Mitteilungen des Vereins für Geschichte der Stadt Nürnberg [61]

Table of contents :
Drei hochverdiente Mitglieder werden 70 Jahre alt............................... 1
Lore Sporhan-Krempel, Die Roßhaupter-Fehde 1433—1439 4
Erich Mulzer, Das Jamnitzerhaus in Nürnberg und der Goldschmied
Wenzel Jamnitzer..................................................................... 48
Klaus Pechstein, Der Merkelsche Tafelaufsatz von Wenzel Jamnitzer
...........................................................................................................90
Georg K u h r , Stammfolge der Familie Jamnitzer in Nürnberg . . 122
Renate Freitag-Stadler, Neunhof bei Kraftshof, ein Nürnberger
Patriziersitz.................................................................................. 129
Rudolf E n d r e s, Zum Problem der Landeshoheit in Franken. Der
Übergang Eschenaus an Bayreuth............................................................161
Werner Schultheiß (f), Altnürnberger Rechtspflege und ihre
Stätten........................................................................................................188
Günther Bräutigam - Matthias Mende, „Mähen mit Dürer".
Literatur und Ereignisse im Umkreis des Dürer-Jahres 1971 (Teil l) 204
Kleine Beiträge
Siegfried Freiherr von S c h e u r 1, Die Scheurl von Defersdorf . . 283
Helmut H e i n t e 1 - Gerhard Hirschmann, Notaufnahme eines
Epileptikers im Heilig-Geist-Spital Nürnberg im Jahre 1783 . . 293
Julius Beckstein, Der Luftangriff auf Nürnberg am 30./31. März
1944 im Rahmen des englischen Bombenkrieges gegen Deutschland 302
Buchbesprechungen (im einzelnen siehe Rückseite) . . 307
Neue Aufsätze zur Nürnberger Geschichte.................................................... 351
Jahresbericht über das 96. Vereinsjahr 1973 353
Hinweis: Erste Celtis-Gesamtausgabe............................................................373
V
BUCHBESPRECHUNGEN
Wolfgang Wießner (Bearb.), Das Gesamturbar des Zisterzienserklosters Ebrach
vom Jahre 1340, Würzburg 1973. (Karl-Engelhardt Klaar)......................................307
Das „Böhmische Salbüchlein“ Kaiser Karls IV. über die nördliche Oberpfalz 1366/68.
Hrsg, von Fritz Schnelbögl, München-Wien 1973. (Gerhard Hirschmann) . 310
Joachim Telle, Petrus Hispanus in der altdeutschen Medizinliteratur. Untersuchungen
und Texte unter besonderer Berücksichtigung des „Thesaurus pauperum“,
Heidelberg 1972. (Christian Probst).................................................................................. 311
Georg Hetzelein, Konrad von Megenberg, der erste deutsche Naturhistoriker,
Nürnberg 1973. (Helmut Häußler).................................................... 312
Gerd Simon, Die erste deutsche Fastnachtsspieltradition. Zur Überlieferung, Textkritik
und Chronologie der Nürnberger Fastnachtsspiele des 15. Jahrhunderts,
Lübeck und Hamburg 1970. (Erich Straßner)............................................................ 312
Die Goldene Bulle Kaiser Karls IV. vom Jahre 13 56, Text, bearb. von Wolfgang
D. Fritz, hrsg. von der Deutschen Akademie der Wissenschaften in Berlin,
Zentralinstitut für Geschichte, Weimar 1972. (Hans Liermann)..................................... 313
Johannes Müllner, Die Annalen der Reichsstadt Nürnberg von 1623, Teil I: Von
den Anfängen bis 13 50, hrsg. von Gerhard Hirschmann, Nürnberg 1972
(Ludwig Schnurrer)................................................................................................................315
Christa S c h a p e r , Die Hirschvogel von Nürnberg und ihr Handelshaus, Nürnberg
1973. (Christa Schaper, Selbstanzeige).................................................................................. 317
Elisabeth Rücker, Die Schedelsche Weltchronik. Das größte Buchuntemehmen der
Dürer-Zeit. Mit einem Katalog der Städteansichten, München 1973. (Friedrich
Merzbacher) ........................................................................................................................318
Das Lochamer-Liederbuch. Einführung und Bearbeitung der Melodien von Walter S a 1 -
men, Einleitung und Bearbeitung der Texte von Christoph P e t z s c h , Wiesbaden
1972. (Klaus-Jürgen Sachs)..........................................................................................319
R. F. Timken-Zinkann, Ein Mensch namens Dürer, Berlin 1972 (Fritz Schnelbögl)
....................................................................................................................................... 320
Johannes Merkel, Form und Funktion der Komik im Nürnberger Fastnachtsspiel,
Freiburg i. Br. 1971. (Walter Lehnert).................................................................................. 322
Fastnachtsspiele des 15. und 16. Jahrhunderts, unter Mitarbeit v. Walter Wuttke
ausgewählt u. hrsg. von Dieter Wuttke, Stuttgart 1973. (Horst Brunner) . 323
Hommage ä Dürer, Strasbourg et Nuremberg dans la premiere moitie du XVIe siecle,
Strasbourg 1972. (Gerhard Pfeiffer).................................................................................. 324
Lawrence Paul Buck, The Containment of Civil Insurrektion: Nürnberg and the
Peasants’ Revolt, Ohio 1971. (Rudolf Endres)................................................................... 325
Rainer G. Schöller, Der gemeine Hirte. Viehhaltung, Weidewirtschaft und Hirtenwesen
vornehmlich des nachmittelalterlichen Umlandes von Nürnberg, Nürnberg
1973. (Bernward Deneke)................................................................................................. 326
Peter A s s i o n und Joachim Telle, Der Nürnberger Stadtarzt Johannes Magenbuch.
Zu Leben und Werk eines Mediziners der Reformationszeit, Wiesbaden 1972.
(Christian Probst)................................................................................................................328
Nürnberger Totengeläutbücher III. St. Sebald 1517—1572. Bearb. von Helene Burger,
Neustadt a. d. Aisch 1972. (Gerd Wunder)...........................................................................329
Deutscher Glockenatlas, Bd. Mittelfranken, bearb. v. Sigrid Thurm, München-Berlin
1973. (Fritz Schnelbögl).........................................................................................................330
Rosemarie Franz, Der Kachelofen, Entstehung und kunstgeschichtliche Entwicklung
vom Mittelalter bis zum Ausgang des Klassizismus, Graz 1969. (Rainer Kahsnitz) 332
Hanns-Ulrich Haedeke, Zinn, Braunschweig 1973. (Klaus Pechstein) . . . . 334
Die Ebermannstädter Liederhandschrift, hrsg. u. kommentiert v. Rolf Wilhelm B r e d -
nich und Wolfgang Supp an, Kulmbach 1972. (Horst Brunner) . . . 334
Peter van Treek, Franz Ignaz Michael Neumann, Würzburg 1973. (Helmut Häußler) 336
Sibylle Ulmer, Leonhard Christoph Lahner (1738—1804), Würzburg 1973. (Wolfgang
Leiser)...............................................................................................................................337
VI
Briefe an den Geheimrat Johann Caspar v. Lippert in den Jahren 1758—1800, bearb. v.
Richard Messerer, München 1972. (Gerhard Hirschmann).............................. 338
Horst Wagenblass, Der Eisenbahnbau und das Wachstum der deutschen Eisenund
Maschinenbauindustrie 1835—1860, Stuttgart 1973. (Uwe Bestmann) . . 338
Waldemar Siekaup, Städtische Wirtschaftsschule Nürnberg 1873—1973, Nürnberg
1973 (Wilfried Franz)......................................................................................................339
Erich M u 1 z e r , Der Wiederaufbau der Altstadt von Nürnberg 1945—1970, Erlangen
1972. (Wilhelm Schwemmer).................................................................................................340
Hartmut Beck, Neue Siedlungsstrukturen im Großstadt-Umland, aufgezeigt am Beispiel
von Nürnberg-Fürth, Nürnberg 1972. (Erich Mulzer)......................................341
Probleme der Bevölkerungsballung, aufgezeigt am Beispiel des Raumes Nürnberg-Fürth,
Ernst Weigt zum 65. Geburtstag, Schriftleitung Hartmut Beck, Nürnberg
1974. (Winfried Wroz)........................................................................................................ 342
Renate Freitag-Stadler, Herrensitze im Bereich der Reichsstadt Nürnberg unter
Berücksichtigung des Problems der Weiherhäuser, Erlangen 1972. (Helmut Häußler) 344
Archiv der Freiherren Stromer von Reichenbach auf Burg Grünsberg, Teil I: Urkunden,
bearb. v. Matthias Thiel, Teil II: Akten, bearb. v. Carl Adam, Neustadt
a. d. Aisch 1972. (Gerhard Hirschmann).......................................................................... 345
Hans Winterroth, Veldershof, Schwabach 1973. (Albert Bartelmeß) . . . 347
Eberhard Wagner u. Georg Hetzelein, Vom Aberglauben in Franken, Nürnberg
1973. (Walter Lehnert).................................................................................................347
Thomas Dehler, Lob auf Franken, Nürnberg 19733. (Helmut Häußler) . . . 348
Fränkische Lebensbilder, hrsg. i. Auftr. der Gesellschaft für Fränkische Geschichte von
Gerhard Pfeiffer, Würzburg 1973. (Wilhelm Schwemmer)....................................... 348
Jahrbuch für fränkische Landesforschung, hrsg. vom Institut für fränkische Landesforschung
an der Universität Erlangen-Nürnberg, Bd. 32, 1972, Bd. 33, 1973,
Neustadt a. d. Aisch. (Fritz Schnelbögl)................................................................... 350

Citation preview

Mitteilungen des Vereins für Geschichte der Stadt Nürnberg

61. Band 1974

Nürnberg 19 7 4 Selbstverlag des Vereins für Geschichte der Stadt Nürnberg

Schriftleitung: Dr. Gerhard Hirschmann, Dr. Fritz Sdinelbögl Für Form und Inhalt der Aufsätze und Rezensionen sind die Verfasser verantwortlich

Für Druckzuscküsse dankt der Verein: der Stadt Nürnberg, der Stadtsparkasse Nürnberg, dem Bezirkstag von Mittelfranken und Herrn Joseph Fremersdorf, Luzern

Gesamtherstellung: Buchdruckerei Ph. C. W. Schmidt, Neustadt/Aisch Klischees: Firma Döss, Nürnberg u. Reinhardt, Nürnberg Alle Rechte, auch des Abdrucks im Auszug, Vorbehalten. Copyright by Verein für Geschichte der Stadt Nürnberg (Geschäftsstelle: 8 5 Nürnberg, Egidienplatz 23)

INHALT Drei hochverdiente Mitglieder werden 70 Jahre alt...............................

1

Lore Sporhan-Krempel,

4

DieRoßhaupter-Fehde 1433—1439

Erich Mulzer, Das Jamnitzerhaus in Nürnberg und der Gold­ schmied Wenzel Jamnitzer..................................................................... 48 Klaus Pechstein, Der Merkelsche Tafelaufsatz von Wenzel Jam­ nitzer ...........................................................................................................90 Georg K u h r , Stammfolge der Familie Jamnitzer in Nürnberg .

.

122

Renate Freitag-Stadler, Neunhof bei Kraftshof, ein Nürn­ berger Patriziersitz.................................................................................. 129 Rudolf E n d r e s, Zum Problem der Landeshoheit in Franken. Der Übergang Eschenaus an Bayreuth............................................................161 Werner Schultheiß (f), Altnürnberger Rechtspflege und ihre Stätten........................................................................................................188 Günther Bräutigam - Matthias Mende, „Mähen mit Dürer". Literatur und Ereignisse im Umkreis des Dürer-Jahres 1971 (Teil l)

204

Kleine Beiträge Siegfried Freiherr von S c h e u r 1, Die Scheurl von Defersdorf .

.

283

Helmut H e i n t e 1 - Gerhard Hirschmann, Notaufnahme eines Epileptikers im Heilig-Geist-Spital Nürnberg im Jahre 1783 . .

293

Julius Beckstein, Der Luftangriff auf Nürnberg am 30./31. März 1944 im Rahmen des englischen Bombenkrieges gegen Deutschland

302

Buchbesprechungen (im einzelnen siehe Rückseite) .

307

.

Neue Aufsätze zur Nürnberger Geschichte.................................................... 351 Jahresbericht über das 96. Vereinsjahr 1973

353

Hinweis: Erste Celtis-Gesamtausgabe............................................................373

V

BUCHBESPRECHUNGEN Wolfgang Wießner (Bearb.), Das Gesamturbar des Zisterzienserklosters Ebrach vom Jahre 1340, Würzburg 1973. (Karl-Engelhardt Klaar)......................................307 Das „Böhmische Salbüchlein“ Kaiser Karls IV. über die nördliche Oberpfalz 1366/68. Hrsg, von Fritz Schnelbögl, München-Wien 1973. (Gerhard Hirschmann) . 310 Joachim Telle, Petrus Hispanus in der altdeutschen Medizinliteratur. Unter­ suchungen und Texte unter besonderer Berücksichtigung des „Thesaurus pauperum“, Heidelberg 1972. (Christian Probst).................................................................................. 311 Georg Hetzelein, Konrad von Megenberg, der erste deutsche Naturhistoriker, Nürnberg 1973. (Helmut Häußler).................................................... 312 Gerd Simon, Die erste deutsche Fastnachtsspieltradition. Zur Überlieferung, Text­ kritik und Chronologie der Nürnberger Fastnachtsspiele des 15. Jahrhunderts, Lübeck und Hamburg 1970. (Erich Straßner)............................................................ 312 Die Goldene Bulle Kaiser Karls IV. vom Jahre 13 56, Text, bearb. von Wolfgang D. Fritz, hrsg. von der Deutschen Akademie der Wissenschaften in Berlin, Zentralinstitut für Geschichte, Weimar 1972. (Hans Liermann)..................................... 313 Johannes Müllner, Die Annalen der Reichsstadt Nürnberg von 1623, Teil I: Von den Anfängen bis 13 50, hrsg. von Gerhard Hirschmann, Nürnberg 1972 (Ludwig Schnurrer)................................................................................................................315 Christa S c h a p e r , Die Hirschvogel von Nürnberg und ihr Handelshaus, Nürnberg 1973. (Christa Schaper, Selbstanzeige).................................................................................. 317 Elisabeth Rücker, Die Schedelsche Weltchronik. Das größte Buchuntemehmen der Dürer-Zeit. Mit einem Katalog der Städteansichten, München 1973. (Friedrich Merzbacher) ........................................................................................................................318 Das Lochamer-Liederbuch. Einführung und Bearbeitung der Melodien von Walter S a 1 men, Einleitung und Bearbeitung der Texte von Christoph P e t z s c h , Wies­ baden 1972. (Klaus-Jürgen Sachs)..........................................................................................319 R. F. Timken-Zinkann, Ein Mensch namens Dürer, Berlin 1972 (Fritz Schnel­ bögl) ........................................................................................................................................ 320 Johannes Merkel, Form und Funktion der Komik im Nürnberger Fastnachtsspiel, Freiburg i. Br. 1971. (Walter Lehnert).................................................................................. 322 Fastnachtsspiele des 15. und 16. Jahrhunderts, unter Mitarbeit v. Walter Wuttke ausgewählt u. hrsg. von Dieter Wuttke, Stuttgart 1973. (Horst Brunner) . 323 Hommage ä Dürer, Strasbourg et Nuremberg dans la premiere moitie du XVIe siecle, Strasbourg 1972. (Gerhard Pfeiffer).................................................................................. 324 Lawrence Paul Buck, The Containment of Civil Insurrektion: Nürnberg and the Peasants’ Revolt, Ohio 1971. (Rudolf Endres)................................................................... 325 Rainer G. Schöller, Der gemeine Hirte. Viehhaltung, Weidewirtschaft und Hirten­ wesen vornehmlich des nachmittelalterlichen Umlandes von Nürnberg, Nürnberg 1973. (Bernward Deneke)................................................................................................. 326 Peter A s s i o n und Joachim Telle, Der Nürnberger Stadtarzt Johannes Magen­ buch. Zu Leben und Werk eines Mediziners der Reformationszeit, Wiesbaden 1972. (Christian Probst)................................................................................................................328 Nürnberger Totengeläutbücher III. St. Sebald 1517—1572. Bearb. von Helene Burger, Neustadt a. d. Aisch 1972. (Gerd Wunder)...........................................................................329 Deutscher Glockenatlas, Bd. Mittelfranken, bearb. v. Sigrid Thurm, München-Berlin 1973. (Fritz Schnelbögl).........................................................................................................330 Rosemarie Franz, Der Kachelofen, Entstehung und kunstgeschichtliche Entwicklung vom Mittelalter bis zum Ausgang des Klassizismus, Graz 1969. (Rainer Kahsnitz) 332 Hanns-Ulrich Haedeke, Zinn, Braunschweig 1973. (Klaus Pechstein) . . . . 334 Die Ebermannstädter Liederhandschrift, hrsg. u. kommentiert v. Rolf Wilhelm B r e d nich und Wolfgang Supp an, Kulmbach 1972. (Horst Brunner) . . . 334 Peter van Treek, Franz Ignaz Michael Neumann, Würzburg 1973. (Helmut Häußler) 336 Sibylle Ulmer, Leonhard Christoph Lahner (1738—1804), Würzburg 1973. (Wolf­ gang Leiser)................................................................................................................................337

VI

Briefe an den Geheimrat Johann Caspar v. Lippert in den Jahren 1758—1800, bearb. v. Richard Messerer, München 1972. (Gerhard Hirschmann).............................. 338 Horst Wagenblass, Der Eisenbahnbau und das Wachstum der deutschen Eisenund Maschinenbauindustrie 1835—1860, Stuttgart 1973. (Uwe Bestmann) . . 338 Waldemar Siekaup, Städtische Wirtschaftsschule Nürnberg 1873—1973, Nürnberg 1973 (Wilfried Franz)...................................................................................................... 339 Erich M u 1 z e r , Der Wiederaufbau der Altstadt von Nürnberg 1945—1970, Erlangen 1972. (Wilhelm Schwemmer).................................................................................................340 Hartmut Beck, Neue Siedlungsstrukturen im Großstadt-Umland, aufgezeigt am Bei­ spiel von Nürnberg-Fürth, Nürnberg 1972. (Erich Mulzer)......................................341 Probleme der Bevölkerungsballung, aufgezeigt am Beispiel des Raumes Nürnberg-Fürth, Ernst Weigt zum 65. Geburtstag, Schriftleitung Hartmut Beck, Nürnberg 1974. (Winfried Wroz)........................................................................................................ 342 Renate Freitag-Stadler, Herrensitze im Bereich der Reichsstadt Nürnberg unter Berücksichtigung des Problems der Weiherhäuser, Erlangen 1972. (Helmut Häußler) 344 Archiv der Freiherren Stromer von Reichenbach auf Burg Grünsberg, Teil I: Urkunden, bearb. v. Matthias Thiel, Teil II: Akten, bearb. v. Carl Adam, Neustadt a. d. Aisch 1972. (Gerhard Hirschmann).......................................................................... 345 Hans Winterroth, Veldershof, Schwabach 1973. (Albert Bartelmeß) . . . 347 Eberhard Wagner u. Georg Hetzelein, Vom Aberglauben in Franken, Nürn­ berg 1973. (Walter Lehnert)................................................................................................. 347 Thomas Dehler, Lob auf Franken, Nürnberg 19733. (Helmut Häußler) . . . 348 Fränkische Lebensbilder, hrsg. i. Auftr. der Gesellschaft für Fränkische Geschichte von Gerhard Pfeiffer, Würzburg1973. (Wilhelm Schwemmer)....................................... 348 Jahrbuch für fränkische Landesforschung, hrsg. vom Institut für fränkische Landes­ forschung an der Universität Erlangen-Nürnberg, Bd. 32, 1972, Bd. 33, 1973, Neustadt a. d. Aisch. (Fritz Schnelbögl)................................................................... 350

VII

VERZEICHNIS DER MITARBEITER Bartelmeß, Albert, Archivoberamtsrat, 85 Nürnberg, Stadtarchiv, Egidienplatz 23 Beckstein, Julius, Dr., Studiendirektor i. R., 85 Nürnberg, Nibelungenstraße 9 Bestmann, Uwe, Dipl.-Kfm., 2 Hamburg 63, Wellingsbüttler Landstraße 176 a Bräutigam, Günther, Dr., Oberkonservator, 85 Nürnberg, Germanisches Nationalmuseum Brunner, Horst, Dr., Priv.-Doz., 8521 Spardorf, Königsberger Straße 6 Deneke, Bernward, Dr., Oberkonservator, 85 Nürnberg, Germanisches Nationalmuseum E n d r e s , Rudolf, Dr., Priv.-Doz., 852 Erlangen, An den Hornwiesen 10 Franz, Wilfried, Dr. rer. pol., Dipl.-Handelslehrer, Seminar für Wirtschafts- und Sozial­ pädagogik, 85 Nürnberg, Brückenstraße 38 Freitag-Stadler, Renate, Dr., 85 Nürnberg, Äußere Bayreuther Straße 156 Häußler, Helmut, Dr., Archivangestellter, 85 Nürnberg, Stadtarchiv, Egidienplatz 23 H e i n t e 1, Helmut, Dr. Dr., Priv.-Doz., Abt.-Leiter der Klinisch-Neurophysiologischen Abt. des Bürgerspitals, 7 Stuttgart, Tunzhofer Straße 14—16 Hirschmann, Gerhard, Dr., Archivdirektor, 85 Nürnberg, Stadtarchiv, Egidienplatz 23 Kahsnitz, Rainer, Dr., Oberkonservator, 85 Nürnberg, Germanisches Nationalmuseum Klaar, Karl-Engelhardt, Dr., Oberarchivrat, 85 Nürnberg, Staatsarchiv, Archivstraße 17 Kuhr, Georg, Pfarrer am Landeskirchl. Archiv Nürnberg, 85 Nürnberg, Veilhofstraße 26 Lehne rt, Walter, Dr., Oberarchivrat, 8 5 Nürnberg, Stadtarchiv, Egidienplatz 23 Leiser, Wolfgang, Dr., Univ.-Prof., 852 Erlangen, Nachtigallenweg 4 Li ermann, Hans, D. Dr., Univ.-Prof., 852 Erlangen, Rathsberger Straße 63 M e n d e , Matthias, Kunsthistoriker, 8 5 Nürnberg, Museen der Stadt, Burg 2 Merzbacher, Friedrich, Dr. Dr., Univ.-Prof., 87 Würzburg, Neubergstraße 9 Mulzer, Erich, Dr., Gymn.-Prof., 85 Nürnberg, Viatisstraße 242 Pechstein, Klaus, Dr., Oberkonservator, 85 Nürnberg, Germanisches Nationalmuseum Pfeiffer, Gerhard, D. Dr., Univ.-Prof., 85 Nürnberg, Schnepfenreuther Weg 15 Probst, Christian, Dr. Dr., Priv.-Doz., Institut für Geschichte der Medizin an der TU München, 8 München 80, Sternwartstraße 2/III Sachs, Klaus-Jürgen, Lektor, Musikwissenschaftliches Seminar der Univ. Erlangen-Nürnberg, 8521 Niederndorf b. Erlangen, Tulpenstraße 18 Schaper, Christa, 85 Nürnberg, Schöpfstraße 27 Frhr. v. Scheurl, Siegfried, Lic., Gymn.-Prof., 85 Nürnberg-Altenfurt, Schornbaumstraße 20 Schnelbögl, Fritz, Dr., Archivdirektor i. R., 85 Nürnberg, Blumröderstraße 9 Schnurrer, Ludwig, Dr., Oberstudienrat, 8803 Rothenburg/Tauber, Gerhart-HauptmannStraße 12 Schultheiß, Werner, Dr., Archivdirektor i. R. (f) Schwemmer, Wilhelm, Dr., Direktor der städt. Kunstsammlungen i. R., 85 Nürnberg, Lindenaststraße 63 Sporhan-Krempel, Lore, Dr., 7 Stuttgart-Vaihingen, Stoßäckerstraße 15 Straßner, Erich, Dr., Univ.-Prof., 7406 Mössingen, Schillerstraße 11 Wroz, Winfried, Dr., wiss. Assistent, Wirtschafts- und sozialgeographisches Institut, 85 Nürnberg, Findelgasse 7 Wunder, Gerd, Dr., Gymn.-Prof. i. R., 717 Schwäbisch Hall, Postfach 664

VIII

DREI HOCHVERDIENTE MITGLIEDER WERDEN 70 JAHRE ALT

Im kommenden Jahre können drei um den Verein hochverdiente Mitglieder ihren 70. Geburtstag feiern: Prof. D. Dr. Gerhard Pfeiffer am 14. Februar, Dr. Fritz Schnelbögl am 26. Januar und Heinrich Hofmann am 18. Mai 1975. Dieses Zusammentreffen ist ein willkommener Anlaß, ihre Verdienste um den Verein und um die Nürnberger Stadtgeschichtsforschung zu würdigen. Als Dr. Gerhard Pfeiffer 1941 die Leitung des Stadtarchivs übertragen er­ hielt, wurde er auch gleich zum Vorsitzenden des Vereins bestellt. Allerdings konnte er dieses Amt nur wenige Monate ausüben, da er bereits im September 1941 zur Wehrmacht eingezogen wurde. Doch genügte ihm diese kurze Zeit, um im Juli 1941 neben den „Mitteilungen“ die neue Reihe der „Nürnberger Forschungen“ ins Leben zu rufen, in der größere Arbeiten zur Nürnberger Ge­ schichte erscheinen sollten. Band 1 brachte mit der Dissertation von Ingeborg Stöpel „Nürnbergs Presse in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts“ einen guten Anfang. Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges war Gerhard Pfeiffer von 1946 bis 1951 zweiter und dann von 1952 bis 1961 erster Vorsitzender des Vereins. Unter seiner Leitung nahm das Vereinsleben einen neuen Aufschwung. Ein reiches Programm von Vorträgen und von wissenschaftlichen Exkursionen wurde angeboten, die Jahresbände der „Mitteilungen“ begannen ab 1949 wie­ der zu erscheinen und gewannen von Jahr zu Jahr ebenso an äußerem Umfang wie an wissenschaftlichem Gewicht. Ab 1955 konnte auch die Reihe der „Nürn­ berger Forschungen“ mit wichtigen Doktorarbeiten aus der Nürnberger Ge­ schichte fortgesetzt werden. Zu vier Bänden der „Mitteilungen“ steuerte Gerhard Pfeiffer selbst ge­ wichtige Aufsätze bei: Die Arbeit über Friedrich Wilhelm Ghillany (Bd. 41) erhellte Nürnbergs Geistesgeschichte im 19. Jahrhundert. Der allgemeinen Stadtgeschichte gewidmet waren seine Beiträge über den „Aufstieg der Reichs­ stadt Nürnberg im 13. Jahrhundert“ (Bd. 44) und über „Nürnbergs Selbstver­ waltung 1256—1956“ (Bd. 48). Eine Spezialuntersuchung über „Die Privilegien der französischen Könige für die oberdeutschen Kaufleute in Lyon“ brachte endlich Bd. 53. Durch seine Berufung auf den Lehrstuhl für bayerische Landesgeschichte an der Universität Erlangen-Nürnberg 1962 sah sich Prof. Dr. Pfeif­ fer zwar gezwungen, den Vorsitz im Verein niederzulegen, doch blieb er der Arbeit des Vereins als Mitglied des Beirates bis heute eng verbunden. Aus seinen umfangreichen Forschungen zur Nürnberger Geschichte, die nicht unmittelbar im Zusammenhang mit dem Verein stehen, seien stellvertretend hervorgehoben die Herausgabe des „Nürnberger Urkundenbuches bis 1300“, die Publikation von „Quellen zur Nürnberger Reformationsgeschichte“ (1968) und endlich die Herausgabe der großen Stadtgeschichte, die 1971 unter dem i

1

Titel „Nürnberg, Geschichte einer europäischen Stadt“ erschien und zu der er selbst große Abschnitte beisteuerte. Der zweite Jubilar Dr. Fritz Schnelbögl war von 1953 bis 1968 Vorstand des Staatsarchivs Nürnberg. In dieser Eigenschaft wurde ihm das dort ver­ wahrte wertvolle reichsstädtische Archiv besonders vertraut und regte ihn zu zahlreichen historischen Studien an. Im Geschichtsverein hatte Fritz Schnelbögl von 1953 bis 1962 das Amt des Schriftführers inne, das er mit großer Sorgfalt und steter Pünktlichkeit ausübte. Davon zeugen die Jahresberichte und die Protokolle über die Vorstandssitzungen. Nach seinem Rücktritt vom Amt des Schriftführers gehörte er weiterhin dem Beirat des Vereins an und übernahm ab 1969 dankenswerterweise das Amt des stellvertretenden Vereinsvorsitzen­ den, das er bis heute innehat. In dieser Eigenschaft wirkt er aktiv an der Ge­ staltung der Vereinsarbeit und der Herausgabe der Bände der „Mitteilungen“ mit. Seine reiche Lebenserfahrung und seine umfassenden Kenntnisse der Nürnberger Geschichte befähigen ihn, immer wieder guten Rat und wertvolle Auskünfte zu geben. Darüber hinaus diente Fritz Schnelbögl dem Verein wiederholt mit Vor­ trägen und lieferte für die „Mitteilungen“ aus eigener Feder mehrere Auf­ sätze, die vornehmlich seinem Spezialforschungsgebiet, der historischen Karto­ graphie, gewidmet waren. So würdigte er das Werk der Kartographen Paul Pfinzing (Bd. 45), Erhard Etzlaub (Bd. 49 und 57), Jörg Nöttelein (Bd. 50) und weiterer Nürnberger Meister des 16. Jahrhunderts (Bd. 51). Für die Festschrift des Vereins „Albrecht Dürers Umwelt“ zum 500. Geburtstag des Künstlers im Jahre 1971 (Nürnberger Forschungen Bd. 15) schrieb er den reizvollen Aufsatz über „Das Nürnberg Albrecht Dürers“. Aus der Reihe seiner weiteren Veröffentlichungen, die meist dem ehemaligen Landgebiet der Reichsstadt Nürnberg gewidmet sind, seien die Monographie über Lauf-Schnaittach (1941), die Herausgabe des „Böhmischen Salbüchleins“ Kaiser Karls IV. von 1366/68 (1973) und neuerdings die Geschichte der Stadt Auerbach in der Oberpfalz hervorgehoben. Der Dritte im Bunde der Jubilare ist Sparkassen-Amtsrat i. R. Heinrich Hofmann. Sein Wirken für den Verein verdient ganz besonders hervorgehoben zu werden, da er das wichtige Amt des Schatzmeisters seit dem 15. April 1940 — nur unterbrochen durch die Zeit seines Dienstes in der Wehrmacht — inne­ hat. In dieser langen Zeit von nahezu 35 Jahren hat er die Finanzen des Ver­ eins auf die beste Weise verwaltet. Dazu hatte er ungezählte Buchungen vor­ zunehmen; Gelder in der Höhe von über einer Million gingen durch seine Hände. Immer war er bemüht, die eingegangenen Gelder zinsgünstig anzulegen und säumige Zahler mit sanfter Mahnung an die Außenstände zu erinnern. So ist es ihm zu verdanken, daß sich die Finanzen des Vereins ständig in einem wohlgeordneten Zustand befunden haben. Damit hat er die materielle Grund­ lage geschaffen für die Herausgabe der Publikationen des Vereins. 2

Der Verein für Geschichte der Stadt Nürnberg dankt den drei Jubilaren an­ läßlich ihres 70. Geburtstages aufs herzlichste für all die Arbeit, die sie über lange Jahre hinweg in der Vorstandschaft ehrenamtlich geleistet haben. Gleich­ zeitig wünscht er ihnen auch für die kommenden Lebensjahre eine so gute Ge­ sundheit und so viel geistige Spannkraft wie bisher, so daß sie noch recht lange im Verein aktiv wirken können. Im Namen des Vorstands: Dr. Gerhard Hirsckmann Vorsitzender

3

DIE ROSSHAUPTER-FEHDE 1433-1439

Von Lore Sporhan-Krempel

1. Einleitung

In den Jahren zwischen rund 1430 und 1440 spielte sich in Nürnberg eine Fehde ab, die zu den interessantesten nicht nur in diesem Jahrhundert gehört, entstanden aus einem Schuldverhältnis zweier Kaufleute. Trotz vieler Einzel­ heiten, die wir erfahren, bleiben noch zahlreiche Probleme offen. Manche davon können aus der Kenntnis des Fehderechts beantwortet werden, Wichtiges bleibt dennoch ungeklärt. Hätten wir ein genaues Wissen um das mittelalterliche Konkursrecht, so ließen sich gewiß noch manche Fragen beantworten. Doch leider fehlen gerade über dieses Gebiet zuverlässige moderne Untersuchungen. So ist es unmöglich, die Fehde, um die es hier geht, rechtsgeschichtlich zu durch­ leuchten, zumal die Verfasserin auch keine Rechtshistorikerin ist. Die Vorgänge können nur geschildert werden, es können Fragen gestellt werden, besonders solche nach etwaigen emotionellen Beweggründen der Beteiligten. Denn es sind ja häufig die menschlichen Unzulänglichkeiten, Vorurteile, Schwächen und Ge­ fühlsbewegungen, die die Ereignisse entscheidend mitgestalten. Es bleibt zu hoffen, daß die Fakten der Fehde später auch einmal als Material für eine durchgreifende rechtsgeschichtliche Untersuchung dienen *.

2. Die Handelsgesellschaft Stromer-Ortlieb

Nürnberg war zu Beginn des 15. Jahrhunderts schon ein ziemlich selbständiges Gemeinwesen und hatte bereits viele wichtige Privilegien erlangt12. Schon um 1400 betrieben Nürnberger Unternehmer ausgedehnten Fernhandel „von Kon­ stantinopel bis England, vom Baltikum bis zu der Pyrenäenhalbinsel, vom Sund

1 Benützt wurden die Bestände folgender Archive: Staatsarchiv Nürnberg, Stadtarchive in Lauingen, Nördlingen, Nürnberg, Ulm, Archiv des Germanischen Nationalmuseums in Nürn­ berg, Hauptstaatsarchiv Stuttgart, Haus-, Hof- und Staatsarchiv Wien. Allen Damen und Herren dieser Institutionen danke ich für ihre freundliche Unterstützung; mein besonderer Dank gilt den Herren Prof. Dr. Leisner, Erlangen, Prof. Dr. G. Pfeiffer, Gerhard Piccard, Ruit/Eßlingen, A. Rieber, Ulm, Prof. Dr. v. Stromer, Nürnberg. * Gerhard Hirschmann, Nürnbergs Handelsprivilegien, Zollfreiheiten und Zollverträge bis 1399, in: Beiträge zur Wirtschaftsgeschichte Nürnbergs, Bd. 1, S. 1 ff. Nbg. 1967. Künftig: Beiträge. —Vgl. auch zu diesem Kapitel MVGN 1971, Helmut Müller, Die Reichspolitik Nürnbergs im Zeitalter der luxemburgischen Herrscher 1346—1437.

4

MVGN 61 (1974)

Roßhaupter-Fehde

bis nach Süditalien“ 8. Sie waren erfolgreich in die Geschäfte mit Buntmetall eingestiegen34, 5 tätigten Geldgeschäfte und ließen ihr Kapital politisch ar­ beiten 6. Zu den bedeutendsten Handelshäusern Nürnbergs schon im 14. Jahrhundert zählte das der Stromer (Stromair)6. Regierer und Teilhaber der Firma waren in hohem Maße mitbeteiligt am Ausbau des Nürnberger Handels und auch an der Beschaffung so mancher für die Stadt wichtigen Privilegien. Ihre Geschäfte erstreckten sich über die bereits genannten geographischen Räume, und sie handelten mit allem, was die Märkte damals anboten und forderten, auch steckten sie tief in Geldgeschäften und Politik. Mit Peter Stromer, dem „Er­ finder“ der Nadelholzsaat, die 1368 erstmals im Nürnberger Reichswald aus­ probiert wurde, und dessen wesentlich jüngerem Bruder Ulman, bekannt als Verfasser des „püchl von mein gesiecht und abentewr“ und als Erbauer der ersten deutschen Papiermühle, erreichte die Firma ihre größte Bedeutung. Als im Pestjahr 1406/07 eine große Anzahl Firmenangehöriger und Mitarbeiter, darunter auch Ulman und sein ältester Sohn starben, war das ein schwerer Schlag für das Handelshaus. Ulmans einziger überlebender jüngerer Sohn Georg, geboren 1375, erwies sich später als ein ebenso tüchtiger Kaufmnan wie sein Vater. Mit dem Nürn­ berger Kaufmann Hans Aislinger d. Ä. aus Lauingen ging er eine Handels­ gesellschaft ein, heiratete in erster Ehe dessen Tochter Martha und nahm den Enkel seines Schwiegervaters, den jungen Patrizier Hans Ortlieb, in die Firma auf. Georg, ebenso wie Hans Ortlieb, gehörten in Zukunft dem Nürnberger Rat an und bekleideten wichtige städtische Posten. Es gelang der Stromer-Ortlieb-Firma sich von den in den Pestjahren er­ haltenen Rückschlägen zu erholen, und zwischen 1420 und 1430 hatte sie wie­ der eine außerordentliche Bedeutung gewonnen. Bald darnach aber brach das Handelshaus zusammen. 3 Hektor Ammann, Die wirtschaftliche Stellung der Reichsstadt Nürnberg im Spätmittelalter, Nbger Forschungen Bd. 13, Nbg. 1970. — Die einzelnen Veröffentlichungen zur Nürnberger Wirtschaftsgeschichte aufzuzählen, ist nicht möglich. Ich verweise nur auf einige: Nürn­ berg — Geschichte einer europäischen Stadt, München 1971; Wolfgang v. Stromer, Die Han­ delsgesellschaft Gruber — Podmer — Stromer, Nbger Forschungen Bd. 7, Nbg. 1963; der­ selbe, Oberdeutsche Hochfinanz 1350—1450, Steiner, Wiesbaden, Beihefte 55—57 zur VSWG 1970; Beiträge zur Wirtschaftsgeschichte Nürnbergs, 2 Bd. Nbg. 1967, im 2. Bd. ab S. 883 Bibliographie zur Nürnberger Wirtschaftsgeschichte. 4 Wolfgang v. Stromer, Fränkische und schwäbische Unternehmer in den Donau- und Karpatenländem im Zeitalter der Luxemburger 1347—1447, in: Jahrbuch für Fränkische Ge­ schichte 31/1971, S. 3 55 ff. 5 Stromer, Hochfinanz a. a. O. 6 Zahlreiche Nachweise über diese Firma finden sich in Wolfgang v. Stromer, Oberdeutsche Hochfinanz, a. a. O.; derselbe: Die Handelsgesellschaft Gruber — Podmer — Stromer a. a. O.; ebenso Lore Sporhan-Krempel und Wolfgang v. Stromer: Das Handelshaus der Stromer in Nürnberg, in: Unbekanntes Bayern, Land der Franken, Bd. 7. München 1962, S. 56 ff. — Ich verweise im folgenden nur bei wörtlicher Zitation auf die in Anmerkung 3 u. 6 ge­ nannten Werke.

5

Lore Sporhan-Krempel

Die Katastrophe hatte verschiedene Ursachen: Krieg gegen Dänemark, Hus­ sitenkriege, Handelssperre gegen Venedig, mehrere Warenarreste und Berau­ bungen der Firma und nicht zuletzt die Schulden des jüngeren Teilhabers Hans Ortlieb, die er lange geschickt zu tarnen verstanden hatte. Zwischen dem 26. Januar 1430 und dem 16. August dieses Jahres entwich Ortlieb wegen seiner Schulden aus Nürnberg und überließ alle Nöte seinem Gesellschafter Georg Stromer, dem er persönlich 21 000 Gulden schuldete. Nun rückten die Gläubiger an, einer nach dem andern. Paulus Haller klagte gegen Ortlieb auf Mühle und Fischwasser zum Doos und alles sonstige Ver­ mögen im Landgerichtsbezirk. Gleichzeitig klagte die Ehefrau des Geflüchteten, Clara, geborene Haller, auf 900 fl Heiratsgut und 200 Mark Gold Schaden, und sie hinwiederum wurde von Paulus Haller beklagt auf verschiedene ererbte Güter zu Ror und Zirndorf 7. Fünf Wochen später brachte Steffan Aislinger aus Lauingen, sicherlich auch ein Verwandter, seine Forderungen vor und klagte auf die Mühle und das Fischwasser zum Doos, auf alle Liegenschaften im Land­ gerichtsbezirk und alle Forderungen in Polen, Preußen, Reußen, Österreich und Brabant8. Angesichts eines solchen massiven Aufmarschs mußte sich Georg Stromer, der ja selbst zu den Gläubigern Ortliebs gehörte und als Firmenchef für die Schulden haftete, doch vorsehen. Er begann also Vorsorge zu treffen. So trat er wohl schon im Spätsommer 1430 einige Güter zu Erlbach bei Heilsbronn und zu Neuseß an seine Söhne Peter und Andreas ab, die von König Sigmund durch Urkunden vom 30. Oktober dieses Jahres mit diesen Liegenschaften be­ lehnt wurden9. Auch seine vom Vater Ulman ererbte Papiermühle, die be­ rühmte Gleißmühle, übereignete Georg wohl schon zu diesem Zeitpunkt seinen Söhnen. In diesem ganzen Trubel tauchte nun noch ein Gläubiger auf, dem man durch eine große Summe verpflichtet war: Werner Roßhaupter.

3. Roßhaupters Herkunft und Persönlichkeit Roßhaupter stammte — wie die Aislinger, Imhof, Scheurl, Gruber u. a. — aus Lauingen an der Donau. Wieso Lauingen gerade der Ursprungsort so vieler später durch den Handel groß gewordener Familien war, kann heute noch nicht zufriedenstellend erklärt werden. Es war zu jener Zeit eine bayerische Land­ stadt mit einem Donauhafen, deren Kaufleute freilich schon zu Anfang des

7 Staatsarchiv Nürnberg (künftig abgekürzt: StAN), Landgericht Nürnberg, B. 113, Protokoll­ buch, fol. 155b. 8 Ebd. fol. 173 b. 9 Reg. Imp. X. Nr. 7918, und Wien, Haus-, Hof- und Staatsarchiv, Reichsregister „J“, fol. 89 b.

6

MVGN 61 (1974)

Roßhaupter-Fehde

15. Jahrhunderts in Venedig bedeutende Geschäfte getätigt hatten10. Zahl­ reiche Bürger wanderten jedoch auch ab, teils ins Fränkische nach Nürnberg, teils ins Schwäbische und dort vornehmlich nach Ulm. Nach Bernhard Mayer 11 gehörten die Roßhaupter zu den ältesten Bürger­ geschlechtern Lauingens. Werner selbst erscheint in den noch erhaltenen Ur­ kunden der Stadt12 erstmals im Februar 1411, wo er mit anderen Mitbürgern als Ratsherr einen Kaufvertrag siegelt. Wenn er ein so wichtiges städtisches Amt bekleidete, ist er zu dieser Zeit sicher kein ganz junger Mann mehr ge­ wesen. Das läßt einen etwaigen Rückschluß auf seine Geburtszeit zu; wir kön­ nen sie vielleicht um 1375/80 ansetzen; er dürfte also derselben Generation wie sein späterer Gegenspieler Georg Stromer angehört haben. In den Jahren 1411, 1415, 1416, 1417 begegnet man ihm häufig als Lauinger Ratsherr. Zwei weitere Urkunden in Rückerts Regesten lauten etwas verwirrend. Am 10. November 1421 baten Bürgermeister und Rat zu Lauingen den Bischof Anselm von Augsburg um Confirmation einer Messestiftung auf St. Johanns Altar in der Pfarrkirche, die Werner Roßhaupter und seine Frau Margrethe mit rd. 24 fl Gülten aus rd. 50 Häusern und Grundstücken gemacht hatten 1S. Die Summe ist für eine Stiftung auffallend hoch. Bereits am 2. Dezember be­ stätigt der Bischof die Stiftung des „verstorbenen" Werner Roßhaupters und seiner Frau, wobei zugleich noch zu erfahren ist, daß die Roßhaupter auch eine Wohnung für den Kaplan der Messe, sowie Meßgewand, Kelch, Bücher und andere Zieraten für den Altar gestiftet hatten 14. So gelesen, könnten die Urkunden tatsächlich einige Unklarheiten hervorrufen, da es scheint, als sei Werner Roßhaupter zwischen dem 10. November und dem 2. Dezember 1421 gestorben. Liest man jedoch die Originale, so sieht die Sache bald anders aus. In dem Schriftstück, das Bürgermeister und Rat in deutscher Sprache an Bischof Anselm gesandt hatten, sprachen sie deutlich von Werner Roßhaupter und seiner Frau Margrethe als „weiland unsern mitburgern" und gaben an, daß der Kaplan Nikolaus Bechrer seither die Messe mit „gunst und erlaubnus“ Fürstbischof Anselms zu Augsburg und seiner Vor10 Freundliche Mitteilung von Prof. Dr. W. v. Stromer. 11 Bernhard Mayer, Geschichte der Stadt Lauingen, Dillingen 1866, S. 66 f. — Von woher die Roßhaupter nach Lauingen eingewandert sind, ist nicht ersichtlich. Auch die Abhandlung von Jos. Gruber über die Roßhaupter im Jahresbericht d. Histor. Ver. f. Straubing u. Um­ gebung 71 (1968, S. 59 ff.) gibt darüber keinen Aufschluß. Da die Lauinger Roßhaupter augsburg.-bischöfliche Lehen besaßen, könnte evtl, ihre Herkunft vom Ort Roßhaupten im Landkreis Füssen in Frage kommen. (Gruber, Anmerk. 25). Ein Irrtum Grubers ist die Be­ zeichnung unserer Roßhaupterfamilie als „Ulmer Patrizierfamilie“ (ebd. S. 62 u. Anmerk. 11), ebenso müßte auch die vermeintliche Herkunft derselben aus dem Burgauischen noch­ mals genau nachgeprüft werden. 12 Georg Rückert, Lauinger Urkunden 1226—1415 in Jahrbuch d. Histor. Vereins Dillingen XIV, 1901, S. 84 ff. Nr. 84. Künftig: Rückert I. 18 Derselbe, Lauinger Urkunden von 1416—1450 in Jahrb. des Histor. Ver. Dillingen XV. 1902, Nr. 156. Künftig: Rückert II. 14 Rückert II. Nr. 158.

7

Lore Sporhan-Krempel

gänger versehen hatte. Die Messe wurde also schon vor dem Amtsantritt Bischof Anselms im September 1414 gestiftet16, und Werner und Margrethe Roßhaupter waren sicher beide am 10. November 1421 verstorben. Der Wort­ laut und das Datum der eigentlichen Stiftungsurkunde hätten vielleicht noch mehr Licht in die Angelegenheit gebracht, doch trotz weiterer Nachfragen war leider nichts mehr darüber zu erfahren 16. Theoretisch wäre es möglich, daß Werner Roßhaupter, von dem die laufenden Urkunden letztmals 1417 berichten, um dann erst nach ca. vierjähriger Pause wieder etwas über ihn zu sagen, vor 1421 gestorben war, und danach ein anderes Familienmitglied, ebenfalls mit dem Vornamen Werner, in den Rat berufen wurde. An eine gleichzeitige Tätigkeit der beiden Werner ist kaum zu denken, da sie sonst in den Urkunden wohl sicher durch Zusätze zu ihren Namen, wie der Ältere, der Jüngere u. ä. unterschieden worden wären. Nach dem 2. Dezember 1421 taucht ein Werner Roßhaupter — so zum Beispiel am 3. Februar 1422 17 wieder mehrfach als Ratsherr in den Lauinger Akten auf — und nicht nur das: am 20. Juli 1422 und am 29. Dezember 1423 siegelt er sogar als Bürgermeister zu Lauingen 18. Wahrscheinlicher als die vorige An­ nahme vom Tod des Stifters Werner zwischen dem 10. November und dem 2. Dezember 1421 ist es doch, daß es sich bei dem Stifter um einen älteren Werner Roßhaupter handelt, der zu dieser Zeit schon länger tot war. Doch bis zum eventuellen Auftreten neuer Funde läßt sich darüber nichts Endgültiges sagen. Fest steht jedoch, daß die beiden Werner tatsächlich verschiedene Per­ sonen waren, und die Frage eigentlich nur die ist, ob der von 1411—1417 ge­ nannte der „Stifter“ war, oder ob er identisch ist mit dem nach 1421 erwähn­ ten. Eine Verwandtschaft zwischen beiden dürfte sicher sein; Vater und Sohn können sie jedoch wohl nicht gewesen sein, da laut einer alten Ahnentafel ein Ulrich Roßhaupter und seine Frau Kunigund Herbishofer als die Eltern der Dorothea Roßhaupter gelten, die nachweislich eine Schwester jenes Werner war, der später in die große Fehde verwickelt war19. Wir treffen diesen, wie erwähnt, noch ein paarmal in den Lauinger Urkunden nach 1421 an. So berichtet ein Dokument vom September 1423, daß der Lauinger Bürger Conrat Förster Roßhaupter 200 fl Stadtwährung schuldete, die er in den nächsten vier Jahren ratenweise abzuzahlen versprach 20. Von den Amtsvorgänger von Bischof Anselm waren Eberhard, Graf v. Kirchberg 1404—1413, und Friedrich v. Grafeneck 1413—1414. Vgl. Friedrich Zoepfl, Das Bistum Augsburg und seine Bischöfe, Augsburg 1955—1969. 18 Anfragen im Archiv des Klosters Ettal, im Allgemeinen Staatsarchiv und im Staatsarchiv für Oberbayem in München, im Ordinariatsarchiv zu Augsburg und Dillingen waren leider ohne Erfolg. 17 Rückert II, Nr. 167. 18 Ebd. Nr. 165, 172. 19 Frdl. Auskunft von Herrn A. Rieber, Ulm. 20 Rückert II, Nr. 170. 15

8

MVGN 61 (1974)

Roßhaupter-Fehde

beiden Siegelungen Roßhaupters als Lauinger Bürgermeister war schon die Rede. Nach dem 29. Dezember 1423 hört man aus Lauinger Urkunden nichts mehr über Werner Roßhaupter. Ob dies am Mangel einschlägigen Materials liegt, ob er schon damals von Lauingen wegzog, — das läßt sich heute nicht mehr klären. Kurz, am 4. Mai 1429 wurde er Bürger zu Ulm21, und am 12. Mai 1429 verkaufte er sein Haus und Hof Stätte mit aller Zubehörde in Lauingen an die Stadt. Die Gebäude lagen „vor den Augustinern" über die Straße, zwischen den Anwesen von Hans Aislinger und Hans Jägerschmid22. Aus Ulm vernimmt man erst wieder etwas von Werner, als der Konflikt zwischen ihm und seinen Schuldnern Stromer und Ortlieb und der Stadt Nürnberg ausge­ brochen war.

4. Ursprung der Fehde Vermutlich hatte Roßhaupter schon vor der Mitte der zwanziger Jahre des 15. Jahrhunderts an die Nürnberger Firma Stromer-Ortlieb die Summe von 4 000 Dukaten geliehen. Bestanden verwandtschaftliche Bande zwischen ihm und den Nürnberger Familien? Dokumentarische Beweise fehlen noch dafür, doch läßt es sich mit ziemlicher Wahrscheinlichkeit annehmen. Die Nürnberger Handelsgesellschaften zu dieser Zeit waren fast alle auf Familienbasis aufge­ baut, und zwischen Roßhaupter, den Stromern und Ortlieb ließe sich vielleicht an die Aislinger als Verbindungsglied denken. Aus diesem oben genannten Darlehen Roßhaupters an die Stromer-OrtliebGesellschaft entsprang letzten Endes die große Fehde, die mehrere Jahre lang das Gebiet zwischen Frankenalb und Schwarzwald beunruhigte. Ein Darlehen in Höhe von 4 000 Dukaten war für die damalige Zeit eine hohe Summe und wäre es auch heute. Man fragt sich, woher Roßhaupter seinen Reichtum hatte. Von Handels­ geschäften ist nichts bekannt. Von Grundrenten allein konnte eine solche Summe nicht kommen, denn die 4000 Dukaten betrugen ja nicht etwa Roß­ haupters Gesamtvermögen. Er lieh auch noch an andere Personen Geld aus, wie wir noch hören werden. Die Quelle seines Reichtums bleibt verborgen. Möglich, daß er irgendwo stiller Teilhaber war oder eine sehr reiche Heirat gemacht hatte 2S. 21 Stadta. Ulm, Bürgerbuch 2, S. 7. Frdl. Auskunft von Herrn A. Rieber. 22 Rückert II, Nr. 191. 23 Oder hatte er vielleicht sein Vermögen als Söldnerführer in Italien gemacht? Es gab zu jener Zeit eine große Anzahl junger deutscher Kaufmannssöhne und Angehörige des Landadels, die sich als Söldnerführer in Italien herumschlugen und sich Erfahrung im Waffenhandwerk u. Geldwesen erwarben. Vgl. Stromer, Hochfinanz, I., S. 62 ff. u. a.

9

Lore Sporhan-Krempel

Da im Verlauf der Fehde immer wieder versucht wurde, auf Schlichtungs­ tagen die Streitfragen beizulegen und zu einem Vergleich zu kommen, können wir aus den dort vorgetragenen Berichten, sowie aus verschiedenen anderen Schriftstücken die Vorgeschichte der Fehde erschließen. Roßhaupter leiht die 4000 Dukaten „auf Wechsel, als die kaufleut pflegen". Als nun Stromer und Ortlieb „zu ruff" kamen, „do sie vielleicht nicht wol zu betzalen haben sölten", — das müßte etwa Ende des Jahres 1429 oder anfangs 1430 gewesen sein, ließ ihnen Roßhaupter das Geld trotzdem noch so lange, bis er etwas davon für seinen eigenen Bedarf brauchte. Stromer und Ortlieb zahlten ihm darauf ein­ tausend Dukaten zurück, für die verbleibende Restsumme wurden neue Schuld­ scheine ausgestellt. Als Ortlieb flüchtig wurde und außer Landes ging, hörte Roßhaupter, daß Stromer Ortliebs Güter an sich genommen habe, „davon Roß­ haupter auch billich betzalt würde." Daraufhin kam er verschiedene Male nach Nürnberg, um mit Stromer zu verhandeln, wobei auch Stromersche Verwandte zugegen waren, sowie Ratsangehörige von Nürnberg und „Ratsboten" von an­ deren Städten. Georg Stromer behauptete anfangs, er wäre Roßhaupter nichts schuldig. Dieser zeigte ihm daraufhin die Schuldbriefe mit dem Stromersiegel. Georg suchte wieder eine Ausflucht. Er habe sein Siegel einmal verloren, er­ klärte er, da müßten es Fremde gefunden und wider sein Wissen benützt haben. Kein Wunder, daß Roßhaupter daraufhin entrüstet antwortete, eine derartige Ausrede dünke ihn an Stromer „fremd". Er erreichte, daß Georg die Schuld wieder anerkannte. Nun redeten die Stromerschen Verwandten Roßhaupter zu, er möge mit Georg Geduld haben, er werde sein Geld ganz gewiß wieder be­ kommen. Roßhaupter scheint ein loyaldenkender Mann gewesen zu sein, er ließ die Sache nochmals für eine Weile anstehen. Als nun der Wechsel fällig wurde, löste Stromer ihn nicht ein. Vermutlich war er wirklich nicht dazu in der Lage. Aber Roßhaupter sah doch, wie andere Gläubiger befriedigt wurden aus den beschlagnahmten Ortliebschen Gütern, er sah aber auch, wie das Stromer­ sche Vermögen „verschoben" wurde, um es dem Zugriff der Gläubiger zu ent­ ziehen 24. Die Gläubiger, die ihr Geld bekamen, waren vorwiegend die nahen Verwandten Stromers und Ortliebs oder eingesessene Nürnberger Bürger. So­ viel ist vom spätmittelalterlichen Konkursrecht bekannt, daß nahe Verwandte und Bürger der eigenen Stadt bei der Abwicklung eines Konkursverfahrens be­ vorzugt behandelt wurden. Die Bezahlung von Roßhaupter, der ja nicht zur engeren Clique gehörte, wurde anscheinend nur am Rande erwogen. Das mußte den einstigen Lauinger Bürgermeister aufs tiefste erbittern, und es ist nicht un­ wahrscheinlich und wäre sehr begreiflich, daß er sich zu Drohungen hinreißen

24 Höchstwahrscheinlich sind auch die aus und nach dem Stromer-Ortliebschen Konkurs neu gebildeten Finnen Gruber, Reutheimer, nur Tamorganisationen gewesen, um den Konkurs aufzufangen, wie W. v. Stromer schon in der „Gesellschaft Gruber-Podmer-Stromer" ver­ mutet hat und was neue Funde jetzt bestätigen.

10

MVGN 61 (1974)

Roßhaupter-Fehde

ließ 25. Das muß den Nürnbergern zu Ohren gekommen sein und ließ sie er­ schrecken. Ganz wohl war es vermutlich keinem in seiner Haut, Georg Stromer bestimmt nicht, aber auch nicht dem Rat, denn ohne seine stillschweigende Duldung hätten die beschriebenen Transaktionen nicht durchgeführt werden können. Man fürchtete vielleicht, Roßhaupter könnte zur Selbsthilfe greifen und beschloß ihm zuvorzukommen.

5. Gegenminen Im August 1432 schrieben die Nürnberger an Ulm wegen Roßhaupter, der da­ mals noch Ulmer Bürger war. In der Rückantwort vom 15. August 1432 teilte Ulm mit, daß Roßhaupter das dortige Bürgerrecht am 13. August 1432 auf­ gegeben hatte. War man in Nürnberg auf diese Nachricht gefaßt? Auf dem Ulmer Schiedstag in Sachen Nürnberg/Roßhaupter (25. Mai 1435) wurden die Ereignisse rekapituliert und dabei erklärten die Nürnberger: man hätte seiner­ zeit gehört, daß Roßhaupter geäußert hatte, er wolle Nürnberg und Nürnberger Bürger angreifen, um sie „zu geltern für sein schuld" zu machen. Da er damals noch in Ulm verbürgert gewesen wäre, „schikten sy ir erber ratsbotschaft zu dem rat gen Ulme und ließen die fruntlich ersuchen und bitten, als eyner reichsstat gen der andern wol gepürt, iren burger, den Roßhaupter, zu vermügen und doran zu weisen, sy, die iren und das ir zu sichern auf fruntliche recht, hett er den zu yemant einen oder mer, die ir burger zu Nüremberg und der sy mechtig weren, icht (etwas) zu sprechen, von dem oder denselben sy im oder seinen scheinboten (Bevollmächtigten) mit seinen vollen gewalt fruntlich slewnigs rechten vor des richs richter zu Nürnberg förderlich und gern helfen". Als die Ulmer darauf antworteten. Roßhaupter wäre nicht „anheim", verlangten die Nürnberger vom Rat zu Ulm, „daz sy in den nicht urlaubten, ob er sein purgrecht bey in aufgeben wolt, sy hülfen in danen vor eyn rechten von im". Doch mochte es den Ulmern geratener erscheinen, Roßhaupter aus dem Bürgerrecht zu entlassen, da sie sich dann nicht mehr mit seinen Händeln zu befassen brauchten und mit Nürnberg auch weiterhin gute Beziehungen unterhalten konnten. Jedoch erst, als Werner nicht mehr Ulmer Bürger war, unternahmen die Nürnberger die ersten ernstlichen Schritte gegen ihn. Weil sie angeblich nicht wußten, wo sie ihn nach seinem Austritt aus dem Ulmer Bürgerrecht „zu recht bringen" sollten, luden sie ihn vor das kaiserliche Landgericht nach Nüm-

25 StAN Akten des 7farb. Alpab. Nr. 21 — wo künftig keine anderen Angaben gemacht werden, stammen die Unterlagen aus diesem Bestand.

11

Lore Sporhan-Krempel

berg28. Es ging ihnen dabei nicht um die Schuldforderungen Werners, sondern einzig und allein darum, daß Roßhaupter seine Drohung zurücknahm und ihnen „Sicherheit" gab. Der Ladebrief an ihn wurde am 11. November 1432 abge­ schickt, es verstrichen Wochen, ehe Roßhaupters Antwort in Nürnberg eintraf. Inzwischen machte die „Sanierung" des Stromerschen Vermögens Fort­ schritte. Georg fand mächtige Beschützer. So verhinderte die Intercession des Kurfürsten Ludwig von der Pfalz, daß Georgs Haus, die Herberge des Kur­ fürsten bei dessen Aufenthalten in Nürnberg, verkauft wurde 27. Der älteste Sohn Stromers, Peter, starb um diese Zeit. Sein Erbteil ging an Andreas über, dem am 19. Januar 1433 Ulrich Volland, Richter zu Werde (Wöhrd) beur­ kundete, daß er, Andreas, mit seinem Bruder Peter zusammen die Papiermühle zwischen Nürnberg und Wöhrd von seinem Vater erhalten hatte, die ihm nun, nach Peters Tod, allein zustünde 28. Roßhaupter anwortete den Nürnberger zu Anfang des Jahres 1433. Er ver­ wahrte sich gegen den ihm überschickten „Ladbrief" vor das kaiserliche Land­ gericht zu Nürnberg, da er sich nicht bewußt wäre, daß die Nürnberger „etwas zu ihm zu sprechen habent". Doch erbot er sich, wenn die Nürnberger die Ladung vor das Landgericht aufhoben, vor „biderben" Leuten mit ihnen über ihre vermeintlichen Forderungen zu verhandeln. Darauf gingen die Nürnberger jedoch nicht ein. In einem weiteren Schreiben wies Roßhaupter die Behauptung der Nürnberger entschieden zurück, er hätte Drohungen gegen sie ausgestoßen. Er betonte, daß er nur sein Geld von Stromer zurückhaben wollte. Der Rat möge darauf hinwirken, daß dies geschehe. Noch einmal erklärte er sich bereit, ihnen Genugtuung zu geben „in den stetten, da ich das billich tün sol" und er­ bat sofortigen Bescheid. Als die Nürnberger in ihrem Antwortschreiben wissen ließen, ihre Gesandten wären in Ulm gewesen, um mit Roßhaupter zu ver­ handeln, schrieb er ihnen zurück, die „Nürnberger Botschaft" hätte in Ulm nie mit ihm geredet. Er wäre aber so lange in Ulm gewesen, daß man ihn brieflich oder „unter Augen" hätte finden können. Auf dem Ladbrief hätte er ihnen Recht geboten auf Junker Heinrich von Stöffeln, Ritter Hans von Stadion und Conrad von Freyberg. Roßhaupter erschien nicht vor dem kaiserlichen Landgericht. Daraufhin er­ klärten die Nürnberger, er hätte „das recht geflohen" und brachten ihn in die Acht. Der Achtbrief datiert vom 1. April 1433 29. Später warfen die Nürnberger 26 An und für sich hätte diese Schuldsache vor dem Stadtgericht ausgetragen werden müssen. Warum das nicht geschah, wird nicht ersichtlich. Das Stadtgericht konnte kein Achturteil aussprechen. Zielten die Nürnberger von Anfang an darauf, Roßhaupter durch ein Acht­ urteil auszuschalten und wandten sie sich deshalb sofort an das Landgericht, stellten die Schuldsache zurück und beriefen sich auf Drohungen Roßhaupters? 27 StAN Briefbuch (künftig: BB) 10, fol. 84 f. 28 Ebd. Urkunden des 7farb. Alphab. Nr. 843. Original im 2. Weltkrieg verloren gegangen. 29 Ebd. Urkunden des 7farb. Alphab. Nr. 847. Diese Acht war eine rein gerichtliche Maß­ nahme gegen Personen, die trotz Ladung nicht vor Gericht erschienen, keine Acht wegen Missetat.

12

MVGN 61 (1974)

Roßhaupter-Fehde

Roßhaupter auch vor, er hätte ja gar nicht abgewartet, bis sie ihm geholfen hätten, oder auch, er hätte das Recht geflohen, weil er sich davor gefürchtet hätte, daß die Wahrheit herauskäme und dies gar nicht gewollt hätte. Nur wenige Tage später, nachdem über Roßhaupter die Acht verhängt wor­ den war, am 7. April 1433, trat Georg Stromer aus dem Nürnberger Bürger­ recht aus. Er war bis zuletzt in seinen städtischen Ämtern geblieben, ein Zei­ chen, daß ihm der Rat die Flucht Ortliebs nicht anlastete. Doch nun dürfte der Rat ihm von sich aus diesen Verzicht nahegelegt haben. War er nicht mehr Nürnberger Bürger, so brauchte sich der Rat auch nicht mehr mit seiner An­ gelegenheit zu beschäftigen. Es gab dann keine Veranlassung mehr, unter Um­ ständen Roßhaupter doch noch zu seinem Recht verhelfen zu müssen. Mit größ­ ter Kaltblütigkeit schob der Rat die Roßhaupter-Angelegenheit auf ein be­ stimmtes Geleise, so daß er sich nun erlauben konnte, gegen den Geächteten nach Gefallen vorzugehen. Auf diese Art konnte das wirtschaftliche Unter­ nehmen und das Vermögen des Stromerschen Handelshauses weitgehend ge­ schützt werden 30. Georg Stromer verließ Nürnberg; sein Ziel blieb zunächst unbekannt. Roßhaupter jedoch hielt zäh an seiner Forderung fest, daß ihm die darge­ liehenen 3000 Gulden erstattet werden müßten. Er wandte sich noch einmal in einem Brief vom 15. April 1433 an Georg Stromer selbst, ohne daß er da­ mals schon wußte, daß sein Schuldner das Nürnberger Bürgerrecht aufgegeben hatte. Das Schreiben lautet: „Mein freuntlichen dienst zuvor. Lieber Stromair, von der drewtusend guldin doganten (Dukaten) schuld wegen, so ir mir schuldig sind nach aussweisung meins Schuldbriefs, den ich darumb von uch mit ewerem insigel besigelten han, nu han ich meins gelts ietzo gewartet in Frankfurter messe, auf das zile als mein brief außweyset, das mir aber von uch nicht worden noch bezalt ist. Da­ rumb so pitt ich uch gütlich und früntlich umb meiner dienst willen, ir wöllent mich umb mein schuld, houptgut, zinses und Schadens ane lennger vertziechen gütlich außrichten und bezalen nach außweisung meines briefs, das(s) ich und ire des ett zu grösserm schaden körnen. Denne tättent ir des nit, des ich uch doch nit getrewe, so müst ich mich des von uch erclagen nach meiner notdurfft, und getru uch aber wol, ir laussends darczu nit körnen, und land mich des ewer früntlich verschriben verstantlich antwort wißen mit dem bodten.“ Eine Copie dieses Schreibens schickt Roßhaupter gleichzeitig an den Nürnberger Rat und bittet darin nochmals „ernstlich und mit vleiss, ir wöllent den Georien Stro­ mair dazu weysen, halten und vermögen und selbs gütlich daran sein, das mich Geörig Stromair meiner schuld gütlich und früntlich ane lennger verziechen außricht und bezale

30 Verzichterklärung Stromers auf das Nürnberger Bürgerrecht siehe Anhang

13

Lore Sporhan-Krempel

Am 20. April traf eine knappe kühle Antwort vom Rat ein. Man teilte mit, daß Georg Stromer „etliche tag vor, ee denn vns dein yetzig brief (vom 15. 4.) geantwortt ward, sein burkrecht bey vns aufgeben hatt und nicht mer bey vns wohnhaft ist. Vnd dieweil er vnser burger was, so haben wir auf dein vorder schrifte mit ihm geredt, was vns gebürt hat, hettst auch du oder dein scheinbott (Bevollmächtigter) mit deinem willen gewalt frewntlich recht bey vns von im gegert, das hetten wir dir, dieweil er vnser burger was, nach des reichs gerichts bey vns zu Nürnberg recht vnd herkomen förderlich und gern geholffen on alle geverde.“ Wie sollte nun Roßhaupter noch zu seinem Recht kommen, nachdem sich Stromer durch Aufgabe des Bürgerrechts der Rechtsverfolgung entzogen hatte? Woher sollte ihm Hilfe werden? Hätte er der Ladung vor das kaiserliche Land­ gericht doch folgen sollen? Er muß triftige Gründe für die Verweigerung ge­ habt haben, denn als ehemaliger Bürgermeister von Lauingen muß er sich ja in den Rechtsgepflogenheiten ausgekannt haben. Vermutlich hatte er die Vor­ ladung als Ehrverletzung empfunden. Es mußte ja so aussehen als wäre er im Unrecht, während er nur eine ordnungsgemäße Rückzahlung seines Darlehens anstrebte. Und was veranlaßte den Nürnberger Rat zu dieser von Anfang an ausgesprochen unfreundlichen Haltung ihm gegenüber? War es die Sorge, neben den vielen Beschwerlichkeiten dieser Zeitläufte in eine Sache verwickelt zu werden, die er nicht auf sich nehmen wollte und konnte? War es berechtigte Sorge um die Nürnberger Bürger, falls Roßhaupter wirklich alle haftbar machen würde für die Schulden des einen? Oder sollten nach Möglichkeit die großen Vermögen geschont werden? Man konnte von Roßhaupter nicht erwarten, daß er auf sein Geld verzichtete. Auf gütlichem Wege wollte man ihm nicht dazu verhelfen, Stromer selbst konnte wohl auch wirklich nicht bezahlen. So wurde Roßhaupter, der auf seinem Recht beharrte — ein Michael Kohlhas im 15. Jahr­ hundert —, fast zwangsläufig auf den Weg der Gewalt betrieben. Das bedeutet Selbsthilfe — Fehde.

6. Fehde und Landfrieden

Das Fehderecht bedeutet legitime Gewaltanwendung im Kampf um das Recht innerhalb der politischen Verbände. „Fehde" war ein Bereich, in welchem durch Jahrhunderte Recht und Rechtsbewußtsein im Widerstreit lagen und nur ein gewisser Kompromiß hinsichtlich der Formen der Fehdeführung möglich war 31. 31 Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte. Unter Mitarbeit von Wolfgang Stammler, hrsg. von Adalbert Erler und Ekkehard Kaufmann. Berlin 1972. 1. Lieferung. Stichwort „Fehde" v. E. Kaufmann, Spalte 1083 ff. Wenn Roßhaupter womöglich aus dem Landadel stammt, wäre vielleicht auch daraus sein „Griff nach der Fehde" zu erklären; ein alterfahre­ ner Handelsherr hätte evtl, doch noch längerhin auf dem Verhandlungsweg versucht, die

14

MVGN 61 (1974)

Roßhaupter-Fehde

Sie war ursprünglich vor allem eine Angelegenheit der Ritter, wurde jedoch im Verlauf der Zeit auch zur letzten Zuflucht bei Versagen des Staates. Zu Roßhaupters Zeiten galt das Fehderecht durchaus noch. Immer noch waren innerhalb einer Fehde alle Taten und Handlungen „recht", die außerhalb der Fehde als Verbrechen galten, wie zum Beispiel Tötung und Gefangennahme des Gegners, Schätzung, Lösegeld, Brandschatzung, Kontribution82. Die Vor­ aussetzungen für die Rechtmäßigkeit der Fehde waren der „rechte Grund", die vergebliche Anrufung eines Gerichts und die rechtmäßige Ansage der Fehde 33. Diese Regeln wurden in den Landfrieden festgehalten, wenn sie auch oft je nach Zeit und Ort, in welchem der Landfriede galt, etwas differierten. Der letzte fränkische Landfriede, dem auch Nürnberg beigetreten war, war 1427 verkündet worden, er galt für zwei Jahre und wurde nach seinem Ablauf nicht wieder erneuert. Als daher die Fehde zwischen Roßhaupter und den Nürnbergem ausbrach, gab es zu diesem Zeitpunkt kein verbindliches Fehderecht in Franken, jedenfalls kein verbindliches Fehdeverbot. Man hielt sich an das all­ gemeine Gewohnheitsrecht. Zweifellos hatte Roßhaupter einen rechten Grund für seine Fehde, seine Bereitwilligkeit, die Streitsache rechtlich vor Schieds­ richtern auszutragen, war von den Nürnbergern abgelehnt worden. Es fehlte aber, wie wir noch im folgenden sehen werden, die „rechte Form" der Fehde­ ansage, denn sein „Fehdebrief" ging erst lange Zeit nach den ersten Gewalt­ taten von seiner Seite aus an die Nürnberger. Die Reichsstädter betrachteten ihn daher als Straßenräuber, während er und seine Helfer die Meinung ver­ traten, alle diese Unternehmungen seien nicht „schatzungs- oder raubweise geschehen", sondern um ihm, Roßhaupter, zu einem „Pfand" zu verhelfen.

7. Die Ehinger und die Rietheimer Wenn Roßhaupter in seinem Streit mit den Nürnbergern irgend eine Aussicht auf Erfolg haben wollte, mußte er sich nach Hilfe umschauen. Das tat er auch. Noch im April 1433 wandte er sich an die Ehinger in Ulm. Diese gehörten zu den angesehensten Familien in der Donaustadt. Im 13. Jahrhundert hatte sich der Stamm in zwei Äste gespalten, von denen der eine den Zunamen „Öster­ reicher", der andere „Mailänder" hatte. Ulrich, genannt Österreicher, Sohn des mehrfachen Oberhaupts Hans Ehinger, genannt Österreicher, hatte nach 1427 Dorothea Roßhaupter geheiratet, die mit großer Wahrscheinlichkeit eine

Angelegenheit in Ordnung zu bringen. Aus dieser Sicht heraus wäre dann auch die Be­ hauptung der Nürnberger, Roßhaupter habe gar nicht abgewartet, bis sie ihm geholfen hätten, verständlich. 32 Sachwörterbuch zur deutschen Geschichte. Stichwort Fehde. S. 256 f. 33 Otto Brunner, Land und Herrschaft, 2. Aufl. Brünn, 1942.

15

Lore Sporhan-Krempel

Schwester Werners war 34. Aber nicht an den Schwager Ulrich Ehinger wandte sich Roßhaupter um Hilfe, sondern an Conrad Ehinger von der „Mailänder“ Linie. Es muß eine enge Verwandtschaft zwischen Roßhaupter und der „Mai­ länder “-Linie der Ehinger bestanden haben 35, denn Conrad nennt Werner einen besonders vertrauten lieben „Freund“, was ja damals immer soviel wie Ver­ wandter bedeutet. Unter dieser Bezeichnung führte Conrad den Werner Roß­ haupter ein in einem Brief vom 21. April 143 3 an seinen Vetter, den frommen vesten Friderich von Roth, genannt Röter, zu „Bischetz“, worunter ziemlich sicher Piacenza zu verstehen ist. Conrad Ehinger berichtete dem Vetter von Roßhaupters Schwierigkeiten mit den Nürnbergern. Der „Freund“ habe nun vor, die Reichsstädter darüber anzugreifen und zu bekriegen. „Und wannen sie an den landen und den enden, da ir gesessen sind, als uns fürkomen ist, vil gewerbe und kawfmanschafft hin und her treyben, haben wir gedaht, ob er sie daselben mit ewerer hilffe und zutün yendert angreyffen und bekümern möcht.“ Friderich von Roth wurde um Hilfe gebeten. In seiner Antwort vom 26. Juni erklärte er sich grundsätzlich dazu bereit, er müßte allerdings noch schlüssige Beweise für Roßhaupters legitimes Recht haben und bäte um die Zustellung der entsprechenden Unterlagen. Ehe jedoch die Verhandlungen mit Roth richtig in Gang kamen, hatte sich Roßhaupter bereits anders entschieden 36. Im Mai 1433 finden wir ihn plötzlich auf der Veste Kaltenburg bei den Ge­ brüdern von Rietheim. Er muß sich also fast zur selben Zeit wie an Conrad Ehinger auch an Jörg, Hans und Conrad von Rietheim gewandt haben. Während Conrad Ehinger in der Geschichte Roßhaupters nur eine Rand­ figur bleibt, stoßen wir nun mit den Rietheimern wieder auf ein paar wichtige Personen. Ehinger nennt in einem andern Brief die Riethei­ mer ebenfalls „gut Freund“. Wie die Verwandtschaftsverhältnisse zwischen den Ehingern, den Roßhauptern und den Rietheimern tatsächlich gewesen sind, entzieht sich bisher noch unserer genauen Kenntnis. Wir können nur sagen, 34 Dies beweist eine Urkunde der Ehingerischen Stiftung im Stadtarchiv Ulm vom 16. Septem­ ber 1475, die besagt, Ulrich Ehinger, genannt Österreicher d. Ä., Bürgermeister zu Ulm, vollziehe nach dem Ableben der Jungfrau Mergel (Margareta), der Tochter seines Schwagers Werner Roßhaupter sei. deren Vermächtnis. Sie stiftete 100 fl ins Spital für eine Jahrzeit zum Gedächtnis ihres verstorbenen Vaters, ihrer verstorbenen Mutter Ursula, ihres ver­ storbenen Bruders Linhard, ihrer anderen Geschwister, ihrer Vorfahren und den Nach­ kommen der Genannten. 35 Conrads Vater, Peter Ehinger d. Ä. war in zweiter Ehe mit einer Margareta von Roth, einem Landedelfräulein verheiratet. Diese Familie von Roth hat nichts mit der Ulmer Pa­ trizierfamilie Rot zu tun. Später saßen diese Roths zu Ichhausen. Ihre Genealogie ist noch wenig erforscht. Werners Mutter könnte vielleicht eine geb. v. Roth gewesen sein, Beweise für diese Annahme fehlen aber noch. 36 Zur Sache Ehinger/Roth vgl. noch die Briefe vom 24. 6. und 18. 9. 1433 und v. 12. 3. und 2. 5. 1434 in StAN, Akten des 7farb. Alphab. Nr. 21. Ehinger hatte einen Boten — Hans von Blintheim — nach Bischetz geschickt und es entspann sich eine Kontroverse darüber, ob diese Botschaft für Roßhaupter, Roth oder Ehinger geschehen war, da Roth dem Boten ein Pferd und Geld gegeben hatte, für dessen Rückzahlung jetzt wer? zuständig war.

16

MVGN 61 (1974)

Roßhaupter-Fehde

daß zwischen den Ehingern und Roßhaupter bestimmt eine Verwandtschaft, und zwischen den Ehingern und Rietheimern wahrscheinlich eine bestand. Die Riet­ heimer waren ein landadeliges Geschlecht; sie hatten auch in Lauingen und in Ulm Besitz 37. Zur Zeit Roßhaupters gehörten den drei genannten Brüdern die Veste Kaltenburg im Kreis Heidenheim/Brenz und die Veste Remshart im Landkreis Günzburg. Jörg ist 1435 als „Diener“ von Herzog Ludwig von Bayern nachgewiesen, Conrad, der auf Remshart wohnte, stand in den Diensten von Pfalzgraf Albrecht. Roßhaupter, der nach der Bürgerrechtsaufgabe in Ulm „heimatlos“ war, fand Zuflucht auf der Kaltenburg. Während Roßhaupter seine Helfer um sich sammelte, war auch Nürnberg nicht untätig. Die Kontroverse spielte sich jetzt nicht mehr zwischen Roß­ haupter und Georg Stromer ab, sondern zwischen dem mächtigen Nürnberg selbst und dem ehemaligen Bürgermeister von Lauingen. Nürnberg versuchte sich nach verschiedenen Seiten zu sichern und schrieb über die RoßhaupterAngelegenheit — natürlich aus nürnbergischer Sicht — an den kaiserlichen Hof­ meister Graf Ludwig zu Öttingen, an die Rittergesellschaft mit St. Jörgen Schild in Schwaben und an die Reichsstädte Biberach, Ravensburg, Augsburg, Nördlingen, Giengen und Eßlingen. Roßhaupters Aufenthalt auf der Kaltenburg beun­ ruhigte die Nürnberger sehr. Der Rat sprach in einem Schreiben an Jörg von Rietheim seine Verwunderung darüber aus, daß der Rietheimer den geächteten Roßhaupter auf der Kaltenburg aufgenommen hatte38. Um der Sache Nachdruck zu geben, wurde kurze Zeit darauf nochmals an dieselben Empfänger ein Schrei­ ben gleichen Inhalts gerichtet. Jörg v. Rietheim erhielt noch zusätzlich eine Ab­ schrift des Achturteils gegen Roßhaupter39. Daraufhin teilte Jörg mit, Roß­ haupter halte sich zwar auf der Kaltenburg auf, doch wohne er in dem Teil der Burg, der Hans von Rietheim gehöre. Er selbst, Jörg, wolle mit der Sache nichts zu tun haben. Wenn man aber einen Mittelsmann brauche, um zwischen Nürn­ berg und Roßhaupter zu vergleichen, so wäre er gerne bereit, dieses Amt zu übernehmen. Man hat den Eindruck, daß beide Teile „Bereitschaftsstellung“ beziehen. Noch war von keiner Seite eine entscheidende Tat vorgenommen worden, die als eindeutige Fehdehandlung zu bezeichnen wäre, noch war der Weg frei zu einem gütlichen Vergleich. Aber beide Teile waren wachsam. Auch Hans von Rietheim wurde nun vom Rat persönlich über Roßhaupters Angelegenheit unterrichtet und aufgefordert, dem Geächteten keinen Unter37 Die Genealogie der Rietheimer ist noch wenig erforscht. Es war ein weitverzweigtes Ge­ schlecht. Vgl. Gabriel Buccelinus, Genealogia Allemania, und Reinhard H. Seitz, Zur Her­ kunft der Herren von Rietheim, in: Festgabe Paul Auer, Das obere Schwaben vom Illertal zum Mindeltal, S. 53 ff. 1963, hrsg. vom Verein für Kreisbeschreibungen Neu-Ulm. — Die Rietheimer waren schon früher einmal in der Fehde des Hilpolt v. Stein Feinde der Nürn­ berger gewesen. 38 StAN BB 10, fol. 160 v. April 1433. 39 Ebd. fol. 170 v. 19. 5. 1433.

17

Lore Sporhan-Krempel

schlupf zu gewähren40. Als nicht sogleich eine Antwort erfolgte, wurde der Rietheimer nochmals angeschrieben41. Hans von Rietheim antwortete am 26. Juni und erklärte kühl, Roßhaupter hätte ihm einige Briefe gezeigt, darin er den Nürnbergern geschrieben hätte „und euich er und recht uf etlich der fürsten und heren rätt und ach uf gemain gebotten hat, unferdingt nach inhalt derselben brieff, dis ir euich bißher von im nitt haben wollen beniegen lassen und mich gebeten, im ze günen, in meinem tail ze Kaltenburg sein pfennig laßen ze zeren und hoff, mich in der sach redlich zu halten."

8. Vermittlungsversuche

Graf Ludwig von Öttingen, der von den Nürnbergern benachrichtigt und ge­ beten worden war, sich der Sache anzunehmen, setzte nun einen gütlichen Tag zwischen den Parteien auf August zu Öttingen an, auf dem sich jedoch nichts entschied. Roßhaupter, der noch keine Antwort auf seinen Brief von den Nürnbergern erhalten hatte, erbot sich von neuem zu Schiedsgericht und gab eine große An­ zahl von Herren an, vor denen er seine Sache mit Nürnberg austragen wolle. So nannte er Wilhelm Hittlinger und Gebhart von Cammer, die Räte Herzog Ludwigs von Bayern, Wolf von Stein zu Klingenstein und Wolf von Zillen­ hart, die Räte des Grafen von Württemberg, weiter Lienhart Marschalk und Schopp von Westerstetten, die Räte des Bischofs von Augsburg, oder die Haupt­ leute der Gesellschaft von St. Jörgen Schild. Er ließ den Nürnbergern aber auch jede andere Wahl. Erst als das Jahr 1433 schon zu Ende war, kamen wieder lebhaftere Ver­ handlungen wegen eines Schiedstages in Gang. Auf Verabredung zwischen Nürnberg und der Gesellschaft von St. Jörgen Schild schaltete sich der Haupt­ mann der Gesellschaft, Friedrich von Zipplingen mit Wolf von Westerstetten als Vermittler ein. Ein Rechtstag wurde für März 1434 in Wemding festgesetzt. Beide Parteien erschienen, Roßhaupter ohne seine Helfer. Er lehnte die Tagung ab, weil Georg von Rietheim und andere nicht dabei sein konnten. Auch die von den Nürnbergern verlangte Sicherheit wollte er nicht geben, „er were der sach allain nicht mechtig, und die sach were nicht allain sein, und er könt, noch möcht, noch wölt anders darzu nicht antwurten". So endigte auch diese Tagung ohne Ergebnis. Ein großer Teil des Jahres 1434 verging, ohne daß sich in dieser Angelegen­ heit viel ereignet hätte. Die Schuldsache Stromer-Ortlieb ruhte freilich nicht:

40 Ebd. fol. 181 v. 4. 6. 1433. 41 Ebd. fol. 187 v. 13.6. 1433.

18

MVGN 61 (1974)

Roßhaupter-Fehde

Noch im August 1433 hatte der Rat eine Klage Georg Stromers gegen Clara Ortlieb entschieden wegen Abschrift: eines Urteils, das Kaiser Sigmund am 25. Juni 1432 in Lucca erlassen hatte. Es handelte sich um die Übertragung der Hans Ortliebschen Güter als Reichslehen, auf die Stromer Beschlag gelegt hatte, und die laut kaiserlichen Urteils wieder der Ortliebin zugesprochen wor­ den waren42. Dies geht aus einem Schreiben des Rats zu Nürnberg an Pfalzgraf Ludwig hervor, der sich abermals für Stromer verwendet hatte. Der Rat teilte dem Fürsten auf sein (Ludwigs) Verlangen mit, die Klagen gegen Stromer „hangen zu lassen und aufzuslahen"; bisher seien noch keine Klagen bis zur Entscheidungsreife getrieben worden., käme es jedoch so weit, so müßte Nürn­ berg ein Urteil sprechen 4S. Stromer scheint nun aber doch von seinen Gläubigern ziemlich in die Enge getrieben worden zu sein; er wandte sich an den Kaiser, und Sigmund gewährte ihm in Basel am 1. Mai 1435 für zwei Jahre Geleit und Moratorium44. Man muß beinahe vermuten, daß auch von kaiserlicher Seite am Verschleiern und an der Abschwächung des Bankrotts mitgewirkt worden ist. Georg Stromer besaß einen sehr einflußreichen Fürsprecher am Kaiserhof — abgesehen von seiner persönlichen Bekanntschaft mit Sigmund —, der seinen „Fall" gewiß immer wieder zum richtigen Zeitpunkt und im positiven Sinn vor den Kaiser brachte. Es war Caspar Schlick, der Kanzler Sigmunds, der nicht nur ein guter Bekannter, sondern vielleicht sogar ein Verwandter Georgs war. Mit der­ gleichen Verbündeten konnte Roßhaupter nicht aufwarten, dem nun durch das Moratorium wieder für lange Zeit der friedliche Weg versperrt war, um zu seinem Geld zu kommen. Andere Darlehen wurden ihm allerdings zurückbezahlt. So hatte er den Nürnberger Bürgern Peter Haller und Peter Steinberger45 1100 fl geliehen. Am 4. Oktober schrieb der Rat zu Nürnberg an Georg von Rietheim wegen dieser Sache. 800 fl wären zur rechten Zeit bezahlt worden, für den Verzug mit dem Rest seien 50 fl abgesprochen worden. Diese 350 fl lägen zu Giengen, wo sie für Roßhaupter von Haller zur rechten Zeit hinterlegt worden wären48.

42 43

44 45 46

Archiv der Freiherren Stromer von Reichenbach auf Schloß Grünsberg. Urkunden. Nr. 163. Als der Pfalzgraf dann im Oktober 1433 um eine Abschrift dieses Urteils bat, das der Rat zwischen Georg Stromer und Clara Ortlieb „von abschrift wegen" gefällt, antworteten die Nürnberger, es wäre dem Herkommen des Reichsgerichts zu Nürnberg zuwider, solche Abschriften zu geben. Wenn Stromer einen Urteilsbrief brauche, so möge er selbst kommen oder einen Bevollmächtigten schicken. StAN BB 10, fol. 224 b und 250 f. Wien, Haus-, Hof- und Staatsarchiv, Reichsreg. „K", fol. 127; vgl. auch Reg. Imp. XI. Bd. II, Nr. 10339. Peter Steinberger spielte als Finanzier und politischer Makler zu dieser Zeit eine erhebliche Rolle in Oberdeutschland. Vgl. Stromer, Hochfinanz a. a. O. Kap. X. StAN BB 11, fol. 106.

19

Lore Sporhan-Krempel

9. Die Gefangennahme des Burkart Müfflinger

Jetzt trat aber ein Ereignis ein, das den scheinbar ruhenden Streit plötzlich wieder aufwühlte und alles in Bewegung brachte. Am 9. Oktober 1434 brachen Roßhaupter und seine Helfer, darunter auch Hans von Rietheim, von der Kaltenburg auf und griffen sich auf der Straße zwischen Ulm und Biberach den ahnungslos daherreitenden Burkart Müfflinger (Mufflinger), einen Nürnberger Bürger, der in der Diesbach-Watt-Gesellschaft tätig war47. Müfflinger, seit 1429 Bürger zu Nürnberg, war in Geschäften unterwegs, und weder er noch seine Firma hatten mit Stromers Konkurs und Schulden das Geringste zu tun. Roßhaupter gab vor, nach Fehderecht gehandelt zu haben, er hätte sich ein „Pfand" genommen, mit dessen Hilfe er die Nürnberger dazu zu bringen hoffte, daß ihm seine Schuld bezahlt würde. Er hatte, modern ausgedrückt, eine Geisel genommen. Müfflinger wurde auf die Kaltenburg verschleiß und mußte dort bleiben, bis ein Lösegeld für ihn bezahlt wurde. Die Nürnberger behaupteten später, er sei in der Gefangenschaft „gestockt und geplöckt" worden. Das waren grausame Foltermethoden, mit deren Anwendung man das Lösegeld erpressen wollte. Hans von Rietheim schrieb kurz und bündig an die Nürnberger — am 13. No­ vember 1434 —, er hätte sich Roßhaupters angenommen und ihm durch Müfflingers Gefangennahme zu einem „Pfand" verholfen. Etwa zwei Tage nach Müfflingers Gefangennahme wurde den Nürnberger Bürgern Jobs und Heinrich Topler von Roßhaupter und seinen Genossen ein Faß mit Pelzen und Kupfern abgenommen. Es wurde auf die Kaltenburg ge­ bracht und später von dem Nördlinger Bürgermeister Ainkürn (Einkürn) um 70 fl von den Rietheimern ausgelöst. Es blieb nicht bei der Gefangennahme Müfflingers und der Wegnahme des Fasses mit seinem wertvollen Inhalt. Im Verlauf des Winters 1434/35, so wurde Roßhaupter und den Rietheimern vorgeworfen, hätten sie den Peter Beheim — wahrscheinlich einen Nürnberger Transportunternehmer — gefangen, als er in ulmisches Gebiet gefahren wäre und einen Geleitsbrief des Kaisers bei sich gehabt hätte. Sie hätten ihn auf die Kaltenburg gebracht und ihm „etliche habe genommen, die doch nicht alle sein were", ferner hätten Roß­ haupter und die Rietheimer einige Fuhrleute und Knechte von Nürnberg ge­ fangen und auf die Rietheimische Burg Remshart geführt, ebenso hätten sie einen Nürnberger Boten, der mit Briefen an den Bischof von Augsburg und an die von Ulm unterwegs gewesen wäre, gefangen genommen. In Nürnberg trafen um diese Zeit die ersten offiziellen „Absagen" ein, Fehdebriefe von solchen, die wegen Hans von Rietheim, später wegen Roß47 Hektor Ammann, Die Diesbach-Watt-Gesellschaft. Ein Beitrag zur Handelsgeschichte des 15. Jahrhunderts. Mitteilungen zur Vaterländischen Geschichte, hrsg. v. Histor. Verein des Kantons St. Gallen, 37, Heft 1, St. Gallen 1928.

20

MVGN 61 (1974)

Roßhaupter-Fehde

haupter mit der Reichsstadt Fehde begannen. Es waren meist „kleine Leute", die den Nürnbergern Feindschaft ansagten, und ganz bestimmt handelten nur die allerwenigsten von ihnen aus wirklicher Freundschaft zu den Rietheimern und zu Roßhaupter. Den Nürnbergern, den reichen „Pfeffersäcken", eines auszuwischen, darauf hatte mancher Neider und Mißgünstige schon lange gelauert und nahm die Gelegenheit jetzt nur zu gerne wahr. Die Zahl der „Feinde" wuchs in den nächsten Jahren an. Sie konnten Nürnberg nicht ernstlich schaden, aber auch Nadelstiche werden auf die Dauer lästig und schmerzhaft. Mehr als die tatsächlichen Feindseligkeiten beschwerte es die Nürnberger, daß sie auf weiten Strecken mit Überfällen rechnen mußten und kaum mehr ohne größeres Geleit reiten konnten, was natürlich auch mit hohen Kosten verbunden war. Doch auch Freunde fand die Reichsstadt. So schreibt Peter Heidnauer im März 1435 an den Rat, Rudolf von Bopfingen wolle sich auf ein Jahr in den Dienst der Stadt gegen Roßhaupter und die Rietheimer begeben und sein Schloß Eselsburg zur Verfügung stellen. Auch Kaiser Sigmund verfolgte achtsam die aufflammende Fehde. In einer Urkunde vom 18. März 1435 bestellte er seinen Erbkämmerer Conrad von Weinsberg zum kaiserlichen Kommissar und Richter in der Roßhaupter/Rietheimer-Sache wegen der Gefangennahme des Burkhart Müfflinger und der anderen48.

10. Der Tag zu Ulm am 25. Mai 1435 Immer noch aber hatten beide Seiten den Wunsch nach einer gütlichen Bei­ legung des Konflikts. Die Brüder Rietheim und Roßhaupter wandten sich an den Rat zu Ulm und erklärten, sie suchten einen Verhandlungstag vor Ulm oder den Städten, oder wo es sonst bestimmt würde. Bis Pfingsten sollte ein von beiden Seiten gelobter Frieden gehalten werden. Die Ulmer wurden um Vermittlung mit Nürnberg gebeten. Daraufhin luden die Ulmer beide Parteien zu einem Verhandlungstag49, und Nürnberg setzte den Montag vor Himmel­ fahrt dafür an. Dieser Montag war der 25. Mai (1435). Es fanden sich in Ulm ein die Nürn­ berger Gesandten, die drei Rietheimer und Roßhaupter, die Abgeordneten von Ulm und anderen Reichsstädten. Beide Teile erläuterten ihren Standpunkt aus­ führlich. Sprecher auf seiten Roßhaupter/Rietheimer war Jörg von Rietheim. Er hob in seinen Ausführungen auf die Vorgeschichte ab, er betonte, daß Roß­ haupter nur sein Darlehen zurückhaben wollte und warf den Nürnbergern vor, sie hätten ihm trotz mehrfacher Angebote nicht zum Recht verholfen. Die 48 Regesta sive rerum Boicarum Autographa. B. 13 München 1854 S. 333 und Reg. Imp. XI 2. B. Nr. 11070. 49 StAN Urk. des 7farb. Alph. Nr. 952 und B Bll, fol. 259/260.

21

Lore Sporhan-Krempel

Nürnberger erklärten, von den Geldgeschäften Stromers und Roßhaupters zwar gehört zu haben, „das were aber ein rat und stat zu Nurenberg nicht angangen und ging sy auch nichts an, und hetten des nicht zu schicken." Die Herren wur­ den heftig gegeneinander, so daß sich die Ulmer und die Vertreter der anderen Städte ins Mittel legen mußten, um Frieden zu stiften. Die Nürnberger rückten die Gefangennahme ihrer Bürger in den Vordergrund, doch Jörg von Rietheim meinte, Müfflingers Gefangennahme und Schatzung „sei nicht schatzungs- oder raubweise geschehen, sunder dem Roßhaupter eines pfandes zu helffen." Diese Ansicht wiesen die Nürnberger zurück, für sie war das alles nichts anderes als Wegelagerei. Auch als Jörg von Rietheim vorbrachte, er wäre zu der Zeit, als Müfflinger gefangen genommen wurde, in Ulm gewesen und hätte nicht Mann noch Pferd dafür gegeben, es wären die Nürnberger gewesen, die ihm abgesagt, ihm das Seine genommen, seine armen Leute vertrieben und sein Gut geödet hätten, kurz, ihn überhaupt erst in den Krieg getrieben hätten, wurde diese Darstellung von Nürnberg energisch bestritten. Von den Städtegesandten wurde nun zur Schlichtung ein Ausschuß gebildet — drei Bevollmächtigte auf jeder Seite —, der einen Weg zum gütlichen Vergleich finden sollte. Nürnberg wurde vertreten durch Haupt und Linhard Marschalk und durch den Augsburger Rats­ gesandten Hoffmeyer, für Roßhaupter und die Rietheimer sprachen Clas von Vilibach, Ulrich von Suntheim und der Ulmer Bürgermeister Hans Ehinger von der „Österreicher Linie" und Schwiegervater von Roßhaupters Schwester Doro­ thea. Die Roßhaupter-Vertreter waren zwar auch der Ansicht, es wäre unbillig, „das die von Nürenberg oder die iren, die gefangen waren, dem Roßhaupter sein schulde betzalen solten. Sie hetten aber gehört, daß Roßhaupters schuldiger eins weyb und kind sossen in gütem rate zu Nürnberg, so hett der ander schul­ diger Görg Stromeyr seinen kinden und andern, die auch noch zu Nürnberg sessen, merklich güt übergeben zu fluchtsal. Ob denen das ein weg were, daz sich die von Nürnberg des unterwunden, die iren darzu hielten und auch sovil darzu tetten, daz Roßhaupter seiner schuld .betzalt würd, und das daruff der von Nürnberg gefangene burger und verbürgt schatzgeld und bürgen ledig gelassen wurden und alles ein gerichte sach were." Die Sprecher der anderen Partei stimmten damit überein, daß die Nürnberger oder deren gefangene Mitbürger nicht für Stromers und Ortliebs Schulden haftbar gemacht werden könnten. Der Rat sollte zuerst einmal denen, welchen er etwas zu befehlen hätte und die der „vorgenannten Ding" verdächtig wären, d. h. etwas mit der Schuld zu tun hätten, gut zusprechen und zum Bezahlen auffordern. Wenn das nichts hülfe, solle sich Roßhaupter genügen lassen, die Gefangenen freigeben, Schatzgeld und Bürger ihrer Verpflichtung entledigen. Als beide Vorschläge den Nürn­ berger Gesandten vorgetragen wurden, antworteten sie, die Ortliebin „sey in vil Zeiten kein burgerin zu Nürnberg gewesen und auch nicht da sesshaft." Georg Stromer hätte kein Weib, und daß er seinen Kindern Güter übergeben hätte, wüßten sie nicht. Sie könnten sich auch nicht wegen der Schulden Georgs 22

MVGN 61 (1974)

Roßhaupter-Fehde

mit Roßhaupter einlassen. Jedoch wären sie mit dem Vorschlag ihrer Für­ sprecher einverstanden. Aber darauf wollten nun wieder die Rietheimer und Roßhaupter nicht eingehen, und so verließ man den Ulmer Tag ohne Ergebnis. Nur eine Woche später kaufte Clara Ortlieb die einst ihrem Mann gehören­ den Güter: Mühle und Fischwasser zum Doos, das Gut zu Günthersbühl, einen Zehnten und ein Gut zu Dietershofen und verschiedene andere Liegenschaften von Paulus Stromer und Hartmann Schedel, denen sie Georg Stromer zediert hatte, zurück50. Zwei Tage darauf verkaufte die Ortliebin den Hof zu Günthersbühl um 200 fl Stadtwährung an den Pfleger des Almosens der zwölf armen Männer bei den Kartäusern zu Nürnberg51. Nach dem verunglückten Tag zu Ulm hatten sich die Rietheimer wieder auf die Kaltenburg zurückgezogen. Wo sich Roßhaupter um diese Zeit aufhielt, wußte man in Nürnberg nicht, man vermutete, vielleicht in Giengen an der Brenz. Nun rüsteten die Nürnberger ein Heer aus, bestellten den Ritter Werner von Parsberg zu ihrem Feldhauptmann und schickten ihn mit seinen Mannen gegen die Kaltenburg. Die Fehde trieb einem ersten Höhepunkt zu. Es kam je­ doch vorerst noch nicht zur entscheidenden kriegerischen Handlung, da am 18. Juli verschiedene kaiserliche Mandate ausgingen, die Bürgermeister und Rat von Ulm und von allen Städten der Ulmer Einung in der Sache Nürnberg gegen Roßhaupter/Rietheimer zu kaiserlichen Kommissaren ernannten; dieselbe Funktion in der gleichen Sache erhielten Leonhard Marschalk, der Hauptmann der Gesellschaft mit St. Jörgen Schild in Niederschwaben und ebenso der Mark­ graf von Brandenburg. Alle Angehörigen des Reichs wurden aufgerufen, die Kommissare zu unterstützen. An die Rietheimer und Roßhaupter erging der kaiserliche Befehl, bis zur Entscheidung der Kommissare die Gefangenen, bzw. deren Bürgen ledig zu las­ sen und das Schatzgeld herauszugeben. Den Nürnbergern wurde geboten, bis zur Entscheidung mit den Gegnern Frieden zu halten, doch sollte das Fried­ gebot nicht verbindlich sein, wenn die Gegenpartei ihm nicht nachkäme 52. Conrad von Rietheim beklagte sich darüber, daß die Nürnberger nicht nach dem Entscheid der Ulmer Tagung handelten (obwohl es doch gar keinen bin­ denden Entscheid gegeben hatte) und ihn unbillig bekriegten. Er forderte Recht und Ehre entweder vor Bischof Peter von Augsburg oder vor dem Reichshof­ meister Graf Ludwig von Öttingen, vor Jakob Truchseß, Landvogt von Schwa­ ben, oder vor dem Reichserbmarschall Linhart. Sollten die Nürnberger ihm das abschlagen, so wolle er sich bei Kaiser, Fürsten, Herren, Knechten, Städten und jedermann beklagen. Als von Nürnberg aus keine Antwort erfolgte, wieder­ holte er sein Schreiben am 25. Juni. 50 StadtA Nbg, Urkundenreihe. 51 Ebd. 62 StAN Urk. des 7farb. Alph. Nr. 960, 964, 966, 969, 970, 971, 973, 974.

23

Lore Sporhan-Krempel

Nun verwendete sich Haupt von Pappenheim in der Angelegenheit, und die Nürnberger erklärten sich mit einem Schiedstag zu Nördlingen einverstanden; sie boten Sicherheit und baten um rechtzeitige Benachrichtigung53. Mitte Juli entfalteten die Nürnberger in der Sache Rietheimer/Roßhaupter wieder eine lebhafte diplomatische Tätigkeit. Es gingen Briefe hinaus an die Herzoge von Bayern, an den Bischof von Augsburg, an die Grafen von Öttingen, an Graf Ludwig von Württemberg, an Graf Johann von Helfenstein, an die Gesellschaft mit St. Jörgen Schild zum „obern“ und „nidern“ Teil am See (Bodensee) und „jenseits der Donau“, an die Pfalzgrafen Ernst und Wil­ helm, an Herzog Friedrich von Österreich, Markgraf Jakob zu Baden, Mark­ graf Friedrich zu Brandenburg, an den Bischof von Würzburg, an die Städte Augsburg, Regensburg, Konstanz und die andern Städte ihrer Einung, an Rothenburg o. T., Schwäb. Hall, Dinkelsbühl, Aalen, Schwäb. Gmünd, Eß­ lingen, Reutlingen, Rottweil, Nördlingen, Bopfingen, Giengen, Biberach, Ra­ vensburg, Pfullendorf, Kaufbeuren, Memmingen, Kempten, Isny, Leutkirch, Wangen und an die Herren von Schwangau und ihre Vettern. Kein einiger­ maßen wichtiger Fürst und Herr, keine Reichsstadt in Oberdeutschland wurde ausgeklammert. Nürnberg ließ seine gesamten politischen Verbindungen spielen 54. Vom Kaiser erhielt die Pegnitzstadt den Befehl, die 1000 fl Lösegeld für Müfflinger, wofür Hans Ryeter zu Ulm, Jakob Fuchshart, Peter Staynberger und Conrad Swartze sich verbürgt hatten, wieder zurückzunehmen, bis Markgraf Friedrich von Brandenburg oder Konrad von Weinsberg im ordentlichen Gericht darüber geurteilt hätte55. Die Rietheimer und Roßhaupter gaben allen denen, die von Nürnberg auf den Nördlinger Tag ziehen wollten, Sicherheit bei der Hin- und Rückreise 56. Der Schiedstag wurde am 24. Juli abgehalten, doch blieb er wieder ohne Er­ gebnis.

11. Belagerung der Kaltenburg

Zu Anfang August nahm die Fehde kriegerische Gestalt an. Von diesem Zeit­ punkt an datieren die erhaltenen regelmäßigen Berichte Werner von Parsbergs über die Fahndung nach Roßhaupter und die Belagerung der Kaltenburg. Diese „Kriegsberichte“ aus der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts zeichnen ein leben58 StadtA Nördlingen. Missive .1435, Nr. 63. Zu Haupt von Pappenheim vgl. Fränkische Lebensbilder, 5. Bd. Würzburg 1973, S. 23 ff., Bernd Warlich, Reidhsmarschall Haupt II. von Pappenheim. 84 StAN BB XI, fol. 282 ff., 311, 315. 85 Ebd. llrk. d. 7farb. Alph. Nr. 985. 88 Ebd. Urk. d. 7färb. Alph. Nr. 988.

24

MVGN 61 (1974)

Roßhaupter-Fehde

diges Bild von der Belagerung einer mittelalterlichen Burg und allen damit ver­ bundenen Zufälligkeiten, Schwierigkeiten und Abhängigkeiten. In seinem zweiten (erhaltenen) Brief vom 1. August beklagte sich Parsberg darüber, daß die Westernacher — seine Verbündeten — ohne sein Wissen und seinen Rat im Land umherritten, solange er mit seinen Leuten vor den Toren von Giengen läge, wo sich Roßhaupter gerade aufhielte. Die Westernacher raubten Vieh, hatten auch Schloß Stetten eingenommen, wo sie eine den Rietheimern ge­ hörende Truhe mitgenommen hatten. Parsberg war mit dieser Art Kriegsführung sehr unzufrieden, er befürchtete, daß den Nürnbergern daraus noch mehr „Krieg" erwachsen werde als sie schon hatten. Er als Hauptmann lehnte jede Verantwortung dafür ab. Ohnehin wußte er genau, daß das Vorgehen und die ganze Art, wie Nürnberg Roßhaupters Angelegenheit behandelt hatte, ihnen keine Freunde geschaffen hatte, schrieb er ihnen doch schon in einem Brief vom 15. Juni: „und ich weiste wol, das wü nit vil gueter günner zu Ulm haben . . ." Markgraf Friedrich von Brandenburg als Bevollmächtigter des Kaisers setzte auf den 9. August einen Gerichtstag zu Cadolzburg an. Auf Bitten Nürnbergs benachrichtigte Parsberg sowohl Roßhaupter wie die Rietheimer davon. Er hätte von beiden trotz sofortiger Mitteilung noch keine Antwort erhalten, be­ richtete er am 4. August. Hans von Rietheim erklärte sich wenige Tage später bereit, zu kommen, wenn ihm Sicherheit gewährt würde. Sein Bruder Jörg wandte sich um Hilfe an seinen Herrn, Herzog Ludwig von Bayern. Roßhaupter wäre beinahe in Giengen gefangen worden. Parsberg gibt unterm 5. August eine farbige Schilderung: „Lieben freund, als ir wol vernomen habt, wye wir den Roßhaupter belegt haben zu Giengen, also ist der Roßhaupter zuegefahren und hat seiner knecht tzwen geschickt in langen padpfaiden (Bad­ hemden) an den herwerg (Herberge), do mein gesellen innlagen und ließen sich vast davor sehen, indes het er ain pawren kleid angetan und saß auf ein pawrenpferd und wolt sich darvon gestolen haben, do waß er also wesetzt (be­ setzt) mit kuntschaft, das im mein gesellen zu stund nochkomen weren, des ward er gewar und raidt wider in dy herwerg. Auf das sein die von Giengen zugefaren und haben mit iren ambtman, was Nürnbergischen sein, ausgeboten zu stund an aus ir statt zu ziehen, und welher das also nit tet, der solt ausgericht werden, das er dye hend müst winden." Trotzdem er noch einen Ver­ such gemacht hätte, Roßhaupter zu fangen, wäre es mißlungen. Die Rietheimer schienen auf Herzog Ludwig von Bayern zu vertrauen, dessen Rat Conrad von Rietheim war, „und Kaltenbürk von im zu lehen und sein offens schloß. Audi sind sy yeezundt gar stark zu Kaltenburg und ir ist wol auf fenfzig" 57. Am selben Tag schrieb der Rat zu Schwäbisch Hall an Nürnberg: auf Bitten der Nürnberger wäre der Bürgermeister von Schwäb. Hall auf die Burg Marien­ fels geritten, um die Ritter Eberhard von Urbach, Endres von Wyler, Dieter 57 Der Brief ist ohne Unterschrift, stammt aber mit Sicherheit von Parsberg.

25

Lore Sporhan-Krempel

von Talheim und Erpf von Veningen, „die alle des slosses gemeyner sind", von ihrer Verbindung mit Hans von Rietheim abzubringen, doch wäre ihm das nicht gelungen. Am 7. August teilte Parsberg nach Nürnberg mit, Roßhaupter wäre in anderem Gewand zu Fuß davon gekommen, man hätte ihm seine Kleider und sein Pferd geschickt, doch wußte er, Parsberg, nicht, wohin. Auch fragte er an, wie er es im Fall einer Einnahme mit Remshart halten sollte. Er sollte, wurde ge­ antwortet, „Remshart zu diser zeite nit nachstellen, noch ichtes daran arbeiten". Nach dem mißglückten Abenteuer von Giengen schloß sich nun der Ring um die Kaltenburg fester. Parsberg meldete am 21. August, daß ihm alle Späher berichtet hätten, „da ir in dem schloß sind bey funff und zwaintzigen und nit hinüber, so sind nit mer dan acht geraissiger under mitsampt den czwain Riet­ heimer, das ander ist alles pueberey auß allen landen; und haben auch in dem schloss niht gebawen, das für dhein arbeit sey weder mit tarrassen noch an­ spannen, dy mewr noch nichtz, das zue solchen Sachen gehört, und sind auch lewt, die sich zue nichte schikken könen. Und ye mer ich das schloß suech und schaw, ye mer es mich verloren dünkt sein. Und nimpt mich fremd daß ir mir den zewg nit geschikt habt, als ich zue Giengen von ewch schied. Auch las ich euch wissen, das ich mich mit den gesellen gerottiret han und alle tag und alle nacht drey rott vor in sein und gen in an dy graben und an dy ineristen zewn on allen schaden, und haben in als heint an der sambztagnacht dy weren und schranken abgehawen und abgebrochen und an dem iniristen zawn an dem graben geklopft und gepost, recht als der ein zeug legen wold. Also würden sy schyessen mit tarraspuchsen und andern puchsen und armbrüsten und mit gemeiner stim schreyen; Bayerland herer, Bayerland stecht an sy, herer stecht an sy, und hetten gern also ein erschrekken gemacht, das sy nith enhalf, als sy dan ander nacht auch umgetriben sein worden, do mit. das sy lutzel (wenig) rue haben. Auch sagen mir die boeten, wie das der Roß­ haupter und die tzwen Ryetheimer ein langen beradt miteinander in einer kammer hetten, nür sy drey; als der radt ein end hett, do sas der Roßhaupter selbander auf sein pferde und giengen dy Rietheimer zu dem tor und hießen im auftuen und auslassen und schikten im do sein knecht hinoch, und sey mit jrem willen von in geschiden, und er hab auch noch drey knecht bey in in dem schloss, und ob es not tet, so westen dy Rietheimer den Roßhaupter wol ze finden. Und ich lass euch wissen, das ein gar aigenlich verbott ist, wie das der Roßhaupter ze Ulme sey und ynnen lig und heimlich do innen sey. Auch sagen die boeten, das sie allermaist trost auf herezog Ludwigen haben. Des, lieben freund, gedenkt und schikt mir den zewg zuestund, wan ich sein wol bedarf." Wenige Tage später traf das verlangte Kriegsmaterial ein. Parsberg schreibt: „Ich laß euch wissen, das Maister Dyetrich und wagen mit dem zeug körnen ist an sand Bartlemis abent. Also hab ich meister Dyetrich an das schloß gefuert und han in sehen lassen, wye nahent wir uns zu in gehaust haben und ye 26

MVGN 61 (1974)

Roßhaupter-Fehde

lenger, ye neher bey in sein, das wir mit stain zueinander werfen, das maister Dyetrich selber bekennen müeß, das das ein verlorene sach ist. Den weit ir der sach ein kürcz endt haben, so schikt maister Paulsen mit dem sterkern zewg her und etwas leudt domit, so hoff ich und getraw zue got, das wir gar kurczlich enden wollen." Das „stärkere Zeug" war eine Büchse, die eigens für die Belagerung der Kaltenburg gegossen worden ist. Sie wog 57 Zentner weniger 16 Pfund. Weil sie vor Kaltenburg zum ersten Mal gebraucht wurde, hieß sie später die „Kaltenburgerin". Von ihrem ersten Einsatz gibt Parsberg eine bildhafte Schil­ derung: „Nu laß ich euch wissen, das wir auf sambztag mit czwayen buchsen schiessen sind worden, also ist gestern am suntag mayster Dyetrichen seine knecht ein handt abgeschossen auf der zentnerbuchsen auf dem stain, und ist im duich sein schirm etwe dikk geschossen und abgetriben, da er hat muessen wol halben tag feyren und mag heut auch nicht geschiessen. So stost dy groß buchs all schuss so fast hinder sich, das es das ertrich so sere zerrudt, das wir mit den ansetzen in langer zeyt nit fertig mögen werden, wann das ertrich zue rogel ist..." Es ist erstaunlich, daß sich die Kaltenburg so lange gehalten hat. Die Er­ klärung dafür findet man wohl in Parsbergs Bemerkung, er habe noch nie ein so geringes Heer und eine so gute Ausrüstung gesehen wie vor Kaltenburg. Es fehlte an Mannschaft. Der Hauptmann drängte vorwärts, denn unter seinen Leuten war Krankheit ausgebrochen und viele waren verwundet. Über das genaue Datum der schließlichen Eroberung der Burg haben wir keinen Bericht. Es dürfte zwischen dem 5. und 10. September gewesen sein, kurz nach Parsbergs letztem Brief. Auch über das Ausmaß der Zerstörung der Burg sind wir nicht genau im Bild. Die Nürnberger Jahrbücher sagen nur: „es lagen die von Nürnberg vor Kaltenburg und zerschussen das schloss", und ein späterer Bericht fügt hinzu: „und legtens öd." 58. Das ist wenig, und der spätere Zusatz dürfte mehr dem Wunsch als der Wirklichkeit entsprochen haben. Denn eines ist sicher: die Burg ist nachher verhältnismäßig schnell wieder auf gebaut wor­ den, und die Rietheimer haben auch weiterhin darin gewohnt59. 58 Die Chroniken der deutschen Städte. Nürnberg B. 10. Die Belagerung der Kaltenburg wird in der Literatur sparsam behandelt, wie auch die ganze Roßhaupter-Fehde, deren gesamter Fragenkomplex bisher nie aufgerollt wurde, vgl. Emil Reicke, Geschichte der Reichsstadt Nürnberg, Nürnberg 1896, S. 393: Theodor Kern in Anzeiger für Kunde der deutschen Vorzeit, neue Folge 19 B, Jahrgang 1872, Sp. 48 ff. Das Ereignis wird durchweg in das Jahr 1434 (anstatt 143 51) verlegt. Müllner Annalen II fol. 976b sagt: „Die Nürnberger Chroniken melden, der Rath zu Nürnberg sey diss Jahr für das Schloß Kaltenburg gezogen, hab dasselb zerschossen und verbrannt, die Ursach aber, und zu was Jarzeit solches ge­ schehen, würd nit gemeldet." Er setzt das Ereignis allerdings in das Jahr 1430 und erkennt den Zusammenhang mit der Roßhaupterfehde nicht, über die er sonst sehr zuverlässig berichtet. 59 Im Verlauf des 18. Jahrhunderts wurde die Kaltenburg immer baufälliger, und wahrschein­ lich wohnten die Rietheimer dann nicht mehr selbst darin. Als das Schloß 1764 größtenteils

27

Lore Sporhan-Krempel

12. Die Reichsacht

In der Zeit von der zweiten Augusthälfte 1435 bis kurz nach dem Fall der Kaltenburg überschneiden sich verschiedene Ereignisse. Nach Roßhaupters Ab­ zug aus der Kaltenburg — vielleicht auch schon vorher — müssen sich die Riet­ heimer ernstlich überlegt haben, was für sie vorteilhafter sei: zusammen mit Roßhaupter weiterzumachen oder sich mit den Nürnbergern zu vertragen. Jörg von Rietheim hatte sich an Herzog Ludwig von Bayern um Hilfe gewandt, wie bereits berichtet wurde. Hans von Rietheim erklärte sich bereit, zum Schlich­ tungstag nach Cadolzburg zu kommen. Am 23. August trat Herzog Ludwig bei Nürnberg energisch für Jörg von Rietheim ein. Etwa gleichzeitig schrieben die Brüder Rietheim an Markgraf Friedrich zu Brandenburg, auf dem letzten Sühnetermin zu Nördlingen hätte Nürnberg alle Vorschläge der Gegenpartei verworfen. Nun baten sie, ihren Hilferuf an den Kaiser weiterzugeben. Jetzt setzte der für den Frieden so eifrig tätige Nördlinger Bürgermeister Einkürn wieder einen Vergleichstag in Nördlingen an, und die Rietheimer versprachen, zu kommen und den Vertretern Nürnbergs, mit dem sie zur Zeit in Fehde lägen, freies Geleit zu geben 60. Werner von Parsberg vor Kaltenburg erhielt von Nürnberg Nachricht über den Stand der Dinge und gleichzeitig den Befehl, sobald er könne, wieder auf die Eselsburg zu gehen und die Bedingungen des gelobten Friedens und der ver­ sprochenen Sicherheit strikt zu halten. Zu dem geplanten Schiedstag erbaten die Nürnberger den Beistand Haupts von Pappenheim und der Grafen von Öttingen, sowie der Städte Augsburg und Weißenburg61. Zu Anfang September intercedierte Pfalzgraf Albrecht bei Rhein für seinen Diener Conrad von Rietheim bei den Nürnbergern, und diese legten ihm in ihrer Antwort die Sache aus ihrem Blickwinkel vor62. Am 10. September aber sprach Markgraf Friedrich von Brandenburg als kaiserlicher Bevollmächtigter die Reichsacht über Werner Roßhaupter und Hans von Rietheim aus, welche auf des Reiches Straße zwischen Ulm und Biberach den Burkart Müfflinger, Bürger zu Nürnberg überfallen und ausgeraubt hät­ ten und die verschiedenen Rechtstage nach Cadolzburg und Nürnberg nicht be­ achtet hätten63. Am selben Tag jedoch trafen sich die drei Brüder Rietheim mit Paulus Vorchtel, Conrad Baumgartner und Carl Holzschuher als Vertreter

60 61 82 63

28

einstürzte, stellte man es nicht wieder her, sondern baute mit seinen Steinen das gräfliche Gut Reuendorf auf. Im Jahr 1821 verkaufte Hans Sigmund v. Rietheim die Burg mit dem ganzen dazugehörigen Besitz an den Grafen Carl Leopold v. Maldeghem. Noch Jahre später wurden die beiden Türme von armen Leuten bewohnt. Heute steht nur noch die malerische Ruine. StAN Urk. d. 7färb. Alph. Nr. 1000. Ebd. BB 12, fol. 15 f. Ebd. BB 12, fol. 29 f. Ebd. Urk. d. 7farb. Alph. Nr. 1002 u. Reg. sive Rer. Autogr. S. 353.

MVGN 61 (1974)

Roßhaupter-Fehde

Nürnbergs in Nördlingen64. Als Schiedsrichter waren Ritter Claus von Vilibach, Haupt zu Pappenheim, Hans Besserer von Ulm und Hans Einkürn, Bür­ germeister zu Nördlingen zugegen. Jetzt endlich kam zwischen diesen Parteien eine Einigung zustande. Es wurde dabei u. a. abgeredet, Peter Behaim mit seiner Habe sollte ohne Entgelt freigelassen werden, ebenso sollten auf beiden Seiten die Gefangenen entledigt werden, abgesehen von den beiden, die Roßhaupter auf Maienfels gefangen hielte. „Es sollen auch zu beyder syt alle Schätzung und prantschatzung und ungegeben gelt, es sey verbürgt oder in ander wise vergewisset, auch gantz abe sein und nie gegeben werden; und ob auch der bürgen gesetzt oder ander Vergütung getan were, sollen auch des halb ledig und abe sein. Aber als Burkart Müfflinger von Nüremberg zu Kaltenburg umb achthundert guldin geschätzt ist worden, und die von seindwegen gegeben sein worden, also soll Hans von Ryetheim und seyn erben dieselben acht­ hundert guldin obgenannten von Nüremberg widergegeben und bezalnen in zweyen jaren und schierst kumen nach datum des briefs on iren schaden, und auch in des eyn guten besigelten Schuldbrief geben“. Die beiden Brüder Conrad und Jörg hafteten als Selbstschuldner ebenfalls für pünktliche Rückgabe der Summe mit. In dieser Schlichtung waren alle mit eingeschlossen, die sich um der Rietheimer willen in die Fehde gegen Nürnberg eingelassen hatten. Aber ausdrücklich wurde hervorgehoben; „Und der Werner Roßhaupter und were von seinwegen entsagt hät, sint in diser richtung nit begriffen, ussgenomen Hansen von Ryetheims und were von Hansen von Ryetheims wegen entsagt hat.“ 65. Nachdem der Streit mit den Rietheimern so erfolgreich beigelegt worden war, erboten sich Pappenheim, Hans Besserer von Ulm und Hans Einkürn in einem gemeinsamen Schreiben an Nürnberg, auch die Schlichtung mit Roßhaupter zu vermitteln 86. Sie baten, bis St. Martinstag guten Frieden zu halten und während und in dieser Zeit die Schlichtungsverhandlungen zu führen, damit die Sache gütlich ausgetragen werde, was den gemeinen Städten auch genehm sei, „darumb, das sich die Sachen zu größeren unarte nicht vertiefen aber verla affen werden“. Die Nürnberger erwiderten darauf am 24. September, sie wüßten nichts von Fehde und Feindschaft zwischen ihnen und Roßhaupter. „Aber derselbe offen64 Diese drei Männer wirken noch öfters in Sachen Nürnberg/Roßhaupter mit, es ist also an­ zunehmen, daß sie auch schon frühere Verhandlungen in dieser Sache geführt haben. Alle drei waren mit Stromer eng verwandt. 65 StAN Urk. d. 7farb. Alph. Nr. 1001. — Am 12. September 1435 stellen die Rietheimer den verlangten Schuldschein über die 800 fl aus. Bürgen sind Ulrich von Suntheim und Erhärt von Erslingen (Reg. siv. Rerum Boicarum Autograph. Bd. 13, S. 3 54). — Es gibt später wegen dieser Sache noch viel Ärger und Schreiberei, vgl. StAN BB 12, fol. 108, 129; BB 13, fol. 64 f., 8 5, 128 f., da die Rietheimer nicht zur Zeit bezahlen, hält man sich an die Bürgen, BB 13, fol. 147, 150, 173 f., 183 f., 194 f., 230 f., 238 u. a. a. O. Noch im August 1444 ist die Angelegenheit nicht bereinigt. 68 Brief vom 19. September 143 5.

29

Lore Sporhan-Krempel

bar echter, der Roßhaupter, hat uns und die unsern unbewart, unerfordert und unvervollgt aller rechte auf des heiligen reichs Strassen rewplich oft beschedigt, über dass, daz wir im von unseres rats und stat wegen nie nichts schuldig wor­ den und auch noch nichts schuldig seyn, und auch über redlich vorderung und gebot, die wir im von unsers rats und statt wegen zu ere und zu recht zu nemen und zu geben und von den unsern förderlich bey uns zu helfen, oft: gepoten und pieten haben lassen, möchten wir nu ewrer erberkeit oder andern rechten frommen lewt anwesung gemess, daz er uns und den unsern solch unrecht vor­ an kert und wandlet, als sölich sache recht und pillich ist, und sich fürbass von uns und den unsern frewntlich recht, da wir und die unsern des pflichtig gefreyet und herkomen seyn, genügen lass als doch pillich were. Das wer uns zu sundrem dank und begerten das williclich zu verdienen. Wurden wir auch dar­ über von im oder yemant von seinetwegen mer beschedigt, so geschehe uns als sovil ungütlicher und gebürt uns von unsrer notdurft wegen das dafür zu halten als es ist. So seyn Georg Stromer und Hanns Ortlieb, den er, als wir vernomen haben, vor etlichen jaren etwas gelts auf sein nucz gelihen sol haben, niht unser burger und in etwievil jaren niht gewesen noch bey uns wohnhaft, und wir seyn ir nit mechtig, doch lawter ewrer erberkeit zu lieb, haben wir mit etlichen irer frewnde bey uns davon reden lassen, die sich sölicher sache yendert/anzubringen oder teg zu suchen niht versehen wellen. Bitt wir ewer erberkeit und ersamkeit mit ganzem Heiss, söliche unser antwort und notdurft in gut zu ver­ nemen, gütlich von uns also zu offenbaren und uns darauf, wo ir das reden hören würdet, zu unserer gerechtigkeit zu verantworten" 67. In der ersten Oktoberhälfte baten die Nürnberger die gemeinen Reichs­ städte, Werner Roßhaupter in ihren Territorien keinerlei Hilfe und Unter­ stützung zu gewähren und den Nürnbergern gegen ihn in ihrem Gebiet zum Recht zu verhelfen. Auch an Bern im Üchtland erging diese Bitte. In einem Brief an den Adeligen Hornecke von Hornberg aber stellten die Nürnberger den ganzen Roßhaupterhandel ausführlich dar und sprachen die Hoffnung aus, daß weder Hornecke noch Hans vom Stein dem Roßhaupter helfen würden 68. Gleichzeitig wurde auch Pappenheim um Unterstützung gebeten und Paulus Vorchtel fügte diesem Brief noch hinzu: „Wiewol mich diese sache mein selbs halben niht berürt und ich darzu mit mir selber und meinen Sachen genug zu schicken han, so han ich doch mit den frewnden, die zu Nürnberg seyn, in gut davon geredt und kan nicht finden, daz sich die in ichte geben oder ichts ver­ sprechen wellen, und auf ewr yetzig ersam fleissig schrift wil ich Görgen Stro­ mer kürczlich darüber schreiben und botschaft tun, als mich dann gut dünken würdt und darnach ewrer erberkeit so schierist ich mag, sein antwurt wissen lassen." 09 67 StAN BB 12, Br. v. 24. Sept. 1435. 68 Ebd. BB 12, fol. 50 b, f. 89 StAN BB 12, fol. 49 b, ff.

30

MVGN 61 (1974)

Roßhaupter-Fehde

Die Anstrengungen, die von seiten Nürnbergs gemacht wurden, führten zu keinem Ergebnis. Stromers Freunde wollten sich aus begreiflichen Gründen nicht für ihren Verwandten engagieren, der Rat blieb bei seiner abwartenden Haltung und die Fronten verhärteten sich. Immer wieder ist zu beobachten, wie Roßhaupter von seiten Nürnbergs die Alleinschuld an der bösen Angelegen­ heit zugeschoben wurde. Er seinerseits tat dasselbe im Hinblick auf Nürnberg. Am 20. Oktober 1435 erließen die Nürnberger gegen Werner Roßhaupter, der ihnen nun ohne Helfer gegenüberstand und mit dem sie vielleicht glaub­ ten, nun leichter fertig zu werden, eine „Verkündung". Unter Berufung auf die schon 1433 ausgesprochene Acht, sowie auf die weiteren Vorfälle wurde erklärt: wer diesen „offenbaren Ächter und Landzwinger" Roßhaupter, solange er noch nicht aus der Acht sei, lebendig dem Nürnberger Rat ausliefere, erhalte von diesem 2000 fl Landwährung; wer ihn in ein anderes Reichsgericht bringe, wo dem Rat zu Nürnberg geholfen werde, bekomme 1000 fl; liefere einer Roß­ haupter tot in die Gewalt des Rates, so erhalte derjenige, welcher in getötet, 1000 fl Landswährung, 800 fl aber einer, der ihn zwar vor den Nürnberger Rat oder ein anderes Gericht bringen will, dies aber nicht ausführen kann und ihn inzwischen töte. Von diesem Mandat wurde je ein besiegeltes Exemplar in jeder Pfarrei angeschlagen 70. Für den Rest des Jahres standen die Nürnberger mit verschiedenen Adeligen in brieflichem Austausch. Unermüdlich und ausführlich wurde diesen immer wieder die Angelegenheit geschildert71. Diese Briefe sollten wohl in erster Linie dazu dienen, daß die Ritter von der Fehde mit Nürnberg abstanden und Roß­ haupter keine Hilfe leisteten.

13. Roßhaupters Fehdebrief

Roßhaupter reagierte erst am 1. Februar 1436 auf diese „Verkündung" Nürn­ bergs. Wo er sich verborgen hielt, erfährt man nicht. Schriftlich kündigte er dem Rat Gegenmaßnahmen an. Jetzt wohl erst, so wird klar, ist er eigentlidi vogelfrei. Seine Gegenmaßnahmen manifestieren sich in einem offenen Fehde­ brief, datiert vom selben Tag (1. Februar). Er beginnt: „Ich, Werner Roß­ haupter, tun kund und wissen allermengelich, die disen briefe ymmer ansehen, lesen oder hören lesen ..." Ohne auf seine geschäftlichen Verhältnisse mit Stromer oder Ortlieb einzugehen, gab Roßhaupter dann eine Darstellung des

70 StAN BB 12, fol. 55 f. 71 So z. B. an Hans von Steineck und seine Mitgenossen, die Nürnberg Fehde angesagt haben, oder an Herman Stark zu Weyl, an Conrad v. Heimstatt, an Hans von Frauenberg. — StAN BB 12, fol. 75 b, 81 b, 114 b, 116 ff.

31

Lore Sporhan-Krempel

Streits zwischen ihm und Nürnberg und zählte alle diejenigen auf, die er den Nürnbergern als Schiedsrichter vorgeschlagen hatte, und die sie alle abgelehnt hatten, unterließ auch nicht, das Schreiben hinzuzufügen, das Hans von Rietheim seinetwegen an den Nürnberger Rat gerichtet hatte wegen der Gefangen­ nahme Müfflingers; der Rat wurde darin aufgefordert, sich mit ihm, Roßhaupter, innerhalb 14 Tagen zu vergleichen, wonach die Gefangenen freigegeben würden. Aber die Nürnberger hatten nicht darauf geantwortet und „do viengen sie an mit dem ersten mort und das ich innen ward und santen zu der von Rietheim büssenmeister, der by uns in dem schloss zü Kaltenburg was und Hessen mit im reden Gecken von Westernach, daz er so wol wölte tun und für (Feuer) inlegen in das schloss Kaltenburg, so wölte er im ain guten dienst schaffen, so müßten im die von Nüremberg geben zwayhundert guldin bar und fünfftzig guldin lipdings und hetten uns gerne unser lib und guot verbrent, und da sie nün für das schloss körnen, do wurffen sie by nacht das für in, dabei doch meng­ lich wol verstaut, das sye den brand angefangen haben. Darnach unterstünden sie sich, mich und myn knecht zu ermürden in ainer richstatt (gemeint ist wohl Giengen) in des richs gelait, das doch laut wissenlich ist.“ Jetzt wurde auf sei­ nen Kopf eine Prämie gesetzt. Nun wolle er gleiches mit gleichem vergelten, weil er dazu „gedrungen“ werde. „Zu wissen, welcher der ist, der mit den von Nüremberg zu schicken haben, der kom zu mir, Werner Roßhaupter, dem wil (ich) raten und helffen, und welcher ain gefangnen mit im brächt, dem wölt ich ainschätzen umb den dritten pfening on sinen schaden. Welcher aber sunst käme mit farnder hab, es wer hengst, harnasch, gelt oder wie das genant were, den wölt man halten umb den vierden pfening. Oder wer der ist, der ain von Nüremberg ersticht und zu mir kumpt, dem will ich geben 10 gülden und ain stechlin pantzer und drey gülden für ain rock Und welcher zu Nüremberg für (Feuer) inlegen wil, dem wil ich von yedem fürst (Dachfirst) geben 3 guldin ouch von dem ersten fürst, wa der uffging und verbrunn, von dem wölte ich, wer dem der das tät, geben zwaintzig guldin. Und welcher der zerunge nit hab, der kom zu mir, dem wil ich zerunge und fürtzüg (Feuerzeug) geben. Und welcher uf dem lannd brennen wil, das der von Nüremberg ist, dem wil ich von yedem schouphuse (Schafhaus) geben 4 beheimisch. Und welcher der zerung nit hab, der kom zu mir, dem wil ich sie geben und ouch den fürtzüg. Und welcher ainem wagen wins, wie der win genant were, der den von Nüremberg (gehört) den boden ußschlüge, dem wölt ich von yedem wagen geben drey gül­ den und ain rock. Welcher der were, der ainen wagen mit kouffmanschaft ver­ brent, dem wil ich ouch also vil geben, haut er nit zerung, so küm (er) zu mir, ich wil im zerung geben und ouch den fürtzüg. Ouch welcher den von Nürem­ berg westy abzuprechen, es wer an irem lib oder güt, und es aynig nit tün möcht, der kum zu mir, dem wilich dartzu rauten und helffen, biß daz es ainen gang gewinnet und im davon tün, als hett ers aynig getän, oder wie wir des ainig würden. Und welcher in ouch ain mülin verbrente, es wer ain drautmülin 32

MVGN 61 (1974)

Roßhaupter-Fehde

(Drahtmühle) oder ain ysenmülin oder sust ain pappyri mülin 72, oder wie die müle genant were, dem wölte ich geben 6 gülden und drey gülden für ein Rock." Zum Beweis der Wahrheit besiegelte Roßhaupter den Brief. Ausdrücklich fügte er nochmals hinzu, daß alles das, was er und die Seinen inskünftig tun würden, nur „umb söllich mortrüffen und stiefftens, so sie in ir statt getan händ" ge­ schehe. Von diesem Brief schickten sowohl Donauwörth wie auch Nördlingen ein Exemplar nach Nürnberg. In Donauwörth war der Brief an der Tür der St.-Jo­ hannes-Kapelle in der Vorstadt heimlich angeschlagen worden; in Nördlingen war er „bey nacht an unser pfarrkirchen türe geschlagen worden, den unser burgermaister, alz er czu kirchen gan wolt, sach (sah) und ein tayls las", dann hätte er ihn abgerissen, wie die Nördlinger an Nürnberg berichteten. Dieser in Nördlingen gefundene Fehdebrief liegt den Akten im Staatsarchiv Nürnberg bei. Er zeigt noch die Löcher von den Nägeln, mit denen er ange­ heftet worden war, und ist wie zum Hohn auf ein Papier mit dem Wasserzeichen der Lilie geschrieben — dem schlechtesten Papier aus der Stromerschen Papier­ mühle. 14. Der neue Bundesgenosse

Eine Zuschrift vom 25. Februar 1436 von Ritter Hans Conrad von Bodman von der Gesellschaft mit St. Jörgen Schild im Hegau an Nürnberg zeigt uns, daß Roßhaupter auch jetzt nicht ohne Bundesgenosse war. Bodman erklärte, die Nürnberger hätten sie, die Gesellschaft mit St. Jörgen Schild im Hegau ersucht, den Herzog Reinold von Urslingen und Jörg von Geroldseck „von der Feind­ schaft abzubringen", da aber beide nicht der Ritterschaft mit St. Jörgen Schild angehörten, könnte diese die beiden Herren „in dehainen dingen wysen". Doch wolle sie sich gerne für Vermittlerdienste zur Verfügung stellen. Reinold von Urslingen also ist der neue Helfer Roßhaupters / Mit ihm tritt eine schillernde Gestalt in unsere Darstellung, sicherlich nicht die uninteres­ santeste. Ein Mann aus einem einst weitberühmten Geschlecht und doch zur Zeit unserer Untersuchung nichts weiter als ein verarmter Adeliger mit einem anspruchsvollen Titel7S. 72 Hier handelt es sich fraglos um die Stiomersche Papiermühle zur Gleißmühle. Audi die Drahtmühle, eine der frühesten in Deutschland, findet sich im Besitz einer der Stromerschen Nachfolgefirmen. 73 Zur Geschichte der Herren von Urslingen sei folgende Literatur genannt: Archiv f. Ge­ schichte, Genealogie, Diplomatik. Nr. 1, Stuttgart 1846, S. 17 ff., Die Herzoge von Urslingen und die Herren von Rappoltstein. Franz Xaver Bronner, Abenteuerliche Geschichte Herzog Werners von Urslingen. Aarau 1828. Aegidii Tschudii Chronicon Helveticum, vol. II, p. 69/70. Anno 1417. — Pragmatische Geschichte des Hauses Geroldseck mit 217 Urkunden. Frankfurt u. Leipzig 1766. — Ferdinand Graner, Das schwäbische Geschlecht der Herren von Urslingen in: Zeitschrift für württembergische Landesgeschichte 1938. — Zimmerische Chronik, Bd. I, S. 371. 3

33

Lore Sporhan-Krempel

Die Stammburg der Urslinger stand im Neckartal zwischen Oberndorf und Rottweil, in der Nähe des kleinen Dorfes Irslingen. Wie manche andere schwä­ bische Adeligen gehörten sie zu den Anhängern der Staufer und traten mit Friedrich Barbarossa ins Licht der Weltgeschichte. Der Rotbart bestellte un­ gefähr 1172 zum Amtsverweser im Herzogtum Spoleto seinen Gefolgsmann Konrad von Urslingen. Kaiser Heinrich VI. ernannte diesen sogar zum Reichs­ verweser in Sizilien und vertraute ihm seinen neugeborenen Sohn an, den späteren Friedrich II. Später mußte Konrad sein Herzogtum aufgeben, das in päpstliche Hände kam und zog sich wieder nach Schwaben zurück. Die Her­ zogin, vermutlich eine Italienerin, blieb mit den beiden Söhnen Reinold und Bertold in Italien zurück. Beide Brüder gehörten später zum Gefolge Fried­ rich II. Reinold, der Ältere, nannte sich Herzog von Spoleto, und der Kaiser genehmigte den Titel. Als Friedrich 1228 ins Heilige Land aufbrach, bestellte er Reinold zu seinem Stellvertreter in Sizilien und der Mark Ancona. Während seiner Abwesenheit geriet Reinold in Zwistigkeit mit dem Papst, der damals in schroffem Gegensatz zu Friedrich stand. Als Kaiser und Papst sich wieder versöhnten, war Reinold das Opfer. Beide Brüder Urslingen kehrten nach Deutschland zurück. Den Her­ zogstitel behielten sie bei, doch nannten sich die Nachfahren nicht mehr Her­ zoge von Spoleto, sondern von Urslingen, eine seltsame Ehre, die dem kleinen Schwarzwalddorf und der alten Burg widerfuhr. In der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts machte abermals ein Urslingen von sich reden: Werner, der Füh­ rer der „Gran Compania“, der mit seinem deutschen Söldnerheer an allen Kämpfen, welche zwischen 1338 und 1351 in Italien ausgetragen wurden, be­ teiligt war — immer auf derjenigen Seite, wo gerade der beste Gewinn lockte. Der letzte Urslinger, eben jener Gönner Roßhaupters, auch ein Reinold, führte in Deutschland ein fast ebenso abenteuerliches Leben wie mancher seiner Vorfahren in Italien. Seine Frau, Anna von Usenberg, hatte ihm aus ihrer ersten Ehe das Schloß Hornberg im Schwarzwald zugebracht, trotzdem war Reinold arm. So suchte er auf allen nur erdenklichen Wegen zu Geld und Gut zu kommen, sei es im Dienst der Stadt Straßburg, sei es als Rat der Herren von Württemberg, sei es im Krieg gegen die eigenen Standesgenossen oder in der Fehde gegen Städte und Kaufleute. Man kann nicht behaupten, daß seine Hände dabei immer sauber geblieben sind. Dies zur Charakteristik des Herzogs. Indessen spielte er vorläufig für die Nürnberger noch keine große Rolle. Sie waren vor allem jetzt darauf be­ dacht, möglichst vielen geistlichen und weltlichen Fürsten und Herren klarzu­ machen, daß in der ganzen Roßhaupter-Angelegenheit Nürnberg im Recht wäre und alle zu bitten, Roßhaupter nicht zu unterstützen 74. 74 Regesta siv. Rerum Boic. Autogr. a. a. O. S. 369 f.; Regesten der Markgrafen von Baden und Hachberg, B. III Innsbruck 1907, Nr. 5522; StAN, BB 12 fol. 139 ff.

34

MVGN 61 (1974)

Roßhaupter-Fehde

15. Fehde zwischen Bodensee und Schwarzwald

Nürnberg hatte seine Kundschafter draußen, und so liefen mancherlei Nach­ richten über Roßhaupter beim Rat ein. Ende März erhielt Jos Kapfer von Nürn­ berg aus Stein am Rhein ein Schreiben von Erasmus Münzer und Conrad Spideli, die meldeten, Roßhaupter hielte sich im Thurgau und im Hegau auf. Es heiße, er wäre zu dem Grafen von Sulz auf die Neckarburg geritten und würde sich diesem anschließen. Die Nürnberger sollten in diesen Gebieten ja nicht ohne Geleit reiten. Anfang April erbot sich Rudolf von Bopfingen gegenüber Paulus Vorchtel und Conrad Baumgartner, Roßhaupter zwischen „jetzt und St. Johannestag Sonnwend niederzuwerfen". Wir kennen den Bopfinger bereits. Er hatte sich seinerzeit von Nürnberg gegen Roßhaupter anwerben lassen. Er bat bei Ge­ lingen des Vorhabens um Auszahlung der mit Vorchtel und Baumgartner ab­ gesprochenen Summe, die auch der Rat genehmigen sollte. Selbst wenn der Plan erst drei bis vier Wochen nach dem Johannestag ausgeführt würde, sollte das Geld in gleicher Höhe bezahlt werden, „dann söliche sach nit ze ergächen ist". Über diese Abmachungen erbat Bopfingen Brief und Siegel vom Rat75. Etwa um dieselbe Zeit meldete Hans Pfuser aus Merstetten im Württembergischen dem Peter Winäugel zu Nürnberg, daß sich Roßhaupter in Hornberg bei Herzog Reinold von Urslingen aufhielte und eine eigene Wohnung in dem Städtlein hätte. In Hornberg gab es außer dem Urslingischen Schloß noch ein zweites, das dem Grafen von Württemberg gehörte. Der württembergische Vogt auf diesem Schloß, Heinrich Wölffli, bekundete Nürnberg gegenüber die Absicht, aus dem gräflichen Dienst auszutreten, um an der Seite Nürnbergs an der Fehde gegen Roßhaupter teilzunehmen. Auch er bestätigte, daß sich Roßhaupter in Horn­ berg aufhielt. Am 15. April 1456 schrieben die Nürnberger einen Brief an die Stadt Ehin­ gen an der Donau und berichteten, ein Nürnberger Bote namens Hans Heckei (Hackel) hätte erklärt, daß er auf dem Weg nach Basel eines Morgens durch Ehingen gelaufen wäre und festgestellt hätte, daß Roßhaupter in der Nacht dort gewesen wäre und auch am Morgen noch da gewesen wäre. Roßhaupter wäre ihm, Heckei, aus der Stadt nachgeritten und hätte ihm Gewalt angetan (sein Gemächte abschneiden wollen und ihm die Nase abgeschnitten) und ihm seine eigene und anderer Leute Habe, Geld und Briefe abgenommen. Die Nürn­ berger legten nochmals dar, was Roßhaupter ihnen an Unrecht getan hatte, und baten, dem Geächteten keine Unterstützung in Stadt und Gericht Ehingen zu tun. Man versäumte auch nicht, an andern Stellen über diesen Frevel zu be75 StAN BB. 12, fol. 164 b. — Auf die Absprache mit Bopfingen dürfte der Vertragsentwurf mit einem Ungenannten zurückgehen, der undatiert dem Aktenbündel Nr. 21 beiliegt.

55

Lore Sporhan-Krempel

richten78. In ihrer Antwort vom 20. April 1436 beteuerten Bürgermeister und Rat zu Ehingen, sie wüßten nichts davon, daß Roßhaupter einem Nürnberger aus Ehingen nachgeritten wäre und ihn mißhandelt hätte. Die Forderung der Nürnberger, Roßhaupter in ihrer Stadt kein Geleit mehr zu geben, könnten sie nicht erfüllen, weil Geleit und Gericht zu Ehingen der Herrschaft zuständig wären. Diese Untat Roßhaupters zu Ehingen kommt später noch mehrmals zur Sprache und spielt bis zuletzt eine Rolle. Inzwischen war das Achturteil gegen Werner auch von der kaiserlichen Kanzlei bestätigt worden. Beim Lesen hat man fast den Eindruck, daß hier eine Art „Roßhaupter-Legende“ vollendet wird, die einseitig dem Lauinger alle Schuld zuschiebt. Der Kaiser ist weit, er kann sich nicht selbst an Ort und Stelle unterrichten, er muß dem glauben, was ihm angegeben wird. Die eigent­ liche Ursache der Fehde wird gar nicht berührt, nämlich das Schuldverhältnis Roßhaupter-Stromer-Ortlieb. Der Kaiser verkündet, daß Bürgermeister und Rat der Stadt Nürnberg bei ihm vorgebracht hätten, sie hätten Werner Roßhaupter, der sie beschädigen wollte, vor ein freundlich Recht vor dem Rat zu Ulm ge­ laden, wo er damals noch Bürger gewesen sei. Er habe aber dieses Recht ge­ flohen und sein Bürgerrecht zu Ulm aufgegeben. (Man erinnere sich, daß Roß­ haupter auf dem Tag zu Ulm ausgesagt hat, die Nürnberger hätten ihn über­ haupt nicht in Ulm auf gesucht.) Auf die weitere Vorladung vor das kaiserliche Landgericht zu Nürnberg hätte er ebenfalls das Recht verweigert. Daraufhin hätte ihn das Landgericht geächtet, später hätte der kaiserliche Bevollmäch­ tigte, Markgraf Friedrich von Brandenburg dann die Reichsacht über ihn ver­ hängt. Hierauf habe Roßhaupter die Nürnberger auf des Reiches Straße raub­ lich und oft beschädigt und in einer zwischen dem Nürnberger Rat und den Gebrüdern von Rietheim zu Nördlingen verhandelten Richtung alle Vorschläge, die ihm gemacht worden wären, ausgeschlagen; darüber hinaus hätte er sie und die ihrigen mit Brand und Mord überzogen, etliche ihrer armen Leute gefangen genommen, ihnen Schmach, Marter und Lästerung angetan und zuletzt die Nase abgeschnitten. Der Kaiser gebot, dem Ächter keine Hilfe und Unter­ stützung irgendwelcher Art zu gewähren 77. Diese Ankündigung des Kaisers erging an zahlreiche Städte, Fürsten und Herren in Schwaben 78. Dagegen nahm Sigmund in einer anderen Erklärung Hans von Rietheim feierlich aus der Acht, wohingegen er Roßhaupters Ächtung nochmals bestätigte 79.

78 StAN BB. 12, fol. 174 f. 77 Regesta siv. Rerum Boic. Autogr. a. a. O. S. 375. — StAN Urk. d. 7farb. Alph. Nr. 1051. — Reg. Imp. XI B. 2 Nr. 11320. 78 StAN Urk. Nr. 1050-61. 79 Ebd. Urk. Nr. 1070; Reg. Imp. XI B. 2 Nr. 11357; Regesta siv. Rerum Boic. Autogr. S. 378.

36

MVGN 61 (1974)

Roßhaupter-Fehde

16. Friedensbemühungen

Wie vorher, als die Ereignisse sich noch um das Ulmer Gebiet konzentrierten, die Reichsstadt Ulm, so suchte jetzt, wo sich das „Zentrum" der Fehde infolge Roßhaupters Anschluß an Urslingen in das Bodensee-Schwarzwald-Gebiet ver­ lagert hatte, eine andere Reichsstadt — Rottweil — zu vermitteln. Die Nürn­ berger erhielten ein Schreiben von Bürgermeister und Rat zu Rottweil vom 15. Juli 1436. Die Rottweiler teilten mit, daß sie beim Herzog von Urslingen und bei Roßhaupter wegen Abhaltung eines Schlichtungstags angefragt hätten, und beide sich bereit erklärt hätten, zu einem gütlichen unverdingten Tag vor den Grafen Ludwig von Württemberg und seine Räte zu kommen. Die Rott­ weiler rieten zu der Schlichtung vor Graf Ludwig mehr als zu einem Tag in Rottweil selbst. Doch sollten sich die Nürnberger nach Gefallen entschließen und ihre Entscheidung wissen lassen. Vermutlich im Zusammenhang damit richteten nun die Nürnberger am 27. Juli ein Schreiben an Reinold von Urslingen und teilten ihm mit, daß sie seit ihrem letzten Brief an ihn wegen Werner Roßhaupter Klage beim Kaiser erhoben hätten. Doch wären sie immer noch bereit, mit ihm zu einer Verhörung vor Markgraf Jakob von Baden oder Graf Ludwig von Württemberg zu kom­ men. Gleichzeitig machten sie dem Markgrafen Jakob von diesem Brief Mit­ teilung und baten ihn, dem Urslinger keine Hilfe zu leisten. Im gleichen Sinn wandten sie sich an Straßburg, Basel, an Ludwig von Württemberg, die Grafen zu Öttingen, Haupt von Pappenheim, an Rottweil und Freiburg/Br.80. Im September 1436 schrieb der Herzog von Urslingen an die Ritterschaft mit St. Jörgen Schild, Roßhaupter wäre bereit, mit denen von Nürnberg und ihren Verbündeten auf ein halbes oder ein ganzes Jahr Frieden zu schließen oder ge­ wisse Absprachen zu halten, daß „ein teil dem andern einen monat vor absage“ und dazwischen auf einen Schiedstag nach Stockach zu kommen. Es wollte weder mit Vermittlungen, noch Sühne- noch Richttagen vorwärts­ gehen. Aber die Akten verraten auch nichts von beiderseitigen feindlichen Handlungen wie z. B. seinerzeit der Gefangennahme Müfflingers oder des Vor­ falls bei Ehingen. Urslingen wirft in einem Schreiben vom 28. Oktober 1436 den Nürnbergern vor, daß sie auf sämtliche Vorschläge Roßhaupters, ihnen vor einem Schiedsgericht Rede zu stehen, nicht eingegangen wären. Er habe sich überzeugt, daß Roßhaupters Sache gerecht wäre und wäre deshalb mit etlichen guten Freunden sein Helfer geworden. Nun beständen die Nürnberger darauf, daß ein Tag zu Konstanz gehalten würde. „Do mügen ir selb wol verston, daz im (Roßhaupter) und sin helfern nit fügt zu sölichen tagen zu koment, on Sicherheit wider üweren grossen gewalt und macht; da durch dez Roßhaupters

80 Regesten der Markgrafen von Baden und Hachberg, Nr. 5547 und 5549.

37

Lore Sporhan-Krempel

glimpf nit mag gehört werden." Er selbst, sofern sie etwas mit ihm zu rechten hätten, wolle sich entweder vor Markgraf Jakob von Baden oder vor dem Württemberger vor ihnen verantworten. Es scheint, daß die von Nürnberg gebotene Sicherheit Roßhaupter und dem Urslinger nicht genügte. Das teilte die Gesellschaft mit St. Jörgen Schild den Nürnbergern mit und forderte sie auf, zu dem geplanten Tag zu Überlingen, Radolfzell oder Stockach volle Sicherheit zu geben. Die Gesellschaft würde dann auch alles tun, um die Sache gütlich zu Ende zu bringen. Herzog Reinold hielt auch weiterhin zu Roßhaupter. Selbst ein kaiserlicher Befehl vom 3. Dezember 1436, Roßhaupter nicht zu helfen und die Feindschaft gegen Nürnberg einzustellen, ließ ihn kalt81. Als Vermittlungsstelle zwischen Nürnberg einer- und Roßhaupter/Urslingen andererseits fungierte die Gesell­ schaft mit St. Jörgen Schild im Hegau, die jeweils Briefe annahm und weiter­ leitete. Als das Jahr 1436 zu Ende ging, war noch immer keine Entscheidung ge­ troffen, und man möchte fast dem Urslinger Recht geben, der Ende Dezember an Nürnberg schrieb, es dünke ihn nicht, „dass ir den Sachen gern end und usstrag hettent nach billichen dingen, won das ir gern ein verziechen dorus machtend, ob ir dem Roßhaupter sin eer, gut, lib und leben abgebrechen möchtend durch unbillich ussätz". Im gleichen Schreiben bezeichnete Urslingen Roß­ haupter als seinen „gichtigen, bekannten offenen Hauptmann". Zu Anfang Februar 1437 kündigte Jörg von Geroldseck, Herr zu Sulz, den Nürnbergern Fehde an wegen des von Urslingen. Dies teilte Nürnberg Mark­ graf Jakob von Baden mit, zugleich mit der Bitte, den Urslinger dahin zu brin­ gen, daß er den von Nürnberg angebotenen Austrag annehme und auch Roß­ haupter dazu brächte, das zu tun, auch dem Geroldsecker seine Feindschaft gegen Nürnberg ausredete. Briefe gleichen Inhalts gingen auch an Rottweil, Graf Ludwig zu Württemberg, an die Gesellschaft mit St. Jörgen Schild im Hegau und an der oberen und niederen Donau und an die Westerstetter 82. Noch vor Ende des Monats schrieb Graf Ludwig von Württemberg an die Nürnberger, er hätte Schreiben an Herzog Reinold und den Geroldsecker abgesandt, sich „dess Roßhopters zu üssern oder aber sich sein zu mechtigen, dem rechten gegen uch nachzukommen", fügte aber hinzu: „und als ir uns bittent, sie zu underwisen, üwerem schriben nachzukomen, lassen wir üch wissen, das wir ir zu solichem nicht mechtig sin, dann was sie von unser bette (Bitte) wegen nit tun wellent, dartzu haben wir sie nit zu dringen."

81 Rcgcsta siv. Rerum Boic. Autogr. B. XIII, S. 390. 82 Regesten der Markgrafen von Baden und Hachberg, B. III. Nr. 5586.

38

MVGN 61 (1974)

Roßhaupter-Fehde

17. Der Tag zu Rottweil Endlich sollte nun doch ein Schiedstag gehalten werden, auf dem alle Beteiligten erscheinen wollten, und zwar zu Rottweil am 8. April 1437. Graf Ludwig von Württemberg versprach den Nürnbergern Geleit für Hin- und Rückreise inner­ halb seines Territoriums, auch wollte er einen oder zwei seiner Räte zum Bei­ stand der Nürnberger nach Rottweil schicken. Nürnberg plante wieder ein großes Aufgebot und bat auch Markgraf Jakob von Baden um Entsendung seiner Räte, ebenso die Brüder Truchseß von Waldburg, die Nördlinger, die Ulmer, die Gesellschaft mit St. Jörgen Schild, die Städte Eßlingen, Reutlingen, Rottenburg a. N., Straßburg, Freiburg/Br„ Breisach, Neuenburg am Rhein und Basel. Schlichter auf diesem Tag zu Rottweil war Konrad von Schellenberg im Namen der Ritterschaft mit St. Jörgen Schild. Er war sowohl von den Nürn­ bergern als auch von Urslingen um Vermittlung gebeten worden. Auch der Bürgermeister zu Rottweil und drei Räte gehörten dem Schlichtungsausschuß an. Die Klagen und Anklagen waren dieselben wie schon zwei Jahre früher auf dem Tag zu Ulm. Roßhaupters Sprecher war wieder Hans Ehinger von Ulm, ge­ nannt Österreicher. Abermals wurde von beiden Seiten ein Ausschuß gewählt, und wieder wurde nach gütlichen Wegen gesucht. Aber die Nürnberger lehnten es ab, die Ver­ wandten von Roßhaupters Schuldnern dahin zu bringen, daß sie bezahlten, weil sonst der Rat mit dieser Sache behaftet wäre, und sich die Schuldner unter Um­ ständen an den Rat halten könnten. Doch fand man auch keinen andern Weg. Dann versuchte man den Herzog von Urslingen von Roßhaupter zu trennen. Reinold sagte, er hätte sich von Roßhaupters berechtigten Ansprüchen über­ zeugt und sich entschlossen, ihm zu helfen, daran hielte er fest. Das hätte er auch Nürnberg klipp und klar zu wissen getan. Wenn die Nürnberger ihm aber an die Ehre gingen, so wolle er ihnen „darüb fürkommen" vor dem Markgrafen von Baden, seinen Räten, oder vor die Herrschaft Württemberg und deren Räte, vor Herzog Otto von Bayern oder vor die fünf Verhörer jetzt, aber die Nürn­ berger müßten dann daselbe auch tun. Die Nürnberger erklärten, sie hätten Urslingens Brief erhalten und durch einen Boten beantworten lassen. Der hätte sich aber gefürchtet wegen Roß­ haupter und den Brief einem andern Boten nach Hornberg mitgegeben. Was aber Roßhaupter anbelange, sollte Urslingen seine Verbindung mit ihm lösen. Im übrigen wollten sie dem Herzog nicht an die Ehre gehen, sondern wären einverstanden, daß er ihnen vor die fünf Verhörer oder Markgraf Jakob von Baden und Graf Ludwig von Württemberg und deren Räte komme. Eine Eini­ gung wurde aber auch in diesem Punkt nicht erzielt. Am Abend dieses Tages kam in die Herberge der Nürnberger Gesandtschaft noch ein ganz schlauer Fuchs („ein treffenlicher mann") und machte ihnen 39

Lore Sporhan-Krempel

gleichsam von sich aus und ganz geheim den Vorschlag, Herzog Reinold von Urslingen zu „kaufen". Man könnte ihn vielleicht mit einer entsprechenden „Ehrung" (lies: Bestechungsgeld) dahin bringen, sich mit Nürnberg auszusöh­ nen und von Roßhaupter zu lassen. Aber hier machten die Nürnberger nicht mit. „Dem erbern mann ward guts willens fleissig gedankt und wurden im solliche ding mit den besten Worten abgeslagen." Auf der Heimfahrt ritten die Nürnberger über Stuttgart, um der württembergischen Herrschaft für das Geleit und die Entsendung der Räte zu danken und vor allem zu bitten, den Urslinger von Roßhaupter abzubringen, falls die­ ser den Württembergern irgendwie „verbunden" wäre. Doch erklärten die Grafen, das wäre nicht der Fall und sie könnten daher leider nichts unter­ nehmen. Mitte Juni flatterte wieder ein ganzer Schwung Absagebriefe nach Nürnberg, in denen der Reichsstadt wegen des dem Werner Roßhaupter zugefügten Un­ rechts Fehde angesagt wurde. Es waren annähernd wieder vier Dutzend neue Feinde, denen sich Nürnberg gegenüber sah 83. Aus der Ratskorrespondenz geht hervor, daß die Reichsstadt auf dem Tag zu Rottweil nicht alle Beteiligten für sich gewonnen hatte 84.

18. Das Ende

Um Mitte Juli traf ein Brief an den Rat ein von ihrem Diener Peter Weineugel, der als Späher und Bote in der Roßhaupter-Sache seit langem „aussen" gewesen war. Er schrieb, „wie er Hiltprant Smid, des Roßhaupter knecht, in fengknus zu Strassburg pracht." An den Rat zu Straßburg wäre eine Klag­ schrift gegen Hiltprant abgegangen. Dieser war ein enger Gehilfe Roßhaupters und hatte Nürnberg in zwei Briefen „entsagt", nämlich am 25. Januar 1435 und am 1. Februar 1436, doch hatte er schon vorher mit Roßhaupter zusammen die Nürnberger befehdet und war auch seinerzeit bei der Gefangennahme Müfflingers mit von der Partie gewesen. Der Rat meldete diese Neuigkeit sofort an Paulus Vorchtel, der eben auf einem Reichstag in Eger weilte und bevollmäch­ tigte ihn, mit den ebenfalls in Eger anwesenden Straßburger Gesandten über die Sache zu sprechen, damit Nürnberg sein Recht an dem Gefangenen üben konnte. Auch sollte er den Kaiser bitten, den Straßburgern oder an wen sonst das nötig wäre, zu schreiben „und ernstlich zu gepieten, uns recht über den egenanten zu gestatten und zu helfen, oder aber, ob sie des nicht teten, ein verpott ... von demselben unserem herrn dem kayser, dazu auch auspringet, daz derselbe unser geschol (Schuldner) von des reichs und unsern wegen bey 88 StAN Urk. des 7farb. Alph. Nr. 1122—25, 1127—29, 1131—40 und BB 13, fol. 5, 6, 7. 84 Ebd. fol. 7.

40

MVGN 61 (1974)

Roßhaupter-Fehde

den von Strassburg in verpot gelegt werde, wie euch dan das am stattlichsten gut dünken wirdt; und was ir also erfart und auspringt, das schickt uns bei disem unserm boten unverzugenlich so ir erst mügt, bey tag und nacht, das wir das B. Volkmair und Jacoben Topler, die wir auch zu den von Strassburg gevertiget haben und auf heut anreiten, in den rat nachschicken mügen, des zu geprauchen . .85. Sofort wurde für Berthold Volkmair und Jacob Topler, die ja schon öfters in der Roßhaupter-Angelegenheit tätig gewesen waren, die nötige Vollmacht ausgefertigt, damit sie in Straßburg alles Erforderliche gegen Hiltprant Smid veranlassen konnten. Sie sollten Hiltprant mit Recht anlangen und alle rechtlichen Mittel gegen ihn anwenden 86. Auch wolle man den Heckei, dem Roßhaupter und sein Knecht Hiltprant damals bei Ehingen die Nase abgeschnitten hätten, nach Straßburg schicken — sozusagen als lebendigen Beweis für die Freveltaten Smids und Roßhaupters87. Der Kaiser gewährte den Nürnbergern die erbetene Unterstützung, und auch die Straßburger versagten sich nicht. Überraschend kam es jetzt mit Hilfe dei Straßburger und einiger anderer Reichsstädte zu einem Vergleich mit Roß­ haupter. Mag sein, daß ihn die Gefangennahme seines treuesten Helfers gebrochen hatte, mag auch sein, daß er müde geworden war und sah, daß er sein Recht doch nicht mit Gewalt erlangen konnte. Am 3. August 1437 teilten die Nürnberger den in ihren Diensten stehenden Rittern Hans und Ital von Westernach und Rudolf von Bopfingen mit, daß vor kurzem in Straßburg mit­ samt den Ratsboten etlicher Reichsstädte zwischen Nürnberg einerseits und Werner Roßhaupter andererseits, sowie mit allen Helfern und Helfershelfern von beiden Seiten eine Sühne und Richtung gemacht worden wäre, die ihren Anfang nähme am Sonntag nach St. Lorenztag morgens bei Sonnenaufgang (10. August 1437) und die von beiden Seiten „fürbass und ewigs tags weren und gehalten werden soll" 88. Nach der Richtung widerriefen die Nürnberger den Steckbrief gegen Roß­ haupter 89. Dem Kaiser dankten sie in einem Schreiben für die Unterstützung in Sachen Hiltprant Smids und berichteten von dem zu Straßburg vorgenom­ menen Vergleich. Die zwischen Nürnberg und Roßhaupter noch strittigen Fra­ gen sollten vor Haupt von Pappenheim ausgetragen werden. Außerdem baten die Nürnberger den Kaiser, Roßhaupter aus der Reichsacht zu tun 90. Sigmund entsprach dieser Bitte durch eine Verfügung vom 23. August 1437 91. Weshalb der erste Termin zur völligen Klärung der noch anstehenden Punkte zwischen Roßhaupter und den Nürnbergern nicht vom ErbmarschalL sondern 85 86 87 88 89 90 91

St AN BB. 13 fol. 9. Ebd. fol. 10 b. Ebd. fol. 11 b. Ebd. fol. 19. Ebd. fol. 19 b. Ebd. fol. 22 b. Ebd. Urk. des 7farb. Alpb. Nr. 1167 und Reg. Imp. XI. Bd. II. Nr. 12057. 41

Lore Sporhan-Krempel

von Bischof Peter von Augsburg wahrgenommen wurde, läßt sich aus den Do­ kumenten nicht ersehen. Der Bischof setzte für den 17. Oktober einen Schiedstag in Dillingen an, und die Nürnberger ersuchten wieder zahlreiche befreun­ dete Städte, Fürsten und Herren um Unterstützung92. Es ist jedoch unsicher, ob dieser Tag überhaupt zustande kam. Auf jeden Fall wandten sich die Nürn­ berger am 29. Oktober an den Erbmarschall und sprachen ihn um einen Termin in Roßhaupters Angelegenheit noch vor dem St. Martinstag an. Pappenheim teilte ihnen jedoch am 5. November mit, er sei „uff diß zit so treffenlich mit unser geselschaft mit sant Georgen schilt-sachen beladen“, daß er vor dem St. Martinstag nicht heimkommen könnte. Später stünde er dann gerne zur Verfügung. Auch andere Gläubiger der Stromer-Ortlieb-Gesellschaft meldeten sich mit ihren Forderungen wieder an, das beweisen Nürnbergs Verhandlungen mit dem Lauinger Bürger Stefan Aislinger in dieser Sache 93. Im Verlauf des Jahres 1438 gingen die Bemühungen weiter, die Angelegen­ heit zwischen Roßhaupter und Nürnberg zu Ende zu bringen. Den Tag, den Haupt von Pappenheim für den 2. Februar anberaumte, schrieb Roßhaupter ab, und die Nürnberger baten den Erbmarschall um einen neuen Termin 94. Endlich, an dem für den 22. August festgesetzten Tag schien es zu Verhandlungen zu kommen. Die Nürnberger schrieben wieder ihre Freunde an 95, Volkmair und Baumgartner, die Nürnberg in Nördlingen vertreten sollten, wurden mit ent­ sprechenden Vollmachten versehen 90. Aber kurz bevor die Gesandten abreisten, traf ein Absageschreiben von Roßhaupter ein. So kam wieder nichts zustande, und die Nürnberger mußten Pappenheim abermals um die Festsetzung eines neuen Schiedstags bitten 97. Erst um die Mitte des Jahres 1439 hört man wieder vom Fortgang der Sache. In einem Schreiben vom 23. Juli dieses Jahres versprach Nürnberg dem Werner Roßhaupter Sicherheit und Geleit „zu uns und von uns bis wieder an dein gewar“ von St. Bartholomäustag an für sechs Wochen Aufenthalt in Nürnberg. Notfalls könne er auch über diese Frist hinaus noch bleiben 98. Doch scheint auch dieser Versuch nicht zu einem konkreten Ergebnis geführt zu haben. Wenigstens geht das aus dem Notariatsinstrument hervor, das der Notar Jo­ hannes Marquard von Deventer am 29. Juli 1439 ausstellte über die Verhand­ lung zwischen den Vertretern Nürnbergs, Berthold Volkmair und Conrad Baum­ gartner, und Werner Roßhaupter, „gesessen zu Giengen“. Es ging um die Auslegung eines Artikels im Richtigungsbrief, Hab und Gut von Georg Stro92 93 94 96 93 97 98

42

Ebd. BB 13, fol. 46, 47. Stromer, Handelsgesellschaft Gruber — Podmer — Stromer, a. a. O. StAN BB 13, fol. 106 b. Ebd. fol. 206 b. Ebd. fol. 211. Ebd. fol. 221. Ebd. BB 14, fol. 15.

MVGN 61 (1974)

Roßhaupter-Fehde

mer und Hans Ortlieb betreffend. Als namentlich benannte Zeugen waren Ul­ rich Truchsess und Heinrich Plattenberger, Bürger zu Nürnberg, zugegen. Vor dem Notar brachten Nürnbergs Vertreter vor: Werner Roßhaupter hätte ver­ langt, ihm von den Rechtsnachfolgern Stromers und Ortliebs Genugtuung zu verschaffen. Dazu wären sie bereit, wenn Roßhaupter ihnen sagte, wer diese wären. Roßhaupter aber gab vor, nicht zu wissen, an wen er sidi nun halten müßte, auch wäre im Richtigungsbrief nichts davon zu lesen, daß er irgend­ welche Namen angeben sollte. Die Nürnberger schlugen vor, die Sache vor den im Richtigungsbrief benannten Herren oder vor dem Rat zu Straßburg auszu­ tragen. „Daruff antwurt der Roßhaupter, er meynt, das des nicht nöt were, wann doch der artikele austrag der sache clerlich genüg ausweiste, yedoch so slug er das, zu der leuterung auff dieselben herrn zu kümen, nicht abe, so sagt er es auch nicht zu, wann er darumb nicht herkümen, noch itzunt daruff bedacht were: denn der sache uff die von Strasspurg zu kumen, das wer im nicht eben, wann er wer ein arm gesell und vermocht der zerung noch sein frunde so weit nicht zu füren. Denn umb den austrag der leutrung auff die vorgenannten hern wolt er sich, so er zu sein fründen kerne, daruff bedencken und dem rate darumb antwurten.“ Es steht also fest, daß Roßhaupter auch im Juli 1439 noch nicht zu seinem Geld gekommen war. Weshalb will er die Erben Stromers und Ortliebs nicht namentlich anführen? Kennt er sie wirklich nicht? Oder will er einfach dem Rat nur den „Schwarzen Peter“ Zuspielen? Die Nürnberger scheinen jetzt ehr­ lich gewillt, ihm zu seinem Geld zu verhelfen, wenn ihnen die Rechtsnachfolger von Stromer und Ortlieb angegeben werden. Doch kann mit Sicherheit ver­ mutet werden, daß sie wußten, wer es war — vor nicht allzu langer Zeit bei den Verhandlungen mit Aislinger hatten sie es ja auch gewußt. Oder versucht man wieder, alles auf die lange Bank zu schieben und die Angelegenheit einfach versanden zu lassen? Die Nürnberger sahen wohl, daß Roßhaupter müde ge­ worden war; in seinem Protest war nicht mehr die frühere Leidenschaft. Die jahrelange Fehde hatte ihn auch materiell ausgelaugt, er wäre ein armer Ge­ sell, sagte er selbst und meinte es gewiß wörtlich. Beide Parteien waren entschlossen, die strittigen Punkte auszuhandeln. Im Verlauf des Jahres 1439 aber starb Haupt von Pappenheim, und ein neuer Schiedsmann mußte gesucht werden. Im September fragten die Nürnberger auf Bitten Roßhaupters bei Bisdiof Peter von Augsburg an, ob er dies Amt über­ nehmen wollte ". Der Bischof stimmte zu und setzte einen Tag in Dillingen an. Doch wieder sagte Roßhaupter ab. In einem Schreiben vom 9. Oktober an den Bischof bedauerten dies die Nürnberger sehr und baten um einen neuen Termin, „merklicher sorg und veyntschaft halber, so wir haben“ 10°, möglichst in Nördlingen und nicht in Straßburg, wie es vielleicht ursprünglich geplant gewesen 98 Ebd. BB 14, fol. 39. 100 Vielleicht eine Anspielung auf die Fehde mit Hans von Vilenbach?

43

Lore Sporhan-Krempel

war. Werners Absage legte man dem Brief bei. Ein paar Tage später wurden dem Bischof noch einige Schreiben Roßhaupters zugeschickt und dabei berichtet, er hätte zu Pappenheims Zeiten „sölicher tag mer den einen auch wider­ boten“ 101. Nun scheint Werner den Entschluß gefaßt zu haben, sich mit einem seiner Schuldner persönlich auseinanderzusetzen. Vielleicht erhoffte er sich dadurch endlich einen gewissen Erfolg. Der seinerzeit aus Nürnberg geflüchtete Hans Ortlieb, der eigentliche Schuldige an der ganzen Katastrophe, war noch am Leben und erreichbar. Roßhaupter wollte sich in Nürnberg mit ihm treffen und schrieb deshalb an den Rat. Dieser antwortete ihm am 22. Februar 1440: „Unser dienst bevor. Lieber Werner, uns ist kürzlich ein brief von euch geantwurt worden, darinnen ir uns schreibt von geleits wegen Hannsen Ortlieben bei uns zu geben, und denselben brief mit seinem inhalt haben wir wol vernomen und lassen euch wissen, das derselbe Hans Ortlieb vor etlichen jaren von unser stat also abgeschieden ist und sich darnach auch also gehalten hat, das er nicht mer unser burger, noch in unser versprechnus noch gehorsam ist, und das wir auch nichts mer über in zugepieten noch zu heissen haben; jedoch will derselbe Hanns Ortlieb für uns kumen, so sol er zu und von uns, für uns und die unsern ongeverde und bey uns für menclich hiezwischen sant Jörgen tag schierstkünftig geleite haben ungeverlich, doch also, das er es soliche zeit bey uns auch geleitlich halt und auch also, ob uns datzwischen icht begegnen würde, das er uns nicht lenger füglich were, das wir denn demselbenen Ort­ lieben solich geleite VIII tage vor absagen mugten ongeverde.“ 102 Ob es zu diesem Treffen gekommen ist, ob etwas dabei herausgesprungen ist, ob Roßhaupter noch je sein Geld erhalten hat, das alles bleibt ungeklärt. Dieser Brief des Rats ist das letzte Dokument, das sich in der „RoßhaupterFehde“ bis dato gefunden hat. Niemand weiß auch, wie Roßhaupters letzte Le­ bensjahre verlaufen sind, und wo und wann er gestorben ist. Und Urslingen? Wie hat er sich mit den Nürnbergern schließlich wieder ver­ tragen? Man kann annehmen, daß er auch später auf die Reichsstädter nicht gut zu sprechen war. Vielleicht hatte er doch gehofft, wenn Roßhaupter zu seinem Recht — besser: zu seinem Geld — komme, daß er dann an der Beute teilhabe. Zumindesten wird ihm nachgesagt, daß er bei dem Überfall auf meh­ rere Kaufleute, die von der Genfer Messe über Stein am Rhein heimreisten im Jahre 1442 dabei gewesen sei. Anno 1446 wird er als „selig“ genannt. Von den handelnden Gestalten unseres Berichtes wissen wir nur von zweien das Ende. Georg Stromer starb im April 1437 fern seiner Heimat zu Koblenz und wurde bei den Barfüßern dort begraben. Er ist als aktiver Mitspieler eigentlich mit der Aufgabe des Nürnberger Bürgerrechts ausgeschieden. Selt­ sam, wie in dieser Sache sich die Fronten gewandelt haben! Roßhaupter als 101 StAN BB 14, fol. 54 b und 56. 102 StAN BB 14, fol. 136. 44

MVGN 61 (1974)

Roßhaupter-Fehde

der eine Partner ist geblieben, an die Stelle von Stromer ist bald die Stadt Nürnberg getreten. Dabei ist noch zu beobachten, daß Roßhaupter nicht eigent­ lich unterlegen ist. Zwar hat er sein Geld wohl nie erhalten, aber das Recht auf seine Forderung ist schließlich doch anerkannt worden. Die Stadt hat gerade dieser Grundursache der Fehde anfangs keine Beachtung geschenkt. Moralisch, könnte man sagen, ist Roßhaupter gerechtfertigt gewesen, finanziell und viel­ leicht auch als Mensch ist er an der Fehde zugrunde gegangen. Warum die sonst so klugen und konzilianten Nürnberger aber gerade in dieser Sache sich so hartnäckig gezeigt haben, bleibt für immer im dunkeln. Ein Ende mit Schrecken im wahrsten Sinn des Wortes nahm Jörg von Rietheim, der Pfleger von Höchstadt. Um 1440 schon längere Zeit mit den Augs­ burgern schwer verfeindet, die ihm Straßenraub und Brandstiftung vorwarfen, wurde er von den städtischen Knechten Augsburgs in Donauwörth gefangen, wo man auch gleich zu Gericht über ihn saß. Er wurde enthauptet. Später ka­ men die Donauwörther deshalb in Reichsacht, weil ihnen die Erben der Riet­ heimer vorwarfen, sie hätten Jörg das Geleit gebrochen und ihn ausgeliefert.

Anhang Georg Stromer gibt sein Nürnberger Bürgerrecht auf. 7.

April

143 3

Ich Georg Stromeyr der elter, bekenn und tun kunt offenliche mit diesem brief. Als ich mein purkrecht zu Nüremberg aufgeben han, daz ich darumb mit aufgereckten fingern einen gelerten ayd zu got und den heiligen gesworen han, was sache ich zu handeln hab oder fürpas zu schicken gewinne mit den erbern und weisen, den bürgern des rats und der stat zu Nüremberg ode keynem der iren umb alle vergangene sache, daz ich darumb recht vordem und nemen sol und will, ich oder aber mein scheinbotte mit meinem vollen gewalte vor des reichs richter zu Nüremberg von in, iren armen leuten, ob ich zu den icht zu sprechen hett oder gewinnen umb vergangene sache vor den dahinten den die gesessen weren und anderswo nyndert. Und ich sol und will auch bey demselben ayde in eyner viertel meyl wegs umb und umb die stat Nüremberg nyndert sitzen und sedelhafft werden, es werd mir dann erlaubt in offem rate mit der merner menig schepffen und rats zu Nüremberg, und wen ich zu Nüremberg byn, so sol ich zu einem offen würte da zeren als ein ander gast und nicht bey meinen freund, und ich sol mich auch zu nymand da in die kost dingen, auch was ich erbe und aigens in dem gericht zu Nüremberg han, das sol ich in der Jarfrist verkauffen und das bür­ gern oder burgerinnen zu Nüremberg zu kauften geben und nymand anders nach der stat recht und gesetz daselbst. Und dieweil die aber nach der jarsfrist unverkauft und was dann zinss und nutzen davon gevielen, die sollen alle volgen, werden und ge­ fallen den bürgern auf das rathaus in die losungsstuben zu Nüremberg. Und des zu urkunde gib ich disen brief versigelt mit meinem anhangenden insigel geben zu . . . Bayerisches Staatsarchiv Nürnberg, Briefbuch Nr. 12, letzte Seite. Amts- und Standbücher 304 (Bürgerbuch 1429/62) fol. CC.

45

Lore Sporhan-Krempel Benutzte Literatur

Ammann, Hektor. Die wirtschaftliche Stellung der Reichsstadt Nürnberg im späten Mittelalter. Nürnberger Forschungen Bd. 13, Nbg. 1970.

Angermeier, Heinz. Königtum und Landfriede im deutschen Spätmittelalter, München 1966. Archiv für Geschichte, Genealogie, Diplomatik, Nr. 1 Stuttgart 1848. Die Herzoge von Urslingen und die Herren von Rappoltstein. Beiträge zur Nbg. Wirtschaftsgeschichte, 2 Bd. Nürnberg 1967; im 2. Bd. ab S. 883 ff. Bibliographie zur Nbg. Wirtschaftsgeschichte. Bronner, Franz Xaver. Abenteuerliche Geschichte Herzog Werners von Urslingen. Arau 1828. Brunner, Otto. Land und Herrschaft, 2. Aufl. Brünn 1942. Geschichte, pragmatische des Hauses Geroldseck mit 217 Urkunden. Frankfurt und Leipzig 1766. Graner, Ferdinand. Das schwäbische Geschlecht der Herren von Urslingen, in: Zeitschrift für württembergische Landesgeschichte 1938. Gruber, Josef. Die Roßhaupter. Eine alte Familie des Straubinger und Wörther Vor­ waldes, in: Jahresbericht des Historischen Vereins für Straubing und Umgebung, 71, 1968. Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte. Unter Mitarbeit von Wolfgang Stammler, herausgegeben von Adalbert Erler und Ekkehard Kaufmann, Berlin 1972. 1. Lieferung. Hirsckmann, Gerhard. Nürnbergs Handelsprivilegien, Zollfreiheiten und Zollverträge bis 1399, in: Beiträge zur Wirtschaftsgeschichte Nürnbergs, Nbg. 1967. Kern, Theodor. Der Zug gen Kaltenburg, in: Anzeiger für Kunde der deutschen Vor­ zeit, neue Folge 19. Bd. Jahrgang 1872 Sp. 47—51. Mayer, Bernhard. Geschichte der Stadt Lauingen, Dillingen 1866. Mitteilungen des Vereins für Geschichte der Stadt Nürnberg 1971. Nürnberg. Geschichte einer europäischen Stadt, München 1971. Reiche, Emil. Geschichte der Reichsstadt Nürnberg. Nürnberg 1896. Rückert, Georg. Lauinger Urkunden 1226—1415, in: Jahrbuch des Historischen Vereins Dillingen XIV, 1901. — Lauinger Urkunden von 1416—1450, in: Jahrbuch des Historischen Vereins Dillingen XV. 1902. Sachwörterbuch zur deutschen Geschichte, München 1958. Seitz, Reinhard H. Zur Herkunft der Herren von Rietheim, in: Festgabe Paul Auer, Das obere Schwaben vom Illertal zum Mindeltal, herausgegeben vom Verein für Kreisbeschreibungen Neu-Ulm, 1963 . Sporhan-Krempel, Lore. Nürnberg als Nachrichtenzentrum von 1400—1700, Nbger. Forschungen Bd. 10, Nbg. 1968. Sporhan-Krempel, Lore und Stromer, Wolfgang v. Das Handelshaus der Stromer in Nürnberg, in: Unbekanntes Bayern, Land der Franken, Bd. 7, München 1962. Stromer, Wolfgang v. Wirtschaftsleben unter den Luxemburgern in Nürnberg — Ge­ schichte einer europäischen Stadt. München 1971. — Die Handelsgesellschaft Gruber-Podmer-Stromer. Nbger. Forschungen Bd. 7, Nbg. 1963. — Oberdeutsche Hochfinanz 1350—1450, Steiner, Wiesbaden, Beihefte 55—57 zur VSG. 1970. — Fränkische und schwäbische Unternehmer in den Donau- und Karpatenländern im 46

MVGN 61 (1974)

Roßhaupter-Fehde

Zeitalter der Luxemburger 1347—1437, in: Jahrbuch für Fränkische Geschichte 31/1971. Warlick, Bernd. Reichsmarschall Haupt II. von Pappenheim, in: Fränkische Lebens­ bilder, 5. Band Würzburg 1973. Zoepfl, Friedrich. Das Bistum Augsburg und seine Bischöfe. Augsburg 195 5—69. Gedruckte Quellen:

Altmann. Regesta Imperii X, XI. Regesten der Markgrafen von Baden und Hachberg, Bd. 3, Innsbruck 1907. Regesta sive rerum Boicarum Autographa, Bd. 13, München 1854. Die Chroniken der deutschen Städte. Nürnberg. Bd. 10. Die Chronik der Herren von Zimmern, Bd. 1. Buccelinus, Gabriel. Genealogia allemannia. Tsckudii. Aegidii Chronicon Helveticum, vol. II Anno 1417. Handschriftliche Quellen:

Lauingen, Stadtarchiv. Urkunde vom 10. 11. 1421 und Urkunde vom 2. 12. 1421. Nürnberg. Archiv des Germanischen Nationalmuseums. Kress-Archiv. Nördlingen, Stadtarchiv. Missive 1435. Nürnberg, Staatsarchiv. Akten des 7farb. Alphab. Nr. 21. — Briefbücher 8, 10, 11, 13, 14. — Landgericht Nürnberg Bd. 113. — Müllner, Annalen II, fol. 976 b. — Urkunden des 7farb. Alphab. Nürnberg, Stadtarchiv. Urkundenreihe. Ulm, Stadtarchiv. Bürgerbuch 2 und Produkt A/1279. Wien, Haus-, Hof- und Staatsarchiv. Reichsregister „J“, „K“. Nota. Hier seien noch zwei Veröffentlichungen genannt, die mir erst nach Abschluß des Manuskripts bekannt wurden: Obenaus, Herbert. Recht und Verfassung der Gesellschaft mit St. Jörgen Schild in Schwaben. Untersuchungen über Adel, Einung, Schiedsgericht und Fehde im fünf­ zehnten Jahrhundert. Göttingen 1961. Pfeiffer, Gerhard. Die politischen Voraussetzungen der fränkischen Landfriedenseinun­ gen im Zeitalter der Luxemburger, in: Jahrbuch für fränkische Landesforschung 33/1973, S. 119 ff.

47

DAS JAMNITZERHAUS IN NÜRNBERG UND DER GOLDSCHMIED WENZEL JAMNITZER Von Erich Mulzer

Einleitung Es gehört zu den faszinierenden Möglichkeiten historischer Perspektive, eine künstlerische oder gedankliche Höchstleistung, die sich längst aller Bindungen an Raum und Zeit entledigt hat, an den oft bescheidenen Ort ihres Entstehens zurückzuverfolgen. Nicht zuletzt aus diesem Grund waren im unzerstörten Nürnberg die Häuser von Meistern wie Hans Sachs oder Veit Stoß vielbesuchte Ziele von nicht nur optischer, sondern auch geistiger Anziehungskraft. Nach dem Krieg sind in Nürnberg lediglich zwei solcher Meisterhäuser er­ halten geblieben. Selbst diese Feststellung mag noch verwundern — denn nur eines von ihnen, das Dürerhaus am Tiergärtnertor, ist allgemein bekannt und hat erst letzthin im Jubiläumsjahr 1971 eine ausgiebige Betrachtung und eine mehr als ausgiebige Restaurierung erfahren. Im Gegensatz dazu scheint das zweite erhaltene Meisteranwesen, das Jamnitzerhaus Albrecht-Dürer-Straße 17, dem öffentlichen Bewußtsein weitgehend entrückt zu sein, obwohl es nur wenige Schritte vom Dürerhaus entfernt liegt und durch eine Gedenktafel ge­ kennzeichnet ist. Beide Gebäude werden heute allerdings grundverschieden genutzt: Das Dürerhaus als museumsähnliche Institution in städtischem Besitz, das Jam­ nitzerhaus wie seit jeher als privates Wohngebäude. Entsprechend wendete die Stadt Nürnberg für die Wiederherstellung und Renovierung des Dürerhauses (ohne die laufende Unterhaltung und museale Einrichtung) seit Kriegsende 450 000 DM auf 1, während das Jamnitzerhaus insgesamt 4000 DM aus Mit­ teln der Denkmalspflege erhielt2. 3Die * * *museale * Aufbereitung des Dürerhauses schlug sich in mindestens einer Dreiviertelmillion Besuchern seit 1948 nieder8, 1 Wiederaufbau 1947/48: 200 000 Mark, meist RM (schriftliche Auskunft des Hauptamts für Hochbauwesen, Abt. H 2, vom 3. 11. 1970). Renovierung 1970/71: 241 000 DM (DürerJahr 1971 Nürnberg. Bericht [Hrsg, von der Stadtverwaltung]. Abschnitt Finanzen, Ta­ belle 2). Außerdem kleinere Beträge für „bauliche Maßnahmen" auch in den Haushalts­ plänen für 1955 und 1959, jeweils Nr. 362. 2 Auskunft des derzeitigen Besitzers. 3 Errechnet nach dem Statistischen Handbuch der Stadt Nürnberg 1965 bzw. 1972, Seite 54 bzw. 57. Die dort fehlenden Jahre 1951, 1966 und 1968 nach dem jeweiligen Verwaltungs­ bericht, ebenso 1969 (wo eine erhebliche Differenz zwischen beiden Quellen auftritt). Für die Jahre 1951 bis 1971 ergibt sich so eine Summe von 777 827 Besuchern; dazu käme die in beiden Quellen nicht dokumentierte Zeit von 1948 bis 1950. — Im übrigen sind vermut­ lich nur zahlende Besucher erfaßt und die großen Mengen von Schaulustigen an den freien Tagen (Dürers Geburts- und Todestag, Tag der offenen Tür) nicht enthalten.

48

MVGN 61 (1974)

Jamnitzerhaus

wogegen der Besitzer des Jamnitzerhauses sich während dieser Zeit an etwa hundert Interessierte erinnert4. Solche Funktionskontraste bräuchten allerdings für die Betrachtung von außen nicht maßgebend zu sein. Trotzdem ist auch hier das Jamnitzerhaus be­ nachteiligt: In der gesamten ausgedehnten Nürnberg-Literatur lassen sich nur vier Bücher finden, die ein Bild von ihm bringen5, wogegen das bis zum Über­ druß fotografierte Dürerhaus fast nirgends fehlt. Am krassesten aber tritt der Unterschied sprachlich hervor: Während in Nürnberg Benennungen der Häuser nach Künstlern oder Familien zu Dutzenden in Gebrauch waren* und selbst epigonale Besitzer wie Fembo dadurch bis heute in aller Munde sind, ist die Bezeichnung „Jamnitzerhaus" weder umgangssprachlich noch schriftlich üblich7 und wird auch im amtlichen Verkehr nicht verwendet. Hier beginnt das Phä­ nomen absurde Züge anzunehmen. Nach alledem ist zu vermuten, daß in dieser Sache ein allgemeines Infor­ mationsdefizit vorliegt, dem bislang keine entsprechende Literatur gegenüber­ stand 8. Im folgenden wird deshalb versucht, zunächst einmal die Geschichte des Jamnitzerhauses aufzuhellen und seinen heutigen Zustand zu dokumen­ tieren. Da aber die Unterschätzung sich wahrscheinlich auch auf Jamnitzer selbst erstreckt, soll anschließend in Ermangelung einer größeren Biographie die Leistung dieses Meisters ebenfalls kurz Umrissen und sein Rang innerhalb der Nürnberger Kunst bewußter gemacht werden.

Die frühe Geschichte des Hauses bis zum Kauf durch Jamnitzer

Besitzgeschichtliche und topographische Nachforschungen über das 16. Jahr­ hundert zurück sind in Nürnberg meist ein sehr mühsames und entsagungs­ volles, oft sogar ein hoffnungsloses Unterfangen. Beim Jamnitzerhaus liegen jedoch ausnahmsweise günstigere Verhältnisse vor. 4 Hinzu kommen allerdings noch etwa 200 Personen, die bei einer von mir geleiteten Führung der Volkshochschule am 15. 4. 1967 gruppenweise den Firsterker des Hauses besuchten. 5 Erich Mulzer: Nürnberger Bürgerhäuser; Nürnberg 1954 (Bild 38, Detail). — Wilhelm Schwemmer: Die Bürgerhäuser der Nürnberger Altstadt aus reichsstädtischer Zeit. Erhaltener Bestand der Sebalder Seite; Nürnberg 1961 (Bilder 7 und 8, beides die einzigen veröffent­ lichten Vorkriegsbilder). — Erich Mulzer; Nürnberger Erker und Chörlein; Nürnberg 1965 (Bild 25, Detail). — Erich Mulzer; Nürnberg. Hundert Bilder und hundertmal Geschichte; Nürnberg 1970 (Bild 55, Detail). 6 Z. B. Hans-Sachs-, Veit-Stoß-, Peiler-, Groland-, Topler-, Imhoff-, Pickert-, Palm- und KVafftsches Haus; Plobenhof, Hertelshof, Tucherschlößchen. 7 Die Bezeichnung ist, im Gegensatz zu den Benennungen in Anm. 6, bis 1970 in keinem Buch oder Führer zu finden, auch wenn auf Jamnitzer als Bewohner des Hauses hingewiesen wird. 8 Eine Hausgeschichte lag bisher nicht vor. Frankenburger (siehe Anm. 65) behandelt lediglich die Jamnitzerzeit, Schwemmer (siehe Anm. 5) berührt nur das 19. und 20. Jahrhundert. Die wenigen biographischen Arbeiten über Jamnitzer nennt Anm. 179; eine ausführliche Mono­ graphie ist nicht darunter. Dagegen gibt es eine Anzahl hochspezialisierter Einzelunter­ suchungen über das Werk (vgl. z. B. Anm. 183, 209, 212, 228, 229, 231, 232 und 233). 4

49

Erich Mulzer

Zu Jamnitzers Zeiten wird das Anwesen mehrmals genau bezeichnet; es liegt demnach in der Zisselgasse (der heutigen Albrecht-Dürer-Straße) neben den Häusern der Juliane Spenglerin und des Becken Peter Murrer 9. Die Situa­ tion zwischen dem Sitz einer so bekannten Familie wie den Spenglern und einem durch die Realgerechtigkeit jahrhundertelang fixierten Bäckeranwesen (von dem es in der Zisselgasse überdies nur ein einziges gab) ist topographisch ein ausgesprochener Glücksfall. Die Bäckerei, die bis zum letzten Weltkrieg in Betrieb war, stand auf dem jetzt unbebauten Grundstück Albrecht-Dürer-Straße 15 und erweist sich damit als der südliche Angrenzer des Jamnitzerhauses. Der Spenglersche Besitz muß dann nördlich benachbart gewesen sein; es handelt sich um das heutige Haus Albrecht-Dürer-Straße 19, das vor seiner Kriegszerstörung als „Spenglerhaus“ bekannt und durch eine Tafel gekennzeichnet war 10. Dieses Spenglersche Anwesen ist das einzige, bei dem sich die Besitzgeschichte kontinuierlich ein Stück weit vor die Jamnitzerzeit verfolgen läßt. Es gehörte ursprünglich dem markgräflichen Landschreiber und Notar am kaiserlichen Landgericht Hans Ulmer, der schon 1455 in „der größeren Stuben an dem vortenn“ seines Hauses „zum Rosenbusch“ in der Zisselgasse urkundete und Zeugen lud n. Sein Sohn war der Gerichtsschreiber Daniel Ulmer, dessen einzige Tochter Agnes 1468 den Gerichts-, seit 1482 Stadtschreiber Georg Spengler heiratete. Dieser wohnte seither im Haus seines Schwiegervaters „zum Ein­ horn“; nach 1475 heißt es mehrmals auch „in dem obern haus meines schwehers, das ettwo [= früher einmal] der Geyßelherin gewest ist“ 12. Dieser wertvolle Rückverweis muß schon in die erste Hälfte des Jahrhunderts führen; 9 Stadtarchiv Nürnberg (in Zukunft = AvN), Lib. lit. 82.151. — Die Straßenbezeichnung lautet zur Jamnitzerzeit meist noch „Zistelgasse“. Im Text außerhalb der Quellenzitate wird jedoch einheitlich der jüngere Lautstand „Zisselgasse", der ohne die bedauerliche Auf­ hebung des Namens auch heute noch Gültigkeit hätte, verwendet. 10 Die Tafel abgebildet im Verwaltungsbericht der Stadt Nürnberg für das Jahr 1912, Seite 474. Sie und die Bezeichnung „Spenglerhaus“ gehen jedoch nicht auf eine ungebrochene Überlieferung, sondern erst auf die Erkenntnisse Frankenburgers (siehe Anm. 65) zurück. — Die Reste des Spenglerhauses (Eingangstür, Brunnen, Kellergewölbe) wurden 1964 rück­ sichtslos beseitigt, die Hofgalerien am Seitenflügel vorher von der Stadt abgenommen. Der jetzige Neubau trägt lediglich wieder eine auf Spengler hinweisende Tafel; jedoch wurde nicht einmal dazu das alte, noch in einem städtischen Bergungslager befindliche Stück verwendet. 11 Staatsarchiv Nürnberg (in Zukunft = StAN), Rep. 119, Urk. Nr. 156. 12 Spenglersches Geschlechterbuch (Handschrift), Stadtbibliothek Nürnberg Amb. 1236 8° Rar. Abgedruckt ist der Eintrag 1476; ähnlich lauten 1475 und 1478, dann meist „In dem obern haus meines swehers". Ob das „Haus zum Einhorn" (das nur vor 1475 erscheint) mit die­ sem „oberen, früher Geiselherrischen Haus" (ab 1475) identisch ist, oder ob das alte Haus inzwischen seinen Namen von „Rosenbusch" in „Einhorn" geändert hat, muß offen blei­ ben. — Diese und die folgenden Angaben gleichzeitig als Berichtigung Hans v. Schuberts (Lazarus Spengler und die Reformation in Nürnberg, Leipzig 1934; bes. Seite 55), der aus derselben Quelle eine Gleichsetzung des Ulmerschen Hauses zum Rosenbusch mit dem späteren Jamnitzerhaus ableitet. Seinen Auffassungen liegen jedoch keine genaueren topo­ graphischen Studien zugrunde.

50

MVGN 61 (1974)

Jamnitzerhaus

er ist außerdem leicht zu lokalisieren, da „oben“ in der ansteigenden Zisselgasse nur „nördlich“ bedeuten kann und 1482 das Haus ausdrücklich als Nachbaranwesen bezeichnet wird 13. Als Ulmer starb, fielen beide Häuser an Georg Spengler und wurden nach dessen Tod (1496) und dem seiner Witwe Agnes (1505) dem Sohn Lazarus, dem späteren Ratsschreiber während der Refor­ mationszeit, zugesprochen 14. Sie verschmolzen allmählich zu einem einheit­ lichen Spengler-Besitztum, werden aber noch während des 16. Jahrhunderts des öfteren als zwei getrennte Häuser genannt. Unter Zusammenfassung aller Angaben läßt sich nunmehr folgende Häuser­ reihung, von Süden beginnend, aufstellen: Das Beckenhaus (heute Nr. 15) — das Jamnitzerhaus (heute Nr. 17) — das Haus Ulmers, dann Spenglers (heute Nr. 19 Südteil) — das Haus der Geiselherrin, später Ulmers, dann Spenglers (heute Nr. 19 Nordteil). Erst nach diesen Vorüberlegungen kann die Arbeit an der Geschichte des Jamnitzerhauses beginnen. Als älteste demographische Quellen liegen seit dem 15. Jahrhundert mehrere listenartige Aufschreibungen der Bevölkerung oder der Hausbesitzer vor. Die Personen sind dabei meist straßenweise nach der Häuserfolge geordnet, wenn auch strenge Konsequenz nicht erwartet werden darf. Außerdem betreffen mehrere Listen nur bestimmte Teile der Bevölkerung, so daß schwer eingrenz­ bare Lücken in der Namenreihe entstehen. Das gilt bereits für die früheste verwertbare Quelle, das „Harnasch Puch“ von 1408, in dem die zum Bereithalten von Rüstungen verpflichteten (ver­ mögenderen) Hausbewohner aufgeführt sind 15. Die Einträge an der entschei­ denden Stelle lauten: C. Treppendorff er — Eckin vom Stern — Peter Geiseiher. Der Bäcker fehlt verständlicherweise, die vorausgehenden Personen wohnen südlicher. Wenn zwischen den drei genannten Namen keine weitere Lücke liegt, dann müßte C. Treppendorff er der erste faßbare Bewohner des Jamnitzerhauses sein. Die Bestätigung dafür bringt das Brunnenbuch von 1419 16. Diese Auf Schrei­ bung sollte den Unterhalt der öffentlichen Brunnen sicherstellen; da hierzu sämtliche Hausbesitzer 17 der Umgebung verpflichtet waren, heißt die Namen­ reihe nun vollständig: Ulrich peck — Treppendorff er — Steinlinger18 — Geisel13 Spenglersches Geschlechterbuch (wie vorige Anm.), Eintrag 1482: „In dem haus Daniel Ulmers, meines schwehers, ettwa der Geyselherin gewest. In der Zistelgassen oben an seinem haus, in dem er wonhafft was, gelegen." 14 AvN, Lib. lit. 23.136 (1508). Lazarus Spengler erhält „das haws, dar inne er wonhafft ist, mit sambt dem nebenhaws zu nächst daran gegen mitternacht an der Zistelgaß gelegen." 15 StAN, Rep. 52b, Nr. 108; fol. 34. 16 AvN, Rst. Bauamt, Amtsbücher Nr. 6; fol. 21'. 17 Daß es sich um die Hausbesitzer (nicht -bewohner) handeln muß, legt z. B. die zweimalige Erwähnung Martin Preglers (siehe im folgenden im Text) nahe. Außerdem wohnten in manchen Häusern nach Ausweis der Losungslisten mehrere Familien, während im Brunnenbuch stets nur ein Name genannt ist. 18 Eine ehrbare Familie, deren bekanntester Vertreter, Lutz Steinlinger, 1452 als reichs-

51

Erich Mulzer

herrin. Ein Nachtrag19, der zwischen 1439 und 1449 entstanden sein muß20, aktualisiert: Der peck — Preglers hawse neben dem pecken — Ulmer lantschreiber — die Geiselherin; ein weiterer zwischen 1450 und 1456 anzusetzender Nachtrag21 lautet: Jakob Stoy peck — Mertein Pregler 1 [Haus] an der Zistelgaßen — Johannes Ulmer — Margret Geiselherin. Damit ergeben sich als Be­ sitzer des Jamnitzerhauses in der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts zweifels­ frei C. Treppendorffer und Martin Pregler. Bei letzterem handelt es sich um einen bedeutenden, am Weinmarkt wohnenden Kaufmann 22; die auffallende Formulierung seines Eintrags bringt zum Ausdruck, daß ihm mehrere Häuser in der Stadt gehörten. 1460 ließ der Rat eine Überprüfung der Getreidevorräte bei den Bewohnern (nicht Besitzern) aller Häuser vornehmen23. Dabei erscheint zwischen Jacob Stoy und Johann Ulmer ein Hanns Hetzer, der auf andere Weise schon 1449 in der Zisselgasse, allerdings ohne Hausangabe, nachzuweisen ist24. Er war ein Kaufmannsdiener oder Faktor in der Firma des oben erwähnten Martin Preg­ ler 25, und die Vermutung liegt nahe, daß er vom Prinzipal das Wohnrecht im Jamnitzerhaus erhalten hatte. In einer neuen Getreideliste von 1462 ist er nicht mehr zu finden 26.

19 20

21 22

23 24

25 26

städtischer Baumeister das erste erhaltene Baumeisterbuch anlegte (hrsg. von Mummenhoff in den MVGN 2, Seite 25—77). — Das Wohnhaus der Steinlinger lag eigentlich weiter südlich, in der Gegend der heutigen Nummer 11; dort ist Lutz Steinlinger in den Losungs­ listen zwischen 1427 und 1440 nachweisbar, und zwar stets mit einem Hans vom Stern neben oder „bey im“. Es handelt sich dabei um dieselbe Familie, die 1408 nördlich des Jamnitzerhauses auftritt, so daß der Übergang an Steinlinger glaubhaft erscheint. Wie Anm. 16, fol. 17'. Der hier genannte Matthes Landauer erwarb das Haus 1439 (AvN, Lochners Norica VII, Seite 679) und starb 1449 (Nürnberger Totengeläutbücher I, bearbeitet von Helene Burger. Freie Schriftenfolge der Gesellschaft für Familienforschung in Franken, Band 13; Nr. 1202). — Dieser und die folgenden Bände 16 und 19 künftig; Totengeläutbücher I, II, III. Wie Anm. 16, fol. 18'. Der Tod von Heinz Imhoff 1450 ist schon berücksichtigt, während Lucas Landauer, der 1456 starb, noch aufgeführt ist (Daten nach Totengeläutbücher I). Vgl. Joachim Ahlborn, Die Familie Landauer; Nürnberg 1969 (= Nürnberger Forschungen, Band 11), Anm. 154 und 340. — Pregler wohnte im östlichen Teil des heutigen Anwesens Weinmarkt 10 (frdl. Auskunft Herr Karl Kohn). Er war Schwager des Lorenzer Kirchen­ meisters Niclas Koler und starb 1459 (Totengeläutbücher II, Nr. 346). StAN, Rep. 52b, Nr. 121; fol. 55'. Im Salzbuch von 1447 (StAN, Rep. 52b, Nr. 111). Die relativ kurze Namenreihe der Haupt­ mannschaft Lutz Steinlingers auf fol. 13 bringt noch keinen Hinweis auf das Jamnitzerhaus. Hans Hetzer tritt in einem Nachtrag von anderer Hand auf der Rückseite (unmittelbar neben dem Bäcker Jacob Stoy stehend) auf; wahrscheinlich bezieht sich auf solche Nachträge die Bemerkung auf fol. 2': Auch hat man daß saltz gesucht anno XLVIIII. Joachim Ahlborn (wie Anm. 22), Seite 52. Statt dessen erscheint hier ein Hans Höfler. Er ist allerdings mit Jacob Stoy vertauscht, müßte also südlich des Bäckers wohnen. Da jedoch alle übrigen südlich anschließenden Häu­ ser bis Christina Adamin (an der Ecke zur Lammsgasse) genau mit der Liste von 1460 über­ einstimmen, handelt es sich dabei wohl um ein Versehen. Setzt man dies voraus, dann könnte Hans Höfler als neuer Bewohner oder Besitzer des Jamnitzerhauses, vielleicht in Auswirkung von Preglers Tod 1459, betrachtet werden.

52

MVGN 61 (1974)

Jamnitzerhaus

Man mag in dieser Quellenreihe die sieben erhaltenen Losungslisten der Sebalder Stadtseite zwischen 1392 und 1440 vermissen 27, die mit ihren voran­ gestellten Ortsbeschreibungen ebenfalls eine topographische Ordnung erken­ nen lassen 28. Die Schwierigkeit liegt aber darin, daß hier alle losungspflichtigen Bewohner, offenbar auch Einzelpersonen, aufgeführt werden und damit eine Fülle unverwertbarer Namen auftritt. So finden sich zwar die Geiselherrin (1427, 1433, 1438, 1440) sowie die Bäcker Heintz Stoy (1427) und Georg Stoy (1438 und 1440), weil sie in ihren eigenen Häusern wohnten; zwischen ihnen aber stehen bis zu fünf verschiedene Namen! Der einzige bekannte unter ihnen ist H. Pregler (1438); aber 1427 heißt es z. B.: Brigitta der Geiselherrin „ir swester", Jobs Gundelfinger, Albrecht von Ach, Eufemia Adamin, Martha Albrechtin und Hans Sächsin „bei ir"; 1440 Kathrin Behaimin, Eis Kreutzerin, Hannß Egen und Fritz Vogler. Sofern man hier nicht fehlerhafte Verstellungen annehmen will29, wäre das Auftreten so vieler Bewohner in zwei Häusern sozial- und wirtschaftshistorisch bemerkenswert. Für die Besitzgeschichte des Jamnitzerhauses ist daraus jedoch nur zu entnehmen, daß ein Angehöriger der Familie Pregler zeitweise hier selbst gewohnt hat; alle anderen Namen aber bleiben ungreifbar. 1479 wird mit dem zweiten Brunnenbuch 30 endgültig fester Boden erreicht. Diese Quelle, die in konsequenter topographischer Aufreihung sowohl Besitzer als auch Bewohner aller Häuser nennt, nimmt nach der Aufbereitung durch Karl Kohn eine Schlüsselstellung für die mittelalterliche Topographie Nürn­ bergs ein 31. Für die Zisselgasse ergibt sich an der entsprechenden Stelle die Namenfolge: Contz Funck Peck — Niclas Wolf spach, 1 Haus ist Hans Hägers — Daniel Ulmair — Gorg Spengler, ist Daniel Ulmayr31a. „Ist" bedeutet „ge­ hört" und bezeichnet den Besitzer; im letzten Haus wird damit ganz korrekt der (oben schon erwähnte) Sachverhalt innerhalb der Familie Ulmer/Spengler

27 StAN, Rep. 52b, Nrn. 271 (1392), 272 (1397), 273 (1400), 274 (1427), 275 (1433), 276 (143S) und 277 (1440). — Die ersten drei Verzeichnisse geben überhaupt keine Anhalts­ punkte zur Lokalisierung des Jamnitzerhauses. 28 Z. B. Beschreibung des hier interessierenden Blocks aus StAN, Rep. 52b, Nr. 277, fol. 21: „ ... das Eck bey dem Radprunnen über, darynn die Freydungin sitzt [= Lammsgasse 22], und hinauf gen Tiergartnertor warts [= Radbrunnengasse und Neutormauer], und die Zistelgassen hinab für den Adam Prawnwart [= Albrecht-Dürer-Straße 5, heute 7] hinumb bis wider an der Freydungin Ecke." 29 Sie liegen besonders bei der Adamin und bei Hans Egen nahe, die in anderen Listen weiter südlich auftreten. 80 AvN, Rst. Bauamt, Amtsbücher 8; fol. 20. 31 Die topographischen Forschungen Karl Kohns sind noch nicht publiziert. Eine Teil Veröffent­ lichung darf in absehbarer Zeit erhofft werden. — Ich habe Herrn Kohn für uneingeschränkte Einsicht in seine Unterlagen sowie für zahlreiche fruchtbare Gespräche und Diskussionen zu danken. 3ia Wolfspach steht zwar ganz unten auf der Seite, ist aber durch ein Kreuzzeichen eindeutig auf die angegebene Stelle gerückt.

53

Erich Mulzer

wiedergegeben. Das Jamnitzerhaus besitzt nunmehr ein sonst unbekannter Georg Hager, der es an den Gerichtsprokurator Niclas Wolfspach vermietet hat. Dieser übte sein Amt von 1475 bis 1498 aus 32 und hat während dieser Zeit des öfteren seinen Namen unter Beurkundungen hinterlassen. Bei vielen Anwesen schließen an das zweite Brunnenbuch unmittelbar die Einträge in den 1484 beginnenden Grundverbriefungsbüchern (Libri litterarum) an. Leider aber war diese amtliche Urkundennotifikation in Nürnberg nicht zwingend vorgeschrieben 33, so daß in den Besitzerreihen nach wie vor Lücken aufreißen. Auch für das Jamnitzerhaus erfolgt die erste Eintragung erst 1504, als das Anwesen Hermann Stenntz und seiner Frau Ursula, also schon wieder neuen Besitzern34, gehörte. Ein Jahr später verkauften sie das Haus um 81 fl. an Kilian Schedler 35. Dieser gab es schon neun Monate später an den Gerichts­ prokurator Martin Glück um 525 fl. weiter36. 1514 und 1518 wird Glück im Besitz des Hauses erwähnt 37.1529 schlugen es seine nachgelassenen Töchter Anna und Katharina um 250 fl. an die Vormünder des Schneidersohnes Ender­ lein Burckhart los, die das Haus wohl als Geldanlage für ihr Mündel bei gleich­ zeitiger Vermietung erwarben 38. 1534 verkauften sie es gewinnbringend an den Gerichtsprokurator Wolfgang West und seine Frau Elspeth um 302 fl. weiter3Ö. Elspeth West starb 1536 noch in der Zisselgasse 40; von ihrem Mann muß Jamnitzer dann das Haus, wie im nächsten Abschnitt dargelegt wird, bis 1538 er­ worben haben. Durch die Einträge im Grundverbriefungsbuch fallen auch Streiflichter auf den äußeren Zustand des Anwesens. So trägt es im Kaufvertrag von 1534 einen der früher weitverbreiteten Hausnamen: „Zun pöcken“, also wohl „zu 32 Als Procurator des Gerichts „ufgenommen“ 1475 (StAN, Ratsbudi 2, fol. 30. Nach dem Rst. Ämterbuch (AvN, Ratskanzlei 27) in dieser Eigenschaft tätig bis 2. Juni 1498, dann als Spitalmeister bis 1501, wo ihm „Urlaub geben“ wurde. Später z. B. noch 1506 als Anwalt bzw. Vormund greifbar (AvN, Lochners Norica III 44 bzw. VI 316). Gestorben 1510 (Totengeläutbücher I Nr. 5790 und II Nr. 4540). 33 Dies geht auf die besonderen Rechte der „Genannten“ in Nürnberg zurück. Ein vor zwei Genannten abgeschlossenes Rechtsgeschäft war ebenso gültig wie ein vor Gericht verein­ bartes. Bei Haus Verkäufen wurden häufig die von zwei Genannten gesiegelten Urkunden dem Käufer übergeben, so daß sich im Lauf der Zeit ganze „Hausbriefreihen“ ergaben, die mit dem Anwesen ihren Besitzer wechselten. Ein Eintrag im Stadtgerichtsbuch war nicht nötig, im späteren 17. und im 18. Jahrhundert auch nicht mehr üblich. 34 AvN, Lib. lit. 19.44. 35 AvN, Lib. lit. 19.88'. 36 AvN, Lib. lit. 25.125. 37 AvN, Lib. lit. 29.97 und 32.76'. 38 AvN, Lib. lit. 43.20'. 39 AvN, Lib. lit. 47.137. 40 Totengeläutbücher III, Nr. 1555. West hatte seine Frau Elisabeth, geb. Kirchner, 1529 in St. Johannis geheiratet und wurde 1537 in St. Sebald mit der Witwe Elisabeth Rötin von Roth erneut getraut: Ehebuch S. Sebald (wie Anm. 71), Nr. 4613 und 4617. Er starb 1557 als Syndicus, d. h. als beamteter Stadtprokurator; nach Totengclüutbüchem III Nr. 5890 wohnte er damals „bei dem Wildbad“.

54

MVGN 61 (1974)

Jamnitzerhaus

den Böcken“ 41. Die Benennung setzt ein plastisches oder gemaltes Zeichen an der Fassade voraus. Über die Art dieser Fassade kann man jedoch nur anhand der oben genannten Kaufpreise Vermutungen anstellen. Es fällt dabei vor allem die Kluft zwischen den beiden Veräußerungen um 81 fl. und 325 fl. im Jahr 1505 auf. Hier muß entweder ein ganz unverschämtes Spekulationsgeschäft: vorliegen, oder aber diese Wertsteigerung um das Vierfache ist nur durch Bau­ maßnahmen, und das heißt in dieser Größenordnung durch einen vollständigen Neubau, zu erklären 42. Zeitspanne und Jahreszeit (März bis Dezember) würden dazu ausreichen, doch sprechen die Einzelheiten der Verkaufsabrede eher da­ gegen 43. Nach dieser Transaktion liegt der Verkehrswert des Hauses auf jeden Fall recht hoch; er übersteigt z. B. den des flächenmäßig größeren, weitgehend neugebauten, allerdings etwas stärker belasteten Dürerhauses44. Angesichts einer solchen Relation läßt sich das damalige Jamnitzerhaus nur noch schwer als altertümlicher Holzbau vorstellen. Allerdings tendieren im folgenden, an­ ders als beim Dürerhaus und entgegengesetzt zur allgemeinen Geldentwertung, die Kaufsummen nach abwärts und deuten einen Rückgang der Bau- oder Nut­ zungsqualität an. Weniger Aufschlüsse bringt die Belastung des Anwesens: Sie bestand in einer „Eigenschaft“, für die jährlich 8 fl. Eigenzins zu zahlen waren. Dem niedrigen Betrag nach handelt es sich um ein altes Obereigentum, das aber nicht mehr in der Hand des ursprünglichen Grundherrn war 45: 1504 besitzt es Antoni 41 Ein Zusammenhang mit „Bede" (= Bäcker) ist nicht anzunehmen, da dieses Wort stets peck oder peckh geschrieben wird. Außerdem wäre dann die Mehrzahlform „zun" nicht sinnvoll. — Zur Verbreitung der Hausnamen vgl. die beiden nördlich anschließenden Be­ nennungen „zum Rosenbusch" und „zum Einhorn" im 15. Jahrhundert (Anm. 11 und 12). 42 Zum Vergleich: Das Dürerhaus kostete 1501 nur 150 fl., 1509 aber 275 fl. (bei gleichgebliebener Belastung). Dazwischen lag der Neu- oder Umbau Bernhard Walthers. Vgl. hier­ zu: Erich Mulzer, Giebelmännlein, Schlote, Hahnenkämme und andere Einzelheiten der Nürnberger Dacharchitektur. MVGN 56 (1969), hier Seite 413—415. 45 Schedler erlegt nur 31 fl. des Kaufpreises sofort; 20 fl. sollen am nächsten Martinstag, der Rest ein Jahr später folgen. Bis die ganze Summe bezahlt ist, soll das Haus „versatzt und under pfannd sein und pleiben" (AvN, Lib. lit. 19.89). 44 Das Jamnitzerhaus war jährlich mit 8 fl. Eigengeld, das Dürerhaus mit 8 fl. Eigengeld und 22 Pfd. Heller Jahrtagsstiftung belastet. Schlägt man die bei Verkauf bzw. Ablösung dieser Rechte später gezahlten Summen dem Kaufpreis zu, so ergibt sich allerdings ein tatsäch­ licher Hauswert von 525 fl. (Jamnitzerhaus) bzw. 553 fl. (Dürerhaus). — Die überbaute Fläche des Jamnitzerhauses beträgt heute rund 96 qm, die des Dürerhauses 130 qm. Das Grundstück des Jamnitzerhauses war jedoch stets größer und umfaßte Hof und Rückgebäude, während zum Dürerhaus nur ein „Höflein" gehörte. Einen Brunnen besaß damals keines der beiden Gebäude. 45 Alle alten Eigenzinse lauten auf einen ähnlich niedrigen Betrag; zumindest die nicht ab­ lösbaren unter ihnen gehen wohl auf ehemalige Grundzinse (ursprünglich in Naturalien) zu­ rück. Soweit sie um 1500 in einem zusammenhängenden Gebiet noch fast alle in der Hand eines einzelnen reichen Eigenherrn (Patrizier, Kloster o. ä.) sind, kann auf ein sehr altes Grundabhängigkeitsverhältnis geschlossen werden, das u. U. Einblick in die Boden­ ordnung zur Anfangszeit der Stadt gewährt. Die später (nach der großen Ablösewelle von 1525, vgl. Anm. 50) freiwillig neu aufgenommenen Eigenschaften umfaßten schon wegen der Geldentwertung viel höhere Summen; Ende des Jahrhunderts gab es solche mit 2000 fl.

55

Erich Mulzer

Örtel 48, 1505 der Gürtler Peter Hurrer47, der es 1518 um 200 fl. an Peter Harsdörffer verkauft48, und 1529 sowie 1534 Wolfgang Harsdörffer49. Die 8 fl. Jahresbelastung waren zur Hälfte ablösbar, zur anderen Hälfte „Ewig­ geld" 50. Eine Ablösung erfolgte jedoch ebensowenig wie eine Neuverschuldung durch Verkauf höherer „Eigenschaften", die im 16. Jahrhundert endgültig die Stellung einer Hypothek annahmen. Damit ist bereits die soziale Lage der Bewohner angesprochen. Die Berufs­ angaben erlauben es, sie wenigstens annähernd abzuschätzen. Es fällt auf, daß niemals Handwerker im Haus nachweisbar sind, sondern nur — modern aus­ gedrückt — tertiäre Berufsgruppen. Besonders bemerkenswert ist das Vorkom­ men dreier Gerichtsprokuratoren, also nichtakademischer Anwälte am Stadt­ gericht51; es könnte durch die Nachbarschaft zu den beiden Stadtschreibern Georg und Lazarus Spengler erklärbar sein. Einem dieser Prokuratoren gelang später sogar der Aufstieg in die beamtete Stellung eines Stadtsyndikus 52. Auch andere, beruflich nicht festlegbare Hausbewohner gehörten offensichtlich nicht gerade den ärmeren Kreisen an: Treppendorff er zählte zu den Bürgern mit eigener Rüstung; Hermann Stenntz besaß zwei Äcker in Johannis53. Am finanzkräftigsten aber waren die beiden Besitzer, die das Haus nicht selbst zur Wohnung benutzten: Martin Pregler, der als einer der großen Fernhandels­ kaufleute mit seiner Firma sowohl in Italien als auch in Breslau und Krakau tätig war54, und Kilian Schedler, der ebenfalls einer reichen, aus Isny und

46 47 48 49 60

51

62 58

54

56

(und damit bei der üblichen Verzinsung von 5 °/o p. a. mit einer jährlichen Belastung von 100 fl.f). — Frdl. Auskunft Karl Kohn; vgl. auch Friedrich Mattausch, Die Nürnberger Eigen- und Gattergelder. MVGN, Bd. 47 (1956), S. 1—106. AvN, Lib. lit. 19.44. AvN, Lib. lit. 19.88' und 25.125. AvN, Lib. lit. 32.76'. AvN, Lib. lit. 43.20 und 47.137. AvN, Lib. lit. 25.125. Der Kaufpreis der Eigenschaft 1518 (Lib. lit. 32.76') lag mit 200 fl. wegen des teilweisen Charakters als „Ewiggeld" über der gewöhnlichen Norm des zwanzigfachen Jahreszinses. — 1525 ordnete der Rat die Ablösbarkeit auch aller Ewiggelder an (RV 23. Mai und 2. Juni 1525; enthalten in: Gerhard Pfeiffer, Quellen zur Nürnberger Re­ form ationsgeschichte, Nürnberg 1968; Nr. 693 und 733. Die im letzteren RV angekündigte gedruckte „Satzung und Gebot": Stadtbibliothek, Solg. 2117 4°). Diese Maßnahme stellte eine der obrigkeitlichen Konzessionen angesichts der drohenden sozialen Spannungen wäh­ rend des Bauernkrieges dar. Zu diesem Beruf: Friedrich Wolfgang Ellinger, Die Juristen der Reichsstadt Nürnberg vom 15. bis 17. Jahrhundert. In: Reichsstadt Nürnberg, Altdorf und Hersbruck. Freie Schriften­ folge der Gesellschaft für Familienforschung in Franken, Bd. 6; hier S. 154, 185 und 217—221. — Ottmar Böhm, Die Nürnbergische Anwaltschaft um 1500—1806. Jur. Diss. Erlangen 1949 (Masch.-Schr.). Wolfgang West; vgl. Anm. 40. AvN, Lib. lit. 19.44. Stenntz besaß allerdings das Nutzungs- (nicht Ober-) eigen tum an diesen Äckern. Da er aber als Stadtbewohner wohl kaum Landwirtschaft treiben konnte, ist mit einer Weiterverpachtung zu rechnen. Wolfgang Freiherr Stromer von Reichenbach, Die Nürnberger Handelsgesellschaft GruberPodmer-Stromer im 15. Jahrhundert; Nürnberg 1963 (= Nürnberger Forschungen, Band 7): Seite 23, Regest 40 und 54.

MVGN 61 (1974)

Jamnitzerhaus

Kempten zugewanderten Kaufmannsfamilie angehörte 55. Sie veranschaulichten am Haus zwei Grundmuster kapitalistisch orientierter Gebäudenutzung: Wäh­ rend Pregler offenbar eine langfristige sichere Anlage seiner Gewinne suchte, wickelte Schedler eher ein robustes Spekulationsgeschäft ab, das sich möglicher­ weise schon den Praktiken moderner Baulöwen näherte. Die schillerndste Persönlichkeit dieser ganzen Reihe ist aber ohne Zweifel Martin Glück. Sein Leben ist bereits in einer Art von historischem Eheroman nachgezeichnet worden 56, und man muß zugeben, daß sich hier ein für seine Zeit unkonventionelles und ungebändigtes Schicksal enthüllt. Schon in seiner Tätigkeit als Prokurator am Stadtgericht erregte Glück mehrfach den Unwillen des Rates: 1514 wurde ihm vorgeworfen, seinen Mandanten Landauer zu krummen Taten zu verführen57, 1517 erhielt er eine Verwarnung, weil er bei seinen Prozessen keinen Frieden, sondern mit aller Spitzfindigkeit nur Zank, Hader und Widerwillen erwecke 58, und wenig später sagte man ihm Geheimnis­ bruch nach 5Ö. Noch im gleichen Jahr entsetzte ihn der Rat seines Amtes, da er unerlaubt über Land geritten und drei Wochen nicht aufs Stadtgericht gekom­ men sei und in vielen seinen Händeln ein verächtliches, prachtliebendes und zänkisches Wesen gezeigt habe 60. Glück bedankte sich höhnisch für den Ur­ laub, der ihm sehr gelegen komme, da er schon lange weiterstudieren wollte. In Wirklichkeit hatte er sich zu diesem Zeitpunkt bereits in die Leidenschaft zu Dorothea Hallerin, einer Tochter des Matthäus Landauer, verstrickt. Diese ebenfalls sehr eigenwillige Frau betrieb vor einem bischöflichen Gericht in Bamberg die Trennung ihrer Ehe, nachdem sie ihren Mann wegen angeblicher Tätlichkeiten verlassen hatte. Glück advozierte ihr in diesem Prozeß; bald überschritten seine Beziehungen zu ihr jedoch das Juristische, und in der Stadt entstand „ein gemain, argwenig" Gerücht61. Die Aufforderung des Rats an

55 1482 wurde Jobst, 1483 Hans und 1499 Kilian Schedler Bürger (StAN, Rep. 52b, Nr. 299, S. 21, 22 und 28). Sie sind in Scheurls Liste von zugezogenen reichen Bürgern enthalten

58

57 58 59 60 61

(Jobst und zweimal Kilian; letzteres wohl Schreibfehler). Die Schedler standen in enger Beziehung zur Großen Ravensburger Handelsgesellschaft; Kilian erscheint noch 1520 in ihren Büchern. 1515 war er Schuldner des Breslauer Kaufmanns Weidolt (AvN, Lib. cons. 6.8 5'). Vgl. dazu kurz: Helmut Frhr. Haller v. Hallerstein, Größe und Quellen des Ver­ mögens von hundert Nürnberger Bürgern um 1500. In: Beiträge zur Wirtschaftsgeschichte Nürnbergs, Bd. 1, Nürnberg 1967; hier S. 149. Albert Gümbel, Dorothea Hallerin. Der Eheroman einer Dürerischen Frauengestalt nach urkundlichen Quellen dargestellt. Nürnberg 1925. — Das Werk hält sich aufs engste an den historischen Ablauf und ist mehr eine wissenschaftliche als eine literarische Arbeit. Über Martin Glück Seite 42—48 (daß er das Jamnitzerhaus besaß, war jedoch Gümbel nicht be­ kannt). Zu der Affäre vgl. auch Joachim Ahlborn (siehe Anm. 22), S. 34 f. und Anm. 244. StAN, Ratsverlaß [in Zukunft: RV] 27. Nov. 1514. Vgl. dazu Joachim Ahlborn (siehe Anm. 22), S. 114. StAN, RV 17. April 1517. Gümbel (wie Anm. 56), S. 43. StAN, RV 16. November 1517. StAN, Rep. 51, Nr. 1, fol. 168'.

57

Erich Mulzer

Glück, „der Hallerin müßig zu stehen" 62, und Versuche des Ehemannes, ihm jeden Zugang zu seiner Frau „abzustricken", blieben jedoch ohne Erfolg; zeit­ weise hielt sich Glück sogar längere Zeit mit der inzwischen in erster Instanz Geschiedenen in deren Schloß Wölkersdorf auf. Wie sich damit seine eigene Frau abfand, die 1525 starb63, wird nirgends erwähnt. Auch der Tod Glücks ist nicht überliefert; er muß jedoch vor 1529 erfolgt sein, da in diesem Jahr beim Verkauf des Jamnitzerhauses bereits von den nachgelassenen Töchtern ge­ sprochen wird38. Martin Glück ist der einzige Besitzer des 15. und frühen 16. Jahrhunderts, dessen private Lebensumstände sich etwas deutlicher fassen lassen. Seine Be­ ziehung zum Haus bleibt jedoch vage. Erst bei Jamnitzer fließen die Quellen reichlicher, so daß die Frage nach der Verbindung von Leben, Werk und Haus gestellt werden kann.

Das Haus als Wohnstätte Jamnitzers

Es ist schon verhältnismäßig lange bekannt, daß der Goldschmied Wenzel Jam­ nitzer in der Zisselgasse gewohnt hat. Offenbar als erster veröffentlichte 18 54 Ralph v. Rettberg eine entsprechende Notiz 84. 1901 stellte dann Max Fran­ kenburger in einer Quellenpublikation über die Familie Jamnitzer die Identität des Meisterhauses mit dem Anwesen Albrecht-Dürer-Straße 17 fest65. Diese Angabe ging von hier aus in mehrere Veröffentlichungen bis zu Wilhelm Schwemmers Nachkriegsinventar ein 66; dabei wurde sie öfters, nach dem Vor­ bild von Fritz Traugott Schulz 67, auch auf den bedeutenden Jamnitzerenkel Christoph bezogen und so bis ins 17. Jahrhundert ausgeweitet. Inzwischen hatte die Stadtverwaltung durch den Professor an der Kunstgewerbeschule Philipp Widmer das Haus mit einem bronzenen Bildnismedaillon und einer Marmor-

82 StAN, RV 19. November 1517. 68 Totengeläutbücher III, Nr. 642. Leider fehlt die Anschrift. — Glücks Frau war eine geborene Ketzel, stammte also aus einer angesehenen Familie. Vgl. Theodor Aign, Die Ketzel; Neu­ stadt 1961 (= Freie Schriftenfolge der Gesellschaft für Familienforschung in Franken, Bd. 12). 84 Ralph von Rettberg, Nümberg's Kunstleben in seinen Denkmalen dargestellt. Stuttgart 18 54. Seite 161. 65 Beiträge zur Geschichte Wenzel Jamnitzers und seiner Familie. Auf Grund archivalischer Quellen herausgegeben von Max Frankenburger; Straßburg 1901 (= Studien zur deutschen Kunstgeschichte, 30. Heft). Seite 83—87. 66 Georg Gärtner, Streifzüge durch Alt-Nürnberg; Band I. Nürnberg 1925. Seite 142. — Hildegard Höhn-Oertel, Nürnberg. Ein Führer durch seine alte Kunst. Nürnberg 1928. Seite 106. — Theodor Hampe/Eberhard Lutze, Nürnberg. Leipzig 1934. Seite 199. — Wil­ helm Schwemmer (siehe Anm. 5), Seite 19. 87 Fritz Traugott Schulz, Nürnberger Bürgerhäuser und ihre Ausstattung. Wien o. J. [1909 ff.]. Seite 75—76.

58

MVGN 61 (1974)

Jamnitzerhaus

tafel versehen lassen68, die den Text trugen: „Wohnhaus d. Goldschmieds Wenzel Jamnitzer. Geboren 1508 zu Wien, f 17. D. 1585 zu Nürnberg. Von der Stadt Nürnberg 1912.“ Im Luftkrieg wurden beide Teile der Tafel be­ schädigt bzw. abgenommen 69, durch die Abteilung Denkmalpflege des Hoch­ bauamts jedoch wieder hergestellt. Trotzdem weist die Schrift heute noch Fehl­ stellen auf, die insbesondere das Sterbedatum in „7. Dezember“ verfälschen (Bild 2). Es ist nicht überliefert, wie und wann Jamnitzer in den Besitz des Hauses kam. Der aus Wien stammende junge Goldschmied wird zum ersten Mal in einer Nürnberger Quelle greifbar, als er am 20. Mai 1534 das Bürgerrecht er­ wirbt und den Treueid leistet70. Am 22. Juni desselben Jahres heiratet er in der Sebalduskirche Anna Braunreuchin 71, und genau einen Monat später erhält er das Meisterrecht seines Handwerks 72. In den folgenden Jahren sind mehrmals Kindstaufen überliefert; doch bleiben alle diese Nachrichten ohne Wohnungs­ angabe. Erst 1544 wird Jamnitzer als Besitzer der „Behausung unnd hofrayt alhie in Sannt Sebalds Pfarr an der Zistelgassen zwischen frauen Juliana Jorg Spennglerin Wittib und ainer peckhenn behausung gelegenn“ erwähnt73. Aber bereits vier Jahre vorher erging ein Ratsverlaß wegen einer strittigen Mauer zwischen derselben Juliana Spenglerin und Jamnitzer 74, und dieser nachbarliche Zwist dürfte auch schon einem (sonst nicht näher bezeichneten) Rechtshandel der beiden 15 38 zugrunde liegen75. Es spricht also viel dafür, daß Jamnitzer bereits damals Angrenzer des Spenglerschen Anwesens war. Andererseits kann er das Haus nicht schon bei seiner Hochzeit erworben haben, da es um diese Zeit erst Wolfgang West kaufte und dessen Frau noch 1536 in der Zisselgasse

88 Verwaltungsbericht der Stadt Nürnberg für das Jahr 1912, Seite 474. — Die Kosten für beide Tafeln betrugen 2200 Mark. Das Porträt lehnt sich an die Darstellung am Johannis­ friedhof an. Das darüberstehende Monogramm bedeutet Philipp Widmer. 69 Auf Fotografien von 1944 und 1949 (siehe Bilder 14 und 19) fehlt das Medaillon. Vgl. auch die Angabe bei Fritz Traugott Schulz, Neuer amtlicher Führer durch Nürnberg, Nürnberg 1949; Seite 80; „ . . . die noch zum Teil erhaltene Gedenktafel . . .“ 70 StAN, Rep. 52b, Nr. 308: Wentzel Gammitzer Goldschmidt. 71 Das älteste Ehebuch der Pfarrei St. Sebald in Nürnberg. Herausgegeben durch Karl Schombaum, Nürnberg 1949 (= Freie Schriftenfolge der Gesellschaft für Familienforsdiung in Franken, Band l). Nr. 4473: Wentzel Gamnitzer Anna Braunreuchin. 72 Meisterbuch der Nürnberger Goldschmiede (ehemals Bibliothek des Kunstgewerbemuseums Berlin, Kriegsverlust); hier zitiert nach Abschrift im Nachlaß Dr. Theodor Hampe (Ger­ manisches Nationalmuseum, Hs. 130 714, Mappe 3, Fascikel 3): Wolff Prussell, Baltazar Nykell und Wenzell Gimyczer 22. Juli 1534. 73 AvN, Lib. lit. 58.94. 74 StAN, RV 10. Nov. 1540. — Die von Frankenburger (siehe Anm. 65) bereits abgedruckten Quellen werden in Zukunft durch ein „Frb. Nr. ..." kenntlich gemacht (hier: Nr. 5). Zur starken Fehlerhaftigkeit dieser Publikation vgl.: Theodor Hampe, Nürnberger Ratsverlässe über Kunst und Künstler im Zeitalter der Spätgotik und Renaissance, Wien und Leipzig 1904; Band 1, Seite XV. Eine Anzahl von Ratsverlässen über Jamnitzer trägt Hampe erst nach; diese sind im folgenden mit „Hampe Nr. . . .“ bezeichnet. 75 StAN, RV 1. Juni 1538 (Frb. Nr. 3).

59

Erich Mulzer

starb 76. Wahrscheinlich hat aber dieser Todesfall und die nachfolgende zweite Heirat Wolf Wests 1537 die Veränderungen ausgelöst, die das Haus in den Besitz Jamnitzers übergehen ließen. Es ist ein günstiger Zufall, daß mehrere der frühen Nachrichten über Jamnitzer einen Baustreit und damit also sein Haus betreffen. Der sachliche Inhalt dieser Äußerungen bleibt jedoch recht dunkel. Als erstes beschließt 1538 der Rat, Jamnitzer die Frist zur „appelation handlung“ gegen Juliana Spenglerin noch 14 Tage zu verlängern75. Zwei Jahre später heißt es: „Die irrung der strittigen maur zwischen frau Juliana Spenglerin und Melcher [sic I] Gamnitzer besichtigen und widerpringen, damit solche ad acta der appellation bracht mug werden." 74 Auch 1541 und 1542 ist wieder von einem „pauhandel" die Rede 77; dabei erhält Jamnitzer erneut eine letzte Frist für seine Appellationssache ge­ setzt. Aber erst 1548 kommt der vielgliedrige Handel zum Abschluß: „Die ge­ stellt und verlesen urtl in Wenntzl Gamitzers appellationssachen gegen Juliana Spenglerin mit zusetzung des Werts hinfüro also pleiben und zu gelegenheit publiciren lassen." 78 Ein Jahr später beginnt dann der Bau, und der Rat ver­ fügt: „W. Gamitzers ansuchen umb Verordnung etlicher Herren zur besieh tigung seines hausgepews, damit er jüngst ergangener urtl gemess und nit zuwider wisste zu handeln, Frawen Juliana Spenglerin fürhalten".79 Die Ange­ sprochene erwiderte, sie habe bereits zwei Urteile gegen Jamnitzer erhalten und hoffe nun, daß es dabei bleiben werde, doch wolle sie gegen eine neue Be­ sichtigung nichts einwenden. Der Rat bestimmte hierzu „Dr. Gemel samt den vorigen Werkleut"; sie sollten versuchen, in Güte zwischen beiden Teilen zu vermitteln, wenn aber nichts verfangen wolle, erneut zu berichten 80. Das ge­ schah eine Woche später, und der Rat entschied zum letzten Mal in dieser Sache: „Auf relation [= Bericht] der verordnet herren . .., dass sie den Augen­ schein des irrigen pauhandels zwischen frau Juliana Spenglerin und Wenzel Gamitzer nit anderst, dann wie vor[her] in actis einkummen befunden, aber doch auf gütliche Unterhandlung bei der Spenglerin des Gamitzers begern, . . . in die Mauern 22 hölzer seines haus [es] zimmer [= Balkenwerk] zu legen, auf ein Revers, daß es nur ein vergunst und keine gerechtigkeit sein soll, nit erlangen können — soll nochmals mit der Spenglerin fleißig gehandelt werden, weils doch ohne ihren oder ihres hauses oder mauern schaden wohl gesdiehen kann, ob sie dahin beredt werden möcht, einem erbarn rat zu gefallen ime Gamitzer, wie er jetzo begehrt, zu bewilligen undten 3 kragstein und oben 5 bretter in die mauer spitzen und legen zu lassen auf einen revers, weil ihm 76 Siehe Anm. 39 (genaues Datum: 6. Juli 1534) bzw. Anm. 40 (Wortlaut: „Elisabeth Wolf Westin an der Zistelgaßen“; zwischen 8. März und 7. Juni 1536). 77 StAN, RV 18. März 1541 und 7. Juli 1542 (Frb. Nr. 6 und 8). 78 StAN, RV 17. Sept. 1548 (Hampe Nr. 3123). 79 StAN, RV 5. Aug. 1549 (Frb. Nr. 23). 80 StAN, RV 6. Aug. 1549 (Frb. Nr. 24).

60

MVGN 61 (1974)

Jamnitzerhaus

doch die vor[her] darin gehabte gerechtigkeit zu diesem seinem pau nichts nutz ist und dagegen abge[h]e.“ 81 Es ist nicht leicht, sich aus diesen Angaben ein Bild zu machen. Wahrschein­ lich handelt es sich von Anfang an um dasselbe Vorhaben, das jedoch von der Nachbarin nicht zugestanden wurde, wogegen Jamnitzer dann mit nicht allzu großer Eile Einspruch erhob. Erst nach den Urteilen von 1548, die „gegen ihn“ ergangen waren, begann er zu bauen, versuchte aber dabei, durch Verhand­ lungen zu einer günstigeren Lösung zu kommen. Anscheinend ging es im wesentlichen darum, zahlreiche Balken in die dem Nachbarn gehörende Giebel­ mauer zu legen. Am Ende beschränkte sich Jamnitzer auf fünf Bretter und drei Kragsteine (auf denen vermutlich innerhalb seines Hauses dann Balken auf­ liegen sollten). Da an den Rat kein Bericht mehr zurückkam, scheint es bei diesem Kompromiß geblieben zu sein. Aber was hat Jamnitzer nun eigentlich gebaut? Ging es ihm darum, das Anwesen (das ja bisher kein Handwerkerhaus war) den Erfordernissen des Goldschmiedebetriebes mit seinen Schmelzöfen und Werkstätten anzupassen, vielleicht nur durch Flügel- oder Rückgebäude? Gewisse bauliche und stilistische Merkmale der Hofarchitektur weisen in diese Richtung. Oder erstreckte sich der Umbau doch auf das ganze Haus 81a? Die ursprünglich vorgesehenen 22 Querbalken würden dann auf ein beträchtliches Bauvolumen schließen lassen. Solche Arbeiten, gleich ob Umgestaltung, Aufstockung oder gar Neubau, müß­ ten aber am sichersten die oberen Teile des Hauses betroffen haben — und ge­ rade hier sprechen auch stilistische und historische Gründe für eine Verände­ rung in dieser Zeit. So trägt das Dach, der eigenartigste Teil des Hauses82, auf der Ostseite einen reich geschnitzten Haupterker (Bild 5). Seine Brüstung ent­ hält geschwungene, mit Nasen versehene Andreaskreuze, die durch Kerb­ schnitte und Rosetten verziert sind. Die senkrechten Hölzer tragen seilartige Ornamente, bei den Gesimsen tritt dreimal der Konsolenfries auf. Diese Zier­ weise, die noch auf der Fachwerk-Schnitztechnik beruht und volkstümliche und antikisierende Elemente mischt, aber die Scheinarchitektur der vorgeblendeten Säulen und Postamente noch nicht kennt, bildet in der Formentwicklung der Erker eine scharf ausgeprägte Periode; sie ist durch zahlreiche datierte Bei-

81 StAN, RV 14. Aug. 1549 (Frb. Nr. 25). — Rechtschreibung vereinfacht. 81aIn den RV ist nur von einer „strittigen Mauer" (nicht „Giebelmauer") die Rede; es könnte sich also auch um Baumaßnahmen an der Grenzmauer zwischen beiden Höfen handeln. — Die Postamente in der Hofgalerie-Brüstung (geschnitzte Rosetten und tauartig gedrehte Ornamente) gehören derselben Zeit wie der Dacherker, also 1550—80, an. — Eine Schlüssel­ stellung in dieser Frage nimmt das verputzte Fachwerk an der Rückfront des Hauses ein. Enthält es, wie der Besitzer aussagt, wirklich geschwungene Andreaskreuze, dann dürfte Jamnitzer als Erbauer des ganzen Hauses feststehen. 82 Vgl. hierzu: Erich Mulzer, Nürnberger Erker und Chörlein, Nürnberg 1965; Seite 130 f. und 158.

61

Erich Mulzer

spiele auf die Jahre 1550—80 festzusetzen83. Der Haupterker gehört demnach mit der höchsten Wahrscheinlichkeit, die eine kunstgeschichtliche Einordnung überhaupt liefern kann, den Lebensjahren Jamnitzers an. Ob allerdings die übrige, konstruktiv schlichte Dacharchitektur zur selben Zeit entstanden ist, muß offen bleiben. Auffallend an den insgesamt elf Ausbauten ist vor allem der oberste Erker, der nach zwei Seiten mit großen Fensterflächen auslädt (Bilder 4 und 5) und den Spitzboden zu einem zimmerartigen Raum erweitert (Bilder 11 und 12). Solche Firsterker konnten in Nürnberg bereits zweimal als astronomische Beobachtungsstätten nachgewiesen werden 84. Da sich aber auch Jamnitzer mit Optik und Feldmeßkunst beschäftigte und astronomische Geräte wie Quadranten und Astrolabien konstruierte, läge es nahe, den Zweck des Erkers ebenfalls so zu erklären und seine Entstehung als Observatorium anzusehen 85. In diesem Fall dürfte dann Jamnitzer wohl als der Bauherr der gesamten Dachzone des Hauses gelten. Über das fast fünfzigjährige Leben Wenzel Jamnitzers in seinem Haus finden sich nur spärliche Nachrichten. Er hatte, wie sdion der Zeitgenosse Neudörfer rühmend mitteilt86, als „fürnehmstes stück" seine Eltern von Wien nach Nürn­ berg nachbringen lassen. Als sie 1548/49 starben, ist im Totengeläutbuch bei beiden „an der Zistlgaß“ vermerkt87; sie haben also im Haus ihres Sohnes ge­ wohnt. Gleichzeitig kamen von 1535 bis 1557 in fast regelmäßigen zwei­ jährigen Abständen insgesamt 11 Kinder zur Welt88, von denen wenigstens sieben das Erwachsenenalter erreichten. Für sein Handwerk beschäftigte Jam­ nitzer außerdem eine größere Zahl von Gehilfen89; 1558 sagt er sogar eine Reise ab, da wichtige Arbeiten noch nicht fertig und er „mit vielen gesellen und 83 Vergleichbare erhaltene Erker: Füll 5 (datiert 1551), Füll 7 (dat. 1556), Lammsgasse 12 Hinterhaus (dat. 1560), Schlotfegergasse 7/9 (dat. 1564), Füll 8 Hinterhaus (dat. 1574); sämtlich abgebildet bei Mulzer (siehe vorige Anm.). Zahlreiche weitere, jetzt zerstörte Bei­ spiele bei Schulz (siehe Anm. 67). 84 Erich Mulzer, Giebelmännlein (siehe Anm. 42), hier Seite 415 f. 85 Zu bedenken ist allerdings, daß die Sicht gerade nach Süden (zur Messung von Kulminatio­ nen) schlecht ist. 88 Des Johann Neudörfer . .. Nachrichten von Künstlern und Werkleuten daselbst aus dem Jahre 1547, herausgegeben von G. W. K. Lochner. Wien 1875. Seite 126. 87 Totengeläutbücher III, Nm. 3904 und 3964. Der Vater war ebenfalls Goldschmied. 88 Kaspar 1535, Balthasar 1536, Johannes 1539, Anna 1540, Susanna 1542, Esther 1544, Maria 1545, Wenzel 1548, Elisabeth 1550, Abraham 1555 und Daniel 1557. — Zur Genea­ logie: Georg Kuhr, Stammfolge der Familie Jamnitzer in Nürnberg. MVGN 61 (1974), Seite 122 ff. 89 Namentlich bekannt sind: Ulrich Hainburger aus Kärnten, bis 1543 Lehrling, dann Geselle (AvN, Lib. cons. 157.145, Lib. lit. 98.94; Frb. Nrn. 9 bzw. 11); Caspar Heussner, Geselle, 1560 aus der Stadt verwiesen (StAN, RV 2. März 1560; Frb. Nr. 48); Niclas Schmidt aus Greifswald „hatt sein Zeitt bei Elias Lencker und Wencel Jamnitzer gearbeytt“ (wie Anm. 72, 24. Okt. 1581); Jonas Silber, wohl Geselle (vor Meisterstück fragt der Rat bei Jam­ nitzer an, „wie er sich bei ihm gehalten“: StAN, RV 6. Juli 1571; Frb. Nr. 67); Hermann Spornmacher aus Ochsenfurt, Geselle, Betrugsversuch (StAN, RV 30. Okt. 1577; Hampe Nr. II 299). An Dienstboten erwähnt Jamnitzer in seinem Testament die Muhme Agnes Schröllinger, die bereits über 25 Jahre in seinem Dienst stand (Frb. Nr. 109).

62

MVGN 61 (1974)

Jamnitzerhaus

gesinds überladen“ sei90. In dem schmalen Anwesen hat also allem Anschein nach eine Betriebsamkeit geherrscht, die ungleich stärker als die im Dürerhaus eine Generation früher gewesen sein muß. Zum Bild des Alltagslebens gehört auch die Nachbarschaft. Im südlich an­ schließenden Haus wohnten nach wie vor Bäcker91, während nördlich Juliana Spenglerin, dann Franz Spengler (1561), dessen nachgelassene Witwe (1568) und schließlich die Spenglerschen Erben (1588, 1591) genannt werden 92. Wich­ tiger aber ist, daß sich in der Straße in unmittelbarer Nähe Jamnitzers mehrere Goldschmiede niederließen: Im mittleren Teil des heutigen Hauses Nr. 16 seit 1549 Peter Koster, ab 1559 Erhard Scherl; im Haus Nr. 14 seit 15 54 Caspar Widmann, ab 158 8 Lorenz Ott; und im Haus Nr. 12 seit etwa 15 50 Hans Lencker93. Auch der italienische Maler und Goldschmied Jacopo Strada wohnte 1552 in der Zisselgasse 94. Keines der Anwesen beherbergte vorher eine Gold­ schmiedewerkstatt 95; offenbar hat allein das Ansehen Jamnitzers diese unge­ wöhnliche Konzentration hervorgerufen. Dabei ist das enge Nebeneinander Jamnitzer/Lencker, das sich erst vor wenigen Jahren in einer modernen Aus­ stellung wiederholte, besonders bemerkenswert: Beide arbeiteten auf dem Ge­ biet der Geometrie und gaben Bücher über Perspektive heraus. Vielleicht sollte man solchen räumlichen Nachbarschaften, die im alten Nürnberg oft auch geistige Kontakte bedeuteten, in Zukunft mehr Aufmerksamkeit als bisher schenken 96. Während Jamnitzers Lebenszeit gingen einschneidende politische Ereignisse über die Stadt hinweg, so die Belagerung und Beschießung durch Albrecht Alcibiades 1552 und der Einzug Herzog Albas 1547 (wobei auch ein spa­ nischer Wagen mit Gold- und Silbergerät am Tiergärtnertor geplündert und 90 91

92

93

94

95 96

David von Schönherr (siehe Anm. 206), Brief vom 21. Juli 1558. Die Besitzer waren: 1539 und 1540 Margarete, Ulrich Maiers Witwe; 1552 Pangratz Seuerlein; 1568 Peter Murer, verkauft an Wolf Strobel; 1578 und 1591 Wolf Strobel; 1610 und 1620 Georg Strobel (nach AvN, Lib. lit.). Angaben nach AvN, Lib. lit.; Stadtalmosenamt Nr. 2182 und Rst. Bauamt, Amtsbücher Nr. 30. — Franz Spengler starb 1564, seine Witwe Katharina 1570 (nach Totengeläut­ büchern III). Die Lokalisierung dieser Häuser war nur durch die Auswertung aller die Zisselgasse be­ treffenden Einträge in den Lib. lit. während der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts mög­ lich. Eine Zitierung einzelner Belege ist nicht sinnvoll. Dem „welschen Künstler“ aus Mantua wurde eigener Rauch verstattet (RV 2. Nov. 1546), das Gold- und Silberarbeiten im Haus erlaubt (RV 12. März 1547) und das Bürgerrecht zugestanden (RV 18. Jan. 1549). 15 52 zog Strada nach Lyon; der Rat gestattete ihm, „sein haußrat vor seinem hauß an der Zistelgassen zu verkaufen, doch sagen, nit zu vil an die gassen zu stellen“ (RV 30. Juli 1552). Später hielt er sich wieder in Nürnberg auf. Jamnitzer muß ihn gut gekannt haben, da sich Strada im Einvernehmen mit ihm 1556 bei Erz­ herzog Johann als Entwerfer für dessen Auftragswerk empfiehlt. Nach 1558 war Strada am Hof in München und Wien tätig. Frdl. Auskunft Herr Karl Kohn. Andere Beispiele: Dürer/Pirckheimer (wuchsen in angrenzenden Häusern auf); Dürer zur Zeit seiner Lehre/Wolgemut; Wolgemut/Schedel als die beiden Autoren der Weltchronik.

63

Erich Mulzer

mehrere Bewohner der Zisselgasse vernommen und ins Loch gelegt wurden). Jamnitzers Name wird aber nur 1541 beim Besuch Kaiser Karls V. faßbar. Merkwürdigerweise erscheint er dort nicht bei den 74 Goldschmiedemeistern und -gesellen, die unter Führung ihrer Geschworenen und Rottmeister im Zug der 3000 Handwerker Spalier standen und zusammen mit den 360 berittenen Patriziern und vornehmen Kaufleuten den Kaiser empfangen sollten, sondern in einer dritten Schar von 200 Mann, die Augustin Dichtei „unter den Bürgern und Kaufleuten geworben" hatte97. Die Namensliste führt zahlreiche be­ kanntere Kaufmannsfamilien98, aber z. B. auch Endreß Dürer und Hanns Vischer auf. Offenbar handelt es sich urt\ eine Art von gehobenem Mittelstand, der seine Vornehmheit auch dadurch demonstrierte, daß er die den Hand­ werkern gereichte Münze nicht annahm, weil er „dem ehrbaren Rat aus gutem Willen zu gefallen" gekommen sei97. Der Initiator und Aufbieter der ganzen Schar wohnte in der Zisselgasse (im heutigen Haus Nr. 8, Jamnitzer schräg gegenüber "), und mehrere Teilnehmer stammten aus unmittelbarer Nähe; es ist also auch hier wieder möglich, daß für Jamnitzers Anschluß nachbarschaft­ liche Gründe maßgebend waren. 1561 fand in Nürnberg eine „große Feuerschau" 100 durch sämtliche Häuser statt und hinterließ interessante Ergebnisse 101. In der Zisselgasse gehörte Jam­ nitzer zu der Minderheit der nicht beanstandeten Besitzer. Sein Haus war also zumindest in dieser Hinsicht in gutem Zustand; das bedeutet aber leider auch, daß keine Aussage über Herd, Öfen oder einzelne Zimmer in die Akten ein­ ging. Auch auf andere Weise läßt sich nichts über die innere Einteilung des Hauses zur Jamnitzerzeit ermitteln. Der einzige schwache Hinweis findet sich in einem Buch Paul Pfinzings von 1599, in dem rückblickend die Verbesserung des Dürerschen Perspektivapparates durch Jamnitzer 31 Jahre vorher beschrieben wird102. Es heißt dort: „Er hat seinen Perspectiv Tisch inn einer sondern Stuben inn seinem Hauß so angeschraubt... stehendt gehabt, das er die Saiden [ = Saite] dargegen an einer schrauben der Stubenwendt anlegen können und also an 97 StAN, Krönungsakten 1, fol. 166 ff. Abgedruckt bei: Albredit Kircher, Deutsche Kaiser in Nürnberg; Nürnberg 1955 (= Freie Schriftenfolge der Gesellschaft für Familienforschung in Franken, Band 7). Seite 177—181. 98 Z. B. Rech, Örtel, Glockengießer, Koberger, Groland, Ölhafen, Praun, Ayrer, Gewand­ schneider, von Watt. 99 Wie Anm. 93. Dichtei starb 1550 in der Zisselgasse (Totengeläutbücher III). Über ihn im Zusammenhang mit dem Tanzstatut vgl. Aign (siehe Anm. 63). 100 AvN, Rst. Bauamt, Amtsbücher 30. — Allgemein zu dieser Institution: Mulzer, Giebel­ männlein (siehe Anm. 42), Seite 397—399. 101 Hier ist vor allem der hohe Anteil von vermieteten Häusern oder Wohnungen zu erwäh­ nen. Beiderseits des Jamnitzerhauses stellt sich z. B. heraus, daß der Bäcker Peter Murer am Milchmarkt wohnt und sein Haus in der Zisselgasse an den (sonst nie erwähnten) Bäcker Hans Huber vermietet hat, und daß sich in Franz Spenglers Haus noch ein „Zins" mit einer Georg Bebstin befindet. 102 Ein schöner kurtzer Extract der Geometriae und Perspectiuae [Stadtbibliothek Nürnberg Math 26 2°].

64

MVGN 61 (1974)

Jamnitzerhaus

solchem Ort seines Hauses seine Perspectiva zu wercken [= ausüben] ver­ bunden gewesen ist“. Von dieser Apparatur gibt es eine Abbildung, die wahr­ scheinlich Jost Amman nach 1568 gestochen hat103 und die auch Teile eines Innenraumes erkennen läßt (Bild 32). Freilich sind solche Darstellungen von Raumkulissen in der Regel idealisiert; aber da in diesem Falle das ungewöhn­ liche Gerät nur am Ort genau abgezeichnet werden konnte, besteht durchaus die Möglichkeit, daß auch die Umgebung wenigstens annähernd zutreffend in die Abbildung einging. Damit könnte der Kupferstich vielleicht doch eine Vor­ stellung vom „Perspektivzimmer“ als einer Art Hobbyraum des Hauses bieten. Trotz der Vollbeschäftigung seiner Werkstatt scheint Jamnitzer nicht immer über flüssige Geldmittel verfügt zu haben, was zum Teil wohl auf den un­ gewöhnlich hohen Kapitaleinsatz des Goldschmiedehandwerks zurückzuführen war. Jedenfalls sah sich Jamnitzer zweimal gezwungen, sein Haus stark zu be­ lasten. Schon 1544 ließ er eine Schuld von 300 fl. als Gattergeld auf das An­ wesen eintragen und zu 5 % verzinsen 104. 1548 erfolgte die Rückzahlung105. Die kommenden Jahre, in die auch die Bauarbeiten am Haus fielen, scheinen eine finanzielle Entlastung gebracht zu haben. Damals muß die Eigenschaft Wolf Harsdörfers von 200 fl., die 1544 noch erwähnt wird 104, abgelöst worden sein, denn 1568 konnte Jamnitzer von sich aus wieder eine Eigenschaft auf sein Haus um 1000 fl. verkaufen, was die enorme jährliche Belastung von 50 fl. brachte 106. Neue Eigenherren waren die Testamentsexekutoren des verstorbe­ nen Instrumentenmachers Georg Stengel, später die Georg Stengelsche Stiftung. Wenn auch Jamnitzer 1584 schrieb, daß er seit 1575 „Gott lob mehr erobert dann eingepuest“ habe, und wenn er auch 1579 in der Lage war, 200 fl. auf der Losungsstube gegen Zinsen anzulegen 107, so kam es doch zu keiner Ent­ schuldung seines Hauses, und ganz anders als bei Dürer war das Anwesen am Ende von Jamnitzers Leben mehr als sechsmal so hoch belastet wie am Anfang. 1564 bestellte der Rat Wenzel Jamnitzer zum Gassenhauptmann über die Zisselgasse 108. Eine Strafsache von 1575, die einen flüchtigen Blick in das da­ malige Straßenleben freigibt, könnte aus dieser Funktion erwachsen sein: Jam­ nitzer zeigte zwei Beckengesellen (wohl aus der benachbarten Bäckerei) wegen Hochmuts und Gotteslästerns in seiner Gasse an 109. Einer von ihnen lieferte 103 So angenommen u. a. von Kurt Pilz, Jost Ammann 1539—1591. MVGN 37 (1940), hier Seite 226. 104 AvN, Lib. lit. 58.94 (Frb. Nr. 11). — Zwei Jahre später wird auch eine Eigenschaft aus einem Haus unter der Veste verkauft, das Wenzel und seinem Bruder Albrecht gemeinsam gehört und offenbar von Albrecht bewohnt wird. 105 AvN, Lib. cons. 62.161' (Frb. Nr. 20). 106 AvN, Lib. lit. 82.151 (Frb. Nr. 56). 107 AvN, Lib. cons. 146.163' (Frb. Nr. 110). 108 St AN, RV 1. Aug. 1564 (Frb. Nr. 53). 109 StAN,RV 11. März 1575 (Frb. Nr. 74). 5

65

Erich Mulzer

anschließend an den Turmhüter, bei dem er eingesperrt worden war, 30 fl. Strafe ab, weil er „Wentzel Jamitzer bei nechtlicher weil geschmecht, auch gott gelestertt“ hatte 110. Jamnitzer erfuhr hier also ähnliches Ungemach wie Dürer, der bekanntlich 1515 sogar geschlagen wurde, worauf der Rat ebenfalls eine empfindliche Haftstrafe verhängte m. Die Zisselgasse zur Spätzeit Jamnitzers spiegelt sich auch kurz in der schön­ sten und bewegendsten kulturgeschichtlichen Quelle, die wir in Nürnberg be­ sitzen: im Briefwechsel Balthasar Paumgartners mit seiner Braut (später Frau) Magdalena Behaim 112. Der Bräutigam hatte sich in einem Brief aus Lucca darüber beklagt, daß Zweifel an einem Wiedersehen geäußert worden waren 11S. Magdalena Behaim antwortete ihm an Weihnachten 1582: „Ich will es nimer thun, ich war halt eben zur selbigen zeit recht kleinmiutig. Ich dorft dir es nit schreiben, das der sterb in unser gassen oben bei dem becken hinauf in 3 heiser kumen war und ir 5 draus gestorben waren, entsezt ich mich wol daron. Aber ich hoff nun, der almechtige Got sol uns mit freuden wider zusam pringenl“ 114. Beim Becken hinauf drei Häuser: das nächste Anwesen oberhalb der Bäckerei war das Jamnitzerhaus, und der „Sterb" muß sich also in seiner direkten Nach­ barschaft abgespielt haben115. Aber der hochbetagte Jamnitzer überstand ihn ebenso wie frühere Seuchen, darunter auch die verheerende Pestepidemie von 1562, in der er allerdings nach eigener Aussage „mych warlych selbst nycht auß dem hauß darf wagen meynes gryntes halben“ 116, während sein unmittel­ barer Nachbar vor Todesangst monatelang aus der Stadt geflohen war117. 110 111 112

118 114 115

118 117

66

AvN, Findelamt, Schachtel 7, Faszikel 1: Rechnungen 1575, Blatt 3. Vgl. dazu: Franz Ruf, Eine Straftat an Albrecht Dürer. MVGN 42 (1951), Seite 3 58. Briefwechsel Balthasar Paumgartners des Jüngeren mit seiner Gattin Magdalena, geh. Be­ haim (1582—1598). Herausgegeben von Georg Steinhausen. Bibliothek des literarischen Vereins in Stuttgart, 204. Band. Tübingen 1895. — Der Brief Nr. 10 (14. März 1583) ist ausdrücklich „Inn der Zisselgassenn" adressiert. Das Behaimsche Haus war das spätere An­ wesen Albrecht-Dürer-Straße 4. Brief 2 vom 15. Dezember 1582; hier Seite 10. Brief 4 vom 25. Dezember 1582; hier Seite 16. 1582 ist sonst nicht als Seuchenjahr bekannt; es muß sich also um einen örtlich begrenzten Vorfall gehandelt haben. Im Ratstotenbuch (StAN, Rep. 65, Nr. 9) findet sich jedoch im Herbst 1582 nur ein Toter aus der Zisselgasse — ein Hinweis, daß auch diese Aufschreibung sehr unvollständig sein muß. Daß Magdalena Behaim übertrieben hat, ist dagegen nicht anzunehmen, da ihr Bräutigam ja in kurzer Zeit zurückkehrte und nachfragen konnte. StAN, Rep. 54a II, Nr. 266 (Brief vom 16. Dezember). — Allgemeine Hinweise zur Seuche 1562: MVGN 7 (1888), Seite 106, Anmerkung 1. Vgl. auch: Jungkunz (wie Anm. 118). Jörg Spengler gehörte zu den Nürnbergern, die während der Seuche mit Familie und Ge­ sinde in Nördlingen Wohnung nahmen und dort zum Dank für die Aufnahme einen Schild in die Herrentrinkstube stifteten (heute im Stadtmuseum Nördlingen). Der Schild enthält 31 Namen, etwa doppelt so viele Wappen und den Spruch: „Im Funffzehn Hundert Zwey und sechzigsten Jar / Als der Sterb und Pest zu Nürmberg hefftig war / Hatt dise Stadt Nördlingen In guetten trawen / Eingenommen dise Herren und Frawen / Derselben trew und Freundtschafft zu gedencken / Thetten sie willig disen Schilldt herschendcen.“ — Frdl. Hinweis Herr Karl Kohn. Literatur: Friedrich Nüzel, Nürnberger Patrizier in Nördlingen im Jahre 1562. In: Historischer Verein für Nördlingen und Umgebung, 1. Jahrbuch 1912, Seite 80—86. Abbildung: Die Kunstdenkmäler von Bayern, Stadt Nördlingen; Seite 350.

MVGN 61 (1974)

Jamnitzerhaus

Ein besonders schlimmes Jahr sollte wieder 1585 werden. Nach einem ver­ regneten Sommer breitete sich ein „ Sterben “ aus, das 5000 Opfer gefordert haben soll118. Besonders im September, Oktober und November stieg die Zahl der Toten steil an. Unter den in der Zisselgasse nachweisbaren fünf Fällen be­ fand sich der schon erwähnte Goldschmied Hans Lencker 119. Wenig später, wahrscheinlich am 17. Dezember 12°, starb Wenzel Jamnitzer im Alter von 78 Jahren. Ob sein Tod mit der Seuche in Zusammenhang stand, ist unbekannt. Ein Jahr vorher hatte er sich noch als „gott lob gesundten leibs“ bezeichnen können 121. Jamnitzer, der bereits seit 1575 Witwer war, hinterließ ein Testament121, nach dem die liegende und fahrende Habe nach Abzug zahlreicher Legate seinen fünf erwachsenen Kindern bzw. deren Nachkommen zufiel. Das Haus in der Zisselgasse erbten damit gemeinschaftlich die beiden Goldschmiede Hans und Abraham Jamnitzer als Söhne, die beiden Goldschmiedsehefrauen Anna Straub und Maria Maler als Töchter sowie die Enkel Jamnitzers aus der Ehe der ver­ storbenen Tochter Susanna mit dem Goldschmied Martin Holweck. Offenbar wohnte jedoch keine dieser Personen zu jener Zeit noch in der Zisselgasse.

Die Geschickte des Hauses nach Jamnitzers Tod

Um das Erbe aufteilen zu können, begannen die neuen Besitzer schon bald mit dem Verkauf der Hinterlassenschaft. So wurde eine von Jamnitzer erfundene Wasserschöpfanlage dem Rat angeboten 122 und der berühmte Schreibtisch mit vielen mathematischen Instrumenten um 1300 fl. losgeschlagen 123. 1591 ent­ schlossen sich die Erben auch zur Veräußerung des Hauses. Sie hatten nach ihren Angaben zunächst drei Jahre lang keine Beständner (= Mieter) gefun­ den. Als es ihnen endlich gelang, waren bauliche Reparaturen um 150 fl. nötig, denen nur eine Jahresmiete von 65 fl. gegenüberstand. Außerdem mußte weiter118 Vgl.: Walter Jungkunz, Die Sterblichkeit in Nürnberg 1714—1850, zugleich ein Beitrag zur Seuchengeschichte der Stadt. MVGN 42 (1951), Seite 289—352; hier Seite 295 f. 119 Ratstotenbücher (StAN, Rep. 65, Nm. 10 und 11). Lencker ist am 1. Dezember genannt.^ 120 Im Ratstotenbuch (StAN, Rep. 65, Nr. 11) heißt es unter dem 19. Dezember 1585: „Der Erbar und weiß Herr Wenntzel Jamitzer Röm. Kay. Mayst. goldschmidt Inn der Zisselgassen.“ Den gleichen Eintrag enthält das Beerdigungsbuch St. Sebald Nr. 34b (Landes­ kirchliches Archiv, in Zukunft = LkA), das stets den Bestattungs-, nicht den Todestag angibt. Das Testament (siehe Anm. 121) trägt einen Präsentationsvermerk vom 18. De­ zember. 121 StAN, Rep. 78, Nr. 522 (Frb. Nr. 109). 122 StAN, RV 8. Juli und 9. Aug. 1586 (Frb. Nrn. 115 und 116). — Der Rat erwarb den Appa­ rat nicht, weil es für diesen Zweck bessere und beständigere Mittel gebe. Zehn Jahre später schlug einer der Erben das Gerät um den bloßen Metallwert los: StAN, RV 18. Aug. 1606 (Frb. Nr. 122). 123 AvN, Lib. cons. 150.29' (Frb. Nr. 117). Der Inhalt des Schreibtisches beschrieben bei Doppelmayr (siehe Anm. 186), Seite 205 f.

67

Erich Mulzer

hin der Eigenzins von 50 fl. bezahlt werden, so daß sich das Haus als immer größeres Verlustgeschäft für die Erben erwies124. Eine Schätzung hatte den Wert des Anwesens mit 2400 fl. festgestellt; abzüglich der Belastung kam der Ver­ kauf schließlich am 11. Dezember 1591 um 1000 fl. zustande 125. Als neuer Besitzer zeichnete Jacob Schaller, Bürger und Händler in Nürn­ berg. Er ist vielleicht identisch mit einem Jacob Schaller aus Wangen im Allgäu, der am 26. Januar 1588 in der Sebalduskirche eine Susanna Lutzin geheiratet hatte 126. 1593 wählte der Rat Schaller zum Genannten 127, und auch 1600, als die vollständige Abzahlung des Hauspreises bis 1594 noch einmal verbrieft wurde, führte er diesen Titel128. Über sein weiteres Leben läßt sich trotzdem nichts ausfindig machen. Offenbar starb er bereits 1609 129. Nun beginnt sich die Spur des Hauses ins Dunkle zu verlieren. Allerdings liegen gerade für die Jahre 1590 und 1614 noch einmal zwei Losungslisten vor, die in der schon beschriebenen Weise ausgewertet werden können 13°. 1590 be­ wohnte demnach das Haus ein Carl Goeßwein, wohl der von der Erbengemein­ schaft gefundene Mieter, während 1614 an der entsprechenden Stelle nur ein N. N. auftaucht. Da das Losungsverzeichnis stets die Bewohner, nicht die Be­ sitzer der Anwesen nennt, muß das Jamnitzerhaus zu dieser Zeit schon wieder leer gestanden sein. Diese Fehlanzeige ist für anderthalb Jahrhunderte die letzte Nachricht über das Haus. Alle Versuche, diese Lücke zu schließen, waren bisher vergeblich. Es half auch nichts, daß in dem nördlich angrenzenden Spengleranwesen zwischen 1591 und 1596 mit dem Waldamtmann Hans Wilhelm Ebner eine vermögende Persönlichkeit aus bekanntem Geschlecht einzog 131 und im 18. Jahrhundert dort ein Zweig der Familie Imhoff 132 ansässig war: In keinem Fall fällt dadurch 124 AvN, Lib. cons. 159.105' (Frb. Nr. 118). 125 AvN, Lib. lit. 106.1997200 (Frb. Nr. 119). 120 LkA, Proklamationsbuch St. Lorenz Nr. 50 und Traubuch St. Sebald Nr. 23. Datum der Hochzeit: 26. Februar 1588. 127 StAN, RV 18. April 1593. 128 AvN, Lib. lit. 200. 129 Sein Name oder der seiner Frau tauchen weder im Ratstotenbuch noch in den Sterbe­ matrikeln auf. 1609 endet jedoch sein Genanntenamt (Johann Ferdinand Roth, Verzeichnis aller Genannten des größeren Raths, Nürnberg 1802; Seite 101). 130 StAN, Rep. 52b, Nrn. 284a und 284b, jeweils fol. 7'. — Den festen Punkt in der Liste bildet das Beckenhaus mit Ursula Stroblin (1590) bzw. Georg Strobl (1614). Die Ab­ grenzung gegenüber dem anderen Nachbarhaus ist weniger eindeutig. 1590 erscheinen dort Hans Clären, Thomas Ketzler; Christoph Schübel, Elena Rösnerin (je paarweise durch eine Klammer zusammengefaßt, wohl die Bewohner der beiden ehemaligen Spenglerhäuser). 1614 heißt es stattdessen: Helena Ebnerin, Jobst Heinrich Rockenbach, Barbara Ketzlerin. Bei den ersten beiden Namen handelt es sich um die dritte Frau Hans Wilhelm Ebners, eine geborene Rockenbach, und einen ihrer Verwandten. (Ebner hatte das Spenglersche Anwesen nach 1591 erworben und war 1614 gestorben). Barbara Ketzlerin ist wohl die Witwe des früheren Mieters Thomas Ketzler. 181 Schulz (wie Anm. 67), Seite 86. — AvN, Rst. Bauamt, Vlla 63, prod. 2. — Vgl. vorige Anm. 182 Quartierliste (1797/98). — Germanisches Nationalmuseum, Imhoff-Archiv, 11. Teil Nr. 28 (1776). — LkA, Beerdigungsbücher S 47 bzw. S 48: Maria Barbara Imhoff und Sabina Regina Imhoff sterben „in der Zißelgass* (1749 bzw. 1763).

68

MVGN 61 (1974;

Jamnitzerhaus

Licht auf das benachbarte Jamnitzerhaus. Umgekehrt läßt sich aber nachweisen, daß es entgegen einer weitverbreiteten Meinung nicht dieses Haus war, das der Jamnitzerenkel Christoph 1603—1620 in der Zisselgasse bewohnte: Sowohl der Kauf-133 wie auch der Verkaufs vertrag 134 sind erhalten und beziehen sich ein­ deutig auf ein Anwesen der anderen Straßenseite im Grenzbereich der heutigen Nummern 16 und 22. Dort und nicht im alten Jamnitzerhaus hielt sich dann auch 1617 der Bildhauer Leonhard Kern aus Forchtenberg auf, als er am Portalschmuck des neuen Rathauses arbeitete, zu dem Christoph Jamnitzer selbst schon den kupfergetriebenen Adler über dem Mitteleingang beigesteuert hatte 135. Der erste Name, mit dem die Besitzerreihe des Jamnitzerhauses 1767 wieder einsetzt, ist Georg Wilhelm Holzschuher von Asbach auf Harrlach. Er war als Sohn des späteren Stadtrichters Veit Georg Holzschuher 1700 geboren worden, hatte 1731 Maria Sabina Pömer, die Tochter des zu Rat gehenden Johann Wolfgang Pömer, geheiratet und war 1734 zum vordersten Waagamtmann aufgestiegen 136. 1767 verkaufte er das Jamnitzerhaus um 1600 Gulden140. Ob er es je selbst bewohnt hat, ist nicht auszumachen; häufig wurden ja Immobilien vom Patriziat nur als Rentenbesitz genutzt. Andererseits gibt die aufwendige Stuckdecke im zweiten Stock aus der Zeit um 1750 zu denken, und beim Tod der Mutter Helena Regina Holzschuher 1734 wird als Wohnort im Begräbnis­ buch sogar ausdrücklich „in der Zißelgaß“ angeführt137. Es handelt sich hier allerdings um eine geborene Ebnerin 138, und die Angabe könnte sich u. U. auch auf das damals offenbar noch den Ebnem gehörige 139 Spenglerhaus beziehen. Alle diese Unsicherheiten ließen sich vermutlich durch Nachforschungen in den entsprechenden Privatarchiven, vor allem dem der Familie Holzschuher, auf­ klären, und es ist äußerst bedauerlich, daß dazu trotz zweijähriger Bemühungen keine Möglichkeit geboten wurde. Als Käufer tritt 1767 der Italiener Johann Dominikus Matti auf140. Er war 1738 in Como geboren, hatte aber schon 1764 in der Johanniskirche die Nürnbergerin Esther Maria Weinberger geheiratet141. Damals wohnte er also AvN, Lib. lit. 115.40 (Frb. Nr. 188). Ortsbezeichnung: Zwischen dem Stadel des Bier­ brauers Christoph Schiller und Peter Lösens Behausung. (Letzterer war Wirt in der Berg­ straße). 134 AvN, Lib. lit. 133.98 (Frb. Nr. 209). Ortsbezeichnung: Zwischen dem Bierprew Bartholme Rüger und Peter Lösens, Gastgebs, Hinterhaus. 135 Vgl. hierzu: Mummenhoff (wie Anm. 217), Seite 134—137. Schulz (wie Anm. 67), Seite 75—76. Frankenburger (wie Anm. 65), Nr. 201—207. 136 Johann Gottfried Biedermann, Geschlechtsregister des Hochadelichen Patriciats zu Nürn­ berg; Bayreuth 1748: Holzschuher, Tabula CCV. 137 LkA, Beerdigungsbuch St. Sebald Nr. 46, Seite 99. 138 Biedermann (wie Anm. 136): Ebner, Tabula XXXV. 139 LkA, Beerdigungsbücher St. Sebald: Die Wohnungsbezeichnung „Zisselgasse“ findet sich bei Angehörigen der Familie Ebner in den Jahren 1674, 1705, 1720, 1721 und 1726 (zweimal). 140 StAN, Rep. 22522 (Rentamt Nürnberg), Nr. 48, Hausnummer S 390. 141 LkA, Traubuch St.Sebald Nr. 29, Seite 251. 133

69

Erich Mulzer

vor der Stadt, und noch 1765 wird als seine Adresse der Graf Ellrodische Garten an den Johannisfeldern angegeben.142 Matti betätigte sich als „italiänischer Händ­ ler“, eine Spezies, die während des ganzen 17. und 18. Jahrhunderts öfters in den Akten von sich reden machte14S. Ihr Angebot umfaßte vor allem Südfrüchte, Nudeln, Cervelati-Würste und ähnliche Lebensmittel, aber auch seidene Strümpfe und Handschuhe. Besonders kritisiert wurde meist das ambulante Verkaufen in Wirtschaften. Es gab aber auch größere Firmen, so die Handlung von Brentano-Cimaroli, als deren Mitglied Matti 1763 erstmals faßbar wird 144. 1782 berichtete das Nürnberger Zollamt, daß der Ertrag dieser Firma in den letzten zwanzig Jahren auf ein Drittel abgesunken sei, wozu „ein großes die inzwischen herein [= in die Stadt] gezogene und immer mehr anwachsende Mattische Italiänische Handlung beigetragen" habe145. Allerdings beklagte auch Matti gleichzeitig den Verfall seines Geschäfts „durch die in Wirtshäusern allhier sich von Zeit zu Zeit aufhaltenden fremden Handelsleute" 146, aber in Wirklichkeit scheint er sich doch zu einem recht erfolgreichen selbständigen Kaufmann entwickelt zu haben 147. Matti wohnte, wie die Geburtseinträge seiner letzten Kinder ausweisen, seit Kauf des Hauses in der Zisselgasse. Er starb 1808 auch im Jamnitzerhaus; da er Katholik geblieben war, wurde er in Herzogenaurach beerdigt148. Seine Frau starb ein Jahr später, und das Haus erbte einer seiner Söhne, der Kauf­ mann, Manufakteur und Spediteur Johann Albrecht Matti149. Er hatte 1809 in zweiter Ehe Maria Franziska Theresia Rothermund, eine Tochter des Bild­ hauers Gottfried Rothermund, geheiratet 150; die Ehe wurde übrigens, obwohl der jüngere Matti evangelisch getauft war, wieder katholisch geschlossen. 1824 starb Matti im Alter von 54 Jahren im Haus an der Zisselgasse 151; seine Frau folgte ihm drei Jahre später nach. In die 60jährige Besitzperiode der Familie Matti fällt die genaue Gebäudeund Grundstücksaufnahme des bayerischen Staates für Steuerzwecke. Die 142 LkA, Taufbuch St. Sebald Nr. 13 (anläßlich der Geburt des ersten Sohnes am 19. März 1765). 143 AvN, Handelsvorstand, Nr. 3924—3936 u. a. 144 AvN, Handelsvorstand, Nr. 4670, fol. 7'. 145 AvN, Handelsvorstand, Nr. 3936: Extrakt Zollamtsbericht vom 1. Oktober 1782. 146 Ebd., Extrakt Unbürgeramtsbericht vom 21. Oktober 1782. 147 In der gedruckten Quartierliste während der Besetzung 1797/98 wird Matti mit dem Höchst­ betrag eingestuft (wie z. B. der im Spenglerhaus wohnende reichsstädtische Kriegsrat v. Im­ hoff), während viele Handwerker (wie z. B. der angrenzende Bäcker) nur mit einem Fünftel dieser Summe eingeschätzt werden. 148 LkA, Beerdigungsbuch St. Sebald Nr. 53, Seite 15. 149 StAN, Rep. 235/21/7 (Amtsgericht Nürnberg Grundakten), Bündel 65, Hausnummer S 390. — Matti wird gewöhnlich als „Kaufmann" bezeichnet; die genauere Berufsangabe „Manuf. und Spedit." nur in: Kleines Adreßbuch der königlich Bairischen Stadt Nürnberg, Nürnberg 1819. 150 LkA, Traubuch St. Sebald Nr. 30, Seite 410. 161 Katholisches Pfarramt Frauenkirche: 22. August 1824.

70

MVGN 61 (1974)

Jamnitzerhaus

„Fassion“ von 1808 beschreibt das Anwesen Hausnummer S 390 als „Wohn­ haus, halb massiv, 3 Etagen hoch, bestehend aus einem Vorder- und einem Hinterhaus und einer Hofraith und Pumpe“ 140. Dazu kam noch ein Wald­ recht 149. Bemerkenswert ist der hier erwähnte Pumpbrunnen, da das Haus nach dem Brunnenbuch von 1479 ursprünglich keine eigene Wasserversorgung be­ sessen hatte. 1827 erwarb dieses Anwesen unter „Dreingabe der zum Zimmer der lten Etage und zur Schreibstube gehörigen Vorfenster“ der Kaufmann und Tabak­ fabrikant Georg Friedrich Schwarz 149. Er wohnte im Spenglerhaus, das er be­ reits 1812 gekauft hatte, so daß sich jetzt erstmals beide Anwesen in ge­ meinsamem Besitz befanden 152. Außerdem gehörte zum Fabrikareal noch ein Haus im nördlich angrenzenden Pirkheimershof sowie das gegenüberliegende, schon im 18. Jahrhundert als Tabakstadel benützte Gebäude Albrecht-DürerStraße 24 153. Schwarz war 1767 geboren und offenbar um 1798 aus Lindau zu­ gewandert. In der Endphase der Reichsstadt hatte er sich auch als „Capitain der 24ten Löbl. Bürger und 2ten Löbl. Volontair Compagnie“ betätigt; in dieser Uniform zeigt ihn Bild 26 im Jahr 1804 154. Nach seinem Tod beerbte ihn 18 31 die Tochter Maria Anna Friderika, welche kurz vorher den Handlungs-Commis und seitherigen Associe der Firma, Ludwig Friedrich Blumröder, geheiratet hatte. Dieser junge und tatkräftige Pfarrerssohn baute die Tabakfabrikation weiter aus; dabei diente nur noch das Spenglerhaus als Wohnung, während sich dahinter und im Pirkheimershof zwei Fabrikgebäude, im Jamnitzerhaus die „Tabakniederlage“ und in dessen Hin­ terhaus die Tabakmühle befanden 155. 1835 wurde Blumröder, erst 27jährig, ins Kollegium der Marktadjunkten gewählt 156. 1836 begann er, angeregt durch eine staatliche Werbekampagne157, mit der Errichtung einer RunkelrübenZuckerfabrik auf seinem Gelände. Dazu wurde im Hof des Spenglerhauses ein Gebäude aufgestockt, eine Dampfmaschine mit 25 PS installiert und ein obe152 Wie Anm. 149, Hausnummer S 389. — Das Spenglerhaus ist 1776, 1786 und 1797 im Be­ sitz des Kriegsrats und Senators Christoph Andreas IV. ImhofF nachweisbar. 1808 gehört es einem Kaufmann Johann Friedrich Meinel, von dessen Witwe Marianne es Schwarz 1812 um 7000 fl. erwirbt. 153 Vgl. AvN, Rst. Bauamt, XXVIa Nr. 79 (1. Band), Prod. 206—213. Nach Johann Ferdinand Roth, Geschichte des Nürnberger Handels, 3. Band, Seite 222 heiratete die Tochter der hier genannten Kesselschen Witwe einen Christ. Gottlieb Fuchs; er taucht in der Quartierliste 1797/98 auf und erlaubt damit die Lokalisation des Anwesens. 154 Geburtsjahr errechnet nach LkA, Beerdigungsbuch St. Sebald 1831, Seite 50. — Herkunft aus Lindau nach LkA, Traubuch St. Lorenz Nr. 44, Seite 18 5 (Schwarz war geschieden und legte bei der zweiten Heirat eine Erlaubnis des Ehegerichts der Reichsstadt Lindau von 1800 vor). — Zuwanderung: 1798 erhält ein Buchhalter Georg Friedrich Schwarz auf Antrag um 800 fl. das Bürgerrecht (AvN, Bürgeramt, Neubürgerbuch IV, Seite 272). 155 Grundsteuerkataster von 1833/36: StAN, Rep. 22522 (Rentamt Nürnberg), Nr. 119, Fol. 434.

156 AvN, Handelsvorstand Nr. 86. 157 AvN, Magistratsakten VI b 1, Nr. 23.

71

Erich Mulzer

liskähnlicher Sdiornstein von 27 Meter Höhe errichtet. Ein unvorhersehbarer Preisverfall und die Zinsbelastung durch die hohen Investitionen stürzten je­ doch schon 1841 die Neugründung in einen verheerenden Bankrott158. Auch die Tabakfabrik wurde in den Strudel gerissen, doch veranlaßten die Gläubiger ihre Fortführung, um die Verluste zu vermindern. 1845 verkaufte Blumröder das Jamnitzerhaus; aber es gelang ihm nicht mehr, Boden unter die Füße zu bekommen, weil die einst blühende Nürnberger Tabakherstellung durch die Importe inzwischen in eine Strukturkrise gekommen war 159. Am Ende gehörten alle der Firma noch verbliebenen Anwesen der Königlichen Bank. Neuer Besitzer des Jamnitzerhauses, von dem sich Blumröder rechtzeitig getrennt hatte, wurde 1845 um 4000 fl. der Schreinermeister Martin Wilhelm Portner 16°. Damit begann eine erneute Funktionswandlung des Anwesens, das nun wieder bewohnt wurde und für über 50 Jahre eine Schreinerei aufnahm. 1861 erwarb der Schreinermeister Johann Jakob Rohrwäger das Haus um 11 100 fl. von der Witwe Clara Magdalene Portner 181. Nach seinem Tod 1894 beerbte ihn die Ehefrau Dorothea Louise Rohrwäger162. Sie verkaufte im fol­ genden Jahr das als schuldenfrei bezeichnete Haus an die Kunst- und Möbel­ schreinerseheleute Joseph und Maria Günther um 3 5 900 M 163, nahm es jedoch auf einer Zwangsversteigerung 1896 um 32 000 M wieder zurück164. 1898 ver­ äußerte sie das Anwesen endgültig um 38 000 M an den Büttnermeister Jo­ seph Konrad Kreißei und seine Frau Maria 165; sie betrieben hier vorwiegend die Herstellung von Brauereifässern. Nach dem Tod des Mannes 1935 und der Frau 1942 erbte das Haus deren Sohn, der städtische Verwaltungsinspektor (später Oberamtmann) Karl Kreißei168, der allerdings nicht mehr hier wohnte. Er behielt das Anwesen bis 1958 und veräußerte es dann, nachdem die Stadt Nürnberg kein Interesse am Erwerb zeigte 187, an den in Laufamholz wohnen­ den Galvaniseurmeister und Inhaber einer galvanischen Anstalt Julius Dorn, den heutigen Besitzer. In diesen letzten 130 Jahren hat das Haus wahrscheinlich mehr Verände­ rungen erfahren als je zuvor. Vor allem gilt dies für die innere Einteilung. Die 168 Ebd. VI b 3 Z, Nr. l. 159 AvN, Niederlassungsakten N 1875 (vor allem ab fol. 28). 160 Renoviertes Grundsteuerkataster von 1856: StAN, Rep. 22 5 22 (Rentamt Nürnberg), Nr. 266, Seite 422. 161 Renoviertes Grundsteuerkataster von 1881: StAN, Rep. 22 5 22 (Rentamt Nürnberg), Nr. 316. 162 Umschreibverzeiehnis Sebald, 8. Band: StAN, Rep. 22 5 22 (Rentamt Nürnberg), Nr. 1054, lfd. Nr. 8671. 163 Ebd., lfd. Nr. 8723. 184 Ebd., lfd. Nr. 8906. 165 Umschreibverzeiehnis Sebald, 9. Band: StAN, Rep. 22 5 22 (Rentamt Nürnberg), Nr. 105 5, lfd. Nr. 9576. 186 Grundbuchauszug. 187 Nach frdl. Auskunft von Herrn Julius Dorn war das Haus vorher der Stadt Nürnberg zum Kauf angeboten worden.

72

MVGN 61 (1974)

Jamnitzerhaus

entscheidende Wandlung vom Ein-Familien-Haus zum Mietwohngebäude läßt sich auf die Jahre zwischen 18 37 und 1857 festlegen: Am Ende dieses Zeitraums wohnten neben dem Besitzer plötzlich 8 weitere Haushalte in dem An­ wesen, und diese Zahl blieb bis in die jüngste Zeit annähernd konstant168. Es ist allerdings nicht möglich, die Umstrukturierung genauer zu beobachten, da die modernen Bauakten erst 1873 einsetzen169. In diesem Jahr wurde der typische große Hausflur im Erdgeschoß durch eine Werkstatt stark beschnit­ ten 169a. 1895 verengte man ihn beim Einbau einer Parterrewohnung weiter zu dem heutigen bloßen Durchgang; die Treppe zum erster Stock wurde heraus­ genommen und in den Hof an den Rand des Seitenflügels verlegt. Im ersten Obergeschoß trat an die Stelle des großen Vorplatzes ebenfalls ein Zimmer, und im Hof entstand unter der Holzgalerie ein Waschhaus. 1906 wurde im nördlichen Teil des Erdgeschosses ein Laden mit Schaufenster und eigener Tür eingebaut (Bild 15). Er diente als Landesprodukten-, später als Kolonialwaren­ handlung und schließlich bis 1958 als Lebensmittelgeschäft. 1909 erfolgte eine letzte größere Änderung im Hof, als über den zwei Balustergalerien des Seiten­ flügels ein einfacherer Holzgang im dritten Obergeschoß aufgesetzt wurde, der zu zwei neuen Aborten an seinem Westende führte (Bilder 20 und 21). Dies rief einen heftigen Streit mit dem Besitzer des Spenglerhauses hervor, wobei es wie im 16. Jahrhundert vor allem um die Rechte an der Grenzmauer ging. Der Plan wurde schließlich doch genehmigt, weil die damit erreichte Zahl von sieben Abtritten für das Anwesen baupolizeilich dringend erforderlich schien 169b. 1937 erfolgte dann mit Hilfe eines Staatszuschusses ihr Umbau in Spülklosetts169c. Der Vorschlag des Amts für Denkmalspflege, wegen der be-

168 Nach der Quartierliste 1797/98 wohnte nur der Besitzer Matti im Haus. Eine Auszählung des alphabetischen Einwohnerverzeichnisses im Adreßbuch 1837 ergab überhaupt keinen Be­ wohner, während 18 57 insgesamt 9 Haushalte (Merz, Portner, Rieder, Stein, Voit, Walz, Wurster, Schlemmer, Zertahelly) festgestellt wurden. Die Berufsangaben lauteten: Schneider­ meisterswitwe, Schreinermeister, Kramkäufel, Portefeuilleur, Privatier, Schuhmachermeister, Goldschlägermeister, Schneidermeister, Damenputzhandel. ln dem ersten nach Häusern ge­ ordneten Einwohnerbuch von 1876 sind 10 Haushalte genannt. 169 AvN, Rep. C 20/5. 169aSie lag in der Nordwestecke, so daß der Hauseingang weiter nach Norden rückte (wo ja auch die Treppe begann). Nach dem Plan befand sich an dieser Stelle bereits eine größere Öffnung. 1895 kehrte die Eingangstür wieder an ihren ursprünglichen Ort zurück. 169bDie Aborte befanden sich genau übereinander, und zwar einer in einem Häuschen im Hof und je zwei in den Holzgalerien des 1—3. Stockwerks. Sie nahmen die ganze Breite der Gänge ein, so daß im 1. und 2. Obergeschoß jeweils der westliche nur vom Hinterhaus aus betreten werden konnte und kein Durchgang auf der Galerie zum Rückgebäude möglich war (vgl. Bilder 20—22). Ein Plan von 1886 zeigt an denselben Stellen insgesamt vier Aborte (im Erdgeschoß und im 1. Stockwerk je einen, im 2. Stockwerk zwei). 169c Diese Maßnahme, die damals in vielen Altstadthäusern durchgeführt wurde, lief bereits unter dem Namen „Altstadtsanierung“. Als Bedingung für den Zuschuß hatte sich der Be­ sitzer zu verpflichten, „bei Eintritt einer Vollsanierung des Wohnblocks zur Gesundung der Altstadtwohnungen“ die „Beseitigung der finsteren [= fensterlosen] Räume durch eine andere Raumaufteilung“ zu veranlassen.

73

Erich Mulzer

sonderen „historischen Bedeutung des Hauses" gleichzeitig den einst „sehr schönen Galeriehof" wieder in seinen Ursprungszustand zu versetzen, wurde vom Besitzer wegen der Mehrkosten abgelehnt. Im Luftkrieg erlitt das Haus schwere Erschütterungen, blieb jedoch in seiner Substanz erhalten, während beide Nachbaranwesen zerstört wurden (Bild 19)170. Um 1951 mußte die nördliche Giebelwand (die eigentlich zum ehemaligen Spenglerhaus gehörte) bis zum zweiten Obergeschoß herunter in Backstein neu aufgeführt werden. Außerdem wurden durchgebrochene Fensterstürze an der Fassade und zahlreiche ähnliche kleinere Schäden behoben. Der Zustand des Hauses besserte sich jedoch erst langsam. Um 1960 ließ der Besitzer den Laden beseitigen und statt dessen im Erdgeschoß zwei Fenster einfügen. 1964 neigte sich beim Abbruch der Reste des Spenglerhauses die hohe Trennmauer zwischen den Hof-Seitenflügeln der beiden Gebäude und mußte sofort abgetragen wer­ den. Dabei blieben erstaunlicherweise die daran entlangführenden Galerien des Jamnitzerhauses stehen; ihre Balken waren, vielleicht in Auswirkung des Urteils von 1548, nicht in die Grenzmauer eingelassen (Bild 22). Obwohl der Besitzer die Galerien gerne erhalten hätte, wurde von der Stadt der Abbruch angeordnet. Bei diesen Arbeiten gingen auch zahlreiche Baluster, die an anderer Stelle leicht wieder hätten verwendet werden können, verloren. Der Seitenflügel wurde anschließend in niedrigerer Form neu errichtet; gleichzeitig erhielt das Hinterhaus ein zusätzliches Stockwerk und ein flachgeneigtes Dach, so daß diese beiden Bauteile und damit der ganze Hof ihren historischen Charakter einge­ büßt haben. Andererseits hat der Besitzer seither zahlreiche kostspielige, das Gebäude weitgehend sichernde Arbeiten durchführen lassen. Darunter fielen auch rein denkmalpflegerische Maßnahmen wie die Wiederherstellung der stichbogigen Fensterstürze im 1. und 2. Obergeschoß und der Anstrich des großen Dacherkers. Als letztes wurde 1972 die freistehende südliche Brandmauer ver­ putzt und dabei leider auch die abgetreppte Giebelschräge durch eine glatte Aufmauerung ersetzt. Insgesamt hat der heutige Besitzer weit mehr für das Haus getan, als es in der Nürnberger Altstadt die Regel ist. Wenn trotz guten Willens nicht immer das denkmalpflegerisch Optimale erreicht wurde, ist das billigerweise nicht dem Hauseigentümer anzulasten; dazu hätte es einer sehr intensiven Beratung und Hilfe durch die amtlichen Stellen bedurft. Daß eine solche Förderung, wie sie dem Dürerhaus in überreichem Maß zufloß, dem Jamnitzerhaus bis jetzt versagt blieb, ist der bittere Beigeschmack, der sich in die Genugtuung über den glück­ lichen Erhalt und die gute Pflege dieses Bau- und Geschichtsdenkmals heute mischt. 170 Das Spenglerhaus wurde durch einen Sprengbombentreffer am 3. Oktober 1944 bis zur Oberkante des Erdgeschosses zerstört (Bild 17). Das Bäckerhaus brannte bei einem späteren, zeitlich nicht fixierbaren Angriff ab.

74

MVGN 61 (1974)

Jamnitzerhaus

Der heutige Zustand des Jamnitzerkauses Das Haus steht auf einer Grundfläche von etwa 7,5 mal 13,5 Metern. Es ist auf der Straßenseite in Sandstein, auf der Hofseite (wohl vom ersten Obergeschoß ab) in Fachwerk errichtet; diese Holzkonstruktion liegt jedoch unter Putz. Die ebenfalls verputzte südliche Brandmauer, an die seit 1945 kein Haus mehr angebaut ist, besteht bis zur Traufe aus Sandstein, darüber aus Backsteinen (vgl. Bild 1). Im Giebel befindet sich ein 60 cm hohes Schlitzfenster. Die Straßenfassade (Bild 3) umfaßt drei Obergeschosse mit je drei Fenstern. Die Fensteröffnungen messen im Lichten etwa 140 cm Breite und 160 cm Höhe. Im 1. und 2. Obergeschoß schließen sie mit einem Stichbogen, im 3. Obergeschoß mit einem geraden Sturz ab 171. Die Gewände zeigen nur eine flache Kehle an der Außenkante; dagegen ist die Haustüröffnung mit einem Wulst-Kehle-Profil umzogen. In dieser Form könnte die Türöffnung bis ins 16. Jahrhundert zurückreichen, während die Fenstergestaltung möglicherweise jünger ist. Die 34 Quaderschichten der Fassade zeigen eine höchst bemerkenswerte farbliche Bänderung: Unter den Fensterbänken aller Stockwerke folgen jeweils eine rötliche, eine dunkelgelbliche und eine weitere rötliche Steinschicht auf­ einander, während die Fensterstreifen ebenso wie das Erdgeschoß mit der Tür aus weißlichen Quadern bestehen 172. Zangenlöcher sind in den gelblichen Stei­ nen durchwegs, aber sonst nur vereinzelt und unsicher erkennbar. Diese Be­ obachtung zusammen mit dem Alter von Tür- und Fensterprofilen erlaubt kei­ nen plausiblen Schluß auf das Alter der farbigen Variation, doch ist ihre Existenz, an der kein Zweifel möglich ist, der erste Nachweis einer solchen Ge­ staltungsweise im gesamten Nürnberger Sandsteinbau. Die zweiflügelige Eingangstür (Bild 2) folgt mit dem Mittelpilaster und den vier Füllungsfeldern Nürnberger Tradition, zeigt aber neuere Detailformen, die ins 19. Jahrhundert weisen. An der verputzten Hofseite treten in drei Stockwerken die Fenster mit den dazwischenliegenden Wandstreifen als horizontale Bänder etwa 10 cm vor die Fassade. Diese Erscheinung deutet zwingend auf Fachwerkkonstruktion hin. Bei Bauarbeiten 1972 kamen angeblich geschwungene Andreaskreuze zum Vor­ schein; wegen des schlechten Zustands der Hölzer wurde jedoch sofort wieder neuer Putz aufgebracht178. Auffallend und in ihrer Art einmalig ist die Dacharchitektur (Bilder 3, 4 und 5). Sie umfaßt insgesamt 11 Erker und Gauben in drei Ebenen. Das unterste 171 Auf Bild 3 ist beim mittleren Fenster des dritten Obergeschosses die Abmauerung eines älteren Stichbogens zu erkennen. 172 Der nördliche Teil des Erdgeschosses ist durch Laden- und Fenstereinbau mehrmals ver­ ändert worden und scheidet hier aus. 178 Auskunft des Besitzers.

75

Erich Mulzer

Dachgeschoß trägt auf der Vorder- und Rückseite jeweils einen großen Mittel­ erker mit ursprünglich zwei flankierenden Gauben (auf der Rückseite ist die südliche verloren). Der vordere Haupterker ist ein Giebelerker mit geschnitztem Fachwerk (1550—1580), der hintere ein Aufzugserker mit profiliertem Kranz­ gesims. In der mittleren Dachzone sitzen jeweils zwei Schleppgauben. Noch in ihre Dachschleppen einschneidend tritt in Höhe des Spitzbodens auf der Vorderund Rückseite je ein Aussichtserker in einfacher Fachwerkkonstruktion hervor. Die Walmdächer dieser beiden Erker kreuzen mit ihrem gemeinsamen Querfirst höhengleich den First des Hauptdaches. Von den Innenräumen des Hauses ist der Keller am unberührtesten. Er be­ steht aus einer etwa 5,8 m breiten und 7,6 m langen backsteingewölbten Tonne, die quer zur Firstrichtung verläuft und mehr als zwei Drittel der Haus­ fläche unterfängt174. Das Gewölbe setzt knapp über dem Fußboden an und erreicht eine Scheitelhöhe von 3,2 m. Nach Osten verschmälert sich der Keller zu einem Gang, der nach 2,3 m in die noch schmälere, gradläufig zum Hof hinaufleitende Treppe übergeht. Ein zweites, davon unabhängiges Keller­ gewölbe befindet sich unter dem Waschhaus, reicht aber noch etwa einen Meter unter dem Hof nach Süden. Auch das Hinterhaus besaß einen gewölbten Keller, der aber in der Nachkriegszeit zugeschüttet wurde. Im Erdgeschoß wird der Durchgang vom Tor zum Hof von 13 freiliegenden Deckenbalken überspannt. Sie sind der letzte sichtbare Bestandteil der alten Eingangshalle, deren Nordhälfte jetzt für Wohnzwecke abgetrennt ist. Die Treppe zum ersten Stock, die ursprünglich dort ansetzte, verläuft heute im Hof-Seitenflügel. Vom ersten bis zum dritten Stock ist jedoch der Aufgang an seiner ursprünglichen Stelle erhalten und weist barocke Balustergeländer auf (Bild 6). Die Wohnung des zweiten Obergeschosses birgt als besonders wertvollen Bestandteil des Hauses eine Rokoko-Stuckdecke aus der Zeit um 1750 (Bild 9). Sie überspannte ursprünglich mehr als 6 m im Quadrat; heute ist sie durch eingezogene Wände auf drei Räume aufgeteilt und dort, wo sie in den jetzigen Flur hineinragt, abgeschlagen. Dargestellt ist in der Mitte der Vogel Phönix, umgeben von einem Kranz aus Muschelwerk und Blumen. Um diesen zieht sich ein zweiter, ähnlicher Kranz, der durch vier Blumenranken mit dem ersten ver­ bunden ist. Den äußeren Abschluß bildet ein rechteckiger Rahmen mit Kar­ tuschen. Die Formen dieser bemerkenswerten Arbeit sind durch oftmaliges Überstreichen sehr verflacht; unter der Tünche ist jedoch, wie private Frei­ legungsversuche vor einigen Jahren gezeigt haben, sogar noch die ursprüng­ liche Farbigkeit erhalten. 174 Nicht unterkellert ist lediglich der westlichste Streifen des Hauses. Außerdem scheint die (im Vergleich zum Haus etwas schmälere) Tonne nicht ganz mittig zu liegen, so daß auch am Südrand ungefähr 1 m der überbauten Fläche nicht unterfahren ist.

76

MVGN 61 (1974)

Jamnitzerhaus

In der gleichen Wohnung trägt eine zweiflügelige Tür mit geschwungenen Füllungen ein altes Schloß auf geschraubt (Bild 10). Der Schloßkasten ist mit durchbrochenen und gravierten Rocaillen verziert. Der oberste Dacherker im Spitzboden des Hauses umschließt einen wenig veränderten Raum von etwa 4,7 mal 3,2 m Grundfläche (Bilder 11 und 12). Seine Fach Werkkonstruktion ist seit einigen Jahren freigelegt und gestrichen, so daß ein geradezu wohnlicher Eindruck entsteht. Der Blick von dieser Höhe aus ist faszinierend 175. Erheblich stärkere Veränderungen als das Haus hat der Hof erlitten. Seine Begrenzung bildet im Süden eine Mauer 176, im Osten das Haupt-, im Westen das Rückgebäude und im Norden ein Verbindungsflügel zwischen beiden Häu­ sern. Dieser ursprünglich zwei- bzw. dreistöckige Flügel (Bilder 20 und 21) ist nach dem Abbruch von 1964 nur noch mit einem Obergeschoß aufgebaut wor­ den. Vor dem dort befindlichen offenen Verbindungs gang stehen 26 Baluster und 3 Postamente der früheren Hofarchitektur in einem neuen Geländer (Bild 7). Die Postamente zeigen Fachwerkschnitzerei in der Art des östlichen Haupterkers (um 1550—1580). 13 weitere Baluster und ein Postament sind in die Treppe zum ersten Obergeschoß eingebaut177. Das Hinterhaus, obwohl fast in seiner ganzen Substanz alt, läßt nach Auf­ stockung und Verputz 1964 äußerlich keine historischen Merkmale mehr er­ kennen. Vorher lag die Fachwerkkonstruktion der ganzen Südseite frei (Bild 23), wobei oben einfache Rechteckgefüge, in der Mitte K-Streben und unten abgeschnittene Verblattungen (vgl. Bild 20) auf traten. Im Inneren sind die alten Spunddecken inzwischen alle unter Putz verschwunden, nur im Erdgeschoß hat sich eine freistehende hölzerne Säule von etwa 40 cm Durchmesser erhal­ ten, die mit einem originell gestalteten Kapitell und mit seitlichen Stützvoluten einen Unterzugbalken trägt (Bild 8). Sie muß zu den bemerkenswertesten Stücken dieser Art in der Altstadt gezählt werden. Das gesamte Anwesen ist heute in 11 Wohneinheiten aufgeteilt; davon be­ finden sich 6 im Vorderhaus und 5 im Rückgebäude. 1973 lebten darin 15 Mieter. Im Adreßbuch werden drei Arbeiter- und drei Angestelltenberufe sowie zwei Selbständige und drei Rentnerhaushalte genannt178. Gastarbeiter befan­ den sich nicht im Haus, allerdings auch keine Kinder oder Jugendliche. Die Wohnungen wurden nach dem Krieg mehrmals verbessert und erneuert; sie 175 Erich Mulzer, Nürnberg, Hundert Bilderund hundertmal Geschichte, Nürnberg 1970: Bild 94. 176 Sie war ursprünglich drei Stockwerke hoch. In den fünfziger Jahren mußte sie wegen akuter Einsturzgefahr abgebrochen werden. 177 Dazu kommen noch vier der Länge nach halbierte Baluster, die auf moderne Stützen ge­ leimt wurden. Die Gesamtzahl der geretteten Baluster beträgt damit 41, während vor dem Abbruch der Hofgalerien noch 110 Baluster, 7 Postamente sowie 2 alte Säulen vorhanden waren (vgl. Bilder 20 und 21). 178 Adreßbuch 1973: Putzfrau, Bauarbeiter, Hilfsarbeiter; technischer Angestellter, Elektro­ techniker, Ingenieur; Druckereibesitzer, Vertreter; Rentner, Witwe (zweimal).

77

Erich Mulzer

besitzen heute sämtlich eigene Toilette und (außer im Rückgebäude) eigenes Bad. Ihre Vermietung hat bislang noch keine Schwierigkeiten bereitet. Das Innere des Hauses wirkt sauber und gepflegt. Der Gesamtzustand gibt derzeit zu keinen baulichen Bedenken Anlaß.

Die Bedeutung Wenzel Jamnitzers Es ist in diesem Rahmen unmöglich, die — schon lange fehlende — kunstgeschichtliche Monographie über den bedeutendsten Bewohner des Hauses nachzuholen 179. Hier können lediglich einige Umrisse gezogen werden, die aber vielleicht geeignet sind, die Person des Meisters schärfer als bisher zu profi­ lieren. Jamnitzer war kein geborener Nürnberger. Wie er aus seiner Heimatstadt Wien hierher gekommen ist, darüber gibt es keine einzige Nachricht. 1534 wurde er als etwa 25-jähriger in Nürnberg Meister; er heiratete hier und wohnte über 50 Jahre lang bis zu seinem Tode in dieser Stadt, die ihm alle erreichbaren Ehren zukommen ließ. Sein Schaffen wuchs aus der Nürnberger Goldschmiedekunst hervor, die damals schon seit Jahrzehnten neben der Augs­ burger die erste Stelle im Reich einnahm. Auch seine Familie blieb in Nürnberg verwurzelt; drei seiner Söhne wurden hier Goldschmiede, und sein Enkel Chri­ stoph Jamnitzer stieg noch einmal zu einem Nürnberger Künstler von über­ lokaler Bedeutung auf. Bewußter Bürger einer Stadt zu sein, ist stets eher Willensakt als Geburtsprivileg. In diesem Sinne besteht kein Grund, Jamnitzer anders zu behandeln als die Meister der vorherigen Generation, die zwar in Nürnberg geboren waren, aber doch vorwiegend von der Ausstrahlungskraft der Stadt hier gehalten wurden. Was man von Jamnitzer heute meist nur kennt, ist seine unübertreffliche Virtuosität in der Handhabung der technischen Mittel des Goldschmiedehand­ werks. Neudörfer berichtet, daß an seinen Arbeiten die „Blättlein und Kräut­ lein also subtil und dünn sind, dass sie . .. ein Anblasen wehig macht" 88. Diese Handfertigkeit paarte sich mit einer überschwenglichen Formenphantasie, die 179 Nach den kurzen Würdigungen durch Neudörfer (siehe Anm. 86) und Doppelmayr (siehe Anm. 186, dort Seite 160 f. und 205 f.) sind an neueren Biographien nur zu nennen: Die Artikel von Klaus Pechstein (in: Neue Deutsche Biographie; im Erscheinen), Max Franken­ burger (in: Thieme-Becker, Allgemeines Lexikon der bildenden Künstler, Band 18, Seite 369—374) und Edmund Braun (in: Nürnberger Gestalten aus neun Jahrhunderten, Nürn­ berg 1950; Seite 104—108). Eine eigenwillige Interpretation gibt darüber hinaus der Fran­ zose Albert Flocon (siehe Anm. 187). Die bisher umfangreichste Darstellung ist veraltet: Die Nürnbergischen Künstler geschildert nach ihrem Leben und ihren Werken, hrsg. von dem Vereine nürnbergischer Künstler und Kunstfreunde; III. Heft, Nürnberg 1928. — Vor­ wiegend mit dem Werk beschäftigt sich: Marc Rosenberg, Jamnitzer; Frankfurt 1920. Das dort fotografisch wiedergegebene Oeuvre wird genauer belegt in: Marc Rosenberg, Der Goldschmiede Merkzeichen; 3. Auflage, Band 3, Frankfurt 1925.

78

MVGN 61 (1974)

Jamnitzerhaus

in einer Zeit, in der die Gotik noch nachlebte und das Barock schon heraufzog, gang und gäbe war, die aber heute oft mehr gekünstelt als künstlerisch wirken mag. Damals freilich sicherte ihm dieses Können eine führende Stellung in ganz Deutschland: Er belieferte den Kaiserhof und stand mit zahlreichen Fürsten, geistlichen und weltlichen Herren in Geschäftsverbindung. Beim Besuch Maxi­ milians II. mußte er seine „Kunststücke" auf der Burg vorlegen 180, und Ru­ dolf II. ernannte ihn sogar zum Hofgoldschmied und setzte ihm eine jährliche Rente aus181; es ist dies neben Dürer der einzige Fall einer solchen kaiserlichen Gnade in der Nürnberger Kunstgeschichte. Aber geniales handwerkliches Können und gestalterische Phantasie (oder Phantastik) sind nur die Grundlagen der Bedeutung Jamnitzers. Man übersieht dabei den hohen Anteil an Neuem, der in seinem Werk zutage tritt. Er liegt nicht nur in der allgemeinen Durchsetzung der Renaissanceformen in der Nürn­ berger Goldschmiedekunst, sondern auch in Einzelheiten wie z. B. der Neigung zum Naturalismus im Detail, die ebenfalls auf italienische Vorbilder zurück­ geht. Ihre extreme Verwirklichung ist der (technisch sehr schwierige 182) Natur­ abguß von Tieren wie Eidechsen, Schlangen oder Würmern, für den Jamnitzer geradezu zum Spezialisten wurde, der wohl nur noch von dem gleichzeitigen französischen Keramiker Palissy erreicht wird183. „Was sie [= Jamnitzer und sein Bruder] aber von Thierlein, Würmlein, Kräutern und Schnecken von Silber giessen und die silbernen Gefässe damit zieren, das ist vorhin nicht erhöret worden", bestaunt schon Neudörfer das ihm Ungewohnte86. Der Realismus Jamnitzers konnte bis in die Nähe des Surrealismus geraten. 1969 fand im Fembohaus eine der bemerkenswertesten Ausstellungen der letzten Jahre statt: Sie stellte „Nürnberger Konstruktivisten des 16. Jahr­ hunderts" vor und verstand darunter Wenzel Jamnitzer, Hans Lencker und Lorenz Stoer 184. War es schon vom Titel her verblüffend, daß gerade drei manieristische Goldschmiede Analogien zur modernen Kunst lieferten, so zeigte eine Betrachtung ihrer Graphik, daß hier ein genialisches Spiel mit geometri­ schen Körpern getrieben wurde, das bei Jamnitzer trotz Rationalität der Kon­ struktion bis zu visionärem Erschrecken führen konnte. Jamnitzer freilich hat solche Arbeiten nicht als freie Kunstäußerung, sondern als Ausfluß seiner lebenslangen Beschäftigung mit Optik und Perspektive, die180 StAN, RV 8. Juni 1570 (Hampe Nr. 4272). Jamnitzer wird zusammen mit Lencker und dem Kaufmann Strolunz genannt; vgl. MVGN 16 (1904), Seite 81. 181 MVGN 43 (1952), Seite 86. 182 Vgl. dazu: Martin Trittermann, Der Jamnitzer-Guß. Manuskript 1954 (in der Stadtbiblio­ thek, Signatur 54.55 4°). 183 Ernst Kris, Der Stil „Rustique“. Jahrbuch der kunsthistorischen Sammlungen in Wien; Neue Folge, Band 1 (1926), Seite 137—208. 184 Jamnitzer, Lencker, Stoer. Drei Nürnberger Konstruktivisten des 16. Jahrhunderts. Aus­ stellung der Albrecht-Dürer-Gesellschaft im Fembohaus vom 20. April bis 1. Juni 1969 (Albrecht-Dürer-Gesellschaft, Katalog 11).

79

Erich Mulzer

ser großen Entdeckung der Renaissance, verstanden. Bereits Neudörfer berich­ tet, er habe „der Perspectiv und Messwerk einen grossen Verstand" 86, und Jamnitzer selbst schreibt 1568, daß er neben der Arbeit seine ganze freie Zeit seit 40 Jahren mit diesen Künsten hingebracht habe, und wenn sie ihn oft auch schwere und lange Wege geführt und ihn müde gemacht hätten, so sei seine große Begierde daran doch unablässig erhalten geblieben 185. Wie weit diese wissenschaftlichen Bemühungen mit der Gelehrsamkeit anderer Nürn­ berger Künstler und Humanisten, etwa mit Dürers theoretischen Arbeiten, in Zusammenhang stehen, kann hier nicht erörtert werden; sicher ist jedoch, daß Jamnitzer den Dürerschen Perspektivapparat verbesserte 186 und 1568 ebenfalls ein Buch über Perspektive, „Perspectiva Corporum Regularium", herausgab 187. Die darin enthaltenen (und in der oben erwähnten Ausstellung gezeigten) Ab­ bildungen wurden nach Jamnitzers Vorwort mit Hilfe eines ganz neuen, von ihm erfundenen Perspektivgeräts konstruiert, über dessen Arbeitsweise er je­ doch keine Angaben machte. Auch der berühmte französische Naturwissen­ schaftler Petrus Ramus, der ihn und Lencker 1570 persönlich besuchte, erhielt darüber keine Auskunft186. Schließlich soll es Jamnitzer und Lencker sogar gelungen sein, perspektivische Abbildungen ihrer Apparate durch „geritzte Tafeln" mit Farbe zu illuminieren, so daß die Illusionskraft der Bilder gerade­ zu Halluzinationen beim Beschauer hervorrief 188. Das wache wissenschaftliche Interesse Jamnitzers trat auch auf anderen Ge­ bieten hervor: Er lieferte unter seinen Goldschmiedearbeiten Entwürfe und Ausführungen mathematischer, physikalischer und astronomischer Instrumente. In Jamnitzers Haus stand außerdem „zu seinem und anderer Liebhaber Ver­ gnügen" ein besonderer Schreibtisch, als dessen Inhalt Doppelmayr Dutzende von Instrumenten wie Bussolen, Quadranten, Winkelmesser, Kompasse, astro­ nomische Uhren u. ä. aufzählt, die Jamnitzer „zum Theil als neu-ausgefundene [= erfundene] eigenhändig verfertigte" 189. Noch aus seinem Nachlaß kam eine „Wasserkunst" zum Vorschein, die es einem Mann erlaubte, ohne Anstrengung in einer Viertelstunde 8 Eimer Wasser zu schöpfen und zu heben 19°. 185 186 187

188

189 190

80

Wie Anm. 187, erste Textseite. Johann Gabriel Doppelmayr, Historische Nachricht von den Nürnbergischen Mathematicis und Künstlern, Nürnberg 1730; hier Seite 160 f. Perspectiva Corporum Regularium . .. durch Wentzeln Jamnitzer ... Anno MDLXVIII (5 Seiten Text sowie 50 Tafeln mit 164 Figuren, nach Zeichnungen Jamnitzers von Jost Amman gestochen). — Das Buch wurde mehrfach mit oder ohne Namensnennung nachge­ druckt. Letzte Faksimileausgabe: Albert Flocon, Jamnitzer, Orfevre de la rigueur sensible; Paris (mit ausführlicher Würdigung in französischer Sprache). Doppelmayr (wie Anm. 186), Seite 161; dort auch ein lateinisches Zitat aus Reisners Op­ tica, das übersetzt etwa lautet: „Nürnberger Goldschmiede haben ein außerordentliches Instrument erfunden, das die Kunst der Perspektive oder Szenographie auf glückliche Weise vollendet und dessen bemalter Innenteil in seiner Genauigkeit und seinen Verkürzungen so günstig angeordnet ist, daß der Anblick Halluzinationen hervorruft." Doppelmayr (wie Anm. 186), Seite 205—206. St AN, RV 8. Juli und 9. August 1586 (Frb. Nr. 115 und 116).

Historische Topographie im Bereich des Jamnitzerhauses Auf der linken Straßenseite ganz oben den Neubau Nr. 19 (früher „Spenglerhaus“, davor „Zum Rosenbusch“ und „Zum Einhorn“), dann Haus Nr. 17 (das Jamnitzerhaus, früher „Zu den Böcken“) und etwas verdeckt die Baulücke des ehemaligen berechtigten Beckenhauses Nr. 15. In dem folgenden, nur äußerlich modernisierten Kleinhaus Nr. 13 wohnte zur Jamnitzerzeit ein Schneider, während das im Barock umgebaute Anwesen Nr. 11 etwa dem Grundbesitz der Steinlinger (im 15. Jahrhundert) bzw. der Stockhamer (im 16. Jahrhundert) entspricht. Foto: Sammlung Mulzer

2

Eingangstor Die Türflügel stammen wohl aus dem 19. Jahrhundert. Eine sehr schöne barocke Gestaltung des Oberlichts ist erst seit dem letzten Krieg verschwunden (vgl. Abb. 16). Außerdem wurden in dieser Zeit die Schlagleiste und das abschließende Gesims der Tür in veränderter Form neu ge­ schaffen. — Das Bildnismedaillon der 1912 angebrachten Gedenktafel lehnt sich an die Dar­ stellung auf der Grabplatte (Abb. 3 5) an. Foto: Sammlung Mulzer

Gesamtansicht der Straßenfront Foto: Sammlung Mulzer

4

Rückseitige Dacharchitektur Die einheitlich komponierte Dacharchitektur ist der baulich markanteste Teil des Hauses. Auf der Hofseite wird der übliche große Aufzugserker (leider mit verputzter Brüstung) von ur­ sprünglich vier Gauben umrahmt, von denen jedoch die rechte untere fehlt. Darüber schiebt sich ein Aussichtserker mit Walmdach. Foto: Sammlung Mulzer

5

Straßenseitige Dacharchitektur Grundsätzlich von gleicher Art, jedoch durch den verzierten und geschnitzten Haupterker be­ sonders akzentuiert. Er ist seinen Detailformen nach zwischen 15 50 und 1580 anzusetzen; ob seine Schauseite mit der übrigen Dacharchitektur altersgleich ist, ist fraglich, aber nicht unmöglich. Foto: Sammlung Mulzer

Treppenaufgang im zweiten Stockwerk Die Treppe liegt hier noch an ihrer ursprünglichen Stelle. Das Geländer zeigt schön gedrechselte, schlanke Baluster und einen massigen Handlauf. Links unten ist in der nördlichen Grenzmauer des Anwesens eine Wandnische (wie in vielen alten Häusern) zu erkennen. Foto: Sammlung Mulzer

7

Hof und Hinterhaus

Abb. 7: Der letzte Rest der einst umfangreichen Hof­ architektur (vgl. Abb. 20 und 21). Der Gang wurde erst nach 1964 errichtet, wie schon die dünnen, glatt gesägten Stützbalken beweisen. Baluster und Postamente stammen noch vom alten Hof; doch sind vor allem die letzteren nicht sinngemäß verwendet, sondern einfach in die Brü­ stung eingestreut. Foto: Sammlung Mulzer

Abb. 8: hauses.

Hölzerne Stützsäule im Erdgeschoß des Hinter­ Foto: Sammlung Mulzer

Stuckdecke im zweiten Stockwerk In der Mitte der Vogel Phönix, umgeben von zwei Ringen aus Rocaillen, die durch vier Blüten­ ranken verbunden sind. Links und etwas außerhalb des oberen Bildrandes trennen heute Zimmerwände einen Teil der Decke ab. Foto: Sammlung Mulzer

Schloß an einer Zimmertür im zweiten Stockwerk Der Schloßkasten mit Drehgriff und Riegel trägt ein durchbrochenes und fein graviertes Deckblech in Rokokoformen.

poto. Sammlung Mulzer

Erkerraum im obersten Dachboden Im Aussichtserker befindet sidi ein ansehnlicher Raum mit Wänden in Fachwerkkonstruktion. Der eigentliche Dachboden wird durch eine Bretterwand davon abgetrennt. Foto: Sammlung Mulzer

Erkerraum im obersten Dachboden Derselbe Raum, jedoch in Richtung zum hofseitigen Fenster. Die kleine Öffnung nach Süden (die für astronomische Beobachtungen sehr wichtig wäre) wurde erst nachträglich eingebrochen. Foto: Sammlung Mulzer

Historische Fotografien des Jamnitzerhauses Abb. 13: Von Norden, 1909. — Abb. 14: Von Süden, am 1. Oktober 1944 (letztes Bild vor den Luftangriffsschäden). — Abb. 15: Unterteil mit Laden, 1909. — Abb. 16: Haustür, 1916. Fotos: Bildstelle des Hauptamtes für Hochbauwesen

Schwere Schäden beim Luftangriff am 3. Oktober 1944

Abb. 17: Albrecht-Dürer Straße von Norden. Das Spenglerhaus ist nach einem Sprengbombentreffer bis zur Oberkante des Erdgeschosses eingestürzt. Die Brandmauer zum Jamnitzerhaus liegt frei, hat aber (im Gegensatz zur Giebelmauer des nördlich angrenzenden Gebäudes) standgehalten.

Abb. 18 : Dieselbe Schadens­ stelle von Süden gesehen; am linken Bildrand das Jamnitzerhaus. Der weiße Strich kennzeichnet die Lage des Luffschutzraumes (LSR). Da das Schaufenster bereits durch einen Holzeinbau ver­ kleinert ist, muß das Haus schon vorher Glasschäden erlitten haben. Fotos: Bildstelle des Hauptamtes für Hochbauwesen 18

Die Gegend des Jamnitzerhauses in der Nachkriegszeit Aufnahme 14. Dezember 1949. Das Jamnitzerhaus steht in ungepflegtem Zustand inmitten von Trümmern. Die Ruine des Spenglerhauses ist teilweise überdeckt und gesichert. Vom Bäcker­ haus ist nur die ausgebrannte Sandsteinfront übriggeblieben; sie wurde jedoch bald ebenfalls abgebrochen. Fotos: Bildstelle des Hauptamtes für Hochbauwesen

Abb. 20/21: Ursprüngliches Aussehen des Hofs mit zweistöckiger Balustergalerie und einem 1909 aufgesetzten Gang. Abb. 22: Einsturzgefahr und Abbruch der Hoftrennmauer bei Bauarbeiten auf dem nörd liehen Nachbargrundstück. Die Galerien stehen noch. Aufnahme 13. März 1964. Abb. 23:

Südwand des Hinterhauses bis 1964. Heute aufgestockt und verputzt.

Hof und Hinterhaus vor den Veränderungen 1964 Fotos: Bildstelle des Hauptamtes für Hochbauwesen

22

Q>tfuU Nim «i

25

Besitzer und Bewohner des Jamnitzerhauses Abb. 24: Martin Glück, Prokurator, Besitzer des Hauses von 1505 bis 1529, mit seiner Frau Ursula, geb. Ketzel. Nach einem etwa 50 Jahre später angefertigten Stammbaum im Germani­ schen Nationalmuseum (Signatur Gm 582). Foto: Germanisches Nationalmuseum Abb. 25: Jamnitzers Frau Anna, geb. Braun­ rauch, im Alter von 54 Jahren. Kupferstich un­ bekannter Hand im Germanischen National­ museum. Foto: Sammlung Mulzer

26

Abb. 26: Georg Friedrich Schwarz, Kaufmann, Besitzer des Hauses von 1827 bis 1830. Kupfer­ stich von C. W. Bock 1804 im Stadtmuseum Fembohaus. Foto: Museen der Stadt Nürnberg

27

Wenzel Jamnitzer Dargestellt mit einem vierarmigen Stechzirkel und einem Skalen-Meßstab (zur MetallgewichtsBestimmung). Auf dem Tisch u. a. eine Statuette und die dazugehörige Entwurfszeichnung; im Hintergrund eine Vase mit künstlichen Blumen aus Silberblech. Das unsignierte Gemälde wird nunmehr allgemein Nikolaus Neufchatel zugeschrieben. Es kam 1600 gegen 50 Gulden Verehrung von Hans Jamnitzer an den Rat und hing dann im Rathaus, bis es während der französischen Besetzung 1801 requiriert und 1802 dem damaligen fran­ zösischen Provinzmuseum Genf überwiesen wurde. Dort befindet es sich heute noch. Literatur; Münchner Jahrbuch der bildenden Kunst, 3. Folge, Band 17 (1966), Seite 112—113. Foto; Musee d’Art et d’Histoire, Genf

Einige der im Jamnitzerhaus entstandenen Goldschmiedearbeiten: Kaiserpokal (Abb. 28), jetzt Kunstgewerbemuseum Berlin; Nautiluskanne (Abb. 29) und Schmuckkassette (Abb. 31), beide jetzt Residenzmuseum München; Tuchersche Doppelscheuer (Abb. 30), jetzt Stadtmuseum Tucherschlößchen Nürnberg.

32

Jamnitzers Tätigkeit in seinem Haus Abb. 32: Jamnitzer an dem von ihm konstruierten Perspektivapparat. Kupferstich wohl von Jost Amman im Stadtmuseum Fembohaus. Foto: Museen der Stadt Nürnberg

Abb. 33: Eigenhändige Unterschrift Jamnitzers auf einem Geschäftsbrief 15 56. Staatsarchiv Nürnberg, Signatur Rep. 54 a", Nr. 441, Prod. 1/2.

eT

f j

Foto: Staatsarchiv Nürnberg 33

mmmWmßZZRJVND AVGH SEIN %WI»^ilÄÄM'/TTR'WIDKJND

P®iÄÄf^ STO^I G-i$R ■■.. E^R@M ^)MR AiiGEF&BER.T fAP. .

^^SWi®ST 25. 3. 1597 N. Goldschmiedwitwe ,in der Judengass', Tochter des Jorg Hertz, Bürger in N., f 1537. Kinder: 8, alle in St. Sebald getauft. 1. Paulus

23. 4. 1545 N.,

2. Georgius 3. Sibylla

17. 4. 1546 N., 3. 11. 1547 N.,

4. Bartel

22. 12. 1548 N.,

5. Barbara 6. Albrecht

10. 3. 1550 N., 23. 8. 1551 N.,

7. Sabina

14.12. 1552 N.

Goldschmied, gibt 1581 das Bürgerrecht in Nürn­ berg auf. 1589 u. 1591 in Danzig. ° 21. 4. 1597 N. ,in der Schustergass gegen d. Gemsenthal am alten Weinmarkt', oo 29. 10. 1578 Jörg Reuter, von Straubing, Rechen­ meister in N. o 19. 10. 1596 N., Gold­ schmied N. (vgl. III 3.) ° 2. 6. 1570 N. 1571—1582 Kürschner­ geselle, gibt 1582 das Nürnberger Bürgerrecht auf. oo (1586) Conrad von Bergen.

8. Margaretha [* unbekannt]

124

oo(l586) Jörg Felbinge r.

MVGN 61 (1974)

Stammfolge Jamnitzer

III. 1. Johannes/Hans Jamitzer, Goldschmied in Nürnberg, Meisterstück 30. 11. 1561, Genannter 1596—1603, Eisengraber 1569, kauft am 4. 8. 1602 Haus am Ponersberg bei dem gelben Löwen, —19. 9. 1539 N.,