf der Zeit zum größten Teil durch Verschiebung und Versandung unkenntlich geworden* einzelne Strecken blieben noch gut erhalten. Die lange westliche Lagerseite hatte eine flache Ein­ biegung am Einfluß der Bibert ins Lager und eine starke EinDie Befestigungswerke Nürnbergs begannen bei Wöhrd, liefen um den »Judenbühl« bis zu St. Johannis an die Pegnitz. Über dem Wasser lag eine große bastionierte Redoute (im Grundriß der Stadt Nürnberg vom Jahre 1648 »Bärenschantz« genannt), die durch tiefen Graben mit der hohen Schanze beim »Gostenhof* verbunden war. Von Steinbühl in der Richtung Schweinau und am Wald an der Straße nach Röthenbach (bei Feucht) wurden starke Schanzen errichtet und mit vierfachen Staketen verwahrt. Ebenso versah man den Aus­ tritt der Altdorfer Straße bei Gleißhammer mit starker Schanze und Staketen. Die Pegnitzbrücke bei Doos war durch eine Sternschanze gedeckt. — In dieser ausgedehnten Linie von zusammenhängenden und selbständigen Werken sowie auf den Wällen, Türmen und Basteien Nürnbergs standen bei 300 Geschütze.

310 knickung nordwestlich von Kreutles. Gedeckt war diese Front durch 2 kleinere Redouten zu beiden Seiten der Bibert und 1 große bastionierte Redoute mit starkem Cavalier und ein­ gedecktem »Munitionskeller« auf der Höhe südlich von Unterasbach. Durch Niederhauen des Gehölzes auf dieser Höhe wurde die völlige Beherrschung des Vorfeldes und des ganzen Lagers erreicht. Die kürzere südliche Lagerfront war durch Faschinen­ wall und Palisade sowie durch eine fünfeckige halbbastionierte Redoute auf der Höhe nordwestlich von Unterweihersbuch (auch Unterbuch) gebildet. Sehr stark wurde die lange östliche Seite des Feldlagers in Anlehnung an das linke Rednitzufer gehalten. Eine Reihe von Halbredouten, Fleschen und Halbmonden zu Flanken- und Kreuzfeuer, die sämtlich in der Kehle offen lagen, und die ein­ gangs erwähnte sogen. » Asbach-Redoute « (200 Meter nördlich vom Wachhaus Hainberg) waren durch vollständige Brustwehrschüttung oder auch Palisadierung mit zahlreichen Vor- bezw. Laufgräben unter sich verbunden. Die Verschanzungen schmiegten sich ganz den Rändern und entholzten Hängen des linken Rednitz­ ufers an; gegenüber Gebersdorf waren 5 kleine Infanterieredouten zum Schutz des Westufers der Rednitz dicht am Wasser errichtet. Versuchen der Schweden, hier über den Fluß zu gehen, konnte durch Musketenfeuer aus diesen Schanzen und aus dem langen, zangenwerkartigen Laufgraben am Rand der westlichen Uferhöhe wirksamst begegnet werden. Noch weiter westlich der Rednitz lief gegenüber Gebers­ dorf die zusammenhängende befestigte Linie der eigentlichen Ostfront, welcher die eingangs erwähnten 3 Halbredouten im heutigen Sachs-Wald angehören. Diese dienten der verdeckten Aufstellung einzelner Regimentsgeschütze oder auch schwerer Geschütze- — sogen. Batteriestücke —, die niedriger und schwächer gehaltenen Zwischenwälle dagegen der Infanterie­ verteidigung. Die genaue Lage sowie die Form, Bauart und derzeitigen Ausmaße der Sachs-Waldverschanzungen veranschaulichen die Skizzen 1 und 2 der Tafel II.

311 Die Anlage der »Halbredoutenwälle« beträgt im Profil heute durchschnittlich $ Meter bei einer Höhe von 1,35—1,55 Meter, die >Zwischenwälle« haben im Profil dagegen nur 5Va Meter Anlage bei einer Höhe von durchschnittlich 1 Meter. Die Wälle haben sich in der langen Zeit ihres Bestehens gesenkt, die Vorgräben büßten an Tiefe und Breite ein, so daß sie gegenwärtig nur als flache Einsenkungen von durchschnittlich 1,50 Meter messender oberer Grabenbreite in Erscheinung treten. Spuren eines Auftrittes hinter der Brustwehr sind nicht erkennt­ lich. Die hauptsächlich innerhalb der Halbredouten I und II noch vorhandenen tiefen Gruben beiderseits der gegen 6 Meter breiten Geschützbettungen sind allem Anschein nach Reste von überworfenen Deckungsgruben für die Geschützbedienung, wohl auch für Geschützzubehör und Munitionsvorrat. Skizze 3 der Tafel II veranschaulicht die nach alten Vor­ bildern wiederhergestellte Innenansicht der einstückigen Halbredoute II am mittleren Durchhau des Sachs-Waldes für Feuer über Bank, d. i. frei über die Brustwehr weg, ohne Anwendung von Scharten1). Der Vorteil größeren Schußfeldes, besserer Beherrschung des Vorgeländes war damit verbunden. Die da­ mals üblichen Schanzkörbe schützten die Mannschaft während der Stückbedienung. Faschinen, Flechtwerk, fichtene Rahmen und Dielen, Sturmpfähle, Staketen; spanische Reiter waren beim Bau der Verschanzungen zudem in Anwendung gekommen. Ein Vergleich der Skizzen 1 und 2 der Tafel I macht klar, daß die Vermessungen vom Jahre 1634 zur Fertigung eines zutreffenden Plans des denkwürdigen Feldlagers geführt hatten. Der Ausschnitt aus der Verkleinerung dieses Plans (Tafel I, Skizze 2) läßt sowohl die ursprünglich völlig freie Lage und das unbehinderte Schußfeld der 3 Halbredouten im heutigen Sachs-Wald als auch die ehemalige Einmündung des Kreuz- oder Asbachs in die Rednitz südlich der Neumühle deutlich erkennen. Durch Einbiegung der Lagerlinie gegenüber Neumühle unter Anlehnung an das rechte Asbachufer entstand das J) Zahlreiche gleichzeitige Kupferstiche veranschaulichen die Schlachten und Belagerungen des 30 jährigen Kriegs und stellen Batteriestücke in Schanzen stets geschützt durch Schanzkörbe und im Feuer frei über die Brustwehr dar.

312 in den Skizzen der Tafel I mit Zahl IV bezw. 24 (IV) be zeichnete Werk in Form von Halbbastionen. Bis heute »Wallen­ steinschanze« benannt, wurde es erst bei Anlage des Exerzier­ platzes Hainberg eingeebnet, so daß es nur noch in ganz schwachen Spuren auf der hochgelegenen Fläche unmittelbar nordwestlich des Sachs-Walds zu erkennen ist. Wall und Graben dieses Werks schlossen an die bis heute in ihrer nördlichen Hälfte noch gut erhaltene schon erwähnte »Asbach-Redoute« an, welche die Wallenstein-Schanze stützte und den tiefen Grund des Kreuz- oder Asbachs sperrte und beherrschte. Von der Asbachredoute weg lief die östliche Lagerfront in vielen Zickzacks, dem Höhenrand des linken Rednitzufers angepaßt, quer über die Straße Altenberg-Nürnberg und weiter zur Nordfront, wie aus schwachen Spuren noch zu ersehen ist. Die am Bibertzufluß zur Rednitz vorzüglich einwärts gehenden Linien waren — wie die Strecke bei 46 in Skizze 2 der Tafel I — nur aus Holz hergestellt und nicht weiter ausgebaut Der sogen. »Fernabrücke«, die die Verbindung zwischen Altenberg und Kleinreuth-Sündersbühl herstellt, hatte man sich durch eine unterhalb derselben angelegte Infanterieredoute versichert. Die Truppenverteilung war folgende: das Hauptquartier des Kurfürsten Maximilian von Bayern befand sich in Altenberg, später in einem jetzt nicht mehr vorhandenen Gehölz zwischen Altenberg und der Bibert. Im Raum Altenberg — Zirndorf — Alte Veste lagen die bayerischen Truppen, im Biberttal 10000 Kroaten unter General Isolani, bei Zirndorf das Beckersche Regiment. Den größeren Teil des Lagers zwischen Alten­ berg und Stein nahmen die Truppen Wallensteins ein, dessen Quartier — eine Bretterbaracke — nahe nördlich der obener­ wähnten fünfeckigen Redoute der Südfront aufgeschlagen war. Die bayerische Reiterei lagerte südöstlich von Zirndorf, die übrige deutsche Kavallerie auf den Asbachwiesen. General Graf Aldringers Zelte standen nächst Kreutles. Die Infanterie war in Zelten, die Kavallerie, vom Fußvolk umschlossen, in Baracken1) untergebracht* letztere lagen so, M Leichte Lagerhütten mit Flugdächern aus Zelttuch, Flechtwerk oder Stroh auf Pfosten.

Ausschnitt aus dem detaillierten Plan des Wallensteinischerv Lagers bei Zirndorf -Sommer 163Z-

Station UnterasbacR ERLÄUTERUNGEN ZUR EXERZIERPLATZ-SKIZZE. Zu l. II. III.: Bis heute erhalten gebliebene Wallensteinische Halbredouten, (N II. am mittleren Durchhau des sogen. SachsWaldes). II. ebenso wie die Halb­ redouten I. und III. im Sachs-Wald für l Geschütz (*StÜck) Raum bietend.

Zu IV.; Sogen,Wallenstein-Schanze“ *•« — eingeebnet —, \ nur ganz schwache # ^ IVA»* Spuren noch er­ kennbar. Zu V.: Bis heute stückweise gut erhalten gebliebene so­ genannte „Asbach-Redoute“.

ERLÄUTERUNGEN ZUM LAGERPLAN

Zu VI. u. VII.; Schwache Spuren der Ver­ schanzungen der Ostfront viA^'i des Wallensteinschen be_ festigten Lagers vom Sommer 1632. VII. Laufgrabenspuren. Zu VIII.: Schwache Spuren der kleinen Wallensteinschen InfanterieRedouten im Rednitzgrunde. März 1904.

\S

Slxt, Rittmeister.

4) Zelte der hohen Offiziere des Herzogs von Friedland. 17) u. 21) Hier ist viel Holz gestanden und von den Wallensteinischen Truppen abgehauen worden. 18) Langer Laufgraben. 19) Etliche Redouten, da die Wallen­ steinischen Wacht gehalten. 22) Hie pflanzt Gustav Adolf etliche Stück auf —■hat stark Feuer gegen die Munitionswagen gegeben —

23) 24) 25) 27)

(aufgenommen Anno 1634). (16) die Munitionswagen wurden dann hinter den ,,Alten Berg“ ver­ legt. Hier durch die Mauerlöcher hatte der König stark Feuer auf den Feind gegeben. Diesem Werk hat Gustav Adolf mit Schiefsen stark zugesetzt. Laufgraben der Schweden. Des Königs von Schweden vor­ nehmste Batterien.

29) 30) 31) 37) 46)

Eine tiefe Höhle. Wasserquell. Tiefer Hohlweg. Altringers Quartier. Hier wurde mit Holz Fortification gebaut. 48) Diese Batterie mufsten die Wallen­ steinischen vor starkem Feuer verlassen. 49) Die Fernabrücken. Lirtv&r Druck von

E.fliaAer,

Nürnberg.

SKIZZE

DER

WAU.ENSTEINSCNEN VERSCHANZUNGEN im

soew.„SACHS'WALD"

bei GEBERSDORF IDO

73

SO

29

(Nürnberg.)

Maassstab: L'5000.

ERLÄUTERUNGEN: HL- VERSCHANZUNG JSL-am nörd/fchen Durchhau-ffalb-Redou/e fürlStück(Geschü/2)

IrVERSCHANZUNGI. -am mittleren Durchhau-ffa/b-Redou/e für I Stück{Geschütz.) Z. W. Z WISCH EN-WALL - fürJnfanterieVerfeidigung.

I.- VERSCHANZU NGI.- am südlichen Durchhau-Halb-Redoute für/Stück( Geschütz.,}

Siocf R/Umeisfer.

Noch Aufnahme im Gelände vom März1904-.

TAFELIrSKIZZE *. 2.

GRUNDRISSEund DURCHSCHNITTE zu den WALLENSTEINSCHEN SACHS*WALD bei GEBERSDORF.

VERSCHANZUMGEN

im

/■.DURCHSCHNITTE tu SIEBENFACHER VERGRÖSSERUNG DER GRUNDRISSE../ /:JETZIGE AUSMASSE:t mel\

DURCHSCHNITT: | f HALB-REDOUTE M FÜR 1 STÜCK (GESCHÜTZ.)

G-H

HALB-REDOUTE I FÜR 1 STÜCK \ (GESCHÜTZ)

ZWISCHEN ■ WALL Z. W. ZWISCHEN DEN HALB-REDOUTEN I-E

TAFEL: 1T-SKIZZE:3.

WIEDERHERGESTELLTE INNEN-ANSICHT der EINSTÜCKIGEN

HALB* REDOUTEII AM MITTLEREN

DURCHHAU DES

SACHS-WALDES" bei

GEBERSDORF

EnTW0RFEN:5IXT, Rittmsfr. NÜRNBERG: MÄRZ1904-. Lilh.fc Druck von E.Nisfr, Nürnberg.

313 daß die Reiter^ bequem zum Wasser (Bibert und Asbach) gelangen konnten. Artillerie- und Munitionsparks standen bei Altenberg und Unterasbach, der Munitionshauptpark (=■ Munitionsreserve) be­ fand sich anfänglich im Grund westlich des heutigen SachsWalds, wurde aber später, als das Feuer der schwedischen Batterien nächst Gebersdorf sich sehr unangenehm fühlbar gemacht hatte, gleichfalls in die Gegend von Altenberg verlegt. Ein großes Feldspital war in der Südwestecke des Lagers errichtet*, Ruhr und Typhus forderten zahlreiche Opfer. Auch unter den Pferden brachen Seuchen aus; sie fielen zu hunderten, namentlich bei der starken Julihitze, und wurden dicht am Asbach verscharrt. Zur Aufrechterhaltung der Mannszucht war das Lager reich­ lich mit Galgen und Rad versehen. Die Wallensteinschen Vorposten standen längs des linken Rednitzufers, die schwedischen auf dem gegenüberliegenden Ufer in der Linie Stein-Fürth. Letztere hatten durch ungestüme Überfälle seitens der gefürchteten Kroaten sehr zu leiden. Die rückwärtigen Verbindungen der im Feldlager vereinigten Armee liefen über Regensburg nach Wien; vorzugsweise auf dieser Linie erfolgte die Zufuhr der massenhaft benötigten Lebensmittel. In kürzester Zeit war ja die Umgegend Nürn­ bergs meilenweit durch zahllose kaiserliche und schwedische Beitreibungstrupps völlig ausgesogen und ausgeplündert. Munition wurde aus Ingolstadt zugeführt. Die benachbarten festen Plätze Rothenburg ob der Tauber, Forchheim, Wilzburg (bei Weißenburg in Bayern) waren von kaiserlichen und bayerischen Truppen besetzt, ebenso Regensburg und der wichtige »Proviantplatz« (Magazinsort) Freystadt in der Oberpfalz, gegen den der schwedische Dragoneroberst Tupadel mit 3 Regimentern eine erfolgreiche Unternehmung durchführte1). x) Es gelang Tupadel am 30. Juli die völlige Überrumpelung der 500 Mann starken Besatzung von Freystadt, die Wegführung reicher Vorräte auf 200 Wagen und großer V iehherden (bei 1000 .Stück) nach Nürnberg, schließlich das Inbrandstecken der beträchtlichen Magazine. Der Versuch der Kaiserlichen, dem Feind die Beute wieder abzujagen, scheiterte vollständig am raschen persönlichen Eingreifen Gustav Adolfs mit 2000 Reitern und 500 Musketieren in das sehr hartnäckige Gefecht zwischen Wendelstein und Burgthann am 1. August.

314 Der Schwedenkönig hatte zuerst geplant, die noch im An­ marsch befindlichen ansehnlichen Verstärkungen zwischen Ans­ bach und Lichtenau zum Vorgehen gegen die schwächere West­ front des Lagers Wallensteins zu vereinen, den Feind aus den Verschanzungen zu locken, dann auf freiem Feld zu schlagen oder auch durch gleichzeitigen Angriff auf die westliche und östliche Lagerseite in zwei Feuer zu bringen. Dieser Plan wurde jedoch durch unerwartet schnelle Übergabe der nürnbergischen Feste Lichtenau1) vereitelt. Wallensteins Gründe, warum er den König von Schweden trotz anfänglicher Überlegenheit nicht angriff, sagt Clausewitz, liegen offenbar in der Zweideutigkeit seines Eifers für die Sache des Kaisers. Er rechnete darauf, Gustav Adolf durch Detachements seiner zahlreichen Kavallerie so sehr vom flachen Land abzuschneiden, daß er schlechterdings aus den Vorräten der Stadt leben müßte, dann würde der Hunger, meinte er, den König biegsamer, zur Unterhandlung geneigter machen und endlich zur Räumung der starken Stellung Nürnberg-Fürth zwingen. Nach dem ersehnten Eintreffen der bedeutenden Verstär­ kungen2) aus der Gegend von . Windsheim über Bruck (bei Eine Wiedergabe des Kupferstichs »Abris der herrlichen Victori welche Ihre Kön. May. zu Schweden bey Eroberung Fr-eustadt den i. Augusti dieses laufenden 1032. Jahrs erlanget« enthält Heerdegen-Barbecks »Alt-Nürnberg«, Mappe: Nürnberg in Fehde und Krieg, Blatt 8, No. 1. b Das feste Schloß Lichtenau — seit 1406 im Besitz Nürnbergs — war nach Schleifung durch Markgraf Albrecht Alcibiades (Mai 1552) in den Jahren 1558 und 1630 neu erbaut worden. Die Feste schützten seit 1630 zwei durch die fränkische Rezat gespeiste Wassergräben und ein hoher gewölbter bastionierter Wall mit 5 Basteien und 3 Cavalieren. Pfleger und Komman­ dant wohnten im massiven Schloßbau. In der Feste war für 150 Mann und 100 Pferde Raum vorhanden. »Das wohl befestigte Lichtenauer Schloß wurde gleichwohl Ao. 1632 — 7. August — durch die Kayserischen rfiit Accord erobert«, wie Merians Topographia Franconiae berichtet. Dieses wertvolle Buch enthält eine getreue Abbildung mit der Aufschrift: »Eigentlicher Abris Der Vöstung Lichtenau sampt dem Marekt und Gelegenheit«. Nach Abzug des Pflegers Georg Scheurl und des Kommandanten mit 50 nürnbergischen Soldaten wurde Lichtenau von den Kaiserlichen besetzt und am 20. Septbr. 1632 mit 12 bayerischen Kartaunen, Falkaunen und Falkonetts neu bestückt. Der kaiserliche Kommandant Strasoldo ließ den Marktflecken Lichtenau nach Verbringung aller Viktualien ins Schloß teils abbrechen, teils niederbrennen (nach Chemnitz, Schwedischer Krieg). 2) Am 15. August vereinigten sich die Herzoge Bernhard und Wilhelm von Weimar, der schwedische Reichskanzler Oxenstjerna, General Baner (Banner), der Landgraf Wilhelm von Hessen und kursächsische Truppen in der Stärke

315



Erlangen) in Fürth, Groß- und Kleinreuth (bei Schweinau) rückte Gustav Adolf auch mit den Besatzungen der Nürnberger Außenwerke in eine Stellung zwischen Großreuth und Gebers­ dorf zur Bedrohung des feindlichen Lagers, »welches der Feind alles wohl sehen konnte, begehrte aber ganz nichts zu tentieren, sondern blieb in seinem Vorteil wie ein Fuchs im Loch liegen«, wie die »Nürnberger Kriegs-Chronica« sagt. Wallenstein ließ auf die Meldung vom Eintreffen der schwedischen Unterstützungen hin unverzüglich die Nord- und Ostfrontverschanzungen seiner Lagerstellung mit allen Mitteln verstärken. Dies wurde ungestört vom Feind einesteils durch vollständigen Ausbau der vorhandenen Wälle, Vertiefung der Vorgräben und Vermehrung der Annäherungshindernisse, anderen­ teils durch Errichtung neuer verschanzter Batterien erreicht. In der Nacht vom 21./22. August ließ Gustav Adolf auf der Höhe nordöstlich von Gebersdorf 2 Batterien — bestückt mit 16 halben Kartaunen — und auf der Höhe südlich dieses Ortes 1 Batterie mit 8 schweren Stücken errichten und aus ihnen die Ostfront des Friedländischen Feldlagers kräftig beschießen. Schwedische Musketiere hatten Gebersdoff zur Verteidigung eingerichtet und unterhielten aus den Schießlöchern der West­ randmauern lebhaftes Gewehrfeuer1) auf die Kaiserlichen. Unter­ dessen rückte Fußvolk bis an die Rednitz vor, von wo es die Schanzen und Laufgräben des Feindes beschoß. Kräftigst erwiderten die Kaiserlichen das Feuer sowohl aus den kleinen Infanterie-Redouten auf eine Entfernung von 300—350x, als aus den überhöhenden Laufgräben und einvon 36 ooö Mann mit 60 Geschützen und 4000 Gepäckwagen bei Winds­ heini an der Aisch. J) Die ältere, auf Gabel gestützte, bis zu 17 Pfd. schwere Muskete schoß auf 300 — 400X. Die von Gustav Adolf im Jahre 1624 eingeführten sorgfältig hergestellten Musketen für 2x[t lötige Kugeln waren nur 10—12 Pfd. schwer, hatten teils Radschlösser, größtenteils aber Luntenschlösser und -machten die Gabel entbehrlich. Das Kugelkaliber betrug 17 mm, die Schußweite 300X (Fleckschuß auf Brust der Radschloßmuskete auf 200 X). — Überdies wurden Papierpatronen und Patrontaschen aus Leder für je 20 Schüsse gebraucht. Infolge hievon war der Musketier sehr marsch- und manövrierfähig geworden; er besaß eine Feuerwaffe, welche gute Treffsicherheit und Wirkung mit Handsamkeit und Feuergeschwindigkeit verband. Das Verhältnis der Musketiere zu den Pikenieren stellte sich bei den Schweden anfangs auf 4 : 3, später auf 3:1; das Verschwinden der Pikeniere (mit Langspieß bewaffnete Fußmannscbaft) war hiemit angebahnt.

316 stückigen Halbredouten gegenüber Gebersdorf auf eine Entfer­ nung von 350—1200x. Das heftige Feuer der schwedischen Batterien auf 1000— 1400x hatte gute Wirkung; — »den ganzen Tag über gingen allzeit 8 Stück zugleich mit einander los«, berichtet die »KriegsChronika« — ; es wurden also »Batteriesalven« angewendet. Wallenstein sah sich genötigt, die besonders gefährdeten Infanterieregimenter am Ostrand des Lagers und den Munitionshaupt­ park im Wiesengrund westlich des heutigen Sachs-Walds gegen Altenberg und die Alte Veste zu verlegen. Namentlich auch dem in den Skizzen der Tafel I mit den Zahlen IV bezw. 24 (IV) bezeichneten Werk, der sogen. »Wallensteinschanze«, wurde durch die schwere Artillerie1) Gustav Adolfs, »mit scharfem Schießen« hart zugesetzt. Trotz dieser Erfolge mußte der König von der weiteren Durchführung des Angriffs auf die starke Ostfront des Lagers Abstand nehmen. Alle Versuche der Schweden, die Feldschanzen der Kaiserlichen im Rednitztal bei Gebersdorf und Neumühle zu erobern und die gut geschützten zahlreichen Wallensteinschen Stücke auf den Otetfronthöhen niederzukämpfen, scheiterten. Es gelang Gustav Adolf nicht, den Gegner durch die Beschießung aus seinen Verschanzungen zu locken. So bewährten sich auch J) Die Kaliber des schweren und leichten Geschützes waren bereits abgeklärt. Gustav Adolf hatte auch eine wirksame und bewegliche Feldartillerie ins Leben gerufen. Er ließ neue Feldstücke, sogen. »Regimentsstücke«, herstellen, wies ihnen als Hauptgeschoß die Kartätsche zu und verteilte diese Kartätschgeschütze zu je 2 auf seine Infanterieregimenter. Das zweispännige Vierpfündergeschütz wurde von Musketieren bedient und schoß mit der Kugel auf 8oo -ioooX. Die Munitionsausrüstung bestand teils aus Vollkugeln, haupt­ sächlich aber aus Kartätschen. Geschoß und Ladung waren vereinigt; gerichtet wurde mittelst Richtschraube. Damit war eine solche Schußbereitschaft und Feuergeschwindigkeit erreicht, daß die Feldgeschütze 3 Schüsse abgeben konnten, ehe der Musketier einmal schußfertig war. So sind die wesentlichsten Umgestaltungen auf dem Gebiet des Kriegswesen im 17. Jahrhundert an den Namen Gustav Adolfs geknüpft. Die schwere (Positions-) Artillerie erfuhr dadurch erhebliche Erleichterung, daß Gustav Adolf die 25spännigen 25 Pfünderkartaunen gänzlich ausschied und nunmehr 8-, höchstens I2spännige Positionsgeschütze ins Feld mitnahm. Letztere standen in der Regel in Batterien zu 3, 6 oder 8 Geschützen vereint und hießen »Batteriestücke«. — 1 — 6Pfünder-Kartaunen, Schlangen, Kammerund Hakenbüchsen fanden vorzugsweise als Feldgeschütze, die schweren 8 — 48Pfünder (mit Schußweite bis zu 1400X) als Belagerungs- und Positions-Geschütze Verwendung.

317 die mit vorzüglichem Schußfeld ausgestatteten Geschützhalbredouten auf der heutigen Sachs-Waldhöhe vollständig. Statt nun die Rednitz bei Stein zu überschreiten und von Unterweihersbuch (Unterbuch) aus den schwächsten Teil des Friedländischen Lagers, dessen Südfront, anzugreifen, ging Gustav Adolf oberhalb Fürth über die Rednitz zu entscheidendem Stoß gegen die so stark bewehrte nördliche Lagerfront. Zehnstündiger, überaus blutiger Kampf tobte am 24* August um die Alte Veste, die Zirndorfer Höhe und den Weinberg, alle wilden und tapferen Anstürme der Schweden zerschellten1). Noch 14 Tage standen sich die beiden Heere untätig gegenüber, keines wollte weichen, aber Hunger und Krankheit zwang sie endlich, aus ihren Lagern abzurücken2). Erst bei Lützen am 16. November fiel die durch Gustav Adolfs Tod teuer erkaufte Entscheidung zu Gunsten der Schweden. Die Schilderung des denkwürdigen Ansturms der Truppen Gustav Adolfs und des späteren Abzugs der Schweden und Kaiserlichen liegt nicht mehr im Rahmen gegenwärtiger Ab­ handlung. Diese will die Aufmerksamkeit der Geschichtsfreunde hauptsächlich auf die Reste der Ostfront der wichtigen verschanzten Stellung Wallensteins vor Nürnberg vom Sommer 1632 lenken. Möchte die Arbeit aber auch zu Forschungen nach den Über­ bleibseln der anderen Lagerfronten Anregung und Anhalts­ punkte bieten 1 Großer Dank gebührt dem k. Generalkommando des III. Armeekorps und dem k. Garnisonkommando Nürnberg für die besondere Fürsorge, die sie der Erhaltung und dem Schutz der im Bereiche des Exerzierplatzes Hainberg liegenden Schanzreste zuwenden. *) Heerdegen-Barbecks »Alt-Nürnberg«, Mappe »Nürnberg in Fehde und Krieg« enthält auf Blatt 8 den »Abris des harten Treffens, welches am alten Berg unfern von Nürnberg zwischen der kgl. Schwedischen und dann der Friedländischen und Bayer. Armeen den 24. Augusti 1632 vorgangen«. 2) Merian schreibt in seiner Topographia vom Jahre 1648: »Was schließlichen die Stadt Nürnberg erst vor wenig Jahren, nehmblichen Anno 1632, außgestanden, da drey starke Kriegsheer biß in den vierdten Monat vor der Stadt gelegen, und wie hefftig endlich an S. Bartolomaei Tag (den 24. Augusti) das Friedländiscbe Lager in ihrem starken Vorteil auff dem Altenberg von der Königlichen Schwedischen Armee angefallen worden ist, daß ist Reichskündig . ♦ .«

318

Benutzte Quellen: 1. Trechsel, Hans und Paulus, Wahrer geometrischer Grundriß des Legers etc. vor Nürnberg vom 7. July 1632, entworfen anno 1634 auf Befehl des Rates der Stadt Nürnberg. K. Kreisarchiv zu Nürnberg. 2. Merian, Math., Topographia Franconiae. Frankfurt 1648. 3. v. Cläusewitz, Hinterlassene Werke über Krieg und Krieg­ führung. IX. (enthält strategische Beleuchtung der Feldzüge Gustav Adolfs). Berlin 1832 — 37. 4. Gfrörer, A. F., Gustav Adolf, König von Schweden und seine Zeit. Stuttgart 1845. 5. Heilmann, J., Kriegswesen der Kaiserlichen und Schweden während des 30 jährigen Kriegs. Leipzig, Meißen 1850. 6. C. du Jarrys, Der 30 jährige Krieg vom militärischen Stand­ punkt aus beleuchtet. Schaffhausen. 1848 - 52. 7. Fronmüller, Dr. Chr., Geschichte des Altenbergs und der alten Veste bei Fürth. Mit 1 Plan des Wallensteinschen Feldlagers nach Trechsel. Fürth 1860. 8. Soden, Franz Freih. v., Gustav Adolf und sein Heer in Süd­ deutschland von 1631—1635. Erlangen 1865—69. I. Bd. Mit 1 Plan des Wallensteinschen Feldlagers nach Fronmüller — Trechsel. 9. Janko, Wilh. Edl. von, Wallenstein. Wien 1867. 10. Heil mann, J., Kriegsgeschichte von Bayern, Franken, Pfalz und Schwaben von 1586—1651. München 1868. 11. Demmin, Aug., Waffenkunde. Leipzig 1869. 12. Becker, Heerwesen und Soldatenwesen der Deutschen zur Zeit des 30jährigen Kriegs. Karlsruhe 1875. 13. Millauer, Rob., Über die Entwicklung und den Gebrauch der Feuerwaffen. München 1884 (Jahrbuch der Militärischen Gesell­ schaft München). 14. Niemann, Militär-Handlexikon. Stuttgart 1881. 15. Gindely, Ant., Geschichte des 30jährigen Kriegs. Leipzig 1882. 16. Stein, Dr. Friedr., Fränkische Geschichte. Schweinfurt 1885. 17. He erd egen-Barbeck, Alt Nürnberg. Kulturgeschichtliche Bilder aus Nürnbergs Vergangenheit. Nürnberg in Fehde und Krieg. Nürnberg 1895.

Friedrich Sixt, Major b. St. d. k. I. Chevaul.-Rgts.

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Die älteste Stadtbefestigung Nürnbergs. Entgegnung auf die Angriffe Dr. Siegfried Rietschels, o. ö. Professors an der Universität Tübingen. In seinem 1905 erschienenen Buche: Das Burggrafenamt und die hohe Gerichtsbarkeit in den deutschen Bischofsstädten während des früheren Mittelalters. Leipzig, Verlag von Veit & Comp, stellt Siegfried Rietschel bezüglich des Alters der Nürnberger Stadtummauerung und ihres örtlichen Beginns Behauptungen auf, die mit der seitherigen Meinung in schroffstem Widerspruch stehen. Da er in seinen Ausführungen auch wieder­ holt auf mich Bezug nimmt und mir zum Teil in der schärfsten Weise entgegentritt, so muß ich mich veranlaßt sehen, auf seine Aufstel­ lungen hier des näheren einzugehen. Zusammenfassend trägt er seine neue Meinung auf S. 120 folgendermaßen vor: »So komme ich zu dem der bisherigen Lehrmeinung widersprechenden, aber meines Erachtens völlig zweifellosen Resultate, daß die älteste ummauerte Stadt Nürnberg die Marktansiedlung am linken Pegnitzufer ist*, der rechts des Flusses gelegene Stadtteil um St. Sebald ist erst später, vermutlich erst bei Gelegenheit des großen Mauerbaus am Ende des 13. Jahrhunderts in die Um­ mauerung einbezogen worden. Die erste Ummauerung der Lorenzerstadt mag in der zweiten Hälfte des 12. oder in den ersten Jahren des 13. Jahrhunderts erfolgt sein; sie früher an­ zusetzen, liegt nicht der geringste Grund vor. So viel steht sicher: vor dem 12. Jahrhundert hat es in diesem bayerisch­ fränkischen Grenzgebiet keine ummauerten Städte gegeben«. Im Sprachgebiet des bayrischen Stammes aber gibt es nach Rietschel überhaupt nur eine civitas, »die seit der Römern zeit ununterbrochen ummauerte Stadt gewesen und bis ins 12. Jahrhundert die einzige ummauerte Stadt geblieben ist, nämlich Regensburg.«1) Noch aus der Römerzeit bestand hier aller­ dings bis ins 10. Jahrhundert eine Mauer, welche die Stadt einschloß.2) Eine neue Befestigung aber erhielt Regensburg, nachdem es von König Konrad wahrscheinlich 916 erobert und *) Rietschel, a. a. O., S. 83. 2) Siegf. Hirsch, Jahrbücher des deutschen Reichs unter Heinrich II, S. 22.

320 zerstört worden war.1) Diese Tatsache wäre doch wohl einer Erwähnung mit ein paar Worten wert gewesen. Es ist doch höchst bemerkenswert und für die Geschichte der Befestigung der Städte bedeutungsvoll, daß Regensburg schon im ersten Viertel des 10. Jahrhunderts eine neue und zwar weitere Um­ mauerung erhielt, während alle übrigen Städte in Bayern und im bayrisch-fränkischen Grenzgebiet dieses wichtigen und not­ wendigen Schutzes erst im 12. Jahrhundert oder später teilhaftig geworden sein sollen. Die neue Befestigung, welche Herzog Arnulf nach dem Abzüge des Königs aufgerichtet hatte, umschloß St. Emmeram und die Neustadt. Sie war so stark, daß sie in den Jahren 953 bis 955 vier schweren Belagerungen trotzen konnte.2) Daß Regensburg eine im weiteren Umfange befestigte Stadt war, geht auch aus der Urkunde König Heinrichs II. für das Obere Münster vom 12. November 10213) hervor, wo von der mittägigen Stadtmauer vom Ostertor bis zum Emmeramtor die Rede ist. Aber Regensburg war nicht die einzige Stadt, die in dieser frühen Zeit eine Ummauerung erhielt. Früher schon, in den Jahren 908 und 9184), erhielten die Bischöfe Erchambald und Udalfried von Eichstätt von König Ludwig dem Kind und Konrad I. auf ihre Bitten, einen Markt, eine Münze und einen Zoll, wie es in sonstigen Marktorten gebräuchlich, zu errichten und Befestigungen gegen die Anstürme der Heiden [Ungarn] J) Hirsch, a. a. O., S. 24—26. Mon. Germ. Hist. SS. XVII, pag. 570: Fragmentum de Arnulfo duce und dazu die Anmerkung Jafes. — a) Siegf. Hirsch, a. a. O., S. 26. 8) Urkunde abgedruckt in den Beiträgen zur Geschichte Heinrichs des Heiligen von Roman Zirngibl in den Histor. Abhandlungen der kgl. bayer. Akad. der Wissensch. 1807, S. 417, bei Ried, Cod. chronol. diplom. Ratisbon., S. 138, Nr. 146 und Mon. Boic. 28 II, Nr. 307. Hirsch, a. a. O., S. 25. Ernst Dümmler, Über die südöstlichen Marken des fränkischen Reiches unter den Karolingern (795 — 907). Sonderabdruck aus dem X. Bd. des Archivs für Kunde österr. Geschichtsquellen S. 73. Auch sie nehmen, wie es natürlich ist, die Befestigung der Stadt Eichstätt an. Urkunde abgedruckt Mon. Boic. XXXI 1, Nr. 90 vom 5. Februar 908 und die Bestätigung König Konrads in M. G. H., Dipl. I, Nr. 36 vom 9. Sept 918. Die Bischöfe erbitten die licentiam publice negotiationis mercatum constituere et monetam efficere theleonumque, sicuti in ceteris mercationum locis mos est, exigere et in suo episcopatu aliquas munitiones et firmitates contra paganorum incursus moliri. König Ludwig wie Konrad gestatten dem Bischof in antedicto loco juxta suam petitionem ac ceterorum fidelium nostrorum mercatum et monetam habere urbemque construere.

321 anzulegen, die Erlaubnis, an dem bezeichneten Orte ihrer Bitte gemäß Markt und Münze zu haben und eine urbs zu erbauen. Nach der ganzen Fassung der Urkunde wird man zu der An­ nahme kommen müssen, Bischof Erchambald habe die königliche Erlaubnis zur Befestigung für den Ort und nicht bloß für die Residenz Eichstätt erwirkt, da in der Urkunde auch vom Markt die Rede ist, der des besonderen Schutzes bedurfte. Aber das ist nach Rietschel eine irrige Annahme. Nicht die spätere Stadt Eichstätt kann nach ihm gemeint sein, »sondern die be­ festigte bischöfliche Residenz. Sie ist es und schwerlich«, fährt er fort, »die spätere Stadt Eichstätt, die vom Herriedener Anonymus als urbs und von einer Königsurkunde als civitas bezeichnet wird. Von der ummauerten Stadt Eich­ stätt ist sicher erst 1180 die Rede* bei der minimalen Bedeu­ tung des Ortes dürfen wir kaum annehmen, daß der Bau der Stadtmauer sehr viel weiter zurückreicht.« Ausdrücke wie »schwerlich die Stadt Eichstätt«, es ist »sicher erst 1180 von der ummauerten Stadt die Rede«, »wir dürfen kaum annehmen« lassen deutlich erkennen, daß Rietschel sich ausschließlich auf dem Felde der Vermutung bewegt und der Durchschlagskraft seines Beweises nicht sicher ist. Es muß doch auffallen, daß in der Urkunde in einem Atem die Rede ist vom Markt-, Zoll-, Münz- und Befestigungsrecht, das der König verleiht. Markt, Münze und Zoll erhält der Bischof zudem ausdrücklich nach demselben Rechte, wie es an anderen Marktplätzen her­ kömmlich ist. Es mußte doch dem Bischof daran gelegen sein, nicht bloß seine Residenz gegen die Einfälle der Ungarn zu schützen, sondern auch den Markt, der ihm verliehen worden war, und der demnach auch Örtlich bestehen mußte, da ohne dies die Verleihung des Marktrechtes nach Analogie der nach der Urkunde schon anderweitig bestehenden Marktrechte keinen rechten Sinn gehabt hätte. Es darf daher wohl mit demselben Rechte, das Rietschel für seine Vermutungen in An­ spruch nimmt, wie es seither geschah, angenommen werden, daß jene munitiones et firmitates contra paganorum incursus auch den von den Marktbewohnern eingenommenen Platz umschlossen haben. Es ließ sich eine derartige Befestigung, die auch den Bürgern und nicht bloß der Residenz zu gute kam, um so eher 21

322 anlegen, als der Ort selbst ja noch nicht allzu ausgedehnt sein konnte. Man sollte glauben dürfen, daß, wenn Regensburg schon aus der Römerzeit seine Befestigung hatte, wie auch andere Römerstädte, und wenn es diese Befestigung im 10. Jahr­ hundert erneuerte und zwar in viel weiterem Umfange ausführte, dann auch andere Städte, wie hier Eichstätt, einem solchen Beispiele nachkommen konnten. Das Beispiel von Regensburg mußte auch für weitere Städte von Bedeutung werden, mußte für die spätere Zeit des Mittelalters, als die Städte an Zahl und Umfang immerfort wuchsen, zur Nachahmung anspornen. Schon aus dieser allgemeinen Erwägung heraus kann man nicht annehmen, daß Nürnberg und insbesondere die ältere Stadt St. Sebald bis in das 13. Jahrhundert ein unbefestigter Marktflecken, ein Konglomerat von massenhaften Häusern und Gebäuden ohne den geringsten Mauerschutz geblieben sei. Allerdings ist Rietschel der Ansicht, daß tatsächlich die spärlichen gleichzeitigen Quellennachrichten, die Nürnbergs gedenken, darauf schließen lassen, daß die später so mächtige Handels­ stadt damals fast bedeutungslos war. Auf diese Behauptung muß zunächst etwas näher eingegangen werden. Ich kann hier nicht die ganze Entwicklungsgeschichte Nürnbergs bis zum Beginn des 13. Jahrhunderts des näheren vorführen. Das ist auch gar nicht erforderlich, und es werden schon einige wenige Andeutungen klarlegen, daß die Behauptung, Nürnberg wäre damals »fast bedeutungslos« gewesen, doch in keiner Weise haltbar ist, und daß man, bevor man mit solchen Aufstellungen seine Beweise stützen will, sich etwas näher mit der Stadtgeschichte sollte vertraut gemacht haben. Ich will hier nur auf folgende Tatsachen aufmerksam machen, die meist in jeder Darstellung der Nürnberger Ge­ schichte angeführt werden. Nürnberg, das 1050 zum erstenmal genannt wird, hatte schon unter Kaiser Heinrich III. Markt, Zoll und Münze verliehen erhalten. Im Jahre 1070 berichten die Annalen, daß der h. Bebald in Nürnberg zum erstenmale durch Wunderwerke geglänzt habe, und 2 Jahre später meiden sie, daß das Andenken dieses Heiligen in Nürnberg durch ganz Franken

.323 berühmt und sehr gefeiert gewesen sei. Auf die Verehrung des h. Sebald, der ganze Pilgerscharen nach Nürnberg lockte, und die Begünstigung des königlichen Ortes durch die deutschen Könige und Kaiser ist das rasche Wachsen und Aufblühen der jungen Stadt zurückzuführen* Durch Urkunde Kaiser Heinrichs V. für Worms vom 16. Oktober 1112 wurde Nürnberg den der kaiserlichen Gewalt unmittelbar untergeordneten fünf Orten Frankfurt, Boppard, Hammerstein, Goslar und Engern als sechster hinzugefügt, in dem Worms jetzt gleichfalls zollfrei war. Im Jahre 1163 erteilte Kaiser Friedrich I. Bischof Eberhard von Bam­ berg das Privileg, daß die Kaufleute von Bamberg, Amberg und an anderen Orten des Bistums dieselbe Sicherheit und Freiheit im Handel durch das ganze Reich wie die Nürnberger Kaufleute genießen sollen. Hier ist Nürnberg schon Muster und Vorbild einer Handelsstadt in Franken oder zum wenigsten doch in der Diözese Bamberg und hat die Metropole Bamberg längst überflügelt. Die große Bedeutung Nürnbergs als Reichs- und Handels­ stadt zeigt dann der große Gnadenbrief König Friedrichs II. vom 8. November 1219. Ich kann hier auf das wichtige Dokument nicht näher eingehen, will aber die den Nürnberger Handel berührenden Bestimmungen anführen. Ein Nürnberger Kaufmann darf auf den Märkten zu Donauwörth und Aschau gegen Nürnberger Denare Gold Und Silber einwechseln, der Münzmeister zu Nürnberg kann, wenn er will, diese Messen besuchen und dort die Denare seiner Münze schlagen. Kein Nürnberger hat dort an kaiserlichen Hoftagen von irgend­ welchen Dingen Zoll zu entrichten. In Aschau oberhalb Linz zahlt der Nürnberger keinen höheren Zoll als der Schiffer von seinem Schiffe. Von Regensburg bis Passau ist er zollfrei. Wenn ein Nürnberger am Feste Johannes des Täufers in der Stadt Worms ein Pfund Pfeffer und zwei Handschuhe gereicht hat, so braucht er und alle Nürnberger in diesem Jahre keinen Zoll mehr zu entrichten. Mit Speier steht Nürnberg auf dem Fuße der Zollfreiheit. Auf diese längst bekannten Tatsachen wollte ich hinweisen, weil sie am nachdrücklichsten zeigen, daß Nürnberg im 12. und 13. Jahrhundert keineswegs, wie Rietschel meint, eine fast bedeutungslose Stadt war, sondern 21*

324vielmehr schon eine hohe Stufe als Handelsstadt einnahm. Ging doch sein Handel damals schon östlich bis in die öster­ reichischen Lande und westlich bis an den Oberrhein. Und es ist nicht unwahrscheinlich, daß er damals schon diese Grenzen längst überschritten hatte. Es wird auch gestattet sein, aus späteren Urkunden — ich habe Urkunden des 14. Jahrhunderts im Auge — auf die Bedeutung der Stadt in früherer Zeit zu schließen. Ich erinnere da an die Urkunde Papst Innozenz’ VI. vom 30. April 1361, worin er hervorhebt, daß die Stadt Nürnberg so groß, bemer­ kenswert und hervorragend (adeo sit magnum, notabile et insigne) sei, daß etwa der dritte Teil der Bevölkerung des Bistums Bamberg in ihr wohne und die deutschen Kaiser dort residierten und ihre Versammlungen (sua parlamenta) abhielten, und an die Urkunde Kaiser Karls IV. für Nürnberg vom 20. November 1366, worin er von ihr rühmt, daß er »in vnser vnd des richs stat Nuremberg als in der vornemsten vnd baz gelegensten stat des richs hie ze lande beide herren vnd steten vmb ir gescheft zu handeln vnser wonung vnd hof pflegen ze haben«. Also Nürnberg war die Stadt, nach der eigenen Aussage des Kaisers, wo er vorzugsweise weilte und Reichstage und andere Versammlungen abhielt,1) weil es die vornehmste und gelegenste Stadt im ganzen Reiche war. Einen solchen Vorzug aber hatte sich die Stadt nicht von heute auf morgen erringen können, die »vornemste stat des richs« war sie erst im Laufe der Jahrhunderte geworden. Ich nehme daher im Gegensatz zu Rietschel an, daß Nürnberg zu den größeren deutschen Städten schon im Anfang des 13. Jahrhunderts gehörte und daß es deshalb wohl möglich war, daß die ganze Stadt, St. Sebald wie St. Lorenz, damals schon von einer Stadtmauer umgeben war. Nach diesen mehr allgemeineren Bemerkungen gehe ich auf Rietschels Aufstellungen im einzelnen über. Nach ihm hat »die herrschende Lehre« nicht mit der Möglichkeit gerechnet, »daß die am linken Pegnitzufer gelegene Lorenzerstadt die *) Damit stimmt überein, daß Karl IV. an die 50 Male und wiederholt ganze Monate lang in Nürnberg weilte. Es sei auch darauf hingewiesen, daß die ersten 23 Kapitel der goldenen Bulle in Nürnberg verfaßt und in feier­ licher Sitzung des Reichstags vom Kaiser verkündigt wurden.

325 älteste ummauerte Stadt Nürnberg ist, und daß der unmittelbar unterhalb der Burg gelegene Stadtteil erst später in den Mauer­ ring einbezogen wurde.« Der Stadtteil um St. Lorenz soll, wie der regelmäßige Hausstättenzins und die regelmäßige Anlage beweise, eine systematisch gegründete Marktansiedlung sein; »der Stadtteil um St. Sebald ist ein allmählich am Fuße der Burg entstandener Burgflecken«. Was zunächst den Beweis einer selbständigen Marktansiedlüng bei St. Lorenz aus dem Hausstättenzins und der Ver­ pflichtung zur Schnitterstellung und des Schnitterzinses für den Burggrafen anbetrifft, so kann er als in keiner Weise erbracht angesehen werden. Nach den Lehenbriefen König Rudolfs von 1273 und 1281, welche zunächst und vor allen späteren in Betracht kommen, gebührte dem Burggrafen von jeder Schmiede in der Stadt ein Zins von einem Schilling, beziehungsweise von 12 Pfennigen, und von jeder Hofstätte auf der anderen Seite der Brücke — also in der Lorenzer Stadthälfte — jährlich ein Zins und zur Erntezeit ein Schnitter. Ist es nun berechtigt zu schließen, weil der Burggraf den Zins und den Schnitter alljährlich auf der St. Lorenzerseite zu beanspruchen hatte, so ist St. Lorenz eine Marktansiedlung für sich? Ebenso gut kann man die städtische Zusammengehörigkeit, die Geschlossenheit von St. Sebald und St. Lorenz aus dem von beiden Stadthälften gleicherweise zu reichenden Schmiedezins ableiten, den Rietschel allerdings ohne alle nähere Begründung auf »das alte militärische Kommando« der Burggrafen zurückführt. Rietschel leitet aus dem Zins und dem Schnitter in St. Lorenz mehr ab, als er berechtigt ist. Ich fasse die Sache anders auf. Schon in meinem Altnürnberg S. 13 habe ich darauf hingewiesen, daß in der erst später der Burggrafschaft entzogenen Neustadt die Spuren eines grundherrlichen Verhältnisses noch tiefer und deut­ licher auftreten. Aus jenem Hauszins aber gleich für St. Lorenz eine von der Altstadt völlig getrennte, selbständige Marktan­ siedlung herzuleiten, dazu liegt auch nicht der geringste Grund vor. Rietschel stellt dann die Frage, ob die Gründung durch die deutschen Könige erfolgt und der Hausstättenzins erst später den Burggrafen übertragen worden sei oder ob vielleicht selbst die Burggrafen auf dem ihnen als Lehen gegebenen Reichs-

326 gut eine Marktgründung ins Leben gerufen, — muß sie aber unentschieden lassen. Die vom Kaiser oder dem Burggrafen begründete neue, besondere Marktansiedlung müssen wir auch hier wieder ablehnen. Im übrigen dürfte folgendes zu bemerken sein. Die Er­ weiterung der Altstadt über die Pegnitz hinaus erfolgte natur­ gemäß mit dem Zeitpunkt, da auf der Sebalderseite keine günstigen Bauplätze in der Nähe des Flusses mehr zu haben waren, als die sumpfige Beschaffenheit des rechten Pegnitzufers die neuen Ansiedler zwang, sich auf der günstigeren linken Pegnitzseite anzubauen. Der Not gehorchend, siedelte man sich jetzt in besserer Lage und auf einem Grund und Boden an, der gewissermaßen als Neuland betrachtet wurde, und wo denn auch von jeder neuen Ansiedlung der Zins und der Schnitter zu leisten waren. Kaiser oder Burggraf ließen hier der Sache ihren natürlichen Lauf und haben wohl nur insofern eingegriffen, als sie von den ihnen jetzt als Obereigentum zustehenden Hof­ stätten den grundherrlichen Zins verlangten. Daß aber wegen dieser Grundabgaben St. Lorenz ein selbständiger, von St. Sebald getrennter Markt gewesen, dieses aber nur ein einfacher Burg­ flecken, das hat Rietschel, wenn er es auch noch so oft und noch so bestimmt behauptet, in keiner Weise nachgewiesen. Von einer Scheidung Nürnbergs in einen Markt (St. Lorenz) und einen Burgflecken (St. Sebald) wird zudem nie aus den Quellen etwas bekannt. In den Urkunden und alten Gesetzen, in den Annalen und Chroniken, überall tritt Nürnberg als eine einzige geschlossene Stadt auf. Hätten zwei selbständige Marktansiedlungen oder, wie Rietschel will, eine Marktansiedlung und ein Burgflecken bestanden, so müßten sich noch andere Spuren auffinden lassen, als die sind, welche Rietschel jetzt so sicher nachgewiesen haben will. Wohl weiß man, daß Nürnberg in allerfrühester Zeit, als von St. Lorenz noch nicht die Rede war, das Marktrecht, den Zoll und die Münze erhielt, von St. Lorenz berichten dagegen die Urkunden in dieser Beziehung auch später nichts. Auch das älteste Rathaus Nürnbergs befand sich schon im 13. Jahr­ hundert auf der Sebalderseite. Dagegen fehlt jegliche Spur einer Nachricht oder eines sonstigen Anhalts von einem Rathaus

327 der Lorenzer Stadthälfte, das bestanden haben müßte, wenn diese eine selbständige Marktansiedlung gebildet hätte. Nach Rietschel hat die zu frühe Annahme der Ummauerung der Sebalder Stadthälfte vor dem Beginn des 13. Jahrhunderts zum Teil ihren Grund in der Nachwirkung der alten auf den Rat­ schreiber Müllner zurückgehenden Tradition. »Wenn man auch heute mit der früheren Überschätzung des im 17. Jahrhundert geschriebenen Müllnerschen Annalenwerks gebrochen hat, so sind doch manche Angaben desselben und darunter auch das, was er über die allmähliche Stadterweiterung sagt, von allen Späteren im wesentlichen ungeprüft übernommen worden«. Wer nur einiger­ maßen die neueren Darstellungen Nürnbergs kennt, wird auf eine solche Behauptung erwidern müssen, daß Rietschel in der neueren Nürnberger Geschichtsliteratur bis jetzt wenig oder gar nicht bewandert ist. Auch die Nürnberger Historiker sind weit davon entfernt, den Nürnberger Ratschreiber zu überschätzen, sie sind aber ebenso bereit, seine großen Verdienste um die Nürnberger Geschichtsforschung anzuerkennen und zwar immer da, wo er seine Darstellung auf urkundliche Grundlage gestellt hat. Ganz falsch aber ist es, wenn Rietschel behauptet, daß Müllners Angaben über die allmähliche Stadterweiterung von allen Späteren im wesentlichen ungeprüft übernommen worden seien, und dabei darauf verweist, was Müllner zum Jahre 1105 über die Stadtbefestigung sagt. Wer von den Nürnberger Geschichts­ schreibern bezieht denn das, was Müllner hier sagt, auf die Zeit vor oder nach 1105? Meines Wissens keiner. Aber trotz und alledem hat Müliper, abgesehen von der zu# frühen Zeit, in die er die von ihm beschriebene Befestigung setzt, bezüglich des Zuges der Befestigung auf der Sebalder Seite vollständig recht. Müllner beschreibt die Stadt und ihre Ummauerung folgendermaßen: »Wird demnach in den Nürnberger Chroniken der Begriff der alten zerstörten Stadt Nürnberg nachfolgender Maßen beschrieben, daß sie fast viereckigt gewest. Das erste Viertel sei gegangen vom Tiergartnertor um das Schloß hinum bis zu dem Turn am Schwabenberg, heutiges Tags der Frosch­ turn genannt. Das andere Viertel von gedachtem Turn hinab für das inner Laufertor und den Schießgraben bis zu der Schmelz­ hütten, da noch ein Stück von der alten Stadtmauer stehet,

328 von der noch bei Mannsgedenken ein Teil abgebrochen und dem Stadtbogner ein Haus auf dem Stumpf gebauet worden, und sei daselbs die alte Ledergaß, die die äußerste Gaß am Wasser gewest, darinnen wegen der Gelegenheit der fürfließen­ den Pegnitz Lederer oder Gerber gewohnt, von denen die Gasse den Nambn bis auf den heutigen Tag behalten. Am Wasser aber seien nichts dann Gärten und ein Zwinger gewest, daraus nach Wiederaufbauung der Stadt eine Gaß gemacht und derwegen die neue Gaß genennet worden. Das dritte Viertel hab am Wasser hinab bis an den alten Turn, so heutiges Tags an der Holzschuher Behausung stehet und von dannen zu dem Turn am Siechhaus, heutiges Tags der Wasserturn genannt, ge­ reichet und hab ein Tor, das untere Tor genannt, und eine Brucken über das Wasser gehabt, da die Parfüßer- oder Fleischbrucken heutigsTags stehen. Das letzte Viertel hab von vermeldtem Was­ serturn wiederum zum Tiergärtnertor, also daß die Gaß bei dem Radbrunnen der Stadtgraben und in der Zistelgaß die äußerste Stadtmauer, gestanden. Hab also die Stadt nicht über das Wasser gelanget, sondern sei die Pegnitz außen an der Stadt hingeflossen«. Was an Müllners Darlegung unrichtig, ist die Zurück­ versetzung der Ummauerung des 13. Jahrhunderts, soweit sie sich auf die Sebalder Stadtseite erstreckt, in die Zeit vor und nach 1105. Den Zug der Stadtmauer aber, wie sie im 13. Jahrhundert errichtet worden war, hat Müllner nach den noch vorhandenen Überresten ganz richtig angegeben, und auch jetzt noch kann man den ganzen Lauf dieser Befestigung an zahl­ reichen heufb noch erhaltenen Überbleibseln, ganz überein­ stimmend mit Müllner, nachweisen. Aber es ist bis jetzt, ganz entgegen den Aufstellungen von Rietschel, noch keinem Nürn­ berger Historiker eingefallen, Müllners Angaben hinsichtlich der Zeit als richtig anzuerkennen. Schon der alte Truckenbrot, der seine Nachrichten zur Geschichte der Stadt Nürnberg 1785 und 1786 herausgab, bemerkt Bd. II., S. 261: »Bei dieser Erzählung Müllners ist anzumerken, daß diese erste Größe der Stadt, ob man gleich an mehr als einem Orte die deutlichsten Spuren derselben findet, doch vielen Zweifeln unterworfen ist«. Auch die folgenden Historiker haben keineswegs Müllners Angaben ungeprüft übernommen. Sie setzen vielmehr die Stadtummaue-

329 rung, für die Müllner die Zeit vor und nach 1105 in Anspruch nimmt, richtig in das 13. Jahrhundert und lassen sie, wie es gleichfalls der Wahrheit entspricht, über die Pegnitz und um die Lorenzerseite fortlaufen. Da muß man denn doch erstaunt fragen, wie denn Rietschel zu der Behauptung kommt, daß die alte auf Müllner zurückgehende Tradition noch nachwirke und sämtliche Späteren seine Angaben über die allmähliche (!) Stadterweiterung im wesentlichen ungeprüft übernommen hätten? Daß der Begriff urbs in seiner Bedeutung im 12. Jahr­ hundert und später in der Regel1) die Burg bezeichne, will ich gerne zugeben. Aber, wie wir im weiteren Verlauf meiner Darlegung erkennen werden, erfährt dadurch meine Ansicht, daß der Befestigung des 13. Jahrhunderts eine frühere voraufging, keine Widerlegung und Rietschels Behauptung, daß sie die erste gewesen, keine weitere Unterstützung. Rietschel meint, eine Urkunde von 1209, welche die Jakobskirche als in ipsa civitate gelegen bezeichne, könnte als Stütze der herrschenden Ansicht dienen. Wollte man aus der Urkunde wie Rietschel schließen, »daß damals schon dieser Stadtteil ummauert gewesen sein müsse«, so würde weiter folgen, daß St. Jakob damals gleichfalls schon innerhalb des Mauern­ rings gelegen hätte. Aber es wurde erst in die letzte Um­ mauerung, die hier um die Mitte des 14. Jahrhunderts begonnen wurde, einbezogen. Wie der Widerspruch zu lösen, worin sich Rietschel bewegt, wenn er das einemal aus der Bezeichnung der St. Jakobskirche als in ipsa civitate gelegen die Ummauerung herleitet und an derselben Stelle bemerkt, die Kirche wäre noch im Jahre 12842) nicht in den Mauerring eingeschlossen gewesen, das mag er mit sich selbst ausmachen. Mit der Urkunde von 1209 ist für die Beweisführung zugunsten der älteren Befestigung von St. Lorenz und der h Immerhin ist es gefährlich, hier wie anderswo — ich verweise auf das später zu besprechende burgum oder burgus — gleich zu generalisieren, und geradezu zweifelhaft ist es, daß die uvbes der früheren Zeit stets nur den Raum für die Burg und nicht auch für die Stadtbewohner geboten hätten. Nachgewiesen hat das Rietschel bis jetzt noch nicht. Das Beispiel von Regensburg spricht nicht dafür. 2) Noch in der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts war St. Jakob nicht einbezogen. Die erste Nachricht von der »neuen Mauer« gehört dem Jahre 1346 an.

330 Stadtbefestigung überhaupt nichts anzufangen. Man könnte aus ihr nur beweisen wollen, daß St. Jakob schon 1209 von der Stadtmauer eingeschlossen gewesen wäre, was zur historischen Wahrheit im schroffsten Gegensatz stehen würde. Die Nürn­ berger Historiker haben dann auch noch niemals, wie Rietschel meint, auf Grund dieser Urkunde geschlossen, daß, weil »damals schon dieser Stadtteil ummauert gewesen sein« mußte und es als feststehend galt, daß der unmittelbar unterhalb der Burg gelegene Stadtteil um St. Sebaldus die älteste Stadt Nürn­ berg sei, »die Ummauerung der Sebaldusstadt erheblich hinauf­ zurücken« sei. Aber warum, fragen wir, muß denn entgegen der bis­ herigen Meinung St. Lorenz zuerst und der unmittelbar unter der Burg gelegene Stadtteil später befestigt worden sein? Der regelmäßige Hausstättenzins und die regelmäßige Anlage sollen beweisen, daß hier eine systematisch gegründete Marktansiedlung bestand, während der Stadtteil um St. Sebald ein allmählich am Fuße der Burg entstandener Burgflecken war. Was es mit dem Hausstättenzins auf sich hat und ob daraus für den Stadtteil, aus dem er gereicht wurde, die Eigenschaft einer selbständigen Marktansiedlung hergeleitet werden darf, haben wir schon vor­ her des näheren gesehen. Es bleibt noch zu prüfen übrig, ob sich der Stadtteil um St. Lorenz vor dem zu St. Sebald durch eine größere Regel­ mäßigkeit der Anlage auszeichnet, wie Rietschel behauptet. Es wird stets die Regel sein, daß ein neuer, ein jüngerer Stadt­ teil eine zweckmäßigere und bessere Anlage zeigt als der viel ältere, bei dem man auf Regelmäßigkeit und Ordnung in der Bauweise nicht in derselben Weise Rücksicht nahm und Rück­ sicht nehmen mußte. . Im übrigen kann nicht die Rede davon sein, daß die Anlage von St. Lorenz vor der von St. Sebald eine größere Regelmäßigkeit voraushabe, und insbesondere ist es ein starkes Stück behaupten zu wollen, daß die Annahme einer selbständigen Marktansiedlung jenseits des Flusses »durch einen Blick auf die bauliche Anlage der Lorenzerstadt eine geradezu unwiderlegliche Bestätigung« erfahre. Behauptungen gegenüber, die mit ganz besonderem Nachdruck und Elan aufgestellt werden, ist stets äußerste Vorsicht geboten. Und

331 schaut man sich nach Rietschels großen Worten den Stadt­ plan etwas genauer an, so findet man von alledem, was er gefunden haben will, auch keine Spur. Im Gegenteil eine sorgfältige Betrachtung des Stadtplans führt, um mit Rietschel zu reden, zu »dem zweifellosen Resultate«, daß die vorletzte Befestigung — man sehe nur, wie sie in systematisch gewollter Anlage im Osten wie im Westen den Fluß über­ schreitet — nicht etwa zunächst St. Lorenz allein, sondern beide Stadthälften zugleich als ein einheitliches und geschlossenes Werk zu umfassen bestimmt war. Aber die Befestigung mußte sich hier den Theorien und dem Willen Rietschels fügen, und es ist nicht anders, als er es S. 118 in der Anmerkung aus­ drückt: »Wo der Wille vorhanden war, da fand sich auch der Weg; schade nur, daß dieser Weg ein Irrweg war, da man etwas suchte, was nie vorhanden war«. Die Haupttrümpfe aber, die Rietschel in der Verfechtung seiner Meinung der späteren Ummauerung der nördlichen Stadt­ hälfte ausspielt, sind eine Urkunde von 1163 und »ein um 1200 verfaßter Wunderbericht, die von dem burgum oder burgus Nürnberg reden. Burgum oder burgus aber bedeutet nicht Burg, sondern ist nach Rietschel technischer Ausdruck für eine am Fuße einer Burg liegende Ansiedlung, für das suburbium einer Burg. Mit diesem Ausdruck kann demnach 1163 und 1200 nichts anderes als die Ansiedlung um St. Sebald gemeint gewesen sein, die also damals noch nicht als civitas angesehen wurde. Daß burgum im allgemeinen nicht Burg sondern die darunter liegende Ansiedlung bezeichnet, erkenne ich gerne an. Aber mit Burgflecken ist doch der Begriff von burgum oder burgus zu eng gefaßt. Burgum ist vielmehr weiter, nämlich auch als Stadt bezw. Markt zu fassen. Die Beispiele, die Rietschel beibringt:1) castrum Stadii et burgum {1181), castrum in Heidel­ berg cum burgo ipsius castri beweisen nicht, daß das burgum nicht ummauert war, Rietschel ist hier bedauerlicherweise eine Urkunde entgangen, die ihn eines besseren hätte belehren können. In der Urkunde vom 4. Mai 1252, die die Vögte von Rotenburg, der Amman, der Bürgermeister und die Bürger von *) Rietschel, Markt und Stadt, S. Ip8, Anm.

2.

332

Luzern in Betreff der Sicherheit und Bestrafung der Frevel in der Stadt ausstellen, wird Luzern wiederholt als burgus bezeichnet, zugleich aber auch als civitas, und ferner ist von den Mauern der Stadt die Rede.1) Burgus und civitas werden vollständig identifiziert, und es geht klar und deutlich aus der Urkunde her­ vor, daß der burgus von einer Stadtmauer (infra muros nostre civitatis) umgeben war2). Für unsere Beweisführung ist auch der seltene Umstand von Wichtigkeit, daß die Urkunde, wenn vielleicht auch nicht in einer gleichzeitigen, so doch in einer sehr alten deutschen Übersetzung vorliegt, die burgus wie civitas stets gleichmäßig mit Stadt wiedergibt. Diese Urkundenangaben zwingen dazu, burgus oder burgum nicht einseitig mit Burgflecken wiederzugeben. Kann es einer­ seits auch forum oder Markt bedeuten, so beweist andererseits *) Geschichtsfreund, Mitteilungen des Vereins der fünf Orte Luzern, Uri, Schwyz, Unterwalden und Zug. i. Bd. (1843), S. 180 ff. 2) Ich gebe die wichtigsten Stellen in der lateinischen und deutschen Fassung wieder: Et ut predictus burgus noster Und dur daz ünser stat hinnan Luceraensis ampliori honore potiatur vür belibe in beßren eren und vride, et conmodo, statuimus etc. so han wir gesezzet etc. decem marcis argenti emendet, aut a civitate expul sus etc.

daz er daz bezzern sol mitcehen marchen silbers, ald aber die stat verlorn han etc.

domus sue omnes, quas in ciuitate Lucernensi habuerit, tanquam infiscate confringentur.

Und sol man ellü sin hüser, niderbrechen, dü er in der stat hat.

omni iure vel gratia restitutionis irrecuperabiliter infra muros nostre civitatis in perpetuum sit privatus.

so ist inne verseit alles reht, ellü gnade und ellü zuoversicht, wider zo komene old ze blibenne innerhalf) der stat iemer me vür die stunde. Auch sonst kommt civitas übersetzt mit stat noch sehr häufig in dieser lehrreichen Urkunde vor, einmal auch villa: pro communi utilitate ville nostre Alre meist ze vride und ze gnade der stat statuimus etc. und der gemein han wir gesetzet etc. Und am Schluß heißt es dann wieder: et a nullo hominum, quamdiu burgus Lucernensis aliquo habitatore colitur, violari valeat presens scriptum.

und von niemanne gebrochen müge werden ald verkert, di wile ieman in unser statte wanet, so han wir disen brief geben.

333 die Luzerner Urkunde, daß auch eine befestigte Stadt darunter verstanden werden kann. Mit einem Worte, die Bedeutung von burgus ist schwankend, und man war hier wie sonst nicht stets so konsequent in der Anwendung derartiger Bezeichnungen, wie es manche Theoretiker wollen. Damit fällt auch der letzte und Hauptgrund weg, den Rietschel gVgen das höhere Alter der Befestigung der Sebalder Stadtseite ins Feld führt. Wenn man an erster Stelle rein topographische Fragen untersuchen und klarstellen will, so muß man sich an Ort und Stelle nicht bloß oberflächlich, sondern auf das sorgfältigste Umsehen. Am grünen Tische kann man wohl allerlei Ver­ mutungen und Theorien von größerer oder geringerer Bedeutung und Begründung aufstellen, notwendig ist es aber durchaus, bei solchen Fragen an Ort und Stelle die Probe zu machen, ob sich die neue Entdeckung auch der ganzen örtlichen Situation einfügt. Erst wenn das geschehen, kann man urteilen, ob die neue Theorie haltbar und begründet ist oder nicht. Die Stelle in der Urkunde vom Jahre 1339 für das Heiliggeistspital, worauf ich zunächst meine Beweisführung stütze — es ist nämlich dieses Spital gemeint und nicht, wie Rietschel annimmt, das Katharinenspital, das damals gar nicht mehr bestand und zudem auf der anderen Seite des Flusses und mehr östlich lag —, bestimmt in dem lateinischen Original als Grenze des Spitalareals im Norden: confrontatur . . . a parte aquilonis cum muro dicte ville cava intermedia. Es grenzte im Norden an die Stadtmauer mit dem Graben (so ist cava nach Du Cange zu übersetzen, und es ist dann an dem Ausdrucke auch nichts Rätselhaftes, wie Rietschel will). Auch die gleich­ zeitigen deutschen Urkunden lassen das Gelände des Spitals im Norden an die Stadtmauer grenzen. Aber hier erhebt Rietschel den Einwand, daß es »für jeden Unbefangenen geradezu selbstverständlich« sei, »daß wenn in diesen Urkunden vom murus dicte ville oder von vnser statmauer die Rede sei, darunter nur die derzeitige Stadtmauer und nicht ein längst seiner Eigenschaft als Stadtmauer entkleideter Mauerrest einer älteren Befestigung gemeint sein kann«. »Die Urkunden«, meint er weiter, »können höchstens für eine Feststellung des

334 späteren Ummauerungszuges verwertet werden, der offenbar an dieser Stelle eine wohl durch das Terrain bedingte Ein­ buchtung zeigte, auf die möglicherweise die rätselhaften Worte cava intermedia der Urkunde von 1339 zu beziehen sind«. Nun, wir werden ja sehen, was es mit diesen Aufstellungen, auch mit dem emphatischen »Offenbar« Rietschels auf sich hat.' Genauer als in der obenerwähnten Stiftungsurkunde von 1339 werden die Grenzen des Spitals in der deutschen Schirm­ urkunde des Rats vom Jahre 1341 bestimmt. Es heißt da: daz neue spital .... auf seinen aigen grünt und in der weit und brait, alz er ez ietzunt betzaichent hat von des stainhaus ekke geleich snvreeht bis an vnser stat mauer, vnd zwischen der Pegnitz vnd der statmauer biz an den weg, do man von Malertor aus der stat get gen der neuen prukk gen sand Kathrein, von dem chor dez spitals vntz an den turn zu Malertor, alz ez bezaichent ist ietzunt mit ainer mauer vor dem kirchhof, mit allen rehten, ordenunge und guten ...

Wir haben hier eine Gleichung vor uns mit einer Un­ bekannten, die Unbekannte ist: vnser stat mauer. Alles andere ist bekannt: der Weg, auf dem man vom Malertor aus der Stadt geht, wie das Malertor selbst und die Brücke bei St. Katharinen. Das Malertor schloß die Stadt bei der Ebners­ und Neuen Gasse ab und der Weg war der alte Mühlweg, der von dem Stadtteil um St. Egidien über die neue Spitalbrücke zur Katharinenmühle führte. Die Richtung wird nochmals be­ stimmt durch die Worte: von dem chor dez spitals untz an den turn zu Malertor — es ist derselbe Weg, der eben genannt wurde, er wird nochmals erwähnt, weil der Aussteller der Urkunde noch sagen will, daß er neuerdings am Spitalkirchhof, der sich bis an jenen Weg erstreckte, durch eine Mauer abgeschlossen worden sei. Ist aber die Situation die eben nach den Urkunden geschilderte, so bleibt gar kein Raum mehr übrig für eine Einbuchtung der Stadtmauer nach Westen, um so weniger, als eine solche Einbuchtung eine ganz gewaltige gewesen sein müßte. Um sagen zu können, das Spitalareal habe im Norden an diese Stadtmauer gegrenzt, wäre eben anzunehmen, daß die Einbuchtung hier nicht weniger als 180 Schritt betragen hätte,

335 denn so groß war die Ausdehnung des Areals des Heiliggeist­ spitals von Osten nach Westen. Es ist das mit der ganzen Situation unvereinbar, unver­ einbar auch mit dem bekannten Lauf dieser Mauer, die von der Schütt aus beim Turm an der Wage über die Pegnitz setzte, in gerader Linie zur Neuen Gasse lief und von hier nach rechts umbiegend zum Lederertürlein am Sand — beim Schießgraben — sich hinzog. Deshalb schwebt auch meine Deutung des Turmes beim neuen Spital, den man 1431, und der Mauer daselbst, die man 1422 abbrach, als zur älteren Stadtmauer gehörig, die über den südlichen Markt lief, keineswegs in der Luft, wie Rietschel meint, zumal wenn man noch 1455 wieder von dem eckhäuslein im türnlein gegen dem schuchhaus hinten über an das egenanten spitals kornhaus gelegen hört, das man heute noch im Wirts­

haus zum Büttnerstanz, das unmittelbar hinter dem (abge­ brochenen) Schuhhaus lag, erkennen kann. All diese Spital­ urkunden können dagegen für die Feststellung des späteren Mauerzuges nicht verwendet werden, weil das Spitalareal gar nicht daran grenzte. Es muß hiereinmal ohneallenRückhalt ausgesprochen werden. Rietschel ist mit den historisch-topographischen Verhältnissen, wie sie einst in der Gegend des Spitals bestanden und heute noch zum Teil bestehen, auch nicht im mindesten vertraut, und doch nimmt er keinen Anstand, sich in der unbegründetsten und absprechendsten Weise darüber zu äußern und andere auf ur­ kundlicher Grundlage beruhende Forschungsergebnisse ungeprüft und von kurzer Hand als grundlos und unberechtigt abzuweisen, nur weil sie sich in sein neu aufgestelltes System nicht einfügen wollen! Nach allem, was ich bis jetzt vorgebracht habe, könnte ich davon absehen, noch weitere urkundliche Beweismomente für meine Meinung beizubringen. Auf eines möchte ich aber doch noch hinweisen. In der mehrfach angezogenen Urkunde des Rats für das Spital vom Jahre 1341 ist auch von dem »Tor hinter den Juden« die Rede, und der ganze Zusammenhang verlangt es, dieses Tor in der Gegend nördlich der Barfüßer- oder Museums­ brücke auf der Sebalder Stadtseite anzunehmen. So sol der

336 wek, heißt es in der Urkunde, hinter seinem [Konrad Groß’] vnd Philippen seins bruders vnd Fritzen des Beheims heusern von dem tor hinder den juden genannt auf dem see untz hin an die prukke, do man zu den barfuzen get, haben an der breit sehs und zwaintzig schu.

Jeder, der diese Stelle auf die in Betracht kommenden Örtlich­ keiten zu beziehen weiß, erkennt'sofort, daß das »Tor hinter den Juden« nur unten am Markt gleich beim Plobenhof stehen konnte. Es war das Tor, das zu der Stadtmauer gehörte, die über den südlichen Markt strich, und das weiter zur ältesten Brücke der Stadt, zur Barfüßerbrücke, und darüber in die Neustadt St. Lorenz führte. Und wie hier das Tor dieser Mauer beim Plobenhof, so wird die Mauer selbst in einer Urkunde des Rats vom Jahre 1362 J) nochmals genannt. Der B" setzt darin die Reihe — schmale Gasse —, die, von No*~~n nach Süden laufend und in die Spitalgasse ausgehend, das Spitalareal gegen Westen abgrenzte, im Einverständnis mit Leupold Groß fest: die reihen zwischen ihm vnd des neuen spitals heusern von der mauer bei dem turn, als die jetzo gezeichent ist biz an den weg, der vor dem spital hinget, mit der bescheidenheit, daz die selb reih ewiclichen ein gemeine nutzung sein sol und nimmermer verpaut soll werden.

Auch hier weiß der mit den Nürnberger topographischen Verhältnissen Vertraute sofort, was gemeint ist: die Reihe zwischen Leupold Groß’ (Plobenhof) und des Spitals (Spitalhof) Häusern — das Herzgäßchen; der Weg, in den diese Reihe einmündet, der vor dem Spital hingeht, — die Spitalgasse; der Turm mit der Mauer, von dem die Reihe ausgeht, — das Haus zum Büttnerstanz, das heute noch als Mauerturm erkennbar ist. Die Mauer bei dem Turm, identisch mit der Stadtmauer, an die das Spitalgelände nach den Urkunden von 1339 und 1341 grenzte, bestand demnach im Jahre 1362 und, wie wir sehen werden, auch später noch. Daß sich hier Spuren dieser Befestigung — abgesehen von dem erwähnten Ecktürmchen — nicht mehr vorfinden, ist *) Urkunde vom 17. Juni 1362 im Großen Stiftungsbuch des Spitals zum heiligen Geist im städtischen Archiv, Bl. 136.

337 im Herzen der Stadt, wo solche Überreste dem Verkehr hindernd im Wege standen und jedes Plätzchen zur Erweiterung des Marktes und der Straßen und Gassen schon früh Ver­ wendung finden mußte, wohl nicht besonders verwunderlich, im Gegenteil es wäre erstaunlich, wenn sich hier noch beträcht­ lichere Reste vorfinden würden. An einer Stelle bemerkt Rietschel, wie schon erwähnt, unter murus dicte ville oder unser statmaur könne nur die der­ zeitige und nicht ein längst seiner Eigenschaft als Stadtmauer entkleideter Mauerrest einer älteren Befestigung gemeint sein. Darauf ist zu erwidern, daß der Rat von der hier noch bestehen­ den und intakt erhaltenen Stadtmauer noch sehr wohl als von dem murus nostre ville und von unser statmaur reden konnte, ohne etwa den Zusatz »ältere« beizufügen. Die ältere hier noch bestehende Befestigung war ebensogut Stadtmauer wie die neue. Es war auch zum besseren Verständnis der Urkunde eine solche Erläuterung gar nicht erforderlich, sondern jeder, der die Urkunde las oder hörte, wußte sofort ganz genau, worum es sich handelte. Denn nur die ältere über den südlichen Markt streichende Stadt­ mauer konnte gemeint sein und nicht etwa die neuere, die, wie schon bemerkt, von der westlichen Grenze des Spitälgrundstücks an die 160 Schritt entfernt war. Die Stadtmauer kann hier auch nicht als ein vollständig ihrer Eigenschaft als Stadtbefestigung entkleideter Mauerrest angesehen werden. Das Malertor, das zu ihr gehörte, führte von der Altstadt in die damalige Neustadt oder, wie man sich später ausdrückte, von der »rechten« oder »inneren stat« in die »vorstat«.1) Noch gegen Ende des 14. Jahrhunderts wurde es morgens und abends auf- und zugesperrt,2) was gar keinen Sinn gehabt hätte, wenn die von ihm ausgehende Stadtmauer nur noch ein Rest, ein kleineres Bruchstück gewesen und nicht die Altstadt von der Neustadt auf eine längere Strecke ab­ geschlossen hätte. 1) S. meinen Aufsatz: Die Kettenstöcke und andere Sicherheitsmaß­ nahmen im alten Nürnberg. Exkurs: Die innere oder rechte Stadt und die Vorstädte. Mitteil, des Vereins für Gesch. der Stadt Nürnberg XII, 44 ff. 2) Mitteilungen etc. etc. Bd. 13. Die Besitzungen der Grafen von Nassau in und um Nürnberg und das sogen. Nassauer Haus. Exkurs: Das Moler- oder Malertor S. 82 ff.

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338 Ich habe vorhin schon bemerkt, daß der Urkunde vom Jahre 1209, welche Rietschel für das höhere Alter der Be­ festigung von St. Lorenz heranzieht, hiefür keine Beweiskraft innewohne. Sie wird erst verständlich, wenn man annimmt, daß die Lorenzer Stadthälfte vom Mauerring damals noch nicht umschlossen war. Nur in diesem Falle kann St. Jakob als in ipsa civitate gelegen bezeichnet werden, nicht aber, wenn es durch die Mauer von der eigentlichen Stadt ausgeschlossen wurde. Die Mauer war eben damals noch gar nicht gebaut. Das ergibt sich auch aus dem Stilcharakter des Weißen Turms. Wie die gleichfalls heute noch erhaltenen beiden Tortürme, der Tiergärtnerturm und der Lauferschlagturm, sowie der 1499 abgebrochene innere Frauentorturm und der noch früher beseitigte Torturm an der hinteren Füll (Lammsgasse) gehörte auch der Weiße Turm zu dieser Stadtbefestigung und weist mit den beiden noch erhaltenen Tor^irmen eine ganz ausgesprochene Ähnlichkeit auf. Was ihn aber für uns besonders wertvoll macht, ist der Umstand, daß er in dem Torbogen noch die alten Nischen mit den in Kleeblattform abschließenden Bogen und auf der Westseite das noch wohl erhaltene alte Stadttor mit den zwei auf den Seiten vortretenden Rundtürmen zeigt. Diese ausgesprochenen stilistischen Merkmale verweisen Turm und Tor in das letzte Viertel des 13. Jahrhunderts. Es wäre auch ganz unstatthaft, zur Rettung eines höheren Alters fieser Stadtbefestigung annehmen zu wollen, Turm und Tor, die schon Ende des 12. Jahrhunderts erbaut worden wären, seien schon 1275 durch neue Bauten ersetzt worden. So rasch brach man nicht ab und baute wieder neu auf. So können denn gegenüber der beweisenden Kraft der Urkunden und der Baudenkmale, selbst Rietschels Aufstellungen in keiner Weise standhalten. Es muß vielmehr festgestellt werden, daß nicht St. Lorenz, die Neustadt, sondern die Alt­ stadt St. Sebald die älteste Stadtmauer gehabt hat. Im Zusam­ menhang damit aber fallen auch die weiteren Behauptungen Rietschels, daß St. Lorenz schon längst eine besondere Marktansiedlung gewesen, als St. Sebald noch als einfacher schutz­ loser Burgflecken sein Dasein fristete. Ich bin mit meinen Ausführungen, die umfangreicher

339 geworden sind, als ich wünschte, und denen ich heute schon mit Rücksicht auf den mir zu Gebot stehenden Raum nichts Weiteres beifügen kann, zu Ende. Insbesondere muß ich es mir versagen, auf den ferneren Lauf dieser Mauer nach Nord­ westen oder Norden näher einzugehen. Aber es mag bemerkt werden, daß die Akten in dieser Frage noch nicht geschlossen sind. Bei der Inventarisierung der Sebalder Stadtseite ist der Konservator am Germanischen Museum Dr. Fritz Traugott Schulz auf Mauerreste gestoßen, die ihrer ganzen Erscheinung nach nur zu einer älteren Stadtbefestigung gehören können. Wenn er seinerzeit darüber berichtet, werden wir wohl in die Lage versetzt werden, den Lauf der älteren Stadtmauer in St. Sebald genauer zu verfolgen, als das zurzeit der Fall ist. Es wird sich dann wohl auch Gelegenheit finden, auf Rietschels weg­ werfende Bemerkungen S. 117, Anm. 3 näher einzugehen. Eins möchte ich noch bemerken. Rietschel macht mir, wie schon erwähnt, einmal die Unterstellung, als ließe ich mich bei meinen Forschungen mehr durch Wunsch und Willen als durch die Wahrheit leiten. Ich habe dasselbe Streben, die Wahrheit und nur die Wahrheit zu erforschen, wie er. Und wenn er, wie man das aus dem überlegenen, um nicht zu sagen, hoch­ fahrenden Ton schließen muß, mich auch zu den diis minorum gentium zählt — ich beanspruche auch nicht mehr —, so hat er doch kein Recht, meine Wahrheitsliebe auch nur in leisesten Zweifel zu ziehen. Daß es mir um die Wahrheit zu tun ist, habe ich mehr als einmal bewiesen.

Ernst Mummenhoff.

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Literatur. Die Schlacht im Nürnberger Walde (auch ge­ nannt die Schlacht vor den Toren Nürnbergs) vom 19. Juni 1502. Ein Beitrag zur Geschichte der Nürnberger Vorstadt St. Peter. Mit besonderer Berücksichtigung der Ört­ lichkeiten bearbeitet von Ottmar Kreppei. Nürnberg 1905. Verlag von Heerdegen-Barbeck. 8°. 71 S., mit 3 Tafeln. Die Liebe zum heimatlichen Boden hat, wie er selbst uns im Vorwort erzählt, den Verfasser (derzeit Pfarrvikar in Sinn­ bronn bei Dinkelsbühl) bestimmt, der Erforschung der Geschichte seiner engsten Heimat, der Pfarrei seines verstorbenen Vaters und der Vorstadt St. Peter, seine Mußezeit zu widmen. Den bedeut­ samsten Stoff, das denkwürdigste Ereignis dieser Pfarrgeschichte hat der Verfasser mit Ausarbeitung der vorliegenden Schrift nun selbst vorweggenommen. Ein erstes Heft behandelt die auch in nichthistorischen Kreisen wohlbekannte Schlacht im Nürnberger Walde im Jahre 1502, jenen letzten Akt und Ab­ schluß der traurigen Fehde zwischen Markgraf Friedrich IV. von Brandenburg und der Reichsstadt Nürnberg, die mit Bestimmt­ heit ihr Recht auf den sog. Kirchweihschutz im (abgegangenen) Kirchweiler Affalterbach geltend gemacht hatte, einer Fehde, die selbst wieder nur als eine Episode der unerquicklichen jahr­ hundertelangen Streitigkeiten zwischen Nürnberg und Branden­ burg sich darstellt. Der Ausgang dieses Gefechts ist durch Verschulden des eigenwilligen, allzu ungestümen Nürnberger Oberbefehlshabers Ulman Stromer ein für die Reichsstadt un­ glücklicher gewesen. Nun bedeutete die Schlacht, die da hart vor den Toren Nürnbergs geschlagen ward, freilich in keiner Weise eine Entscheidung, doch überaus lange und lebhaft hat sich das Andenken an diese Demütigung der getäuschten Städter durch die stolzen Markgräfler erhalten. Schon vor Kreppei sind der Schlacht wiederholt selb­ ständige Darstellungen gewidmet worden. Die älteste ist die

341 materialreiche, aber übel disponierte und nur allzuoft unkritische »Geschichte des ehemaligen Weilers Affalterbach von Franz Freiherrn von Soden« (Nürnberg 1841). Ihm folgte in größerem Abstand die Greifswalder Dissertation von Adolf Haase, einem Schüler Heinrich Ulmanns, »Die Schlacht bei Nürnberg vom 19. Juni 1502« (Greifswald 1887), deren Wert vor allem darin beruht, daß hier zum erstenmale das bunte und ungleichwertige Quellenmaterial abgewogen und mit dem Blick des geschulten Historikers geprüft worden ist. In topographischen Fragen aber, die naturgemäß hier auftauchen, ist auf Haase, der offenbar persönlich nie in Nürnberg war, nirgends ein Verlaß. Die Örtlichkeit fand erst in Emil Reickes eingehender Darstellung der Schlacht (der anläßlich der 400. Wiederkehr derselben ausgearbeitete Vortrag ist im Feuilleton des Fränkischen Kuriers, Jahrgang 1902, Nr. 200, 204, 206, erschienen) ihre Berücksich­ tigung. Von einer genaueren Bestimmung des Schlachtfelds war dort mit wohlbegründeter Absichtlichkeit Abstand genommen worden. Reicke hütete sich mit berechtigter Vorsicht wohl, einen Schritt weiterzugehen, wo ein ferneres Vordringen auf schwanken­ dem Boden nur mehr an der Hand von voraussichtlich doch recht trügerischen Schlüssen möglich war. Daß die Schlacht im Walde vor sich ging, soviel steht bei der Übereinstimmung aller Berichte nun einmal fest, wer mehr wissen wollte, mußte schon mit Wahrscheinlichkeitsrechnung und mit Kombinationen arbeiten. Hier setzen nun gleichwohl Kreppeis neue Forschungen ein. Ihm ist gerade an der topographisch genauen Festlegung aller wesentlichen Stellungen und Situationen, die an jenem denkwürdigen 19. Juni beiderseits sich ergaben, alles gelegen. Der Nürnberger, der sich auf Spaziergängen im Süden und Südosten der Stadt ergehen will, soll die Stätten der Schlacht wieder aufsuchen und an ihnen längst vergangenen Zeiten nach­ sinnen können. Auch die Entstehung ganz neuer Stadtteile auf jenem Boden und die bedeutenden Umgestaltungen, die die Anlage des neuen großen Rangierbahnhofs dort draußen mit sich brachte, hat ihn nicht irre machen können. An die Lösung seiner selbstgestellten antiquarischen Auf-

342 gäbe, die ja sicher ihren großen Lohn schon in der eigenen Betrachtung, in dem Suchen und Wiederfinden hat, ist Kreppei mit allem Eifer und wahrer Begeisterung herangegangen. Wie weit dem Verfasser diese Begeisterung möglicherweise auch ein Wiedererkennen am Unrechten Ort hat Vortäuschen können, davon später. Man merkt, daß die Vorgeschichte der Schlacht, die er geben wollte und wohl geben mußte, ihrem Bearbeiter weniger Freude gemacht hat. Seine Einleitung hält sich an alles lieber als an die historische Verknüpfung der Ursachen und Wirkungen, der Geschehnisse und Wechselfälle in jenem erbitterten Kampfe zwischen Stadt und Fürst. Die inneren und äußeren Gründe dieses ewigen Zerwürfnisses hätten eben nachdrücklicher heraus­ gearbeitet werden sollen. Vieles, was da nebenher behaglich ausgesponnen ist, ist nur Wiedergabe dessen, was sich dabei gewissermaßen auf der Oberfläche abgespielt hat, stört das Erfassen des großen Ganzen und läßt den Leser so nur halb in die Tiefe sehen. Auf S. 15 f. gibt Kreppei eine Übersicht der benützten Quellen und der Darstellungen (»Bearbeitungen der Schlacht«) vor seiner Arbeit. Neues ist in dieser etwas systemlosen Zu­ sammenstellung nicht zu finden. Andererseits fehlen z. B. die von Kamann in der Besprechung von Haase (Mitteilungen des Vereins für Geschichte der Stadt Nürnberg. Siebentes Heft. Nürnberg 1888, S. 280) beigebrachten Äußerungen des Dr. jur. Joh. Pfotel in einem bis dahin ungedruckten Schreiben an Kasimir, d. d. Ulm 7. Juli 1502 (Ansbacher Bundestagsakten). Haase selbst verweist noch auf die Chronik des Rebdorfer Priors Kilian Leib und des Valerius Anshelm Berner Chronik. Auch Groß, Brandenburgische Kriegshistorie S. 83 ff., hätte genannt werden dürfen. Bei Citierung der Reickeschen Artikel­ serie ist statt 200—204 der oben gebrachte. Nachweis einzu­ setzen. Auch sonst sind mir unzulängliche Citate begegnet. S. 17—39 folgt eine zutreffende Wiedergabe des Verlaufs der Schlacht, in der die Ergebnisse der Forschung fleißig verwertet erscheinen, wenn auch hier und dort statt Soden besser Haase hQTanzuziehen gewesen wäre. Aufgefallen ist mir, daß S. 25, Anm. 3 zu einer (hier kaum notwendigen) Erklärung des

343 Begriffs »Landsknechte« ein Citat von 1775 (alte Ausgabe der Berlichingenschen Selbstbiographie) Platz gefunden hat. Der zweite wertvollere Teil des Kreppelschen Buches behandelt des Verfassers eigentliches Arbeitsgebiet, die Örtlich­ keit. In einem 1. Kapitel wird die Lage der »hohen Marter auf Wendelstainer Straß« bestimmt, bis zu der Paul v. Absberg und der Vortrupp — mit ihm der junge Götz von Berlichingen — vorgedrungen waren. Diese hohe Marter ist auf alten Karten (schon des 16* Jahrhunderts) genau östlich vom Schlosse Lichtenhof Eingetragen. Die Gleichstellung des Galgens mit der hohen Marter seitens Haases ist topographisch unhaltbar. Zu weit geht andererseits Kreppeis Schluß, daß der zweite Galgen nicht vor 1520 bestanden haben kann. Das alte Gemälde der Schlacht im Germanischen Museum1) (Reproduktion am Ende des Büchleins), das beide Galgen zeigt, wie der Verfasser auch S. 43 selbst angibt, ist ja kaum viel später als die Schlacht, es gilt als gleichzeitig! Die Frage wegen der hohen Marter war schon vor Kreppei von Reicke geklärt worden. Diese Provenienz ist aber nirgends anerkannt. Daß Stromer bei Verfolgung der Markgräflichen einen Weg benutzte, der von St. Peter direkt zur Wendelsteinstraße führte und den Fischbach hinter den Ziegelstadel (Hallerhütte) überschritt, ist gleichfalls schon von Reicke vermutet worden. Die Untersuchung über die damaligen Straßenverhältnisse läßt Kasimir von Schwabach über Katzwang und Kornburg, weiter über Worzeldorf und Steinbrüchlein auf der Kornburger Straße bis ungefähr zu dem Punkte ziehen, bei dem heute die genannte Straße sich mit der Allersbergerstraße kreuzt, dann weiter bis zum Ort des Hinterhalts (3. Kap.). Diese Marsch­ richtung ist recht wohl denkbar und hat viel Wahrscheinlichkeit für sich. Eine Gewißheit aber will sich bei nüchterner Prüfung der Kreppelschen Beweisstücke seiner Aufstellung gegenüber nicht einstellen. Kap. 3 will den Hinterhalt des Markgrafen im Wald örtlich bestimmen. Kreppei setzt hier zu dem nicht viel sagenden Götzschen Passus eine Stelle aus den Annalen des so viel späteren *) In der 3. Auflage des Gemäldekatalogs (1893) unter Nr. 523 (alte Nr. 484) aufgeführt.

344 Joh. Müllner (f 1634), dessen Berichte allerdings vielfach auf offizielle Aufzeichnungen zurückgehen. Sie läßt den Markgrafen in einem »Tale« warten. Verfasser hat dieses Tal in einem Wiesengrund südöstlich von Hummelstein, der sich westlich (rechts) der (alten) Allersbergerstraße in einer Vertiefung im Walde fortsetzt, wieder gefunden und stellt fest, daß ihm auch noch der Volksmund zuhilfe komme, der von der alten jetzt wieder aufgerichteten Marter mit einer Jahrzahl 1504 berichtet, »ein Markgräflicher sei dort einmal herausgebrochen«. Icji glaube indes, daß solche Volks-»Überlieferungen« nicht 2ti rasch als solche übernommen werden sollten, in ähnlichen Fällen wäre wohl efstmals zu bedenken, wieweit nicht Lektüre oder Hörensagen hier eine unechte Überlieferung zustande brachten. Den Kampf um die Wagenburg läßt Kreppei an einem von dem Orte des Hinterhalts verschiedenen Platze vor sich gehen, eine Annahme, die an sich Beifall verdient. Weniger über­ zeugend wirkt wieder die Sicherheit, mit der die Kampfstelle fixiert erscheint (S. 53 f.). Die Zuhilfenahme der vor 3 Jahren nächst der südlichen Mauer des Schützenhausgartens aufgefunde­ nen zwei Steinkugeln beweist nicht viel oder nichts für die Annahme gerade jenes Platzes. Die geschichtlichen Notizen über die Schlösser S. 55 ff. und sonst hätten weggelassen werden können, umsomehr, da sie Neues nicht bieten. Kapitel 5 behandelt den Beginn des Kampfes bei der Peterskirche und erläutert die dortigen örtlichen Verhältnisse. Kapitel 6: »Der Wald im Süden und Südosten von Nürn­ berg« kömmt zu dem Schlüsse, daß damals der Wald noch bedeutend näher an Nürnberg heranreichte als heute. Das Festhalten an dieser, wie Reicke mit Recht sagt, landläufigen (von ihm übrigens mehr oder weniger bekämpften) Ansicht (vgl. seine Besprechung des Kreppelschen Buches im Fränkischen Kurier 1905, No. 606), für die freilich ganz stichhaltige Beweise auch bei Kreppei nicht erbracht sind, ist vielleicht doch nicht so ganz ungerechtfertigt. Es mag immerhin zu denken geben, daß heute noch die Katzwangerstraße vor dem Wald dem Forstärar gehört, das früher auch über die Allersbergerstraße, nördlich bis zum Schulhaus, verfügte und große Grundstücke dort verkauft hat. In einem 7. Kapitel faßt Kreppei alle seine gewonnenen

345 Ergebnisse zusammen, die Schlacht »unter dem Gesichtspunkt der örtlichen Verhältnisse« noch einmal kurz schildernd. Kapitel 8 verbreitet sich schließlich über die Zeitdauer der Schlacht, für die mit ziemlicher Wahrscheinlichkeit die Morgen­ stunden von 6—10 Uhr angenommen werden. Über methodische Fehler ließe sich wohl hier und dort noch mit dem Autor rechten. Das Studium der Haaseschen Quellenkritik hätte Kreppei abhalten sollen, den auf die Schlacht bezüglichen Volks- und Landknechtsliedern die Bedeutung zu­ zuerkennen, die er ihnen beizumessen scheint. Wenn Verfasser S. 6 beteuert, daß »nur solche Quellen benutzt sind, deren Zuverlässigkeit bekannt sind, unsichere Quellen nur dann, wenn ihre Angaben durch die der anderen bestätigt werden«, so hat er damit doch eigentlich nur eine selbstverständliche Forderung der historischen Kritik wiederholt. Überraschen muß es auch, wenn die moderne Inschrift am Wohnhause Pirckheimers als Quelle für das Datum seines Todes herangezogen wird (S. 71). Der Referent hat vielleicht zu lange den Blick auf gewissen Schwächen des Kreppelschen Buchs ruhen lassen. Er gesteht aber gerne ein, daß er, der nur in wenigen Fällen sich zu den Beweisführungen des ortskundigen Verfassers bekennen konnte, die aufgestellten Thesen .beifälliger begrüßt haben würde, hätte Kreppei nicht eben mehr aus ihnen machen wollen, als sie schlechterdings sein können — klug ausgedachte, geschickt vorgebrachte, mehr oder weniger wahrscheinliche und durchaus anregende Vermutungen über die Örtlichkeiten der Schlacht im Nürnberger Wald1). Das Büchlein zieren 3 Beilagen: die Kirchenruine von Affalterbach (Ludwig Ebner nach Georg Adam), Kirche und Siechkobei von St. Peter (aus den Rothschen Prospekten), endlich das erwähnte Gemälde im Germanischen Museum mit b Immerhin ist es ein Verdienst des Verfassers und bedeutet einen Fortschritt gegen die früheren DarsteJIungen, dem topographischen Kern der Frage näher getreten zu sein. Kombinationen und Vermutungen, wenn sie anregend und wahrscheinlich sind, können unmöglich aus der historischen Forschung ausgeschaltet werden. Sie haben da einzutreten, wo die absolute Sicherheit nicht zu erreichen, und bilden dann oft genug die Brücke, auf der die Forschung zu weiteren Ergebnissen fortschreitet. D. R.

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gleichzeitiger Darstellung unserer Schlacht. Bedauerlich ist der Mangel einer (wenn auch noch so bescheidenen) Kartenskizze. Ohne eine solche ist es selbst dem Einheimischen und mit der dortigen Gegend Vertrauten nicht immer leicht, den Ausführungen Kreppeis zu folgen. Oder will der Verfasser bloß für Nürn­ berger geschrieben haben? H. Heerwagen.

Zur Politik des Markgrafen Georg von Bran­ denburg vom Beginne seiner selbständigen Regierung bis zum Nürnberger Anstand 1528—1532. Auf Grund archivalischer Forschungen von Dr. Carl Schornbaum. München, Theodor Ackermann, Königlicher Hofbuchhändler. 1906. 8°. VIII und 559 S. Dr. Schornbaum hat vor etlichen Jahren in seiner umfang­ reichen Inauguraldissertation zur Erlangung der Doktorwürde die Stellung des Markgrafen Kasimir von Brandenburg zur reformatorischen Bewegung in den Jahren 1524 bis 1527 auf Grund archivalischer Forschungen behandelt und schon damals gezeigt, daß er es mit seinen archivalischen Studien genau nimmt. Daß er seine Forschungen in der brandenburgischen Reformationsgeschichte unermüdlich fortgesetzt hat, wissen wir aus verschiedenen Beiträgen, welche er in Fachzeitschriften inzwischen veröffentlicht hat. Jetzt aber ist aus seiner Feder das oben angezeigte Buch über Markgraf Georg den Frommen erschienen, das als Fortsetzung der ersterwähnten Schrift be­ trachtet werden kann und als ein neuer, höchst schätzenswerter Beitrag zur brandenburgischen Reformationsgeschichte bezeichnet werden darf. Auch diese Arbeit beruht auf äußerst gewissen­ hafter Durchforschung der einschlägigen Archive, und auf welch reichhaltiges Material der Forscher dabei gestoßen ist, das geht schon aus dem rein äußerlichen Umstand hervor, daß die dem Texte beigegebenen Anmerkungen mehr als die Hälfte der Seiten des stattlichen Bandes füllen. Eine Fülle von wert­ vollen Einzelheiten, insbesondere auch solcher, welche die Refor­ mationsgeschichte der Nachbarstadt Nürnberg betreffen, ist dort in Auszügen aus den Originalakten oder in besonderen, kurzen

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Exkursen mitgeteilt. Der Verfasser hat sich nicht beschränkt auf das im Kreisarchiv Nürnberg vorhandene umfassende Aktenund Urkundenmaterial, er hat sich auch in den Kreisarchiven zu Würzburg, im kgl. preuß. Hausarchiv zu Charlottenburg, im kgl. preuß. Staatsarchiv zu Königsberg in Pr., in den Stadtbibliotheken zu Ulm und Nürnberg und im Stadtarchiv zu Ansbach umgesehen und an all diesen Orten fleißige Studien gemacht. Die Frucht dieser Studien liegt nun in dem oben­ angezeigten Bande vor. Im Gegensatz zu seinem Bruder Kasimir, der sich fast aus­ schließlich von staatspolitischen Erwägungen leiten ließ und der neuen Lehre ziemlich gleichgiltig gegenüberstand, war Markgraf Georg ein überzeugter Anhänger Martin Luthers und erfüllt von dem ernsten Wunsche, die Reformation in seinen Landen durchzuführen. Er blieb seiner Überzeugung treu, so schwierig auch seine Lage war und so oft auch die Versuchung an ihn herantrat, durch Konzessionen nach der katholischen Seite die Anerkennung seiner Ansprüche auf Landbesitz in Schlesien und seiner beträchtlichen Forderungen durchzusetzen. Solange er das Markgrafentum gemeinsam mit seinem Bruder Kasimir anstatt des abgesetzten Vaters zu regieren hatte, hatte er sich zumeist in Schlesien aufgehalten und den Bruder in Franken schalten und walten lassen. Jetzt stand ihm die Regierung der ganzen Markgrafschaft allein zu, und es hätte seiner Sinnesart und seiner offenkundigen Hinneigung zur Reformation entsprochen, wenn er sich enge an die im Gotha-Torgauischen Bündnis zum Schutze der bedrohten evangelischen Freiheit verbündeten evangelischen Stände hätte anschließen können. Aber es war Vorsicht geboten. Georg durfte es mit dem Kaiser und seinem Bruder Ferdinand nicht verderben. Er war zu abhängig von ihnen. Dazu kamen die finanziellen Schwierigkeiten, mit denen er von Anfang seiner selbständigen Regierung an zu kämpfen hatte. Denn Kasimir hatte ihm ein schwer verschuldetes Land hinterlassen und trotz aller Sparsamkeit wollte es nicht gelingen, Ordnung in die Ver­ hältnisse zu bringen. So sehen wir ihn, stets umworben von den evangelischen Fürsten, immer seine eigenen Wege gehen. Selbst mit Nürnberg, das ihm an Vorsicht und Behutsamkeit nicht nachgab, wollte, wenn auch aus anderen Gründen, keine

348 Verständigung gelingen. Wir verfolgen mit Interesse in Schorn­ baums Buch der Darstellung dieser eigenartigen Verhältnisse, der Kämpfe zwischen den Alt- und Neugläubigen im Lande, der Stellung des Markgrafen auf dem Reichstag zu Speier und gegenüber den Bündnisbestrebungen der evangelischen Fürsten und Städte. Endlich kam der Reichstag von Augsburg im Jahre 1530 heran. Er brachte den Zusammenschluß der evan­ gelischen Stände. Mutig trat der Markgraf für seine Über­ zeugung ein, mutig rief er dem Kaiser zu, daß er eher den Kopf verlieren, als auf das Wort Gottes verzichten wolle. Enge schloß er sich an Johann von Sachsen an und betrieb mit ihm die Fertigstellung und Überreichung des Augsburgischen Bekenntnisses. Tapfer widerstand er allen Versuchen, ihn von den Evangelischen zu trennen, unterstützt und beraten von trefflichen Räten und Theologen. Fortan gingen Brandenburg und Nürnberg Hand in Hand, auch wenn sie sich mit den übrigen evangelischen Ständen nicht zu einigen vermochten, ja selbst als es zum förmlichen Bruch mit diesen kam. Georg und die Reichsstadt Nürnberg gaben die Hoffnung nicht auf, daß in der Religionsangelegenheit eine gütliche Verständigung mit dem Kaiser zu erreichen sei, und suchten wo immer möglich zu vermitteln. Den Beitritt zum Schmalkaldischen Bund ver­ weigerten beide. Markgraf Georg erntete wenig Dank beim Kaiser. Endlich kam es im Jahre 1532 zum Nürnberger An­ stand; es wurde vereinbart, daß zwischen den Evangelischen und allen Ständen des Reiches, also auch dem Kaiser, Frieden herrschen sollte bis zu einem freien gemeinen christlichen Konzil. Georg von Brandenburg war zufrieden, als dies Ziel erreicht war; nun konnte er in seinem Lande ungestört die Reformation vollends durchführen. Der Verfasser hat die Begebenheiten während dieser er­ eignisreichen vier Jahre der Regierung Markgraf Georgs vor­ trefflich geschildert und weiß das Interesse des Lesers von Anfang bis zu Ende zu fesseln. In den Anmerkungen hat er ein überaus wertvolles Material zur Reformationsgeschichte zu­ sammengetragen. Die Wissenschaft schuldet ihm unzweifelhaft Dank für seine Arbeit; aber auch der Laie wird sie mit Ver­ gnügen und ohne Reue lesen. —ss.

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Nürnberger Ratsverlässe über Kunst und Künst­ ler im Zeitalter der Spätgotik und Renaissance (1449) 1474—1618 (1633) von Dr. Th. Hampe. 3 Bde. Sonderausgabe aus »Quellenschriften für Kunstgeschichte etc. Wien, Karl Graeser de Co. Leipzig, G. B. Teubner 1904. 8°. XXIV und 618, 541 und 137 S. In zwei starken Bänden, zu denen ein Registerband kommt, legt uns der durch seine eifrigen und eingehenden Quellen­ forschungen auf dem Gebiete der Nürnberger Kultur- und Kunst­ geschichte verdiente Konservator und Bibliothekar am Germa­ nischen Museum die Ergebnisse langjähriger, entsagungsreicher und mühseliger, aber andererseits auch erfolgreicher Arbeit vor. In der Tat, es war eine Arbeit reich an Mühe und Entsagung, an die 2000 einzelne Bändchen der »Ratsverlässe«, welche die Beschlüsse des kleineren oder engeren Rats der Stadt Nürnberg von 1449 (bzw. 1474) — 1618 (bezw. 1633) enthalten, auf Nürnberger Kunst und Künstler, auf Kunst­ gewerbe und Kunsthandwerker hin durchzuackern 1 Man kann es nur gutheißen, daß der Forscher sich in dem Jahre 1618, dem Jahre des Beginnes des 30 jährigen Krieges und des Einsetzens des Barocks, eine zeitliche Grenze gesteckt hat. Die Ratsverlässe durchzuarbeiten für die ganze reichsstädtische Zeit bis zu dem Zeitpunkt, da der Übergang aus den reichs­ städtischen in die neuen bayerischen Verhältnisse unter der Mitwirkung des noch weiter funktionierenden, aber schon in der reichsstädtischen Zeit umgestalteten und reduzierten Rats zur vollendeten Tatsache geworden war — 30. März 1808 und nicht schon wenige Monate nach der Einverleibung Nürn­ bergs —, wäre eine zu gewaltige Arbeit gewesen, die zudem in demselben Verhältnis an Interesse und Bedeutung verloren hätte, als sie sich von der Glanzzeit der Nürnberger Kunstentwicklung entfernt hätte. Es war durchaus berechtigt, daß der Ver­ fasser gerade die Ratsverlässe zum Gegenstand seiner Publikation machte, aus dem einfachen Grunde, weil sie, wenige Ausnahmen abgerechnet, die sämtlichen Willensäußerungen des kleineren Rates festhalten, was bei den Ratsbüchern, die nur das dem Rat zur Feststellung für die Zukunft wichtig Erscheinende, später oft in sehr erweiterter Form unter Benutzung der Akten der

350 Bürgermeisterlade, bringen, nicht der Fall ist. Dann aber war es dem Herausgeber darum zu tun, diese in besonderer Lauter­ keit und ohne jedwede subjektive Beimischung fließende Quelle in ihrer hervorragenden Bedeutung zu erschließen. Eines nur hätte ich gewünscht, daß nämlich für die Zeit, wo die Rats­ verlässe noch nicht vorliegen (es sind abgesehen vom Jahre 1449, für das statt des Ratsbuchs die Ratsverlässe eintreten, die Jahre von 1441 —1474), die Ratsbücher, die hier für die nicht erhaltenen, schon bald nach Erfüllung ihres amtlichen Zweckes der Vernichtung anheimgefallenen Ratsverlässe eintreten, zur Ergänzung herangezogen und uns auch aus den Verlässen der Herren Ältern und des Geheimen Rats oder Ausschusses, die seit dem Jahre 1543 in besonderen Bänden vorliegen, noch mehr mitgeteilt worden wäre, als es geschehen ist. Gerade die Ratsbücher bieten für die Zeit, wo die Ratsverlässe ausfallen, reiches Material über Nürnberger Künstler und Bauten. Ich erinnere da beispielsweise nur an die Nachrichten, welche die Ratsbücher über die großen Bauten an der Lorenzkirche und deren Baumeister geben. Aber abgesehen davon hat der Herausgeber mit einer seltenen Hingabe an seine Aufgabe doch alles geleistet, was nur menschenmöglich war. Schon ganz äußerlich zeigt es sich in dem bedeutenden Umfange des Werks, das nicht weniger als 7366 Auszüge aus den Ratsverlässen umfaßt. Gehen wir aber das Buch im einzelnen durch, so müssen wir geradezu erstaunen über die Fülle und die Vielseitigkeit des Stoffes, der uns aus den eng und kurz gefaßten Beschlüssen des Rats ent­ gegentritt. Der Herausgeber folgt, soweit es eben die Aufzeich­ nungen zulassen, dem Künstler in seinem Leben und Treiben, sucht ihn festzuhalten in seiner Stellung innerhalb der Gesellschaft, in seiner Lebensführung, sucht ein Bild zu geben von seinem geistigen Niveau, von den »nahen Berührungen zwischen Kunst, Handwerk und Ingenieurwesen, die sich erst langsam von einander scheiden, von dem Verhalten der Obrigkeit gegenüber künstlerischen Leistungen, den Einwirkungen von außen und nach außen, vom Kunsthandel in seinen verschiedenen Formen u. a. Die Notizen über Maler und Malerei im weitesten Sinne, d. h. mit Einschluß der auf die graphischen Künste sowie auf Illuministen, Briefmaler,

351 Kartenmaler, Glasmaler, Wismutmaler u. s. f. bezüglichen Nach­ richten, sind möglichst vollzählig, wenn auch in unwichtigeren Fällen nur auszugs- oder andeutungsweise aufgenommen worden und ebenso alle Ratsverlässe, die das Gebiet der Plastik ein­ schließlich der Siegel-, Münzeisen- und Stempelschneidekunst betreffen. Hinsichtlich der Notizen über Architektur dagegen mußte bei der gewaltigen Fülle des Materials eine Auswahl des Wichtigeren getroffen werden«. Die Goldschmiedekunst fand von den Kunstgewerben beson­ dere Berücksichtigung, in möglichster Vollständigkeit wurden die sie betreffenden zahlreichen Verlässe wiedergegeben. Besondere Aufmerksamkeit wurde der Kunstweberei, der Arras- und Atlas­ weberei, dem Seidenhandel, der Deckweberei zugewendet. Die Verlässe über die Gewerbe der Plattner und Panzermacher, der Geschützgießer, der Büchsenschmiede und -Fässer wurden bis in die Zeit ihrer Blüte (1550) möglichst vollständig wieder­ gegeben, von da an, wie bei den übrigen Handwerken, in einer Auswahl unter Hervorhebung der kunstgewerblichen Seite. So finden sich auch, unter einer solchen Beschränkung, zahl­ reiche Nachrichten über Rotschmiede, Messinggießer, Messingund Beckschlager, Kupferschmiede, Schlosser, Scheidenmacher, Klingenschmiede, Messerer, Hafner, Kandelgießer, Windenmacher u. a., wobei wohl auch die Grenze zwischen Kunst und Handwerk einer- und dem Ingenieurwesen andererseits überschritten wurde. Wenn nun auch die sich hier bietende reichhaltige Quelle nach Kräften ausgeschöpft wurde, so konnte doch ein nach jeder Beziehung vollständiges Bild nicht erreicht werden. Das wird überhaupt nie möglich sein und kann auch hier nicht ver­ langt werden. Es liegt nämlich in der ganzen Natur dieser amtlichen Quellen, daß sie die Kunst und den Künstler nur insoweit berühren können, als diese mit der staatlichen Auf­ sichtsbehörde in irgendwelche Berührung treten, sei es in gesetz­ mäßiger Weise oder im Widerspruch mit der staatlichen Ordnung. Was darüber hinausgeht kann aus Quellen dieser Art nicht gewonnen werden, sondern muß aus solchen privater Natur, wie chronikalischen Aufzeichnungen, biographischen und genea­ logischen Notizen und sonstigen privaten Mitteilungen erschlossen werden, wenn solche überhaupt vorhanden sind. Es wird unser

352 historisches Wissen gerade in dieser Hinsicht immer Stückwerk bleiben und besonders in einer Zeit, wo man auf das rein Indi­ viduelle im Vergleich zu später und jetzt noch kein so großes Gewicht legte. So kann denn auch aus Hampes Werk, wie es ja auch nicht anders denkbar ist, eine auch nur annähernde Vollstän­ digkeit der Nachrichten nicht erwartet werden. Aber deshalb gleich schließen zu wollen, wie es geschehen, daß der Ertrag gering sei oder doch in gar keinem Verhältnisse zu der aufgewen­ deten Mühe und Arbeit stehe, wäre doch ganz verfehlt. »Auch Hampe«, läßt sich ein Berichterstatter vernehmen1), »wird sich, als er mit einer bewunderungswürdigen Selbstlosigkeit an die Bewältigung seiner Riesenarbeit herantrat, sicherlich mehr von ihr versprochen haben, als sie ihm gehalten hat. Allein er konnte doch nicht mitten in seiner Arbeit aufhören, zumal er ja immerhin damit rechnen durfte, daß ihm wenigstens noch ein Dokument in die Hand fallen könnte, das von so exorbi­ tanter Wichtigkeit wäre, daß all die große Müh und all der rastlose Fleiß wie mit einem Schlage eine mehr als genügende Belohnung gefunden hätte. Leider ist das — soweit ich sehe — nicht der Fall gewesen, so daß der gelehrte Forscher für diesmal als Hauptentgelt seiner rastlosen Arbeit wohl die innere Befrie­ digung betrachten darf, wie sie jeder intensiven und in besonders hohem Grade jeder entsagungsvollen Tätigkeit entspringt«. Das wäre allerdings wenig genug und von einer wirklichen Befriedigung könnte da wohl kaum noch gesprochen werden. Aber wir haben in diesem Artikel nur die ganz subjektive Meinung eines Hyperkritikers vor uns. Es ist schon ein ganz außerordentlicher nega­ tiver Erfolg, der für die Zukunft eine unabsehbare Unmenge von Arbeit überflüssig machen wird, zu wissen, was man in den Rats­ verlässen nicht zu suchen hat. Andererseits ist es aber ganz falsch anzunehmen, daß das Positive, das Hampes Werk liefert, unbe­ deutend, daß dessen wissenschaftlicher Ertrag für die Kunstge­ schichte beinahe gleich null sei. Ist es denn nicht auch für den Kunsthistoriker zu wissen wichtig und erwünscht, unter welchen Verhältnissen der Künstler zu schaffen hatte, inwieweit er vom Rat l) Alfred Hagelstange in Jhrgg. 18 der Graphischen Künste. der Gesellsch. für vervielfältigende Kunst No. 2, S. 36.

Mitteil,

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der Reichsstadt Förderung und Unterstützung erfuhr, wie sich dieser überhaupt zu den Künstlern stellte, wie der Unterschied und die Grenzen von Kunst und Handwerk, wie die soziale und wirt­ schaftliche Stellung des Künstlers und Kunsthandwerkers war, wie endlich der eine wie der andere seiner Arbeit gegenüber­ stand, wie er sie angriff und nach welchen Bestimmungen er sie durchführte? Und ist es denn für die Kunstgeschichte so ganz und gar gleichgültig oder ist es nicht vielmehr auf das lebhafteste zu beklagen, daß wir von den großen Meistern des Mittelalters, es sei auf welchem Gebiete auch immer, oft so wenig oder gar nichts wissen? Würden wir die Kunstgeschichte nicht viel besser ver­ stehen und ihre Werke mit ganz anderen Augen ansehen, wenn wir im einzelnen Falle die bedeutenden wie weniger bedeutenden Erzeugnisse der Kunst auch ihren Urhebern zuweisen, sie gruppieren und nach Zeit und Charakter besser scheiden und erkennen könnten, als das jetzt geschehen kann? Würde nicht dadurch so manches hell erleuchtet sein, was jetzt dunkel oder doch unklar vor unsern Augen liegt? Jeder, der es unternimmt, hier Klarheit zu schaffen, der das Dunkel lichten hilft, das noch in weiter Ausdehnung gerade über der Geschichte der Kunst lagert, der erwirbt sich ein volles Anrecht auf den aufrichtigen Dank und den uneingeschränkten Beifall des Kunst­ historikers, Auf keinen Fall aber kann man es als gerechtfertigt ansehen, wenn man hier achselzuckend und mit geringschätzender Miene auf den geringen Ertrag der Arbeit herabzublicken sich an­ stellt, während es doch keine Frage sein kann, daß Hampe durch sein Werk das Bild, das wir bis jetzt von der» Kunst- und Künstler­ geschichte sowie von der Kultur- und Handwerksgeschichte Nürn­ bergs hatten, in bedeutendem Maße ergänzt und bereichert hat. An dem Wert des Hampeschen Quellenwerks ändert auch der Umstand nichts, daß hie und da Ratsverlässe, die meines Erachtens hätten herangezogen werden sollen, unberücksichtigt geblieben sind. Einerseits wollte Hampe ja nicht alles bringen, und in einzelnen Fällen kann man es ihm bei der schier unabsehbaren Masse des vorliegenden Materials nicht zum Üblen anrechnen, wenn ihm der eine oder andere Verlaß unter den tausenden, die er gebracht, unter den Händen ent­ schlüpft ist. 23

354 In einer längeren Einleitung verbreitet sich Hampe außer über die Ratsverlässe auch über die Ratsbücher und stellt das Verhältnis fest, in dem die Historiker zu diesen beiden Gruppen amtlicher Quellen stehen, geht weiter ein auf die Bedeutung der Verlässe der Älteren Herrn, des Geheimen Rats oder Aus­ schusses, der Haderbücher oder Protokolle des Fünfer- oder Hadergerichts, der Acht- und Strafbücher — die übrigens nicht als eine Ergänzung der Haderbücher angesehen werden können —, die Verlässe der Deputation zum Bauamt, die, im städtischen Archiv verwahrt, nicht etwa die Beschlüsse dieses Ausschusses, sondern die vom Rat an das Bauamt, bezw. an die Bauamts­ deputation gerichteten Ratsverlässe umfassen, und die Verlässe der Losunger. Bezüglich der Kriegsherren oder der Kriegsstube, aus der uns nur für die Zeit von 1631 —1633 Verlässe erhalten geblieben sind, darf es wohl bis auf weiteres als zweifelhaft an­ gesehen werden, ob sie auch in Friedenszeit und auch, nachdem ihr die Fremdenaufsicht übertragen worden war, Verlässe in eigener Kompetenz hat ausgehen und protokollarisch festhalten lassen. Auch den Jahresregistern, die von den Stadtrechnungen zu unterscheiden sind, sowie den Briefbüchern, den Schenk­ büchern, den Losungs- und Steuerlisten und den Schreyerschen Manuskriptenbänden widmet er eine kurze Besprechung. Meines Erachtens kommen die Losungs- und Steuerlisten für die Kunst­ geschichte nicht in Betracht. Bezüglich der Archivalien des Stadtarchivs, dessen Ge­ richtsbücher (die Libri literarum und das Conservatorium), Manuale des Stadtgerichts, Gerichtshändelbücher, Testament­ bücher, Amts- und Heiratsbücher und Handwerkerladen er anführt, möchte ich doch bemerken, daß, von den beiden Abteilungen der Gerichtsbücher abgesehen, diese Quellen, soviel ich sehe, doch kaum nennenswerte Beiträge zur Geschichte der Nürnberger Kunst beisteuern. Die Libri inventariorum enthalten die Inventare meist kleiner Leute aus Stadt und Land, und nach Beiträgen zur Geschichte der Kunst wird man vergeblich in ihnen suchen. Das letztere gilt auch von den beiden Bänden der Testamente (1562—1582 und 1585 —1621), soweit ich sie daraufhin durchgesehen habe. Oder was will es für die Geschichte der Kunst besagen, wenn man hie und

355 da silberne Hofbecher, ein silbernes Becherlein oder Harnische, Panzer, Büchsen, Ringe, einmal auch große gemalte Tafeln mit der Musica, gestochene oder in Blei gegossene Kunststücke, Gipstäfelein, Kontrafakturen u. a. verzeichnet findet, ohne daß angegeben ist, was sie dargestellt haben und wer sie angefertigt hat. Hier wie auch in den Heiratsbüchern, in denen auch die umliegende Gegend, wie z. B. Kraftshof, Lauf, Schwabach, stark in Frage kommt, ist zudem alles zu wenig spezifiziert, als daß man etwas damit anfangen könnte, und Künstler von irgend­ welcher Bedeutung habe ich darin nicht entdecken können. Ich muß übrigens bemerken, daß die langen Reihen von Folianten der Gerichts- und anderer Amtsbücher nicht erst nach Lochners Tode (j* 1882), sondern beinahe 4 Jahrzehnte vorher, 1844, in den sich an den Wänden hinziehenden Truhen des Rat­ haussaals vorgefunden wurden. Dazu kamen 1897 bei Gelegen­ heit der Legung eines neuen Fußbodens im Saal nur noch einige Bände Konservatorien, Conceptionalia literarum und conservatorii, Manuale und Quittungsbücher des Stadtgerichts und einige Akten1). Die Selecta Archivalia Norimbergensia, die Lochner zusammenschrieb, enthalten sehr selten bloße Auszüge, sondern fast ausschließlich unverkürzte Abschriften aus den Gerichts­ büchern Litterarum und Conservatorii. Diese Bemerkungen, die den Wert des großen und schönen Werkes in keiner Weise beeinträchtigen können, möge uns der Verfasser nicht verübeln. Sie verfolgen nur den Zweck, bei anderen Forschern nicht etwa Hoffnungen und Erwartungen auf einen reichen Ertrag dieser Bücher zu erregen, die sie dann nach kürzerer oder längerer Einsicht enttäuscht und unmutig wieder aus der Hand legen würden. Bezüglich des Müllnerschen Annalenwerks möchte ich noch feststellen, daß die Originalniederschrift — ebenso wie die Aus­ arbeitung von der Hand Müllners — sich nicht in der Stadt­ bibliothek, sondern im kgl. Kreisarchiv Nürnberg befindet. Im übrigen bleibt mein Urteil bestehen. Das Hampesche Werk bedeutet für alle Zeit eine hervorragende Quelle zur !) S. meinen Aufsatz: Die Archivalienfunde im großen Rathaussaal zu Nürnberg i. J. 1844 u. 1897 im Korrespondenzblatt des Gesamtvereins der deutschen Geschichts- u. Altertumsvereine Jhrg. 1898, S. 34 ff. 23

356 Erforschung der Nürnberger Kultur-, Kunst- und Handwerks­ geschichte. Es wird dem Forscher viel Arbeit und Mühe ersparen, da es ihm zeigt, was er in einer der wichtigsten und reichsten Quelle zu suchen hat, was nicht. Es wird aber auch in außerordentlich vielen Fällen positives Material bieten und Anregungen und Fingerzeige zu weiteren Forschungen geben. Sorgfältig gearbeitete Personen-, Orts- und Sachregister, die erst die Fülle und Mannigfaltigkeit des Stoffes in seinem ganzen Umfange ersehen lassen, ermöglichen es dem Benützer, der nicht das ganze umfassende Werk durchzuarbeiten sich entschließen kann, sich in kurzem über den Inhalt nach den verschiedenen Richtungen hin zu belehren.

E. Mummenhoff.

Alt-Nürnbergs Profanarchitektur. Ein Bild ihres geschichtlichen Werdegangs. Mit Berücksichtigung der Stadt­ befestigung, Straßenbilder und Brunnen. In 151 Lichtdruck­ darstellungen mit einem anleitenden Text. Von Dr. Fritz Trau­ gott Schulz. Verlag von Gerlach & Wiedling. Wien und Leipzig. 4°. 32 S. 113 Tafeln. Ein Gang um und durch Nürnbergs Mauern in Bild und Wort an der Hand eines kundigen, mit der Sache innig ver­ trauten Führers! Aus dem in 2. Auflage längst vergriffenen Werke: Nürnbergs Erker, Giebel und Höfe hervorgegangen und erweitert, übertrifft es dieses durch seinen viel reicheren Inhalt, da es die ganze reiche Nürnberger weltliche Architektur, die in ihrer geschichtlichen Entwicklung darzustellen bis jetzt noch nicht versucht wurde, heranzieht, sowie durch die sorg­ fältige und vollendete Wiedergabe der einzelnen Gegenstände. In nicht weniger als 9 Text- und 151 Tafelabbildungen wird uns die Stadt in ihrer äußeren Erscheinung und Bauart, in ihren charakteristischen Bauwerken im ganzen wie im einzelnen vor­ geführt. Von der Burg, dem Ausgangspunkt der städtischen Entwicklung, die sich übrigens nicht langsam, sondern raschen Schrittes vollzog, nimmt auch die Darstellung naturgemäß ihren Ausgang und zeigt uns dieses älteste Gebäude der Stadt von

357 verschiedenen Seiten und in seinen einzelnen Bestandteilen, wie dem fünfeckigen Turm, dem Luginsland, der Amtmannswohnung, der Kaiserburg mit dem Heidentum. Die Darstellung der Stadt­ befestigungen, so weit sie jetzt noch im wesentlichen erhalten sind oder noch in bedeutenden Überresten zu Tage treten, hatte sich der Burgbefestigung gewissermaßen als deren Fort­ setzung und Ausbau anzuschließen. Von der vorletzten Befestigung kommen das Männereisen oder der Schuldturm, dessen zeitlich bestimmte Entstehung — 1325 — zugleich die Vollendung dieser Anlage aller Wahrschein­ lichkeit bezeichnet, der weiße. Turm, der Lauferschlagturm und die besonders malerische Partie des Wasserturms und des sich anschließenden Wehrgangs am Ausfluß der Pegnitz aus dem älteren Stadtbezirk beim Weinstadel in Betracht. Sind diese immer noch bedeutsamen Reste nur in beschränkter Zahl und Ausdehnung auf uns gekommen, so hat sich die letzte Befesti­ gung., abgesehen von den Einlegungen einer noch nicht weit abliegenden verständnislosen Zeit, doch noch in ihrem wesent­ lichen Bestände und mit all den unerschöpflichen Einzelheiten und Schönheiten erhalten, die sie Einheimischen und Fremden so lieb und teuer machen. Der Verfasser hat es hier unter­ nommen, die hervorragendsten und schönsten Partien, die charak­ teristischen Formen der vielgestaltigen Türme, die mächtigen Tore, die Mauern und Zwinger im Bilde vorzuführen und sie durch verständnisvolle Erläuterung in das rechte Licht zu rücken. Von der Stadtummauerung führt uns der Verfasser in die Stadt selbst und zeigt uns deren unerschöpflichen Reichtum an geschlossenen Architekturbildern, die hier in ungekünstelter Weise erreicht wurden. »Jedes Haus«, bemerkt er mit Recht, »erscheint als ein unzertrennliches Glied des organischen Ganzen, ja es ist mehr als ein bloßes Glied; kraft seines individuellen Gepräges wird es zu einem machtvoll bestimmenden Faktor, den man nicht so ohne weiteres aus seiner Umgebung heraus­ lösen kann, ohne nicht dadurch zugleich das ganze Straßenbild zu schänden. Leider aber wird dieses bittre Unrecht in der Neuzeit mehr denn nötig geübt. In einemfört reißt man in die eng zusammengefügten Züge und Prospekte der Straßen und Plätze der Altstadt Lücken, hierdurch nach und nach ein lang-

358 sames Verbluten herbeiführend. Fast ist es so, als risse man dem lebendigen Körper das Herz heraus und verlange dann, daß es weiterlebe 1 Das moderne Umgestalten der Straßen und Plätze im alten Stadtteil kann im Interesse der Erhaltung des mittelalterlichen Charakters von Alt-Nürnberg nicht genugsam beklagt werden. Man fahre nur so fort und kaum einer wird in 20—30 Jahren Nürnberg noch als die mittelalterlichste und altertümlichste unter den Städten Deutschlands rühmen!« Zutreffend sind die Ausführungen des Verfassers über das ausgesprochen lokale Gepräge der Nürnberger Profanbaukunst, über das Verarbeiten des Fremden zum Nürnberger Stil, über die Zweckmäßigkeit, womit sich der Baukünstler den oft engen und unregelmäßigen Verhältnissen anzupassen weiß, über das Bauen aus den Bedürfnissen heraus unter Überwindung aller entgegen­ stehenden Schwierigkeiten und Hindernisse, über das Malerische, das trotz alledem der Nürnberger Profanarchitektur vor allen übrigen in besonderem Maße eigen ist. Die ursprüngliche Bau­ weise ist natürlich der Fachwerkbau, von dem noch bemerkens­ werte Beispiele im Grolandhaus, Weinstadel und andern zum Teil von der Tünche bedeckten Häusern erhalten sind. Im 16. Jahrhundert fängt der Fachwerkbau, verdrängt vom Steinbau, allmählich zu verschwinden an, um in den Höfen, wohin er sich zurückzieht, »ein eigenes Leben zu entfalten«. Die Chörlein und Erker wurden dann gleichfalls in Holz ausgeführt, die Chörlein aber erst später. Vor dem 17. Jahrhundert finden sich für diese keine Beispiele, während hölzerne Dacherker, sehr zur Ausgestaltung und Belebung der Außenarchitektur beitragend, schon verhältnismäßig früh auftreten und in den mannigfachsten Formen von dem ältesten Rathauschörlein (1332 —1340) bis zum Chörlein aus der Zeit Ludwigs XVI. erhalten sind. Außer dem Chörlein und Erker wurden zur Belebung der Fassaden auch die Plastik und Malerei herangezogen und zwar in weitester Ausdehnung. Ihren eigentlichen Reichtum aber entfaltet die Profanarchi­ tektur im Innern, im Hof. Der Hallenhof mit seinen Holz­ galerien bot Gelegenheit zur eingehendsten und intimsten architektonischen Ausbildung im ganzen wie im einzelnen. Auch hier tritt uns, wie aus den Abbildungen zu entnehmen, eine

359 außerordentliche, durch die besonderen Verhältnisse, durch die Zeit und die Künstlerindividualitäten bedingte Verschiedenheit in Anlage und Form entgegen. Ferner handelt der Verfasser vom Äußern, von der Ausbildung der Giebel und der Ausge­ staltung der Fassaden. Da das Nürnberger Haus in der Regel die Langseite der Straße zukehrt, so sind Giebelarchitekturen nur in Ausnahmefällen gegeben. Aber es sind auch hier höchst bemerkenswerte und anziehende Formen anzutreffen, wie die Giebel des alten Rathauses, der Mauthalle, des Unschlitthauses, sowie solche an Privathäusern, wie der Mohrenapotheke u. v. a. Bei dieser Gelegenheit bespricht der Verfasser auch die charak­ teristischen Bauten des hervorragenden Nürnberger Architekten Hans Beheim d. ä. am Rathaus, die des älteren Nassauerhauses, des Hirschvogel- und Tucherhauses, von denen das eine auf Peter Flötner zurückgeht, während dessen Beteiligung an dem zweiten mit Wahrscheinlichkeit anzunehmen ist. Auch die zweite Hälfte des 16. Jahrhunderts ist durch hervorragende Bauten ausgezeichnet, wie die Häuser Adlerstraße 26, Karlstraße 17, das Fembohaus, das Viatishaus, das Haus Weinmarkt 11, das Heerdegensche Haus in der Karolinenstraße und das Toplerhaus dartun. Mit dem Peiler­ haus, das, wie ich schon in dem von mir überarbeiteten Führer des Stadtmagistrats vom Jahre 1895 auf Grifhd des urkundlichen Materials bemerkt habe, Jakob Wolff d. ä. erbaute, tritt die Nürnberger Baukunst in die Spätrenaissance ein. Auch die vor­ letzte Rathauserweiterung von 1616—1622 ist hier besonders hervorzuheben. Die bauliche Tätigkeit des 17. und 18. Jahr­ hunderts äußert sich weniger umgestaltend, sondern »beschränkt sich im allgemeinen auf die Ausschmückung der aus den vor­ hergehenden Epochen fertig dastehenden Häuser«. Auf An­ regung des Verlegers hat Schulz auch noch den Brunnen, von denen der Dudelsackpfeifer, das Gänsemännchen, der Tugend­ brunnen und der Neptunbrunnen, der Tugendbrunnen auch in einzelnen Details, wiedergegeben sind, erläuternde Worte gewidmet. Man vermißt in der Darstellung den reizenden Labenwolfbrunnen im großen Rathaushof. Fassen wir unser Urteil zusammen, so geht es dahin, daß es den vereinten Kräften des Verlegers und Verfassers gelungen ist, ein in jeder Beziehung vollkommenes Werk zu schaffen.

360 In zahlreichen charakteristischen Bildern erschließt es uns den schier unerschöpflichen Formenreichtum der Nürnberger Profan­ architektur, den uns der erläuternde Text in ihrer historischen und ästhetischen Bedeutung nahe bringt. So ist es ein unent­ behrliches Hilfsmittel für den Kunsthistoriker und Architekten, eine lehrreiche und anziehende Sammlung für den Liebhaber und den sich für die Nürnberger Kunst interessierenden Laien. E. MummenhofF.

Der Nürnberger Buchhändler Johann Philipp Palm, ein Opfer Napoleonischer Willkür. Zu dessen 100. Todesjahre quellenmäßig bearbeitet von Prof. Dr. J. Rackl. Mit 14 Bildern. Nürnberg, Carl Kochs Buchhandlung. 8°. 176 S. Am 26. August 1906 waren es hundert Jahre, daß zu Braunau der Nürnberger Buchhändler Johann Philipp Palm als ein Opfer Napoleonischer Willkür erschossen wurde. Prof. Dr. J. Rackl in Nürnberg hat sich in dankenswerter Weise der Aufgabe unterzogen, bei dieser Gelegenheit die Geschichte dieser unerhörten Gewalttatrauf Grund sorgsamster Prüfung der Quellen neu zu schreiben und uns den Lebensgang des Mannes zu schildern, der es gewagt hatte, einen Protest gegen die himmel­ schreienden Bedrückungen und Ungerechtigkeiten des Franzosen­ kaisers und seiner siegestrunkenen Heere in Bayern zu verbreiten, und den Mut und die Charakterstärke besaß, auch angesichts des Todes den Verfasser der Flugschrift nicht zu verraten. Er läßt uns einen Blick werfen in die Zeit der tiefsten Erniedrigung unseres Vaterlandes, in der es in dumpfer Ergebung in sein Schicksal ohnmächtig die Gewalttaten des großen Eroberers über sich ergehen lassen mußte, und zeigt uns das Bild eines deutschen Mannes, dessen Verhalten in einer der schwersten und kritischsten Lagen, in die ein Mann geraten kann, unsere ganze Bewunderung und Sympathie hervorruft. Wir lassen dahin gestellt, ob der Verfasser Recht hat, wenn er in der Tat Napoleons den Beweis dafür findet, daß der Franzosenkaiser eine ganz vulgäre Natur von leidenschaft-

361 lichster Heftigkeit und brutalstem Kleinsinn gewesen sei, daß ihm jedwedes großmütige Empfinden mangelte, daß ihm kein Platz unter den wahrhaft großen Männern der Geschichte ge­ bühre. Das Urteil über Napoleon ist auch heute noch nicht abgeschlossen, aber an sich ist nicht zu leugnen, daß die Broschüre »Deutschland in seiner tiefen Erniedrigung« eine poli­ tische Tendenzschrift war, in der der fremde Eroberer eine Gefahr für seine Zwingherrschaft sehen konnte und gegen deren Wirkungen er sich schützen mußte. In unseren Augen freilich erscheint die Flugschrift als ein herzlich unbedeutendes, zur Erregung der Leidenschaften wenig geeignetes, übertrieben ge­ fühlseliges Machwerk, das Heinrich von Treitschke mit Recht als einen Stoßseufzer des harmlosen Spießbürgertums bezeichnen konnte. Dem fremden Eroberer aber mochte es immerhin bei solchen Gefühlsäußerungen des deutschen Spießbürgertums un­ heimlich zu Mute sein. Aber damit erscheint die Gewalt­ tätigkeit, mit der sich der Eroberer der Person Palms bemächtigte, die Brutalität, mit welcher er in fremdes Land geschleppt und ihm jede Verteidigung abgeschnitten wurde, die direkte Ein­ wirkung des Franzosenkaisers auf seine Verurteilung durchaus nicht in milderem Lichte. Es war ein Justizmord empörendster Art, dem Palm zum Opfer fiel. Viel ist schon über den Autor der Broschüre gestritten worden, die Ansicht des Verfassers, daß der removierte gräflich Rechternsche Konsistorialrat Philipp Christian Gottlieb Yelin in Winterhausen die Broschüre geschrieben hat, hat unstreitig viel Wahrscheinlichkeit für sich. Aber einen völlig einwandfreien Beweis für seine Autorschaft hat auch Dr. Rackl, wie er selbst zugibt, nicht zu erbringen vermocht. Durch den Artikel Dr. Julius Meyers in der Fränkischen Zeitung (vgl. Fränk. Kurier No. 469) ist Prof. Dr. Rackl gewiß nicht widerlegt, wie er in No. 486 des Fränk. Kur. dargetan hat. Dem Gewährsmann Dr. Preu steht der Privatier Konrad Gebhard in Fürth als Gewährsmann gegenüber. Wie aber der Verfasser bei dieser Untersuchung vorsichtig und gründlich verfahren ist, so hat er sich indem ganzen Buche als gewissenhafter Forscher gezeigt und die bisherigen Ergebnisse der Forschung vielfach vermehrt und bereichert. Dem Buche sind eine Reihe interes-

362 santer Abbildungen beigegeben, die uns die Züge Job. Phil. Palms, den Schauplatz seiner letzten Stunden, das Denkmal, das dem Märtyrer der Freiheit in Braunau gesetzt wurde, u, a. veranschaulichen. Mit dem Verfasser wünschen wir, daß seine Arbeit zur Förderung und Kräftigung echt vaterländischer Gesinnung beitragen möge, —ss.

Die Jugend und Erziehung der Kurfürsten von Brandenburg und Könige von Preußen. Von Archivrat Dr. Schuster, kgl. preuß. Hausarchivar, und Prof. Dr. Friedrich Wagner (f). 1. Bd. Die Kurfürsten Friedrich I. und II., Albrecht, Johann, Joachim I. und II. (Auch unter dem Titel: Monumenta Germaniae Paedagogica etc. Hrsg, von Karl Kehr­ bach etc. etc.). Berlin, A. Hofmann & Comp. 1906. 8°. XXIII und 608 S. Wenn auch das angeführte Werk ein Stück brandenburgischpreußischer Geschichte behandelt und weiterhin nur die Jugend­ zeit der Kurfürsten von Brandenburg, jene Jahre, die sie für die Regierungsgeschäfte vorzubereiten und tauglich zu machen hatten, zur Darstellung bringt, so muß trotzdem in einer Zeit­ schrift, welche sich die Erforschung der Geschichte der Stadt Nürnberg zum Ziele gesetzt hat, darauf Bezug genommen werden. Die fortwährenden engen Beziehungen, in denen die Burggrafen von Nürnberg und späteren Markgrafen von Brandenburg von jeher zur Reichsstadt Nürnberg standen, rechtfertigen vollauf die Besprechung dieses Werkes, zumal da es als eine wichtige und hervorragende Bereicherung der brandenburgisch-preußischen Geschichtsliteratur bezeichnet werden darf. Dieses langdauernde Verhältnis, dessen Folgen sich für die Reichsstadt im Guten, aber mehr noch im Schlimmen "äußerten, macht das hohe Interesse erklärlich, das nicht allein der Nürnberger Historiker, sondern auch der gebildete Nürnberger überhaupt auch dann der Geschichte der Hohenzollern entgegenbringt, wenn sie in einerh etwas lockeren Zusammenhang mit der Geschichte der

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Reichsstadt steht. Die Darstellung der Jugend und der Er­ ziehungsgeschichte der Kurfürsten von Brandenburg aber hat einen um so größeren Anspruch auf unser Interesse, als sie eine höchst anziehende Entwicklungsperiode behandelt, die bei den Darstellungen mehr allgemeinen Charakters in den Hintergrund zu treten hat. Eine Darstellung der Erziehungs­ geschichte konnte sich übrigens nicht, wie es anfänglich beab­ sichtigt war, auf alle Mitglieder der kurfürstlichen und königlichen Linie der Hohenzollern, Prinzen und Prinzessinnen, regierende und jüngere Herrn ausdehnen, wenn das Werk nicht einen allzu großen Umfang annehmen sollte. Aber auch bei der Beschränkung auf die regierenden Fürsten hatte noch eine weitere Teilung der Arbeit einzutreten, so zwar, daß die Jugend- und Erziehungsgeschichte der ersten drei hohenzollernschen Kurfürsten von dem kgl. preußischen Hausarchivar Archivrat Dr. Schuster, die der drei folgenden Regenten von dem für die geschichtliche Forschung und ins­ besondere die Erforschung der brandenburgisch-preußischen Geschichte viel zu frühe dahingegangenen Prof. Dr. Friedrich Wagner übernommen wurde. Für die Zeitgrenze der Darstellung war die Übernahme der Regierung oder die Begründung eines eigenen Hausstandes maßgebend. So war denn auch ein genügender Spielraum ge­ geben, die Jugendgeschichte der in Betracht kommenden Fürsten vom höheren Standpunkt der Zeitgeschichte aus zu betrachten und so ein Kulturbild von bleibendem Werte zu schaffen. Bei der Dürftigkeit der Quellen, zumal in der älteren Zeit, war es eine höchst schwierige Aufgabe, da wo direkte Quellen fehlten, aus gelegentlichen Äußerungen der Archivalien und aus Ana­ logien ein Bild zu gestalten, und nur zu häufig mußte zu Ver­ mutungen und Kombination Zuflucht genommen werden. Aber trotz der klaffenden Lücken in den Quellen haben wir ein Werk erhalten, das nach mehr als einer Seite hin unsere ganze Beachtung verdient. Es ist nicht bloß ein wertvolles Denkmal der hohenzollernschen Familiengeschichte und bringt wichtiges Material zur Zeit- und Kulturgeschichte, auch für die fränkische Landes- und Lokaigeschichte und insbesondere auch für die Nürnberger Geschichte bietet es wertvolle Beiträge. Da den

364 Beziehungen zwischen den Brandenburgern und der Reichsstadt Nürnberg in der behandelten Periode im einzelnen nachgegangen werden mußte — und das ist mit der größten Sorgfalt ge­ schehen —, so kommt auch der Nürnberger Historiker auf seine Rechnung. Es kann nicht auf all die kleinen Berührungs­ punkte eingegangen werden, die sich hier ergeben. Manches ist, wie ja nicht anders denkbar, längst bekannt, vieles neu oder doch zu einem lebensvollen Bilde zusammengefaßt. Es ist natürlich, daß in dem älteren Zeiträume bis zum Jahre 1427, als die Zollernburg und die Besitzungen und Rechte der Burggrafen in und in der Umgebung von Nürnberg an die Reichsstadt käuflich übergingen, die Beziehungen zwischen ihr und den Burggrafen noch enger und vielseitiger waren als später. Da kommen noch so manche Beziehungen, die in den alten Rechten der Burggrafen gegenüber der Stadt ihren Grund hatten, zum deutlichen Ausdruck. So die Hofstattpfennige und Schnitter sowie der Schmiedezins, die 1386 von der Stadt abgelöst wurden. Es dürfte bei dieser Gelegenheit darauf hin­ zuweisen sein, daß der Schmiedezins keineswegs auf die immer wieder auftretenden Sensenschmiede beschränkt werden kann, sondern auf sämtliche Schmiedewerkstätten ausgedehnt werden muß. Weiter hören wir von der Vergleichung zwischen der Stadt und dem Burggrafen im Jahre 1394 wegen der alten Streitigkeiten über die Stadtbefestigung u. ar, über die Ent­ scheidung wegen der strittigen Brauneckischen Lehen im Jahre 1390, wegen des Verkaufs der Gleißmühle, die übrigens nicht vor der Stadt, sondern in der Stadt bei St. Katharinen lag und vom Gleißhammer wohl zu unterscheiden ist, im Jahre 1374, vom großen Städtekrieg u. s. w. Auch sonst wird die Bedeu­ tung Nürnbergs und was sie den jungen Burg- und Markgrafen bot, gebührend hervorgehoben. Nürnberg, die reiche und lebensfrohe Handels- und Ge­ werbestadt, gönnte neben der unablässigen und strengen Arbeit auch fröhlichen Festen und Spielen ihr Recht. Ritterliche Stechen und Turniere pflegten, wenn sich bei Reichs-, Fürstenund Städtetagen und sonst Gelegenheit bot, auf dem großen Marktplatz abgehalten zu werden und es rannten dann mit den Fürsten, Edlen und Rittern auch die Söhne der Patrizier und

365 Ehrbaren wie diese selbst. Eine anschauliche und lebensvolle Schilderung gibt uns das Buch von dem großen Turnier, das im Jahre 1485 zwischen den Markgräflichen und Nürnberger ünd Augsburger Patriziern auf dem Markt abgehalten wurde, in dem der kampfesfrohe Markgraf Friedrich in dem Nürnberger Martin Löffelholz einen mehr als ebenbürtigen Rivalen fand. In welchem Maße es den Verfassern gelungen ist, den Wissenskreis der Jugend* und Erziehungsgeschichte der Kur­ fürsten zu erweitern, zeigen am besten die höchst interessanten Kapitel über den Unterricht und die Erziehung, die der junge Kurfürst Joachim I. von seinem siebenten Lebensjahre an bei seiner Großmutter der Kurfürstin Anna zu Neustadt a. A. von 1491 —1498, bis fast zu seinem Regierungsantritte in der Mark, genoß, worüber bis jetzt noch nicht das Geringste bekannt war. Wir beschränken uns auf diese wenigen Mitteilungen aus dem inhaltreichen und gründlichen Werke, die nur den Zweck verfolgen können, auf seine Bedeutung im allgemeinen sowohl, als auch für die Beziehungen zwischen den Markgrafen und Kurfürsten von Brandenburg und der Reichsstadt Nürnberg hinzuweisen und besonders die Mitglieder unseres Vereins darauf aufmerksam zu machen. E. Mummenhoff.

Das Heilige Römische Reich teutscher Nation im Kampfe mit Friedrich dem Großen. Von Dr. Artur Brabant. Erster Band. Joseph Friedrich, Herzog von Hildburghausen, des Heiligen Römischen Reichs Generalissimus 1757. Berlin, Verlag von Gebrüder Paetel. 1904. 8°. 394 S. Den Anteil des heiligen römischen Reichs teutscher Nation an dem siebenjährigen Kampfe von fast ganz Europa gegen den großen Preußenkönig im Zusammenhänge eingehend zu schildern, das scheint die Absicht des Verfassers zu sein. Wenigstens besagt das der Gesamttitel, welcher dem vorliegenden Bande vorgedruckt ist, und die Bezeichnung desselben als erster Band, während der Verfasser selbst uns seine weiteren Absichten nicht verrät und eine Vorrede, in der das hätte geschehen können, nicht beigefügt hat. Der erste Band des Werkes aber,

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dem der Verfasser den Spezialtitel: Joseph Friedrich, Herzog von Hildburghausen, des Heiligen Römischen Reichs Generalissimus, gegeben hat, und der die Darstellung der Vorgänge und Zu­ stände im deutschen Reiche vor dem Kriege und seine kläg-* liehen Leistungen im ersten Jahre des Krieges umfaßt, zeigt uns zur Genüge, daß eine solche Schilderung des siebenjährigen Krieges von dem Standpunkte aus, von dem aus der Verfasser ihn schildern will, durchaus nicht überflüssig, sondern höchst begrüßenswert ist. Wir lernen so erst recht die unsäglich kläglichen politischen und militärischen Zustände im deutschen Reiche im Zeitalter Friedrichs des Großen und der Maria Theresia kennen. Der Verfasser ist ihnen mit besonderer Vor­ liebe nachgegangen und hat eine Menge überaus wertvoller Einzelheiten aus den Archiven hervorgeholt, die zu ihrer rich­ tigen Beurteilung unentbehrlich sind. In lebendiger und an­ schaulicher Schilderung macht ^er uns in seiner »Einführung« mit den Zuständen im deutschen Reiche vor Ausbruch des Kampfes vertraut, erinnert uns an die damaligen verfassungs­ mäßigen Einrichtungen im Reiche, bespricht die Ohnmacht der kaiserlichen Gewalt und des Reichsregiments, das unglaubliche Verfahren bei der ständigen Reichsversammlung in Regensburg und die jämmerliche Reichskriegsverfassung, die schon damals von den Beteiligten als gänzlich verfehlt und haltlos angesehen wurde, und führt uns die tonangebenden Persönlichkeiten im Reiche und bei der Reichsversammlung vor. Die Ereignisse, welche dem Ausbruch des Krieges vorangingen, der mecklen­ burg-preußische Werbungsstreit, wie die hessen-kasselsche Kon­ versionsangelegenheit werden in kurzen Umrissen geschildert und hierauf die Entstehung des Krieges und das Schauspiel, das sich auf der Reichsversammlung in Regensburg abspielte, anschaulich erzählt. Es gelang den Anstrengungen des Kaisers und seiner Räte trotz der überaus geschickten und energischen Vertretung König Friedrichs durch dessen hervorragenden Ge­ sandten Erich Christoph von Klotho bei der Reichsversammlung wenn auch nicht die Reichsacht gegen den angeblichen Friedens­ brecher durchzusetzen, so doch das Reich gegen Friedrich auf die Beine zu bringen, indem die Reichsversammlung beschloß, die armatura ad triplum ungesäumt in dienst- und marsch-

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fertigen Zustand zu versetzen, weil Friedrich das unter einer Decke mit Österreich steckende Sachsen ohne viel Federlesens besetzt, das sächsische Heer zur Kapitulation gezwungen und den Kurfürsten aus seinem Lande verjagt hatte. Damit war das Reich in den Krieg gegen Preußen eingetreten. Damit beginnt nun auch in dem Buche die eigentliche Darstellung seines Anteils am Kriege im ersten Jahre desselben, die der Verfasser in vier Teile eingeteilt hat. Es galt vor allem, die Reichsarmee auch mobil zu machen, und was das besagen wollte, das schildert der Verfasser mit aller Ausführlichkeit und zum Teil mit köstlichem Humor. In Fürth sollte sie sich ver­ sammeln. Zu ihrem Oberbefehlshaber wurde der Herzog Joseph Friedrich von Hildburghausen ernannt, einer jener österreichi­ schen Generale prinzlichen Geblüts, denen es im Laufe ihrer militärischen Laufbahn nicht vergönnt war, sich Lorbeeren zu erringen, der es aber nichtsdestoweniger schon in jüngeren Jahren zur Würde eines Reichsgeneralfeldmarschalls gebracht hatte, und wiewohl er vor vier Jahren den Abschied genommen und an dem Schlesischen und Thronfolgekrieg sich nicht mehr beteiligt hatte, nun fünfundfünfzigjährig das Kunststück fertig bringen sollte, mit der zusammengewürfelten, jeder militärischen Erziehung baren, unglaublich schlecht bewaffneten und schlecht verpflegten Reichsarmee gegen den sieggewohnten Preußenkönig etwas auszurichten. König Friedrich schätzte ihn sehr gering ein, er schrieb von ihm in seiner drastischen Weise: »Ich ästi* mire den Hildburghausen vor einen Narren«, der alte Prinz Eugen hatte ihm vor Jahren schon die bezeichnenden Ehren­ titel »Schlachtenverlierer« und »Rückzugsgeneral« angehängt und er selbst entschloß sich nur höchst ungern zur Übernahme des »vermaledeiten Kommandos«. Kein Wunder, daß er mit seinem Reichsheere keine Lorbeeren erntete und schließlich die schmählichste Niederlage, die je dagewesen war, erlitt. Der Verfasser hat ihn mit scharfen Strichen charakterisiert, er hat ihm aber auch volle Gerechtigkeit widerfahren lassen, indem er die endlosen, kaum überwindbaren Schwierigkeiten aller Art eingehend schilderte, mit denen er unausgesetzt zu kämpfen hatte. Als der Feldzug mit der totalen Niederlage der Alliierten, der Franzosen unter Soubise und der Reichstruppen unter dem

368 Hildburghausener, bei Roßbach am 5. November 1757 beendet war, da dachte auch der Prinz daran, sich von seitiem Posten zurückzuziehen. Er erhielt den Abschied und legte seine Würde im Januar 1758 nieder. Es trifft eben wirklich zu, was an einem anderen Orte über dieses Reichsheer gesagt ist: »Auf diesem unglückseligen Reichsheere, dem es doch an tapferen Männern keineswegs fehlte, lag der Fluch der Lächerlichkeit vom ersten Ausmarsch aus Fürth an bis zu seinem kläglichen Zusammenbruch bei Roßbach«. König Friedrich hatte bekanntlich nicht mit verschränkten Armen dem langwierigen Prozeß der Mobilmachung dieses Reichsheeres zugeschaut. Ohne sich in seinen Hauptplänen stören zu lassen, machte er ohne Säumen den Versuch, wenig­ stens einzelnen Kreisständen Furcht einzujagen, sie womöglich zur Vernunft zu bringen oder ihnen doch die Stellung ihres Kontingents zu erschweren. Er sandte seinen Oberstleutnant von Mayr mit einem kleinen Detachement nach Franken, und dieser verstand es vortrefflich, seinem Gegner einen panischen Schrecken einzujagen. Auch Nürnberg wurde bekanntlich von dieser preußischen Invasion empfindlich berührt. Der König ver­ langte von der Reichsstadt kategorisch, daß sie neutral bleibe; der Kaiser aber ebenso entschieden, daß sie ihren Pflichten.gegen das Reich nachkomme. Die Reichsstadt betrieb, so lange es ging, ihre alte Schaukelpolitik. Wir Nürnberger Geschichtsfreunde haben allen Grund, dem Verfasser für die eingehende neue Darstellung dieser Episode unserer Stadtgeschichte dankbar zu sein. Die Reichsstadt mußte indessen ihr Kontingent zum fränkischen Kreisheere stellen und es marschierte mit der Reichs­ armee aus. Die Taten der letzteren nach ihrem Vorrücken nach Thüringen, ihre Kreuz- und Querzüge, die mühsamen und meist doch erfolglosen Versuche, mit den Franzosen zu­ sammen zu operieren, die entsetzlichen Strapazen, denen die Truppen ohne alle Not ausgesetzt waren, kurz den ganzen Verlauf des Feldzugs im einzelnen zu verfolgen, müssen wir uns versagen. Wir können nur raten, das Buch zu lesen. Mit großem Geschick weiß der Verfasser den manchmal recht spröden Stoff zu behandeln. Frisch und lebendig schildert er uns die Schicksale des Reichsheeres bis zu seinem Zusammen-

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bruch bei Roßbach. So mancher wackere Nürnberger hat damals seine Haut mit zu Markt getragen und bei Roßbach sein Leben eingebüßt. Schon dieser Umstand rechtfertigt es, daß wir das Buch in dieser zunächst der Geschichte der Stadt Nürnberg gewidmeten Zeitschrift eingehend besprochen haben. Den folgenden Bänden sehen wir mit Spannung entgegen. —ss.

Die Stadt Nürnberg im Jubiläumsjahre 1906. von deren I. rechtskundigem Bürgermeister Dr. von Schuh, königl. Geheimer Hofrat. Nürnberg, G. P. J. ßieling-Dietz, Kgl. Bayer. Hofbuchdruckerei, 1906. Gr.-8°. XVI und 647 Seiten. Nur wenige deutsche Städte werden sich berühmen können, über ihre Entwicklung und Verwaltung ein Buch zu besitzen, das sich dem an die Seite stellen ließe, mit welchem der I. Bürgermeister der Stadt Nürnberg in diesem Jahre seine Mit­ bürger überrascht hat. Es ist ja längst Sitte geworden, daß große städtische Gemeinwesen alljährlich umfassende Verwaltungs­ berichte ausarbeiten lassen und veröffentlichen, in welchen sie über die Verwaltungstätigkeit ihrer Behörden, über die Weiter­ entwicklung ihrer Einrichtungen und über den Stand ihrer Fi­ nanzen sorgsam und erschöpfend Aufschluß geben, und diese Verwaltungsberichte sind im Laufe der Zeit vielfach so vervoll­ kommnet worden, daß sie äußerst wertvolle Hilfsmittel für die Wissenschaft in wirtschaftlicher, statistischer und historischer Hinsicht geworden sind. Die Verwaltungsberichte der Stadt Nürnberg können getrost zu den besten und hervorragendsten Leistungen auf diesem Gebiet gerechnet werden. Aber es ist doch noch ein großer Unterschied zwischen diesen — sozusagen — Jahresberichten einer städtischen Verwaltung und einem zusam­ menfassenden Werke, wie es das vorliegende ist, einem Werke, das den ganzen Entwicklungsgang einer großen im mächtigen Auf­ schwung begriffenen Stadt von ihren Anfängen an bis zur Gegen­ wart klar zu legen und einen Einblick in ihre heutige Ver­ fassung und den vielgestaltigen Organismus ihrer heutigen 24

370 Verwaltung zu geben bestimmt ist, herausgegeben und zum großen Teil selbst geschrieben von der ersten Autorität, die hier in Betracht kommen kann, dem Stadtoberhaupte selbst Ein solches Werk kannten wir bislang nicht. Den Anlaß zu seiner Herausgabe gab dem I. Bürgermeister von Nürnberg zu­ nächst die Jahrhundertfeier der Einverleibung der Stadt Nürn­ berg in das Königreich Bayern am 15. September 1906, zu deren Gedächtnis in der Jubiläumsstadt in der Zeit vom 12. Mai bis 15. Oktober dieses Jahres die III. Bayerische Landes­ industrie*, Gewerbe- und Kunstausstellung veranstaltet war, und • man wird nicht leugnen können, daß dieser Zeitabschnitt in der Tat dazu anreizen mußte, auf das in hundert Jahren Er­ reichte Rückschau zu halten. Es kam aber noch ein persönliches Moment dazu. Herr von Schuh vollendete am 1. Mai 1906 seine 25 jährige Amtszeit als Bürgermeister, von welcher er die kleinere Hälfte im Dienste der Stadt Erlangen, die größere in dem der Stadt Nürnberg stand, und es ist durchaus begreiflich, daß er den Wunsch hegte, »einen Rückblick in die Vergangen­ heit zu werfen, an Händen der Bedürfnisse der Zeit die Auf­ gaben der gemeindlichen Verwaltung zu bezeichnen und die Richtigkeit der bisher von ihr befolgten Grundsätze einer Prüfung zu unterziehen«. Aber der Herausgeber des Buches begnügte sich damit nicht* er griff weiter aus*, von dem an sich gewiß richtigen Gedanken ausgehend, daß »die heutigen gemeind­ lichen Verhältnisse durch viele Fäden mit der Vergangenheit Zusammenhängen und nur richtig beurteilt werden können, wenn man ihre Entstehung verfolgt«, verband er sich mit berufenen Mitarbeitern und schickte seiner eignen Schilderung der Stadt Nürnberg im Jubiläumsjahre 1906 Abschnitte voraus, die histo­ rischen Inhalts sind und den Werdegang der Stadt im allge­ meinen, wie auf speziellen Kulturgebieten zur Darstellung bringen. Man kann vielleicht darüber streiten, ob durch dieses Weitausgreifen das Buch nicht gar zu umfangreich geworden ist und ob nicht der gewaltige Aufschwung, den die Stadt Nürn­ berg seit ihrer Einverleibung in das Königreich Bayern genommen hat, noch weit schärfer in die Erscheinung getreten wäre, wenn von dem Zustande ausgegangen worden wäre, in dem sie sich im Jahre 1806 befand. Aber es läßt sich dagegen, wie es zu

371 Anfang des ersten Abschnitts betont ist, geltend machen, daß eben ein Gemeinwesen, wie es das Ergebnis seiner geschicht­ lichen Entwicklung ist, auch nur im Lichte seiner Geschichte beurteilt werden kann. Dieser erste Abschnitt enthält nun einen Abriß der geschicht­ lichen Entwicklung der Stadt Nürnberg, welchem die dem Adreßbuche von Nürnberg für 1902, 1905 und 1906 beigegebene Darstellung der »Geschichte der Stadt Nürnberg« von Archivrat Dr. Ernst Mummenhoff zu Grunde gelegt ist. In dieser geschicht­ lichen Darstellung hat sich der Verfasser bekanntlich in dankens­ werter Weise bemüht, auch der neueren Geschichte der Stadt zu ihrem Recht zu verhelfen, die bisher allzu stiefmütterlich behandelt worden war. Sie war deshalb auch ganz besonders geeignet, in diesem Werke wieder verwendet zu werden. Neu sind dagegen die beiden nächsten Abschnitte über Handel, Gewerbe und Industrie in Nürnberg von Archivrat Dr. Ernst Mummenhoff und über die Kunst in Nürnberg von Professor Dr. Paul Johannes Re'e. Für beide Arbeiten gebührt den Ver­ fassern wärmster Dank. So viel auch über Nürnbergs Vergangen­ heit fort und fort geforscht und geschrieben wird, so hat uns doch eine Zusammenfassung der Ergebnisse der neueren For­ schung über Nürnbergs Handelsgeschichte bisher gefehlt und es ist überaus dankenswert, daß sich ein so kenntnisreicher und gewissenhafter Gelehrter, wie Dr. Mummenhoff, der Aufgabe unterzogen hat, eine Übersicht über die Entwicklung von Handel, Gewerbe und Industrie der Vaterstadt in alter und neuer Zeit zu bearbeiten, die uns von der Bedeutung Nürnbergs auf diesen Kulturgebieten einen richtigen Begriff gibt. Indessen hat sich der Verfasser nicht etwa damit begnügt, nur die Ergebnisse der bis­ herigen Forschungen auf diesem Gebiete zusammenzustellen; er hat monatelang das schier unübersehbare Aktenmaterial des kgl. Kreisarchivs und die Bestände des Stadtarchivs und der Stadt­ bibliothek, sowie des Archivs der Handelskammer durchgearbeitet und fast durchweg neue Ergebnisse erschlossen. Die Nürnberger Handelsgeschichte, welche so lange keinen Bearbeiter gefunden hat, ist dadurch wesentlich bereichert worden. Auf dem Gebiete der Gewerbegeschichte konnte Mummenhoff auf seine früheren verdienstvollen Forschungen zurückgreifen, aber auch da manches

372 Neue bringen. Der ganze Abschnitt läßt sich als ein recht wertvoller Beitrag zur wissenschaftlichen Erforschung der Ge­ schichte von Handel, Gewerbe und Industrie charakterisieren. Aber auch die Kunsthistoriker sind in unserer Zeit unablässig bemüht, die Kunstgeschichte der Reichsstadt immer mehr auf­ zuhellen und deshalb wird eine übersichtliche Zusammenstellung auch dieser Forschungsergebnisse von Zeit zu Zeit immer von neuem Bedürfnis. Daß Professor Dr. Ree der richtige Mann ist, diese Aufgabe in erschöpfender und formvollendeter Weise zu lösen, hat er durch den Abschnitt über die Kunst in Nürnberg in diesem Werke aufs neue bewiesen. Mit wahrem Vergnügen liest der Geschichtsfreund diese historischen Abschnitte des Buches, die ein vortreffliches Relief bilden für die Leistungen moderner Kunst, modernen Gewerbefleißes und modernen Unternehmungsgeistes, wie sie auf der heimischen Landesaus­ stellung vor Augen geführt waren. Dem modernen^ Nürnberg, der Jubiläumsstadt im Aus­ stellungsjahre 1906, ist nun die zweite Hälfte des umfassenden Bandes gewidmet, wiewohl auch in den beiden letzten Abschnitten, von denen der eine von der »städtischen Verwaltung« der andere von »einzelnen städtischen Anstalten« handelt, stets an die Vergangenheit angeknüpft und der geschichtlichen Entwicklung ihr Recht zu Teil geworden ist. Mit gerechtem Erstaunen und wachsender Bewunderung verfolgt auch derjenige, welcher das alles zum großen Teile miterlebt hat, diese aus dem Vollen greifenden Darstellungen der in der Tat großartigen Entwicklung, welche die Stadt Nürnberg unter ihren tatkräftigen, mit offenem Auge für die Bedürfnisse der Zeit ausgestatteten Bürgermeistern im Zusammenwirken mit verständigen, unermüdlich vorwärts­ strebenden Gemeindevertretungen und hervorragend tüchtigen Beamten in der Neuzeit genommen hat. Auf allen Gebieten des gemeindlichen Lebens war sie ununterbrochen und mit Erfolg bestrebt, auf der Höhe der Zeit zu bleiben und das Beste zu leisten. Es ist kein Wunder, daß von ihren Ein­ richtungen nicht wenige als Musteranstalten gelten, welche die Aufmerksamkeit weiter Kreise auf sich ziehen und Scharen von Besuchern anlocken. Der Bürgerschaft Nürnbergs aber hätte kein ehrenvolleres Zeugnis für den Geist, der sie beseelt,

373 ausgestellt werden können, als es durch die schmucklose und objektive Darstellung des Entwicklungsgangs der Stadt im letzten Jahrhundert geschehen ist, die sie ihrem Bürgermeister zu ver­ danken hat. Wir wünschen von Herzen, daß das vortreffliche Werk hier und auswärts recht viele Leser finden möge, die gewiß nicht nur reiche Belehrung aus ihm schöpfen, sondern auch in der Liebe und Anhänglichkeit an unser Nürnberg da­ durch aufs neue sich bestärkt fühlen werden. Und um so lieber wird man das Buch lesen, als es, wie der Herausgeber selbst mit Recht am Schlüsse seines Vorworts betont hat, von der kgl. Hofbuchdruckerei G. P. J. BielingDietz in der Tat prächtig und vornehm ausgestattet worden ist. In großen Lettern auf tadelloses Papier gedruckt, ist es mit einer Reihe vorzüglich reproduzierter Abbildungen geschmückt. Reizende Initialen von der Hand eines vielversprechenden jungen Künstlers, Grafen von Buonaccorsi, zieren die Kapitel­ anfänge. Also auch in dieser Hinsicht eine würdige, für Nürn­ berg ehrenvolle Jubiläumsgabel —ss.

Katalog der historischen Ausstellung der Stadt Nürnberg auf der Jubiläums^Landes-Ausstellung Nürnberg 1906. Im Selbstverlag des Stadtmagistrats Nürn­ berg.

1906. 8°. 460 S. Die Besprechung der in der Gegenwart sich abspielenden Zeitereignisse ist nicht Aufgabe dieser der Vergangenheit der Stadt Nürnberg gewidmeten Zeitschrift und deshalb wird die aus Anlaß der Jahrhundertfeier der Erhebung Bayerns zum Königreiche in diesem Jahre in Nürnberg veranstaltete JubiläumsLandes-Ausstellung zunächst in diesen Blättern keine Würdigung finden. Wohl aber wird es erlaubt sein, eines literarischen Er­ zeugnisses hier zu gedenken, das die Landes-Ausstellung hervor­ gebracht hat und das sich ausschließlich mit Dingen aus Nürnbergs Vergangenheit beschäftigt. Es ist das der Katalog über die historische Ausstellung der Stadt Nürnberg. Eine

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historische Ausstellung der Stadt Nürnberg in Nürnberg, der Stadt, in der die reichhaltigste und vornehmste Sammlung kunst- und kulturgeschichtlicher Altertümer Deutschlands, das Germanische Nationalmuseum, seinen Sitz hat? War sie not­ wendig, konnte sie etwas Neues bringen? so fragte sich wohl mancher, aber er bedachte nicht, daß es sich darum handelte, einmal zu zeigen, was speziell Nürnberger Kunst und Nürnberger Kunstgewerbe in vergangener Zeit hervorgebracht hatten, also zu vereinigen, was an solchen Kunstschätzen Nürnberger Ur­ sprungs heute noch vorhanden ist. Wohl war ja nicht daran zu denken, daß es gelingen könnte, alles in dieser Ausstellung zusammenzubringen, was an solchen Sachen ih der Welt noch zu finden ist, wohl mußte man mit der Sprödigkeit der Direktoren unserer Staatsgalerien und öffentlichen Museen rechnen, die es müde geworden sind, bei der Menge der rasch aufeinander­ folgenden Ausstellungen immer wieder die Perlen ihrer Samm­ lungen aus ihnen herauszureißen und die Reise in die weite Welt antreten zu lassen; aber die Privatsammlungen versprachen noch eine reiche Ausbeute, und wichtig und erstrebenswert erschien es ganz^besonders, die zerstreut im Privatbesitz befind­ lichen und die an schwer erreichbaren Orten verwahrten Kunst­ schätze Altnürnberger Herkunft einmal ans Tageslicht hervorzu­ holen und der allgemeinen Beschauung zugänglich zu machen. Und der Erfolg hat gezeigt, daß der Gedanke ein glücklicher war. Den städtischen Kollegien gebührt warmer Dank dafür, daß sie in richtiger Erkenntnis der Bedeutung, die Altnürnbergs Kunst und Kunsthandwerk unstreitig auch für die Gegenwart noch haben, die großen Opfer nicht gescheut haben, auf Kosten der Stadt in einem eigens für diesen Zweck im Ausstellungshain errichteten massiven Bau eine solche Ausstellung zu veranstalten, die in reicher Fülle Schätze Nürnberger Ursprungs aus der Vorzeit zur Anschauung brachte. Freilich war das keine leichte Aufgabe. Es bedurfte unendlicher Mühe und Arbeit, eines feinen Spürsinns, großen Taktes und zäher Beredsamkeit, um ausfindig zu machen, wo all die schönen Sachen stecken und um ängstliche Besitzer zu ihrer Hergabe zu bewegen. Doch der städtischen Verwaltung gelang es, den richtigen Mann füi diese schwierige Aufgabe zu finden. Der damalige Assistent

und nunmehrige Konservator am Germanischen Museum, Herr Dr. Fritz Traugott Schulz, dem in liberalster Weise Urlaub zu diesem Zweck bewilligt wurde, verband mit der erforderlichen Sachkenntnis und Erfahrung alle anderen Eigenschaften, die einen Erfolg verbürgten, und seinem unermüdlichen Eifer und verständnisvollen Wirken verdankte die historische Ausstellung hauptsächlich den besonderen Reiz, der ihr mit Recht von allen sachkundigen Besuchern nachgerühmt wurde. Mit ihm war Herr Archivrat Dr. Mummenhoff erfolgteich bemüht, aus den reichen Beständen der staatlichen und städtischen Archive und Bibliotheken das Wichtigste und Wertvollste an Urkunden, Handschriften, Prospekten, Wiegen- und anderen Drucken, das sich auf die Geschichte Nürnbergs bezieht, auszuwählen und auch auf diesem Gebiete eine Ausstellung zusammenzubringen, die sich sehen lassen konnte und so manches enthielt, was sonst selbst der Forscher nicht leicht zu Gesicht bekommt. So kam eine historische Sammlung zustande, welche die Aufmerk­ samkeit und unverhohlene Bewunderung der Ausstellungsbesucher erweckte und reiche Anregung zahllosen Besuchern gewährte. Aber die beiden genannten Herren ließen es nicht dabei bewenden, die Ausstellung selbst mustergiltig zu arrangieren, sie wandten den gleichen Eifer und die gleiche Sorgfalt dem Katalog über die historische Ausstellung zu, so daß ein Buch entstanden ist, das dauernden Wert für die Kunstgeschichte Nürnbergs haben und jedem Forscher auf diesem Gebiete ein unentbehrliches Hilfsmittel sein wird. Eine ausführliche Einleitung gibt Aufschluß über die Grund­ sätze, nach welchen bei der Ausstellung verfahren worden ist, über den Umfang' der Ausstellung und das Ausstellungsgebäude und über die Persönlichkeiten, welche sich außer den beiden obengenannten Herren um das Zustandekommen verdient ge­ macht haben, endlich eine eingehende Schilderung der Aus­ stattung der einzelnen Ausstellungsräume mit alten Decken, Vertäfelungen und Öfen, die das Werk des städt. Herrn Ober­ ingenieurs Küffner war. Daran schließt sich ein übersichtlicher Grundriß des Ausstellungsgebäudes. Dann jolgt der Katalog selbst, der sich nicht auf kahle Aufzählung der Ausstellungs­ objekte beschränkt, sondern, systematisch eingeteilt in die

Hauptgruppen kirchliche Kunst und weltliche Kunst und das Zusammengehörige in Unterabteilungen zusammenfassend, jeden einzelnen Ausstellungsgegenstand genau beschreibt, wo immer möglich sorgfältig datiert, den Meister nennt, wo er bekannt ist, und Eigentümer und Standort des Gegenstands regelmäßig beifügt* Es ist nicht statthaft, hier auf Einzelheiten einzugehen und etwa an Beispielen die Methode der Verfasser zu zeigen. Die Sorgfalt und Gewissenhaftigkeit, mit denen bei Herstellung des Katalogs verfahren worden ist, macht ihn ganz besonders wertvoll. Beigegeben ist eine größere Anzahl von Abbildungen nach photographischen Aufnahmen der Herren Christoph Müller und Ferdinand Schmidt und clichiert durch die Kunstanstalt Ludwig Kriegbaum hier. Sie zeichnen sich zumeist durch Schärfe und Klarheit aus und geben nicht wenige bisher im Bilde nicht vorhandene Altnürnberger Kunstschätze in treuer Nachbildung anschaulich wieder. Endlich bietet ein Verzeichnis der Aussteller und eine genaue Inhaltsübersicht den Schluß des vortrefflichen Buches, das, wie gesagt, unseres Erachtens dauernden Wert auch nach Schluß der Ausstellung für sich beanspruchen darf. —ss.

Auf die Besprechung einer ganzen Anzahl weiterer z. T. bedeu­ tender Arbeiten auf dem Gebiete der Nürnberger Geschichte müssen wir für diesmal verzichten. Wir behalten sie uns für das nächste Heft der Mitteilungen vor. D. R.