Mitteilungen des Vereins für Geschichte der Stadt Nürnberg [39]

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Mitteilungen des

Vereins für Geschichte der Stadt Nürnberg

Neununddreißigster Band

NÜRNBERG J. L. SCHRÄG VERLAG

1944.

Schriftleitung: Stadtarchivdirektor Dr. Pfeiffer Staatsoberarchivar Biebinger Stadtbibliotheksdirektor Dr. Bode

Druck; J.LStich Nürnberg

INHALT. Seite

Nekrolog: Prof. Dr. Heinrich Heerwagen. Von Dr. med. Hans Kirste, prakt. Arzt in Nürnberg..................................................... Abhandlungen : Irmingard von Hammerstein im östlichen Franken. Von August Ortegel, Forstmeister in Thierhaupten . Nürnberg als Stützpunkt staufischer Staatspolitik. Von Dr. Karl Bosl, Studienrat in Ansbach Konrad Groß, der Stifter des Nürnberger Heiliggeist-Spitals, und seine Beziehungen zu Kaiser Ludwig. Von Dr. August Gemperlein, z. Zt. im Felde............................................... Ein Jubiläum Nürnberger Kartographie. 450 Jahre seit Erhard Etzlaubs kartographischem Schaffen. Von Dr. Her­ bert Krüger, Museumsdirektor in Gießen, z. Zt. im Felde Die Bedeutung Hans Denks und Sebastian Francks. Von Dr. Artur Kreiner, Schloß Grünsberg........................................ Magister Christoph Reich. Aus der Geschichte der Nürn­ berger Stadtbibliothek. Von Dr. Friedrich Bock, Direktor der Stadtbibliothek Nürnberg............................................... Kleinere Mitteilungen: Das Nürnberger Predigerkloster im 15. Jahrhundert. Bei­ träge zu seiner Geschichte. Von Dr. G. Löhr, Professor in Freiburg (Schweiz)..................................................... Dürers „Reuter“ und seine Burg. Von Fr. Frommann, Buch­ händler in Nürnberg............................................................ Das Habsburger Erbstück. Von Hans Hecht, Oberstleutnant Die erste Burgserenade in Nürnberg. Von Hans Hecht, Oberstleutnant.......................................................................... Der erste Ballonaufstieg in Nürnberg mit einigem Drum und Dran. Von Hans Hecht, Oberstleutnant . Das Eindringen der Wölfischen Philosophie in Nürnberg. Von D. Dr. Karl Schornbaum, Archivdirektor in Nürnberg Die Uhren der Peter-Henlein-Schau in Nürnberg. Von Dr. Karl Pilz, Konservator in Nürnberg................................. Das Stadtarchiv und seine Bestände (Stand: 1. April 1944). Von Dr. Werner Schultheiß, Archivrat in Nürnberg .

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Seife Buchbesprechungen: Karl Bosl, Die Reichsministerialität als Träger staufischer Staatspolitik in Ostfranken und auf dem bayer. Nordgau. Besprochen von Fr. Schnelbögl ....................................... Friedrich Sprater, Die Reichski einodien in der Pfalz. Bespro­ chen von Arpad Weixlgärtner...................................... Karl Bahmann, Die romanische Kirchenbaukunst in Regnitzfranken. Besprochen von Wilh. Schwemmer . . . Edith von Rumohr, Der Nürnbergische Tasteninstrumentalstil im 17. Jahrh., dargestellt an Arie, Variation und Suite. Besprochen von Rud. Wagner...................................... Eberhard Born, Die Variation als Grundlage handwerklicher Gestaltung im musikalischen Schaffen Johann Pachelbels. Besprochen von Rud. Wagner...................................... Leonhard Wittmann, Landkarten von Franken. Besprochen von Otto Hartig................................................................ Dieter Pleimes, Weltliches Stiftungsrecht. Besprochen von Heinr. Gürsching................................................................

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Heinrich Heerwagen

Heinrich Heerwagen f* Am 5. 12. 1942 starb Prof. Dr. Heinrich Heerwagen nach fast 40jähriger Wirksamkeit als Bibliothekar und zuletzt Abteilungsdirektor des Germanischen Nationalmüseums zu Nürnberg. Mit ihm ist ein Mann da­ hingegangen, der lange Zeit als bestellter Hüter wertvollsten Kultur­ gutes und als ein Mensch von ganz besonderer geistiger Prägung Außer­ ordentliches für das geistige und kulturelle Leben Nürnbergs wirken durfte. Auch der Verein für Geschichte der Stadt Nürnberg ist ihm für seine Mitarbeit und seine Treue zu größtem Dank verpflichtet, so daß! ihm in den Annalen des Vereins dankbares Gedenken gebührt. Heinrich Heerwagen war am 10. 7. 1874 in Wunsiedel geboren, dem Geburtsort Jean Pauls, der ihm als Landsmann und in seiner künstleri­ schen Eigenart zeitlebens besonders ans Herz gewachsen war. Nürnberg wurde die Stadt seiner Jugendjahre. Hier absolvierte er das humani­ stische Alte Gymnasium, um sich dann auf den Universitäten Erlangen, München und Heidelberg nach kurzem juristischem Studium den germa­ nistischen und historischen Wissenschaften zuzuwenden. Als Schüler W. H. Riehls war ihm die deutsche Volkskunde besonders ans Herz ge­ wachsen. Als ihr innerstes Heiligtum erschien ihm — wie jener älteren Germanistengeneration, die sich in wärmster Verehrung um die Ge­ brüder Grimm scharte — die deutsche Sprache. Nach seiner 1899 in Heidelberg erfolgten Promotion trat er 1900 als Praktikant in die Biblio­ thek des Nürnberger Germanischen Museums ein. Dieser Bibliothek blieb er sein ganzes Leben treu verbunden bis zum Jahre 1939, als er in den Ruhestand trat. Sein letztes Lebensjahr verbrachte er in ländlicher Um­ gebung, in dem lieblichen Kirchberg a. d. Jagst, wo er nach längerem Leiden am 5. 12. 1942 verstarb. Im Grab seiner Väter, das die vom Groß­ vater gewählte schpne Inschrift trägt: „pax optima rerum, quas homini novisse datum est,“ wurde er am 9. 12. 1942 auf dem Nürnberger Johannisfriedhof beigesetzt. i

2 Die Heerwagen waren ursprünglich ein altes Bauerngeschlecht aus den Thüringer Landen. Der Großvater, Heinrich Wilhelm Heerwagen, wurde als hervorragender Altphilologe und Schulmann aus Bayreuth nach Nürnberg berufen, um die Leitung des Alten Gymnasiums, das jetzt den Namen Melanchthons trägt, zu übernehmen. Er war einer der her­ vorragendsten Rektoren dieses berühmten Gymnasiums und sein Ein­ fluß auf das geistige Leben Nürnbergs war so bedeutend, daß die dank­ bare Stadt ihn zu ihrem Ehrenbürger ernannte. Der Vater August Heer­ wagen wirkte auf naturwissenschaftlichem Gebiet, nicht nur als an­ gesehener Schulmann am Nürnberger Realgymnasium, sondern auch weitere Kreise erfassend in seiner Eigenschaft als langjähriger Vorstand der Nürnberger Naturhistorischen Gesellschaft. Durch die Mutter, die dem alten Patriziergeschlecht der Oelhafen entstammte, war Heerwagen auch blutsmäßig der Stadt seines Wirkens eng und auf weite Ge­ schlechtersicht verbunden. Heinrich Heerwagen bekannte einmal, daß in ihm die historische Ader des Großvaters und die naturwissenschaftliche Ader des Vaters sich um die Vorherrschaft gestritten hätten. Wenn auch seine historischen Neigungen sich als die stärkeren im Leben durch­ setzten, so erlosch doch niemals seine besondere Vorliebe für natur­ wissenschaftliches Denken und groß und echt war bis zuletzt seine Liebe zur Natur. Als er aus seinem Amte ausschied, war sein Sinnen und Trachten ganz darauf gerichtet in einer ländlichen Umgebung seinen Lebensabend zu verbringen, um — wie er sich einmal ausdrückte — nun nach Herzenslust in dem großen Buch der Natur lesen zu können, dessen Lektüre er in seinem bisherigen Leben über dem Studium der Bücher der Menschen vernachlässigt zu haben glaubte. Das geistige Erbe des Großvaters und Vaters, seit früher Jugend entwickelt und geübt, erzeugte bei ihm einen ungewöhnlich weiten geistigen Horizont, der ihm bei seinem Beruf als Bibliothekar von größtem Nutzen war. Sein über­ ragendes Wissen und eine Fülle von literarischen Hilfsmitteln stellte er dem Fragenden in uneigennützigster Weise und mit einer natürlichen, von Herzen kommenden Liebenswürdigkeit zur Verfügung, durch die er sich sogleich die Herzen und das Vertrauen seiner Klienten eroberte. Im Lauf von 40 Jahren wandten sich wohl Tausende von geistigen Arbei­ tern, große und kleine, mit ihren geistigen Nöten an ihn. Sicher ging keiner leer bei ihm aus, sondern alle, auch viele Mitglieder und Mit­ arbeiter des Vereins für Geschichte der Stadt Nürnberg, schieden von ihm bereichert und wußten ihm Dank als einem Lehrer und geistigen Führer von ganz besonderer Art.

3 Heerwagens Tätigkeit im Verein für Geschichte der Stadt Nürnberg erstreckte sich nach mehreren Richtungen hin. Als Ausschußmitglied war er von 1911 bis Anfang der 20er Jahre tätig. In den Mitteilungen des Vereins veröffentlichte er 1902 eine auf gründlichen archivalischen Studien aufgebaute Arbeit über die Nürnberger Kartause von 1380—1525. Ferner bearbeitete er, teilweise in Verbindung mit Dr. Friedrich Bock, eine Bibliographie der von 1911—1925 erschienenen Schriften zur Ge­ schichte der Stadt Nürnberg und ihres ehemaligen Gebietes, die in den Mitteilungen 1918,1919 und 1928 erschien. Heerwagen war sehr schwer zu gewinnen, Vorträge zu halten, weil er sich nie genug tun konnte, eine möglichst erschöpfende Arbeit in klarster Formulierung und ich möchte sagen künstlerischer Formgebung zu bieten. 1901 sprach er über „Nürn­ berg in den Reisebeschreibungen des 18. Jahrhunderts“, 1904 über „Slaven um Nürnberg?“ und 1912 über „Flurnamenforschung mit beson­ derer Beziehung auf das Nürnberger Gebiet“. Heerwagen sprach sehr fesselnd und mit Humor, dabei klar und tiefschürfend, so daß seine Dar­ bietungen sich stets echten Beifalls erfreuen durften. Als der Verein die Anregungen, die 1903 der deutsche Geschichts- und Altertumsverein zur Inangriffnahme einer Flurnamenforschung gegeben hatte, aufgriff, be­ traute er Heerwagen mit der Leitung der Flurnamensammlung des ehe­ maligen Nürnberger Gebiets. Seit 1911 widmete sich Heerwagen dieser mühevollen Arbeit. Er sammelte ein reiches Material, das leider infolge der Ungunst der Zeiten bisher weder veröffentlicht noch literarisch aus­ gewertet werden konnte. Vom Jahre 1904 ab übernahm Heerwagen zahl­ reiche Buchrecensionen in den Mitteilungen. Er verstand es auf vielseiti­ gen Gebieten eine stets sachliche, vorbildlich positive und fördernde Kritik zu üben. Die Lebensdaten, ja selbst die Leistungen eines Menschen geben sei­ nem Bild noch nicht Farbe und wahres Leben. Drum sei es dem Freunde gestattet, dem Bild des Verstorbenen noch einige Lichter aufzusetzen und auf Wesenszüge hinzuweisen, die sich vornehmlich im vertrauten freundschaftlichen Verkehr offenbarten. Wer das Glück hatte, Heer­ wagens persönlicher Freundschaft gewürdigt zu werden, der gewann unvergeßliche Einblicke in eine überaus edle Natur von durchaus lau­ terer, vornehmer und uneigennütziger Gesinnung. Jedes Zusammensein mit ihm förderte seine Freunde. Obwohl nicht sehr gesprächig — er ver­ stand sehr gut die Kunst des Zuhörens — wußte er jedes Gespräch eigen­ artig und anmutig zu beleben und immer auf eine höhere Ebene zu heben, weniger durch seine weitreichenden Sachkenntnisse als durch die Weis-

4 heit seines eigenwüchsigen Denkens. Heerwagen bezeichnete einmal Jean Paul und Georg Christoph Lichtenberg als seine Lieblingsschrift­ steller. Die Buntheit und Fülle der Jean Paulschen Gedankenwelt und der unerbittliche Wahrheitssinn Lichtenbergs entsprachen auch seines Charakters Ernst und Tiefe, als deren Resultante ihm jener echte, so sel­ tene Humor seiner Vorbilder erwuchs, der ihn selbst gegen manches Mißgeschick wappnete und der seine Freunde so sehr erquickte und be­ reicherte. Er war ein echter deutscher Mann, der manche besonde schätzenswerte Eigenschaft des Deutschen in sich verkörperte und de. als ein Würdiger die edelsten geistigen Güter unseres Volkes zu hüter •und zu vermitteln wußte. Allen, die ihn erleben durften, wird er unver­ gessen bleiben. Dr. HansKirste.

Irmingard von Hammerstein im östlichen Frankem Von

August Ortegel. Die Roßtaler Ueberlieierung.

In der Roßtaler Pfarrkirche wurden die Gräber eines Herzogs Ernst und einer Frau Irmingard gezeigt, bis sie 1627 durch einen Brand zer­ stört wurden.1) Die älteste eingehendere Nachricht hierüber stammt von Veit Arnpeck, der etwa Ende 1495 als Presbyter in Landshut starb2). Ein zwischen Folium 345 und 346 der von ihm verfaßten „Chronica Baioariorum“ ein­ gehefteter Zettel, der anscheinend zu seiner Stoffsammlung gehörte und durch Zufall dahin kam, enthält eine Notiz, die übersetzt lautet: „In dem Gebiet des Nürnberger Burggrafen im Dorf Roßtal 2 Meilen von Nürnberg entfernt zwischen Cadolzburg und Ansbach ist ein sehr weitvolles Gotteshaus mit 9 Altären, dem keines ähnlich ist auf 15 Meilen in keinem Dorfe bei Nürnberg. In seinem Chor ist Ernst, Herzog von Bayern, bestattet mit folgendem Epitaph: In diesem Felsen liegt Herzog Ernst bestattet. Daß ihm Ruhe gegeben werde, so möchten alle Gläubigen erflehen. Gib Ruhe, Christus! Möchte immer mit dir sein dieser hier! Sein Jahresgedächtnis wird alljährlich begangen an den Vigilien des hl. Laurentius. Allein durch Zusammenschlagen aller Glocken dreimal wird es begangen. Ebenso ruht seine Gemahlin Irmelgard unterhalb (infra) des Chors, über deren Grabstätte ein Altar zu Ehren der. hl. Jungfrau Maria geweiht ist. Sie3) v/ird von vielen Gläubigen besucht. Auch hat sie nicht einen

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Jahresgedächtnistag (anniversarium), sondern nur ein Gedächtnis mit Zu­ sammenschlagen aller Glocken an Quadragesima nach Art ihres Gemahls und Herren. Ferner hatte dieser Fürst eine Burg (castrum) in Roßtal, welche die Ungarn mit großer Macht belagert haben.“ Die nächste ausführliche Nachricht stammt von Caspar Brusch (gest. 1559), der sie vom Heilsbronner Abt Wirsinger hatte4). Brusch schreibt: „In der Nachbarschaft dieses Klosters (Heilsbronn) ist ein auffallender Gau Roßtal, was durch die Lateiner als Pferdestall oder lieber Rosental bezeichnet wird. Dieser Gau gehört den Brandenburger Markgrafen und ist am Mühlbachfluß 3 Steine von Nürnberg gelegen. In ihm ist eine sehr geräumige Pfarrkirche, errichtet von der hl. Erbelgard5), Rheinpfalz­ gräfin (Rheni Palatinissa), leiblicher Schwester der hl. Kunigunde, der Bamberger Gründerin, der hochgepriesenen Gemahlin aber des Bayern­ herzogs Ernst. Der beiden Eheleute wahrhaft königliche Gräber (reconditoria) werden in derselben Kirche besucht. Der Grabaufbau (tumulus) der seligen Erbelgard entbehrt zwar der Aufschrift, konnte aber nur mit den größten Kosten so prächtig errichtet werden. Er ist sehr ähnlich dem, in dem zu Bamberg Heinrich II., Römischer Kaiser, und die hl. Kunigunde ruhen sollen. Der andere Grabaufbau aber, nämlich der des Bayernfürsten Ernst, der im Chor des Gotteshauses ist, hat diese Aufschrift, zwar Hexa­ meter, aber aus reichlich rohen Versen gezimmert: Hac Dux Ernestus jacet in petra tumulatus. Huic detur ut requies, sic optent quique fideles. Da requiem, Christe, tecum sit semper ut iste. Einst war an eben dem Orte, an dem heute das Gotteshaus zu sehen ist, eine Burg der Bayernherzöge, was bis zu diesem Zeitpunkte der all­ seits ummauerte Friedhof bezeugt; aber wann oder von wem sie ver­ wüstet worden ist, darüber konnte ich bisher nichts finden. Unter dem Gotteshaus in unterirdischen Tiefen (fauclbus) der Erde ist ein anderes Heiligtum (fanum), sehr alt, geräumig und sehr fest, auf 12 Pfeilern oder Säulen und mit einer sehr festen Decke großartig eingewölbt und vei mauert.“ Ein viel älterer Beleg für die Roßtaler Ueberlieferung ist uns erhalten in dem Gedicht „Herzog Ernst“, das im Mittelalter seit dem 12. Jahr­ hundert die größte Verbreitung gefunden hat. Der Bearbeiter der D-Handschrift, wohl ein mittelfränkischer gelehrter Geistlicher, fügte dem Ge­ dicht etwa zwischen 1277 und 1285 folgenden Schluß an8):

7 „Emest nach gotes hulden warp. er bat e daz er starp daz man in ze Rosveit begruebe, aldä noch der heit durch fürsten reht begraben ligt. da liget ouch diu hat an gesigt der werlde grus, frou Irmegart. zir gnaden ist gröziu vart: got vil Zeichen durch sie tuot, der gebe uns ouch ein ende guot.“

Hierdurch werden die Nachrichten Arnpecks und Bruschs für eine viel frühere Zeit bestätigt. Im 15. und 16. Jahrhundert war demnach die Roßtaler Pfarrkirche sehr reich ausgestattet und enthielt: die Krypta, die Brusch schon für sehr alt hielt; 9 Altäre; im Chor das Grab Herzog Ernsts mit Aufschrift; „unterhalb“ des Chors das Grab der Irmingard, über dem — so nahm man wenigstens Ende des 15. Jahrhunderts an — ein Marienaltar geweiht war; zu Bruschs Zeit ein sehr kostbares Grabmal für Irmingard, das dem Heinrichs II. und der Kunigunde im Bamberger Dom sehr glich. Den Friedhof umgab die Friedhofbefestigung; das Tortürmchön trägt heute noch die Jahrzahl 1494. Für die älteste Geschichte Roßtals ergeben sich aus diesen Nach­ richten verschiedene Anhaltspunkte, die, wie die baulichen Einzelheiten auf örtlichen Augenschein, so auf die in Roßtal örtlich gepflegte geschicht­ liche Ueberlieferung zurückgehen. Im einzelnen sind dies: 1. 2. 3. 4. 5. 6.

Irmingard eine Rheinpfalzgräfin; Irmingard eine leibliche Schwester der Kaiserin Kunigunde; Irmingard die Gemahlin Herzog Ernsts; Irmingard die Erbauerin der Roßtaler Pfarrkirche; Ernst Herzog von Bayern; Ernst hatte die Burg inne, die die Ungarn mit großer Macht belagerten7); 7. an der Stelle des Roßtaler Friedhofs befand sich eine Burg der Bayernherzöge, über deren Untergang Brusch nichts bekannt war.

8 An kirchlichen Gebräuchen ist überliefert: 1. Zu dem Altar über dem Grab Irmingards, bzw. zu ihrem Grab selbst waren schon seit dem 13. Jahrhundert große Wallfahrten in Uebung, Irmingard galt als Wundertäterin und Lokalheilige; 2. Ende des 15. Jahrhunderts wurde der Jahresgedächtnistag Ernsts alljährlich an Vigilia S. Laurentii durch dreimaliges Zusammen­ schlagen aller Glocken begangen; 3. Irmingard hatte Ende des 15. Jahrhunderts nicht einen Jahres­ gedächtnistag, sondern nur ein Gedenken durch Zusammen­ schlagen aller Glocken an Quadragesima in der Art wie es am .Jahrestag von Ernst geschah. In den geschichtlichen Uebetlieferungen ist eine offensichtliche Unstim­ migkeit enthalten. War Irmingard eine Schwester der Kaiserin Kuni­ gunde, die etwa 997 heiratete und 1033 März3 starb8), so war sie etwa in der Mitte der 2. Hälfte des 10. Jahrhunderts geboren; hatte Ernst die Burg inne, die die Ungarn belagerten, so war er spätestens 955 in Mannes­ jahren; beide konnten also nicht wohl miteinander verheiratet sein. Nun ist nicht anzunehmen, daß man sich im Laufe der Jahrhunderte bei der Umformung des geschichtlichen Tatbestands zur örtlichen Ueberlicferung dazu verirrt hat, den Gatten mehr als ein halbes Jahrhundert früher anzusetzen als die Gemahlin; es ist vielmehr zu vermuten, daß in dem verschiedenen zeitlichen Ansatz ein geschichtlicher Kern steckt. Andrerseits haben Böttiger-Erlangen (8. Jahresbericht des Hist. Ver. v. Mittelfranken 1837 S. 30 ff.), Huscher-Ansbach (9. Jahresber. d. Hist. Ver. v. Mittelfr. 1838 S. 24 ff.) u. Harry Breßlau (Jahrbücher des Deut­ schen Reiches unter Konrad II. I. Bd. 1879 S. 468 ff.) die verwandtschaft­ lichen Beziehungen zwischen Ernst, Irmingard und Kunigunde unter Be­ rücksichtigung der gesamten Kaisergeschichte gewürdigt. Sie sind einig, daß die D-Handschrift des Gedichtes „Herzog Ernst“ die Grabstätte eines Herzogs Ernst und einer Irmingard Ende des 13. Jahrhunderts in Roßtal nachweist, dessen Name dichterisch zu „Roßfeld“ verändert ist. Böttiger und Breßlau weisen ferner nach, daß die Kombination, welche Irmingard zu einer sonst nirgends erwähnten Schwester Kunigundens macht, keine geschichtliche Autorität hat. Keinesfalls sind wir berechtigt, den Roßtaler Herzog Ernst für den Sohn der Kaiserin Gisela zu halten, der 1030 fiel, von dem niemals eine Gemahlin erwähnt wird und der nach Wipos Zeugnis in Konstanz begraben wurde. Diesen Feststellungen können wir ohne weiteres beitreten.

9 Um dem geschichtlichen Tatbestand näher zu kommen, ist es nun nötig, auf die gleichzeitigen Quellen zurückzugehen. Das sind für Ernst die Quellen etwa aus dem 10. Jahrhundert, für Irmingard die des 11. Jahr­ hunderts. Herzog Ernst Böttiger weist a. a. O. verschiedene Grafen und Herzoge dieses Namens nach9). Der älteste war der Schwiegervater König Karlmanns, ist seit 829 nachweisbar und starb 865 in Laufen a. N. Sein Sohn wird 857 und 882 erwähnt und war Graf des Sualafelds. Er blieb mit seinem Heer auf einem Zug gegen die Normannen verschollen. Ein anderer Graf Ernst tritt urkundlich 912 VIII 8 als Graf des Iffiggaus und 914 V 24 als Graf des Sualafelds auf, derselbe oder ein anderer 959 Juni 12. Herzog Ernst 1. von Schwaben ist in Würzburg begraben, dessen Sohn Herzog Ernst II. von Schwaben in Konstanz; sie scheiden also für Roßtal aus. Tatsächlich haben sich nun aber aus der Zeit der Ungarnkriege (um 954) Nachrichten über einen Grafen Ernst im Gebiet des heutigen Mittel­ franken erhalten10). Der Titel „Herzog“ (dux) für einen Grafen kehrt in jener Zeit öfters wieder ll). 953 hatten gegen Otto d. Gr. sein Sohn Luidolf und sein Schwieger­ sohn Konrad der Rote, Herzog von Lothringen, einen neuen Aufstand begonnen. Anfang 954 befand sich Otto in größter Bedrängnis. Luidolf und Konrad hatten im Verein mit den Söhnen des verstorbenen Herzogs Arnulf I. von Bayern, die stets die Herrschaft von Ottos Bruder Heinrich im Herzogtum Bayern nur unwillig ertragen hatten, fast ganz Süddeutsch­ land in Händen. Nur in Lothringen behauptete sich die königliche Partei. Otto verfügte nur noch in Sachsen über eine sichere Machtstellung» Diesen Augenblick größter Schwächung der Königsgewalt benutzten die Ungarn bald nach Beginn des Jahres 954 zu einem neuen Einfall in die deutschen Lande. Ihr Erscheinen in diesem kritischen Zeitpunkt ist von jeder Partei der anderen in die Schuhe geschoben worden. Luidolf und Konrad scheuten sich nicht, die Ungarn dorthin zu führen, wo sie ihre innerdeutschen Gegner am empfindlichsten zu packen vermochten, nach Lothringen. Schließlich einigten sich aber dann doch Otto d. Gr., Konrad und Luidolf auf einen Waffenstillstand bis 16. Juni 954, um dann in Langenzenn über den Frieden zu verhandeln. Widukind von Corvey gibt in Buch II Kap. 30 ff. seiner um das Jahr 967 niedergeschriebenen „Sächsischen Geschichte“ den Ereignissen, die sich in unserer Gegend abspielten, etwa folgende Darstellung12):

10 „Unterdessen hörte Otto d. Gr. (in Sachsen im Februar 954), daß die Ungarn in Bayern eindrängen, sich mit seinen Gegnern verbänden und sich anschickten, ihn zum offenen Kampf herauszufordern. Otto sammelte eine gewaltige Schar und zog dem Feind entgegen. Sie wichen ihm aber aus, durchstreiften, nachdem sie von Luidolf Führer erhalten hatten, ganz Franken und richteten eine solche Verheerung an, zuerst unter ihren eige­ nen Freunden, daß sie einem namens Ernst, der zur Partei Luidolfs ge­ hörte, von seinen hörigen Leuten mehr als 1000 Gefangene wegschleppten, sodann aber unter allen übrigen, so daß es unglaublich zu sagen ist. Am Sonntag vor Ostern ward ihnen zu Worms öffentlich aufgewartet und sie mit reichen Gaben an Gold und Silber beschenkt. Von da zogen sie nach Gallien und kehrten auf einem anderen Wege in ihre Heimat zurück.“ Die Bayern, deren Kraft durch das Reichsheer und das fremde Volk erschöpft war und die nach dem Abzug der Ungarn durch das königliche Heer bedrängt waren, sahen sich genötigt um Frieden zu unterhandeln. Es wurde ihnen Friede gewährt bis 16. Juni, wo sie in Langenzenn ver­ handelten. Konrad und der Erzbischof von Mainz schlossen sich dabei Otto wieder an, Luidolf nicht. „In der nächsten Nacht verließ Luidolf mit den Seinigen den König und begab sich mit dem Heere nach Regensburg. Otto folgte seinem Sohne und da er auf eine Stadt (urbs) namens Horsadal (— Roß-tal) stieß, belagerte er sie. Hier kam es zur Schlacht und einen härteren Kampf um die Mauern hatte wohl keiner der Sterblichen gesehen. Viele wurden auf beiden Seiten getötet, noch mehr verwundet, die Finsternis der Nacht trennte das Treffen. Mit schwerem Verlust durch den unentschiedenen Kampf wurde das Heer am nächsten Morgen gegen Regensburg weitergeführt; da man zu wichtigeren Dingen zog, schien es nicht ratsam, sich hier länger aufzuhalten.“ Wer dieser' Ernst war, zeigt eine Urkunde, die Otto d. Gr. 959 Juni 12 zu Rohr ausstelltel*). Otto beurkundet, „wie Wir durch das Verhalten des Grafen Ernst unserm Getreuen Hartmann zu Eigen geschenkt haben, was Ernst an Erbrecht hatte im Dorf Auhausen (bei Wassertrüdingen) und Westheim (bei Heidenheim) in der Grafschaft desselben Grafen Ernst. Dieses Erbe wurde Uns und Unserer königlichen Macht vom Volke öffent­ lich durch Urteil zuerkannt, weil derselbe Ernst uns am meisten feind­ lich aufstand (contrarius extitit).“

11 Aus einer Urkunde von 996 Feb. 1814) geht hervor, daß dieser Besitz im Gau Sualafeld lag, wo 996 Adelhard Graf war. Ernst war demnach Graf im Gau Sualafeld. Nun findet sich in Roßtal noch eine Andeutung, die sich auf dieses kaiserliche Strafgericht von 959 beziehen kann, nämlich Satz 2 und 3 der Grabschrift Ernsts: „Daß ihm Ruhe gegeben werde, so möchten alle Gläubigen erbitten. Gib ihm Ruhe, Christus, damit mit Dir immer sei dieser hier.“ Diese außergewöhnliche zweimalige Bitte um Frieden für den Ver­ storbenen läßt vermuten, daß ihm kein friedliches Ende beschieden war; sie bringt zum Ausdruck, es möge ihm ein Höherer geben, was ihm bei seinem Ende versagt blieb. Diese Zusammenhänge, sowie die Tatsache, daß sonst — so gründlich diese Frage schon untersucht wurde — von keinem Grafen oder Herzog Ernst irgendwelche geschichtlichen Ereignisse nachgewiesen sind, die auf einen Zusammenhang mit Roßtal deuten, begründen die Wahrscheinlich­ keit, daß tatsächlich in Roßtal das Begräbnis des Sualafeldgrafen Ernst von 954/959 erhalten war und daß nach dem Tage von Langenzenn dieser Ernst die urbs Roßtal gegen Otto d. Gr. erfolgreich verteidigt hat. Hierauf scheint im besondern noch das „maxime contrarius“ in der Urkunde von 959 zu deuten. In die Roßtaler Ueberlieferung fand die Anschauung Aufnahme, Ernst sei Herzog von Bayern gewesen, was Böttiger veranlaßte, den Roßtaler Ernst für den Schwiegervater König Karlmanns zu halten. Ebenso wie die eheliche Verbindung Ernsts mit Irmingard geht diese Ueberlieferung auf das Gedicht „Herzog Ernst“ zurück. Frdr. Vogt schreibt über die geschichtlichen Grundlagen dieses mittel­ alterlichen Gedichts in seiner Geschichte der mittelhochdeutschen Lite­ ratur (1922) Seite 103: „Das Gerippe der Dichtung bildet die Erzählung von Herzog Ernst, Adelheids Sohn, der von seinem Stiefvater, dem Kaiser Otto, auf die Ver­ leumdung eines bösen Pfalzgrafen Heinrich hin in die Reichsacht getan, in Regensburg belagert und von da landesflüchtig wird, schließlich aber vom Kaiser die fußfällig erbetene Verzeihung erhält. Diese Ueberlieferung hat ihren Ausgang von Herzog Luidolf von Schwaben, Ottos I. Sohn aus erster Ehe, Adelheidens Stiefsohn, genom­ men, der mit Ottos Bruder Herzog Heinrich von Bayern verfeindet sich

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gegen den Vater empörte, nach langer Belagerung in Regensburg fliehen mußte, endlich aber die fußfällig erbetene Begnadigung fand. Diese Er­ eignisse der Jahre 952— 954 werden später vermischt mit der vielfach ähnlichen Geschichte des schwäbischen Herzogs Ernst II. Die merkwürdige Aenderung des Herzogtums Schwaben, das sowohl der historische Ernst als auch Luidolf inne hatten, in Bayern findet ihre ausreichende Erklärung darin, daß die Verteidigung der bayerischen Hauptstadt Regensburg in Luidolfs Kämpfen eine so bedeutende Rolle spielte und auch in der Ernstdichtung unter manchen Einzelübereinstim­ mungen mit jenem historischen Vorgang den entscheidenden Mittelpunkt der Kämpfe des Herzogs gegen das Reich bildete. Um jene Verschiebung zu erklären, bedarf es daher nicht erst der Heranziehung eines älteren Ernst, Markgrafen vom bayerischen Nordgau, der im Jahre 861 von Lud­ wig dem Deutschen seiner hohen Aemter und Würden entsetzt wurde und ohne sie wiedererlangt zu haben, i. J. 865 starb.“ Herzog Ernst II. wurde als Herzog von Bayern schon in einer Urkunde bezeichnet, die uns im Codex Udalrici — einer Sammlung von Brie­ fen und Urkunden, die 1125 ein Bamberger Kleriker namens Ulrich für Kanzleibedürfnisse zusammengestellt hat — erhalten ist. Die Urkunde, die vom 20. V. 1029 datiert ist, ist aber verunechtet15). War aber die Bezeichnung Ernsts als Bayernherzog in den Nach­ richten des 12. und 13. Jhs. schon geschichtlich nicht einwandfrei und eine dichterische Freiheit, so hat sie für die Roßtaler Ueberlieferung, in die sie offensichtlich aus dem Gedicht kam, erst recht kein historisches Gewicht. Die ortsgeschichtlichen Quellen der Roßtaler Gegend für Irmingard.

Die Ueberlieferung, die Irmingard zur Schwester Kunigundens macht, deutet nicht nur auf den Anfang des 11. Jahrhunderts, sondern auch aut Beziehungen zu Bamberg, wie sie für Ort und Kirche von Roßtal zahl­ reich nachweisbar sind16). Tatsächlich finden wir in einer der ältesten Bamberger Urkunden17) zwischen 1024 Juli 13 und 1040 August 13 eine Frau Yrmengarda erwähnt. In dieser Urkunde übergibt Eberhard, der erste Bischof von Bamberg, nach Rückempfang der Besitzungen (predia) Herzogenaurach und Langenzenn von der Frau Yrmengarda, die Kaiser Heinrich II. sei. Angedenkens ursprünglich vom Grafen Konrad empfangen und der Bamberger Kirche gegeben hatte, den Wirtschaftshof Herzogenaurach mit dem Zubehör links der Regnitz den Dombrüdern. Nach dem Tode der Frau Yrmengarda

13 sollen diese Langenzenn zurückgeben, ihr Fürth zurückerhalten und über das besagte Herzogenaurach mit Zubehör links der Regnitz freies und eigentümliches Verfügungsrecht haben. Hiezu gehört noch ein Nutzungs­ recht im bischöflichen Forst rechts der Regnitz. Die Herrschaftsgüter Langenzenn und Herzogenaurach18) hatte 1021 November 13 Kaiser Heinrich II. je als „quoddam nostre dominationis praedium“ mit allen Weilern, Dörfern usw. dem Bistum Bamberg ge­ schenkt. Den ihm zu Eigen gehörigen Ort Fürth hatte Heinrich II. 1007 November 119) mit allen seinen Ein- und Zugehörungen, Weilern, Dörfern, Kirchen, Knechten und Mägden, bebauten und unbebauten Ländereien, Wäldern, Forsten, Wassern usw. zum Pfründgut der Kanoniker in Bam­ berg geschenkt. Die Ueberlassung Fürths an Yrmengarda, ihren Gemahl und ihren Sohn scheint 1024 November 16 beurkundet worden zu sein20), wo Bischof Eberhard ein dem Präbendalgut der Dombrüder entnommenes Gut mit seinen Eingehörungen einem Grafen, seiner Ehefrau und seinem Sohne zu Prekarienrecht und zur Nutznießung auf Lebenszeit überläßt. Leider fehlen in der uns erhaltenen Urkundenabschrift von etwa 1125 alle Namen außer dem des Bischofs Eberhard. Die undatierte Urkunde Bamb. Reg. 181, die zwischen 1036 und 1040 anzusetzen ist (vgl. unten S. 23), sagt nun von dem räumlich zusam­ menhängenden Güterkomplex Langenzenn-Herzogenaurach21), daß ihn Kaiser Heinrich II. von Graf Konrad empfangen hatte und dann (1021 No­ vember 13) der Bamberger Kirche gegeben hat. Nun war er in die Hände Yrmengardas gelangt, die ihn wieder dem Bischof von Bamberg gegeben hatte. Dafür erhielt sie zusammen mit ihrem Mann und ihrem Sohne zu Prekarienrecht und auf Lebenszeit den Besitz Fürth mit allem Zubehör, der nach ihrem Tode wieder an Bamberg — und zwar an die Dom­ brüder — kommen sollte. Ihre Rechte auf Herzogenaurach und Langenzenn müssen bis zur end­ gültigen Herausgabe dieser Besitzungen an Bamberg stärker und z. T. auch älter gewesen sein als das Verfügungsrecht Graf Konrads, Hein­ richs II. und des Bischofs von Bamberg. Sonst hätte sie über diese Güter nicht nochmals verfügen können, nachdem 1021 Nov. 13 zu Augsburg Heinrich II. sie schon als „nostrae dominationis“, als „meiner Herrschaft“ bezeichnet und an Bamberg verschenkt hatte. Das nimmt auch Guttenberg an, wenn er diese Güter für Irmingards Leibgeding hält. Diese merkwürdige Uebertragung zweier Güter, die einer Gräfin kraft alten Rechts gehören, an den Bamberger Bischof, wofür die Gräfin von

14 diesem ein drittes bischöfliches Gut mit seinen Einkünften zu Prekarienrecht auf Lebenszeit erhält, kehrt 1142 wieder22). Graf Poppo von Plassenberg hatte Chuniza, die Tochter und Erbin des Grafen Reginboldo von Giechburg, geehelicht; diese Ehe wurde* nachdem bereits ein Sohn geboren war, durch Synodalbeschluß vom Bischof öffentlich getrennt. Der Grund soll Blutsverwandtschaft gewesen sein. Chuniza stiftete nun 2 Hauptburgen von ihrem Eigengut, Giech und Lichtenfels, an das Bistum Bamberg. Dafür bekam sie zu Prekarienrecht den bischöflichen Hof Zeil übertragen. Den Teil ihres Erbguts, welcher Mistelvelt heißt, hat sie mit allen Zugehörungen und Hörigen beiderlei Geschlechts am Altar des hl. Georg als Gabe für die Brüder verstiftet, damit ihr Jahrtag gefeiert und ihr Name unter den Wohltätern der Kirche genannt werde. Diese Art der Regelung finden wir schon um 1024. Sie stellt offenbar im Bistum Bamberg eine wiederkehrende Norm der Güterrregelung dar. Wir können uns vorstellen, daß man beim Fall Chuniza den Fall Irmin­ gard als Präzedenzfall hergenommen und nach ihm gehandelt hat. Für Irmingard finden wir aber auch den Jahrtag und ihre Verehrung in Roßtal, einem Besitz (predium), der—so dürfen wir entsprechend Mistel­ feld annehmen — von ihr an den Bischof von Bamberg verstiftet wurde, damit ihr Jahrtag durch Glockengeläut gefeiert und ihr Namen in Ehren gehalten werde. Daß Roßtal in räumlichem Zusammenhang mit Langenzenn - Herzogenaurach liegt wie Mistelfeld mit den anderen Gütern, die Bamberg 1142 von Chuniza erhielt, bestätigt diese Annahme. Wir finden aber auch eingehende Nachrichten über den Ehescheidungs­ prozeß gegen Irmingard in den Ueberlieferungen jener Zeit. Daß es sich um dieselbe Irmingard handelt, ergibt sich aus der Gegenüberstellung der Ereignisse Jahr für Jahr, den in Bamb. Reg. 163 erwähnten Familien­ verhältnissen, aus der Bedeutung, die die Bischöfe des Mainzer Erz­ bistums der materiellen Bußleistung im Ehescheidungsprozeß beigemessen haben, sowie aus einer Reihe von Einzelbeziehungen. Es handelt sich um Graf Otto von Hammerstein und seine Gemahlin Irmingard. Solche Ehefragen durch Sachleistungen an die Kirche zu regeln, be­ fremdet manchen von uns. Es erklärt sich das aus den dogmatischen Vor­ stellungen der katholischen Kirche jener Zeit, die den Begriff von „Sünde“ und „Sündenstrafe“ trennte23): Die Sünde, so nahm man an, ist zugleich Beleidigung Gottes und Bruch seiner Weltordnung; das erstere wird in

15 der Absolution bei der Beichte vergeben, für das zweite hat der Mensch auizukommen in den Genugtuungen. In den vorliegenden Fällen mußten diese Genugtuungen der Ausstattung und dem Ausbau des Bistums Bam­ berg dienen. Der Ehescheidungsprozeß gegen das Hammersteiner Ehepaar.

Dieser fand schon eine eingehende Darstellung durch Dor. von Keßler24). Wir skizzieren ihn daher nur, soweit sich Beziehungen für unsere fränkische Heimat ergeben und wir das von Keßler gezeichnete Bild zu erweitern vermögen. Graf Otto stammte aus dem Geschlecht der Konradiner, Irmingard aus Oberlothringen. Ihr Vater war Graf Gottfried von Verdun25). Ihr Großvater mütterlicherseits war der Sachsenherzog Hermann Billung (vgl. die Stammtafeln). Eine Notiz in einem vatikanischen Codex gibt die kirchlich beanstan­ deten Verwandtschaftsbeziehungen wieder. Diese Notiz ist im Anschluß an die Capitula ex concilio Triburensi eingetragen, die im Codex unmit­ telbar den unten näher behandelten Seligenstadter Beschlüssen v. J. 1023 folgen, und bezeichnet Irmingards Vater Gottfried und Ottos Großmutter Gerbirg als Geschwisterkinder. Eine Schwester Ottos war mit Friedrich von Luxemburg, dem Bruder der Kaiserin Kunigunde, verheiratet. Irmingard und die Kaiserin Kuni­ gunde waren also verschwägert, wodurch die Roßtaler Ueberlieferung, daß beide Schwestern gewesen seien28), hinreichend bestätigt ist. Wie sein Schwager, Markgraf Heinrich von Schweinfurt, der bis zum Tode Kaiser Ottos III. (1002) dem Kaiser stets treu gedient hatte, stellte sich Otto von Hammerstein sofort nach der Wahl des neuen Königs Hein­ richs II. auf dessen Seite und wurde von diesem 1002 auf den Kriegszug nach Italien gesandt, von dem er anfangs 1003 zurückkehrte. Heinrich von Schweinfurt hatte allerdings mit König Heinrich II., so­ lange dieser nur Herzog in Bayern war, ebenso wie sein Vater Berthold von Schweinfurt mit dem Vater Heinrichs II., Heinrich dem Zänker, zahl­ reiche Feindseligkeiten auszutragen gehabt. Darob haßte Heinrich II. auch weiter seinen Schweinfurter Namensvetter und verweigerte ihm schließ­ lich die Erfüllung eines fest gegebenen Versprechens. Daran zerbrach das gute Verhältnis, auf das sich der Schweinfurter Markgraf — kaisertreu, wie er stets gewesen war — Heinrich II. gegenüber nach dessen Wahl zum König eingestellt hatte. In leidenschaftlicher Aufwallung

16 empörte er sich und nahm Beziehungen zu Boleslav von Polen auf. Im Sommer 1003 brach nun Heinrich II. nach Bayern auf und verheerte das Gebiet des Markgrafen, so daß dieser, der darauf nicht vorbereitet war, sich außerhalb seiner Stadt verbergen mußte. Als Heinrich II. nach Hersbruck kam, gelang Magan, einem Ritter des Markgrafen, und seinen Knappen ein kühner Handstreich: Sie raubten dem Kaiser in Hersbruck seinen ganzen Schatz, der vor ihm hergeführt wurde, teilten ihn und zogen sich damit in Magans Stadt Amardela (Alt­ ammerthal westlich von Amberg) zurück. Heinrich II. setzte ihnen darauf nach, belagerte sie und brachte sie, als er die Sturmwerkzeuge in Be­ reitschaft setzen ließ, durch treue Vermittler dahin, gegen Uebergabe der Stadt und der Beute nur ihr Leben auszubedingen. Darauf zerstörte er die Burg von Grund aus. Weiter zog er nun nach Kreußen bei Bayreuth und schloß mit seinem Heer auch Gerberga ein, die Gattin des Schweinfurter Markgrafen, mit ihren Kindern und mit dessen Bruder Bucco, in dessen Schutz sie stand. Ein Versuch des Markgrafen, sich mit unzureichenden Streitkräften zu ihnen zu schlagen, scheiterte. Da die Eingeschlossenen glaubten, der Kaiser werde ihnen freien Abzug bewilligen — so berichtet Thietmar von Merseburg — sprach Bucco, der Befehlshaber der Burg, mit Otto, dem Bruder seiner Gebieterin, und übergab mit dessen Bewilligung die Burg in die Gewalt des Königs. Demnach stand dem Grafen Otto von Ham­ merstein ein Verfügungsrecht über die Burg Kreußen zu, das den Schweinfurter Markgrafen fehlte. Bucco zog mit allem ihm Anvertrauten ab, Heinrich II. aber befahl, die Burg von Grund aus zu zerstören. Weil aber die Vollstrecker dieses Auftrags mit Schonung vorgingen — sei es, daß sie von der Notwendigkeit derartig drakonischer Maßnahmen nicht überzeugt waren, sei es, daß sie Freunde oder Kriegskameraden Ottos vom italienischen Feldzug her waren — blieb die Burg samt den Ge­ bäuden zum großen Teil erhalten29). Im gleichen Jahre griff Heinrich II. auch schon die Frage der fürst­ lichen Verwandtenehen in der konradinischen Familie auf. Heinrich II., der eigentlich zum Domherrn zu Hildesheim bestimmt und fast mön­ chisch erzogen war, dessen Ideale in dieser Richtung lagen und in dessen Ehe auch die Kinder fehlten, war auch in Eherechtsfragen von vorneherein stark kirchlich eingestellt. Schon 1003 ereiferte er sich auf einer Synode zu Diedenhofen gegen die Ehe des Herzogs Konrad von Kärnten (gest. 1011), wobei ihm Bischof Adalbero von Metz sekundierte. Darob

17 erhob sich ein großer Streit und Unwillen in der Versammlung, die end­ lich erfolglos auseinanderging. Die Ehe Konrads wurde offenbar erst durch dessen Tod gelöst, sein Besitz und Ansehen blieben ungestört. Wir hören nichts mehr davon, daß Heinrich II. gegen fürstliche Ver­ wandtenehen einschritt, bis 1016 Konrad der Aeltere, der nachmalige Kaiser, Gisela von Schwaben heiratete. Dieser Verwandtenehe halber entriß ihr Heinrich II., dessen Stellung inzwischen gefestigt war, die Regierung Schwabens und setzte den Abt Poppo zum Vormund ihres Söhnchens ein. Hier handelt es sich im Grunde um politische Schläge gegen die deutschen Fürsten, nicht zuvorderst um weltanschauliche Meinungsverschiedenheiten, die man hätte zur Geltung bringen müssen, indem man die Schließung neuer Verwandtenehen verhinderte. Hier ging es um die Verwirklichung dessen, was Heinrich II. und seine Bischöfe für Gottes Weltordnung hielten und glaubten in die Tat umsetzen zu dürfen, indem sie den wirtschaftlichen und politischen Einfluß der Kirche stärkten. Wir sehen, wie Heinrich II. kirchlich-eherechtliche Fragen seiner Machtund Besitzpolitik dienstbar machte. Wie in den Auseinandersetzungen mit den Schweinfurter Markgrafen erweist sich Heinrich II. auch hier als der „kühle Realpolitiker, als der er für uns heute aus dem mystischen Schleier der Kirchenlegende heraustritt“ 30). Nicht anders haben wir seine Haltung im Ehescheidungsprozeß gegen die reich begüterte Familie der Hammersteiner Grafen zu beurteilen, in der sich das lothringische Herzogshaus mit den Konradinern verband, seitdem 1012 Irmingards Bruder Godfried Herzog von Niederlothringen geworden war. Auch im Jahre 1016 starb der Bruder Ottos von Hammerstein, Geb­ hard, Graf der Wetterau. 1016 Mai 18 wird bei einer Schenkung Hein­ richs II. zu Ostheim (LKr. Hanau) als Graf der Wetterau Otto genannt81), 1017 Mai 8 aber bei einer Schenkung zu Büdesheim (Kr. Friedberg, Ober­ hessen) Brüning32). Um diese Zeit (1018) verschärfte sich auch die Spannung zwischen Heinrich II. und den Billungern, den Vettern Irmingards, bis anfangs 1020 bei der Belagerung Herzog Bernhards durch Heinrich II. in der Schalks­ burg (Hausberge bei Minden) ein Ausgleich im Verhandlungswege her­ gestellt wurde. 1018 März 16 wurden Otto und seine Gemahlin Irmingard, die „trotz ihrer Blutsverwandtschaft seit langem unrechtmäßig“ miteinander ver­ heiratet waren, zu Nimwegen von einer großen Synode exkommuniziert, weil sie allen Vorladungen ungehorsam waren; ihre Helfershelfer wur-

18 den aber, jeder von seinem Bischöfe, zur Verantwortung gerufen. Im Juni 1018 erschien darauf Otto gnadeflehend vor dem Kaiser und vor Erzbischof Erkanbald zu Bürgel bei Offenbach am Main, wo sich eine Versammlung von Fürsten eingefunden hatte, und verlor durch dreier Zeugen Eid seine Frau. Trotzdem vereinigte sich Otto wieder mit Irmingard. „Von blinder Liebe toll“, schreiben die von einem Geistlichen verfaßten Quedlinburger Annalen, naiv und ohne Verständnis für die seelische Verfassung von Eheleuten, deren Familie zertrümmert werden soll. Erzbischof Erkanbald von Mainz schritt des öfteren dagegen ein, jedoch ohne Erfolg. Die kirchliche Zuständigkeit ergab sich demnach nicht aus der Lage Hammersteins im Erzbistum Trier, sondern aus den Sitzen der Familie im Erzbistum Mainz, von denen wir mehrere kennen33). Die Schritte Erkanbalds mögen schon recht materieller Art gewesen sein; denn darauf verwüstete Otto das Gebiet des Mainzer Erzbischofs mit Feuer und Schwert und unternahm einen Handstreich auf die Person Erkanbalds. Er lauerte auf einer Rheinfahrt ihm auf. Aber das Fahrzeug des Erzbischofs entkam; nur seine Begleiter, die in einem Nachen folgten, fielen Otto in die Hände. Nun griff Kaiser Heinrich II. ein. Als Otto der wiederholten Aufforde­ rung, sich zu unterwerfen, nicht nachkam, wurden Acht und Bann über ihn und Irmingard verhängt und Heinrich II. belagerte beide in ihrer uneinnehmbaren Felsenburg Hammerstein am Rhein nächst Andernach, mit deren Namen Otto und Irmingard in die Geschichte eingegangen sind. Erst nach über 3 Monaten, am 26. Dezember 1020, mußte Otto,von Hun­ ger bezwungen, sich ergeben. Er und seine Gemahlin blieben scheinbar in Freiheit, Bann und Acht wurden aber nicht gelöst. Am 2. VI. 1023 unterwarf sich Otto zu Mainz wiederum unter dem Eindruck von „Heinrichs Zorn und auf bischöfliche Ermahnungen“ und entsagte wieder seiner Gemahlin. Irmingard, die ins Kloster sollte, pilgerte aber darauf nach Rom, um vom Papst selbst Absolution zu bekom­ men und den ihr von den Bischöfen zugedachten Konsequenzen zu ent­ gehen. Wir sehen daraus, daß Irmingard der kirchlichen Gedankenwelt ihrer Zeit an sich nicht fernstand; das beweisen auch späterhin ihre Kirchenstiftungen zu Roßtal und Rees (1040/41). Ihr Kampf richtete sich gegen die Maßnahmen der deutschen Bischöfe und die Kirchenpolitik Heinrichs II., nicht gegen das Papsttum und die römisch-katholische Kirche als solche “).

19 Nun berief Erzbischof Aribo von Mainz eine Provinzialsynode seiner Bischöfe für den 12. August 1023 nach Seligenstadt bei Aschaffenburg, die u. a. folgende Beschlüsse faßte: „Canon 16: Niemand soll nach Rom gehen, ohne dazu Erlaubnis von seinem Bischof oder dessen Vikar erlangt zu haben. Canon 18: Weil viele sich durch die Schlauheit ihres Sinnes täuschen lassen, indem sie, wegen eines Kapitalverbrechens angeklagt35), die von ihren Priestern ihnen auferlegte Buße nicht annehmen wollen und darauf vertrauen, daß, wenn sie nach Rom pilgern, der Papst ihnen alle ihre Sünden vergeben wird, so hat das heilige Konzil beschlossen, daß ihnen eine solche Vergebung nicht zugute kommen soll, sondern daß sie erst sich der ihnen von ihren Priestern nach dem Maße ihres Vergehens auf­ erlegten Buße unterziehen und dann, wann sie noch nach Rom gehen wollen, von ihrem eigenen Bischof die Erlaubnis und einen Brief empfan­ gen sollen, der dem Papst von diesen Dingen berichtet.“ Diese Beschlüsse waren offensichtlich durch den Fall Hammerstein veranlaßt und auf die materielle Seite dieses Falles abgestellt. Sie schränkten aber das päpstliche Recht, zu lösen und zu binden, ein. Papst Benedikt VIII. ließ sich jedoch keine Rechte aus der Hand nehmen. Er ließ die Sache durch einen Legaten untersuchen und entzog dem Erz­ bischof Aribo das Pallium, das Symbol seiner erzbischöflichen Würde. Darauf sandten die Mainzer Suffraganbischöfe anfangs 1024 an den Papst einen erbitterten Brief36), in dem sie sich für ihren Oberhirten einsetzten; sie riefen den Papst bei seiner päpstlichen Würde und Pflicht an, das gemeinsame Ansehen von Kaiser und Bischöfen vor diesem „ge­ bannten Weibe“ zu retten und keinesfalls weiter in seiner Gnade zu gehen als es bis an sein Lebensende in einer Einsiedelei büßen und seine Schuld beklagen zu lassen, falls es wider Erwarten Reue empfinden sollte und nicht „ferne vom Leibe Christi“ zu Grunde gehe. Aribos Motive be­ rühren sie dabei, wenn sie schreiben, er habe nicht aus Habsucht ge­ handelt, sondern sei um der Gerechtigkeit willen vorgegangen. Hier stand also offensichtlich schon das Materielle im Spiel und die Motive Aribos fanden eine verschiedene Deutung. Damit brechen die Nachrichten über diese dramatische Auseinander­ setzung ab: Papst Benedikt VIII. starb wohl Ende Mai oder Anfang Juni 1024, Kaiser Heinrich II. am 13. Juli desselben Jahres und an seiner Stelle wurde Konrad II. deutscher König37). Damit trat eine entscheidende Wen­ dung im Ehescheidungsprozeß gegen Otto und Irmingard ein. 2i

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Konrad II. war nicht kirchlich eingestellt und lebte, wie berührt, selbst in einer kirchlich beanstandeten Verwandtenehe. Nach Ueberwindung einiger Hemmungen bei der Krönung Giselas erkannten die deutschen Bischöfe die bestehenden konradinischen Verwandtenehen an und ließen auch neue Verwandtenehen zu; es blieb aber dabei, daß ihnen beträchtliche Bußen überlassen werden mußten38). 1027 Sept. 23 wurde auf der großen Generalsynode von Bischöfen zu Frankfurt, die Kaiser Konrad II. nach seiner Rückkehr von der Kaiser­ krönung in Rom einberufen hatte, über die „unrechtmäßige Verbindung“ Ottos und Irmingards nochmals eine Beratung angefangen, aber auf Bitte des Kaisers unterbrochen, ohne je wieder aufgenommen zu werden. Der Ehehandel mit der Hammersteiner Familie hat also eine friedliche Bei­ legung zur Zeit Konrads II. gefunden. Nun ergibt sich folgende Zeittafel, der wir noch einige Güterübergaben einfügen, auf die wir später noch eingehen werden: 1018 Ende Mai/Anf. Juni zu Bürgel. Otto unterwirft sich zum ersten Male, die Ehe wird für nichtig erklärt. 1019 Mai 12. Heinrich II. schenkt Großschierstedt und Kleinschierstedt so­ wie Schackental im Schwabengau an Bamberg. 1019 nach Aug. 15. Heinrich II. schenkt den Besitz Hönningen bei Ham­ merstein, das ihm Ennelin gab, u. a. an Bamberg. 1020 Dez. 26. Ottos bewaffneter Widerstand bricht zusammen, Acht und Bann bleiben bestehen. 1020 Dez. 26 — 1021 Februar 14. Regelung Heinrichs II. zu Boppard zu Gunsten Bambergs. Graf Paldrich hatte dieses Gut an Heinrich II. und dieser an Bamberg übergeben. 1021 Nov. 11 Augsburg. Heinrich II. schenkt die Güter Irlich (Kr. Neu­ wied), Krümmel (? Unterwesterwald) und Urmitz (LKr. Koblenz), die ihm Poppo, Erzbischof von Trier, gegeben, an Bamberg. 1021 Nov. 13 Augsburg. Kaiser Heinrich II. schenkt Langenzenn, Herzogen­ aurach und die zum Wirtschaftshof Herzogenaurach gehörigen Güter, nämlich den Forst zwischen Schwabach und Pegnitz und die Dörfer Gründlach, Walkersbrunn, Eltersdorf, Herpersdorf samt Zubehör der Bamberger Kirche. 1023 Juni 2. Otto unterwirft sich zum zweiten Male, Irmingard zieht darauf nach Rom.

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1024 März 8. Heinrich II. schenkt ein Gut zu Schlopp (BA. Stadtsteinach), das Hicila, die Tochter des Grafen Otto, innehatte, den Bamberger Dombrüdern. 1024 Sept. 6./7 Kampe am Rhein. Wahl Konrads II. 1024 Nov. 16 Attersee. Ueberlassung Fürths an die Hammersteiner Familie. 1027 Juni. Rückkehr Konrads II. von der Kaiserkrönung in Rom nach Deutschland. 1027 Sept. 24 Frankfurt a. M. (Synode). Konrad II. veranlaßt Vertagung des Hammersteiner Ehehandels. 1027 Okt. 19 Trebur. Otto bevorzugter Urkundenzeuge bei dem auf Be­ fehl Konrads II. erklärten Verzicht Graf Diderichs von Sachsen auf Büdesheim. 1028 . . .1039 Februar 3. Verzicht Diderichs auf Ailsbach (BA. Höchstadt a. A.). 1033 Aug. 9. Otto und sein Sohn Udo Urkundenzeugen bei der Sckenkung konradinischen Hausgutes in Regenbach a. d. Jagst. 1034 Tod Udos. 1036 Juni 5. Tod Ottos. 1036 Juni 5. . . . 1040 Aug. 13. Regelung zwischen Bischof Eberhard von Bamberg und den Bamberger Dombrüdern wegen der Irming^rdschen Besitzungen Herzogenaurach, Langenzenn und Fürth. 1040 Stiftung von Rees durch Irmingard. 1041 Februar 15. Schenkung Irmingards für St. Maria zu Rees. 1041 Februar 15. bis 1043 Jan. 5. Tod Irmingards. Die Personengleichheit der Roßtaler Irmingard, der Irmingard von Herzogenaurach/Langenzenn und Fürth und der Irmingard von Hammer­ stein dürfte dadurch hinreichend erwiesen sein. Die Nachrichten der Roßtaler Ueberlieferung haben damit, soweit sie nicht im vornherein als ungeschichtlich erwiesen waren, ihre Bestätigung gefunden: 1. Irmingard, die eine Rheinpfalzgräfin genannt wird, war Gräfin von Burg Hammerstein am Rhein und 2. Irmingard, die leibliche Schwester der Kaiserin Kunigunde ge­ nannt wird, war ihre Schwägerin.

22 Die Besitzungen. Herzogenaurach — Langenzenn — Fürth. Die Wahl Konrads II. brachte eine Abkehr von der Kirchen- und Güterpolitik Heinrichs II. Konrad II. bestätigte bald nach seiner Krönung die Uebertragung der ehemals königlichen Abteien des Bischofs von Bamberg39), ließ aber mit der Gesamtbestätigung des Bistums auf­ fallend lange, bis 103440), warten. Guttenberg glaubte deswegen wie wegen anderer Zusammenhänge den Gedanken nicht von der Hand wei­ sen zu können, Konrad II. habe beabsichtigt, die Ausstattung des Bis­ tums zu schmälern, wie Konrad II. dem Bischof von Bamberg auch das Ei zkanzleramt für Italien entzog und dem Erzbischof von Mainz übertrug41). Tatsächlich mußte 1024 Nov. 16 Bamberg an die Familie Irmingards den Besitz Fürth herausgeben, wie Guttenberg an Hand der Urkunden wahrscheinlich gemacht hat42) und im folgenden näher beleuchtet wird. Aller Wahrscheinlichkeit nach war es auch um diese Zeit, daß die Be­ sitzungen Herzofenaurach und Fürth an die Hammersteiner Familie zu­ rückgegeben wurden. Guttenberg hat schon auf die Besitzveränderung in Fürth eine Urkunde bezogen, die 1020 oder 1024 Nov. 16 zu Attersee ausgestellt wurde und durch die der Bischof von Bamberg einem Grafen zu Prekarienrecht und zur Nutznießung auf Lebenszeit des Grafen, seiner Ehe­ frau und seines Sohnes ein Gut überläßt, das er dem Präbendalgut der Bamberger Dombrüder entnommen hatte. Guttenberg sah sich dazu ver­ anlaßt, da in einer anderen Urkunde zum Ausdruck kommt, daß die Dom­ brüder nach dem Tod der Frau Yrmengard ihr Fürth zurückerhalten sollen, das sich also in lebenslänglicher Nutzung dieser Frau befunden haben muß; diesen Besitz Fürth hatte Heinrich II. 1007 Nov. 1 zum Präbcndalgut der Dombrüder geschenkt. Zu dieser Beziehung der beiden Urkunden kommt nun noch die Uebereinstimmung der Familienverhältnisse bei der Hammersteiner Familie: Der Graf ist Otto, seine Ehefrau Irmingard und der Sohn Udo. Daraus ergibt sich auch, daß nach dem Tode Heinrichs II. die Ehe Ottos und Irmingards wieder anerkannt wurde, wie schon Breßlau an­ nahm 43). Weiterhin klärt sich damit, ob die Urkunde von Attersee 1020 oder 1024 am 16. Nov. ausgestellt wurde. 1020 Nov. 16 belagerte Heinrich II. Otto und Irmingard in Burg Hammerstein. Diese waren beide in Acht und Bann; eine derartige Beurkundung ist zu dieser Zeit also aus-

23 geschlossen. Um so wahrscheinlicher ist Sie 1024 Nov. 16 bald nach der Wahl Konrads II. Der Heimfall von Herzogenaurach und Langenzenn an Bamberg und die dadurch bedingte Regelung zwischen dem Bischof und den Dom­ brüdern in Bamberg, die in der Urkunde Bamb. Reg. 181 erhalten ist, ist später anzusetzen, wohl erst, als Udo (gest. 1034) und Otto (gest. 1036 Juni 5) schon tot waren, da von ihnen nicht mehr wie 1024 Nov. 16 die Rede ist. Während der 1. Teil der Urkunde die augenblickliche Lage regelt, die sich durch den Heimfall von Herzogenaurach und Langenzenn ergab, behandelt ein 2. Teil die Grundstücks Veränderungen und die dabei möglichen Meinungsverschiedenheiten beim Heimfall Fürths nach dem bevorstehenden Tode Irmingards, der zwischen 1041 Februar 15 und 1043 Januar 5 erfolgt ist. Abtretungen zur Gründung Nürnbergs sind noch nicht zu erkennen; diese Fragen dürften erst nach dem Tod von Bischof Eber­ hard von Bamberg (1040 Aug. 13) aufgerollt worden sein (vgl. unten S. 40 ff.). Diese Urkunde (Bamb. Reg. 181) trägt ebenso kein Datum wie die Uikunde über den Besitz Roßtal (1048/51) 44), auf die in diesem Zusam­ menhang nicht näher einzugehen ist. Beide Urkunden stehen sich in ver­ schiedener Beziehung nahe und entstanden offenbar unter dem Einfluß des Dompropstes Liutpold. PropstLiutpold. Ist nun die Urkunde Bamb. Reg. 181 erst zwischen 1036 und 1040 ent­ standen, so besteht kein Hindernis mehr, den Bamberger Kanoniker Liutpold, dem Kaiser Konrad II. 1035 Juni 5 auf Verwendung und Bitte seiner Gemahlin Gisela und seines Sohnes, des Königs Heinrich III., den Weiler Seulbitz bei Bayreuth schenkt45), für den späteren Bamberger Dompropst zu halten. Demnach stand Liutpold der kaiserlichen Familie schon zu dieser Zeit sehr nahe. 1041/43 wußte Propst Liutpold erfolgreiche Verhandlungen für Bam­ berg mit Kloster Stablo bei Malmedy zu Ende zu führen und seinen Ein­ fluß bei Heinrich III. zu Gunsten seines Domstifts geltend zu machen, worauf wir noch eingehen werden. 1051 im Juli berief ihn Heinrich III. als Erzbischof nach Mainz. Liutpold war damit der höchste kirchliche Würdenträger Deutschlands. Dort stellte er den Klosterbau der Benediktiner auf dem Jakobsberg fertig, in dem er nach seinem Tode (1059 Dez. 7) seine letzte Ruhe fand. Liutpold gründete von Mainz aus auch das Kollegiatstift Nürten unweit Göttingen um 1055.

24 Würdig läßt ihn uns das einzige Vorkommnis persönlicher Art er­ scheinen, das seine Zeitgenossen von ihm uns überliefert haben. Hein­ rich III. und Papst Leo IX. feierten das Weihnachtsfest 1052 in Worms46). Am ersten Festtage hielt der Papst selbst das Hochamt, am zweiten Liutpold als Erzbischof von Mainz und pastor loöi, der er noch nicht ganz eineinhalb Jahr war. Als sich Liutpold nach der Prozession und Predigt auf seinen Sitz niederließ, sang, wie es zur Feier des Festes in Mainz üblich war, einer seiner Diakonen namens Humbert die Verlesung. Den Papst machten seine Begleiter darauf aufmerksam und er tadelte es als nicht römischer Sitte gemäß. Da Humbert gleichwohl mit dem Gesänge foi tfuhr, ließ der Papst ihn zu sich kommen und suspendierte ihn. Erz­ bischof Liutpold sandte darauf zum Papst, er möchte ihm seinen Ministr nten zurückgeben. Dies lehnte der Papst ab. Liutpold nahm dies schweigend hin. Als es aber Zeit war, daß Liutpold das Opfer zelebrieren sollte, setzte er sich in seinen Sessel und erklärte, weder er noch sonst wer werde das Opfer beendigen, wenn er nicht seinen Ministranten zu­ rückerhielte. Als der Papst das sah, gab er nach, schickte den wieder ein­ gesetzten Ministranten zurück und Liutpold beendete den Gottesdienst. Ohne bedeutenden Rückhalt bei Kaiser Heinrich III., der der Feier beiwohnte, hätte Liutpold ein derartiges öffentliches Auftreten gegenüber dem Papst und den Italienern nicht wagen können. Ohne eine starke Stellung -des Kaisertums gegenüber dem Papsttum und der Deutschen gegenüber den Italienern war dies nicht denkbar. Die Meinhardschen Nachrichten47). Etwa im Sommer 1060 richteten Propst Hermann, Dekan Poppo und der gesamte Domklerus zu Bamberg an Bischof Günther (1057 —1065) einen Brief, den ihnen der Leiter der Bamberger Domschule Meinhard veifaßt hatte und in dem sie sich, wie Guttenberg schon wahrscheinlich gemacht hat, auf den Besitz Fürth beziehen. Sie schreiben darin, sie hätten gehofft, der Sturm der Verfolgung und des Neides, womit der alte Feind gegen ihre Kirche fast bei der Gründung (ipsis pene fundamentis) durch seine Glieder, das Recht mißachtende, untergegangene Fürsten (iniusti et perditi principes), fortgesetzt wütete, habe sich endlich einmal gelegt; sie hätten u. a. das Gut, das Heinrich II. ihnen als Schmuckstück ihres Wohlstandes und als einzigartigen Rückhalt in der Not zugedacht hatte, unter Bischof Günther gegen alles Recht eingebüßt. Dieses Gut sei schon einmal durch eine gewalttätige Herrschaft entfremdet gewesen, wurde aber mit so viel heißem Bemühen und durch das eingeholte

— . 25 Schwurzeugnis der erfahrensten Dombrüder in das rechtliche Eigentum des hl. Petrus zurückgebracht. Mit diesen Fürsten ist die Hammersteiner Familie gemeint, die wohl mit Irmingard vor 1043 ausgestorben war. Die angezogene Rechtsveiletzung lag sowohl im Gebiet des kirchlichen Eherechts wie in den Gewalttätigkeiten gegen den Mainzer Erzbischof und Heinrich II. Das rasche Aussterben des einst so blühenden Stammes des konradinischen Hauses sah die strengere Geistlichkeit jener Zeit als eine Strafe des Himmels an, vor allem als eine Folge der kirchenrechtswidrigen Ver­ wandtenehen, die sich im konradinischen Hause von Geschlecht zu Ge­ schlecht vererbten '18). Damit erklärt sich wohl auch, daß noch in der Vita Popponis Irmingard als „Tochter Gottfrieds“, nicht als Gattin Ottos be­ zeichnet wird. Die Ehe der Hammersteiner Familie blieb den streng *en Klerikern anstößig; ihre Erwähnung wurde umgangen49). Daß man um 1060 das Jahr 1024 „fast zur Gründungszeit“ des Bis­ tums Bamberg rechnete, somit die ganze Regierungszeit Heinrichs II. als Gründungszeit des Bistums ansah, ist durchaus verständlich. Schon Guttenberg hat diese Briefstellen auf Fürth und die Gräfin Yrmengarda bezogen, ohne die Zusammenhänge mit der Hammersteiner Familie zu kennen50). Diese Nachrichten werden bestätigt und ergänzt durch eine Urkunde Bischof Hartwigs von Bamberg zwischen 1051 Juli und 1053 Nov. 6, in der er den Dombrüdern den Besitz Herzogenaurach bestätigt. Die Urkunde betont, dieser sei ihnen unrechtmäßiger Weise verloren gegangen, durch gesetzmäßiges Recht aber zurückerworben worden (iniuste amissum — legali iure receptum). Dies bezieht sich offenbar auf den Verlust dieser Güter nach dem Tode Heinrichs II. und die spätere Rückerwerbung, die wir aus Bamb. Reg. 181 kennen5l). Das Gut der Hicila zu Schlopp. Hier ist eine Schenkung Heinrichs II. von 1024 März 8 zu Bamberg zu behandeln: Heinrich II. schenkt einen Besitz zu Schlopp bei Stadt­ steinach Ofr. den Bamberger Dombrüdern, den Hicila, die Tochter des Grafen Otto, innehatte 52). Wie Guttenberg schon feststellte53), kann dieser Graf nicht Otto von Schweinfurt gewesen sein, der erst 1036 heiratete. Auch für den 974 bis 1008 belegten Grabfeldgaugrafen Otto führen uns weder zeitlich noch örtlich Spuren zur Schlopper Schenkung v. J. 1024. Vielmehr deuten die örtlichen und zeitlichen Zusammenhänge auf Otto von Hammerstein.

26 Besitz Ottos haben wir in der kaum 40 km südlich gelegenen Burg Kreußen nachgewiesen. 1024 im März hatte Otto von Hammerstein sich unterworfen und Irmingard war nach Rom gezogen, um Abhilfe zu erwiiken. Heinrich II. und die deutschen Bischöfe besaßen also hinsichtlich des Hammersteiner Besitzes freie Hand. Gerade um diese Zeit suchen auch die deutschen Bischöfe ihr Mainzer Oberhaupt beim Papst gegen den Vorwurf des Eigennutzes zu rechtfertigen. Auch die Nachrichten über das Lebensalter der Hammersteiner Familie sind damit zu vereinbaren: 1002 zog Otto schon nach Italien, 1018 März 16 waren Otto von Hammer­ stein und Irmingard schon „lange verheiratet“54). Hicila wird vielleicht das Schicksal getroffen haben, gegen das sidh Irmingard zu dieser Zeit so sehr gewehrt hat; sie wird vielleicht ins Kloster gekommen sein. Das Eingreifen Konrads II. Ende 102 7. An Ostern 1027 war Konradll. in Rom zum Kaiser gekrönt worden und im Juni nach Deutschland zurückgekehrt. Am 24. September war eine Synode zu Frankfurt a. M. Auf dieser wurde über die „unrecht­ mäßige Verbindung“ Ottos und Irmingards nochmals eine Beratung an­ gefangen, aber auf Bitte des Kaisers vertagt. Es läßt sich vermuten, daß Konrad II. bei der Kurie offene Fragen in der Hammersteiner Sache be­ sprochen hatte, so daß nun eine restlose Regelung möglich war. Graf Otto tritt nun als erster Urkundenzeuge auf, als Graf Diderich, der Gemahl von Irmingards Base Mathilde, das erste Mal mit seinem Sohne Gisilbert, an Kloster Michelsberg in Bamberg abtritt:55) 1. 1027 Okt. 19 zu Trebur den Besitz Büdesheim in der Wetterau gegen Bezahlung von 50 Talenten auf Befehl und Rat Kaiser Konrads II. und 2. 1028 , . . 1034 Februar 3 den Besitz Ailsbach (BA. Höchstadt a. Aisch) gegen Bezahlung von 10 Talenten aus demselben Orte, wobei Talentum soviel wie Pfund56) bedeutet. Graf Diderich war ein Sachse, da bei seiner Verzichterklärung 1027 zuerst nach sächsischem Brauch gehandelt wird; er war der Markgraf der Lausitz, der 1034 Nov. 19 ermordet wurde (vgl. Stammtafel). Abweichend von Guttenberg sehe ich in dem Grafen Otto, der unter den ostfränkischen Zeugen als erster genannt wird, den Hammersteiner Grafen. Einmal wegen der Lage der Besitzungen, da die Wetterau Ottos Heimat und Grafschaft war und er im Regnitzland begütert war; dann

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wegen der zeitlichen Einreihung in den Eheprozeß wie schließlich wegen der sachlichen Beziehungen zum Eheprozeß: 1. Konrad II. übernahm offenbar auf der Frankfurter Synode am 24. September 1027 die weitere Regelung der Hammersteiner Sache gegenüber der Kirche, indem er um Vertagung bat; damit erklärt sich sein „Rat und Befehl“, auf Grund dessen am 19. Oktober 1027 die Büdes­ heimer Verzichterklärung vollzogen wurde; 2. in einem Heberegister des Klosters Werden aus dem 11. Jahr­ hundert findet sich der Eintrag, daß Otto und Irmingard durch Ver­ pfändung bzw. Abtretung des Waldes Liutrud und des Gebietes Nas in Friesland an Kloster Werden 50 Pfund Silber aus dem Schatz des hl. Liudger erhielten. Es ist doch wohl mit Breßlau57) anzunehmen, daß es sich dabei um das Hammersteiner Ehepaar handelt. Es ist wohl auch wahrscheinlich, daß die Michelsberger und die Werdener Geldgeschäfte in Zusammenhang standen, nachdem Kloster Werden ohne kirchliche Hintergründe nicht mit Otto und Irmingard Geldgeschäfte gemacht hätte, und daß Otto und Irmingard die 50 Pfund für die Büdesheimer Abtretung beim Kloster Werden aufgenommen haben. Es läßt sich vermuten, daß Otto von Diderich früher 50 Pfund er­ halten und ihm dafür Büdesheim gegeben hatte, das er jetzt auslösen mußte, daß eine weitere Entschädigung zu 10 Pfund für Ailsbach aber durch ausstehende Forderungen Ottos in Ailsbach abgegolten wurde, die Abt Heinrich von Kloster Michelsberg in Bamberg beischaffen mußte. Sobald wir den in den beiden Urkunden über Büdesheim und Ails­ bach genannten Grafen Otto für Otto von Hammerstein halten, fällt ein wesentliches Stück aus dem Beweis heraus, mit dem Guttenberg den frühestmöglichen Zeitpunkt der Ailsbacher Urkunde sowie der Tradi­ tionsnotiz über Trebgast, Stein und Kulmbach, auf die wir noch zurück­ kommen58), auf 1027/28 ansetzt. Andrerseits ist bei der weitgehenden Aehnlichkeit der beiden Urkunden über Ailsbach und Büdesheim anzu­ nehmen, daß beide Verzichte infolge des Eingreifens von Kaiser Konrad II. 1027 Sept. 24 erfolgten. Damit ergibt sich der von Guttenberg ermittelte frühestmögliche Zeitpunkt auf andere Weise — bei Ailsbach 1028 Februar 3 und bei Kulmbach usw. Ende 1027. Baugeschichtliche Zusammenhänge. 1029 lassen sich Beziehungen Irmingards zu Konrad II. nachweisen. Der Klosterreformator Abt Poppo von Kloster Stablo bei Malmedy, an

28 dessen Bauschule Konrad II. 1025 den Bau der Klosterkirche Limburg übertragen hatte, hatte es abgelehnt, Bischof von Straßburg zu werden, da er der Sohn eines Klerikers sei. Durch Irmingard, „die Tochter des sehr vornehmen Fürsten Gottfried“, wird aber bald darauf dem Kaiser entdeckt, daß dies nicht wahr sei. Irmingards genaue Kenntnis der Stabloer Verhältnisse geht vielleicht auf ihre Abstammung aus Lothringen, vielleicht auf ihre kirchliche Bautätigkeit zurück. In Roßtal sind heute vom Bau Irmingards nur noch die Krypta und der im Schiff der Oberkirche freigelegte Rest eines Kreuzaltars zu sehen. Dieser ist wohl der Rest des Marienaltars, der nach Arnpecks Meinung über Irmingards Grab errichtet war. Wie Irmingard dazu kam, den Herzog Ernst in ihrer Kirche zu Roß­ tal nachbestatten zu lassen, läßt sich nur vermuten. Wahrscheinlich hatte ihm auch der Besitz Roßtal zu Lehen oder zu Eigen gehört, vielleicht war Ernst ein Verwandter Ottos oder Irmingards. Wie Irmingard hatte er im Kampf gegen die Ottonen schweres Schicksal erlitten und sollte mit ihr in der neuen Pfarrkirche seine letzte Ruhe finden. Verschiedene Beziehungen hierher hat eine andere konradinische Stif­ tung59), die vielleicht auf das tragische Ende des Herzogs Ernst II. von Schwaben, des Sohnes der Kaiserin Gisela, zurückgeht: 1033 August8 schenkten Konrad II. und Gisela zum Heile ihrer Seelen und der Seelen ihrer Eltern aus einem Erbbesitz Giselas den Teil Regenbach dem Bischof von Würzburg zu Eigen; u. a. gehörten dazu Wolfhard und Ratfried mit allen ihren Leibeigenen beiderlei Geschlechts nebst all ihrem Besitz in Schmalfelden, die wohl das Gewidmete bewirtschafteten. In dieser Urkunde treten Otto und Udo das einzige Mal gemeinschaftlich als Urkundenzeugen auf. Diese Schenkung wird nach Gradmanns Meinung den Unterregen­ bacher Kirchensatz umfaßt haben, den bis 1226 der Edle Walther von Langenberg vom Würzburger Bischof als Erblehen hatte. Nun ist aber als ältester Bau in Unterregenbach eine Krypta, jetzt Pfarrhauskeller, erhalten, die der Irmingardschen Krypta in Roßtal in der Ausführung der Pfeiler und Gewölbe denkbar nahe steht60). Der Kiichenbau in Unterregenbach und die Schenkung von 1033 August 8 gehören daher auch zeitlich zusammen61). Es verbinden die Krypten in Roßtal und Unterregenbach außer der besonderen Art der Bauausführung ihre nachweisbaren Beziehungen zu Konrad II. und Gisela und zur Hammersteiner Familie bei der Stiftung.

29 Es ist dies eine weitere Stütze der Roßtaler Ueberlieferung über die Kir­ chenstifterin Irmingard und die sich daran knüpfenden Beziehungen, Baubeginn .ist für Unterregenbach auf etwa 1033, für Roßtal zwischen 1025 und 1042 anzusetzen. Eine weitere Ostkrypta mit fast gleichartigen Pfeilern wie in Roßtal und Unterregenbach findet sich in der Pfarrkirche in Seußling links der Mündung der Aisch in die Regnitz, nächst Ailsbach. Ohne daß zunächst weitere Anhaltspunkte vorliegen, läßt sich vermuten, daß Zusammen­ hänge zwischen dem Uebergang des Besitzes Ailsbach von Graf Diderich an Kloster Michelsberg (1028 . . . 1034) und der Entstehung der Seußlinger Krypta bestehen. Tod Ottos und Udos. 1034 starb Udo, der einzige Sohn Ottos und Irmingards, 1036 Juni 5 Otto selbst. Damit starb die Familie im Mannesstamm aus. Es ist mög­ lich, daß auch weibliche Nachkommen nicht mehr lebten, von denen Nachkommen erwartet werden konnten, wenn dies auch Meinhard erst für Sommer 1060 bestätigt. Damit verlor Irmingard das, wofür sie wefol in der Hauptsache ihren heldenmütigen Kampf geführt hatte, ihre Familie. Schon mit dem Tod Udos (1034) war das Aussterben der Hammer­ steiner Familie im Mannesstamm besiegelt. Damit schwand weitgehend das Interesse Ottos und Irmingards daran, was mit ihren Besitzungen nach ihrem Tode geschah. Damit schwand ein Haupteinwand der konradinischen Familien gegen die Stiftungen Heinrichs II. für Bamberg, den wir zu erkennen vermögen, und es ist möglich, daß dies mit der Be­ stätigung der Gründung Bambergs durch Konrad II. 1034 April 21 in ursächlichem Zusammenhänge steht (vgl. S. 22). Wenn Herzogenaurach und Langenzenn nach Ottos Tod von Irmin­ gard an Bamberg zurückgegeben wurde, kann es sich um ein Mannlehen gehandelt haben. Die Analogie zwischen dem Falle Irmingard und Chuniza geht also nicht bis in diese Einzelheiten. Der Tod Irmingards ist zwischen 1041 Februar 5 und 1043 Januar 5 anzusetzen, wie aus Urkunden hervorgeht. Sualmanaha. 1043 Januar 5 stellte Heinrich III. der Abtei Hersfeld ein Gut Sual­ manaha 62), das sein Vater Konrad ihr genommen und dem Grafen Otto gegeben hatte, nach dem Tode von dessen Gemahlin Hirmingarda zurück.

30 „Nach G. Landau: Beschreibung des Gaus Wettereiba S. 160 ist Sualmanaha mit dem Dorf Obersorg an der Schwalm (Kreis Alsfeld, Hessen) gleichzusetzen. Der Ort hieß früher: 1043 Sualmanaha (MG DH III Nr. 100), 1333 Swalme (Senkenberg, Sei. jur. et hist. II 617), 1375 Swalme (Becker, Riedessel II Nr. 192). In den Salbüchern laufen die Benennungen Obersorg und Ober­ schwalm nebeneinander her. Vgl. Mitt. des Oberhessischen Geschichts­ vereins Band 34 1937 S. 138 63).“ Es kommt also nicht der Roßtaler Schwalbenhof Hs.-Nr. 1/2 in Frage. Dieser war das alte zehentfreie Pfarrwidum und wurde vom Bischof von Würzburg u. a. den Tetzel in Nürnberg zu Lehen gegeben. Die Wetterau war Ottos Grafschaft. Es läßt sich vermuten, daß Ober­ sorg ähnlich wie Herzogenaurach und Langenzenn von Heinrich II. den Hammersteinern weggenommen und an Hersfeld übereignet, dann aber auf Veranlassung Konrads II. wieder Otto und Irmingard auf Lebenszeit zurückgegeben wurde, um — allerdings wie Fürth erst nach Irmingards Tod — an seinen kirchlichen Vorbesitzer zurückzufallen. Meißen. 1046 Juli 2 übergab Kaiser Heinrich III. an die Stiftskirche zu Meißen mehrere Besitzungen im Schwaben- und Hassengau (links der unteren Saale bei Halle — Merseburg), die er von Irmingard ererbt hatte64), als Eigen. Sie lagen im einzelnen a) im Schwabengau ein Teil in der Grafschaft Dedis (s. Stammtafel) zu Wiederstedt, Hettstedt und Sandersleben, der andere Teil in der Graf­ schaft Esikos (von Ballenstedt) zu Wilderschwieg (Wüstung zwischen Braunschwende und Hermerode), Mecelesdorf und Ritzgerode, b) im Hassengau zu Lüderstädt bei Nebra (Kreis Querfurt) in der Graf­ schaft Dedis. Den sächsischen Forschern ist nicht bekannt, wer diese Irmingard war. Offenbar war es die Hammersteiner Gräfin; denn 1. war sie eine Verwandte Heinrichs III. und 1041/42 gestorben; 2. war mit ihr die Hammersteiner Linie offenbar erloschen und damit traten ihre weitläufigeren Verwandten in die Erbfolge ein; 3. weist die Abstammung Irmingards mütterlicherseits — ihre Mutter Mathilde war eine sächsische Gräfin, eine Tochter Hermann Billungs, gewesen — in diese Gegend;

31 4. war Irmingard eine Base Markgraf Ekkehards II. gewesen, der bei seinem Tode 1046 Januar 24 seinen Allodialbesitz dem König Hein­ rich III. vermacht hatte65); 5. war 1044 auch Gozelo, Herzog von Ober- und Niederlothringen, und sein Sohn Gozelo gestorben, hatte sich sein Sohn Godfried der Bärtige, der Neffe Irmingards, gegen den Kaiser empört und nach Pfingsten 1046 diesem zu Füßen geworfen86). Damit ergeben sich im Sommer 1046 mehrere Möglichkeiten und die Wahrscheinlichkeit des Besitz­ übergangs im Erbweg von Irmingard von Hammerstein an Kaiser Heinrich III. In Anbetracht dieser 5 Zusammenhänge dürfen wir daher den Hin­ weis der Urkunde von 1046 Juli 2 auf Irmingard von Hammerstein beziehen. Hieraus ergeben sich auch anderweitig wesentliche, neue Gesichts­ punkte : 1. Wenn Heinrich III. hier als Erbe Irmingards von Hammerstem in Frage kam, mag er zunächst auch bezüglich anderer Hinterlassenschaften aus deren Besitz, insbesondere bezüglich Fürths, Ansprüche geltend ge­ macht haben, bis die Sache eine hinreichende Klärung fand. Damit er­ gibt sich eine einleuchtende Erklärung dafür, warum die Bamberger Dombrüder den Besitz Fürth „mit so viel heißem Bemühen und durch das eingeholte Schwurzeugnis der erfahrensten Dombrüder in das rechtliche Eigentum des hl. Petrus zurückgebracht“ haben 67), nachdem es durch die. Hammersteiner Familie ihnen „entfremdet“ worden war. 2. Es läßt sich vermuten, daß auch die Schenkungen Heinrichs II. im Mai 1019 im Schwabengau aus Irmingards Besitz stammten und durch den Ehescheidungsprozeß und seine Folgen dem Kaiser zugefallen waren88). Es waren dies: a) für Bamberg Großschierstedt und Schackental (Kr. Bernburg, An­ halt), die 1010 April 28 noch nicht im Besitz Heinrichs II. waren, da er sie sonst dort zusammen mit dem Besitz Schierstedt schon verschenkt hätte, und b) für Halberstadt der Besitz zu Zehling, Getlo, Ulzigerode und Gardulfsroda im Schwabengau, die erst durch „gerechtes Richterurteil“ (nobis iusto iudicum iudicio legaliter pertinere videtur) Heinrich II. zugefallen waren.

32 Zusammenfassung. Die Rechtstitel, kraft deren Güter aus Hammersteiner Besitz von Heinrich II. eingezogen wurden oder von anderer Seite zu Gunsten von Bischofskirchen abgetreten werden mußten, sind wohl infolge des' Ehe­ scheidungsprozesses oder infolge des Widerstands gegen den Kaiser und infolge der Acht entstanden. Die dabei auftretenden Grafen sowie in zwei Fällen der Erzbischof von Trier mögen durch Rechtsgeschäfte mit der Hammersteiner Familie oder durch raschen Zugriff bei der Aechtung diese Güter an sich genommen haben, aber diesem stärkeren Rechtstitel haben weichen müssen. Es mag auch sein, daß da oder dort ein Verwandter der Hammer­ steiner Familie „zur Rechenschaft gezogen“ und durch Einziehung von Gütern bestraft worden ist, weil er dieser Familie geholfen. So zahlreich die erkennbaren Hammersteiner Besitzungen waren, so besitzen wir doch nicht eine Urkunde, die gefertigt ist, um den Rechtsakt festzuhalten, durch den die Hammersteiner Familie diese Besitzungen veilor. Erst bei späteren Verbriefungen wurde auf den früheren Besitz der Hammersteiner Familie Bezug genommen. Alle Nachrichten über Hammersteiner Besitz stammen aus Bischofs­ kirchen oder Klöstern, nur zwei stammen aus Chroniken: die von Burg Kreußen und Burg Hammerstein. Bezeichnenderweise sind es die ein­ zigen Hammersteiner Besitzungen, von denen wir wissen, daß sie nicht Kirchenbesitz wurden, sondern längere Zeit Reichsbesitz blieben. Wir verdanken diese beiden Nachrichten — ebenso wie die Erwähnung Roß­ tals zum Jahr 954 — der außergewöhnlichen Tatsache, daß der Kaiser in diesen Burgen seine innerdeutschen Gegner belagerte und daß gleich­ zeitige Historiker in Chroniken, die die Geschichte des Deutschen Reichs zum Gegenstand hatten, eingehendere Nachrichten über diese Burgen aufnahmen. Daß uns die urkundenartigen Nachrichten ausschließlich über solchen Besitz berichten, der an Bischofskirchen und bedeutende Klöster fiel, findet eine hinreichende Erklärung darin, daß allein in diesen eine solch gründliche und ununterbrochene Ueberlieferung bestand, daß sich diese Nachrichten über mehr als 9 Jahrhunderte erhielten. Wir dürfen also nicht daraus den Schluß ziehen, alle Hammersteiner Besitzungen seien an Kirchen und Klöster, nur die Burgen an das Reich gefallen; viel­ mehr müssen wir annehmen, daß nur eine Auslese von Nachrichten in beschränkter Richtung auf uns kam, daß die Hammersteiner Besitzungen aber tatsächlich viel umfangreicher waren.

33 Daß man in den Urkunden nicht zum Ausdruck brachte, wenn ein wiedervergabter Besitz von Otto und Irmingard stammte, vermögen wir in den Urkunden über Herzogenaurach und Langenzenn zu erkennen, die 1021 den Vorbesitz der Hammersteiner Familie nicht erwähnen, während bei der Regelung zwischen 1036 und 1040 darauf Bezug genommen wird. Wir haben daher noch auf einige Uebergänge von Besitzungen einzugehen, von denen im einzelnen nicht der schlüssige Beweis bei­ gebracht werden kann, daß sie die Hammersteiner Familie vorher be­ sessen hat, von denen dies aber zu vermuten ist. Diese Vermutung stützt sich allgemein auf die Tatsache, daß diese Besitzübergänge zeitlich sich in den Hammersteiner Prozeß einreihen oder einreihen lassen und daß die fraglichen Besitzungen in Gebieten liegen, in denen wir Hammer­ steiner Besitz bereits nachgewiesen haben. Es sind dies noch: a) am Rhein: 1019 (nach August 15) schenkt Kaiser Heinrich II. an die Bamberger Dom­ brüder den Besitz, den ihm Ennelin in Hönningen (Kr. Neuwied) und in benachbarten Orten im Ingersgau in der Grafschaft des Grafen Otto gegeben hatte09). Diese Vergabung des Meieramts Hönningen betrachten schon die Hammersteiner Regesten als einen Akt der Strafe gegen Otto von Hammerstein. Ennelin könnte vielleicht der Meier zu Hönningen gewesen sein, der den Besitz übergeben mußte. 1020 Dez. 26 — 1021 Februar 14, unmittelbar nach der Kapitulation von Hammerstein, erließ Kaiser Heinrich II. den Kolonen auf dem Gute, das Graf Paldrich in Boppard am Rhein dem Kaiser übergab und dieser der Bamberger Kirche schenkte, alle Leistungen an den dor­ tigen Königshof. Der örtliche und zeitliche Zusammenhang mit der Hammersteiner Fehde ist hier offenbar70). 1021 Nov. 11, 2 Tage vor der ersten Vergabung von Herzogenaurach und Langenzenn, schenkt Kaiser Heinrich II. zu Augsburg dem Bischof von Bamberg die Besitzungen zu Irrlich (Kr. Neuwied), Krümmel (? Unterwesterwaldkreis) und Urmitz (LKr. Koblenz), die ihm Poppo, Erzbischof zu Trier, übergeben hatte71). Auf Herkunft aus Hammer­ steiner Besitz deutet schon der Umstand, daß sie gemeinsam mit den Besitzungen Herzogenaurach und Langenzenn vergeben wur­ den, also wohl (ebenso wie die im letzten Abschnitt behandelten belgischen Besitzungen) aus einem einzigen in Auflösung begriffe­ nen größeren Besitzkomplex stammen. Wären diese Güter alter, 3

34 — rechtmäßiger und einwandfreier Besitz von Trier gewesen, so hätte sich Poppo bei dieser Lage des Besitzes kaum zur Herausgabe be­ wegen lassen. b) im Steigerwald unweit Ailsbach schenkte Kaiser Heinrich II. dem Bischof von Würzburg auf Verwendung des Bischofs von Bamberg 1023 Sept.2 „seinen Wildbann“. Aehnlich wie bei den beiden Urkunden von Graf Diderich wird hierbei an bevorzugter Stelle als erster nach den Kiichenfürsten Graf Otto genannt, der mit den Seinen seine Zustimmung gibt. Bei den Diderichschen Verzichterklärungen veranlaßte diese aus­ zeichnende Stellung des Grafen Otto an der Spitze der gräflichen Zeugen Guttenberg, in Otto um 1027 einep Bamberger Hochstiftsvogt zu ver­ muten ”). Außerdem spricht das Eingreifen des Bamberger Bischofs bei dieser Schenkung, das wir sonst nicht zu motivieren vermögen, auch für Zusammenhänge mit den Hammersteiner Besitzungen, bei denen der Bischof zu Bamberg durch Kaiser Heinrich II. offensichtlich allgemein be­ vorzugt war. Die Zusammenlage mit Besitz Heinrichs von Schweinfurt im Steiger­ wald läßt vermuten, daß diese Güter vielleicht aus einem einzigen Be­ sitz von den Eltern Ottos von Hammerstein, Graf Heribert von der Wet­ terau und Imiza, stammten, in den sich ihre beiden Kinder Otto und Gerbirga, die Gemahlin Heinrichs von Schweinfurt, teilten7’). c) Am Obermain übergab zwischen Ende 1027 und 1040 Graf Ramuold und der Richter Gumbert mit Zustimmung und auf „Bitten“ des Rege­ nold die 3 Orte Trebgast, Stein und Kulmbach der Bamberger Kirche, wo­ von uns in der sog. Alkuinbibel eine Traditionsnotiz erhalten ist58).Diese Besitzungen liegen zwischen Schlopp und Kreußen. Da Otto von Hammer­ steins Vorfahre Eberhard (gest. 902; siehe Stammtafel) schon Graf im oberen Maingau war, kann es sich hier um sehr alten konradinischen Be­ sitz handeln. Ob in spätkarolingischer Zeit als „oberer Maingau“ nur das Einzugsgebiet des Roten und Weißen Mains mit Kreußen, Trebgast, Stein, Kulmbach und Schlopp oder außerdem noch die Zuflüsse des Mains herab bis Bamberg, also einschl. Regnitz und Aisch gerechnet wurden, muß hier dahingestellt bleiben. Kirchenrechtlich bemerkenswert ist, daß mit der Stiftung der Irmingardschen Kirche in Roßtal dort auch der Kirchenherr gewechselt zu haben scheint: an die Stelle von Kaiser und Reich bei der alten Reichs­ hofkirche trat der Bischof von Bamberg. Wir sehen hier, wie bei allen Veigabungen an Bischofskirchen, das kanonische Recht Vordringen, das

35 im Gegensatz zum ursprünglichen deutschen Eigenkirchenrecht nur die Bischöfe als Kirchenherrn anerkennt. Es lag dies auch im Sinne und in dei Arbeitsrichtung der kluniazensischen Bewegung, der die Familie Irmingards wie Heinrich III. nahestanden. Besitzungen der Hammersteiner Familie können wir also nachweisen: an der Mündung der Pegnitz in die Regnitz, an der Aisch, am Obermain, in Hessen, am Rhein, links der unteren sächsischen Saale und in Fries­ land. An der politischen Bedeutung der Hammersteiner Frage für die Pläne Heinrichs II., besonders für seine Bistumsgründung in Bamberg, kann kein Zweifel sein. Je nach ihrer Einstellung urteilten verschiedene Zeiten und verschiedene Kreise über das Hammersteiner Paar und seine Haltung verschieden. So wenig wohlwollend deutsche Geistliche zur Zeit Heinrichs II. und Heinrichs IV. urteilten, so verstummten doch alle nach­ teiligen Urteile während der machtvollen Herrschaft Konrads II. und Heinrichs III.,4) In der Gegend von Roßtal, wo Irmingard eine Kirche ge­ stiftet und ihre letzte Ruhe gefunden hatte, sah bald das Volk in ihr eine verehrungswürdige Heilige. Ihre Kirchenstiftung, ihre nahe Verwandt­ schaft zu den deutschen Kaisern und zu maßgebenden Kreisen der katho­ lischen Kirche, bes. zu Cluny (ihr Neffe war Papst Stephan IX.), viel­ leicht auch ihr tragisches Schicksal erhoben sie in den Augen des länd­ lichen Volkes über durchschnittliche menschliche Begriffe hinaus. Zwei Jahrhunderte später fanden zu ihrem Grab große Wallfahrten statt und galt sie als Heilige. Mit diesem Nimbus war der Ehescheidungsprozeß unvereinbar; es sind daher auch die Nachrichten davon in der Roßtaler Tradition wie in mancher anderen Ueberlieferung frühzeitig verloren gegangen. Rees. Der örtlichen Ueberlieferung nach wurde 1040 das Stift St. Maria zu Rees am Rhein — nächst der holländischen Grenze — von einer seligen Irmingard gegründet. Die Kirche, die von Irmingard gestiftet war, brach man ab, nachdem 1811 vier Pfeiler zusammengestürzt waren. Diese Kirche war neben dem Xantener Dom die bedeutendste Anlage des Klever Landes. Sie hatte 5 Schiffe und war auf 2 Westtürme be­ rechnet, von denen nur der nördliche aufgeführt war. Außerdem hatte die Kirche eine Krypta mit einem Altar des Johannes Ev. ’5) In Stift Rees fand sich nun eine Urkunde7'), mit der Kaiser Hein­ rich III. 1041 Februar 15 zu Utrecht „seiner geliebten Base Irmingard“ auf Verwendung der beiden Herzoge Gozilo und dessen Sohnes Gotefred den Besitz zu unbeschränktem freiem Eigen schenkte, der durch 3*

36 Schöffenurteil in das kaiserliche Recht Konrads II. gekommen war und den dieser Heinrichs königlicher Gewalt nach seinem Tode hinterlassen hatte. Dieser Besitz lag in den Orten Herve, Vaels, Epen und Falkenberg im Lütticher Gau. Diese Urkunde ist die einzige Königsurkunde aus der Zeit vor 1250, die im Reeser Archiv erhalten blieb. Der in dieser Urkunde genannte Be­ sitz ist nie Eigentum des Stifts gewesen oder sehr früh aufgegeben worden. Die sachliche Beziehung dieser Urkunde zum Stift ist also frag­ lich und es bleibt nur die persönliche Beziehung sicher nachweisbar: daß diese Urkunde aus dem Besitz der Stifterin Irmingard in den des Stifts Rees kam. Keßler ”) nimmt diese Urkunde mit Recht für die Hammersteiner Gräfin in Anspruch, da diese tatsächlich eine Base Heinrichs III., Gozilo ihr Bruder und Gotefred ihr Neffe war. Nachdem ihr Vater, ihr Gatte und ihr Sohn gestorben waren, waren Gozilo und Gotefred ihre nächstvefwandten gesetzlichen Vertreter; diese beiden hatten sie in Rechtsgeschäften zu vertreten, wie dies z. B. 1024 ihr Gatte Graf Otto bei deh Verleihung von Fürth getan hatte ’8). Dagegen wurde die Reeser Irmingard von 1040/41 von der an die Ortsgeschichte von Stift Rees anknüpfenden Tradition und Geschichtsliteratur mit verschiedenen ihr vielleicht verwandten Stifterinnen de5 11. Jahrhundert am Niederrhein namens Irmingard und Irminthrud perso­ nengleich gesetzt, ohne daß ein schlüssiger Beweis dafür beigebrachi wird70). Diese Entwicklung der Tradition wurde dadurch stark begünstigt, dal man in Köln Reliquien einer Irminthrud, darunter ein Haupt, auf bewahrte80) und daß in Rees eine Kirche erhalten war, als deren Stif terin eine Inschrift auch Irmingard bezeichnete. Alle anderen Ueberliefe rungen mußten sich mit der Zeit zunehmend verwischen und auf dies' beiden bleibenden Gegebenheiten konzentrieren. Die fraglichen anderen Stiftungen des 11. Jahrhunderts sind uns durc folgende Urkunden überliefert: 1. Erzbischof Poppo von Trier (1016 —1046) läßt sich von Graf Kadel und dessen Gattin Irmingard einen Teil des Hofs Pronsfeldt (Kreis Prün den diese als Erb und Eigen besessen, durch Kadelo übertragen und b( kleidet diesen damit81). Graf Kadelo ist im Rheinland unbekannt, dagegen wird 1018 Februar Graf Chadalhoh im Hissingouue (Isen, Bez.A. Altötting, Obb.) erwähnt81

37 2. Erzbischof Anno II. von Köln bestätigt die Bestimmung der Gräfin Irminthrud, wodurch sie neben anderen Gütern die Propstei zu Rees der erzbischöflichen Kirche überlassen, auch ihre Hörigen in jener Gegend zu Wachszinsigen übertragen hat (1056 — 1075) 83). Oppermann, Rhein. Urkundenstudien 332 ff. erklärt diese Urkunde für unecht; sie ist wohl aus einer echten Urkunde verfälscht. 3. Erzbischof Sigewin von Köln bekundet, daß Gräfin Irmengarda zum Heil ihrer Seele und ihrer zu Rees ruhenden Eltern dem Propste daselbst die Strafgerichtsbarkeit über die Angehörigen der Kirche, den Schweine­ zehnten zu Rees, Emmerich und Strälen, einen Hof zu Weeze und ihre Besitzungen zu Königswinter geschenkt, welchem er das Münzrecht zu Rees und 4 Mansen zu Oedecoven hinzufügt (1081 — 1083) 84). * Oppermann greift auch diese Urkunde an, während Classen den Be­ denken Oppermanns kein Gewicht beimißt. Die Kunstdenkmäler des Kreises Kempen lehnen Personengleichheit mit der Reeser Stifterin ab. Während die Gräfin Irmingard der Urkunde von 1018 Februar 8 als Isengaugräfin nachweisbar ist, können wir bei den beiden anderen Grä­ finnen ihre Person noch nicht weiter gleichsetzen. Ohne alle vertretenen Anschauungen erschöpfend zu würdigen, läßt sich sagen: keine der drei Urkunden widerspricht der Feststellung, daß die Reeser Irmingard von 1040/41 die Hammersteiner Gräfin war. Die Nachricht über das Begräbnis einer hl. Irmingard ist in einer alten Handschrift des Pfarrarchivs in Rees erhalten und lautet: „Die hl. Irmgardis (!), Tochter des Grafen zu Zütphen, Verwandte der hl. Irmtrud, welche in der Reeser Kirche in einem Grabmal ruht, wo zur Prim ge­ läutet wird.“ Den Kunstdenkmälern des Kreises Kempen S. 125 zufolge ist diese Nachricht bereits unter dem Einfluß der Verschmelzung der verschiedenen Ueberlieferungen entstanden. Auf späteren Ursprung deutet auch die Namensform „Irmgard“ statt ,Jrmingard“. Es kommt dieser Nachricht daher für das 11. Jahrhundert keine historische Beweiskraft zu. Bei der Herausgabe der Urkunde von 1041 Februar 15 haben neuer­ dings auch die Mon. Germ. (DDV Nr. 74) die Auffassung vertreten: „Die hier genannte Irmgard halten wir mit Schenk von Schweinsberg für die Witwe des Grafen Otto von Hammerstein, die Schwester des Herzogs Gozelo von Lothringen, der hier mit seinem Sohne Gottfried für sie inter­ veniert, und nehmen mit ihm an, daß sie das Kloster Rees gestiftet hat, aus dessen Archiv unser D stammt, ohne uns jedoch seine weiteren Ausführungen über die Nachkommen Irmgards ... in allen Einzelheiten

38 zu eigen zu machen . . . Für die Erklärung der Verwandtschaft zwi­ schen Heinrich III, und Irmgard . . kommt auch der Umstand in Be­ tracht, daß Irmgards Bruder, den Graf Friedrich, später Mönch von St. Vanne zu Verdun, als Blutsverwandter des sächsischen Kaiserhauses und Heinrichs II. bezeichnet wird.“ In der Urkunde v. J. 1041 deutet die Bezeichnung „liebe Base“ Irmingard — „lieb“ ~ dilectae vorangestellt und daher betont — darauf, daß sich Heinrich III. seiner Base durch ein Entgegenkommen verbunden fühlte. Daß Irmingard, die „liebe Base“ des Königs, ihm ihre Unterstützung lieh, überrascht uns nicht bei der engen Verbundenheit der beiden konradinischen Familien: Irmingard war das letzte Glied ihrer Familie, Hein­ rich III. der einzige lebende Nachkomme im Mannesstamme des Konrad, der 955 auf dem Lechfelde gefallen war 85). Nun läßt sich aber die Vergabung von Reichsgut an eine betagte Ver­ wandte des Königs, die schon ihre Familie zu Grabe gebracht hat und selbst an ihrem Lebensabend steht,. aus rein persönlichen, verwandt­ schaftlichen Beziehungen oder zur Versorgung Irmingards nicht erklären. Auch kann die Ausstattung des Stifts Rees, die zweifellos dabei im Hintergrund stand, nicht hinreichend Grund für Heinrich III. abgegeben haben, an Irmingard und nicht an das Stift Rees Reichsbesitz im Lüttich­ gau zu übereignen. Hier muß — das hielt schon Henrichs a. a. 0. S. 43 für naheliegend — eine Entschädigung Irmingards für erlittene Nachteile vorliegen. .

Nürnbergs Gründung.

Um die gleiche Zeit gründete nun Kaiser Heinrich III. Nürnberg und entnahm dazu aus den Besitzungen Fürth und Herzogenaurach, die Irmin­ gard, dem Bischof und dem Domkapitel zu Bamberg gehörten, das, was er benötigte. Von der Neugründung Nürnberg nimmt die uns erhaltene Geschicht­ schreibung 86) erstmalig im Juli 1050 Kenntnis. Wir hören, daß Heinrich III. hier die Fürsten von ganz Bayern versammelte. Nürnberg muß also schon ein Ort von Bedeutung gewesen sein, dessen Anlage mindestens einige Jahre in Anspruch genommen haben muß. 1051 nahm der König dort schon wieder Aufenthalt, während 1025 März 6 und 1030 Sept. 19 Konrad II., der in die Gegend kam, beidemal nicht Nürnberg, sondern das nur eine Wegstunde östlich gelegene Mögeldorf als Aufenthalt wählte.

39 Burg und KönigShof, die beiden ältesten Siedlungskerne der Nürn­ berger Altstadt, waren also 1030 noch nicht ausgebaut, da sonst Konrad II. nicht Mögeldorf vorgezogen hätte. Die Gründungszeit Nürnbergs wird noch weiter durch die 1062 überlieferte Nachricht87) eingeengt, daß erst Heinrich III. (1039 —1056) Nürnberg das Marktrecht verlieh. Die Grün­ dung Nürnbergs ist daher in die ersten Regierungsjahre Heinrichs III. an­ zusetzen. Für die Neugründung benötigte Heinrich III. aus den Besitzungen Fürth und Herzogenaurach: 1. den in der Hauptsache wohl ungerodeten Grund und Böden für die Siedlung und die Flur, 2. deren ungerodeten Umgriff nebst dem ganzen „Reichswald“ und 3. das Marktrecht von Fürth. Was von der Siedlung und dem Reichswald links der Pegnitz lag so­ wie das Marktrecht gehörten ursprünglich zum Reichshof Fürth, da die Nürnberger Kirchen der Lorenzer Seite bis ins späte Mittelalter noch von der früheren Fürther Reichshofkirche abhängig waren88). Dieser ehemalige Reichshof gehörte den Bamberger Dombrüdern und war auf Lebenszeit an Irmingard verliehen. Der Teil rechts der Pegnitz gehörte zum Hof Herzogenaurach — Teil rechts der Regnitz — und war 1021 Nov. 13 von Heinrich II. an Bam­ berg geschenkt worden80). Bischof Eberhard hatte darin den Dombrüdern ein weitgehendes Nutzungsrecht bewilligt“0). 1050 war licher Grund gards sowie schenzeit an

Nürnberg, wie die Annales Altahenses bemerken, könig­ und Boden. Also muß dieser Boden aus dem Besitz Irmindes Bischofs und der Dombrüder zu Bamberg in der Zwi­ Heinrich III. übergegangen sein.

Hat Irmingard 1041 die belgischen Güter als Entschädigung durch Heinrich III. erhalten, gingen andererseits um diese Zeit Besitzungen von ihr an Heinrich III. zur Gründung von Nürnberg, so hat es größte Wahr­ scheinlichkeit, daß es sich dabei um Leistung und Gegenleistung handelt. Die an Irmingard 1041 geschenkten Güter waren ebenso wie Nürnberg Reichsbesitz, nicht Haus- oder Familienbesitz der salischen Kaiser. Die Reeser Urkunde betont dies zweimal: „wie er durch Schöffenurteil in das kaiserliche Recht unseres Vaters Konrad sei. Gedenkens kam und er unserer königlichen Macht nach seinem Abscheiden hinterließ.“ Für Nürn­ berg entschied im Jahr 1125, als die Salier mit Heinrich V. im Mannes-

40 stamm ausstarben, ein Fürstengericht, daß Nürnberg nicht salisches Familiengut, sondern Reichsbesitz war91). Wenn diese Entscheidung auch im Streit der Parteien fiel, so darf doch angenommen werden, daß das Fürstengericht der tatsächlichen Lage gerecht zu werden suchte. Daß man scharf zwischen Reichs- und Familienbesitz schied, beweist der Um­ stand, daß dafür verschiedene Erbfolge galt. Es deutet darauf auch die präzise Fassung der Urkunden von 1041 wie von 1033 (s. o. S. 38 und 28). Daß wir 1041 wie 1125 Reichsgut, nicht Familienbesitz finden, spricht für unsere Annahme. Aber es finden sich nun auch die Güter, die wir als die Entschädigung Heinrichs III. für seine Erwerbungen zur Gründung Nürnbergs gegen­ über dem Bistum Bamberg ansprechen dürfen. Zwischen 1041 und Frühjahr 1043 tritt plötzlich auch Bambergischer Besitz im östlichen Belgien auf: Das Dorf Losange92) bei Bastogne, das dci Dompropst zu Bamberg gegen ein Klostergut in Winningen (LKr. Koblenz) sowie den Neunten von Boppard am Rhein und 2 Mansen 2u Andernach an das Kloster Stablo vertauschten. Hierüber geben uns Auf­ zeichnungen des Klosters Stablo Auskunft93). Bei den Vorverhandlungen, die durch Gesandte geführt wurden, gingen die vertragschließenden Parteien, Propst Liutpold von Bamberg für die dortige Pfründe St. Georg und Abt Poppo für Kloster Stablo, von dem beiderseitigen Bedürfnis aus, sehr abgelegene Besitzungen gegen günstiger gelegene einzutauschen und einigten sich dahin, daß von Bamberg das Dorf Losange im östlichen Belgien für das Gut Winningen abgetreten werden solle, weil dieses über der Mosel lag und der Wein, den der Gutsbesitzer dort erhielt, leichter zu Kahn nach Bamberg ge­ bracht werden konnte. Bischof Suidger von Bamberg stimmte zu, aber da Propst Liutpold, der nach der Stabloer Ueberlieferung „schlau und bei jedem Geschäft sehr hoch im Preis“ war, sich beklagte, er habe für seinen Besitz zu wenig erhalten, hat ihnen Abt Poppo den Neunten zu Boppard und 2 Huben zu Andernach dazugegeben. Es geschah dieser Tausch auf Befehl Kaiser Heinrichs III. und wuide in seiner Gegenwart durch die Festsetzung der Vögte und rechte Ucbergabe zu Utrecht vollzogen. Diesen Rechtsgeschäften kommen wir noch näher, wenn wir genauer die politischen Ereignisse betrachten, die die Regierung Heinrichs III. in dieser Zeit ausfüllten und über die wir Näheres wissen.

41 Nach dem Tod seines Vaters am 4. VI. 1039 hatte Heinrich III. dessen Leiche in Speyer zur letzten Ruhe gebracht und durch das ganze Reich einen Umritt vorgenommen. Pfingsten 1040 feierte er noch in Lüttich und eilte dann nach Regensburg, um den Kampf gegen Bretislav von Böhmen zu beginnen94). Er führte zusammen mit Otto von Schweinfurt das eine Heer, das aus Bayern und Franken geboten war, von Cham aus gegen Furth i. W., während Markgraf Eckard von Meißen (vgl. Stammtafel) und Erzbischof Bardo von Mainz das andere, aus Thüringern bestehende Heer von Burg Dohna bei Pirna an den Kulmer Pässen über das Erz­ gebirge führten. Bretislav hatte mit seinen Böhmen die Grenzpässe be­ setzt und bereitete dem Heer Heinrichs III. Ende August schwere Ver­ luste, so daß dieser Waffenstillstand mit Bretislav schloß und auch das Thüringer Heer in seinem Siegeszug gegen die Böhmen aufhielt und Waffenstillstand schließen ließ. Hier standen auch wesentliche Interessen des Bistums Bamberg, das sich weit nach Osten gegen die Grenze Böhmens ausdehnte, auf dem Spiel. Heinrich III. war am 8. Sept. 1040 in Bamberg, an Weihnachten in Münster und anfangs 1041 am Rhein, wo er zu Aachen, Utrecht und Mainz die Fasten- und Osterzeit verlebte. Unablässig und überall war er mit einem neuen Böhmenkrieg beschäftigt, um die Scharte des vergangenen Sommers auszuwetzen. In diesem Feldzug gegen Bretislav machte sich nun bei Heinrich III. besonders das Bedürfnis geltend — darauf hat Dr. Kraft bei seinen For­ schungen zur Gründungsgeschichte Nürnbergs besonders hingewiesen95) — im Herzen Frankens neben einem Wirtschaftszentrum auch einen strategisch und taktisch wichtigen Punkt zu haben, m. a. W. neben einem Königshof eine feste Burg zu erbauen. In dieser Gegend hatte aber Hein­ rich II. alles, was an Reichsbesitz verfügbar, an Bamberg geschenkt und, was konradinischer Besitz war und den Hammersteinern gehörte, zu Gun­ sten Bambergs enteignet. Hier scheint nun Heinrich III. unter dem Druck der außenpolitischen Ereignisse Ende-1040 Anfang 1041 zur Gründung einer „Neuen Burg“ „Nürnberg“ geschritten zu sein96). . In dieser Zeit hatte Heinrich III. mehr Besitzungen an der belgischen Ostgrenze zu vergeben, so u. a. schon 1040 Dez. 29 Besitzungen zu Herve und 1041 Februar 13 Besitz zu Vaels, Gimmerich, Moresnet und Vilarus97). Aus diesen umfangreicheren, in Auflösung begriffenen Reichs­ besitzungen an der belgischen Ostgrenze nahm Heinrich III. das, was er für Irmingard und wohl auch für die Bamberger Dombrüder brauchte.

42 Bei dieser Gelegenheit wird er auch Losange den Bamberger Dombriidern geschenkt haben, die dieses Dorf in Belgien allerdings wegen seiner ungünstigen Lage nicht nutzen konnten und daher sofort wieder mit Hilfe des Kaisers günstig zu vertauschen suchten. In Bamberg wechselte um diese Zeit der Bischof, der der Herr der dortigen Kirche war und sie in allen Eigentumsfragen zu vertreten hatte. 1040 Aug. 13 war Eberhard, der 1. Bischof von Bamberg, gestorben. Erst 1040 Dez. 28 wurde zu seinem Nachfolger Suidger, der Diakon der könig­ lichen Hauskapelle, geweiht, trotzdem am 8. Sept. der Kaiser schon in Bamberg gewesen war. Suidgers Ernennung stand vielleicht auch mit der Gründung Nürnbergs in Zusammenhang: bei Suidger, seinem bis­ herigen Hausdiakon, dem er seine besondere Gunst durch die Einsetzung als Bischof in Bamberg erwiesen, fand Heinrich III. Verständnis und Unterstützung für seine Pläne und brauchte keinen Widerstand zu fürchten, wie er 6 Jahre später denselben Suidger auch für den geeig­ neten Mann hielt, um als Papst Clemens II. seine Reformpläne zu fördern. Der dem Kaiserhaus persönlich nahestehende Propst Liutpold wird den für ihn und seine Dombrüder unbrauchbaren Besitz Losange wohl unter dem Druck der außenpolitischen und für Widerstand gegen den Kaiser ungünstigen Lage in der Bistumsführung nur als Wert­ stück und Objekt für einen weiteren Tausch übernommen haben, um den Kaiser zufrieden und die Rechtsansprüche seiner Dombrüder zunächst sicher zu stellen. Brauchbarere Liegenschaften für einen Tausch fanden sich bald darauf in den Besitzungen in Winningen, Boppard und Ander­ nach, bei deren Erwerb ihm Kaiser Heinrich III. behilflich war. Das Eingreifen Heinrichs III. bei der Vertauschung von Losange — offenbar zu Gunsten von Bamberg — deutet an sich darauf, daß dieses Geschäft mit den Interessen des Kaisers sachlich und zeitlich in engem Zusammenhang stand. Die Unbrauchbarkeit Losanges spricht ebenso wie das Eingreifen Heinrichs III. für .die enge sachliche und zeitliche Ver­ bindung mit Rechtsgeschäften Heinrichs III., denen gegenüber die wirt­ schaftlichen Interessen Bambergs zurücktreten mußten. Irmingard wie die Bamberger Dombrüder blieben also nur ganz kurze Zeit im Besitz der belgischen Güter. Die ältesten Siedlungskerne der neu erstehenden Siedlung Nürnberg waren die Burg (rechts der Pegnitz) und der Königshof bei St. Jakob “8) (links der Pegnitz). Für ihre gleichzeitige Entstehung spricht also:

43 1. die gleichzeitige Erwerbung des Grund und Bodens durch Hein­ rich III. aus den beiden Besitzungen Fürth und Herzogenaurach, 2. das gleichzeitig auftretende Bedürfnis nach einer starken Verteidi­ gungsmöglichkeit gegen Ueberraschungen — d. h. nach der Burg — und nach einem wirtschaftlichen und besonders rüstungsindustriellen Rück­ halt für das Heer — d. h. nach dem Königshof. Den wirtschaftlichen Rückhalt für die Verpflegung und Ausstattung der Heere, besonders für die Pferdehaltung, bot der Königshof mit sei­ nen Speichern und Scheunen, den Rückhalt für die Rüstungen bildete das Gewerbe, insbesondere das der Schmiede. Zwei Schmiedsgassen ent­ standen sofort an der Burg, auf der Lorenzer Seite sind die zahlreichen zum- Königshof pflichtigen Schmiede nachweisbar. In längeren Friedens­ zeiten, in denen das Gewerbe für Heereslieferungen nicht ausgenützt wer­ den konnte, bildete dieses die Grundlage für den Nürnberger Fernhandel. Mit welchen Riesenschritten sich anfangs das neugegründete Nürn­ berg entwickelte, läßt uns noch der Umstand erkennen, daß 1070 schon allein für die Siedlung an der Burg die Pfarrkirche St. Sebald bestand und ihr Gründer schon heiligmäßige Verehrung genoß "). So entstand hier in kürzester Zeit durch Heinrich III. — vielleicht in Vollendung eines Planes Konrads II. — der neue Hauptstützpunkt für das deutsche Kaisertum. Die belgischen Güter können als eine angemessene Entschädigung für das erscheinen, was Bamberg und Irmingard zur Gründung Nürn­ bergs abgetreten haben, wenn wir bedenken, was -beide bei Nürnberg verloren. Von Grund und Boden beließ Heinrich III. offenbar zahlreiche land­ wirtschaftliche Besitzungen im Weichbild Nürnbergs bei Bamberg; sonst wären späterhin die bambergischen Besitzungen im Weichbild Nürnbergs nicht zu erklären. Häuser und Höfe besaß Bamberg in Gebersdorf, Groß­ reuth bei Schweinau, Höfen, Kleinreuth bei Schweinau, Poppenreuth (ein­ schließlich Pfarrkirche und Pfarrhaus), Schweinau, Stadeln, Flurlehen in Bislohe und Sündersbühl 10°). Ungerodetes Land, zumal so geringer Bodengüte wie in Nürnberg, gab es noch im Ueberfluß; der Arbeitsaufwand bei der Rodung und Urbarmachung war größer als der spätere landwirtschaftliche Nutz­ wert, der landwirtschaftliche Ertragswert des ungerodeten Bodens also gleich Null.

44 Der Reichswald war als Zubehör für die Siedlungen unentbehrlich, da er das nötige Nutz- und Brennholz liefern mußte. Kam das Holz wegen der Transportschwierigkeiten hier für Fernhandel noch nicht in Frage, so war es für die nächstgelegenen Siedler um so wichtiger: als Brennholz bei dem Mangel an anderem Brennmaterial, als Bauholz infolge der ver­ breiteten Holzbauweise und auch als Rohstoff für die verschiedensten Gewerbe 101). So war der Wald beiderseits der Pegnitz, der für die neue Siedlung bestimmt war und als Reichswald an Heinrich III. kam, schon für die bisher bestehenden Siedlungen der Irmingardschen Prekarie Fürth und des Hofes Herzogenaurach wirtschaftlich wichtig gewesen als Holz­ lieferant und war es um so mehr für die neue Siedlung Nürnberg102). Da zunächst noch mehr Holz zur Verfügung stand als benötigt wurde, wirkte sich die Minderung der Waldfläche durch Rodung in der Haupt­ sache dahin aus, daß die Holzgewinnung in entlegenere Teile abgedrängt wurde und dadurch die Aufwendungen für die Anfuhr stiegen. Das Marktrecht Fürths erstreckte sich wohl in der Hauptsache auf den Handel mit den Dingen, die heute in kleinen Landstädten und Markt­ flecken auf Wochenmärkten gehandelt werden: Vieh, Eier, Butter und Käse, Acker- und Gartenfrüchte sowie Kramwaren. Die wirtschaftliche Bedeutung solcher Märkte war damals wohl geringer als heute, da die Bevölkerungsdichte viel geringer war. Zudem müssen wir annehmen, daß in Roßtal und Herzogenaurach, vielleicht auch in Langenzenn schon wie­ der ähnliche Märkte bestanden, die den Fürther Märkten Hinterland Weg­ nahmen. Beides, der land- und forstwirtschaftliche Wert des ungerodeten Grund und Bodens sowie das Marktrecht Fürths, konnte eine angemes­ sene Entschädigung in den belgischen Erwerbungen Bambergs und Irmingards finden. Zu ersetzen brauchte der König nur den wirtschaftlichen Verlust. Der Hauptwert des Grund und Bodens in der Gegend von Nürnberg war aber politischer Art: hier konnte sich der politisch Starke Stützpunkte bauen und entwicklungsfähige Handelsplätze gründen. So fand die Abtretung in der Hauptsache ihre Rechtfertigung und ihren Ausgleich im politischen Zeitgeschehen der Jahre 104(V41 wie in dem Bedürfnis des Reichs, hier wieder einen starken Stützpunkt zu besitzen, was nach heutigen Staats­ und Rechtsbegriffen Zwangsenteignung rechtfertigen würde. Was aus der neuen Gründung wurde, war das Verdienst Heinrichs III. und seiner Mitarbeiter. Hiefür konnten Bamberg und Irmingard keinen materiellen

45 Ersatz mehr erwarten, sondern mußten, soweit sie die weitere Entwick­ lung noch zu erkennen vermochten, ihre Genugtuung in dem Bewußt­ sein finden, zu einer Gründung geschichtlichen Ausmaßes für das deut­ sche Kaisertum und das deutsche Volk ihren Beitrag geleistet zu haben. Tatsächlich war die erste Anlage Nürnbergs schon so außergewöhn­ lich umfangreich und großzügig, daß auch Irmingard, die ja bald nach der Güterregelung v. 15. II. 1041 — sicher vorm 5. I. 1043 — starb, die Be­ deutung der Neugründung erkennen mußte. Trat ihr Leben in das Licht der Geschichte durch ihren heldenmütigen Kampf gegen die Politik Heinrichs II. und der deutschen Bischöfe, die nicht nur den Reichsbesitz unserer Heimat verkirchlichten, sondern auch die Familie Irmingards zerstören und deren Besitz der Bamberger Kirche verschaffen wollten, so klingt ihr Leben darin aus, daß sie aus dem ihr verbliebenen Besitz im Gebiete der Pegnitzmündung dem nach Hein­ richs II. Tode neu aufblühenden deutschen Kaisertum seinen künftigen Hauptstützpunkt Nürnberg begründen half. So überbrückt ihr tapferes Leben in der Geschichte unserer engeren Heimat die kritische Zeit vom Niedergang der Kaisermacht der Ottonen bis zum Wiederaufbau einer neuen Kaisermacht durch die beiden ersten großen Salier Konrad II. und Heinrich III. und ist damit ein Stück unserer deutschen K^isergeschichte.

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Anmerkungen. *) Rohn, Heimatbuch von Roßtal u. Umg. 1928 S. 33. 2) Veit A r n p e c k , Sämtliche Chroniken. Herausgegeben von Gg. L e i d i n g e r. Quellen und Erörterungen zur bayerischen und deutschen Geschichte. Neue Folge, 3. Bd. München 1915 S. 432. 8) „Que“, d. i. Irmingard. Vgl. auch oben S. 6/7 den Schluß der D-Handschrift des Gedichtes „Herzog Ernst“. 4) Chronologia Monasteriorum Germaniae Praecipuorum ac Maxime illustrium. Caspar B r u s c h i u s, Egranus, Poeta Laureatus ac Comes Palatinus, Sulz­ bach 1582 Pag. 199. 5) Irmingard — Irmelgard — Ermengard — Erbelgard. Deutsch stets dreisilbig, mit lateinischer Endung viersilbig. „Irmgard“ ist unhistorisch für die frag­ liche Zeit. •) Frdr. Heinr. von der Hagen und Joh. Gust. B ü s c h i n g. Deutsche Gedichte des Mittelalters I. Bd. Berlin 1808 „Herzog Ernst des Heinrich von Veldeck“ S. 56. — Karl Bartsch, Herzog Ernst, Wien 1869 S. LVII, LXV. 7) Die Ungarnkämpfe sind auch sonst in der Roßtaler Ueberlieferung erhalten. Vgl. R o h n a. a. O. S. 15 f., 99. 8) Erich Frh. von Guttenberg, Die Regesten der Bischöfe und des Dom­ kapitels von Bamberg, I. und II. Lieferung 1932, 1939. München, Becksche Verlagsbuchhandlung („Bamb. Reg.“) 11, 205. #) Vgl. Mon. Germ. H. I 370, 374, 379, II 232. — Mon. Boica XXVIII/II S. 146, 187, 326, XXXI/I S. 103 L, 130, 183, 190, 264. 10) Vgl. Rud. Lüttich, Ungarnzüge in Europa im 10. Jh. Berlin 1910, Verlag Ebering. S. 59. “) Thietmar von Merseburg V 27 (17); Rudolf Lüttich, Ungarnzüge in Europa. Berlin 1910, Ebering. S. 59. 12) Uebersetzung: Widukinds Sächsische Geschichten. Nach der Ausgabe der Mon. Germ, übersetzt von Reinhold Schottin. Berlin 1852 S. 89 ff. 13) Mon. Boica XXVIII/II S. 187. 14) Mon. Boica XXVIII/I S. 264. 15) Dr. h. c. Herrn. S c h r e i b m ü 11 e r im Weißenburger Tagblatt v. 20. 4. 1929. Den Hinweis hierauf verdanke ich Herrn Dr. Kraft. >6) RohnS. 10, 11, 15, 17, 32, 48; Bamb. Reg. 246 u. a. 17) Bamb. Reg. 181. 18) Bamb. Reg. 169, 170. 19) Bamb. Reg. 69. *°) Bamb. Reg. 163. 21) Die beiden predia dürften sich mit den mittelalterlichen Kirchensprengeln Langenzenn und Herzogenaurach im wesentlichen decken; diese bilden einen zusammenhängenden Komplex. Vgl. Jahrbuch für Fränkische Landes­ forschung 5 (1939), Erlanger Atlasarbeiten Skizze 3, von Dr. Paul Schöffel.

47 i2) Looshorn, Geschichte des Bistums Bamberg,, München 1886, Bd. III S. 374. **) Die Religion in Geschichte und Gegenwart. I 1466 ff. Tübingen 1909/1910 Verlag Mohr. 24) Dorothea von Keßler, Der Eheprozeß Ottos und Irmingards von Hammer­ stein. Hist. Studien, Heft 157, Berlin 1923, Ebering. — Jahrbücher der deut­ schen Geschichte: Hirsch, Heinrich II., Bd. I 173 f.; II S. 26 N. 2; III S. 72 f., 172 ff., 258 ff., 279 ff., 349 — 355. B r e ß 1 a u , Konrad II. Bd. I S. 27 N. 3, 28 f., 35 N. 3. 229 f„ 237 N. 2, 275, 351, 468 ff.; Bd. II S. 86, 100 f., 162, 225 f., 353, 360 f., 366 N. 5, 421 N. 1, 524. — B r e ß 1 a u, Otto von Hammerstein und sein Haus. Forsch, zur deutschen Geschichte XXI S. 401 ff. — G i e se­ hr e c h t, Geschichte der deutschen Kaiserzeit. 1929 Bd. II S. 142 ff., 154 f., 165, 169 ff., 216. — E. Frh. v. Hammerstein-Gesmold, Urkunden und Regesten zur Geschichte der Burggrafen und Freiherren von Hammerstein 1891 (Hamm. Reg.) — Harttung, Beiträge zur Geschichte Heinrichs II. Forsch, zur Geschichte XVI S. 591 ff. — L o o s h o r n , Geschichte des Bis­ tums Bamberg, München 1886, Bd. I S. 232 f., 244 ff., 340 ff., 157, 140 u. a. — Erich Frhr. von Guttenberg, Die Regesten der Bischöfe und des Dom­ kapitels von Bamberg, 1. und 2. Lieferung. 1932, 1939 München, C. H. Becksche Verlagsbuchhandlung (— Bamb. Reg.). Für die Nennung der Mehrzahl dieser Quellen bin ich dem Institut für geschichtliche Landeskunde der Rheinlande an der Universität Bonn zu Dank verpflichtet. 25) Putzger, Histor. Schulatlas 1914. Karte 15. — Gieseb recht II, Karte im Anhang. 26) Thietmar von Merseburg IV 60 (38); V 24 (16), 34. 35 (21); ferner Uebersetzung hievon durch Holtzmann Seite VIII ff. (1939 Leipzig, Verlag Lorentz). — Hamm. Reg. 2—5. — Keßler S. 5 ff. — Giesebrecht II Tafel 4. — Hirsch, Heinr. II. Bd. III 72. — F. S t e i n, Das Ende des markgräfl. Hauses in Schweinfurt. Forsch, z. deutschen Gesch. XIV S. 387. 27) Ferd. Jaerschkerski, Godfried der Bärtige, 1. Teil. Diss. Göttingen 1867. Beil. 3, ferner Seite 9. — Otto Posse, Die Markgrafen von Meißen. Leipzig 1881 S. 123, 305. — Giesebrecht I 214, 483 f., II Tafel 3. 28) K e ß 1 e r S. 68. 29) E. Frh. von Guttenberg, Territorienbildung am Obermain. 79. Ber. de5 . Hist. Ver. Bamberg. 1927 S. 128 f., 237. — Thietmar von Merseburg V 34 (21) ff. *°) Guttenberg, Territorienbildung S. 70. 31) Bamb. Reg. 130. — Hamm. Reg. 5. 32) Bamb. Reg. 137. 3S) B r e ß 1 a u , Konrad II. Bd. I S. 229 N. 2. ,4)E. Rosendahl-Hannover „Völkischer Beobachter“ v. 5. 1. 1936 „Deutsche Menschen im Kampf mit Rom. Otto von Hammersteins Liebes­ und Lebensroman.“ 35) Verwandten eben wurden in jener Zeit als Incest, Blutschande, bezeichnet. *6) Genauer: Hirsch, Heinrich II. Bd. III S. 290 f. — Giesebrecht, Ge­ schichte der deutschen Kaiserzeit, 1929 II 171 f. 87) Vgl.: Giesebrecht II 174 ff., 288. — P o s s e a. a. O. S. 90. 38) B r e ß 1 a u , Konrad II. I 35 N. 3. Vgl. auch Beyer, Mittelrhein. Urk.Buch I 359. 39) Bamb. Reg. 188 — 193. 40) Bamb. Reg. 206. 41) Bamb. Reg. 186.

48 42) 43) 44) 45)

Bamb. Reg. 181. B r e ß 1 a u , Konrad II. II 524. Bamb. Reg. 246. J. Fr. Böhmer, Reg. zur Gesch. der Mainzer Erzbischöfe I 177 (Inns­ bruck 1877). — Franz Werner, Der Dom von Mainz^ I 534 f. (Mainz 1836). — J. H. H e n n e s, Die Erzbischöfe von Mainz 3. Aufl. Mainz 1879 S. 81 f. Diese Quellen verdanke ich der gütigen Mitteilung des Stadtarchivs Mainz. Vgl. ferner Bamb. Reg. 210. 46) Zur Datierung vgl. Giesebrecht II 422. 47) Bamb. Reg. 317, 277. 48) Giesebrecht II 288. 4fl) Lebensbeschr. des Abts Poppo von Stablo cap. 19. Mon. Germ. H. XI 305, 2. 50) Bamb. Reg. 317. 51) Bamb. Reg. 255. 52) Bamb. Reg. 179. 63) Jahrb. f. Fränk. Landesforschung Bd. 6/7. Erlangen 1941, S. 86 N. 134. 54) Hamm. Reg. 2, 6. 55) Bamb. Reg. 198, 199. 5®) F. v. Schrott er, Wörterbuch der Münzkunde S. 676. 1930 Berlin-Leipzig. Verlag de Gruyter. 5T) B r e ß 1 a u, Graf Otto v. H. und sein Haus ä. a. 0. 58) Bamb. Reg. 200. — E. Frh. v. Guttenberg, Aus Bamberger Handschriften. Zeitschr. f. bay. Landesgesch. 3. Jhg. 2. Heft S. 333. Vgl. unten S. 34. 59) Mon. Boica XXIX/I S. 39. — Eugen Gradmann, Das Rätsel von Unter­ regenbach. In: Württ. Vierteljahreshefte für Landesgeschichte XXV Jhrg. 1910.' Stuttgart, Verl. Kohlhammer. 60) Vgl. Gradmann a. a. O. — Hans Christ, Romanische Kirchen in Schwaben und Neckarfranken I 19 — 22, 184. — Buschow, Studien über die Entwicklung der Krypta im deutschen Sprachgebiet. Würzburg, Verl. Konr. Triltsch. 1934. 61) Vgl. auch B r e ß 1 a u , Konrad II. Bd. 2 S. 395 ff., 411 f. ®2) Hamm. Reg. 22. 63) Diese Ortsbestimmung verdanke ich dem Institut für mittelalterliche Ge­ schichte, geschichtliche Hilfswissenschaften und geschichtliche Landeskunde in Marburg. 64) Codex dipl. Saxoniae regiae I 24—26. — Posse Otto, Die Markgrafen zu Meißen S. 115, 220 Fußn. 65) P o s s e a. a. O. S. 120 f. ®6) G i e s e b r e c h t II 326 ff. — J a e r s c h k e r s k i a. a. 0. S. 16 ff., Beil. 3. 67) Meinhard in Bamb. Reg. 317. 68) Bamb. Reg. 152, 92. — Codex dipl. Anhalt. I Nr. 102, 103. ®9) Hamm. Reg. 8, 85. — Bamb. Reg. 153. 70) Bamb. Reg. 164. 71) Bamb. Reg. 167. 72) Guttenberg, Territorienbildung S. 180. — Bamb. Reg. 174. 73) Dronke, Trad. Fuld. 130—132. — Guttenberg, Territorienbildung S. 96 f. 74) Vgl. auch Hugo Steiger, Geschichte der Stadt Augsburg. München-Berlin 1941, Verl. Oldenbourg S. 29 ff. 75) Die Kunstdenkmäler der Rheinprovinz. Kreis Rees. II 95.

48 ") Bamb. Reg. 181. 43) B r e ß 1 a u , Konrad II. II 524. u) Bamb. Reg. 246. 4ß) j. Fr. Böhmer, Reg. zur Gesch. der Mainzer Erzbischöfe I 177 (Inns­ bruck 1877). — Franz Werner, Der Dom von Mainz,, I 534 f. (Mainz 1836). — J. H. H e n n e s, Die Erzbischöfe von Mainz 3. Aufl. Mainz 1879 S. 81 f. Diese Quellen verdanke ich der gütigen Mitteilung des Stadtarchivs Mainz. Vgl. ferner Bamb. Reg. 210. 48) Zur Datierung vgl. Giesebrecht II 422. 47) Bamb. Reg. 317, 277. 48) Giesebrecht II 288. 49) Lebensbeschr. des Abts Poppo von Stablo cap. 19. Mon. Germ. H. XI 305, 2. M) Bamb. Reg. 317. 51) Bamb. Reg. 255. 52) Bamb. Reg. 179. M) Jahrb. f. Frank. Landesforschung Bd. 6/7. Erlangen 1941, S. 86 N. 134. M) Hamm. Reg. 2, 6. w) Bamb. Reg. 198, 199. w) F. v. Schrott er, Wörterbuch der Münzkunde S. 676. 1930 Berlin-Leipzig. Verlag de Gruyter. •7) Breßlau, Graf Otto v. H. und sein Haus ä. a. O. M) Bamb. Reg. 200. — E. Frh. v. Guttenberg, Aus Bamberger Handschriften. Zeitschr. f. bay. Landesgesch. 3. Jhg. 2. Heft S. 333. Vgl. unten S. 34. 59) Mon. Boica XXIX/I S. 39. — Eugen Gradmann, Das Rätsel von Unter­ regenbach. ln: Württ. Vierteljahreshefte für Landesgeschichte XXV Jhrg. 1910.' Stuttgart, Verl. Kohlhammer. *0 Vgl. Gradmann a. a. O. — Hans Christ, Romanische Kirchen in Schwaben und Neckarfranken I 19 — 22, 184. — Buschow, Studien über die Entwicklung der Krypta im deutschen Sprachgebiet. Würzburg, Verl. Konr. Triltsch. 1934. 81) Vgl. auch B r e ß 1 a u, Konrad II. Bd. 2 S. 39$ ff., 411 f. •2) Hamm. Reg. 22. 8S) Diese Ortsbestimmung verdanke ich dem Institut für mittelalterliche Ge­ schichte, geschichtliche Hilfswissenschaften und geschichtliche Landeskunde in Marburg. 84) Codex dipl. Saxoniae regiae I 24—26. — Posse Otto, Die Markgrafen zu Meißen S. 115, 220 Fußn. 85) P o s s e a. a. O. S. 120 f. 88) Giesebrecht 11 326 ff. — J a e r s c h k e r s k i a. a. O. S. 16 ff., Beil. 3. 87) Meinhard in Bamb. Reg. 317. Bamb. Reg. 152, 92. — Codex dipl. Anhalt. I Nr. 102, 103. ••) Hamm. Reg. 8, 85. — Bamb. Reg. 153. 70) Bamb. Reg. 164. 71) Bamb. Reg. 167. 72) Guttenberg, Territorienbildung S. 180. — Bamb. Reig. 174. 7S) Dronke, Trad. Fuld. 130—132. — Guttenberg, Territorienbildung S. 96 f. 7.4) Vgl. auch Hugo Steiger, Geschichte der Stadt Augsburg. München-Berlin 1941, Verl. Oldenbourg S. 29 ff. 75) Die Kunstdenkmäler der Rheinprovinz. Kreis Rees. II 95.

50 ••) Kraft, Das älteste Bild der Kaiserburg. Gedanken und Vermutungen um St. Sebald und seine Beziehungen zu Nürnberg. In: Fränk. Kurier v. 13. VII. 1936 Seite 9. 10°) Joh. Bapt. R o p p e 11, Hist, topogr. Beschreibung des Kaiserl. Hochstifts und Fürstentums Bamberg. Nürnberg 1801. 2. Abt. S. 588 ff. 101) Robert O r t e g e 1, Die Forstwirtschaft 2. Aufl. 1926 S. 10 f. Neudamm, Ver­ lag J. Neumann. 102) Die hiebei einschlägigen volkswirtschaftlichen und forstpolitischen Fragen wurden unter weiteren Gesichtspunkten dargestellt von V. DieterichMünchen: Die Aufgabenverteilung zwischen Staatswald und Privatwald. Ab­ schnitt 2: Geschichtliche und gedankliche Beleuchtung des Verhältnisses von Land- und Forstwirtschaft, Staats- und Bauernwald. (Mitt. der HermannGöring-Akademie der Deutschen Forstwirtschaft I 16 ff. 1941 J. D. Sauerländers Verlag Frankfurt a. M.)

Nürnberg als Stützpunkt staufisdier Staatspolitik. Von

Dr. Karl Bosl. Wer es unternimmt die Frage anzuschneiden, welche Bedeutung das von den Saliern nahe dem alten Königshof Fürth gegründete Nürnberg für den staufischen Staats- und Reichsgedanken als Zentrum eines von Reichsdienstmannen verwalteten, werdenden Reichsterritoriums *) hatte, kann das nur dann fruchtbringend tun, wenn er sich der verfassungs­ geschichtlichen Situation des Reiches bewußt ist und bei dem Neben­ einander von Reichsdienstmannenverwaltung und burggräflichem Terri­ torialstreben in und um die alte Salierveste sich auch einen tiefen Ein­ blick in das Wesen des mittelalterlichen Staates verschafft hat. Diese all­ gemeinen Grunderkenntnisse lassen dann auch verstehen, warum die Staufer gerade ihre und keine andersgeartete Politik trieben, warum sie nach Italien und Sizilien zogen und doch den Ausbau des Reiches zum Staat, die allmähliche Ueberführung des personenverbandsstaatlich orga­ nisierten Königs- und Reichsguts in die flächenhafte Form der Reichs­ landterritorien (terrae imperii) nicht vergaßen, ja sogar den Osten und Noi den nicht aus dem Auge verloren, warum wir gerade heute auch noch Grund genug haben Friedrich Barbarossa, Heinrich VI. und Friedrich II. ebenso wie Karl den Großen und Otto den Großen zu den glanzvollsten Kaisergestalten des Mittelalters zu zählen. Nürnberg lag bereits zu weit östlich in Franken, als daß sein Umland mit seinem gewaltigen Reichsforst zu den großen alten Königsland­ schaften des mittelalterlichen Reiches im prägnanten Sinn zählen konnte. Das Reich seit Karl dem Großen bis zum Interregnum und zu den Habs­ burgern war beherrscht von wechselnden Königssippen, die in verschie-

52 denen Räumen beheimatet waren und von verschiedener Basis aus in verschiedener Stoßrichtung und mit verschiedenen Mitteln die Stamm­ völker „überherrschten“. Es fehlte deshalb ein einheitlicher Reichsmittel­ punkt, wenn auch Ansätze dazu wie z. B. unter Heinrich III. in Goslar vorhanden gewesen sein mögen, wie A. Schulte und P. Kehr vermutet haben8). Das Reich, das keine feste Hauptstadt hatte, war durchzogen von Kraftlinien und aufgespalten in Kraftfelder, in denen sich Königs- und Reichsgut zusammenballte. An Mosel, Mittelrhein und Oberrhein saßen die Karolinger; nach einer treffenden Formulierung Theodor Mayers blieb dieses Gebiet auch die „Drehachse der mittelalterlichen Königs­ politik“. In der Ottonenzeit ist Ostfalen, unter den Saliern die Pfalz und unter den Staufern Schwaben zusammen mit dem Elsaß, dem staufischen Kronland, die bevorzugte Königslandschaft. Auch in diesen Räumen wurde durch umfassende Rodungs- und Neusiedeltätigkeit der deutsche Landesausbau mächtig gefördert. Vom Harzforst her entwickelte sich unter Otto dem Großen herrscherliche Staatsgestaltung nach Westen und auf dem Hellweg über Dortmund nach Duisburg, Aachen und Köln, griff aber auch nach Frankfurt mit seinem großen Dreieichforst, nach Main?., der bedeutendsten reichskirchlichen Metropole, und Ingelheim, der alten Karolingerpfalz, aus. Magdeburg, Hauptstadt des deutschen Ostens, mili­ tärischer Stützpunkt'der östlichen Marken nördlich des Erzgebirges und reichskirchlicher Mittelpunkt der deutschen Ostbistümer, neben Lübeck stärkstes Ausstrahlungszentrum deutschen Rechts in den Osten hinein, war wie Posen Brennpunkt starker Offensivlinien nach Osten. Unter den Staufern aber lag der Schwerpunkt des Reiches, mit den Worten Ottos von Freising die vis maxima regni, in der Oberrheinischen Tiefebene mit ihrem staufischen Hausgut zu beiden Seiten des Stroms, dem Saliererbe vornehmlich in der Pfalz und den eigentümlich bedeutsamen Reichs­ kirchen Speyer, Worms und Mainz. Schon unter den Saliern war von hier aus die Querverbindung des Mains wirksam, an dessen westlichem Ende der alte Könieshof Frankfurt und das alte Königsland der Wetterau mit dem Büdinger Reichsforst lag, während um sein Quellgebiet — wie wir mit E. v. Guttenberg3) annehmen — das nach königlichem Willen urid zu staatlicher Zwecksetzung entstandene Reichsbistum Bamberg lag. Ein ausgesprochen staufischer Kraftstrom stößt von der durch das Weifen­ erbe um Ravensburg auf einer Linie Ulm — Lech — Oberinntal — Vintschgau verstärkten Basis staufischen Haus- und Herzogsguts über die Ausfallspforten Würzburg, Rothenburg, Dinkelsbühl, Nördlingen, Donauwörth durch das alte Königsgut um Nürnberg in den bayerischen



53



Nordgau und das Egerland vor, wo sich, um Regnitz-, Vogt- und Pleißenland verstärkt, eine gewaltige Riegelstellung aufbaut, dazu bestimmt die welfische Nord-Südachse an entscheidender Stelle zu sprengen und be­ rufen, Ausgangspunkt bewußter staufischer Ostpolitik zu sein, die H. Aubin, E. Maschke und P. Kirn so anschaulich wieder in Erinnerung, gebracht haben, nachdem wir mit Sybel, Below und Kern zum Teil ge­ rade deshalb den Staufern vor allem gezürnt hatten, weil sie angeblich über der Politik des Römerzuges die nächstliegenden, zukunftsträchtigen Auf­ gaben des Ausgriffs nach dem Osten versäumten und deutsches Blut und deutsche Kraft nutzlos vergeudeten. Weitere staufische Kraftlinien, wenn auch nicht allzu stark, liefen vom Mittelrhein und Untermain nordwestwärts über Hammerstein, Boppard, Sinzig, Kaiserswerth, Dortmund bis Nymwegen und in die Niederlande, nordostwärts über die Reichsveste Boyneburg, die Reichsgutkomplexe um Mühlhausen und Nordhausen an den Harz vor, wo am Fuß des silberreichen Rammeisberges Goslar als vornehmste Pfalz der Salier emporblühte, wo der Erbauer des castrum Nürnberg, Heinrich III., in anschaulichster Weise Königspfalz und Königs­ kirche zu einer Einheit verband. Die terra imperii im mitteldeutschen Osten um Altenburg aber hatte durch die Goldene Aue mit den alten sächsischen Königspfalzen Tilleda am Kyffhäuser und Wallhausen eine Querverbindung zum südwest-nordöstlichen Strang. Alle diese Kraftlinien und Kraftfelder, diese Königslandschaften und Reichsländer, soweit sie erst in der Stauferzeit in Erscheinung treten, waren bestimmt durch Königs- und Reichsgut. Reichs- und Königsgut, vermehrt um das Hausgut, vergrößert durch zahlreiche, umfängliche Kirchenlehen — die neue Form der staufischen Erfassung des Reichs­ kirchengutes, eine Abwandlung des germanischen Eigenkirchenrechts —, unterbaut durch die Erfassung der Regalien in Königshand, besonders von Markt-, Münz-, Zoll-, Geleits- und Befestigungsrecht, sowie staat­ lich erfaßt durch Ausübung der Hochgerichtsbarkelt und der Vogtei sollten Grundlage bilden für die neue staufische Form des Reichs­ landes, wie es unter der Verwaltung von Reichsdienstmannen am klarsten im Egerland und weitgehend auch um den alten Königshof Frankfurt wie um Nürnberg entwickelt ist. Entscheidend für alle diese mehr oder minder geschlossenen Reichsgutkomplexe war das Vorhanden­ sein großer Forsten, die Gelegenheit zur Rodung und damit zur Herr­ schaftsbildung gaben, wie Theodor Mayer eindrucksvoll gezeigt hat4). Auf neugerodetem Land erstand dann der Typ des Freien Bauern, der nichts mit altgermanischer Gemeinfreiheit zu tun hat, sondern Anfang

54 eines werdenden allgemeinen Untertanenverbandes zu sein versprach. Fieilich finden wir diese Neuerung nicht nur auf Königsboden, sondern auch z. B. im Staat der Zähringer, dessen Bild Theodor Mayer gezeichnet hat. Schon zu Beginn des 12. Jahrhunderts war ja durch das Königtum für diesen Sonderfall die neue Verwaltungs- und Herrschaftsform der Landgrafschaft geschaffen worden. So ergibt sich auch für Nürnberg und sein Umland die gerade heute aktuelle Forderung der Erforschung des Königs- und Reichsguts, wie sie zuletzt G. Pfeiffer5) in seiner Studie über den Königshof bei der Egidienkirche beispielhaft erfüllt hat. Es ist nicht damit getan, die Schenkungen deutscher Könige festzustellen und zu registrieren, wie es die sonst verdienstvolle Arbeit von Ranzi über den Königsforst tut; wir müssen vielmehr versuchen, mit großer Vorsicht aus späterer Zeit auf den mittelalterlichen Bestand in sorgfältiger Einzel­ forschung zurückzuschließen, wie wir das in Nürnbergs Umgebung z. B. bei den Kühdorfern nachweisen können, die noch um 1600 Reichslehen um Kühdorf und Schwabach besitzen8). Ein wertvolles Hilfsmittel bleibt dabei immer noch E. Mummenhoffs Aufsatz über die Besitzungen der Grafen von Nassau in und um Nürnberg7). Gürschings Einleitung zum VII. Band der Kunstdenkmäler von Bayern, Regierungsbezirk Mittel­ franken, der Stadt und Landkreis Schwabach behandelt, bietet hier wertvolle Hinweise. Im Hinblick auf die durch W. Schlesingers8) ein­ drucksvolles Buch über die Entstehung der Landesherrschaft ver­ stärkte Diskussion über das Wesen von Gau und Grafschaft und über Königsherrschaft und hochadeliges Recht auf Eigenherrschaft gewinnen Feststellungen E. von Guttenbergs in einem Vortrag über Siedlung an Rezat und Altmühl beweisende Kraft von der Frühzeit fränkischer Besiedlung und staatlicher Kolonisation her. Für die Spätzeit wer den uns wohl noch die Reichslehenbücher des Haus-, Hof- und Staats­ archivs in Wien (ab 1521) manchen Aufschluß geben können, worauf mich liebenswürdigst E. Klebel aufmerksam gemacht hat. Das Reichs­ gut um Nürnberg ist'alt; es liegt auf dem Schnittpunkt der großen karo­ lingischen Königshoflinie Würzburg, Willanzheim, Riedfeld, Fürth, Lauter­ hofen, Regensburg mit der ebenfalls von alten Königshöfen besetzten Nord-Südstraße Hallstatt, Forchheim, Weißenburg, Neuburg a. d. Donau, wo ein Königshof lag, den E. Klebel als Mittelpunkt einer von Heinrich VI. an seinen großen Reichsmarschall Heinrich von Kallendin gegebenen, vorher bambergischen Vogtei wahrscheinlich gemacht hat. Genau so wie um die elsässische Pfalz Hagenau der berühmte Heilige Forst liegt, uni; Kaiserslautern der Forst Lutra, Frankfurt die Dreieich, Goslar

55 der Harz, Ravensburg der Altdorfer Wald, Eger der Kaiserwald und Altenburg im Pleißenland Leina- und Kammerforst sich erstrecken, liegt auch die Reichsburg Nürnberg in einem mächtigen Reichsforst, dem heu­ tigen Sebalder und Lorenzer Wald. Der Forstbegriff an sich hat jüngst eine neue aus germanischen Wurzeln erwachsene Deutung durch Jost Trier erfahren”). Nürnberg ist also zweifellos auf altem Königsboden erwachsen. Wenn auch nicht in alter Königslandsschaft liegend, ist es doch durch die klare Zielsetzung des m. E. nicht in allem gerecht beurteilten, weil allein an seiner Kirchen- und Italienpolitik gemessenen Kaisers Hein­ rich III. bestimmt worden, ein Zentrum königlicher Interessen zu werden, welches das weit verstreut liegende Königsgut in diesem Raum admini­ strativ und zu politischer Wirkung zusammenfassen sollte. Die Staats­ politik des zweiten Salierkaisers hat gerade auch unter dem Gesichts­ winkel der Bedeutung Nürnbergs für den deutschen Königsstaat ein ähn­ liches Schicksal wertender Beurteilung gefunden wie die Konrads III., den ich mit H. Hirsch allzu schlecht eingeschätzt finde, wenn ich sfein vielfaches Bemühen um die Gewinnung königlicher Positionen im Egerland oder an der Mosel, um Lorsch und anderswo in Rechnung stelle. Nach dieser kurzen Uebersicht über Nürnbergs Lage innerhalb der Kraftlinien und Kraftfelder der deutschen Königspolitik im Hochraittelalter ist ein Blick in die Entwicklung der deutschen Verfassung zu tun, da auf diesem Wege am klarsten gezeigt werden kann, wie die Reichs­ burg über der Pegnitz infolge der allgemeinen verfassungsgeschichtlichen Situation im Reiche auf dem Wege war, Mittelpunkt eines Reichsterri­ toriums zu werden. Nürnbergs Aufstieg zur bedeutenden Reichsstadt mit einem ansehnlichen Territorium, dessen Werden H. Dannenbauer dar­ gelegt hat, hat ja von dieser Absicht staufischer Staatsplanung seinen Ausgang genommen. Wenn es am Ende des Mittelalters daz riche — die Reichskleinodien — in seinen wehrhaften Mauern barg, dann führt es, wenn auch nur mehr symbolhaft, den Auftrag weiter, den staufisches Staatsdenken ihm gegeben hat, das sich in der romanischen Doppel­ kapelle auf der Burg in gleicher Weise wie anderswo (Eger, Hagenau, Trifels, Kaiserslautern) in so eindringlicher künstlerischer Form ausprägt. Nürnberg ist darin die würdige Nachfolgerin der staufischen Reichs­ schatzkammer, ich meine die ruhmreiche, mächtige Reichsveste Trifels, in deren Doppelkapelle einst die Reichsinsignien von starken Reichs­ ministerialen und zwei Zisterziensermönchen von Eußerthal gehütet und betreut wurden.

56 Die staufische Staats- und Reichspolitik versuchte in eindrucksvoller Kraftanstrengung die dem deutschen Königtum noch zur Verfügung stehenden Güter und Rechte zusammenzufassen und durch Neuerwer­ bungen aller Art ein das ganze regnum im Sine E. E. Stengels10) über­ spannendes Königsterritorium zu schaffen; damit sollte der Wille des Königs in allen Stämmen und Landschaften zur Geltung gebracht wer­ den, ohne daß sich das Reichsoberhaupt gegen Hingabe von Reichsgut und Reichsrecht ständig die Hilfe und Zustimmung des Hochadels er­ kaufen mußte. So nahm der Herrscher noch in letzter Stunde das Wett­ rennen mit der zur Territorialität aufsteigenden Hocharistokratie auf, die ihre Kräfte allerdings auf kleinem Raum und ohne Zersplitterung ein­ st tzen konnte, während der König von einer größeren, aber zerrissenen Basis aus mit der Gesamtheit seiner Gegenspieler in Konkurrenz trat. Wir erkennen heute klarer als ehedem besonders durch die Forschungen von O. Brunner, Heinrich Mitteis sowie das aufrührende Buch von Walter Schlesinger über die Entstehung der Landesherrschaft, daß Herr­ schaft und Reich, die zwei politischen Grundformen der Germanen, eben­ so Recht des Adels wie des Königs waren. Das Eigenrecht des Hoch­ adels, der seit Tacitus Zeiten die führende Rolle im politischen Leben der germanischen Stämme und seit Karl d. Gr. als Reichsaristokratie in einer weitgespannten Reichspolitik spielte, ist eine gegebene Tatsache der deutschen Verfassungsentwicklung. Aus dieser Führerschicht, die das ursprüngliche Amt und Lehen als Eigen usurpierte, ging auch der König hervor. Gerade Barbarossa hatte versucht das Lehenswesen in der neuen Form der Heerschildordnung durchzusetzen und damit die Aristokratie dem Willen des Königs und dem Gesetz des von ihm gewollten Staates unterzuordnen. Der deutsche Versuch ist gescheitert; in England und Frankreich, wo die feudale Auflösung schon weit fortgeschritten war, konnte sich das Lehenswesen durch die Sonderform des homo ligius viel mehr als staatliches Ordnungsprinzip auswirken und Hauptwerkzeug für den Aufbau eines zentralen Königsstaates sein. Der Gedanke, daß der Hochadel das Haupthindernis zentralstaatlicher Organisation in Deutsch­ land sei, wurde bitterste Wirklichkeit für Heinrich IV., dessen tragisches Geschick auch das Schicksal des deutschen Staates symbolisiert. In der Stunde höchster Gefahr, da durch die Bannung des Kaisers das seit den Urtagen germanischer Volksheiligkeit als mit besonderem Heil aus­ gestattet und als Mittler zwischen Gott und den Menschen gedachte deutsche Königtum aus seiner religiösen Rang- und Wertordnung ge­ stürzt wurde11), hatte die „aristokratisch-hochkirchliche“ Reichsverfas-

57 sung der personalen Treue versagt. Der Bund zwischen deutschem Hoch­ adel, kluniazensisch-kurialem Reformgeist und päpstlichem Streben nach Libertas zwang den schwergeprüften Kaiser zum Gang nach Canossa”). Nach dem Zusammenbruch aber unternahm es Heinrich IV., den Grund zu einer modernen staatlichen Organisation zu legen, indem er das König­ tum durch Heranziehung des unfreien Elements der Dienstmannen, Bür­ ger und Bauern zum Dienst und zur Teilnahme am Staat auf eine breitere völkische Basis stellte und die hohe Gerichtsbarkeit, die sich in den Feudal­ herrschaften im Zusammenhang mit der Vogtei ausgebildet hatte, als Recht der Zentralgewalt durchzusetzen gedachte, dessen Wahrnehmung er in die Hände der unfreien, beamtenähnlichen Königsdienstmannen zu legen beabsichtigte. Durch seine ständeausgleichende Landfriedenspolitik hoffte er außerdem die eigenrechtliche Stellung des Adels an einer Wurzel zu treffen, nämlich dem altgermanisch ererbten Fehderecht und der da­ mit verbundenen besonderen Rechtsauffassung. Daß diesen modernen König, den ersten Königslandpolitiker auf dem Thron, der Hochadel stürzte, .ist klar. Andererseits wird man natürlich der Hocharistokratie und so markanten Vertretern wie Heinrich dem Löwen, Berthold von Zähringen oder in unserem Raum den Grafen von Sulzbach (Berengar, Gebhard) auch nur dann gerecht, wenn ihnen zugebilligt wird, daß sie in heiliger Pflichterfüllung und mit gutem Gewissen ihr gutes Recht — und das mittelalterliche Recht ist ganz subjektiv — auch gegen den König, den primus inter pares, verteidigten, der letzten Endes nur so viel galt und wirkte, als er Macht und Kräfte zu erfassen und einzusetzen hatte. Wir fragen uns natürlich, worauf sich Macht und Reichtum des deutschen Adels gründeten. Da der fränkische Staat der Merowinger und Karo­ linger im germanischen Osten viel weniger durchgegriffen hatte als im romanischen Westen, ließ der Verfall des Frankenreiches vor allem im deutschen Ostteil einzelne Familien mächtig emporsteigen und brachte sic schließlich in den erblichen Besitz der staatlichen Aemter. Deutsch­ land war im Gegensatz zu Frankreich ein Gebiet des Landesausbaus, der Rodung. Wer aber rodet, so hat uns Theodor Mayer gezeigt, schafft nach altgermanischem Grundsatz Herrschaft. Westlich Elbe und Saale beson­ ders war der Adel -der überlegene Konkurrent des Königs, der vollends ins Hintertreffen kam, als seit dem 11. und 12. Jahrhundert im Südosten und Nordosten die dem Adel und der adeligen Kirche hörigen Bauern das Neuland umbrachen. Ein schönes Beispiel dafür ist die bayerische Ostmark, wie uns Karl Lechner mit seiner besitzgeschichtlich-genealogischen Methode eindrucksvoll darlegte. In diesem Zusammenhang ist für

58 Nürnberg das doppelte Wirken der ersten Burggrafen in Ostfranken und in der Ostmark von besonderem Interesse; meines Wissens wird augen­ blicklich der Versuch unternommen genealogische Beziehungen der Raabser zu den Edelfreien von Gosheim und besitzgeschichtliche zum alten Königshof Riedfeld zu erhärten **). Bei allem dürfen wir den natural­ wirtschaftlichen Charakter aller Kriegs- und Verwaltungstechnik bis ins höchste Mittelalter nicht aus dem Auge verlieren. Das mittelalterliche Reich war zu groß, zu rasch entstanden, war nicht Ergebnis einer lang­ samen organischen Entwicklung, sondern das Werk starker Königs­ gestalten. Dem Herrscher, der die meiste Zeit im Sattel verbrachte, war es nicht möglich überall zu sein, auch wenn Königs- und Reichskirchen­ gut an Straßen- und Verkehrsknotenpunkten lag. Vor allem fehlten Auf­ sichtsorgane. Nur langsam entwickelte sich ein Apparat schriftlicher Ver­ waltung, wie ihn das Papsttum schon früh meisterhaft zu einem Instru­ ment seiner weltumspannenden Interessenpolitik entwickelt hatte. So zwangen die Langsamkeit des Verkehrs, das Fehlen von Kontrollorganen und vor allem einer entwickelten Geldwirtschaft den König seine QuasiBeamten an seiner Macht zu beteiligen, indem er die treuegebundenen Grafen, Markgrafen und Herzoge für ihre Verwaltungs- und Kriegs­ dienste durch Hingabe von Grund und Boden, d. h. Herrschaft entlohnte, da er weder Gehalt noch Sold zahlen konnte. Durch die Erblichkeit der Lehen verloren die Aemter ihren Amtscharakter, die Pflichten verwan­ delten sich in Rechte. Wo immer der König das alte gute Recht des Adels antastete, fand er geschlossenen Widerstand. Bei solchem Konservativis­ mus der Rechtsauffassung erschien Konrad II. als Revolutionär, als er die kleinen Lehensträger hob. Und gar erst Heinrich IV., der eigentliche Schöpfer der Ministerialenverwaltung im Königsland, der König der Bauernheere und Förderer städtischer Entwicklung, mußte es fast natur­ notwendig erleben, daß in dem furchtbaren Bündnis zwischen der deut­ schen Adelsopposition und dem päpstlichen Freiheitstreben ein Großteil der adeligen Führerschich't sich gegen ihn erhob und ihn schließlich weg­ fegte. Wie keiner seiner Vorgänger wußte er schon nach den Erfahrungen seiner trüben Jugend um die Notwendigkeit eines deutschen Königs­ landes. Der geniale Herrscher sah in der Hochgerichtsbarkeit und im allgemeinen Untertanenband die Grundlagen für den Königsstaat der Zu­ kunft. Der ottonische Staat, der sich mit Adel und Kirche in die Herr­ schaft teilte, dieser Staat der personalen Treue, die aber nach einer For­ mulierung von CI. von Schwerin nicht die rechte Treue war, mußte ent­ weder durch Restauration des karolingischen Amtsstaates oder durch

59 revolutionäre Neuordnung in den Staat der Königsherrschaft mit Staats­ volk und Staatsterritorium übergeführt werden. Die Haüsmachtpolitik der Salier im Harz mit seinen Silbergruben, die Gründung Nürnbergs in­ mitten reichen Königsbesitzes, der durch das Vordringen der beiden Bis­ tümer Bamberg und Eichstätt bedroht war, der Ansatz und die Ausstat­ tung unfreier Königsdiener (servientes, der späteren ministeriales) im Nordgau und um Nürnberg durch Heinrich III., die Burgenpolitik Hein­ richs IV. in Sachsen und des Stauferherzogs Friedrich des Einäugigen am gesamten Oberrhein im Auftrag des Königs, die Hausmachtpolitik der Staufer in Südwestdeutschland sowie ihre Reichslandpolitik weisen in dieselbe Richtung wie die staufische Ministerialenverwaltung, in der wir ein Kernstück der staufischen Verfassungsreform sehen. Das salische Erbe spielt im Staatsdenken der Staufer eine entscheidende Rolle und be­ zieht sich nicht nur auf das salische Hausgut, um dessen Besitz die Stau­ fer auch in Nürnbergs Umgebung mit den Welfen stritten. Der Investiturstreit brachte den Zusammenbruch der deutschen Reichsverfassung einmal durch die weitgehende Emanzipation des Hoch­ adels von der königlichen Zentralgewalt und zum anderen durch den Einsturz des Ersatzfundaments, das Otto der Große durch seinen Bund mit der Reichskirche auf der Grundlage des von U. Stutz eindrucksvoll gezeigten, allerdings nicht nur germanischen Eigenkirchenrechts gelegt hatte. Der gewaltige Sachse, dem gerade wegen seiner weitausgreifenden Ostpolitik mit vollem Recht der Ehrentitel der Große gebührt, hatte als Gegengewicht gegen den Hochadel die Reichskirche zum Stützpfeiler der königlichen Zentralgewalt ausgebaut und wollte höchstwahrscheinlich in der politischen Verwendung der Bischöfe und Aebte eine Art neuer Rcichsbeamtenschaft im Stile Karls des Großen schaffen. Um diese Reichskirche für ihre politischen Aufgaben möglichst leistungsfähig zu machen, überhäuften er und seine Nachfolger — an Heinrich II. ist das im Nürnberger Umland besonders deutlich geworden bei der Ausstattung des Bamberger Bistums nach der Revolte des Babenbergers Heinrich von Schweinfurt — diese Kirche mit großen Schenkungen aus Reichs­ gut, worunter besonders Schenkungen von Forsten auffallen, wie später noch unter Heinrich III. und seinem Sohn. Damit war offenbar die Ab­ sicht verbunden, die auch andere Große bei ihren frommen Schenkungen im Auge hatten, nämlich unter der bewährten Leitung kirchlicher Rodungskräfte den Landesausbau auf Königsboden vorwärtszutreiben und damit die Basis königlicher Herrschaft und Herrschaftsrechte mög­ lichst zu erweitern. Die Folge war die Stärkung der Wirtschaftskraft der

60 Reichskirchen, die die Hauptlast der kaiserlichen Kriege zu tragen hatten. Dabei war aber das Königsgut vor Entfremdung durch Heimfall bei jedem einzelnen Todesfall eines Prälaten gesichert. Wie weit die Verflechtung von Reichs- und Reichskirchengut geht, zeigt noch in der Stauferzeit die sehr intensive Verwendung von Reichskirchenministerialen — vorab der Reichsbistümer Speyer, Worms, Mainz u. a. — vor allem in der Verwal­ tung und Beherrschung Reichsitaliens. In den Boiandern hat das Erzstift Mainz den Staufern das mächtigste und einflußreichste Reichsministe­ rialengeschlecht gegeben, das sehr bald sogar in die Ehekreise des Hoch­ adels Eingang fand. Die Tradition von Reichsgut an die Kirchen geschah auch zu dem Zweck, es der Verwaltungskunst der Kirche zu unterstellen und seine Erträge damit sicherzustellen. Bei dem Fehlen eines entspre­ chenden Verwaltungsapparates blieb dem Wanderkönigtum'fast keine andere Wahl. Wie sehr gerade die Kirche dem herrscherlichen Ostwillen dienstbar gemacht wurde, hat uns eindeutig A. Brackmann in seinen Arbeiten über Magdeburg gezeigt. Dieser große deutsche Historiker hat in seinen Forschungen einen Bogen vom Mittelalter zur neuesten Zeit ge­ spannt und in seiner Forschung die so oft geforderte Gegenwartsbezogenheit der deutschen Geschichtswissenschaft vom Mittelalter wahr ge­ macht. Ich darf nur an seine Studien über Ottos III. Beziehungen zu Polen, über die Anfänge des ungarischen Staates, an seine baltischen Forschungen erinnernu). Brackmann verdanken wir einen klaren Ein­ blick in die innerlich notwendigen Zusammenhänge zwischen der Politik des von F. Kern verfemten Römerzuges und dem deutschen Ausgriff nach dem Osten. Schon um die deutsche Kirche, die durch Bonifatius nun einmal der römischen Weltkirche eingegliedert war, voll für seine Staatszwecke einsetzen zu können, mußte der deutsche König als Vogt von Rom die römische Kirche und ihr Oberhaupt beherrschen. Dabei war, wie Hermann Heimpel in seiner Vortragsreihe „Das Mittelalter“ formulierte “), die Politik des deutschen Königs nicht von Rom her be­ stimmt, sondern auf Rom hin bezogen. In der Form des Dienstes übte der deutsche König Herrschaft über Rom. Die starke Stütze der Kirche diente aber nur so lange dem deutschen Staatsgedanken als des Königs Männer auf den Bischofsstühlen des Reiches und auf Petri Stuhl saßen. Das hörte jedoch in dem Augenblick auf, als die Kurie die Reformideen Clunys sich zu eigen machte und durch Gregors VII. Mund nicht nur die Forderung der libertas ecclesiae aussprach, sondern auch mit allen Mit­ teln dafür kämpfte und siegte. Damit entglitt die Verfügung über die Männer, die Träger des Reichs- und Staatsgedankens sein sollten, den

61 Händen des Königs, der sie aber in anderer Hinsicht schon lange zu ver­ lieren begonnen hatte, ohne es hindern zu können oder überhaupt zu sehen. Bischof und Abt wurde im allgemeinen nur ein Hochadeliger; auf diese Weise wandelte die Hocharistokratie allmählich die' Reichskirche zu ihrer Domäne um, was uns die Forschungen Aloys Schultes gezeigt haben. So brach diese Stütze in einer doppelten Beziehung zusammen, nachdem kurz vorher noch das universale Papsttum daran gewesen war, in das System der deutschen Reichskirche eingegliedert zu werden. Bar­ barossa hat es zwar nochmals verstanden, das Eigenkirchenrecht geltend zu machen, und in seinem großen Kanzler Rainald von Dassel und in Christian von Buch hat die deutsche Kirche nochmals zwei gewaltige Säulen der königlich-kaiserlichen Reichspolitik zur Verfügung gestellt; doch in Innozenz III. gewann das Papsttum das höchste Schiedsrichter­ amt über die Besetzung des deutschen Königsstuhls und die Ver­ fügung über den jungen Königssohn. Kaiser Friedrich I. hatte einen neuen Weg gefunden, durch Uebernahme von Kirchenlehen ohne Ver­ letzung der Heerschildordnung sich die Verfügung über das Reichskiichengut weitgehend zu sichern. Der Erwerb der bambergischen Kirchenvogteien auf dem bayerischen Nordgäu, die bis vor die Tore Nürnbergs reichten und die Verbindung zwischen dem Egerland und Nürnberg herstellten, vielleicht sogar bis an den Regen reichten, wo Heinrich II. einst den großen Nittenauer Forst an das Bistum Bamberg verschenkt hatte, war nach dem Aussterben der Grafen von Sulzbach, die Vögte dieser Lehen waren, ein großer Gewinn, der um so mehr Ge­ wicht bekam, als die Staufer, alte Königsrechte wieder auffrischend, auch in der Mark Cham wieder festen Fuß faßten, dort Reichsgut in Anspruch nahmen und Reichsdienstmannen walten ließen und auch zur alten Her­ zogsstadt Regensburg wieder Beziehungen anknüpften, wo sie das heute renovierte palatium mit dem Welfen teilten, der dort auch seine Hoftage hielt. Durch die bambergischen Kirchenlehen, die irgendwie nach dem Ausweis des Nürnberger Reichssalbüchleins seit Beginn des 13. Jhdts. möglicherweise schon mit Nürnberg als Verwaltungszentrum verbunden waren, war eine fast ununterbrochene Linie vom Bodensee bis ins Eger­ land hergestellt und damit eine mächtige staufische Südwest-Nordost­ achse geschaffen. Welche Bedeutung Barbarossa diesem Kirchengut beimaß, beweist die Tatsache, daß er schon vor dem Tode des letzten Sulz­ bachers sich diese Güter und Rechte vertraglich sicherte. In der verfassungsrechtlichen Leere, die. mit dem Investiturstreit über den deutschen Staat hereinbrach, bot sich dem deutschen Königtum ein

62 nur Deutschland eigentümliches Werkzeug für den Wiederaufbau, die reformatio des wankenden Staatsgebäudes: die Klasse der unfreien servientes, ministri, ministeriales, die Königsdienstmannen und späteren Rcichsministerialen, die zuerst in Urkunden Heinrichs III. und gerade auf dem Nordgau vor allem klar in Erscheinung treten. Nach dem Vorgang Heinrichs IV. und Heinrichs V. hat vor allem Barbarossa in ganz um­ fassender Weise sowohl zur Staatsverwaltung wie auch für die Reichs­ verwaltung Italiens die Reichsministerialen herangezogen. Unter Hein­ rich VI. hatte diese Gruppe unfreier, dem Hofrecht der königlichen familia entstammender Reichsbeamten den Höhepunkt ihrer politischen Bedeu­ tung erreicht, vor allem in der Gestalt des großen Markward von Annwciler, der sogar die Regentschaft für den unmündigen Friedrich II. im Namen des Reiches und kraft eigener Entscheidung führte. Daß diese eigenartige Erscheinung der deutschen Rechtsgeschichte, in der sich berufs- und geburtsständische Elemente mischen, die im weitesten Sinne als Berufsstand von Hof- und Verwaltungsbeamten sowie Kriegern auf­ zufassen ist und durch den Aufstieg in den ständisch sehr komplexen Ritterstand wenigstens in ihren Oberschichten Geburtsstand wurde und in den wirtschaftlich gut fundierten und politisch einflußreichen Familien einen bedeutenden Prozentsatz des niederen Adels ausmacht, ein ent­ schiedenes Machtinstrument in der Hand des Königs gegen den Hoch­ adel darstellte, zeigte schon die Ermordung des Grafen Sieghard von Burghausen durch Dienstmannen auf dem Regensburger Reichstag von 1104 vor den Augen des Kaisers, der die Täter aber in keiner Weise zur Rechenschaft zog. Diese radikale, brüske Auseinandersetzung mit dem Hochadel suchte Barbarossa zu vermeiden, indem er einmal durch die Heerschildordnung dieses aus den Gesetzen seiner Existenz wider­ strebende Element dem System seines zentralen Staatsbaus einzuglie­ dern sich mühte, dann indem er die werdenden großen Territorien — Bayern 1156 und Sachsen nach dem Sturz Heinrichs des Löwen — nach Möglichkeit zerschlug und schließlich selbst dahin strebte, genau so wie Welfen, Zähringer, Wittelsbacher es vor- und nachher taten, durch weitgehende Erbschaften, besonders im Südwesten, hochadelige Herr­ schaften zu beseitigen und seinen Reichsgüterkomplexen einzuverleiben. Gerade wenn man Nürnbergs Stellung in der staufischen Staats­ konzeption und seine Bedeutung für den Aufbau eines zentralen Königs­ staates näher untersucht, springt in erster Linie die entscheidende Rolle der Reichsministerialität als Werkzeug salisch-staufischer Staatsgestal­ tung im Nürnberger Umland nach der Katastrophe des Investiturstreits

63 und darüber hinaus auch als Träger und Organ mittelalterlicher Reichs­ idee und eines säkularisierten Imperialismus jenseits der Grenzen des engeren Reiches und in den weiten Räumen des Mittelmeergebiets in die Ai gen. Nürnberg, Reichsministerialität und staufische Staatspolitik bilden im 12. und 13. Jahrhundert eine verfassungsrechtliche Einheit. Wenn es aber nicht ge­ lang, das Reich in einen anstaltlichen Staat mit abhängigen Unter­ organen überzuführen, was der Aufbau eines Zollerischen Landesstaates und die Entwicklung eines reichsstädtischen Territoriums im Unter­ suchungsgebiet recht eindrucksvoll beleuchten, so hängt das damit zu­ sammen, daß das Lehenswesen in seiner deutschen Form auch auf die Dienstmannschaft Übergriff, daß auch sie gleichzeitig Träger von Lehen verschiedener Herren wurde, damit also die rechte Treue verlor. Auch die Reichsdienstmannschaft ging in einzelnen mächtigen Vertretern wie den Reichsmarschällen von Pappenheim, den Sulzbürg-Wolfsteinern, den Boiandern, Münzenbergern, Truchseß Waldburg, Reuß den Weg des Hochadels; soweit sie wirtschaftlich nicht stark genug war, entglitt sie dem König und kam unter die Herrschaft der hochadeligen Territorial­ gewalten, wie um Nürnberg ein Teil der Reichsdienstmannen dem Terri­ torialstreben der Zollern-Burggrafen erlag. Die Ligeität, das Institut des Ledigmanns, ist in Deutschland nicht zur Entwicklung gelangt. Der Ver­ fall königlicher Herrschaft nach der beispiellosen Katastrophe, die durch den Untergang der Staufer über den deutschen Staat vor allem herein­ brach, hat sich so ausgewirkt, daß trotz dem kraftvollen staufischen Ver­ suche das Werden eines deutschen Einheitsstaates für immer verhindert war. Die Staatlichkeit aber wurde in den Territorien weiter entwickelt, die den Staatsgedanken in das 19. Jhdt. hineinretteten. Das ist eine be­ deutsame Leistung der deutschen Länder und Territorien, die man nicht schmälern kann. In und um Nürnberg traten das staufische Erbe die Zol­ lern an, deren Territorialpolitik Schwammberger behandelt hat, und nicht zuletzt die Reichsstadt Nürnberg, die durch das Privileg Friedrichs II. von 1219 in die weitreichende Städtepolitik der Schwabenkaiser ein­ gespannt wurde, die nicht nur die Bildung eines allgemeinen Untertanenveibandes vorbereiten, sondern auch durch Förderung von Handel und Verkehr dem königlichen Geldbedürfnis neue Finanzquellen erschließen sollte. Das Reichssteuerverzeichnis von 1241/2 gewährt glücklicherweise Einblick in die Finanzpolitik der Staufer; doch fehlt darin leider gerade der große Komplex um Nürnberg wie auch das Reichsgut in Thüringen und Sachsen. Der Ertrag der städtischen Steuern bildet dabei den eigent-

64 liehen Kern der königlichen Geldeinkünfte. Nicht verzeichnet sind die Naturalabgaben vom Land. Dafür haben wir als Beispiel die Abrechnung des von den Reichsministerialen auf der Burg Landskron verwalteten Amtes Sinzig und das von Ficker in Pisa gefundene Register über die Einkünfte des Speyergaus aus dem Anfang des 14. Jahrhunderts. Nur das Geld konnte leicht nach Italien wandern, dem Schauplatz der Kämpfe, wo es besonders zur Soldzahlung benötigt wurde. Weil den Staufern alles am Geld liegen mußte, betrieben auch Friedrich II. und Konrad IV. so energisch Städtepolitik. Von 1200 ab überziehen sie Reichs- und Hausgut mit Städten, so wie zu Beginn des 12. Jhdts. ihr Urahn mit Burgen. Auf diese Weise wurde aus dem städtelosen Hausgut des schwäbischen Kaisergeschlechts, aus dem Land um die Pfalzen und dem Rest des übrigen Reichsguts ein Raum, in dem die Städte eine hervorragende Stelle einnahmen, wie uns heute noch der fränkische Raum mit seinen auf staufischer Privilegierung basierenden Reichsstädten Rothenburg, dem Sitz ehemaliger Reichsministerialenverwaltung und eines Land­ gerichts, mit Dinkelsbühl, Nördlingen, Weißenburg, dem alten Königshof an einem großen Reichsforst, und mit Nürnberg anschaulich zeigt. In einer Studie zur Organisation des Reichsguts in der späteren Stauferzeit hat der um die Erforschung der Stauferpolitik im engbegrenzten Gebiet Würt­ tembergs und Süd Westdeutschlands verdiente Karl Weller vor allem auf die intensive Reichsstraßenpolitik der Staufer und die Zusammenfassung von Zoll- und Geleitsrechten in Ostfranken hingewiesen M). In den Staufer­ städten wirkten wieder als königliche ministri ihre Dienstmannen, die aber keine Reichsbeamtenschaft modernen Stils werden konnten. Ver­ fassungsgeschichtlich gesehen ist die Reichsministerialität ein Umweg oder Ausweg geblieben und nur ein Uebergangsstadium zwischen dem feudalen Lehensstaat des Mittelalters und dem anstaltlichen, flächenhaft geordneten Beamtenstaat der modernen Zeit geworden, der seine Aus­ bildung nicht mehr im Reich, sondern in den Ländern fand, deren An­ fänge aber den Stand der Dienstmannen emporwachsen ließen. Da die Reichsministerialität für die Geschichte des Nürnberger Um­ landes in der Stauferzeit so große Bedeutung hatte und die Lokal­ forschung, besonders die Genealogie immer wieder beschäftigt, seien hier einige Worte der Klärung über die Ministerialität im allgemeinen angefügt. Die Dienstmannschaft ist eine so komplexe, rätselvolle Erscheinung unserer Sozial- und Rechtsgeschichte, daß man nur mit aller Vorsicht da­ von reden kann. Das hat gerade die neue Kontroverse gezeigt, die Eber­ hard Otto'7) mit seinem Buch „Adel und Freiheit“, gefolgt von Fr. von

65 Klocke, ausgelöst hat, wodurch sich der Altmeister deutscher Rechts­ geschichte Ulrich Stutz18) kurz vor seinem Ableben veranlaßt sah, in sei­ ner letzten Studie zum Wesen und Ursprung des niederen Adels die Hauptzüge der bislang herrschenden Lehre nochmals kurz zusammen­ zufassen. Soviel steht mir trotz Otto fest, daß die Ministerialität aus der Unfreiheit hervorging, wenn auch aus einer qualifizierten. Wir wissen heute, daß die unfreien Schichten des Mittelalters stark differenziert waren. Vom Dagescalcen bis zur Oberschicht der Fiskalinen und Wachszinser war ein weiter Weg. Durch den besonderen Dienst am Hofe des Königs, des Hochadels und der Kirchenfürsten als Hofamtsinhaber, Ver­ waltungsbeamte und stets bereite Berufskrieger, die wegen der Be­ sonderheit ihres Dienstes mit einem besonderen Dienstlehen ausgestattet waren, entwickelten sich die Ministerialen allmählich zu einem beson­ deren Berufsstand und durch die Aufnahme in den Kreis der Ritter in­ folge ihrer besonderen Beziehungen zum Herrenhof, dem Mittelpunkt ritterlicher Kultur, sowie in ihrer Tätigkeit als die eigentlichen Berufs­ krieger, mit denen schon Heinrich IV. seine Schlachten schlug und die vor allem das Hauptkontingent der Stauferheere ausmachten, nähern sie sich auch der Form eines Geburtsstandes, doch ohne sich nach unten völlig abzuschließen. Auch im 13. Jhdt. noch war die Ministerialität Sprungbrett zum Ritterstand für einen Bauern. Persönlicher Einfluß und Reichtum, bedeutsamer Dienst und Besitz herrschaftlichen Bodens nicht nur als Dienstgut, sondern auch als Inwärtseigen ließen bald innerhalb des Dienstmannenkreises eine gesellschaftliche Oberschicht mit manch­ mal besserem Recht erstehen, worin sich die alte Differenzierung der Unfreien abermals wiederholt. So können wir oft optimi, meliores, liberiores unterscheiden, die wohl gesellschaftlich, aber beileibe nicht ständerechtlich von den einfachen Ministerialen verschieden waren, die man in Norddeutschland z. B. für das 13. Jhdt. als bäuerliche Dienstinannen bezeichnet hat. Wie schon angedeutet, waren großer Besitz, be­ deutsamer Dienst, politischer Einfluß und altdynastische Verschwäge­ rung Voraussetzung für den gesellschaftlichen Aufstieg. Aus der Zeit, in der die Ministerialität dem Hofrecht der familia unterlag, stammen noch die Unfreiheitsmerkmale wie Ehekonsens, anfängliche Eigentumsunfähig­ keit und persönliche Veräußerlichkeit wie beim mancipium. Die oberen Schichten haben diese Merkmale immer mehr abgestreift, auf jeden Fall wurden sie nicht mehr als Makel empfunden. Bezeichnend ist es aber, daß noch zu Beginn des 13. Jhdts. die so hoch gestiegene Reichsdienstmann­ schaft als familia imperii bezeichnet wird. Interessant ist in diesem Zu5

66 sammenhang auch das Privileg, das die reichen und angesehenen Bürger von Nürnberg und Frankfurt, die später das Patriziat bilden und zum Ritterstand aufsteigen, vom König erbaten: der Herrscher verspricht, sie nicht mehr zu zwingen, ihre Töchter und Witwen als Frauen königlichen famuli, servi (= niederen Dienstleuten) zur Ehe zu geben. Auch hier zeigt sich also, daß reale Macht gesellschaftliche Stufung hervorrief, wie umgekehrt nach 1306 auch der Hochadel keinen geschlossenen GeburtsStand darstellte. Diese Erkenntnisse danken wir vor allem Otto von Düngern1*) und Kamilio Trotter, der durch ausgebreitete Stammbaum­ forschungen des ersteren System unterbaut hat. Mit meiner Einstellung weiche ich heute etwas von U. Stutz ab und meine, daß wir die Vielfalt der Ministerialitäten im Mittelalter, deren vornehmste die des Reiches ist, die darum notwendig große Zahl der Dienstmannenrechte, die es Eike von Repgow unmöglich machte sie zu beschreiben und von einem ein­ heitlichen Dienstmannenrecht zu sprechen, und vor allem auch die starke gesellschaftliche — nicht geburtsständische — Differenzierung innerhalb , der einzelnen Dienstmannschaft zweifellos am besten durch den Hinweis auf unseren modernen Beamtenstand begreifen, der ein besonderer, durch Eigenart des Dienstes für den Staat und der Entlohnung sowie durch pen­ sionsfähigen Gehalt ausgezeichneter Berufsstand ist, der in seinen unteren Stufen sich vielfach aus Bauersöhnen auf dem Umweg über das Militär rekrutiert, deren Söhne dann oft bei besonderer Begabung zum mittleren und hohen Beamtenstand emporsteigen, daneben auch eine bür­ gerliche Welle umfaßt, die hier eindringt. In den hohen Staatsstellen tref­ fen wir gar manchmal auch Beamtendynastien, die verschiedene Zweige der Staatsverwaltung immer wieder mit leitenden Beamten versorgten, ebenso wie bestimmte Familien generationenweise dem Heer die fähig­ sten Offiziere gaben. Das alles aber geschah nicht auf Grund geschriebe­ nen Rechts, sondern kraft der Tradition, die von einem bedeutenden Ver­ treter des Geschlechts ausging, oder des mächtigen Einflusses, den ein­ zelne Familienmitglieder sich sichern konnten, und eines sorgsam ge­ hüteten Schatzes von Erfahrung. Doch daneben steigen immer wieder kraftvolle, hochbegabte, Willensstärke Persönlichkeiten von unten empor, die meist mit zäher Energie und der kühnen, revolutionären Art eines Emporkömmlings im besten Sinne ausgestattet sind. Geburtsständische Elemente liegen dabei dem Beamtenstand völlig fern. Unter Berücksich­ tigung der verschiedenen Akzente, die durch den Unterschied von Wirt­ schaft, Kultur und Geistigkeit, vor allem durch die Fortentwicklung zum modernen Staatsapparat und das Emporsteigen der neuen Stände des

67 Bürgers und Arbeiters, die volksständisch den Urquell darstellen, aus dem sich das Beamtentum immer wieder erneuert, bedingt sind, können wir uns dadurch vielleicht eine Vorstellung vom Wesen und Werden der Ministerialität machen und ihre starke Differenzierung erklären, ohne zur Konstruktion eines Geburtsstandes im Sinne der Volksrechte und zu ähn­ licher Systematisierung unsere Zuflucht nehmen zu müssen, die das natürliche Leben immer vergewaltigen. Die Reichsministeralität müssen wir im 12. und in der ersten Hälfte des 13. Jhdts. als die Reichsbeamten­ schaft schlechthin ansprechen, die Hauptträgerin der Territorialisierung des Reichsgutes war. Ich warne auch davor, Dienstmannschaft von vorne herein mit niederem Adel gleichzusetzen, der sich erst von etwa 1250 ab zu bilden beginnt durch den Aufstieg der bedeutenderen Diensttnannengeschlechter zur gesellschaftlichen Stellung der unteren, wirt­ schaftlich und politisch schwächeren Schicht der alten Edelfreien, die Gg. Bode besonders sichtbar gemacht hat. Beide verschmolzen dann zum niederen Adel, während einige mit großen Herrschaftsgebieten aus­ gestattete und altdynastisch verschwägerte Familien zum Reichsfürsten­ stand emporsteigen, ln Nürnberg ist sicher eine Reihe von Reichsdienst­ mannen im bürgerlichen Patriziat aufgegangen, wenn auch selten wissen­ schaftlich handfeste Beweise dafür vorliegen. Ich warne weiter davor, den staufischen Dienstmann schlechthin als staufischen Ritter zu bezeich­ nen. Die Bedeutung des Rittertums für den sozialen Aufstieg der Mini­ sterialen habe ich klargelegt; vergessen dürfen wir aber nie, daß Ritter­ tum eine komplexe Erscheinung ist, die in erster Linie geschaffen und getragen ist von der hochadeligen Herrenschicht mit dem König an der Spitze. Durch diese nötigen Abgrenzungen werden wir dem dunklen und rätselhaften Problem der Ministerialität am besten gerecht. Durch diese grundsätzlichen Erörterungen hoffe ich auch der Nürnberger genealo­ gischen Forschung, die sich mit verschiedenen Reichsministerialen­ geschlechtern zu befassen hat, manche Anregung geboten zu haben. Wir wenden uns noch der letzten und Hauptfrage unserer Unter­ suchung zu, der Bedeutung der Reichsburg Nürnberg als politischen, strategischen und administrativen Mit­ telpunktes der Reichsministeralität und eines wer­ denden Reichslandes in Ostfranken und auf dem Nord­ gau. Wenn sich die Ergebnisse der Forschungen Schlesingers, der auf A. Waas und O. v. Düngern aufbaut, als richtig erweisen sollten, dann war bereits in karolingischer Zeit die Burg das Zentrum der Königsgutverwal­ tung, die das Wesen der Grafschaft ausmacht, die demnach kein Prinzip 5'

68 der regionalen Verwaltungsgliederung des Reiches wäre und auch nicht mit dem geographischen Begriff des Gaues zusammenfiele. Für unser Gebiet stehen zwar noch entsprechende Forschungen aus. Nach einer inter­ essanten Studie Dannenbauers20) über Adel, Burg und Herrschaft bei den Geimanen war die Burg schon in den ältesten Zeiten Grundlage herr­ schaftlicher Organisation. Allüberall schießen aber besonders seit Beginn des 11. Jhdts. diese Wehrbauten aus dem Boden, worin sich der neue Drang zum flächenhaften Ausbau des Staates ankündigt. Burgen sind Mittelpunkte der Verwaltung, auf ihnen ruhen herrschaftliche Rechte, wie Geiichtsbarkeit und Vogtei, sie sind bei der Streulage des Herrschafts­ besitzes und dem Fehderecht des germanisch-deutschen Adels strate­ gische Zentren militärischer Verteidigung zum Schutze von Straßen und Verkehrsmittelpunkten, an denen sich besonders das Königsgut zusam­ menballte, sind aber auch Ausgangspunkte für die offensive Erweiterung des Herrschaftsraumes. Diese Bedeutung hatte schon von den Tagen seiner Entstehung an das castrum Nürnberg, das mit 2 Königshöfen im Tafelgüterverzeichnis von 1064 verzeichnet ist. Hier erscheint um die Mitte des 11. Jhdts. einer der bedeutendsten Königsdienstmannen des Jahrhunderts, Otnand, der Stammvater der Reichsministerialen von Eschenau-Schellenberg, mit dem vermutlichen königlichen Auftrag, das Reichsgut im Norden der Reichsburg zu organisieren und das Gebiet zwischen Pegnitz, Erlanger Schwabach und dem alten Königshof Forchheim dem Reich zu erhalten und so dem castrum Nürnberg Luft gegen das mächtig nach Süden vordringende Bistum Bamberg zu schaffen. Be­ reits 1056 erhält Otnand, der wahrscheinliche Maiordomus am Hofe Hein­ richs III., der Consiliarius Heinrichs IV., der kaiserliche Schiedsrichter bei Verhandlungen der Abtei St. Maximin in Trier über die Vogtei­ rechte, Eigengut um Pettensiedel in der Nähe von Gräfenbuch, das vorher wohl Dienstlehen war. Heinrich III. hat, wie es scheint, überhaupt das nordgauische Königsgut nach besonderem Plan mit Hilfe königlicher Dienstmannen (servientes damals ge­ nannt) in eigene Verwaltung nehmen wollen. Um Sulzbach wird ein mini­ ster Bardo mit vermutlich altem Königsgut bedacht, einAzelin taucht in der Nähe der vielleicht von Heinrich III. begründeten Reichsburg Cham, dem militärisch-administrativen Mittelpunkt der wohl damals errichteten Mark Cham auf, über die ich in Bälde in einer Arbeit über die Neumarken des 11. Jhdts. etwas aussagen zu können hoffe. Ein serviens Berthold erhielt 1054 vermutlich Dienstgut in Röthenbach bei Schweinau und den Ort Iconenberg, in dem Schnelbögl die spätere Burg Schönberg vermutet,

69 die nach verschiedenem Besitzwechsel schließlich burggräfliches Lehen der Reichsdienstmannen Rindsmaul im 13. Jhdt. wird. Der genannte Otnand erhält auch ein Waldgebiet zwischen Höllbach, Krummennaab und Trebnitzbach in der Mark Nabburg an der „via, quae procedit de Egire“, durch Heinrich ausdrücklich mit dem ius exstirpandi, dem Rodungs­ recht, verliehen. Wir sehen also bereits im 11. Jhdt. die Königsdienst­ mannschaft beim herrschaftbildenden Werk der Rodung im eigenen und des Königs Interesse tätig und erkennen auch bereits die engen Be­ ziehungen, die zwischen dem castrum Nuorenberc und dem bayerischen Nordgau und den östlichen Marken geknüpft werden sollten, die übrigens im Reichssalbiichlein aus dem Ende des 13. Jhdts. auch tatsächlich be­ standen haben; wir sehen auch schon die besondere Bedeutung und Auf­ gabe, die die Salier ihrer Gründung zugedacht hatten. Otnand wirkt um Nürnberg mit der Unbekümmertheit der durch keine Rücksichten be­ schwerten, nur dem einen Königsinteresse dienenden jungen Kraft, die mit der nötigen Ellbogenfreiheit das Bistum Bamberg zurückdrängt. Als Verwalter des Königshofes Forchheim, wo er 1061 drei Waldhufen er­ hielt, zog er die ausgetanen Königsgüter — vorab Forchheim mit seinen Pertinenzen, Wäldern, Bannbezirken — in einer Reihe von Orten ein. Er mußte sie allerdings auf Verwendung der erzbischöflichen Regenten in der Zeit der Unmündigkeit Heinrichs IV. wieder herausgeben, verzichtete aber trotzdem nicht auf sein Revindikationswerk. Als „Höllenschlund, der die Bamberger Domherren lange im eisernen Schmelzofen hatte schmoren lassen,“ verflucht ihn das Bamberger Domkapitel. In der Stauferzeit stehen in diesem umstrittenen Gebiet nördlich der Pegnitz die Reichsdknstmannenburgen Eschenau und Schellenberg, Gründlach und Kirchrüsselbach. Der Forst zwischen Pegnitz und Erlanger Schwabach war dem Reich erhalten geblieben. Die Nachkommen des großen Otnand traten später aber in die Dienste des Hochstifts Bamberg, während das Dorf Eschenau in den Besitz der Nürnberger Bürger Muffel gelangte. Gründlach, ehedem als Pertinenz des Königshofes Aurach 1021 von Hein­ rich II. an Bamberg geschenkt, ist vermutlich durch Otnand dem Reich wieder zugebracht worden. Die Gründlach tauchen zuerst bei Konrad III. auf und haben — wie die mit ihnen vielleicht verwandten Berge — zwei goldene Löwen im roten Feld übereinander in der rechten Hälfte ihres Wappens, ähnlich wie übrigens auch die Reichsministeria­ len von Sulzbiirg - Wolfstein. Ein Gründlacher Lupoid nannte sich auch „von Nürnberg“, was aber nicht Anlaß geben kann ein eigenes Nürnberger Reichsdienstmannengeschlecht zu postulieren,

70 da wir die meisten mit dem Zusatz de Nourenberc erschei­ nenden Dienstmannen einem der bekannten Geschlechter des Um­ landes zuweisen können, was umgekehrt wieder die engen Be­ ziehungen der Familien im Reichsland zum Reichsburgmittelpunkt und damit die straffe Organisation des werdenden Reichslandes beweist, die sich, wie z. B. bei den immerhin bedeutungsvollen Rindsmaul, in der Burgmannspflicht mit einem Burglehen (castrense feodum) äußert. Ein Reichsschenk Herdegen von Nürnberg, höchstwahrscheinlich ein Gründ­ lach, da diese den Leitnamen Herdegen haben, begleitete Heinrich VI. 1191 auf seinem Romzug. Dieses Geschlecht ist das einzige, von dem wir mit Grund annehmen dürfen, daß es an der Rebellion Heinrichs (VII.) gegen den Kaiser beteiligt war. In den Reichsdienstmannen die Träger und Ratgeber dieser Empörung zu sehen, wie K. W. Nitzsch und Franzei es tun, halte ich nicht für berechtigt. Einmal zu Macht, Ansehen und größerem Besitz gelangt, suchten diese Reichsdienstmannengeschlechter nach dem Beispiel des hohen Adels ihren Namen in einer frommen Stif­ tung zu verewigen und darin auch ihre Güter zu verankern, auf die sie sich rechtlichen Einfluß sicherten; durch Neugründung eines Klosters er­ warben sie einträgliche Vogteien, wie es die Sulzbürger in Seligenporten und die Königstein-Reichenecker in Engelthal wohl bezweckteft. Auch die Gründlach schufen sich in Frauenaurach ein Hauskloster; sie standen auch in Beziehung zu dem großen Zisterzienserkloster Heils­ bronn, dessen Vogtei in den Händen des Kaisers lag und das die Reichs­ dienstmannen des Nürnberger Umlandes mit sehr reichen Schenkungen bedachten. Daß die Gründlach nach dem Untergang der Staufer in die Dienste der Burggrafen getreten seien, kann ich nicht finden, wenn sie auch Reichslehen zu Flachsdorf an der Regnitz an die Zollern 1278 ver­ kaufen. Margarethe, die Erbtochter dieses Geschlechts, heiratete einen Hohenlohe aus altdynastischem Stamm, dessen Seitenzweig von Brauneck den ziemlich bedeutenden Geschlechtsbesitz dieser Reichsministerialen erbte. 1326 gingen folgende Reichslehen aus den Händen der Gründ­ lach an die Burggrafen über: die Mühle zu Bruck, Honiggeld zu Tennen­ lohe, Vogteilehen zu Hohenstadt, Viehberg, Sittenbach (Ldkr. Hersbruck), Malmsbach und Behringersdorf. Westlich Nürnberg standen die zwei Burgen Altenberg und Alte Veste, den Bibertgrund beherrschend, ersteres wohl identisch mit dem staufischen Hertingsberge. Häufiger treffen wir die Reichsdienstmannen der letztgenannten Veste erst im 13. Jhdt. an, wie überhaupt seit den Thronwirren unter Philipp von Schwaben diese Ministerialen zahlreicher in den Urkunden vornehm-



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lieh der benachbarten Klöster erscheinen, da sie ja, wie die Chroniken berichten, mit sehr viel Gut von Philipp bedacht worden waren, aus dem sie nun Stiftungen zu machen beginnen. Ein Burgsitz, den eine Erbtochter den Dienstmannen de Monte zugebracht hatte, war auch Kraftshof. Die Hertingsberger waren der Urstamm derer von der Alten Veste, die sich de Monte nannten. Die Bergschen Schenkungen bildeten einen Hauptstock der Besitzungen des Klaraklosters zu Nürnberg. Das castrum de Monte scheint 1285 nicht mehr bestanden zu haben; das ganze Geschlecht starb 1464 aus, seine Eigengüter und Reichslehen gingen auf die Linie Seckendorf-Nold über und sind im Bergschen Reichslehenbuch vei zeichnet, das eine Veröffentlichung verdiente. Von entscheidender Bedeutung für die Verbindung des Nürnberger Reichsgutkomplexes mit dem staufischen Stammland war die Straße nach Ansbach, die wir deshalb sehr stark mit Burgen bewehrt finden. In Ansbach hatten die Staufer die Vogtei über St. Gumbertus in ihre Hände gebracht. Eine wunderbare romanische Krypta im Stile staufischer Klassik zeugt auch hier wie die Doppelkapellen Nürnbergs und Egers von dem engen Zusammenhang zwischen Politik und Kunst, dem W. Pinder in seiner großen Kunstgeschichte nachgegangen ist. 1240 gab der päpstliche Legat Albert Behaim den Bischöfen von Eichstätt und Würzburg den Auftrag, den Bann über die Städte und Flecken Donau­ wörth, Lauingen, Nördlingen, Dinkelsbühl, Hall, Nürnberg, Ansbach, Lentersheim, Weißenburg und Greding auszusprechen, weil sie dem Kaiser nach Italien Truppen geschickt hatten. Wir sehen hier die enge Verflechtung dieser fränkisch-schwäbischen Stauferstädte mit der Politik des Kaiserhauses, der sie dienen. Die Burgen Vestenberg und Groß­ haslach, Bruckberg, Buttendorf, Bürglein, Wilhelmsdorf und Leonrod, alles Sitze von Reichsdienstmannen, liegen entlang der obengenannten Straße und stellen den südwestlichen Arm des Nürnberger Reichslandes dar. Von kleineren Sitzen in der Nähe der Reichsburg nenne ich Schnieg­ ling (1146), das wie Schnepfenreuth urkundlich Reichslehen war; beide Orte waren nach dem Reichssalbüchlein Burglehen. Neben dem früher erwähnten Kraftshof erscheint auch Neunhof (Nova Curia) als fester Ort. Ebenso wichtig wie die Südwestverbindung war auch der Zusam­ menhang mit dem Reichsterritorium Egerland, der räumlich durch die Bamberger Kirchenlehen und den Kauf sulzbachischer Erbgüter — neben Erbschaft ein beliebtes Mittel den hohen Adel aus königlichem Inter­ essengebiet zu verdrängen — hergestellt war. Die militärische Beherr­ schung des Pegnitztales sowie die Organisation und Zusammenballung

72 des hier dicht lagernden Reichsguts ergab sich dadurch als wichtige Voraussetzung. Die Burgsitze Lauf, Schönberg und Rothenberg, Rückers­ dorf und Beerbach erfüllten' diese Aufgabe vor den östlichen Toren Nürnbergs. Lauf selbst war altes Reichsgut, der dorthin gehörige Wirt­ schafts- und Gerichtsraum dehnte sich in staufischer Zeit zwischen Leinburg im Süden und Bullach im Norden aus; Verwaltung und Aus­ übung der Gerichtsbarkeit lagen in den Händen der darnach benannten Reichsministerialen. Die wirtschaftliche Ausstattung der Burg zeigt das bayerische Salbuch aus der Zeit um 1275, in dem die Einkünfte von Burg und Amt beschrieben sind, die damals sich schon in bayerischen Händen befanden. Vier genannte Mühlen waren zum Befestigungswerk verpflichtet, ein kleiner Einblick in die Organisation dieser militärischen Stützpunkte der Staufer. Auf dem Boden der Bamberger Lehen standen die Burg Henfenfeld und die Veste des mächtigen Ulrich von Königstein, in dem E. von Guttenberg *‘) das Albewinestein sieht, das Bischof Otto von Bamberg aus der Hand König Heinrichs V. erhielt. Identisch mit Ulrich ist wohl der Ulricus dapifer regis, der 1205 am Hoftag Philipps von Schwaben teilnimmt, ein örtlicher Hofbeamter der Reichsburg wie der Schenk Herdegen von Nürnberg (= Gründlach) von 1191. Nehmen wir noch den Heinricus marscalcus de Rasche (südöstlich bei Altdorf im Bereich des Altdorfer Königsguts) hinzu, der vielleicht Sohn oder Enkel des 1154 zwischen Hartmann von Siebeneich und Heinrich von Pappenheim zeugenden, auch nach Schniegling und Schönberg benann­ ten Berthold von Rasch ist, als officialis (= Reichsbeamter) auftritt und 1216 in einer Deutschordensurkunde zeugt, dann haben wir in und um die Reichsburg Nürnberg vom Kämmerer abgesehen alle wichtigen Hof­ ämter besetzt, auch ein Zeichen ihrer wichtigen pfalzähnlichen Stellung ähnlich den großen Stauferpfalzen und -bürgen Hagenau i. E., Kaisers­ lautern, Altenburg, Ravensburg usw. Daß gerade das ursprüngliche Hof­ amt des buticularius in Nürnberg so zentrale Bedeutung gewann, ist uns nicht recht deutbar. Dafür wissen wir zu wenig über die mit diesenAemtern verbundenen Rechte und Pflichten. Jedenfalls bestätigt sich die schon von Ficker angedeutete Vermutung, daß mit den bedeutsamen Zen­ tren staufischer Staatspolitik immer irgendwelche Hofämter zweiten Ranges verbunden waren. Elisabeth, die Erbtochter der Königsteiner, war vermählt mit Walter Schenk von Klingenburg aus dem angesehenen Reichsministerialen­ geschlecht der Schipfe, die als pincernae imperii walteten, d. h. Inhaber des Reichsschenkenamtes waren, bedeutenden Einfluß am königlichen.

73 Hof hatten und als Herren von Limburg bei Schwäbisch-Hall zur reichs­ unmittelbaren Fürstenstellung emporstiegen. Die Königsteiner hatten auch die Burg Reicheneck ^erbaut. wonach sich Walter von Klingenburg zumeist benannte. Das Nürnberger Reichssalbüchlein zeigt den bedeutenden Reichsbesitz dieser erwerbstüchtigen Familie, die mit den Sulzbürg-Wolfsteinern ziemlich gleichen Schritt hielt. Der Schenk trug in der Vogtei Hersbruck als Reichslehen die Dörfer Lieritzhofen, Fuchsreuth (abg. zwi­ schen Lieritzhofen und Schupf), Seiboldstetten, den Hof zu Kotzmanns­ reuth, Gotzenberg, See, Stallbaum, wo einst Barbarossa eine curia ab­ gehalten hatte, Weitzenfeld, den Maierhof zu Aicha, Förrenbach, 7 Güter zu Happurg usw., im ganzen 66 Hufen und Höfe nebst anderen bezeichneten Gütern. Diese ansehnlichen Reichslehen im Osten des werdenden Nürnberger Reichslandes bildeten die Grundlage der späteren Herrschaft Reicheneck mit einem Niedergericht zu Happurg, die W. Schwemmer22) eingehender untersucht hat. Gleicher Bamberg - Sulzbachscher Herkunft waren auch die Burgen Neidstein, Hertenstein und Hertenvels (beide abg. wohl um Neidstein) mit ihren Reichsdienstmannengeschlechtern. Als Verwaltungsbeamte scheinen die Ministerialen besonders im alten Königsland südlich der Pegnitz um Altdorf und Schwabach gewirkt zu haben. Hier war das Reichsgut in den Aemtern Altdorf und Schwabach zusammengefaßt, zwischen die sich das spätere Gericht Wendelstein mit seinem alten Propsthof schob, den die Rindsmaul von Grünsberg als Reichslehen innehatten. Daß neben Domänenverwaltung und Hofdienst, wofür unsere Gegend genügend Beispiele bietet, der Kriegsdienst auch in weiteste Länder — besonders unter Barbarossa und Heinrich VI. — eine Hauptaufgabe dieser Elitetruppe der deutschen Kaiser war, die damals die besten Soldaten der Welt ihr eigen nannten, zeigt neben dem über­ ragenden Marschall Heinrich von Kallendin aus dem vorgenannten Raum Albert Rindsmaul, der mit Otnand von Eschenau in insula Livariae im Königreich Sizilien Zeuge der großen Schenkung Heinrichs VI. an den großen Reichsmarschall war. Burg Grünsberg bei Altdorf war der Stammsitz der Rindsmaul, die später auch auf Werdenfels und Winds­ bach begegnen; letzteres war Lehen der Burggrafen und der Oettinger. So ist die Ministerialität durch die Fähigkeit, echte Lehen — und zwar auch von fremden Herrn—zu empfangen, allmählich den Händen des Herrschers entglitten. Das ging so weit, daß der bedeutendste Vertreter der Reichsministerialität, Markward von Annweiler, zugleich auch Vasall des fran­ zösischen Königs sein konnte. Die Rindsmaul hatten als Burgmänner (castrenses) der Reichsburg auch ein castrense feodum (Burglehen), des-

74 sen Umfang uns aus der Uebertragung durch Rudolf von Habsburg an die Burggrafen (1289) bekannt ist. Die dazugehörigen Güter liegen be­ zeichnenderweise alle um Altdorf; doch dürfen wir annehmen, daß sie alle auf die Reichsburg Nürnberg bezogen waren. Dem nämlichen Königs­ gutbezirk um Altdorf entstammten auch die Tanne, deren rejchseigene Burg 1288 der Territorialpolitik der Hohenzollern zum Opfer fie.l, wäh­ rend im alten Fiskalbezirk Schwabach die Ramunge zuerst 1213 und 1219 als Reichsbeamte in Schwabach selber auftauchen und sich dann nach der 1 Stunde südwestlich davon gelegenen reichseigenen Burg Kammer­ stein nannten. Um 1240 wurde ein Ramung von Kammerstein zum kaiser­ lichen Landrichter im Egerland bestellt, dessen Aufgabe insofern weiter gespannt und selbständiger als die des Nürnberger Reichsbutiglers war als kein Dynast seine Rechtssphäre störte. Ramungs Sohn aber war be­ reits in den Diensten der Burggrafen. Die Reichsdienstmannen von Korn­ burg zwischen Schwabach und Wendelstein und die Kühdorf bei Schwa­ bach sind früh in der Bürgerschaft der Reichsstadt aufgegangen; erstere haben in der ersten Hälfte des 13. Jhdts. zwei Reichsbutigler, beide mit dem Namen Konrad, der Reichsverwaltung gestellt. Während frühere deutsche Könige auf ihrem Weg von Nürnberg süd­ wärts über Weißenburg zogen, gewann in der Salier- und Stauferzeit die Route über Neumarkt immer mehr an Bedeutung. Durch Einziehung er­ ledigter Reichslehen, Erbschafts- oder Heiratspolitik gewannen die Stau­ fer von den Diepoldingern oder Sulzbachern oder beiden reiches Gut, das wir im Amt Berngau vereinigt finden, zu dem auch das Land um Neu­ markt gehört. Aus den Händen der Welfen erwarben die Schwaben­ kaiser das alte Königsgut um Greding zurück, das schon vorher in einem Amt organisiert worden sein dürfte. 1188 gehörte auch der alte Fiskus Weißenburg im Swalafeld am Nordgau zum Herzogtum Rothenburg. In diesem ganzen Raum, der nach dem Ausweis des Reichssalbüchleins vielleicht schon in der ersten Hälfte des 13. Jhdts. der Reichsburg Nürn­ berg irgendwie verwaltungsmäßig angegliedert war, entwickelten sich mächtige Dienstmannengeschlechter auf zahlreichen Burgen. Ich nenne vor allem die Sulzbürg-Wolfsteiner, deren möglicher Stammvater Gott­ fried von Wettenhofen (Gde. Kruppach) ist. Dieses Geschlecht konnte bis zum reichsfreien Grafenstand emporsteigen. Gottfried von Sulzbürg, der Stifter von Seligenporten, ein sehr einflußreicher Reichsministeriale, ließ sich gegen Verleihung der Adelnburg oder Heimburg (abg. bei Pars­ berg) von dem Gegenkönig Heinrich Raspe seinem Herrscherhaus ab­ spenstig machen. Unser Gottfried war mit einer altdynastischen Hohen-

75 felserin und dann einer Heideckerin vermählt, das früheste Beispiel hochadcliger Versippung in unserer Gegend. Obersulzbürg, Niedersulzbürg und Wolfstein waren die Kerne eines reichsunmittelbaren' Territoriums, das diese Reichsdienstmannen auf der Grundlage der Gerichtshoheit und festgefügten Besitzes aufzubauen vermochten. Das zweite bedeutende Geschlecht der Neumarkter Gegend saß auf dem Hilpoltstein. Sein erster bestimmbarer Vertreter ist der Reichsbutigler Heinrich von Stein, der letzte Vertreter, selbständiger staufischer Staatshoheit in Nürnberg. Viel­ leicht dürfen wir die Familie an den in der Reichsverwaltung Italiens tätigen Dienstmann Heinrich Faffus oder von Weidenwang anschließen. Des Reichsbutiglers Söhne saßen auf den Burgen Breitenstein, Heimburg (zw. Neumarkt und Altdorf) und Sulzbürg. Sie waren mit den SulzbürgWolfsteinem verschwägert, wodurch sie Niedersulzbürg gewannen. Heinrich der Aeltere war auch mit den Reichsmarschällen von Pappen­ heim verwandt. Als Wappen führte das Geschlecht den schwarzen Adler mit einem Kopf im gelben Feld, ein Zeichen seiner Reichszugehörigkeit und Reichsbedeutung, das wir bei der Reichsgutforschung mehr als bis­ her beachten müssen, besonders nach den interessanten, für die Reichs­ geschichte im Ostseeraum bedeutenden Ergebnissen der Symbol­ forschung Rörigs auf Gotland”). In diesem Rahmen darf ich auch auf die Studien Funks zu diesem Thema verweisen, ebenso wie auf E. Wohlhaupter und vor allem K. Frölich. Die starke Südfront des Nürnberger Rcichslandes finden wir durch weitere Dienstmannenburgen verstärkt: Weidenwang, Obermässing, Stauf und Tannhaüsen, letzteres uns des­ halb besonders teuer, weil hier nach der überzeugenden Deutung W. Krafts24), dem wir wertvolle Studien zur Frühgeschichte Nürnbergs und seines Umkreises verdanken, der Tannhäuser als staufischer Dienst­ mann seine Lieder sang. Bleibt noch zu erwähnen das größte und mächtigste aller Reichs­ dienstmannengeschlechter im Nürnberger Raum, das im alten Königsgut­ bezirk Weißenburg auf dem uralten Königsboden Pappenheim angesetzt war, die Pappenheim, in deren Besitz uns W. Kraft durch Veröffent­ lichung ihres Urbars”) Einblick verschafft hat, das uns eine ähnlich wertvolle Quelle aus frühester Zeit (1214—1219) wie die Lehensbücher der mächtigen Pfälzer Reichsministerialen von Boianden ist. Weißenburg ist an sich ja schon für die Geschichte der Reichsministerialität von Be­ deutung, da uns ein Recht der Dienstmannen dieses Hofes, die auch, außerhalb in Burgsalach, Weimersheim und Hof saßen, überliefert ist, das am Anfang des 12. Jhdts. gefälscht wurde, aber auf echte Vorlagen aus

76 der Frühzeit des 11. Jhdts. zurückgeht. Gestützt auf bedeutenden Besitz haben sich die Pappenheim in zähem Ringen gegen die Wittelsbacher behauptet; sie arbeiteten sich zum Reichsfürstenstand empor und konnten sich bis zur Mediatisierung behaupten. Die Stellung des Geschlechts war zweifellos begründet durch seinen größten Sproß, Reichsmarschall Hein­ rich von Kalden, der fast ebenbürtig neben Markward von Annweiler steht. Er war ein Hauptvertreter staufischer Reichsidee und imperiali­ stischer Politik, der Rächer Philipps von Schwaben; fünf Staufern hatte er gedient. Beim Kreuzzug Barbarossas eroberte er 1189 die Burg Skribention auf dem Balkan und ging 1190 in diplomatisch-politischer Mission nach Italien und Apulien, wenn wir mit Ficker Heinrich und Testa gleiehsetzen. Der sicher erweisbare Stammvater des Geschlechts ist jener quidam ex ministris regis Heinricus cognomento caput, von dessen feurigem Eintreten für Heinrich V. auf dem Romzug 1111 Otto von Freising berichtet. 1197 schenkte Heinrich VI. seinem kampferprobten Reichsmarschall das Amt im Ried bei Neuburg/Donau, das Amt des Ulrich von Riedenburg mit den Zehnten im Reichsforst Tangrintel, d. h. die weitere Umgebung von Hemau, die H. Dachs als Teil eines alten Königsfiskus Schambach nachgewiesen hat. Wir haben bislang gesehen, daß Nürnberg ebenso wie die große Pfalz Hagenau oder die Reichsburg Trifels, die Pfalz Kaiserslautern oder die Reichsburg Mühlhausen in Thüringen, Altenburg im Pleißenland und Eger im Egerland als Zentrum eines von einem mächtigen Burgennetz überspannten, werdenden Reichslandes sich abhebt, dessen Linien, Be­ grenzung, Organisation, Zwecksetzung und Stoßrichtung sich aus dem vorhandenen Urkundenmaterial leicht erkennbar machen lassen. Und doch erscheint Nürnberg mit seinem Umland niemals wie etwa Frank­ furt mit derWetteräu oder das nördl. angrenzende Egerland urkundlich als terra imperii. Das hat seinen guten Grund. Während dort eine rein ministerialische Reichsverwaltung die Bildung eines geschlossenen Territoriums ermöglichte, ist diese letzte Vollendung hier nicht gelungen, weil der burggräflich-reichsdienstmännische Dualismus das Zusammenwachsen der Güter, Rechte und Amtsbefugnisse zur Verwaltungs- und Herrschafts­ einheit eines Königslandes verhinderte. Diese Spaltung der Gewalten wurde im Spätmittelalter abgelöst von dem Nebeneinander von burggräflichem und reichsstädtischem Territorium. So erfüllt sich auch hier auf kleinem Raum das Schicksal unseres mittelalterlichen adelig-hochkirchlichen Reiches der personalen Treue, das zu reorganisieren auch den gewaltigen, von klarer Einsicht geleiteten Bemühungen staufischer

77 Staatspolitik nicht mehr gelungen ist. Diese Spannung zwischen könig­ lichem und dynastischem Interesse war den Staufern wohl klar; denn sie setzten wohl bald nach 1200 neben den Burggrafen den Reichsbutigler (buticularius) als kaiserlichen Verwaltungs- und Gerichtsbeamten, der ursprünglich den Titel provisor trug, der für die gleichzeitig aufgestellten Landvögte im Elsaß oder im Speyergau in Anwendung kam, die ähn­ liche Aufgaben in allerdings geschlosseneren königlichen Verwaltungs­ bezirken zu erfüllen hatten. Ist es nicht schon ein Eingeständnis der Unmöglichkeit eine terra imperii zu schaffen, daß seit 1220 der reichsministerialische Träger der königlichen Interessen in Nürnberg nur mehr den viel bescheideneren, der Uebung in Reichshofämtern entsprechenden Titel buticularius = Schenk oder Kellermeister führte, während in Schwaben ein procurator, im Eger- und Pleißenland ein iudex provincialis erschienen? Vielleicht ist der eigentlich die Befugnisse des Kämmerers umfassende Titel ein Ausweg, der die Zwitterstellung unseres Reichsbutiglers als Reichsbeamten andeutete, die sich daraus ergab, daß er seine Befugnisse mit dem altdynastischen Burggrafen teilen mußte, der nach anfänglichem Zurückweichen nun doch seine Stellung zu behaupten und zu erweitern vermochte. Es ist daher auch nicht auffällig, daß der Butigler in Nürnberg niemals den bedeutenden Reichsministerialenfamilien der Umgebung entstammt, hinter deren Vertreter er immer in den Zeugenreihen erscheint, im Gegensatz zum reichsdienstmännischen Land­ richter im Eger- und Pleißenland, der immer an der Spitze der DienstT mannen seines geschlossenen Territoriums steht und' allzeit den mäch­ tigsten Familien des Reichslandes entstammt. Hand in Hand mit der Er­ richtung des zentralen Reichsbutigleramtes scheint im Nürnberger Um­ land auch eine Zusammenfassung des gesamten Reichsgutes in Aemtern erfolgt zu sein, da um diese Zeit ein Reimarus officiatus de Meglindorf (1200), der später als erster Butigler erweisbar ist, ein officiatus in Bern­ gau und der Amtmann in Greding in Erscheinung treten (1213). Die Voll­ endung dieser Organisation spiegelt am Ende des Jahrhunderts das Reichssalbüchlein wieder. War der Burggraf vor allem militärischer Kommandant der Reichsburg und unterstanden ihm die Burgmannen auch im Gericht auf der Sebalde r Seite, so führte der Reichsbutigler den Vor­ sitz im kaiserlichen Landgericht, das hier ursprünglich Domänengericht war, ein Hinweis auf das alte Reichsgut. In ähnlicher Weise, wenn auch aus einem Centgericht, mag sich auch das kaiserliche Landgericht Rothenburg entwickelt haben, das nach der vorbereitenden Studie von Mommsen endlich eine eingehende Behandlung verdiente. Anderer Pro-

78 venienz ist das Landgericht Graisbach, dessen Darstellung von W. Kraft in Aussicht gestellt ist. Der Butigler nahm die Vogtei in den umliegenden Klöstern wahr wie z. B. in Heilsbronn, er hatte wohl auch die Ober­ aufsicht über die Reichsdörfer um Windsheim, die ein eigener officiatus bevogtete, er gründete Städte und Burgen, wie wir es besonders von Wölflin von Hagenau im Elsaß wissen, der als Reichsschultheiß und Landvogt im Auftrag Kaiser Friedrichs II. sich im Elsaß als Städte- und Burgengründer erster Ordnung bewährte, dabei allerdings auch auf seine eigene Tasche sah und mächtige Reichtümer sammelte. Rusticus genere nennt ihn verächtlich der Chronist Richer von Sennones. Wie ließe sich da Eberh. Ottos These, die U. Stutz scharf kritisiert hat, aufrecht er­ halten, daß bei der Dienstmannschaft nicht mit einem sozialen Aufstieg zu rechnen sei. Der buticularius hatte als höchster Finanzbeamter des Gebiets alle Abgaben und Dienste der Königsbauern, der Fiskalinen, zu vereinnahmen und zu verrechnen. Es ist ein glänzendes Zeugnis für den Amtseifer und die im eigenen und des Königs Interesse rücksichtslos vor­ wärtsdrängende Kraft dieser reichsministerialen Beamten, das ihnen in­ direkt das Verbot König Heinrichs von 1234 ausstellt, Ueberschreitungen ihrer Amtsbefugnisse zu Gunsten des Reiches und zum Schaden des Bischofs von Würzburg in Zukunft zu unterlassen. Die Dienstanweisung ist gerichtet an den Vogt Wilhelm von Wimpfen, den Reichsbutigler von Nürnberg, die Reichsbeamten in Rothenburg, Hall, Schweinfurt, Königs­ berg, Lenkersheim, Schultheißen und andere officiati. In Umrissen habe ich am Nürnberger Reichsland verdeutlichen kön­ nen, was ich in meinen Vorbemerkungen Grundsätzliches und Grund­ legendes vorauszuschicken hatte über die staatspolitische Bedeutung der Reichsburg- Nürnberg mit der sich zu ihren Füßen breitenden Stadt, der wir uns abschließend noch zuwenden. Für Einzelheiten verweise ich auf die Arbeiten von Mummenhof und Kraft, Schultheiß und Pfeiffer. Neben dem Reichsbutigler als königlichem Zentralbeamten entwickelte sich in Nürnberg wie anderswo noch ein zweites, nach Selbständigkeit stre­ bendes Amt des Reichsschultheißen, hinter dem die vorwärtsdrängende Kraft des jungen, bürgerlichen Kapitals stand, die dem Reich zu starker finanzieller Hilfe verpflichtet war, deshalb aber auch nach einer besonderen Rechtsstellung verlangte. Dieses Bürgertum, aus dem sich bald ein ritterliches Patrizjat heraushob, übte zweifellos auf die kleine­ ren, unbedeutenden Dienstmannen der Reichsburg, die auf der Sebalder Seite ihre Burgmannssitze hatten oder auch in nächster Umgebung der Stadt auf festen Häusern saßen, eine starke Anziehungskraft aus. Finden

79 wir doch in der vornehmen Schicht des Bürgertums so sprechende mili­ tärische Namen wie Turbrech usw. Ich warne allerdings davor, unbesehen alle vornehmen Patriziergeschlechter der Reichsdienstmannschaft zuzu­ teilen; man könnte sonst leicht der Gefahr erliegen, die K. W. Nitzsch in seinem allseits abgelehnten Buch über Ministerialität und Bürgertum heraufbeschworen hat. Doch darf ich mit gutem Recht die Waldstromer reichsdienstmännischen Ursprungs nennen; sie gehörten ursprünglich der emporstrebenden Schicht der Königshofmeier an, wie wir einer Nürn­ berger Tradition wohl glauben dürfen. Seit 1266 sind sie auch im erb­ lichen Besitz des Reichsforstmeisteramts, das in Eger in den Händen der Re-ichsdienstmannen Nothaft liegt. ln der neuen Stellung des durch das Königsprivileg von 1219 be- . sonders fundierten bürgerlichen Elements mit dem Reichsschultheiß an der Spitze, der zunächst allerdings noch königlichem Einfluß unterstand, erwuchs der königlichen Zentralgewalt, vertreten durch Reichsbutigler und Reichsministerialen, eine neue große Gefahr. Dem vor allem im Interregnum hemmungslos sich entfaltenden Territorialstreben der Burg­ grafen*') und dem Aufwärtsdrängen des bürgerlichen Kapitalismus”) ist die Reichsgewalt in unserem Raum erlegen. Heinrich von Stein (= Hilpoltstein) ist der letzte wirkliche Reichsbeamte der Staufer gewesen, auch wenn sein Amt nochmals in der Reichslandvogtei eines Dietegen von Kastl auflebte. Doch das war nur eine Episode. Der eigentliche Erbe staufischer Staatspolitik und staufischer Reichsidee aber wurde die Reichsstadt Nürnberg"), die heute wieder wie im Spätmittelalter daz riche, d. i. die Kleinodien des heiligen römischen Reiches deutscher Nation in ihren Mauern hütet, das Symbol mittelalterlicher deutscher Kaiserherrlichkeit und nationaler Größe, die höchste Vollendung und tra­ gischen Ausgang zugleich durch das gewaltige Kaisergeschlecht der Staufer erlebte, die in der Reichsburg Nürnberg einen Mittelpunkt ihres zentralen Königsstaates geschaffen hatten.

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Literaturhinweise.

0 Um die Ausführungen, denen ein Vortrag (gehalten am 21. Januar 1943 im Verein für Geschichte der Stadt Nürnberg) zu Grunde liegt, nicht allzu sehr mit Anmerkungen zu belasten, darf für Belegstellen und Spezialliteratur ver­ wiesen werden auf: Karl Bosl, Die Reichsministeralität als Träger staufischer Staatspolitik in Ostfranken und auf dem bayerischen Nordgau. 69. Jahresbericht des Histor. Ver. f. Mittelfranken 1941. — Derselbe, Die Reichsministeralität als Element der mittelalterlichen Staatsverfassung im Zeitalter der Salier und Staufer, in „Adel und Bauern“ hsgb. von Theodor Mayer, Leipzig 1943. — Für den gesamten Fragenkomplex siehe in Zukunft: Karl Bosl, Die Reichsministerialität der Salier und Staufer. Ein Beitrag zur Geschichte des hochmittelalterlichen deutschen Volkes, Staates und Reiches. 2) A. Schulte, Anfänge zu einer festen Residenz der deutschen Könige im Hochmittelalter, in Histor. Jahrb. 55. 1935. S. 131—142. Vgl. H.W.Klewitz, Deutsches Königtum im Spiegel der deutschen Landschaft, in Geistige Arbeit 1938. — P. Kehr, Vier Kapitel aus der Geschichte Kaiser Heinrichs III., in Abhandl. d. Preuß. Akad. d. W. Jg. 1930. Phil.-Histor. Klasse Nr. 3. 3) E. v. Guttenberg, Das Bistum Bamberg, in Germania Sacra 2. Abt. 1. Band 1937, S. 29 ff. 4) Theodor Mayer, Geschichtliche Grundlagen der deutschen Verfassung 1933. — Derselbe, Die Entstehung des „modernen“ Staates im Mittelalter und die freien Bauern, in Zs. f. Rechtsgeschichte, Germanist. Abt. 57,1937 S. 210 ff. — Derselbe, Die Ausbildung der Grundlagen des modernen deutschen Staates im hohen Mittelalter, in Histor. Zeitschrift 159, 1939 S. 457—487. — D e r s., Das deutsche Königtum und sein Wirkungsbereich, in Das Reich und Europa 1941, S. 51—63. — Derselbe, Entstehung und Bedeutung der Land­ grafschaft, in Zs. f. Rechtsgeschichte, German. Abt. 58, 1938, S. 138 ff. — Derselbe, Der Staat der Herzoge von Zähringen, 1935. — Derselbe, Die Besiedlung und politische Erfassung des Schwarzwalds im Hochmittel­ alter, in Zs. f. Gesch. d. Oberrheins, Neue Folge 52, 1932, S. 500 ff. 5) G. Pfeiffer, Die Anfänge der Egidienkirche zu Nürnberg. Ein Beitrag zur ältesten Stadtgeschichte, in Mitt. d. Ver. f. Gesch. der Stadt Nürnberg 37, 1940, S. 255—308. ®) StA. Nürnberg, Rep. 52.a Nr. 248. 7) Mitt. d. Ver. f. Gesch. d. Stadt Nürnberg 1902, S. 1—88. 8) W. Schlesinger, Die Entstehung der Landesherrschaft, Aus Schriften der Sächsischen Kommission für Geschichte, Dresden 1941. Dazu die an­ erkennende Besprechung von H.. M i 11 e i s in Histor. Zeitschrift 168, 1934, S. 145 ff. ®) Vortrag über die Hegung im germanischen Denken, gehalten auf dem Magde­ burger Historikertag 1942. 10) E. E. Stengel, Regnum und Imperium; engeres und weiteres Staatsgebiet im alten Reich. 1930. J1) O. H ö f 1 e r, Das germanische Kontinuitätsproblem, in Histor. Zeitschrift 157, 1937. — H. Naumann, Altdeutsches Volkskönigtum. Reden und Auf­ sätze zum germanischen Ueberlieferungszusammenhang, Stuttgart 1940. 12) A. B r a c k m a n n , Canossa und das Reich, in Festschrift für K. A. v. Müller 1943. 18) Freundlicher Mitteilung verdanke ich die Nachricht, daß H. Schreibmüller zur Zeit an einer Genealogie der frühesten Burggrafen von Nürnberg arbeitet.

81 14) A. Brackmarin, Gesammelte Aufsätze 1941. — 0. Brunner, A. Brack­ manns Arbeiten zur Geschichte der deutschen Ostpolitik, in Deutsches Archiv f. Landes- und Volksforschung V, 1941, S. 199 ff. 15) H. H e i m p e 1, Deutsches Mittelalter 1941 (Gesammelte Reden und Aufsätze). 16) K. W e 11 e r, Zur Organisation des Reichsguts in der späteren Stauferzeit, in Festschrift f. Dietrich Schäfer, Jena 1915, S. 211—221. 17) E. F. Otto, Adel und Freiheit im deutschen Staat des frühen Mittelalters, Berlin 1937. 18) U. Stutz, Zum Ursprung und Wesen des niederen Adels, in Sitzungsberichte der Preuß. Akad. d. Wissensch. Phil. Hist. Kl. XXVII, 1937. 1#) 0. v. Düngern, Der Herrenstand im Mittelalter, 1908. — Derselbe, Adelsherrschaft im Mittelalter, München 1927. — Derselbe, Die Staats­ reform der Hohenstaufen, in Zitelmann-Festschrift 1913. — Derselbe, Kamillo Trotter, Bahnbrecher einer deutschen Verfassungsgeschichte. München 1941. *°) H. Dannenbauer, Adel, Burg und Herrschaft bei den Germanen. Grund­ lagen der deutschen Verfassungsentwicklung,' in Histor. Jahrbuch 1941, S. 1—50. 21) E. von Guttenberg, Territorienbildung am Obermain, Bamberg 1927. 22) W. S c h w e m m e r, Die ehemalige Herrschaft Breitenstein — Königstein, Nürnberg 1937. 25) F. R ö r i g, Reichssymbolik auf Gotland. Heinrich der Löwe, „Kaufleute des Römischen Reichs“, Lübeck, Gotland und Riga, 1940. 24) W. Kraft, Nürnberg und die mittelalterlichen Dichter der Stauferzeit, in Jahresbericht d. Ver. f. Gesch. d. Stadt Nürnberg 58, 1935, S. 12. 26) W. Kraft, Das Urbar der Reichsmarschälle von Pappenheim = Bd. 3 der Schriftenreihe zur bayerischen Landesgeschichte, 1929. 26)A. Schwammberger, Die Erwerbspolitik der Burggrafen von Nürn­ berg in Franken (bis 1361). Erlanger Abhandlungen z. m. u. n. Geäch. Bd. XVI, 1932. 27) H. Dannenbauer, Die Entstehung des Territoriums der Reichsstadt Nürnberg, Heft VII der Arbeiten z. Dtsch. Rechts- und Verfassungsgeschichte, 1928. 28) E. Franz, Nürnberg, Kaiser und Reich, 1930.

Konrad Groß, der Stifter des Nürnberger Heiliggeist-Spitals, und seine Beziehungen zu Kaiser Ludwig.

Von

August Gemperlein

Vorliegende Arbeit verdankt ihre Entstehung den Anregungen von Herrn Archivdirektor Dr. Reinhold Schaffer und Herrn Prof. Dr. Max Spindler. Sie konnte urkundlich um so leichter unterbaut werden, als Archivdirektor Dr. Schaffer die Sammlungen zum Nürnberger Urkundenbuch dem Verfasser zur Benützung überließ. Im folgenden sind diese Urkunden nach Ausstellungsjahr, -monat und -tag zitiert. Aufrichtigsten Dank schuldet der Verfasser Herrn Archivdirektor Dr. Schaffer, der das Thema empfahl und in zuvorkommendster Weise die Sammlungen zum Nürnberger Urkundenbuch zur Verfügung stellte, Herrn Archivrat Dr. Werner Schultheiß, der den Verfasser in dem Entschluß bestärkte, die Ausführungen über das Schultheißenamt in Nürnberg zugunsten einer mehr familiengeschichtlichen Ausrichtung der Arbeit fallen zu lassen, sowie den übrigen Herren des Nürnbeiger Stadtarchivs. Die vom Verfasser im März 1939 abgeschlossene Arbeit lag der Philosophischen Fakultät der Universität München als Dissertation zur Erlangung der Doktorwürde vor. Sie wurde unter Berücksichtigung von An­ regungen Prof. Spindlers für die Drucklegung vom Redaktionsausschuß durch­ gesehen und dabei stilistisch gefeilt; auch wurde einige Literatur,, insbesondere die 1939 erschienene Heiliggeist-Spital-Festschrift, nachträglich verwertet — eine Arbeit, die der Verfasser wegen seiner Einberufung zum Wehrdienst nicht selbst durchführen konnte. 6*

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1. Heinrich Groß, der Vater des Konrad Groß.

Ein kurzer Blick auf die Geschichte Nürnbergs im Zeitalter Kaiser Ludwigs IV. des Bayern zeigt als einprägsamste Erscheinung dieser Epoche den Reichsschultheißen und Spitalstifter Konrad Groß, die erste geschichtlich faßbare Gestalt der einstigen Reichsstadt überhaupt. Sein Vater1), wohl in Anlehnung an die Zugehörigkeit zu den wohl­ habendsten Stadtbürgern „reicher Heinz“2) oder „reicher Heinrich“5) genannt, ist frühzeitig Gegenstand der Sage4) geworden. Insonderheit ist es sein bedeutsamer Reichtum, dem ihre Ergründungsversuche gelten. Er habe, so erzählt die Volkstradition, in einer Traumerscheinung den Ort erblickt, wo reiche Schätze zu bergen seien, und die betreffende Stätte mit 13 Lindenblättern bezeichnet, wovon die Blätter herrührten, die heute noch im Familienwappen am Westportal der Nürnberger Lieb­ frauenkirche zu erkennen sind. In Wirklichkeit wird natürlich nicht die Sage darüber bestimmt haben, wieviel dieser heraldischen Figuren im Familienwappen zu führen seien, sondern die Legende wird mit Hilfe des Wappens ihr Gedächtnis aufgefrischt haben. Der „große Heinrich“, um mit einer anderen Urkunde zu sprechen6), habe also ohne die sonst nötige Voraussetzung zäher Arbeit das Erdenglück gehabt, mit Wohlhabenheit gesegnet zu sein. -Weiterhin wollen die Legendegläubigen das HeiliggeistSpital in Nürnberg an der Pegnitz, in Wahrheit eine Stiftung Konrads, seines berühmtesten Sohnes, als Gründung des „grindigen Heinz“6) an­ gesehen wissen. Er habe sich zur frommen Tat veranlaßt gesehen in Erfül­ lung eines Gelübdes, da er vom Aussatz (Grind) befreit worden sei. Die Sage leistet sich hier also in aller Unbekümmertheit eine irrige Identi­ fizierung von Vater und Sohn. Nun der geschichtliche „Reichheinz“! Zur sichtbaren Gestalt der Ge­ schichte wird der Vater des Reichsschultheißen und Spitalstifters Konrad erst nach Wegnahme des verdunkelnden Schleiers der Lokalsage. Die Frage nach seinem Geburtsjahr muß unbeantwortet bleiben. Auch für die ungefähre Erschließung ergeben sich aus der für 1276 feststehenden Rechtsfähigkeit nur sehr allgemeine Anhaltspunkte. Gestorben ist er ver­ mutlich 13177). 13148) war er jedenfalls noch am Leben. Denn Konrad Groß wird in diesem Jahre als „des großen Heinzen Sohn“ bezeichnet, während in Urkunden nach 1317, die über Konrads Abkunft Angaben brin­ gen, regelmäßig vom Sohn des „seligen“') bzw. „verstorbenen“10) „reichen“

85 oder „großen Heinz“ die Rede ist. Die früheste Urkunde, die von seinem Namen Zeugnis ablegt, ist eine burggräfliche vom Jahre 1276, in deren Zeugenreihe er als „Henricus cognomine magnus“11) auftritt. Des wei­ teren erscheint er nebst seinem gleichnamigen Sohn als Zeuge unter dem Schultheißen Marquard im Jahre 1289, diesmal aber zur genauen Unter­ scheidung als Heinrich Groß der AeltereI2). Zwei Jahre früher, ge­ legentlich einer Seelgerätschenkung einer Irmgard von Sulzbürg, bedurfte es noch keiner urkundlichen Namenspräzisierung. Damals konnte es kei­ nem Zweifel unterliegen, wer mit „Heinric Groß“ia) gemeint war. Sein Sohn „Heinrich Groß der Jüngere“ wird also annähernd um 1289 Voll­ jährigkeit erreicht haben. Gründete sich der Wohlstand der Ebner sowie jener der meisten anderen Nürnberger Geschlechter auf ausgedehnten Handel, so ist die Reichtumsquelle des älteren Heinrich Groß und seiner Familie in umfänglichem Grundbesitz im südlichen Reichswald und sorg­ fältig betriebenem Landbau zu suchen. Der „Alte Heinz“1*) war aber auch bereit und entschlossen, für den Fortbestand seines Vermögens in die Schranken zu treten. Wir sehen ihn nach urkundlichem Ausweis im Jahre 1296 „in der nächsten Woche vor Sankt Martinstag“15) vor dem Landrichter erscheinen, um Uebergriffen zu begegnen, die an seinen Zeidelrechten begangen worden waren. Das ist das, was die Geschichte überliefert, ohne das wuchernde Schlingkraut, das alte Legenden darum geflochten haben. Nur insoweit stimmen Wirklichkeit und Sage zusammen, als von üppigem Familien­ reichtum berichtet wird. Zu welcher Zeit das Geschlecht des „Reichen Heintzen“ in Nürnberg ansässig wurde oder woher es zuwanderte, verrät bisher keine Quelle. Man begegnet der Annahme, die Vorfahren des „Großen Heintzen“-seien auf dem „Gehürg“ ansässig gewesen und von da aus nach Nürnberg ge­ kommen — eine recht verlockende Darstellung. Denn einerseits weiß der Nürnberger Chronist Meisterlin “) von ihren vielen Schlössern und Dörfern „an dem Gebirg“ zu berichten und zum andern liegt in dem darunter verstandenen Ritterschaftsbezirk17) zwischen Main, Regnitz und Pegnitz das Stammschloß der Ritter Groß von Trockau18). Trotzdem darf man dieser Ansicht schwerlich beitreten, so verlockend sie auch durch die für die Nürnberger Patrizier Groß gleichfalls naheliegende Ritterbüttigkeit1#) erscheinen mag. Meisterlin gilt zudem als sehr unzuverläs­ sige Quelle; abgesehen davon aber spricht die völlige Verschiedenheit der beiderseitigen Familienwappen gegen jeden genealogischen Zusammen-

86 hang. Das Geschlecht der Groß, das läßt sich mit Sicherheit sagen, ist jedenfalls schon in der frühesten städtischen Zeit in Nürnberg ansässig geworden. Denn für diese Epoche ist nicht nur ihr Name mit der Stadt­ geschichte unzertrennbar verbunden, sondern es ist auch Konrad Groß, dei bedeutendste Familienvertreter, als ihre erste geschichtlich greifbare Gestalt überhaupt zu betrachten. Für zeitgenössische Vorstellungen scheint die Herkunft dieser Patrizierfamilie überhaupt keine Frage zu bil­ den. Auch die Urkunden20) sehen die Große ohne weiteres als voll­ wertige Nürnberger Bürger an. Das älteste Mitgliederverzeichnis21) des in Nürnberg regierenden Rates vom 28. September 1332 verzeichnet den Namen Conradus Grozzus. Hieraus ergibt sich ein unwiderleglicher Be­ weis für dessen bürgerliche Stellung sowie für das hohe Alter seines Ge­ schlechtes. Der Zutritt zum kleinen Rate stand nur Bürgern offen und selbst unter diesen nur Angehörigen der ältesten Geschlechter. 2. Konrad Groß im Spiegel seines öffentlichen Wirkens.

Konrad Groß22), der seine Lebensaufgabe so ausschließlich im Dienste an Mit- und Umwelt erblickte und durchaus jenseitig orientiert war, ver­ dient auf seine Charakterzüge näher untersucht zu werden. Freilich liegen Aufzeichnungen hierüber ebensowenig vor wie etwa über seine Jugend­ zeit oder den Bildungsgang, den er hinter sich hatte. Lediglich durch seine Stiftungen, durch das in der Oeffentlichkeit entfaltete Wirken oder durch seine Beziehungen zu Gott und Mensch erhält das individuelle Da­ sein bei ihm Licht und Farbe. Er hatte schon, bevor ihm durch Kaiser Ludwig das Reichsschultheißenamt in Nürnberg versetzt worden war, allgemeine Achtung und öffentliches Vertrauen genossen. So sehen wir ihn bereits anfangs des 14. Jahrhunderts Bürgschaften leisten oder schon bald als Zeuge”) und Siegler24) auftreten. Bereits 1319 führte ihn seine Tüchtigkeit in den Nürnberger Rat, dem er mindestens 1332 angehörte“). Hier hatte er fortan planmäßig und verschiedenartig teil an der Ge­ staltung der Geschicke seiner Vaterstadt. Er betreut außerdem als Pfleger20) das Katharinenkloster zu Nürnberg oder begegnet als Währschaftsbürge27) bei einem Güterverkauf an das Nürnberger Klarakloster. Auch Beziehungen zum burggräflichen Landrichter Johann von Vesten­ berg28), der sicherlich ein Verwandter der Sophie von Vestenberg — der Mutter des Konrad Groß — war, werden offenkundig. In späteren Jahren, jedoch immer noch vor Uebernahme des Schultheißenamtes, ist er ge­ betener Mitsiegler,0) bei einer Quittung oder — und das ist gleichsam die Vorstufe seiner hauptamtlichen Lebensstellung als Schultheiß — er

87 wirkt bereits als Beauftragter Kaiser Ludwigs am Hofgericht ”) zu Wendelstein. Noch unmittelbar vor der Uebernahme des kaiserlichen Schultheißenamtes in Nürnberg wurde Konrad Groß bei einem Entscheid wegen eines Zehntrechtes als Schiedsrichter31) beigezogen und lange Jahre darnach ist er wiederum zu dem nämlichen Zweck zugegen, als es galt, einen um die Stauhöhe eines Weihers entbrannten Streit zu schlich­ ten "). Klares Rechtsempfinden **), unverbrüchliche Treue M) und nicht zu­ letzt tiefinneres Christentum sind in seinem Charakterbild mit die färb-, kräftigsten Züge. Man darf sagen, sein ganzes Leben mündet zurück in die Verbundenheit mit dem christlichen Glauben; dieser gab seinem Da­ sein den letzten Inhalt und den tiefsten Sinn. Er lebt förmlich aus ihm und für ihn. Die Zeugnisse hierüber sind nicht minder deutlich als man­ nigfaltig. Um die Verankerung religiösen Geistes im Nürnberger Land weiter zu kräftigen, um Christi Lehre daselbst lebens- und blütefähig zu machen, gründete er in Nürnberg unter Mithilfe der ehemaligen Gräfin Kunigunde von Orlamünde das Zisterzienserinnenkloster Himmelthron und unter Mitwirkung Kaiser Ludwigs die Einsiedelei Pillenreuth bei Nürnberg. Beide Stiftungen wurden ihren edlen Aufgaben entsprechend Heimstätten gepflegten Christentums. Wenn es galt, soziale Hilfe zu leisten, war für Konrad Groß kein Opfer zu hoch. Mit allem Reichtum wird das „Neue Spital zum Heiligen Geist“ in Nürnberg ausgestattet; Kaiser Ludwig äußert sich geradezu erstaunt hierüber “). So segensvoll sich dieses Spital auch auswirkte, so unaufdringlich be­ kannte Konrad Groß gelegentlich, er habe es „durch got“ gestiftet. Für diese bescheidene Art liegen noch mehrere Zeugnisse vor*'). Geräusch­ volles Hervortreten vermied er stets, und Würden und Erfolge im Leben vermochten das ihn adelnde hochherzige Menschentum nicht zu ver­ drängen, das man auch außerhalb Nürnbergs — in Kitzingen am Main ”) und wohl auch im Kloster Ebrach58) — wohltuend verspürte. Der andern Not ließ er stets seine Sorge sein. Unter Hintansetzung aller übrigen Ab­ sichten ging er darin auf, den vom Glücke weniger Begünstigten das Leben zu erleichtern. Das war Leitmotiv bei Errichtung des HeiliggeistSpitals, bei jedweder von ihm ausgegangenen karitativen Schöpfung überhaupt. Für alle Zukunft müsse dieser Charakter des HeiliggeistSpitals unverändert bleiben. Als die Anstalt in die Hände der Stadt über­ ging, ließ sich Groß von der Bürgerschaft eigens ein eidliches Gelöbnis hierüber geben5’). Bei gleicher Gelegenheit kommt die ausgeprägte reli­ giöse Note4’) seines Charakters wiederum stark zum Durchbruch. Zu den Verpflichtungen, welche die Bürger auf sich nehmen, gehörte die

88 Garantie für alle gestifteten Seelengottesdienste im Spital. Hier hatte nämlich Korirad Groß, seiner christlichen Grundanschauung entsprechend, mehrere Gottesdienste41) angeordnet. Sie sollten seinem und seiner Familie Seelenfrieden dienen, zum andern aber auch den im Spital Ver­ storbenen oder frommen Wohltätern der Stiftung zugewendet werden. Trotz einem an sich frommen und untadeligen Lebenswandel wurde Konrad Groß, vielfach auf besonderes Ersuchen, in die Gebetsbruder­ schaften zahlreicher Klöster“) aufgenommen. Möglicherweise haben ihn Gewissensqualen dazu getrieben, da er sich dem gebannten Kaiser Ludwig nie versagt hatte und somit dem Kirchenfluch ebenso verfallen war wie beispielsweise Aebtissin und Konvent von St. Klara zu Nürn­ berg"). Nicht so ideal eingestellt wie Konrad Groß waren seine Söhne. Mit den väterlichen Stiftungen unzufrieden, begehrten sie Anteil an sei­ nen Aemtern. Durch Entscheid eines Schiedsgerichts kam am 20. Dezem­ ber 1349 folgender Vergleich zustande44): Die Söhne erhielten Gericht, Zoll und Münze gegen eine jährliche Abfindungssumme von 300 Pfund Haller, die dem Vater zu entrichten war; letzterer behielt den „Bann“, bestehend aus Polizeigewalt mit Kriminaljustiz und die Naturalbezüge (Weisat). Für Konrad Groß mag dieser Familienzwist zu den schmerz­ lichsten Erlebnissen gezählt haben, zumal seine Söhne sich schon 1343 ") verpflichtet hatten, die das Heiliggeist-Spital betreffenden väterlichen An­ ordnungen und die zu dieser Anstalt gemachten Schenkungen anzuerken­ nen und zu fördern. Das Verhältnis des Konrad Groß zu seinen Geschwi­ stern blieb ungetrübt, wie män annehmen kann. Philipp war ihm, wie es scheint, der liebste Bruder. In privaten Rechtshandlungen wählte er ihn öfters als Zeugen und nannte ihn auch gelegentlich seinen „lieben Bruder“"). Des weiteren war Philipp der einzige Familienvertreter unter den vier Testamentsvollstreckern47) des Konrad Groß. Lediglich dessen ältester Sohn Heinrich war als Ersatzmann in Aussicht genommen. Bei Gräfin Kunigunde von Orlamünde stand er ähnlich hoch in Ansehen wie bei den vielen anderen Persönlichkeiten, zu denen er in Beziehung ge­ treten war, und genoß ihr vollstes Zutrauen. Sie stellte 5000 Pfund Haller zur Errichtung des Zisterzienserinnenklosters Himmelthron im Heilig­ geist-Spital bereit und übertrug sozusagen Bauleitung und Klosterorgani­ sation an Konrad Groß (ausrichter vnd volfurer). Würde er aber vor­ zeitig sterben, so sollten Philipp und Heinrich Groß die Aufgaben des Bruders bzw. Vaters vollziehen48). Dem Komtur Popp von Henne­ berg des Deutschen Hauses zu Nürnberg und der Aebtissin Adelheid vom Kloster Himmelthron gilt der fromme Schultheiß als „weiser

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Mann“49) und dem Abt vom fernen Morimund (Oberelsaß) als ehrwürdig (venerabilis vir)50). Als letzter Wesenszug sei noch seine Heimatliebe festgehalten. Konrad Groß war am 10. Mai 1356 zu Bamberg verschieden, ließ sich aber in Nürnberg, und zwar in der mit dem Heiliggeist-Spital verbundenen Kirche, besetzen. Hier bezeichnet ein rotes Sandstein­ grabmal mit seinem Bildnis die letzte Ruhestätte des hochverdienten Patriziers 51). 3. Kaiser Ludwig und seine Beziehungen zu Nürnberg und zu Konrad Groß; ihre Auswirkungen für die Stadt und Konrad Groß.

a) Verleihung des Reichsschultheißenamtes in Nürnberg an Konrad Groß. Den großen Rathaussaal in Nürnberg ziert sehr repräsentativ und Generation um Generation zu besinnlicher Erinnerung mahnend das Steinbildwerk des im vollen Ornate auf dem Throne sitzenden Kaisers Ludwig des Bayern. Rein äußerlich wird dadurch schon auf eine Be­ sonderheit verwiesen, auf den Vorzug, den diese Fürstengestalt gegen­ über Thronvorgängern und Nachfolgern in Nürnberg besonders hervor­ ragender Förderung wegen genossen hat52). Denn unzweifelhaft haben sich seit der Mitte des 11. Jahrhunderts, da diese Stadt zum erstenmal geschichtlich sichtbar wird, auch andere Könige besondere Verdienste um Nürnberg erworben. Wir sprechen nicht von einer mutmaßlichen Gründung durch Konrad II. oder Heinrich III., sondern merken nur an, daß in der Salierzeit dank der Gewogenheit Heinrichs III. die Stadt mit dem Marktrecht ausgestattet wurde, auf das sich die ältesten Wurzeln ihrer späteren Größe und Wohlhabenheit zurückführen lassen. Unter Barba­ rossa wuchs dann eine neue Kaiserburg heran und Friedrich II. schenkte der Reichsstadt den großen Freiheitsbrief von 1219, Fridericiana ge­ nannt, für Nürnberg eine der bedeutendsten und folgenreichsten Kaiser­ taten. Der Hohenstaufenherrscher hatte nämlich deshalb, weil von der Natur die Aufstiegsmöglichkeiten53), mit denen Weingegenden oder Hafenstädte gesegnet sind, den Nürnbergern vorenthalten blieben, durch bewußte Gewährung einzigartiger Zollerleichterungen der Stadt erst die wirtschaftliche Lebensfähigkeit geschaffen. Denn dadurch war so recht erst ihr Handel in Fluß gebracht, waren ihre Gewerbeerzeugnisse einer weitverzweigten Verbreitung zugeführt, ihrem Erwerbsleben durch Jahr­ hunderte hindurch die Wege gezeigt worden. Auch politisch und staats­ rechtlich gesehen können die Folgen der Fridericiana kaum überschätzt

90 werden. Nürnberg hatte damit auch gleichzeitig ReichsunmittelbarkeitM) erhalten, die u. a. die Möglichkeit des selbständigen Abschlusses von Bündnissen und Handelsverträgen zur Folge hatte, von der die Nürn­ berger Mitte des 13. Jahrhunderts auch Gebrauch machten. Hand in Hand war mit dieser Entwicklung verbunden das Wachsen bürgerlichen Selbst­ gefühls und städtischer Unternehmungslust. Schließlich: Heinrichs VII. Vertrauen zur Nürnberger Bürgerschaft übergab der Stadt die Obhut der Kaiserburg für die jeweils zwischen einer Thronerledigung und der darauffolgenden Neuwahl liegende Zeitspanne. Gewiß auch das ein Pri­ vileg, das sich würdig in den Rahmen des von den königlichen Vor­ gängern Gewährten fügt. Allein für keinen dieser Fürsten fand dankbarer Nürnberger Bürgersinn eine so vornehme Ehrung wie für Ludwig den Bayern. Unverdient war sie ihm nicht zuteil geworden. Denn „keinem Kaiser hatte die Stadt soviel zu verdanken“ “). Nicht Zufall war es, wenn ihr Ludwig im höchsten Grade seine Huld schenkte. Bei der Doppelwahl von 1314 traten Nürnberg und der Hohenzollersche Burggraf Friedrich IV. ohne Zögern für den Wittelsbacher ein. Dem Burggrafen und seiner Kampfestaktik hatte Ludwig nach dem unheilvollen* acht Jahre aus­ füllenden Thronstreite zum guten Teil auch den Sieg bei Mühldorf (1322) über den Thronrivalen Friedrich den Schönen zu verdanken. Und weiter­ hin wich der Hohenzoller, der- zur Belohnung den ehrenhaften Namen „Retter des Reiches“ erhielt, zeitlebens nicht mehr von Ludwigs Seite; er zählte zu dessen Vertrauten und Rom sah ihn als solchen 1328 auch unter den an der Krönungsfeier teilnehmenden fürstlichen Gästen. Die Stadt Nürnberg empfing schon wenige Monate nach der zwiespältigen Königswahl vom Oktober 1314 — sozusagen als Belohnung für ihre ent­ schlossene Haltung in den sich anreihenden Kriegswirren — wichtige und zweifelsohne königliche Gunst verratende Erweiterungen ihrer Befug­ nisse. Eine Urkunde6*) von 1315 (Januar 5) sichert die Bürger für Zivil­ fälle gegen Vorladungen vor das kaiserliche Hofgericht. Im nämlichen Jahre (1315 Mai 30) gesteht Ludwig für die Dauer einer Thronerledigung den Nürnbergern das Recht zu, das Landgericht, an dessen Spitze für gewöhnlich der Vogt stand, mit dem Schultheißen als Richter zu besetzen. Das Wirtschaftsleben erfuhr einen nicht geringen Auftrieb durch die Ver­ leihung eines freien, 14 Tage nach Ostern beginnenden und jeweils vier Wochen währenden Marktes (1318)57). Die stets kraftvoll lebendige Ten­ denz des Rates, seine Selbständigkeit zu erweitern, kam dann im Jahre 1320 um ein gutes Stück diesem Ziele näher. Damals entzog der Kaiser dem Schultheißen den Blutbann und übertrug die hohe Gerichtsbarkeit

91 der Stadt. Ludwig hatte auf diese Art die Stütze, die er von Anfang an an Nürnberg hatte, noch verstärkt, ein Umstand, der in der Folgezeit für seine schweren Zerwürfnisse mit der Kurie von Bedeutung war. In dieser seiner Reichsstadt stand er auf festem Boden und darum konnte er von hier aus im Bewußtsein überlegenen Selbstgefühls den vom Papst Johann XXII. geforderten Thronverzicht mit der scharf akzentuierten Nürnberger Appellation beantworten. Und als der Papst dieser alle Zwei­ fel ausschließenden, schroffen Erklärung mit Bann und Interdikt ant­ wortete, wurden die Bande, die den König mit Nürnberg verknüpften, eher gefestigt als gelockert. Denn auch hier waren Papst und Frankreich als die eigentlichen Friedensstörer erkannt worden, und darum regte sich für Ludwig, der unverdient mit dem Kirchenfluch verfolgt wurde, teilneh­ mendes Mitgefühl. Diese Bürgerstimmung ist vielleicht der tiefste Grund für seine ausgesprochene Vorliebe zu Nürnberg. Von den bayerischen Städten abgesehen, verweilte er in keiner anderen Stadt so oft und so lange als in Nürnberg58). Nach H. Fleerwagen“) ist Ludwig der Bayer allein in seinen letzten 17 Regierungsjahren fast alljährlich in Nürn­ berg gewesen. Für seine Popularität ist dabei bezeichnend, daß er nur in Ausnahmefällen auf der Kaiserburg das Hoflager aufschlug, dafür zumeist bei einem Bürger der Stadt Quartier bezog. Wir finden ihn in Herberge bei Heinrich Weigel, bei Albrecht Ebner, in der Mehrzahl der Fälle jedoch bei Konrad Groß, dem damals reichsten Patrizier Nürnbergs. Am meisten wurde Nürnberg durch den Wittels­ bacher nach der handelspolitischen Seite hin gefördert. Weitgehende Zollprivilegien erweisen das. Mit München wird dabei de; Anfang gemacht, wohl in der vorherrschenden Absicht, eine dauerhafte Brücke auch zum bayerischen Herzogtum und seiner Residenzstadt zu schlagen. Ab 23. Juli 1323 können die Nürnberger Kaufmannszüge Mün­ chen passieren, ohne Zölle entrichten zu müssen. Umgekehrt genießen vom nämlichen Tage ab die Münchener in Nürnberg das gleiche Privileg. Das Jahr 1324 bringt den Nürnbergern Zollfreiheit in Friedberg. Hernach gilt auch für Nürnberg und Schwäbisch Gmünd wechselseitige Zollfreiheit. Wenn der Reichsstadt 1325 das Recht eingeräumt wurde, ungestraft Ritterburgen zu brechen, so war diese Maßnahme in erster Linie ein Schutz des Handels. Das gleiche Ziel erstrebte der kaiserliche Erlaß von 1344, der dem fränkischen Landfriedensbund und so auch der Stadt Nürn­ berg als dessen Mitglied80) Reichshilfe in Aussicht stellte. Die Städte­ freundlichkeit Ludwigs des Bayern, der große gleichbleibende durch­ laufende Zug im jähen Auf und Ab seiner das Steuer immer von neuem

92 herumreißenden Regierung kann an Nürnberg klar verdeutlicht werden. In den Jahren 1315 —1346, das ist nahezu die gesamte Regierungs­ zeit, spricht die Stadtgeschichte eine beredte Sprache kaiserlicher Ge­ wogenheit. Man darf sagen, für diese Epoche bildet sie die Signatur der Stadtentwicklung in Nürnberg. Ein Abklingen oder gar ein allmähliches Aufhören der Sympathien, die Ludwig für Nürnberg bekundete, ließe sich durch nichts bezeugen. Das genannte Landfriedensbündnis bestätigte er sogar „bis 2 Jahre nach seinem Tode“61). Weit entfernt, Privilegien früherer Könige oder Kaiser abzuschaffen, hatte er sie 1328 in ihrer Ge­ samtheit von Pisa aus bestätigt02). Seit 1331 sind die Nürnberger Bürger nachweislich von geistlicher Gerichtsbarkeit befreit, seit 1332 auch deren Ehehalten. Diese Maßnahme bedeutete eine Auflockerung der Bindungen an das Bistum Bamberg. Auch kennen wir Bestimmungen Ludwigs, in denen seine Sorge für die Erhaltung und Pflege des Nürnberger Forstes zum Ausdruck gebracht ist83). Von überragender Bedeutung für den wirtschaftlichen Aufstieg Nürnbergs ist vor allem die kaiserliche Ver­ günstigung, die sich das Monumentalgemälde Anselm Feuerbachs im Sitzungssaal des Nürnberger Handelsgerichtes zum Vorwurf nahm64): die Erteilung des Handelsprivilegs vom 12. September 1332, demzufolge Kaiser Ludwig der Stadt in 70 näher bezeichneten Orten Zollfreiheit schenkte. Dadurch entwickelte sich Nürnberg in der Folgezeit zum „Hauptstapelplatz des süddeutschen Handels“ 65). 1335 erläßt er den Nürnbergern in den Gebieten der von ihm versetzten Geleite jegliche Geld­ entrichtung für den ihnen zugesicherten Schutz. Noch weitere kaiser­ liche Verordnungen, die im Interesse der Nürnberger Stadtfinanzen er­ folgten, sind bekannt. Die Bürger von Prag müssen im Auftrag Kaiser Ludwigs von den Landvögten und Amtleuten solange aufgehalten werden, bis die Bürger von Nürnberg zu ihren Abgaben gekommen sind66). Im Jahre vor seinem Tode 67) (1346) ermächtigte er die Nürnberger zu Selbstschutzmaßnahmen, kraft deren sie die lästig gewordenen Zoll­ erhebungen der Venezianer vergelten durften. Mit Ludwigs Eingreifen zugunsten der Städte 68) hatte es freilich auch eine reale Bewandtnis. Selbst wenn seiner Regierung die endlosen Aus­ einandersetzungen mit der vielfach von Frankreich gesteiften Kurie er­ spart geblieben wären, hätte sie wohl trotzdem gekrankt am „Erbübel der deutschen Kaiser“69), an drückender Finanznot70). Daher mußte der Kaiser von vornherein am Aufblühen der Städte Interesse haben; schufen doch erst die Steuern, die sie entrichteten, für seine Unternehmungen die elementarsten Voraussetzungen. So gesehen, war Nürnberg also auch von

93 nicht zu unterschätzender Wichtigkeit. Die Reichssteuer, die es jährlich auf Martini entrichtete, belief sich auf 2000 Pfd. Haller71). Allein mit der Stcuerfrage ist das Wesentlichste an der Vorliebe des Kaisers für Nürn­ berg noch nicht berührt. Denn für den Fiskus hatte schließlich jede Reichsstadt ihre selbständige Bedeutung und jeder Steuerausfall war einer Beeinträchtigung der Aktionsfähigkeit des Reiches gleich zu achten. Was der Reichsstadt Nürnberg das besondere Wohlwollen Kaiser Ludwigs erworben und erhalten hat, war in der Hauptsache durch andere Um­ stände bedingt. An der unwandelbaren Treue dieser Stadt hatte er in den vielbewegten Zeiten des Thronstreites und im Kampf gegen die kalte Unerbittlichkeit des Papsttums einen ehernen Pfeiler gefunden, der für seinen moralischen Rückhalt zu einer unversieglichen Kraftquelle wurde. Außerdem war mindestens ein Jahrzehnt Burggraf Friedrich IV. Ludwigs bewährter Freund, der auch dem den König intim beratenden Kreis der „Heimlichen“ beizählte. Nach dessen im Jahre 1332 erfolgten Tode lassen sich erstmals Beziehungen zwischen Ludwig dem Bayern und dem reichen Nürnberger Patrizier Konrad Groß urkundlich72) fest­ stellen. Wenn auch bei Großens Ratszugehörigkeit schon vor dieser Z^it Begegnungen mit Kaiser Ludwig wahrscheinlich sind, so kann doch mit Grund angenommen werden, daß der Tod des Burggrafen zu einer Ver­ engerung dieser Beziehungen führte. Kaiser Ludwig wollte eben als Ersatz für den verstorbenen Burggrafen einen neuen Freund gewinnen* der sich in seiner vielbedrängten Regierung als zuverlässige Hilfe be­ währen würde und von dem in finanzieller Not zugleich Unterstützung zu erwarten war. Diese Hoffnungen erfüllten sich auch. Konrad Groß blieb ein aufrichtiger, unbeugsamer Anhänger und Helfer73) des Kaisers bis zu dessen plötzlichem Tode, wie umgekehrt auch Ludwig dem Nürnbeiger Patrizier seine auf höchste Achtung gegründete kaiserliche Huld zeitlebens nicht mehr entzog. Ein beiderseitiges Zusammenfinden auf ideeller und ethischer Grundlage, wurzelnd im gemeinsamen Sinn für Recht und Religion, wird Quelle und Trägerin ihrer Freundschafts­ beziehungen gewesen sein. Dem Gedanken, für die wohlwollende Hal­ tung des natürlich auch praktischer Erwägungen fähigen Kaisers seien profitliche Nebenabsichten, berechnende Realpolitik die stärkste Trieb­ feder gewesen, dürfte nicht zu breit Raum gegeben werden. Dagegen sprächen die überreichen Gunstbezeigungen Ludwigs des Bayern, also die Verleihung wichtiger Münzregale in Frankfurt sowie die Gewährung eines Teiles der in dieser Stadt fälligen Reichssteuer (s. S. 95 Anin. 91 und S. 109 Anm. 241), vor allem die in Anbetracht * der

94 schlechten Finanzlage eher zu reichlich als zu knapp bemessenen Entschädigungssummen für die Beherbergungen des Wittelsbachers durch Konrad Groß. Denn ihm läßt dieser Fürst ein Drittel der durch Bischof Hermann von Lichtenberg74) in dessen Diözese Würzburg erhobenen Judensteuer ”) überweisen. In einem späteren Falle wird die Gastlichkeit „des lieben Wirts“ (s. Anm. 34) entlohnt mit der dem Kaiser in Nürnberg zustehenden Reichssteuer in der Gesamthöhe von 2000 Pfd. Haller 7“). Um noch einen Beleg zu erbringen: Ludwig der Bayer macht den Nürnbergern zur Auflage, an den „reichen Konrad“ 1000 Pfd. der Reichssteuer77) für Beköstigung abzuführen. Solche Rückvergütungen verraten zuvörderst dankbare Hochherzigkeit unter anderen den Charak­ ter des Kaisers auszeichnenden Zügen. Für die Folgezeit gibt sich noch klarer die bevorzugte Behandlung zu erkennen, derer sich Konrad Groß dank der besonderen Gewogenheit Kaiser Ludwigs erfreuen durfte. Wäh­ rend frühere Kaiser78) bei ihren Aemterversetzungen an wohlhabende Nürnberger die Großsche Familie unberücksichtigt ließen, erinnert sich Ludwig, als er der herrschenden Geldnot durch Versetzung von Dör­ fern78) und königlichen Aemtern80) steuern mußte, seines fürsorglichen und zuverlässigen Gastgebers Konrad Groß, dem er seinerseits wiederum stets mit höchster Wertschätzung begegnet war. Ihm verpfändete er 1339 wegen „besonderer Treue“ (besunder triw)81) Schultheißenamt und Bann in Nürnberg nebst Zoll für 6000 Pfd. Haller. Dem Burggrafen waren damit die ihm seit 1323 wohl in Würdigung seiner Verdienste bei Mühl­ dorf verpfändeten Gefälle des Schultheißenamtes entzogen worden. An seiner Statt waren Konrad Groß und seine Erben in die Nutznießung dieses einträglichen Amtes eingetreten. Sie sollten es dem kaiserlichen Willen gemäß so lange verwalten, bis Ludwig oder seine Nachfolger im Reiche es auslösen würden. Auch sollten Rat und Bürgerschaft Groß und seine Amtserben schirmen und beschützen, ein Zusatz, der die aufrich­ tige Gesinnung des Kaisers verdeutlicht. Konrad Groß war über ein volles Jahrzehnt (s. S. 106) Reichsschultheiß. Er begegnet daher in den Nürn­ berger Urkunden sehr häufig, was für uns bedeutsam ist, soferne sie richterliche Tätigkeit als amtliche Hauptaufgabe eines damaligen Schult­ heißen offenbaren8i). Darüber hinaus erfüllte Konrad Groß als Schultheiß auch Missionen, deren Uebertragung er überwiegend dem ihm als Privat­ mann vom Kaiser entgegengebrachten Vertrauen verdankte und die in besonderen Fällen eine grundsätzliche Kompetenzerweiterung des Nürnbei ger Reichsschultheißenamtes nach sich ziehen konnten. So mußte er beispielsweise im Aufträge Ludwigs des Bayern auf Grund eidlicher Aus-

— 95 — sagen zuverlässiger Personen die Frage prüfen, ob zu Leinburg jemals durch einen König oder Kaiser ein ordentliches Gericht geschaffen wor­ den sei. Als sich hierfür keine Belege ergaben, sondern nur eine an­ gemaßte Gerichtsbarkeit offenbar wurde, erfolgte deren Beseitigung, worauf die Leinburger für die Zukunft der Jurisdiktion des Reichsschult­ heißen in Nürnberg unterstellt wurden “). Eine Vergrößerung seiner Amtsobliegenheiten bedeutete auch Ludwigs verbriefte Zusicherung für das Dominikanerinnenkloster Engelthal84), wonach dessen Leute vor kein anderes weltliches Gericht als das Schultheißengericht zu Nürnberg zitiert werden konnten. Freilich wird auf der anderen Seite dafür dem Schult­ heißen auch zur Pflicht gemacht, das Kloster in Pflege und Schutz zu nehmen “), wie ihm auch schon durch kaiserlichen Auftrag das Schotten­ kloster in Nürnberg zu schirmen anbefohlen worden war **). Nach Uebernahme des Reichsschultheißenamtes wurde Konrad Groß wiederholt87) der vertrauensvolle Auftrag, die auf Nürnberg treffenden 2000 Pfd. Haller gewöhnlicher Reichssteuer einzuheben8e). Einmal kassiert er für den Kaiser sogar die Steuer, welche die Rothenburger89) dem Reich zu entrichten hatten. Wenn einmal der Markgraf von Meißen, der Sohn Kaiser Ludwigs, die Nürn­ berger Stadtsteuer erhob80), so könnte das vielleicht aus Gründen der ein­ fachsten und raschesten Erledigung geschehen sein. Um diese Zeit (1346) war es nämlich mit Ludwigs Finanzen besonders schlecht bestellt. Er war genötigt, königliche Aemter und Gerechtsame im großen Stile“) zu vei setzen, um wieder Geld in die Reichskassen zu bekommen. b) Gründung des Nürnberger Heiliggeist-Spitals durch Konrad Groß. Das Freundschaftsverhältnis, das Kaiser Ludwig und Konrad Groß verband, war nicht allein für Groß, sondern auch mittelbar für die Stadt­ gemeinde Nürnberg von reichem Segen, zunächst für das in der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts entstandene Heiliggeist-Spital. Die Krankenund Armenpflege war bis dahin fast ausschließlich in geistlichen Händen gelegen“). Allein den Verhältnissen, die der einsetzende Handel und die damit in Zusammenhang stehende Verdichtung des Verkehrs mit sich brachten, besonders aber den durch eine entsprechende Zunahme der Be­ völkerung erforderlichen sanitären und sozialen Bedürfnissen konnten die vorhandenen Pflegeanstalten nicht mehr genügen. Mit zunehmender Dringlichkeit stellte sich das Bedürfnis nach einem umfassenden Spital­ neubau ein. Konrad Groß begegnete damals den Mißständen durch die

96 Gründung des Heiliggeist-Spitals an der Pegnitz, das heute als „ein Stück ewiges Nürnberg“ **) empfunden wird. Zur Verwirklichung seiner Ncubaupläne erhielt er auf seine Bitte vom Nürnberger Burggrafen Friedrich IV. eine Wiese auf der Westhälfte der Insel Schütt zwischen dem ehemaligen Malertor am Ausgang der Ebnersgasse und der Peg­ nitz’4). Der Burggraf gewährte also ungesäumt seine Hilfe zum Gelingen des karitativen Bauvorhabens, und dies um so williger, als ihm Konrad Groß manche „liebe Dienste“ erwiesen hatte. Gleichzeitig aber wollte der Hobenzollernfürst,. dem Geist der Zeit entsprechend, sich Verdienste für sein Seelenheil erwerben. Er überließ nämlich die Wiese als Seel­ gerät’5) für sich und seine Vorfahren. Im übrigen wollte er nur einem edlen Zwecke dienen und enthielt sich jeder Einflußnahme auf die weitere Gestaltung des Spitalbaues. Konrad Groß darf das Gebäude bauen, wie er will, „klein oder groz, weit oder lank“. Die Größenverhältnisse, für die sich der hochherzige Stifter entschied, waren für das Nürnberg des 14. Jahrhunderts außergewöhnlich. Die Bürgerschaft der Stadt konnte darüber um so froher sein, als der Bau von einem Manne ausging, der die Achtung und den besonderen Schutz”) Kaiser Ludwigs genoß. Be­ nannt wurde die Spitalanstalt wie gelegentlich auch Schwesterinstitute in anderen Städten nach dem Hl.Geist’7), dem Tröster hilfesuchender Kranker. Ihre Entstehungszeit umschließt die Jahre 1332 bis 1339. Zu Be­ ginn der Bauzeit war Konrad Groß Mitglied des Rates, ein Umstand, der die Bauarbeiten beschleunigt haben mag. Interessiert an der 'Beseiti­ gung der hygienischen Unzulänglichkeiten im Gebiet seiner Reichsstadt Nürnberg verfolgte Kaiser Ludwig wohlwollend das Heranwachsen des Spitalgebäudes und verlieh der Anstalt schon drei Jahre, bevor sie ihrer Bestimmung übergeben wurde, in Rücksicht auf ihre „Notdurft“ mit Ein­ willigung des Markgrafen Ludwig von Brandenburg und des Bayern­ herzogs Stephan den Kirchensatz der in der Diözese Eichstätt gelegenen Pfarre zu Bechtal”). Nach Vollendung des Spitalbaues ließ Konrad Groß durch den kaiserlichen Notar Herdegen die Stiftungsurkunde”) aus­ fertigen, zu deren Ausstellung selbst Geistliche aus Frankreich und Italien beigezogen wurden 10°). Das „Neue Spital“101), wie die Gründung des Konrad Groß im Gegensatz zum älteren Elisabethenspital auch genannt wird, bestand aus dem Spitalgebäude, der Kapelle und dem Kirchhof, der allerdings seinem Zwecke nur etwa bis 1520 1M) diente. Heute ist er um­ gewandelt in einen freien Platz, auf dem das Hans-Sachs-Denkmal sich erhebt. Der Spitaltrakt, der auf zwei Schwibbögen die Pegnitz über­ springt, bestand zu Lebzeiten1”) des Spitalgründers noch nicht. Seine

97 Bauzeit fällt in die Jahre 1487 bis 1527 (s. S. 107 Anm» 218). Wie jede derartige Stiftung erwarb auch das Heiliggeist-Spital schon frühzeitig reichlich Grund und Boden. Vornehmlich in Simonshofen104) bei Lauf a. d. Pegnitz gewann es eine Mehrzahl von Besitzungen. Wesen und Aufgaben des Spitals umreißt der Stiftungsbrief, den Konrad Groß am 13. Januar 1339 nach Fertigstellung des geräumigen Spitalgebäudes ausstellen ließ. Das „Neue Spital“ war in erster Linie Siechkobel105) und ein Verpflegungshaus „ad interim“ für Arme und Pilger, insbesondere auch Zufluchtstätte für mittellose Wöchnerinnen, die darin ihre Niederkunft halten konnten ,0°), später außerdem eine Pfründner­ anstalt für die Pflege alternder und absterbender Kranker (senectus ipsa morbus est). Für die Sinnesart des menschenfreundlichen Gründers be­ zeichnend und besonders beachtenswert sind folgende der Stiftungs­ urkunde zu entnehmende Tatsachen. Während sie sich über innere Ein­ richtung, Verpflegung und Aufnahmebedingungen kaum äußert107), be­ denkt sie um so eingehender das Seelenheil108) der Kranken und Ster­ benden. Nicht weniger als sechs Priestern 10°) oblag ihre geistliche Pflege. Einer von ihnen war ständiger, den andern Vorgesetzter Geistlicher (der oberst prister, der maister über di andern ist) uo). Er War „stabil“111) und unterstand nur dem Bischof von Bamberg, während die übrigen fünf (mobiles) unmittelbar durch die Spitalbehörde entlassen werden konnten. Auch für die Jugend war das Spital von Bedeutung. Nach dem Willen des Gründers wurden hier ständig zwölf bedürftige Knaben unentgeltlich von einem Schulmeister in den Elementarfächern unterrichtet110). Die Schüler wohnten in der Anstalt, wo der Spitalverwalter für ihren vollen Unterhalt sorgte. Eine Gegenleistung bestand nur in ihrer Heranziehung zum Gottesdienst in der dem Heiligen Geist geweihten Anstaltskirche. Mit dem Jahr 1526 trat für die Spitalschule eine Wende ein. Als damals bei St. Egidien durch Melanchthon das Nürnberger Gymnasium eingeweiht worden war, wurde der Unterrichtsbetrieb des Spitals dorthin verlegt, wiewohl die Schüler ihre alte Wohnung in der Stiftung des Konrad Groß beibehielten. So ist das Neue Spital auch mit der Geschichte der Ge­ lehrtenschulen Nürnbergs verknüpft. Wenige Jahre nach seiner Vollendung11S) unterstellte Konrad Groß das Heiliggeist-Spital der Schirmherrschaft der Stadt Nürnberg, die seit­ dem bis auf den heutigen Tag das Patronat über diese sozial hoch be­ deutsame Stiftung verwaltet. Fast gleichzeitig114) bestätigte auch Kaiser Ludwig erstmals Gründung und Privilegien des Spitals, für das er schon 1340 durch Verleihung einer Zeidelwiese Interesse bekundet hatte118).

98 Vier Jahre danach ue) läßt er auf Bitten seines treuen Anhängers Konrad Groß (sincere nobis dilectus) nochmals eine besonders feierliche Bestäti­ gung folgen. Veranlassung hiezu wird die inzwischen im Spital (fs. S. 108) durch Schwester Kunigunde, ehemalige Gräfin von Orlamünde117), mit einer Seelgerätstiftung von 5000 Pfd. Haller118) (s. S. 88) in Gemein­ schaft w#) mit Konrad Groß 1343 vollzogene Gründung120) des Zisterzienserinnenklosters Himmelthron121) gewesen sein. Bei der ihn auszeich­ nenden Genauigkeit wollte Konrad Groß wohl auch für sein um eine Frauenabtei erweitertes Heiliggeist-Spital gleichfalls die Bestätigung der höchsten Instanz des Reiches erwirken. Kaiser Ludwig erteilte diese nicht allein wegen der gemeinnützigen Bedeutung des Heiliggeist-Spitals für seine Reichsstadt Nürnberg oder aus bloßer Freundschaft zu Konrad Groß. Es entsprach auch seiner religiösen Grundanschauung, einer gott­ gefälligen Einrichtung, wie sie das Heiliggeist-Spital durch seine Liebes­ dienste am Nächsten versinnbildlichte, Hilfe zu schenken122). Erfüllt von der besten Wünschen für Spital und Kloster (incrementum suscipiant copiosum), gewährt er außerdem diesen Anstalten dieselben Nutzungs­ rechte an reichsstadteigenem Gut, wie sie der Nürnberger Bürgerschaft zustanden12S). Die Geistlichkeit stand dem Spital von vorneherein wohl­ wollend zur Seite. Bestand doch kein Zweifel an der Notwendigkeit der Stiftung, die als die erste bürgerliche Wohlfahrtseinrichtung Nürnbergs den rein kirchlichen Anstalten verwandten Charakters eine merkliche Entlastung bringen mußte. Andererseits war es kirchenrechtlich eine Not­ wendigkeit, daß die Stiftungsurkunde des Heiliggeist-Spitals vom Jahre 133!? mit der Genehmigung des Bamberger Bischofs Leupold von Egloffstein und des Sebalder Pfarrers Günther von Aufseß124) versehen wurde. In der Folgezeit fand das Spital die Anerkennung der höchsten kirch­ lichen Behörden. Bischof Friedrich von Bamberg bestätigte es 1345, und 1358 wurden seine Privilegien auch von Papst Innozenz VI. anerkannt125). Das Neue Spital durfte sich außerdem noch einer beachtlichen Anzahl einflußreicher Gönner erfreuen. Der Würzburger Bischof Otto von Wolfs­ kehl verlieh ihm das Patronatsrecht über die Pfarrei Herzogenaurach, die jährlich etwa 200 Goldgulden eintrug126). Von Avignon aus verkündeten Erzbischöfe und Bischöfe mehrmals bedeutsame Ablässe zugunsten des Heiliggeist-Spitals127). Der Komtur des Deutschen Hauses zu Nürnberg, Popp von Henneberg (Poppe von Hennenberch), begünstigte das Heilig­ geist-Spital 128) und Adelheid, Aebtissin des Klosters Himmelthron zu Gründlach, vermachte eben dieser Anstalt einige Güter 129). Mit welchem Recht das Heiliggeist-Spital „eine der allerbedeutendsten Wohltätigkeits-

99 Stiftungen der Welt130) genannt wird, zeigt schon die Tatsache, „daß diese einzige Nürnberger Stiftung im 18. Jahrhundert neben den Einkünften aus Kapitalvermögen usw. 691 Bauernhöfe in 157 Orten besaß“131). „Nach dem Willen von Konrad Groß sollten im Spital alljährlich bis zu 200 kranke und notleidende Bewohner Nürnbergs aufgenommen werden. Nürnberg hatte im 14. Jahrhundert höchstens 20 000 Einwohner. Die Tat des Konrad Groß entspricht, in die Gegenwart übertragen und unter Zu­ grundlegung der heutigen Einwohnerzahl Nürnbergs, der Erbauung einer Anstalt für 4000 hilfsbedürftige Volksgenossen und der entsprechenden Dotierung einer solchen Anstalt“ 132). Noch in unseren Tagen erweist sich das Heiliggeist-Spital als äußerst segensreich. Heute dient es der Stadt Nürnberg als eine allen neuzeit­ lichen Anforderungen entsprechende Pfründneranstalt. Es war somit ein Akt pietätvoller Dankbarkeit, vor Jahren durch eine Inschrift über dem Haupteingang dem edlen Gründer ein schlichtes Denkmal zu setzen und durch eine würdige Jubiläumsfeier im Sommer 1939 die Erinnerung an ihn und seine vor 600 Jahren erfolgte soziale Großtat von neuem zu beleben. c) Stiftungder KlausePillenreut durchKaiserLud wig undKonradGroß. Kaiser Ludwig sanktionierte, wie bereits gesagt, das Heiliggeist-Spital und die darin gegründete Zisterzienserinnenabtei Himmelthron. Am glei­ chen Tage133) bestätigte er die 1345 entstandene Einsiedelei (heremus) oder Klause beim Hofe (curia) Pillenreuth134), zwei Stunden südlich von Nürnberg im Reichswalde, innerhalb der Pfarrgrenzen von Altdorf. Kirch­ lich unterstand sie dem Bischof von Eichstätt, der sie 1345, wenig später als Kaiser Ludwig, anerkannte und die Klausnerinnen, die 1378 Augusti­ nei innen135) wurden, in seine Obhut nahm. Die Klause, die durch Nürn­ berg beschenkt und beschützt wurde, hing mit dieser Stadt von Anfang an geschichtlich auf das engste zusammen. Denn aufgenommen werden durften, genau wie bei den Klöstern innerhalb der Stadt, nur solche Frauen, die die ausdrückliche Erlaubnis des Nürnberger Rates dazu er­ hielten. Dies fand auch im Klosterwappen seinen Ausdruck. Es zeigt im roten Felde Maria mit dem Jesuskinde und ihr zu Füßen das Nürnbergische Wappen. Seit 1392 mußte sich das Kloster ohnehin noch ver­ pflichten, dem Rate in Nürnberg gehorsam zu sein138). Und als sich in­ folge des zweiten Markgrafenkrieges und der Reformation die Auf­ lösung des ansehnlichen Klosters vollzogen hatte, wurden dessen Güter

100 nebst denen des gleichfalls säkularisierten Klaraklosters in Nürnberg von eben diesem städtischen Rat gemeinsam verwaltettw). Ausgegangen war die Gründung gemeinsam vom Reichsschultheißen Konrad Groß und von Kaiser Ludwig. Groß schenkte138) einem Kreis1S*) weltmüder, asketischer Frauen für Errichtung der Einsiedelei seinen Zeidelhof in Pillenreuth mit den zwei Dörfern Herpersdorf und Worzel­ dorf im jetzigen Bezirksamte Schwabach, die er als Reichspfandschaften innehatte. Kaiser Ludwig vermehrte die Schenkung durch Ueberlassung der die Klause umgebenden Oertlichkeit und einer Wiese sowie durch das Recht der Benützung des anliegenden Reichswaldes; außerdem ver­ machte er der Klause die Dörfer Herpersdorf und Worzeldorf, welche ihr schon kraft Schenkungsurkunde des Konrad Groß als Pfandschaften zu­ gesprochen worden waren, zu freiem Eigentumti0). Wie bei der von ihm er­ richteten Benediktinerabtei Ettal beeinflußte der Kaiser auch die Bestim­ mungen, die für die Pillenreuter Klausnerinnen verbindlich wurden. Nach seinem Willen sollten sich hier 12 Frauen mit einer Meisterin an der Spitze zu frommem Leben zusammenfinden und sich für gottesdienstliche Verrich­ tungen zwei Weltgeistliche wählen. Welche Motive den Kaiser zur Mit­ beteiligung an der Ausstattung der Einsiedelei bewogen, beantwortet glaubwürdig eine Notiz, welche die Klausnerinnen selbst in ihr Salbuch schrieben. Es heißt darin, er sei von seiner Gemahlin und ihren Hofdamen zur Gründung der Klause St; Maria Schiedung141) in Pillenreuth ermahnt worden, um Sühne zu leisten für den durch seine Bannung bedingten Aus­ fall der vielen Gottesdienste. Geneigtheit hiezu war bei dem ohnehin schon fromm veranlagten Fürsten H2) hinreichend vorhanden, wie seine Klostergründungen14s) und klosterfreundlichen Maßnahmen144) deutlich zeigen. Damit verband sich aber eine ganz bestimmte Absicht: der für sein Seelenheil sorgende Exkommunizierte konnte sich durch kirchliche Gründungen am wirksamsten gegen den Verdacht der Irrgläubigkeit ver­ teidigen, dem das Papsttum aus machtpolitischen Gründen Nahrung zuzuführen bestrebt war. Konrad Groß handelte ausschließlich aus religiösen Motiven. Er hatte 1345 den Klausnerinnen seinen Zeidelhof in Pillenreuth als Seelgerät ge­ schenkt, damit nach seinem Tode für ihn gebetet werde. Die Bedeutung der waldumschlossenen Klause lag, im Einklang mit ihier Bestimmung, auf kirchlichem Gebiete. Sie war eine Pflegestätte frommen Glaubens und als solche für Klöster und Bevölkerung im Nürnbeiger Umland Vorbild.

101 d) Konrad Groß und die Nürnberger Stadtmauer; di e R e v o 1 u t i o n des Jah r e s 1 348 ; Karl IV. in den Bahnen Kaiser Ludwigs. Auch die Verdienste des Konrad Groß um die Befestigungsanlagen seiner Vaterstadt seien noch kurz zur Sprache gebracht. Im Laufe des Mittelalters errichtete, wie meist angenommen wird, Nürnberg 3 Festungs­ gürtel. Der erste war gegen Ende des 13. Jahrhunderts fertiggestellt worden, der letzte erreichte gegen Mitte des 15. Jahrhunderts (1452) seinen Abschluß, während die örtlich und zeitlich mittlere Stadtumwal­ lung in der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts angelegt wurde. Die trei­ bende Kraft für die Errichtung dieser letzteren Ummauerung war allem Anschein nach Konrad Groß: Seine Anregung hat wahrscheinlich das Ver­ dienst, die finanzielle Hilfe Ludwigs des Bayern hierfür sichergestellt zu haben. Denn der Wittelsbacher erlaubte der Stadt Nürnberg die Er­ hebung einer Getränkesteuer, die dazu dienen sollte, Maueranlagen und Türme nach dem Rate des Konrad Groß herzustellen145). Der Kaiser wußte um die Maßnahmen, die der Schultheiß zur Befestigung der Reichs­ stadt ergreifen wollte, und hatte seine Hand zu ihrer Verwirklichung geboten. Der plötzliche Tod Ludwigs des Bayern (11. Oktober 1347) rief bei seinen vielen Anhängern im Reiche tiefe Erschütterung und warme An­ teilnahme hervor. Nur zu begreiflich, wenn sein Ableben auch allent­ halben in Nürnberg, das sich unter ihm einer unverändert gebliebenen huldreichen Fürsorge erfreute, in besonderem Maße schmerzliches Be­ dauern auslöste. Hatte die Erhebung Karls von Mähren zum Gegenkönig Kaiser Ludwigs schon Verstimmung und Gereiztheit bei der gewerbe­ treibenden Bevölkerung Nürnbergs hervorgerufen, so steigerte vollends Ludwigs Tod die längst schon gärenden sozialen Gegensätze zwischen den regierenden Geschlechtern und den an der Stadtverwaltung Anteil fordernden Handwerkern im Sommer 1348 zu revolutionären Unruhen. In ihrem Verlauf wurde u. a. der amtierende Patrizierrat abgesetzt und vertrieben. Auch der Schultheiß Konrad Groß konnte sich in seinem Amte nicht mehr halten und entfloh nach Bamberg. Seine Funktionen hatte einer der wenigen Landadeligen, vielleicht der einzige, der mit den Empörern liebäugelte, an sich gerissen: Heinrich vom Berg145). Bei den Aufrührern handelte es sich nicht — das ist besonders fest­ zuhalten — um arbeitsscheue, rauflustige oder beutegierige Elemente, sondern um einen „sehr bedeutenden Kern zuverlässiger Männer“147).

102 Wenn sich also eine solche Schar dem Aufruhr zur Verfügung stellte, so darf man immerhin eine gewisse Berechtigung ihres Vorgehens ver­ muten. Nächst dem Bestreben, Anteil an der Stadtverwaltung zu er­ langen, war ihr Verhalten inspiriert von dem Gefühl einer Verbindlich­ keit gegenüber der durch Graf Günther von Schwarzburg repräsentierten bayerischen Partei. Der alte Rat hatte sich fast übereilig an Karl von Mähren angeschlossen. Die Handwerker waren mit dieser Parteinahme nicht einverstanden. Kaiser Ludwig war es ja gewesen, der ihnen das Recht einräumte, eigene Zech- und Trinkstuben zu führen. Die Nürn­ berger Werkleute und Kleinbürger wußten dafür Dank. Dies wird hin­ reichend bestätigt, wenn sie wegen ihrer Widerspenstigkeit gegen Karl mit der Acht verfolgt wurden. Allein die demokratische Bewegung mußte ihre Bestrebungen scheitern sehen, als Ludwig der Brandenburger, das Haupt der Wittelsbachischen Partei, Karl als König anerkannt und Gegenkönig Günther daraufhin auf die Krone verzichtet hatte. Damit war auch für den Nürnberger Handwerkerrat die letzte Stunde angebrochen. Die alte Ordnung kehrte wieder ein. Auch Konrad Groß kam nach Nürn­ berg zurück und nahm seine Tätigkeit als Schultheiß wieder auf. Karl IV. bestätigte 348) ihm am 3. Oktober 1349 das Schultheißenamt und den Zoll, und tags darauf ist er bereits wieder als amtierender Schultheiß urkund­ lich nachweisbar. Der neue König wünschte offenbar keinen anderen Rcichsschultheißen als den bewährten Konrad Groß, für den auch seine langjährige Amtserfahrung sprechen mußte. Auch sonst lenkte Karl ebenfalls in die Bahnen Kaiser Ludwigs ein, indem er gegenüber der Stadt Nürnberg die von bemerkenswerter Gunst getragene Politik des Wittelsbachers fortsetzte. Kaum hatten am 30. Oktober 1347 tfie Nürn­ berger durch Herzog Rudolf von Sachsen Kunde erhalten von seiner Wahl zum römischen König, als er schon am darauffolgenden Tag Schutz­ maßnahmen für den Nürnberger Reichsforst ergriff. Er schaffte die den Waldbestand dezimierenden Holz- und Kohlenrechte ab, gebot zur Herab­ minderung der Brandgefahr die Beseitigung der Glasöfen und untersagte den Pechscharrern die Ausübung ihres Gewerbes 149). Der 2. November 1347 bietet gleich mit mehreren Urkunden einen guten Beleg für die paiallel zu der seines Thronvorgängers orientierte Nürnberger Politik Karls IV. Ihr Inhalt besagt kurz folgendes: Die Burg darf nicht von der Stadt gesondert werden. Die Einwohnerschaft Nürnbergs braucht sich vor keinem anderen Richter zu verantworten als dem ihr vom Reiche aufgestellten Schultheißen; außerdem bekam sie die Hochgerichtsbarkeit über schädliche Leute gewährleistet. Des weiteren werden den Nürn-

103 beiger Kaufleuten die nämlichen Vergünstigungen eingeräumt, welche die Städte in Karls Erblanden, insbesondere die Bürger Prags, genießen. Selbst für Kriegszeiten noch wurde den Bürgern Nürnbergs eine be­ sonders entgegenkommende Behandlung seitens ihres Königs zugesichert. Einen unverkennbaren Anklang an Kaiser Ludwigs Politik bedeutet weiterhin die Errichtung des Landfriedens für Franken150), dem auch die Stadt Nürnberg und die Burggrafen Johann und Albrecht beizählten. Die Stadt mußte bei ihrem regen Handelsleben jede Förderung der öffent­ lichen Sicherheit freudig begrüßen161). Namentlich eine Urkunde aus der Frühzeit der Regierung *“) Karls IV. darf hier in diesem Zusammenhang nicht mit Stillschweigen übergangen werden. Sie erklärt alle zum Nach­ teil Nürnbergs ausgestellten Briefe für ungültig — ein hochwertiges Zeugnis königlicher Huld15’). Für Karl wurde von Kaiser Maximilian I., gewiß nicht schmeichelhaft, die Bezeichnung geprägt „Böhmens Vater, des Heiligen Römischen Reiches Erzstiefvater“. Nürnberg könnte dieser Anklage sicherlich nicht beipflichten. Weshalb aber wird sie gerade hier Lügen gestraft? Freilich hatte der neue König, wie die Regenten vor ihm, die geographische und strategische Bedeutung der Stadt nicht minder wie diese erkannt, wenn er in Nürnberg „die vornehmste und baßgelegenste Stadt des Reiches“ m) erblickt hatte. Aber das war kaum der einzige Grund für die nimmer­ müde Fürsorge, die er dieser fränkischen Reichsstadt zuwandte und die 1356 in jener Bestimmung der goldenen Bulle kulminierte, der zufolge jeder neugewählte deutsche König die Verpflichtung hatte, seinen ersten Reichstag in Nürnberg abzuhalten. Diese Politik mag auch durch Erfah­ rungen nahegelegt worden sein, wie sie Karl IV. in der Zeit seines Gegenkönigtums mit Nürnberg gemacht hatte. Er konnte die freudige Anhäng­ lichkeit, welche die Einwohnerschaft der Stadt für Kaiser Ludwig be­ kundet hatte, unmittelbar miterleben und bekam sie sogar hart zu spüren in dem Widerstande, der noch nach dem Tode des Wittelsbachers gegen sein eigenes Königtum aufgetreten war. Wollte er also an Nürnberg einen politischen Stützpunkt gewinnen, worüber sich nach dem eben Gesagten kein Zweifel erheben kann, so durfte er sich von den Bahnen seines Thronvorgängers nicht zu weit entfernen. So gesehen darf die Nürnbergische Politik Karls IV., durch welche die Stadt auf den Gipfel ihres Ruhmes erhoben worden war, als unmittelbare Folgeerscheinung der von Kaiser Ludwig mit reichem Nutzen eingeschlagenen Stadtpolitik gelten.

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4. Die Geschwister des Konrad Groß und seine Kinder. Jahrhundertelang haben die Große in der Nürnberger Geschichte füh­ rende Stellungen bekleidet. Schon ein flüchtiger Blick in das „PersonenVerzeichnis“ von Hegels „Chroniken der deutschen Städte“ zeigt dies deutlich. Hier ist u. a. ein Münzmeister Heinrich Groß aufgeführt oder ein Spitalmeister Peter Groß oder ein Niclas Groß, der 1450 städti­ scher Botschafter im Kriege gegen Albrecht Achilles von Brandenburg gewesen war, in Vertretung des Rates (a senatu deputatus)155) die mit dem Heiliggeist-Spital verbundene Schule zu überwachen hatte und sogar zum Losunger (1476 —1491) aufstieg. Oder es gibt sich — um den Blick von den „Chroniken“ wieder abzuwenden — in einer Urkunde156) des Burg­ grafen Friedrich ein Arnoldt Groß als Richter zu erkennen, wohl der näm­ liche Arnolt Groß, der 1337 als Zeuge157) in einem Vergleich erscheint. Das hohe Maß von Achtung und Vertrauen, das sonach offenbar wurde, blieb dem Geschlechte durch Generationen erhalten. Eine Familiengeschichte zu entwerfen, soll hier nicht unternommen werden. Wir beschränken üns daiauf, nur die Geschwister und Kinder des berühmten Konrad Groß in ihrer Verflechtung mit Nürnberg näher anzusehen. Von Konrads fünf Ge­ schwistern, teils, wie er selbst158), Kinder der Sophie von Vestenberg, teils der Gisela (Geisel) Eseler, der zweiten, 1339 noch lebenden 159) Ge­ mahlin seines Vaters, kommt zuvörderst Philipp Groß in Betracht. Seiner Fürsorge ist das 1340 am Salzmarkt vollendete Rathaus zu danken. Philipp war „Stadtbaumeister“, führte als solcher ein Ratssiegel und beauf­ sichtigte die Instandhaltung der städtischen Verkehrswege. Mit Vorliebe nennen ihn deshalb die Urkunden „Pfleger der Stege und Wege“ 16°). Sclbstgenügsam und heimatliebend, gab er zu wiederholten Malen nam­ haftere Geldspenden zur Verschönerung seiner Vaterstadt. Der ehe­ maligen Gräfin Kunigund von Orlamünde, von der wir im Zusammenhang mit dem Zisterzienser-Nonnenkloster Himmelthron im Heiliggeist-Spital hörten, war er freundschaftlicher Berater und Vertrauensmann, dem sie rechtlich bedeutsame Briefe161) in Verwahrung gab. Sehr häufig kommt Philipp Groß als Zeuge162) vor, mitunter im Schultheißengericht16S) seines Bruders Konrad. Friedrich von Castell, Kanonikus von Bamberg und Würzburg und Pfarrer von St. Sebald in Nürnberg, bedient sich seiner als Treuhänder und rühmt seine Klugheit164). Zur Beilegung von Strei­ tigkeiten war Philipp Groß als Schiedsrichter165) zugegen. Weiteren Quellennachrichten zufolge war er in einem Falle Mitbetrauter168) einer Vormundschaft, ein andermal findet man ihn unter den Nürnberger „Ge­ nannten“ 16'0. Auch seine zweimalige Verheiratung mit Töchtern aus alten

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Patrizierfamilien ist bezeugt. Die erste Frau Elisabeth war eine geborene Pfinzing. Verschiedene Angehörige ihres Geschlechtes gelangten in Nürn­ berg zur Schultheißenwürde. Philipps zweite Gemahlin hieß Katharina188) und war eine Tochter des Heinrich Ortlieb lö9). Aus diesen Ehen stam­ men die Söhne Hermann 17°) und Heinrich171). In einer Urkunde des Land­ richters Konrad von Asch zu Nürnberg tritt uns ein Ulrich1 Groß172) als Richter zu Altdorf entgegen. Er ist wohl derjenige Ulrich, der als Sohn des „Grozenheintzen“173) eigens gekennzeichnet wird. Ein volles Halb­ jahrhundert sind Spuren von ihm zu erkennen. Bereits ausgangs des 13. Jahrhunderts174) sowie anfangs des 14.175) fungiert er als Zeuge und noch Mitte des 14. Jahrhunderts ist Ulrich Groß, genannt „Kästner“, Währschaftsbürge 176) bei einem Güterverkauf. Außer den Kindern, die wir bisher kennenlernten, hatte der alte Heinrich Groß, der Vater des Spitalstifters und Reichsschultheißen, auch eine Tochter Katharina, die der wohlhabende177) Konrad Waldstromeir ehelichte176), und die Söhne Heinrich und Bartholomäus. Heinrich hatte nach Angabe Lochners Anna179), Tochter des Schultheißen Berthold Pfinzing, zur Frau und führte, von seiner Wohnung am Milchmarkt her­ rührend, den Namenszusatz de foro lactis 18°). Bartholomäus Groß 181) wird in einer Reihe von Urkunden182) als Bruder des Philipp Groß genannt und genoß gleich diesem die Ehre, als Währschaftsbürge und Zeuge 168) be­ gehrt gewesen zu sein. Der Spitalstifter Konrad Groß besaß ebensoviele Kinder wie sein Vater gehabt hat, nämlich sechs, vier Söhne und zwei Töchter. Der Vorname seiner Gemahlin war Agnes 184), wie aus Jahresgedächtnisstiftungen er­ hellt 185). Die vier Söhne des Konrad Groß waren Friedrich 188), Heinrich 187), Leupold188) und Konrad1SJ). Friedrich starb schon in jungen Jahren, wäh­ rend die übrigen den Vater überlebten, später zu hohen Würden ge­ langten und mit Kaiser Karl IV. in Verbindung 19°) standen. Aus Dankbar­ keit gegen diesen gewährten sie der Stadt Sulzbach Zollfreiheit191). Heinrich Groß amtierte zu Lebzeiten seines Vaters als Münzmeister19*). Im Jahre 1356 erhielt er endgültig das Reichsschultheißenamt193), dessen Wesen und Aufgaben ihm von früheren Stellvertretungen194) her bereits geläufig sein mußten. Heinrichs Bruder Konrad stieg gleichfalls zur Würde eines Schultheißen195) empor. Die Frage, ob Leupold, der noch übrige Bruder, personenglejch ist mit jenem Leupold Groß, der um 1363 die Interessen der öffentlichen Sicherheit190) für die Stadt Nürnberg so ent­ schieden wahrnahm, läßt sich nicht mit Sicherheit bejahen.

106 Die Töchter des Spitalstifters Konrad Groß waren Margaretha und Anna. Erstere war mit dem Patrizier Heinrich Mennlein197), auch Mendel geheißen, vermählt. Aus dieser Ehe ging jener Konrad hervor, der, reich wie er war, 1380 die stattliche Karthause zu Nürnberg baute. Anscheinend hatte sich der fromme Sinn des Konrad Groß auf den Enkel vererbt. Anna Groß, dessen Tante also, war gleicherweise wie ihre Schwester ebenbürtig verheiratet; sie war Gattin jenes Heinrich Geuder, der von 1366 bis 1374 und nachher nochmals für längere Zeit kaiserlicher Schult­ heiß 198) in Nürnberg gewesen war. 5« Besitzstand der Familie Groß.

Wenn wir fürs Jahr 1276 erfahren199), daß Heinrich Groß, reicher Heinrich oder Heinz, wie er auch genannt wird, als Zeuge in einer burg­ gräflichen Urkunde auftritt, so hören wir 12 Jahre 200) später, daß dem nämlichen Heinrich Groß durch einen kaiserlichen Ministerialen Lehens­ güter eigentümlich überlassen werden. In der Folgezeit gewann das Patrizierhaus der Groß teils durch Grunderwerbungen, zum andern durch Bekleidung einträglicher Reichsämter beträchtliches Vermögen. In dieser Doppelstellung als Grundeigentümer und Reichsbeamte ist auch die Er­ klärung zu erblicken für die Ueberlegenheit der Große gegenüber anderen Niirnbergischen Geschlechtern. Im südlichen Reichswald201), dem Lorenzer Forst also, besaß die Familie ausgedehntes und sorgfältig be­ bautes Ackerland, das für sie erhebliche Renten abgeworfen haben muß. War doch der Grundbesitz so ertragreich, daß die Patrizier Groß eine eigene Mühle 202) am Sand bei Nürnberg betreiben konnten. Wenn sie von hier aus auch Kornverkäufe 203) tätigten, so beweist das neben einem Ge­ treideüberschuß auch die Teilhaberschaft am Handel Nürnbergs. Was die Hebung des Familienreichtums durch Verwaltung von Reichs­ ämtern anbelangt, so ist es der edle Spitalstifter Konrad, durch den der wesentlichste Besitzzuwachs erfolgte. Konrad Groß hatte über ein Jahr­ zehnt als kaiserlicher Beamter das Reichsschultheißenamt in Nürnberg und wahrscheinlich noch länger 204) Münze und Zoll in dieser Stadt inne. Dadurch wurde der Wohlstand seines Hauses zur vollsten Blüte geführt. Kaiser Ludwig machte ihn 1339 zum Schultheißen 205), womit allein schon ein an Einkünften reiches Amt in seine Hände gelegt gewesen wäre. So erhielt aber Konrad Groß gegen die dem Kaiser entrichtete Pfandsumme von 6000 Pfd. Haller neben dem Schultheißenamt in Nürn­ berg auch Bann und Zoll daselbst mit den Zugehörungen versetzt. Damit hatte er hinreichend Möglichkeiten, gatiz im Einklang mit dem kaiser-

107 liehen Willen — in der Versetzungsurkunde ist von „niezzen“ die Rede — aus dieser Dreiheit des Aemterbestandes lohnendsten Gewinn zu ziehen. Der nachfolgende Kaiser Karl IV. bestätigte 206) diese Uebertragungen wiederholt. Im einzelnen ergibt sich der Grundbesitz der Patrizier Groß, soweit er im Stadtbezirke gelegen ist, aus ihren Wohnhäusern daselbst sowie aus der karitativ bedeutsamen, durch Konrad Groß erfolgten Stiftung des Heiliggeist-Spitals an der Pegnitz. Ein Mitgliederverzeichnis des kleinen Rates aus dem Jahre 1319, das auch Konrad Groß zu den „Consules“ zählt, benennt ihn mit Conradus Dives iuxta pontem 207). Gemeint ist wohl die Fleischbrücke 208). Von hier aus weiter ostwärts bewohnte Schultheiß Konrad Groß wie auch schon sein Vater einen Hof 209), welcher nach den späteren Besitzern von Ploben Plobenhof genannt wurde. In der Nach­ barschaft 21°) des „reichen Konrad“ wohnten, soweit ersichtlich, Philipp Groß und Fritz Beheim und vorübergehend auch die Gebrüder Fritz und Albrecht Ebner, die das sogenannte Steinhaus211) innehatten. Konrads Bruder Philipp, der Baumeister, besaß an der Fleischbrücke, westlich des Plobenhofes, ein Anwesen nahe am Markt212). Das Heiliggeist-Spital wurde erbaut auf einem Grund, den Konrad Groß als Wiese213) zwischen dem Malertor214) und der Pegnitz durch Burggraf Friedrich IV. zugeeignet bekam. In dem hierüber in deutscher Sprache abgefaßten Bestätigungsbrief des Rates ist gesagt, daß das Neue Spital215) auf seinem „eigenen Grund“216) — gemeint ist das Areal des Schult­ heißen Konrad — errichtet wurde. Im übrigen wird in dieser Urkunde das Spital genau lokalisiert217). Wir entnehmen daraus, daß das Gebäude an der damaligen Stadtmauer seine Nordgrenze erreichte und im Süden am Pegnitzfluß218) eine natürliche Grenze hatte, während es ostwestwärts einerseits den Hauptstraßenabschnitt (Via publica) zwischen Malertor und Spitalbrücke, andererseits die eigenen Besitzungen des Stif­ ters berührte, die teilweise ursprüngliches Eigentum der Minderbrüder21°) gewesen waren. Dies im Zusammenhang mit dem über die Lage des Groß’schen Hofes Gehörten ermöglicht zu erkennen, daß vielleicht das ganze Gebiet 220) zwischen der Spital- und Museums-(Barfüßer-)brücke als Groß’sches Familieneigentum angesprochen werden darf. Auch noch oberhalb des Hciliggeist-Spitals hatte Konrad Groß ursprünglich Besitzungen221) an der Pegnitz, die teilweise sein Schwiegersohn Heinrich Mennlein um 400 Pfd. Haller erwarb.

108 Was die Hausgüter außerhalb des Nürnberger Weichbildes anbelarigt, so gibt sich deren eine ganz stattliche Anzahl zu erkennen. Dabei handelt es sich um keinen geschlossenen Güterkomplex, sondern zumeist um Grundstücke in der näheren und weiteren Umgebung von Nürnberg. Wir lernen sie beispielsweise aus Schenkungen kennen, die Konrad Groß dem Heiliggeist-Spital angedeihen ließ. Auf diese Weise ist außer derjenigen am Sand bei Nürnberg (S. 106) der Besitz einer weiteren Mühle in Schnaittaeh 22’2) zu erkennen sowie Güterbesitz in Farrnbach (Burgfarrnbach und Kirchfarrnbach, BA. Fürth), Bindheim (BA. Hilpoltstein), Obermembach (BA. Höchstadt a. Aisch), Hausheim (BA. Neumarkt), Haunstetten (BA. Eichstätt) und Aue (BA. Hilpoltstein) 223). Oder wir hören von Eigentum des Konrad Groß in Gründlach 224), wohin aus Raummangel das von Konrad Groß im Verein mit Gräfin Kunigund von Orlamünde 225) im22Ä) Spital zum Heiligen Geist zu Nürnberg gegründete 227) Zisterzienserinnenkloster Himmelthron wenige Jahre nach seiner Entstehung ver­ legt228) worden war. Das Augustinerinnenkloster Pillenreuth229), zu Unserer Frauen- oder St. Mariae Schiedung 23°) genannt, das Ludwig der Bayer bestätigte und mit besonderen Vorrechten ausstattete, ging aus dem wert­ vollen231) Hofe 232) Pillenreuth hervor, den Konrad samt Rechten und Zugehörungen einem Verein frommer Frauen geschenkt hatte. Die Dota­ tion begriff auch die Dörfer 233) Herpersdorf (Herbrechtsdorff, Hebresdorf) und Worzeldorf (Wutzelndorff, Woczelstorf) in sich, beide im Gebiet des heutigen B.A. Schwabach gelegen. Ritter Arnold von Seckendorff war ge­ halten, den Besitz dieser Ortschaften den geistlichen Frauen der Klause Pillenreuth zu garantieren 234). Folgende Urkunden, vielfach Rechtshandlungen registrierend, geben einen Einblick in die Besitzverhältnisse Konrads Groß im Nürnberger Umland, 1316 November 27 Güter zu Miiendorf und Weinesfeld (BA. Hilpolt­ stein). 1334 Juli 14 Wiesen, die zur Mühle am Sand gehören. 1335 März 7 Güter in Obermembach (B.A. Höchstadt a. d. Aisch), von Konrad Groß gekauft. 1335 März 12 Zwei Lehen zu Simonshofen samt Zubehörungen und Holzrecht. Konrad Groß veräußert sie um 120 Pfd. Haller. 1335 April 4 Konrad Groß hat einige Wiesen bei Nürnberg käuf­ lich erworben: so „di höfwisen an dem sande....

109 vnd die wisen in dem brüle halbe vnd die nidern wisen gegen den Stegen halbe---- “ Hier ist von einer Fürreut und von Aeckern beim 1336 April 20 Mistelberg bei Heroldsberg die Rede, mit denen Konrad Groß einen Tausch vornimmt. Eine burggräfliche . Urkunde erwähnt als Besitz 1339 Juli 21 Konrads: einen Weiher und eine Wiese zwischen dem Dorf Wöhrd und der Gleißmühl, ferner ein Fischwasser von Wöhrd bis zur Mühle unterhalb der Fleischbank. 1341 April 2 Gut und Hofstatt zu Ebenried, Gut zu Mörsdorf, Hofstatt zu Sindersdorf, Gut zu WetzelHhof (heutige Benennung nicht festzustellen), Acker bei Minbach (sämtliche im BA. Hilpoltstein). 1345 April 30 Die Dörfer Herpersdorf und Worzeldorf. Hof Pillenreuth samt Rechten und Zugehörungen; 1345 Juli 12 bereits S. 108 erwähnt. Güter im Amt Wendelstein: Die Dörfer Wendel­ 1351 Juni 28 stein, Nerreth, Dürrenhembach und Raubersried (sämtliche im BA. Schwabach); diese Dörfer ver­ kauft Konrad Groß an Arnold von Seckendorf. Wenn Konrad Groß obige Güter teils durch hohe Kaufsummen an sich brachte, wie den Zeidelhof 235) Pillenreuth um 200 Pfd. Haller, oder für den pfandweisen Besitz von Wendelstein, Herpersdorf und Worzeldorf 1000 Pfd. Haller2M) auslegen und eine ebenso hohe Summe für das Kloster Himmelthron stiften konnte oder dem von ihm schon „mit einer Jahres­ rente nach dem Wert von etwa 60 000 Reichsmark 237) gegründeten Heilig­ geist-Spital zu Nürnberg noch 874 Pfd. 238) Haller und fast gleichzeitig dem Zisterzienserkloster Ebrach 200 Pfd.238) spendete, so gestattet dies einen Schluß auf die Größe 21°) seines Vermögens. Ihm kam auch die Gewogen­ heit Ludwigs des Bayern nicht wenig zu statten; denn dieser war es, der ihm einen Teil341) der Frankfurter Reichssteuer überließ und ihn so­ wie Jakob Knoblouch, seinen „Wirt“ zu Frankfurt, in den ausschließ­ lichen Genuß des Privilegs setzte, zu Frankfurt Pfennige und Gulden zu schlagen 242), nachdem er ihm vorher schon die Münze der Haller24S) gleichfalls in Gemeinschaft mit Knoblouch gewährt hatte. Aber es hätte zur Haltung Konrads Groß nicht gestimmt, hätte er ängstlich darauf Be­ dacht genommen, seine immer stärker anschwellenden Geldbestände

110 ängstlich zu thesaurieren. Er wollte sie wieder nutzbringend verwerten und anderen damit zu Hilfe eilen, besonders dem schwergeprüften Kaiser Ludwig, dessen Finanzlage so sanierungsbedürftig war. So steht Konrad Groß denn auch in der Reihe derer, die an Kaiser Ludwig 6000 Pfd. Haller geliehen haben 244). Ein Beweis endlich für seinen Geldreichtum liegt in einer Verein­ barung, die das überschuldete Benediktinerinnen-Kloster 245) Kitzingen mit ihm trifft. Ihr zufolge entrichtet Konrad Groß der Abtei 3000 Pfd. Haller, während diese ihrn die Nutznießung ihrer meisten Klostergüter auf 14 Jahre als Gegenleistung einräumt. In Kitzingen war es auch, wo seine finanzielle Hilfe den Spitalneubau vom Jahre 1344 ermöglichte. Aber Konrad Groß war nicht der einzige seines Hauses, der mit Reich­ tum gesegnet war. Auch die übrigen Familienangehörigen verfügten über beachtlichen Besitz, wenn auch die Nachrichten darüber dürftiger sind. Philipp Groß, der Baumeister, war wohl begütert. Bescheidener nimmt sich der Besitzstand anderer Mitglieder dieses Patrizierhauses aus. Den­ noch sei auch seiner Erwähnung getan. Gisela, die zweite Gemahlin des älteren Heinrich Groß, hatte auf dem Wege des Kaufes in einem Falle ein Gut zu „Newenkirchen“ (Neunkirchen, BA. Lauf ?) 246) erworben, ein andermal eine Brotbank 247) zu Nürnberg. Ihr Sohn oder Stiefsohn Heinrich besaß bis 1298 eine Vogtei 248) zu Katzwang. Philipp Groß be­ sitzt beispielsweise Güter in Heroldsberg 249), hat den „Leubingeshof“ (Veldershof, BA. Lauf) 25°) samt Zugehörungen als freies Eigen inne oder erwirbt zwei Grundstücke am „hinteren Fischbach“201). Ein andermal ergeben sich Besitzungen von ihm aus der Veräußerung dreier Güter zu Haunoldshofen (BA. Ansbach) 252) an das Klarakloster in Nürnberg oder aus der Verleihung der Bank 253) unter „der oberen Brotlaube beim Hüter“ an einen Erhard von Heideck gegen festgelegte Zinsen. Letztere trat er ab teils für die im Abstand von je 3 Jahren vorzunehmende Erneuerung der Bilder bei der Frauentür bei St. Sebald, teils für das Steg- und Weg­ amt, dem die Restsumme zugedacht war. Auch ein Eigen 254) an der ehe­ maligen Zistelgasse (heute: Albrecht - Dürer - Straße) verkauft Philipp Groß. Die Urkunde, die das besagt, liefert dazu einen Beweis seines edlen Gemeinsinns. In ihr wird nämlich ein Geldbetrag erwähnt, den er zur jährlichen Ausbesserung des Brunnens in eben genannter Gasse bereitgestellt hat. Ueber Besitzungen weiterer Familienglieder haben wir gleichfalls urkundliche Aufschlüsse. Heinrich Groß, der Nachfolger seines Vaters im Reichsschultheißenamt, besaß ein Haus an der Füll 255), das er samt Zu-



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gehörungen verkaufte, und sein gleichnamiger Vetter, Philipps Sohn, erwarb einen Hof zu Büchenbach (BA. Schwabäch) 256). Ein weiterer Sohn Konrads Groß, Leupold mit Namen, vertauscht eine Hofstatt, „gelegen gen vnser frawen capeilen“, gegen eine solche im Gemeindeeigentum Nürn­ bergs stehende „an dez Zenners garten“ 257). Ganz die Söhne ihres Vaters, lassen es sich auch die Gebrüder Heinrich, Leupold und Konrad Groß nicht nehmen, ihrem Kaiser in Geld­ not beizuspringen. Ihr Vermögen gestattet ihnen, an Kaiser Karl IV. 60 Schock 258) „grozzer Pfennige Pragischer muncze“ zu verleihen. Heinrich Mennlein (Mendel), durch seine Vermählung mit Margarete Groß Schwie­ gersohn259) des Spitalstifters geworden, kauft um 36 Pfund Haller einen an seinen eigenen Garten angrenzenden Acker auf dem „Treipperg“ 280), „zu Lehen gehend vom vesten Herrn Hermann vom Rabenstein“. Heinrich Groß (Haintz Grozz), Sohn des Bartholomäus Groß und damit Neffe des Spitalstifters, besaß einen Hof zu Heng (BA. Neumarkt)261). Ulrich Groß, Sohn des alten Heinrich Groß und Richter zu Altdorf 262), tätigt Güterveikäufe zu Wallesau (BA. Schwabach) und Widemholz (BA. Ans­ bach) 263). Den Sondersiechen bei St. Johannis gab er vier Morgen Ackers „an der Rosenpewnt“ 264). Als Lehensmann des Deutschen Hauses zu Nürnberg saß „der Großz“, ein sicherlich nicht unbedeutender Vertreter seines Hauses, wenn die Urkunde 265) sich auf diese Kurzbezeichnung beschränken darf, auf dem „Adamshof“. Vielleicht gehört zum Familienbesitz noch ein Gut zuStinzendorf (BA. Fürth) 266). Allerdings wird es sich hier um kein ausschließlich Gioßsches Familieneigentum handeln. Denn von den Besitzern des Gutes, das verkauft wird, wird in der Urkunde, die diesen Rechtsvorgang fest­ hält, an erster Stelle eine Frau, die „Prantterin“, angeführt. Ihr Schwieger­ sohn „Arnolt Grozz“, der als Mitverkäufer auftritt, scheint also nur Be­ sitzteilhaber gewesen zu sein. Wie er jedoch der Familie Groß sich ab­ stammungsmäßig einordnet, bleibt eine offene Frage. In schroffem Gegensatz zu dieser Wohlhabenheit steht der Ausgang dieses so bedeutenden Patriziergeschlechts, das im 16. Jahrhundert 267), wie Lochner sagt, „in ärmlicher Dunkelheit verkommen und erloschen ist“. Ein Groß ertrank damals in der Donau, seine Schwester heiratete auf das Land, wo sie in den bescheidensten Verhältnissen leben mußte. Der Vater dieser beiden starb vermögenslos im Heiliggeist-Spital, wel­ ches zwei Jahrhunderte früher als steingewordener Ausdruck Großscher Wohlhabenheit emporgewachsen war.

*) Dieses Familienverhältnis beweisen nachstehende Urkunden, in denen Konrad Groß als „des großen bezw. reichen Heinzen (Heinrichs) Sohn“ be­ zeichnet wird: 1314 April 26, 1323 Mai 21, 1325 Mai 2Q, 1326 September 7, 1331 September 27, 1334 Juli 14, 1340 August 10, 1344 Juli 5. 2) 1325 Mai 20, 1326 September 7, 1331 September 27, 1334 Juli 14. *) 1298 Februar 3, 1344 Februar 5. — Weitere quellenmäßig gesicherte Prädi­ kate für ihn sind noch: „Heinrich der Groß“ (1336 Mai 18) und „Groß Heinz“ (1314 April 26, 1315 März 17, 1323 Mai 21, 1339 Juli 9). Einheitlichkeit in der urkundlichen Schreibweise besteht jedoch nicht. Eine Urkunde von 1288 Juni 15 nennt ihn „Hainricüs Magnus de Nuerenberg“. 4) Lochner, Manuskript. 6) 1298 Februar 3. 6) Lochner, Manuskript. 7) Lochner, Manuskript. 8) 1314 April 26. •) 1323 Mai 21, 1325 Mai 20, 1331 September 27. 10) 1326 September 7, 1334 Juli 14. “) 1276 August 24 (Manuskript). “) 1289 Mai 28. ls) 1287 September 23. 14) Lochner, Manuskript. 15) Lochner, Manuskript. 16) Vgl. Hegel, Die Chroniken der fränkischen Städte (1862 ff.), Band III (1864), S. 95 ff. 17) Nach Friedrich Wächter, Pottenstein, Geschichte des ehemaligen Pflege­ amtes---- Bamberg 1895, S. 51, Fußn. 1. 18) Dem heute noch blühenden Geschlecht mit dem Sitze Trockau, B.A. Pegnitz, entstammte der Bamberger Fürstbischof Heinrich III., Groß vpn Trockau (1487— 1501). lö) Die Ritterbürtigkeit, d. i. die nachgewiesene Abkunft von mindestens vier ritterlich lebenden Ahnen, ist für den älteren Heinrich Groß nahegelegt durch seine Verehelichung mit Sophie von Vestenberg, die einem nunmehr bereits über 200 Jahre erloschenen fränkischen Adelsgeschlecht angehörte (s. Loch­ ner, Manuskript), und weiterhin durch seines Geschlechtes. Wappenfähigkeit (vgl. Ed. Heilfron, Deutsche Rechtsgeschichte, Berlin 6 1905 S. 78). Auch wird Konrad Groß, der Sohn des alten Heinrich Groß, in einer Mehrzahl von Urkunden (1311 März 16, 1326 Oktober 29, 1347 Februar 14, 1341 Juni 9) als „Ritter“ bezeichnet. 20) 1288 Juni 15 spricht von „Hainricüs Magnus de Nuerenberg“. Das Bürger­ tum ist für Heinrich Groß besonders hervorgehoben 1289 Mai 28, 1298 Januar 10, 1298 Februar 3; für Konrad Groß 1323 Mai 21, 1325 März 7, 1326 September 7, 1334 Juli 14 und 1345 Dezember 5. 21) Vgl. Gust. Bub, Quellen zur Gesch. der Stadt Nürnberg, Hersbruck 1930, S. 41, nach der bei Mummenhoff, Das Rathaus in Nürnberg (Nbg. 1891), S. 245 f. gedruckten Urkunde von 1332. 22) Nach Form und Schreibweise unterliegt der Name starken Schwankungen. Wir lesen in den Nürnberger Urkunden: Chunrat bzw. her Cunrat der Grozze (1325 April 11 bzw. 1329 August 9); Chunrad Groz bzw. der Groz (1334 Juli 14 bzw. 1326 September 7); Groz Chuonrat, Groz-Heintz Conrad, Grozheinze Chunrat bzw. her Chunrat (1317 Juni 20); Chonrad der Reiche (1336 November 23); Groz Heinz Chonrat (1320 Januar 21); Chunrat dictus der grozze Heintze (1345 Dezember 5); Cunradus Grossus bzw. dictus Grossus

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(1332 Juli 28 bzw. 1345 Juli 12). Noch weiter verfolgen ließen sich diese Varia­ tionen anhand nachstehend aufgeführter Urkunden: 1323 Mai 21; 1344 Juli 13; (1323 Dezember 9, 1324 Februar 10, 1343 Mai 21); 1333 Dezember 17; (1343 Juli 13, 1343 Juli 22); (1313 November 15, 1320 Januar 21); 1335 Januar 6; 1358 April 7. 1311 März 16; 1314 April 26; 1317 Juni 20; 1326 Oktober 29; 1328 Februar 23; 1329 August 2; 1332 Juli 28. 1313 November 15. Vgl. Gustav Bub, Quellen zur Geschichte der Stadt Nürnberg, Hersbruck 1930, S. 41; Mummen hoff, Das Rathaus in Nürnberg (Nbg. 1891) S. 246. 1320 Januar 21, 1329 August 2. 1325 April 11. 1316 November 27, 1323 Juni 16, 1325 Mai 20. Das längst erloschene Adels­ geschlecht der Vestenberg stammte aus dem Steigerwald; vgl. den heutigen Ort Vestenbergskreuth ebenda. 1336 November 23. 1337 Februar 8. 1339 Januar 11. 1346 April 22. Das Heiliggeist-Spital durfte nach dem erklärten Willen des Konrad Groß den Pfarrrechten von St. Sebald zu Nürnberg keinerlei Eintrag tum Nicht minder gerecht zeigte er sich gegen das Frauenkloster in Kitzingen. Hier hatte er 1344 im Verein mit den Gebrüdern Teufel ein Spital mit Kirche, aufgerichtet. Die Konventualen der Abtei, die hierfür einen Platz abtreten mußten, ent­ schädigte er mit einer Abfindungssumme und mit einem hölzernen Kaufhaus. Kaiser Ludwig erkennt 1345 Juli 12 nicht nur seine Umsicht (prouidus vir Cunradus dictus Grozzus) an, sondern ist auch über seine Treue erfreut (a fideli nostro Chuonrado dicto Grosso) und bringt ihm hohe Sympathien entgegen (nos... fauorabiliter inclinati oder sincere nobis dilectus). Weit entfernt von blutleerer Phraseologie, verrät die immer wiederkehrende, vom Kaiser ge­ brauchte Wendung „unser lieber Wirt“ (1335 März 10, 1336 April 26) eine innige Verbundenheit zwischen Ludwig dem Bayern und Konrad Groß. In ähnlicher Weise Ireu ergeben war letzterer dem Nürnberger Burggrafen. Das folgt aus einer Urkunde Friedrichs IV. von 1331 September 7. Burggraf Johann befreite andererseits 1339 Juli 21 in Rücksicht auf „die getreuen nutzbern dienste“ eine Besitzung des Schultheißen Konrad Groß zu Nürnberg von allen ungewöhnlichen Abgaben. Ein weiterer Beleg: Kaiser Karl IV. findet in seiner Treue einen einnehmenden Wesenszug (fidelis noster dilectus, 1356 Januar 19). In der Bestätigungsurkunde von 1345 Juli 12 findet er Worte wie: magnis propriis sumptibus oder ad modum sufficiente dote dotauerit. Ebenda unter­ streicht der Kaiser die edlen Motive, die Konrad Groß zur Erbauung des Heiliggeist-Spitals bewogen. Man kann Stellen lesen wie: pia intencione motus oder intentionem sanctam atque piam deo, besonders auch das Wort des Evangelisten .,si vis esse perfectus, vade et vende omnia, quae possides et sequere me“, das beim „reichen Konrad“ einen tiefen Eindruck hervorzubringen vermochte. Groß wollte, wie sein Kaiser weiter glaubte, Christi Pfade (vestigia summae perfectionis) einschlagen durch Befolgung seiner Lehre (doctrina), um so mit Hilfe wirklicher Nächstenliebe (dilectio proximi) dereinst auch am göttlichen Ruhme (gloria redemptoris) Teil zu haben. Auf sie wird in einer Mehrzahl von Urkunden Bezug genommen, so beispiels­ weise in einem Gefichtsbrief von 1316 November 27 und von Kaiser Ludwig in 1336 April 26, 1339 März 16, 1339 Juli 23 oder 1341 Mai 31 und nicht minder durch den Nürnberger Burggrafen 1323 Mai 21 oder 1331 September 27. 8

114 87) Konrad Groß hat hier, wie bereits (Anm. 33) gesagt, in Zusammenarbeit mit den Gebrüdern Teufel im Jahre 1344 das Spital erbaut. Die Errichtung von Spitälern war den Frauenklöstern durch eine königliche Verordnung Ludwigs des Frommen seit dem Jahre 816 zur Pflicht gemacht worden, vgl. Friedrich Be rnbecks Kitzinger Chronik 745—1565, hrsg. von Leopold Bachmann, Kitzingen a. M. 1899 und 1900, S. 34/35 und Siber Johann Michael, Grund­ züge einer Geschichte des älteren Medizinalwesens der Stadt Kitzingen, Med. Diss. Würzburg 1838, S. 9. 38) Dieser Anstalt stiftete er 200 Pfund Haller; vgl. 1343 April 4. *9) Groß hatte sich, wie aus 1341 Februar 5 ersichtlich, deshalb eigens zur Ab­ fassung einer genauen Spitalordnung entschlossen. 40) Konrad Groß hatte sogar einen eigenen Beichtvater, wie aus seinem Testa­ ment von 1353 Juli 24 ersichtlich ist. 41) Vgl. dazu auch 1340 August 10, 1343 Februar 14, 1343 Februar 16, 1343 Februar 18. Auch zu St. Klara (Nürnberg) hat Konrad Groß für seine Familie eine Ewigmesse gestiftet; vgl. 1341 April 2 und 1341 Juni 9. 42) Seine Aufnahme vollzogen: 1322 Oktober 3 der Ordensmeister der Prediger in Lyon, 1340 Juni 4 der Provinzial der Augustinereremiten in Bayern, 1340 August 10 die Klöster Schlüsselau (Sluzzelawe), Pillenreuth, Frauenaurach, Gründlach, Birkenfeld (Pyrckenfelt), Engelthal, St. Katharina u. St. Klara in Nürnberg; 1343 April 4 der Abt von Ebrach, 1343 Mai 22 der Abt von Langheim, 1343 Juli 13 der Abt von Aldersbach, 1343 Juli 22 der Abt von Gotteszell (Cella Dei), 1343 Juli 30 der Abt von Fürstenzell (Cella principis), 1343 August 7 der Abt von Fürstenfeld (Campus principis), 1344 Februar 5 der von Oberalteich (Obernaltach), 1346 Januar 30 Aebtissin und Konvent zu Himmelkron. Schon 1322 Oktober 3 wurden Konrad Groß und seine „Wirtin“ Agnes von Lyon aus in die Gebetsbruderschaft des Predigerordens aufgenommen. 1347 Februar 14 hatte die „Kellnerin“ Frau Adelheid (Alheit) des Ritters Konrad Groß eine jährliche Vigil mit Seelmesse an Großens Jahr­ tag bestimmt. Man erkennt hieraus auch den Umkreis, in welchem Konrad Groß bekannt geworden war. 43) 1349 März 3. 44) L o c h n e r , Manuskript. 45) 1343 Februar 16. Kurz zuvor (1343 Februar 14) hatte Konrad Groß in über­ schauender Weitsicht seine und des Spitals Güter geschieden. 46) 1326 Oktober 14. 47) 1351 Juni 28, 1353 Juli 24. 48) 1344 Februar 5. 49) 1348 Mai 23, 1350September 7. 50) 1343 April 3. 51) Vgl. Heinrich H öh n, Nürnberger gotische Plastik. Nbg. 1922, S. 114, Anm.22/23. 52) E. Mummenhoff, Führer durch das Rathaus zu Nürnberg, Nürnberg 1896, S. 11 meint dazu: „Keineswegs allein in seiner Eigenschaft als Reichsober­ haupt hat hier Ludwig der Bayer eine Stelle gefunden, sondern viel eher noch als Förderer und Schützer der Stadt und ihres weitverzweigten Handels.“ 53) In dem noch erhaltenen Freiheitsbrief ist wörtlich gesagt, daß Nürnberg „w’eder Weinberge noch Schiffahrt besitze, vielmehr auf einem sehr harten Boden gelegen sei“. Rob. Gradmann in Ztschr. f. Bayer. Landesgesch., I. Jg. 1928, S. 355. 54) Emil Reick e, Nürnbergs Geschichte. Monographien deutscher Städte Bd. 23, hsg. von Erwin Stein, 1927. 65) Gg. Wolfg. Karl L o c h n e r , Nürnbergs Vorzeit und Gegenwart. Nürnberg 1845, S. 56.

115 56) Der Anfang dieser Betrachtung hält sich eng an die einschlägigen Unter­ suchungen von Wolf. W i e ß n e r , Die Beziehungen Kaiser Ludwig des Bayern zu Süd-, West- und Norddeutschland, Erlangen 1932. 57) Auch bei G. v. S c h u h , Die Stadt Nürnberg im Jubiläumsiahr 1906, Nürnberg 1906, II. TL, S. 174 ff. 58) L o c h n e r , a. a. 0., S. 58. 59) Festzeitung f. d. X. deutsche Turnfest, S. 187 u. 188. 60) Kaiser Ludwig hatte 1340 Juli 1 zur Sicherung gegen „raub“, „brant“ und „vnreht“ ein Bündnis errichtet unter Einbeziehung Nürnbergs. 61) W i e ß n e r , a. a. 0., S. 28. 62) Lochner, a. a. 0., S. 58. 63) 1332 März 9. 64) Siehe „Führer durch Nürnberg“, 1899, S. 65. 65) Wilhelm P r e g e r, Lehrb. d. bayerischen Geschichte, 10 1886, S. 61. 66) 1343 Juni 7 (Reg. Boic. VII, 371). 67) Kaiser Ludwig starb am 11. Oktober 1347. 68) W i e ß n e r , a. a. O., S. 16. 69) R i e z 1 e r , Gesch. Baierns II, 381. 70) Selbst größte Sparsamkeit des einzelnen Regenten konnte bei dem Bargeld­ mangel jener Zeiten den Reichsschulden nur mit geringem Erfolg zu Leibe rücken, besonders auch deshalb, weil Kassenfehlbeträge sich immer von neuem als symptomatisches Vermächtnis einer ungesunden Geldwirtschaft von Thron zu Thron forterbten. 71) 1335 März 10. 72) 1333 Dezember 17. 73) Zwei bayerische Vitztume, ein reicher Bürger aus Regensburg und Konrad Groß liehen an Kaiser Ludwig 6000 Pfd. Haller; s. Anm. 91 u. 244. 74) War Kanzler Kaiser Ludwigs: s. Franz J. B e n d e 1, Reihenfolge der Bischöfe von Würzburg, 1937, S. 4. 75) 1333 Dezember 17. 76) 1335 März 10. 77) 1335 November 19. Vgl. Reg. Boic. Cont. III, 129. 78) Kaiser Rudolf verpfändete dem wohlbegüterten Nürnberger Bürger Konrad Vorchtel den Reichszoll. Adolf von Nassau versetzte (1295) dem Nürnberger Konrad Fürer das Amt in Heroldsberg für 400 Pfd. Haller auf 8 Jahre. 79) Zwei Dörfer, im Gebiet des heutigen B.A. Schwabach gelegen, (Herpersdorf und Worzeldorf) versetzte Kaiser Ludwig an Konrad Groß; vgl. 1345 April 30. 80) Es mochte auch Einzelfälle geben, wo Verpfändungen königlicher Gerecht­ same weniger durch würgende Finanzschwierigkeiten als durch politische Berechnungen nahegelegt wurden. 81) 1339 März 16. 82) Einige Belege: Als Reichsschultheiß verleiht Konrad Groß Käufen (1341 Februar 1, 1341 August 9, 1342 Mai 13, 1343 November 16) oder Verkäufen (1341 Februar 14, 1343 Mai 21, 1344 Oktober 14) und Verträgen (1343 Mai 26) durch Ausstellung von Gerichtsbriefen rechtliche Verbindlichkeit. Weiterhin verbrieft er in nämlicher Diensteigenschaft Erbabkommen (1339 März 23), Seelgerätstiftungen (1340 Oktober 31), nimmt Klagen entgegen (1340 Oktober 27), schlichtet Streitfälle (1350 Juli 28), beurkundet Vergleiche (1349 Oktober 17) und versieht auch besonders wichtige Briefe, beispielsweise für Abt Gregor von St. Egidien zu Nürnberg (1348 Februar 8) mit amtlicher Be­ glaubigung. — Zur Hebung der Amtsautorität des Schultheißen in Nürnberg hat Kaiser Ludwig beigetragen, indem er 1339 November 20 die Verleihung

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von Liegenschaften an die Fischbecken von der Zustimmung Konrad Großens abhängig machte. — Neue Untersuchungen über das Reichsschultheißenamt in Nürnberg haben Heinz Dannenbauer und Werner Schultheiß an­ gestellt; siehe Schrifttum. 1339 Juli 23. Zwischen Altdorf und Hersbruck gelegen. 1339 September 12. 133 9 April 14. 1341 Mai 31, 1342 Februar 2, 1343 Mai 31, 1344 April 10, 1345 Juni 22. Die Kassierung der Nürnberger Reichssteuer gehörte nicht etwa zu Großens schultheißlichen Dienstgeschäften. Denn in der Zeit, da Heinrich von Berg das Schultheißenamt bekleidete (von 1348 Oktober 29 bis nachweislich 1349 März 20; s. Anm. 205), erfüllten, wie aus 1349 Januar 3 erhellt, die Burggrafen Johann und Albrecht von Nürnberg diese Aufgabe. 1344 November 5. 1346 Juli 25. 1344 Juli 13: Kaiser Ludwig übergibt Dietrich dem Haybeken, Viztum von Straubing, Albrecht von Studach, Viztum bei der Rott, Chunrad dem Grozzen, Schultheiß zu Nürnberg, und Rüdiger dem Reichen, Bürger zu Regensburg, alle seine Nutz und Gült in seinem Lande zu Bayern, seine Viztumsämter. Mauten und Zölle, alle seine Gerichte, die Steuer in seinen Städten und Märkten, dazu alle Zinspfennige und Kastengült für 6000 Pfd. Haller, die sie ihm geliehen haben. Reg. Boic. VIII, 19. Eine Urkunde von 1313 November 15 läßt beispielsweise eine Siechenstation der Deutschordensbrüder in dem nach ihnen benannten Spital erkennen, das schon im 13. Jahrhundert bei St. Elisabeth gegründet wurde. Später, 1315 März 17, werden Sondersieche bei St. Johannis erwähnt. Vgl. zum Folgenden auch Siegfried Re icke, Das deutsche Spital und sein Recht im Mittelalter, 2 Teile, Stuttgart 1932 (Kirchenrechtl. Abhandlungen Heft 111 — 114). I S. 125, 259 f. Ueber das Spital zu St. Elisabeth vgl. Georg Schrötter, Die Kirche der Hl. Elisabeth in Nürnberg (Nbg. 1903), S. 8. Frank. Tageszeitung, Jg. 1939, Nr. 140: 600 Jahre Heiliggeist-Spital. Die dem Konrad Groß vom Burggrafen ausgehändigte Urkunde datiert von 1331 September 27. Vorbildlich mag hierfür schon die Handlungsweise des Burggrafen Konrad des Aelteren gewirkt haben, der 1314 April 26 der Kirche zu Bamberg die Hofmark Fürth als Seelgerät übergab. Zudem hatte Burggraf Friedrich IV. schon 1323 April 4 dem Deutschorden ein Fischwasser als Seelgerät gegeben. 1340 September 4. Schon 1319 war beispielsweise ein Bürgerspital zum Heiligen Geist in Würz­ burg gegründet worden. 1336 Oktober 25. Sie wurde ausgestellt am 13. Januar 1339 und im Jubiläumsjahr 1939 ins Deutsche übersetzt. Vgl. Fränk. Tagesztg., Jg. 1939, Nr. 140. 1345 Januar 7. Die urkundliche Bezeichnung ist sehr uneinheitlich. Konrad Groß nennt 1341 Februar 5 die Anstalt „spital zu dem heyligen geyst an der Begnitz“. Eine Urkunde von 1348 Mai 23 wählt wieder die Bezeichnung „daz newe spital zv dem heiligen geist“. In der lateinischen Bestätigungs­ urkunde Karls IV. von 1356 Januar 19 wird es genannt „nouum hospitale sancti Spiritus“. Lochner, Manuskript. Konrad Groß war schon am 10. Mai 1356 zu Bamberg gestorben.

117 104) Spitalbesitz in Simonshofen: 1335 Januar 6 kauft das Heiliggeist-Spital da­ selbst ein Gut samt Zubehör (purchstalen, weyersteten, zeydelwaiden), 1341 Februar 14 ebenda einen Eigenhof. Aus der Urkunde 1342 Juni 10 wird der Besitz einer hier gelegenen Wiese (Saherwiese) offenbar und 1343 März 14 erwirbt Spitalmeister Marquart durch Kauf 14 Morgen Holz „zu Symanshofen“ — Derselbe Marquart war überhaupt eifrig auf eine systematische Erweiterung des Spitalbesitzes bedacht. Er war es, der die folgenden Be­ sitzungen fürs Spital erwarb: 1343 Februar 20 2 Güter, 2 Aecker, 3 Gärten und 1 Wiese; diesen Liegenschaften sind auch die Flächengrößen mit näheren Lokalisierungen beigefügt. 1343 August 27 ein Gut und acht Gütlein in Haus­ heim bei Neumarkt in der Opf. 1343 Oktober 1 ein Eigengut zu Frickenfelden mit 30 Morgen Acker und 10 Morgen Holz. 1344 November 30 50 Morgen Wald im „Hausheimer Holz“. 1345 Januar 7 vergrößert Marquart den Spitalbesitz um 52 Morgen Wald in eben diesem Forst. Laut Urkunde von 1345 April 20 erwarb der tüchtige Spitalmeister unter Mithilfe des Stifters Konrad Groß selbst verschiedene genau bezeichnete Güter auf dem Tauschwege fürs Spital in Nutzgewähr. — 11 Jahre nachher (1356 Dezember 2) werden dem „Neuen Spital“ Aecker auf dem „Schübelsberg“ (Spitalhof) zugesprochen. Vgl. G. Pfeiffer in „Nürnberger Schau“ Jg. 2, S. 73 ff. — Weitere Rechtei, Besitzungen und Einkünfte des Spitals verzeichnet Lochners Aufsatz „Konrad Groß“ in: Calender auf das Jahr 1843, herausgg. von F. B. W. Her­ mann, München 1842. 105) Der Charakter einer Siechenstation verrät sich u. a. in folgenden Urkunden: 1336 Dezember 29, 1340 August 10, 1341 Februar 1, 1343 Februar 16, 1344 Februar 5, 1359 Juni 21. Letzterer Urkunde zufolge werden die armen Siechen im Spital testamentarisch mit Geld bedacht. 106) s. Lochner, Manuskript. 107) Hierüber zu befinden war dem Ermessen des Spitalverwalters oder Pflegers und seinem Spitalmeister anheimgestellt. — Einer der ersten Spitalmeister hieß Marquard, auch „Markart“ geschrieben, der z. B. in folgenden Urkunden begegnet: 1342 Juni 10, 1343 Februar 20, 1343 August 27, 1343 Oktober 1, 1344 November 30, 1345 Januar 7, 1345 April 20. Auch ein Spitalmeister „Hainrich von Obernburch“ gibt sich zu erkennen, so 1341 Februar 27, 1344 April 18 und 1350 Januar 3. Ein weiterer war Arnolt Kropf, 1343 Februar 7. Der Spitalorganisation zufolge unterstanden die Spitalmeister dem jeweiligen Spitalverwalter. Die Aufgaben des letzteren nahm Konrad Groß bei Lebzeiten selbst wahr, wie aus der Urkunde 1335 März 12 hervorgeht, nachher sein ältester Sohn, nach dessen Tode hinwiederum die Spitalverwaltung in die Hände des Rates gelangen sollte; vgl. dazu die Urkunden 1341 Februar 5 und 1343 Februar 16. 108) Auch in der Urkunde von 1341 Februar 1 bedenkt Konrad Groß das Seelenheil der armen Siechen des neuen Spitals zum Heiligen Geist. 10s0 Gelegentlich erfahren wir noch den Namen des einen oder anderen. So gab es laut 1343 August 27 einen Spitalkaplan namens Friedrich, der nach urkund­ lichem Ausweis (1343 Februar 16, 1344 Februar 5) Beichtvater der Mitbegrün­ derin des Zisterziensernonnenklosters Himmelthron (s. S. 98 u. 109) war. uo) 1341 Februar 5. U1) Lochner, Manuskript. 112) Auswärtige Schüler konnten sich gegen Bezahlung diesem Unterricht an­ schließen. Berühmt im öffentlichen Leben wurde der Spitalschüler Christoph Fürer, der während des 30jährigen Krieges erster Losunger seiner Vater­ stadt war. Vgl. Gust. Bub, Alte Nürnberger Familien, Hersbruck 1930, S. 50 ff. m) 1341 Februar 5. 114) 1341 Februar 24. 115) W i e ß n e r , a. a. O. S. 28.

118 116) 117) lls) 119) 12ü) 121)

122) 12S)

124) 125) 126) 127) 128) 129) 13°) m) 132) 133) 134) 135) 136) 137)

1345 Juli 12. 1350 August 4. 1343 April 28, 1344 Februar 5. 1348 Mai 23, 1350 September 7. Siehe 1343 April 3. Dieses Kloster hatte im Heiliggeist-Spital nicht die nötigen Räume und mußte deshalb schon 1348 im Einverständnis mit den geistlichen Stellen — als solche nennt die diesbez. Urkunde von 1348 Mai 23 den Bischof Friedrich von Bam­ berg, den Abt Heinrich von Ebrach, den Abt Peter von Langheim (Oberfrk.) und den Pfarrer zu Gründlach — in die etwa 2 Wegstunden von Nürnberg entfernte Burg von Gründlach verlegt worden. Das Kloster, das auch in Gründ­ lach (dem heutigen Großgründlach an der Bahnstrecke Erlangen—Fürth) seinen Namen Himmelthron (Celi Thronus) beibehielt und dem durch Komtur Popp von Henneberg des Deutschen Hauses in Nürnberg alsbald (1350 Sep­ tember 7) der Kirchensatz des Deutschordens in Gründlach zugewiesen wurde, bestand bis in die Reformationszeit. 1525 übergaben die vier letzten Konvent­ frauen, von denen nur eine einzige schreiben konnte, ihr Kloster dem „großen Almosen von Nürnberg“, dessen Rechtsnachfolger 1543 der Nürnberger Rat wurde. — Konrad Groß, der 1000 Pfd. Haller für Himmelthron gestiftet hatte, bekam aus Dankbarkeit Wohnrecht (ein zimleich gemach) in dem nach Gründlach verlegten Kloster. Schwester Kunigund, weiland Gräfin von Orlamiinde (Stammsitz des Geschlechtes im ehemaligen Sachsen-Altenburg) und später dritte Aebtissin des Klosters, die mit Konrad Groß den Ruhm der Stiftung teilt, fand in Gründlach ihre letzte Ruhestätte. Ludwig stiftete ja selbst zu Ingolstadt und Landshut je ein Spital. Vgl. F e ß m a i e r , Gesch. v. Baiern, Landshut 1804. Dieser Rechte wird in der obenerwähnten Urkunde von 1345 Juli 12 besonders gedacht. Sie beziehen sich im wesentlichen auf die Nutznießung der Forst­ bestände, der Weideplätze und auf den Gebrauch der öffentlichen Straßen und Wege. Der Pfarrherr von St. Sebald mußte gefragt werden, da das Heiliggeist-Spital innerhalb seines Pfarrsprengels gegründet wurde. 1345 Dezember 5 bzw. 1358 Juni 4. Lochner, Manuskript. 1335 Juli 6, 1336 Dezember 29, 1348 März 5. 1350 September 20. 1350 August 4. „Nürnberger Zeitung“ Jg. 1939 Nr. 140. W. Schultheiß, Aus der Geschichte des Heiliggeist-Spitals, in: Festschrift anläßlich des 60Qjährigen Bestehens der Heiliggeist-Spital-Stiftung (Nbg. 1939). Nürnberger Zeitung a. a. O. 1345 Juli 12. Sie hieß: ze unser frawn schiedung. Schiedung bedeutet verscheiden, sterben. Das Siegel des Pillenreuter Konvents zeigte demzufolge die sterbende Gottesmutter. In den Klöstern Engelthal zwischen Altdorf und Hersbruck und in Marien­ burg bei Abenberg, ebenfalls in Mittelfranken, hatten sich auch Nonnen zu­ sammengefunden, die nach der Ordensregel des heiligen Augustinus lebten. Lochner, Manuskript. S. die Klostergesch. Pillenreuths im Kalender für katholische Christen auf das Jahr 1877, den kürzeren Aufsatz des Pfarrers Wich im Bayerland, 1928, und Heinrich Wich, Geschichte von Kloster Pillenreuth mit Weiherhaus und Königshof, Nbg. 1925.

119 138) 1345 April 30. 139) Vgl. die Aufsätze im 4. Jb. des Hist. Ver. im Rezatkreis für das Jahr 1833, Nünberg 1834, S. 31 u. im 14. 1845, S. 14. 14°) 1345 Juli 32. — Der Besitz der beiden Dörfer wird 1351 Juni 28 durch Ritter Arnold von Seckendorff den geistlichen Frauen der Klause Pillenreuth garantiert. 141) Das ausschlaggebende Wort bei der Wahl dieser Namengebung scheint die Marienverehrung der beiden Gründer gesprochen zu haben. Kaiser Ludwig hatte 1330 im Ammergau ,,got ze lob und unser frawen ze ern“ das Kloster Ettal gestiftet. Unter Anrufung der heiligen Maria ist er später auch aus dieser Welt geschieden. „Süße Königin, unser fraue, bis (— sei) bei meiner Schidung“ waren seine letzten Worte, als er auf dem „Kaiseranger“ bei Fürstenfeldbruck am 11. Okt. 1347, tödlich vom Schlage gerührt, vom Pferde gestürzt war. — Konrad Groß hatte bereits am 16. Februar 1343 für sich einen Jahrtag im Spital auf den Vorabend von Maria Himmelfahrt festgesetzt und zwei Tage hernach einen weiteren zur nämlichen Zeit für sich und die Seinen im Heiliggeist-Spital, in der Sebalduskirche und einer Reihe von Klöstern in und außerhalb der Stadt abzuhaltenden Seelgedächtnistag (iarzeit) gestiftet. Außerdem befand sich in der Heiliggeistkirche schon im 14. Jahr­ hundert (1348 März 5) ein Marienaltar, der auf Großens besondere Veranlas­ sung errichtet worden sein wird. 142) 1323 März 21, also schon vor seiner Bannung, hatte Ludwig dem Spital zu Nürnberg Eigenleute als Seelgerät gegeben. — 14 Jahre nach dem Tode Kaiser Ludwigs (1361) stiftete sein ältester Sohn, der Kurfürst von Branden­ burg, für das Wittelsbachische Geschlecht, insonderheit aber für seinen im Banne verstorbenen Vater und offenbar in der Meinung, im Sinne der väter­ lichen religiösen Einstellung zu handeln, einen Jahrtag in Pillenreut. 143) Am bekanntesten ist das Kloster Ettal. R i e z 1 e r, Gesch. Baierns II S. 394, macht Klöster namhaft, welche durch Ludwig den Bayern ausgestattet wurden. 144) Der Kaiser hatte, um Beispiele anzuführen, das Kloster Heilbronn in seinen Schutz genommen (1343 Januar 21) und zuvor schon die Stadt Nürnberg mit dem Schutz des Klosters Weißenohe bei Erlangen beauftragt (1335 Okt. 25). Er betonte dabei eigens, die wunschgemäße Erledigung dieses Befehles be­ deute ihm Erfüllung einer ihn besonders bewegenden Angelegenheit. 145) 1341 August 3: daz si von demselben vngelt ir stat ze Nuernberg an muren vnd an turn bezzern vnd vesten noch rat Chunrat des Grozzen, vnsers schultheizzen daselben. 146) Als Schultheiß erscheint er beispielsweise in den Urkunden 1348 August 21, 1348 Oktober 29, 1348 November 15 oder 1348 November 18. Einer Notiz Dannenbauers a. a. 0., S. 105 zufolge war er nachweislich bis 1349 März 20 im Amt. — Vermutlich ist er mit jenem Heinrich vom Berg (=z Altenberg bei Zirndorf) identisch, der sich in der Urkunde von 1350 Juli 28 als Oheim der frommen Klosterschwester Kunigunde, weiland Gräfin von Orlamünde, zu erkennen gibt, die gemeinsam mit Konrad Groß das Frauenkloster Himmel­ thron fundierte. 147) L o c h n e r , Nürnberger Jahrbücher, I., S. 23. 148) Er hatte ihm bereits 1347 November 7 die Verpfändung des Schultheißen­ amtes und des Bannes zu Nürnberg bestätigt und am 8. November nämlichen Jahres die des Amtes Wendelstein mit den Dörfern Herpersdorf und Worzeldorf. 14ft) In Fortführung dieser forstpolizeilichen Verfügungen verbietet Karl am 12. November 1347 das Treiben von flämischen Schafen in die Reichswälder bei Nürnberg und bestimmt in der Urkunde von 1350 April 30 den ewigen Verbleib des Sebalder und Lorenzer Forstes bei der Reichsstadt Nürnberg. 15°) 1349 Oktober 4.



120

lo1) Möglicherweise war diese Errichtung des Landfriedens noch in anderer Hin­ sicht von erfreulichen Wirkungen begleitet. Anläßlich der Königswahl Karls IV. war es zu einem Bruche zwischen den eben erwähnten Burggrafen und der Stadt Nürnberg gekommen. Erst ein Vergleich (1350 September 18) mußte später die Mißhelligkeiten begraben und die beiderseitigen Beziehungen nor­ malisieren. Vielleicht darf diese Wiederannäherung der Hohenzollernfürsten an die Bürgerschaft von Nürnberg jenem gemeinsamen Wirken zugeschrieben werden, das im Rahmen der gegenseitigen Garantien für den Landfrieden erforderlich war. 152) 1350 April 23. m) Aufschlußreich ist es auch zu verfolgen, wie König Karl IV. dem Schultheißen Konrad Groß gegenübergetreten ist. In den Urkunden 1347 November 7 und 1347 November 8 oder noch 1359 September 23 spricht er von seinen treuen Diensten (die getrewen dinst, die er dem reich oft getan het). Abgesehen von dieser unter Umständen doch mehr phraseologisch zu wertenden Urkunden­ sprache ist er dem Freunde Kaiser Ludwigs ganz zu Diensten gewesen. Auf besonderen Wunsch bestätigt er ihm seine sämtlichen Stiftungen. Die Nürnbeiger Urkunden enthalten unter 1356 Januar 19 je eine Bestätigungsurkunde für das Heiliggeist-Spital und für die Klöster Pillenreuth und Himmelthron. Wer sich erkühnen sollte, die Rechte des Heiliggeist-Spitals anzutasten, ver­ fällt einer Strafe in Höhe von 40 Pfd. reinen Goldes, während Kaiser Ludwig 1345 Juli 12 für derartige Vergehen eine Pön von nur „triginta librarum puri auri“ vorgesehen hatte. — Einer im 12. Bd. d. Arch. d. Hist. Ver. f. Unterfrk. durch Ludwig H e f f n e r veröffentlichten Urkunde v. 1356 Januar 19 zu­ folge hat Karl IV. an diesem Tage auch das Laurentiusspital zu Kitzingen a. M. bestätigt, das Konrad Groß (1344) mitgegründet hatte. — In seinen Kaiser­ jahren wurde Karl in die finanzpolitischen Bahnen Ludwigs des Bayern ge­ zwungen. Geldschwierigkeiten stellten ihn vor die Notwendigkeit, von seinen „Getreuen“, den Gebrüdern Heinrich, Leupold und Konrad Groß, den Söhnen des Spitalstifters, einmal 60 Schock großer Prager Pfennige zu borgen; vgl. die Urkunden von 1360 Juli 2 und 1360 September 1. 154) preger-Kronseder, Lehrb. d. bayer. Gesch. 1914, S. 170. 155) Städtechron. III, S. 200, Anm. 1. 156) 1331 August 25. 157) 1337 September 4. 158) 1340 August 10. 159) 1339 Juni 9. 16°) 1341 April 30, 1355 März 6, 1355 August 29. 161) 1343 Februar 16, 1344 Februar 5. — Die Gebrüder Friedrich und Johann die Fischpekken (Vischpegken) vertrauen die Briefe, die sie in Betreff ihrer Weiher vom Reich, von den Kurfürsten, von den Burggrafen zu Nürnberg und von der Stadt Nürnberg besitzen, gleichfalls der Obhut Philipps an; vgl. 1352 Februar 6 und 1352 Februar 7. 162) So 1317 März 17, 1346 Dezember 4. 163) 1341 Februar 14, 1343 Juni 23. 164) 1352 Dezember 21: „prudentem virum Philippum dictum Grozze“. 165) 1340 Juli 4. 166) 1346 Juli 4. 167) 1347 September 3. 168) 1351 Juni 11. 169) 1344 Juni 12, wo Heinrich Ortlieb als „schwäher“ des Philipp Groß bezeichnet wird. 17°) 1360 April 29, 1356 Dezember 2.

121 m) 1344 November 10; dieser Heinrich war, wie aus 1358 Februar 1 folgt, mit einer Frau namens „Anne“ verheiratet. Eine Urkunde von 1359 Juni 21 nennt ihn „dez tumbrobstes amptmann“. 17-) 1345 Juli 11. 173) 1315 März 17. 174) 1292 März 26. 175) 1310 Mai 25. 17(i) 1350 Mai 11. 177) Wie aus 1360 Juli 29 ersichtlich, befand sich Konrad Waldstromeyer unter den Geldgebern Kaiser Karls IV. 178) 1343 Februar 16. — Der Urkunde 1341 Februar 1 gilt Konrad Waldstromeir als Schwager Konrads Groß. — Chunrad Waldstromeyer gehörte einer ge­ achteten Familie an; ihm und seinen Nachkommen hat Kaiser Ludwig 1343 Oktober 13 das Forstmeisteramt im Nürnberger Reichswald verliehen. 17y) Der Zeit nach könnte diese aber auch identisch sein mit jener 1294 ver­ storbenen Anna Groß, deren Grabstein das Germanische Museum verwahrt. Freilich würde diese Mutmaßung einen Gegensatz zu Lochners Manuskript bedeuten, das, wie oben gesagt, die Frau des Heinrich Groß zu einer Pfinzing stempelt, während Fritz Traugott Schulz aus heraldischen Gründen (vgl. „Anzeiger des Germanischen Nationalmuseums“ 1921, S. 8 ff.) an den Grab­ stein einer Ebner denkt. Im Falle der Richtigkeit letzterer Vermutung und der Lochner’schen Behauptung könnte es sich dann bei dieser Ebner allen­ falls noch um die Gemahlin des Bartholomäus Groß handeln, der, was mit Gewißheit feststeht, ebenfalls verehelicht war, oder um eine Frau seines Bruders Ulrich, falls letzterer, was nicht erweisbar ist, verheiratet gewesen sein sollte, niemals aber um die Gemahlinnen Philipps Groß, da für letztere, wie oben (S. 105) gesagt, die Vornamen Elisabeth und Katharina feststehen. 18°) L o c h n e r , Manuskript. 181) Ein Sohn des Bartholomäus Groß, der sich urkundlich zu erkennen gibt (1359 September 3), führte, gleich zweien seiner Vettern, Söhnen Konrads und Philipps Groß, den großväterlichen Vornamen Heinrich (Heinz). 182) z. B. 1320 Januar 21, 1343 Februar 16. 183) 1330 Mai 2, 1347 März 6. 184) 1340 August 10, 1343 Februar 18. — Aller Wahrscheinlichkeit zufolge war sie eine geborene Haller. Denn Konrad Groß nennt in einer Reihe von Urkunden (1343 Februar 13, 1343 Februar 14, 1343 Februar 16) einen Ulrich Haller seinen , Schwäher“ und der Sprachgebrauch versteht darunter vor allem den Schwiegervater (vgl. Deutsches Wörterbuch von Weigand-Hirt). Hätten die Urkunden dieser landläufigen Bedeutung entgegen unter „sweher“ den Schwager verstanden, dann müßte es damals möglich gewesen sein, auch den Bruder der Frau des eigenen Bruders „Schwager“ zu nennen. Ulrich Haller hätte demnach eine Schwester namens Agnes haben müssen, die ihrerseits entweder Gemahlin des Bartholomäus Groß oder die dessen Bruders Ulrich gewesen wäre. — Annahmen, die sich angesichts des Anm. 179 Gesagten von selbst den Stempel der Unwahrscheinlichkeit beilegen. 185) 1322 Oktober 3, 1340 August 10, 1343 Februar 18. 18ß) 1340 August 10, 1343 Februar 18. 187) 1343 Februar 16, 1353 Juli 24. 188) 1354 Mai 20: Lewpölt Grozz, herrn Conrads sun dez Grozzens. 189) 1358 Februar 27: dez alten schultheizzen seligen sun. Aus dieser Urkunde lernen wir auch Konrads Gemahlin Anna kennen. 19°) 1360 Juli 29, 1360 September 1. 191) 1359 März 30.

122 192) 1355 November 20; vgl. auch Eugen Franz, Nürnberg, Kaiser und Reich. 1930, S. 23. 193) Erd st als eigentlicher Schultheiß u. a. bezeugt: 1356 August 6, 1358 Februar 27. 1359 März 8, 1360 Januar 11. Auch unter den Vormündern eines Erblassers wird Schultheiß Heinrich Groß 1359 Juni 21 aufgezählt. 194) Stellvertretend fungierte Heinrich Groß als Schultheiß: 1344 August 16, 1344 ( September 16, 1346 Juni 20, 1353 Juli 24. 195) Dannenbauer, a. a. ()., S. 105 hat ihn als solchen von 1363 September 28 bis 1365 Oktober 1 nachgewiesen. 196) Lochner,G. W. C., Nürnbergs Vorzeit und Gegenwart, Nürnberg 1845, S. 66. 197) Konrad Groß nennt ihn Schwiegersohn (aiden) 1343 Februar 16. — Mennlein tritt als Zeuge auf: 1351 August 20 oder 1356 August 6. 198) Dannenbauer, a. a. ()., S. 105. 199) Lochner, Manuskript. 20°) 1288 Juni 15. 201) Lochner, ebenda. 202) 1323 Mai 21, 1326 September 7, 1326 Oktober 14. 203) 1330 Mai 2. 204) Denn Lochner nimmt an, daß er die Aemter des Münzmeisters und Zöll­ ners schon 1332 erworben hatte; vgl. Konrad Groß, der Nürnberger Schult­ heiß und Spitalstifter. In: Calender auf das Jahr 1843, hrsg. von F. B. W. Her­ mann, München 1842. 2°5) Yor seiner amtlichen Ernennung begegnet er zwar auch schon mehrmals (1338 Oktober 4, 1338 Oktober 14, 1338 November 19, 1339 Januar 11, 1339 Februar 25) als Schultheiß. Allein hier kann nur vorläufige Verwesung in Betracht kom­ men. Kaiser Ludwig versetzte ihm das Schultheißenamt („vnser vnd dez richs schultheizzenampt ze Nürnberg mit dem bann vnd dem zol in der sel­ ben stat vnd swas darzu gehört“) erst 1339 März 16 um „sechs tusent pfunt haller.“ Seine Amtsführung währte nachweislich bis 1355 Dezember 4. Lediglich im Interesse der Genauigkeit sei auf zweii, im obigen Zusammenhang jedoch nicht ins Gewicht fallende kurze Unterbrechungen aufmerksam gemacht. Die in Nürnberg als sichtbarste Begleiterscheinung des jähen Endes Ludwigs des Bayern entstandene Sommerrevolte von 1348 zwang wie die Mehrheit der Patrizier, so auch Konrad Groß, vorübergehend zur Flucht. An seiner Statt amtierte Heinrich vom Berg (-- Altenberg bei Zirndorf) als Schultheiß von 1348 Oktober 29 bis 1349 März 20; vgl. Dannenbauer S. 105. Außer­ dem fungiert im Jahre 1351 Heinrich Groß zweimal als Schultheiß und nicht sein Vater. 206) 134 7 November 7, ebenso 1349 Oktober 3. — Die einzelnen Bestandteile der Pfandschaften gehen atich hervor aus der von Lochner mitgeteilten Urkunde von 1349 Dezember 20, wo die Beilegung des Streites beschlossen wird, in den Konrad mit seinen an diesen Reichsämtern Anteil begehrenden Söhnen geraten war; außerdem noch aus zwei späterem Urkunden, die beide 1359 September 23 ausgestellt sind. 207) Lochner, Manuskript. 20s) Vgl. Wilh. Kraft, Vom alten Rathaus in Nürnberg und seiner Umgebung. In: Fränkische Heimat, 14 (1935) S. 232 f.; s. auch Festschrift S. 23. 20O 1349 Dezember 20; zu finden in dem Anm. 204 zitierten Aufsatz. 21°) 1341 Februar 5. 211) 1323 Dezember 9: ,,ze nehst gelegen an des riehen Chunrat haus“; 1324 Februar 10, 1343 Mai 21. 212) 1331 September 28.

123 213) 1331 September 27, 1334 Juli 14. 214) Das Malertor stand am Ausgang der Ebnersgasse und wurde im Zuge einer späteren Stadterweiterung abgetragen. 215) Im Gegensatz zu dem schon über 100 Jahre vor ihm bei St. Elisabeth ge­ gründeten Spital so benannt. 216) 1341 Februar 5, 1345 Juli 12: u. a. ,dn fundo proprio“, 1345 Dezember 5. 217) Vgl. Lochner, Manuskript. 21S) Der sich von der Museumsbrücke so wundervoll ausnehmende Gebäudeteil auf den beiden Schwibbögen wuchs erst von 1487 bis 1527 über die Pegnitz (vgl. S. 96). 219) 1322 September 13. 22°) Lochner, Manuskript; ebenso 1358 Februar 27. 221) 1358 Februar 27. 222) B. A. Hersbruck. 223) Vgl. Calender 1843; ebenso 1353 Juli 24. 224) 1326 Februar 8; heute Großgründlach. 225) Orlamünde in Sachsen-Altenburg. Die Freigebigkeit der fränkischen Linie dieses Grafengeschlechtes gegen die Kirche war so groß, daß sie daran wirt­ schaftlich zugrunde ging; vgl. von Guttenberg, Territorienbildung, S. 273. 226) 1343 April 3, 1345 Juli 12, 1345 Dezember 5, 1346 Juni 20. 227) Lochner, Manuskript; außerdem 1343 Februar 15. 228) 1348 Mai 23 wurde die Verlegung nach Gründlach durch die Aebtissin Adel­ heid bestätigt. 229) Etwa 2 Stunden südwärts von Nürnberg unweit Schwabach, am uralten Königsweiher, wo am 11. März 1450 Albrecht Achilles (vulpes Germanicus) von den Nürnbergern vernichtend geschlagen' wurde. 23°) 1351 Juni 28 ------ closen zo vnserer frawn schidung genant“; vgl. auch 1356 Januar 19. 2S1) Vgl. Andreas Würfel, Geschichte des ehemaligen Nonnenklosters Pillen­ reuth, Altdorf 1764, S. 17, wo auf die Zugehörungen des Hofes näher ein­ gegangen ist. 232) 1345 Juli 12 „__ curiam dictam Pyllenreut a fideli nostro — es spricht hier Kaiser Ludwig — Chuonrado dicto Grosso ... cum omni iure ac pertinenciis liberaliter donatam et traditain ...“. 233) 1345 April 30. 234) 1351 Juni 28. 235) Lochner, Manuskript. 236) 1347 November 8. 237) Nürnberger Zeitung, Jg. 1939, Nr. 140. 238) 1343 Februar 16. 239) 1343 April 4. 24°) Durch Aushändigung von 6000 Pfd. Haller (s. Anm. 205 und S. 106) an Kaiser Ludwig kam Konrad Groß in den Pfandbesitz des Nürnberger Schult­ heißenamtes. 241) 1339 Juli 24. 242) 1340 September 4. 243) 1339 November 4. 244) 1344 Juli 13. Außer Konrad Groß waren, wie aus dieser Urkunde ersichtlich, an der Aufbringung der Summe verdient zwei bayerische Vitztume und ein reicher Bürger aus Regensburg. Kaiser Ludwig hält die vier Männer schad­ los, indem er ihnen seine Vitztumämter, Mauten und Zölle in Bayern sowie alle seine Gerichte und Steuern der Städte und Märkte im Herzogtum übergibt.

124 245) 246) 247) 248) 249) 250) 251) 252) 253) 254) 255) 256) 257) 258) 259) 260) 261) 262) 263) 264) 265) 266^ 267)

1340 Februar 1. 1336 Mai 18. 1339 Juni 9. 1298 Februar 3. 1331 August 25. 1344 Juni 12. 1341 April 30. 1351 Juni 11. 1355 März 6. 1355 August 29. 1359 März 8. 1359 Juni 21. 1354 Mai 20. 1360 Juli 29 und 1360 September 1 1343 Februar 16. 1350 September 27. 1359 September 3, 1345 Juli 11. 1330 Januar 18. 1315 März 17. 1342 Mai 14. 1348 Februar 5. L o c hner, Manuskript.

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Ein Jubiläum Nürnberger Kartographie. 450 Jahre seit Erhard Etzlaubs kartographischem Schaffen. Von

Dr. Herbert Krüger. Nachstehender Aufsatz wurde ebenso wie der Beitrag des Verfassers zu Petermanns Mitteilun­ gen über die Romwegkarte Erhard Etzlaubs im Jahre 1942 geschrieben. Seine Veröffentlichung an dieser Stelle hat sich durch kriegsbedingte Um­ stände verzögert. Auch die Monographie Krügers über Deutschlands älteste Straßenkarten Erhard Etzlaubs, auf die in der Abhandlung über die Romwegkarte und im nachstehenden Aufsatz öfters Bezug genommen wird, war 1942 im Manuskript abgeschlossen, wird aber erst nach Kriegsende erscheinen können. Die Schriftleitung.

Für das geistige, kulturelle und künstlerische Schaffen der mittel­ alterlichen Stadt Nürnberg sowohl wie für die Entwicklung der gesamt­ deutschen Kartographie bedeutet das Jahr 1942 ein Jubiläumsjahr. Auch heutigentags dürfen wir mit nationalem Stolz und Selbstbewußtsein uns in Erinnerung rufen, daß vor 450 Jahren der Nürnberger Sonnenkompaßmacher Erhard Etzlaub mit seinem Kärtchen der Nürnberger Umgebung die erste gedruckte deutsche Heimatkarte schuf, die Jorg Glogkendon, der älteste bekannte Nürnberger Formschneider und Illuminist, im Jahre 1492 druckte. Mit dieser ersten gedruckten Heimatkarte begann das kartographische Schaffen des Nürnberger Meisters;* seine bald darauf er­ schienenen Straßenkarten Mitteleuropas leiteten nicht nur eine Epoche blühenden Nürnberger Kartographengewerbes ein, sondern brachten auch die deutsche kartographische Wissenschaft für Jahrzehnte in Füh­ rung. Unser Beitrag zur Geschichte der Nürnberger Kartographie bildet

128 zugleich einen Nachweis der führenden Stellung des deutschen Bürger­ tums im Zeitalter der großen Entdeckungen und der aufblühenden Wis­ senschaft und Technik. Zur Begründung unseres Urteils über die Be­ deutung unseres Nürnberger Kartographen bringen wir zunächst einen Ucberblick über die Werke der Kartenzeichnung und der Kartenrepro­ duktion, die vor Beginn des Etzlaubschen Schaffens vorhanden waren. Für einen solchen Rückblick auf die ältere deutsche Kartographie steht uns heute vor allem die ausgezeichnete Untersuchung von A. Herrmann zur Verfügung *). Mit dem Zerfall des Römerreiches und den Neuformungen der Völker­ wanderungszeit war das vor allem auf Ptolemäus gegründete antike geographische Weltbild dem Abendlande vollständig verloren gegangen. Die weder auf Beobachtung noch Messung gestützten sogenannten mittelalterlichen Radkarten, Werke gelehrter Mönche, sind mehr reli­ giöse Symbole denn Weltkarten. Auf altrömischen und biblischen Vor­ stellungen beruhend, wurde die Erde als eine vom Oceanus umflossene runde oder ovale Scheibe dargestellt, die nach Osten „orientiert“ ist. Die heilige Stadt' Jerusalem bildete das Zentrum dieses Weltbildes. Oben lag das Paradies mit seinen vier Strömen, während man unter Außeracht­ lassung von Richtung und Entfernung die damals bekannten drei Erd­ teile willkürlich verlagert einzeichnete. Man freut sich beispielsweise, auf der Karte Heinrichs von Mainz aus dem 12. Jahrhundert die Donau er­ kennen zu können. Dieses im Dienst der römischen Kirche entstandene Weltbild tritt uns noch in einem der ersten Holztafeldrucke aus dem Ende des 15. Jahrhunderts, dem des Hanns Rüst, entgegen, zu einer Zeit also, in der die Kugelgestalt unserer Erde gewiß kein Geheimnis mehr war, in der die große Entdeckung der neuen Welt die Kenntnis unseres Planeten umstürzend erweiterte und in der der Forschungsreisende Martin Behaim in Nürnberg seinen berühmten Globus schuf, der übrigens auch in unserm Jubiläumsjahr 1492 entstand. Neben den Radkarten gab es im Mittelalter noch die Gruppe der sogen. Kompaß- oder Portulankarten. Das sind aus der Praxis der See­ fahrt hervorgegangene Schifferkarten. Die Küstenumrisse des Mittel­ meers sind darauf in erstaunlicher Treue wiedergegeben. Die Darstellung der deutschen Küste dagegen ist nur wenig befriedigend. Auch ist das Landesinnere auf ihnen stets unberücksichtigt geblieben. Auf die Ent­ wicklung der Kartographie von Deutschland ist diese Kartengruppe dem­ zufolge ganz ohne Einfluß geblieben.

129

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Noch eine Karte, die unter dem Namen Tabula Peutingeriana bekannt gewordene römische Straßenkarte, ist ohne Einfluß auf die Entwicklung der deutschen Kartographie geblieben. Nun hat jedoch die jüngste kartographische Forschung nachzuweisen vermocht, daß es im Mittelalter eine eigenständige deutsche astrono­ misch-kartographische Forschung gegeben hat, deren Wurzeln in den germanischen Norden, in die Spätzeit der. seefahrenden Wikinger zu­ rückreichen. „Schon im 11. Jahrhundert war bei ihnen die Breitenmes­ sung mit Quadranten bekannt; bald darauf erfand ein Wikinger den Kompaß, dessen Ursprung wir bisher bei den Chinesen oder Arabern suchten.“ Die deutsche Hanse übernahm das Erbe der Wikinger. Die älteste genauere Ortsbestimmung stammt, wie E. Zimmer2) zeigt, aus Niedersachsen: um 1328 bestimmte Johann von Hameln die Polhöhe seines Klosters Riddagshausen bei Braunschweig, und zwar durch Son­ nenbeobachtungen mit einem im Meridian aufgestellten Quadranten; die geographische Länge ermittelte er wahrscheinlich durch Wegelängen zwischen bekannten Orten. In gleicher Weise wurde die Lage Magde­ burgs bestimmt. Diesem Beispiel folgten Mönche von Reichenbach bei Regensburg, von Klosterneuburg bei Wien und anderen süddeutschen Klöstern. Wir werden bei der speziellen Behandlung der Etzlaub-Karten auf die Kenntnis der verschiedenen astronomisch-kartographischen Ele­ mente noch zu sprechen kommen. Aus dem Kreis der süddeutschen Klöster um Regensburg stammen, nach dem heutigen Stand unserer Kenntnis, dann die ersten direkten Voi arbeiten zu einer deutschen Kartographie. Der in Nürnberg geborene Mönch des Klosters Reichenbach bei Regensburg Magister Reinhard Pragensis — er hatte in Prag studiert — faßte zwischen 1444 und 1457 seine und andere in Deutschland durchgeführte Ortsbestimungen zu einem System zusammen, ergänzte dieses Material durch Meilenangaben, sogenannte Itinerare, und durch Angaben der vorher erwähnten Por­ tulan- oder Kompaßkarten. Leider sind seine daraus entstandenen hand­ schriftlichen Karten verloren gegangen. Nur Unterlagen seiner Arbeiten sind erhalten geblieben. Und aus diesen hat Dana B. Durand3) zu rekon­ struieren vermocht, daß in dieser Frühperiode der deutschen Karto­ graphie wenigstens die folgenden Werke vorhanden gewesen sein müs­ sen, auf denen Norden — worauf wir hier besonders hinweisen wollen — genau so, wie das heute bei unseren modernen Karten üblich ist, oben im Kartenbild lag: 9

130 I. Eine Europakarte des Magisters Reinhard Pragensis mit über 200 Oiten. Während die Darstellung Südeuropas auf Ptolemäus- und Kom­ paßkarten beruhte, lieferten Ortsbestimmungen und Itinerarangaben die Unterlagen für das gut gelungene Bild Innerdeutschlands. II. Es muß auch eine Deutschlandkarte vorhanden gewesen sein, die wahrscheinlich auf den Mönch Fridericus in St. Emmeram zu Regensburg zurückgeht, also aus der nächsten Umgebung des Klosters Reichenbach stammt. Sie reichte von Nancy und Luxemburg im Westen bis Breslau und Preßburg im Osten, von Brandenburg im Norden bis Mailand im Süden; das Siedlungsbild Süddeutschlands scheint darauf besonders gut getroffen zu sein4). III. und IV. Schließlich sind noch eine Karte von Deutschland und eine von Mittel- und Osteuropa vorhanden gewesen. Von beiden handschrift­ lichen Karten sind nur Teilstücke in Koblenz und Trier erhalten' ge­ blieben, die A. Wolkenhauer bereits einer ersten Untersuchung unter­ zogen hat5). Leider haben diese ersten deutschen Kartographen ihre Werke nur handschriftlich niedergelegt und haben es versäumt, ihren Zeichnungen duich Kupferstich oder Holztafeldruck festere Form, weitere Verbrei­ tung und größere Haltbarkeit zu verleihen. Nicht so sehr das Fehlen einer frühen deutschen Kartenwissenschaft, sondern das Fehlen einer leistungsfähigen kartographischen Reproduktionstechnik ist es also ge­ wesen, die die Entwicklung unseres Forschungszweiges um ein halbes Jahrhundert aufgehalten hat. In diese Zeit fällt nun die aus der italienischen Renaissance erwach­ sene Wiedererweckung des antiken griechischen Geographen Ptolemäus. Die erste Ausgabe seiner Werke erfolgte im Jahr 1477 in Bologna noch ohne Karte; erst der Ausgabe von 1478 in Rom war eine auf seinen An­ gaben beruhende Rekonstruktion seiner verloren gegangenen Original­ karte beigegeben worden, von den Deutschen Schweinheim und Bücking in Kupfer gestochen. Bald darauf wurde von dem Benediktinermönch Donnus Nicolaus Germanus, der dem obengenannten Kloster Reichen­ bach angehörte, im Jahre 1482 in Ulm eine deutsche Ptolemäusausgabe herausgebracht, der im Jahre 1486 bereits ein Neudruck folgte. Der Formschneider Johann Schnitzer von Arnheim hatte hierfür die von Nicolaus Germanus gezeichneten Karten in Holz geschnitten. „Dieser erste Ptolemäusdruck in Deutschland muß“, wie A. Herrmann ausführt, „die deutsche Gelehrtenwelt derart in ihren Bann gezogen

131 haben, daß er alle anderen kartographischen Versuche aus dem Felde schlug. Man bewunderte in dieser Ausgabe die unerreichbare Leistung des alten Weisen und übersah dabei, daß gerade dessen Karte von Ger­ manien besonders durch arge Positionsfehler im Norden zu einem der größten Zerrbilder seines Werkes geworden war. Ptolemäus galt viel­ mehr derart als Autorität, daß er die viel besseren Reichenbacher Kar­ ten ganz in den Hintergrund drängte. Da diese niemals gedruckt wurden, verstaubten sie in ihren Klosterbibliotheken und gerieten dadurch schnell in Vergessenheit. Die Wiederaufnahme der Geographie des Ptolemäus bedeutete also für die Wissenschaft, soweit die Darstellung Deutschlands in Betracht kommt, das Gegenteil von dem, was man ihr bisher zu­ geschrieben hatte: einen Rückschritt von dem hohen Standpunkt, den die deutsche Kartographie um 1480 schon erreicht hatte. Es bedurfte der mühseligsten Arbeit, bis diese sich von der Bevormundung durch Ptole­ mäus freimachte, um den wissenschaftlichen Stand wieder zu erreichen, den sie durch die bahnbrechenden Leistungen Reichenbacher Mönche eingenommen hatte“6). Und unter den Pionieren, die der deutschen Kartographie ihre eigenständige Stellung zurückerobert haben, steht unser Nürnberger Meister Erhard Etzlaub an erster Stelle. Noch aber ist Etzlaubs Zeit nicht gekommen! Hier schaltet sich in die Entwicklung der europäischen Kartographie zunächst noch jene Gruppe von Karten ein, die — auf das Werk des deutschen Kardinals Nicolaus von Cues zurückgehend — als Karten vom Cusanustyp zusammen­ zufassen sind. Wann unter seinen zahlreichen wissenschaftlichen Werken die Karte von Deutschland entstanden ist, hat sich nicht ermitteln lassen. Die da­ für in Anspruch genommenen Jahre 1439 oder 1457/58 liegen jedenfalls in der Zeit, in der auch die Reichenbacher Mönche Reinhard und Fridericus an ihren Karten arbeiteten. Wieweit Cusanus deren Arbeiten ge­ kannt hat, hat sich noch nicht feststellen lassen. Entscheidend war für ihn dagegen, daß er in Italien die „Geographie“ des Ptolemäus kenne* gelernt und benutzt hatte. Trotzdem er einige Verbesserungen daran voniahm und statt der antiken Ortsnamen die derzeitigen Städtenamen einfügte, basieren seine kartographischen Arbeiten auf den Grundfehlern des antiken Geographen. Wie groß jedoch die Nachwirkung seiner Kar­ ten gewesen ist, können wir aus der Ueberlieferung der vielen Kopien und Ueberarbeitungen ersehen, die bis ins 16. Jahrhundert hinein als Karten vom Cusanustyp das Kartenbild Deutschlands beherrscht haben. 9*

132 Die von Nicolaus von Cusa entworfene Originalkarte aus der Zeit um 1450 ist nicht erhalten geblieben. Ihre Veröffentlichung durch den Druck in Form von Kopien, die in geringerer oder stärkerer Ueberarbeitung auf das Original zurückgehen, hat dann aus heute noch nicht genügend geklärten Umständen noch fast ein halbes Jahrhundert auf sich warten lassen. Der zugleich als ältester Kupferstich einer Deutschlandkarte be­ rühmt gewordene früheste Vertreter der Cusanuskarten ist das im Jahre 1491 in der Bischofsstadt Eichstätt a. d. Altmühl erschienene Blatt, die sogen. Eichstätter Karte7). Als Zeichner dieser Karte kommt nach F. Ritter von Wieser8) der gleiche Reichenbacher Benedictinermönch Donnus Nicolaus Germanus in Betracht, dessen Mitwirken an der Publi­ kation der deutschen Ptolemäusausgabe wir bereits besprochen haben. Eichstätt als Verlagsort des Kupferstichs erklärt sich in erster Linie daraus, daß diese Bischofsstadt die einzige deutsche Stadt war, in der damals das Kunsthandwerk des Kupferstichs blühte. Als Stecher wird von Passavant Meister Wolf Hammer v. München genannt9). Wie alle Ptolemäuskarten und die verloren gegangenen frühen Deutschlandkarten sind auch die Karten vom Ousanustyp „genordet“ worden. Der Eich­ stätter Karte ist dabei erstmalig ein Gradnetz eingezeichnet, dem eine Kegelprojektion zu Grunde liegt. Der Maßstab dieser Karte, von der sich bisher 5 Exemplare haben nach weisen lassen10), ist auf 1 : 6 500 000 zu bestimmen. Auf die technischen Einzelheiten der Darstellung in dieser Karte wollen wir beim Vergleich mit den Etzlaubkarten noch zu sprechen kommen. Nur zwei Jahre nach Erscheinen der Eichstättkarte gab der bekannte Humanist Hartmann Schedel in Nürnberg seine Weltchronik „Chronicon lat., Norimbergae 1493“ heraus, die eine starke Verbreitung gefunden hat. Dieser Chronik gab er eine Karte Mitteleuropas bei, einen Holzschnitt, den der Nürnberger Arzt Hieronymus Münzer entworfen und gezeichnet hatte. Der Formenschneider Michael Wolgemut, der uns auch als Lehrer Dürers bekannt ist, arbeitete den Holzstock. Münzer, der in den Jahren 1476 bis 1489 wiederholt in Italien weilte, hatte gewiß Gelegenheit, die dort erschienenen Karten des Nicolaus Cusanus und seiner Kopisten kennen zu lernen. In Projektion, Kartenraum und Gestaltung des Karten­ inhalts zeigt seine Karte deutlich die Abhängigkeit von Cusas MagnaGermaniakarte, so daß sie zum Typ der Cusanuskarten zu zählen ist. Allerdings zeigt sie in Einzelheiten auch unmittelbare Anklänge an Ptolemäus. Im Gegensatz zu der in Kupfer gestochenen Eichstätter Karte ist Münzers Karte in Holz geschnitten. Wohl mit Rücksicht auf das sprödere

133 Material hat der Autor hier Topographie und Beschriftung auf die wesentlichsten Züge beschränkt. Neben der Antiquaschrift für die Land­ schafts- und Völkerschaftsnamen führt Münzer hier erstmalig die deut­ schen Namensformen der Orts- und Flußnamen in Fraktur ein. Die Einzelgestaltung auch dieser Karte vom Cusanustyp vom Jahr 1493 wol­ len wir in vergleichender Betrachtung mit den Straßenkarten Erhard Etzlaubs behandeln. Zwischen diese beiden bedeutungsvollen Veröffentlichungen von Deutschlandkarten des Cusanustyps, der Eichstätter Karte von 1491 und der Miinzerschen Karte aus Hartmann Schedels Weltchronik vom Jahr 1493, fällt nun das Erscheinen der in ihren äußeren Ausmaßen und ihrem auf 16 Meilen im Halbmesser beschränkten Kartenraum gewiß bescheidenen Umgebungskarte von Nürnberg, die von Jörg Glogkendon auf das Jahr 1492 datiert herausgegeben wurde. Aber trotz ihrer äußeren Bescheidenheit ist sie von außerordentlicher Bedeutung; sie erscheint uns als ein neuer Anfang in der Entwicklung der deutschen Kartographie, als ein Zurückgreifen auf die durch Ptolemäus und die von ihm beeinflußten Kartographen unterbrochene Linie eigenständigen deut­ schen kartographischen Schaffens. Die beigefügte Reproduktion dieser ältesten deutschen Heimatkarte, die nach 450 Jahren hiermit ihre erste Wiederveröffentlichung findet, trägt neben dem Jahresdatum zwar den Namen des ältesten Nürnberger Formenschneiders und llluministen, der zugleich Drucker und Verleger des Blattes gewesen ist, Jörg Glogkendon. Der Name des wissenschaftlichen Autors und Kartographen ist jedoch ungenannt geblieben. Es bedurfte jahrelanger eifriger Forschung der modernen Geschichte der Karto­ graphie, um ihn der Vergessenheit zu entreißen. Soweit wir sehen, war es der Würzburger Oberbibliothekar A. Ruland, der dieses Kartenblatt zusammen mit einem weiteren, außerordentlich bedeutungsvollen Etzlaubdruck in einer Handschrift der Münchener Staatsbibliothek überhaupt erst entdeckt hat. Beide Drucke hatte Hartmann Schedel in das Hand­ exemplar seiner eigenen Weltchronik von 1493 auf restlichen unbe­ druckten Blättern eingeklebt11). Nur dadurch sind diese frühen und sel­ tenen Einblattdrucke erhalten geblieben und auf uns gekommen. Beide Blätter stellen bis heute, wie wir noch zeigen werden, Unica dar. Ru­ land hatte seinerzeit den namentlich genannten Jorg Glogkendon nicht nur als Herausgeber, sondern auch als Autor der Nürnberger Umgebungs­ karte in Anspruch genommen. Auch die dort beigefügte anonyme Land-

134 karte — es ist die zweite Ausgabe der später noch zu besprechenden sog. Romwegkarte Erhard Etzlaubs 12) — hatte er diesem zugesprochen. Den Namen Erhard Etzlaub als Kartographen des frühen 16. Jahrhunderts und eine „tabula Germaniae“ als Werk desselben führt, soviel wir sehen, dann erstmalig A. Breusing13) in die Geschichte der Kartographie ein, während noch in der Folgezeit die Forschung jene seltenen, aber von auffallenden Eigenheiten beherrschten Karten vom Etzlaubtyp unter dem Namen des Herausgebers Glogkendon zu sammeln beginnt. Da ist zu­ nächst die schöne Arbeit des Franzosen L. Gallois über die deutschen Geo­ graphen der Renaissancezeit14) zu nennen, in der dieser Forscher die erste Reproduktion der Romwegkarte unseres damals noch unbekannten Mei­ sters vornahm, in der er aber gleichzeitig auf die Verwandtschaft mit der von Georg Glogkendon im Jahre 1501 herausgegebenen sog. Land­ straßenkarte hingewiesen hat. Gleich darauf hat auch S. Rüge in seiner Abhandlung über die Eichstätter Karte vom Cusanustyp15) die Aehnlichkeit zwischen der von Glogkendon herausgegebenen Landstraßen­ karte und der Romwegkarte hervorgehoben. Als Glogkendonsche Karte bezeichnete auch noch Wilhelm Wolkenhauer, der Vater August Wolkenhauers, im Jahre 1895 die seltene Straßenkarte in seinem „Leit­ faden“ 16). H. Zimmerer ist es dann gewesen, der erstmalig Erhard Etzlaub, den Nürnberger Sonnenkompaßmacher, als Autor einer Deutschlandkarte in Anspruch genommen hat, die nach seiner Meinung dem Gedicht des Nürnberger Schusterpoeten Hans Sachs über die 110 Flüsse des deut­ schen Landes zu Grunde gelegen habe 17). Damit hat er allerdings fehl­ gegriffen. Denn die „Beschreibung des weith Berümpten Deudtschlandt, Nürnberg 1569“ ist eine recht späte Ueberarbeitung der Etzlaubkarten. Aber die erstmalige Identifizierung des unbekannten Kartographen mit dem in der Nürnberger Lokalgeschichte bekannten Sonnenkompaßmacher Erhard Etzlaub muß als sein bleibendes Verdienst angesehen werden. Er hat damit dem Göttinger Dozenten August Wolkenhauer den Weg ge­ wiesen, der als der eigentliche Entdecker Erhard Etzlaubs bezeichnet werden muß. Der Soldatentod in den Argonnen im Februar 1915 hat dem Schaffen dieses hoffnungsvollen Forschers ein allzufrühes Ziel gesetzt. Was wir im folgenden an Lebensdaten unseres Nürnberger Meisters vor­ zubringen wissen, geht fast ausschließlich auf Wolkenhauers Forschun­ gen zurück18). Nur gelegentliche Aeußerungen gelehrter Nürnberger Zeitgenossen über Aussehen und Bedeutung von Etzlaubs Werken und einige urkund-

135 liehe Angaben in den Nürnberger Archiven haben Wolkenhauers Nach­ forschungen mit einem einigermaßen brauchbaren Bild vom Lebensweg Etzlaubs belohnt. Im Jahr 1484 ins „Bürger- und Meisterbuch“ als Bürger eingetragen, müssen wir sein Geburtsdatum „um 1460“ ansetzen. Er war Kompaß­ macher, d. h. er stellte jene kleinen Taschensonnenuhren her, die zur bes­ seren Orientierung mit einer Magnetnadel kombiniert waren. Diese Nürn­ berger Sonnenkompasse genossen eine gewisse Berühmtheit und gerade unseres Etzlaub „horologia“ sollen, den Angaben seines Mitbürgers Cochläus zufolge, selbst in Rom geschätzt gewesen sein. Etzlaubs Zugehörig­ keit zum Handwerkerstand ist nicht nach modernen Gesichtspunkten zu beurteilen. Ebenso wie Albrecht Dürer oder Hans Sachs waren in jener großen Zeit Nürnbergs, in der Wissenschaft, Kunst und Handwerk Hand in Hand gingen, die Handwerker ebenso Künstler wie die Künstler Hand­ werker. Gerade die Herstellung wissenschaftlicher Instrumente stand in jener Zeit in Nürnberg in hoher Blüte. Denken wir an Regiomontanus Schaffen 1471 — 1475 oder an Johann Werner und Johann Stabius, nach denen die Stab-Wernersche Kartenprojektion genannt ist. Melanchthon gründete hier seine Gelehrtenschule, deren erster Mathematiker Johann Schöner wurde. Johann Neudörfer spricht von Etzlaub als einem „Magi­ ster“ und rühmt sich, von ihm in der Rechenkunst unterwiesen worden zu sein. So scheint Etzlaub auch als Schreib- und Rechenmeister, d. h. als nichtakademischer Lehrer tätig gewesen zu sein. Auch als Astronom ist Etzlaub seinen Mitbürgern bekannt, und Johann Schöner weiß viel Anerkennendes von ihm zu berichten 19). In späteren Jahren wandte sich unser Nürnberger Meister auch der Medizin zu; in hohem Alter soll er noch ein angesehener und beliebter Arzt gewesen sein. Dieser vielseitigen Tätigkeit entspricht auch seine soziale Stellung innerhalb seiner Heimatstadt. Er war verheiratet, starb aber im Alter von über 70 Jahren Anfang 1532 kinderlos. „Bei der alten Schmelz­ hütte“, d. i. die heutige Obere Talgasse, bewohnte er ein Haus, das der Rotschmied Otto Aletzheimer ihm vermacht hatte. 1511 wurde ihm das Ehrenamt eines Hauptmanns im Viertel am Salzmarkt übertragen. Auf einem Wandkalender für das Jahr 1532 nennt er sich „Erhard Etzlaub, burger zu Nürnberg, der freyen Kunst und ertzney Liebhaber.“ Es empfiehlt sich, zunächst einen Blick auf die Erzeugnisse von Etz­ laubs hauptberuflichem Schaffen, die Sonneiikompasse, zu werfen, weil sie uns manche Erklärung über die Eigentümlichkeiten seiner Karten-

136 weike liefern. In dieser Richtung hat die geographisch-kartographische Forschung jüngst wertvolle Ergänzungen unserer Kenntnis von Etzlaubs Schaffen geliefert. Es haben sich nämlich zwei aus den Jahren 1511 und 1513 stammende Etzlaubsche Sonnenkompasse aufgefunden; das ältere Exemplar von 1511 befindet sich im Germanischen Nationalmuseum Nürnberg, das andere vom Jahr 1513 war im Privatbesitz von Studien­ professor Dr. Drecker, Dorsten/Westfalen, der eine ausführliche Be­ schreibung und Erklärung der Instrumente lieferte 20). Durch einen glück­ lichen Urkundenfund im Staatsarchiv München förderte er überdies eine aufschlußreiche Gebrauchsanweisung für diese Sonnenkompasse, einen „Canon ad compastum Norembergensem“ an den Tag. Im letzten Satz dieses Canon weist der Schreiber der Gebrauchsanweisung und Her­ steller dieser Sonnenuhren mit den Worten: „versus quam plagam una civitas ab alia sit sita, in Charta, quam stratam per Romanum imperium nominavi, inspiciendum est“ auf die Verwendungsmöglichkeit s'einer Sonncnkompasse bei der Benutzung seiner Landstraßenkarte durch das Römische Reich vom Jahre 1501 hin und gibt sich damit ohne allen Zweifel als unser Sonnenkompaßmacher und Kartograph in einer Person, als Erhard Etzlaub^ zu erkennen. Eine solche mit Kompaß kombinierte Sonnenuhr besteht nach Drecker aus zwei rechteckigen Brettchen aus Buchsbaumholz, die, durch ein Scharnier verbunden, aufeinandergeklappt oder senkrecht zueinander gestellt und in jeder dieser Lagen durch^ Metallhaken fixiert werden kön­ nen. Die Maße betragen 116 mm Länge zu 84 mm Breite; die Dicke der Brettchen beträgt 14 mm bzw. 7 mm. In der Mitte des Basisbrettchens ist eine Vertiefung zur Aufnahme des Kompasses eingelassen. Durch eine bewußte Abweichung des Nordpunktes von der Mittellinie des Instru­ ments um 10 Grad ist erwiesen, daß. unserem Kompaßmacher nicht nur die sogenannte Mißweisung der Kompaßnadel21), sondern auch die Ver­ schiedenheit des Mißweisungsbetrages an verschiedenen Orten der Erde geläufig war. Mit 100 ist die Deklination Nürnbergs für das Herstellungs­ jahr des Instrumentes 1513 gut bestimmt. Die acht Hauptwinde sind nach ihren italienischen Benennungen verzeichnet. Die Innenseiten des Instrumentes enthalten dann eine ganze Anzahl Sonnenuhrenskalen, die sich teils auf den Schattenwurf eines die beiden Teile des Instrumentes verbindenden Fadens, teils auf den Schatten zweier Gnomone beziehen, welche auf den Flächen senkrecht stehen. Daraus ergibt sich die sinnvolle Kombination einer Fadensonnenuhr,

137 einer horizontalen Gnomonuhr und einer vertikalen Gnomonuhr, die eine Unterteilung bis zu Viertelstunden ermöglicht. Während dabei der Nor­ malstand mit 49° n. Breite, d. h. der geographischen Breite oder Pol­ höhe von Nürnberg angenommen wurde, ist die Benutzung des Instru­ ments für einen Reisenden in den verschiedensten Breiten von Mittel­ europa bis zum Aequator und zu den verschiedensten Jahreszeiten vor­ gesehen. Die obere Außenfläche dieser beiden Sonnenuhren enthält je eine Landkarte, auf deren besondere Bedeutung wir am Schluß unserer Untersuchung noch einmal zurückkommen wollen. Bei der Einrichtung des Instrumentes gegen die Sonne mußte man sich — und das wird in der Folgezeit wichtig für die „Orientierung“, die Richtungsbestimmung auf den Etzlaubkarten — zunächst mit dem Blick nach Süden stellen. Das ist der Grund, warum unser Kompaßmacher auch auf seinen Karten, bei deren Benutzung er die Zuhilfenahme seiner Sonnenkompasse jeweils ausdrücklich empfiehlt, Süden an den oberen Kartenrand verlegt. Mit dieser, auch dem modernen Betrachter unge­ wohnten Siidorientierung seiner Karten stellte sich Etzlaub in bewußten Gegensatz zu der bisherigen kartographischen Uebung. Offenbar hatte der Kartograph Etzlaub ein Interesse daran, die Benutzer seiner Sonnen­ kompasse an die Verwendung seiner Karten, und der Sonnenkompaß­ macher Etzlaub, die Benutzer seiner Karten an den Gebrauch seiner Sonnenkompasse zu gewöhnen, nach Süden zu blicken und die für den praktischen Tagesgebrauch bestimmten Straßenkarten demzufolge auf Süden einzustellen. Diese Südorientierung hat sich durch die weite Ver­ breitung und die lange Nachwirkung der Karten vom Etzlaubtyp bis über die Mitte des 16. Jahrhunderts hinaus erhalten. Betrachten wir nach dieser Erklärung der für Etzlaub kennzeich­ nenden Südorientierung jetzt sein frühestes Kartenwerk von 1492. A. Wolkenhauer hat diese älteste gedruckte deutsche Heimatkarte in seinem Kasseler Vortrag 1904 und in seinem Nürnberger Vortrag 1907 nur im Lichtbild vorgewiesen und lediglich einige einleitende Bemer­ kungen dazu gegeben 22). Diese Karte ist ein Holzschnitt, ein sog. Einblattdruck, 27 X 39 cm groß. An der linken Seite ist zur Kennzeichnung der Himmelsrichtung an­ gegeben: „Item das ist der teil gegen dem aufgange der sunen“, rechts: „Item das ist der tail gegen dem Untergang“. Unter dem oberen Karten­ rand steht dementsprechend: „Item das ist der tail gegen mittemtag.“ Darunter finden sich der Vierzeiler:

138 „Ob yemant sprech oder in Im selbs trachtet Aus wem oder wie man das machet Die kunst Geometrey ist genant Thut uns des ertreichs leng und brait bekant“ und die Worte „Jhesus Maria“. Zwischen diesen ist dann, zwischen Füll­ verzierungen verteilt, die Jahreszahl 1492 angebracht. Eine untere Ab­ schlußleiste trägt den Meilenmaßstab von zwei mal 10 zu 10 Strich­ abständen, in die links die Erklärung: „das sein die Meill“ und rechts der Name des Druckers und Herausgebers „Jorg Glogkendon“ ein­ gefügt ist. Die eigentliche Karte ist kreisförmig mit einem Durchmesser von 21,8 cm. Unten wird in einer Legende gesagt, daß der Radius der Karte 16 Meilen betrage. Der Halbmesser von 10,9 cm stimmt tatsächlich vor­ züglich mit sechzehn Meilenabständen des unteren Meilenmaßstabes über­ ein. Außerdem wird erklärt, wie man mit Hilfe des Meilenmaßstabes und eines Zirkels die Entfernungen der Orte auf der Karte messen könne. Diese Gebrauchsanweisung unterhalb der Maßstabsleiste lautet wie folgt: „Das stucklein in den circkel Do hat der Dyamiter XVI meil vnd Nurmberg ligt in der mitt // des zirckels und hat vberall vmb sich auff das weittist sechzechen meill begriffen. Wil tu // nun wissen wie vil meill von einer stat zu der anderen sey in den obgenanten zirckel verzaichet, so nym // einen zirckel vnd miß von einem roten vunctlein zu dem andern bey den namen der stett in dem // zirckel verzaichet vnd setz denn den gemessen zirckel auff die zall der strichlein vnder dem // zirckel ob der geschrifft bezaichet, do ist von einem strichlein auff das ander ein meill vnd // von einem kreutzlein zu dem andern zehen meill.“ Der wirkliche Maßstab dieser Rundkarte, die keine Gradeinteilung er­ kennen läßt, ist rund 1 : 1 000 000. Im Mittelpunkt der Karte liegt die Stadt Nürnberg; unter ihrem ringförmigen Ortszeichen befindet sich das Nürnberger Wappen. Nach Wolkenhauers Angaben ist die Karte im Original23) koloriert: Flüsse blau, politische Grenzen rot, die Städte­ kreise sind mit Gold ausgefüllt; auch das Nürnberger Wappen ist farbig angelegt. Nur ein Kartenelement, das auf der Cusakarte bereits ent­ wickelt worden war, fehlt auf unserer Etzlaubkarte: die Gelände­ darstellung. Wie bereits aüsgeführt, ist die Karte nach Süden orientiert, so daß wir die Städte und Flüsse im Süden der Stadt, die wir auf modernen Karten im unteren Kartenraum zu suchen gewöhnt sind, in der oberen

139 Kartenhälfte wiederfinden. So reicht oben im Süden die Karte bis über die Donau, an deren Ufern wir den Städten Donauwörth, Neuburg, Irigolstadt, Vohburg, Kelheim und Regensburg begegnen. Im Norden reicht die Karte bis Königshofen, Coburg und Kronach, im Osten bis Wunsiedel im Fichtelgebirge und Neustadt, Pleystein und „Swartzenburg“24) in der Oberpfalz. Am westlichen Kartenrand liegen Giengen, Crailsheim und Tauberbischofsheim, wo die Tauber das Kartenbild verläßt. Gewiß ist das Flußnetz der zumeist aus einem „Quellteich“ entsprin­ genden Flüsse als recht roh zu bezeichnen. Aber im Vergleich zu dem Gewässernetz der bisher erschienenen Karten vom Cusanustyp haben wir kein Recht, an diese offenbar auf eigener kartographischer Basis be­ ruhende Arbeit einen allzustrengen Maßstab anzulegen. Lech, Altmühl, Vils, Naab und Regen sind ohne wesentliche Verzerrungen eingetragen. Auch der Main zeigt mit seinem Schweinfurt — Würzburger Maindreieck durchaus kennzeichnende Formen. Als dessen Zuflüsse werden Rednitz, Rezat, Schwarzach und Pegnitz betrachtet. Daß die Tauber bei Tauber­ bischofsheim in einem „Quellteich“ statt am Kartenrand endet, ist wohl der gröbste Fehler in dem vielgestaltigen Gewässernetz dieser ältesten deutschen Spezialkarte. Ebenso reichhaltig wie das Gewässernetz ist auch das Städtebild dieser kleinen Holzschnittkarte bedacht. Gegenüber der Städte- und Städtenamenleere auf Thomas Münzers Holzschnittkarte von 1493 muß uns diese geschickt und lesbar geordnete Gruppierung von Ortssigna­ turen und Ortsnamen in höchstem Maße überraschen. Namensform und Schriftsatz sind dabei durchweg deutsch und — wie wir annehmen möchten — in der damaligen heimischen Sprachform niedergelegt; sie zeigen unseren Nürnberger Meister frei- von jeder falschen Gelehrsam­ keit. Die Zahl der Städte auf diesem kleinen Raum beträgt merk­ würdigerweise genau 100. Dabei ist die Lage der Orte, in radialer Rich­ tung vom Kartenmittelpunkt Nürnberg gesehen, erstaunlich gut; in trans­ versaler Richtung zeigen sich dagegen bedeutendere Verschiebungen. Ohne Zweifel ist die Karte auf Grund von Meilenangaben vom Nürn­ berger Stadtzentrum aus entworfen. Die auf astronomischer Breiten-' bestimmung beruhende transversale Fixierung ist dagegen nicht so gut gelungen. Die mit roter Farbe eingezeichneten Grenzen verleihen unserer älte­ sten deutschen Heimatkarte zugleich auch den Charakter der ältesten politischen Karte fest abgegrenzter dynastischer Herrschaftsbereiche.

140 Denn was uns auf früheren und gleichzeitigen Karten an „politischer“ Signatur begegnet, beschränkt sich auf eine völlig unbegrenzte und recht vage in den Raum gruppierte Angabe von Landschafts-, Stammes- und Völkerschaftsnamen, wie z. B. Bavaria, Swevia, Franconia, Austria, Saxonia, Lusacia, Silesia auf Münzers Karte von 1493, wobei Fehlbestim­ mungen wie Britania im Gebiet der mittleren Loire Vorkommen können. Noch weniger kann die Eichstätter Karte von 1491 den Anspruch er­ heben, eine moderne politische Karte genannt zu werden. Denn hier wird immer wieder der aussichtslose Versuch unternommen, die antiken Völkerschaftsnamen des Ptolemäus, etwa Noricum, Vindelicia, Panonia, Ilyris und andere mit den zeitgenössischen völkischen und politischen Gegebenheiten in Einklang zu bringen. Auf Etzlaubs Nürnberger Um­ gebungskarte tritt dagegen die klare und eindeutige politische Grenze als völlig moderner Begriff und als selbständige kartographische Sig­ natur erstmalig und, wie wir meinen, auf längere Zeit einmalig in Er­ scheinung. Die Städte in ihrem Charakter als freie Reichsstädte, etwa Nürnberg, Weißenburg, Rothenburg, Nördlingen, Ulm, Regensburg u. a. sind hier nicht besonders kenntlich gemacht. Dagegen scheint das Gebiet der Burggrafschaft Nürnberg von seiner westlichen und südlichen Be­ grenzung bis in den Raum des Fichtelgebirges hinein klar abgegrenzt zu sein. Im Osten anschließend ist die Pfalz Mosbach als geschlossenes Territorium zu erkennen und das Herzogtum Bayern stößt von Süden mit einem Landschaftskeil über die Donau nach Norden vor. Die geist­ lichen Territorien der Bistümer Bamberg, Würzburg, Eichstätt usw. sind dagegen nicht gegeneinander abgegrenzt worden. Auf weitere territorialpolitische Einzelheiten der Etzlaubkarte wollen wir hier nicht eingehen. Eine gründliche Auswertung dieser ältesten deutschen politischen Karte mag der landesgeschichtlichen Forschung Frankens überlassen bleiben. Bemerkenswert erscheint es uns immerhin, daß ein fränkischer Forscher wie H. Dannenbauer25) in seiner gediegenen Untersuchung der Nürnbeiger Territorialentwicklung sich dieser zeitgenössischen kartographi­ schen Quelle nicht bedient hat. Es ist nicht ohne Interesse, Etzlaubs Kartenangaben einmal in Einzel­ heiten auf ihre Richtigkeit und Brauchbarkeit zu überprüfen. Der Um­ kreis der Etzlaubkarte mit einem Radius von 16 Meilen umfaßt randlich beispielsweise die Städte Coburg, Königshofen, Karlstadt, Tauber­ bischofsheim, Crailsheim, Giengen, Rain bei Donauwörth, . Abensberg nahe Kelheim, „Swartzenburg“ 26), Wunsiedel, die Main- und Naabquellen und Weißenstadt im Fichtelgebirge. Streng genommen müßte es sich bei



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einem 16-Meilen-Umkreis ja um eine Luftlinienentfernung vom Zentrum Nürnberg aus handeln. Das ist aber nicht der Fall. An vier Beispielen können wir nachweisen, daß die Luftlinienentfernung der dem Karten­ rand benachbarten Städte geringer als 16 Meilen = 16X7,5 = 120 km ist. Etzlaub hat die Entfernung der betreffenden Städte von Nürnberg eben auch nicht nach der Luftlinie, sondern nach den Meilenentfernungen der Straßenstrecken berechnet. Diese Meilenstrecken, die uns auf seinen späteren Straßenkarten begegnen und die ihm aus mittelalterlichen Itineraren und Streckenverzeichnissen bekannt gewesen sein werden, kom­ men der geforderten Entfernung von 16 Meilen erstaunlich nahe. Das um so mehr, wenn man bedenkt, daß diese Städte vom Kartenrand ver­ schieden weit entfernt liegen. Von Nürnberg bis Coburg Tauberbischofsheim Giengen Rain/Lech

Luftlinienentfernung von Nürnberg 90 104 111 85

km km km km

nach Etzlaubs27) Straßenkarten 16 M 14 M 15 M 12 M

= = = =

120 km 105 km 112 km 90 km

Wir haben also nachweisen können, daß das Grundgerüst dieser eigenständigen deutschen Heimatkarte auf sorgfältigen Meilenmaßen be­ ruht. Diese Meilenangaben zu gewinnen, bot das Netz der von Nürn­ berg, dem bedeutendsten deutschen Handelszentrum, ausgehenden Straßen mit ihren Etappenstationen unserm Meister die beste Gelegen­ heit. Er brauchte die Maße dabei nicht einmal selbständig abzustecken. Denn sie standen ihm, wenigstens im Zuge der wichtigsten deutschen Heer-, Handels- und Pilgerstraßen, in der Form handschriftlicher und ge­ druckter mittelalterlicher Pilger- und Reiseitinerare zahlreich zur Ver­ fügung 28). Es war. Etzlaubs einmalige Leistung, aus diesen ersten linear gedachten Straßenrouten ein brauchbares kartographisches Raumbild zu konstruieren. Seine kartographischen Konstruktionslinien, wenn man so sagen soll, die Straßenrouten, hat er in seinem Erstlingswerk, unserer Nürnberger Umgebungskarte, allerdings nicht zur Darstellung gebracht20). Diese Idee, die die Städte miteinander verbindenden Straßen als selb­ ständiges kartographisches Element in der Signatur einer Linie oder einer punktierten Linie in die Karte aufzunehmen, hat Erhard Etzlaub dann bald in seiner „Romwegkarte“ verwirklicht, die, nicht genau datiert, auf die Zeit „nach 1492“ anzusetzen ist. Mit dieser Romwegkarte hat



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unser Nürnberger Kartograph die älteste Straßenkarte der modernen Kai tographie geschaffen. Wir, die wir uns das Bild einer modernen topographischen Karte ohne die Einzeichnung von Straßen und Wegen schlechterdings nicht vorstellen können, müssen bedenken, daß unser Nürnberger Meister, ge­ nau wie bei der Erfindung der politischen Grenze, auch bei der Erfindung der Straße als kartographischem Element völlig ohne Vorgänger ge­ wesen ist. Diese Romwegkarte, die den ausführlichen Titel trägt: „Das ist der Rom-Weg von meylen zu meylen mit puncten verzeychnet von eyner stat zu der andern durch deutzsche lantt“, ist gleichfalls ein Holzschnittdtuck in der Blattgröße von 29 X 41cm und einem Kartenmaßstab von 1:5300 000. Bezüglich des dargestellten Kartenraums, der von Nord­ jütland und Südschweden im Norden bis Neapel im Süden, von Narbonne, Paris und Brügge im Westen bis Danzig, Krakau und Budapest im Osten reicht, besitzt sie den Charakter einer Mitteleuropakarte. Bezüglich des Straßennetzes ist sie, der Ueberschrift gemäß, eine Pilgerstraßenkarte. Von neun verschiedenen Punkten ausgehend, durchlaufen Romwege Mitteleuropa und vereinigen sich in Rom, dem hervorragendsten Ziel aller christlichen Pilger. Sie bieten eine treffliche Veranschaulichung des Spiichworts: „Viele Wege führen nach Rom!“ Auf der mit einer Ab­ bildung des Etzlaubschen Sonnenkompaßzifferblattes geschmückten Fuß­ leiste gibt Etzlaub eine ausführliche Gebrauchsanweisung für die Ver­ wendung von Zirkel und Sonnenkompaß bei der Benutzung seiner Straßenkarten. Auch diese Etzlaubkarte besitzt die bereits besprochene Südorientierung. Die hier erstmalig zur Anwendung gebrachte Straßen­ signatur muß insofern als genial bezeichnet werden, als hier die Straße nicht als ausgezogene, sondern als punktierte Linie verzeichnet wird, wobei die Zahl der Punkte zugleich der Zahl der Meilen der Teilstrecken zwischen den einzelnen Etappenstationen entspricht. Straßenführung und Entfernungsangaben sind somit in einer einzigen Signatur vereint30). Das folgende wichtige Werk Etzlaubs, die Landstraßenkarte von 1501, ist dann im Prinzip nur eine im Kartenraum umfangreichere und im Straßennetz mannigfaltigere Straßenkarte. Dieses Blatt, für das gleich­ falls Handkolorierung vorgesehen war, mißt rund 40 X 54 cm; der Kar­ tenmaßstab beträgt hier 1 :4 100 000. Der Titel lautet: „Das sein dy lantstrassen durch das Römisch reych von einem Kunigreych zw dem andern, dy an Tewtsche Land stössen, von meilen zw meiln mit puncten ver-

143 zaichnet.“ Hier aber bringt der Herausgeber, wie bei der Nürnberger Heimatkarte, wieder Drucker und Datum: „Getruckt von Georg Glogkendon zw Nurnbergk 1501,“ ein Umstand, der Wolkenhauer seinerzeit den Nachweis der Autorschaft Etzlaubs überhaupt erst ermöglicht hat. Denn nicht von der Nürnberger Umgebungskarte, sondern von den beiden Straßenkarten aus, deren enge Verwandtschaft in der äußeren Anlage, in Umriß, Geländedarstellung, Gewässernetz, Schrifttyp und nicht zuletzt in der einmaligen Gestaltung der Straßenzüge in die Augen springt, ist Wolkenhauer seinerzeit die Bestimmung des Autors geglückt. Der verzeichnete Kartenraum ist in dieser Karte vor allem nach Westen erweitert, so daß Barcelona, Paris, Calais und Canterbury an das deutsche Landstraßennetz angeschlossen werden konnten. Mit be­ rechtigtem Stolz weist der Autor auf die Einzeichnung von 820 Städten hin. Das etwa die Hälfte dieser Städte verbindende Straßennetz, in des­ sen Mittelpunkt hier eindeutig Nürnberg — nicht nur Etzlaubs Heimat­ stadt, sondern auch das überragende Handelszentrum Oberdeutschlands — gestellt wird, ist viel mannigfaltiger als auf der Romwegkarte aus­ gebildet. Wenn auch diese Landstraßenkarte noch kein lückenloses zeit­ genössisches Straßenbild Gesamtdeutschlands veranschaulicht, so gibt es ohne Zweifel den Umfang und die Hauptrouten des Nürnberger Handels um 150031) in seltener Anschaulichkeit wieder. Wie außerordentlich sorgfältig gerade die einzelnen Meilenangaben Etzlaubs in den Gesamtrouten wie in den Teilstrecken sind, wird in unserer Etzlaubmonographie 27) dargelegt werden. Itinerare und Meilen­ scheiben reichen noch jahrzehntelang an diese meisterliche Leistung nicht heran. Während sich von der Romwegkarte bis heute 6 aus verschiedenen Auflagen stammende, im wesentlichen gleiche Blätter erhalten haben, sind von der Landstraßenkarte von 1501 bisher nur zwei Exemplare be­ kannt geworden32). Aber auch die allgemeine kartographisch-wissenschaftliche, die tech­ nische und die künstlerische Leistung der beiden, den zentraleuropäi­ schen Raum umfassenden Straßenkarten unseres Nürnberger Meisters kann man erst im vollen Umfang würdigen, wenn man sie mit den beiden gleichzeitigen Deutschlandkarten vom Cusanustyp, der Eichstätter Karte von 1491 und Münzers Karte von 1493 zu vergleichen Gelegenheit hat,, was uns jetzt durch A. Herrmann bequem ermöglicht wird.

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Die Küstenfiguration des Mittelmeers weist auf unseren Etzlaubkarten zwar nicht die minutiöse Genauigkeit der italienischen Portulankarten auf; aber einen Vergleich mit der Mittelmeer- und Italiendarstellung auf der Eichstätter Kupferstichkarte — nur diese reicht bis 410 nördlicher Breite nach Süden — können unsere Nürnberger Erzeugnisse zweifel­ los aushalten. Im Norden, wo uns das „pomerisch mer“, die „ostersee“ und das „deutsch mer“ einerseits, das „groß teutsch mer“ und die „westersee“ anderseits begegnen, tritt eine Abhängigkeit von der Ptolemäuskarte in Form der westöstlich verzerrten Lagerung Schottlands und der nach Osten abgebogenen Cimbrischen Halbinsel bei allen unseren Karten deut­ lich in Erscheinung. Die deutsche Ostseeküste weist dann aber gegen­ über der einförmigen Westosterstreckung auf den Cusanuskarten bei Etzlaub entschieden eine individuellere Gestaltung auf; auf der Land­ straßenkarte von 1501 besitzt der feine Haken von Heia bereits Wirk­ lichkeitstreue. In der deutschen und flandrischen Küste weist die Rom­ wegkarte entschieden die sorgfältigste Darstellung auf. Bei der Darstellung des Flußnetzes sind die Etzlaubkarten durch ihre Begrenzung auf den zentraleuropäischen Raum entschieden im Vorteil. Dehn die ptolemäischen Positionsfehler im germanischen Norden, die die Cusanuskarten übernommen haben, bewirken gerade im Gewässernetz des baltischen Raums ein völliges Zerrbild. Weichsel, Oder und Elbe be­ sitzen bei Etzlaub dagegen bereits ihre kennzeichnenden Züge. Nur Havel und Spree fließen auf der Romwegkarte noch als selbständige Ströme in die Oster See; auf der Karte von 1501 hat wenigstens die Havel ihren richtigen Lauf zur Elbe gefunden. Der fast linealgerade Lauf des Rhein­ stroms der Cusanuskarten besitzt bei Etzlaub auch naturgetreuere Züge; seine übersteigerte Krümmung wurde ja erst seit 1544 nach mühevollen Studien im Gelände durch Sebastian Münster korrigiert. Auch Maindreieck und -Viereck, Neckar, Mosel, Maas und das mehrfach verzweigte Rheinmündungsgebiet bieten bei Etzlaub eine brauchbarere Darstellung, die sich bis ins Netz der flandrischen Küstenflüsse fortsetzt. Das Donau­ flußgebiet, das auf der Romwegkarte noch karg bedacht ist, aber das Regensburger Stromknie deutlich erkennen läßt, zeigt auf der Land­ straßenkarte an Nebenflüssen Naab, Lech, Isar, Inn und Salzach, Traun und Enns, Iglau und Znaim. Münzers Holzschnittkarte bringt vielleicht mehr, dafür aber in Form und Lauf völlig verzeichnete Zuflüsse. Wenden wir uns nun der Geländedarstellung zu. In der Anschaulich­ keit der „Maulwurfshaufen“-Signatur und. der baumbestandenen Wald-



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gebirge übertreffen die Cusanuskarten diesmal die Etzlaubkarten ent­ schieden. Die Nürnberger Heimatkarte besaß noch gar keine Gelände­ darstellung, die Romwegkarte ist durchaus anschaulich, aber die Land­ straßenkarte von 1501 zeigt in dieser Beziehung geradezu schon Dege­ nerationserscheinungen; allerdings versuchen beide, diesem Mangel durch von Hand ausgeführte Kolorierung der Gebirgssignaturen abzu­ helfen. Prüft man die Karten jedoch auf die Genauigkeit der Lokalisie­ rung der einzelnen Gebirgskomplexe, etwa des Gebirgsrings um das Land Böhmen, so findet man die größere Zuverlässigkeit wieder bei den Etzlaubkarten bestätigt. Die größere Genauigkeit in der Lokalisierung der Küstenumrisse und der Gewässer- und Geländeverhältnisse liegt gewiß darin, daß Meister Erhard Etzlaub sich von den auf Ptolemäus fußenden gelehrten Karten­ erzeugnissen vom Cusanustypus nicht hat beeinflussen lassen, sondern die Tradition der frühen oberdeutschen Kartographie bewußt aufnahm. Deren Grundlagen waren neben den Meilenangaben die immer reicher werdende Zahl geographischer Breitenbestimmungen. Sie bezogen sich in erster Linie auf die Fixierung der städtischen Siedelungen. E. Wolter hat die Position von 52 Städten der Etzlaubkarten überprüft. Er kommt dabei zu dem abschließenden Urteil, daß die Positionswerte unseres Nürnberger Meisters hoch über den Erzeugnissen seiner Zeit stehen und von solchen des nächsten halben Jahrhunderts nicht erreicht werden 33). Danach vergleichen wir mit besonderer Hochachtung die weit über 1000 Stück betragende Zahl der Städte der beiden Etzlaubkarten mit den wenigen Städten der Eichstätter Karte oder mit der ausgesprochenen Städteleere der Münzerschen Karte. In der Darstellung der politischen Verhältnisse auf den Straßenkarten sah sich Etzlaub bei der Kennzeichnung größerer völkischer und landschaft­ licher Räume gezwungen, auf die Darstellungsmethode der Cusanuskaiten zurückzugreifen. Aber er bleibt bei der Kennzeichnung dieser Räume durch in Antiqua gesetzte Namenszüge nicht stehen. Auch hierin erstmalig in der modernen Kartographie, führt er das politische Flächen­ kolorit ein, das auf der Landstraßenkarte so vorzüglich ausgeführt wurde, daß der Vater Wolkenhauer hier irrtümlicherweise den ersten modernen Mehrfarbendruck vor sich zu haben glaubte. Auf dem „Begleit­ zettel“, den Etzlaub seiner Romwegkarte mit auf den Weg gegeben hat, führt er sogar die für die einzelnen Staaten vorgesehenen Farben aus­ drücklich auf34). 10

146 In seiner politischen Gesamthaltung spricht sich — ähnlich wie bei Cusa in seiner Germania Magna-Karte — auch bei Erhard Etzlaub der großdeutsche Zug des im Humanismus erwachenden deutschen Nationalbewmßtseins aus. Sein „Römisch Reich“ oder das „teutzsche Land“ ist nicht in feste politische Grenzen gezwungen; auch für ihn reicht es so­ weit, wie der deutsche Mensch bestimmend auftritt, soweit die deutsche Zunge klingt. Wenn unser Nürnberger Meister auf all seinen Karten­ werken sich deutscher Namengebung und vornehmlich des deutschen Schrifttyps, der Fraktur, bediente, so ist das zweifellos nicht nur auf den besonderen Zweck seiner Erzeugnisse, Straßenkarte des täglichen Gebrauchs für den deutschen Pilger und Kaufmann zu sein, abgestellt; vieimehr hat auch sein deutsches Nationalbewußtsein ihn zu dieser Dar­ stellungsform bestimmt. t Auch die formale Gestaltung der Etzlaubkarten verdient, eines Wor­ tes gewürdigt zu werden. Die Verzeichnung einer derartigen Fülle von Städten, wie sie Etzlaub erstmalig einführte, erfordert als notwendige Folge die sinnvolle Einfügung der entsprechenden Menge von Städte­ namen in den Kartenraum. Vergleichen wir unseres Nürnberger Meisters Arbeiten mit den zeitgenössischen Werken, so zeigt sich die formale Reife, vor allem bei der ausnahmslos in der Horizontalen geführten Be­ schriftung der Romwegkarte. Hier gilt unsere Anerkennung allerdings nicht so sehr dem wissenschaftlichen Autor als dem fähigen Drucker und Verleger Georg Glogkendon: Von der Brauchbarkeit und Beliebtheit unserer Etzlaubkarten zeugt es, wenn die Romwegkarte in den Jahren zwischen 1492 und 1501 drei selbständige Auflagen erlebte35).* Davon zeugen aber auch die zahl­ reichen unveränderten oder überarbeiteten Neuausgaben seiner Land­ straßenkarte. Im Karteninhalt nur unwesentlich verändert, aber mit einem prächtigen Wappenkranz versehen, ist jene Straßenkarte, die den Titel führt: „Das heilig Römisch reich mit allen Landtstraßen vnd wie das an vier mör und neun Künigreich stossen ist.“ Wenn es sich dabei um eine „echte“ Etzlaubkarte handelt, so muß sie „vor 1532“, dem Todes­ jahr unseres Kartographen, erschienen sein36). Sogleich danach hat dann der Sohn des bereits i. J. 1515 verstorbenen Verlegers Georg Glogkendon einen unveränderten Abdruck der 'Landstraßenkarte von 1501 heraus­ gebracht, in der lediglich die Legende und die Signatur — letztere in „Albrecht Glockendon Illuminist 1533“ — geändert ist.

147 Zu diesen vier echten Straßenkarten Erhard Etzlaubs kommen noch eine Reihe eng verwandter Ueberarbeitungen. Da ist zunächst Martin > Waldseemüllers „Carta Itineraria Europae“4 in ihren beiden Ausgaben von 1511 und 1520 zu nennen. Franz Ritter von Wieser hatte schon vor Jahr­ zehnten auf diese schöne und inhaltsreiche Straßenkarte aufmerksam ge­ macht 37). Heute wissen wir durch Wolkenhauers Hinweise, daß diese Karte in ihren am sorgfältigsten bearbeiteten Teilen des Straßennetzes auf Etzlaubs Romwegkarte und Landstraßenkarte zurückgeht und so ge­ bührt das der Vorzüglichkeit der Waldseemüllerkarten seit langem ge­ spendete Lob 38) mit größerer Berechtigung unserem damals noch unbe­ kannten Nürnberger Meister. Wenn Wolkenhauer ausführt, daß man die Waldseemüllerkarten ruhig eine Kopie der Nürnberger Karten nennen dürfte, so entspricht das allerdings nicht ganz den Tatsachen. Wir wer­ den Gelegenheit haben, an anderer Stelle39) unserer Verwunderung darüber Ausdruck zu geben, daß Etzlaub nicht selbst noch an eine Zu­ sammenstellung der auf seine zwei Straßenkarten verteilten Straßen­ routen gegangen ist. Diese Kombination zu einem geschlossenen Straßen­ netz Mitteleuropas hat erst Waldseemüller unternommen. Eine ähnliche Etzlaubiiberarbeitung hat gleichfalls noch zu Lebzeiten des Nürnberger Autors in zwei Auflagen von 1524 und 1530 Georg Erlinger von Augsburg, wie er sich nannte, in Bamberg unter dem Titel herausgegeben: „Gelegenhait Teutscher lannd vnnd aller anstos. Das man mit hilff eins Compas gewislich von einem ort zu dem andern ziehenn mag. Gedruckt zu Bamberg durch Georg Erlinger von Augspurg 1524“ bzw. „1530“. Die Ausgabe von 1530 ist auch von einem Rahmen von Städteund Landeswappen umgeben, wobei dies Kartenblatt mit 1:3710 000 einen etwas größeren Maßstab als die Etzlauboriginale besitzt. Auch hier handelt es sich in Bezug auf das Straßennetz nicht um eine einfache Kopie der Romweg- und der Landstraßenkarte, wie Wolkenhauer an­ gibt. Das Netz der Erlingerkarte ist vielmehr selbständig entwickelt. Außer einigen zeitgenössischen Zusätzen und Veränderungen ist es aber bei weitem nicht so vielgestaltig wie bei Etzlaub oder Waldseemüller. Es besitzt vielmehr bereits Degenerationserscheinungen, so daß man meinen möchte, der ursprüngliche Zweck der Etzlaubkarten, Straßen­ karte zu sein, beginne in den Hintergrund zu treten. Von seiner Deutschlandkarte veranstaltete Erlinger dann noch zwischen den Jahren 1524 und 1530 in' zwei selbständigen Auflagen eine Heimatausgabe in Taschen­ form, die sich für den speziellen Gebrauch des fränkischen Kaufmanns 10*

148 auf einen Umkreis von 25 Meilen um Nürnberg beschränkte. Diese ano­ nymen Blätter entsprechen in ihrem Habitus so ganz den Straßenkarten Etzlaubs, daß man sie diesem Meister bisher zugeschrieben hatte 40). Degenerationserscheinungen im Straßennetz zeigen sich dann vor allem in einem späten Vertreter der Karten vom Etzlaubtyp, der „Be­ schreibung des weith Berümpten Deudtschlandt, Nürnberg 1569“. Es ist das Blatt, für das seinerzeit H. Zimmerer erstmalig Etzlaub als Autor in Anspruch genommen hatte41). Hier markieren zwar noch Punkte den Verlauf der Straße, aber ihre Zahl ist bereits willkürlich und ohne Bin­ dung an die Zahl der Meilen gezeichnet worden. Die Wirkung der Etzlaubschen Deutschlandkarten beschränkte sich aber nicht nur auf eine Entwicklung der speziellen Kategorie der Straßen­ karte. Auch ohne diesen Spezialcharakter war, wie wir ausgeführt haben, Etzlaubs gesamtkartographisches Werk so überragend, daß es in ver­ schiedenen Nachschöpfungen im Etzlaubtyp noch bis in die Mitte des sechzehnten Jahrhunderts nachgewirkt hat. Wolkenhauer hat. an wich­ tigen Vertretern dieses Typs noch die folgenden Drucke zusammen­ gestellt: 1513 und 1520 „Tabula moderna Germanie“ in Waldseemüllers Straß­ burger Ptolemäusausgabe der beiden Auflagen von 1513 und 1520, die — ohne Straßennetz — seiner obengenannten Itinerarkarte nahe ver­ wandt sind. 1522 eine kleine Holzschnittkarte des Heinrich Schreiber von Erfurt (106 X 145 mm), eine vereinfachte Nachbildung der Landstraßenkarte ohne Straßen, aber auch ohne Flüsse und Gebirge. 1522, 1525, 1535 und 1541 verschiedene Waldseemüllerkarten als moderne Beilagen in Ptolemäusausgaben. 1525 kreisförmige Holzschnittkarte des Sebastian Münster, Oppen­ heim 1525, die auf Waldseemüllers „Tabula moderna41 zurückgeht. 1540, 1541, 1545, 1551 und 1552 bis 1575 Münsters Karte von Deutsch­ land. Von geringen Zusätzen abgesehen, ist beispielsweise das Flußnetz mit allen Krümmungen und Fehlern noch das gleiche wie bei Etzlaubs Landstraßenkarte von 1501. Auch die Spree fließt hier noch unmittelbar in die Ostsee. Erstmals erschienen in Münsters Ptolemäusausgabe von 1540, erlebt diese Karte eine große Verbreitung durch die zuerst 1544 erschienene Kosmographie Münsters, die zahlreiche — auch ausländische — Auflagen erlebte.



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1548, 1562, 1586 „Germania Teutschland“ in Joh. Stumpfs Schweizer Chronik, Zürich 1548. Durch Wappen ausgeschmückte und besser ge­ schnittene Kopie der Münsterschen Karte von 1540. Noch in Froschowers Landtafeln, Zürich 1562 findet sich die Karte vom selben Block. 1560 „Die gemeine Landtaffel des Deutschen Landes“ von Tilemann Stella aus Siegen, gedruckt in Wittenberg. Diese Karte, die nach A. Herrmanns Forschungen hier einzufügen ist, stellt eine stark er­ weiterte Bearbeitung von Münsters kreisförmiger Karte von 1525 dar. 1570 Franz Oertels kreisförmige Pergamentkarte, eine verkleinerte Ausgabe der Münsterschen kreisförmigen Karte von 1525. 1575 Kreisförmige Messingkarte des J. H., eine auf Metall ausgeführte Kopie der Münsterschen kreisförmigen Karte von 1525. Aus dieser Zusammenstellung ersehen wir, daß durch die Bearbei­ tung Sebastian Münsters die Karten vom Etzlaubtyp eine weite und langdauernde Verbreitung gefunden haben. Neben den weniger verbrei­ teten Karten vom Cusanustyp haben sich die Karten vom Etzlaubstamm als bedeutend gesünder und entwicklungsfähiger erwiesen. Trotz ihrer eigenwilligen Südorientierung haben sie lebendig fortgewirkt bis in die um die Mitte des sechzehnten Jahrhunderts mit Gerhard Mercators Wer­ ken beginnende zweite Blütezeit der deutschen Kartographie. Wir können diesen Ueberblick über Etzlaubs kartographisches Schaf­ fen nicht abschließen, ohne noch einmal auf die Karten zu sprechen zu kommen, die sich auf seinen beiden Sonnenkompassen fanden. M. Eckert und J. Drecker 42) haben nachgewiesen, daß diesen Karten, die im Maß­ stab 1 : 100 000 000 vom Aequator bis zum nördlichen Wendekreis rei­ chen, eine Projektion zugrunde liegt, die eine Karte mit vergrößerten oder „wachsenden“ Breiten ergibt, eine Projektion also, die bisher nach Gerhard Mercators berühmter Karte von 1569 als von diesem erfunden und deshalb als „Mercatorprojektion“ bezeichnet wurde. J. Drecker ist mit Recht der Meinung, „daß der Verfertiger diese Darstellungsart hier nicht zum ersten Mal angewandt haben wird, da es doch für den beson­ deren Gebrauch dieser Karte und bei dem kleinen Format gar nicht auf winkeltreue Darstellung ankam. Er wird, daran ist nicht zu zweifeln, derartige Karten in größerem Maßstab entworfen und den Entwurf für diesen besonderen Zweck verkleinert haben, um ihn auf den Holzdeckel seiner Sonnenuhr einzuschneiden.“ Ueber die Qualität der beiden kleinen Kärtchen sagt Drecker: „Wir haben hier ein Werk vor uns, das bezüg­ lich der Genauigkeit des Kartenbildes keiner gleichzeitigen und in den

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nächsten 50 Jahren folgenden Karte nachsteht, dem aber bezüglich der winkeltreuen Darstellung mit nach Norden vergrößerten Breiten der erste Platz der Zeit nach zusteht.“43) Die auf Dreckers Veröffentlichung hin von E. Hammer44) ausgespro­ chene Vermutung, daß auch die Romwegkarte und Landstraßenkarte auf der Mercator-Projektion aufgebaut sein könnten, bewahrheitet sich jedoch nicht. Bei diesen beiden Karten benutzte unser Kartograph die Pro­ jektion der rechtwinkligen Plattkarte mit gleichabständigen Breiten. Bei der von ihm empfohlenen Verwendung des Kompasses war für seine Karten Winkeltreue erforderlich. Aber bei deren geringer Breitenausdeh­ nung von 40Q bis 58 0 n. Br. ergeben die zwischen Orthodrome und Loxodrome auftretenden Differenzen zu geringfügige Werte. Wenn unser Nürnberger Kartograph und Kompaßmacher bereits 60 Jahre vor Ger­ hard Mercator Karten größeren Maßstabs mit wachsenden Breiten her­ gestellt haben sollte, so sind diese Werke bisher noch nicht bekannt ge­ worden. Es ergeben sich somit für die Etzlaubforschung auch in dieser Richtung noch dankbare Aufgaben 45). . Indem wir unseres Nürnberger Meisters Werke in den allgemeinen Rahmen der Entwicklung der europäischen Kartographie stellten und vergleichend werteten, hoffen wir gezeigt zu haben, daß nicht Jubiläums­ stimmung unser Urteil über die hohe Bedeutung des Nürnberger Kom­ paßmachers und Kartographen Erhard Etzlaub beeinflußt hat. Er ver­ dient es, mit Stolz zu den großen Bürgern Nürnbergs in der Zeit des deutschen Humanismus und zu den Begründern einer eigenständigen deutschen Kartographie gezählt zu werden. Wenn er angesichts seiner Leistungen jahrhundertelang der Vergessenheit anheimgefallen und in der modernen Geschichte der Kartographie so stiefmütterlich behandelt worden ist, so hat das, wie Wolkenhauer mit Recht hervorhebt, seinen Grund einerseits darin, daß diese Karten seinerzeit stärkster täglicher Abnutzung unterlagen und dementsprechend heute zu den größten Sel­ tenheiten zählen, und andererseits darin, daß auf keiner dieser Karten sein Name überliefert worden ist. Wenn ihm aber auch heute noch die ihm zukommende bedeutende Stellung im deutschen Geistesschaffen vor­ enthalten oder gar streitig gemacht wird46), so hat das zum dritten sei­ nen Grund darin, daß der berufenste Biograph Erhard Etzlaubs, der Göt­ tinger Geograph August Wolkenhauer, 1915 den Heldentod fand und die Etzlaubforschung seitdem fast ohne Nachfolge geblieben ist. Wir haben deshalb das Etzlaubjubiläum bewußt zum Anlaß genommen, um auf des

151 Nürnberger Meisters Schaffen erneut hinzuweisen. Wir haben dabei dem alten Bild, wie wir glauben, eine Reihe neuer Züge hinzugefügt und sprechen die Hoffnung aus, daß die vorliegende Zusammenstellung die lokalgeschichtliche Forschung zu' weiterer Beschäftigung mit ihrem Nürnberger Meister Erhard Etzlaub anregt. !) Herrmann A., Die ältesten Karten von Deutschland bis Gerhard Mercator. 22 Tafeln in Faksimile mit erläuterndem Text. Leipzig 1940. 2) Zimmer E., Die fränkische Sternkunde im 11. bis 16. Jahrhundert. 27. Be­ richt der Naturforschenden Gesellschaft in Bamberg. Bamberg 1934. 3) Durand D., The Vienna-Klosterneuburg mapt of the 15th. Century. 4) Vergl. die Rekonstruktion dieser St. Emmeramer Karte (vor 1445) bei Durand: The Vienna-Klosterneuburg mapt of the 15th. Century. 5) W o 1 k e n h a u e r A., Die Koblenzer Fragmente zweier handschriftlicher Karten von Deutschland aus dem 15. Jahrhundert. Nachrichten der Kgl. Ge­ sellschaft der Wissenschaft zu Göttingen. 1910. Ä) H e r r m a n n A., Die ältesten Karten, S. 8. 7) Wolkenhauer A., auf dessen grundlegende Arbeiten zur Etzlaubforschung S. 134 u. Anm. 18 noch einzugehen sein wird, hat allerdings das Erscheinungsjahr 1491 bezweifelt; vgl. Wolkenhauer A., Ueber die ältesten Reisekarten. Deutsche Geographische Blätter, Bd. 26. Bremen 1903, S. 128. 8) Siehe Herr mann A., Die ältesten Karten, S. 10. 9) P a s s a v a n t, Peintre-graveurs II 1860. Außer in Herrmanns Karten­ veröffentlichung ist die Eichstätter Karte besonders leicht erreichbar durch den Aufsatz von S. Rüge, Ein Jubiläum der deutschen Kartographie (400 Jahre Eichstätter Cusakarte von 1491). Globus, Bd. 60. Braunschweig 1891, S; 4 ff. 10) Staatsbibi. Berlin, Landesbibi. Weimar, Bibliotheque Nationale Paris, Bri­ tisches Museum London und Armeebibliothek München. u) R u 1 a n d A., Das Exemplar von .,Hartmani Schedelii Chronicon lat. Norimbergae 1493“, welches der Verfasser Hartmann Schedel selbst besaß. Serapeum, Zeitschrift für Bibliothekswissenschaft, 15. jahrg. Leipzig 1854, S. 137 ff. 12) Krüger H., Die Romwegkarte Erhard Etzlaubs in ihren verschiedenen Ausgaben seit 1492. Petermanns Mitteilungen, Jahrg. 88. Gotha 1942, S. 285 bis 296. ls) B r e u s i n g A., Leitfaden durch das Wiegenalter der Kartographie bis zum Jahre 1600. Frankfurt 1883, S. 8. 14) G a 11 o i s L., Les geographes allemands de la Renaissance. Paris 1890. 15) Globus, 60. Jahrgang. Braunschweig 1891. 16) Wolkenhauer W., Leitfaden zur Geschichte der Kartographie in tabel­ larischer Darstellung. Breslau 1895. 17) Zimmerer H., Hans Sachs und sein Gedicht von den 110 Flüssen des deut­ schen Landes (1559) mit einer zeitgenössischen Landkarte. Programm des Kgl. Maximilians-Gymnasiums zu München 1896. Abgedruckt auch in: Jahres­ berichte der Geographischen Gesellschaft in München, Heft 16. München 1896. 18) Augüst Wolkenhauers Untersuchungen, soweit sie mit Etzlaubs Wer­ ken in engerem Zusammenhang stehen, stellen wir wie folgt zusammen: Bei­ träge zur Geschichte der Kartographie und Nautik des 15. bis 17. Jahr­ hunderts. Mit einem Nachtrag. Mitteilungen der Geographischen Gesellschaft

152 zu München, Bd. 1, Heft 2. München 1904. — Ueber die ältesten Reisekarten von Deutschland aus dem Ende des 15. und dem Anfänge des 16. Jahr­ hunderts. Deutsche Geographische Blätter, Bd. 26. Bremen 1903, S. 120 bis 138; ein Auszug dieses Vortrags erschien in den Verhandlungen der 75. Ver­ sammlung deutscher Naturforscher und Aerzte, Kassel 1904, S. 151—155. — Die Bedeutung der Nürnberger Sonnenkompaßmacher für die Geschichte des Erdmagnetismus. Unterhaltungsblatt des Fränkischen Kuriers, Nürnberg 1905, Nr. 83 und 85. Mit diesem Aufsatz wandte sich der geographische Forscher an einen weiteren Kreis interessierter Laien. — Der Nürnberger Kartograph Erhard Etzlaub. Deutsche geographische Blätter, Bd. 30. Bremen 1907. Vor­ trag anläßlich des 16. Deutschen Geographentages in Nürnberg, Pfingsten 1907, der als Wolkenhauers umfassendste Etzlaubstudie gewertet werden muß. — Eine kaufmännische Itinerarrolle aus dem Anfang des 16. Jahr­ hunderts. Hansische Geschichtsblätter, Bd. 14, 1908. In dieser Studie wür­ digte Wolkenhauer Etzlaubs Werke noch einmal im Rahmen der mittelalter­ lichen Itinerare und der frühen deutschen Kartographie. 19) „Variorum astronom. instrumentorum excellentissimus optifex, astronomus quoque exquisitisspnus.“ 20) D r e c k e r J., Ein Instrument, eine Karte und eine Schrift des Nürnberger Kartographen und Kompaßmachers Erhard Etzlaub. Annalen der Hydro­ graphie und maritimen Meteorologie, 45. Jahrg. 1917, S. 217 ff. Vergleiche E. Hammer: Die Mercator-Projektion und Erhard Etzlaub. Petermanns Mitteilungen, 63. Jahrg.\Gotha 1917, S. 303 f. 21) Dafür, daß Etzlaub die Mißweisung schon vor Christoph Columbus bekannt war, führte Wolkenhauer bereits den Kachweis. 22) Dabei ist zu bemerken, daß die nächstfolgenden gedruckten Spezialkarten von Deutschland erst zwanzig bis dreißig Jahre nach Etzlaubs Erstlingswerk herausgekommen sind. So erschienen mach Wolkenhauer an Karten dieser Art eine Rheinkarte und eine Karte von Lothringen in der Straßburger Ptolemäusausgabe vom Jahre 1513 und erst 1523 Aventins bekannte Karte von Bayern. 2S) Aus Luftschutzgründen ist das Original der Karte z. Zt. nicht zugänglich; ich habe es deshalb nicht einsehen können. Die hier veröffentlichte Ab­ bildung ist nach einem im Geographischen Institut der Universität Göttingen aufbewahrten Fotoabzug Wolkenhauers kopiert und mir von dem Direktor des Instituts, Herrn Professor Dr. H. Mortensen, freundlichst zur Verfügung gestellt worden. 24) Schwarzenfeld (Ldkr. Nabburg)? 25)Dannenbauer H., Die Entstehung des Territoriums der Reichsstadt Nürnberg. Arbeiten zur Deutschen Rechts- und Verfassungsgeschichte, Stuttg. 1928. 2®) S. Anm. 24. 27) Die Einzelentfernungen vergl. bei H. Krüger, Deutschlands älteste Straßen­ karten Erhard Etzlaubs aus dem 15. u. 16. Jahrh. = Bausteine zur histo­ rischen Straßenforschung, hrsg. v. Dr. H. Krüger, Bd. I Berlin, Verlag Volk u. Reich. Diese Etzlaubmonographie wird erst nach dem Krieg erscheinen; die Zitate in dem Kriigerschen Aufsatz über die Romwegkarte (vgl. Anm. 12) sind dementsprechend zu verstehen. 2S) Einen kurzen Ueberblick über diese wichtige Literatur- und Quellengruppe gab A. Wolkenhauer in: Eine kaufmännische Itinerarrolle. Hansische Geschichtblätter, Bd. 14, 1908. Die erste planmäßige Auswertung der Itinerarliteratur für die moderne historische Straßenforschung unternahm sein Bremer Landsmann Fr. R’auers: Geschichte der alten Handelsstraßen in # Deutschland. Petermanns Mitteilungen, Bd. 52. Gotha 1906.

153 2Ö) Herkunft und Verbleib des notwendigen zweiten kartographischen Konstruk­ tionselementes, der geographischen Breitenbestimmungen für die wichtigsten Punkte, die sich im Fall der Reichenbacher Karten in Form von Positions­ tabellen erhalten und wiedergefunden haben, ist für Etzlaubs Karten bis heute nicht untersucht und nachgewiesen worden. 30) Veröffentlicht war diese älteste deutsche Straßenkarte, auf die die deutsche Kartographie jederzeit mit größtem Stolz hätte hinweisen können, bisher nur an zwei recht wenig zugänglichen Stellen. Der Franzose L. G a 11 o i s hatte in seiner schönen Arbeit über die deutschen Geographen der Renais­ sancezeit (Les geographes allemands de la Renaissance, Paris 1890) sie — allerdings ohne ihren Autor zu kennen — nach einem in Paris liegenden Blatte in Faksimile erstmalig veröffentlicht. Einen Wiederabdruck dieser Reproduktion lieferte dann die in nur 300 Exemplaren erschienene Pracht­ ausgabe einer Geschichte der Stadt Wien, Bd. 1—3, Wien 1897—1905, und zwar in Band 3, 1905, Tafel 37. Eine originalgroße Reproduktion der Rom­ wegkarte wird meine Veröffentlichung über Deutschlands älteste Straßen­ karten Erhard Etzlaubs aus dem 15. und 16. Jahrhundert (vgl. Anm. 27) bringen. Drei verkleinerte Reproduktionen der verschiedenen Auflagen die­ ser Romwegkarte sind dem Aufsatz von Herbert Krüger: Die Romweg­ karte Erhard Etzlaubs in ihren verschiedenen Ausgaben seit 1492. Peter­ manns Mitteilungen, Jahrg. 88. Gotha 1942 beigegeben. 3t) Mit diesem Urteil knüpfen wir bewußt wörtlich an den Titel einer der Ver­ öffentlichungen des ausgezeichneten Nürnberger Historikers Joh. Müller an, der — ohne Etzlaubs Karten zu kennen — aus Urkunden und Akten den Um­ fang des Nürnberger Handels der Etzlaubzeit in überraschender Uebereinstimmung aufgewiesen hat. Vgl. Joh. Müller, Der Umfang und die Haupt­ routen des Nürnberger Handelsgebiets im Mittelalter. Vierteljahrsschrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte, Bd. 6, 1908. 32) Eine erste Reproduktion dieser Karte nach dem Löbauer Original verdanken wir Wilhelm Wolkenhauer, dem Vater des Göttinger Etzlaubforschers, der seinem gefallenen Sohn damit ein bleibendes Denkmal gesetzt hat. Vgl. Wolkenhauer W., Erhard Etzlaubs Reisekarte durch Deutschland von 1501. Berlin-Nikolassee 1919. Das besser erhaltene Liechtensteiner Exemplar veröffentlichte jüngst A. Herrmann; vgl. Herrmann A., Die ältesten Kar­ ten von Deutschland bis Gerhard Mercator, Leipzig 1940. Unsere Etzlaubmonographie (vgl. Anm. 27) wird auch von dieser Landstraßenkarte eine neue Reproduktion nach dem Liechtensteiner Original bringen. 33) W o l t e r E., Die ältesten Generalkarten von Deutschland. Diss. Göttingen, 1922. Die Positionszusammenstellung dieser leider ungedruckten Doktorarbeit Wolters wird abgedruckt bei H. Krüger, Deutschlands älteste Straßen­ karten (vgl. Anm. 27). 34) Die Ausführung der Flächenkolorierung von Hand führte dabei zu einer unterschiedlichen Behandlung der einzelnen Blätter der Romwegkarte. Vgl.' H. Krüger, Die Romwegkarte Erhard Etzlaubs. Petermanns Mitteilungen, Jg. 88, S. 289 f., 291. 35) Herbert Krüger,, Die Romwegkarte Erhard Etzlaubs. Petermanns Mit­ teilungen, Jg. 88, S. 290 ff. 36) Durch das freundliche Entgegenkommen der Direktion des Hausarchivs des Regierenden Fürsten von Liechtenstein in Wien wurde mir ein eingehender Vergleich von Etzlaubs Landstraßenkarte von 1501 mit der undatierten „heilig Römisch Reieh“-Karte, die Wolkenhauer und Wolter für echte Etzlaubkarten gehalten haben, ermöglicht. Einer späteren Ausführung vorgreifend kann schon jetzt festgestellt werden, daß es sich bei diesem Kartendruck eindeutig um eine von dem später in Bamberg tätigen Drucker und Kartographen Georg Erlinger von Augsburg besorgte Kopie,

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37) 38)

3Ö) 40) 41) 42) 43) 44) 45)

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besser gesagt um ein Plagiat der Etzlaubkarte handelt. Da das Nürn­ berger Stadtwappen der Etzlaubkarte in ein Augsburger Stadtwappen auf der „heilig Römisch Reich“-Karte abgeändert worden ist, wird jetzt auch eine genaue Datierung dieser Karte möglich. Erlinger ist, ehe er gegen 1519 nach Bamberg übersiedelte, von 1516 bis 1518 in Augsburg tätig gewesen; in dieser Zeit muß er Etzlaubs Landstraßenkarte unter Ab­ wandlung unwesentlicher Einzelheiten zu einer „heilig Römisch Reich“Karte kopiert haben. Seinen Namen unter diese's Etzlaubplagiat zu setzen, hat er wohlweislich vermieden, während er bei der späteren und selbstän­ digeren Verarbeitung der Etzlaubschen Grundlagen zu einer eigenen Karte seinen Namen genannt hat. W i e s e r, Franz Ritter v.. Die carta itineraria Europae von Martinus Waltzemüller, München 1893. Vergl. dazu etwa Willi Löwenberger v. Schönholtz, Die karto­ graphische Darstellung der Wege, Straßen und Eisenbahnen, ihre geschicht­ liche Entwicklung und kritische Würdigung. Diss. phil. Königsberg 1914, S. 24 ff. K r ü g e r H., Deutschlands älteste Straßenkarten (vgl. Anm. 27). Krüger H„ Zwei Straßenkarten der Nürnberger Umgebung als Werke Georg Erlingers von Augsburg, gedruckt zu Bamberg zwischen 1524 und 1530. Archiv für Postgeschichte in Bayern, Jahrg. 1942. S. Anm. 17. EckertM., Die Kartenwissenschaften, Bd. I—II, Berlin und Leipzig. 1921/25, Bd. I, S. 126, Bd. II, S. 71 ff. Vergl. auch M. Eckert, Zur Geschichte der Mercator-Projektion. Petermanns Mitteilungen, Jahrg. 66. Gotha 1920. S. 202. D r e c k e r J.. Ein Instrument ... des ... E. Etzlaub. Annalen d. Hydro­ graphie . . ., 45. Jg. 1917, S. 220. Hammer E., Die Mercator-Projektion und Erhard Etzlaub. Petermanns Mitteilungen, Jahrg. 63. Gotha 1917, S. 303 f. Allerdings sind hier die tatsächlich oder angeblich von Etzlaub stam­ menden handschriftlichen Kartenwerke der engsten Nürnberger Umgebung, die ich bisher nicht in Augenschein nehmen konnte, außer Betracht ge­ lassen. So enthalte ich mich auch einer Stellungnahme zu dem Aufsatz von R. Schaffer, Die Erklärung des Etzlaub — Glockendonschen Planes ge­ funden. Die Heimat, Beilage z. Nürnberger Zeitung, 5. Jahrg. 1931. Nr. 10. Vergl. A. Korzendorfer, Bayerischer Verkehrsgeschichtsatlas. Archiv für Postgeschichte in Bayern, Jahrg. 1. München, 1931. — Derselbe, Die Entstehung der Straßenkarte. Zeitschrift „Die Straße‘\ Jahrg. 2, 1934.

Die Bedeutung Hans Denks und Sebastian Francks. Von

Dr. Artur Krelner. Der Untergrund. Fortschreitende, immer mehr sich vergrößernde Evolutionen sind der Stoff der Geschichte. Was jetzt nicht die Vollendung erreicht, wird sie bei einem künf­ tigen Versuch erreichen, oder bei einem abermaligen. Vergänglich ist nichts, was die Geschichte ergriff. Aus unzäh­ ligen Gestalten geht es in immer reiferen Gestalten erneut immer wieder hervor. Novalis

Wie in den Urzeiten der Erdgeschichte in den Spalten längs der Urgebirge heiße Quellen und Vulkane, Basaltberge aufstiegen, so kom­ men in Umbruchzeiten der Geistesgeschichte, wenn das Glaubensgebäude rissig wird, mystische Strömungen zum Durchbruch. Weit oben, im Hochgebirge unseres Aeons, wo die Luft dünn wird und nur Auserwählte noch atmen können, wo die unmittelbare Gottes­ erfahrung zuhause ist, lag ein kleiner Stausee, geheim gespeist von grie­ chischen und östlichen Quellen, Dionys, der Areopagit, der geistige Stammvater der meisten christlichen Mystiker und Ketzer. Halten wir nun auch nicht wie Ludwig Keller für beweisbar, daß es eine einzige ununterbrochene Unterströmung ist, die in allen Ketzern und Sekten des Mittelalters Oberwasser bekommt, so bildet sich doch mit Tauler, der Meister Eckart zwar verwässerte, aber doch weithin zum Gemeingut machte, wieder so eine Art Staubecken, etwa unserem Bodensee vergleichbar. Und dann, nachdem der Fluß religiösen Erlebens dem strengen Strom­ bett der Kirche seit Konstanz immer mehr entglitt und gleichsam in tau­ send Wassertropfen einzelner Gottsucher zerstäubt, spaltet sich dieser Strom auch schon manchmal in zwei Arme: hier der Humanismus, dort



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die tätige Mystik der Brüder vom gemeinsamen Leben, die beide — ebenso wie die Wirkung Sebastian Francks — Erasmus von Rotterdam veibindet. Dazwischen liegt Nikolaus von Cusa, dem Franck als Brückenbauer zwischen allen Gegensätzen ebenso verwandt ist wie etwa, wenn er „dem törichten Leser die Gnade göttlicher Torheit wünscht, zu verstehen die Weisheit Gottes“. Einen der am meisten Frucht bringenden Nebenflüsse dieses Stromes schließlich bedeutet das bekannte Büchlein vom vollkommenen Leben jenes unbekannten Deutschherrn von Frankfurt, das der junge Luther in eben jenen Jahren als deutsche Theologie mit Begeisterung herausgab, in denen sein väterlicher Freund Staupitz im Nürnberger Augustiner­ kloster aus- und einging und so in engerem Kreise hier die Reformation vorbereitete. Welch beispielhafte Rolle dabei gerade diese Reichsstadt im ganzen Reich spielte, ist allgemein bekannt. Nicht so sehr aber, daß hier damals zwei Keime reiften, die erst im Laufe der Jahrhunderte im deutschen Innenreich Früchte trugen: Hans Denk und Sebastian Franck. Die „gottlosen Maler“ in Nürnberg 152 5. Es ist Aufgabe des deutschen Wesens, jede Art großen Ketzertums auf Erden möglich zu erhalten. Ernst Bertram

Wie gleichsam gar gekocht in dieser geistgeladenen Stadt schon im Jahre 1525 gewisse Ketzereien waren, beweist am besten die Ge­ richtsverhandlung gegen die sogenannten gottlosen Maler. Die darin be­ reits angeregten Fragen entfalteten sich dann erst im Laufe der folgen­ den Jahrhunderte, vom Rationalismus über den Mythologismus bis zum Nihilismus. Brotlos geworden durch die neue Lehre, die zunächst keine Kirchen­ kunst benötigte, aufgerührt in aufgerührter Zeit, junge Künstler, von innerer Schau erfüllt, hatten diese drei Dürerschüler Barthel und Sebald Behaim und Georg Penz, wegen aufwiegelnder Reden vom Rat zur Rechenschaft gezogen, stolz eingestanden, daß ihnen weder die Bibel noch die Sakramente etwas bedeuten, ja zum Teil sogar Gott und die Obrigkeit geleugnet. Barthel Behaim sagte wörtlich, er wisse von Christus weiter nichts zu sagen, als wenn er von Herzog Ernst sagen höre, daß der in den Berg gefahren sein soll, also Jesuslegende, ein Mythos.

157 Der weise Rat der Reichsstadt, von der ja auch keine Hexenverbren­ nung bekannt ist verwies die drei Sünder lediglich für einige Zeit aus der Stadt. Woher aber hatten diese das Gift gesogen? Da ist vorerst zu ver­ gegenwärtigen, daß die neue Lehre ja damals durchaus noch nicht in feste Form geronnen, vielmehr noch voll im Gären war. Hatte doch Luther selbst noch 1522 über „beiderlei Gestalt des Sakraments“ ge­ schrieben: „Christo liegt mehr an der Liebe, als an des Sakraments Ge­ stalt . . . Aber den Glauben und die Liebe will niemand fassen, der doch allein not tut.“ Zudem wirkte der Gedanke des allgemeinen Priester­ tums, zumal in Künstlerkreisen, derart nach, daß z. B. der Maler Greifen­ beiger seiner kranken Frau selbst das Abendmahl bot. Waren doch kurz vorher auch Thomas Münzer und Karlstadt in Nürnberg umgegangen. Und allerorten kicherte Hätzers Lied in den Winkeln: Ja, spricht die Welt: Es ist kein Not, daß wir mit Christo leiden. Er litt ja selbst für mich den Tod. Nun zech’ ich auf sein’ Kreiden! Hans Denk 1495 — 1527. Güte ist die Daseinsform Gottes unter den Menschen. Joseph Wittig

Als eigentlicher Verführer aber galt der Geistlichkeit und dem ihr hierin hörigen Rat ein gewisser Hans Denk, ehrenwerter Rektor der Sebalder Schule, ein Mann stillen Lichtes, an dem sich die jungen Maler entzündet und es bei sich zur Fackel angefacht hatten. Der hatte erst nur im Stillen gewirkt, bis ihn im Jahre 1524 Osianden, der Prediger an Sankt Lorenz, im Abendmahlstreit zu einem Bekenntnis vor dem Rat zwang, auf Grund dessen dieser am 21. Januar 1525 Denk binnen weni­ ger Stunden verbannte. Was Wunder, wenn der damals 29jährige ganz offen bekannte, daß weder der Glaube an die Rechtfertigung noch die Bibel noch die Sakra­ mente allein selig machten, sondern nur die Ergriffenheit von Gott? Gott und Mensch begegnen sich in tiefster Seele. Hält der Mensch still, hört er Gott. Der zwinget keinen, in seinem Dienst zu bleiben, den die Liebe nicht zwinget. Ließ sich darauf eine sichtbare Kirche bauen? Woher aber kam dieser Hohepriester einer unsichtbaren Kirche?

158 Im Jahre 1495 im heutigen Habach in Oberbayern unweit Weilheim geboren, studierte Hans Denk 1517 in Ingolstadt, 1519 in Basel und er­ warb sich eine so gründliche Beherrschung aller biblischen Sprachen, daß ihn sein Lehrer Oekolampad im Herbst 1522 als Rektor an die Sebalder Schule nach Nürnberg empfahl. Denk hatte sich bereits bestens eingeführt, als der Streit um die verschiedenen Auffassungen des Abend­ mahles die Stadt durchwühlte und auch der junge Gelehrte sich von sei­ nem Gewissen genötigt fand, seine abweichende Meinung vor dem da­ mals in Nürnberg geistig herrschenden Osiander zu bekennen. Worauf­ hin sich wiederum dieser von seinem Gewissen genötigt fühlte, des anderen Ueberzeugung vor den hohen Rat zu bringen. Sollte von so maßgeblicher Stelle aus, wie es die Sebalder Schule war, Gift gesät werden dürfen? Und so mußte Hans Denk, dieser milde Mann und verheißungsvolle Humanist, nach der stürmischen Verhandlung, in der die Geister aufeinanderprallten, wie ein Verbrecher noch vor Nacht die Stadt ver­ lassen. Sein handschriftliches Bekenntnis aber ruht heute noch als ehr­ würdiges Vermächtnis im Nürnberger Staatsarchiv. Fort ging er und nimmer zur Ruhe kam er. So schlug sich der junge Gelehrte, der das Zeug gehabt hätte, Luthers bester Helfer bei der Bibelübersetzung zu werden, als Knabenlehrer und unsteter Wander­ prediger von Reichsstadt zu Reichsstadt durch. Dabei verzehrte er sich — ähnlich wie Schwenckfeld — in Sehnsucht, aus einer inneren Ge­ meinde wahrhafte Kirche wachsen zu sehen: „Ich, Hanns Dengk, bekenn mich frei vor allen gottesfürchtigen Menschen, daß ich meinen Mund wider meinen Willen auftu und ungern vor der Welt von Gott rede, wel­ cher mich doch dringet, daß ich nit schweigen mag . . . Wohlan, Gott hat mich aus dem Winkel gezogen, soll es jemand zugute kommen: das weiß er allein.“ Ketzereien, wie: „Zeremonien sind an sich kein Sünd, wer aber ver­ meint, dadurch die Seligkeit zu erlangen, hat einen Aberglauben“, ent­ fernten ihn ebensosehr von der alten Kirche wie die Erkenntnis der Gnadenwahl als „einer Beschränkung der Liebe Gottes“ und daß „die Seligkeit an die Gschrift nit gebunden ist, wie nutz und gut sie auch dazu sein mag“, von der werdenden, neuen Kirche. Dagegen brachten sie ihn immer mehr in die Gesellschaft der Wiedertäufer, wobei es ihm weniger auf die Spättaufe an sich, als auf die inwendige Taufe, die Erneuerung des Herzens ankam.

159 So finden wir ihn in Donauwörth, Ulm, Sankt Gallen und Augsburg, das er, auch hier von der Geistlichkeit zur Rechenschaft gezogen, vor­ erst wieder verließ. Inzwischen erschienen seine ersten erhaltenen bei­ den kleinen Druckschriften: „Vom Gesetz Gottes. Wie das Gesetz auf­ gehoben sey und doch erfüllt werden muß“ und „Was geredet sey, daß die Schrift sagt, Gott thue und mache guts und böses“. Doch noch 1526 strebte Denk nach Straßburg, damals als Ketzernest bekannt, wo auch er endlich einen sicheren Hafen zu finden hoffen durfte. Gar bald aber stieß er mit dem Reformator Butzer zusammen, der später auch Sebastian Franck verbannte. Wie sehr der kaum 30jährige Denk dabei die Oeffentlichkeit bewegte, geht daraus hervor, daß dem Reli­ gionsgespräch nicht weniger als 400 Bürger anwohnten. Den Geistlichen bangte um den Bestand der jungen zwinglischen Gemeinde und so wurde der Gottesfreund — noch dazu am Weihnachtsabend — auch hier aus­ gewiesen. Ueber Zabern und Landau in der Pfalz gings nach Worms, wo er Hand in Hand mit seinem Freunde Ludwig Hätzer, z. T. auf Grund der gemeinsam gehörten Vorlesungen Oekolampads, 1527 „Alle Profeten nach hebräischer Sprache verteutscht“ bei Peter Schöffer herausgab: ein' Buch, dessen sich Luther bei seiner Bibelübersetzung weidlich bediente und das es in 3 Jahren auf 13 Auflagen brachte. In Nürnberg allerdings wurde es auf Osianders Gutachten hin sofort verboten. Noch einmal kehrte Denk nach Nürnberg und Augsburg zurück. Immer mehr verfiel er der Hoffnung, gewisse Widersprüche unter den Wiedertäufern durch seine innere Weitschaft zu überbrücken und mei­ sterte sie denn auch tatsächlich auf der sogenannten Martyrersynode zu Augsburg, weshalb er noch heute als „der Wiedertäufer Abt“ durch die Geschichte geistert. Verdient doch Denks Schrift „Von der wahren Liebe“ eher als Grundlage einer Täufertheologie zu gelten wie alle die sattsam bekannten Abseitigkeiten und Splittermeinungen. Statt dessen sah sich der Weltfremde auch hier bald gescheitert, teils an der Menschlichkeit seiner Mitchristen irre geworden, teils von einer gewissen Gesetzesstarre des Wiedertäufertums abgestoßen. Da es ihm mehr auf die Reinheit des Herzens als die Reinheit der Lehre ankam, ließ er besonderen Ueberspitzungen gegenüber gerne mit sich reden, so daß sein letztes überkirchliches Bekenntnis, das er seinem alten Lehrer Oekolampad anvertraute, von Kreisen, denen die rechte Lehre vor rech­ tem Leben ging, als Widerruf ausgelegt werden konnte.

160 Indessen war Denk als Sendbote wieder nach Basel gekommen und wäre wohl kaum dem Schicksal der meisten seiner Augsburger Glau­ bensbrüder. dem Ketzertode, entgangen, wenn ihn nicht noch 1527 mit erst 32 Jahren der Tod von Basel, die Pest, heimgeholt hätte. Bald darauf erschien jenes Oekolampad anvertraute Vermächtnis von seinen Freunden in Worms als „Widerruf“ gedruckt, um seine Lehren — wie etwa: „Wer sich auf die Verdienste Christi verläßt, aber in seinem viehischen Leben fortfährt, der hält Christum wie vor Zeiten die Heiden ihre Götter hielten“ — unters Volk zu bringen. Wenig ist es, was uns der Edle hinterließ und doch genug, um über Holland im Laufe der folgenden Jahrhunderte bis in die Freikirchen unserer Zeit als Sauerteig zu wirken. Wie in dem versonnenen Mann alle Brunnen aufbrachen, wenn in der Rede der Geist über ihn kam, so winde ihm sein Gedankengut unter der Hand zu reinen Kristallen. Ist doch in seinen ebenso wenigen wie kleinen und seltenen Druckschriften kein Satz, ja kaum ein Wort ohne tiefsten Gehalt, sehr im Gegensatz selbst zu den größten Gelehrten seiner Zeit. Ein lauterer Geist und geduldiges Herz — Goethe hätte ihn vielleicht auch eine Milchseele genannt — ging der jugendliche Mann, das Urteil über alle Bekenntnisse Gott überlassend, still strahlend zwischen allen hindurch bis zu der Grals Weisheit: „Ohne Gott kann niemand Gott finden, denn wer Gott nur in Wahrheit sucht, hat ihn schon“ und „Alle, so den Weg Gottes gesucht und gefunden haben, sind eins mit Gott ge­ worden.“ Aber auch: „Christum vermag niemand wahrlich zu erkennen, es sei denn, daß er ihm nachfolge mit dem Leben.“ An sich still, fühlte sich Denk, nur immer wieder zum Kampf gestellt, von heiligem Feuer getrieben, daß er sein inneres Schauen offenbarte und seine selige Sehnsucht auch anderen als nur Weisen sagte: Nur wer sei­ nen Willen überwindet, sein Kreuz immer von neuem auf sich nimmt, wird Christus immer ähnlicher. Äeußere Mittel sind dazu nicht nötig. Seine ganze Güte aber spiegelt sich darin, daß ihm die endliche Er­ lösung des Teufels innerstes Anliegen war. Wie er jedoch die sogenannte Hölle als Gottesferne begriff, zeigt am schönsten sein Wort, das von Matthias Claudius sein könnte: „Der Sünder gleicht einem Heimatlosen, der zuhause ist und es gar nicht merkt.“ Muß nicht schließlich, so wie die meisten Menschen nun einmal sind, bei aller Sprachkraft und allem Herzensdrang ein Ruf immer ungehört

161 verhallen wie der: „0, wer gibt mir eine Stimm, daß ich so laut schreien möcht, daß mich die ganze Welt höret, daß Gott der allertiefste Abgrund der Erden ist . . . Herr, mein Gott, wie geht es zu in der elenden, ver­ kehrten Welt, daß Du so groß bist und Dich niemand findet? So*laut Du redest und Dich niemand hört? Und jedermann so nahe bist und Dich niemand siehet? . . . Sie wenden Dir den Rücken zu und sagen, Du wollest Dich nit lassen sehen. Ihre Ohren haben sie verschoppet, daß sie Deine Stimm nit hören müssen . . .?“ Zwischenzeit. Nur vier Jahre war Sebastian F r a n c k jünger als Hans Denk und doch darf dabei, in Anbetracht der Raschlebigkeit solch aufgerührter Zeiten, an das Goethewort erinnert werden: „Ein Jeder, nur ein Jahr­ zehnt früher oder später geboren, dürfte, was seine Bildung und Wir­ kung nach außen betrifft, ein ganz anderer geworden sein.“ Gewiß: Francks Veranlagung kam dem Geist gerade seiner Jahre auch noch besonders entgegen. Immerhin erhoben sich in den Jahren, in denen er vom Jüngling zum Mann reifte, ganz allgemein schon mehr Fragen und Zweifel gegenüber der Stoßkraft der ersten Jahre der Reformation. Gerade die tieferen Geister trugen sich nun: „Sind die Menschen im ' Grunde ihres Herzens wirklich so anders geworden als wir erst gehofft hatten?“ Wieder einmal hatte man geglaubt, daß das Reich Gottes auf Erden komme und wieder waren die Menschen die gleichen geblieben. Kam es den meisten nicht mehr auf die „Freiheit wovon“ an als auf die „Freiheit wozu“? Es waren gerade in Nürnberg die Schlechtesten nicht, die an dem Neuen keine reine Freude hatten, wie Pirkheimer und Christoph Fürer. Franck selbst malt seine Zeitgenossen: „Vollsein ist unser etlicher Evan­ gelium. Ein verwegen Volk, das keine Buße tut, das vielmehr glaubt, es ist schon über dem Graben und alles erfochten.“ Wer von den Jungen kannte noch Luthers Gewissensqualen aus eige­ nem Erlebnis? Schon begann der Feuerfluß des Gotterlebens zu Lava zu erstarren und Luther hatte sich im Kampf gegen die Schwarmgeister selbst genötigt gesehen, nun die Bibel zur Autorität zu erheben, so daß Franck von ihm schreiben konnte: „Der hat dies Feuer anzündt und da­ nach die Oberkeit an die Bauern gehetzt, . . . und sie beredt, damit das Himmelreich zu verdienen.“ 11

162 Ein Glaube nach dem andern hatte gerade die feinsten Geister ent­ täuscht. Jedes neue Licht hatte gleich seinen Schatten zur Folge. Wel­ ches war nun das rechte? In dieser Not fand Sebastian Franck zunächst für die Lage im Jahre 1530 eine Lösung, die sich dann im Laufe der Jahrhunderte immer mehr entfaltete: „Es sind zu unseren Zeiten drei fürnehmlich Glauben auf­ gestanden, die großen Anhang haben, als Lutherisch, Zwinglisch, Taufferisch: der viert ist schon auf der Bahn, daß alle äußerlich Predigt, Ceremoni, Sakrament, Bann, Beruf als unnötig will aus dem Weg räu­ men und glatt ein unsichtbar, geistlich Kirchen in Einigkeit des Geist und Glaubens versammelt unter allen Völkern und allein durchs ewig unsicht­ bare Wort von Gott, ohne einig äußerliche Mittel regiert, will ausrichten.“

Sebastian Francks Jugend. Donau wörth — Ingolstadt — Heidelberg

1499—1518.

Die Jugend weiß es besser, — doch um den Preis, daß sie es nicht vorzeitig zu sagen versucht. Ernst Bertram

Hinterließ Sebastian Franck, im Vergleich zu Hans Denk, ein größeres gedrucktes Lebenswerk, so wissen wir doch wenig genug über sein äußeres Schicksal. Kaum mehr, als sich in seinen Büchern selbst, nament­ lich in den Vor- und Nachworten, darüber verstreut findet. So stritt man sich lange, in welchem von den vielen Wörth er 1499 zur Welt gekommen — auch die Nürnberger Vorstadt war jahrhundert­ lang in dem Verdacht, diesen Schwarmgeist ausgeheckt zu haben —, während Franck doch selbst in seinem Weltbuch freudig bekennt: „Die Fliiß, so in die Thonau einfließen, sind: die Iller und die Wernitz bey Thonau-Wörth, meinem Vatterland.“ Wohl bei Verwandten auf der Lateinschule im nahen Nördlingen, wurde Sebastian bereits am 26. März 1515 auf der hohen Schule von Ingolstadt eingeschrieben. Ob er dort 1517 noch den vier Jahre älteren Hans Denk kennen lernte, ist ungewiß. Sicher ist dagegen, daß der 19jährige Franck im Dominikanerkolleg zu Heidelberg gemeinsam mit dem damals 27jährigen Butzer, seinem späte­ ren Straßburger, und dem damals 24jährigen Martin Frecht, seinem künf­ tigen Ulmer Widersacher, 1518 Luther zu Füßen saß, als der 35jährige Reformator dort über Gesetz und Gnade disputierte.

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Der Pfarrer. Büchenbach — Gustenfelden 1526 —1528. Ich wünschte nicht, Euch irrezuführen. Was diese Wissenschaft betrifft, Es ist so schwer, den falschen Weg zu meiden, Es liegt in ihr soviel verborgnes Gift, Und von Arznei ist’s kaum zu unterscheiden. Goethe

Erst wohl irgendwo Priester im Bistum Augsburg, wird Franck 1526 durch einen Brief an den Amtmann von Schwabach als Frühmesser in Büchenbach bei Roth bezeugt und ab 1527 als evangelischer Pfarrer in dem damals nürnbergischen Gustenfelden bei Schwabach, wo er bereits 1528 eines seiner ersten Bücher schrieb: „Von dem greulichen Laster der Trunkenheit, was Völlerei, Sauffen und Zutrinken für Jammer, Unruh.. anricht und wie dem Uebel zu raten wäre .. aus göttlicher Gschrifft.. . . . geben zu Justenfelden.“ Da dieses Dorf kaum besser oder schlechter gewesen sein wird als irgend ein anderes dieser Gegend, muß es also die größere Gewissen­ haftigkeit seines Geistlichen gewesen sein, die ihn trieb, dies Buch zu schreiben,und an seinem Amt zu verzweifeln: „Wenn ein Prediger merket, daß man sich des Evangelium nicht bessert, sondern nur mißbraucht zum Ruhm und Schanddeckel des Flei­ sches, da bleibt er nit, ist er anderst aus Gott; denn er das Perlin lieber hat, denn daß ers den Säuen sollt vorwerfen und das Heiltum den Hun­ den geben. Darum schweiget er stockstill oder läuft davon. Denn wir haben eben als wohl ein Gebot zu schweigen und noch ehr fortzugehen als zu predigen und herzugehn, nämlich wenn man das Gotteswort nicht achtet . . Aber man kann uns nicht von den Polstern bringen, predigen immer den Haufen, den Gänsen und blauen Enten ohn alle Frucht, die­ weil es nur gehet, Milch, Wolle und Geld giebt.“ Francks Wirkungskreis muß größer sein. Was Wunder, wenn wir ihn also bald im nahen Nürnberg auf- oder besser untertauchen sehen? Oft genug wird der regsame Geistliche schon vorher in die große Stadt und ihre Umgebung gewandert sein, zu­ mal zu dem aus der Nürnberger Reformationsgeschichte bekannten Pfarrer Andreas Althammer von Sankt Sebald, dessen sogenannte Diallage Franck zu deutsch als „Vereinigung der streitigen Sprüch in der Schrift . . noch von Gustenfelden aus herausgab. n* i

164 Sie enthielt 60 neue Sätze zu 40 „Gegenschriften“ von Hans Denk, der in „wellicher die Wahrheit warlich lieb hat . . diese Widersprüche der heiligen Schrift durch Gelassenheit, im inneren Licht, lösen zu kön­ nen glaubte. Indem sich nun Franck hier zum Anwalt Althammers gegen die Schwärmer macht, hatte er sich in diesem seinem Jugendwerk noch nicht zu der Geistesfreiheit seines Vorläufers Denk durchgerungen, gegen dessen Geist er in jener 'Erstlingsschrift noch kämpft. Steht er darin doch von fünf Streitfragen noch in dreien auf Seiten Luthers und führt selbst dessen damals Aufsehen erregende Schrift vom unfreien Willen an. Und doch zeigt sich schon in diesem Werk des 29jährigen seine ganze geistige Eigenart: von seiner Neigung, in Gegensätzen zu denken bis zu seiner Freude an der Paradoxie. So wenig der Gedanke schon nach allen Seiten durchgedacht ist, wird doch auch hier schon der „Geist“ gegen den Buchstaben und das „innere“ Wort gegen das „äußere“ ausgespielt. Ja, ist solch Gedankengehalt und Sprachkraft nicht heute noch gültig: „Darum ist es ein Meisterstück, die Schrift recht, artlich, eigent­ lich führen und gefährlich ist, aus anderer Comment(ar)en zu verstehen. Trink ein Jeder aus dem Brunnen selbst! Die Bäch sind mit Menschen­ kot vergift und es sind nit viel, die der Schrift kein Gewalt antun . . . Was macht unsere Schwärmer irr, als daß sie sich eine einzige Stelle vornehmen und meinen, die ganze Schrift kling darauf? Denn, wenn einem ein Lied im Kopf ist, so meint er, die Glocken läutens und die Hunde bellens. Da gilts rips, raps, ratsprechens und marterens, da muß Christus daran . . . und einem jeden sein Sach helfen verteidigen... Er muß einem jeden sein Lied singen, niemand will nach ihm singen ... Allen Parteien muß er helfen und recht geben... Was aber daraus wird, sehen wir wohl.“ Schon der ganze künftige kühne Ketzer aber verrät sich in gewissen Randbemerkungen, wie: „Gott ist ein Ursach aller Ding, auch der Sünd. Gott ist bös in den Bösen. Also hasset Gott den Teufel und muß doch in ihm wirken all sein Wesen.“ Bei alldem bekennt Sebastian Franck auch im Schlußwort dieses Buches seine rührende Bescheidenheit: „Ich hab im Teutschen viel da­ zugetragen, das im Latein nicht ist. Hab ichs gebessert, so lobe Gott, hab ichs gebösert, so gib mir die Schuld . . . und mach es du besser ... ich will niemand an meinen Kopf gebunden haben.“

165 Gleichzeitig aber erklärt er seiner Zeit und — Wittenberg schon offene Fehde: „Vor uns waren Werkheilige . . jetzt sind nur Wort­ heilige und Maulchristen!“ Der Volksschriftsteller. Nürnberg 1528 —1529. Jeder entseelenden Macht gegenüber wird zuerst die Jugend von einer edlen Glaubenslosigkeit ergriffen, welche inniger fromm ist, als alle Pietät der Alten. Ernst Bertram

Immer mehr zog Nürnberg^ damals — nach Luther — das Aug’ und Ohr Deutschlands, den begabten jungen Gelehrten in seinen Bann. Was stürmte dort alles auf ihn ein! Was sog er auf? Wie sah es in dem gei­ stigen Nürnberg des Jahres 1528 aus? Dürer starb. Pirkheimer war zwar auf der Höhe seines Ruhms, doch schon so vergrämt, daß der Ingolstädter Baccalaureus kaum Zutritt bei ihrn fand, selbst falls sich der Schüchterne zu dem hohen Herrn getraute. Hans Sachs, mit 35 Jahren im besten Mannesalter, hatte seine freigelassene „Wittenbergisch Nachtigall“ auf Geheiß des Rates auch wieder in den Bauer sperren müssen und murrte vielleicht manchmal in gemein­ samem Kreise mit Sebastian Franck zusammen über die Ruhe als des Bürgers erste Pflicht. Mit dem gestrengen, frommen Stadtschreiber Lazarus Spengler aber kam der entlaufene Pfarrer lieber nicht zusam­ men. Möglich, daß Franck damals in Nürnberg Paracelsus getroffen hat, den alle Gottesfreunde damals zu den ihren zählen durften. Wahrschein­ lich kreuzte er hier auch zum erstenmal die Bahn des anderen Wandelsterns am evangelischen Himmel, des schlesischen Reformators Schwenckfeld. Weltuntergangsstimmung war allgemein und beherrschte selbst Luther und Dürer. Herrschte auf der einen Seite unerhörte Verschwendung, so auf der andern höchste Not. Der „rechte Glaube“ war zum Ruhepolster der Gewissen geworden: „Ein jeder glaubt nur dem Haufen und der Obiigkeit zuliebe.“ Außerdem war die Zeit von den großen Entdeckungen und Er­ findungen aufgeregt und der heißhungrige Franck fand in dem ersten großen deutschen Verlagshaus Koberger in Hartmann Schedels Welt­ chronik ein Vorbild seiner* künftigen Werke. Auch dürfen wir ihn uns wohl bei dem Buchdrucker Peypus aus- und eingehend vorstellen, so daß er bereits hier das Buchhandwerk von Grund aus kennen lernte.

166 So mochte sich der junge Gelehrte, wie üblich, von Fall zu Fall als Knabenlehrer, Korrektor, Setzer und Uebersetzer, als Aushelfer bei Buch­ druckern und Buchführern durchs Leben schlagen. Näheres wissen wir nicht. Woher auch, da Franck wohl zu jenen gehörte, die allen Anlaß hatten, sich vor dem wachsamen Auge der rechtgläubigen Obrigkeit auf alle kirchlich Unbotmäßigen möglichst verborgen zu halten. Und wie leicht war das möglich, so, wie er selber Nürnberg schildert: „Die Stadt ist so volkreich, daß sie gleich obeinander darinstecken, etliche unter der Stiegen wohnen und kein größerer Mangel darin ist als an Herberg. So daß etliche Herberg halber wieder herausziehen müssen und nirgend eine bekommen mögen.“ Franck selbst fand wohl immer bei Gesinnungsgenossen Unterschlupf, wobei er denn auch in dem Künstlervölkchen um die Dürerschule Ottilie Beliaim, die Schwester der beiden „gottlosen Maler“ Barthel und Sebald, kennen lernte. Seine Trauung mit ihr am 17. März 1528 in Sankt Sebald ist bis heute noch die einzige Beurkundung seines Nürnberger Jahres. Merkwürdig genug, daß wir einzig aus dem Zettel eines gefangenen Wiedertäufers, den Melanchthon in Wittenberg am 30. Januar 1538 Luther weiterreichte, wissen, wie jener Wiedertäufer Sebastian Francks Haus­ frau bis in den Himmel hob wegen ihrer Schönheit und Beredsamkeit des Geistes: „sein und ihr Geist hätten sich verbunden, als ob sie beide ein Mensch wären; war 17 Wochen bei ihr mit großer Lust und Freude, zu­ letzt aber von ihr geschieden, wie Elias von Elisa (2. Kön. 2, 9).“ Eine beiläufige Bemerkung, die uns einen ebenso tiefen Einblick in den Feuergeist von Francks Frau gewährt, wie in die Art geistlicher Liebe in jenen Kreisen. Wer aber etwa Unlauteres über Sebastians Liebe und Ehe, deren Geheimnis uns gerade durch jenen seelischen Reiz dieser Frau verraten wird, dahinter wittert, bedenke, daß es sicher schon seine vielen Feinde aufgespürt und an die große Glocke gehängt hätten, wenn hier irgend Unreines zu finden gewesen wäre. Hatte Sebastian Franck so mit der Gründung eines Hausstandes end­ gültig festen Fuß in Nürnberg gefaßt, galt es nun erst recht, sich keine Verdienstmöglichkeit entgehen zu lassen. Darauf ist es auch zurück­ zuführen, wenn wir zunächst eine gewisse gängige geistige Ware „durch Sebastian Francken verteutscht“ vorfinden, für die er sich als Kind sei­ ner Zeit zwar auch einsetzte, die aber nicht seinem innersten Herzen ent­ sprang, meist Flugschriften, wie: „Klagebrief . . . der armen Dürftigen in Engelland an den König daselbst wider die reichen geistlichen Bettler.“

167 Da ging z. B. schon länger — der Türke stand vor den Toren des Reiches! — die Erzählung eines Augenzeugen um, der aus eigener Er­ fahrung wußte, wie es da drüben bei den Heiden aussah. Sollte man die nicht von neuem unter die Leute bringen, zumal man hierbei eine Vor­ rede von keinem geringeren als Luther selber nachdrucken konnte? Und so erschien 1530 bei Peypus „Chronika und Beschreibung der Türkey mit ihrem Begriff, Inhalt, Provinzen, Völkern, Kriegen, Regimenten, Frömmigkeit und Bosheiten von einem Siebenbürger, der XXII Jahr darin gelegen, in Latein geschrieben, verteutscht, mit einer schönen Vorred von Luther ... zehn oder eilf Nation und Secten der Christenheit.“ Hatten die wissensdurstigen Leser erst gierig an der neuen Länder­ kunde angebissen, konnte ihnen der Uebersetzer so zwischendurch auch manche eigene Arznei zu schlucken und zu verkraften geben: Ob Gott den Heiden wohl entgelten lasse, daß sie keine Christen seien? Ob die Christenheit denn unter sich einig sei? Ob die eine innere und unsicht­ bare Kirche nicht mehr bedeute, als alle die sichtbaren, äußeren zusam­ men? Und schließlich findet sich schon in dieser Schrift des 30jährigen jenes kühne, zukunftweisende Wort von dem vierten Glauben ohne Ceremonien und Sakramente, der schon auf der Bahn sei, das bereits ein­ gangs angeführt wurde. Doch füllten Franck solche Gelegenheitsarbeiten nicht aus. Mit einem wahren Bienenfleiß muß er schon hier den Stoff zu seinen nächsten großen Werken zusammengetragen, alles ihm nur Erreichbare gelesen und für seine Zwecke ausgezogen haben, befeuert von der Begeisterung des echten Volksschriftstellers, all diese ihm so wichtigen Kenntnisse auch möglichst bald zum Gemeingut zu machen: Es tat ihm in der Seele weh, das alles allein wissen zu sollen, was er für das Heil hielt, sehr im Gegensatz zu den Gelehrten seiner Zeit, die ihre Weisheit am liebsten unter sich geheim hielten. Ihn erbarmte des Volkes, das, wie Hans Sachs, mit hämmernden Schläfen von fremden Ländern las, von seinen geistigen Führern aber vielfach mit Steinen statt Brot abgespeist wurde. Hier sprang Franck in die Bresche, die sich immer mehr zwischen der. Gelehrtengesellschaft und dem Volk auftat, bereit mit einem großen

168 Buch nach dem andern eine geistige Brücke zwischen diesen beiden sich immer fremder werdenden Welten zu bauen. So hatte er hier in Nürnberg seinen eigentlichen Beruf gefunden. Wenn nun Sebastian Franck auch nicht wie Hans Denk durch einen äußeren Zwang, der urkundlichen Niederschlag zur Folge hatte, diese stolze Stadt verlassen mußte, so doch infolge der allgemeinen Fahndung auf alle der Schwarmgeisterei auch nur Verdächtigen. Er ging aber nicht ohne ein dickleibiges, druckferti-ges Blätterbündel, das in Nürnberg drucken lassen zu dürfen er nicht hoffen konnte. Der Geschichtsschreiber. Straßburg 1529—1531. Wer sich auf Erden zwischen zwei Stühle setzt, sitzt im Himmel zur Rechten Gottes. Marie Ebner von Eschenbach

Wo konnte Franck das hoffen? Welche Stadt war weitherzig genug, seine geistige Weltumwälzung drucken zu lassen? Eine Rückschau aus dem Jahre 1539, zehn Jahre nach seinem Einzug, die seiner Versöhn­ lichkeit ebensolche Ehre macht wie dem Geist Straßburgs, verrät es uns: „Es ist ein Rat, Adel und Bürgerschaft dieser Stadt sonderlich einander verwandt, freundlich und hülflich. Und wie große Freiheit in dieser freien Stadt ist, so ist doch gute Polizei und große Einigkeit der Bürger da. Denn gemeiniglich geht es also: Je mehr Notzwangs, je mehr Unwil­ lens; je weniger Gesetz, je besser Recht.“ Uns von Hans Denk her als Ketzernest bekannt — inzwischen hatten sich noch an hundert Wiedertäufer aus Augsburg hierher geflüchtet — bot Straßburg damals die denkbar beste Gelegenheit zu geistigem Aus­ tausch. So finden wir Franck bald in fruchtbarem Verkehr mit Cam­ panus, Bünderlin und Servet, den später Calvin wegen seiner Leugnung der Dreieinigkeit in Genf zum Feuertod verurteilte. In demselben Jahre nun, in dem die von Luther entfesselte Bewegung im Augsburger Bekenntnis ein vorzeitiges Ende fand, arbeitete Franck fieberhaft an jenem Werk weiter, das sicher schon in Nürnberg gezeugt, aber erst in Straßburg bei dem Wiedertäufer Balthasar Beck geboren wurde: „Chronika, Zeitbuch und Geschichtsbibel von Anbeginn bis in dies gegenwärtig 1531. Jahr, darin beide, Gottes und der Welt Lauf, Handel, Art, Wort, Werk, Tun, Lassen, Kriegen, Wesen und Leben ersehen und begriffen wird...“

169 Wie heilig ernst , es darin dem Verfasser mit dem Vergleich der Ge­ schichte mit der Bibel ist, sagt er selbst in seinem Vorwort: „ . . . daß Dir die ganze Welt und alle Creaturen ... ein offen Buch und lebendige Bibel sein wird, daraus Du ohn alle Anleitung Gottes Kunst studieren magst und seinen Willen lernen . . . Darum beut diese Chronik, wie ich hoff, der Bibel gleich die Hand und was die Schrift ge­ beut, lehrt und verbeut, das lebt die Historie und stellt dieses nit unnötige Exempel vor Augen . . . Ein Gottseliger lernt mehr aus den Werken Gottes in der Geschichte, als alle Gottlosen aus allen Bibeln und Worten Gottes . . . Was die Bibel lehrt, das lebt die Geschichte.“ Auf der Rückseite des Titels gibt Franck 111 Bücher an, von Wimpfeling bis Beatus Rhenanus, die er „entweder selbst gelesen oder von anderen angezogen gefunden“, jedenfalls „ausgebeutelt“ hat. Ist so das meiste auch nur zusammengetragen, so doch geschickt, z. B. wenn er zu seinem Bericht von den Berner Mönchen nur 2 Druckbogen braucht statt 5 seines Vorbilds. Und ist Franck auch kein Forscher im gelehrten Sinne — er konnte kein Griechisch —, so ist er doch nicht unkritisch und im Großen und Ganzen weniger autoritätsgläubig als die meisten Huma­ nisten, ganz abgesehen von seiner vorbildlichen Gerechtigkeit gegen seine eigenen Zeitgenossen. „Allein wider das Papsttum haben wir etwas schärfer gehandelt.“ Er wollte nicht mehr, als „weil kein Mensch sich selbst geboren ist, sondern jeder dem anderen leben muß, diesen Stein zum Bau des all­ gemeinen Nutzens beitragen . . . Der Leser selbst mag das feine Beer­ lein aus dem Roßmist suchen . . . Wer glaubt, es lei leicht: Versuchs! Weiß er’s besser, so wird er uns zum Folger und nicht zum Verfolger haben.“ Selbst Luther muß in seiner Gehässigkeit gegen den Schwarm­ geist zugeben: „Der Beelzebub Bastian Franck hat das Grifflein funden, daß er gewußt, wie die Historienbücher vor anderen son­ derlich gerne gelesen werden und lieb gehalten sind . . ., damit er sein Gift unter dem Honig und Zucker desto mächtiger unter die Leute brächte.“ Und doch erschöpft sich die Bedeutung jener Geschichtsbibel keines­ wegs in einer gemeinverständlichen Darstellung des damaligen geschicht­ lichen Wissens, sondern besteht in einer wesentlichen Vertiefung der Geschichtsauffassung überhaupt. Gewiß haben auch Herodot, Augustin und Otto von Freising schon gesagt: Also gehet das Rad, wie Gott es

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treibt. Franck aber versteht die Geschichte schon als Weltgericht, sieht zuerst Gottes Selbstoffenbarung in der Geschichte der Menschheit: „Was von Gottes Weisheit und Liebe schwanger geht.“ Dabei beweist er durchaus eigenes Urteil, so etwa: „Huß ist gut, aber die Hussiten übertriebens“ — damals noch eine Erkenntnis, keine Selbstverständlichkeit. Vor allem aber wird ihm immer klarer, daß die Welt sich immer und überall gleich gewesen: „Die jetzig nit besser oder frümmer, wie die vorig . . . Wo sich Christus nur regt, da findt sich ein Judas.“ Handelt der erste Teil dieser Geschichtsbibel wie üblich von Adam bis Christus und der zweite von den Kaisern und weltlichen Händeln, so entfesselte der dritte Teil über die Päpste und geistlichen Händel durch sein drittes Buch, die sogenannte Ketzerchronik, einen weithinwirkenden Sturm der Entrüstung. Sie war eine geistige Tat und erweist Sebastian Franck im Gegensatz zu Hans Denk geradezu als Vorkämpfer und Bahn­ brecher einer in der Luft liegenden, aber doch von keinem noch so mutig zu Ende gedachten Betrachtung: daß der wahre Christ von jeher Ketzer in der Kirche war. Kühn nimmt Franck darin den Grundgedanken künftiger Kirchen­ geschichte, namentlich Gottfried Arnolds „Unparteiischer Ketzer­ geschichte“, eines Lieblingsbuchs von Goethe, vorweg, wenn er schreibt: „Nach dem Tode der Apostel schwand die Kirche von der Erde und zog sich in den Himmel zurück.“ Als erster bezweifelt er mit 18 Sätzen, daß Petrus je in Rom war, verwirft die Gründung des Kirchenstaats durch Kaiser Konstantin auf Grund des Cusaners, des heiligen Antonin von Florenz und Lorenzo Vallas und verfolgt die Entwicklung der Messe, worüber er mit dem Wendelsteiner Cochläus in Streit gerät. Andererseits lobt er manche Päpste sogar mehr als seine Quellen. Die Quellengeschichte der eigentlichen Ketzerchronik nun bietet uns besten Einblick in Francks Arbeitsweise. Hatte da schon der spanische Dominikaner Nikolaus Cymeric (1320—1399) ein Directorium Inquisitorium geschrieben, das 1503 zum erstenmal gedruckt wurde. Das spielte der Dominikanerprior Bernhard von Luxemburg seit 1522 in ergänzten Neudrucken von Köln gegen Luther aus. Dessen 3. Auflage 1526 sehen und sich darauf stürzen, war für Franck eins. Hier hatte sein Herz ge­ funden, was es von je gesucht: einen „Ketzerkatalog“. Er versieht ihn mit einem ABC, bezeichnend für den Volksschriftsteller, der seinen Stoff zu handsamem Gebrauch aufbereitet, behält aber sogar die Zahl der Ketzer

171 — 300 — in seiner Bearbeitung bei. Also doch wieder nur eine Ab­ schreiberei, wie ihm seine Feinde je und je getreulich nachgerechnet haben? Ja, nur daß Franck das Vorzeichen ändert und den ganzen Ketzer­ begriff auf den Kopf stellt, eine Tugend daraus macht: Umwertung aller Werte! Schloß im Mittelalter die abweichende Ueberzeugung einen Ein­ zelnen aus der menschlichen Gesellschaft aus, so sieht Franck in allen diesen Opfern der Kirche Helden. Darum wird ihm „Ketzer“ nachgerade zurr* Ehrentitel. Gewiß hatte Luther im vergangenen Jahrzehnt das Urbild eines Ketzers gegeben und doch wollten weder das breite Volk noch die Humanisten den unaufhaltsamen Bruch mit der altgewohnten Welt da­ mals schon so wahrhaben als er uns hinterher erscheint. Mehr oder minder hatten die meisten noch ein schlechtes Gewissen, Ketzer, das heißt ausgeschieden, zu sein. Mit gutem Gewissen Ketzer zu sein, die Fackel des Urchristentums hochzuhalten und sich damit in der Reihe sei­ ner Vorkämpfer seit 1500 Jahren zu wissen, diese fröhliche Wissenschaft mit zum Gemeingut zu machen, dazu trug Francks Ketzerchronik ihr redlich Teil bei. Wer waren denn nun diese rund 2000 Herolde wahren Christentums, die darin vor uns auffahren? Mit unseren Augen von heute betrachtet zunächst wahrhaft wirr genug. Vorerst Sibyllen, Propheten Und Philo­ sophen der Vorzeit, bei denen Franck schon den Hauch heiligen Geistes findet. Dann verschiedene Kirchenväter, deren Auffassung von der späteren Kirchenlehre abweicht, darunter sogar Augustin. Versteht sich Savonarola, Huß und Wiclif. Und nun vor allem Luther. Gerne läßt er ihn als Befreier von Rom, Bibelübersetzer und Vorkämpfer der Gewis­ sensfreiheit gelten. Den Luther aber, der im Kampf gegen die Zwickauer Propheten 1524 schrieb: „Die äußern Stück müssen vor den innern gehen, keine inneren Stück ohne äußere Stück... Niemand erhält den Geist ohne äußerlich Wort und Zeichen“, den mußte Franck um seines Gewissens willen bekämpfen. Wie aber gegen einen solchen Gegner ge­ wappnet sein? Gut, geistiger Kampf ist um so feiner, je feinere Wider­ haken die Pfeile haben. Und so stellt dieser David jenem Goliath gegen­ über einfach Luthers frühere Auffassungen und seine schärfsten neuer­ lichen Zuspitzungen nebeneinander und läßt den Leser selbst entscheiden. „Der Mehrerteil hält Gott und Christus, sein Wort und Geist sei in allen Menschen. So sei das nagend Würmlein und Fünklein, das Gottes

172 Wort empfahe und uns allzeit über sich zeugt, Gottes Reich und Geist in uns.“ Solcher Glaube bringt auch Franck — wie szt. Hans Denk — in die Gesellschaft der Wiedertäufer, deren Wesen sich ja keinesfalls in diesem von Zwingli geprägten Schlagwort erschöpft und die so wenig nur nach ihrer Ausartung beurteilt werden dürfen wie irgend eine andere Bewegung. Ihnen, diesen ewig Verfolgten, gehört Francks Herz, obwohl er selbst nicht zu ihnen gehört, da er sich an ihrer Selbstgerechtigkeit und Gesetzesstarre stößt. Weil er ihnen aber trotzdem gerecht wird wie keine andere zeitgenössische Geschichtsschreibung und weil er auch die meisten ihrer Führer selbst oder doch wenigstens Leute aus ihren eige­ nen Kreisen gekannt hat, sie in seinem Werk auch selbst zu Worte kom­ men läßt, wird Francks Ketzerchronik hiemit selbst zur Täufergeschichts­ quelle. So nimmt z. B. Hans Denk darin allein die Seiten 444—453 ein: „Er soll sunst ein still eingezogen frumm Mann sein gewesen.“ „Gott wirft die Hudel, Pupp und Dock weg“, wenn er sie zu seiner Weltgeschichte verwendet hat. „Weiter sehet auch hierin, wie Gott aller unserer Anschläge, Stärke, Ratens und Laufens spotte . . . wie die Welt durchaus Gottes Fastnachtsspiel sei . . .“ Gelehrte des 19. Jahrhunderts haben sich über solche Lästerung entrüstet. Doch hat selbst Luther die Menschen Larven Gottes genannt und gar Nietzsche hat uns wieder ge­ lehrt, Personen als Masken zu sehen. Wie nahe lag auch solches Bild der Weltgeschichte einem Zeitgenossen Hans Sachsens und der Schön­ bar tläufe! Daß Franck auch Humanisten wie Pico von Mirandola u. a. als Kron­ zeugen ewiger Wahrheit anführte, wollte man sich gerne gefallen lassen. Aber auch Zeitgenossen, wie Erasmus, als Ketzer? Nein, das ging zu weit! Da konnte man ja durch das Geschreibsel dieses Wirrkopfs mit seiner alten Kirche in Kampf kommen. Und richtig dauerte es denn auch nicht lange. Kaum war das Buch heraus, liefen die Fäden von Straßburg, Freiburg, Basel hin und her. Der Fürst der Humanisten fühlte sich an den Pranger gestellt. Er brauchte dem Rat der freien Reichsstadt gegenüber nur den Wunsch zu äußern und Franck wurde gefangen gesetzt und mußte noch froh sein, auf sei­ nen Wunsch — wie fünf Jahre vor ihm Hans Denk — nur ausgewiesen zu werden. Hatte er doch mit dieser Verteidigung des Bahnbrechertums glück­ lich alle vor den Kopf gestoßen: „Die selbst in der Ketzerei stecken, wollen doch in Gottes Namen Ketzerrichter sein“, während er zur Gnade

173 mahnt: „Denn macht jeder Irrtum einen Ketzer, so helfe uns Gott allen!“ Schließlich hatten ja nach seiner eigenen Angabe in seiner Geschichts­ bibel die neuerlichen Kirchenkämpfe bis 1531 bereits über 2000 Menschen­ leben gekostet. • Seiner Zeit aus dem Herzen zu schreiben, seinem Volk einen Spiegel vorzuhalten zu seiner Klärung, lautere und unlautere Geister zu scheiden, hatte er gehofft, als er — wie Butzer bezeugt — das Werk in der Drukkcrei selbst setzte. Aber kaum zur Welt gekommen, wurde es verboten. Eine Totgeburt? Wie hätte es erst bei ungehemmtem Geist eingeschlagen, wenn es schon trotz sofortigem Verbot soviel Staub aufwirbelte, daß auch Albrecht von Mainz und Georg von Sachsen das Buch verboten! So aber hat es eben, was es nicht sofort an Breite gewinnen konnte, in die Tiefe der Zeit‘als Sauerteig gewirkt, indem es in durchschnittlichem Abstand von zehn Jahren sieben Auflagen erfuhr, am Ende des Jahr­ hunderts — einem geistigen Strom entsprechend, den Francks ’Geist mit bahnen half — auch in Holland. Allen Richtungen hatte der Geschichtsschreiber gerecht werden wol­ len und verdarb es mit allen, weil er sich nicht allein auf ihren Stand­ punkt stellte: ein Opfer seiner Gerechtigkeit. Und König Ferdinand hatte von seinem einseitigen Standpunkt aus so unrecht eben nicht, als er zu Kaiser Karl V. darüber sagte, das Buch sei voll Gift und stürze jede Herrschaft. So begann für Franck jener Weg zwischen den Feuern hindurch, von dem er zeitlebens nicht mehr abkommen sollte. Gleich Hans Denk wie ein Wild gehetzt, gehörte er von nun an zu jenem Heer der ewig Ver­ dächtigen, die auf die Dauer keine ungestörte Heimat hatten, weil sie vor Sehnsucht nach der Quelle des Urchristentums nicht abgestandnes Was­ ser trinken wollten. Seifensieder, Erd- und Volkskundler. Zwischen Straßburg und Ulm 1531 —1534. Wir werden die Kraft haben müssen, alle Gegensätze, die wif von unserer Geschichte her in uns tragen, nicht zu verleugnen und abzustoßen, sondern zu bekennen und zu verbinden. Möller van der Bruck

Wie Petrus Fischer war und Paulus Teppichweber, war sich nun auch Franck nicht zu gut zu dem ehrsamen Handwerk des Seifensiedens. So bot er, auf den Wochenmärkten Schwabens landauf, landab ziehend,

174 so gute Seife an, daß er nach jahrelanger Wanderschaft in Ulm doch end­ lich einmal das Bürgerrecht einer freien deutschen Reichsstadt bekam. Erst aber hatte Franck, nachdem er den Staub Straßburgs von seinen Füßen geschüttelt hatte, in den Jahren 1532/33 vorwiegend in der freien Reichsstadt Eßlingen bei Gesinnungsfreunden eine gewisse Zuflucht ge­ funden. Dort ging er bei Reichsgerichtsräten als gern gesehener Gast aus und ein und traf auch wieder mit Schwenkfeld zusammen auf der Suche, wann „Gott ihm ein Fenster öffnen werde“. Und wieder, wie aus Nürnberg, nahm Franck aus Straßburg ein dick­ leibiges, druckfertiges Blätterbündel mit, an dem er auch auf seiner jahre­ langen Wanderschaft weiterarbeitete. Als wollte das Buch noch ein Buch gebären, war ihm nämlich der 4. Teil seiner Geschichtsbibel unter der Hand zu einem eigenen Werk mit wieder 4 Büchern gewachsen, das sogenannte Weltbuch, 1534 bei Ulrich Morhart in Tübingen erschienen, die erste allgemeine Erdkunde in deutscher Sprache. „Spiegel und Bildnis des ganzen Erdbodens. Das 4. Buch dieser Geographie handelt von neuen unbekannten Welteninseln und Erdreichen, so neulich erfunden worden sind.“ War doch nachgerade bis in den hintersten Winkel ruchbar ge­ worden, daß die Welt mit der bisher bekannten noch nicht zu Ende sei, so daß sich auch das breite Volk mit einem wahren Heißhunger wenig­ stens im Geiste auf diese Errungenschaften stürzte. Diesem Bedürfnis nun kam der Volksschriftsteller Franck mit diesem seinem Werk ent­ gegen und trug so sein ehrlich Teil zur Erweiterung des Weltbildes, ja Weltgefühls des Mannes aus dem Volk bei. Demütig und stolz zugleich bekennt der Verfasser in seinem Vor­ wort: Er will „die ganze Welt mit einer Kohlen neu entwerfen, nicht erschöpfen, abmalen und conterfeien.. aus angenommenen, glaubwürdi­ gen, erfahrenen Weltschreibern mühselig zu Haufen getragen und aus vielen weitläufigen Büchern in ein Handbuch eingeleibt, vormals der­ gleichen in Deutschland nie ausgegangen.“ Gerne gibt er seine 61 Quellen an und weiß sich auch noch namentlich Nürnberg verpflichtet, wie die Aeußerung auf Blatt XXV „Eine kurze Ausörterung der Geschwell, Grentz, Berg, Wald, Fluß, Völker einer Stätt Germaniae aus Bilibaldo Birckheimero gezogen und entfalten (i!)“ beweist. Auch die Karten Apians kennt er und die Hans Tuchers von Asien. Und doch erntete Franck auch mit diesem Buch nicht die Früchte seines Fleißes. Kaum war es erschienen, kam die Münstersche Kosmographie mit ihrer viel reicheren Ausstattung heraus und grub seinem



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Werk das Wasser ab. Immerhin erreichte auch das „Welthuch“ — 'Wie die „Geschichtsbibel“ — sieben Auflagen, auch hier als letzte eine hol­ ländische, und, da kein Anlaß zum Verbot bestand, allein vier im ersten Jahrzehnt nach seinem Erscheinen: Das Religiöse Sebastian Francks kommt aber auch in diesem Werk zum Durchbruch, nicht nur insoferne sein letztes Buch in der Behand­ lung aller Glauben der Erde gipfelt und er schon in seiner Vorrede ge­ steht: „Die Historie ist die Meisterin des Lebens, nichts denn ein Aus­ druck Gottes und ein Spur- und Fußpfad seines Worts, darin Gott in Werk und Tat mit uns redt.“ Daß wir uns dabei den heimatlos umhergetriebenen Mann aber nichts weniger als gebrochen vorstellen dürfen, bezeugt eine Eingabe an den Ulmer Rat aus dem Jahre 1533: „Was ich vom Herrn hab, das will ich schriftlich dem Volk Gottes mitteilen und nicht vergraben... Das aber erfordert einen freien Mann, der mit keinem Amt verstrickt ist, damit keiner meint, er habe diesem und jenem zulieb geschrieben und dessen Lied gesungen, des Brot er esse.“ Lieber schlägt er sich als Setzer oder Correktor durch, als daß er seine Seele verkaufte. DerBuchdruckerundParadoxist. Ulm 1534— 1539. Der Widerspruch ist das Siegel des Lebendigen, wie das Paradoxon das Siegel des Wahren. Wilhelm Lehmann

Daraufhin findet Franck im Jahre 1534, offenbar durch die Fürspräche mächtiger Freunde, als zehnter Typographus Aufnahme in Ulm; erst bei Hans Varnier beschäftigt, im nächsten Jahre aber bereits als eigener Buchdrucker mit drei Gesellen und einem Laden. Der Augsburger Patri­ zier Jörg Regel, sein Landsmann aus Donauwörth und auch Gönner Scliwenckfelds, hatte Franck dazu 700 Gulden geliehen. Was wollte er mehr, als endlich seine Bücher selbst schreiben, setzen, drucken und verkaufen zu können? Wie muß es ihm zumute gewesen sein, das mit 36 Jahren glücklich erreicht zu haben! Dazu ein blühendes Familienleben, bald mit fünf Kindern gesegnet. Und das alles, von der großzügigen Bürgermeisterfamilie Besserer begönnert, in der freien Reichsstadt Ulm, einem Schnittpunkt aller geistlichen Landfahrer von der Schweiz nach Wittenberg, von Straßburg nach Nürnberg.

176 Doch schon die Tatsache, daß Franck von sich selbst nur einen Almanacli, einen Bauernkalender und sonst fast nur eine deutsche Uebersetzung seines Nebenbuhlers Sebastian Münster drucken konnte, zeigt uns, daß auch hier nicht alle Blütenträume reiften. Hatte er doch wie in Straßburg seinen Heidelberger Studiengenossen Butzer, so hier den Ulmer Stadtpfarrer Martin Frecht zum Feind. Suchte der schon Francks Aufnahme als Bürger zu hintertreiben, entbrannte der Kampf, kaum daß ers war. Unterlag doch jede Veröffentlichung der geistlichen Oberauf­ sicht, so daß Francks Stellung damit von Anfang an unterwühlt war. Und da es seinem nächsten Werk wahrhaftig nicht an Ketzerei ge­ brach, konnte er es schon gar nicht in seiner eigenen Druckerei erschei­ nen lassen, sondern mußte es bei seinem Freunde Varnier verlegen (1535). Schon ein Auszug seiner Ueberschriften verrät den gefährlichen Anspruch. „Paradoxa ducenta octoginta d. i. 280 Wunderreden aller in Gott philosophierenden Christen recht göttliche Philosophei und teutsche Theologei... allen Prädikanten und Lehrern des Volks zur Schärfung des Urteils und Auslegung der hlg. Schrift überaus dienstlich und hoch vonnöten .., der Welt unglaublich und trotzdem wahr ...“ Also ein Buch für alle und keinen, eine ähnliche Herausforderung an die amtlichen Gottesgelehrten wie der Anspruch des Laien Paracelsus an die Lehrer der Heilkunde seiner Zeit. Wie konnte einer außerhalb der Zunft die Meister lehren wollen! Dabei kam es Franck mehr auf den Kampf für seinen Glauben, den die erlauchtesten Geister kommender Jahrhunderte bestätigten, als auf den gegen die Kirche an. Nicht ein­ reißen wollte er, nur durchleuchten, wem es Gott gab. Verstand das Mittelalter unter Paradoxa ganz wörtlich Nebenein­ anderstellung verschiedener Lehrmeinungen, wie es schon Abälard ge­ übt hatte, so verschärfte Sebastian Franck diesen Begriff zur heutigen übertragenen Bedeutung, wie etwa Beethoven den dritten Satz der Sonate und Sinfonie vom Dreitakttanz zum sprühenden Scherzo. Denker in Gegensätzen von Geblüt, zwischen Disputationen groß geworden, Luther in Heidelberg hörend und an Althammers Diallage in Nürnberg schriftlich geschult, kannte und übte Franck doch auch das Ueberwinden der Widersprüche, indem er wie Nikolaus von Cusa und Hans Denk die beiden Teilwahrheiten solange auf dem Herzen trug, bis sie in eins ver-

177 schmolzen. Auch vermindern sich die Höhenunterschiede in der Vogel­ schau; „Nichts ist, was nit zwei Ansehen hat. Es streiten oft zwei, haben beide recht und sind strittig.“ So wenig Qiner Luther verstehen kann, der unter keinem Sünden­ bewußtsein leidet und nicht nach einem gnädigen Gott schreit, so wenig kann einer Franck gerecht werden, der sich nicht durch Gebet in gött­ liche Gelassenheit zu versenken vermag: „Ein gelassener Mensch wird in einem Hui in Gott verzückt und in das Reich Gottes versetzt, da eitel Licht ist und alles auf einen Augenblick gelehrt und gesehen wird, so daß, der darin bleibt, sein Leben lang davon zu reden hat.“ Oder wer solche Glut der Gottnähe nicht nachfühlen kann, doch wenigstens die milde Erkenntnis: „Das Licht ist in der Laterne unseres Herzens an­ gezündet und der Schatz liegt schon in dem Acker, in den Grund der Seelen gelegt: wer es nur ließ brennen und glosten! Und den Schatz suche nicht über Meer und im Himmel, sondern Gottes Wort in uns. Ja, wer nur in sich selbst einkehret und diesen Schatz suchet, der wird ihn zwar nicht über Meer finden, noch im Himmel dürfen suchen.“ Von diesem Licht bestrahlt, lösen sich viele scheinbare Wider­ sprüche: „Wie ein Vater sein Kind schlägt, kann auch die Sünde in Got­ tes Augen gut sein.“ Oder: „Die alles glauben, glauben gar nichts.“ „Wenn man es nur recht versteht, so sind beide Reden wahr, je nach­ dem man es ansieht und gegen das Urteil der Welt oder Gottes hält.“ Und damit wird Franck — neben seinem schwankenderen Zeit­ genossen Agrippa von Nettesheim — zum Entdecker des „Je nachdem“, einer Welterkenntnis, deren geistesgeschichtliche Bedeutung ja auch nicht etwa deshalb unterschätzt werden darf, weil wir allen Anlaß haben, uns ihrer Auswüchse zu erwehren. „Wie ein Jeder sein Barillen auf der Nasen hat, also erscheint und ist ihm auch Gott.“ Wo wohnt bei den vielen Spaltungen die Wahrheit selbst? Gerade in der Vielfalt der Erscheinungen! So wird für Franck der Widerspruch zum Wesen der Wahrheit und es wäre gar nicht wünschenswert, ihm die Spannung zu nehmen, die das Rad der Welt treibt: „Gott wirkt ver­ bot gen in seinem Gegenteil.“ „Der selig Unfried kommt doch dem Guten zugute . . .“ Kurzum, diese Paradoxa Francks führen in eine so dünne Luft und in so schwindelnde geistige Höhen, daß es uns manchmal wie bei Hölderlin und Novalis den Atem verschlägt. Und bei manchen Eingebungen muß 12

178 es diesem stillen Mann in seinem Stübchen in der deutschen Reichs­ stadt Ulm zumute gewesen sein wie etwa Nietzsche, wenn er im Engadin die Berge hinaufraste und sich hinterher wunderte, welch neue Worte er wieder in seinem Brustbuch fand. •

Gehört dies Buch, „den Kindern der Welt versiegelt“, doch auch zu jenen Offenbarungen, in deren Feuer die Verfasser gar nicht merkten, daß sie eigentlich gar keine Christen im kirchlichen Sinne mehr waren. Wie Meister Eckart in gottbegeisterter Predigt manches Wort ent­ schlüpfte, das er kaum geschrieben hätte, oder Angelus Silesius, als er drei Tage von den Fittichen des Cherubims überschattet war. Denn in beider Spannungsbogen steht Sebastian Franck, wenn er schreibt: „Was einst nach der Bibel geschehen ist, geschieht noch täg­ lich. Christus muß in uns geboren werden, leben, sterben, auferstehen und gen Himmel fahren. Nicht einen Heller wollt ich um all das Leiden Christi geben, wenn es nit in mich kommt. Wir aber sehen gerne zu, wie er das Kreuz trägt und singen Kyrieleison. Die Welt läßt Christus am Kreuz hängen und sitzt selber im Rosengarten. So wird Christus noch heute für und für gekreuzigt. Also währet der Oster- und Pfingsttag noch und Christi Leiden und Sterben und Himmelfahrt währet noch täglich. Wer Christus nur fleischlich begreift, für den ist er umsonst gestorben. Wenn wir aber den Vater ergreifen in Christo, hat er nach dem Fleisch ausgedient und wirkt wieder als Geist. Das nennt die Schrift Christum essen: in ihm und nicht an ihn glauben. Daß das Wort in uns, wie in ihm, Fleisch werde.“ Schließlich ist das wahre Christentum in dieser Welt des Teufels an sich paradox und wer es wirklich ernst meint mit der Jesusnachfolge, wird gar bald die Erfahrung machen, daß „die Profeten dieser Welt Deinem Weib und Kind und aller Freundschaft sagen, ob Du unsinnig seist geworden, Du verstehst es nur falsch und könntest wohl ein gut Gesell und dennoch ein Christ sein.“ „Käme Christus heute, er könnte keinen Meierhof bekehren, ja wie oft verfolgen sich zwei Bettgenossen und wir wollen die ganze Welt einhellig machen?“ Es gibt kaum eine Ketzerei, die nicht im Keim in Francks Paradoxen irgendwie enthalten wäre. Ihm leidet das Christentum keine Regel und kein Konzil. Eine Blüte nach der andern, die sich im Laufe der kom­ menden Jahrhunderte am geistigen Stammbaum entfaltet, knospet bei Franck.

179 Welch kühne Sprache: „Wäre kein freier Wille und müßte alles so geschehen, wie, Gott wollte und wirkt, so wäre keine Sünde, alle Strafe unbillig und alle Lehre vergebens und ein Affenspiel, daß Christus über die Blindheit der Pharisäer trauert. Wie oft klagt Gott, daß sie ihn nicht hören wollen, was ja spöttlich wäre, wenn er die Schuld hätte... Summa: Wir müssen einen freien Willen annehmen oder der ganzen Schrift Ge­ walt antun und Gott zu einem Erzsünder machen.“ Andererseits: „Gott wird erst in uns zum Willen, beweglich, wandelbar und in Summa ein Mensch.“ „Aber kein Werk auf Erden gefällt sonst Gott, es gefall ihm denn der Mensch zuvor.“ Das sind Worte, die eine pfeilerlose Brücke vom Humanismus zur Humanität bauen. Wie denn Franck auch den Be­ griff der schönen Seele unserer deutschen Klassik einleitet: „Wer kann nun in Gott oder aus Gott übel handeln oder sündigen?“, um gleich noch einen weiteren Bogen bis zu Nietzsches „Jenseits von Gut und Böse“ zu schlagen mit der Erkenntnis: „Alle Dinge sind uns, wie wir sind, gut oder bös. Es ist entweder alles gut, was Du tust oder alles böse. Der (Selbst-)Gerechte sündigt auch in guten Werken.“ Auch weiß der Ken­ ner, welche weltweiten Ketzereien etwa mit folgendem Bekenntnisse vorweg genommen sind, wenn anders es überhaupt Sinn hat, zeitlose Eikenntnisse zeitlich zu vergleichen: „Gott sucht sich selbst in allen Dingen“ oder „Gott sieht den Willen sich entwickeln, wie einer vom Turm aus einen andern in den Hinterhalt laufen sieht.“ Endlich heiligt Franck noch gar die Ketzerei an sich mit den Worten: „Gewiß kann das der recht Glauben nit sein, der jedermanns Ding ist. Daher Pythagoras gelehrt hat, daß man den gemeinen, wohlgebahnten Weg nit soll gehen und gesinnt sein, wie wenig.“ Nicht als ob das alles in diesem Werk so klar nebeneinander stünde! Im Gegenteil gilt es, solche gediegenen Goldkörner erst mit großer Ge­ duld aus gar viel Sand auszusieben. Was Wunder, wenn sich die, denen alles von vorneherein einfach und klar ist, gar nicht die Mühe nahmen, den Wust zu waschen? Dem Ulmer Stadtpfarrer Frecht aber hatte Franck damit die beste Waffe in die Hand gegeben, dem Rat der freien Reichsstadt zu zeigen, welche Laus er sich mit diesem neuen Bürger selbst in den Pelz ge­ setzt hatte. Wieder laufen die Fäden. Diesmal zu und von dem anderen Heidelberger Studiengenossen Butzer über Melanchthon zu Philipp von Hessen, der nun seinerseits die Verweisung Francks aus Ulm ebenso wünschte, wie vor drei Jahren Erasmus die aus Straßburg. 12’



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Warum wohl? Was vermochte den Landgrafen, der 1529 in Worms als einziger Fürst beim Erlaß des Reichsgesetzes gegen die Wieder­ täufer protestiert hatte, gerade diesen aufrechten Mann zu verfolgen? Allein die Hofgeschichtschreiber mochten schon aus dem Weltbuch be­ merkt haben, daß Franck die Fürsten auch nur als Menschen ansah und die bei ihnen übliche Speichelleckerei nicht mitmache: Grund genug, ihn als gefährlich zu verdächtigen. Zumal weil er als Verteidiger der Wieder­ täufer selbst für einen gehalten wurde. Wie tief und stark muß die Freundschaft von Francks Gönnern im Rat gewesen sein, daß sie selbst solchen Forderungen gegenüber Stand hielten und den ihn lieben, wer­ ten Bürger und Gesinnungsgenossen nicht Preisgaben. Wie Hans Denck 1525 in Nürnberg, sollte nun Sebastian Franck 1535 in Ulm zu einem Bekenntnis gezwungen werden und beiden ver­ danken wir aus diesem Anlaß mannhafte Verteidigungsschriften, wahre Spiegel ihres lauteren Wesens. Als aber der Ulmer Ketzer auf ein Be­ kenntnis verpflichtet werden sollte, das die Herren in Ulm selbst noch nicht anerkannt hatten, verloren die Geistlichen gerade dadurch das Spiel gegenüber den großherzigen Freunden Francks im Rat. Und so konnte dieser — wenn auch unter dem Vorbehalt in Ulm nichts ohne Wissen des Rates drucken zu lassen — noch ein paar unbehelligte Jahre des Schaffens in der für ihn damit wahrhaft freien Reichsstadt genießen. In diesen Jahren höchster Reife folgte denn auch Werk auf Werk, wenn er damit zunächst auch nicht nur eigenes gab, sondern — wie seinerzeit in Nürnberg — als Volksschriftsteller Uebersetzngen und Be­ arbeitungen ihm beherzigenswert dünkender Schriften berühmter Zeit­ genossen. So erschienen 1536 die sogenannten 4 Kronbüchlein, nämlich: 1. Das theuer und künstlich Büchlein Morie Encomion Erasmi Rctterdami. 2. Von der Heillosigkeit, Eitelkeit und Ungewißheit aller mensch­ lichen Kunst und Weisheit und Lob des Esels aus Agrippa von Nettesheim. 3. Von dem Baum des Wissens Gutes und Böses, davon Adam gessen und noch heut alle Menschen den Tod essen..., worin auch der sog. Widerruf Hans Denks abgedruckt ist, der dadurch im 17. Jahrhurdert nach England kam. 4. Encomion, d. i. „ein Lob des . . . göttlichen Worts und Unter­ schied zwischen der Schrift, äußeren und innerem Wort“, vielleicht das reifste Werk Francks, in dem sich auch die innere Ruhe jener Jahre spiegelt. Es bedeutet eine Verschmelzung der heiligen Unwissenheit des

181 Cusaners mit der Weisheit der „Gotteskunst“. „Denn alle Kommentare lassen dem heiligen Geist keinen Raum und schütten die Schrift zu. Gottes Wort aber ist vor der Schrift gewesen und wird sein, wenn keine Schrift mehr sein wird.“ War doch mit der Freude an der Erfindung der Buchdruckerkunst auch gleich wieder eine Ueberschätzung alles Gedruckten ins Kraut geschossen, als ob ohne Lesen und Schreiben kein Mensch selig werden könne! Und wieder — wie nach den verschiedenen Ueberarbeitungen frem­ der Werke in Nürnberg — kam nun ein größeres Geschichtswerk eige­ ner Prägung und zwar diesmal (1538) die erste deutsche Geschichte in deutscher Sprache: „Chronikon Germaniae: Vbn des ganzen Teutschlands, aller teutschen Völker Herkommen, Namen, Händeln, guten und bösen Thaten, Reden, Räthen, Kriegen, Siegen usw.“ Aventin war eben über seiner „Germania“ gestorben. Franck wußte recht wohl, daß er es mit diesem Meister nicht aufnehmen konnte. Da aber die vom Volk wie von der Gelehrtenwelt gleich ersehnte Germania illustrata noch auf sich warten ließ, wollte er wenigstens einstweilen ihre Lerche sein. Aber er war mehr als eine Lerche; er war eine Friedenstaube nach der welschen Sintflut bisheriger Gelehrtengeschichte, wenn er seinem — wie von Hölderlin — schmerzhaft geliebten deutschen Volk ins Ge­ wissen rief: „Ja, wo die Deutschen ihren eigen Reichtum wüßten und sich selbst verstünden, was sie im Wappen führeten, sie würden keinem Volk weichen, und wie um kein Stück Brot, also auch um keine Gnad, Rat, Tat, Weisheit, Lehr, Verstand zu Gnad kommen und zu Füßen fallen. Denn über das ist jetzt Germania also von Gott begnadet, begabet und erhöhet, daß sich keine Nation irgend eines besonderen Dings rühmen kann, das sich nicht Deutschland alles zu haben rühmen möge: lang­ wieriges Getreide, guter, gesunder Wein, Luft, Volk, fruchtbar, volkreich Land und Leut, alle Künst aufs höchste, also daß beide, Druckerei und Büchsengießen, und noch viel mehr Germania erfunden hat und noch täg­ lich neu Land, Welt und Kunst erfinden. Es ist ein langmütig, leutselig und gegen andre Nationen gehalten gottselig Volk.

182 Da findet man die weitreisendsten reichsten Kaufleut, wie kaum in einem anderen Land. Ferner künstliche Arbeit in Malen, Sticken, Gra­ vieren, Schnitzen, Bauen, Gießen, Schreiben und allerlei Kunst, daß sich auch der Türke verwundern und den Deutschen darum zu Gnad kom­ men muß. Es ist auch ein mutig, ringfertig, leichtsinnig Volk, zu allerhand Spaß und Ernst geneigt und auf allen Sätteln gerecht. Also, daß einer Gott loben sollte, wie jener griechische Philosophus, daß er kein Barbarus, sondern in Deutschland ein Deutscher geboren wäre.“ Was will es solchem Schwung und solcher Sprachkraft gegenüber bedeuten, daß neuere Forschung nachgewiesen hat, wie sehr Franck die auf der Rückseite seines Titels genannten 52 Bücher als herrenlosen Steinbruch benutzte, wenn er ein Haus daraus baute, in dem sich sein Volk zwei Menschenalter lang — denn auch dieses Werk seiner Ulmer Zeit hat ebenso wie die „Paradoxa“ fünf Auflagen erreicht — wohl fühlte? Zudem stellt er, der sehr im Gegensatz zu seinem ersten Geschichtswerk schon in seinem „Weltbuch“ z. T. aus ersten Quellen geschöpft hatte, hier sogar bereits, wenn auch noch unkritisch, manche Quellen zum Ver­ gleich nebeneinander. Am meisten allerdings lehnte er sich an Carion, Melanchthons Lehrer, an. Aber dem Schriftsteller Franck geht es ja eingestandenermaßen weni­ ger um Kritik und Forschung als vielmehr um nichts geringeres als um die Gesetze der Geschichte selbst, um „den Haft, Satz, Inhalt, Kern und Bundriemen“ geschichtlicher Zusammenhänge, mit welchem Vergleich sich unbeabsichtigt wieder der Handwerker bekennt, der schon in Nürn­ berg ein Buch setzen, drucken und wohl auch binden gelernt hat. „Als so einer einen Baum will beschreiben, ist gnug, daß einer sein Ge­ stalt, Frucht und derselben Nutz und Art, warzu dienlich, erläuter: darf nit eben die Linien der Blätter, Zahl und Verhältnus der Aest, Art und Dicke der Rinden, Tiefe der Wurz u. a. m. fürschreiben“ schreibt Franck im Vorwort zu diesem Buch und findet damit im Grunde jene Darstel­ lungskunst, die mehr den Eindruck auf unsere Sinne als die Wissenschaft von allen Einzelheiten wiedergibt. Ihm kommt es nur darauf an, „nicht zu poltern, sondern die Wahrheit einfältigst darzutun.“ Als „Nutz der Histori“ erscheint ihm nicht nur „die Schule der Fürsicht, sondern das Schauspiel von Gottes Gerechtigkeit: will jemand aller Betrübten fröh­ lichen Ausgang und aller Stolzen trauriges End wissen, — hie sieht und find ers! Zur Schärfung seines Urteils. Ich sehe allein, was Gott durch die Menschen gehandelt und gewirkt hat. Ist noch was Lebendiges und

183 ein Fünklein Gotteslichts in eim, der wird sich ob dieser meiner Arbeit, hoff ich, wie an allen Dingen wohl bessern.“ Womit wieder der Seelsorger zum Durchbruch kommt, der als junger Geistlicher in Gustenfelden vergebens versucht hat, seine Bauern zu bes­ sern. Aber noch zwei Sätze dieser Vorrede verraten uns, wie ihm damals zumute war: die Worte „Ich laß mir die Freiheit der Wahrheit niemand zu Lieb oder Leid gern rauben, damit nicht mein Buch eitel Liebkosen, Federklauben und Hofieren werde geachtet“ zeigen den aufrechten Mann, der aber doch aus der Not eine Tugend machen muß: „Nun still schweigen vor der Welt mit der Wahrheit, deren sie noch nit fähig ist: Es ist jetzt Schweigenszeit.“ Nicht unbedeutsam ist auch, daß sich Franck im Gegensatz zu seiner Geschichtsbibel inzwischen zu einem notwendigen geschichtlichen Ab­ stand durchgerungen hatte: „Denn die Alten haben von Lebendigen nit geschrieben“ und den Leser gleichsam um Verzeihung anfleht : „Ich .habe hierin den lebendigen Zeugen glauben müssen und etwas gemeinem Ge­ schrei zugeben, weil die Bücher hierin schweigen.“ Wie sehr auch seine Kaisergeschichte von der bis dahin üblichen abwcicht, erhelle aus einem Beispiel zugleich besonderer Sprachkraft: „Die Karolinger haben nit eitel Seiden gesponnen, sondern bloß den Ruhm erworben, daß sie des Papstes Glauben nach Germanien geschwemmt..“ Ueberhaupt ist ihm nicht, wie der meisten bisherigen Geschichts­ schi eibu'ng, die Kriegs- oder Kirchengeschichte allein wichtig: „Aber der friedereichen Kaiser gut Regiment, weise Red und Tat und gute Gesetze haben die Deutschen wenig beschrieben, noch verstanden.“ Im Gegen­ satz dazu wird Franck so zu einem der ersten deutschen Kultur­ geschichtsschreiber. Hatte er schon im 6. Zeitalter seiner Geschichtsbibel über Zolle und Leibeigenschaft gehandelt und im Weltbuch naturgemäß noch mehr Sitten und Gebräuche der Völker beschrieben, so finden wir auch in seiner „Germania“ schon gar manches Volkskundliche im heu­ tigen Sinne. Führt doch z. B. Grimm das vom Berge rollende, brennende Rad nach Sebastian Franck an. Leider zahlt andererseits Franck selbst seiner Zeit den Zoll, wenn auch er die deutsche Kaisergeschichte mit der römischen beginnt, wie denn überhaupt auch dieses Werk weitschweifig und ungleichwertig ge­ nug ist, um sagen zu dürfen: Schade, daß auch dieses Buch nicht alles hält, was sein Vorwort verspricht.

184 Mit gleichen Buchstaben gedruckt, also wohl auch bei Matthio Aptario in Bern, erschien 1539 „Chronika, ein überaus lustig wahrhaftig Histori von der Franken An­ kunft, Nahrung, Aufwachsung bis auf Carolum Magnum nach Trithemius verteutscht“, eine von Francks vielen Uebersetzungen, die nur für Nürnberg und Um­ gebung wissenschaftsgeschichtlich wichtig ist. So recht ein Erzeugnis des fruchtbaren Volksschriftstellers und Aus­ druck der vergleichsweise glücklichsten Jahre seines ganzen Lebens ist sein wohl bejahendstes Werk, das 1538 erschien und in einem Menschen­ alter 5 Auflagen erlebte: „Die Gülden Arch, darin der Kern und die besten Hauptsprüch der hlg. Schrift, alten Lehrer und Väter der Kirchen, auch der erleuchteten Heiden und Philosophen (all-)gemein Liberei und teutsche Theologei zusammengetragen“, dessen Ueberschrift auch in der Kürzung schon verrät, daß es sich da­ bei nur um eine neue Abwandlung und Zusamenstellung seiner Lieb­ lingsgebiete handelt. Noch mehr Versponnenheit aber als diese „geistliche Apotheke“ be­ weist sein 1539 erschienenes Werk: „Das verbütschiert, mit sieben Siegeln verschlossene Buch, das recht niemand aufthun, verstehen oder lesen kann, denn das Lamm und die, mit dem Tau bezeichnet, dem Lamm angehören . . .“ \ Es bahnt bereits den Weg zu künftigem Gemüts- und ErbauungsChristentum. Francks Freude am Widerspruch aber übergipfelt sich darin so sehr, daß es sogar wieder eine Gegenschrift gegen die Gegen­ sprüche enthält. Hier sucht die „Gelassenheit“ in der Schrift den „Gegenwurf“ selbst, „um ihn nicht seinerzeit vom Teufel vorgehalten zu bekommen.“ Ja der Mensch soll geradezu durch die Widersprüche in Angst und Not hineingetrieben, erschrocken und erschlagen werden. Der „Beschluß“ dieses Buches aber, „aller seiner vorigen Bücher Apologia“ bildet das beste Bekenntnis und die rührendste Rechtfertigung des freien Schriftstellers überhaupt, an dem wahrhaftig kein Gustenfclder Pfarrer verloren ging, weil nur er wissen konnte, was in ihm steckt:

185 „Ich weiß, daß man mich wird für einen Hadermann halten. Das Ge­ schrei haben die Profeten, Christus und die Apostel auch hören müssen.. Die Schweiger sehen auch etwas und es sind nit allzeit die freudigsten* die auf der Bahn herumreiten und fest schreien. Es sieht oft einer einem Tanz zu, der dem, der den Reigen führt, zu raten gibt... Wer weiß, was Gott zu allen Zeiten einem jedem ins Ohr gesagt hat... Es ist keiner Knecht, mir zu glauben. Also sei auch keiner meines Glaubens Meister. Also hab ich mich bisher so unparteiisch gegen jedermann gehalten, daß ich mich in keine sondere Sekt nie hab also eingelassen... Den Gott­ liebenden werden auch alle Ketzerei und Sekten zugut kommen... Was nit Gottes, sondern mein ist, das fahre immerzu hin und werde recht von allen verurteilt... Doch kann ich um das zerstreute Haus des Herrn zu eifern nit abstehn, weiß nit, aus wessen Geistes Eifer getrieben, weiter zu pflanzen, was ich vom Herrn empfangen habe.“ Schließlich tröstet er sich mit dem Trost aller freien Schriftsteller, die sich als Seelsorger ihres Volkes fühlen: „Wieviel Brüder hab ich auf Erden, die ich nur nicht alle et reichen kann! Und nicht nur in meiner Zeit, sondern im Lauf der Zeiten!“ Und wieder, wie in Franken und Schwaben, kreuzte sich auch in Ulm Francks Lebensbahn mit dem anderen Wandelstern Schwenckfeld, der ihn allerdings immer mehr nur für einen von ihm abhängigen Mond hielt. So einig sich beide in der Bekämpfung des Buchstabenglaubens waren, so notwendig mußten ihre Sternenbahnen wieder auseinanderlaufen, wenn Schwenckfeld immer noch hoffte, „in thörichtem Eifer zu den be­ reits bestehenden 20 Sekten noch eine neue Kirche aufzurichten“, wäh­ rend Franck das innere Licht immer mehr auch in Geschichte und Natur fand, ihm beide „ein offen Buch und lebendige Bibel“. Indessen war die neue Lehre immer mehr zu neuer Kirche geronnen und saßen ihre Köche wieder einmal in Schmalkalden beisammen, für ihre Reinheit zu sorgen. Festgeformtes war ihr Lebensziel. Was mußte ihnen da mehr im Wege sein als jene Feuergeister, die den Guß immer in Weißglut erhalten wollten? Darum ist es denn auch kein Zufall, daß der Schmalkaldner Bann­ strahl beide Brüder im Geiste, Schwenckfeld und Franck, zugleich traf. Franck mußte noch 1539 nach einem neuerlichen Kesseltreiben Frechts diesem das Feld räumen, der dem Makellosen gar noch seinen untadelhaften Wandel als „Gleißnerei“ auslegte.

186 Und so schied dieser Urchrist nach fünf Jahren auch von Ulm, indem er die segnete, die ihn vertrieben. Womit sein Paradoxon an ihm selbst zur Wahrheit wurde: „So oft diese 1500 Jahr ein frommer Mann ist aufgestanden, der Christo nachfolgend in der Apostel Fußstapfen getreten ist, den hat die Welt allweg bald vertuscht und vom Brot gerichtet.. Der Sprichwort-Sammler. Basel — Straßburg — Basel 1539 — 1542. Nur wer sich selbst verbrennt, wird den Menschen ewig wandernde Flamme. Christian Morgenstern

Nicht einmal ein „Kläpperle“ konnte Franck kaufen, sein Weib, seine drei Buben — darunter den kaum geborenen Christoffer — und seine zwei Töchterlein in die Fremde zu fahren und lief sich die Füße wund bis Basel, wo er erst acht Tage still liegen mußte. Dabei spricht der 40jährige bereits von „Abgang des Leibes und Gesichts“: nicht verlebt, sondern verbraucht, innerlich verbrannt, wie eine Kerze. Noch einmal taucht er in Straßburg auf. Fischarts Vater ist Trau­ zeuge bei einer zweiten Heirat mit einer Tochter seines ersten dortigen Druckers Balthasar Beck. Einmal erkundigt er sich nach den Aussichten, in Bern als Buchdrucker unterzukommen, findet aber — soweit also reicht seine geistige Wirkung! — einen Gönner in dem Gatten der Bar­ bara Uttmann zu Annaberg im Erzgebirge, die bekanntlich das Klöppeln erfand. In jenen Jahren mögen die meisten mystischen Schriften entstanden sein, die erst Francks Wiederentdecker Hegler in Tübingen in hollän­ discher Uebersetzung ausgrub, die sogenannten holländischen Traktate. Schon die Ueberschriften verraten uns, um was es geht: „Vom Königreich Christi“, „Von der Welt des Teufels“ und „Von der Gemeinschaft der Heiligen.“ Weltferne Gottseligkeit? Wie nahe uns heute noch ihr Grundgehalt gegenwärtig ist, ergibt u. a. die Gegenüberstellung eines Wortes daraus mit dem eines geistigen Führers von heute. Sebastian Franck: „Es ist ein Kampfstück Gottes, daß einer heute ein Engel und morgen ein Teufel ist.“ Und Paul Ernst: „Das Leben ist der Kampf Gottes mit dem Teufel, in welchem Gott jeden Morgen ans Kreuz geschlagen wird.“ Und wie Christian Morgenstern rettete sich Sebastian Franck im selben Lebens-

187 alter immer mehr ins Reich der Mystik, jenen Golfstrom, dessen warmer Hauch alle geistlichen Keime entfaltet, zur Reife bringt und Eisberge schmilzt. Wie eine Umkehrung seiner Sendung als Volksschriftsteller aber mutet es an, wenn er nun an seinem Lebensende seine geliebte Theologia teutsch zu größerer Verbreitung auch am Unterrhein ins Latei­ nische zurückübersetzt. Ja, der Nürnberger Forscher Waldau sah auch noch eine griechisch­ lateinische Abwandlung des Neuen Testaments von Erasmus 1542 in Basel bei Nikolaus Brülinger und Sebastian Franck gedruckt. So gibt es noch eine erkleckliche Zahl größerer und kleinerer Schrif­ ten, die unter Francks Namen umgingen. War er doch nach Luther wohl der Sprachgewaltigste seines Jahr­ hunderts. Wie Meister Eckart schmeidigte und straffte er die Sprache, wenn der Geist über ihn kam: „Gott will im Menschen in seinem Gegen­ schein erglasten.“ Oder bürgerlicher: „Wenn aber Gott alle Ding durch sein Wort in ein Wesen und Natur hat gestellt und erschaffen, so hat er sein Werk, Natur, Wesen und Fäuste nit wieder daraus und davon ge­ zogen, wie ein Schuhmacher, so er einen Schuh ausmacht und liegen läßt oder wie ein Strauß ein Ei legt, sondern er hat sein Wort in den Dingen lassen, daß er alles regiere, in allen lebe, webe, wachse.“ Ja sehen wir nicht auch im Geiste Hans Sachs vor uns, wenn wir bei Franck lesen: „Der Glaube ohne Werke ist tot. Was soll eine Kunst, der es an Griffen fehlt? Alles Ding wird gelobt nach der Kraft, die es von Gott hat: Die Kuh von ihrer Milch, das Roß von seiner Stärke, den Vogel von seinem Gesang, die Sonne von ihrem Schein und Hitze. Niemand glaubt keinem Handwerksmann, ob er gleich viel Worte macht und sich vieler Künste rühmt, der seine Kunst nit sehen läßt und ein gut Werk vor die Augen stellt, das von seiner Kunst zeuge“? Wie deutlich sieht er — und jeder Leser mit ihm — den „Teufel schon warm in den Buchstaben sitzen bis an den Hals“. Oder wie behäbig sehen wir die biederen Bürger „mit allen Ellenbogen auf den Polstern“ ihres guten Gewissens aus den Fenstern herausschauen! Wie warm auch klingt und herznah: „Der Teufel, Gottes Affe, kann alles nachtun und sich über alles frommlich stellen, allein recht lieb haben kann er nicht...“ Die ganze Spannweite seiner Seele aber offenbart sich in den beiden Worten, die er als erster in ihrer heutigen Bedeutung der deutschen

188 Sprache geschöpft, geschenkt hat: „Selbständig“ und „gemeinnützig“, zugleich zwei Gegensätze deutschen Wesens an sich, deren scheinbaren Widerspruch jeder Deutsche in sich zu lösen hat. Daß der so gutherzige Mann auch zugleich geistvoll sein konnte, be­ weise als ein Beispiel für viele folgendes „Spottlob“, wie er Satyre sinn­ voll eindeutscht: „Des großen Nothelfers und weltheiligen Sankt Gelds oder Sankt Pfennigs Lobgesang durch ein Ironey und Spottlob schimpfisch Gedicht von des lieben Gelds Tugend, Krafft, Stärk, Kunst, Glück und Weisheit“ (1542). Denn daß in einer Zeit, wo jeder Handwerker reimte, es dieser Sprachmeister nicht ließ, wird keinen Kenner wundern. Um so lieber ist uns, daß er sogar sein tiefstes Glaubensbekenntnis in solche gebundene Form goß. Ein Querschnitt durch die Jahrzehnte Francks, wirkt es wie ein Richtstrahler ins 18. Jahrhundert und daß es kaum Kennern dieser seiner Entstehungszeit bekannt ist, ist nur ein Beweis mehr, wie einseitig kirchlich bisher die deutsche Geistesgeschichte von damals behandelt wurde. „Von vier zwieträchtigen Kirchen, deren jede die andre hasset und verdammet. Ich will und mag nicht päpstlich sein: Der Glaub ist klein Bei Mönchen und bei Pfaffen. Es wird beim äußerlichen Schein Ihr Herz nicht rein, Sie machen d’Leut zu Affen. Der Kirchen Brauch Nährt ihren Bauch, der ist ihr Gott: Ich merk den Spott, Will mich nicht da vergaffen. Ich will und mag nicht lutherisch sein: Ist Trug und Schein Sein’ Freiheit, die er lehret. An Gottes Haus sie nur abbricht Und bauet nicht, Das Volk wird mehr verkehret:



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Er lehrt: „Glaub! Glaub!“ Macht damit taub’ Und werklos Leut’. Am Tag liegts heut, Kein Besserung man höret. Ich will und mag nicht zwinglisch sein: Sind auch nicht rein, Ihr Glaub läßt sich nicht b’schirmen. Kein Besserns mit Buß fangens an: Ihr erste Bahn Ist, daß sie Götzen stürmen. Kein göttlich Kraft Noch geistlich Saft Da wird gespürt: Sind auch verirrt Mit andern Sektenschwärmen. Kein Wiedertäufer will ich sein: Ihr Grund ist klein, Steht auf den Wassertaufeh. Die andern Sekten Schreckens ab, Da kein Gotts Gab, Drum in bsonder Kirchen laufen. Leiden drob Not, Welt’ Haß und Tod, Deshalb ohn Spott Näher bei Gott Denn ander all drei Haufen. Ein jede Sekt’ sich Christi rühmt, Sich (da-)mit verblümt, Doch nicht auf rechter Straßen. Der W'ahrheit sind sie nicht geneigt, Die sich erzeigt, Christum sie g’meinlich hassen: Als Gott und Herrn Ihn nicht verehrn, Nicht beten an, Fehlen der Bahn, Wenig die Wahrheit fassen.

190 Wer nun in Gottes Reich will gähn, Der flieh davon, « Nach Christo soll er trachten! Er bleib in Demut und Geduld, Such Christi Huld, Laß sich die Welt verachten: Ob ihm schon feind All Menschen seind, Die Welt ihm gram Um Christi Nam, Sein Krön wird nicht verschmachten.“ Wie nahe jene Jahre der Neuerweckung deutschen Wesens noch dem Sprachquell wohnten, aus dem auch das Sprichwort entsprang, zeigt am besten der wahre Bildensprudel Francks: „Keiner kann auf zwei Achseln tragen, zwei Breie in einer Pfanne kochen, zween Herren dienen, mit einem Fuß im Reiche des Lichts, mit dem andern im Reiche der Fin­ sternis stehen, so wenig, als eine Rebe auf zwei Stöcken . . Was Wunder auch, wenn so von Anfang an solche gewachsene Volksweisheit und so geformtes Sprachgut in seinen Werken eine große Rolle spielen. Oft auch, wo wir es kaum erwarten. Sein ganzes Leben lang scheint er an ihnen gesammelt zu haben. Friedrich Latendorf hat schon 1876 einen getreuen Nachdruck der ersten namenlosen Sprich­ wörtersammlung Francks aus dem Jahre 1532 herausgegeben. Schon in seineiji Chronikon Germaniae erwähnt Franck sie selbst und auch in der güldnen Arch weist er auf die Bedeutung dieses Sprachschatzes hin. Mit wahrer Sammelwut beutete er alle ihm erreichbaren Bücher darüber aus, bis er 1541 damit sein letztes großes Werk herausbrachte: „Sprichwörter Schöne, weise, herrliche Klugwörter und Hochsprüch zusammengetragen in etlich Tausent in lustig höflich Teutsch bekürzt, beschrieben und ausgelegt durch S. F.en“ Bereits der Nürnberger Forscher Nopitsch hat 1822 diese Fundgrube nach ihren Quellen bearbeitet und dabei vor allem die Abhängigkeit von Agiicola (1528) festgestellt. Während aber dem Weltbuch seinerzeit durch das Werk des Humanisten Münster das Wasser abgegraben wurde, hat mit den Sprichwörtern der „Laie“ Franck durch seinen Sammelfleiß mit 9 Auflagen den Gelehrten überflügelt, deren letzte — kein Zufall! —

191 erst 1813 herauskam. Wurde doch erst in der Aufklärung und im Bieder­ meier jene Gesinnung Gemeingut, aus der heraus der Volksschriftsteller Franck seine Begeisterung schöpfte: „Die natürliche Uebereinstimmung aller Menschen, welcher Art alle rechten Sprichwörter sind, so die Natur gelehrt und wahrlich Gottes Wort ist“ — die Sprichwortsammlung als. Katechismus bürgerlicher Moral, wie ihm 10 Jahre vorher die Geschichte zur Bibel geworden war. Welche Hoffnungen hatte der Verfasser wohl an dieses sein Lebens­ werk geknüpft! „Ich will damit der ganzen teutschen Nation als meinem, großen Vaterland ihr Heil und Bestes suchen.“ Und gerade dieses Buch sollte durch ein seltsames Verhängnis sogar noch für ganze Geschlechter das Gedenken an Franck in Luthers Schatten rücken. Und das ging so zu: Gab da bald darauf ein gewisser Freder einen „Dialogus dem Ehstand geschrieben“ heraus, den Luther bevorwortete. Da ihm nun gute Freunde zugetragen, daß in Francks Sprichwörterbuch auch einige Volkswitzworte über das Weib vorkamen, wie sie Luther gar manchmal auch nicht weniger derb gebrauchte, nahm der Kirchen­ mann das zu Anlaß, „des Teufels liebstes Lästermaul“ zu stopfen. So ungerecht, ja z. T. unflätig dieses wie eine Krankheit von Ge­ schlecht zu Geschlecht fortgeerbte Urteil Luthers ist, so eine untrügliche Witterung verrät er damit doch im Grunde, wenn er wettert: „Soviel ich durch den Geruch meiner Nase spüren kann, so ist Bastian ein Enthusiast und Geisterer, dem nichts gefällt, als Geist, Geist, Geist!“ Was aber gäbe es für eine größere Ehre für einen Mann, der zeit­ lebens für den Geist gegen den Buchstaben kämpfte, als diese unfreiwil­ lige Anerkennung? Zudem erreichte jener Fluch Luthers den Betroffenen schon nicht mehr am Leben. Gerade, als dadurch sein Name in deutschen Landen weithin genannt wurde, ist Franck, kaum 43 Jahre alt, wie Hans Denk in Basel gestorben. Ob auch ihn die Pest, der „Tod von Basel“, ge­ holt hat? Wir wissen darüber so wenig, daß noch Onken glauben konnte, Franck wäre, den späteren Zug seines Geistes spürend, in Holland da­ hingegangen. So ging Luthers Giftkelch gerade noch an dem Lebenden vorüber — wie hätte der innerlich so Zarte erst unter solch vernichtender Ungerech-

192 tigkeit des größten Mannes seiner Zeit gelitten; um so mehr wurde sein Andenken wie dasjenige Schwenckfelds dadurch auf Jahrhunderte hin­ aus besudelt. Bis vor ein paar Menschenaltern erst stille Gelehrtenkreise den schon ganz Vergessenen im Geist wieder ausgruben und es nun unserer Zeit aufs Gewissen gelegt ist, ebenso wie an seinen großen Zeitgenossen das wieder gut zu machen, was Mit- und Nachwelt an ihm gesündigt hat. Was Paracelsus recht ist, ist Sebastian Franck billig. Nachwirkung. Sag etwas, das sich von selbst versteht, zum erstenmal und Du bist unsterblich. Marie Ebner von Eschenbach

Schließlich beruht die geistesgeschichtliche Bedeutung Sebastian Francks darauf, daß er Gedanken, die erst Jahrhunderte später Gemein­ gut wurden, zum erstenmal gedacht hat. Nicht als ob alle nachfolgenden Denker ihr Gedankengut von ihm hätten. Wohl aber ist es Geist von seinem Geiste, wenn über zwei Jahr­ hunderte später Lessing gegen den Buchstabenglauben kämpft und Fichte in der Geschichte nur ein Gleichnis für innere Erlebnisse erkennt. Vor allem aber spielt er mit dem anderen großen Paradoxisten christ­ licher Geistigkeit, dem Dänen Kierkegard, die innere Kirche gegen die äußere aus. Seine Gedanken hatten gleichsam eine andere Wellenlänge, als die zu seiner Zeit überwiegenden. Auf die Dauer aber kamen sie um so mehr zum Klang, je mehr jene verebbten. Oder mit anderen Worten: Francks Licht nahm zu, je mehr Luthers Licht abnahm. Luthers Bedeutung braucht nicht erst betont zu werden. Doch ist seit seinen Tagen Zeit genug verstrichen, nun endlich auch seinen Gegnern, die er um seines großen Zieles willen auf die Seite schleudern mußte, ge­ recht zu werden. So sehr heute bedauert werden darf, daß der große Reformator — so wie die Dinge lagen — im Bauernaufstand die Waffen der Fürsten segnete, so sehr darf heute bedauert werden, daß er sich im Kampf gegen Karlstadt und die Zwickauer Propheten genötigt sah, alle Brücken zu eben jener Mystik abzubrechen, die er in seinen besten Jahren doch selbst bei der Herausgabe der „Theologia teutsch“ begeistert begrüßt hatte.



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Ganz im Gegensatz dazu bilden Hans Denk und Sebastian Franck ge­ radezu die Brückenpfeiler mystischer Ueberlieferung, die das Glaubens­ gut Meister Eckharts, Taulers und des „Frankfurters“ über die durch Luthers Absage an die Mystik entstandene Lücke hinweg in die Neuzeit hinüberretten zu Jakob Böhme, der ohne Franck so wenig denkbar ist wie Angelus Silesius ohne Böhme und die ganze neuere religiöse Dich­ tung ohne jene! Ganz ähnlich wie erst neuere Forschung in der Kunst­ geschichte die — nur auf der Oberfläche von der Renaissance unter­ brochene — Verbindung und Strömung von der -Bewegtheit der Spät­ gotik zu der des Barock wiederentdeckte, deren schönstes Beispiel die Breisacher Figuren im Germanischen Museum bilden. Gewiß war das Geistesgut Francks eine Zeit lang Nebenströmung. Aber nur um im 17. und 18. Jahrhundert dann um so mächtiger in den Hauptstrom deutschen Geisteslebens, nämlich die Philosophie, des Idealis­ mus, zu münden. Während sich die Reformation in Männern wie Münzer und Karlstadt gleichsam überschlug, wirkte sie in Denk und Franck in die Weite und Tiefe der geschichtlichen Entwicklung. Vor allem über den Niederrhein, von woher dann die durch Luther und die Seinen verdammte Mystik als Liedgut wieder einströmte und die durch Begrifflichkeit und Starrheit ausgedörrten Auen der neuen Lehre neu befruchtete. Tersteegens Her­ kunft — so recht ein Mann nach dem Herzen Francks — weist diese Wege. Wieviel von dem, was Franck zu seinen Lebzeiten tauben Ohren predigte, ging im Laufe der Jahrhunderte allen Besten in Fleisch und Blut über! Z. B. sein Kampf gegen das gedankenlose Nachglauben oder seine Forderung: „Man spannt das Reich Christi meines Gedenkens zu unse­ ren Zeiten viel zu eng.“ Das eben war Francks Tragik, sich just in jenen Jahrzehnten, in denen alles zur Versteinerung des religiösen Lebens drängte, zur Neu­ belebung berufen zu wissen, als einziger die Gefahr der Erstarrung er­ kannt und bekämpft zu haben. Wie Schwenckfeld — und in gewissem Sinne auch Hans Denk — zum Vater des Pietismus wurde, so wollte Franck schon zu Luthers Zeit das „innere Licht“ des Mittelalters, den „Sohn des Vaters“ für kommende Zeiten bewahren und seinem geliebten deutschen Volke für immer ent13

194 zünden. „Die unsichtbare Kirche ist weder hie, noch da; sie ist nur fingerzeigig.“ Will einer aber die Genien nach der Spannweite ihrer inneren Gegen­ sätze messen, so gehört Franck auch hiernach zu den ganz Großen, die „immer das andere auch gesagt haben“. Noch Mystiker und schon Kri­ tiker, ist er dem einen ein Optimist, dem andern ein Pessimist, je nach­ dem der Forscher diese oder jene Saite seines Wesens bevorzugt. So konnte ein und derselbe stille Mann für Dilthey zum Vorkämpfer der unsichtbaren Kirche, für Tröltsch zum Verfechter aller Sektierer und für Stadelmann gar zum Konkursverwalter des Mittelalters werden. Damit wird die Franckforschung nachgerade zum Spiegel der inneren Enge oder Weitschaft seiner Bearbeiter. Jeder gleicht dem Geist, den er begreift, und die Weite Francks wird aller Enge zum Gericht. Sind der Nürnberger Forscher Georg Ernst Waldau (|1791) und der Erlanger Dr. theol. Gottlieb Wald (1793) Franck nach jahrhundertelanger Ver­ gessenheit und Verkennung als erste durch die Entdeckung seiner Keim­ kraft für das deutsche Geistesleben wieder gerecht geworden, so ist es auch kein Zufall, wenn heute, wo die Ganzheit endlich wieder neu ge­ wertet wird, die Franckforschung allmählich immer weitere Kreise zieht, so daß dieser große Bahnbrecher noch nach Jahrhunderten von neuem auf den Plan tritt für das Verständnis einer in der bisherigen Kirchen­ geschichte mehr oder minder bewußt vernachlässigten Glaubensart, so echt deutsch, als die Meister Eckharts. Gehört er doch im Grunde keiner Zeit an, weil er allen Zeiten an­ gehört, wenn er auch ebenso einzig als eigenartig und in gewissem Sinne doch selbst allein die ganze Gegensätzlichkeit seiner eigenen, selig­ unseligen Zeit verkörpert. Keiner einzelnen Strömung seiner Zeit zugehörig, wuchs seine ganze Geistesrichtung selbst zu einem Strom späterer Ideen. Fast das ganze Geistesgut, das sich im Laufe der Jahrhunderte ent­ rollte, findet sich schon in seinem Werke eingekapselt und ewig gegen­ wärtig. Einzelgänger zu seiner Zeit, wuchs seine Gefolgschaft, gerade unter den Besten seines Volkes, von Geschlecht zu Geschlecht. Und mehr oder minder bedienen wir uns heute noch immer gewisser namenloser Gedanken, die er zum erstenmal gedacht hat.

195 So ist er einer, „der die verlorne Fackel wiederfand, die fortgereicht wird in dem großen Rennen, das von Euch Menschen nur die Zeit genannt.“

Zum Beschluß: Verpönt sei jeder festgeprägte Satz, Die Wahrheit hat in einem Spruch nicht Platz, Unendlich ist ihr Wesen, vielgesichtig, wer sie in Ketten legt, der macht sie nichtig. Sie gellt im Wort als Gast nur ein und aus und offen bleibe, wo sie wohnt, das Haus! Isolde Kurz 13*

196 Hinweise. Ueber Hans Denk. Ludwig Keller: Ein Apostel der Wiedertäufer. Leipzig 1^?. Adolf S c h w i n d t : Johannes Denk. Kassel, Jah. Stauda. 1924. Theodor K o I d e : Zum Prozeß des Joh. Denk und der 3 gottlosen Maler in Nürnberg. Kirch.-geschichtl. Studien für Hermann Reuter, Leipzig 1888, S. 228 ff. u. Beiträge z. bayer. Kirchengeschichte, Bd. VIII. 1902. Eberhard Teufel: Täufertum im Lichte der neueren Forschung. Zur Biographie von Hans Denk. Theol. Rundschau, 13. Jahrgg., Tübingen 1941, S. 183-197. Real-Encyklopädie von Albert H a u c k. 3. Aufl. IV. Bd., S. 632 ff. (Hegler). Mennonitisches Lexicon von Christian Hege und Neff im Selbstverl. Frank­ furt/Main, 1913, I. Bd. S. 401—14 (Christian Neff). Ferner bereitet der mennonit. Geschichtsverein z. Z. eine Neuausgabe aller Schriften von Denk in heutigem Deutsch vor. Ueber Sebastian Franc k. Mennonit. Lexicon (s. o.!) Bd. I. S. 668 ff. (Neff). Eberhard Teufel : Seb. Franck im Lichte der neueren Forschung (Zusammen­ stellung und Beurteilung). Theol. Rundschau, 12. Jgg., Tübingen 1940, S. 99-129. Eberhard Teufel: Luther und Luthertum bei S. Franck. Festgabe für Karl Müller, Tübingen, 1922, S. 132—144. Eberhard Teufel : Der Kampf der Konfessionskirchen gegen S. Franck vom 16. bis 18. Jhdt. Erscheint nach dem Kriege bei Böhlau, Weimar, in der Sammlung „Mystiker des Abendlandes“, hrsg. v. R. F. Merkel. Karl Schottenloher : Bibliographie zur deutschen Geschichte im Zeitalter der Glaubensspaltung, Leipzig, 1933 ff. Bd. I. und V unter Franck. Zur Zwischenzeit: Hermann Körner: Studien zur geistesgeschichtl. Stellung S. Francks. Histo­ rische Untersuchungen, H. 16, Breslau 1935. Zur Nürnberger Zeit (1528—1529): Friedr. L a t e n d o r f : Hat Luther Francks Türkenchronik bevorwortet? An­ zeiger für Kunde der deutschen Vorzeit, Organ des German. Museums. Nürnberg, 1868, Spalte 262/3, worin 1869, Spalte 11 ein (Namensvetter) Jakob Franck die Antwort gibt. Otto Haggemacher: Ueber S. Francks Erstlingsschrift von der Trunken­ heit, 1528. Beilage zum Programm der Kantonschule Zürich, 1892. Zur Ulmer Zeit (1534—1539): Julius E n d r i ß : S. Francks Ulmer Kämpfe. Ulm 1935. Ein Vortrag, gedruckt bei Höhn. Heinr. Z i e g 1 e r: Neuherausgabe von S. Francks Paradoxa. Jena, Diederichs 1909. Heinr. Ziegler: S. Francks Bedeutung für die Entwicklung des Protestantis­ mus, kurze Darstellung nach seinem Buch der 280 Paradoxa. Zeitschrift f. wissenschaftl. Theol., 50. Jhg., Lpzg. 1908, Heft 1. u. 3, S. 118—131 u. 383—421. Künstlerische G e s t a 11 u n g fand Seb. Franck durch E. G. Kolbenheyer : Paracelsus, Bd. II, und J. En giert: So gaukelt die Welt. Glaube und Kampf des Seb. Franck (erscheint in Bälde bei Bühler, Stuttgart). Nach Abschluß dieser Arbeit erschien das umfangreiche Werk von Will-, ErichPeukert: Seb. Franck,^Ein deutscher Sucher. München, Piper 1943. 1

Magister Christoph Reich* Aus der Geschichte der Nürnberger Stadtbibliothek. Von

Friedrich Bock,

l. Im Direktorzimmer der Nürnberger Stadtbibliothek hängt, von Karl Barfuß vor kurzem ausgezeichnet wiederhergestellt, das schöne Bildnis des „M Christoph Reich, Schaffer bey St. Sebaldt“, wie die Inschrift besagt. Hs ist 1627 gemalt, laut Monogramm von dem bekannten Bildnismaler Lorenz Strauch; die redselige Beschriftung gibt weiter das Alter des Ge­ malten (60 Jahre), das des Malers (65 Jahre) und dazu den Wahlspruch Reichs, von dem noch die Rede sein wird. Dieses Brustbild — die Hände halten das unvermeidliche Buch — zeigt einen sehr kräftigen Mann, trotz seiner 60 und seines grauen Bar­ tes .,in den besten Jahren“. Die gut modellierte Stirn umrahmt noch volles, eisengraues Haar; starke, an den Außenseiten nach oben stre­ bende Brauen über dunkelblauen Augen deuten schon auf eine Kraft­ natur hin, ein Eindruck, den die große Nase und der volle Mund noch unterstreichen. Trüge er nicht das geistliche Gewand, so hielte man ihn wohl weder für einen Prediger noch für einen Bibliothekar, eher für einen dem praktischen Leben zugewandten Mann, der auch den Freuden die­ ser Welt nicht abgeneigt ist. Dieser Christoph Reich war aber zu seiner Zeit einer der angesehensten Geistlichen Nürnbergs und als Bibliothekar gehört er mit Säubert und Dilherr zu der Trias, die in ihrer Wirksamkeit das innere Leben der reichsstädtischen Bibliothek auf fast zwei Jahr­ hunderte hinaus maßgebend bestimmt hat. Zeitlich ist er von ihnen der erste (1616 — 32), an Bedeutung steht er den beiden anderen mindestens nicht nach, jedenfalls hat die Zeit gerade seiner Amtsführung in vie­ lem die dauerhaftesten Spuren hinterlassen. Der beständige Anblick sei­ nes Bildes und dazu die Spärlichkeit dessen, was im gangbaren orts-

198 geschichtlichen Schrifttum *) über ihn zu lesen ist, mußte zu Nachforschun­ gen über seine Art und sein Wirken reizen. Schon seine Herkunft geben die „klassischen“ Nürnberger Nach­ schlagewerke 2) falsch an. Er stammt nicht aus Staffelstein3), ist viel­ mehr ein Sohn des Pfarrers Friedrich Reich in Kunreuth4). Nach dem Studium in Altdorf und Wittenberg begegnen wir ihm wieder im Jahre 1601, wo er als Diaconus am Heiliggeistspital zu Nürnberg angestellt wird5). Von da ab gehört sein ganzes Lebenswerk dieser Stadt. 1605 wurde er Diaconus bei St. Sebald, 1624 Schaffer derselben Pfarrei. Seit 1616 war er gleichzeitig Bibliothekar der Stadtbibliothek. Er eröff­ net somit die lange Reihe von Stadtbibliothekaren, die im Hauptamt füh­ rende Geistliche bei St. Sebald waren; seine beiden Vorgänger, Carl Gerbel und Bernh. Praetorius, waren Juristen gewesen. Als ein Opfer des Dreißigjährigen Krieges starb er im Oktober 1632 an der Pest. Er war dreimal verheiratet6). Von seinen Kindern kennen wir aus Reichs eigenen Aufzeichnungen eine Tochter Magdalena, welche oft die Bücher aus der Bibliothek den vornehmeren Entleihern ins Haus bringen mußte 7), und in gleicher Tätigkeit treffen wir einen Sohn Johannes im Jahr 16198), wohl denselben, der uns 1615 in der Matrikel der Universität Altdorf9) und gelegentlich als Entleiher der Stadtbibliothek begegnet10). Nach sei­ ner Studentenzeit ist er nicht weiter faßbar. Ferner hatte Reich eine Tochter Katharina, die den Pfarrer Elias Reu in Wöhrd bei Nürnberg geheiratet hat n). Seine letzte Ruhestätte fand Christoph Reich in dem später Zimmermannschen Grab 12) auf dem Johannisfriedhof. 2. Von Reichs Tätigkeit im geistlichen Amt — die Stufen seines Vor­ rückens sind schon angegeben — ist nicht allzu viel bekannt. Umso will­ kommener ist eine Angabe G. J. Schwindels13), die wörtliche Wiedergabe verdient: „Wurde 1611, d. 16. Dec., zum neuen Mittwoch-Prediger in der Sebald-Kirchen, welche früh vor dem Rath-Läuten gehalten wird, von E. E. Rath bestätigt, und fieng Mittwoch den 15. Jan. 1612 zu pre­ digen an aus Ebr. XIII. Kapitel, mit Vermelden, daß er die Apostel­ geschichte erklären wollte, welche er den 29. Jan. hernach anfieng, aber 1613 .. . davon wieder absprung und, um mehrere Zuhörer zu bekommen, die Haustafel zu erklären anfieng. Allein er hatte doch ebensowenig Zuhörer, weilen er des Sprembergers14), Pfarrers zu Altdorf, Schwer­ inern — daß man nemlich Christum nach seiner m [enschlichen] Na-

199 tur nicht anbeten noch an dieselbig glauben solle, als nach welcher er unser Mittler und Seeligm [acher] nicht sei — anhieng, und sich bei der Gemain darum verhaßt machte, und immer auff die Ubiquisten15) und die Lutheraner in seinen Predigten schimpfte. A. 1614 d. 4. Mai fieng er wieder das 5. cap. actor. zu erkleren an. Von solch Pred. hatte M. Reich 60 fl.“ Temperamentvoll, wie er auch sonst war, hat also Reich selbst auf der Kanzel mit seiner Meinung nicht hinter dem Berg gehalten, obwohl er wissen mußte, daß ihm diese seine „philippistische“ Neigung Schwierig­ keiten machen könnte. Man hat es ihm aber höheren Orts sichtlich nicht verdacht; denn er wurde trotz solcher Eigenwilligkeit kurz darauf zum Stadtbibliothekar ernannt und, was hier noch mehr heißen will, es wurde ihm im gleichen Jahre (1616) die Auszeichnung, daß er mit noch 6 Theo­ logen und den 4 zuständigen Ratsherrn (Scholarchen) in den ElfmännerAusschuß gewählt wurde, der sich mit der sozinianischen Bewegung unter den Studenten der Altdorfer theologischen Fakultät zu befassen hatte lß). Er hat dieses hohe Vertrauen der reichsstädtischen Regierung nicht enttäuscht; denn er hat sich unter den geistlichen Beisitzern am lebhaftesten an den Verhandlungen beteiligt17), ist auch für seine Be­ mühungen mit einer besonderen Geldzuwendung belohnt worden18). Eine weitere Ehrung für ihn war es, daß er bei dem großen kirchlichen Fest­ akt, der 1623 die Verleihung neuer Privilegien an die junge Altdorfer Uni­ versität feierte, zur Abhaltung des Nachgottesdienstes berufen wurde 19). Daß er die Vereinigung der christlichen Konfessionen für wünschens­ wert hielt, scheint aus seinem Epigramm zum Exlibris der Stadtbibliothek (vgl. unten Abschnitt 3) hervorzugehen. Jedenfalls verurteilte er Reli­ gionsstreitigkeiten und äußerte sich darüber 1610 in einem Distichon (Segmenta poetica — vgl. wieder Abschn. 3 —, Heft I, S. 16) so: Anceps in fidei rebus discordia primos Turbabat fratres, causaque caedis erat. 3. Schriftstellerisch dürfte Reich als wissenschaftlicher Theologe nie hervorgetreten sein. Dagegen war er ein recht fruchtbarer Dichter, vor allem Gelegenheitsdichter. „Unser Herr Reich trug seinen Poeten-Kranz mit Würden, indem er ein vortreflicher»lateinischer Dichter gewesen“ rühmt Will (vgl. Anm. 1), und König in seiner Handschrift3) hatte das schon früher, etwas kühler,

200 gesagt: „composuit carmina non absque elegantia“. Mit gewissen Vor­ behalten dürfen wir uns diesen Urteilen heute noch anschließen. Frei­ lich ist Reich, bei aller Beherrschung der Form — auch seltenerer Vers­ maße —, bei allem im Zeitgeschmack blumigen Ausdruck, bei aller Ele­ ganz, doch den Gefahren nicht ganz entgangen, die dem vielbeschäftigten Gclegenheitsdichter drohen. Er hat sich oft nicht entschließen können zusammenzustreichen, und er ist in der Eile auch ab und zu den Klippen der lateinischen Prosodie etwas zu nahe gekommen. Von seinen besten Seiten zeigen ihn u. a. zwei Epigramme. Das eine ist sein Wahlspruch, den uns L. Strauch (s. Abschn. 1) auf dem Bildnis erhalten hat: Oui bene fert Christum, crucis hic est baiulus [= Träger] aeque Dives et in Christo, ditior esse nequit. Der Hexameter umschreibt also den Vornamen Christoph, der Penta­ meter den Zunamen Reich, sinnig und auch gut im Ausdruck (geschickt z. B. die Stellung des Wortes Christus, beidemale an bevorzugtem Platz vor der Caesur). Das andere ist um das schöne Exlibris herumgedruckt, das wohl 1623, als Christoph Fürer Pfleger der Bibliothek war, angefertigt und leider nur kurze Zeit verwendet wurde 20). Das Bild zeigt in Schwarz den sogen. Nürnberger Wappen-Dreiverein — die beiden Stadtwappen, das „große“ und das „kleine“, darüber den Reichsadler —, darunter, zwischen beide Stadtwappen eingeschoben, das der Familie Fürer. Die Umschrift lautet: Noricae ut hae coeunt Aquilae, Variante figura, Sic coeant omnes, quos Aquila una regit. A capite ut veniunt uno omnia caetera summo, Sic coeant, Christum qui reverenter amant ! c. r. Das „c. r.“ beglaubigt Reichs Verfasserschaft. Wir haben hier sein Glaubensbekenntnis als Deutscher und als Christ. Denn das erste Distichon will sagen, daß sämtliche Reichsglieder, die bqi aller Verschiedenheit von dem einen Kaiser regiert werden, auch zusammenstehen sollen (dabei leben wir im Dreißigjährigen Krieg !); und das zweite meint, so sollen auch alle, die Christus lieben, Zusammengehen, weil sie alle von einem Oberhaupt herkommen. Was Reich sonst gedichtet hat, ist zu einem guten Teil an bestimmte Personen gerichtet (Epithalamia, Epicedia, Propemptica, Neujahrsgedichte, Dankgedichte usw.) und, wie gesagt, nicht immer von gleicher Güte.

201 Seine Sachen fanden aber solchen Anklang, daß er sie — wohl mit Aus­ wahl — von 1610 bis 1623 in den 17 Heften seiner „Segmenta poetica“ nochmals gesammelt drucken lassen konnte. König21) hat sich den komi­ schen Druck- oder Schreibfehler „Smegmata“ geleistet, Würfel und Will1) haben ihm den unfreiwilligen Witz getreulich nachgedruckt und erst Nopitsch in seinem Will-Supplement berichtigt ihn. Die Stadtbibliothek besitzt heute nur noch Heft 1—8 und 10—17, zum Teil als späte Erwer­ bungen22); andere größere deutsche Bibliotheken haben nichts mehr davon23). Heft 1 bringt u. a. ein Gedicht an sich selbst, ein griechisches Gebet „Pro prosperitate sua“, ein Distichon über den Zahnstocher (er soll nicht aus Eisen, sondern aus Holz sein, im Notfall auch aus einer Vogelfeder), 2 Disticha für Martin Peiler über dessen neues Haus (das berühmte Pellerhaus !), ein Briefchen an Hieronymus Besler, den Nürn­ berger Arzt, wohl nach einer durchzechten Nacht — vielleicht auch nach einer1 Nacht, die beide gemeinsam an einem Krankenbett verbracht haben. Die Paraphrase und z. T. wörtliche Wiedergabe der DaphneGeschichte aus Ovid, Mett. I 452 ff. ist als Deklamationstext für einige Schüler gemacht. In Heft 17 ist bemerkenswert ein Dank an den Rat der Stadt für die kostenlose Verleihung des Bürgerrechts an die Geist­ lichen und ein nettes Hinkjamben-Gedicht mit der Ueberschrift „In praesens amandus“, das als bezeichnend für Reichs Art hier noch fol­ gen soll: Tkj j . ... .. Ne crede cuiquam virgim, neganti se Tibi tuisque nuptialibus votis ! Volunt puellae, quando maxime nolunt. Dico puellis omnibusque nupturis Verum vel unum hoc maximumque: Quisquis non Amat me amantem, amabit haud amaturum. Ein Beispiel seiner gelegentlichen Uferlosigkeit ist das Trauergedicht auf Hieronymus Baumgartner d. J. in nicht weniger als 41 sapphischen Stro­ phen (in: Exequiae Baumgartnerianae, Nbg. 1603). Ich kann hier nicht auf all diese Gedichte eingehen — mit etwa zehn Ausnahmen sind sie ursprünglich nicht selbständig erschienen, sondern in den damals so beliebten Gedichtheftchen zu bestimmten Anlässen — ja ich muß mir sogar die Anführung sämtlicher Fundstellen24) versagen, von denen über ein halbes Hundert noch nachzuweisen ist. Als Musiker hat er sich mindestens in seinen jüngeren Jahren öffent­ lich betätigt: für die Jahre 1602 und 1603 finden wir ihn bei der „Herren-

202 tafel“ der Frauenkirchmusik aufgeführt; 1604 steht er dort unter den Musikanten25). Auch auf das philologische Gebiet hat sich Reich gelegentlich gewagt. Ein Einblattdruck aus dem Jahre 1610 26) enthält eine ausführliche Dis­ position zu Ciceros Rede Pro lege Manilia, natürlich lateinisch, für fünf Schüler, die damals die ganze Rede auswendig vorzutragen hatten. Ucberhaupt dürfte er, mindestens in den ersten Jahren seiner geistlichen Tätigkeit, auch noch vielen Schülern lateinischen Privatunterricht erteilt haben. Neben dem eben erwähnten Einblattdruck bezeugen dies u. a. zwei weitere (dem Band Phil. 2854.80 der Nürnberger Stadtbibliothek bei­ geheftete) mit Gedichten aus dem Jahre 1606, von denen eines all seinen Schülern, das andere einem einzelnen, Samuel Gronenberger aus Prag, gewidmet ist. 4. Wollen wir auch über Reich als Bibliothekar die nahe Nachwelt hören, so gibt ihm sein zweiter Nachfolger, Joh. Säubert27) das denkbar beste Zeugnis: „Demetrio Phalereo 28) non absimilis, si Studium et operae, quas ad bibliothecam reipublicae contulit, probe expenduntur. Rem enim egit officiosissime . . Reich ist derjenige Vorgänger, den Säubert am meisten lobt. Mit Recht, wie die allseitige Betrachtung seiner 16jährigen Amtsführung lehren wird. Ein Bibliothekar, unter dem die Anstalt einen Neubau oder wenigstens wesentlichen Raumzuwachs erhält, darf eines dauernden Nachruhms ohnehin sicher sein — vorausgesetzt, daß der Bau nicht be­ sonders ungeschickt ausgefallen ist Ob freilich ihm oder der Vorgesetz­ ten Behörde der Hauptrahm gebührt, wird nicht immer leicht auszuma­ chen sein. Jedenfalls versäumt auch Säubert nicht, dem damaligen Scholarchen und Bibliothekspfleger Christoph Fürer für die Tat des Neubzw. Erweiterungsbaues wärmste Worte zu widmen. Bei allem, was wir von Fürer29) wissen, wird er sich auch wirklich kräftig für die Sache eingesetzt haben; er war ein Mann von ungewöhnlich regem Geist und hatte besonderes Verständnis für wissenschaftliche Belange. Wenn wir mit großer Wahrscheinlichkeit annehmen, daß die Bib­ liothek von 1538 bis zum Beginn des Umbaues in dem verhältnismäßig kleinen ehemaligen Bibliotheksraum des Predigerklosters (also im heuti­ gen Ausleihraum der Stadtbibliothek) zusammengepfercht war, so wurde sie jetzt mit einem Schlag etwa auf das Zehnfache vergrößert: es wurde der ganze erste Stock des Gebäudes, soweit er um den Vorderhof gelagert

203 ist, im Ostflügel sogar der ganze Verbindungsbau bis zum Hinterhof als Bibliothek eingerichtet — ein für frühere Verhältnisse ungewöhnlich weit­ schauend es Vorgehen, da die Buchbestände damals noch nicht Jahr für Jahr in so erschreckendem Ausmaß wie heute wuchsen. Jedenfalls wies der vollendete Bau behäbige Geräumigkeit und praktische Anlage auf, wie Sauberts 27) ausführliche Beschreibung und die dort beigefügten Bilder aus dem Jahr 1643 zeigen. Der Umbau ging allerdings langsam und zäh vor sich; es war ja schon seit Jahren Krieg. Richtig begonnen hat man 1624 80) und erst bestenfalls 1626 ist man fertig geworden; denn noch in seinem Entwurf zur Dienstordnung des Bibliothekars — Dez. 1625 — sagt Reich ?’), nun werde der Umbau bald endgültig vollendet sein. An dem besonderen Aerger, den Reich in jenen Jahren hatte (s. unten Abschn. 8), sind die Mißhelligkeiten des Baues mittelbar schuld gewesen. 5. War Reichs Bibliothekaramt schon durch den Umbau unruhig und mühevoll, so haben ihm die ruckartigen Vermehrungen und Minderungen des Bestandes sicher noch viel mehr Arbeit gebracht. Der Zuwachs kam damals fast ganz allgemein nicht durch regelmäßige, laufende Ankäufe herein, sondern durch Erwerbung ganzer Büchersammlungen, meist aus Nachlässen. Das alte von 1605 — 1716 reichende Zugangsbuch (= Alte Katt. 44) verzeichnet für Reichs ganze Amtszeit — von diesen Massen­ erwerbungen abgesehen — kaum hundert Einzelzugänge. Gerade in sei­ nen ersten Amtsjahren hatte Reich mehrere große Neuzugänge zu be­ wältigen32). 1617 wurde die hinterlassene Büchersammlung des Advoka­ ten Gabriel Mörder33) gekauft, 1619 die ansehnliche Bücherei des Juri­ sten Johann Herei34) geschenkt, 1620 kaufte der Rat die sehr reiche und vielseitige Sammlung des 1602 verstorbenen großen Bücherfreundes Hie­ ronymus Baumgartner d. J.35) mit 1621 Bänden — eine hochverdienstliche Tat, besonders in Kriegszeiten !36) Man ließ solche Sammlungen damals — leider — nicht zusammen stehen, sondern teilte sie unter die entspre­ chenden Fächer der Bibliothek auf. Darüber hinaus hatte aber Reich noch zwei weitere Zugänge aus der Zeit seiner Vorgänger zu bearbei­ ten, nämlich die vom Rat gekaufte Bücherei des Predigers bei St. Sebald Heinrich Fabricius (= Schmiedel)37), der 1598 gestorben war, und den 1605 um etwa 500 Gulden erworbenen, recht wertvollen Buchbesitz des Predigers bei St. Lorenz Johann Schelhammer38). Dazu kamen, in klei­ neren Mengen, die Bücher, die -dem Rat von den Verfassern geschenkt

204 worden waren und gleichfalls der Stadtbibliothek überlassen zu werden pflegten. Regelmäßige Geldzuweisungen für Neuanschaffungen dagegen flössen spärlich. Säubert39) berichtet zwar, daß man um 1613 einmal Mittel aus der Clara- und Katharinenkloster - Stiftung für solche Zwecke der Bib­ liothek zu wies, man sprach sogar von über 300 fl. jährlich; doch das kann nicht von langer Dauer gewesen sein. Das Zugangsbuch, in dem von 1609—16 gar kein Eintrag steht, läßt uns hier im Stich. Aber auch eine Minderung des Bestandes trat 1625 ein: da wurden Doppelstücke — „etlich hundert aus allen Facultäten, wie dessen ein Catalogus und Verzeichnus von mir mit nach Altdorff gegeben44 40) — an die junge reichsstädtische Universitätsbibliothek abgetreten. Das ist die „Bibliotheca nova“ in Altdorf, über die G. Werner41) berichtet. Das Aussondern dieser Doppelstücke muß Reich viel Zeit gekostet haben. Auch kleine Einzelabtretungen kamen vor; so wurde 1625 ein Psalterium an die Spitalkirche ab­ gegeben 42).

6.

Das Herzstück bibliothekarischer Tätigkeit wird immer die Katalog­ arbeit bleiben. Das wußte Reich nicht nur theoretisch (darüber s. Abschn. 9), er hat sich auch in der Praxis redlich um sie bemüht. Von den Katalogen aus der Zeit vor Reich, hat sich nur einer erhal­ ten, das von Syndicus und Bibliothekar Carl Gerbel 1596 hergestellte alphabetische Verzeichnis der juristischen Bücher, getrennt nach bürger­ lichem und kirchlichem Recht, eine ansprechende, saubere Arbeit, die nur leider durch den starken Zuwachs der nächsten Folgezeit (Mörder, Herei, Baumgartner) und durch Reichs Umstellung rasch überholt wurde. Wie weit Verzeichnisse anderer Fächer da waren, wissen wir nicht mehr. Doch unterrichtet uns das von Reichs unmittelbarem Vorgänger, Bernh. Praetorius, noch begonnene, schon mehrfach erwähnte Ausleih­ buch 7) und, damit übereinstimmend, Gerbeis Katalog wenigstens noch über die Art der Aufstellung: man stellte nach römischen Zahlen der „Stanzen44, großen Buchstaben und arabischen Zahlen. Unter Stanza ver­ stand man wohl die kleinen Abteilungen oder Kojen, die im Ganzen des Bibliotheksraumes durch Unterteilung — eingezogene, heute verschwun­ dene Zwischenwände oder einfach Regale? — entstanden waren. Littera und Numerus waren schon in den Nürnberger Klosterbüchereien die all­ gemein üblichen Signaturelemente gewesen. Die Standortsbezeichnung jener Zeit hatte also sehr einfach ausgesehen, z. B. I A 15. Ohne Be­ denken ging nun Reich an eine völlige Neuaufstellung. Er schuf zunächst

205 große Hauptgruppen, die er Fakultäten zu nennen pflegte, obwohl sie sich mit den Fakultäten der Universität nicht decken; diese teilte er nach den drei Hauptformaten ('Duodez und Sedez gingen mit Oktav), und dann wurden von Folio bis Oktav fortlaufend weitergezählte „Centurien“ auf­ gestellt, die auch wirklich nur je (höchstens) 100 Bände umfaßten. Im. Buch oder auf ihm scheinen nun weder Fakultät noch Format angegeben worden zu sein, wohl aber haben sich viele Hunderte von Centurien- und Unternummern erhalten, wobei regelmäßig die Unternummer sehr groß und über die ganze Rückenbreite hin geschrieben ist, während man die Ccnturien-Ziffer recht klein in die andere Zahl hineinsetzte. Ueber die Frage, welche Kataloge eine wissenschaftliche Bibliothek haben soll, dachte Reich schon genau so wie wir. Er forderte grundsätz­ lich für alle Fächer deren drei, nach Standort, Verfassernamen und Sachen (s. unten Abschn. 9). An Fächern, „Fakultäten“, schuf er sieben: Theo­ logie, Kirchenrecht, bürgerliches Recht, Medizin (einschl. Naturwissen­ schaften), Geschichte, Philosophie (das übliche Sammelsurium) und Hand­ schriften. Im ganzen wären also 21 Kataloge nötig, von denen auch gut die Hälfte unter Reichs Amtsführung gemacht worden ist, die Mehrzahl von ihm eigenhändig. Der zweite und dritte Nachfolger, Säubert und Dilherr, haben tüchtig an der Vervollständigung gearbeitet; zur restlosen Herstellung der Sachkataloge aber ist es nie gekommen. Der älteste Katalog aus Reichs Amtszeit, abgeschlossen im Juli 1625, ist der Catalogus ordinis librorum ad jus civile pertinentium (Stadtbibi., Alte Katt. 21). Damals (mitten im Bibliothekumbau, vgl. unten Ab­ schn. 8) drang der Rat auf endliche Herstellung der Kataloge; seinen Be­ dürfnissen entsprach es auch, daß gerade mit dem bürgerlichen Recht begonnen wurde, und zudem mochte Gerbeis Vorarbeit die Sache erleich­ tern. Wie das von Reich geschriebene Titelblatt sagt, ist die Arbeit von vier Juristen gemacht Cjoh. Dietr. Semler, Veit Phil. Pfaud, Melchior Scherl und Mich. Braun), die aber nicht allzu viel geleistet haben. Denn von ihnen stammt nur der Standortskatalog nach Formaten und Cen­ turien; der alphabetische Katalog, der als zweites Stück im gleichen Band folgt, ist von dem nicht unbedeutenden ehemaligen I. Ratsschreiber Chri­ stoph Girschner43) (hier „Girsner“) 1626 dazu gemacht, leider vielfach — aber nicht immer — in altmodischer Art nach den Vornamen der Ver­ fasser, und auch hier keine saubere alphabetische Abfolge, sondern wie­ der Unterteilung innerhalb der Buchstaben nach Formaten und Centurien. Endlich bringt ein kurzer Anhang noch ein ganz lückenhaftes alphabeti­ sches Schlagwortverzeichnis. Das Ganze war kein schöner Auftakt

206 zum neuen Katalogisierungswerk; Reich hat aber auch hier den Juristen — wohl auf Druck von außen (oder war es passivier Widerstand?) — zu­ viel freie Hand gelassen, seine eigenen Arbeiten sind von all solchen Feh­ lern frei. Der Katalog über Kirchenrecht (Stadtb., Alte Katt. 20), erst von Dilherr 1652 verantwortlich gezeichnet, enthält nach dem ganz von Dilherrs Hand einwandfrei geschriebenen Standortskatalog auch noch ein Alphabet der Verfasser und eines der Anonymi, beide von älterer Hand und wohl noch von einem jener vier Juristen von 1625. Gleichzeitig, 1624/25, suchte Mag. Melchior Rinder, den wir als Gegenspieler Reichs noch kennenlernen werden, seine bibliothekarische Befähigung durch Aus­ arbeitung eines Standorts- und Verfasserkatalogs der philosophischen Abteilung zu erweisen 44), der heute verschollen ist. Die erste von Reichs eigenen Arbeiten war wohl der Theologie­ katalog, den er am 8. 12. 1625 erwähnt45); er ist jetzt gleichfalls nicht mehr vorhanden und dürfte durch Sauberts Katalog 1641 ganz entbehr­ lich gemacht worden sein. Erhalten aber sind von Reichs Hand aus dem gleichen Jahr 1625 noch drei schöne Stücke: die Verfasserkataloge über Geschichte, Philosophie (also in siegreichem Wettbewerb mit Rinder) und Medizin (Stadtb., Alte Katt. 11, 10, 8). Der Geschichtskatalog ist sichtlich die am stärksten geund verbrauchte von seinen Arbeiten und unterscheidet sich von den bei­ den anderen darin, daß sehr zweckmäßig gelegentlich sachliche Schlag­ worte (besonders Personen und Orte) eingeschoben sind. So bringt er etwa C. H. Barland, Hollandiae comitum historia, auch noch unter Hollandia, oder es wird auf Celtis’ Nürnbergbuch auch von Norimberga her verwiesen; das gleiche Buch ist überdies im alphabetischen Katalog Philosophie (als das Werk eines Dichters) nachgewiesen. Schon 1626 ersetzte Reich den unzureichenden Katalog der Juristen aus dem Vorjahr wenigstens nach der Seite des Verfasseralphabets („Catalogus juridicus secundum Auctorum nomina“ = Alte Katt. 13). Das folgende Jahr brachte wieder zwei alphabetische Kataloge, merkwürdiger Weise zusammengebunden: über Pergamenthandschriften und über Kir­ chenrecht (Alte Katt. 12). Seine letzte Katalogarbeit, 1629, ist auch die bemerkenswerteste: der „Index librorum medicinalium secundum initiales“, ein alphabetischer Sachkatalog („Schlagwortkatalog“) über Medizin und Naturwissenschaft. Wir haben hier einen der besten Vertreter des älteren bibliothekarischen

207 Schlagwortkatalogs46). Häufig sind, modern gesprochen, Schlag- und Stichwort berücksichtigt. Reich bringt das Schlagwort in der Sprache des betreffenden Buches, so daß Kräuterbücher z. B. auch unter „Herbaria“ zu suchen sind; Bücher mit griechischem Text erhalten lateinisches Schlagwort. Die Formate führt er aber noch getrennt an, so daß das­ selbe Wort gelegentlich an drei Stellen vorkommt. Immer aber befolgt er den Grundsatz „Superflua non nocent“ und bringt lieber ein Schlag­ wort zuviel als zuwenig: B. Montagnana, De compositione et dosi medicinarum tritt unter „dosis“ und unter „compositio“ auf usw. Wo Reich den Schlagwortkatalog in dieser verhältnismäßig aus­ gebauten Form kennengelernt hat, wissen wir nicht; vielleicht hat' auch hier der kurz vorher im Druck erschienene Katalog des Draudius47) Pate gestanden. Leider hat Dilherr, sonst ein getreuer Fortsetzer des Reichschen Werkes, gerade den Schlagwortkatalog nicht weitergeführt. Im ganzen macht Reichs Katalogwerk einen sehr guten Eindruck. Die Bände sind einfach, aber schön in Pergament gebunden, mit Schließ­ bändern und mit dem Supralibros der Bibliothek in Goldaufdruck auf dem Vorderdeckel (dazu innen manchmal das oben S. 200 erwähnte Exlibris). Die Schrift ist nicht gerade schön, etwas der.b, aber groß und deutlich. Karl Krumbacher pflegte in seinen Uebungen über griechische Hand­ schriften scherzhaft zwischen Schuster- und Schneider-Handschriften zu unterscheiden; da wäre Reich unbedingt unter die Schuster zu rechnen (Dilherr ebenso entschieden unter die Schneider). Das Alphabet ist ge­ wöhnlich sehr sauber eingehalten, zwischen den einzelnen Namen ist für spätere Einträge reichlich Platz gelassen, den sich auch die Nachfolger zunutze gemacht haben. Gern werden, wenn irgendwie einschlägig, auch Bücher aus anderen Fächern und Handschriften angeführt unter deut­ licher Verweisung auf ihr eigentliches Fach. Beibände sind meist ge­ wissenhaft unter den zugehörigen Verfassernamen eigens gebracht. Die Bestände der neu erworbenen Bibliotheken (s. Abschn. 5) sind mit ver­ arbeitet. Wollten wir freilich Herrn Reich vor den grünen Tisch einer Prü­ fungskommission für den höheren bibliothekarischen Dienst rufen, so würden wir vielleicht sein Katalogwerk nicht gerade mit der ersten Note auszeichnen. Denn Fehler, aus Flüchtigkeit oder unzureichender Kennt­ nis, könnten ihm öfters nachgewiesen werden: da und dort verirrt sich ein kirchenrechtliches Buch ins bürgerliche Recht; Castigliones berühm­ ter „Cortegiano‘; steht in einer lateinischen Ausgabe unter „Castilionius“, in einer italienischen unter „Cortegiano“ im Philosophie-Alphabet; im

208 Schlagwortkatalog finden sich von Avicenna, De medicinis cordialibus, drei Ausgaben unter C o r d i a I e s medicinae, eine vierte unter Medic i n a e cordiales u. a. m. Vergessen wir aber nicht, daß sich unser Hand­ werk in 300 Jahren etwas verfeinert hat und daß gerade die Ansprüche an die letzte Genauigkeit gestiegen sind; auch war ja seine Arbeit ein erster Wurf, ganz aus dem Rohen herausgearbeitet. Den Besten seiner Zeit jedenfalls hat er genug getan. 7. Wie aber würde Reich erst vor den prüfenden Augen neuzeitlicher Fachgenossen bestehen, wenn man sein schon mehrfach erwähntes Aus­ leihbuch 7) genauer durchmustern wollte? Hier tut sich so recht ein Idyll der „guten“ alten Zeit auf. Die Anlage des Buches rührt noch von Reichs Vorgänger Praetorius her, der seinerseits auf der ersten Seite im Jahr 1605 auf ein voraus­ gegangenes (verschollenes) Buch verweist, „Herrn C. Gerbelii Hinder­ lassen Handtverzeichnuss“. Die Einrichtung ist weder streng zeitlich noch hat sie eine irgendwie zu begründende Reihenfolge der Entleiher. Zwar wurde, wer zuerst kam, auch zuerst eingetragen, aber die späteren Entleihungen des gleichen Mannes wurden dann so lange unter der ersten laufend weiter vermerkt, bis kein Raum mehr da war; dann fing man für ihn weiter hinten, wo gerade Platz war, von neuem an. Das Suchen war durch kein alphabetisches Namensverzeichnis erleichtert, wohl aber wurde am Schluß des Abschnittes auf die Seite verwiesen, wo der Ent­ leiher weiter behandelt wurde, und von jener neuen Stelle auch auf die früheren. Daneben scheint man vom Empfänger eine eigenhändige Quit­ tung auf besonderem Zettel verlangt zu haben („Chirographo accepto“, s. unten Abschn. 9, Ziffer 1,2 von Reichs Entwurf). Praetorius hatte die Stand­ ortsnummern immer gewissenhaft beigefügt; Reich ist davon sehr bald abgekommen, zunächst wohl wegen der Umstellung des Gesamtbestan­ des (s. o. S. 204 f.), und dann ist der alte Brauch eben eingeschlafen. Neben dem Ausgabetag wurden gern Begleitumstände erwähnt, die das Gedächtnis des Bibliothekars stützen und im Notfall auch Beiziehung von Zeugen ermöglichen konnten: ob der Entleiher selbst abgeholt hatte, von wem er etwa empfohlen war, wer als Bote gedient hatte u. dgl. Dann folgt — oft nur irgendwo am Rand angeflickt — der Tag der Rück­ gabe, manchmal aber auch 0er Bericht über vergebliche Bemühungen, das Buch wieder beizubringen.

209 Die Leihfrist, von* Rat auf 1 Monat festgelegt48), wurde äußerst sel­ ten eingehalten, viele Entleihungen dehnten sich über Jahre aus. Nun sollte ein Ausleihbuch — „Schuldbuch“ nennt es Reich — eigent­ lich nur über die Leihvorgänge berichten. Reich benutzte es aber auf den späteren Seiten noch zu ganz andersartigen Einträgen, doch auch wieder nur sprunghaft und unregelmäßig. So beginnt er einmal seine Aus­ gaben für die Bibliothek zu notieren, dann wieder berichtet er — das Zugangsbuch war vielleicht vorübergehend verloren (seit 1609?,vgl. oben Abschn. 5) — über Neuzugänge größerer Bestände und Abgabe von Dop­ pelstücken, Angaben, die wir mehrfach verwerten konnten 32-34,36,40,42) Das Leihbuch umfaßt nicht Reichs ganze Amtszeit, es hört in der Haupt­ sache mit 1625 auf. Bedenken wir die kleinen Verhältnisse und den Umstand, daß der Bibliothekar alle Entleiher und wohl den größten Teil seiner Bücher persönlich kannte, so können wir Reich auch hier keinen Vorwurf über leichtfertige Geschäftsführung machen. Er war kein Pedant und hatte das auch nicht nötig. Eine Auswertung des sehr lehrreichen Ausleihbuches nach verschie­ denen Seiten der damaligen Bibliothekspraxis würde hier zu weit führen. Aber das Belangreichste über Zahl und Zusammensetzung der Leser­ schaft sowie über Art und Menge der ausgeliehenen Bücher darf hier nicht übergangen werden. Für eine statistische Auswertung ist allerdings das Material von knapp 1000 Entleihungen (genauer 943) in 20 Jahren etwas dürftig, aber die Seltenheit solcher Aufzeichnungen mag das Wagnis rechtfertigen. Leider sind obendrein im ersten Teil, in der kleinen und nach der Buch­ rückgabe immer dick durchgestrichenen Handschrift des Praetorius, manche Einträge zu schwer zu entziffern, wo danri zwar die Zahl, aber kaum mehr der Titel festzustellen ist, was den für die Statistik nach Fächern verwertbaren Bestand nochmals auf 761 verringert. Vom Ge­ samtbestand der Bibliothek, damals etwas über 10 000 Bände, wurden im Jahre nur 0,5 % benützt. Am sichersten gehen wir noch bei Zählung und Gliederung der Ent­ leiher. Im ganzen finden wir deren 144. Davon gehören zum Patriziat (einschl. der erst später im 18. Jahrhundert aufgenommenen, damals nur gerichts- aber nicht ratsfähigen Häuser) 42, ajso fast ein Drittel aller Ent­ leiher, die sich auf 20 verschiedeneFamilien verteilen. Dazu kommen 33 Ju­ risten und sonstige Ratsbeamten, 32 Theologen, 17 Aerzte und Apotheker, 14

210 20 „Sonstige“, unter ihnen 2 Studenten, deren Fach sich nicht feststellen ließ, 4 Professoren der Rhetorik und Poetik, also Philologen, 2 Mathe­ matiker, 1 Philosoph, 1 Musiker, 1 Offizier, und zwar kein Geringerer als der Oberst Johann von Leubelfing, der, zum Kaufherrn entstellt, in Conr. Ford. Meyers Novelle „Gustav Adolfs Page“ sich eine einschneidende Umdeutung gefallen lassen mußte. Ein „Nicht-Akademiker“ ist noch der Kupferstecher Johann Sibmacher, der Begründer des weltberühmten Wap­ penbuchs; nicht uninteressant, daß er u. a. den Mystiker Tauler zweimal entleiht. Nur von 6 Lesern ließ sich bisher nicht feststellen, wer oder was sie waren. Auf den einzelnen Leser treffen im Durchschnitt wenige Entleihun­ gen, besonders wenn man bedenkt, daß es sich um 20 Jahre handelt: die Patrizier stehen auch hier wieder an der Spitze mit rund 8 Bänden, nach ihnen kommen gleich die Juristen mit 7,6; ihnen folgen die Theologen mit 5,5, die Aerzte und „Sonstigen“ mit je 5 Bänden. Doch gab es besonders eifrige Leser. Hier zeichnen sich abermals die Patrizier aus: Johann Christoph Oelhafen und Karl Nützel haben mit je 62 Büchern zusammen über ein Drittel der gesamten patrizischen Aus­ leihungen bestritten. Von ihnen ist wieder Nützel der stärkere Leser; denn er benützt die Bibliothek in unserem Zeitraum nur noch 8 Jahre lang. Er starb 1614 (geb. 1558), war kaiserlicher Rat, ein weitgereister Mann, der sich auch gelegentlich als Dichter hören ließ, übrigens Jung­ geselle und las mit Vorliebe Theologisches, daneben Geschichte. Den bei­ den Patriziern kommt im Leseeifer am nächsten der Jurist Georg Rhem mit 48 Büchern, von den Theologen ist am anspruchsvollsten ein aus­ wärtiger Pfarrer, Joh. Mannich in dem Nürnbergischen Dorf Igensdorf (später in Nürnberg), mit 29, während die Mediziner mit dem Altdorfer Professor Ernst Soner es nur auf 15 bringen. Nicht alle Leser bleiben bei ihien Studienfächern. So beschäftigt sich der städtische Gerichtskonsu­ lent Hübner gern mit den antiken Klassikern, der schon genannte Jurist Rhem (fruchtbarer Schriftsteller und vorübergehend Prokanzler der Uni­ versität Altdorf, aus der noch heute blühenden Augsburger Familie Rehm stammend, ein angesehener Polyhistor) entleiht viel Geschichte; einer seiner Kollegen, Johann Schmidt, beschränkt sich auf Theologie; der Theo­ loge Christoph Leibniz ist für Erdkunde und Philosophie interessiert (er gehört zur Familie des großen Philosophen und- Bibliothekars Gottfried Wilhelm Leibniz und wurde am gleichen Tag wie unser Reich begraben,, auch er ein Opfer der Pest). Oberst v. Leubelfing tritt mit den für

211 frühere Zeiten typischen Offiziers-Entleihungen auf: ein Wappenbuch, ein geschichtliches und zwei genealogische Werke. Der einzige, der sich den Homer (griechisch-lateinisch) und den Hans Sachs geben läßt, ist Philipp Harsdörffer, der Vater des BlumenordensDichters. Der schon erwähnte Altdorfer Mediziner Soner entleiht nur Philosophie und Theologie. Das im ganzen meistgelesene Fach ist die Theologie, die über 31 % ausmacht. Es folgt in größerem Abstand die Rechtswissenschaft mit etwas über 24%; an ihr sind wieder die Patrizier, die ja meist im Rat saßen, am stärksten beteiligt. Es fällt aber auf, daß bei getrennter Be­ trachtung der Amtszeiten von Praetorius und Reich sich das Zahlen­ verhältnis dieser beiden meistbeanspruchten Fächer merklich verschiebt: hatte unter Praetorius die Theologie mit fast 39 % das Uebergewicht über die Rechtswissenschaft (20 %), so ändern sich die Anteile unter Reich in 24 gegen 30 %. Darf man bei dem kleinen Vergleichsmaterial das Ergeb­ nis dahin verallgemeinern, daß um 1620 das Interesse am theologischen Schrifttum so stark zurücktritt ? * Mit nur noch 16 % behauptet die Geschichte den dritten Platz. Alle anderen Fächer halten sich unter einem Zehntel der Gesamtentleihung, darunter auch Medizin (über 4 %), obwohl gerade dieses Fach in der Bibliothek recht gut vertreten war; die Aerzte waren eben auch am stärksten auf den Eigenbesitz einer etwas besseren Handbücherei an­ gewiesen. Die Naturwissenschaften nehmen mit ihren gleichfalls 4 % einen für damals immer noch guten Platz ein. Recht schwach ist schon das Interesse für die antiken Autoren geworden; ziehen wir die paar Entleihungen älterer Fachschriftsteller wie Ptolemäus, Strabo, Plinius d. ä. usw. ab, so bleiben für die eigentlichen „Klassiker“ nur 1,5 %. Uebrigens wurden auch die Kataloge der Bibliothek selbst gelegent­ lich auf kurze Zeit hinausgegeben. Unter Praetorius geschah das öfter als unter Reich, in dessen ersten Amtsjahren die meisten Verzeichnisse umgearbeitet wurden, so daß die früheren veraltet, die neueren noch nicht verfügbar waren. Verhältnismäßig sehr stark entwickelt sehen wir die „Fernleihe“: mit 27 Personen machen die auswärtigen Entleiher beinahe ein Fünftel der Gesamtleserschaft aus (darunter 21 in der Universitätsstadt Altdorf, die 6 anderen lauter Landpfarrer). Mit 199 Entleihungen bestreiten sie über ein Fünftel (21,1 %) der Ausleihe. 14*

212 In der Abgabe von Handschriften, auch nach auswärts, war man sehr entgegenkommend. Doch vermerkte man immer ausdrücklich, daß es sich um einen Codex manuscriptus handelte. Es gäbe ein schiefes Bild, wollte man nicht auch noch daran erin­ nern, daß die Benützung von Büchern in der Bibliothek selbst nicht sel­ ten gewesen sein kann. Darüber wurde offenbar nie Buch geführt. 8.

Bei der Betrachtung des immerhin recht ansehnlichen und tüchtigen nebenamtlich geleisteten bibliothekarischen Lebenswerkes von Christoph Reich käme man kaum auf den Gedanken, daß die Stellung dieses Man­ nes einmal ernstlich gefährdet gewesen sein könnte. Und doch war es so; das Nürnberger Stadtarchiv hat in seinem kleinen Aktenheft Y 434 den amlichen Niederschlag dieser Sache sauber auf die Nachwelt gebracht. Am 17. Juni 1624 nahm der geschäftsführende Ausschuß des Rates, die „Herren Aelteren“, die Beförderung Reichs zum Schaffer bei St. Sebald zum Anlaß seiner Absetzung als Bibliothekar. Man war mit ihm unzu­ frieden, hatte den Eindruck, daß nichts geschah, trug ihm mit Strenge auf, bis zum kommenden Laurentiustag (10. August, also binnen knapp 2 Monaten !) sämtliche Kataloge fertigzustellen, und beschloß, von jetzt ab den Diakonus bei St. Sebald, Melchior Rinder, zum Bibliothekar zu machen, der dem Mag. Reich auch sofort „zugeordnet“ werden sollte. Reich wendete sich mit einer Bittschrift dagegen, wurde zunächst ab­ gewiesen, konnte sich aber auf die Dauer doch durchsetzen. Nach ein­ einhalb Jahren, während deren er ununterbrochen weiter amtierte und den Amtsbruder Rinder neben sich hatte, beantragten die Scholarchen (8. Dez. 1625) beim Rat, Reich in seiner Stelle widerruflich zu belassen und ihm anstatt Rinders, „weilen er sich mit Mag. Rindern nicht ver­ gleichen (einigen) kann“, den früheren Ersten Ratsschreiber Mag. Chri­ stoph Girschner (s. oben S. 205) zu „adjungiren“. Dem Vorschlag schloß sich der Rat am 8. März 1626 an, wobei eine Bewährungsfrist bis Ostern 1627 festgesetzt wurde. Ferner beschloß man, dem Mag. Rinder mitzu­ teilen, es sei zunächst leider nichts mit seinem Bibliothekaramt, man wolle ihn aber bei nächster Gelegenheit berücksichtigen. Diese Gelegen­ heit ergab sich 1629 beim Tode Girschners; Rinder sollte Girschners Bibliothekschlüssel erhalten und Kaution stellen. Von da ab war Rinder zweiter Bibliothekar und rückte nach Reichs Tod, also nach abermals drei Jahren, an dessen Stelle nach, blieb aber nur bis 1637, wo ihn Säubert ersetzte. Die zweite Stelle wurde nicht wieder besetzt.

213 Hinter den Kulissen müssen starke Kräfte tätig gewesen sein, für und gegen Reich. Es ist doch höchst ungewöhnlich, daß eine Behörde, und noch dazu der meist so umsichtig und bedächtig vorgehende Nürn­ berger Rat, einen ergangenen Beschluß nach sehr langem Schwanken zurücknimmt und eine längst ausgesprochene Ernennung widerruft. Da nu: der amtliche Niederschlag der Sache vorliegt und rein persönliche Zeugnisse, etwa Briefe, fehlen, lassen sich die wahren Beweggründe nicht ermitteln. Es mag dem Rat zu denken gegeben haben, daß die eingesetz­ ten vier, ja fünf Juristen (vgl.Abschn. 6) — weit entfernt, binnen 2 Monaten sämtliche Kataloge in Ordnung zu bringen — in einem Jahr auch nur eine, noch dazu fragwürdige, Teilarbeit hersteilen konnten; bessere unfreiwil­ lige Sachwalter hätte sich Reich gar nicht wünschen können. Im einzelnen bringen die Akten allerhand belangreiche, teilweise auch belustigende Einzelheiten. Reichs Verteidigung vom Juli 1624 ist kurz und stichhaltig: „. . . alles anders zu geschweigen, so liegt mir sonders an, daß ich die Bibliothec, welche ich noviter disponendo in ein besser Ordnung auff die helfft gebracht, und mit der vbrigen gleiches zu thun gesonnen vnd im werck bin, dergestalt, daß, wie das vorige, also auch das vbrige, zu menniglich gutes belieben und nucz soll gerichtet sein, — soll begeben und abtretten. Wann aber ich solchs werck wol eh lind füglicher alß irgend ein neuer angehender Bibliothecarius zu uolführen, so gewilt so Vermögens . . .“. Er schlägt dann vor, dem Diaconus Rinder gewisse Obliegenheiten seines (Reichs) geistlichen Amtes — na­ türlich samt Bezahlung — zu dessen Entschädigung und seiner eigenen dienstlichen Entlastung abzutreten. In der Ablehnung seines Gesuches wird ihm umgehend u. a. befoh­ len, „M. Rindern, alß albereit verordnetem Bibliothecario, seiner neu an­ gewiesenen Disposition halben Anweisung zu thun.“ Die Verfügung vom 8. März 1626, die Reich in aller Form wieder einsetzt und ihm Girschner „zuordnet“, bestimmt auch: „sie baide sollen sich auch zweyer gewieser tag inn der wochen vergleichen, an welchen sie baide oder ihrer einer in der Bibliothec sonderbar auffzuwartten, und da einer oder der andere etwas aus der Bibliothec verleyhen würde, dasselbe mit aigner Hand in das Schuldbuch einzuzeichnen schuldig sein. . . . Hierauff sind die Herrn Kirchenpfleger und Scholarchae ersucht worden, so offt es Ihren Herrlichkeiten] beliebt, die Bibliothecam zu visitiren und zu sehen, was daran gearbeitet worden, und sonderlich ihne M. Reich zum Vleiß und continuation anzumahnen.“



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Die Wiedereinstellung Rinders nach Girschners Tod49) wurde vom Rat an genau umschriebene Bedingungen geknüpft (Fleiß, keine Uebergriffe in Reichs Zuständigkeit, Verträglichkeit ihm gegenüber, Bücher nur mit Reichs Vorwissen entnehmen, keine Fremden und Nicht-Bürger einführen, keine Ansprüche an Reichs Gehalt stellen). Diese Bedingungen teilt Reich dem Kollegen in einem Brief mit, meist wörtlich, fügt aber ein: „die wöchentlich zwo stund Montag und Freytags dasjenige zur Bibliothec gehörig schreiben, was und wie ihme der Bibliothecarius würde fürlegen (unterstrichen!) und ... die angestellte und nunmehr Gottlob wolverfiirte Ordnung und disposition der Bibliothec nicht verkleinerlich (!) machen“. Er schließt nach diesem derben Aufknieen fast weltmännisch-höflich: „Diese conditiones habe Ihr Herrlich­ keit Herrn Kirchenpfleger ich heute erst wieder . . . repetendo erzählt, welcher sie alle approbirt und mir bevohlen, dieselben von Eurer Handt verfertigt anzunehmen. Darumb ich hiemit aufs freundlichste will gebetten haben“50). 9. Der „Fall“ Reich hatte die Aufmerksamkeit des Rates einmal wieder auf bibliothekarische Fragen im allgemeinen gelenkt. Und so tauchen schon in dem „Verlaß beim Ausschuß“ vom 6. Juli 1624 51), der zunächst Reichs Einspruch abweist, zwei grundsätzlich neue Dinge auf: „Vnd weil bißhero die Bibliothecarii ohne pflicht (Dienstinstruktion) gewest, ist ferner befohlen, auft eine Formul einer pflicht bedacht zu sein, Deßgleichen, weil in beeden Pfarrhöfen auch allerlei Bücher vor­ handen sein sollen (!), dieselbe inventiren und beschreiben zu lassen und bedacht zu sein, daß sie besser alß bisher geschehen, in acht genuinmen werden.“ ' Der zweite Satz kann uns hier, obwohl wichtig, nicht beschäftigen. Von besonderer Tragweite ist aber der erste Satz: er gab Reich Gelegen­ heit zu einem Entwurf, der heute geschichtliche Bedeutung beanspruchen darf. Daß man — wohl nach Ablauf einiger Monate — gerade i h n mit dieser Arbeit betraut hat, spricht für das Ansehen, das er bei einem Teil des Rates trotz seiner gefährdeten Stellung genoß. Erst gegen Ende des Jahres 1625 scheint der Auftrag an ihn ergangen zu sein, da er seinen lateinisch geschriebenen Vorschlag52) am 13. Dez. dieses Jahres vorgelegt hat. Wir müssen ihn im Wortlaut kennenlemen:

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Von Ihren HerrÜchkaiten begehrte, und von mir verfaßte Gesetzstellung über eines Edlen, Ehrnvesten, Hochweisen etc. Rhats Bibliothec, überreicht A° 1625, den 13. Decembris. M. Christoff Reich, Bibliothecar. Circa Magnifici, Nobilissimi Prudentissimique Senatus Norimbergensis Bibliothecani necessariarum LL. (= legum) quasi Compendio duo consideranda Bibliothecae [ I.] Bibliothecae, quae sit ad memoriam aeternitatis, extructione ad umbilicum (id quod brevi futurum speramus) deducta et pro nondum omnibus collocatis libellis Philosophicis certa sede receptaculove reperto, Bibliotheca item utraque et Medica et Philosophica numeris Centuriatis caeterarum instar distincta atque toto Corpore in pedes recte erecto, 0 Bibliothecarius, et in praesens et in futurum, ad fidei integritatisque obligationem revocator! Et ille quidem pro Corporis indivisa unitate Unus, et hunc penes unum claves sunto, ne alteri, quod alter peccat, forte sit luendum. 2) Luet autem, si aut non perspectae fidei hominibus libros foras dederit, aut quibuscunque datos Menstruo tempore (exceptis Senatoribus et eorum Consiliariis) non repeti^rit, et inspectos et neglectim habitos, laceros aut quocunque pacto,alio deteriores redditos et mancos sciens volensque receperit. Longe autem gravissime luet, ubi foras datos in debitionis codicem, Chirographo accepto, non ascripserit; Negligentia enim semper et ignavia quod peccatur, graviorem poenam, quam aliquid fortuitum, meretur. 3) Quisquis autem libros ad utendum acceptos male habuerit aut

etiam alii transmiserit, quidquid de iis deperdatur, de damno in integrum et ad novos redimendos postulator. 4) Non autem ulli Hospiti, praemia exigendo, Bibliothecarius gravis ac molestus, sed suo citra turpem quaestum stipendio contentus esto. 5) Advenas et spectatum admissos contemptim aut nimis familiariter ne accipito. De Scriptoribus moderate ac prudenter censeto, ne, quod sibi oblectamento, alteri sit fastidio.

216 6) Catalogos autem duplices habeto T [ Seriem Centuriarum Locationis, secundum { A | Auctorum nomina Materiarum sive Quaestionum. Illis enim prioribus duplicis tituli Indicibus jam (quantum quidem ad primam Conformationem) prope per universas Facultates confectis adjiciendus et hic posterior — Rerum ac Quaestionum — Index est. Atque illi cum primis priores Exemplo duplici vel etiam triplici describuntor, quorum unus penes Magistratum atque adeo etiam in Magnificorum DD. Duumvirorum contubernio (unde in Bibliothecam et Bibliothecarium stipendiata impendia dependent et proficiscuntur) deponitor. De Bibliothecae Conservatione et incremento. [II.] 1) Sic enim circa Paschatis festum, ubi frigida tempestas in rerum cortices erumpit, Magistratus, quisquis ille sit, productis utrinque Indicibus, librorum ordinem, post excussum universim — publico impendio — pulverem, recensendo, quid in quavis facultate desideretur, cognoscere ubi potest ita et emendare velit optime! 2) Ad sumptus autem hos et alios facilius sufferendos unusquisque (exceptis denuo Senatoribus eorundemque Consiliariis), qui librum aliquem ultra Mensem impune detinuerit, in singulas postea Septimanas, indicio Bibliothecario facto, unum Crucigerum pendito. 3) Magistrats ad libros novos coemendos et alia Bibliothecae necessaria, impensa in Annum florenorum [das Äkfensfück weist hier einen leeren Raum auf; Reich haf also von dem Ansatz eines bestimmten Betrags Abstand genommen] expectator. 4) Hujus loci Typographi singula a se Impressorum exemplaria ad Bibliothecam conferunto. 5) Magnifico, Nobilissimo Prudentissimoque Senatui inscripta et oblata diligenter matureque afferuntor. 6) Inprimis autem opera dator, opera Opificum, si quando ea ad reficiendum collapsa sit opus, ne ob interdictum sit emendicanda aut etiam nunquam expectanda. Ubi secus quid evenerit, Bibliothecariae hoc rei quadam cum ignominia detrimentosum omnino acciderit. Deus, quod rerum omniuin Votorumque est primum et clausula, immensae sui Spiritus gratiae largitatem (id quod eundem humiliter poscimus ac veneramur) affundito. Cui Gloria, Honor ac Potestas! Amen!

217 Man gab diesen Entwurf nun auch dem Magister Rinder als zweitem Bibliothekar zur gutachtlichen Aeußerung hinüber. Dieser erklärte53), der Voi schlag sei so wohl und verständig verfaßt, „daß ich für meine wenige Person, nisi velim actum agere, nichts weiteres darbey zu erin­ nern weiß“. Nur die Schlüssel-Bestimmung (bei Reich 1,1) falle ihm „bedenklich für“, denn „wohin dieser punct gemeynt, leichtlich kann er­ achtet werden“. Weiter bringt er dann seine eigene Sache wieder vor und läßt einfließen, Herr Christoph Fürer, der zuständige Kirchenpfleger und Scholarch, habe ihm schon vor eineinhalb Jahren zu seiner Ernen­ nung zum I. Bibliothekar gratuliert. Der Rat hat dann aus Reichs lateinischer Ausarbeitung eine deutsche „Pflicht des Bibliothecarii“54) machen lassen. Sie lautet: Es soll ein jeder Bibliothecarius, so von E. E. Hochw. Rath jeder Zeit angenohmen würd, [1] seine Treue geben und zu Gott schwören, daß er Ihrer H [ochweisen] getreu sein, dero Frommen und Nutzen befördern, herogegen Ihren Schaden wenden wolle, so viel Ihme müglich, [2] daß er auch keinem, so Ihme nicht wol bekandt, einiges Buch auß der Bibliothec leyhen. und da er ehrlichen angesessenen Leuthen ettwas herauß leyhet, nach außgang eines Monats wiederumb abfordern, da auch an solchen außgeliehenen Büchern einiger schad geschehen, daran sein soll, daß derselbe von den entlehner wieder gutt gethan werde. Er soll auch alle Bücher, so Er äußleyhet, in sein schuldtbuch fleißig auffzeichnen, damit er stündlich wießen möge, wem er ein oder das ander Buch verliehen, auch wie lang der entlehner sol­ ches habe, damit es zu rechter Zeit wieder abgefordert werden könne. [3] Es soll Ihm auch ernstlich verbotten sein, von denenjenigen Persohnen, welche vff E. Raths Vergünstigung die Bibliothec sehen, keine Verehrung zu fordern, sonder sich an seinem stipendio, so von Ihren Herrn Ihme gemacht, genüg zu lassen. [4] Ueber dieß soll Er sich gegen den frembten, so in die Bibliothec ge­ lassen, modeste und wie sich gegen jedem seinem Standt nach ge­ ziemet ehrerbietig erzeigen, und in kein unnötig disputat sich ein­ lassen, [5] zuvörderst aber die Cathalogos materiarum et Autorum fleißig ver­ fertigen und continuiren,

218 [6] auch daran sein, daß nicht allein die E. E. Hochw. Rath dedicirte Bücher mit dem fürderlichsten in die Bibliothec gebracht, [7] sondern auch von jedem buch so allhier getruckt ein Exemplar hinein gebracht werde [8l Vnd soll also schließlichen sich also verhalten, als wann die Ihme vertraute Bibliothec sein eigen wehre, alles erbar getreulich vnd ohne gevehrde. Die Veränderungen liegen auf der Hand und zeigen deutlich, wie der Gelehrte und die Verwaltungsbehörde im Grund verschiedene Ziele im Auge haben: war Reichs Vorschlag eine Instruktion über Führung und Unterhalt einer wissenschaftlichen Anstalt gewesen, so macht der Rat daraus die Dienstanweisung für den Betreuer städtischen Eigentums, wo­ bei der Schutz dieses Eigentums und die Repräsentation im Vordergrund stehen. Die Streichung des Satzes über den Schlüssel war selbstverständ­ lich und wird nicht ohne verständnisvolles Schmunzeln der Hochweisen erfolgt sein. Reich hätte sich die Entgleisung wohl sparen können. Aber beachtenswert ist, was die amtliche Fassung sonst noch von Reichs Punkten nicht übernimmt, nämlich seine Absätze 11,1—3 und 1,6. 11,1 ist mehr eine Angelegenheit der .,Revision“ und gehört als solche nicht in eine allgemeine Dienstanweisung. II' 2 strich man wohl wegen der Un­ erheblichkeit der so zu erzielenden Einkünfte und der Schwierigkeit ihrer verwaltungsmäßigen Erfassung. II, 3 wird wohlweislich umgangen, um die Stadtkasse nicht auf bestimmte Aufwendungen festzulegen. Und auf II, 6 — Bauunterhalt — verzichtet man gewiß wieder aus verwaltungs­ juristischen Schönheitsrücksichten: so etwas gehört nicht in die Dienst­ ordnung für ein einzelnes Amt, man kann in der Bibliotheksinstruktion nicht dem Stadtbaumeister Vorschriften machen. Daß Reichs langatmi­ ger, für ihn höchst wichtiger Abschnitt I, 6 in der städtischen Ausarbei­ tung (Ziffer 5) zu einer einzigen Zeile zusammenschrumpft, ist wieder auf die Verschiedenheit der Standpunkte zurückzuführen. Auch versteht es sich von selbst, daß die Behörde auf die Ueberlassung von Doppel­ stücken der Kataloge (Reich 1,6; an sich ein ganz moderner Gedanke) stillschweigend verzichtet. Im ganzen kann sich Reich auch hier wieder sehr wohl sehen lassen. F. Milkau in seiner klassischen Darstellung der Bibliotheksgeschichte 55) erzählt von dem Philosophen Leibniz — zugleich „dem größten der großen Bibliothekare“ —, wie er im Jahre 1690 seinen Fürsten unermüdlich ein­ hämmerte, eine Bibliothek gehöre unter die Dinge, „quae servando tan-

219 tum servari non possunt“, sie müsse einen regelmäßigen Zuwachs haben. Und Milkau fügt bei, der Gedanke habe für die Zeit etwas Un­ gewöhnliches, „wie er denn auch, als klare Programmforderung, in der Tat hier (bei Leibniz) zuerst auftritt“. Nun, der Absatz 11,3 in Reichs Entwurf hat dieselbe Weisheit in lapidarster Form schon 65 Jahre vor­ her verkündet, freilich, genau wie bei Leibniz, ohne ein williges Gehör zu finden. Eine endgültige, wenn auch bescheidene Grundlage für regel­ mäßige Vermehrung verdankt die Stadtbibliothek erst der Freigebigkeit ihres späteren Bibliothekars Dilherr. Damals, in den Jahren Reichs, hat der Nürnberger Rat alles getan, was sich nach den Begriffen der Zeit gehörte. Ja, er ist sogar über das hinausgegangen, was er „zu tun schul­ dig war“, indem er trotz der gespannten Wirtschaftslage im Krieg für tiefgreifende bauliche Verbesserungen, für Vermehrung der Bestände und gar für jahrelange Anstellung eines Hilfsbibliothekars nicht unerhebliche Opfer gebracht hat. Im Zusammenwirken mit dem eine Zeitlang ver­ kannten, tüchtigen und fortschrittlichen Bibliothekar hat er so seiner Stadtbibliothek, einen Vorsprung vor vielen auswärtigen Anstalten ge­ sichert. Und diesem Vorsprung verdankt es die Bibliothek, daß später die Zeiten des wirtschaftlichen Rückgangs der Stadt sie zwar im Wachs­ tum aufhalten, aber nicht zur Bedeutungslosigkeit herabdrücken konnten.

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Anmerkungen. *) A. Würfel u. C. Ch. Hirsch: Diptycha ecclesiae Sebaldinae, Nbg. 1756, S. 52 (die Bildnisradierung bei Würfel, offenbar auf Strauch zurückgehend, ist schlecht). — Gg. Andr. Will, Nürnbergisches Gelehrtenlexikon, Nbg.-Altdorf 1757 ff., Bd. 3, S. 284 und Bd. 7 (Nachtrag von Nopitsch) S. 237. 2) Würfel und Will, vgl. Anm. 1. 8) Quelle für Würfel wie für Will ist wahrscheinlich die handschriftlich erhaltene alphabetische Zusammenstellung „De Claris Norimbergensibus“ des Altdorfer Professors Gg, Matthias König, Mitte des 17. Jhdts. (Stadtbibi. Nbg., Signatur Will III 44.4°). Diese Aufzeichnungen haben dem gleichen Verf. teilweise als Grundlage gedient für sein Gelehrtenlexikon „Bibliotheca vetus et nova“, Altdorf-Nbg. 1678, das sich aber nicht auf Nürnberg beschränkt. Der Artikel , Reich“ ist hier kürzer gehalten und bringt keinen Geburtsort. Aus Staffelstein stammt unter den bedeutenden Nbger Geistlichen Joh. Schelhammer, daher vielleicht Königs Irrtum. 4) In den westlichen Vorbergen der Fränkischen Schweiz, damals Egloffsteinisch. — Die Kenntnis von Reichs Herkunft hat uns allein der gelehrte und fleißige Nctizensammler G. J. Schwindel erhalten, der unter dem Pseudonym G. J. Scotomus in seinem an unbekannten Einzelheiten reichen Sammelwerk „Pandectae theologico - litterariae“ (Handschrift d. Stadtbibi. Nbg., Will III 12.2°) unter F. Reich bemerkt: Friedr. Reich, weil. Pfarrer zu Khünreuth, dessen hinterl. Wittib, Fr. Barbara, 1609, d. 21. Sept., starb, alt LXX, und in ihres Sohns, M. Christoph Reichen, Caplan bey St. Sebald in Nbg., Grab gelegt, und solches mit deren Leichnam eingeweyht worden.“ — Kunreuth als Her­ kunftsort geben auch Reichs Matrikeleinträge an den Universitäten Altdorf 1587, Nr. 824 und Wittenberg (Bd. 2) 1591. In Wittenberg taucht 1593 auch ein Johannes Reich aus Kunreuth auf, gewiß ein Bruder Christophs. 5) A. W ii r f e 1 : Diptycha eccl. ad Spiritum Sanctum, Nbg. 1759, S. 68 nennt das Jahr 1581, stellt es aber in den Dipt. Sebald (s. Anm. 1) richtig. 6) A. Würfel, Dipt. Seb. nennt zwei Frauen: Anna Maria, Tochter des Hans' Krieger, die 1617 starb — die Trauung hatte laut Traubuch von St. Sebald im Nürnb. Landeskirchl. Archiv, S. 35, am 11. 2. 1596 stattgefunden; Reich muß schon damals im geistl. Amt oder an einer höheren Schule Nürnbergs angestellt gewesen sein, das Traubuch äußert sich darüber nicht — und 1619 Catharina, Tochter des Lorenz Weis. gest. 1622. Von Anna Maria kennen wir den netten persönlichen Zug, daß sie gern mehrmals im Jahr Geburtstag feiern und dazu beschenkt sein wollte. Es ist ein launiges Gedichtchen Reichs darüber erhal­ ten („Segmenta“ 7, 1612, S. 24; vgl. oben im Text Abschn. 3). worin er sie da­ mit verspottet; dem Gatten, so schließt es, sei es schon schmerzlich genug, daß sie ein mal geboren sei, und mit einem Geschenk werde er nicht heraus­ rücken (Te natam mihi jam semel dolebo, Nec promam xenium. Vale atque vive). Endlich heiratete er, schon 64 Jahre alt, 1631 eine Tochter des Altdorfer Professors Gg. Queck. Dazu erschien eine heute wohl verlorene Gratulations­ schrift, vgl. Erh. S c h m i d : Bibliotheca Norimbergensis, Suppl. I, S. 373, Stadt­ bibi. Nbg., Handschrift Will III 18.2°, Mitte 18. Jhdt. 7) Ausleihbuch der Stadtbibliothek Nbg. (= Alte Kataloge, Nr. 2), das Reich meist eigenhändig geführt hat; z. B. S. 29, 39. 8) Ebenda, S. 31.

221 •) Ausg. E. Steinmeyer 1912, Bd. I, Nr. 4067, wozu Steinm. im II. Band an­ merkt, dieser Reich werde später zweimal Neagorensis (aus Neumarkt i. 0.) genannt. 10) Ausleihbuch, vgl. Anm. 7, S. 53. n) Würfel, vgl. Anm. 1. 12) Grab Nr. 2019, s. J. M. T r e c h s e 1: Verneuertes Gedächtniss d. Nbg. JohannisKirchhofes, Frankf. 1736, S. 219. 13) In der Anm. 4 genannten Handschr. Schwindels unter Chr. Reich. 14) Will, Gel.-Lex. (s. Anm. 1), Bd. 4, S. 757 f. 15) Realenzyki. d. prot. Theol., 3. Aufl. v. A. H a u c k, Bd. 20, S. 182 ff. 16) K. Braun: Der Socinianismus in Altdorf, Zeitschr. f. bayr. Kirchengesch., 1933 S. 129. 17) Gust. Gg. Z e 11 n e r : Historia Crypto-Socinismi Altdorfinae quondam academiae infesti arcana, Lpzg. 1729, S. 551. 18) K. Braun (vgl. Anm. 16). S. 138. 19) Würfel, vgl. Anm. 1. 20) Von diesem Exlibris kenne ich zwei Varianten, auf der einen fehlt die Jahres­ zahl 1623. 21) In der Bibiiotheca vetus et nova, s. Anm. 3. 22) Das im Philosophie - Katalog Reichs (Stadtbibi. Nbg., Alte Katt. Nr. 10). Bl. 420 als unvollständig angeführte Stück ist wohl die heutige Nummer Phil. 2854. 8 °. 23) Eine Anfrage beim Auskunftsbüro der Dt. Bibliotheken brachte keine Besitz­ meldung. — Heft 9 scheint ganz verloren zu sein. 24) Neben dem Artikel bei Will (Anm. 1) wieder Erh. Schmid (Anm. 6), Supple­ mente I und II = Will III 18 und 19. 2°. 25) Stadtarchiv Nbg., St 1950 (IV) 7. 8. 9. 26) Stadtbibi. Nbg.. Sign. Will VII, 737. 2 °. 27) Joh. Säubert: Historia bibliothecae reip. Noribergensis, Nbg. 1643, S.32. Dies Schriftchen ist der erste Versuch einer Geschichte der Stadtbibliothek, mit ausführlicher Baubeschreibung. 28) Die maßgebende Teilnahme des Demetrios an der Gründung der alexandrinischen Bibliothek wird allerdings von der heutigen Wissenschaft ins Reich der Fabel verwiesen. 29) Säubert (s. Anm. 27), S. 33 — 41. Säubert sagt uns auch, daß der Umbau schon unter Fürers Vorgänger, Leonhard Grundherr, 1620 — 22, mindestens beabsichtigt war; aber erst von Fürer scheint er nachdrücklich gefördert wor­ den zu sein. 30) Ein „Verlaß der Herrn Aelteren“ erwähnt am 17. 6. 1624 den im Gang be­ findlichen Bau (Staatsarchiv Nbg., Verl. d. H. Aelteren Bd. 33, BL 32). 31) Stadtarchiv Nbg., Y 434, Nr. 7. 32) Irn Ausleihbuch (Anm. 7) hat Reich von S. 151 an eine Art von Zugangs­ verzeichnis in behaglicher Breite begonnen; später hat er diese Einträge großenteils ins Zugangsbuch nachgetragen. 33) Ausleihbuch (s. vor. Anm.), S. 153. — Ueber Mörder: Will, Gel.-L. II, S. 627. 34) Ausleihbuch, S. 154 f. — Ueber Joh. Herei: Will, Gel.-L. II, S. 93. 35) Ueber ihn, der wohl — besonders bibliotheksgeschichtlich — noch zu sehr im Schatten seines gleichnamigen Vaters steht, s. bes. Säubert (Anrh. 27), S. 23 ff. 3Ö) Ausleihbuch (Anm. 7), S. 156. — Bisher konnte ich allein mit Hilfe der Exlibris schön gut ein Drittel der Sammlung Baumgartner feststellen.

222 ö7) 1607. Den Ankauf berichtet das Zugangsbuch, Bl. 3r; s. auch Will, Gel.-L. I, S. 374 f. Ein Verzeichnis der Handschriften aus Fabricius Besitz ist Stadtb., Alte Katt. 5. Drucke meist am Besitzereintrag kenntlich. 88) Will. Gel.-L. III, S. 505 —09. Daß Reich die Sammlungen Fabricius und Schelhammer noch unkatalogisiert vorfand, lehrt das Ausleihbuch (s. Anm. 7) an vielen Stellen. Ueber den Erwerb vgl. das Zugangsbuch, Bl. 1 r. 89) Säubert (s. Anm. 27) spricht davon S. 29. 40) Reichs Eintrag im Ausleihbuch (s. Anm. 7), S. 105 f. 41) Gunda Werner: Gesch. d. Universitätsbibliothek Altdorf . . . (Zentralbl. f. Bibliotheksw., Beiheft 69, 1937), S. 21. 42) Reichs Eintrag im Ausleihbuch (s. Anm. 7), S. 159. 45) Stadtbibi. Nürnberg, Handschrift App. 34 kkk. enthält Briefe an ihn. 44) Stadtarchiv Nbg., Y 434, Nr. 5. 46) Stadtarchiv Nbg., Y 434, Nr. 6. 46) F. Bock: Zur Gesch. d. Schlagwortkatalogs, in Zentralbl. f. Bibliotheksw. 1923, S. 494 —502. 47) F. Bock, a. a. O. S. 498. Im alten Bestand der Stadtbibi, war der Draudius vorhanden, ist aber später durch ein neues Exemplar aus einem Ankauf von 1766 ersetzt worden. 48) Stadtarchiv Nbg., Y 434, Nr. 9, Abs. 2. 49) ebenda, Y 434, Nr. 16. 60) ebenda Y 434, Nr. 17. 51) ebenda Y 434, Nr. 4. 52) ebenda Y 434, Nr. 7. 63) ebenda Y 434, Nr. 8. 64) ebenda Y 434, Nr. 9. 6Ö) Kultur d. Gegenwart, I, 1 (2. Aufl. 1912), S. 594.

KLEINERE MITTEILUNGEN. Das Nürnberger Predigerkloster im 15. Jahrhundert.

Beiträge zu seiner Geschichte. Von Prof. Dr. G. L ö h r, Freiburg (Schweiz). Das Nürnberger Predigerkloster spielt in der Geschichte der deutschen Domi­ nikaner des 15. Jahrhunderts eine bedeutsame Rolle. Namentlich in der ersten Hälfte des Jahrhunderts nimmt es eine direkt führende Stelle in der Observanzbe\yegung ein. Als die Klöster infolge des Schwarzen Todes im Jahre 1347 und den folgenden verödeten und dann besonders in der Schismazeit erschlafften, begann unter Führung des ehemaligen päpstlichen Pönitentiars Konrad von Preu­ ßen 0 eine Erneuerungsbewegung. Sie faßte zunächst 1389 im Kloster Kolmar (Elsaß), das den Observanten überlassen wurde, festen Fuß. Es bleibt aber merk­ würdig — und das fiel bereits früh auf —, daß Kolmar später gar nicht hervortritt. Gewiß wurde von hier aus Nürnberg für die Reform gewonnen, nachdem ein Ver­ such in Würzburg gescheitert war, aber dann hört man nicht mehr viel von Kol­ mar 2). Es scheinen ihm führende Männer gefehlt zu haben; die Stadt hatte wohl auch nicht die Bedeutung, um Novizen von Rang und Bedeutung anzulocken. Johann Nider freilich ist dort im April 1402 eingetreten 3). Aber gegen das mäch­ tige Straßburg, das eine Hochburg der Konventualen blieb, konnte Kolmar nicht aufkommen und geriet erst recht in den Hintergrund, seitdem Nürnberg Aller­ heiligen 1396 für die Observanz gewonnen war. Hier hielt sich der Ordensgeneral Raymund von Capua mit Vorliebe auf, hier starb er am 5. Oktober 1399 und fand er seine letzte Ruhestätte. Nürnberg, das im 15. Jahrhundert zur Blüte empor­ stieg, war ganz anders als Kolmar geeignet, den Orden bekannt zu machen und Nachwuchs zu gewinnen. Dazu stand nach wenigen Jahren ein Mann an der Spitze, der vielleicht der einflußreichste deutsche Dominikaner seiner Zeit war: Johann Nider. Vorher hatte Konrad von Preußen als Prior die Reform eingelei­ tet und Eberhard Mardach durch seine Persönlichkeit einflußreich gewirkt. Die Bedeutung, die Nürnberg nun gewann, spricht sich in den zahlreichen Reformen aus, die von hier aus durchgefühlt wurden. Eine Zusammenfassung,, die im Kloster selber am Ende des 15. Jahrhunderts gemacht wurde und die Hartmann Schedel in seinem Opusculum historicum de ortu et laudabili progressu conventus fratrum Praedicatorum Norimbergensium bringt4), besagt: „Es ist zu bemerken, daß dieser berühmte Nürnberger Konvent viele andere Konvente zur Ordensobservanz gebracht hat, nicht nur in unserer Provinz (Teutonia), sondern auch in anderen Provinzen (Saxonia, Polonia). ln diese wurden viele vorzügliche Männer und in der Ordenszucht eifrige Brüder gesandt, die so regeltreu und mu­ sterhaft lebten, daß einige von ihnen Wunder gewirkt haben sollen. Dieser Kon­ vent reformierte folgende Klöster: Köln, Wien, Leipzig, Erfurt, Magdeburg, Halle, Ulm, Regensburg. Basel, Krems, Eichstätt, Bamberg, Landshut, Bern (so statt Kolmar zu lesen), Worms, Pfortzheim, Bozen, Wimpfen, Stuttgart usw.“ Eine stolze Liste ! Trotz dieser Bedeutung sind die Nachrichten über das Kloster außerordentlich spärlich und entsprechen ihr nicht entfernt. So dürften einige Notizen nützlich

224 sein, die eine Ergänzung zu der Arbeit von Friedrich Bock über das Nürnberger Predigerkioster 5) darstellen sollen. Es handelt sich vor allem um das älteste Verzeichnis der Nürnberger Dominikaner, das in einem Ablaßbrief von 1431 erhalten ist (Bock S. 179). Da ein solches Verzeichnis aus dieser Frühzeit ein seltenes Stück ist, so lohnt es sich, den Text vollständig zu bringen. Seine Bedeutung kommt freilich erst dann -zur vollen Geltung, wenn die Mitglieder nach Möglichkeit in ihrer späteren Tätig­ keit gezeichnet werden können. Ebenso muß auch berücksichtigt werden, daß kurz vorher (1429) von Nürnberg nicht weniger als 13 Patres nach Basel geschickt worden waren, um dieses wichtige Kloster in der künftigen Konzilsstadt (1431/38) zu reformieren. Selbstverständlich waren es auserlesene Leute, die man schicken mußte; denn einmal wehrten sich die Basler Konventualen bis zum äußersten, anderseits sah der Ordensgeneral darauf, daß sein Basler Kloster zur Zeit des Konzils würdig besetzt sei. Johann Meyer, der Basler Dominikanerchronist, hat um 14/0 die Nürnberger Reformatoren folgendermaßen geschildert6): „Also wurdent zu disem lialgen werck erwelt XIII gar ersam zu eren des heren Jesu Christi und siner halgen XII hotten, der namen hie gezaichnet ist: Der erst bruder Johannes Nider, maister der halgen geschrift, do zu mal prior des conventz zu Nürenberg, der ward der erst prior der observantz zu Basel. Der ander bruder .Ni das Ciprioni, erster suprior da selbs, dar nach prior zu Colmar. Der III bruder Ulrich S e 11 a t o r i s, dar nach prior zu Pfortzhaim. Der IIII bruder Lutzmann, dar nach prior zu Colmar. Der V bruder Cunrat Herbst, dar nach maister der halgen geschriit. Der VI bruder Johannes Boiander, der erst Schaffner da selbs. Der VII bruder Ger hart Hel, dar nach bichter der .swöstren an den stainen zu Basel. Der VIII bruder Marcus von Athis. Der X bruder Dietrich Sinck von Lübeck. Der IX bruder Paulus von F r ä n k e n s t a i n. Der XI bruder Johannes Hunler. Der XII bruder Peter von E r t f o r d t. Der XIII bruder Diebolt Husen. Nemet war, wie so gar mit tapfren, erlichen, bestandenen, gaistlichen, gutwilligen Personen die gaistlichait dieser observantz angefangen ist.“ Eine Klostergemeinde, die auf einmal eine solche Kolonie abgeben kann, ohne sich nicht selbst aufzulösen, muß doch -ein gewaltiges geistiges und religiöses Kapital besessen haben. Freilich auch Nürnberg spürte die Last. Als Oktober 1437 der Nürnberger Lesemeister und Prediger Rudolf Goldschlager zum Prior des Wiener Klosters gewählt wurde, wehrte sich Nürnberg mit Händen und Füßen gegen diesen Ver­ lust und legte dem Provinzial und den Wiener Patres seine Lage mit folgenden Worten dar 7) : „Obwohl wir fast alle Prioren und Patres der reformierten Klö­ ster aufgezogen haben, konnten wir in diesem Jahre für das Amt unseres Priors nur mit größter Mühe und Schwierigkeit endlich einen aus unserer Mitte gewinnen. In diesem Jahre haben wir zum Studium und zur Stärkung der Observanz 8 Prie­ ster und einen Subdiakon abgegeben, 4 Mitglieder sind an der Pest gestorben.“ Prior wird dann Johannes Herolt, der 1438 März 5 als solcher bezeugt ist. Aehnlich war es auch noch später. 1467 muß der Provinzial Peter Wellen den frühe­ ren Straßburger Domprediger und dann Basler Kanoniker und Theologieprofessor Johannes Kreutzer, der hierauf Dominikaner in» Gebweiler geworden war, zum Lektor des Nürnberger Kloster ernennen, da Nürnberg mit der Reform anderer Klöster stark in Anspruch genommen sei8). Ich bringe nun zuerst den Ablaßbrief von 1431. Die Notizen, die ich hinzufüge, sind natürlich ganz unvollständig; es sind großenteils zufällige Nachrichten, die sich hoffentlich ergänzen lassen. „Allen Gegenwärtigen und Zukünftigen, die dieses Schriftstück lesen, sei kund, daß unser heiligster Vater Eugenius IV. gegen Ende des verflossenen Monats April 1431 auf Bitten des Vizeprokurators Sebastianus und des fr. Leonhardus de Roma felgendes bewilligt hat: Zunächst hat der genannte hl. Vater allen der Regel ge­ mäß lebenden und darin beharrenden Predigerbrüdern, die der Kongregation an­ gehören. einen vollkommenen Ablaß einmal bewilligt und dazu im Todesfall. Die

225 Brüder sollen dafür das Jahr hindurch am Freitag fasten, wie sie gemäß der Regel gehalten sind; der Papst nimmt das an. Sie sollen die 7 Bußpsalmen beten. Ferner bewilligte er am Feste des hl. Märtyrers Petrus (29. April) auf Bitten der Genannten allen Brüdern der Observanz, daß sie sich einen Beicht­ vater wählen könnten, der sie kraft päpstlicher Vollmacht von allen kirchlichen Zensuren und Sentenzen, seien sie ihnen gemäß dem allgemeinen Recht oder durch besondere Sentenz verfallen, lossprechen könne. Und das nur einmal für alles Vergangene, zur Beruhigung ihrer Gewissen. Ferner bewilligte er den observanten Brüdern, die dieses Jahr zum Generalkapitel gehen, einen vollkomme­ nen Ablaß für die Sterbestunde. In Quorum evidens testimonium ego fr. Bartholomaeus Texerii, s. theol. Pro­ fessor ac totius Ördinis Predicatorum humilis magister et servus, ad spiritualem consolationem michi commissoruin sigillum officii mei duxi presentibus appendendum. Datum Lugduni post Generale capitulum in festo Corporis Christi (= Mai 31) anno domini 1431. Isti sunt fratres, qui pro tune presentes fuerunt, quibus iste gratie suffragantur: fr. Georius P i s t o r i s, prior; fr. Joh. Förster, supprior; fr. Gerhardus Comitis, lektor; fr. ConradusHof man; fr. Conradus Spilberger; fr. Theodericus H e r o 11 ; fr. Nycolaus V i e c h t a c h ; fr. Georius Heller ; fr. Jacobus h olczhausen ; fr. Wilhelmus Horner; fr. Conradus Reuß ; fr. Joh. Philippi; fr. Joh. G e r 1 a c h ; fr. Conradus Förster; fr. Henricus Krauter; fr. Stephanus Leyser ; fr. Joh. S n a b e 1 ; fr. Ulricus Y m m en­ do e r f f e r ; fr. Conradus Wurm; fr. Joh. Her; fr. Matheus Weinsp e r g e r ; fr. Hermannus H e r c z o g ; fr. Georius Jordan; fr. Heinricus Newsesser. Soweit Priester. Fr. Bartholdus Brack; fr. Nycolaus S ü n e r ; fr. Michael Hecht; fr. Joh. G e b h a r d i; fr. Stephanus G i j n f o g e 1 ; fr. Stephanus Hunger; fr. Joh. Zirkel; fr. Joh. S c h i 11 i n g e r ; fr. Petrus Hausen; fr. Joh. Fab er de Bas(ilea); fr. Joh. Pfeffer; fr. Henricus Vogel; fr. Conradus Nieman; fr. Johannes Gernolt. Fratres Conversi (= Laienbrüder): fr. N y c o 1 a u s, sartor; fr. Joh. Zürcher; fr. Johannes, cellerarius; fr. Conradu s, portarius; fr. Conradus Schoerffer. Per fratrem Jühannem Förster, pro tune suppriorem.“tt) An der Spitze des Nürnberger Klosters stand 1431 Jörg Wälder (Felder), genannt Pistoris. So sagt ausdrücklich der Dominikanerchronist Johannes Meyer10). Demgemäß bilden Nr. 26 und 80 bei Bock dieselbe Persönlichkeit. Pistoris kommt als Prior von Nürnberg bereits 1429 Februar 22 vor11); er ist jedenfalls der Nachfolger Niders, der damals nach Basel zur Reform ging. Als Prior wird er auch noch 1432 Oktober 7 genannt, wo er zugleich mit dem Sup­ prior Johann Förster vom Bamberger Bischof Anton von Rotenhan die Vollmacht erhält, in Stadt und Diözese Bamberg im Beichtstuhl von bischöflichen Reservätfällen zu absolvieren, Gelübde der Wallfahrt, Abstinenz usw., worin der Bischof zuständig ist, abzuändern usw.12). Anscheinend bleibt er Prior in Nürnberg bis 1434, wo er erster Pr.ior der Observanz in Wien wird. Das Wiener Kloster war von größter Bedeutung, da der Orden an der dortigen Universität einen theologi­ schen Lehrstuhl besaß und das Kloster daher von zahlreichen Ordensstudenten nicht nur aus dem deutschen Sprachgebiet, sondern auch aus anderen Provinzen des Ordens besucht wurde. Pistoris erhält vom Chronisten Johannes Meyer folgende Charakterisierung13): „Der erst vatter Jörg Wälder was an mercklich treffenlich man, also daz er nit allain erster prior der observantz zu Wien waz, sundern er ward och Vicari gemachet über vil clöster in Oesterreich, der och etliche von siner arbait wurden reformiert. Der andere vater Jörg, genannt Heller, war ein gnadenreicher, gütiger Mann und sehr streng gegen sich selbst mit Wachen, Fasten und schwerer Geisselung und ein Verschmäher zeitlicher Ehren. Als er zu Basel in den ersten Jahren der Observanz der Zuchtmeister der jungen Brüder war und sie mit seiner guten Lehre und seinem heiligen Leben fleißig Tugend und Geistlichkeit lehrte, da besorgte er, er müsse in seinem Wie-, ner Kloster Prior werden. Darum erwarb er sich die Erlaubnis, in welsches 15-

226 Land gehen zu dürfen. Dort führte er viele Jahre ein heiliges Leben und schied nach vielen Tugenden aus dieser Zeit.“ Pistoris wurde Vicarius von Oesterreich. Die süddeutsche Provinz Teutonia war eingeteilt in Nationes, an deren Spitze je ein Vicarius (unter dem Provinzial) stand. Die Klöster im südöstlichen deutschen Sprachgebiet waren zusammengefaßt in der Natio Bavaria, die selber wieder in zwei Portiones geteilt war: Portio Inferior, zu der außer Wien Tulln. Krems, Retz, Steyer, Wiener Neustadt, Leoben, Friesach, Pettau, Vallis Senarum, später auch Gratz gehörten. Die Portio Superior umfaßte außer Nürnberg die Klöster Bamberg, Regensburg, Eich­ stätt und Landshut. Pistoris muß eine hervorragende Persönlichkeit gewesen sein, sonst hätte man ihm sicher nicht das Zentrum der Observanz, Nürnberg, - anvertraut und dann die Reform des Wiener Klosters, eine Aufgabe, die gerade für den Anfang eine außergewöhnliche Begabung voraussetzt. Man darf ihn wohl in dieser Hinsicht in einem Zuge mit Johannes Nider, dem bedeutendsten Mann des Nürnberger Klosters, nennen, der fast gleichzeitig das zweite bedeutende Reformzentrum. Basel, schuf und 1436 mit Pistoris die beiden Klöster in Tulln reformierte 14). Pistoris nahm sich auch in besonderer Weise der reformierten Frauenklöster an, namentlich St. Katharinas in Nürnberg, dessen Vikar er war. Zeugen dessen sind seine Bücherschenkungen an St. Katharina. Als solche werden in Clm 750 f. 109— 143 genannt: Leben und Wunder der seligen Margaretha von Ungarn (Dominikanerin), aus dem Lateinischen des Magister Johannes verdeutscht durch Bruder Georg Valder (). P., das jedenfalls für die Schwestern bestimmt war, sowie ferner eine erbauliche Beschreibung des Leidens Christi, erhalten in der Nürnberger Handschrift Cent. VI, f. 1 S3r — 259 r (scriptum in Tulna, f. 162v — ob auch von ihm verfaßt?) Die Angabe des Nekrologiums des Wiener Domikanerklosters 15): 22. Decembris 1442 (obiit) Georgius Faldrer, theologiae magister, jubilarius annorum 98 dürfte so ziemlich in allen Teilen unrichtig sein. Nach „Quellen zur Geschichte der Stadt Wien I, 3 Nr. 2386, Nr. 1840“ ist Georg Wälder (Jörg Faldner) noch 1445 Juni 23 bzw. 1447 Mai Prior in Wien. Der Herausgeber des Nekrologiums hat nicht beachtet, daß es in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts neu ge­ schrieben, bzw. auf Holztafeln gemalt wurde, wobei leider der der Abkürzungen unkundige Abschreiber sich die seltsamsten Verlesungen geleistet hat. Das einzig Richtige an unserer Eintragung scheint zu sein, daß Wälder in Wien gestorben ist (vielleicht als Prior) und wohl auch aus dem Wiener Kloster stammte. Gerhardus Comitis, Lector, d. h. der Hauptlesemeister oder Professor des Klosters, dürfte identisch sein mit dem Lesemeister Gerhart, der 1434 Beichtvater in dem Observanten Dominikanerinnenkloster St. Nikolaus in Undis in Straßburg war. Folgende Nachrichten charakterisieren ihn15): „Und in den selben ziten wz ein lesemeister Brediger ordens, Gerhardus genant, zu Stroßburg by einem frowen closter der observancien bichter. Von dem selben lesemeister ein ruff wz, dz sien glichen in kunst goetlicher geschrillt in Rinschem ström nit wer. und doch uß demuetikeit wolte er nit doctor werden“ (c. 1485 geschrieben). Fer­ ner17) : „Item VI stück hat lierre Gerhart geseit Predierordens, bihter zu Sand Niclause an den hunden. Die hörent zu vollekumener gehorsam. Item IX stücke, die man sol betrachten für zorn, hat ouch her re Gerhart geseit“ (gehalten 1434 io Straßburg). Auch im Kloster UnterMnden (Kolmar) war er tätig, wie Handschrift Cent. VI, 53 f. 72—86 sowie Cent. VII, 34 besagt: „Dise noch genante gute 1er brediget br. Gerhart, ein lesemeister Predigerordens, und det die bredig in orden fasten (vom 14. September an beginnend) zu Unterlinden den swestern in den 100 artickel, die er zu den ziten ouch brediget von unsers Üben herren liden, do man zalt von der gebürt Christi 1425 jor“. Anderseits in Nürnberg (Cent. VI, 52 f. 227r): „das hernoch geschriben stet, das sagt von dem heiligen Sacrament und hot gepredigt prüder Gerhart lesmeister, als wir in gepeten haben“18). Conradus Hofman19) gehörte zu den ersten Patres, die in Kolmar die Observanz 1389 begannen. Er war dann der dritte Prior der Observanz in

227 Kolmar; 1409 und 1410 war er Prior in Nürnberg. Er dürfte also 1431 schon hoch bei Jahren gewesen sein. Conradus S p i 1 b e r g e r 20) gehört zu den führenden Männern des Klo­ sters. Etwa 1425 erbittet Prior Mardach für Spilberger und Konrad Hofman, sowie für sich selber vom Bischof von Bamberg die oben erwähnten weitgehenden Voll­ machten, was alles nur einzelnen, besonders bewährten Beichtvätern erteilt wurde. Er wird von Nider beauftragt, 1428 10 Schwestern von Schönensteinbach im Elsaß zu holen, die die Reform im Nürnberger Katharinenkloster einführen sollen. Der Chronist Johannes Meyer nennt ihn bei dieser Gelegenheit „ain gar gaistlichen, wisen vatter“21). Er oder Konrad Hofman ist wohl der fr. Conradus N. O. P. conventus Niirenbergensis, nunc crucis predicator et ipsa signatorum confessor per reverendum in Christo patrem et dominum Branda deputatus22) (1421, gegen die Husiten). Theodericus Herolt war Beichtvater in St. Katharina, 1448 (Mitt. 25, S. 43 Anm. 108a). Der beliebte und viel benutzte Predigtschriftsteller Johan­ nes Herolt wird 1431 nicht in Nürnberg gewesen und deshalb auch in der Liste nicht aufgeführt worden sein23). J o h a mies G e r 1 a c h wird 1419 von Nürnberg aus zur Reform nach Bern geschickt zugleich mit Johannes Füller und Hermann Schmer (Bock Nr. 15)24). Bezüglich Conrad us Förster, Bruder des Suppriors Johannes Förster, kann ich verweisen auf Bock Nr. 38 und Seite 174 f. und E. Kyriss, Nürnberger Klostereinbande der Jahre 1433— 1525 (Erlanger pliil. Dissertation. Bamberg 1940). Henricus Krauter ist der Beichtvater des Katharinenklosters (1434); vgl. Fries, Kirche u. Kloster zu St. Katharina in Nürnberg, Mitt. d. Vereins f. Ge­ schichte d. Stadt Nürnberg 25 (1924) S. 43, 52 und Bock S. 180 Nr. 39. Johannes Snabel wird auf dem Generalkapitel des Dominikanerordens zu SavigÜano Ende Mai 1439 zum Biblicus an der theologischen Fakultät der Uni­ versität Wien bestimmt, d. h. für die kursorische Erklärung der hl. Schrift. Der Biblicus war die erste Stufe zur Erlangung des Doktorates oder Magisteriums der Theologie. Am 26. September desselben Jahres ist er als Prior von Wien be­ zeugt 25). Conradus Wurm wird 1437 erster Prior in Krems, als dort die Obser­ vanz eingeführt wird und bleibt dort 30 Jahre in diesem Amte. Er wird als Dr. theol. bezeichnet26). Ein S e b a 1 d u s Wurm, s. theologiae lector ac vicarius generalis super conventu Novae civitatis (Wiener Neustadt), wird 1458 März 11 erwähnt. Dem Vornamen nach möchte ich ihn für einen Nürnberger halten27). Matthae us Weinsperger ist 1457 Februar 18 als Prior in Bamberg beurkundet2S). Eine Reihe der weiter genannten Kleriker erhält im Herbst 1431 die Weihen. Supprior Johannes Förster ersucht am 19. September 1431 den Bamberger Bischof Friedrich von Aufseß, den fratres Bertholdus Brack, Nikolaus Süner und Stephan Gijnfogel die Priesterweihe erteilen zu wollen, Joh. Schill inger das Diakonat, Joh. F a b e r und Petrus Hausen das Subdiakonat, Joh. P f e f f e r und Conradus N i e m a n das Akolythat29). Johann F aber (Bock Nr. 57) ist vielleicht identisch mit dem Wiener Sup­ prior Joh. Fabri, der 1439 Nov. 13 erwähnt wird30). Stephanus Hunger (Bock Nr. 53) ist 1457 Februar 1 Prior in Bam­ berg 31). Johannes Schillinger ist 1441 zugleich mit Ulricus SchrÖtter, magister studentium, Ulricus Messingschlager, Stephanus Pellificis Zeuge beim Streit der Nürnberger Pfarrer mit den Mendikanten wegen des Beichthörens. 1452 —1454, 1456 ist er Prior in Nürnberg, 1464 Mai 1 und Novem­ ber 6 Prior in Bamberg 32). 15*

228 Nach diesen Bemerkungen zur Liste von 1431 seien einige Worte hinzugeffigt über mehrere Nürnberger, die damals auswärts weilten und somit in der Liste nicht auigeführt wurden. Unter den Reformatoren von Basel, die oben aufgezählt wurden, hebt Meyer in seiner Chronica brevis Ordinis Praedicatorum folgende noch besonders hervor als „fratres deum timentes et vitam virtuosam servantes ac fructum in plebe multiplicem proferentes“ 33): ConradusHerbst. Er wird 1431/32 Biblicus an der Kölner Universität, liest dort auch über die Sentenzen des Lombardus und wird in Wien durch Nider zum Dr. theol. promoviert am 5. Juni 1436. Er starb aber bereits im selben Jahre an der Pest, die in Wien besonders stark wütete 34). Lutz mann (1437). Er war vor dem Eintritt in den Orden städtischer Notar und sehr geschäftskundig gewesen und bewährte sich im Orden durch seine ruhige und hingebende Persönlichkeit35). Vor allem spendet Meyer Lob den beiden großen Aszeten Paulus von F ran­ kenstein (1441), vielleicht identisch mit Paulus Frankenstein, der 1399 Sep­ tember 21 in der Prager Artistenfakultät unter dem späteren Dominikaner Johann Frankenstein disputierte und Regularkanoniker war. bevor er in den Dominikaner­ orden eintrat, und Johannes Pollender (1435) 36). Heinrich F a b e r ist nach Meyers Angabe Prior von Kolmar und von Nürn­ berg gewesen. In Würfels Liste kommt er nicht vor. Sein Priorat muß vor 1417 fallen, da er 30 Jahre lang bis zu seinem Tode (1452) Beichtvater im Kloster Schönensteinbach (Eiaß) war*und dort außerordentlich segensreich wirkte37). Johann Bart38) promovierte an der Kölner Universität. Dort hält er 1429 (oder 1439) eine Ansprache an die Universität, in der er als magister studentium ac baccalaureus formatus theologiae bezeichnet wird. 1435, 1436 ist er Prior in Nürnberg, anscheinend auch 1442, da er stirbt. Der oben genannte Rudolf Goltschlager. 1437 Lektor des Nürnberger Klosters, wird 1451 erster Prior der Observanz in Bamberg; er war damals Lese­ meister in Nürnberg. Noch 1456 März 8 weilt er in Bamberg und bezeichnet sich urkundlich als Prioratsverweser. Von ihm stammt ein Libellus de diversis gen-eribus meditationum (Cent. VII, 41), ebenso Cent. VI, 43 g f. 173v— 179r: „Diß predig hat getan zu Pilnreut Rudolf Goltslaher, leßmeister zu den Predigern. Die pre­ digt an saut Paulustag vor vasnacht, wie man geistlich vasnach sol haben“39). Ulrich Messingschlager (Bock Nr. 70) 40), der 1441 als Zeuge in Nürnberg genannt wird, studiert in den 30. Jahren in Köln am Generalstudium. Als Würzburg. 1451 auf Betreiben des Bischofs reformiert wurde, erhält es in dem Lesemeister Messingschlager seinen ersten Prior. 1462 November 6 urkun­ det er als Prior in Bamberg. Stephan P e 11 i f i c i s (Bock Nr. 71) soll 1439 Biblicus an der Wiener Uni­ versität werden; doch das Generalkapitel lehnt ihn auf Betreiben des Wiener Pro­ fessors Heinrich Rotstock 0. P. wegen ungenügender Vorbildung ab 41). Der bei Bock unter Nr. 76 genannte Meister Heinrich ist Heinrich von R ü b e ii a c h 42) aus dem Koblenzer Kloster, Professor der Theologie an der Kölner Universität, an der er 1450 als baccalaureus biblicus immatrikuliert wird, kurze Zeit Provinzial der süddeutschen Dorrinikanerprovinz, seit 1456 Weih­ bischof von Köln, später von Mainz. Ein Zeitgenosse, Arnold Heymerick von Xanten, nennt ihn einien Prediger, dem in ganz Deutschland kaum einer gleich komme (vix ulli secundum). Johann Strell (Bock Nr. 79) ist der Frankfurter Dominikaner Johann S t r e ler, Universitätsprofessor in Wien und Köln, Prior in Frankfurt, 23. Oktober 1459 43). Johannes Münn er Stadt (Bock Nr. 8l)44) ist 1438 Prior in Regens­ burg; er war Universitätsprofessor in Köln gewesen, dann 1427 für 3 Jahre zum Theologieprofessor und Domprediger in Würzburg ernannt worden. 1447 refor-



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mierte er im Auftrag des Provinzials das Kloster Eichstätt und setzte Aegi­ dius Schwertmann (Bock Nr. 82) als ersten Observanten Prior ein. Laurentius Aufkirchen (Uffkirchen) (Bock Nr. 113) ist 1487 Kursor in Nürnberg und predigt auf Johannes Baptist (Juni 24) in St. Katharina. 1508 ist er Prior in Eichstätt, wird als solcher 1509 zum Provinzial der süddeutschen Pro­ vinz Teutonia gewählt und bleibt in diesem Amte bis 1515 45). Friedrich Stromer (Bock Nr. 94) ist 1465 studens generalis in Köln, also in Vorbereitung auf die Erwerbung der theologischen Grade. Er ist noch Beanus (Fuchs). Sein Jugendfreund Georg Schwarz aus Kaden, Mitglied des Eichstätter Klosters, vollzieht an ihm die Fuchsentaufe, die in einer humoristi­ schen Beschreibung der Person des Beanus vor der ganzen Klostergemeinde besteht. Er schildert im einzelnen die Bedeutung des Namens Fridericus Stromer de oppido silvestri Auerbach 46). 1486 April 9 predigt Stromer in St. Katharina in Nürnberg. Er wird bei dieser Gelegenheit als Lesemeister, Prior von Nürnberg und Vikar des Provinzials bezeichnet. Einige weitere Nachrichten über Mitglieder des Nürnberger Klosters bringt die Handschrift 628 der Zürcher Zentralbibliothek 47). Sie stammt, wie sich aus dem Inhalt ergibt, aus dem Nürnberger Katharinenkloster. Bei Fries (Mittei­ lungen 25, S. 134 ff.) ist sie nicht verzeichnet. Sie enthält — neben* einigen kleinen Auszügen aus aszetischen Büchern — Predigten und Stücke von Predigten, die von Dominikanern im Katharinenkloster gehalten wurden, und zwar in den Jahren 1482 — 1487. Es sind folgende: Johannes Lock, Lesemeister und Beichtvater an St. Katharina (seit Ostern 1485). Er ist am meisten vertreten, und zwar in den Jahren 1484— 1487 (Bock S. 185 Nr. 112. Fries S. 43) . J ohannes Z o 1 n e r. Predigten aus den Jahren 1483, 1484, 1485. Friedrich Schober. 1482 Predigt am dritten Ostertag. Er ist Mitglied des Bamberger Klosters, zeitweise Lektor und Visitator des Bozener Klosters48). Johannes M u 1 e y s e n. Predigt am 11. Sonntag nach Dreifaltigkeit 1485 (August 14). W i 1 p e r g. „Daz sint etliche stucklein, dy ich hab gemerckt in der pre­ digt, dy da thet der vater Wilperg am heiligen Karfreytag (14)85 jar.“ Johannes Kirchschlag, Lesemeister. „Am 4. Sonntag nach Ostern (= April 23), da daz provinzial capitel hye was im (14)86 jar und nach dem­ selben capitel in der veter Visitation (bei der offiziellen Visitation des Domini­ kanerklosters durch den Provinzial oder seinen Vertreter), do wart er zum Prior erwelt in unserer veter convent . . .“ Ebenso am 18. Sonntag nach Dreifaltig­ keit (September 24) 49). Am ausführlichsten wird die Predigt des Heinrich Ryß, Doktors der Theologie, gebracht, die er am St. Georg Abend (April 22) 1486 hielt. Er ist zum Provinzialkapitel gekommen, dessen Mitglied er als Magister der Theologie ist. Riß stammt aus dem Basler Kloster, war in verschiedenen Klöstern in leitender Stellung tätig, namentlich in dem neureformierten in Chur50). Peter G u n d e 1 v i n-g e r. Bruder des mehr bekannten Dominikaners Nikolaus. Er stammte aus dem Ulmer Kloster. Predigt in St. Katharina am Kar­ freitag 1487 51). * Ludwig Winsperger, aus dem Basler Kloster, auf Jakobus und Philip­ pus (Mai 1) 1487, damals Lesemeister und Prior in Eichstätt52). Ich schließe mit einer Notiz über den bedeutendsten Nürnberger Dominikaner aus der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts. Peter Kirchschlag (Bock Nr. 87)C3). Er stammte aus dem Städtchen Kirchschlag bei Linz a. Donau. Er muß schon vor dem Eintritt in den Orden eine abgeschlossene theologische Bil­ dung und eine gewisse Bedeutung gehabt haben. Denn obwohl er eist am 5. Juni

230 1457 anscheinend in Wieh Profeß abgelegt hatte, wurde er schon 1465 als Prior nach Köln gesandt. Köln war das erste Kloster des Ordens in ganz Deutsch­ land; sein Generalstudium war in der ganzen Welt angesehen und zog Profes­ soren und Studenten aus allen Provinzen herbei. Dazu war es erst im Jahre vorher trotz größter Schwierigkeiten reformiert worden. Es bedurfte also eines Führers von überragender Bedeutung. Kirchschlag hat sich dieser Aufgabe ge­ wachsen gezeigt. Er blieb im Amte bis 1468 und hat in dieser Stellung mitgeholfen, auch das dortige Frauenkloster St. Gertrud, das in der Zeit der Mystik durch Tauler größtes Ansehen besaß, zur Observanz zurückzuführen. Er hat die Observanz im Kölner Männerkloster fest begründet und eine neue Blütezeit in ihm eingeleitet. Ein paar gleichzeitige Urteile mögen angeführt werden. Der Kölner Dominikaner Servatius Vanckel, später Universitätsprofessor und einer der führenden Männer der Provinz, der unter Kirchschlag 1467 in Köln eintrat, nennt ihn54) einen „vir incomparabilis in doctrina practica theologiae et juris“. Johannes Meyer bezeichnet ihn als „an gar dapfer, gelerter, geistlicher, wiser man und an großer Prediger des göttlichen wortz“. Die Stadt Köln bittet im Mai 1465 das Provinzialkapitel der Dominikaner G5), es möge Kirchschlag im Amte, als Prior belassen, „qui tamquam bonus et orediligens laborat agricola, permultisque est consilio et doctrina“. 1474 wird er zürn Vikar der Observanten Klöster für die nationes Bavaria (portio superior) und Suevia ernannt 56), 1479, nachdem die süddeutsche Provinz selber observant geworden ist, zum Vertreter des Provinzials für die natio Bavaria (portio superior) bestellt. Er starb am 30. April 1483 im Kloster Stuttgart anläßlich einer Visitationsreise und wurde dort beigesetzt. Bereits 1479 wird er in einem Briefe des Ordensgenerals als magister und doctor theologiae bezeichnet57), H. h. also er hat zur Vorbereitung auf einer Universität, die wir nicht mehr nachweisen können, Vorlesungen gehalten und 'die entsprechenden Prüfungen gemacht; denn die Erlangung des Dr. theol. (heute etwa Professor Ordinarius) war nur auf diesem Wege möglich. 1) Archiv der deutschen Dominikaner 3 (Köln 1941), S. 214. 2) QF (Quellen und Forschungen zur Geschichte des Dominikanerordens in Deutschland. Leipzig 1907 ff.) 29, S. 73. 3) QF 19, S. 7 Anm. 4) O e f e 1 e. Rerum Boicarum Scriptores I (Augsburg 1763), S. 374 f. Vgl. meine Notizen QF 19, S. 45 f. 5) Mitteilungen des Vereins für Geschichte der Stadt Nürnberg 25 (1924), S. 147 ff. 6) QF 3, S. 74 f. 7) QF 19, S. 71 Anm. 2. 8) QF 19, S. 103. 9) Vgl. Bock S. 179 zu Nr. 26 — 61. Johannes Meyer erwähnt diese Vergün­ stigung in seiner Chronica brevis (QF 29, S. 89), gibt aber den Text nicht an. 10) QF 3, S. 96; 29, S. 86 (Georgius dictus Felder). 11) QF 19, S. 64. 12) QF 19, S. 53. 13) QF 3, S. 149. 14) QF 3, S. 96. 15) MGH. Necrologia 5, S. 298. 16) Archiv für Elsässische Kirchengeschichte, Jahrgang 6 (1931), S. 193. 17) P f 1 e g e r. Zur Geschichte des Predigtwesens in Straßburg vor Geiler von Kaysersberg. Straßburg 1907, S. 21, 52/53. 18) Die Beichtväter wechselten unter den reformierten Frauenklöstern. So pre­ digt Johann Eschenbach zu Nürnberg (Cent. VII, 34) und 1426 Montag vor St. Michael in Unterlinden (a. a. O.). 19) Bock Nr. 17 S. 178. QF 29, S. 72. 20) Bock Nr. 29 S. 180.

231 21) QF 3, S. 64. QF 2, S. 99 nennt er ihn „ainen fürnemen, wisen, gastlichen. wol geübten bruder“. 22) QF 19, S. 53 Anm. 3. QF 19, S. 49. 23) Ich möchte vermuten, daß Job. Meyer Theodericus und Johannes Herolt für eine und dieselbe Person genommen hat. Dann hat Theodericus nichts mit dem Predigtschriftsteller Johannes Herolt zu tun. Zu Joh. Herolt vgl. außer Bock S. 171 meine Angaben QF 19, S. 76 f. Dazu: Nikolaus Paulus, Ge­ schichte des Ablasses im Mittelalter 3 (1923), S. 116; Wolfgang Stammler, Deutsche Literatur des Mittelalters 2, S. 424 ff. 24) QF 3, S. 50. 2r>) Analecta Ordinis Praedicatorum, Band 19 (Rom 1929), S. 44. 26) S. Brunner, Der Prediger-Orden in Wien, und Oesterreich. Wien 1867 S. 56/57. 27) Bamberg, Staatsarchiv, Urkunden des Dominikanerklosters Nr. 780. 28) Bamberg, Staatsarchiv, Repertorium 29 Nr. 3 f. 64. 29) QF 19, S. 64. 30) Analecta Ordinis Praedicatorum, Band 19 (1929), S. 86. 31) Bamberg, Staatsarchiv, Urkunden des Dominikanerklosters Nr. 778. 3'2) Bock S. 187. Bamberg, Staatsarchiv, Urkunden des Dominikanerklosters Nr. 786. Bamberg, Staatsbibliothek, Patrol. 148: Eintragung auf dem Vor­ satzblatt. 33) QF 29, S. 90. 34) QF 19, S. 171 Anm. 4. Ebda. S. 55 (Beichtvater bei der Einführung der Obser­ vanz im Basler Männerkloster), S. 75, S. 179 (Dominikaner, die sich an der Wiener Universität auszeichneten). 35) QF 19, S. 75. QF 29, S. 91. 36) QF 19, S. 75 f. 37) QF 19, S. 76. Vgl. Bulletin Ecclesiastique du dioc. de Strasbourg 1925, S. 228 — 235: „Vom gottseligen Leben und Abscheiden des Bruders Heinrich Fabri, Beichtigers zu Schönensteinbach“; W. Stammler, Deutsche Lite- . ratur des Mittelalters 2, S. 322. 38) Bock Nr. 63. QF 19, S. 75. Wien, Dominikanerkloster, Handschrift Nr. 293. 39) QF 19, S. 70. W. Stammler, Deutsche Literatur des Mittelalters 2, S. 59. 40) QF 19, S. 171. 41) Analecta Ordinis Praedicatorum, Band 19 (1929), S. 44. 42) H. K e u s s e n , Matrikel der Universität Köln I2 533. Fr. W. 0 e d i g e r , Schriften des Arnold Heymerick. Bonn 1939. 43) QF 19, S. 38, 162, 179f. 44) QF' 19, S. 71. G. Löhr, Die Dominikaner an den deutschen Universitäten am Ende des Mittelalters (Melanges Mandonnet II, Paris 1930, S. 419). 45) QF 1, S. 16, 43 f. Zürich, Zentralbibliothek, Handschrift Nr. 626, f. 233. 46) Ich habe den vollständigen Text veröffentlicht in: Annalen des Historischen Vereins für den Niederrhein, Band 111, S. 186—191. 47) Katalog der Handschriften der Zentralbibliothek Zürich, hg. Cunibert Mohlb e r g I, 3. 48) QF 10, S. 24, 68, 76, 79. 4q) Vgl. Bock Nr. 110. QF 10, S. 60. Er war Beichtvater in St. Katharina: Fries S. 43. 50) Näheres siehe bei O. V a s e 11 a, Geschichte des Predigerklosters St. Nicolai in Chur. Paris 1931, S. 54 u. ö. 51) QF 6, S. 100. 52) Näheres s. QF 19, S. 123. 63) QF 19, S. 14, 17, 118 ff.

232 54) QF 21, S. 2, 23, 119. Von ihm erschien im Druck 1487 Passio Christi cum quattuor evangelistis (Hain, Repertorium bibliographicum II, 1 n. 9779 und 9780). 55) QF 16, S. 295 Nr. 807. 56) QF 6. 57) QF 6.

Dürers „Reuter“ und seine Burg.

Von Fr. F r o m m a n n, Nürnberg. Tod und Teufel stürmen wieder, den apokalyptischen Reitern gleich, auf den Deutschen ein. Widerstehen kann diesen dunklen Gewalten nur die Macht des Gemütes, die von den Werken unserer großen Meister ausstrahlt. Ganz erfüllt mit dieser Kraft der Seele hat Albrecht Dürer seinen „Reuter“, wie er ihn so schlicht benennt, den Ritter, der „zwischen Tod und Teufel mitten seines Weges ruhig fortgeritten“ 1). Albrecht Schäffer deutet ihn als den P a r z i f a 12), der mit seinen Hieben den Teufel hat „ausgehülst aus seinen Majestäten“, ihn entlarvt als den „dummen Greuel-Teufel, der mit Klaun und krummen Hörnern schreitet und enttäuscht und sehr getreten hinterm Ritter schon zurückgeblieben“ ist. Dem kann nun auch der „dürre Rippentod“ auf seinem Klepper nichts mehr anhaben. Aber Dürer hat, „malend sein gefaßtes Reiten, wohl gewußt um tieffe Graussigkeiten, wohl um das vorangegangne Streiten“. Was so der Dichter erfühlt hat, bestätigt der Forscher, wenn er wie Wätzold3) seinen „künstlerischen Stamm­ baum“ aufstellt. Fünfzehn Jahre lang hat seine Gestalt den Meister beschäftigt. Schon 1498 hatte dieser den Reitknecht der Patrizier Paumgärtner 4) in größtem Format gezeichnet und mit zarten Farben angelegt, „das ist die Rüstung zu der Zeit in Deutschland gewest“. Der Knecht zeigt schon ganz die äußere Gestalt des Ritters, aber erst ein langer Weg konnte ihm dessen seelischen Gehalt geben. Eine Reihe von Zeichnungen und Kupferstichen zeigt uns das unablässige Be­ mühen, bis im Jahre 1513 der geniale Einfall gelingt, den gelassenen Mut des „Reuters“ durch die in Inhalt und Form kontrastierenden Gestalten von Tod und Teufel deutlich zu machen. Das Ziel des beharrlichen Ritters bildet die Burg, die der Gralsburg gleich hoch über dein Engpaß thront. Sie erscheint zunächst als freie Gestaltung. Ein senkrechter Schnitt zwischen den beiden eckigen Türmen zerlegt sie aber in zwei Bilder, deren Herkunft ähnlichen Werdegang zeigen. Dürer hatte auf seiner Italienfahrt 1494 die Stadt Innsbruck gezeichnet5). Aus diesem heiteren Aquarell übernahm er neben anderen das Haus mit den zwei leicht abgewalmten Giebeln und den anstoßenden Turm im Jahre 1497 auf die , Pupilla Augusta“ genannte Zeichnung 6) und setzte die Gruppe als Bekrönung auf die Spitze. Genau so er­ scheint sie auf dem Kupferstich des „Heiligen Antonius“ von 15197) und etwas verändert bildet sie den linken Teil von unseres „Reuters“ Burg. Auch der rechte Teil enthält ganz unten eine Erinnerung an Tirol. Das Haus mit dem flachen Giebel steht an der Etsch und ist aus der Ansicht von Trient8) auf die „Pupilla“ gekommen. Auch hier kehren also die gleichen Motive in den Jahren 1494, 1497, 1513 und 1519 wieder und zeigen noch deutlicher, wie sorgfältig Dürer seine im Freien gemachten Studien in der Werkstatt immer wieder durchgesehen und bei Gelegenheit verwendet hat. Sie beweisen auch in den freien Arbeiten sein Streben nach Typisierung, das seine theoretischen Werke, besonders die Pro­ portionsstudien geschaffen hat. Um den noch übrig bleibenden rechten Teil zu erkennen, muß man ihn spiegelverkehrt betrachten; denn im Druck erscheinen die in die Kupferplatte gestochenen Bilder im Gegensinn9). Dann ist es nicht schwer, die Nürnberger Burg gegen Südosten darin zu sehen 10). Dürer hatte die­ sen Anblick von seinem Vaterhaus in der Burgstraße aus, in dem er bis 1509

233 seine Werkstatt hatte. Vor diesem erhebt sich der steile Burgfelsen mit dem heute wieder an gleicher Stelle stehenden Kastanienbaum und von ihm aus zieht sich die Zufahrtsstraße steil zum „Himmelstor“ hinauf. Auf dem Felsen erscheint die Freiung, die den berühmten schönen Blick auf die Stadt bietet. Ueber ihr erhebt sich rechts der Turm der Walpurgiskapelle, der unter seinem Satteldach ihren Chor birgt. Gegenüber steigt der runde Sinwellturm auf in seiner mittel­ alterlichen Gestalt mit den Dacherkern, die von Unger 1565 entfernt wurden. An ihn schließt sich auf zwei Seiten der „heimliche Wächtergang“ an. Glücklich ergänzt diese Ansicht die bisher bekannten11) und schließt den Ring so, daß nun von allen Seiten und allen Gebäuden der Nürnberger Stadtkrone Ansichten von Dürers Hand vorliegen. Eine Vorzeichnung ist von dieser ebensowenig wie von den anderen Burgansichten erhalten und es ist daher anzunehmen, daß Dürer sie unmittelbar nach der Natur auf die Platte gebracht hat. Somit hat er in seiner Darstellung Heimat und Ferne glücklich vereinigt, um ein die Zeiten überdauern­ des Kunstwerk zu schaffen. Mit dieser aufschlußreichen Entstehungsgeschichte ist aber die Rolle der Burg in de; Kunstgeschichte noch nicht ausgespielt. Als die Meistersinger in der Katha­ rinenkirche Bar und Stollen absangen, stund im rechten Seitenschiff der 1504 von Dürer im Auftrag der Brüder Paumgärtner gemalte Altar, der in der Mitte die Geburt Christi und aut den Seitenflügeln die Stifter als heilige Ritter zeigt.. Aber nach hundert Jahren war der protestantischen Reichsstadt in dem Kur­ fürsten Max von Bayern ein mächtiger Nachbar und katholischer Gegner mit einem sieggewohnten Heer unter Marschall Tilly entstanden. Als großer Ver­ ehrer Albrecht Dürers begnügte er sich damit, vom Rate der Stadt die wert­ vollsten Gemälde von des Meisters Hand verehrt zu erhalten. So wanderte im Jahre 1613 der Paumgärtneraltar in seine Galerie. Aber die Stifterbilder mit ihrem Bürgerwappen im Mittelteil gefielen ihm ebensowenig wie auf den Flügeln die Fah­ nen, welche keineswegs die bayerischen Farben zeigen. Deshalb Ließ er an die Stelle der von Lukas Paumgärtner getragenen Fahne von seinem Hofmaler J. G. Fischer die Burg des „Reuters“ malen, natürlich ohne ihren Stammbaum zu kennen, wel­ cher ihm wohl ebenso wenig erwünscht gewesen wäre. Auch das Pferd des Ritters gesellte er ihm — gewaltig vergrößert — zu, was ganz angebracht war, da es, wie wir oben sahen, wirklich des Paumgärtners Pferd war, und vereinigte so nach über 100 Jahren auf merkwürdige Weise Pferd und Herr im Bild. Sie blieben es, bis 1904 der ursprüngliche ’Zustand wieder hergestellt wurde12). So zeigt uns der „Reuter“ bei eingehender Betrachtung verschiedene Statio­ nen aus Dürers Lebensweg. Von seinen Wanderjahren führt er uns bis zum Gipfelpunkt der Meisterjahre, den er selbst bildet. Viel Grausiges hat der Meister in dieser Zeit erlebt und gestaltet. Die Schrecken des Krieges hatten im Sommer 150? Nürnberg Überfällen, im Jahre 1505 die Pest in der Stadt gewütet. In seiner Apokalypse, den vielen Passionsfolgen und dem Gemälde „Die Marter der 10 000 Christen“ hatte das Leiden der Menschheit ergreifende Gestalt angenommen. Aber mit dem sieghaften Ritter hat er das Grauen überwunden: der Tod und der Teufel sind die letzten Greuelgestalten in seinem Lebenswerk. Dieses kennt danach nur noch abgeklärte Heilige und edle Gestalten — der Schmerz ist ge­ wichen. Deshalb ist der „Ritter zwischen Tod und Teufel“ für immer das Sinn­ bild des Ueberwinders geworden, das Wilhelm Pleyer13) in die Worte faßt: Da-Sein, du dunkel süßes Abenteuer — __________ Und wenn die Welt voll Teufel wär. ‘) 2) 3) 4) 5) °) 7)

Abb. 1. Albr. Schaffer, Parzifal. Leipzig, Inselverlag. W. W ä t z o 1 d , Dürer. Wien (1935), S. 114 ff. Ebda. F. Winkler, Die Zeichnungen A. Dürers, Bd. I, Berlin 1936, Abb. 66. Winkler, a. a. O. 153. B 58.

234 *) v. J. 1494. Winkler, a. a. 0. 96. Vgl. Pappenheim, Dürers Alpenland­ schaften. Zeitschrift d. deutschen Alpenvereins. 1940, S. 242. 9) Abb. 2. lü) Abb. 3. n) Hans S e i b o 1 d, Die Burg, wie Dürer sie sah. In Festschrift des Vereins für Geschichte der Stadt Nürnberg 1928, S. 320/33. 12) Abb. 4; vgl. Scherer, Dürer (Klassiker der Kunst), Stuttgart u. Berlin o. J. (3. Aufl.), S. 22. 13) Wilh. PI eye r, Ritter, Tod und Teufel. In „Die deutsche Glocke“, 3. Jahres­ band, o. O. u. J., S. 7. Das Habsburger Erbstück.

Von H. Hecht, Oberstleutnant. Während des Kuhhandels um die Vergebung der deutschen Kaiserkrone, der nach dem Ableben des Kaisers Ferdinand III. Anno 1657 unter den Kurfürsten ein­ setzte, schien es einige Zeit, als sollte Nürnberg die Ehre zuteil werden, zur kai­ serlichen Wahl- und Krönungsstadt aufzusteigen. Wäre ja auch nicht aus der Weise gewesen und nichts wäre näher gelegen, als Nürnberg unter den Bewer­ berinnen den Vorzug zu geben; barg doch Nürnberg die Reichskleinodien und Krönungsinsignien, die jeweils mit einem uns unvorstellbaren Wust von Besorg­ nissen und Geleitsfragen erst zur Krönung nach der Mainstadt geschafft und nach­ mals wieder zurückgebracht werden mußten. Aus den zeitgenössischen Darstel­ lungen der Ereignisse vor dem Wahlakt gewinnt man kein klares Bild, weshalb man dann doch wieder an Frankfurt, offenbar nur der Tradition folgend, festhalten zu müssen glaubte. Nürnberg mußte sich jedenfalls zunächst damit be­ scheiden und darauf vorbereiten. Seine Königl. Majestät, den achtzehnjährigen Leopoldus, König von Ungarn und Behaim, auf der Durchreise von Prag begrüßen und empfangen zu dürfen. Man tat seitens des Rates das Herkömmliche und Mög­ liche, den Eintritt des Königs festlich zu begehen erlebte aber die Enttäuschung, daß der junge Leopold die Stadt buchstäblich „links“ liegen ließ. Wie es dazu kam, davon ist in den handschriftlichen Aufzeichnungen eines unbekannten Chro­ nisten erzählt : „1658 14. Februarj. Weil vergangenen Freitag Leopoldus, König von Ungarn und Behaim, von Prag auß (da er wegen großen Schnee lang gereist) zu Herspruck ankornmen. Sonnabend liegen blieben und nit in die Stadt begerte, wurde die königl. Schennkh hinaußgefiirth und presentiert. Heut, 14. reiste er hie her biß zum Lauferthor und an dem Graben außer der Vesten vor dem Thiergärtnerthor die Seilergaß hinter dem hl. Creutz nach Fürth da blieb er über Nacht.“ Vielleicht hätte die Stadt und der Rat über die eilige Durchreise des Königs, die allerdings mit dem großen Schnee („daß die Schneeschanzen Brusthöhe er­ reichten“) entschuldigt werden konnte, verschnupft sein können im Hinblick auf die umfangreichen Vorbereitungen und die verpfuschte Empfangsfreude, wenn ihnen nicht ein unangenehmer Zwischenfall bei der Durchfahrt des künftigen Kai­ sers schwerere Sorgen bereitet hätte. Es ist ergötzlich, darüber in den Krö­ nungsakten des Bayerischen Staatsarchivs zu Nürnberg das Folgende zu lesen: „Hierbey möchte obiter zu gedencken seyn, daß alß die Königl. Majestät zue Hungarn und Behaimb bey der Statt Nürnberg am Graben hinumb auf Fürth zugefahren, unter dem gemeinen Pöbelgesindt sich grobe unverschämbte Weibspersohnen befunden, welche überlaut gesagt, daß Ihre Majestät so ein großes Maul habe, daß es auch ein und der andere von denen Vornembsten am Hoff gehöret haben. Welches als es vor einen wohledlen Rath kommen, derselbe sich nicht wenig alterirt und besorgen müßen, da es Ihre Majestät Selbsten gehöret hatte, es würde dieselbe es in höchsten Ungnaden auffgenommen haben und hierdurch

235 alle zu Herspruckh versprochene Kaiserl. Gnad verscherzet worden seyn. Hat derowegen befohlen, denen groben und unbescheidenen Dirnen mit allem Fleiß und Ernst nachzuforschen und da sie erkundiget werden könnten, sich zu ent­ schließen, wie sie anderen zum Abscheu öffentlich und empfindlich zu straffen, hat auch ferner Herr Christian Freyherrn von Dietrichstein ersuchen laßen, dero Herrn Brüdern, Herrn Graven Gundakern von' Dietrichstein, der Königl. Maj. Obristen Stallmeister zuzuschreiben, umb sich zu erkundigen, ob Ihre Maj. der­ gleichen schimpfliche Reden selbesten gehöret habe, mit Bitt auf solchen Fall unser Herren auf das Beste zu entschuldigen, daß ihren wohledlen Herren diese deß Pöbels Unbescheidenheit gar nicht lieb seye und auf Erkundigung exemplari­ sche Straff vorzunehmen ganz nicht ermangeln würde. Es ist aber unerwogen allen fleisigen Inquirirens auf keine gewisse Per­ sohn zu kommen gewest, hat auch hochgedachter Herr Grav in Antwort berich­ tet, daß dergleichen schimpfliche Wortt Ihre Majestät gar nicht, sondern allein ein und der ander von denn vornehmbsten Herrn gehört habe, so einem Wohl­ edlen Rath zu etwas Consolation gedienet. Es hat aber der Event ein anderes und soviel bezeuget, daß die königl. Majet. solche schimpfliche Reden entweder selbst gehört oder derselben hernach vorgetragen worden seyn müssen. Dann alß die Herren Deputirte den Keyserl. Ornat nachher Frankhfurt gebracht und denselben den Tag vor der Crönung der Kayserlichen Mayestät in dero Gemach angezogen und probiret, dieselbe auch in solchem Ornat im Gemach hin und wiedergangen, hat Herr Grav Rabata, Kays. Trabanten Hauptmann, zu denn Herrn Abgeordneten überlaut, daß es Ihre Majestät wohl gehöret, gesagt „ob dann dieses“, Ihre Kays. Mayestät mei­ nend, „nicht ein lieber annehmblicher Herr were und ob Er dann so ein großes Maul habe“. Welches Herrn Jobst Christoff Kreßens Wohledle Herrlichkeit, wohin es gemeinet seye, leicht verstanden und darauf geantwortet „Es were freylich die Wahrheit, daß Ihre Mayestät ein recht lieber Herr were; was das übrige be­ treffe, miisten solche Reden von dem ungezogenen Pöbelvolkh herkommen, wel­ ches weder zu zehmen noch zu bendigen were; darbey es also verblieben und weiter das wenigste nicht geanthet worden.“ Ob die Nürnberger „unverschämbten Weibspersohnen“ sich mit Recht oder zu Unrecht über das große „Maul“ des hohen Gastes lustig machten, das kann nach dem beigegebenen Bild des Kaisers Leopold der Leser und Betrachter selbst entscheiden. Wichtig für Rat und Stadt war damals jedenfalls, daß der Kaiser die unschick­ liche Art, die etwas zu plastisch geratene Unterlippe, die er mit vielen Habsbur­ gern gemein hatte, zu bespötteln, den Niirnbergern ganz und gar vergessen und verziehen zu haben scheint, da er noch im August (6. — 9.) desselben Jahres 1658 auf der „Rückreise von der solennen Krönung zu Frankfurt“ den Besuch der Reichsstadt Nürnberg nachholte und über die ihm „allerunterthänigst bereitete Empfahung“ überrascht und in so hohem Maße zufrieden war, daß er sich also im Geheimen Rat vernehmen ließ:- ..Die von Nürnberg thun uns große Ehr an, wir müssen bedacht seyn, wie wir Sie es wieder genießen lassen.“ Und nach Berich­ ten aus Wien „hätten die Kayserl. Majestät und die vornembsten Herren zum öfteren gedacht, daß Ihnen weit grösere Courtoisie zue Nürnberg alß zu Frankhfurth widerfahren seye. Ja sogar die Kayserl. Koch haben sich vernehmen laßen, daß sie zue Frankhfurth im Fegfeuer gewest, jetzo nach Nürnberg ins Paradeiß körnen.“ War also die aufregende Geschichte für die Nürnberger noch gut abgegan­ gen und haben sich die Befürchtungen des Rates, daß durch die Beleidigung dps Kaisers die zu Hersbruck versprochenen Gnaden verscherzt worden seien, nicht erfüllt ! (Staatsarchiv Nürnberg, Handschriften Nr. 170 und Krönungsakten Nr. 29 fol. 99 b ff. und 35 b f.)

236 Die erste Burgserenade in Nürnberg.

Von H. Hecht, Oberstleutnant. 1704. Kaiser Leopold war gestorben. Altem Ratschluß und Herkommen ge­ mäß sollte Wahl und Krönung des Nachfolgers zu Frankfurt am Main erfolgen. Da mußte denn die freie Reichsstadt Nürnberg sich wohl oder übel gefaßt machen, den Prätendenten für die Kaiserkrone, Josephus, den König von Hispanien und Böheim, auf seinem Weg von Prag zur Krönungsstadt in ihren Mauern empfan­ gen zu dürfen. Der Rat der Stadt nahm, gewitzigt durch die Erfahrungen bei den vielen Empfängen königlicher und kaiserlicher Majestäten, die Vorbereitungen für die zu erwartende Ehrung des künftigen Kaisers nicht aut die leichte Schulter und war peinlich genug darauf bedacht, daß nichts versehen werde, sich in Kaisers Huld und Gunst zu schmeicheln. So wurde denn durch Ratsbeschluß verfügt, erst beim Giafen Johann Leopold Donat von Trautsohn, dem Obristkämmerer, vorzufühlen, welcherlei besonderes Ceremoniell zu erfüllen wäre und was der König von seiten einer Nürnberger Stadt erwarte und gern sehen würde. Graf Trautsohn gab auch ziemlich ausführliche Anweisungen und Wünsche kund und verfehlte nicht, zu bemerken, daß Seine Majestät ein Freund von „Eclat und Bizarrerien“ sei und die Stadt in geräuschvollem und überraschendem Aufwand an originellen Empfangsfeierlichkeiten kaum zu viel tun könne. Der Rat ließ sich diesen freundlichen Wink dienen und hatte deshalb schon eine außergewöhnliche Form des Geleits beim Eintreffen des allerhöchsten Gastes auf Nürnberger Territorium anbefohlen. Es wurden aus den Aemtern Hersbruck, Reicheneck und Engelthal 200 Köbler und Hintersassen als Fackelträger aufgeboten, die ,.bey anbrechender Nacht um 7 Uhr die Facklen, derer in die 1200 beygeschaffet worden, anzünden“ sollten, „also daß hinter den Schildwachten dießseits des Bachs unter Weigendörflein, weiln man alldorten einen kleinen Hügel hinauffahren mußte, sogleich vier Facklen gegen einander über stünden“; auch „die beede Herren Deputierte“ sollten „sechs Facklen hinter sich halten“. Josephus war von dieser erstmals in Szene gesetzten Eingeleitung dermaßen entzückt, daß er in einem an den Herrn Bischof Rummel abgelassenen Schrei­ ben also darüber berichtet: „Lieber Bischoff Rummel ! Nun kan Ihme berichten, daß wir glücklich allhier angelanget sind und so schön empfangen worden, daß ichs nicht genugsam sagen kan. Gestern Abend, wie wir in das Nürnbergisch Territorium eingetretten, sind von dort aus anderthalb Meil Weegs biß in das Nachtlager von 50 zu 50 Schritt allezeit zwey Bauern mit brennenden Fackeln gestanden, welches schön zu sehen war, daß ich es nicht genugsam beschreiben kan...............Nürnberg, den 11. Septembris 1704.“ Es war gewiß auch originell und einmalig, daß die Majestät bei der Durch­ fahrt durch Mögeldorf eine besondere Form einer Huldigung erfuhr, indem des dortigen Pfarrers Hauer reizendes Töchterchen ihm eine wunderschön goldgelbe Citrone in den Wagen und in den Schoß warf. Lächelnd dankte der König und hielt die Frucht in seiner Hand bis Nürnberg, wo er sie dann dem Obristkämmerer reichte mit der launigen Bemerkung: „Sie hat uns recht getroffen !“ Ja, Josephus scheint überhaupt ein spaßfroher und jovialer Herr gewesen zu sein, da er sich beim Einzug in die Stadt angelegentlich „nach ein und anderen in den Fenstern liegenden Frauenzimmer“ erkundigte. Bisher war also alles programmgemäß und sichtlich zu höchstem Gefallen der königlichen Majestät verlaufen, mochte dann auch das noch gut gehen mit der am Abend nach der Ankunft an Stelle des üblich gewordenen Feuerwerks zu veranstaltenden „Serenade und abendlichen Musica“. Die Huldigungsmusik sollte im Schloßhof stattfinden, während der König mit Gefolge zu Abend speisen würde. Leider fiel nun ein so scheußliches Regen­ wetter ein, daß in letzter Stunde noch umrangiert werden und das Orchester in

237 der geräumigen Söllerstube Aufstellung nehmen mußte, „allwo oben in einer hal­ ben Runde aut beeden Seiten herunter, aber nach der Länge biß zu der Anti­ camera, .worinnen der König gespeißet, Bänke und Gerüste gestellet und selbige mit Laternen von gelb und röth in Oehl getränktem Papier besetzet worden, an welchen auch die 82 Violinisten, an den vier Ecken aber vier Clavicimbel bene­ belst einer großen Violn mit einem Violoncello und dann in der Mitte an einem TiscH 10 Hautboisten oder Schallmeyenbläßer und 4 Bassonisten stunden und saßen dieße, welche unter der Direktion Christoph Gotlieb Sauers, hiesigen Chori Musici Directorio, zwey herrliche Parthien spießten, zwischen welchen das von Samuel Faber wohlaufgesetzte, auf Atlas gedruckte und der Konigl. Majestät all­ bereit allerunterthänigst überreichte Carmen abgesungen werden sollen. Aßein dieweilen sich eine unbeschreibliche Menge Volks von vornehm und geringen Per­ sonen hierbey 'eingefunden, deßwegen des großen Gethös Seine Majestät wenig oder gar nichts davon hätte verstehen^ können, muste solches biß zu folgender Mittagstafel verschoben bleiben. Nachdem aber dieß Carmen vornemlich auf die heutige Nacht gerichtet gewesen, als wird es nicht unschicklich seyn, selbiges dießorts zu inseriren: Laß Noris bey der Nacht die Freudensonne glänzen und zünd ein heyligs Feuer in Deinem Herzen an. Josephus ruht in dir, der Vatter teutscher Gränzen, Der Held, der deine Feind in Fesseln schlagen kan, Das Licht, vor dem sich beugt (Gedullt, man harrt nicht lang) Der Mond im Morgenland, die Sonn im Niedergang !“ Von den besonderen Anstrengungen der Reichsstadt scheint der König sehr angenehm überrascht und voll befriedigt gewesen zu sein. Auch wird es dem Ehrgeiz des Rates gebührend geschmeichelt haben, von der Hand des Fürsten Lobkowitz als allerhöchsten Dank und huldvollste Anerkennung die folgende Adresse zu erhalten: „Le traittemeut, que vötre ville a fait au Roy, mon Maitre, n’a pas pü etre plus applaudy que le Comte Fugger a fait, en arrivant Lundy passe et fit une descriution de rilhimination. qu’ on fit iusciu’ ä Hersprouc. Le Roy meme temoigna dans la lettre de la Raine beaucoup de satisfactions des honneurs qu’ on luy fit.“ Kein Wunder also, daß der. Verfasser seinen Bericht über die Nürnberger Empfangsfeierlichkeiten mit den Worten schließt : „In Summa: Die Herren von Nürnberg haben gezeiget, daß sie gescheide Leuthe sind!“ Bleibt noch die Frage, ob das böse Omen, das auf der ersten Burgserenade in Nürnberg lag, weiterwirkt durch die Jahrhunderte, daß heute noch den an­ beraumten Serenaden auf der Burg der Wettergott sich so wenig und so selten geneigt zeigen will. (Staatsarchiv Nürnberg, Krönungsakten Nr. 34) Der erste Ballonaufstieg in Nürnberg mit einigem Drum und Dran.

Von H. Hecht, Oberstleutnant. Am 12. November 1787 hatte das alte Nürnberg einen großen Tag, der sich in den Vorbereitungen, der Menge der Schaulustigen und der für jene Zeit sensatio­ nellen Aufmachung in nichts unterschied von den Zurüstungen zu den Empfängen der Kaiser und Könige, dergleichen Nürnberg als Reichsstadt seit Jahrhunderten in seinen Mauern stets hochfestlich zu begehen gewohnt war. Diesmal aller­ dings wurde nur ein kleinbürgerlicher Mann der FTanzose Nie. Francois Blanchard, erwartet, immerhin aber „le plus celebre aeronaute“, wie er sich in echt französischer Bescheidenheit selber anpries. War zu Zeiten der Kaiser­ besuche die rnisera plebs, der kleine Mann in seinem Sensationsbedürfnis und der ihm eigenen Schaulust nicht immer auf seine Rechnung gekommen, so würde, hoffte man, an diesem Volksfest männiglich ■ genug zu staunen und zu sehen be-

238 kommen, da das angekündigte Ereignis sich über dem begrenzten Schaubereich enger Gassen, auf freiem Feld und in der Luft abspielen sollte: der erste Frei­ ballonaufstieg des wagemutigen Franzosen, der im Jahre 1785 bereits den Kanal in seinem Ballon überquert hatte und dem eben die Erfindung des Fallschirms gelungen war. Also wenige Jahre nach den ersten geglückten Ballonversuchen der Gebrüder Montgolfier (1782 in Anonnai) hatte sich die damalige freie Reichs­ stadt das in den Augen der Zeitgenossen unerhört merkwürdige Schauspiel einer Luftreise gesichert und kein Geringerer als Goethe hat in seinem Bericht an Lavater (Ende 1783) „die schier unglaubliche Tatsache fliegender Menschen“ be­ schrieben und sich begeistert darüber vernehmen lassen. Nun hat auch die erste Luftreise Blanchards in Nürnberg bereits durch Gustav Freytag im II. Band seiner „Bilder aus der deutschen Vergangenheit“ eine unvergängliche und ausführliche Schilderung erfahren, besonders was den eigent­ lichen Hergang des Luftexperiments anlangt. Freytag stützte sich bei seiner Wie­ dergabe in der Hauptsache auf die Beschreibung eines Augenzeugen, des Regens­ burger Schriftstechers und Kupferdruckers Johann Meyer, die 1787, mit vier Kup­ fertafeln illustriert, erschien. Meyer hat sich bemüht, im Bilde festzuhalten: 1. die Auffahrt selbst mit der staunenden Volksmenge, 2. die triumphale Rück­ fahrt des Ballons auf dem Wagen, 3. die Maschine zur Füllung des Ballons und Fallschirms und 4. den Grundriß des Platzes, von dem die Luftfahrt ausging. Es kann- zwar nun jedermann bei Freytag nachlesen und bei Meyer nach­ schauen, was ihn an dem epochalen Vorgang interessiert; aber es wäre schade, wenn er nichts erführe von den wertvollen ergänzenden Berichten, die einem Akt im Bayerischen Staatsarchiv Nürnberg entnommen sind, allerdings mehr auf die Vorbereitungen des Rates für die Veranstaltung Bezug haben, aber interes­ sante Schlüsse auf die Persönlichkeit des so gerühmten Luftschiffers Blanchard zulassen und ein ausgezeichnetes Bild der „Sorgen“ des Rates, der Stadt und ihrer Inwohner von damals geben. Es soll auch der geneigte Leser nicht um das vergnügliche Schmunzeln gebracht werden, mit dem er sicherlich die feder- und Zungenspitzen Auslassungen des Monsieur Blanchard, der ebenso kühn als pro­ fitsüchtig sich erwies, quittieren wird, besonders wenn er von dem nicht gerade rühmlichen Abschied erfährt, den Madame Blanchard von Nürnberg nahm. In den erwähnten Aufzeichnungen lesen wir zunächst, wie Nürnberg zu der „Ehre“ des Blanchardischen Luftexperiments kam. Nach Gustav Freytag, bzw. Meyer war Blanchard von Straßburg, wo er seine 26. Luftfahrt unternommen hatte, auf der Fahrt nach Leipzig (zum 27. Start) in Nürnberg eingetroffen. Viele vornehme Einwohner Nürnbergs hätten ihm vorgeschlagen, nach seiner Auffahrt in Leipzig wieder nach Nürnberg zu kommen und hier zum 28. Mal in die Lüfte aufzusteigen. Blanchard soll zugesagt und versprochen haben, während seines Leipziger Aufenthalts in Nürnberg eine Subskription zu eröffnen, um sich durch die Verpflichtung geld- und einflußreicher Leute, d. h. durch Zeichnung eines festen Betrages eine Mindesteinnahme für seine Vorführung garantieren zu lassen. Tatsächlich verhielt es sich so, daß Blanchard sich auf seiner Durchreise in Nürnberg bei einem nicht minder geschäftsgewandten Wirt, dem Gastgeber Johann Wilhelm Roth im Roten Roß einlogiert hatte, den man in der Folge als den besten Manager für Blanchard und sein Unternehmen kennen lernen wird, und daß glaublich die erste Abrede und Planung einer Ballonfahrt in Nürnberg zwischen diesen beiden gut aufeinander abgestimmten Männern getroffen wurde. Von ihm, dem Wirt zum Roten Roß. stammt denn auch die Eingabe an den Rat der Stadt um Genehmigung zu der für den 5. November 1787 geplanten 28. Luft­ reise Blanchards. Mit Ratsverlaß vom 14. 9. 1787 wurde das Gesuch mit folgen­ dem Wortlaut verbeschieden: „Dem Rothen Roßwirth, Johann Wilhelm Roth, ist in seinem Gesuch, dem berühmten Luftschiffer Blanchard die Erlaubnis zu einer mit Anfang des Novem­ bermonats allhier vorzunehmenden Luftfahrth zu ertheilen, zu willfahren, jedoch, daß solches an einem Ort außer der Stadt geschehe und diesfalls hiervon noch weitere Anzeige zur fernerer oberherrl. Bestimmung gemachet werde.“



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Damit hatte der Rat die förmliche Bewilligung zu dem Experiment erteilt; sein. Interesse und seine Verantwortungsfreudigkeit tat er durch die unmittelbar fol­ genden Erlasse und Maßnahmen kund. Er setzte sofort eine besondere Kommis­ sion oder, wie es damals hieß, Deputation für die Vorbereitungen ein, bestehend aus den drei Genannten des Rates, 0. J. Haller von Hallerstein, I. A. Imhoff von und auf Heimstatt und E. E. J. L. Geuder von, und zu Heroldsberg. Die Herren Deputierten stürzten sich mit wahrem Feuereifer auf die ihnen übertragene ehrenvolle Aufgabe, wie der von ihnen erstattete Tätigkeitsbericht mit weitausholenden Vorschlägen an den hochlöblichen Rat ausweist. Nach ihrem Gutachten sei es die vornehmste Pflicht des Rates, für eine reibungslose Durch­ führung der Auffahrt zu sorgen, den zu erwartenden außergewöhnlichen Zustrom von Fremden und Schaulustigen aufzufangen, den Verkehr in geregelte Bahnen zu leiten, ausreichende Verpflegung und Unterkunft sicherzustellen und auch den Aufenthalt der Zugereisten nach Möglichkeit angenehm zu gestalten. Im Einzel­ nen gelte es, in der Stadt polizeiliche Maßnahmen zu treffen, Ordnung in den Straßen und auf dem Schauplatz zu halten durch Abstellung und Einteilung von Absperrungs- und Kontrollmannschaften, Schließung und Üeffnung der Stadttore festzulegen, für die noch im Argen hegende öffentliche Beleuchtung Anstalten zu treffen durch Anbringung von Laternen und Aufstellen von Pechpfannen, weiter durch das Unschlitt- und Ochsenamt den Ankauf von Fleisch — u. a. von 50 fet­ ten „polnischen“ Ochsen — besorgen zu lassen, die Landpflegeämter Gräfenberg, Hersbruck und Altdorf zur Lieferung von Bier und Geflügel anzuhalten, wie diese auch sonst bei feierlichen Empfängen königlicher und kaiserlicher Majestäten jeweils beisteuern mußten, die Handel und Gewerbe treibenden Bürger der Stadt in Ansehung und Erwartung außerordentlicher Verdienst- und Gewinnmöglicfikeiten zur Aufstellung von Verkaufsbuden aufzufordern und insonderheit durch geeignete Organe die Preise überwachen zu lassen. Ferner wurde an eine Er­ weiterung und Vermehrung der ersten Plätze im Opernhaus für die Fremden und an weitere „denen Fremden zur Behinderung alles Raisonnements zu verschaffende Divertissements“ gedacht sowie eine Besprechung mit dem Schießgrabenwirt Scherzer abgehalten „wegen anzustellender Assembleen und Picknicks“. Auch wurden dem Roten Roßwirt mit Ratsverlaß vom 14. 10. 1787 auf Ansuchen zur Unterhaltung der eintreffenden Fremden drei Redouten genehmigt. Im übrigen hatten die Vorschläge der Herren Deputierten am Samstag, den 13. 10. 1787, die volle Billigung des Rates und die Genehmigung zur Ausführung erhalten. Mehr Arbeit und Kopfzerbrechen als die gewiß von Umsicht und Vorsicht zeugenden Maßnahmen bereitete der Deputation die Auswahl eines für den Bal­ lonaufstieg geeigneten Platzes. Der erste Vorschlag im Protokoll vom 13. 10. befaßte sich mit der Verlegung der Veranstaltung auf den Viehmarktplatz, der aber wegen der Felder und der „gefährlichen Holzstoß“ als ungeeignet befun­ den wrurde. Dann dachte man daran, die sogenannte Vogelstange (Vogelwiese), auf der das Armbrust- und Bogenschießen abgehalten zu werden pflegte, her­ zurichten und mit Hilfe von Brettern einen amphitheatralischen Aufbau zu schaf­ fen. Auch dieser Plan wurde wegen des „anziehenden Waldes“ fallen gelassen. Mit dem von Blanchard selbst gemachten Vorschlag, die Vorführung auf der Insel Schütt beim „Fechthauß“ stattfinden zu lassen, war Herr von Geuder nicht ein-, verstanden, da er Komplikationen in dem bebauten Stadtteil befürchtete und des­ halb lieber einen Platz außerhalb der Stadt zu wählen proponierte. Auch durch die von Blanchard hartnäckig vorgetragenen Bedenken und Vorstellungen, „weil er der bey gegenwärtiger Jahreszeit in der unteren Atmosphäre herrschenden contrairen Winde wegen doch immer wenigstens einen zwischen denen Wind­ zügen nicht zu stark ausgesetzten . . . Platz choisiren müßte“, ließ sich die Deputation nicht umstimmen. Dann wurde das Für und Wider der Veranstaltung in der Kaserne abgewogen, ebenso der Schießgraben und die Teutschherrnwiese zur Wahl gestellt, aber Monsieur Blanchard lehnte bockbeinig oder, wie er sagte, aus wohlerwogenen „technischen“ Gründen ab. Nicht ungeschickt plädierte er immer wieder für einen Platz im Stadtinnern und mit kaufmännischem Instinkt

240 suchte er die Ratsmitglieder kirre zu machen, indem er ihnen vorstellte, welch enormen Vorteil die Geschäftsleute und von ihnen wieder der Stadtsäckel von .einem Schauspiel „intra muros“ haben würden, und war mit bestechenden Bei­ spielen aus anderen Städten flink zur Hand. Bis zum 22. Oktober aber wußte man noch nicht, wo die auf anfangs Novem­ ber anberaumte Auffahrt vor sich gehen sollte und erst in der Ratssitzung dieses Tages gelang es, in pleno eine Einigung zu erzielen und den Judenbühl endgültig als die geeignete Schaustätte zu bestimmen. So ganz beiläufig hatte es Blanchard in den Verhandlungen mit den Rats­ mitgliedern auch verstanden, seine Wünsche bezüglich eines Präsents seitens der Stadt geschickt vorzutragen. Er legte der Deputation einfach die Berichte über seine Auffahrten in anderen deutschen und ausländischen Städten und seine Er­ fahrungen mit dem Publikum und dem jeweiligen Stadtregiment auf den Tisch. Zwei dieser „Relationen“, und zwar der Bericht über die 20. Luftfahrt in Ham­ burg am 23. 8. 1786 und die 21. Luftreise in Aachen am 9. 10. 1786, die in Uebersetzung erhalten sind, sind es wert, im Abdruck (Anlage 1 und 2) beigenommen zu werden, da sie in mehr als einer Hinsicht durch die Erwähnung der Ballon­ fahrten in Brüssel, London, Rotterdam, Lille, Frankfurt/Main, Gent und Douay interessant und besonders aufschlußreich für die Methoden sind, deren sich Blanchard zu bedienen beliebte, um Städte und Leute, die um ihren Ruf besorgt sein mußten, seinen Wünschen gefügig zu machen. Daß man im Rat den Wink mit dem Zaunpfahl sehr wohl verstanden hatte, erhellt aus dem Ratsverlaß vom 23. 10. 1787 an das Losungsamt: „Bei Gelegenheit der vorkommenden Blanchardischen Luftfahrth wurde erteilt, dem Blanchard zu erkennen zu geben, daß er sich vonseiten eines hiesigen Publici keines Presentes zu versehen habe.“ Prompt legte daraufhin die Deputation dem Rat folgenden Bericht vor: „Ge­ mäß dem Rathsverlass wurde durch den Wirth vom Rothen Ross Blanchard mit­ geteilt, daß er sich keines Geschenkes von seiten des hiesigen Publici zu ver­ sehen habe. Nun aber hätte er darüber schon allerhand und angemessen zu hören gegeben und ausserdem sei zu befürchten, daß, wenn man Blanchard ganz ohne obrigkeitliches Dougeur von hier Weggehen lasse, er nach seiner bekannten spitzi­ gen Schreibart, nach welcher er bishero Niemanden geschont hat, sich zum Nach­ theil hiesiger Stadt annoch unangenehme Aeußerungen erlauben würde.“ Wie der Rat darauf reagierte, ob er sich die Bedenken der Herren Depu­ tierten zu eigen machte, die doch den Monsieur Blanchard bestens kennen muß­ ten, oder ob er nach der Vorstellung spontan vor Begeisterung umgefallen ist, davon später. ln welchem Maß die Nürnberger Geschäftsleute der Aufforderung zur Er­ richtung von Verkaufsständen nachgekommen sind, ist aus dem Bericht des Rugsamtes vom 20. 10. 1787 zu lesen, wonach „bereits 3 Flaschner, 2 Zirkelschmiede, 1 Bortenmacher, 1 Papiermachedosenmachcr, 2 Allobasterer, 2 Zuckerbäcker und 1 Bürstenbinder Boutiquen aufgeschlagen haben“. In der Bevölkerung war die Spannung auf das zu erwartende Schauspiel — geschickt genährt durch die Betriebsamkeit des Roßwirtes und durch von Blanchard selbst lancierte Nachrichten über die Schwierigkeiten des Unterneh­ mens — aufs höchste gestiegen, da platzte wie eine Bombe in die vor Erregung fiebernde Stadt die Mitteilung, daß man Rat und Stadt ob des für Blanchard be­ kundeten Interesses in der Presse verunglimpft habe. Gerade am 29. 10. 1787, dem Tage also, an dem die Polizeiverordnung, die im Abdruck (Anlage 3) bei­ genommen ist, im Senat decretiert worden war, erschien in der „Vaterländischen Chronik“ ein Artikel des Wiirttembergischen Hofdichters und Theaterdirektors Christian Friedrich Daniel Schubart, der erst am 11. Mai desselben Jahres nach zehnjähriger Festungshaft auf dem Hohenasperg in Gnaden die Freiheit wieder erlangt hatte, folgenden Inhalts: „Diese graue, um Kunst, Handlung und Wissen­ schaft hochverdiente, durch Aristokraten niedergebeugte — in Schulden, Mut­ losigkeit und verächtlicher Stille versunkene Stadt erwartet den Luftsegler



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Blanchard in ihren Mauern, der für baare Carolins und Laubthaler, vermutlich von der Halierwiese aufsteigen, sich zu Ferrenbach niederlassen, in einer Schleife zurückkehren, das Geld einstreichen und in Straßburg den Nürnberger Witz per­ siflieren wird.“ Diese Notiz zeugt davon, daß der Hang zu gehässiger. Kritik und Satire in dem Mann noch ungebrochen herrschte. Der Nürnberger Rat nahm die Belei­ digung keineswegs tatenlos hin und erwirkte, daß Schubart durch die Württembergische Regierung einen strengen Verweis mit Androhung einer weiteren Frei­ heitsstrafe einstecken mußte. Offenbar wollte Schubart hauptsächlich den Fran­ zosen treffen, der, wie ja auch Gustav Freytag erwähnt, wiederholt die Ziel­ scheibe des Spottes, boshafter Erdichtungen und Anrempelungen war. Die Deputierten trafen unbeirrt um die öffentliche Meinung und den Tages­ streit ihre Vorkehrungen für den Auffahrtstag, den 5. November. Der Judenbühl wurde entsprechend in Stand gesetzt, die Zahl und Auswahl der Absperrungs­ mannschaften auf „2 Offiziere, 3 Feldwebels, 16 Korporale, 36 Gefreite und 183 Gemeine mit insgesamt 219 Feuergewöhren“ bestimmt. Der 29. Oktober war nun schon scheinbar für das ganze Unternehmen ein kritischer Tag; mußte doch der Gastgeber zum roten Roß, Johann Wilhelm Roth, folgende Nachricht ausgeben und verbreiten lassen: „Die äußerst trübe Witterung, der langanhaltende Regen, die dadurch unbrauchbar gemachten Wege und ent­ standenen großen Gewässer machen es zur unvermeidlichen Nothwendigkeit, sowie in Absicht der fremden Herren Liebhaber zur Pflicht, die 28. Luftreise des Herrn Blanchard, welche Montags, den 5. November vor sich gehen sollte, auf Montags, den 12. November zurückzusetzen. Man versichert aber zugleich, daß alsdann die Auffahrt ganz ohnfehlbar geschehen wird und bezieht sich übrigens auf die letztere Nachricht.“ Mehr Beifall fand die am 3. November ausgegebene Nachricht des als Im­ presario fungierenden Wirtes, dem man darnach wohl das Zeugnis ausstellen darf, daß er den Kram verstand (siehe Anlage 4). Hierher gehörte nun die Schilderung Gustav Freytags über den eigentlichen Verlauf der Luftreise und den Eindruck, den diese bei den Nürnbergern hinter­ ließ. Seltsamerweise ist in den erwähnten Ratsakten hierüber nichts zu finden. Erwähnt dagegen ist ein Vorfall, der zu einer Haupt- und Staatsaktion auf­ gebauscht wurde, da der Kriegskommissarius und Hauptmann J. Braun den Platz durch eine Hinterpforte zu betreten sich erlaubt hatte, was ihm als eine Uebertretung der polizeilichen Vorschriften und gleichzeitig als eine Hinterziehung des Eintrittsgeldes sehr übel vom Rat ausgelegt wurde, so daß er sich zu einer um­ fangreichen Entschuldigung und Rechtfertigung bequemen mußte. Die Anzeige' scheint er vor allem pler rührigen Madame Blanchard, die die Eintrittsgelder zu kassieren sich bemühte, verdankt zu haben, und Madame Blanchard war eine streitbare Dame mit unbestritten französischem Temperament. Wie nun Blanchard doch zu einer solennen Ehrung durch den Rat und zu einem Präsent seitens der Stadt kam, mit dem er sogar wohl zufrieden sein konnte, das. ist in dem Bericht der Herren Deputierten also niedergelegt: „Nach­ dem Monsieur Blanchard, Citoyen de Calais et de plusieurs autres villes par adoption, Pensionaire de S. M. Chretienne et Correspondant de plusieurs Academies, 14. November 1787 .vormittags um halb 12 Uhr in der Haußvogtey auf dern Rathauss erschienen und die Stadtfahne von weissem Taffet mit darauff gemahlten drei Nürnbergischen Wappen, mit welcher Er seine 28. Luftreiße den 12. dieses vollendete, zum Angedenken überreichte, wurde Ihme namens eines hochlöbl. Rathes allhier eine rothseidene, mit Silber... durchwürkte Goldbourse mit sechs goldenen Medaillen, jede sechs Dukaten schwehr, so allhier. von dem Müntzmeister Riedner zum Gedächtnuß dieser berühmten Luftreiße ge­ prägt worden, zum Present übergeben. Wofür Er den verpflichtetsten Dank erstattete und seine Zufriedenheit über dieses Geschenk sowohl als für die vor­ zügliche Polizeyanstalten und genossenen hiesigen Schutz auf das verbind16

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lichste gegen die auf gestellte Ratsdeputation, Herrn Christoph Andreas im Hof von und zu Markthelmstatt und Herrn Christoph Karl Joseph Ludwig Geuder von und auf Heroldsberg darlegte, welches hiemit ad Acta bemerkt wird." Der Abdank der Ratsdeputation und das noble Geschenk der Stadt scheint ganz den Erwartungen des ehrgeizigen und profitlichen Franzosen entsprochen zu haben. Jedenfalls hat er es mit der Abreise nicht sehr eilig gehabt; befand er sich doch noch am 18. und sogar am 27. 11. 178/ im Quartier beim Roten Roßwirt. Man erfährt das aus den Notizen im Handakt, zu denen Madame Blanchard die Veranlassung gab, die eine zungenfertige und leicht reizbare Dame gewesen sein mag und deshalb während ihres Aufenthaltes in Nürnberg von sich reden machte. War nämlich eines Tages die Putzmacherin Müllerin, eine Nürnberger Bürgersfrau. vorm Rat erschienen und hatte Beschwerde zu Protokoll gegeben gegen die femme Blanchard, daß diese ihr, der Müllerin, unterstellet habe, sie hätte von einer ihr gebrachten Haube die wertvollen Spitzen abgeschnitten und behalten. Der Rat fand das Vorbringen der Müllerin gewichtig genug, um den Rathscanzellisten Isaac Pfahler abzuordnen mit dem Auftrag, Madame Blanchard einzuvernehmen. Der Beauftragte des Rats begab sich also ins Quartier der femme Blanchard, wo er dieselbe bei .ihrem Mann in einem Bett liegend antraf. Die Dame habe sich auch in ihrer negligeanten Situation durch sein Erscheinen durch­ aus nicht beirren lassen, bemerkt der biedere Pfahler einigermaßen erstaunt. Zur Sache erreichte der Canzellist eine Ehrenerklärung der Madame Blanchard, die sich von ihrer Hand geschrieben bei den Akten befindet und der Müllerin offenbar genügen mußte. Sie lautet: „La femme Blanchard : Je declare imposteurs, ceux qui ont dit, que j’avois comprornis la reputation de Madame Müller, Madame de Mode, j’assure, que je n’ai aucun reproche ä lui et que la personne, qui declare porter temoignage contie moy, sont des menteurs ou des gens, qui faut de bien comprendre la langue franqaise ont mal interprete mes paroles. En foy de quoi» j’ai signe le 18. 11. 1787," Dem gewissenhaften Chronisten verdanken wir noch die Kenntnis von einer zweiten schrulligen Affäre durch ein Protokoll vom 27. Nov. 1787 : „Johann Wilhelm Roth, Wirtb zum Rothen Ross, gibt zu Protokoll, daß Madame Blanchard sich eine Stichverletzung beigebracht habe in die rechte Brust, es seien aber nicht mehr denn zwei Blutstropfen geflossen, so daß es nicht angezeigt erschien, einen Chirurgum zu rufen. Monsieur Blanchard, der durch den Kellner benach­ richtigt wurde, zeigte sich nicht sehr bestürzt, als wäre er an dergleichen Auftritte und Intermezzi schon gewöhnt. Ohne sich weiter aufzuregen, ließ er des anderen Tages Madame Blanchard durch einen Lohnkutscher, dem er 26 fl. gab, nach Stutt­ gart bringen, wobey er ihr 50 Charel d’or behändigte, um sie über ihren Schmerz zu trösten. Offenbar hat es sich um eine Eifersuchtsszene, gehandelt." Daran hatte der Rat sicher nicht mehr gedacht, daß die Veranstaltung auch noch ein diplomatisches Nachspiel haben könnte, als das am 26. 11. 1787 abgefaßte Protestschreiben der Regierung Seiner hochfürstlichen Durchlaucht des Burg­ grafen von Nürnberg aus Bayreuth eintraf: „Ünsere freundlichen Dienste zuvor. Edle, vest und wohlweise, besonders liebe Herren und Freunde! Mit nicht geringem Befremden haben wir vernommen, dass die Herrn und Freunde bey der am 12. dieses von dem bekannten Blanchard auf dem ohnweit dero Stadt Nürn­ berg gelegenen sogenannten Judenbühl vorgenommenen Auffahrth sich haben beygehen lassen, den für die Zuschauer eingefaßten Platz mit einem Comanndo regulirter Soldaten besetzen zu lassen und sich dadurch eineBefugniß anzumassen, die nur dem hiesigen Hochfürstlichen Hause Brandenburg, als welchem alle Territorial-Superiorität über ersagte Gegend bis an dero Stadt Mauer einzig und allein zugehört, ganz unläugbar zugestanden hat. Gleich wie'Wir dahero nicht nur gegen diesen so unbefugten als vorsetzlichen Eingriff iii die diesseitig hoch­ fürstlich Brandenburgische Gerechtsame hiermit feyerlichst protestiren und dem hiesig hochfürstlichen Hauß Brandenburg dagegen alle Rechtszuständigkeiten aus­ drücklich Vorbehalten, sondern auch von Denenselben die Ausstellung hinlänglicher

243 Reversalien de non präiudicando nec amplius turbando hierdurch anbegehren, dass Dieselben sich künftighin aller dergleichen so geflissentlichen Beeinträchtigungen der diesseitigen incontestablen Gerechtsame gänzlich enthalten und Uns dadurch von Selbsten der unangenehmen Nothwendigkeit entheben werden, dergleichen unjustificirlichen Eingriffen mit gebührendem Nachdruck entgegenzutretten. Die Wir übrigens Uns allerseits der göttlichen Gnaden Obhut empfehlen. Datum Bayr-euth, den 26. November 1787. Sr. regierenden Hochfürstlichen Durchlaucht zu Brandenburg, Burggrafen zu Nürnberg ober- und unterhalb Gebürgs, Unseres gnädigsten Fürsten und Herrn verordnete würkliche Ministres. Geheime Rath und Regierungspräsident wie auch VicePrasident, dann Geheime und Regierungsräthe daselbst [folgen 10 Unter­ schriften].“ Wie sehr wenig ernst der Rat die reichlich schwülstige und geharnischte Beschwerde aufnahm, das bezeugt die Tatsache, daß er sich erheblich Zeit ließ, darauf zu antworten; denn erst aus dem Ratsverlaß vom 17. März 1788 ist zu entnehmen, daß sich der Rat in nicht gerade untertäniger und erschütternd höf­ licher Form gegen die Anschuldigungen und Anwürfe wehrte. Es heißt darin kurz und bündig : „Das Reprotestschreiben an die Bayreuther Regierung ist abzulaßen. Darin hat der Rath sich kein Blatt vor dem Mund genommen und die Anmassung als einen Bewei'ß der jenseitigen immerfortgehenden Zudringlichkeit zu­ rückgewiesen.“ Mögen damit die Akten über den „Fall Blanchard“ endgültig abgeschlossen sein, tot geschrieben aber ist der Mann heutigentags noch nicht; dem Namen nach und irgendwie in der Vorstellung der Nürnberger lebt er weiter in Volkes-Mund: „Schau ner den on, wöi der rumhupft, wöi der Blanschart.“ Anlage 1

Auszug aus der Relation Blanchards über die 2 0. Luft­ fahrt in Hamburg am 2 3. August 17-8 6. Zu Brüssel verlangten die Liebhaber einen zweyten Versuch. Ich entschloß mich dar zu und hatte das Vergnügen, für diesmal mehr Zuschauer als das erste Mal versammelt zu sehen, aber nur nicht in meiner Umfassung. Man hatte die Bemerkung gemacht, daß der Wall die Schonung des Beutels sehr begünstige, und sähe dahero solchen mit den reichsten Persohnen, welchen eine Unterzeich­ nung wohl folglich etwas leichtes gewesen wäre, von allen Seiten besetzt. Aber von diesen besonders gut plazierten Persohnen wurde mir ein Verzeichniß über­ geben, weiche, weil sie keinen Platz in meiner „Umfassung“ (verschlossener Be­ zirk) nehmen wollten, solchen in meinem Haupt - Tagebuch nehmen werden müssen. In London habe ich viel Geld verloren; die letzte Probe, welche ich in der eite machte, und zwar ausdrücklich für den Lordmaire machte, wurde mir durch diesen Herrscher mit einem großen Glas Branntwein bezahlt (me fut payee d’une gründe verre d’ eau de vie par ce Souvenir). Meine Auffahrt für den Stadthalter zu Haag (ä la Haye) kostete meinem Beutel 6500 livres. Zu Rotterdam gleichen sich Einnahmen und Unkosten. Ueber Lille habe ich mich nicht zu beklagen, im Gegenteil genoß ich von dem dortigen Magistrat unglaubliche Ehrenbezeugungen. Zu Frankfurt machte ich einen guten Handel. Die Stadt Gent verdiente wohl einen Ballon von 6 Zoll im Durchschnitt. Dafür kann ich mit der Stadt Douay äußerst zufrieden sevn, denn der verehrungswürdigste Magistrat sowohl als der Adel erwiesen mir Ehre und Gütigkeit genug. In Hamburg traf ich den 10. August ein. Eine mich erwartende Welt Men­ schen deckte das Ufer der Elbe. Man empfing mich mit heißester Inbrunst und zärtlichster Sorgfalt (on me recut avec beaucoup de zele et d’ empressement) und begleitete mich in das Londoner Gasthauß. Noch den nemlichen Tag besuchte ich das Schauspiel, wo ich unter Händeklatschen vom Parterre begrüßt wurde. 16*



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Man führte mich in allen ansehnlichen Gesellschaften und allen freundschaft­ lichen Zusammenkünften ein (dans toutes les bonnes compagnies et dans tous les cercles). Der verehrungswürdige Senat zeichnete sich gegen mich auf eine sehr glän­ zende Art aus. Nichts wurde mir angeschlagen. Um Wünsche vollbringen zu können, durfte ich sie nur liegen (je n avais qu ä desirer pour qu’ on executät). Der lag des Versuches war bestimmt, der Platz ausgewählt, der verehrungs­ würdige Senat gab seine Befehle. Eine sehr geräumige umtassung tune vaste enceinte), mit Bänken, Erhöhungen und allen zu meiner Beschäftigung (Operation; erforderlichen Nothwendigkeiten (les accessoires necessaires) versehen, war in drey lagen hergestellt. Auch bis auf die geringsten Kleinigkeiten sorgte man für mich. Man sähe Wagen (chariots) und Wassermaschinen (les pompes de la ville) der ganzen Stadt in Bewegung, um mir das nöthige Wasser heröeizuschaffen. Ja, ich kann mit Wahrheit sagen, dass alle Herren des Käthes die rühm­ lichste Sorgfalt für mich trugen. Es wurde eine sehr ernstliche und vollkommene Ordnung eingehalten, nach welcher sich alles richtete, und den 23. früh sähe man die Truppen unter Gewehr (sous les armes en grande tenue;. Vierzehnhundert Mann, theils Dragoner, theils Fußvolk, bedeckten meine Umfassung (gardaient mon enceinte), und überall herrschte die trefflichste Ordnung. Um halb 5 Uhr kündigte von den Wällen der Stadt eine Canone, dergleichen schon zweymal von dem Pavillon zum Signal abgeleuert wurde, meine Abfahrt an. Ich ließ mich auf einer Ebene vor dem Altonaer Thor nieder, woselbst zwölf abgeschickte Drago­ ner mit dem Säbel in der Hand eintrafen und mich von der Zudringlichkeit des Volks befreyten. Indem der Ballon leer wurde, so stieg ich in meinen Wagen und man be­ gleitete mich im Triumph zur Stadt hinein. Ich besuchte das Schauspiel, wo man mich erwartete. Wiederholter Beyfallszuruf war mein Empfangen. Ich ging ins Feuerwerk (au feu d' artifice) und verfügte mich nach diesem zu seiner Ex­ zellenz der Frau Gräfin von Beinkenke, um daselbst zu speisen. Verpflichtet, an dem benannten Tag abzufahren, konnte ich solches nicht bis zur Ratsversamm­ lung aufschieben. Ich hatte die Ehre, dem Herrn Aldermann von de Sienck als erstem Bürgermeister die Stadtfahne zu überreichen. Seine Herrlichkeit nahm sie statt des ganzen Rathes mit aller derjenigen Gütigkeit, durch welche mich diese illustre Iviagistratspersohn verherrlichte, an und versicherte mir, daß sie bei der ersten Ratssitzung auf dem Rathhauß verwahrlich aufbehalten werden sollte und dass man nicht ermangeln werde, mir den Beweiß der größten Zufrie­ denheit zu geben. Anlage 2

Bericht von der 2 1. Luftreise in Aachen am 9. Oktober 178 6. Den 5. September verfügte ich mich nach Aachen. Die Liebhaber, welche sich für den Fortgang dieses Versuches interessierten, nahmen alsbald als gute Bürger das Beste der Stadt in Betrachtung, zweifelten aber gar nicht, dass mich die Inwohner mit Undank bezahlen würden. Nach zweytägigem Verweilen bei der Einnahmestelle sah ich, daß man mich auf einen irrigen Weg engagirt hatte. Indessen wollte ich nicht zurücktretten; die Personen, welche mich durch ihre Versprechungen und Versicherungen einer gewissen, wiewohl mittelmäßigen Un­ terzeichnung hieher zu kommen bewogen haben, wären in der größten Verlegen­ heit, mir auch nur den vierten Theil davon zu verschaffen. Um sie endlich aus ihrer Unruhe zu reissen, entliess ich sie ihres Versprechens, belastete mich mit einer Subskription und wollte mich selbst ohnbedenklich allem Schaden aussetzen. Aber das, was ich vermuthete, traf richtig ein: der größte Theil von der ohnedies geringen Anzahl derjenigen Personen, welche diese Subskription unter­ zeichnet hatten, hielten sich für berechtigt, von ihrer auf Ehre gegebenen Ver­ bindlichkeit abzustehen und zahlten nichts; gewiss aber wussten sie sich freye Plätze auszusehen. Diesen glückte es auch würklich, denn man sähe die Frau Baronin von Goeta, eine der reichsten Damen der Stadt, mit ihrem Herrn Sohn

245 den Boden (un grenier) unter einem Dach vor meiner Operation besteigen, da­ selbst sie für ein paar Schillinge, die sie dem armseligen Eigentümer gab, alle die Handgriffe sah und dabey 2 Kronen ersparte. Madame de Ker Hesse sich auf den Wall tragen. Der Herr Baron de Frenzo von Schlenderhan und sein ganzes Hauß nahmen in ihren Wagen Platz. Aber Monsieur Callenbach, der feinste, welcher sich gar wohl vorstellte, dass man die Operation in der Nähe unter­ suchen müsste und welcher ein Zeuge in dem wichtigsten Augenblick seyn wollte, in welchem der Luftsegler dem irdischen Wohnplatz entsteigt (ou 1’ aeronaute abandonne le sejour de la terre), und den nicht gesehen zu haben der größte Ver­ lust ist, liess sich auf eine sehr geschickte Art die Ziegel von einem benachbarten Dach aufdecken und ersparte sich und seiner Familie für etliche elende Schil­ linge, die er dem armseligen Besitzer gab, die Unterzeichnung. Wollte ich hier alle diejenigen Personen nennen, die sich auf eine so niedrige Art bekannt ge­ macht haben, so fände ich kein Ende. Ihr Verzeichniß aber bleibt ein Schatz für ineine Sammlung. Demgegenüber konnte ich mit den Herrn des Käthes sehr zufrieden seyn. Meine Auffahrt war pünktlich auf zwey Uhr angekündigt. Der Herr Hertzog von Kumberland, dessen Befehlen ich mich mehr als das eine mal fügte, Seiner Königlichen Hoheit alle Vorbereitungen und nöthigen Handgriffe des Versuchs zu erklären, hatte ein Zimmer für 4 Personen gemiethet. Er kam gegen ein Uhr — und um geschwinde. auf der Stelle zu seyn, ließ er das Thor einsprengen, drückte alles, was ihm im Wege war, zu Boden und hatte keinen andern Nach­ theil davon als selbst alles wieder in Ordnung zu bringen — stieg darauf in den Garten, um mir zu sagen, dass er mit der Frau Hertzogin da wäre und ich nun abfahren sollte. Aus dem Lärmen habe ich die Ankunft Sr. Königl. Hoheit be­ merkt, aber der Schlag 2 Uhr war bestimmt und ich konnte, ohne dem Pub­ likum mein Wort zu brechen, meine Abfahrt nicht unternehmen. Nach dieser er­ haltenen Ordre bildete ich mir ein, dass S. Königliche Hoheit mich in Rücksicht des erlittenen Verlustes ansehnlich beym Eintritt durch ein Geschenk von 3 — 400 Louisdor sehadloß gehalten haben würde. Ich ruite daher meinen Secretaire, welcher mir berichtete, dass dieser grosse Prinz an der Pforte 4 Billets mit 2 Louisdor, wie jeder gemeine Mann, würklich bezahlt und noch überdieses seine Bedienten frey hätte hineingehen lassen. Nach meiner Rückkehr zu Aachen Hessen mir die versammelten Herren des Magistrats am Thor sagen, dass sie mich in corpore auf dem Rathhauß erwarteten. Augenblicklich veriügte ich mich dahin, um ihnen mit der Stadtfahne meine demüthige Aufwartung zu machen. Diese Herrn nahmen sie mit aller Huld an und plazirten dieselbe ailsogleich in dem großen Rathaussaal, mir aber presentierten sie hierauf den Ehrenwein in dem Pokal Karls des Großen. Ja, um mir ihre Zufriedenheit recht sehr an den Tag zu legen, so knüpften sie an die Reihe ihrer Gütigkeiten ein Geschenk von einer sehr schönen, mit der Kette versehenen Uhr, welches alles in einem Gehäuß ver­ schlossen war. Diese sehr verehrungswürdigen Magistratspersonen giengen so­ gar soweit, mir zu versichern, dass mir, wenn die Stadt sich in anderen Umstän­ den als jetzt befände, die erlittenen Verluste gewiss ersetzt worden wären. Ich hielte mich aber auch beym Schlüße dieser Rathssitzung durch das mir ertheilte Bürgerdiplom (par les lettres des citoyen), mit dem ich beehrt wurde, sattsam sehadloß. Die schmeichelhaften und Eindrucks vollen Complimente, welche mir durch diese würdigen Rathsglieder gemacht wurden, bewiesen mir zur Genüge, dass Sic die Talente besser als gewisse Einwohner dieser Stadt zu schätzen wissen. Nachher war ich mitten unter diesen Herrn im Tanzsaal und beym Schauspiel. Anlage 3

Mandat anläßlich der Blanchard sehen Luftfahrt. Decretum in Senatu den 29. Oktober 1787. Es hat Ein Hochlöblicher Rath des H. R. R. freyer Stadt Nürnberg bey Ge­ legenheit der aus verschiedenen beweglichen Ursachen Herrn Llancliard auf dem

246 sogenannten judenbühl vor hiesiger Stadt erlaubten Luftfahrt zu Erhaltung guter Ordnung und möglichster Vermeidung Vorkommen könnender Unglücksfälle, auch zu fernerer Fortsetzung der alten Preiße aller benöthigten Lebensmittel und zu Steuerung des Uebernehmens eigennütziger Personen gegen fremde und ein­ heimische Anwesende verschiedene nützliche Veranstaltungen getroffen und dahero auch denen’ Gastwirthen, bey Vermeidung ernstlicher Bestraffung, die zu beobachtende billige Behandlung der Fremden in Ansehung der Zimmer, Better, Kost an Speiße und Getränk, Stallmieth und Fütterung auf das nachdrücklichste anbefohlen. Wann nun aber verschiedene Puncte Vorkommen, welche dem Publico bekannt zu machen für nothwendig befunden werden, so hat man folgendes Regulatif zu jedermanns Wissenschaft und Nachachtung zu bringen ohnermangeln wollen. 1. ) An dem Tage der anzustellenden Blanchardischen Luftfahrt wird das Vestungs-, Thiergärtner- und Hallerthor ganz verschlossen bleiben und also Nie­ mand aus- und eingelassen werden können, hiegegen nur das Lauffer-, Wöhrder-, Frauen-, Spittler- und Neue Thor bey Tag eröffnet werden. 2. ) können alle Kutschen und andere Fuhrwerke, auch Reuter, so der Blanchardschen Luftreise Zuschauer zuführen, zu jedem erstbenannten Thore hinaus passiren, wo sie wollen, jedoch bey keinem anderen Schanzposten in den Judenbiihl eintretten als bey dem sogenannten Schmausengarten; im Rückweg aber wird keinem Fuhrwerk oder Reutenden der Eingang zu einem andern Thor in die Stadt als zum Laufferthor verstauet, wohin ebenfalls der Weg durch den Schanzposten bey dem Schmausengarten zu nehmen ist. Hingegen sollen 3. ) alle gehende Fussgänger zu Vermeidung alles Schadens und Unglücks durch den Heroldsberger Schanzposten hinaus auf den Judenbühl und wieder hereinpassiren und bey dem Wöhrderthiirlein eingelassen werden, jedoch wann jemand den Weg um den Stadtgraben herum oder zum Neuen Thor herein für bequemer halten würde, demselben es unverbotten seyn. 4. ) Würden sich aber einige Personen oder Reutende und Kutschen biß nach dem Thorschluss verspäten, so sollen um die Zeit des Thorschlusses auch das Wöhrderthürlein verschlossen werden und alle in die Stadt passirenden Per­ sonen, Wägen und Pferde theils durch das Lauffer-, theils durch das Neuthor n die Stadt eingelassen werden und dahcro jedermann von der gewöhnlichen Zeit an das Einlassgeld bey den beiden Thoren wie sonsten bei dem Wöhrder- und Hallerthtirlein bezahlen. 5. ) Alle Kutschen und Fuhrwerke werden durch reutende Posten, wie sie anders nicht sogleich zurückiahren, bey ihrer Ankunft Nummern erhalten und sodann angewiesen werden., in der Ordnung, wie sie anlangen, den geraden Weg an dem sogenannten Schallershof vorbey, hinter der sogenannten Deumenten wieder herwärts, so wie die autgestellten Säulen den Weg zeigen, von dem Platz sich wegzubegeben und in gleicher Ordnung hintereinander zu stellen haben, damit der Platz den weiters herbeyfahrenden ungehindert offen bleibt. Diejenigen Kutschen aber, welche, wie oben gedacht, sogleich wieder zurückfahren wollen, werden innerhalb des Schanzpostens bey dem Schmausengarten hal­ ten müssen und die herbevgeführten Personen sich gefallen lassen müssen auszusteigen, weil ausser dem Schanzposten 'auf dem Judenbühl umzuwenden wegen besorgender Gefahr und Unordnung nicht verstattet werden kann. Mithin wird das Vorfahren, Umwenden auf dem Platz und überhaupt alles, was Unordnung oder Gefahr verursachen könnte, Niemandem zugestanden werden. Wie denn alle hier anwesenden fremden hohe Herrschaften und die zu dem Craißtag accreditirte fürtreffliche Gesandschaften ersucht und hiesige Bürger und Inwohnere ernstlich erinnert werden, ihren Kutschern anzubefehlcn. dass sie diese bloss auf die allgemeine Sicherheit und gute Ordnung abzielende Verfügungen genau beobachten, auch überhaupt sowohl auf dem Hin- als Rückweg langsam und vor­ sichtig fahren, damit weder sie Selbsten noch andere durch sie Schaden nehmen. Und da

247 6.) alle Kutschen und Fuhrwerke durch den Schanzposten bey dem Schmau­ sengarten geraden Wegs zu dem Laufferthor zurückpassiren müssen, so werden dieselben nach den Nummern und in der nemlichen Ordnung, wie sie einmal stehen, von der sogenannten Deumenten auf den Judenbühl hinzufahren, von den reutenden Posten wieder entlassen werden, damit auch gleiche Sicherheit wie bei dem Anfahren beobachtet werden kann. Was nun 7.) die reutenden Zuschauer betritt, so sollen alle Reutpferde durch einen sich ebenfalls bereit findenden reutenden Posten auf dem bestimmten Platz, nemlich gerade gegen dem Schallershof über auf dem grossen Platz zwischen der Heroldsberter Landstrasse und dem angewiesenen Fuhrweg für die herbeifahrenden Kutschen am Ende des Judehbühls, Halte zu machen angewiesen, an keinem an­ dern Ort zu Vermeidung von Unordnung und Unglück aber nicht geduldet wer­ den. So wie sich 8.) ein Ilochlöblicher Rath von allen denen, welche sich mit Bidets eine Entree in den von Herrn Blanchard eingefangenen Platz (für dessen Bequemlichkeit der­ selbe ohnedies Sorge tragen wird) verschaffen, alles, was zur guten Ordnung und Stille etwas beytragen kann, ohnehin gewiss verspricht, also erwartet Der­ selbe auch von den übrigen auf den weiten Plätzen rund herum versammelten Zuschauern, dass sie auch bey dieser Gelegenheit alle Ordnung und Mässigung selbst alsdann noch beweisen werden, wenn wider alles Vermuthen die so oft schon bewährt gefundene Luftfahrt des Herrn Blanchard aus irgend welchem Zu­ fall, dem doch alle Menschenunternehmungen unterworfen sind, vereitelt werden oder der gefassten Meinung nicht entsprechen sollte. Es wird dahero noch die Warnung hinzugefügt, daß, daferner sich Jemand nicht selbst bestreben würde, gute Ordnung zu beobachten und sich durch unartiges Geschrey oder anderen Unfug, auch durch Verletzung und Besteigung der Bäume oder Verderbung der Felder auf und um den Judenbühl her um sträflich betragen würde, derselbe nach Beschaffenheit der Umstände ohne Ansehen der Person arretirt und empfindlich bestraft werden soll. 9.) ist auch zur Vorsicht und im Fall, weiches Gott gnädig verhüten wolle, jemand auf diese oder jene Art beschädigt würde, die Vorsorge geschehen, einen Chirurgum nebst Gesellen und Verbindzeuch auf den sogenannten Schallershof zu bestellen, damit niemand wegen Entfernung von der Stadt verwahrlost werde, so wie 10.) auch in der Stadt selbst durch genaue Aufsicht und hinlängliche Wachen und Patrouillen alle nur möglichen Sicherungen veranstaltet werden. Und da man 11. ) in Erfahrung gebracht hat, dass verschiedene Personen allerley Getränk und Eßwaren an dem lag der Blanchardischen Auffahrt zur Erholung auf dem Judenbühl darbieten sollten, so werden alle diejenigen hießige Bürgere und Schutzverwandten in der Stadt und denen Vorstädten, welche dergleichen zu verkaufen verlangen, angewiesen, sich bey der aufgestellten Löblichen Raths­ deputation zu melden, damit sie die benöthigten Zeichen erhalten und an schick­ liche Plätze verwiesen werden können, außerdem mit dergleichen Feilschaften Niemand zu&elassen werden wird. Damit aber endlich 12. ) Niemand ohne Noth sich allzulange der freyen Luft aussetzen dürfe, so werden durch verschiedene Böllersignale sowohl .die Füllung des Ballons als die Auffahrt des Herrn Blanchards angekündet werden, somit zwo Stunden vor der Auffahrt mit 3 Böllern, eine Stunde vor derselben mit 2, eine halbe Stunde vorher mit einem und in dem Punct der Auffahrt mit vier Böllern das Zeichen gegeben werden, wornach sich also zu richten und vor Schaden, Nachtheil und Strafe zu hüten jedermänniglich wohlmeynend gewarnet und erinnert wird. Decretum in Senatu den 29. Oktober 1787.

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Anlage 4. Nachricht. 3. N o v. 1 7 8 7. Gleichwie in Absicht der auf Montag, den 12. November festgestellten 28 ten Luftreise des Herrn Blanchard von hoher Obrigkeit die zur Erhaltung der Ord­ nung und Sicherheit erforderlichen öffentlichen Polizeyanstalten bereits durch Druck bekannt gemacht worden sind: als hat hingegen der Unterzeichnete die Ehre, dem Publikum folgendes zu benachrichtigen: 1) Um in Absicht der Preise alle Bereitwilligkeit zu zeigen, gern jede Ctasse von Ständen an diesem erhabenen Schauspiel Theil nehmen zu lassen, mache ich hiermit bekannt, dass die Errichtung eines Balkons überhaupt nach Beschaffenheit des Platzes nicht thunlich gefunden worden ist, 2) die Billets in meinem Hauße noch am Tage der Auffahrt, ja noch am Ein­ gang bey der Casse um den und zwar nachstehendermassen hiermit unabänder­ lich festgesetzten Preiß, nemlich für den 1. Platz zwey Laubthaler und den zweyten Platz ein Laubthaler abgegeben werden. 3) habe ich eben daher entschlossen, noch innerhalb der zu dem Ende be­ trächtlich erweiterten, bretternen Umfassung einen dritten Platz ä einen Gulden Rheinisch und einen vierten Platz ä 24 Kr. zu errichten. 4) Die Billets zum 3. Platz sind ebenfalls jeder Zeit in meinem Hauß und am Eingang an der Casse zu haben. 5) Zum 4. Platz erhält man keine Billets, sondern wird bloss um die Be­ zahlung eingelassen. 6) Wer Billets vom 1., 2. und 3. Platz besitzt, zeigt sowol an der Casse und denen innerhalb zur Anweisung der Plätze angestellten Personen vor und werden die Herren gebetten, solche auf die Hüte zu heften, die Damen aber auf selbstbeliebige Art vorzuzeigen, daß sie alsdann frey hin- und wiedergehen können. 7) Auf dem 1. & 2. Platz sind Sitze hergerichtet, auf den übrigen aber wird man sich gefallen lassen, zu stehen: weil das Mitbringen der Seßel Unordnung veranlassen könnte. 8) Die Zeit und Stunde, wann mit der Füllung angefangen wird, so wie die Zeit und Stunde des Ansteigens wird bekanntlich durch Böllerschüsse be­ kannt gemacht werden; vorläufig gedenkt man nur soviel, daß mit der Füllung ohngefähr um 9 Uhr vormittag angefangen und die Auffahrth also ohngefähr um eilf Uhr geschehen würde. Obgleich jeder Freyheit hat, seinen Platz zu lassen, so bittet man doch, sich immer wieder auf denjenigen Platz zu verfügen, für den man bezahlt hat und in dem man eingewiesen ist, um alle Unannehmlichkeiten zu vermeiden. 9) Man bittet ingleichen keine Besorgnis wegen Gedränges innerhalb des Platzes zu hegen und in dem Augenblick der Auffahrth sich ruhig zu verhalten,, indem die äusserste Vorsicht gebraucht wird, damit jedermann, auf welchem Platz er auch sey, den weiteren Flug des Herrn Blanchard bequem und ohne einige Gefahr beobachten kann. Nürnberg, am 3. November 1787. Johann Wilhelm Roth, Gastgeber zum rothen Roß. (Quelle: Staatsarchiv Nürnberg, Akten des Losungsamts L. 149 Nr. 8)



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Das Eindringen der Wölfischen Philosophie in Nürnberg.

Von Archivdirektor D. Dr. Karl Schornbaum. Gegen Ende des 18. Jahrhunderts zog auch in Nürnberg, wie im übrigen Deutschland, der Geist der Aufklärung ein. Ein seichter Eudämonismus be­ herrschte Hoch und Niedrig mit seltenen Ausnahmen. Es sei erinnert an Chr. Gg. Junge, Joh. Hch. Willi. Witschel, Karl Val. Veillodter. Wie wäre es sonst möglich gewesen, daß, ohne große Erschütterungen hervorzurufen, viel von lang­ hergebrachten kirchlichen Einrichtungen, wie Feiertage, Privatbeichte, Exorzis­ mus, vor allem das ganze den Fremden an die katholische Kirche stark erin­ nernde gottesdienstliche Leben dahinsank? Wem ists zu verdanken, daß diese Geistesbewegung, die ja den Hallenser Professor Christian von Wolff zum Be­ gründer hat, auch im Gebiete der alten Reichsstadt heimisch wurde? Naturgemäß lenkt sich der Blick nach Altdorf. Die Nürnberger Universität war auch dazumal nicht ohne'Einfluß auf die Geisteshaltung des ganzen Fran­ kenlandes, 1731 — 1742 wirkte daselbst als Professor der Mathematik und Phy­ sik Michael Kelsch1). Er hielt aber auch philosophische Vorlesungen, wie er es schon nach seiner Habilitation 1720 getan hatte. Seine Antrittsrede: de mathesi philosophiae vindice läßt dies ja deutlich erkennen. Er blieb schon zu Lebzeiten etwas unbeachtet; man ahnte wohl nicht, welche Bedeutung er für das ganze Land gewinnen sollte. Er war ja der erste, der auf dem Lehrstuhl die Ideen Wolffs in Altdorf vortrug. Es geschah nicht ohne Widerspruch von Seite der Theologen2), doch wissen wir darüber bis jetzt noch nichts. Noch weniger aber über den Weg, wie nun diese Anschauungen sich in der breiten Masse des Landes Bahn schufen. Klar ist aber, daß dies wieder nur durch das Wirken einzelner bedeutender Persönlichkeiten ermöglicht werden konnte. Auf eine der­ selben möchte im Folgenden hingewiesen werden. Diese Sour findet sich an einer Stelle, wo man es wohl nicht ohne weiteres erwartet. Der bekannte G. A. Will entwirft im 4. Bände seiner Niirnbergischen Münzbelustigungen im 42. Stück vom 17. Okt. 1767 (Altdorf 1767, S. 331 — 338) folgendes Bild eines echten evan­ gelischen Geistlichen: „Man fordert von dem Theologen ein sanftes und lieb­ reiches Wesen, das in den Ernst des Mannes, der die Tugend ausübt und ver­ breitet, nicht aber in eine Hitze übergeht, die selten gut und noch seltener nötig ist. Eine wahre Gelehrsamkeit muß ihn von den gemeinen Geistlichen, die dorten nur Messe lesen und hier nur predigen, unterscheiden; und diese Gelehrsamkeit muß auf Philosophie und Sprachenkenntnis und Historie und schönen Wissen­ schaften ruhen. Sie, die theologische Gelehrsamkeit selbst, muß sich weit über das compendiarische Wissen erheben; sie muß ganz vertieft sein in die For­ schung der heiligen Schriften, der Quelle des Christentums; sie ist bewandert in den Kirchenvätern und älteren Theologen, die ihr meist schätzbarer sind als manche neuere, zumalen wenn diese nichts tun, als Methode und Schreibart und manchmal gar den Glauben ändern. Dabei geht ihr immer die Kritik zur Seite, hilft ihr mit forschendem, tief eindringendem Auge die Auslegungen göttlicher Wahrheiten prüfen, auf die geprüften und bewährten ein wahres System des Glaubens und Lebens bauen und die Irrtiimer finden. Diese suchet der Gottes­ gelehrte auf, ohne sich vor dem Namen des Verketzerers zu fürchten; er wider­ legt sie aber auch mit Gründlichkeit und Liebe, die einander die Wage halten, nicht mit Bann und Verdammung. Er schwört nicht leichtsinnig und heuchlerisch auf Schriften, die Zeichen und Unterscheidungen der Wahrheit und Irrtümer sind. Sein Schwur ist ihm kein Mittel zur Nahrung und Glück, sondern zur immer bes­ seren Ueberzeugung, deren Folge er auch schon war. Seine Predigt ist Jes^s allein und dessen allervortrefflichste Sfttenlehre, Allzeit bewegend manchmal sanft, manchmal stark rührend ist sein Vortrag, der wie Wasser dahinfließt, ercmicket und fortreißt. Keine Nebenstunde, deren er bei der Sorg’e für Amt und Seelen ohne­ dem wenige hat. ist der Eitelkeit und untheolngischen Vergnügen geweihet. Er wendet sie zu Arbeiten des Geistes nicht d^s Leibes und Handels an; er denkt, er sucht Wahrheiten, er mißt Größen, und seine Muße macht ihn, auch ohne

250 äußerlichen Beruf, zum Lehrer der - Weisheit. Sein Wandel ist seiner Lehre, die Lehre seinem Denken und Herzen gemäß, und sie alle sind vortrefflich und himmlisch. Er hat in der Einförmigkeit seines Lebens auch nur ein einziges Gebot, das königliche und höchste, die Liebe, und durch diese beobachtet er alle Gesetze.“ Der Geist der Aufklärung ist hier vollkommen zum Ausdruck gekommen; man fühlt es aber auch, wie ein solches Wirken entscheidend für die weitesten Kreise werden mußte. Für Georg Andreas Will ist es aber nicht nur ein Ideal; er kennt den Mann, in dem dies alles Wirklichkeit war: den'Nürnberger Geist­ lichen Joh. Mayer. „Kaum ein Zug von diesem Charakter wird in dem Bild des seligen Mayers vermisset“ sagt er. Joh. Mayer8), Kind des Barchentwebers Christoph Mayer, war am 2. August 1697 in Nürnberg geboren. Trotz seiner Armut gelang es ihm zu studieren. 1723 wurde er in den Zirkel der Nürnberger Kandidaten aufgenommen, 1/25 Katechet im Zuchthaus und in der Augustinerkirche, 1727 Vikar bei St. Clara, 1728 Früh­ prediger bei St. Walburg, 1729 Pfarrer in Schwimbach-Wengen, 1732 Diakon an der Spitalkirche, 1738 Diakon bei St. Lorenz, 1741 Prediger bei St. Clara, 1749 Senior. Er starb am 4. Sept. 1760. Man könnte nun vielleicht die Frage aufwerfen, ob sich nicht G. A. Will beim Rückblick auf die Vergangenheit ein zu ideales Bild von diesem Manne gemacht hat. Konnte er es ihm doch nicht vergessen, wie er seinem Vater, dem Diakon M. G. Andreas Will bei St. Lorenz, der am Ende seines Lebens von vielem Leid heimgesucht worden war, oft genug tröstend beigestanden war4). Aber nicht ohne inneren Grund sagt er: „Ein Mann, den ich loben darf, weil er tot ist; den ich loben muß, Weil er es verdiente; und den ich loben will, weil er ein Freund meines Vaters und Hauses war.“ Ohne Grund wäre dem Manne ein solcii schnelles Vorwärtskommen bei der Ueberiülle von Kandidaten in der damaligen Zeit nicht möglich gewesen. Bezeichnend ist auch, daß — als durch sein Vor­ rücken auf die Diakonatsstelle bei St. Lorenz die Pflicht der Teilnahme am regel­ mäßigen Predigtturnus für ihn entfiel —■ der Rat ihn, um seine Predigttätigkeit nicht missen zu müssen, noch besonders mit der Predigerstelle bei St. Clara betraute. Es war den Tatsachen entsprechend, wenn Will berichtet: „Seine Ge­ lehrsamkeit war ungemein fein und tief, eine philosophische, mathematische, philologische und theologische, eine so vorzüglich als.die andere.“ „Er war ein Meister und Muster im Predigen, der ganzen Stadt bekannt und durch die sanfte und liebliche Art des Vortrages gar beliebt.“ Seine Zuhörer, die sich aus allen Teilen der Bevölkerung zusammenfanden — Gelehrte, denkende Menschenkinder, der gemeine Mann hörten ihn gerne — konnte ja oft die Kirche nicht fassen. Will hat nicht zu viel wohl gesagt, wenn er sein Urteil zusammenfaßt: „Man wird es bei uns sobald nicht vergessen, mit welchem Segen und Beifall Mayer hier gelehrt hat.“ Nur seine Bescheidenheit hatte es abgelehnt, die akademische Laufbahn zu ergreifen. Was war aber der Geist, in dem er predigte? Schon die Schilderung, die G. A. Will, der ja auch ein volles Kind seiner Zeit geworden war, von ihm ent­ wirft, gibt eindeutige Auskunft. Die neue Zeit hatte in ihm einen ihrer besten, edelsten Vertreter gefunden. Einer seiner Predigtjahrgänge, ein Buch, „das sich weit über Postillen erhob, begierig gekauft und gelesen wurde“, trug den Titel: „Die Erkenntnis der Klarheit Gottes in dem Angesicht Jesu Christi“ (1747. 4°. Nürnberg). Es sollte die Vorarbeit zum 2. Teile sein, der die Gleichheit des sündlosen Menschen mit dem Angesichte Jesu Christi darstellen sollte. Beide Teile sollten seine Auffassung von der Gottmenschheit Jesu darlegen. Die Formu­ lierung schon zeigt, daß hier neue Lehrweisen zum Ausdruck gekommen waren. Wie war er aber ein Künder einer neuen Zeit geworden? Als er 1717 die Universität Altdorf bezog, ward er ein Schüler des obengenannten Professors Kelsch. „Kelsch, der erste, der die Wolffische Philosophie bei uns zu lehren sich Mut und Eriaubnis nahm“, überzeugte Mayer von ihrem Wert und machte ihm

251 Lust, selbst zu Wolffens Füßen zu sitzen“ sagt Will. Er ging auch wirklich nach Halle und hörte den Meister sowohl wie dessen Gegner. Aus dem Hörer ward ein Anhänger. Als er nach Abschluß der Studien als Kandidat in Nürnberg weilte, trug er als allererster „Wolffs Weltweisheit und verschiedene Teile der Mathematik nach dessen Schriften und Grundsätzen vor“. Diesem Geist ist er auch nach dem Obigen treugeblieben; die kurze Zeit der Teilnahme an einem exege­ tisch - homiletischen Colloquium bei dem Prediger von St. Egidien D. Joh. Jakob Pfitzer 5) * 2wird 3 4 keinen großen Einfluß mehr bedeutet haben. So ist denn Joh. Mayer6) einer von den Männern gewesen, die Wolffs Ge­ danken in der alten Reichsstadt die Bahn brachen; ihm ists wohl auch zu verdan­ ken, wenn es in so edler Form geschah, die man bei den drei am Anfang genann­ ten Hauptverrretern dieser- Richtung immer rühmen wird, und wenn die Triviali­ täten anderer Orte ferngehalten wurden. Diese Zeilen wollen aber den Blick richten auf eine noch unerforschte Periode der Geschichte der alten Reichsstadt, die aber wert ist, erhellt zu werden. 0 G. A. Will, Nürnbergisches Gelehrten-Lexikon, Nürnberg und Altdorf 1756, II, 278 f. — Fortsetzung von Chr. Conr. N o p i t s c h, Altdorf 1805, VI, 199. — Allg. Dt. Biographie 15, 596. — Elias von Steinmeyer, Die Matrikel der Universität Altdorf, Würzburg 1912, II, 95; 1713 in Altdorf immatrikuliert. 2) G. A. Will, Geschichte und Beschreibung der Niirnbergischen Universität Altdorf, Altdorf 1795, S. 106. Daraus E. Fr. Heinr. Medicus, Geschichte der ev. Kirche im Königreiche Bayern diesseits d. Rh., Erlangen 1853, S. 259, und Matthias Simon, Ev. Kirchengeschichte Bayerns, München 1942, II, 537. 3) Andreas Würfel, Diptycha ecclesiae Laurentianae, Nürnberg 1756, S. 156 ff., N. GUI. — G. A. Will, Gelehrtenlexikon II, 602; VI, 383. — Chr. Hirsch, Ministerium ecclesiasticum Norimbergense in urbe et agro jubilans, Nürnberg 1730, S. 132. — 1717 in Altdorf immatrikuliert (v. S t e i n m e y e r II, 369). 4) Würfel, 1. c. S. 153, N. CIL r>) Audi. Würfel, Diptycha ecclesiae Sebaldinae, Nürnberg 1756, S. 39, N. XV. *) Will bringt auch ein Bild von ihm: ..Eine feine Medaille auf einen rechtschaffe­ nen und gelehrten Theologen, den sei. Herrn Johann Mayer in Nürnberg“. Die Uhren der Peter - Henlein - Schau in Nürnberg.

Von Konservator Dr. Kurt Pilz. Gelegentlich der Peter - Henlein - Schau, die vom 6. bis 11. September 1942 im Nürnberger Rathaus stattfand, wurden zur Entwicklung der Taschenuhr vom 16. bis 19. Jahrhundert charakteristische Beispiele aus dem Germanischen Natio­ nalmuseum Nürnberg gezeigt. Die Taschensonnenuhren waren schon vielfach im Gebrauch, als Peter Henlein seine Zugfederuhr erfand. Zwei Uhren aus diese»* Frühzeit eröffneten die Reihe. Sie sind alter städtischer Besitz und waren wie wertvolle wissenschaftliche Instrumente ursprünglich in der Stadtbibliothek ver­ wahrt. Die eine Taschensonnenuhr aus Buchsbaumholz ist eine Horizontal- und Vertikaluhr zum Aufklappen. Sie ist ein Werk des Nürnberger Arztes, Astro­ nomen, Kartographen und - Kornpaßmachers Erhard Etzlaub (t 1532) und 1511 datiert. Die Horizontaluhr weist eine Bussole mit Angabe der Deklination auf, der Faden kann aut. verschiedene Polhöhen eingestellt werden, die italienische und nürnbergische Stundenteilung ist zum Vergleich angebracht, die Serien der Tag- und Nachtlängen folgen. Die Vertikaluhr gibt die Zollhöhen und die baby­ lonischen Stunden wieder. Auf der Außenseite der Horizontalfläche wird durch ein geometrisches Quadrat und durch einen Quadranten die Sonnenhöhe bestimmt. Die Außenseite der Vertikalfläche umfaßt eine Landkarte von Afrika und Europa,

252 die vom Aequator bis zum nördlichen Polarkreis reicht. Die andere TaschenSonnenuhr im Messinggehäuse ist 1526 datiert und wesentlich kleiner und hand­ licher. Die T aschenuhren in der Form des „Nürnberger Eies“ sind seit der 2. Hälfte des 16. Jahrhunderts'entstanden. Ein Nürnberger Ei aus Messing aus dieser Zeit oder um 1600 zeigt ein sehr kostbares durchbrochenes Gehäuse, aut dessen Rück­ seite das Wappen der Nürnberger Patrizierfamilie Scheurl, ein stehender Panther, dargestellt ist. Auf dem gravierten Zifferblatt befindet sich zweimal die Meister­ marke H. Eine andere messingvergoldete Taschenuhr in der Form des Nürn­ berger Eies ist bezeichnet Isaake Sy(m)es (der Name ist nicht vollständig zu lesen); sie gehört in die gleiche Zeit um 1600. Das Zifferblatt ist graviert, innen ist eine Stadtansicht dargestellt. Eine dritte gleichartige Uhr enthält im rück­ wärtigen Deckel noch eine Sonnenuhr. Zwei dosen'förmige Gehäuse von Halsuhren aus vergoldetem Messing stellen die nächste Stufe dar. Diese Art von Uhren wurde an einer reichen goldenen Kette getragen, wie das oberrheinische Bildnis eines vornehmen Herren v. J. 1567 (Germanisches Nationalmuseurn) zeigt. Das eine Gehäuse mit Zifferblatt und feh­ lendem Uhrwerk ist wahrscheinlich in Augsburg um 1560— 1570 entstanden. Es ist auf allen Seiten reich durchbrochen. Der obere Deckel weist Ausschnitte für die Zifferringe der großen und kleinen Uhr auf. An der Seitenwandung ist eine Hirsch- und Bärenjagd zu Fuß und zu Pferd dargestellt. Am Boden sind Hermen, Ornamente und Tierleiber zu sehen. Das zweite Gehäuse um 1580 ist wieder allseitig durchbrochen. Die Seitenteile mit Blättern sind einfacher, der obere Deckel enthält analoge Ausschnitte. Das spätere türkische Zifferblatt ist bezeichnet „Braun Wienn“, ein englisches Uhrwerk von Daniel Quare, London (1648 — 1724) kam im letzten Viertel des 17. oder 1. Viertel des 18. Jahrhunderts hinzu. Die seltene Forrp einer Taschenuhr in Buchform ist durch eine Arbeit von Michael Bumel, Nürnberg vertreten. Die Signatur auf der Rückseite des Werkes lautet: MICHEL BUMEL NURENBERG. Das Germanische Nationalmuseum be­ sitzt von Bumel ein 1626 datiertes astronomisches Instrument, wonach die Uhr um 1625 datiert werden konnte. Es tritt hier der seltene Fall ein, daß ein In­ strumentenbauer oder ein Uhrmacher auf diesen beiden Gebieten nachweisbar ist. Sicher kam dies sehr oft vor. Die Taschenuhr aus vergoldeter Bronze ist nach zwei Seiten hin aufklappbar. Das Werk kann herausgenommen werden. Das gravierte Zifferblatt weist die seitlichen Figuren des Adam und der Eva auf sowie Zifferringe mit den Angaben der kleinen und der großen Uhr; darüber befindliche Monats- und Sonnenringe und unten angebrachte Jahres- und Wochen­ tagsringe vervollständigen die kostbare Uhr. Auf den beiden Deckeln ist außen die Schmerzensmadonna und der Ecce homo graviert; innen ist eine Blumenvase in Punktiertechnik und der Kopf des Ecce homo in Lasurmalerei dargestellt. Die Uhren des 18. Jahrhunderts sind in ihrer Form wie auch in der äußeren Gestaltung kostbare Erzeugnisse. Eine T aschenuhr des Nürnberger Johann Leon­ hard Bommel (Anfang 18. Jahrhundert) hat ein silbernes Gehäuse; das silberne Zifferblatt ist graviert und das Mittelstück vergoldet. Das Uhrwerk mit dem Kloben weist die für die Barockzeit so typische reiche Art auf. Eine große sil­ berne Spindeluhr ist eine Arbeit des Daniel Quare in London (1648 — 1724) um 1720, der die Repetieruhr erfunden hat. Auf der unteren Platte des Werkes ist eine Emailmalerei mit einem Liebespaar befestigt. Außen herum ist ein Kranz mit roten und weißen Steinen angeordnet, wodurch die Uhr als ein kostbares Geschenk gekennzeichnet ist. Gerade sie war unter den ausgestellten Uhrwerken des 18. Jahrhunderts ein sehr schönes Stück. Eine andere Taschenuhr in silber­ nem Gehäuse ist die Arbeit des Londoner Uhrmachers Goldt aus dem 1. Viertel des 18. Jahrhunderts. Eine deutsche Uhr mit Repetierwerk um 1720 weist ein silbernes Gehäuse auf, das ausgeschnittene Blumen zeigt. Die Freude des Jahr­ hunderts an dem reich verzierten Beiwerk der Tracht macht sich hier bemerk­ bar. Die Spindeluhr von Johann Jacob Braun um 1760 liegt in einem vergol-

253 deten Gehäuse, das auf der Rückseite eine getriebene Schäferszene im Park atiweist. Eine Damenuhr in muschelförmigem Gehäuse, silbervergoldet, ist von einem Augsburger Fr. Xaver Feirer gearbeitet. Das kleine zierliche Werk war für die Trägerin ein besonderer Schmuck. Das 19. Jahrhundert war noch mit einigen deutschen Uhren vertreten. Ein Repetieruhrwerk mit ausgeschnittenem Blatt und sichtbarem Werk entstammt der Zeit von 1790 — 1810. Eine silberne Spindeluhr von 1810 —1830 zeigt über dem Zifferblatt ein Datumwerk für die Monatstage und außen eines für die Jahresmonate; dazu treten hier die Tierkreiszeichen. Das Zifferblatt ist noch mit Email­ malerei verziert, das eine Schäferin mit Ziege, Hund und Kuh in einer Land­ schaft darstellt. Eine weitere Spindeluhr um 1800— 1810 mit kleinem Zifferblatt weist auf der gravierten Platte zwei figürliche Ernailmedaillons auf. In der kleinen Schau zum Gedenken Peter Henleins wurden kostbare und wertvolle Uhren aus den reichen Beständen des Germanischen Nationalmuseums gezeigt. Die Entwicklung konnte daran sehr gut abgelesen werden. So ver­ schieden die Formen sind, immer wieder ist die Taschenuhr für den Besitzer ein schönes Werk gewesen. Ganz anders als heute haben die früheren Zeiten auch in den kleinen Taschenuhren einen schönen unvergänglichen Besitz gesehen und so dem Uhrmacherhandwerk die Gelegenheit gegeben, kleine Kunstwerke zu schaffen. Deutsche und ausländische Kunsthandwerker haben an diesen Uhr­ werken ihr großes Können gezeigt. Das Stadtarchiv Nürnberg und seine Bestände.

(Stand : 1. April 1944) Von Archivrat Dr. Werner Schultheiß. Im folgenden wird eine kurze Schilderung der Organisation des Stadtarchivs sowie ein knappes, übersichtliches „Inventar“ veröffentlicht.1)* Der Hauptzweck ist, zur Erleichterung des Geschäftsbetriebes Forscher, Behörden und wissenschaft­ liche Stellen genauestens mit den Beständen des Archivs nach dem gegenwärtigen Stand bekannt zu machen. Um zwecklose Anfragen zu vermeiden, sind die zur Zeit nicht benützbaren Bestände durch Beifügung eines Sternes (*) kenntlich gemacht. Das Stadtarchiv Nürnberg hat seine Dienststelle im Peilerhaus (Egidienplatz 23; Fernruf: Nürnberg 2824 Nebenstelle 308). Es hat die Aufgabe, das aus der städtischen Verwaltung oder von Privaten überkommene oder bei diesen an­ wachsende, für Nürnberg rechtlich und geschichtlich wertvolle Schriftgut (Urkun­ den, Akten, Rechnungen, Pläne usw.) auf zubewahren, zu ordnen und auszuwerten. Der Geschäftsbetrieb richtet sich nach der „Dienstanweisung“ (Direktorial­ verfügung vom 9. März 1938). Das Verfahren der Archivalienaussonderung und -Ordnung bei den Aemtern der Stadt Nürnberg legt die Direktorialverfügung vom 1. April 1935 im allgemeinen fest. Gute Erfahrungen machte das Stadtarchiv mit der durch das Reich angeordneten Neuregelung der Aufbewahrungsfristen im Rechnungswesen und mit der Festlegung des archivreifen und vernichtbaren Schriftgutes verschiedener größerer Dienststellen. Die Ordnung der Bestände er­ folgt nach dem Provenienzprinzip, das aber noch nicht überall durchgeführt wer­ den konnte. 14 Für die Archivbenützung gilt die „Bemitzungs- und Gebührenordnung“ (Direktorialverfügung vom 11/14. Mai 1938). Sie regelt das Verhältnis zwischen Amt und Archivbenützer und stellt die wenigen notwendigen Fälle der Gebühren­ pflicht fest. Wissenschaftliche, heimatkundliche und amtliche Anfragen werden, soweit sie heute noch erledigt werden können, kostenfrei behandelt. Die „Beratungsstelle für Sippenforschung“ im Stadtarchiv hat unter anderem die für den Nachweis der deutschblütigen Abstammung nöti­ gen Nachforschungen durchzuführen. Für diesen Zweck stehen ihr ausgedehnte

254 Karteien zur Verfügung2). Gegenwärtig müssen aber die Verbescheidungen auf das Mindestmaß beschränkt werden. Insbesondere muß die Bearbeitung schrift­ licher familiengeschichtlicher Anfragen nach der Weisung des Reichssippenamtes auf die Zeit nach Kriegsende zurückgestellt werden. Dem Stadtarchiv als der städtischen Forschungsstelle für Nürn­ berger Geschichte obliegt es, für die Stadtverwaltung geschichtliche Aus­ künfte und Berichte über Verwaltung und Stadtgeschichte zu liefern sowie die in Vorbereitung befindlichen Veröffentlichungen der Stadt, wie das „Nürnberger Urkundenbuch44 (1050—1400), die Quellen des Nürnberger Rechts (Satzungs­ bücher des 14.— 15. Jahrhunderts, Stadtrechtsreformationen 1469— 1564), das „Nürnberger Neubürgerbuch 1302 bis 1806/8“ und den „Atlas zur Geschichte Nürnbergs“ zu bearbeiten, die Siedlungs- und Baugeschichte Nürnbergs 3) zu er­ schließen und die Stadtchronik bis 1942 4) zu verwalten sowie die städtische Kriegschronik über die Ereignisse, die außerhalb des Bereichs der Stadtverwal­ tung vorfallen, anzufertigen. Das Stadtarchiv besitzt für Amtszwecke eine eigene Bücherei von etwa 3000 Bänden, die hauptsächlich Archivwesen, Geschichte und geschichtliche Hilfs­ wissenschaften umfaßt. Die meisten Werke zur Nürnberger Geschichte sind in einer rund 25 000 Karten umfassenden Schlagwortkartei, die nach den Grundsätzen des Münchener Schlagwortkatalogs planmäßig angelegt ist, der geschichtlichen Forschung zugänglich gemacht worden. Eine ab 1930 angelegte „Sammlung von Zeitungsausschnitten“ zur Geschichte Nürnbergs und Frankens ist der Archivbücherei angegliedert. U ebersicht über die Archivbestände * I. Archiv der Reichsstadt Nürnberg (13. Jahrhundert — 1806/8). Hauptteil im Staatsarchiv Nürnberg (Archivstraße 17). Urkunden bis 1400 im Bayerischen Hauptstaatsarchiv München (Ludwigstraße 23). Zahlreiche Stücke im Germanischen Nationalmuseum Nürnberg (Kornmarkt 1). Teile reichsstädtischer Aemterarchive im Landeskirchlichen Archiv Nürnberg (Tuchergartenstraße 7). A. Restbestand (vorläufig in systematisch-sachlicher Gliederung) be­ treffend Geschichte, Vermögen und Verwaltung der Reichsstadt: I. Stadtgeschichte (Chroniken usw.) II. Stadtbezirk und Territorium, „Ortsarchive“ (Archivalien verschiedener Provenienz über Orte des reichsstädtischen Territoriums) III. Bürgerschaft IV. Rats- und Aemterverfassung: 1) Organisation 2) Viertelordnung 3) Roths „Genanntenregister“ V. Staatsrechtliche Beziehungen zu Reichs- und Reichsstiinden: 1) Beziehungen zu Kaiser und Reich 2) Beziehungen zu den Reichsständen 3) Territorialstreitigkeiten VI. Hoheitsrechte und Ver­ waltung: 1) Mandate- und Druckschriftensammlung 2) Gemeinde­ vermögen 3) Finanzwesen 4) Bergwesen 5) Forst-, Jagd- und Zeidelwesen 6) Gericht und Recht 7) Polizei im einzelnen: a) Sicherheits­ polizei b) Lebensmittel- und Gewerbepolizei c) Gesundheitspolizei d) Armenpolizei e) Baupolizei f) Wasserpolizei g) Feuerpolizei 8) Wirtschaft und Handel 9) Kirchenwesen s. Stiftungsamtsarchiv 10) Schulwesen s. Stiftungsamtsarchiv 11) Heeres- und Kriegswesen. B. Archivalien über die Reichsstadt Nürnberg aus fremden Beständen: Die Reichsstadt Nürnberg betreffende Archivalien aus dem 1) kurfürstlich bayerischen Archiv in Hauptstaatsarchiv München 2) Archiv der Reichsstadt Windsheim (Schreiben- der Reichsstadt Nürn­ berg an Windsheim, 14. —18. Jahrhundert) 3) Archiv der Deutschordenskommende Nürnberg 4) Archiv des Klosters Heilbronn.

255 C. Einzelne reichsstädtische Aemter (Reste) : 1) Bancoamt 2) Bauamt (Akten, Pläne) 3) Bierbrauerdeputation 4) Bür­ ger- und Unbürgeramt: a) Neubürgerbücher 1740— 1808 und Bürgerlechlsakten ca. 1740— 1808 b) Bürgerrechtsaufgabebriefe 5) Getreide­ aufschlagsamt 6) Gostenhof, Pflegamt 7) Kastenamt 8) Landpflegamt 9) Losungsamt 10) Marktdeputation 11) Münzamt 12) Ochsen- und Unsehiittamt 13) Polizeidepartement 14) Rentkammer (Zimsmeister&mt) 15) Rugamt (Meisterbiicher 1700 — 1808 und Akten) 16) Schöffenamt 17) Stadtgericht: a) Stadtgerichtsbücher der streitigen und freiwilligen Gerichtsbarkeit (1475 — 18. Jahrhundert) b) Akten 18) Ungeldamt 19) Vor mundamt 20) Waag- und Zollamt 21) Waidamt 22) Waizenbräuarnt 23) Waldamt St. Sebald und Lorenz 24) Weg- und7 Stegamt 25) Zinsmeisteramt. II. Archiv der Stadtgemeinde (1808 bis Gegenwart). 1. Hauptregistratur: a) Hauptregistratur (Kommunal- und Kämmereiregistratur) * 1) 1818 bis 1828 -r Kommunaladministration 1808— 1818 * (z. Teil) 2) 1828 bis Gegenwart b) Sitzungsprotokolle des Magistrats, Polizeisenats, Verwaltungssenats, und der Ratsherren bis 1940 c) Sonderreihen über Ehrenbürger, Uebersiedlungs-, Ansässigmachungs-, Niederlassungs-, Bürgerrechts- und Verehelichungsgenehmigungen 1818 bis 1909, Heimatrecht 1828 —1913 Februar, Indigenate (Staatsbürgerrecht) 1836 — 1909, Ein- und Auswanderungen, Namensände­ rungen. 2. Archive einzelner städtischer Aemter: 1) Arbeitsamt 2) Archiv (Stadt-) 3) Armenpilegeamt s. Wohlfahrts­ amt 4) Hochbauamt: * a) Akten * b) Pläne 5) Ehemaliges Depositorium * 6) Einwohneramt (Kirchenbuchzweitschriften, Einwohner- und Fremden­ register) * 7) Feste und Ehrungen 8) Frauenklinik * 9) Gemeinde­ bevollmächtigtenkollegium (Akten und Protokolle) 10) Gesundheitsamt (Irrenakten) * 11) Gewerbeamt .(Kataster und An- und Abmeldungen) 12) Jugendamt (Vormundschaftsakten) 13) Krankenhaus (Krankenbücher und Akten 1808 — 1910) 14) Kunstsammlungen 15) Landwirtschaftsamt * 16) Leihamt 17) Nachrichtenstelle * 18) Personalamt (Personalakten) * 19) Amt für Reichsparteitage 20) Schulamt: a) Verwaltungsakten b) Personalakten c) Rechnungen d) Angegliederte Archive: Lokal­ schi! Ikommission, Bezirksschulinspektion e) Archive einzelner Schulen: Volkshochschule, Bauschule, * Handelsschule für Knaben, einzelne Volks­ schulen 21) Stadtkasse (Rechnungsamt) s. a. Depositorium 22) Standes­ amt (Akten bis 1900) 23) Statistisches Amt 24) Stadttheater (Theater­ intendanz) * 25) Stiftungsamt s. a. Stiftungsamtsarchiv 26) Tiefbauamt 27) Versicherungsamt 28) Werke und Bahnen (Elektrizitätswerk, Stra­ ßenbahn) 29) Wohlfahrtsamt:' a) Generalakten b) Unterstützungsakten (Einzelakten) * c) Armen(pflege)rat d) Kriegsfürsorge 1914 ff. (vgl. V 8) 30) Geschäftsstelle der Ratsherren (Archiv der NS. - Stadtratsfraktion 1925 — 1932). III. An die Stadtverwaltung abgegebene Archivbestände von Behörden', und: Stellen. * 1. Lokalkommissariat 1808 — V818 * 2. Polizeidirektion 1808 — 1818 *3. Stadtkommissariat 1818 — 1872

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4. Akten der Landratsämter (Landgerichte, Bezirksämter) Nürnberg, Fürth, Erlangen, Schwabach über die seit 1825 eingemeindeten Vororte (ca. 1790 bis 1930): * a) „Burgfrieden“ (ca. 1796— 1825) b) Landratsakten („Vor­ ortsakten“) (ca. 1825 — 1930) 5. Archive der einverleibten Vorortsgemeinden (17. Jahrhundert — 1938): Gemeindearchive Almoshof, Buch, Deutenbach, Eibach, Erlenstegen, Gibitzenhof, Gleißhammer, Großreuth h. d. V., Großreuth bei Schweinau, Höfen, Höfles, Kleinreuth h. d. V., Kraftshot, Laufamholz, Lohe, Mögeidorf, Reichelsdorf, Schnepfenreuth, Schniegling, Schoppershof, Schweinau, Steinbühl, Sündersbühl, Thon, Wetzendorf, Zerzabelshof und Ziegelstein. * IV. Archiv des Stiftungsamts (13.—20. Jahrhundert). Archive der Nürnberger Stiftungen und der säkularisierten Klöster und Kirchen. A. Stiftungsamt (Reichsstädtische und städtische Archivalien) 1) Salbücher und Kataster (= Foliantenreihe) 2) Akten und Amtsbücher: a) Wohltätigkeitsstiftungen: Generalregistratur (19. Jahrhundert), Aeltere und Neuere Spezialregistratur (14. — 20. Jahrhundert) b) Kultus- und Unterrichtsstiftungen (16.—20. Jahrhundert) 3) Rechnungen. B. Stadt- und.Landalmosenamt: 1) Stadtalmosenamt: a) Verwaltungsakten und Salbücher b) Einzelne Kirchen 2) Landalmosenamt (der größte Teil des Archivs liegt im Staatsarchiv Nürnberg und im Landeskirchhchen Archiv Nürnberg): a) Kestarchiv b) Inventare c) Salbücher (= Foliantenreihe). C. E i n z e 1 n e Klöster und Kirchen: I) Augustinerkloster 2) Barfüßerkloster 3) Aegidienkloster 4) Engel­ thal, Kloster 5) Frauenbrüderkloster 6) Frauenkirche 7) Gründlach, Kloster 8) Kartäuserkloster 9) Katharinenkloster 10) Klarakloster II) Lorenzkirche 12) Predigerkloster 13) Sebalduskirche. D. Einzelne wichtigere Stiftungen: 1) Almosen. Gemeines 2) Almosen, Reiches 3) Findel 4) Heiliggeist­ spital (Spitalamt) 5) Heiligkreuzspital 6) St. Jobst, Siechkobel 7) St. Johannis, Siechkobel 8) Elisabeth Kraußisciie Stiftung 9) Landauersches Zwölfbrüderhaus 10) Marthaspital 11) Mendelsches Zwölf­ brüderhaus 12) Muffelsche Stiftung 13) St. Peter, Siechkobel 14) Pfinzingsche Stiftung 15) Rietersche Stiftung . 16) Sebastianspital. V. Kriegswirtschaftsstellen (1914 ff,). Druckschriftensammlung städtischer und soustiger Stellen bei der Stadtbibliothek : 1) Altbekleidungsstelle 2) Demobilmachungsamt 3) Fleischverteilungsstelle 4) Futtermittel- und Mehlverteilungsstelle 5) Goldankaufstelle 6) Kinderhilfe, Nürnberger e. V. 7) Kommunalverband 8) Kriegsfürsorge (vgl. 11. 29 d) 9) Lebensmittelamt 10) Metallsammelstelle 11) Volksernährungs­ gesellschaft e. V. * 12) Wehr amt. VI. Kriegsarchiv und Kriegschronik (1939 ff.). 1) Kriegsarchiv (Druckschriften und Erlasse der Stadt) 2) Kriegschronik (Material und Berichte nichtstädtischer Herkunft).5) VII. Nürnberger Privat- und Behördenarchive (13. — 20. Jahrhundert). Stadt­ eigentum und Leihgaben.

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I) * a) Nürnberger Familien- und Patriziatsarchive, Nachlässe usw. (in abclicher Reihenfolge aufgestellt, insbesondere Familienarchive Cnopf, v. Grundherr, v. Löffelholz (Archiv, Bibliothek, Porträtsammlung), v. Kreß, König von Königsthal, v. Peiler, Seiler) * b) „Genealogica“ (Aufzeichnungen über Nürnberger Familien) A — Z * c) Nürnberger Geschlechter- und Wappenbücher. * 2) Nürnberger Haus- und Schloßarchive (Archive einzelner Häuser und Grundstücke in abc-licher Folge nach allen Ortsbezeichnungen oder neuen Hausnummern aufgestellt, insbeson­ dere Schloßarchive Neunhof bei Kraftshof, Gleißhammer, Hummelsfein) * 3) Handwerks- und Inntingsarchive (nach den Namen der einzelneni Hand­ werke in alphabetischer Reihenfolge aufgestellt) * 4) Archiv der „Handelskammer“ (jetzt Gauwirtschaftskammer Franken): Restarchive des Banco publico, des Genanntenkollegiums, der Marktherren und des Merkantilfriedens- und Schiedsgerichts, Ober- und Appellationsgerichts * 5) Nürnberger Wirtschafts- und Handelsfirmenarchive (11.—19. Jahr­ hundert) * 6) Nürnberger Vereinsarchive und -Schriften, besonders Archiv des Pegnesischen Blumenordens und des Vereins für Geschichte der Stadt Nürn­ berg , * 7) Landwehn egiment Nürnberg.

VIII. Archivsanimlungen. Verschiedene Archivalienarten, die aus technischein Gründen in eigenen Sammlungen oder Reihen aufgestellt werden mußten. 1) Urkunden (1050 bis Gegenwart) 2) Folianten (d. h. Amtsbücher von besonderer Größe) (14.—19. Jahrhundert) 3) Rechnungen (14.— 20. Jahrhundert) a) Reichsstädtische Aemter (16. Jahrhundert — 1806/08) b) Stadtkämmerei und Stadtkasse, städtische Aemter (1808 bis Gegen­ wart) c) Eingemeindete Vororte (18. Jahrhundert — 1938) d) Stiftungsamt (Wohltätigkeits- und Unterrichtsstiftungen) 14. — 20. Jahrhundert 4) Pläne (16.—■ 20. Jahrhundert) 5) Abbildungen 6) Adressen und Diplome 7) Bildstöcke (Klischees) 8) Medaillen und Abzeichen 9) Siegel (besonders Wachssiegel) 10) Siegelstempel (Metallstempel) II) Filme. Die städtischen Münzensammlungen werden im Germanischen Nationalmuseum Nürnberg verwahrt. Die „Gegenstände“, besonders Kunstgegenstände, werden in den städtischen Kunstsammlungen und im Germanischen National­ museum Nürnberg betreut; vor- und frühgeschichtliohe Gegenstände aus Boden­ funden werden durch die „Abteilung Vorgeschichte“ der „Naturhistorischen Ge­ sellschaft Nürnberg“ (Gewerbemuseumsplatz 4) aufgehoben und bearbeitet. *) Vgl. eine ähnliche Veröffentlichung des Verfassers im „Amtsblatt der Stadt der Reichsparteitage Nürnberg“ vom 8. und 11. Februar 1944 (Nr. 11/12). 17

258 *) Sippenkartei 1700— 1815 (Verkartung der Neubürger 1740 —1808, der Handwerksineisteraufniahmen des Rugarnts 1700—-1808, der Quartierlisten 1798 und 1801, der Hausbesitzerliste 1815). — Sippenkartei 1810— 1875 (Verkartung der Kirchenbiicherzweit- oder erstschriften der evangelischen und katholischen Pfarreien der Altstadt und der eingemeindeten Vororte (1810—1875) sowie der freireligiösen Gemeinde (1849 ff.)). — Verkartung der Fremdenregister 1852 ff. und der Heiratsakten der Standesämter der eingemeindeten Vororte 1875 ff. — Verkartung der Judenmatrikeln 1857 ff. — Kartei der Nürnberger Wappen und Porträts 16.— 18. Jahrhundert. 8) Hiefür liegen folgende Vorarbeiten und Sammlungen vor: A. Altstadt (innerhalb der „Stadtmauer“) 1. Uebersicht über die Siedlungs- und Baugeschichte der Stadt (Zeit- und Sachkartei) 2. Verzeichnis der Namen der Nürnberger Oertlichkeiten und Straßen von der Reichsstädtischen Zeit bis zur Gegenwart (Bände und Karteien) 3. „Nürnberger Häuserbuch“ (= Verzeichnis der auf die einzelnen Gebäude und Häuser bezüglichen Geschichtsquellen). Zettelsammlung. B. Stadtgebiet außerhalb der Ringmauern 1. Burgfrieden (Stadtgebiet außerhalb der Ringmauern bis 1825): Grund­ buch und Besitzgeschichte des Sebalder und Lorenzer Burgfriedens 15.— 19. Jahrhundert (Manuskript von Dr. Friedrich August Nagel) 2. Eingemeindungen von 1825 bis zur Gegenwart: Zeit- und Sachkartei' und Uebersichtsplan. 4) Die Stadtchronik umfaßt die im Aufbau begriffene Zeit- und Sachkartei für die Zeit von den Anfängen der Stadt bis 1800, die Bände der Ambergerschen Chronik Nürnbergs (1806— 1844) und der amtlichen Stadtchronik (1844— 1935) mit Schlagwortregistern sowie die Zeit- und Sachkartei für die Jahre 1936 bis 1942. Das Stadtarchiv erschließt außerdem karteimäßig die auf Nürnberg bezüglichen Nachrichten in mittelalterlichen und sonstigen Schriftstellern. Die laufende Stadtchronik und die Kriegschronik über die von der Stadtverwal­ tung veranlaßten oder beeinflußten bedeutsamen Vorgänge wird von der städt. Nachrichtenstelle bearbeitet. 6) Das Material städtischer Herkunft befindet sich bei der Nachrichtenstelle. Material über die Tätigkeit der NSDAP, im einzelnen wird im Archiv der Gau­ leitung Franken verwahrt.

BUCHBESPRECHUNGEN. Karl B o s 1 : Die Reichsministerialität als Träger staufischer Staatspolitik in Ostfranken und auf dem bayerischen Nordgau (^- 69. Jahresbericht des Histori­ schen Vereins für Mittelfranken, 1941). Die Ereignisse der lezten zehn Jahre haben viele Forscher angeregt zu Un­ tersuchungen über die Geschichte des Reiches, seiner Verfassung, seiner Zu­ stände und seiner Möglichkeiten. Der Reichsgedanke hat im selben Maße, wie er sich im Innern durch die Ueberwindung der Länder und nach außen durch die Heimführung von Millionen Deutscher ins Reich festigte, auch in der geschicht­ lichen Forschung an Aufmerksamkeit und Bedeutung gewonnen. In meiner Hei­ matgeschichte „Lauf — Schnaittach“ habe ich die Wechselbeziehungen dieser klei­ nen Landschaft zum großen Reich im Wandel der Jahrhunderte darzustellen ver­ sucht und bin dabei zu dem Ergebnis gekommen: Im ersten Reich der Deutschen (919— 1806) war das Schicksal unserer kleinen Landschaft zwar stets abhängig von den großen Ereignissen, die sich um Kaiser und Reich abspielten, die Bewoh­ ner dieser Landschaft nahmen aber am großen Geschehen nur geringen und mit­ telbaren Anteil, für sie dachte, beschloß, kämpfte und sorgte der Rat der Stadt Nürnberg oder — in der bayerischen Enklave Rothenberg — die kurfürstliche Regierung in München oder der Markgraf von Ansbach-Bayreuth usw. War das immer so? In der Frühzeit dieses Reiches, als der Name des Kai­ sers noch Gewicht hatte, da war gerade die Landschaft an der unteren Pegnitz ein dem Reichsoberhaupt besonders nahestehendes Gebiet. Die oben angezeigte Abhandlung von Bosl hat uns darüber ungemein wertvolle Erkenntnisse ver­ mittelt. Es ist für uns Heutige gewiß von Reiz, uns vorzustellen, wie es hatte wer­ den können, wenn .... wenn es das Schicksal mit uns besser gemeint hätte. Es war nicht die Schuld der Herrschenden im alten Reich, daß dieses schließlich zerbrach. Aber groß und noch für den heutigen Beobachter erhebend und er­ greifend war ihr Ringen um Einheit und Macht. In dem Büchlein von Bosl wird nachgewiesen, daß insbesondere die Staufer (Konrad III., Friedrich I., der Rot­ bart, Friedrich II.), ferne phantastischen Träumereien, gegen die Mächte, die den Zusammenhalt des Reiches im Innern bedrohten, eine sehr überlegte, sachliche und weitschauende Politik einschlugen: die Hohenstaufen unternahmen es, von ihren Hausgütern im Schwäbischen ausgehend, einen gewaltigen Riegel mitten durch Süddeutschland zu legen, indem sie die Güter des Reiches und ihrer Familie in Franken, namentlich um Nürnberg, mehrten und festigten, indem sie, wenn nicht ganze Herrschaften, so doch Rechte verschiedener Art hauptsächlich in der Oberpfalz, hinzuerwarben, erkauften, erheirateten, um schließlich im Vogt­ land und im Egerland ihre beherrschende Stellung zu sichern. Diesem Riegel, der vom Raum des Donauursprungs quer über das heutige Mittelfranken und die nördliche Oberpfalz bis nach Eger und darüber hinaus reichte, entsprachen zwei große Kraftlinien, die aus Nord- und Mitteldeutschland in das Egerland mündeten. Zwei Brennpunkte dieser staufischen Machtausdehnung in Süddeutschland hat die Forschung festgestellt: das Reichsgut um Nürnberg und das Stauferland um Eger. Wo das Reich und die Könige noch so festen Fuß fassen konnten wie in diesen beiden Gebieten, da muß es sich um jungbesiedelte Landschaften handeln. 1

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260 Als jungfräulicher, eben erst der Kolonisation erschlossener Boden gilt das Ge­ biet an der oberen Eger, als wenig berührt müssen wir auch noch die Reichs­ wälder um Nürnberg mit ihren Randsäumen auffassen. Hier gebot noch überall der König, keine fürstliche Macht verfügte hier über nennenswerten Einfluß. Die Nürnberger Reichsfeste schirmten ergebene Burgmaimen des Königs, auch die Verwaltung seiner Wälder lag in den Händen seiner ritterlichen Anhänger, die Straßen nach Ansbach, nach Augsburg, nach Eger und Prag sicherten Gefolgs­ leute des königlichen Herrschers. Allein die Straße von Nürnberg nach Böhmen war beiderseits der unteren Pegnitz von folgenden Reichsritterburgen begleitet : Erlenstegen, Mögeldorf (Unterbürg), Laufamholz (Oberbürg). Behringersdorf, Rückersdorf, Schönberg Lauf, Reichenschwand (?). Henrenfeld. Hinter Hersbruck, wo sich die Straße teilte, saßen Reichsministerialen an der Sulzbacher Strecke auf Neictetein, Ruprechtstein und Hartenfels (alle drei in der Hand einer verwandten TFmille). Im Bereich der Nürnberger Reichswälder lagen seit alters Königshöfe, große eigenbewirtschaftete Güter des Reiches. Solche Königshöfe sind aus der Zeit um 1300 nachgewiesen in Altdorf und Heroldsberg, in früherer Zeit lagen sie offenbar noch näher der Nürnberger Burg. Hier werden noch weitere For­ schungen aufklären müssen. In eben diesen, dem König gänzlich zur Verfügung stehenden Strichen treffen wir die Reichsdienstmanner gehäuft an; wo der Reichswald aufhört, im Pegnitztal also ungefähr von Lauf ab, werden auch diese Reichsritter seltener. Denn hier betreten wir älteren Kulturboden, der schon lange vor dem 12. Jahrhundert von weltlichen und geistlichen Gewalten, durch Eingriffe des Königs oder kleinerer Herren, aufgewühlt ist. Hier liegen die Dinge nicht mehr so einfach wie im Reichswald; hier sind schon vor mehr als 100 Jahren die großen Vergabungen an die Bamberger Kirche geschehen, die nicht einfach rückgängig gemacht werden können. Da muß sich der König mit einer Schutzherrschaft (Vogtei) über das dem Bischof eigene Land begnü­ gen. In weitsichtiger Politik hatten die Hohenstaufen sich von den Sulzbacbm Grafen die Anwartschaft auf die Bamberger Kircbmivogtei zu sichern gemußt. So übernahm Kaiser Friedrich Barbarossa 1188 nach dem Arssterben der Sulz­ bacher als wertvolles Erbe den Schutz der Bamberger Kirchengüter vWisrhiQn Pegnitz und Vils und gewann Hqrnit ein. freiü'ch erst noch aimzubauendes Binde­ stück nach den staufischen Besitzungen um Vilse^k und CreuUpn an der o^eron Naab und -im Egerland. ln diesem staufischen . Vogteüand“ leisteten Köni­ gen treue Dienste die Herren von Königstein und ihre Nachkommen, die Herren von Reicheneck. Das Euch von Bosl bringt eine Fülle neuer wissenschaftlicher Erkenntnisse und Beobachtungen. Wir danken dem Forscher für die Weitung unseres geschichtMchen Blickfeldes in einem Zeitraum der uns bisher einigermaßen dunkel erschien. Einige Lücken hätten freilich bei eingehenderer Behandlung des Ge­ genstandes wohl noch geschlossen werden können, ohne da^ wh behaupten wollte bei noch gründlicherer Heranziehung der einschlägigen Oue0en wäre der Forscher zu wesentlich anderen Erkenntnissen über die staufische ReichsministerialenDolitik gekommen. Leider ist mir zur Zeit mein gesamtes Material nicht zur Hand. Ich kann daher nur auf einiges verweisen. Vor etwa 10 Jahren hat Dr. Ernst Wiedemann, Bayreuth, auf Grund um­ fangreicher, sehr langwieriger archivalischer Forschungen eine Geschichte der Reichenecker in der „Heimat“, der damaligen Monatsbeilage zur „Hersbrucker Zeitung“, verölfentlicht. Wenn nun in der Abhandlung von Bosl die Reichs­ ministerialen von Königstein - Reicheneck geradezu eine Schlüsselstellung ein­ nehmen, so bedaure ich es, daß Bosl diese schöne Studie Wiedemanns nicht ver­ wertet hat. Unsere Heimatblätter erfüllen, neben dem Zweck der Belehrung und Bildung eines heimatlichen Leserkreises auch den, der wissenschaftlichen Forschung .Bausteine zu liefern und neue Quellen z^jzuführen. Die Mitarbeiter der Heimatblätter müssen an diesem Ziele irre werden, wenn ihre oft gar nicht so wertlosen Ergebnisse der wissenschaftlichen Forschung unbekannt bleiben.

261 Und mm einige kleine Hinweise : Die Herren von Neidstein - Hartenstein - HaxtoMß - Rnprechtstem gehören, nach der aufschlußreichen Ürkuride von 1268 (Bosl S. 100 U» zusammen. Der Leitname Ruprecht des Geschlechts kehrt in „Ruprecntstein“ wieder. Auch das gleiche Bestimmungswort Harten- (früher Herten-) bei Hartenstein und Harten­ fels läßt die Zusammengehörigkeit erkennen. Hartenfels ist übrigens eine abgegange'ne Burg auf einem Berg in der Gegend von Neukirchen bei Sulzbach. Das Geschlecht derer von Laufamholz gehört — ausweislich der Urkunde von 12/3 April 20 — mit denen von Immeldorf (östlich von Ansbach; zusammen. Das Büchlein der Engelthaler Nonne „Von der Gnade Ueberlast“ bestätigt das ausdrücklich. Der in der Urkunde von 1273 genannte Rimar ist m. E. als Schwe­ stersohn (nicht als Sohn, wie das Regest sagt). aulzufassen. Da nach der En­ gelthaler Nonne die Laufamholzer eines Geschlechts mit den Nürnberger Fami­ lien Goler (Koier) und von Meiental sind, dürften die in der Urkunde von 1246 (S. 92) nur mit dem Anfangsbuchstaben genannten „H. miles de Meiental“ und „€. dictus Colaer, frater eiusdem“ näher zu bestimmen sein. Ich halte sie für personengleich mit den Brüdern des Bruno von Immeldorf, nämlich Heinrich und Conrad von Laufarnholz. Nun ist aber ein Bruno der Sohn des ersten Nürn­ berger Butigiers Reimar (S. 44). Damit dürfte der Kreis geschlossen sein: £er , Reimar officiatus“ in Mögeldorf vom Jahre 1200 — vielleicht war er auf der doitigen Unterbürg gesessen — ist gleich dem Butigler Reimar von 1213. Sein Sohn Bruno mag identisch oder doch wenigstens verwandt sein mit dem Bruno, der 1265 auf der Schönberger Burg sitzt. Dieser benennt sich aber auch abwech­ selnd nach Laufarnholz und nach Immeldorf. Den verhältnismäßig seltenen Namen Reimar führt noch sein Neffe (Rimar) weiter. Der Burgstall in Lauf­ amholz ist sicher die Wasserburg „Oberbürg“. Demniach hätten Unterbürg und Oberbürg einer Familie gehört. Das entspricht auch sonstigen Beobachtun­ gen bei Ortsnamen, wonach Orte, die in Namenbeziehung zueinander stehen (hier: Ober- und Unterbürg) auch einen tatsächlichen geschichtlichen Zusammenhang haben. Aehnliche Nachweise über verwandtschaftliche Fäden werden sicher noch von mehr Geschlechtern gegeben werden können, wenn erst einmal alle ein­ schlägigen Quellen herangezogen werden. So vermute ich in Jordanes, dem Sohn des Reichsbutiglers, und in Lupoid (Bosl S. 64) Angehörige jener Reichsministeri­ alenfamilie, die um die gleiche Zeit auf dem Rothenberg und in Lauf saß. Ich werde der Frage noch an anderer Stelle nachgehen. Die Reicbsministerialenfamilien unserer Gegend könnte man sicher noch um manchen Namen bereichern. Bosl hat die von Heidelbach nicht erwähnt, obwohl sie iin urkundlichen Anhang genannt sind (S. 100). Vielleicht gehört die Familie zu den Herren von Rasch oder Thann oder Obermässing (Leitnamen Heinrich und Berthoid). Auch für die edelfreien Osternoher ist Reichsdienst mehrmals nachgewiesen. Nach Wiedemann („Heimat“, 8. Jahrg. 1932, S. 57) stand die Burg Reicheneck bereits 1238, da schon in diesem Jahre Ulrich von Königstein als „Ulrich von Reicheneck“ urkundet. Wiedemann macht auch wahrscheinlich, daß die Rose im Wappen der Königsteiner mit ihrer Burg Rosenberg zusammenhängt, die sie bis 1253 in Besitz haben. Vielleicht wäre damit auch ein Fingerzeig für die Herkunft des Geschlechts gegeben. Grunsbach in der LJrkunde von 1246 soll wohl Brunsbach (= Braunsbach im Knoblauchsland) heißen: es liegt wahrscheinlich ein Lesefehler früherer Heraus­ geber der Urkunde vor, die im Original nicht mehr vorhanden sein soll. In der Urkunde von 1243 (Bosl, S. 90) ist tatsächlich Brunsbach geschrieben. Aehnlich scheint S. 42 eine falsche Lesung oder ein Druckfehler mit „Hilboldesheim“ (vgl. S. 46: Hilteboldestein!) vorzuliegen. Einige Ortsnamen hätten näher erläutert werden dürfen. Folgende Namen kann ich identifizieren. Vrilingen ist das in Henfenfeld aufgegangene Freiling

262 (vgl. mein Buch „Lauf— Schnaittach. Eine Heimatgeschichte“, Register), die als Nürnberger Bürger geltenden de Rutmarsberg (Bosl S. 88 f.) benannten sich nach Rummelsberg (bei Feucht - Ochenbruch), Lupoid von Rechperg (S. 44) stammt offenbar aus dem abgegangenen Rehhof bei Lauf, der in früherer Zeit tatsäch­ lich Re.hberg genannt wurde (vgl. mein Buch, Register). Die Urkunde von 1246 (S. 40, gedruckt bei Dannenbauer S. 81 f.), wonach Heinrich von Nova Curia mit seiner Frau Mechtildis von Prunsbach (wieder — Braunsbach) ihre Wiese bei Neunhof an die Kirche des Ordens von St. Maria Magdalena schenkt, bezieht sich „unzweifelhaft“ auf Neunhof bei Kraftshof (nicht bei Lauf); vgl. Friedrich Freih. von Haller, Besprechung von Welser Lud­ wig Freih. von: Neunhof, Kulturgeschichtliche Blätter aus dem dortigen Guts­ archive (Mitt. d. Ver. f. Gesch. der Stadt Nürnberg, Bd. 29 (1928), S. 408 f.). Diese kleinen Ergänzungen wollen den starken Eindruck des Ganzen nicht stören. Das Verdienst Bosls, die mit der Förderung der Reichsministerialen durchgefülmen geopolitischen Grundsätze der Hohenstaufen in helles Licht ge­ rückt zu haben, bleibt ungeschmälert, mögen auch noch manche genealogischen Aufstellungen — bei aller bestechenden Kombinationsgabe des Verfassers — der Ergänzung. Ueberprüfung und Bestätigung bedürfen. Diese Arbeit auf Grund einer listenrnäßigen Zusammenstellung aller erreichbaren Belege, etwa in der nachahmenswerten Form, wie sie Erich Freih. von Gutterberg anwandte, wird freilich am besten erst geleistet werden, wenn das sehnlich erwartete Nürn­ berger Urkundenbuch erschienen ist. Dann wird neben der von Bosl betonten reichsgeschichtlichen Bedeutung auch noch di3 Wirksamkeit der Reichsministe­ rialen in der engeren Heimat- und Landesgcsckichte deutlich gemacht werde'1 können. Fr. Schnelbögl. Friedrich Sprater : Die Reichskleinodien in der Pfalz. Ludwigshafen am Rhein und Saarbrücken, Westmarkverlag (1942). Die hauptsächlichen Thesen des Autors, der sich schon seit längerer Zeit aO gründliche und geistvolle Weise mit den einschlägigen Fragen befaßt, sind fol­ gende* Noch bevor Heinrich V. 1125 die Reichskleinodien auf dem Trifels verwahrte. haben sie sich bereits unter seinen salischen Vorgängern auf pfälzi­ schem Boden, nämlich im Reichskloster Limburg und im Kaiserdom zu Spever, befunden. Nicht erst unter Konrad II. hat sich ein fester Bestand von Reichskleinodien herausgebildet, sondern ein wesentlicher Teil derselben, insbesondere die Kaiserkrone, geht schon auf Otto den Großen zurück. Das Reichskreuz ist das Reliquienkreuz des Klosters Limburg. In der hl. Lanze hat sich ein germanisches Hoheitszeichen erhalten, wahrscheinlich ist sie Karls des Großer. Königslanze. > Was nun die erste These anlangt, daß sich die Reichs^ieinodien bereits im XI. Jahrhundert (zur Regierungszeit des Speyerer Bischofs Einhard von Katzerellenbogen, 1058— 1067, also unter Kaiser Heinrich IV.) im Kloster Limburr, das wie der Speyerer Dom eine Gründung Konrads II. war, und im Soeverm* Domstift befunden hätten, so stützt Snrater seine Annahme auf eine Stelle in des Simonis Veröffentlichung: .Historische Beschrevbung aber Bischoffen Speyr“ vom Jahre 1608. Dort wird mitgeteilt, daß Bischof Einhard einer« große" Kirchenschatz vom Kloster Limburg nach dem Domstift in Snever habe über­ führen lassen. In diesem Schatz, der näher beschrieben wird, habe sich u. a. „eine güldene Königliche Krön, ein giddens Sceoter“ befunden. Daß der sonst nicht immer zuverlässige Simonis in diesem Fall eine heute verschollene ver­ trauenswürdige alte Quelle benutzt habe, schließt Snrater daraus, daß er abs Bestandteile des Schatzes zwei charakteristische Gegenstände anführt, von de^~ sich der eine noch erhalten habe und der andere wenigstens bis in den Beerm des XIX. Jahrhunderts herauf zu verfolgen sei. Daß der von Simonis beschrie­ bene goldgefaßte und mit Edelsteinen verzierte Onyxkelch samt Patene mit dem entsprechenden im jüngsten Inventar des Speyerer Domschatzes vom Jahr

263 1803 identisch ist, kann wohl als ausgemacht gelten. Weniger überzeugend wirkt dagegen Spraters Annahme, daß, was Simonis als „ein Psalterbüchlin, so des Keisers Caroli Magni gewesen, war durchaus mit Gold geschrieben, in Helffenbein eingebunden, und mit Gold beschlagen“ verzeichnet, ein und dasselbe sein müsse wie das von Dagulf geschriebene, von Karl dem Großen Papst Hadrian I. gewidmete Psalteri-um in der Wiener Nationalbibliothek (Cod. 1861). Dieses ist in Gold, Silber und Mennig auf teilweise mit Purpur gefärbtes Pergament ge­ schrieben und hatte ursprünglich zwei elfenbeinerne Deckel, die sich heute im Louvre zu Paris befinden, lieber seine Herkunft weiß man nur, daß es ans der Privatbibliothek Kaiser Leopolds I„ wahrscheinlich 1666, in die Hofbiblio­ thek gekommen ist. Vorher dürfte es dem Dom von Bremen gehört haben. Da nach dem Zeugnis Adams von Bremen in den sechziger Jahren des XI. Jahr­ hunderts Heinrich IV. an Erzbischof Adalbert von Bremen (1043-72) „einen kostbaren, in goldenen Buchstaben geschriebenen Psalter geschenkt hat“ D, ist es also wohl möglich, vielleicht sogar wahrscheinlich, aber keineswegs sicher, daß der Psalter der Wiener Nationalbibliothek und der von Simonis erwähnte, der im XI. Jahrhundert von Limburg nach Speyer überführt wurde, identisch sind. Es könnten sich ganz gut von Karl dem Großen auch zwei mit Gold ge­ schriebene und in Elfenbein gebundene Psalterien erhalten haben. Ich bin auf diese Nebenfrage nur darum hier näher eingegangen, weil mir Ihre Beantwortung durch Sprater für seine Art, sich mit den Problemen aus­ einanderzusetzen, charakteristisch zu sein scheint. Nach der Beschreibung von Simonis brauchten die durch Bißchof Einhard von Limburg nach Speyer geschafften Kostbarkeiten noch nichts mit den Reichskleinodien zu tun zu haben, wären nicht mehr und nicht weniger als eben ein reicher mittelalterlicher Kirchenschatz, wie es deren ja viele gegeben hat, wenn nicht als Bestandteile dieses Schatzes ausdrücklich eine goldene Königskrone und ein goldenes Szepter hervorgehoben wären. Da die Krone als Königs­ krone und als golden bezeichnet ist und unmittelbar neben ihr ein goldenes Szepter genannt wird, so darf man wohl mit Recht annehmen, daß es sich hier weder um eine Reliquienkrone noch um eine Totenkrone, sondern wirklich um ein Herrscherzeichen handelt. Mit Sprater (S. 16, Anm.) glaube auch ich, daß die im Inventar des Speyerer Domschatzes von 1803 beschriebene silbervergol­ dete dreifache Krone nicht die eben erwähnte goldene Königskrone ist. Es fragt sich mir, ob diese Krone die heute wieder in Nürnberg verwahrte „deutsche Kaiserkrone“ ist. Das Szepter ist sicherlich keines der zwei heute noch erhal­ tenen, da diese beiden erst später zu den Reichskleinodien hinzugekommen sind und das Trifelser Inventar von 1246 überhaupt kein Szepter aufzählt. Ist es nun wahrscheinlich, daß gerade der „deutsche Heinrich“, der harte, zähe Gegner Papst Gregors VII„ jener Heinrich IV., von dem wir z. B. wissen, daß er von kleinauf zur hl. Lanze, die schon beim „Prinzenraub“ eine Rolle spielte, engste Beziehungen hatte, der in Ingelheim, nur heimtückischer List und rücksichtsloser Gewalt weichend, die Reichsinsignien seinem Sohn, der sich gegen ihn empört hatte, auslieferte, daß der es während seiner Regierungs­ zeit einem Bischof gestattet hätte, die Reichskrone von einem Kloster in ein anderes zu überführen? Vor dem bösen Tag in Ingelheim hatte er die Hoheits­ zeichen auf der Reichsburg Hammerstein am Rhein verwahrt; unter den Stücken, die er in Ingelheim Heinrich V. gezwungen abtrat, wird die Krone nicht er­ wähnt. Möglich wäre es natürlich, daß die Krone des Katzenellenbogners die Reichskrone gewesen ist. 0 H. J. H e r ni a n n, Die frühmittelalterlichen Handschriften des Abendlandes, Leipzig 1923, S. 57, I. Bd. der Illuminierten Handschriften und Inkunabeln der Nationalbibliothek in Wien, und Rudolf Beer, Monumenta palaeographica Vindobonensia, Denkmäler der Schreibkunst aus der Handschriftenabteilung des habsburg-lothringischen Erzhauses, Lfg. I. Leipzig 1910, S. 66 ff.



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Ich habe 1926, als ich mich im Jahrbuch der kunsthistorischen Sammlungen in Wien (N. F. I, S. 15 ff.) ausführlich mit der deutschen Kaiserkrone beschäftigte, zwar die Hypothese des Kanonikus Bock, der Kronkörper der deutschen Kaiser­ krone sei die 1032 von Konrad II. erhaltene burgundische Königskrone, zu neuem Leben erweckt und mit neuen Gründen gestützt, aber ich habe auch schon damals kein Hehl daraus gemacht, daß ich mich von dieser Hypothese nicht restlos befriedigt fühle. Ich vermochte aber nichts Besseres an ihre Stelle zu setzen. Kunstgeschichtliche Erwägungen, die für den Kunsthistoriker nächstliegenden, brachten mich schon damals gleich Otto v. Falke auf die ottonische Zeit, wenigstens was den Hauptschmuck der Krone, die vier Plättchen mit dem figürlichen Zellenschmelz, angeht. Die nächsten Verwandten dieser emaillierten Gestalten sind bekanntlich die auf den drei ersten Essener Kreuzen (ca. 973—982). Die Zellenschmelzplatten der Krone sind aber entschieden feiner, fortgeschritte­ ner, stehen künstlerisch höher. Aus diesem Grund habe ich sie 1926 ungefähr in das erste Viertel des XI. Jahrhunderts angesetzt, sagte aber (S. 26) von die­ sem zeitlichen Ansatz ausdrücklich, daß er ,.natürlich hinfällig würde, wenn die Krone etwa in einem anderen Lande (als in Burgund) entstanden sein sollte“. Als Spratei in seinem Aufsatz ,.Das Herz des ersten Reiches — die Reichs­ kleinodien in der Pfalz“ (Land am Westwall, ein saarpfälzisches Lesebuch, hg. von A. Schneider-Baumbauer, Neustadt a. d. Weinstraße, 1940, S. 77 ff.) die Frage aufgeworfen hatte, „ob der Reif (der deutschen Kaiserkrone) nicht von einer Krone der Ottonen stammen“ könnte (S. 81), da habe ich hier in diesen Mittei­ lungen (37. Bd., S. 370) meiner Sympathie mit dieser neuen Hypothese Ausdruck verliehen. In seinem jetzt und hier zu besprechenden Büchlein hat nun Sprater jenen Gedanken weiter ausgeführt und nachzuweisen versucht, daß die deutsche Kaiserkrone die Krone Ottos I. sei, die sich dieser für seine Kaiserkrönung in Rom neu angeschafft, die er auf Sohn und Enkel vererbt habe, die von Otto III. auf Heinrich II. den Heiligen übergegangen, von dessen Witwe Kunigunde in Kamba Konrad II. ausgeliefert und womit dieser dann in Mainz zum König ge­ krönt worden sei. Konrad habe si.e aufbewahrt, in Rom sei er vom Papst mit einer anderen Krone zum Kaiser gekrönt worden, die er dann — ähnlich- wie es sein Vorgänger Heinrich II. gehalten — nach Cluny gestiftet habe. Nach der Kaiserkröming habe er dann daheim der von Otto dem Großen herstammenden Krone den Bügel, der seinen, Konrads II., Namen trägt, hinzugefügt. Ich gebe wieder gerne zu, daß das alles scharfsinnig ausgedacht ist und vielfach anspricht, aber einwandfrei zu überzeugen vermag es nicht. Schon Spraters Ausgangspunkt, daß nämlich unter den von Liudprand von Cremona anläß­ lich der Kaiserkrönung Ottos I. durch Papst Johann XII. 962 in Rom gebrauchten Worten: ,.miro ornatu novoque apparatu“ die von Otto zu diesem Zweck neu bestellte Krone verstanden werden könne, muß Zweifel erwecken. Wenn auch mich die deutsche Kaiserkrone gelegentlich an die Ottonen denken ließ, so habe ich da, wie ich an dieser Stelle (a. a. 0., S. 370) bereits andeutete, zuerst Otto III. im Auge gehabt. Ich möchte dem dort Gesagten nur hinzufiigen, daß bekanntlich die einzige, aber nur in einem Bruchstück auf uns gekommene Plattenkrone, die der Form nach der deutschen Kaiserkrone verwandt ist und ungefähr der­ selben Zeit wie diese angehört, die byzantinische des Konstantinos Monomachos (1042 — 54) ist. Otto III., der Sohn der Griechin Theophano, umgab sich auf dem Aventin mit byzantinischem Zeremoniell (Gregorovius, III, 436). Ich halte die deutsche Kaiserkrone keineswegs für eine byzantinische Arbeit, eine „byzantiriisierende“ aber scheint sie mir wohl zu sein. Die Isaias - Ezechias - Platte haben sowmhl Bock als auch Haupt mit einer Krankheit jenes Herrschers in Zusammenhang gebracht, auf den ein jeder von ihnen die Krone zurückführt (Rudolf von Burgund und Heinrich II.). Ich halte eine solche Erklärung für abwegig, sie scheint mir für das Mittelalter zu per­ sönlich, zu individualistisch gedacht zu sein. Ich selbst (Jb., a. a. O., S. 29) habe zur Erklärung dieser Szene eine Stelle in der schon im IX. Jahrhundert nach­ weisbaren „benedictio super principem“ herangezogen. Seit Eichmann (Die Kai-



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serkrömmg im Abendland, Würzburg 1942, II. Bd., S. 80 f.) noch andere Beleg­ stellen für diese Darstellung beigebracht hat, sollte man auf der historisch nach­ weisbaren Krankheit eines Herrschers und jenem Bildchen an der Krone keine Schlußfolgerungen mehr aufbauen. Hs liegt gar kein Grund vor, gleich Haupt anzunehmen, daß am Reichs­ schwert die Klinge älter sei als die Scheide. Schon darum nicht, weil beide italienischen Ursprungs sind. Dafür spricht an der Scheide vor allem der Stil der goldgetriebenen Königsgestalten, die — was immer wieder in Vergessenheit gerät — stilistisch aufs engste Zusammengehen mit der Figur Rudolfs von Schwa­ ben auf der Bronzeplatte seines Grabmals im Dom von Merseburg, das eine ita­ lienische Arbeit ist. Auf Grund dieser Verwandtschaft habe ich das Schwert (seit 1926 in den offiziellen Führern durch die Weltliche Schatzkammer in Wien) ungefähr um 1100 datiert; Rudolf von Schwaben ist 1080 gefallen. Auch das „südliche Holz“ der Scheide („Olive oder Zypresse“) spricht für Italien. An der Parierstange der Klinge sind die Wortformen „reinat“ und „reignat“ italienisch. Der Knauf mit dem Wappen des Braunschweigers ist natürlich spätere Zutat. Dieses Schwert und nicht das normannisch-sizilische „Zeremonienschwert“ wurde als einziges Stück der deutschen Reichskleinodien von den Habsburgern gelegent­ lich verwendet, und zwar bei Eröffnung der österreichisch-ungarischen Delega­ tionen und zuletzt noch 1916 in Oien bei der Krönung Kaiser Karls zum König von Ungarn. Dem normannisch-sizilischen Schwert haftet der Name „Zeremo­ nienschwert“ wohl daher an, daß mit ihm „nach der Krönung den Nürnberger Kror.gesandten der Ritterschlag erteilt wurde“'. Die Liste, die ich im Jahrbuch, a. a. O., S. 34 ff., von den Stehkreuzen ge­ geben habe, zu deren Gruppe das Reichskreuz gehört, wurde von Sprater dan­ kenswerter Weise um ein mir entgangenes, zwar nicht mehr vorhandenes, aber hochbedetitsames Kreuz dieser Art, eine Stiftung Heinrichs III. an den Speyerer Dom vom Jahr 1047, vermehrt. Daß das Reichskreuz ursprünglich eine Stiftung Konrads II. an das Kloster Limburg gewesen sei, wie dies Sprater wahrschein­ lich zu machen sucht, kann mich nicht recht überzeugen. Gut, Konrads Vor­ gänger, Heinrich II., hat ein ähnliches Kreuz an die Kirche auf dem Michaels­ berg in Bamberg, Konrads Sohn und Nachfolger, Heinrich III., eines an den Speyerer Dom gestiftet. Aber keines dieser beiden Kreuze enthielt ein Reichs­ kleinod von der Bedeutung, die damals unzweifelhaft noch der hl.Lanze beigemes­ sen wurde. Und sie war ja, wie die ihr angepaßte Vertiefung im Holzkern dar­ tut, unter Konrad der Hauptinhalt des Reichskreuzes. Ist es wahrscheinlich, daß sich Konrad von der hl. Lanze und mit ihr vom Reichskreuz getrennt haben soll? Auch Wipos Bericht, daß sich Konrad, als er 1039 in Utrecht sein Ende heran­ nahen fühlte, das „Kreuz mit den Reliquien der Heiligen“ bringen ließ, scheint dafür zu sprechen, daß sich der Kaiser nicht vom Reichskreuz mit der hl. Lanze getrennt habe. Daß die heute das Armbein der hl. Anna genannte Reliquie, die früher ein­ mal das Arrnbein der hl. Kunigunde hieß, noch weiter zurück auch das Armbein der hl. Lucia gewesen sei, das 1042 als Geschenk des Bischofs Theodorich von Metz in die in diesem Jahr fertiggestellte Limburger Klosterkirche gekommen ist, halte ich nicht für wahrscheinlich. Die Umwandlung des Ar^beins der hl. Kunigunde in das der hl. Anna unter Karl IV. ist irn kirchlichen Sinn eine Auf­ wertung. Die Umwandlung des Armbeins der hl. Lucia in das der hl. Kunigunde wäre aber das Gegenteil davon gewesen, da Lucia noch eine klassische, alt­ christliche Blutzeugin ist, der überdies neben dein hl. Kreuz und Johannes dem Evangelisten die Limburger Kirche geweiht war. Diese Umwandlung müßte zwischen 1200, dem Jahr der Heiligsprechung Kunigundens, und 1246, da im Trifelser Inventar das Armbein der hl. Kunigunde bereits genannt wird, erfolgt sein. Es ist nun nicht anzunehmen, daß man damals, um eine sozusagen moderne, aktuelle und nationale Reliquie zu erlangen, eine altehrwürdi&e umfälschen mußte. Ueberdies lag der Leichnam der hl. Kunigunde in Bamberg für Limburg ja nicht aus der Welt. Auch verhielt sich das XIII. Jahrhundert den Reliquien

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gegenüber sicherlich noch etwas traditionsgebundener als das folgende, das be­ reits den losen Spötter Boccaccio zu hören bekam. Wenn Sprater A. Müllners bereits 1914 im Jb. d. k. k. mont. Hochschulen, II. Bd., S. 126 ausgesprochene Vermutung, die hl. Lanze sei die Königslanze Karls des Großen, wieder aufnimmt, so weiß ich dazu nur etwa folgendes zu sagen: Ihrer waffengeschichtlichen Form nach geht die hl. Lanze in karolingische Zeit zurück. Ob ihr Material wirklich Siegener Stahl ist, wie vermutet wurde, müßte erst durch eine mikro-chemische Untersuchung festgestellt werden. Angesichts der jahrhundertealten Verehrung, die sie genossen, und dem politisch-religiösen Bedeutungswandel, den sie erfahren und der sie ja auch bereits (Thomas Tuscus) mit Karl dem Großen in Verbindung gebracht hat, bestünde immerhin auch die Möglichkeit, daß sie ursprünglich des großen Frankenkaisers Königsspeer ge, wesen sei. Chi lo sä? . . . Sprater sagt im Vorwort seines Büchleins bescheiden von seiner Arbeit, -„dass in ihr der Versuch gemacht werden soll, neue Anregungen zur Beurtei­ lung der Reichskleinodien für die Zeit zu geben, als sie sich unter den salischen und hohenstaufischen Kaisern in der Pfalz befanden“. Das und weit mehr hat er getan und dafür schulden ihm alle Dank, denen die Reichskleinodien Ehrfurcht einflößen und die Aufhellung ihrer verwickelten Geschichte am Herzen liegt. Wenn ich hici mit Betonung den Skeptiker hervorgekehrt habe, so wollte ich keineswegs die außerordentlich verdienstvolle Leistung des Autors nörgelnd her­ absetzen, sondern nur als einer, der sich seinerzeit selbst viele Jahre hindurch eingehend mit den Reichskleinodien und ihren Schicksalen befaßt hat, eindring­ lich davor warnen, auf diesem schwierigen Gebiete anregende und ansprechende Hypothesen mit gesicherten historischen Resultaten zu verwechseln. Arpad Weixlgärtner. Karl Bahmann: Die romanische Kirchenbaukunst in Regnitzfranken. Konrad Triltsch-Verlag, Wtirzburg. 1941. VI und 194 Seiten, 8°. Mit 16 Abbil­ dungen und vielen Grundrissen. Die Arbeit versucht eine geordnete Zusammenschau der romanischen Bau­ denkmäler einer deutschen Kunstlandschaft zu geben. Sie betrachtet als Regnitz­ franken das Gebiet, das vom Fränkischen Jura, Rieß, Frankenhöhe, Steigerwald und den Haßbergen umschlossen und von der Regnitz und der oberen Altmühl durchflossen wird. Mit der Linie Banz — Altdorf — Dinkelsbühl — Ebrach er­ fährt dieser Kunstgau seine ungefähre Umschreibung, wobei die Strecke Banz — Bamberg — Forchheim — Nürnberg — Weißenburg eine ..kunstgeographische Achse“ darstellt. Der Rahmen ist aber vielfach noch weiter gezogen; die Betrach­ tung erstreckt *sich auch auf die Nachbargebiete: auf Wiirzburg und die Main­ gaue sowie Regensburg, Eichstätt und ihr Umland, ja sogar auf den Nordgau und auf Altbayern. Gerade der Vergleich mit den Nachbargebieten ermöglicht eine klare Hervorhebung des für Regnitzfranken Besonderen wie auch der wech­ selseitigen Beziehungen und Ueberschneidungen. Praktisch ist hier also erstmalig der dankenswerte Versuch unternommen, den gesamten Bestand Nordbayerns an kirchlichen Baudenkmälern aus romanischer Zeit systematisch zu erfassen, die einzelnen Werke in Beziehung zueinander zu bringen, gegenseitigen Be­ einflussungen und äußeren Einflüssen nachzugehen und eben dadurch die Kunst­ landschaft Franken klar herauszuarbeiten und abzugrenzen. Dabei gelangt der Verfasser zu folgenden Hauptergebnissen seiner Untersuchungen : Der erste Aufschwung der Baukunst Regnitzfrankens fällt in das 11. Jahr­ hundert. War bis um 1050 Bamberg, der wichtigste Platz am Obermain, auf dem Gebiete der Kunst von der bayerischen Hauptstadl Regensburg abhängig, so wurde die junge fränkische Bischofsstadt unter Bischof Otto I. (1102 — 1139) zur Vermittlerin neuer Baugedanken für ganz Franken und das Donaugebiet. Der Höhepunkt Bamberg - regnitzfränkischer Baukunst fällt in die erste Flälfte des 13. Jahrhunderts. Fr brachte neben der vollausgebildeten regnitzfränkischen



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Wesensart zisterzlensisch-burgundische und nordfranzösische Anregungen. Der dritte Dombau und seine Plastik sind die Hauptwerke jener Zeit; sie zeigen ebenso wie die Klosterbauten von Ebrach Beziehungen zu St. Sebald in Nürn­ berg und zum Magdeburger Dom. Bambergs Vorrang innerhalb der regnitziränkischen Kunst erfüllte sich und endete im 13. Jahrhundert. Die Führung ging an Nürnberg über (St. Sebald, St. Lorenz, Frauenkirche). Im Rahmen dieser Entwicklung greift der Verfasser weit über das Kunst­ zentrum Bamberg — Ebrach hinaus in die Gebiete von Würzburg, Regensburg und Eichstätt. Selbst die Dorfkirchen werden — nach Landkreisen geordnet — in die Betrachtung einbezogen, wobei jedoch Vollständigkeit nicht angestrebt ist. Hier tritt übrigens eine der Hauptsoliwierigkeiten der Arbeit zutage : bei der großen Ausdehnung des Arbeitsgebietes muß sie letzten Endes auf der vorhan­ denen Literatur, insbesodnere auf dem Inventarwerk fußen; wo Einzelunter­ suchungen fehlen und das Inventarwerk noch nicht hinreicht (Oberfranken, große Teile Mittelfrankens), bewegt sich die Darstellung auf schwankendem Boden; Lücken und kleine Ungenauigkeiten lassen sich hier kaum vermeiden. Für die Nürnberger Kunstgeschichte liegt der Hauptwert der Bahmann’schen Arbeit in der umfassend gebotenen baugeschichtlichen und stilistischen Unter­ suchung sämtlicher romanischer Kirchen und Kapellen der Stadt. Bei St. Egidien, dem ersten großen romanischen Kirchenbau zu Nürnberg, ergibt sich neben Bin­ dungen an Regensburg (in der Grundrißanlagel und an Würzburg (in der Querschiffausladung) vor allem der Einfluß von St. Michael in Bamberg. Die Doppel­ kapelle auf der Kaiserburg wird in Beziehung zu Regensburger (St. Jakob) und zu oberrheinischen Sakralbauten gebracht. Eine besonders eingehende Bauanalyse erfährt die Sebalduskirche, die als der letzte Abkömmling von romanisch - Bam­ berg und als letzte doppelchörige Basilika in Franken, ja überhaupt als einer der spätesten deutsch-romanischen Bauten erscheint. Wesentlich summarischer ist die Behandlung der übrigen romanischen Kirchenbauten Nürnbergs, die sich zum Teil in wenigen geschichtlichen Angaben erschöpft. Bei Heranziehung der erst während und nach der Drucklegung erschienenen einschlägigen Literatur, w. z. B. Eberhard Lutze: Die Nürnberger Pfarrkirchen St. Sebald und St. Lorenz. Friedrich Häberlein: Amtlicher Führer durch die Burg Nürnberg. Gerhard Pfeiffer: Die Anfänge der Egidienkirche zu Nürnberg (Bd. 37 d. Mitteilungen des Vereins für Geschichte der Stadt Nürnberg) würden sich die Ergebnisse in manchen Punkten ergänzen lassen. Damit soll jedoch keineswegs ein Mangel festgestellt werden. Bei dem weitgesteckten Ziel der Arbeit ist ja lokale Vollständigkeit ohne­ dies ausgeschlossen. Ihre Hauptbedeutung liegt vielmehr auf systematischem Gebiete: sie untersucht durch eine sehr gründliche vergleichende Zusammen­ stellung der Proportionen bei den bedeutendsten Kirchenbaudenkmälern deren Eigenart Raumzugehörigkeit. Zeitstellung und stilistische Einordnung und gelangt dabei wirklich zu neuen allgemeinen Ergebnissen. Eine große Anzahl beigegebe­ ner Grundrisse erläutert eindeutig die Entwicklungsreihen. Sehr wertvolles Material enthalten auch die zahlreichen, in Anmerkungen geboteren Exkurse, von denen als Beispiel nur die Abhandlung über die in Regnitzfranken vorherrschen­ den Chorturmkirchen hervorgehoben sei. Auf einem bisher sehr wenig beackerten Gebiete der fränkischen Kunst­ geschichte füllt somit diese hervorragende Arbeit eine oft empfundene Lücke aus. Das Fehlen eines Registers ist eine Folge des Krieges; denn der Verfasser eilte schon im ersten Kriegsjahr zu den Fahnen und hat inzwischen den Heldentod er­ litten. So ist seine Dissertation zugleich sein Vermächtnis geworden. Wilhelm Schwemme r. Fdith von Rumohr : Der Niirnbergische Tasteninstrumentalsti! im 17. Jahr­ hundert. dargestellt an Arie, Variation und Suite. Dissertation Münster 1938 (Druck: Gehr. Burris, Hemer i. W.). V, 62 S., 15 S. Notenbeilage. Die Verfasserin gibt einen wertvollen Beitrag zur Kenntnis der weltlichen 'instrumentalen Kompositionsweise des 17. Jahrhunderts. Sie beschränkt sich da-

268 bei auf die weltliche Liedvariation und die Klaviersuite. Durch eine auch mit graphischen Mitteln veranschaulichende und mit vorher festgelegten Begriffen arbeitende Einzeluntersuchung des Aufbaues Pachelbelscher lnstumentalarien ge­ lingt es ihr, zwei Grundtypen derselben, dazu ihre rhythmische und melodische Eigenart aufzuzeigen. Pachelbels „kantable Setzart“ wird so schärfer umrissen. Seine instrumentalen Arien sind geschlossene, organische Gebilde, die starken Formwillen und sicheres Formgefühl in ausdrucksfähiger, absolut musikalischer Sprache lebendig werden lassen. Durch Gegenüberstellen der Arien anderer Mei­ ster, auch der seiner Schule im weiteren Sinn — wobei freilich die Jahrhundert­ grenze nicht scharf eingehalten werden kann — wird ihre Formvollkommenheit noch besonders herausgehoben. Ein zweiter Abschnitt gilt der Variation, zunächst der Liedvariation. Aus­ gehend von der Variationstechnik Scheidts, die an einem Beispiel dargelegt wird, und der Spelhs, eines Vertreters des Jahrhundertendes, zeigt die Verfasserin,, wie Pachelbel in der Lied Variation nach einer bestimmten, Gruppenordnung strebt, während in den nicht immer scharf zu scheidenden Ostinatovariationsformen der Chaconne und der Passacaglia das ältere Reihenprinzip beibehalten wird* nicht ohne daß auch hier Ansätze zu einer gewissen Gruppierung kennt­ lich sind. Ein drittes Kapitel behandelt die Suitenwerke älterer Meister wie Frobergersr dann der Nürnberger Kindermann und Schultheiß. Eine sorgfältig charakterisie­ rende Untersuchung der Einzelsätze schafft die Grundlage, von der aus ein an­ schauliches Bild von Pachelbels Suiten entworfen ward. Zuletzt ist noch das zu­ kunftweisende Suitenwerk des in Nürnberg geborenen, aber in Zittau tätigen Johann Kriegers berücksichtigt. Die gut aufgebaute Arbeit zeigt eine wohldurchdachte Methode; man kann ihren Ergebnissen zustimmen. Es fragt sich allerdings, ob die Begrenzung auf Tasteninstrumente zweckmäßig war. Die Arie ist ja schon länger auch in der sonstigen Instrumentalmusik vorhanden; Pacheibcls Kammermusik bietet selbst Beispiele. So werden auch aus dieser Richtung Anregungen gekommen sein. Ebenso verengert die Beschränkung auf das weltliche Lied die infolge mangeln­ der Quellen schmalen Grundlagen noch mehr. Aber damals waren geistliche und weltliche Lieder stilistisch nicht so scharf geschieden, am wenigsten in der geistlichen Hausmusik, die in Nürnberg lebhaft gepflegt wurde. Auch Pachelbels Aria Sebaldina, über die er so eigenartige Variationen schrieb, dürfte kaum welt­ lichen Charakter gehabt haben. Vermutlich steckt eine liturgische Melodie da­ hinter. Die vorhandene Literatur ist sachgemäß herangezogen. Die Arbeiten von W. Danckert über die Gigue (1924), von E. Mohr über die Allemande (1932) hätten bei der Suite verwertet, zu Scheidt die Geschichte des prot. Orgcichorals von G. Kittier (Diss. Greifswald 1931), zu Witte der Aufsatz von R. Buchmayer (Sammelbände der Intern. Mus.-Ges. 2/265 ff.) genannt wer­ den können. Ueber das Mylauer Tabulaturbuch (S. II) unterrichten M. Seiffert (Arch. f. Mus. Wiss. I 607 ff.) und neuerdings E. Born, Die Variation als Grund­ lage handwerklicher Gestaltung im musikalischen Schaffen Joh. Pachelbels (Diss. Frankfurt a/M. 1941). Bei den Literaturangaben fehlt einigemale der Verfasservorname, der zu Bücherbesfeilungen nötig ist: August Wilhelm Ambros, Otto Kinkeldey, Josef Sittard, Christhard Mahrenholz (S. II). Auch ist Nef zu lesen. Der Druck der Arbeit weist eine Reihe von Fehlern auf. Die störenden seien berichtigt1): S. 4/18 ersten (zweiten); 4/3u siebten (fünften); 8/9u unbenannten (ungenannten): ll/12u, 20/14 detta (della); 15/21 Quart c’- g (Quint g-c’); 27 Anm. 19 6 (2); 36/1 u D (B); 38/14 G (C); 41/4 Suiten (Studien). *) Neben der Seiten- die Zeilenzahl ! u heißt von unten gezählt. In () das Falsche.

269 Vorausgeschickt sind kurze biographische Angaben zu den behandelten / Mu­ sikern. Einige Zahlen sind da zu bessern: Pachelbel kam schon 1695 nach Nürn­ berg zurück; Scheidt ist 1587 geboren; Schultheiß gab sein Werk 1679 heraus; Joh. Kriegers Choralvariationen stehen auch DTB XVIII. Deneufvilie würde ich seine deutschen Vornamen Johann Jakob gönnen. Ueber seine Werke ist die Verfasserin im Irrtum, da sie wohl bei Eitner das s(ive) übersah. Sex melea sive Ariae cum variationibus ist ein einziges, fünf Arien und eine Ciacona enthaltendes Werk, das E. Born in der Staatl. Hochschule für Musikerziehung nun doch ge­ funden hat. Besonders begrüßen wir Nürnberger, daß in der Beilage einige Proben aus den Werken des Lorenzer Organisten Wolf. Förtsch, nicht eben überwältigende Kirehweihmusiken der Jahre 1/31, 1733 und 1734, vorgelegt werden. Sie ver­ raten schon empfindsamen Stil. Leider ist der autographierte Druck teilweise uuiibeisichtlich geschrieben und nicht fehlerfrei. Außerdem bringen die Beilagen noch Proben aus Speth und Buttstädt. So ist die Dissertation ein wohlgelungener und dankenswerter Beitrag zur Musikgeschichte des 17. Jahrhunderts; wir in Nürnberg aber freuen uns besonders, daß in ihr die Leistung des letzten großen Musikers der reichsstädtischen Zeit in hellem Lichte erscheint. Rudolf Wagner. Eberhard B o r n : Die Variation als Grundlage handwerklicher Gestaltung im musikalischen Schaffen Johann Pachelbels. Neue Deutsche Forschungen, Abt. Musikwissenschaft, herausg. von Joseph Müller-Blattau Bd. 10, Junker und Dünnhaupt Verlag Berlin 1941. (Ursprünglich Dissertation Frankfurt a/M. 1941.) VIII, 99 S., Notenanhang 32 S. Die von Müller-Blattau angeregte Arbeit ergänzt ausgezeichnet die vorstehend besprochene Studie der Frau von Rumohr. Nach einem übersichtlichen Abriß von Pachelbels Leben werden die Variationenwerke des Meisters, seiner Vor­ gänger, Zeitgenossen und Schüler angeführt und in großen Zügen ihre Gestalt erörtert. In einem weiteren Abschnitt behandelt der Verfasser Pachelbels Arien und Choralpartiten; er arbeitet da sehr klar — Tabellen ersparen umständliche Beschreibung — eine Reihe von Grundtypen der Variationen heraus. Einige Fragen wie über die Bicinien und zweistimmigen Fugen, die dreistimmigen Fugen, die Suitendoubles bei Pacheibel sind in kleine Sonderabschnitte verwiesen. Allenthalben erfreut eine sichere Beweisführung; von der handwerklichen Arbeit gewinnt man ein gutes Bild. Sehr anregend sind in Abschnitt IV die Bassoostinato - Variationen, dazu die Baß-Choralbearbeitungen besprochen. Die Bedeu­ tung der Sequenz für die handwerkliche Gestaltung wird ersichtlich. Ein V. Teil behandelt noch unter Ausnützung zeitgenössischer Theoretiker die Figuren und Motive in Pachelbels Variationen. Das Nachwort weist auf den improvisatorischen Charakter der handwerklichen Gestaltung hin. Ein Literaturverzeichnis, eine auch den geographischen Bereich andeutende Tabelle zürn [.eben Pachelbels^ ein Verzeichnis der besprochenen Variationen, dazu ein Notenanhang mit übersichtlicher Zusammenfassung der Formen vervoll­ ständigen die Arbeit. Ihre Sprache ist flüssig, der Druck fast fehlerlos. Nur lese man S. 13/5 Feuerlein, 25/22 Allemandentonu, 35/38 Var. 14 (nicht 13), 68/28 Mittelstimme, 75/6 aussextend, 93/12 Gesetze. S. 70 Anm. 25 muß es wohl excudit und Weigel heißen. Wichtig ist die Wlederentdeckung der lange verschollenen Weimarer Tabu­ latur, sehr richtig S. 27 die Trennung von geistlichen und weltlichen Arien für die Untersuchung abgewiesen. So hat der Verfasser wirklich einen ausgezeich­ neten Forscliungsbeitrag geliefert, der den Neuen-Deutschen Forschungen Ehre machen wird. Denn er lehrt den Stil Pachelbels in seinen Variationenwerken besser verstehen.

270 Zum Dank für die mancherlei Anregungen möchte ich kleine Berichtigungen und Ergänzungen anfiigen: Von einem Erheiraten der Lorenzorgel durch Schedlieh (S. 2) ist mir nichts bekannt (vgl. ZMW 12/464 ff.). Die Lautensack sind Vater und Sohn: Paul II (vgl. Mitt. 38, S. 346), Paul III Lorenzorganist für Nöttelein 23. 3. 1565 (Ratsverlaß 1564 XIII 20 b). Sebalder 24. 3. 1571 (Mitt. 38/347), 5. 2. 1596 (Ratsverlaß 1595 XI 13, fehlt DTB V S. CIX) „alters und schwacheit halber“ mit 52 fl. pensioniert, für ihn Hanns Christoff Haiden. Paul III wird 17. 10. 1598 begraben. Schwemmer war in der Tat nie Organist. Sein Nachfolger als ^Ratsmusikdirektor war Christoff Gottlieb Sauer (Will, Lex. VIII 32). Laut der Altdorfer Matrikel schrieb dieser sich am 4. 5.1669 zum zweiten Male ein, kurz vor Pachelbel. Dessen Eintrag in die Matrikel am 29. 6. 1669 ist von der Pachelbelforschung, soweit ich sehe, noch nicht beachtet worden, festigt aber die weiteren Daten der wechselvollen Frühzeit des Meisters. Er ist also erst Tm Frühjahr 1670 nach Regensburg gezogen. Auf die wirtschaftlichen Schwie­ rigkeiten, die das veranlaßten (DTB II, 1 S. XII), weist wohl der leider undatierte, möglicherweise aus dein Ende des Rechnungsjahres, also dem Anfang von 1670, stammende Eintrag der Almosenamtsrechnung 1669 hin, wonach dem Vater des Künstlers „Hansen Bachelbel Burgern undt Flaschnern allhier gegen Verpfän­ dung seines Hauses auf Verzinsung geliehen worden 250 fl“. Erst mit dem Weggang Prentzens wird Pachelbel nach einem anderen Lehrer gesucht haben, den er dann in Kerl fand. Sobald dieser in Wien war (1673), wird er bei ihm den Unterricht begonnen haben. So ergeben sich die drei Regensburger Jahre, von denen Mattheson spricht. Drei weitere Wiener füllen fast die Zeit bis zu der aktenmäßig gesicherten Anstellung in Eisenach 1677. Daß Pachelbel einen Ruf nach Oxford erhielt, meldet schon Mattheson. Un­ denkbar ist er nicht. Zehn Jahre vorher war der Nürnberger Joh. Conr. Feuer­ lein in ähnlicher Lage. Er war nach Oxford gekommen, „allwo man mich“, so erzählt er in seinem Lebenslauf (Will II 4° 751 S. 8; darnach Will, Lex. I 412), „zum Musico und Organisten in der Cathedralkirche, auch bey der Universität in dem Theatro' Seldeniano, da es fast professoriam dignitatem hat, zu machen antrug und fast auf ein Jahr hätte zustand kommen können“. Pachelbels Sohn Wilhelm Hieronymus ist nach meinen augenblicklich nicht nachprüfbaren Aufzeichnungen am 29. 8. 1686 getauft, was zur Vorrede des Hexachordum stimmt. Er war bis 1706 Organist in Wöhrd. Als der Jakobsorganist Hans Sebald Fischer zu Anfang dieses Jahres starb (begraben 3. 2.), erhielt der junge Pachelbel — nach Mattheson am vorletzten Lebenstag des Vaters, also am 2. 3. 1706 — die Stelle. Der bei Mattheson angegebene Todestag ist offenbar wie die ebenfalls schon bei ihm, nicht erst bei Gerber berichteten Todesumstände (S. 15 Anm. 60) guten Quellen zu danken. S. 15/6 müßte heißen: Am 9. März 1706 wurde begraben „der .... usw.“.Im selben Jahre schon rückte Wilhelm Hierony­ mus nach Egidien vor, als der dortige Organist Joh. Sig. Richter die Stelle des alten Pachelbel erhielt. Nach Richters Tod 1719 wurde auch der junge auf den angesehensten Organistenposten seiner Vaterstadt befördert. J. de Neufville (S. 15 und 21) heißt richtig Johann Jakob: er war nie Würz­ burger Kapellmeister. Das ist eine Verwechslung mit Cornelius Franz Neufville, der kaum mit dem Nürnberger zusammenhängt fO. Kaul. Gesch. d. Würzburger Hofmusik 1924 S. 32). Dieser folgte auf Wilh. Hier. Pachelbel als Wöhrder Or­ ganist und starb in dieser Stellung am 4. 8. 1712 (vgl. Doppelmayr S. 263). Zwi­ schen Herbst 1707 und Frühjahr 1709 machte er eine Studienreise in Italien. Während, nicht vor dieser Zeit wurde die Vorrede zu den Sex melea geschrieben (Venedig 1708). Leider versäumte Born den Drucker und das Druckjahr des erst von ihm greifbar gemachten Werkes genau anzugeben. Von Wolf gang Förtsch vermag ich einstweilen nur zu verraten, daß er 1697 als „Hochfürsti. Sächs. wohlbestellter Hof-Organist“ heiratete. Wo das war, weiß ich noch nicht. 1702 aber wird er Augustinerorganist für Joh. Caso. Wetzel. Bereits 1705 erhält er für den am 6. 4. verstorbenen Löhner die Lorenzorgel irr

271 einem gewaltigen, für seine Fähigkeiten sprechenden Sprung. Er könnte Nürn­ berger sein und daher docn zu Pachelbels Schülerkreis zählen. Zu seinen er­ haltenen Werken vgl. E. von Rumohr. Weitere Nachrichten über all diese Organisten muß ich für spätere Zeiten-, verspüren. Im Augenblick sind ja die wichtigsten Quellen unzugänglich. Rudolf Wag n e r. Leonhard Wittmann : Landkarten von Franken. [Umschlagtitel: Franken. Landkarten aus der Zeit von 1490— 1700.] Herausgegeben von der Deut­ schen Steinkreuzforschung Nürnberg. — Mappe I. Stadtbibliothek Nürnberg. Herausgegeben von der Deutschen Steinkreuzforschung Nürnberg. Mit Unterstützung des Präsidenten des Kreisverbandes für Mittel- und Oberfranken und des Bür­ germeisters der Stadt Lauf a. d. Pegnitz. (14 S., Karte 1—11) 1940. — Mappe II. Germanisches Nationalmnseum Nürnberg. Herausgegeben mit Unterstützung des Bürgermeisters der Stadt Lauf a. d. Pegnitz und des Bürgermeisters der Markt­ gemeinde Schnaittach. (4 S., Karte 13—17) 1941. — Mappe III. Bayerisches Haupt­ staatsarchiv München. Herausgegeben von der „Volksbildungsstätte Nürnberg“ und der „Deutschen Steinkreuzforschung“. (4 S„ Karte 18—36) 1942. Reproduk­ tion und Druck von P. Herden, Nürnberg. Das vorliegende Werk, mitten im Kriege begonnen und allen Schwierig­ keiten zum Trotz bereits zu einem Umfange gediehen, der eine Würdigung seiner Bedeutung und Brauchbarkeit zuläßt, stellt nach Ausstattung und Aufmachung eine bewundernswerte Leistung dar. Es verdankt seine Entstehung der Begeiste­ rung und Tatkraft eines Nürnberger Heimatforschers, der es sich zur Aufgabe setzte, 'der engeren und weiteren fränkischen Landeskunde durch Veröffent­ lichung bisher größtenteils unbekannter, vorzugsweise in Archiven verborgener Karten und Pläne neue Quellen von dokumentarischem Werte zu erschließen. Es gelang ihm, für die Durchführung seines weitgesteckten Programmes nicht nur fachkundige Berater zu gewinnen, sondern auch Laienkreise zu interessieren, deren hochanzuerkennende Opferwilligkeit einen Aufwand gestattete, um den ihn manches ähnliche, infolge fehlender Mittel nach allen Richtungen gehemmte Unternehmen beneiden möchte. So war eine technisch musterhafte Darbietung gesichert, die über den historisch-topographischen Hauptzweck hinaus einen wertvollen Beitrag zur Geschichte der deutschen Kartographie überhaupt bedeutet. Wir haben es also mit bildmäßigen graphischen Darstellungen zu tun, die — vom historisch-topographischen Standpunkte aus gesehen — einst zur Erläute­ rung von Grenzbeschreibungen, Hoheitsrechten, Besitzwechseln u. dgl. bestimmt, waren und namentlich der rückschauenden Heimatkunde noch heute sehr viel Aufschluß geben, kartenwissenschaftlich betrachtet aber wegen ihrer großen. Maßstäbe, ihrer sehr sorgfältigen Terrain- und Geländezeichnung, ihrer oft ge­ radezu künstlerischen Aufmachung als eine Art Vorläufer unserer Kataster und Meßbildblätter gelten können,' aus denen die von der geodätischen Seite her kommenden „Landkarten“ inhaltlich gespeist wurdem Ihrem Zwecke gemäß blieben sie der Öffentlichkeit in der Regel vorerithalten und mit den Akten ver­ bunden: erst hier treten sie zum ersten Male in einer solchen Fülle und Reich­ haltigkeit ans Licht, daß ihre doppelte Bedeutung nicht mehr zu verkennen ist. Begreiflicherweise ist es nur ein kleiner Teil des in den fränkisqhen und bayerischen staatlichen und städtischen Archiven und Bibliotheken und in den übrigen Kartensammlungen ruhenden ungeheueren Materials, der in dieser Form, bekannt gemacht werden konnte und noch bekannt gemacht werden soll. So kamen beispielsweise aus den Hunderten von Blättern des Germanischen Natio­ nalmuseums etwa 30 Stück in engere Wahl, von welchen wiederum nur sechs Aufnahme fanden. Der Herausgeber sorgte aber in dankenswerter Weise dafür, daß der Gesamtbestand der genannten Institute an derartigen Karten und Plänen in photographischen Verkleinerungen (13X18) nebst dem dazugehörigen Kartei­ blatt an einer einzigen Stelle in Nürnberg zentralisiert wurde und eingesehen



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werden kann. So besteht jederzeit die Möglichkeit, den Überblick über das Ganze zu gewinnen und die getroffene Auswahl zu ergänzen und nachzuprüfen. Sehr zweckmäßig aber wäre es gewesen, den Mappen schon jetzt ein Ver­ zeichnis der bereits vorliegenden und noch beabsichtigten Wiedergaben voraus­ zuschicken, und zwar nach Landschaften geordnet, da ja die Veröffentlichung leider nicht, wie man es wohl allgemein erwartet hätte, topographisch-histo­ risch »vorgeht, um jeweils ein bestimmtes Gebiet in seiner Entwicklung vorzu­ führen, sondern die Blätter ohne inneren Zusammenhang nach der Reihenfolge der bisher bearbeiteten Sammlungen bringt. Veranlassung zu diesem Verfahren .mag unter anderem der löbliche Wunsch gewesen sein, zunächst die Institute zu Wort kommen zu lassen und die Interessenten zu ehren, deren Unterstützung und Förderung das Ganze in die Wege leitete und für eine Fortführung in der gleichen Güte bürgte. Wir wollen hier die in den drei ersten Mappen auf 36 Blättern behandelten Gebiete wenigstens nach ihrer alphabetischen Ordnung aufführen: Altdorf (3 u. 9), Ansbach (20), Dinkelsbühl (23), Ebrach (16), Fränkischer Besitz (31), Heideck (29/30), Hilpoltstein (5, 27, 28), Hohenstein (14), Hollenberg (25/26), Lauf (10), Nürnberg Stadt und Umgebung (2, 6, 18/19), Oberpfalz (13), Osternohe (36), Pyrbaum (34/35), Reichenschwand (7), Reichswälder (1, 11, 12, 34/35), Rothen­ berg (4), Sandsee (32/33), Schw'einfurt (17), Stauf (21), Thalheim (8), Velden.stein (24), Wahrberg (20), Wertheim (15). Hinter der gerne anerkannten trefflichen Gesamtplanung und der hohen technischen Vollendung bleibt der einführende und begleitende Text allerdings zurück. Fs dürfte auch die Kraft eines Einzelnen übersteigen, den gewaltigen Stoff nach den beiden oben angedeuteten Richtungen hin erschöpfend zu behan­ deln. Hier hätte wohl die Gemeinschaftsarbeit, die der Verfasser bei einem so weit ausgreifenden Unternehmen mit Recht für geboten erachtet, kräftiger einsetzen müssen. Er weiß entschieden um alles, was zu berücksichtigen ist; aber er wirft sein Wissen sozusagen wie ein glitzerndes Geschmeide über das Ganze (wobei ich nicht etwa auf sein eigenes Urteil über den Kartographen von Bl. 32/33 anspielen will), läßt jedoch — aus dem Vollen schöpfend und räumlich völlig ungehemmt — vielfach die nötige wissenschaftliche Disziplin vermissen. .Die Hauptschuld daran trägt die erwähnte mechanische Anordnung, die sogar Darstellungen ein- und desselben Gebietes oft weit voneinander trennt und den Verfasser dazu zwingt, sich zu zersplittern und ständig zu wiederholen. Er hätte diesem Mißstand dadurch begegnen können und müssen, daß er sowohl eine terri­ torialgeschichtliche als eine kartographisch-historische Einführung voraus­ schickte. Wichtige Beobachtungen und Feststellungen gehen so unter in einer Flut von oft recht sonderbar formulierten höchst persönlichen Äußerungen, etwa über den „Feuerkopf Hans Baidung Grien, der uns in künstlerischem unbeküm­ mertem Schwung eine vorgenommene Sache hinlegt“, jedoch mit Blatt 18/19 schwerlich etwas zu tun hat, über den Männerstolz des tüchtigen Kartographen Vogel (27—2,8 a), der zum Ausgleich für die gebräuchliche untertänigste Wid­ mung „seinen eigenen Namen in Goldbuchstaben schreibt“ und damit zur sicht­ lichen Befriedigung des Verfassers dartut, „daß er seinen Nacken aufrecht zu erhalten weiß“, über den tapferen Haudegen Fuchs, der gegen seine Widersacher und Bedränger mit einem handgezeichneten Plane (31) ficht und uns „den Moment“ vorführt, „in dem sich die Landkarte zum unentbehrlichen* Gerät des menschlichen Geistes aufschwingt“. Der Leser möchte aber die kartographischen und topographischen Begriffe übersichtlich und leicht erreichbar vor sich haben und ihnen nicht in allen Winkeln nachspüren .müssen. Er bedürfte eines, wenn auch noch so kurzen, durch Kartenskizzen unterstützten Gesamtüberblickes über die Territorien, er fragt, was es — um auf einzelnes zu kommen — mit der .„Fraiß“, einer Bezeichnung für hohe Gerichtsbarkeit, die dem übrigen Deutsch* land (Grimm!) nicht geläufig ist, für eine Bewandtnis hat, er wünscht bei Be­ trachtung der großen Waldkarten, die textlich zusammengefaßt werden könnten, Aufschluß über Entstehung und Entwicklung dieses ausgedehnten Besitzes der Stadt Nürnberg und den damit verbundenen „Wildbann“, er möchte endlich noch

273 über verschiedenes andere, was dem Nürnberger selbstverständlich erscheint, z. B. über „Zeidelwirtschaft“, „Zeidelrecht“, „Zeideldörfer“ usw. ausführlicher unterrichtet werden, als dies auf Bl. 11 geschieht. Der Sonderbeschreibung der einzelnen Blätter wäre nach dem allgemeinen Teile noch Stoff genug geblieben, so die sorgfältige Verzeichnung der Titel (sie sind im Texte nicht immer genau wiedergegeben, meist gekürzt, einmal sogar (BL 24) mit Übergehung des Kartographen), die Verzeichnung des Maßstabes (er ist fleißig angegeben, aber leider nirgends umgerechnet), ferner Ergänzungen aus Akten und Beischriften, vor allem das rein Topographische. Darin verdient der Verfasser allerdings wieder hohes Lob: es entgeht ihm kaum eine ortsgeschicht­ liche und kulturhistorische Merkwürdigkeit, er macht auf alle Burgställe, Ruinen, Richtstätten, Martern, Steinkreuze, Brücken, Mühlen, auf Eisenhämmer und andere Industrien, auf Kirchweihplätze, umzäunte Dörfer, Straßeneinzeichnungen auf­ merksam. Er verfolgt den Grenzverlauf mit seinen Mark- und Wappensteinen und Zollstätten unter Beiziehung von umständlichen Beschreibungen, untersucht die Oltsansichten nach ihrem topographischem Werte und läßt sich auch von dem entzückenden Blatte 18/19 (Schwabach, Nürnberg) nicht zur unbedingten Anerkennung verleiten, während er die Verlässigkeit des Dinkelsbühler Blattes (23) mit Recht hervorhebt. Es sei hier nachgetragen, daß es zu dem Text der Waldkarte 2 (Bl. 12) noch eine andere Lesart gibt. Nach ihr heißt es nicht „Be­ sichtigung“ sondern „Besichtigung der Landschaft“ und lautet der Name des Landpflegschreibers „Hieronymus Rudolff“. Eine Entdeckung verdient die präch­ tige Karte der Oberpfalz (Bl. 13) vom Jahre 1540 genannt zu werden, die der kartographischen Wissenschaft nur mehr dem Namen nach bekannt war und hier zum erstenmal neu erscheint. Sie entstand, wie ich an anderer Stelle nachwies (Fränkischer Kurier Nr, 2 vom 2. 1. 1943), unter Friedrich II. von der Pfalz (1482—1556) und gibt im Maßstabe 1 :400 000 die Gegend von Bamberg bis Donauwörth und von Eger bis Dingolfing. Ihr Kartograph ist der Steinmetz Georg Reich aus Tirol, der als Baumeister im Dienste der Bischöfe von Eichstätt und des oben genannten, in Neumarkt residierenden pfälzischen Fürsten stand. Mit der besonderen Hervorhebung dieses „Hauptstückes“, für das sich der Verfasser noch entschuldigen zu müssen glaubte, weil es nach seiner Meinung nicht ganz in sein Programm paßt, möchte ich den dringenden Wunsch ver­ binden, doch den vollen Anschluß an die offizielle historische Kartenwissenschaft und ihre wertvollen Veröffentlichungen (Frz. von Wieser, Jos. Fischer, E. Ober­ hummer, A. Wolkenhauer, A. Hermann u. a.) zu suchen und die ältesten Karten von Franken mit einzubeziehen. Wo anders sollte man denn diese kostbaren Erstlinge suchen als unter den nun einmal glücklich in die Welt gesetzten „Land­ karten von Franken“, wer ist berufener, sich ihrer anzunehmen als die Stadt Nürnberg mit ihrer glanzvollen kartographischen Vergangenheit, von der ja c(ie großartige Ausstellung zum 16. Deutschen Geographentag im Jahre 1907, die be­ reits viele der vorliegenden Pläne bot, beredtes Zeugnis gab? Der dazu von Johannes Müller verfaßte Katalog verdiente nicht nur gönnerhaft erwähnt, son­ dern unter den vorbereitenden Arbeiten für eine Geschichte der Nürnberger Kartographie als grundlegend an erster Stelle genannt zu werden. Die zeitgemäße Umarbeitung und durch die Etzlaubforschungen Wolkenhauers und andere Unter­ suchungen auf den neuesten Stand gebrachte Weiterführung des beigefügten Überblickes wäre gerade das gewesen, was wir uns als unerläßliche Einleitung gedacht hätten. Das gründliche Studium dieser Vorbilder, dazu der gediegenen und ausführlichen „Kartenwissenschaft“ von Max Eckert (2 Bände, Berlin 1921—25), die auch viele Hinweise auf die Nürnberger Sonderleistungen ent­ hält, so auf die „Waldkarten“ (I, 326, 374, 421), auf die Meisterwerke P. Pfinzings (I, 259, 427), auf die Rundkarte von 1492, „die älteste Spezialkarte Deutsch­ lands“, hätte dem eifrigen Verfasser , auch die nötige methodische Schulung ver­ mittelt und ihn mit der schon bestehenden reichen Literatur bekannt gemacht Es handelt sich um folgende Karten, die in Verbindung mit der nachzu­ holenden Geschichte der fränkischen Kartographie eine Sondermappe bilden sollten: 18



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1. Die Erhard Etzlaub zugeschriebene, mit „Jörg Glogkendon“ Unterzeich­ nete, unbetitelte Karte der Umgebung von Nürnberg. 1492. Holzschnitt auf Papier. Einziges Exemplar, eingeklebt als Bl. 331 in die Inc. c. a. 2918 der Bayer. Staats­ bibliothek München. Nach Süden orientiert, Blattgröße 248X367 mm, Durch­ messer des inneren Kreises 218 mm. Maßstab ca. 1:1 000 000. Reicht im Norden bis Koburg, Westen bis Crailsheim, Osten bis Nabburg und Süden bis Vohburg. Vgl. Wolkenhauer, Der Nürnberger Kartograph E. E. Deutsche Geogr. Blät­ ter Bd. 30, Bremen 1907; W. Rüge, Älteres kartographisches Material in deut­ schen Bibliotheken, 4. Bericht. Nachr. der k. Ges. d. Wiss. Göttingen 1911 Nr. 32. War 1907 nicht ausgestellt. 2. Petrus Apianus, Das Francken Landt. Chorographia Franciae Orientalis. 1533. Holzschnitt auf Papier. Nach Süden orientiert. 550X403 mm. 4 verschieden große Blätter. Maßstab ca. 1 :380 000. Umfaßt das Gebiet des Mains von den Quellen bis Frankfurt. Im Norden bis Schmalkalden, Westen bis Frankfurt, Süden bis Altdorf und Rothenburg o. d. T., Osten bis Amberg. Die Karte ist auch nach Seb. von Rotenhan benannt und wurde ähnlich wie Reichs Karte der Oberpfalz vom Jahre 1540 in den Atlas des Ortelius aufgenommen; außerdem bei S. Münster. Bekannt 3 Originale: Universitätsbibliothek Jena (sehr beschädigt), Universitätsbibliothek Löwen und Nationalbibliothek Paris. Im Manuskript angeb­ lich schon 1520 gezeichnet. In der Ausstellung 1907 nur Neuauflage von 1571. Vgl. W^ Rüge, a. a. O. Nr. 40; E. Brandmair, Bibliogr. Untersuchung über Entstehung und Entwicklung des Ortelianischen Kartenwerkes. Progr. der Rupprecht-Kreisrealschule München I. Teil, 1914, S. 55; Müller a. a. O. Nr. 41. 3. (Das Gebiet der Reichsstadt Rothenburg ob der Tauber) W. Z., Imago situs civitatis Rothenburgensis Tuberinae cum territorio eidem subiecto. Anno 1537. Aquarellzeichnung mit teilweiser Ölmalerei auf Leinwand. 161:161 cm. Gei manisches Museum. „Die Karte ist zwar verkehrt orientiert, aber im Lage­ plan richtig und außerdem auch kulturhistorisch höchst interessant, da auf ihr zahlreiche Szenen aus dem Volksleben der Reformationszeit abgebildet sind“ (J.1 Müller a. a. O. Nr. 26). 4. Die nördlichen Blätter der „Bayerischen Landtafeln von Philipp Apian“ 1568. Die Darstellung des Gebietes der Reichsstadt, die in Miniaturansicht treff­ lich wiedergegeben ist, ist noch nicht untersucht. Vgl. zu Apian O. Hartig in „Bayerland“ Bd. 29, 191708, S. 325 ff. Diesen ältesten Blättern wären wenigstens Proben von Land- und Speziale karten aus späteren Jahrhunderten anzufügen, so von Nürnberger Seite W. Kilian (1621), H. G. und G. K. Jung (1638), N. Ritterhausen (um 1667), Sandrart (um 1670) und die Nürnberger Gebietskarten von J. Hoffmann, Chr. Scheuerer, M. F. Cnopf, Henning (Fürth), vor allem aber die Meisterwerke von Paul Pfinzing, deren Würdigung der Herausgeber ohnedies in Aussicht gestellt hat. Erfreulicher­ weise ist, wie ich höre, vom Institut für Landesforschung an der Universität Erlangen eine Arbeit über die Nürnberger Kartographie des 16. und 17. Jahr­ hunderts geplant, die voraussichtlich den gesamten Stoff der bisher erschienenen Mappen neuerdings methodisch durchdringen und ordnen wird, aber auch in gegenseitiger Förderung die Auswahl für die gewünschte Ergänzungsmappe tref­ fen und sich damit selbst das geeignete Bildermaterial sichern könnte. Würden dabei noch die Kartenbestände der Universitätsbibliotheken, der Staatlichen Bibliothek Bamberg, der Bayer. Staatsbibliothek München und der an seltenen Stücken besonders reichen Armeebibliothek in Münche'h miteinbezogen, so wäre die Vollständigkeit erreicht, die man dem ebenso mühevollen als verdienstvollen Werke wünschen möchte. Otto Hartig. Dieter P leMC^'obfJ?!intoi3irrK’lvf?)fltH)£t.$öfiprn tHieiiJlvrfclonötni^vorjfmemratrnpvnirtlfmju&innnJeinlvy&ainnnimbcrlKttttiiian

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Stammtafel für Otto von Hammerstein *•).

Zu

>5.

Konrad, Stammvater aller Konradiner Rudolf+ 908, Bischof von Würzburg

Gebhard+910, Graf im Rheingau und in der Wetterau

Udo +949, Graf von der Wetterau

Hermann I. t 948, Herzog von Schwaben Ida. Gemahl: Ludolf, Herzog v. Schwaben + 957 I Otto +982, Herzog von Schwaben Hermann III. +1012, Herzog von Schwaben 1. Liudulf +1038, Graf von Braunschweig, Zeuge 1027 X 19 (Bamb. Reg. 198)?

Gebhard + 938

Udo +982

Hermann II. 11003, Herzog von Schwaben

Konrad +997, , Herzog von Schwaben Gebhard +1016, Graf der Wetterau

Otto von Hammerstein + 1036 Gemahlin: Irmingard

Gisela. Gemahl: 1. Brun von Braunschweig Udo + 1034 Hizila (1024) 2. Ernst I., Herzog von Schwaben +1015 3. Kaiser Konrad II. ■> ■......... .. ....1 ■■ ■ --------------- ------------------ 2. Ernst II. + 1030, Hermann IV. +1038, 3. Kaiser Heinrich III. Herzog von Schwaben Herzog von Schwaben

Otto von Schweinfurt +1057 Gemahlin: Irmingard von Susa I Töchter

Kunigunde + 997 Gern.: Siegfried von Walbeck

Thietmar, Bischof von Merseburg + 1018, Chronist.

Konrad I„ König 911, +918 I Tochter I Konrad der Rote +955, Herzog von Lothringen I Otto + 1004, Herzog von Kärnten Konrad +1011, Herzog von Kärnten

Heinrich + um 1000

I Konrad der Jüngere + 1039, Herzog von Kärnten

Kaiser Konrad II. + 1039. Gemahlin: Gisela Kaiser Heinrich III.

Stammtafel für Irmingard von HammersteinÄ7).

Mathilde. Gern.: Godfried der Gefangene, Graf von Verdun, Sohn des Gozelin und der Voda

Bernhard, Herzog von Sachsen 973—1011 Gern.: Hildegard von Stade

Hizila (1024)

Judith. Gemahl: Heinrich I. v. Stade

N . . (Schwester) Gemahl: Friedrich von Luxemburg, Bruder der Kaiserin Kunigunde

Gerbirga, Gemahl: Heinrich v. Schweinfurt + 1017

Hermann Billung, Herzog von Sachsen +973

Adalbero, Bischof von Verdun

Eberhard +939, Herzog von Franken I I Grafen von Sponheim

Konrad Kurzbold, Graf vom Niederlahngau

Wichmann. Gemahlin: Schwester der Königin Mathilde (Gern.: Heinrich I.)

Irmingard + 1040/42 Gern.: Otto v. Hammer stein +1036

Konrad +905, Graf im Hessen- und Oberlahngau

Heribert, Graf der Wetterau u. im Kinziggau + zw. 985 u. 1002 Gemahlin: Imiza, Tochter des Grafen Meginpoz von Geldern u. der Gerbirch

Ekbertl. Markgraf von Meißen + 1068 Gemahlin: Irmingard von Susa, Wwe. Ottos von Schweinfurt I Ekbert II. Markgraf von Meißen +1090

Udo +1034

Eberhard +902, Graf im oberen Main- und Niederlahngau

Friedrich, Graf von Verdun

Godfried, Herzog von Nieder­ lothringen 1012 — 1023

Godfried der Bärtige, Herzog von Oberlothringen, seit 1065 Herzog von Niederlothringen +1069

#) Stifter des Naumburger Doms. Dort stehen ihre Bildnisse aus Stein.

Gczelo +1044; seit 1023 Herzog von Nieder­ lothringen, seit 1033 von ganz Lothringen Gozelo, Herzog von Niederlothringen 1044 —1046

Suanahild +1014 Nov. 26. Gern.: 1. Markgraf Thietmar von Meißen +978 2. Markgraf Ekkehard von Meißen, ermordet 1002 April 30

Gero, Markgraf, Graf im Hassen- und Schwabengau 1010 Friedrich, als Papst Stephan IX. + 1058

Hermann, Markgraf von Meißen *) + 1031/32 Gern.: Regilindis *)

Gisilbert (1027 Oktober 19)

Ekkehard II., Markgraf von Meißen u. Lausitz *) + 1046 Jan. 24. Gern.: Uta von Ballenstädt *)

Dedi, Markgraf der Lau­ sitz, Graf des Schwabenu. Hassengaues 1046 +1075 Okt.

Mathilde. Gern.: Diderich, Markgraf der Lausitz + 1034 Nov. 19 (Bamb. Reg. 198, 199)

Thiemo, Graf v. Brehna I Thiemo, Graf v. Brehna Gern.: Ida, Tochter Ottos von Nordheim, Herzogs von Bayern I Dedo+1124 I Mathilde. Gern.: Rapoto, Graf von Abensberg tum 1170