Menschenverständnis und Gottesverständnis im Alten Testament: Gesammelte Aufsätze [1 ed.]
 9783788731786, 9783788730628, 9783788730635

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Andreas Wagner

Menschenverständnis und Gottesverständnis im Alten Testament Gesammelte Aufsätze 2

2017

Vandenhoeck & Ruprecht © 2016, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783788730628 — ISBN E-Book: 9783788730635

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. ISBN 978-3-7887-3063-5 Weitere Angaben und Online-Angebote sind erhältlich unter: www.v-r.de © 2017, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Theaterstraße 13, D – 37073 Göttingen / Vandenhoeck & Ruprecht LLC, Bristol, CT, U.S.A. www.v-r.de Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Umschlaggestaltung: Grafikbüro Sonnhüter, www.sonnhueter.com Satz: Volker Grunert, Heidelberg © 2016, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783788730628 — ISBN E-Book: 9783788730635

Hans-Peter Mathys zum 65. Geburtstag

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Vorwort

Menschenverständnis und Gottesverständnis hängen im Alten Testament auf das Engste zusammen. Im Auslegungsprozess werden dabei mehrfache Brechungen und Ebenen deutlich: So geht es etwa um die Beeinflussungen aller Gottesaussagen durch Analogien und Abgrenzungen, die von den verschiedenen Vorstellungen über menschliche „anthropologische“ Grundtatsachen geprägt sind: Das additivaspektive Zusammenspiel der Körperteile Gottes wird ähnlich gedacht wie das Zusammenspiel der Körperteile bei Menschen (oder anderen Lebewesen), das wäre eine solche Analogie. Das Ensemble der für die Darstellung ausgewählten Körperteile ist dann wiederum nicht identisch, so lassen sich Körper Gottes und Körper der Menschen voneinander abgrenzen. Dies herauszuarbeiten ist für den gesamten Verstehensprozess der Texte, Menschen- wie Gottesverständnis eingeschlossen, entscheidend. Doch nicht nur die Aufeinanderbezogenheit inneralttestamentlicher Vorstellungen zu Gott und Mensch ist entscheidend, auch die Andersartigkeit solcher Vorstellungen im Vergleich mit anthropologischen Prägungen späterer Zeiten muss bei der Untersuchung von Menschenverständnis und Gottesverständnis im Alten Testament berücksichtigt werden. Wenn wir vom Menschenverständnis der Gegenwart ausgehen und dieses in die alttestamentliche Interdependenz von Menschen- und Gottesverständnis hineinspiegeln, dann werden alttestamentliche anthropologische wie theologische Aussagen verzerrt. Die Aufsätze dieses Bandes zeigen das Eintauchen in das oben kurz skizzierte Themenfeld von verschiedenen Seiten und verschiedenen Ansätzen. Sie bilden insgesamt keinen Systemzugang ab, aber sie zeigen, so hoffe ich, von verschiedenen Perspektiven und Ansätzen her Denk- und Analysemöglichkeiten auf, die für das untrennbar zusammenhängende Gebiet der Anthropologie und Theologie im AT hilfreich sind.

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VIII

Vorwort

An dieser Stelle möchte ich den vielen am Zustandekommen des Buches beteiligten Personen und Institutionen danken: – Dr. (des.) Katrin Müller für die Erlaubnis, unseren gemeinsamen Aufsatz erneut abzudrucken; ebenso den Verlagen und den Inhabern der Bildrechte für die Erlaubnis des Wiederabdrucks; – der Theologischen Fakultät der Universität Bern für die guten Arbeitsmöglichkeiten, die sowohl die Entstehung der einzelnen Aufsätze wie nun auch des Sammelbandes befördert haben; – den wissenschaftlichen Hilfskräften und Werkbeauftragten Daniel Benz, Rahel Balmer, Janine Liechti, Claudia Miller sowie Dr. Anna Zernecke, Assistentin am Institut für Bibelwissenschaft, die bei der Druckvorlagenerstellung beste Arbeit geleistet haben; ganz besonderer Dank geht an Volker Grunert, der das Manuskript erstellt und die Fäden zusammengeführt hat; – und nicht zuletzt Volker Hampel für die grossartige Betreuung des Werkes von Seiten des Neukirchener Verlages. Die Aufsätze sind der Form nach weitgehend so belassen, wie sie vom Erstpublikationsorgan gefordert war. Das betrifft vor allem die Art und Weise der Gestaltung der bibliographischen Angaben, der Fußnoten, der Abkürzungen für biblische Bücher, der Umschrift usw. Korrigiert wurden Druckfehler; mit „im Druck“ o.ä. angekündigte Literatur, die inzwischen erschienen ist, wurde nachgetragen. Um ein einheitliches Erscheinungsbild zu erreichen, wurden die Kapitälchen bei Autorennamen, die in einigen Erstpublikationsfassungen stehen, getilgt, die graphischen Gestaltungsmittel teilweise vereinheitlicht. Die verwendete Literatur ist im Literaturverzeichnis am Ende des Buches zusammengefasst. Das Buch ist Prof. Dr. Hans-Peter Mathys (Basel) gewidmet; er hat mit seinen Forschungen etliche meiner Studien angeregt und vielfältig mein Wirken gefördert. Sein 65. Geburtstag in diesem Jahr ist ein schöner Anlass, ihm mit dieser Widmung herzlich Dank dafür zu sagen. Ad multos annos! Bern, im Herbstsemester 2016

Andreas Wagner

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Inhalt

ZUR EINLEITUNG

Anthropologie(n) des Alten Testaments im 21. Jahrhundert ................. 3 Wider die Reduktion des Lebendigen Über das Verhältnis der sog. „anthropologischen Grundbegriffe“ und die Unmöglichkeit, mit ihnen die alttestamentliche Menschenvorstellung zu fassen ..... 15

MENSCHENKONZEPT DES AT

Mensch (AT) ........................................................................................................37 Das Menschenkonzept des Alten Testaments ............................................45 KÖRPER – KÖRPERBEDEUTUNG – SYNTHETISCHE KÖRPERAUFFASSUNG

Das synthetische Bedeutungsspektrum hebräischer Körperteilbezeichnungen ................................................................................. 71 Mit Katrin Müller: Das Konzept der synthetischen Körperauffassung in der Diskussion.......................................................................... 83 Körper im Alten Testament ...........................................................................103 Körperteile ..........................................................................................................123 Zentrale Körperteile: Kopf, Arm und Hand .............................................133

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X

Inhalt SINNE

Essen im Alten Testament – einige kultur-anthropologische Überlegungen .................................................................................................... 153 „Wie ein Duft von Myrrhe, Weihrauch und allerlei Gewürz“ Riechen, Duft und Gerüche im Alten Testament .................................................... 165

ANTHROPOLOGIE UND THEOLOGIE

Die Gottebenbildlichkeitsvorstellung der Priesterschrift zwischen Theomorphismus und Anthropomorphismus .......................................... 177 Verkörpertes Herrschen Zum Gebrauch von „treten“/„ herrschen“ in Gen 1,26 –28 ..................... 199

Das Böse im Gefüge prophetischer Anthropologie und Theologie ..215 ANTHROPOMORPHISMUS

Menschenkörper – Gotteskörper ..................................................................241 Der Mensch als ‚Bild‘ Gottes und das ‚Bild‘ Gottes im Alten Testament ............................................................................................... 273 Die Gestalt Gottes und der Mensch im Alten Testament .....................287 ANHANG

Literatur ...............................................................................................................317 Bibelstellen .........................................................................................................343 Bildnachweise ....................................................................................................347 Nachweis der Erstveröffentlichungen ........................................................349

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Zur Einleitung

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Anthropologie(n) des Alten Testaments im 21. Jahrhundert

1.

Der Rhythmus anthropologischer Diskurse

Anthropologie boomt – nicht nur in der alttestamentlichen Exegese. Eine Rückschau auf die Forschungsbewegung im 20. Jh. zum Thema Anthropologie in den Wissenschaften überhaupt zeigt deutliche Rhythmisierungen: Die großen Auf- und Umbrüche in der europäisch geprägten Welt gehen seit Jahrhunderten mit dem Neuentwurf von „Menschenbildern“ einher. „Und besondere Konjunktur haben ‚Anthropologien‘, seit zu Beginn des letzten Jahrhunderts essentials der Weltorientierung (Neuaufbrüche in der Physik, neue politische Weltbilder, neue Weltordnungen durch und nach dem 1. Weltkrieg u. a. m.) weggefallen sind.1 Das hat sich in 30-40 Jahres-Abständen als Puls der Neuzeit fortgesetzt: Neuaufbrüche nach dem 2. Weltkrieg, in der 1968er Zeit,2 um die Jahrtausendwende vom 20. zum 21. Jahrhundert. Alle diese Pulsschlagzeiten sind mit neuen ‚anthropologischen Aufbrüchen‘3 verbunden. Was bei der Frage nach dem Menschen jeweils anders gesehen wurde, war zwar sehr verschieden, betraf aber in der Regel seine geistigen Fähigkeiten oder seine Stellung in der Welt, seine Aufgaben, sein Selbstverständnis u. ä. Am besten geben dies die vielen lateinischen Begriffsbildungen wieder, in denen das jeweils fokussierte Spezifikum des Menschen gefasst wird: Um den Menschen vom Tier zu unterscheiden, wird er häufig als Homo habilis verstanden, als Homo sapiens, auch als Homo creator, der eigenständig Dinge schaffen kann, als Homo symbolicus/grammaticus/loquens/pictor, der sprachliche und kulturelle Systeme zu entwerfen in der Lage ist; der Mensch hat die Fähigkeit, über sich selbst nachzudenken, ist also Homo excentricus. Er spielt (Homo ludens), lacht (Homo ridens), leidet (Homo patiens), ist manchmal unwissend (Homo insipiens), geschwätzig (Homo loquax). Von anderer Seite her werden seine Fähigkeiten 1 Die Umbrüche in Kunst, Literatur und Musik um den Ersten Weltkrieg sind augenfällig. In der Philosophie werden explizite anthropologische Studien vorgelegt, vgl. etwa die Arbeiten von Max Scheler (1874–1928), Helmuth Plessner (1892– 1985), Arnold Gehlen (1904–1976) und Ernst Cassirer (1874–1945). 2 Gadamer, Hans-Georg / Vogler, Paul (Hg.), Neue Anthropologie. 7 Bde., Stuttgart 1972–1975. 3 Diese Beobachtung hat auch zum Titel des nachfolgend genannten Sammelbandes geführt: Wagner, Andreas (Hg.), Anthropologische Aufbrüche. Alttestamentliche und interdisziplinäre Zugänge zur historischen Anthropologie (FRLANT 232), Göttingen 2009. © 2016, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783788730628 — ISBN E-Book: 9783788730635

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Anthropologie(n) des Alten Testaments im 21. Jahrhundert

und sozialen Verankerungen und Aufgaben herausgestellt: Der Mensch ist Homo faber, Homo laborans, Homo oeconomicus, Homo politicus und Homo sociologicus. Und er ist auch ein Homo metaphysicus und ein Homo religiosus.“4

Die unterschiedlichen Bestimmungsversuche über den Menschen führen in ganz verschiedene Richtungen und berühren sehr unterschiedliche Disziplinen und Forschungsfelder. In denkerisch-systemhafter Hinsicht kommen daher Anstöße zur Anthropologie aus Philosophie und Theologie,5 aber auch aus Linguistik,6 Literaturwissenschaften,7 Soziologie,8 Ökonomie9 und aus überdisziplinären Denkfeldern wie der Gender-10 oder Raum-Thematik11 und anderen Bereichen. In geschichtlicher und kulturanalytischer Hinsicht werden viele dieser „Systemanstöße“ dann historisch und kulturell weiterverfolgt, es werden Entwicklungsverläufe rekonstruiert, Gesamtentwürfe deund rekonstruiert, kulturelle Eigenarten gesucht, bestimmt und verworfen. Im Folgenden möchte ich einige Aspekte herausgreifen, die diese Forschungszugänge vom Blickwinkel der alttestamentlichen Anthropologie her genauer konturieren. Gleich zu Beginn sollte zunächst klargestellt werden, dass sich alttestamentliche Anthropologie nicht unabhängig vom allgemeinen Gang der anthropologischen Fragen in den Gesellschaften und Wissenschaften bewegen kann.

4 Wagner, Andreas, Menschenkörper – Gotteskörper, S. 241–272 in diesem Band [Erstveröffentlichung in: Ders. (Hg.), Göttliche Körper – göttliche Gefühle. Was leisten anthropomorphe und anthropopathische Götterkonzepte im Alten Orient und Alten Testament? (OBO 270), Fribourg/Göttingen 2014, 1–28] 242. 5 Vgl. Pleger, Wolfgang H., Handbuch der Anthropologie. Die wichtigsten Konzepte von Homer bis Sartre, Darmstadt 2013 [Lit.!]. 6 Vgl. Holzer, Jacqueline, Linguistische Anthropologie. Eine Rekonstruktion, Bielefeld 2005 [Lit.!]. 7 Vgl. Riedel, Wolfgang, Nach der Achsendrehung. Literarische Anthropologie im 20. Jahrhundert, Würzburg 2014. Als Beispiel aus dem historischen Bereich: Titzmann, Michael, Anthropologie der Goethezeit. Studien zur Literatur und Wissensgeschichte, hg. von Wolfgang Lukas und Claus-Michael Ort (Studien und Texte zur Sozialgeschichte der Literatur 119), Berlin (u. a.) 2012. 8 Vgl. Latour, Bruno, Existenzweisen. Eine Anthropologie der Modernen, Berlin 2014; Diaz-Bone, Rainer (Hg.), Soziologie der Konventionen. Grundlagen einer pragmatischen Anthropologie (Theorie und Gesellschaft 73), Frankfurt a. M. [u. a.] 2011. 9 Vgl. Carrier, James G. (Hg.), A handbook of economic anthropology, Cheltenham [u. a.] 2005. 10 Vgl. Davis-Sulikowski, Ulrike [u. a.] (Hg.), Körper, Religion und Macht. Sozialanthropologie der Geschlechterbeziehungen, Frankfurt a. M. [u. a.] 2001. 11 Vgl. Segaud, Marion, Anthropologie de l'espace. Habiter, fonder, distribuer, transformer, Paris 2008. © 2016, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783788730628 — ISBN E-Book: 9783788730635

Anthropologie(n) des Alten Testaments im 21. Jahrhundert

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2. Anthropologie des Seins und Anthropologien des Sollens im Alten Testament Das Interesse an der Beantwortung der Fragen nach dem Menschen, seinem Wesen, seinen Möglichkeiten, nach Bestimmungen und dem Sinn des Menschseins sind Grundfragen des Menschen, die immer nach Antwort suchen. Der Mensch will in den unterschiedlichsten kulturellen und historischen Bedingungen selbst wissen, was er ist, was er kann, wie er funktioniert, wo seine Möglichkeiten und Grenzen liegen, auch was er war und wie er sich verändert hat. Und schließlich was er soll, wozu der da ist und welche Aufgaben er in der Welt hat, in die er gestellt ist. Die Antworten auf diese Fragen finden sich zum einen reflektiert und explizit ausgedrückt in anthropologischen Positionen (Menschenbildern), meist in Form von Texten, aber auch in Bildern,12 Filmen oder Ähnlichem, das zu positionellem Ausdruck fähig ist. Häufig gehen solche explizit vorgelegten anthropologischen Positionen auf individuelle Entwürfe und Vorschläge zurück. Zum anderen sind die Antworten auf die im ersten Absatz genannten Fragen nach dem Menschen auch über lange Zeit in die häufig unbewussten epistemischen Strukturen des kulturellen Paradigmas einer Gesellschaft eingegangen oder haben sich implizit in Artefakten13 und Strukturen, in Wertvorstellungen und Normen, ja selbst in Raum-, Zeit-, Körper- und Emotionskonzepten u. ä. (im Einzelnen dazu s.u.) ausgeprägt. Typisch für diese Art von Prägungen ist Intersubjektivität bzw. Kollektivität. Beide, die positionellen wie die unbewussten Aspekte, sind dabei meist ineinander verschlungen. Geht man nun analytisch auf anthropologische Gegebenheiten einer Kultur und Gesellschaft zu, ist es meist hilfreich, diese beiden Frageperspektiven zu unterscheiden. Die positionellen und expliziten anthropologischen Äußerungen einer Kultur, Gesellschaft oder Zeit o. ä. bilden im anthropologischen Feld einen eigenen Gegenstand. Da sich diese expliziten Äußerungen häufig mit den Fragen des Sollens beschäftigen – wie der Mensch sein soll, wie man ihn sehen soll, was er tun soll usw. – kann hier von einer Anthropologie des Sollens gesprochen werden. Hier gibt es häufig auch innerhalb einzelner Kulturen verschiedene Auffassungen, 12 Beispiele für kunstbildliche anthropologische Entwürfe bietet die Kunstgeschichte in großer Zahl. Von Caspar David Friedrichs Der Mönch am Meer, in dem der winzige Mensch seinen Platz in der Welt der großen Natur hat, bis zu Picassos kubistischen Menschendarstellungen u. v. a. m. 13 Vgl. erste Ansätze von Fragen zur alttestamentlich-altorientalischen anthropologischen Bildinterpretation in: Wagner, Andreas, Gottes Körper. Zur alttestamentlichen Vorstellung der Menschengestaltigkeit Gottes, Gütersloh 2010, 53–100. © 2016, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783788730628 — ISBN E-Book: 9783788730635

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Anthropologie(n) des Alten Testaments im 21. Jahrhundert

daher meist einen Pluralismus von solchen Sollens-Anthropologien; auch für das AT verhält es sich so (s. u.). Eine andere Zielrichtung hat die Nachfrage nach Grundbedingungen, die die intersubjektive Auffassung über das Menschsein bestimmen; die stärker auf das Sein des Menschen ausgerichtet ist, ohne ihm sofort eine Aufgabe oder ein Sollen zuzuweisen oder eine reflektiert-explizite anthropologische Position einzunehmen. Dieses Sein umschließt die Vorstellungen vom Menschen selbst, seinen Bestandteilen (etwa Körper und Geist u. ä.) und ihrer genauen Beschaffenheit und reicht über die oben genannten häufig unbewussten Prägungen bis zu epistemischen Strukturen im individuellen und kollektiven Denken einer Kultur. Das Verständnis der Anthropologie des Seins einer Kultur ist von besonderer Bedeutung, weil dadurch ihre Lebenszeugnisse besser zu verstehen sind, der hermeneutische Gewinn ist eminent. Denkbar wäre, eine Anthropologie des Seins einer Kultur zu entwerfen und dabei das Element des Sollens ganz auszuklammern. Dann läge eine rein deskriptive Anthropologie vor. Eine Anthropologie des Seins dürfte auch meistens für eine Kultur zum Singular tendieren, anders als die positionellen Anthropologien des Sollens, weil hier stark kollektive Prägungen erhoben werden.14 Im Nicht-P-Erzählfaden der Fluterzählung wird die Ursache der Flut mit den Planungen des „Herzens“ in Zusammenhang gebracht (Gen 6,5). Damit ist sicher nicht eine bösartige Gesinnung oder ein schlechtes Gemüt gemeint, sondern, vor dem Hintergrund der Verbindung von „lēv und Rationalität“, die Fähigkeit des Menschen zum Denken, die, so die Grundauffassung von Nicht-P, immer wieder ins

14 Vgl. ähnliche Überlegungen und Beobachtungen zu diesen Blickrichtungen einer Anthropologie des Seins und des Sollens bei: Janowski, Bernd, Anthropologie des Alten Testaments. Eine Grundlegung, in: Wagner, Anthropologische Aufbrüche, 13–41, bes. 39–40; Janowski trennt (religions-, sozial- und mentalitätsgeschichtliche) Grundfragen des „Seins“ einerseits von der Frage nach Menschenbildern mit unterschiedlichen Aufgabenbestimmungen des Menschen („unterschiedliches Sollen“) der verschiedenen theologischen Literaturen des AT andererseits. Oorschot, Jürgen van, Zur Grundlegung alttestamentlicher Anthropologie – Orientierung und Zwischenruf, in: Ders. (Hg.), Der Mensch als Thema theologischer Anthropologie. Beiträge in interdisziplinärer Perspektive (BThSt 111), Neukirchen-Vluyn 2010, 1– 41, hält mit Blick auf Wolff fest, dass Wolff nur nach der explizit-positionellen Anthropologie fragt: „Einmal mehr erweist sich damit das eingangs benannte Auswahlkriterium (‚wo innerhalb der Texte selbst erkennbar nach den Menschen gefragt wird‘ [Wolff]) als zu unscharf. Es suggeriert eine Evidenz, die es nicht gibt. Der Satz ‚Das Kriterium für Sachgerechtigkeit liefern die alttestamentlichen Texte selber‘ [Wolff] verkürzt in seiner Absolutheit die hermeneutische Problematik.“ Das ist gut beobachtet, denn die unbewussten Prägungen und intersubjektiven Aspekte kommen bei Wolff nicht in den Blick. Vgl. dazu auch Anm. 19. © 2016, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783788730628 — ISBN E-Book: 9783788730635

Anthropologie(n) des Alten Testaments im 21. Jahrhundert

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Verderben führt.15 Um die menschliche Grundsituation nach Nicht-P zu verstehen, müssen wir die anthropologische Gegebenheit erkennen, dass das Herz in der alttestamentlichen-altorientalischen16 Welt auf die Rationalität zielt; dieser Zusammenhang von lēv und Rationalität ist aber keine spezifische Sollens-Aussage von Nicht-P, sondern anthropologische Grundvoraussetzung des gesamten AT, somit ein Aussage aus dem Bereich des „Seins“. Die spezifische Anthropologie von Nicht-P zielt dagegen auf etwas anderes, nämlich darauf, auf die gnadenhafte Hilfe Jahwes vertrauen zu lernen, die den Menschen trotz seiner zuweilen ins Chaos führenden Rationalität und Entscheidungsfreiheit immer wieder bewahren kann. Letzteres wäre das, was der Mensch nach Nicht-P tun „soll“, auf Jahwe vertrauen lernen. Im Schöpfungstext der Priestergrundschrift wird thematisiert, dass die Menschheit, so wie sie von Gott erschaffen wurde, mit Aufgaben betraut wird. Sie soll über die Schöpfung herrschen. Die Anthropologie des Sollens wird hier explizit formuliert; sie ist dabei in Grundaussagen über den Menschen eingebettet, etwa dass die Menschheit in sich „gleich“ und zunächst nicht weiter zu differenzieren ist als in männlich und weiblich. Sie kennt also keine Klassen, Stände, Kasten, Völker, Rassen, Hierarchien u. ä. kennt, dass allen Menschen die Eigenschaften des Kommunizierens und Handeln-Könnens zukommen, um mit anderen Menschen und mit Gott zu kommunizieren u. a. m.17 Beide anthropologischen Perspektiven, die des Seins und die des Sollens, sollten also unterschieden werden. Das ist nicht zuletzt deshalb wichtig, weil es diese Unterscheidung ermöglicht, die Frage nach Anthropologie und Anthropologien im AT – zumindest zum Teil – besser einzuordnen: Denn der Plural gilt vor allem den im AT in literarischer Form explizit vorgelegten anthropologischen Entwürfen und Positionen von P, Nicht-P, Jeremia, der Älteren Weisheit, Kohelets u. a. Hier ist eine Mehrzahl von Anthropologien zu greifen. Viele Aspekte der Anthropologie des Seins gelten dagegen übergreifend für alle/viele/mehrere dieser Positionen; sie sind häufig der longue durée18 unterworfen und verändern sich nur sehr langsam. 15 Greifbar ist die Bestimmung des Herzens als Denkorgan bes. seit Wolff, Hans Walter, Anthropologie des Alten Testaments, München 1973, 90–93 u. ö. Nicht anders in neuerer Literatur: Schroer, Silvia / Staubli, Thomas, Die Körpersymbolik der Bibel, Darmstadt 22005 (11998), 33–44. 16 Vgl. für Ägypten: Toro Rueda, Maria Isabel, Das Herz in der ägyptischen Literatur des zweiten Jahrtausends v. Chr. Untersuchungen zur Idiomatik und Metaphorik von Ausdrücken mit jb und ḥ3tj. Zugl. Dissertationsschrift, Universität Göttingen, 2004, http://hdl.handle.net/11858/00-1735-0000-000D-F260-3 (Stand: 30.03. 2015). 17 Vgl. Wagner, Gottes Körper, 167–181. 18 Zum Zusammenhang von longue durée und historischer/alttestamentlicher Anthropologie vgl. Wagner, Gottes Körper, 56. © 2016, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783788730628 — ISBN E-Book: 9783788730635

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Anthropologie(n) des Alten Testaments im 21. Jahrhundert

3. Inter- und Transdisziplinarität der Forschungsaufgaben alttestamentlicher Anthropologie(n), historisch-genetische und kontrastive Anthropologie Anthropologie allgemein wie auch die Anthropologie des AT – stehen in mehrfachen Disziplinen übergreifenden Beziehungen. 3.1 Die alttestamentliche Anthropologie im Sinne einer Beschreibung der Rahmenbedingungen der anthropologischen altisraelitischen resp. alttestamentlichen Kultur (Aspekte einer alttestamentlichen Anthropologie des Seins) als auch die im Rahmen dieser Kultur entfalteten Positionen (Anthropologien des Sollens) ist Teil einer „Menschheitsanthropologie“. 3.1.1 Hervorzuheben ist dabei zunächst das Moment des genetischhistorischen Zusammenhangs der Rahmenbedingungen und der Positionen. So sind etwa Grundauffassungen über den Menschen, die Israel mit anderen Kulturen der alten Welt teilt, wie bestimmte Funktionszuordnungen zu Körperteilen (Herz und Rationalität), nicht erst in Israel aufgekommen, sondern sie waren in den älteren Kulturen vorgeprägt.19 Alttestamentlich-anthropologische Grundbestimmungen beeinflussen wiederum die anthropologischen Konzepte der nachfolgenden Kulturen und Religionen, die sich in irgendeiner Weise auf das AT beziehen. Die Rezeptions- und Wirkungsgeschichte ist daher

19 Die Anthropologie von Wolff ist von dieser Fragedimension merkwürdigerweise so gut wie gar nicht bestimmt. Wolff interessiert in der Hauptsache, wie das AT selbst die Frage nach dem Menschen gestellt und beantwortet hat. Dies ist aus seinem methodischen Leitsatz erkennbar: „Biblische Anthropologie als wissenschaftliche Aufgabe wird ihren Einsatz dort suchen, wo innerhalb der Texte selbst erkennbar nach dem Menschen gefragt wird.“ Wolff, Hans Walter, Anthropologie des Alten Testaments. Mit zwei Anhängen neu herausgegeben von Bernd Janowski, Gütersloh 2010 (München 11973), 17. Wolff beschränkt seine Fragen also auf explizit ausgesprochene, vorhandene Sachverhalte. Als Erkenntnisziel formuliert er: „Mein Interesse ist durch die Frage bestimmt, wie im Alten Testament der Mensch zur Erkenntnis seiner selbst angeleitet wird.“ Wolff, Anthropologie des Alten Testaments, a .a. O., 5. Von dieser Grundorientierung ist nicht nur Wolffs Arbeit geprägt. Auch spätere Abhandlungen sind von diesem Grundsatz geleitet, vgl. etwa: Schmidt, Werner H., Einführung in das Alte Testament, Berlin / New York 51995, § 32 Vom Verständnis des Menschen, 394: „Bei der Breite des Spektrums und bei aller Vielfalt der Stimmen ist das Alte Testament nur in einem eindeutig; es bedenkt den Menschen ‚vor Gott‘.“ In der Formulierung „es bedenkt“ finden wir das Wolffsche Prinzip der expliziten Frage nach dem Menschen wieder. Entwicklungen und implizite anthropologische Rahmenbedingungen werden nicht angesprochen. © 2016, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783788730628 — ISBN E-Book: 9783788730635

Anthropologie(n) des Alten Testaments im 21. Jahrhundert

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häufig ebenso interessant wie die Vorgeschichte.20 Sowohl die auf das AT hinführende als auch die von ihm ausgehende geschichtliche Entwicklung erlauben uns, die Gegebenheiten der alttestamentlichen Anthropologie als Stationen geschichtlichen Werdens und sich Entfaltens besser zu verstehen. Bei diesem Bemühen sind daher für die alttestamentliche Anthropologie die vorausgehenden und benachbarten Kulturen (die Kulturen der Alten Welt um das östliche Mittelmeer, Ägypten und Mesopotamien) wichtig. Gleiches gilt für die sich im engeren Sinne an das AT anschließenden Rezeptionslinien des jüdisch-christlichen wie des islamischen Kontextes sowie aller davon bestimmten Kulturen.21 Alttestamentliche Anthropologie ist also genetisch-historisch in die „Menschheitsanthropologie“ eingebunden und profitiert vom interdisziplinären Austausch der entsprechenden Fächer, die diesen historisch-genetischen Zusammenhang bearbeiten. Sie ist dabei selbst ein Stück der Menschheitsanthropologie. Aus sachlichen Gründen muss sie daher ihren Platz in einer entsprechenden Gesamtbeschreibung finden und mit allen Disziplinen zusammenarbeiten, die eine solche Gesamtbeschreibung von den Teilen her oder von einer umfassenden Beschreibung her anstreben.22 Dies könnte zunächst bedeuten, die anderen theologischen Fächer einzubeziehen. Kooperationen mit dem NT liegen auf der Hand, auch mit Systematik und Ethik sind Verbindungen schnell geschlossen. Aber ebenso interessant wäre auch eine Verschränkung mit den Nachbardisziplinen aus dem Bereich der Erforschung der alten Welt sowie mit philosophischen, soziologischen, ethnologisch-sozialanthropologischen u. a. Fragestellungen, die auch anthropologisch-universale Systemreflexionen einbringen. 3.1.2 Neben dieser historisch-genetischen Einbindung zeigen sich alsdann in den Sachgehalten alttestamentlich anthropologischer Gegebenheiten und Positionen realisierte Möglichkeiten aus der potenziell unendlichen Fülle von anthropologischen Konzepten; insofern kann alttestamentliche Anthropologie auch mit anthropologischen Sachverhalten fernabliegender Kulturen verglichen werden – auch 20 Vgl. Rösel, Martin, Die Geburt der Seele in der Übersetzung. Von der hebräischen „näfäsch“ über die „psyche“ der LXX zur deutschen „Seele“, in: Wagner (Hg.), Anthropologische Aufbrüche, 151–170. 21 Wie stark diese Perspektive derzeit in den Vordergrund rückt, zeigt die wissenschaftliche Großunternehmung EBR 1ff. (2009ff.). 22 In systematischer Hinsicht gibt es den Versuch einer Gesamtbeschreibung der Anthropologie der Gegenwart etwa in dem o. g. Werk von Gadamer/Vogler, Neue Anthropologie; in historischer Hinsicht ist ein solcher Versuch bisher noch nicht unternommen worden. © 2016, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783788730628 — ISBN E-Book: 9783788730635

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solchen, bei denen keine genetisch-historische Berührung vorausgesetzt werden kann. Diese Betrachtungsperspektive kann als kontrastiv bezeichnet werden, ähnlich wie in der Linguistik, wo Sprachen, die sich historisch-genetisch nicht berühren, auf Ähnlichkeiten und Unterschiede hin befragt werden können.23 Das ermöglicht bei der Betrachtung aller entsprechenden Phänomene auch interessante Beobachtungen auf globaler Ebene. So hat sich etwa als anthropologisch universales Phänomen gezeigt, dass Körperteile und mit ihnen verbundene Funktionen in allen Kulturen und Sprachen vorkommen (s. u.), auch wenn die Funktion, die einem Körperteil aufgrund einer kulturell spezifischen anthropologischen Gegebenheit zugeordnet wird, sehr verschiedenen sein kann. Oder es zeigen sich im kontrastiven Vergleich interessante Beobachtungen im Bereich von Gefühlen und Emotionen.24 Kunio Nojima hat mit seiner Publikation Ehre und Schande in Kulturanthropologie und biblischer Theologie eine solche Untersuchung vorgelegt.25 Er vergleicht Konzepte von „honor“ und „shame“ aus Japan und China, aus Griechenland und Rom sowie aus dem AT und NT. Auch wenn in solchen Forschungsbemühungen noch viel Tastendes liegt und sofort das Problem der Beschreibungsmethodik, der Sprach- und Analysekategorien u. a. m. in den Vordergrund tritt, so ist doch die Fragestellung hilfreich und faszinierend: Mit Hilfe des Kontrastierens lassen sich die jeweiligen Konzepte profilieren und besser verstehen. 3.2 In einer zweiten grundlegenden Hinsicht sind wir im Bereich der Anthropologie auf Interdisziplinarität angewiesen, nämlich bei den methodischen Zugängen. Auch hier kann das Zusammenspiel mit anderen Arbeitsweisen sehr fruchtbringend sein. Ich möchte das an einigen Beispielen erläutern. 3.2.1 Eng bezogen auf alttestamentliche Körpermetaphorik sprechen wir in der Nachfolge von H. W. Wolff häufig vom „Synthetischen Körperverständnis“ als Eigenart des Hebräischen und anderer 23 Vgl. Tekin, Özlem, Grundlagen der Kontrastiven Linguistik in Theorie und Praxis, Tübingen 2012. 24 Vgl. Wagner, Andreas, Emotionen, Gefühle und Sprache im Alten Testament. Vier Studien. (KUSATU 7), Kamen 22011; Köhlmoos, Melanie, „Denn ich, JHWH, bin ein eifersüchtiger Gott.“ Gottes Gefühle im Alten Testament, in: Wagner, Andreas (Hg.), Göttliche Körper – göttliche Gefühle. Was leisten anthropomorphe und anthropopathische Götterkonzepte im Alten Orient und Alten Testament? (OBO 270), Fribourg und Göttingen 2014, 191–217; Müller, Katrin, Lieben ist nicht gleich lieben. Zur kognitiven Konzeption von Liebe im Hebräischen, in: Wagner (Hg.), Göttliche Körper – göttliche Gefühle, 219–237. 25 Nojima, Kunio, Ehre und Schande in Kulturanthropologie und biblischer Theologie, Wuppertal 2011. © 2016, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783788730628 — ISBN E-Book: 9783788730635

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altorientalischer Kulturen. Es ist nun sehr hilfreich, den Blick auf die Nachbarkulturen und die entsprechenden Disziplinen auszuweiten sowie auf universale Fragestellungen und Methoden auszugreifen, um das Phänomen schärfer zu fassen. In einem größeren Symposium, in dem etliche dieser sachlichen und methodischen Perspektiven zur alttestamentlichen Diskussion hinzugezogen werden konnten, wurde deutlich, dass sich in den Kulturen um das AT herum ein ähnlich synthetisches Verständnis wie das in der alttestamentlichen Anthropologie beschriebene findet. Fach-Kolleginnen und Kollegen haben das für das außeralttestamentliche Hebräische, für das Aramäische, Ugaritische, Akkadische, Ägyptische, Hethitische und Arabische offengelegt.26 Aber im Verlauf dieser Einzelanalysen und ihrer Diskussion ist auch zutage getreten, dass die Annahme der „Kultureigentümlichkeit“ dieses Phänomens präzisiert werden muss. „Synthetisches Denken“ ist nicht nur ein Phänomen der semitischen, sondern auch der indogermanischen Sprachen und Kulturen (Hethitisch, Griechisch), ja ein Phänomen der Sprachen der Welt überhaupt. Vor allem im Zusammenspiel mit der kognitiven Linguistik, die das Phänomen des „Synthetischen Denkens“ als Metonymie-Problem versteht, ist deutlich geworden, dass es solche Körpermetonymien als universales Phänomen in nahezu allen beschriebenen Sprachen und Kulturen gibt und viele dieser Körper-Wendungen problemlos übersetzbar sind.27 Die Möglichkeit des Einsetzens eines Körperteiles für dessen Funktion allein ist daher noch kein Spezifikum etwa des Hebräischen. Kulturspezifisch ist dagegen zum einen die Verbindung von Organ bzw. Körperteil und einer bestimmten Funktion, etwa die Tatsache, dass im Hebräischen „Rationalität“ und „lēv“ eine enge Verbindung haben, während es in anderen Kulturen der Kopf oder das Gehirn ist, mit dem das Denken verbunden ist. Kulturspezifisch ist zum anderen die Tatsache, dass in einer Sprache bestimmte Formulierungen dominieren bzw. nur bestimmte möglich sind. Im Hebräischen etwa dominieren auch für funktionale Aussagen sprachliche Wendungen mit Körperwörtern, weil das Hebräische für viele Funktionen keine Abstrakta kennt. Können keine Abstrakta angewendet werden, bleiben viele Aussagen wegen der Mehrdeutigkeit der Körperwörter körperbezogener. Aus dem Einbeziehen anderer „Methoden“ und Ergebnissen, die mit diesen Methoden erzielt wurden, folgt 26 Vgl. die Beiträge in: Müller, Katrin / Wagner, Andreas (Hg.), Synthetische Körperauffassung im Hebräischen und den Sprachen der Nachbarkulturen (AOAT 416), Münster 2014. 27 Vgl. Müller, Katrin / Wagner, Andreas, Das Konzept der synthetischen Körperauffassung in der Diskussion, in: Müller/Wagner (Hg.), Synthetische Körperauffassung, 223–238, bes. 233–238. © 2016, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783788730628 — ISBN E-Book: 9783788730635

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ein genaueres Hinsehen und präziseres Formulieren der Spezifika des Gegenstands. 3.2.2 Es finden sich etliche weitere Themen, Denkfelder und Methoden, die aus verschiedenen Disziplinen gespeist werden und Anregungen für Forschungen im Feld der Anthropologie geben können. Mit starken Anregungen aus der Soziologie28 lernt die gesamte wissenschaftliche community gerade, dass Kategorien wie z. B. der „Raum“ im Laufe der Zeit ganz eigene kulturelle Prägungen erfahren haben.29 Die Mechanismen des Zustandekommens solcher Raumkonzeptionen, die Analysemöglichkeiten, das Raumverständnis zu erfassen, können nicht aus dem exegetischen Methodenschatz allein entwickelt werden. Hier ist also Interdisziplinarität gut und hilfreich. 3.2.3 Die eben dargestellte Überlegung geht über in die letzte, die ich hier anführen möchte: Jede Form der Anthropologie des AT geht mit der Forschungsbewegung der „Historischen Anthropologie“ Hand in Hand. Ganz im Gegensatz etwa zu Wolff, der nur dem expliziten Reden und Nachdenken über den Menschen im AT nachgehen will, versteht sich neuere Historische Anthropologie – vor allem unter dem Einfluss angelsächsischer Kulturanthropologie und französischer Geschichtswissenschaft (bes. der Mentalitätsgeschichte)30 – als Wissenschaft, „die sich auch um die vielenteils unbewußten Prägungen, denen Menschen unterliegen, bemüht.“31 „Mentalitäten sind mit U. Raulff z. B. zu bestimmen als ‚kategoriale Formen des Denkens, die als eine Art ‚historischer Apriori’ dem Denken selbst entzogen sind’; sie sind ‚gefühlsmäßig getönte Orientierungen, zugleich sind sie die Matrices, die das Gefühl erst in seine (erkennbaren, benennbaren) Bahnen lenken. Mentalitäten

28 Stellvertretend für viele sei hier an die Studien von Martina Löw erinnert, vgl. etwa: Löw, Martina, Raumsoziologie (stw 1506), Frankfurt a. M. 2001 [ND 2009]; Dies. [u. a.], Einführung in die Stadt- und Raumsoziologie (UTB 8348), Opladen [u. a.] 2007. 29 Vgl. als Beispiele für die fruchtbare historische Anwendung von Raumtheorien: Rödel-Braune, Caroline / Waschke, Catharina (Hg.), Orte des Geschehens. Interaktionsräume als konstitutive Elemente der antiken Stadt (Geschichte 110), Berlin/Münster 2012; Rosen, Ralph M. (Hg.), City, countryside, and the spatial organization of value in classical antiquity (Mnemosyne Supplementum 279), Leiden [u. a.] 2006. 30 Vgl. Wulf, Christoph (Hg.), Vom Menschen. Handbuch historische Anthropologie, Weinheim/Basel 1997, 13–14. 31 Wagner, Emotionen, Gefühle und Sprache im Alten Testament, 59. © 2016, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783788730628 — ISBN E-Book: 9783788730635

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umschreiben kognitive, ethische und affektive Dispositionen‘.32 Mentalitäten sind dabei konsequent historisch zu verstehen: ‚Mentalitäten wandeln sich historisch, sie sind kulturell unterschiedlich. Mentalitäten sind keine Konstanten, sind nicht Singular, sondern Plural.‘33 Der Mensch versteht sich in verschiedenen Zeiten und Kulturen eben nicht gleich. Wenn man, wie die bisherige alttestamentliche Anthropologie, allein die expliziten Aussagen über den Menschen untersucht, gelangt man nicht zu diesem Bereich der ‚kategorialen Formen des Denkens‘, der ‚kognitiven, ethischen und affektiven Dispositionen‘. Da solche ‚kategorialen Formen des Denkens‘ ja ‚als eine Art ‚historische Apriori‘ [zunächst] dem Denken selbst entzogen‘ sind, sprechen sie sich nicht ‚explizit’ aus und können daher als explizite Rede nicht aufgesucht werden. Mentalitäten sind ‚etwas, auf das Menschen keinen direkten Zugriff haben; sie [sind] ein weitgehend unbewußt wirkender anthropologischer Zustand‘, wie Gernot Böhme es genannt hat.34 Trotzdem sind gerade sie für die Erkundung des historischen Selbstverständnisses des Menschen, zu dem auch seine Gefühlswelt gehört, von grundlegender Wichtigkeit.“35

Um solche Mentalitäten und andere verwandte anthropologische Sachverhalte aufzudecken, bedient sich jede Form Historischer Anthropologie einer Vielfalt von Methoden. Historische Anthropologie hat sich daher nicht als „Fach“ oder „Disziplin“ etabliert, sondern als Arbeitsbereich über verschiedene Fächer und Disziplinen hinweg.36

32 Raulff, Ulrich (Hg.), Mentalitäten-Geschichte. Zur historischen Rekonstruktion geistiger Prozesse, Berlin 1987, 9–10. Die Rede vom „Denken“ ist schillernd. Hier ist das überindividuelle Denken gemeint, das über individuelle und idiographisch zu interpretierende Lebenszeugnisse hinausgeht, das prägend für eine Sprach- oder sogar Sprachengemeinschaft ist. 33 Dressel, Gert, Historische Anthropologie. Eine Einführung, Wien 1996, 263. 34 Böhme, Gernot, Vorlesung Historische Anthropologie, in: Ders., Anthropologie in pragmatischer Hinsicht (Edition Suhrkamp 1301), Darmstädter Vorlesungen, Frankfurt a. M. 1985, 264; vgl. dazu auch: Dressel, Historische Anthropologie, 263– 270; Dülmen, Richard van, Historische Anthropologie. Entwicklung, Probleme, Aufgaben, Köln [u. a.] 2001, 21 schlägt den Begriff der „kollektiven Lebensvorstellungen“ vor. 35 Wagner, Emotionen, Gefühle und Sprache im Alten Testament, 59–60. 36 Vgl. Tanner, Jakob, Historische Anthropologie zur Einführung, Hamburg 2 2008; Wulf, Christoph, Anthropologie. Philosophie – Geschichte – Kultur (Rowohlts Enzyklopädie 55664), Reinbek 2004; Winterling, Aloys (Hg.), Historische Anthropologie (Basistexte 1), Stuttgart 2006; Conermann, Stephan / Hees, Syrinx von (Hg.), Islamwissenschaft als Kulturwissenschaft – Historische Anthropologie/Mentalitäts-geschichte. Ansätze und Möglichkeiten (Bonner Islamstudien 4), Schenefeld 2007; Wulf, Christoph (Hg.), Fuß – Spuren des Menschen (Paragrana 21,1), Berlin 2012; Habermas, Rebekka (Hg.), Themenheft: 20 Jahre Zeitschrift Historische Anthropologie, Historische Anthropologie 20, 2 (2012), 153–271. © 2016, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783788730628 — ISBN E-Book: 9783788730635

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Wider die Reduktion des Lebendigen Über das Verhältnis der sogenannten „anthropologischen Grundbegriffe“ und die Unmöglichkeit, mit ihnen die alttestamentliche Menschenvorstellung zu fassen

I. Die Beschränkung auf die vier sogenannten anthropologischen Grundbegriffe Bei der Frage nach dem Menschen im AT da anzusetzen, wo im AT selbst explizit vom Menschen die Rede ist, ist seit H.W. Wolffs Anthropologie, dem bis heute für die alttestamentliche Anthropologie zentralen Werk, ein vielbeschrittener Weg.1 Wenn unter dieser methodischen Voraussetzung eine Beschreibung des Menschen, wie ihn das AT sieht, unternommen wird, dann rücken die meisten Darstellungen die sog. anthropologischen Grundbegriffe in den Vordergrund. Wolff beschreibt im Kapitel über „Des Menschen Sein“ (1. Hauptteil) je in einem Paragraphen die Begriffe næfæš („Kehle, Gier, Leben“), bāśār („Fleisch“), ruaḥ („Geist, Kraft“) und lēb/lēbab („Herz als Sitz des Verstandes“), bevor er in weiteren vier Paragraphen das „Leben des Leibes“ (Atem, Blut), Das „Innere des Leibes“ (Eingeweide, Leber, Galle, Nieren), die „Gestalt des Leibes“ (Gliedmaßen, Größe, Schönheit) und das „Wesen des Menschen“ (Sehen und Hören, Ohr, Mund, Sprache) behandelt. Sind die ersten vier Paragraphen je einem hebräischen Terminus gewidmet, so wechselt bei den letzten vier das Ordnungsprinzip, dort geht Wolff nicht mehr von einem hebräischen Wort aus, sondern von „sachlichen“ Gegebenheiten. Diese Differenz ist entscheidend, da sich dahinter eine unterschiedliche Bewertung hebräischer Körperbegriffe verbirgt: Wird næfæš, bāśār, ruaḥ und lēb/lēbab zugestanden, zentrale Aussagen über den Menschen zu bieten, die es rechtfertigen, ihnen je einen eigenen Abschnitt in der Darstellung zu widmen, so gilt das nicht für 1 H.W. Wolff, Anthropologie des Alten Testaments (KT 91), Gütersloh 72002 (München 11973), 17: „Biblische Anthropologie als wissenschaftliche Aufgabe wird ihren Einsatz dort suchen, wo innerhalb der Texte selbst erkennbar nach dem Menschen gefragt wird.“ Dass es sich dabei nicht um den Königsweg der alttestamentlichen bzw. biblischen Anthropologie handelt, ist an anderer Stelle ausführlicher zu problematisieren. © 2016, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783788730628 — ISBN E-Book: 9783788730635

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diejenigen hebräischen Termini, die unter den „sachlichen“ Gegebenheiten behandelt werden, darunter dām (Blut), kelāyôt (Nieren) etc. Wolff, der mit seinem Buch die erste große alttestamentlichanthropologische Synthese vorgelegt hat, ist dabei nicht der erste, der anthropologische „Hauptwörter“ in den Vordergrund stellt;2 zu verweisen ist etwa auf den Art. „Mensch“ in der 3. Auflage der RGG von A.S. Kapelrud:3 Nach der Erörterung von Gesamtbezeichnungen für den Menschen erläutert er næfæš, ruaḥ und bāśār.4 Kapelrud gibt auch zu erkennen, woher diese Beschränkung rührt: Er verweist auf die griechische Auffassung vom Menschen „als einem Wesen mit einem unsterblichen Geist und einem vergänglichen Körper“, hält fest, dass diese Auffassung dem AT fremd ist, stellt aber trotzdem die Begriffe „Fleisch (bāśār) und Seele (næfæš) oder Geist (rûăhi)“5 der griechischen Auffassung gegenüber, so dass eine gewisse Zuordnung suggeriert wird. Auch wenn Kapelrud eine Entsprechung der griechischen und der hebräischen Auffassung ablehnt, bleibt so die Auswahl der hebräischen Begriffe vom Fragehorizont nach einer griechisch-hebräischen Vergleichbarkeit her bestimmt. Die Auswahl der hebräischen anthropologischen Begriffe erfolgt nicht aus den sachlichen Gegebenheiten des AT! Schon in einer ersten Durchbrechung dieser Logik hat Wolff die Trias erweitert um den Begriff lēb, bleibt aber ansonsten den drei anderen Begriffen treu. 6 Die Beschränkung auf drei oder vier Grund-/Haupt-Begriffe ist in der nachfolgenden Forschung bis heute erhalten geblieben.7 2 H.W. Wolff, Anthropologie, 21. 3 A.S. Kapelrud, Art. Mensch II. Im AT, in: RGG3 Bd. IV (1960), 861–863. 4 Vgl. ebd., 862–863. 5 Vgl. ebd., 862. 6 W.H. Schmidt, Anthropologische Begriffe im Alten Testament. Anmerkungen zum hebräischen Denken. EvTh 24 (1964), 374–388, behandelt ebenfalls schon die vier Begriffe, die auch Wolff später in den Vordergrund stellt. Schmidt würdigt in diesem Aufsatz Anregungen (ebd., 376), die er in einem Seminar bei H.W. Wolff im SoSe 1962 empfangen hat; dies lässt vermuten, dass die Auswahl von Schmidt schon auf Wolffs Prägung zurückgeht. 7 Die Untersuchung von R. Lauha [Psychophysischer Sprachgebrauch im Alten Testament. Eine struktursemantische Analyse von „lēb“, „næfæš“ und „ruaḥ“. 1. Emotionen (Annales Academiae Scientiarum Fennicae. Dissertationes humanarum litterarum 35), Helsinki 1983], die letzte bzw. einzige größere neuere Monographie, die sich mehreren anthropologischen Begriffen, jedenfalls drei von ihnen, gewidmet a hat, beschränkt sich auf die Analyse der drei Grundbegriffe lēb, næfæš und ru ḥ. Auch neuere Lexikonartikel über den Menschen des AT bzw. die Anthropologie des AT verweisen in der Regel auf die genannten drei oder vier anthropologischen „Grund“-Begriffe: NBL, TRE; Janowski geht in seinem Artikel „Mensch“ in der © 2016, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783788730628 — ISBN E-Book: 9783788730635

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II.

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Austauschbarkeit anthropologischer „Grund“-Begriffe?

Zu der Frage, welches denn nun die (drei oder vier) anthropologischen Grundbegriffe überhaupt sind, tritt als weiteres Problem die ihnen unterstellte (mindestens partielle) Austauschbarkeit hinzu. Vielleicht am schärfsten formuliert bei A. Lauha und M. Dreytza: Wie Lauha überzeugend nachweisen konnte, sind die drei psychophysischen Lexeme lēb, næfæš und ruaḥ im Felde der Emotionen auf der paradigmatischen Ebene weitgehend austauschbar. Sie beschreiben nicht verschiedene Aspekte der Persönlichkeit, wie man vielfach angenommen hatte.8 Diese Aussage orientiert sich an Belegen, die meistens im Parallelismus (Meine næfæš dürstet nach dir // mein bāśār schmachtet nach dir (Ps 63,2b)) oder in Doppelaussagen (mein lēb und mein bāśār) zwei (oder drei) der anthropologischen Grundbegriffe innerhalb einer Aussage bieten und denen Synonymität unterstellt wird. Teilweise kommen auch verschiedene anthropologische Begriffe mit denselben Verben vor. Außerdem beschränkt sich diese Aussage Dreytzas/Lauhas auf das „Feld […] der Emotionen.“ Ausgenommen sind also Belege, in denen die Bedeutungen der untersuchten Lexeme auf Sachverhalte zielen, die mit den nicht übertragenen, konkreten bzw. nicht-anthropologischen Bedeutungen der Begriffe zu tun haben, wie næfæš in der Bedeutung Kehle9 oder lēb in der Bedeutung Inneres10 (auch bei nicht-menschlichen Sachverhalten). Hinsichtlich der unterstellten Austauschbarkeit sind Belege wie die folgenden aufschlussreich, die verschiedene anthropologische Begriffe nebeneinander bieten. In Ps 16,9 und 84,3 stehen lēb, næfæš und bāśār nebeneinander: Ps 16,9 Darum freut sich mein lēb und frohlockt meine næfæš, auch mein bāśār wird sicher wohnen.

RGG [Art. Mensch IV. Altes Testament, in: RGG4 Bd. V (2002)], 1057–1058, hier 1057) unter Abschn. 2 auf die anthropologischen Grundbegriffe ein und nennt zunächst baśar, lēb/lēbab, næfæš und ruaḥ. 8 M. Dreytza, Der theologische Gebrauch von Ruaḥ im Alten Testament. Eine wort- und satzsemantische Studie (Monographien und Studienbücher, 358), Gießen/Basel 21992 (11990), 148. 9 Ps 105,18: Sie zwangen in Fesseln seine Füße, in Eisen kam sein/e næfæš/ Kehle/Hals. 10 2Sam 18,14: Absalom hängt im „Herzen“ der Eiche. © 2016, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783788730628 — ISBN E-Book: 9783788730635

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Ps 84,3 Es sehnte sich, ja schmachtete meine næfæš nach den Vorhöfen Jahwes, nun jauchzen mein lēb und mein bāśār dem lebendigen Gotte entgegen.

In Dtn 6,5 treten dagegen lēb, næfæš und mecod miteinander auf: Dtn 6,5 Du sollst Jahwe, deinen Gott, lieben mit deinem ganzen lēb, mit deiner ganzen næfæš, mit deinem ganzen meʼod (Kraft).

Auch können anthropologische Grundbegriffe paarweise den Menschen beschreiben: Ps 63,2 Jahwe, du bist mein Gott, den ich suche. meine næfæš dürstet nach dir, mein bāśār schmachtet nach dir im dürren, trockenen, wasserlosen Land. Ps 51,12 Ein reines lēb schaffe in mir, Gott. Und einen festen ruaḥ mach neu in meiner Mitte.

Sie können auch alleine stehen und auf den ganzen, den gesamten Menschen zielen: Gen 2,7 Da bildete Jahwe Gott den Menschen aus Staub von der Adama und blies Lebensodem in seine Nase, und so wurde der Mensch eine næfæš hiayya (= ein Lebewesen!). Gen 12,13 Sage doch, dass du meine Schwester bist, damit es mir gut gehe um deinetwillen und meine næfæš lebt deinetwegen (= und ich lebe deinetwegen). Ps 119,120 Es schaudert mein bāśār aus Furcht vor dir (= Es schaudert mir aus Furcht vor dir).

Zudem können die „Grundbegriffe“ mit einem oder mehreren weiteren „anthropologischen Begriffen“ zusammengestellt werden: Ps 73,21 Als mein lēb verbittert war, als Schmerz meine kelāyôt (Nieren) durchstach, […]. Ps 44,26 denn in den Staub gebeugt ist unsere næfæš, unser bætiæn (Leib, Mutterleib) klebt am Boden. Klgl 3,4 Hinschwinden ließ er mein bāśār und mein cōr (Haut), (er) zerbrach meine Knochen.

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Es gibt also weder eine konstante Kombination der Begriffe, noch eine konstante Anzahl (einer, zwei oder drei) in den einzelnen Belegen, noch eine Beschränkung auf die sog. vier Grundbegriffe. Schließlich werden verschiedene anthropologische Begriffe mit denselben bzw. analogen Vorgängen in Verbindung gebracht (exemplarische Auswahl): Ps 51,19 Opfer für Gott sind eine zerbrochene ruaḥ, ein zerbrochenes und zerschlagenes lēb wirst du, Gott, nicht verschmähen. Ps 84,3 (s.o.) Auch schmachtete meine næfæš. Ps 63,2 (s.o.) Meine næfæš dürstet nach dir, mein bāśār schmachtet nach dir. Ps 16,9 (s.o.) Darum freut sich mein lēb und frohlockt meine næfæš Ps 84,3 (s.o.) Nun jauchzen mein lēb und mein bāśār.

Ausweislich dieser Belege11 ist zunächst noch einmal festzuhalten, dass die sog. anthropologischen Grundbegriffe zusammen kein geschlossenes System, keine Dichotomie, Trichotomie bilden, keinem Dualismus unterliegen, wie er beispielsweise für den griechischen Bereich lange angenommen wurde.12 Zum zweiten ist die Beobachtung nicht von der Hand zu weisen, dass verschiedene Begriffe in analogen Aussagen vorkommen und der Verdacht der Synonymität, wie er in der These von Dreytza und Lauha ausgesprochen ist (s.o.) aufkommen kann. Desweiteren ist auffällig, dass sich in den angeführten Belegen ja immer wieder andere Termini als die vier sog. „Grundbegriffe“ befinden – und dies ungeachtet der Tatsachen, dass a) diese Belege nur 11 Das Hauptargument ist die fehlende Konstanz in der Zahl (zwei, drei, vier…) und der Kombination der Belege; diese fehlende Konstanz lässt sich nicht nur in denjenigen Versen bzw. Versgruppen beobachten, die mehrere anthropologische Begriffe nebeneinander bieten; auch mit Blick auf den Gesamtbestand des AT lässt sich eine Dichotomie/Trichotomie eben nicht ausmachen, wie bereits Kapelrud (s.o.); vgl. zudem Schmidt, Anthropologische Grundbegriffe, 387 und Wolff, Anthropologie, 21. 12 Immer stärker tritt in neuerer Zeit auch die Verschiedenheit der Menschenkonzeption innerhalb des griechischen Überlieferungsstromes hervor, vgl.: R. Schleiser, Die dionysische Psyche. Zu Euripides’ bakchen, in: C. Benthien, A. Fleig und I. Kasten (Hg.): Emotionalität. Zur Geschichte der Gefühle (Literatur – Kultur – Geschlecht. Kleine Reihe 16), Köln/Wien/Weimar 2000, 21–41. © 2016, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783788730628 — ISBN E-Book: 9783788730635

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einen Ausschnitt aus dem AT bilden und b) o.g. Variation von Termini noch größer wäre, würden sämtliche atl. Belege herangezogen. Wie ist also das Verhältnis der hebräischen anthropologischen Begriffe, sowohl das der sog. Grund-/Hauptbegriffe untereinander wie auch ihr Verhältnis zu anderen anthropologischen Begriffen, zu bestimmen? III.

Aspekte des Lebendigen

Um dem Verhältnis der anthropologischen Begriffe auf die Spur zu kommen, ist es ein hilfreicher Weg, von Belegen auszugehen, die eine Aussage im Parallelismus membrorum bieten. Parallelismen dürfen allerdings nicht als Argument herangezogen werden, um die Synonymität der Aussagen zu postulieren, denn die Funktion und Aussageweise eines Parallelismus ist nicht die, vollständig synonyme Aussagen anzuführen. Nehmen wir noch einmal Ps 63,2: Ps 63,2 Gott,13 du bist mein Gott, den ich suche. meine næfæš dürstet nach dir, mein bāśār schmachtet nach dir im dürren, trockenen, wasserlosen Land.

Teil A: a oder

Teil A: a

Teil A: b Teil B: b’ Teil B: c

Teil B: b Teil B: b’ Teil A: c

Hier liegt eine doppelt parallele Aussage vor, die in vier Elementen die Gottsuche zum Thema hat: a führt das Thema ein, b und b’ drücken die intensive Suche mit „anthropologischen Begriffen“ aus, c unterstreicht die Aussage von a noch einmal, indem eine Gegenwelt zu a illustriert wird. Wie im Parallelismus üblich, selbst in einer synonymen Aussage wie hier in Ps 63,2 b und b’, werden Aussagen nie in völliger semantischer Übereinstimmung gemacht. Der Sinn des Parallelismus ist es ja gerade, eine Sache durch das Anführen zweier Aussagen zu beleuchten, wobei die parallelen Aussagen zusammen die eine Sache umfassender, reichhaltiger und dadurch genauer zum Ausdruck bringen als eine Aussage alleine. Das setzt voraus, dass keine vollständige Kongruenz herrscht, sondern dass sich unterschiedliche Akzente 13 Ps 63 gehört zum elohistischen Psalter (Ps 42–83), in dem der Gebrauch von Jahwe und El/Elohim von den Verhältnissen im übrigen Psalter abweicht; möglicherweise ist hier Jahwe durch Elohim ersetzt worden, vgl. K. Seybold, Die Psalmen (HAT I/15), Tübingen 1996, 8 und 247. © 2016, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783788730628 — ISBN E-Book: 9783788730635

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zu einer Gesamtaussage addieren.14 Von der Logik der Dichtungsform her ist daher schon anzunehmen, dass die Bedeutungen von næfæš und bāśār, auch wenn es sich um analoge Aussagen handelt, nicht synonym sind. Ein Blick auf das Bedeutungsspektrum von næfæš und bāśār macht noch einmal von einer anderen Seite her klar, warum hier in Ps 63,2 gerade diese beiden anthropologischen Begriffe gebraucht werden: 15

a) bāśār

Mit Hi 10,11 kann man festhalten, dass der (menschliche) Körper aus cōr (Haut), bāśār, cæsiæ i m (Gebein) und gid/gidim (Sehnen) besteht: Hi 10,11 Mit Haut und Fleisch hast du mich bekleidet, mit Knochen und Sehnen mich durchwirkt.

bāśār bezeichnet also die fleischlich-körperliche Seite des Menschen bzw. den Menschen unter dem fleischlichen Aspekt. Da der Mensch bāśār ist, gelten für ihn folgende Aussagen: Klgl 3,4 Hinschwinden ließ er mein bāśār und mein cōr, (er) zerbrach meine Knochen.

14 Vgl.: D. Michel, Israels Glaube im Wandel. Einführung in die Forschung am Alten Testament, Berlin 1968, 11–112; Wolff, Anthropologie, 21–24; A. Wagner, Dichten und Denken. Zum Verständnis des ,Personenwechsels‘ in alttestamentlicher, ugaritischer und verwandter Literatur, in: M. Kropp / A. Wagner, Schnittpunkt Ugarit (Nordostafrikanisch/Westasiatische Studien 2), Frankfurt/M. [u.a.] 1999, 271– 283; B. Janowski, Konfliktgespräche mit Gott. Eine Anthropologie der Psalmen, Neukichen-Vluyn 2003, 13–21; K. Seybold, Poetik der Psalmen (Poetologische Studien zum Alten Testament 1), Stuttgart 2003 passim. 15 Hier kann keine ausführliche Erörterung des Bedeutungsspektrums von baśar erfolgen; ich will nur den besonderen Akzent von baśar im Feld der anthropologischen Begriffe andeuten. Bei dieser Akzentuierung der anthropologischen Begriffe nehme ich dankbar Anregungen meines Lehrers D. Michel auf. Vgl.: Schmidt, Anthropologische Grundbegriffe, 382; Wolff, Anthropologie, 49–56; S. Abir, Was kann die anthropologische baśar-Konzeption zur Deutung der Urgeschichte beitragen? ZAW 98 (1986), 17–198; N.P. Bratsiotis, Art. ‫ בָ שָ ר‬bāśār Fleisch, in: ThWAT Bd. I (1973), 850–867; G. Gerlemann, Art. ‫ בָ שָ ר‬bāśār Fleisch, in: THAT Bd. I (41984), 376–379; S. Schroer / T. Staubli, Die Körpersymbolik der Bibel. Darmstadt 1998, 231–243; C. Frevel, Art. Fleisch und Geist. I. Altes Testament, in: RGG4 Bd. III (2000), 155–156. © 2016, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783788730628 — ISBN E-Book: 9783788730635

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Hi 33,21 Es vergehe sein Fleisch, dass man es nicht mehr sieht, bloß wird sein Gebein ... Spr 5,11 Dass du nicht am Ende seufzt, wenn dein bāśār und dein Fleisch/Leib (śeer) vergehen. Sach 14,12 Er wird ihr Fleisch auflösen.

bāśār ist also dasjenige am Menschen, was der Vergänglichkeit, dem Hinschwinden, der Ermüdung besonders unterworfen ist. Das Wort bāśār dient deshalb zur Charakterisierung des Menschen unter dem Aspekt der Vergänglichkeit (Hinfälligkeit): Jes 40,6f. Alles bāśār ist Gras und all seine Pracht wie die Blume des Feldes. Das Gras verwelkt, die Blume verdorrt, wenn der Wind Jahwes darüber weht. Das Gras verwelkt, die Blume verdorrt, aber das Wort unseres Gottes besteht für ewig. 16

b) næfæš Bei næfæš ist es hilfreich, von der Grundbedeutung aus zu denken: Das Verb npš (Pi.) bezeichnet im Hebräischen das Atmen (Ex 23,12; 31,17; 2Sam 16,14). Von der Bedeutung des deverbalen Substantivs Atem (1Kön 17,17ff dort parallel zu nešama/Atem) entwickeln sich übertragene Bedeutungen: „Ort des Atmens“ = Kehle, Schlund, Luftröhre, Hals. Jes 5,14 deshalb macht die Scheol/Unterwelt ihre næfæš weit, sperrt ihr Maul/ihren Schlund grenzenlos (weit) auf Ps 105,18 Sie zwangen in Fesseln seine Füße, in Eisen kam seine næfæš.

16 Wie bei bāśār muss eine ausführliche Erörterung des Bedeutungsspektrums von næfæš einer anderen Publikation vorbehalten bleiben. Vgl.: Schmidt, Anthropologische Grundbegriffe, 377–381; Wolff, Anthropologie, 25–48; H. Seebass, Art. ‫ ֶנפֶׁש‬, næfæš, in: ThWAT Bd. V (1986), 531–555; C. Westermann, Art. ‫ ֶנפֶׁש‬næfæš Seele, in: THAT Bd. II (31984), 71–96; Lauha, Psychophysischer Sprachgebrauch; R. Rendtorff, Die sündige næfæš, in: F. Crüsemann / C. Hardmeier / R. Kessler (Hg.), Was ist der Mensch …? Beiträge zur Anthropologie des Alten Testaments (FS Hans Walter Wolff zum 80. Geburtstag), München 1992, 211–220; Schroer/Staubli, Die Körpersymbolik der Bibel, 61–73; K. Liess, Art. Leben. II. Biblisch. 1. Altes Testament, in: RGG4 Bd. V (2002), 135–136; Janowski, Konfliktgespräche mit Gott, 204– 214. © 2016, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783788730628 — ISBN E-Book: 9783788730635

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Kehle, Schlund, Luftröhre, Hals kann verstanden werden als der „Ort der Begierde, des Begehrens“, daraus entwickelt sich die Bedeutung: Wunsch, Verlangen, Begierde, Sehnsucht. Spr 16,26 Die næfæš eines Arbeiters müht sich im Hinblick auf ihn, fürwahr, sein Mund treibt ihn an. Dtn 23,25 Wenn du in den Weinberg deines Nächsten kommst, darfst du Trauben essen entsprechend deiner næfæš (= dem momentanen Verlangen)17, aber in dein Gefäß darfst du nichts tun.

An zahlreichen Stellen (Spr 8,35–36; Jon 4,3 u.a.) hat næfæš die Bedeutung Leben. Es ist nicht ganz klar, ob diese Bedeutung von der konkreten Bedeutung Hals, Luftröhre abzuleiten ist oder Leben (besser: Lebendigsein) als gebündeltes Zusammensein von strebenden, wünschenden, begehrenden Äußerungen zu verstehen ist – möglicherweise ist dies keine Alternative.18 Wenn næfæš als pars pro toto für den ganzen Menschen steht, ist also der Mensch (in der Regel) als ein Wesen gesehen, das notwendig Bedürfnisse, Wünsche, Verlangen, Begierde, Sehnsucht, Hunger, Streben o.ä. hat und davon bestimmt wird. næfæš ist der Mensch unter dem Gesichtspunkt der „intensiven Intentionalität“.19

17 Hier ist im hebräischen Text eine Glosse angefügt, die ich in der Übersetzung weggelassen habe; mit dieser Glosse lautet der Text: der Sättigung deiner næfæš/ deines Verlangens. 18 „Der Satz ‚deine n. wird am Leben bleiben‘ darf nicht als Tautologie aufgefaßt werden; es ist gemeint: dein Ich, das liebt und haßt, betrübt ist und sich freut, wird am Leben bleiben. Die Gruppe dieses Gebrauchs ist aus der Situation der Bedrohung und Gefährdung des Lebens zu verstehen: es ist die vom Tod bedrohte und nach dem Leben sich ausstreckende n., von der hier gesprochen wird. An den meisten Stellen dieser Gruppe kann n. auch mit dem Personalpronomen […] wiedergegeben werden […].“ Westermann, Art. ‫ ֶנפֶׁש‬næfæš Seele, 84. næfæš bezeichnet nie neutral eine Person, leistet also mehr als ein Personalpronomen. Die „Übersetzung“ Seele wäre an allen Stellen eine Fehlübersetzung, wenn man damit entsprechend der griechischen Trichotomie einen Teil des Menschen neben Geist und Körper meinte. – Die für einige Stellen fast allgemein angenommene Bedeutung Leichnam ist eine Fehlübersetzung und beruht auf falschen Textinterpretationen, vgl.: D. Michel: næfæš als Leichnam? ZAH 7 (1994), 81–84. 19 Westermann, Art. ‫ ֶנפֶׁש‬næfæš Seele, 92; die Formulierung stammt zwar aus Westermanns Abschnitt über die næfæš Gottes, sie bringt aber, zumal eingedenk anthropologisch-anthropomorpher Spiegelungen, auch den zentralen Aspekt der menschlichen næfæš zum Ausdruck. © 2016, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783788730628 — ISBN E-Book: 9783788730635

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Unter diesen Voraussetzungen ist nun noch einmal der Verwendungsfall von næfæš und bāśār in Ps 63,2 zu bedenken: Ohne Gott sieht der Vers den Menschen in einer lebensfeindlichen, wüstenhaften Umwelt. Die Gottsuche des Menschen wird nun unter zweierlei Aspekten im Bild thematisiert: (1) In Ps 63,2a ist mit næfæš das Lebendige am Menschen angesprochen, steht sein Streben, Wünschen, das Stillen von Bedürfnissen und Begierden im Vordergrund; eng geführt ist næfæš kontextuell durch das Dürsten, d.h. die Aussage will darauf hinaus, dass die Gottesbedürftigkeit des Menschen (des Beters) so groß ist wie die Bedürftigkeit, im dürren, trockenen, wasserlosen Land sein Bedürfnis, seine Gier nach Wasser, nach Durst zu stillen. (2) Dem wird in Ps 63,2a’ an die Seite gestellt: Der Mensch unter dem Aspekt des Fleisches, gefährdet in seiner Vergänglichkeit. Bei dieser Aussage bringt bāśār eine völlig andere Färbung mit als næfæš. Beide Aspekte ergänzen sich, die Aussage über den Gott suchenden Menschen ist, soweit der Text es will, „vollständig“; die beiden Aspekte, die das Ganze des Suchens ausmachen, stehen dabei merismusartig beisammen. Die Aussage von Ps 63,2 über den Menschen ist nicht irgendwie defizitär. Sie muss nicht durch andere anthropologische Begriffe ergänzt werden. Eine Erweiterung der Aussage etwa mit lēb (Denkfähigkeit) wäre hier unpassend, überflüssig.20 Für die Frage nach dem Verhältnis der anthropologischen Begriffe heißt das nun – zunächst einmal von næfæš und bāśār aus gedacht –, dass jeder Begriff eine Facette des Menschseins zum Ausdruck bringt, dass also nicht ein „System Mensch“ in Form einer Trichotomie, Dichotomie o.ä. abgerufen wird, dem etwas fehlen würde, wenn nicht alle seine Bestandteile genannt sind, sondern dass bei je einem anthropologischen Begriff je eine Weise, auf die hin der Mensch zu betrachten ist, im Vordergrund steht. Diese „Betrachtungsweisen“, „Facetten“, „Ansichten“ des Menschen, sind nicht auf næfæš und bāśār beschränkt:

20 Auf die unterschiedlichen Begriffe næfæš und baśar weist auch E. Zenger hin [F.-L. Hossfeld / E. Zenger, Psalmen 51–100 (HThKAT), Freiburg i.Br. / Basel / Wien 2000, 189–201]; er fasst den Sinn von Ps 63,2 treffend zusammen: er sieht den Beter als einen, der „voller Sehnsucht nach Gott dürstet und körperlich nach ihm schmachtet“ (ebd., 196). Eigentümlicherweise hält Zenger aber an der Übersetzung Seele für næfæš fest (ebd., 189 und 196), ähnlich Seybold, Psalmen, 247. © 2016, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783788730628 — ISBN E-Book: 9783788730635

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c) lēb21 Mit der Bezeichnung für das Körperorgan „Herz“ (Jer 23,9 es bricht mein lēb in meinem Inneren, es zittern alle meine Gebeine) hängen zwei Bedeutungsstränge zusammen: Da das Herz im Körperinneren unzugänglich und uneinsehbar ist, kann lēb die Bedeutungen Inneres/Sitz des Geheimnisses/Geheimnis haben: Dtn 4,11 Ihr standet am Fuße des Berges, während der Berg mit Feuer aufloderte bis ins „Herz“ des Himmels hinein. 2Sam 18,14 Absalom hängt im „Herzen“ der Eiche. Ps 44,22 Könnte nicht Gott auch dieses erforschen? Denn er kennt doch die Geheimnisse des lēb. Ps 139,23 Erforsche mich, Gott, und erkenne mein lēb, prüfe mich und erkenne meine Gedanken!

Da man mit dem lēb die Funktion des Denkens verband, findet sich als zweiter Bedeutungsstrang Organ/Sitz des Denkens (und Planens): Spr 23,31–33 Schau nicht den Wein an, wie er sich rötet, wie er im Becher funkelt und sanft hinuntergleitet! Am Ende beißt er wie eine Schlange und sticht wie eine Otter. Deine Augen sehen Seltsames und dein Herz spricht Verkehrtes. (Wein benebelt den Verstand! Vgl. Hos 4,11f.) 1Kön 5,9 Da gab Gott dem Salomo Weisheit und sehr viel Einsicht und Weite des Herzens = großes Erkenntnisvermögen Spr 18,15 Der Einsichtigen Herz erwirbt Erkenntnis, und das Ohr der Weisen strebt nach Erkenntnis.

21 Vgl.: Schmidt, Anthropologische Grundbegriffe, 383–386; Wolff, Anthropologie, 68–95; H.-J. FABRY, Art. ‫ לֵב‬lēb, in: ThWAT Bd. IV (1984), 413–451; F. Stolz, Art. ‫ לֵב‬lēb Herz, in: THAT Bd. I (41984), 861–867; Lauha, Psychophysischer Sprachgebrauch; M. Ogushi, Ist nur das Herz die Mitte des Menschen?, in: F. Crüsemann / C. Hardmeier / R. Kessler (Hgg.), Was ist der Mensch …? Beiträge zur Anthropologie des Alten Testaments (FS Hans Walter Wolff zum 80. Geburtstag), München 1992, 42–47; Schroer/Staubli, Die Körpersymbolik der Bibel, 45–60; Janowski, Konfliktgespräche mit Gott, 166–173; M.I. Toro Rueda, Das Herz in der ägyptischen Literatur des zweiten Jahrtausends v. Chr. Untersuchungen zur Idiomatik und Metaphorik von Ausdrücken mit jb und h3tj. Diss. Göttingen 2004 [http://webdoc.sub. gwdg.de/diss/2004/toro_rueda/toro_rueda.pdf]. © 2016, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783788730628 — ISBN E-Book: 9783788730635

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d) ruaḥi22 Zunächst bedeutet ruaḥi „[…] ‚Wind‘ […] und ‚Atem‘ […], beides aber nicht als wesenhaft Vorhandenes, sondern als die im Atem- und Windstoß begegnende Kraft, deren Woher und Wohin rätselhaft bleibt.“23 Aus der Bewegung des Windes folgt, dass er zu einem Bild für nicht Greifbares, Flüchtiges wird: Hos 12,2 Ephraim weidet den Wind, immer läuft es dem Ostwind nach. Es häuft Lüge auf Lüge, Gewalt auf Gewalt. Es schließt mit Assur ein Bündnis und liefert Öl nach Ägypten.

Mit der Bedeutung Atem24 hängt der Aspekt der Lebenskraft und Vitalität zusammen; wie ein Aufatmen, verbunden mit Belebung, Rückkehr der Vitalität, wirkt die Stärkung durch Essen: 1Sam 30,12 […] und sie gaben ihm ein Stück Feigenkuchen und zwei getrocknete Weintrauben. Da aß er und seine ruaḥi kehrte zu ihm/ auf ihn zurück, denn er hatte drei Tage und drei Nächte nichts gegessen und getrunken.

Andererseits geht der Verlust von Vitalität mit Appetitlosigkeit einher: 1Kön 21,5 Da kam seine Frau Isebel zu ihm (sc. Ahab) und sagte zu ihm: Was ist denn los, dass deine ruaḥ gewichen ist und du nichts isst?

22 Vgl.: Schmidt, Anthropologische Grundbegriffe, 382–383; Wolff, Anthropoloa gie, 25–48; R. Albertz / C. Westermann, Art. ru ḥ Geist, in: THAT Bd. II (31984), 726–753; Lauha, Psychophysischer Sprachgebrauch; A.E. Sekki, The meaning of ruaḥ at Qumran. (SBL.DS 110) Atlanta 1989; M. Dreytza, Theologischer Gebrauch; J. Schreiner, Wirken des Geistes Gottes in alttestamentlicher Sicht, in: ders., Gesammelte Schriften zur Entstehung und Theologie des Alten Testaments. Hg. von E. Zenger. Bd. II. Leben nach der Weisung Gottes (Zum 70. Geburtstag des Autors), Würzburg 1992, 83–136; H. Schüngel-Straumann, Rûaḥ bewegt die Welt. Gottes schöpferische Lebenskraft in der Krisenzeit des Exils (SBS 151), Stuttgart 1992; W. a von Soden, Der Genuswechsel bei ru ḥ und das grammatische Geschlecht in den semitischen Sprachen, ZAH 5 (1992), 57–63; Schroer/Staubli, Die Körpersymbolik der Bibel, 243–249; M. Oeming, Art. Geist / Heiliger Geist. II. Altes Testament, in: RGG4 Bd. III (2000), 564–565. 23 Albertz/Westermann, Art. ַ‫ ררּו‬rūaḥ Geist, 728. 24 Vgl.: 1Kön 10,4f: Als nun die Königin von Saba die ganze Weisheit Salomos erkannte, als sie den Palast sah, den er gebaut hatte, 5 die Speisen auf seiner Tafel, die Sitzplätze seiner Beamten, das Aufwarten der Diener und ihre Gewänder, seine Getränke und sein Opfer, das er im Hause Jahwes darbrachte, war in ihr keine ruaḥ mehr = stockte ihr der Atem. © 2016, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783788730628 — ISBN E-Book: 9783788730635

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Vitalität und Lebenskraft sind für den Weisen nicht zu verschwenden, sondern in Maßen einzusetzen: Spr 29,11 All seine ruaḥ läßt der Tor hinausgehen, aber der Weise besänftigt sie (hält sie zurück).

ruaḥi wird dabei als von außen kommende, fremde Kraft angesehen. Die ruaḥi Jahwes (eigentlich: ruaḥ yhwh) ist dasjenige, was die charismatischen Führer der Frühzeit, die Richter, zu ihren großen Taten antreibt: Ri 3,10 Und die ruaḥi Jahwes kam über ihn (sc. Othniel) und er verschaffte Israel Recht und zog aus zum Kampf. 1Sam 11,6 Als Saul das hörte, kam die ruaḥ Gottes über ihn und sein Zorn entbrannte heftig.

Es ist bemerkenswert, dass der anthropologische Begriff ruaḥ nicht (ursprünglich) einen Körperteil (wie Herz, Hals/Kehle, Haut/Fleisch) bezeichnet, sondern eine (von Gott kommende) (Natur-)Kraft. Damit wird deutlich, dass für den Hebräer die „Vitalität“ letztlich nicht aus dem Menschen selbst ableitbar und erklärbar ist. Auf dem Hintergrund des Wissens um lēb und ruaḥi lassen sich sehr schnell Zugänge zu den Aspekten des Menschlichen gewinnen, wie sie in den folgenden Versen vorausgesetzt sind: Spr 10,13 Auf den Lippen des Einsichtigen findet sich Weisheit, aber der Stock (gehört) auf den Rücken desjenigen, dem es an lēb mangelt.

Der Mangel an Herz haben meint hier in Spr 10,13 nicht Gefühlsarmut, sondern fehlende Einsicht, mangelndes Erkenntnisvermögen! Ps 28,26 Wer auf sein lēb vertraut, ist ein Narr, aber wer in Weisheit wandelt, wird gerettet.

Gemeint ist hier: Wer nur auf sein eigenes lēb (= Einsichtsvermögen) vertraut, ist ein Narr. Ps 51,12 Ein reines lēb schaff in mir, Gott. Und eine feste ruaḥ mach neu in meiner Mitte.

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Angesprochen ist in Ps 51,12 lēb (= Erkenntnisvermögen) und ruahi (= Lebenskraft).25 Ps 16,9 Darum freut sich mein lēb und frohlockt meine næfæš, auch mein bāśār wird sicher wohnen.

Wie Ps 51,12 umfassen in Ps 16,9 mehrere Aspekte (merismusartig?) den Menschen; dass die Auswahl der Aspekte je nach Aussageabsicht schwanken kann, war oben schon festgestellt. Ps 16,9 spricht den Menschen unter den Aspekten der Erkenntnisfähigkeit und intellektuellen Freude (lēb), der Befriedigung der Sehnsüchte und Begierden (næfæš) und des körperlichen Wohlergehens (bāśār) an. IV. Anthropologische und nicht-anthropologische Sachverhalte Eingeschoben sei hier eine kurze Reflexion auf die referentielle Bedeutung26 der sog. anthropologischen Grundbegriffe. Wie oben angedeutet, ist die Bezeichnung „anthropologische Begriffe“ entstanden, als nach der Bestimmung des Menschen im AT gefragt wurde. Als „Leitbild“ stand das griechische Menschenkonzept im Hintergrund. Man hat die hebräischen Äquivalente zu den griechischen Begriffen herausgefiltert und als „anthropologische“ Begriffe bezeichnet. Eigentümlicherweise beziehen sich die hebräischen Begriffe aber nicht nur auf menschliche Referenten:

25 Seybold, Psalmen, übersetzt treffend: „ein reines Herz“ und „ein fester Sinn“, allerdings in seinem Erläuterungsteil S. 213, in der Hauptübersetzung gebraucht er das unschärfere „Geist“ für ruaḥ (ebd., 210). Aus der Kommentierung von E. Zenger a könnte man herauslesen, dass es hier um eine konstante Zweiheit (lēb und ru ḥ) geht, die die Mitte des Beters ausmachen: „Er [der Beter] bittet darum, daß Gott ihn von der Mitte seiner Existenz her an ,Herz‘ und ,Geist‘, neu schaffen möge.“ Hossfeld/Zenger, Psalmen 51–100, 53. Zur „Mitte der Existenz“ gehört aber sicher auch næfæš und baśar, je nach Kontext auch andere Aussagen über den Menschen, vgl. Ps 16,9 (s. den Haupttext weiter). Was ist aber dann die „Mitte“? 26 Im Sinne linguistischer Referenz, Bezug eines Zeichens auf einen außersprachlichen Sachverhalt, ein außersprachliches Ding, einen Referenten. Vgl.: A. Wagner, Sprechakte und Sprechaktanalyse im Alten Testament. Untersuchungen an der Nahtstelle zwischen Handlungsebene und Grammatik, BZAW 253, Berlin/ New York 1997, 14–15. © 2016, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783788730628 — ISBN E-Book: 9783788730635

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bāśār næfæš

lēb ruahi

Referenzbereich: Mensch (anthropologischer Bereich) Ja ja (Gen 2,7 ist der Mensch eine næfæš hai yya) Ja Ja

Gott Tiere (anthropomorpher Bereich) – ja (Opferfleisch) ja ja27

„Unbelebtes“

ja ja

(ja)28 Ja (Wind)

– ja29

– –

Diese Übersicht zeigt, dass sich nur Teilbedeutungen (ruaḥ) bzw. bestimmte Anwendungsfälle auf den Menschen beziehen, es handelt sich nicht um solchermaßen „anthropologische“ Begriffe, die nur Menschliches (Anthropologisches) bezeichnen würden. Dies weist auf Gemeinsamkeiten und Unterschiede mit anderem „Lebendigen“. Mit den Tieren hat der Mensch die Vergänglichkeit gemeinsam, beide können mit bzw. als bāśār bezeichnet werden. Gott hat bzw. ist kein bāśār, d.h. er ist nicht vergänglich. Mit Gott verbindet den Menschen dagegen sowohl næfæš, die Gott und Mensch zugesprochen wird, als auch die ruaḥi, der/die von Gott kommt. Tiere haben ebenfalls næfæš und ruaḥ. Eingedenk dieser Überlegungen sollte man besser von „Begriffen des Lebendigen“30 sprechen als von anthropologischen Begriffen. So würde betont, dass die Lebendigkeiten der Welt Gemeinsamkeiten untereinander haben, gleichsam verborgene Verbindungslinien. Die Erkenntnis dieser Verbindungslinien könnte helfen, Verhältnisbestimmungen wie den Herrschaftsauftrag aus Gen 1,26ff (vgl. auch Gen 9,1ff) besser zu verstehen.31 27 Spr 12,10 Der Gerechte kennt die næfæš seines Viehs […]. 28 Nicht in der Bedeutung Denkorgan, s.o. 2Sam 18,14. a 29 Pred 3,19ff (Menschen und Tiere) haben einerlei ru ḥ. […] Alle gehen zu einem Ort, alle sind aus Staub und kehren zu Staub zurück. Wer weiß denn, ob die ruaḥ der Menschen nach oben steigt und ob die ruaḥ des Viehs nach unten zur Erde hinabsteigt? 30 Auch dies wäre allerdings eine Bezeichnung mit gewissen Unschärfen, etwa mit Blick auf die unbelebten Referenten, s. rechte Spalte der Übersicht. 31 Sollte nicht Achtung und Ehrfurcht vor den Tieren steigen, wenn wir erkennen, a dass baśar, næfæš und ru ḥ uns verbinden? © 2016, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783788730628 — ISBN E-Book: 9783788730635

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V. Anthropologische Fülle Nun müssen wir uns noch einmal dem Problem der Beschränkung auf vier Grundbegriffe zuwenden. Oben wurden bereits Belege angeführt, die zeigen, dass die sog. „vier Grundbegriffe“ mit weiteren anthropologischen Begriffen kombiniert werden können: Ps 73,21 Als mein lēb verbittert war, als Schmerz meine kelāyôt (Nieren) durchstach, […]

Hier liegt wiederum ein Parallelismus vor, angesprochen ist im ersten Glied (lēb) der Mensch unter dem Aspekt der Rationalität, der denkerischen Verbitterung und Verzweiflung. Im zweiten Glied stehen die Nieren für den Menschen unter dem Aspekt des Gefühls;32 Ps 73,21 will demnach nicht nur auf die kognitive Verzweiflung, sondern auch auf die emotionale hinaus. Warum aber zählt man die kelāyôt (Nieren) nicht unter die anthropologischen Grundbegriffe? Wegen der Zahl der Belege (31 im AT)? Oder weil die Gefühlsseite des Menschen weniger wichtig ist? Beides können keine haltbaren Gründe sein; die Zahl der Belege ist so groß, dass Zufälligkeiten in der Überlieferung unwahrscheinlich sind, und der Ausschluss des Gefühlsbereiches als zentraler menschlicher Aspekt ist vom AT her auch sonst nicht zu begründen. Ganz ähnlich verhält es sich mit anderen „anthropologischen“ Begriffen, mit Begriffen, die den Menschen unter einem bestimmten Aspekt erscheinen lassen können. Ich will hier nur die deutlichsten Beispiele heranziehen. Wie bei bāśār, næfæš, lēb oder ruaḥ kann auch bei etlichen weiteren hebräischen Belegen im Deutschen ein Personalpronomen gesetzt werden, es handelt sich dann um „Stellvertreterbegriffe“, die anstelle eines Personalpronomens und damit „stellvertretend“ für den ganzen Menschen stehen können.33 Damit erfüllen sie m.E. bereits das Hauptkriterium für einen anthropologischen Begriff. Sie stehen für den ganzen Menschen und geben einen bestimmten Aspekt an, unter dem er gesehen werden soll: Ri 7,2 Jahwe aber sprach zu Gideon: Zu zahlreich ist das Volk, das bei dir ist, als dass ich Midian in seine Hände geben sollte; Israel könnte sich rühmen wider mich und sagen: Meine Hand hat mich errettet = ich habe mich selbst (aus eigener Kraft) gerettet. 32 Vgl. D. Kellermann, Art. ‫ כְּ לָיֹות‬kelāyôt, in: ThWAT Bd. IV (1984), 185–192, hier bes. 189–190; Schroer/Staubli, Die Körpersymbolik der Bibel, 77; Janowski, Konfliktgespräche mit Gott, 170–173. 33 Vgl. Wolff, Anthropologie, 22. © 2016, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783788730628 — ISBN E-Book: 9783788730635

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Die hebräische Aussage ist wesentlich eindeutiger und leistet mehr, als etwa die deutsche Übersetzung mit dem Personalpronomen wiedergeben kann:34 Das Hebräische zielt mit der (anthropologischen) Formulierung „meine Hand“35 bzw. „mein Fuß“36 sofort auf den Menschen (hier Pl.) unter dem Aspekt der Kraft und Macht! Ps 38,17 Denn ich denke: Dass sie sich ja nicht über mich freuen! Wenn mein Fuß wankte, würden sie sich hoch rühmen wider mich. Ps 94,18 Wenn ich sprach: Mein Fuß ist gestrauchelt, so hielt mich, Jahwe, deine Gnade.

In beiden Psalmenstellen könnte man wiederum mit Personalpronomen der 1. Pers. übersetzen, gemeint ist in Ps 38,17 ich wankte bzw. in Ps 94,18 ich strauchelte. Die Verwendung eines anthropologischen Begriffs, der wiederum sofort den Menschen unter einem bestimmten Aspekt, dem der Standhaftigkeit, der Präsenz, der Verfügungsgewalt – all das ist ja mit Fuß verbunden – erscheinen lässt, setzt sofort einen eigenen Akzent, der weit über die bloße Bezeichnung der Person hinausgeht. Ps 92,12 Mit Freude sieht mein Auge auf meine Feinde herab und hört mein Ohr von den Boshaften, die sich gegen mich erheben. Ps 88,10 Mein Auge sehnt sich aus dem Elend. Jahwe, ich rufe zu dir täglich; ich breite meine Hände aus zu dir.

Auch bei Belegen mit Auge stoßen wir auf denselben Sachverhalt: Wiederum sind diese Formulierungen als Stellvertretungsformulierungen für das ich zu sehen: Ps 92,12 ich sehe auf meine Feinde herab, Ps 88,10 ich sehne mich aus dem Elend. Eingebracht wird durch die Formulierungen mit Auge der Aspekt des Sehens und Erkennens.37 Ebenso beim Ohr (Ps 92,12) der des Hörens.38 34 Im Hintergrund steht hier die Vorstellung, dass mit der Nennung eines Körperteils auch dessen Funktion verbunden ist. Wolff, Anthropologie, 23, nennt dies „Synthetisches Denken“, vgl. dazu auch: O. Keel, Diene Blicke sind Tauben. Zur Metaphorik des Hohen Liedes (SBS 114/115), Stuttgart 1984 (passim); Schroer/Staubli, Die Körpersymbolik der Bibel, 27–28; Janowski, Konfliktgespräche mit Gott, 19–21. 35 Zur funktionalen/synthetischen Bedeutung von Hand vgl.: Schroer/Staubli, Die Körpersymbolik der Bibel, 171–190. 36 Zur funktionalen/synthetischen Bedeutung von Fuß vgl.: Schroer/Staubli, Die Körpersymbolik der Bibel, 205–229. 37 Zur funktionalen/synthetischen Bedeutung von Auge vgl.: Wolff, Anthropologie, 116–118; Schroer/Staubli, Die Körpersymbolik der Bibel, 115–135. © 2016, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783788730628 — ISBN E-Book: 9783788730635

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Ich breche hier mit der Aufzählung von Belegen ab, die Richtung dürfte nun erkennbar sein. Der Bogen lässt sich also schlagen von den sog. anthropologischen Grundbegriffen (bāśār, næfæš, lēb, ruaḥ) zu den Körperbegriffen. Wie bei den verschiedenen „Grundbegriffen“ wird auch bei den Letztgenannten immer ein Aspekt des Menschen in den Vordergrund gestellt. Die Vorkommenszahl der Belege kann dabei keine Rolle für eine Bewertung der Begriffe als „anthropologische“ spielen, da Begriffe wie yād, ‘ayin u.ä. öfter belegt sind, als die meisten sog. anthropologischen Grundbegriffe. Und sachlich lässt sich eine Reduktion des Menschlichen eingedenk der mit den Körperbegriffen bezeichneten Sachverhalte ebenfalls nicht rechtfertigen: Natürlich ist es zentral, den Menschen unter dem Aspekt des Handelns, seiner Handlungsfähigkeit und -möglichkeit zu betrachten (Hand, Fuß), und unter dem Aspekt seiner Erkenntnisfähigkeit (Auge, Ohr), und dem Aspekt seiner Kommunikationsfähigkeit (Mund) usw. Der Mensch wird also im AT unter den verschiedensten Perspektiven betrachtet, ohne dass eine klare Hierarchisierung der verschiedenen Aspekte erkennbar wäre. Das AT fasst diese Aspekte nicht zu einer einheitlichen Vorstellung (etwa einen einheitlichen „Person“-Begriff o.ä.) zusammen, sondern bringt seine Ansichten über den Menschen in einer Vielzahl von Aspekten zum Ausdruck. Etliche dieser Aspekte sind dabei nicht nur auf den Menschen beschränkt, sondern sind Aspekte alles Lebendigen. Eine Reduktion des Menschen auf einen oder wenige Aspekte ist dem AT fremd.39 Wäre der Mensch nur auf das Körperliche, nur auf das Geistige, nur auf den Intellekt, nur auf das Gefühl, nur auf die Vergänglichkeit, nur auf das, was er von Gott hat, nur auf das Handeln, nur auf das Sprechen usw. reduziert, dann fehlten ihm die ande38 Zur funktionalen/synthetischen Bedeutung von Ohr vgl.: Wolff, Anthropologie, 118–120; Schroer/Staubli, Die Körpersymbolik der Bibel, 137–150; Janowski, Konfliktgespräche mit Gott, 85–89. 39 Auf den Spuren dieser Aussage sind Wolff, Anthropologie, Schroer/Staubli, Die Körpersymbolik der Bibel, und Janowski, Konfliktgespräche mit Gott. Wolffs Überschriften (der bedürftige Mensch / der hinfällige Mensch / der ermächtigte Mensch / der vernünftige Mensch) deuten die Aspekthaftigkeit der Aussagen über den Menschen an, Schroer/Staubli ordnen nicht mehr nach anthropologischen Grundbegriffen, sondern nach allem, was den Menschen „körpersymbolisch“ ausmacht, und Janowski weist mit seinen anthropologischen Stichworten (ebd., XIII–XVI) 1 Sehen und Hören, 2 Rache, 3 Herz und Nieren, 4 Vitalität, 5 Diesseits und Jenseits, 6 Dankbarkeit, 7 Unvergänglichkeit, 8 Psalmengebet sachlich auch auf eine Fülle. © 2016, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783788730628 — ISBN E-Book: 9783788730635

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ren ausbalancierenden Aspekte. Menschsein beinhaltet eine Fülle dieser Aspekte, die möglichst in ihrer Fülle zur Geltung kommen sollten.

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Menschenkonzept des AT

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Mensch (AT)

I. Mensch und Gott Vom Menschen ist im Alten Testament in unterschiedlichsten Zusammenhängen von der Urgeschichte bis zur Prophetie und den Psalmen die Rede. Auch wird er verschieden bestimmt, z.B. als Geschöpf, als erkennendes und handelndes Wesen sowie als Beter. Übergreifend gilt weithin, was Ps 8,5 formuliert: „Was ist der Mensch, dass du seiner gedenkst?“ Reden vom Menschen heißt im Alten Testament, vom Menschen vor Gott (coram deo) zu reden und ihn immer auch in seinem Verhältnis zu Gott zu betrachten. Alttestamentliche „Anthropologie“ geht daher einher mit „Theologie“; die Anschauungen über den Menschen sind nicht loszulösen von den Anschauungen über Gott. Die Anschauungen des Alten Testaments über den Menschen werden in den zentralen Texten darüber hnaus nicht als theoretisch-systematische Grundlegungen entfaltet und formuliert, sondern z.B. in erzählender Form in der Urgeschichte dargeboten, im Sprechen zu und über Gott in den Psalmen und in spruchhafter (gnomischer) Form in der Weisheit. II. Was den Menschen ausmacht Alttestamentliche Anthropologie bringt nachkonstruierend zum Ausdruck, was an impliziter und expliziter Anschauung über den Menschen im Alten Testament gesagt wird. Die bisherige anthropologische Forschung zum Alten Testament hat sehr stark die expliziten Aussagen herangezogen, die direkt vom Menschen handeln.1

1 Wolff, Hans-Walter, Anthropologie des Alten Testaments, Gütersloh 72002 (1. Aufl. 1973). © 2016, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783788730628 — ISBN E-Book: 9783788730635

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Wesentliche Einsichten, die auf diesem Weg erzielt wurden, betreffen die sog. anthropologischen Grundbegriffe: a) bāśār „Fleisch“: Aspekt des körperlich-vergänglichen Anteils an Mensch und Tier, wird nie von Gott ausgesagt b) lēv „Herz“ (besonders Sitz des Verstandes): Aspekt der Rationalität c) næfæš „Leben, Gier, Kehle“: Aspekt des Lebens/der Lebendigkeit d) ruaḥ „Wind, Geist, Kraft, Vitalität“ (Aspekt der letztlich von außen kommenden Vitalität). Diese Reihe ist zu vermehren um weitere „Stellvertreterausdrücke“ für den Menschen, wie sie sich z.B. in Ri 7,2 finden: „Israel könnte sich rühmen wider mich und sagen: Meine Hand hat mich errettet“, i.S.v.: ich habe mich selbst (aus eigener Kraft) gerettet. Solche auf ein Körperteil oder ein inneres Organ bezogenen Ausdrücke sind zahlreich, stehen ebenfalls für den ganzen Menschen und geben einen bestimmten Aspekt an, unter dem er gesehen werden soll: e) Fuß: Aspekt der Präsenz, Kraft und Macht Ps 94,18 Wenn ich sprach: Mein Fuß ist gestrauchelt, so hielt mich, Jahwe, deine Gnade. f) Auge: Aspekt des Sehens und Erkennens Ps 92,12 Mit Freude sieht mein Auge auf meine Feinde herab und hört mein Ohr von den Boshaften, die sich gegen mich erheben. g) Ohr: Aspekt des Hörens und Begreifens Diese Liste ließe sich noch um einige weitere Körperteile erweitern. Der Mensch kann nach dem Alten Testament als Ganzes unter dem jeweiligen Aspekt gesehen werden, den ein anthropologischer Begriff oder ein Körperteil zum Ausdruck bringt. Die alttestamentliche Anschauung zum Menschen verzichtet darauf, alle diese Aspekte in ein System zusammenzubinden. Sie stehen vielmehr additiv© 2016, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783788730628 — ISBN E-Book: 9783788730635

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parataktisch nebeneinander, ohne in ein „System“ Mensch integriert zu sein. Diese „Auffassungsweise“ entspricht bildlichen Darstellungen, die wir aus dem Alten Israel (und dem Alten Orient) kennen: verschiedene Körperteile werden in einer als typisch geltenden Ansicht gezeigt und zu einem Ganzen addiert: der Kopf erscheint in Seitenansicht, das Auge in Vorderansicht, die Beine in Seitenansicht, der Oberkörper in Vorderansicht usw.2 Damit unterscheidet sich die alttestamentliche Sicht des Menschen etwa von der griechischen, die den Menschen „systemhaft“ als dichotomisch aus Körper und Geist oder trichotomisch aus Körper, Geist und Seele zusammengesetzt sieht.

Abb. 1: Darstellung eines Menschen auf Pithos B aus Kuntillet ‘Aǧrūd (8. Jh. v. Chr.).

III. Implizit greifbare Anschauungen über den Menschen Neben den expliziten Aussagen über den Mensch stehen implizite. Es lassen sich etwa bestimmte Eigenarten des „Denkens“, der „Körperauffassung“, des „Fühlens“ finden.3 Bei diesen Grundbestimmungen handelt es sich um Mentalitäten, die für den alttestamentlichen Menschen prägend sind. Sie bilden die Grundlage für die geistigen Äußerungen; wollen wir diese adäquat verstehen, müssen wir auch diese anthropologischen Grundlagen berücksichtigen. Die drei ge-

2 Vgl. Schäfer, Heinrich, Von Ägyptischer Kunst, besonders der Zeichenkunst. Eine Einführung in die Betrachtung ägyptischer Kunstwerke, 2 Bde., Leipzig 1919; 4. verbesserte Auflage hg. und mit einem Nachwort versehen von Emma BrunnerTraut, Wiesbaden 1963; engl. 31986; Gombrich, Ernst H., Die Geschichte der Kunst, Frankfurt 161995 (11952, zuerst engl. 1950); Keel, Othmar, Die Welt der altorientalischen Bildsymbolik und das Alte Testament am Beispiel der Psalmen, Göttingen 5 1996; Schroer, Silvia / Staubli, Thomas, Die Körpersymbolik der Bibel, Darmstadt 5 2005; Wagner, Andreas, Gottes Körper. Zur alttestamentlichen Vorstellung der Menschengestaltigkeit Gottes, Gütersloh 2010. 3 Vgl. Janowski, Bernd, Konfliktgespräche mit Gott. Eine Anthropologie der Psalmen, Neukirchen-Vluyn 22006 (1. Aufl. 2003); Janowski, Bernd, Der Mensch im alten Israel. Grundfragen alttestamentlicher Anthropologie, ZTHK 102 (2005), 143–175; Wagner, Andreas, Emotionen, Gefühle und Sprache im Alten Testament. Drei Studien (KUSATU), Waltrop 2006; Wagner, Andreas, Der Parallelismus membrorum zwischen poetischer Form und Denkfigur, in: Andreas Wagner (Hg.), Parallelismus membrorum (OBO), Freiburg (Schweiz) / Göttingen 2007, 1–26. © 2016, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783788730628 — ISBN E-Book: 9783788730635

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nannten „Mentalitäten“ – die hier nur exemplarisch für weitere stehen – lassen sich folgendermaßen charakterisieren: a) Oben wurde unter 2. angedeutet, dass eine Tendenz des „Denkens“ des Alten Testaments darin besteht, sich Phänomenen additiv zu nähern; diese Tendenz lässt sich deutlich beim Parallelismus membrorum beobachten.4 b) Körperteilbezeichnungen (Hand, Auge, Ohr usw.) erfüllen im Alten Testament nicht nur die Aufgabe, die entsprechenden Körperglieder zu beschreiben, sondern sind immer auch in ihrer funktionalen Bedeutung zu sehen: „Hand“ kann für Handeln, Machtausüben etc. stehen, „Auge“ für Sehen und Erkennen, „Ohr“ für Hören usw. Dieses „synthetische Denken“5 ist Ausdruck einer Körperauffassung, die den Körper stark in Beziehung setzt zu der mitmenschlichsozialen Welt. c) Das alttestamentliche Konzept von Gefühl, Emotion und Affekt unterscheidet sich deutlich von dem griechisch-abendländischen. Im letztgenannten Bereich ist die zentrale Metapher für Gefühlsausdrücke die sog. „Behältermetapher“ („er ist voll von Hass/Liebe etc.“). Darin spiegelt sich, dass der Körper als Gefäß für Gefühle und Emotionen aufgefasst wird und der Mensch letztendlich die Aufgabe hat, die „interioren“ Gefühle und Emotionen in seiner materialen Hülle unter Kontrolle zu bringen (H.C. Schmitt).6 Im Alten Testament findet sich die Behältermetapher so gut wie nicht. Gefühle erscheinen hier als etwas, das (von außen) über den Menschen kommt (Num 5,14: „und der Geist der Eifersucht kommt über ihn“). Für Gefühle und Emotionen gibt es plausible Gründe; man kann sich ihnen „naturgemäß“ kaum entziehen und viel weniger eine „innere Kontrolle“ ausüben, weil sie ja auch nicht als im Innern des Körpergefäßes entstehend gedacht werden. In einigen Texten hat es den Anschein, als 4 Wagner, Andreas, Der Parallelismus membrorum zwischen poetischer Form und Denkfigur (s. Anm. 3). 5 Wolff, Hans-Walter, Anthropologie des Alten Testaments (s. Anm. 1); Wagner, Andreas, Das synthetische Bedeutungsspektrum hebräischer Körperteilbezeichnungen, S. 71–82 in diesem Band [Erstveröffentlichung in: BZ 51, 2007, 257–265]. 6 Schmitz, Hermann, System der Philosophie, Bd. 3.1 Der leibliche Raum, Bonn 2 1988 (11967); Bd. 3.2 Der Gefühlsraum, Bonn 21981 (11969); Bd. 5 Die Wahrnehmung, Bonn 21989 (11978); Böhme, Hartmut, Gefühl, in: Wulf, Christoph (Hg.), Vom Menschen. Handbuch historische Anthropologie, Weinheim/Basel 1997, 525– 548, vgl. auch Wagner, Andreas, Emotionen, Gefühle und Sprache im Alten Testament. Drei Studien (KUSATU 7), Kamen 22011, 67–69. © 2016, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783788730628 — ISBN E-Book: 9783788730635

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sollten die Gefühle durch Verweis auf äußere Normen (2 Sam 13,12: „so tut man nicht in Israel“) der Kontrolle unterworfen werden. IV.

Anthropologie und Anthropomorphismus

Alle Bestimmungen, die sich über den Menschen aussagen lassen und Gegenstand der alttestamentlichen Anthropologie sind, finden sich im „Bild“ Gottes wieder als Gegenstand der Theologie. Anthropomorphe Redeweise prägt das ganze Alte Testament. Durch das Bilderverbot ist die anthropomorphe Vorstellung von Gott im Alten Testament eingeschränkt auf den Bereich des sprachlichmentalen Bildes.7 In diesem Bereich entfaltet sich ein reichhaltiges Reden von Gottes Gestalt (Anthropomorphismus im engeren Sinne), Gottes Gefühlswelt (Anthropopathismen), seinem Handeln (Anthropopragmatismus) und Sprechen (Anthropolingualismus). Durch den Anthropomorphismus wird Gott nach dem Alten Testament als handlungs- und kommunikationsfähiger Partner des Menschen gezeichnet, der wie der Mensch auch eine emotionale Seite hat. Diese Konzeption macht Gott dem Menschen fassbar und bildet ein Gegengewicht zu einem allzu abstrakten Gottesbild. V.

Anthropologische Positionen im Alten Testament

Zentrale und zum Teil divergente anthropologische Positionen finden sich im Alten Testament in folgenden Kontexten: a) In der nicht-priesterschriftlichen Urgeschichte herrscht ein Menschenbild vor, das den Menschen in seiner Anlage zur Sünde vor Augen führt, dem aber die stetige Bewahrung durch Gott an die Seite gestellt wird.8 Der Mensch wird als Geschöpf Gottes eingeführt (Erschaffung des Menschen in Gen 2); Grundbedingungen der menschlichen Existenz sind ätiologisch als Folge von Gebotsübertretungen charakterisiert (Gen 3 Lebensarbeit und Geburtsschmerz als Folge des Essens vom Baum der Erkenntnis u.ä.). Der nach der Sintflut zurückgenommene Vernichtungsbeschluss (Gen 8,21ff.) garantiert

7 Vgl. Uehlinger, Christoph, Art. Bilderverbot, in: RGG4, Bd.1, Sp.1574–1577. 8 Rad, Gerhard von, Das erste Buch Mose. Genesis (ATD 2/4), Göttingen 121987 (1. Aufl. 1949), 116–118. © 2016, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783788730628 — ISBN E-Book: 9783788730635

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für alle Zeiten trotz der Anlage zur Sünde ein gedeihliches Leben unter den vorher erzählten Bedingungen der menschlichen Existenz.9 b) Ungleich positiver erscheint der Mensch dagegen in der Konzeption der priesterschriftlichen Urgeschichte: Der Mensch ist hier das höchste der Schöpfungswerke (Gen 1,1–2,4a), er ist „Standbild“ (= Repräsentant) Gottes auf Erden (imago dei), ist männlich und weiblich geschaffen (keine Geschlechterunterordnung), gottunmittelbar sowie herrschafts- (dominium animalium et terrae) und kommunikationsfähig; von daher kann er „gleichartig“ (≠ identisch) zu Gott heißen (Gen 1,26). Der Mensch schlechthin erscheint so in der Rolle des verantwortlichen Gegenüber Gottes, eine Rolle, die in der altorientalischen Königsideologie der König inne hat; bei P kann daher von einer „Royalisierung“ des Menschen gesprochen werden.10 c) Texte des Deuteronomistischen Geschichtswerkes von Dtn/Josua bis 2. Kön (DtrG) schärfen bei ihrer Sicht auf die Geschichte Israels ein, dass der Mensch ohne die Orientierung an der Tora verloren ist und machen die von den Geboten der Tora abweichenden Könige als Ursache des Untergangs staatlichselbständiger Existenz aus (H.C. Schmitt).11 d) Innerhalb der Prophetie und der prophetischen Überlieferung prägt sich insbesondere die Vorstellung von der Verantwortlichkeit des Menschen für sein Leben und Verhalten und für das Leben anderer; zunächst steht in der Prophetie des 8.–6. Jh. das Volk als Gegenüber zu Jahwe im Vordergrund; in späteren prophetischen Texten (Tritojesaja) tritt zunehmend der einzelne Mensch in diese Rolle ein; am Ende steht das einzelne menschliche Individuum dem einzigen Gott gegenüber und muss sich zu ihm bekennen; Koch

9 Vgl. Albertz, R., Art. Mensch II, in: Theologische Realenzyklopädie XXII, 464– 474. 10 Janowski, Bernd, Die lebendige Statue Gottes. Zur Anthropologie der priesterlichen Urgeschichte, in: Markus Witte (Hg.), Gott und Mensch im Dialog (FS Otto Kaiser; BZAW 345), Bd. 1, Berlin / New York 2004, 183–214; Waschke, ErnstJochim, Die Bedeutung der Königstheologie für die Vorstellung der Gottesebenbildlichkeit des Menschen, in: Andreas Wagner, Anthropologische Aufbrüche. alttestamentliche und interdisziplinäre Zugänge zur historischen Anthropologie (FRLANT), Göttingen 2009, 235–254. 11 Schmitt, Hans-Christoph, Arbeitsbuch zum Alten Testament Göttingen 2005, 248-267. © 2016, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783788730628 — ISBN E-Book: 9783788730635

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spricht von der Korrespondenz zwischen Monotheismus und Monanthropologie.12 e) Auch in der Weisheit steht der einzelne Mensch im Zentrum der Überlieferungen. Ziel und Bestreben ist es, ein weisheitlich erfülltes Leben zu führen, wobei die „Machbarkeit“ des erfüllten Lebens vorausgesetzt wird; der Mensch hat die Ordnungen der Welt zu entdecken, denen auch er unterworfen ist, deren Erkenntnis er sich aber zu Nutze machen kann. Erkenntnis- und Gestaltungswille bestimmen daher den Weisen, den „Sachverständig-Tüchtigen“. Erst in einem längeren Prozess wird diese im gesamten Alten Orient vorfindliche weisheitliche Lebensanschauung israelitisiert bzw. jahweisiert.13 f) Die Psalmen bieten einen eigenen Kosmos an anthropologischen Positionen. Paradigmatisch sprechen sich hier Menschen in ihrer Grundbefindlichkeit Gott gegenüber aus (Lob, Klage), wird die Vielfalt menschlichen Lebens coram deo reflektiert und verbalisiert.14 VI.

Das Alte Testament als anthropologisches Dokument

Alle die beschriebenen Facetten bzw. Aspekte können jeweils als eine vollgültige Menschensicht „des“ Alten Testaments verstanden werden. Ein basso continuo findet sich in der Vorstellung von Gott und Mensch als Gegenüber, in der Geschöpflichkeit des Menschen und seiner Freiheit zum Handeln. Das Alte Testament insgesamt, in der Fülle seiner Aspekte, bringt es auf eine Volltönigkeit an anthropologischen Perspektiven, die es sowohl in der Religionsgeschichte wie überhaupt in der Menschheitsgeschichte zu einem singulären Dokument macht.

12 Koch, Klaus, Die Profeten I. Assyrische Zeit, Stuttgart u.a. 31995 (1. Aufl. 1978), 22–23. 13 Michel, Diethelm, Proverbia 2 – ein Dokument der Geschichte der Weisheit, in: Jutta Hausmann / Hans-Jürgen Zobel (Hgg.), Alttestamentlicher Glaube und biblische Theologie (FS Horst Dietrich Preuß), Stuttgart u.a. 1992, 233–243. Auch: Müller, Achim, Proverbien 1–9. Der Weisheit neue Kleider (BZAW 291), Berlin / New York u.a. 2000. 14 Janowski, Bernd, Konfliktgespräche mit Gott (s. Anm. 3), passim. © 2016, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783788730628 — ISBN E-Book: 9783788730635

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1.

Zugangsweise, Zielpunkt, Begrifflichkeiten

1.1 Zur Art alttestamentlich-anthropologischer Aussagen und Charakter ihrer Vielfalt Die Rede von „Menschenbildern“, von „Menschenkonzepten“ oder von „Anthropologie“ weckt die Erwartung, dass ein Entwurf vom Menschen in größtmöglicher Klarheit und Ausführlichkeit zu entfalten ist. So verfahren sowohl theologische2 wie auch philosophische3 Anthropologien der Neuzeit, und in diese Tradition stellen sich auch gerne naturwissenschaftlich-anthropologische Ansätze.4 Vor1 Diesem Aufsatz liegen Überlegungen aus meiner Antrittsvorlesung in Bern zugrunde, verbunden mit Forschungsergebnissen aus meinen DFG-Projekten zur Anthropologie aus Heidelberg, Darmstadt und Bern 2004-2016. 2 Theologische Anthropologien gehen nicht selten vom imago dei-Gedanken aus, so besonders häufig in der Kath. Theologie, vgl. L. Scheffczyk (Hg.), Der Mensch als Bild Gottes (WdF 124), Darmstadt 1969; M. Bär, Mensch und Ebenbild Gottes sein. Zur gottebenbildlichen Dimension von Mann und Frau (EThSt 101), Würzburg 2011. Die Ebenbildlichkeit als Grundidee einer Anthropologie wird auch in der Ev. Theologie hervorgehoben: „Auch wenn der Begriff ‚Ebenbild’ in der Bibel nur selten erscheint, kann er doch als Verdichtung der theologischen Rede vom Menschen verstanden werden.“ W. Schoberth, Einführung in die theologische Anthropologie, Darmstadt 2006, 116; allerdings ist dies in der Regel verbunden mit der Thematisierung der Existenz des Menschen als Sünder und seinem Angewiesensein auf Rechtfertigung (etwa bei Schobert unter dem Stichwort „Sünder und Ebenbild Gottes“ a.a.O. 115). 3 Vgl. etwa die Anthropologie Gehlens, der vom Menschen als „Mängelwesen“ ausgeht und von da aus seine Anthropologie entwirft, vgl. A. Gehlen, Der Mensch, seine Natur und seine Stellung in der Welt. Frankfurt am Main 1993 (Gesamtausgabe / A. Gehlen. Hrsg. von L. Samson), oder Cassirer, der den Menschen vor allem als animal symbolicum sieht, vgl. E. Cassirer, Philosophie der symbolischen Formen 1–3, Berlin 1923–1929, u.ä. 4 Am präsentesten sind hier gegenwärtig die Anthropologien, die den Menschen ganz aus dem Geschehen der Evolution heraus zu verstehen suchen, vgl. etwa die Ansätze von Richard Dawkins und Stephen Jay Gould (vgl. R. Dawkins, River Out of Eden. A Darwinian View of Life, New York 1995 u.a.). © 2016, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783788730628 — ISBN E-Book: 9783788730635

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herrschend in einem Systementwurf ist meist eine Grundidee, die in einem Spitzensatz formuliert wird, etwa: der Mensch als Maschine,5 o.ä. Von einem solchen Spitzensatz aus werden Ableitungen deduziert, eine so formulierte Anthropologie bildet eine geschlossene, systemhafte Darstellung über den Menschen. Das Mittel der Darstellung ist zumeist eine monographische Abhandlung in Buchform (z.B. La Mettrie, J.O.: L' homme machine. Leyde 1748). In der Regel werden dabei zu Beginn oder im Verlauf der Darstellung die wesentlichen leitenden Begriffe geklärt. Begriff ist hier nicht im Sinne eines Wortes oder Lexems oder Terminus, sondern im Sinne eines gedanklichen Konzeptes gebraucht. Systemhaftigkeit, Köhärenz und ein hohes begriffliches Reflexionsniveau sind Kennzeichen eines solchen „guten“ anthropologischen Entwurfs.6 All das – also explizit begriffliches Systemdenken, kohärente Großabhandlungen etc. – finden wir im AT nicht,7 weder in einzelnen Büchern, noch in Buchteilen noch im Kanonganzen. Das AT ist in seinen Themenfeldern nicht auf solche im modernen Sinne kohärente Gesamtsysteme hin angelgt: Es gibt im AT weder eine explizit und begrifflich reflektiert dargebotene „Systematische Theologie“

5 Dieses anthropologische Konzept wurde vertreten von Leonardo da Vinci (1452– 1519) bis Julien Offray de La Mettrie (1709–1751), reicht also vom Humanismus bis zu einem der konsequentesten Vertreter des mechanistischen Materialismus. 6 Begriffe sind gedankliche Konzepte, daher Einheiten des Denkens und der (implizit vorhandenen oder explizit formulierten) Theorie etc., Worte mit ihrer lexikalischen Semantik sind zunächst Einheiten der Sprache; die Nicht-Beachtung dieser Unterschiede und das zu schnelle Zurückschließen von Wörtern zu Begriffen hat große Verwirrungen hervorgebracht. Für die alttestamentliche Exegese hat vor allem James Barr auf die Problematik aufmerksam gemacht (J. Barr, The Semantics of Biblical Language, Oxford 1962; dt.: Bibelexegese und moderne Semantik. Theologische und linguistische Methode in der Bibelwissenschaft, München 1965), vgl. für den Bereich der Anthropologie einstweilen: K. Müller / A. Wagner, Das Konzept der synthetischen Körperauffassung in der Diskussion, S. 83–102 in diesem Band [Erstveröffentlichung in: dies. / ders. (Hg.), Synthetische Körperauffassung im Hebräischen und den Sprachen der Nachbarkulturen (AOAT 416), Münster 2014, 223– 238)] 94f. 7 Vgl. A. Wagner, Der Mensch als ‚Bild‘ Gottes und das ‚Bild‘ Gottes im Alten Testament, S. 273–286 in diesem Band [Erstveröffentlichung in: Rheinsprung 11. Zeitschrift für Bildkritik 1, 2011, 79-91 (http://rheinsprung11.unibas.ch/archiv/ ausgabe-01/thema/der-mensch-als-bild-gottes.html)], hier 274ff. Übergangsphänomene hin zum begrifflichen Ausdruck sind im AT sehr wohl zu registrieren, vgl. A. Wagner, Prophetie als Theologie. Die so spricht Jahwe-Formeln und ihr Beitrag für das Grundverständnis alttestamentlicher Prophetie (FRLANT 207), Göttingen 2004, wo 329-331 das an begriffliches Denken heranreichende Aussagegefüge des kôh ’āmar-Formelfeldes u.ä. Phänomene reflektiert werden. © 2016, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783788730628 — ISBN E-Book: 9783788730635

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noch „Anthropologie“ noch „Ethik“ noch „Eschatologie“ noch ähnliches.8 Diese Feststellung will nicht besagen, dass das AT nicht zu all diesen Themenfeldern seine eigenen Anschauungen hätte! Und ebensowenig verbirgt sich dahinter eine Abwertung der Anschauungen des AT! Aber es ist eben von zentraler hermeneutischer Bedeutung, dass das AT seine Anschauungen nicht systematisch-begrifflich, sondern anders vorträgt: In Form von Großerzählungen und „Geschichtsschreibung“ (Gen–2Kön; Chronik), in Form von mehr oder weniger überarbeiteten Sammlungen von verschiedenen Kleintexten bzw. Kleintextsorten (Propheten, Psalmen, Hoheslied, Buch der Sprichwörter) sowie in einigen individuell geformten Bücher (Qoh u.ä.), die aber allesamt keine systemhaften Traktate darstellen. An dieses divergente Text-„Material“ sind nun auch die Fragen zur Anthropologie des AT zu stellen. Die Art der Darstellung anthropologischer Reflexionen und Grundanschauungen ist entsprechend dieser Vielfalt der Texte und Textsorten des AT sehr unterschiedlich. Wir finden anschauliche Erzählungen über die Erschaffung des Menschen und seiner Bestimmungen (Gen 1-2), sein Verhalten gegenüber Gott (Gen 3; DtrG), sein Verhalten gegenüber Menschen (Gen 4), wir finden kleine anthropologische Reflexionen, die in Gebetshaltung vorgetragen sind (Ps 8), wir finden Sentenzen und Sprüche, die Einsichten in die Natur des Menschen zeigen und, ganz praktisch und lebensnah, wie man mit dem Menschen und seinem Verhalten umgeht (Sprerbia), u.v.a.m. Diese einzelnen auf Anthropologie auszuwertenden Skizzen und Fragmente sind dabei nicht immer konvergent: die Priesterschrift, einer der Grunderzählfäden des Pentateuch, geht davon aus, dass der Mensch durchaus ṣadîk/gerecht vor Gott sein kann. Um seiner Gerechtigkeit will ist Noah ausersehen, die Sintflut zu überleben (Gen 6,9–14). Der „Gegenwurf“ zu P, „Nicht-P“, ist wesentlich pessimistischer, er geht davon aus, dass der Mensch „böse ist von Jugend an“ und dass des Menschen Erhalt ausschließlich von Jahwe abhängt, so sieht diese Nicht-P-Erzählung Noah aus Gottes freier Gnade erwählt, unabhängig von seinem Lebenswandel (Gen 6,5–8).

8 Diese Eigenschaft , dass man sich Erkenntnis nicht über Definitionen und Sy stembildungen annähert, teilt das AT mit den Kulturen der Alten Welt von Ägypten bis Mesopotamien, vgl. P. Machinist, Über die Selbstbewußtheit in Mesopotamien, in: S. N. Eisenstadt (Hg.), Kulturen der Achsenzeit. Die Ursprünge und ihre Vielfalt . Teil 1, Frankfurt a. M. 1987, 258–291. © 2016, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783788730628 — ISBN E-Book: 9783788730635

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In dieser Weise könnten wir fortfahren und im AT verschiedene und voneinander abweichende Menschenbilder und Anthropologien auffinden, die des Öfteren unvermittelt nebeneinanderstehen und den systemlogisch geschulten Neuzeitmenschen in ihrer additiven Unvermitteltheit herausfordern. In der neueren Diskussion wird daher manchmal von „Anthropologie(n)“ gesprochen.9 Zuweilen werden die zielgerichteten Anthropologien im AT, die „Menschenbilder“ entwerfen und den Menschen in einer bestimmten, erkennbar formulierten Aufgabe, Funktion und Rolle sehen10, als Anthropologie(n) des „Sollens“ von anthropologischen Beobachtungen, die historisch zu rekonstruierende kulturelle Bedingtheiten und Mentalitäten des Menschen betreffen, den anthropologischen Aspekten des „Seins“, unterschieden.11 In einer Art Übersetzungsprozess wollte und will die alttestamentliche Anthropologie als Wissenschaft dann versuchen, die Anschauungen des AT aus heutiger Perspektive zu systematisieren und sie in neuzeitlichem Denken vertrauten Systemdarstellungen zu (re-)formulieren.12 Wir halten also fest: Im AT finden sich keine begrifflich reflektierten philosophisch- oder theologisch-anthropologischen Systementwürfe. Das AT bietet dagegen eine additive Vielfalt anthropologischer Fragmente, Skizzen und Daten. Diese Vielfalt in Additivität oder Aspektivität, von der das gesamte AT geprägt und die im Gefäß des Kanons gefasst ist, bildet selbst wiederum eine Art anthropologisch und mentalitätsgeschichtlich relevanten Rahmen, der für die Frage nach dem Menschen im AT beachtet werden muss (vgl. Abschn. 4.3). Was im Folgenden behandelt wird, ist nun nicht eine Analyse der anthropologischen Positionen des AT (Mensch als Ebenbild Gottes, Mensch als Angewiesener auf Gottes Gnade usw.), die umreißen, wie der Mensch sein soll, wie er leben soll, wie er sich Verhalten soll etc. Das wäre die Frage einer Anthropologie, die entweder versucht, die pluriformen Aussagen des AT auf gemeinsame Grundlagen hin zu 9 Vgl. J. v. Oorschot, J. v. / A. Wagner (Hg.), Anthropologie(n) des Alten Testaments (Veröffentlichungen der Wissenschaftlichen Gesellschaft für Theologie 42), Leipzig 2015. 10 Vgl. S. Schroer / T. Staubli, Menschenbilder der Bibel, Ostfildern 2014. 11 Vgl. A. Wagner, Anthropologie(n) des Alten Testaments im 21. Jahrhundert, S. 3–13 in diesem Band [Erstveröffentlichung in: Oorschot/Wagner, 11–21], hier 5–7. 12 Der prominenteste Versuch in dieser Hinsicht ist bis heute die Anthropologie von H. W. Wolff, Anthropologie des Alten Testaments. Mit zwei Anhängen neu herausgegeben von B. Janowski, Gütersloh 2010 (München 11973). © 2016, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783788730628 — ISBN E-Book: 9783788730635

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formulieren, ähnlich einer „systematischen“ Theologie des AT, oder die „parataktisch“ Anthropologie(n) des AT beschreibt, wie es heute einige „Theologie(n) des AT“ auch tun. Ich möchte hier dagegen nach der hinter diesen positionellen Anthropologien liegenden historisch-anthropologischen Grundauffassung zum Menschen fragen, die den Hintergrund für jede textlich-anthropologische Aussage darstellt. Von dieser Hintergrundrolle her spielt die Grundauffassung zum Menschen in die anthropologischen Positionen hinein, der hermeneutische Gewinn ist daher für das Verständnis anderer anthropologischer Positionen groß, und am Ende kann diese rekonstruierte Grundauffassung sogar ein eigenes (anthropologisches wie theologisches) Gewicht gewinnen (vgl. Abschn. 4). 1.2 Das Feld der anthropologischen Wörter im AT als Ausgangspunkt der Frage nach dem Menschen Bei der Frage nach Gemeinsamkeiten in dieser additiven Vielheit der Anschauungen über den Menschen stoßen wir zunächst auf Notwendigkeit, nach den Wörtern zu fragen, die im AT gebraucht werden, um den Menschen bzw. seine wesentlichen Funktionen und Eigenschaften zu bezeichnen. Es ist wichtig, hier von den Wörtern auszugehen, die nicht vorschnell als Begriffe im oben genannten Sinne eines reflektierten gedanklichen Konzepts zu verstehen sind.13 Ich verwende daher im Folgenden eher Ausdruck, Wort, Lexem anstelle von Begriff, wenn eben ein Wort/Ausdruck des Hebräischen gemeint ist. Das Gesamtensemble der verschiedenen anthropologisch relevanten Wörter variiert nach Frequenz, Zusammensetzung und gemeinsamem Vorkommen im AT nicht auffällig, weder nach Zeiten noch nach Schriften, jedenfalls, soweit wir das heute sehen können.14 Im Zentrum des Interesses stehen hier zuallererst die Wörter, die nicht den Menschen als Gesamtes (so etwa ’ādām, ’ænoš etc.) bezeichnen, sondern die etwas über den Menschen, seine geistigen Fähigkeiten (das Herz als Zentralorgan des Verstandes, Augen und Ohren als Körperteile des Erkennens und Begreifens), seine körperlichen 13 Dies ganz im Sinne der Wort-Begriff-Problematik, auf die in Anm. 5 aufmerksam gemacht wurde. 14 Das will nicht sagen, dass es bei genauem Hinsehen nicht bestimmte Eigenarten der Verwendung gibt, z.B. scheint in der Anthropologie des Ezechielbuches das Herz eine besondere Rolle zu spielen, anders etwa als in der Anthropologie des Amosoder Jesajabuches, vgl. F. Markter, Transformationen. Zur Anthropologie des Propheten Ezechiel unter besonderer Berücksichtigung des Motivs „Herz“ (FzB 127), Würzburg 2013 passim. © 2016, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783788730628 — ISBN E-Book: 9783788730635

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(bāśār, der materiell-organisch-vergängliche Teil des Menschen) Anteile u.v.a.m. kundgeben. Dieser Wortbestand wurde in der Vergangenheit durchforscht und daraufhin befragt, was daraus die „wesentlichen“, „typischen“, „wichtigsten“ Wörter sind, die zusammen die (dann vielleicht auch begrifflich zu nennende) hebräische/alttestamentliche Auffassung vom Menschen ausmachen. In früheren Untersuchungen können wir etwa lesen, dass nach dem AT der Mensch aus næpæš (früher meist als Seele verstanden), ruaḥ (Geist) und bāśār (Fleisch) besteht. Das schwingt noch nach bis in den Art. Mensch in der 3. Auflage der RGG (1960) von Kapelrud15; nach der Erörterung von Gesamtbezeichnungen für den Menschen erläutert er næpæš, ruaḥ und bāśār.16 Kapelrud gibt auch zu erkennen, woher diese Beschränkung rührt: er verweist auf die griechische Auffassung vom Menschen „als einem Wesen mit einem unsterblichen Geist und einem vergänglichen Körper“, hält zwar fest, dass diese Auffassung dem AT fremd ist, stellt aber trotzdem „Fleisch (baśar) und Seele (næpæš) oder Geist (rûaḥ)“17 der griechischen Auffassung gegenüber, so dass eine gewisse Zuordnung suggeriert wird. Weitere Ausdrücke werden von Kapelrud nicht angeführt, sodass der Eindruck entsteht, die genannten drei Lexeme – seit Schmidt18 und Wolff wird in der Regel lēb/lēbāb (Verstand) als viertes hinzugenommen – seien als „anthropologische Hauptbegriffe“ kennzeichnend für den hebräischen Menschen. H.W. Wolff hat diesen Ausdruck – „anthropologische Hauptbegriffe“ – durch seine bis heute maßgebliche Anthropologie des AT populär gemacht. Doch hat sich damit – wenn vielleicht auch ungewollt – eingeschlichen, dass doch von einer Art Trichotomie oder Quadrotomie ausgegangen wird, die den Hebräischen Menschen ausmacht19, mindestens, dass der Hebräische Mensch „in der Hauptsache“ durch die vier genannten („Haupt“)-Begriffe bestimmt wird. Zudem ist der Wolff’sche Ausdruck mit der oben geschilderten terminologischen „Begriffs“-Problematik belastet. 15 Vgl. A. S. Kapelrud, Art. Mensch II. Im AT, in: RGG3 IV, 1960, 861-863. 16 Vgl. a.a.O., 862-863. 17 Vgl. a.a.O., 862. 18 Vgl. W. Schmidt, Anthropologische Begriffe im Alten Testament. Anmerkungen zum hebräischen Denken (EvTh 24 1964), 374–388. 19 Immer stärker tritt in neuerer Zeit auch die Verschiedenheit der Menschenkonzeption innerhalb des griechischen Überlieferungsstromes hervor, vgl. R. Schleiser, Die dionysische Psyche. Zu Euripides’ bakchen, in: C. Benthien / A. Fleig / I. Kasten [Hg.], Emotionalität. Zur Geschichte der Gefühle (Literatur – Kultur – Geschlecht. Kleine Reihe 16), Köln/Wien/Weimar 2000, 21–41. © 2016, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783788730628 — ISBN E-Book: 9783788730635

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Dieses Stadium des Konzepts vom alttestamentlichen Menschen hat die Diskussion nach Wolff dennoch lange Zeit bestimmt. Erst jüngere Studien haben dazu geführt, hier den Blick zu weiten.20 Im Folgenden sei hier der Versuch einer systematisierten Darstellung dieser Argumentation geboten, die in zwei Durchgängen die Erweiterungen gegenüber Wolff und früheren deutlich macht. 2. Erweiterung I: „Anthropologische Ausdrücke“ sind „Stellvertreterausdrücke (für den ganzen Menschen)“ 2.1 „Stellvertreterausdrücke“ – Definition, Methode und Grundproblematik Die „begriffliche“ Bedeutsamkeit der „anthropologischen Wörter“ wurde nun dadurch „erzeugt“, dass man sie in der Vergangenheit als analoge Bezeichnungen zum tatsächlich in echtem Sinne begrifflichen Menschenkonzept der klassischen griechischen Philosophie in Beziehung gesetzt hat.21 Mit dieser „In-Beziehung-Setzung“ kam aber den Wörtern hinsichtlich ihrer Einzelbedeutung wie besonders in ihrer „Dreiheit“ ein begriffliches Gewicht zu, das sie von ihrer alttestamentlichen Verwendung her gar nicht haben: Nur wenn man næpæš mit (unvergänglicher) „Seele“, bāśār mit „Fleisch“ / „vergänglichem Körper“ und ruaḥ mit „Geist“ gleichsetzt, hat man ein entsprechendes „gewichtiges“ Begriffskonzept gefunden, das dann noch in die Trichotomie von Geist-Seele-Körper mündet. Beides, die jeweiligen Einzelbedeutungen wie die Beziehung zueinander, ist aber von außen eingetragen.

20 Vgl. etwa O. Keel, Deine Blicke sind Tauben. Zur Metaphorik des Hohen Liedes (SBS 114/115), Stuttgart 1984; S. Schroer / T. Staubli, Die Körpersymbolik der Bibel, Darmstadt 22005 (11998); A. Wagner, Wider die Reduktion des Lebendigen, S. 15–33 in diesem Band [Erstveröffentlichung in: ders. (Hg.), Anthropologische Aufbrüche. Alttestamentliche Menschenkonzepte und anthropologische Positionen und Methoden (FRLANT 232), Göttingen 2009, 183–199]; Ch. Frevel (Hg.), Biblische Anthropologie. Neue Einsichten aus dem Alten Testament (QD 237), Freiburg [u.a.] 2010; Schroer / Staubli, Menschenbilder u.a. 21 Am Bsp. von næpæš hat Rösel gezeigt, wie schon die Übersetzung durch die LXX hier Verschiebungen hervorbrachte, vgl. M. Rösel, Die Geburt der Seele in der Übersetzung. Von der hebräischen „näfäsch“ über die „psyche“ der LXX zur deutschen „Seele“ (in: Wagner, Anthropologische Aufbrüche, 151–170). © 2016, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783788730628 — ISBN E-Book: 9783788730635

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Viele Untersuchungen haben in den letzten Jahren versucht, hier von dem eingetragenen Ballast wegzukommen und die alttestamentliche Bedeutung der anthropologischen Wörter freizulegen.22 Weniger klar war aber bisher die Frage beantwortet worden, was, wenn es nicht um eine Dichotomie oder Trichotomie geht, die wesentlichen, hauptsächlichen oder möglichen alttestamentlichen anthropologischen Wörter sind, die am Ende das Menschenkonzept ausmachen. Sind es tatsächlich mehr als die vier bei Wolff? Wie viele aber insgesamt? Gibt es dabei Hierarchien, wichtige und weniger wichtige Wörter? Und steht hinter der Menschenanschauung ein wie auch immer geartetes System, eine Einheit, ein Ganzes, das mehrere Teile umfasst? Und wenn ja, in welchem Verhältnis stehen die Teile zum Ganzen? Ein erster Zugang ist in dieser Frage zu finden, wenn ich die anthropologischen Wörter in ihrer Anwendung als Stellvertreterausdrücke für die „Person“ verwenden kann. „Person“ ist hier zunächst im Sinne der grammatischen Person gemeint, die in der Rede stellvertretend für das „Bezugsindividiuum“ steht. Von einem solchen „Stellvertreterausdruck“ soll dann die Rede sein, wenn ein – anthropologisches – Wort in einer konkreten Formulierung eines Textes für den ganzen Menschen stehen kann. Dies lässt sich am einfachsten an denjenigen Belegen zeigen, die mit und ohne solche „Stellvertreterausdrücke“ vorkommen, etwa Spr 3,31 und 24,1 mit Spr 23,17: Spr 3,31

ø

Sei nicht neidisch

Spr 24,1

ø

Sei nicht neidisch

Spr 23,17 Dein Herz

sei nicht neidisch

auf den Gewalttätigen und erwähle seiner Wege keinen. auf böse Menschen und wünsche nicht, bei ihnen zu sein. auf den Sünder, sondern trachte täglich nach der Furcht Jahwes

In Spr 3,31; 24,1 ist keine Person explizit-lexematisch ausgedrückt, auf die sich die Anweisung bezieht. Unschwer verständlich ist aber, dass die Äußerung auf einen Menschen (das angeredete Du) bezogen ist. In Spr 23,17 ist nun nicht „ein Mensch“ bzw. ein bestimmter 22 Vgl. die in Anm. 18 genannte Literatur sowie H. Schüngel-Straumann, Rûaḥ bewegt die Welt. Gottes schöpferische Lebenskraft in der Krisenzeit des Exils (SBS 151), Stuttgart 1992; K. Müller, Der Mensch als ‫ נפש‬und die næfæš des Menschen. Das Bedeutungsspektrum des Wortes ‫ נפש‬und das næfæš-Konzept der alttestamentlichen Menschenvorstellungen aus kognitiv linguistischer Perspektive, Diss. Universität Bern (demnächst). © 2016, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783788730628 — ISBN E-Book: 9783788730635

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Mensch mit Namen N.N. präsent o.ä., stattdessen wird pars pro toto vom Menschen geredet, „dein Herz“ sei nicht neidisch. Stellvertretend für den Menschen steht das Herz, anders formuliert: Vom Menschen wird hier unter dem Aspekt des Herzens geredet. Nach der alttestamentlichen (resp. altorientalischen) Anthropologie ist das Herz Sitz des Verstandes, daher gewinnt die Pars-pro-toto-Redeweise ihren Sinn: Der Stellvertreterausdruck betont in der Äußerung diejenige Komponente des Menschseins, die in der Äußerung im Vordergrund stehen soll. Spr 23,17 könnte man daher folgendermaßen paraphrasieren: „Du als Mensch unter dem Aspekt des Herzens/Verstandes gesehen, denke nicht neidisch an den Sünder“. Alle Wörter nun, die in solcher Weise „Stellvertreterausdruck“ für den Menschen sein können, können daher „anthropologische Ausdrücke“ heißen. Jeder dieser Begriffe stellt den ganzen Menschen unter einen bestimmten Aspekt dar, dessen spezifische Bedeutung sich beschreiben lassen sollte. 2.2

Zu den Stellvertreterausdrücken für „Mensch“ im AT

Als solche Stellvertreterausdrücke werden aber im AT nicht nur die klassischen drei (vor Wolff) oder vier (bei Wolff) „anthropologischen Hauptbegriffe“ gebraucht, auch weitere Lexeme, vor allem Körperwörter, können in dieser Funktion erscheinen. Die Körperwörter bringen als Bedeutungsaspekt in der Regel die „funktionale Seite“ ihrer Bedeutungsfacette ein, die aus der Semantik des Körperwortes zu gewinnen ist. In der Regel kommen diese Lexeme in Kombination mit einem Pronomen vor. Vgl. dazu folgende Tabelle, die die am häufigsten vorkommenden dieser Wörter zeigt: Stellvertrete rausdruck / anthropologischer Ausdruck pānîm Gesicht/ Antlitz

Übersetzung (mit Stellvertreterformulierung)

1Kön 21,4

er (Ahab) legte sich auf sein Bett, wandte sein Antlitz ab (= er wandte sich ab) und wollte nicht Speise essen.

Beleg- der Mensch unter anzahl dem Aspekt von (nach THAT) 2127

...mimischer Kommunikations fähigkeit/ Zugewandtheit

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yād Hand23

Ri 7,2

‘ayin Auge

Ps 54,9

næpæš

Gen 12,13

lēb Herz

Jer 12.3

ro’š Kopf

Gen 49,26

pæh Mund

Spr 15,2

ruaḥ Geist/Kraft

Ps 77,7

dām Blut

Ps 30,10

bāśār „Fleisch“

Ps 119,120

’ap Nase

Ez 38,18

meine Hand hat mir geholfen (= ich habe mir selbst geholfen, es stand in meiner Macht, mir zu helfen) mein Auge sieht meine Feinde (= ich sehe meine Feinde)

1618

...Handlungsmöglichkeit/ Mächtigkeit

866

und meine næpæš wird um deinetwillen am Leben bleiben (= ich werde um deinetwillen am Leben bleiben) Du, Jahwe Herr, kennst mich und siehst mich und prüfst mein Herz vor dir (prüfst mich) die Segnungen deines Vaters [...] – mögen sie kommen auf das Haupt Josefs [...] (= mögen sie kommen auf Josef) der Weisen Zunge bringt gute Erkenntnis hervor; der Toren Mund sprudelt nur Narrheit (= die Toren sprudeln nur Narrheit) ich denke [und grüble] in der Nacht, ich sinne mit meinem Herzen und meine ruaḥ forscht (= ich forsche) Was für einen Gewinn hat mein Blut (= habe ich) [für dich, Jahwe], wenn ich ins Grab hinabsteige? es schaudert mein baśar aus Furcht vor dir (= es schaudert mir aus Furcht vor dir) wenn Gog kommen wird über das Land Israels,

754

...(optischvisuelle) Erkenntnisfähigkeit/Kommunikationsfähigkeit ...Leben/Lebenswille/-kraft/ Gier/Bedürftigkeit/ Hals/Kehle

601

...Erkenntnisfähigkeit/ Rationalität

596

...“Personhaftigkeit [Individualität (?)]“

500

...Sprache/Kommunikationsfähigkeit

378

...Geist/Kraft/ Vitalität

360

...pysischen Lebenskraft

270

... Körperlichkeit und Vergänglichkeit

277

...Wut/Ausdruck skraft/Kommuni-

23 Vgl. auch das Vorkommen von Hand kap Hand(fläche), im AT 192 Mal, das der Bedeutung von jad Hand ähnelt, etwa 2Kön 16,7 befreie mich [...] aus der Hand des Königs von Israel (= aus der Macht des Königs von Israel); hier erscheint der Mensch ebenfalls unter dem Aspekt von Handlungsmöglichkeit/ Mächtigkeit/Macht und Gewalt. © 2016, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783788730628 — ISBN E-Book: 9783788730635

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rægæl Fuß

1Sam 23,22

’ozæn Ohr

Spr 18,15

śāpāh Lippe(n)

Spr 15,7

zerôa‘ Arm

Ez 30,21

2.3

spricht Gott der Herr, wird mein Zorn in meiner Nase aufsteigen (= in mir aufsteigen) geht nun und gebt weiter Acht, wisst und seht, an welchem Ort sein Fuß weilt (an welchem Ort er weilt) und wer ihn dort gesehen hat ein verständiges Herz erwirbt Einsicht, und das Ohr der Weisen sucht Erkenntnis (= die Weisen suchen Erkenntnis) die Lippen des Weisen breiten Einsicht aus (= der Weise breitet Einsicht aus) ich habe den Arm des Pharao, des Königs von Ägypten, zerbrochen (= ich habe den Pharao vernichtet)

kationsfäigkeit

247

...Macht/Präsenz

187

...(akustischer) Erkenntnisfähigkeit/Kommunikationsfähigkeit

176

...Sprache/Kommunikationsfähigkeit ...Handlungsmög lichkeit/Mächtigkeit

93

Erstes Fazit

Wenn wir die als „Stellvertreterausdrücke“ im Gebrauch stehenden Wörter betrachten, dann drängen sich wesentlich mehr als drei oder vier verschiedene Wörter auf, die bislang als anthropologische trichotomische Begriffe oder „Haupt“-Begriffe genannt wurden. Von den Zahlen des Vorkommens her gedacht würden hier auch ganz andere Wörter auf der Hitliste der anthropologischen Ausdrücke oben stehen, als die in der älteren Forschung genannten: noch vor næpæš würden sich z.B. pānîm, yād und ‘ayin finden (vgl. Tabelle oben). Auch der Sinn der Wendungen bereitet keine Schwierigkeiten, da mit den meisten häufig vorkommenden Stellvertreterausdrücken Funktionen verbunden sind, die wir z.T. heute noch erschließen können, weil diese metonymische Ausdrucksweise zu den universalen Ausdrucksmöglichkeiten von Sprache gehört. Nur da, wo die Körperbedeutung bzw. die Funktionszuordnung zum Organ sprachspezifisch ist, etwa bei lēb als Sitz des Verstandes, muss man von entsprechenden hebräisch-kulturspezifischen Wortbedeutung ausgehen. Die Anwendung auf einen bestimmten Aspekt des Menschseins ist davon aber nicht betroffen.

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Vorderhand bleiben zwei Fragen offen, die später noch einmal aufgenommen werden müssen: Sind diese „anthropologischen Ausdrücke“ alle gleichrangig oder gibt es Hierarchien? Und wo ist die Grenze in der Anwendung anthropologischer Ausdrücke auf das Menschsein, können etwa alle über ca. 250 verschiedenen Körperwörter,24 die wir im Hebräischen haben, Anwendung als anthropologische Ausdrücke finden? 3. Erweiterung II: Vorkommen und Kombinationsmöglichkeiten von „anthropologischen Ausdrücken“ 3.1

Zur Untersuchungsmethodik

Schon lange ist beobachtet worden, dass es sich anbietet, die anthropologischen Ausdrücke in hebräischer Poesie zu untersuchen, die wiederum durch den Parallelismus membrorum geprägt ist. Im Parallelismus membrorum wird in zwei Gliedern ein paralleler Sachverhalt geschildert; viele sprechen daher zu Recht von einer Art „Gedankenreim“: Num 21,28

denn Feuer ging aus von Hesbon,// eine Flamme aus der Stadt Sichons

Ps 121,3

er lässt deinen Fuß nicht wanken,// der dich behütet, schläft nicht

Die beiden hier angeführten Beispiele gehören zu den „Synonymen Parallelismen“; doch darf von dieser Bezeichnung „synonym“ nicht auf eine im semantischen Sinne vollständige Bedeutungsgleichheit geschlossen werden: Num 21,28 Feuer und Flamme ist nicht dasselbe. Es geht nicht um vollständige semantische Überlappungen, sondern um partielle, und der Mehrwert liegt dabei in der Differenz! Die „sich reimenden Gedankenteile“ sind nicht von völliger Synonymität geprägt, sondern eher von einer Konvergenz, bei der zwei Glieder auf dieselbe Sache hinauswollen, sie aber unter mehr oder weniger verschiedenen Aspekten thematisieren:25 Ps 121,3 thematisiert im ersten 24 Vgl. J. Oelsner, Benennung und Funktion der Körperteile im hebräischen AT, Diss. masch., Leipzig 1960. 25 „Die drei zentralen noetischen Leistungen des Parallelismus sind also: a) Die hohe Plastizität der Aussage durch bi- bzw. multiperspektiv dargebotene Tatbestände; b) die Möglichkeit, die bi- bzw. multiperspektiv dargebotenen Tatbestände in komplementäre, antithetische oder additive Beziehungen zu setzen; c) die Eröffnung © 2016, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783788730628 — ISBN E-Book: 9783788730635

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Glied das Bewahren im Gehen, im Leben, im Lebenswandel, im zweiten Glied das zeitliche Allumfassen des Bewahrens; konvergent formuliert: Das Leben des Beters wird durch Gott zeitlich allumfassend bewahrt. Wenn nun also etwa zwei anthropologische Ausdrücke in einem Parallelismus vorkommen, was häufig der Fall ist (s.u.), dann ist das nicht – eben nicht! – Ausweis ihrer Synonymität, sondern man muss genau auf den Aspekt achten, den die Ausdrücke jeweils über den Menschen preisgeben: In Ps 63 kommen so etwa nebeneinander næfæš und bāśār vor: aus Ps 63,2

meine næpæš (mein Verlangen) dürstet nach dir, mein bāśār (mein Fleisch) schmachtet nach dir

Sowohl das intentionale Verlangen als auch die körperlich-vergänglichen Anteile des Beters sehnen sich nach Gott; beides zusammen, so Ps 63,2 durch seine beiden anthropologischen Steuer-Aspekte in den Parallelismus-Gliedern, macht die Gottessuche aus, die nicht vorschnell auf den intentional-intellektuellen oder den körperbezogenen Erkenntnisweg beschränkt sein soll. 3.2 Beobachtungen im Vorkommensbestand anthropologischer Ausdrücke 3.2.1 Kombinationen von drei anthropologischen Ausdrücken Zunächst soll der Blick auf Mehrfachkombinationen von anthropologischen Wörtern gelenkt werden, die auf engstem Raum vorkommen. Hier müssten sich signifikante und bleibende Kombinationen und Verknüpfungen zeigen, so sie die Auffassung vom Menschen im AT prägen sollten. Angeführt sind in Abschn. 3.2.1 Dreierkombinationen: Ps 16,9

Darum freut sich mein lēb (Herz) und frohlockt meine næpæš (Gemüt/Lebendigkeit), auch mein bāśār (Fleisch) wird sicher wohnen.

lēb + næpæš + bāśār

eines Erkenntnisraumes, in dem sich das Verstehen hin und her bewegen kann und das damit eine dynamische Dimension hat.“ A. Wagner, Der Parallelismus membrorum zwischen poetischer Form und Denkfigur, in: ders. [Hg.], Parallelismus membrorum (OBO 224), Fribourg/Göttingen 2007, 1–26, 17. © 2016, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783788730628 — ISBN E-Book: 9783788730635

58 Ps 84,3

Dtn 6,5

Dtn 28,65

Thr 3,4

3.2.2

Das Menschenkonzept des Alten Testaments Es sehnte sich, ja schmachtete meine næpæš (Begier) nach den Vorhöfen Jahwes, nun jauchzen mein lēb (Herz) und mein bāśār (Fleisch) dem lebendigen Gott entgegen.

næpæš + lēb +bāśār

Du sollst Jahwe, deinen Gott, lieben mit deinem ganzen lēb (Herz), mit deiner ganzen næfæš (Intentionalität),mit deiner ganzen me‘od (Kraft).

lēb + næpæš + me’od

Jahwe wird dir dort das lēb (Herz) erzittern, die ‘ênayim (Augen/Erkenntnisorgane) verlöschen und die næpæš (hier: Atem) stocken lassen.

lēb +‘ênayim + næpæš

Hinschwinden ließ er mein bāśār (Fleisch) und mein ‘ōr (Haut), zerbrach meine ‘aṣāmôt (Knochen)

bāśār + ‘ōr +‘aṣāmôt

Kombinationen von zwei anthropologischen Ausdrücke

Anthropologische Ausdrücke kommen noch häufiger paarweise vor, um den Menschen zu beschreiben, wie die folgenden Beispiele zeigen: Ps 63,2

Jahwe, du bist mein Gott, den ich suche. Meine næpæš (Gier) dürstet nach dir, mein bāśār (Fleisch) schmachtet nach dir im dürren, trockenen, wasserlosen Land

næpæš + bāśār

ein reines lēb (Denken) schaffe in mir, Gott, und einen festen ruaḥ (Geist) mach neu in meiner Mitte

lēb + ruaḥ

Jes 57,15

zu beleben die ruaḥ (Geist) der Gedemütigten, zu beleben das lēb (Herz) der Zerschlagenen.

lēb + ruaḥ

Ps 73,21

als mein lēb (Herz) verbittert war, als Schmerz meine kelāyôt (Nieren) durchstach

lēb + kelāyôt

Jer 20,12

und Jahwe Zebaoth, du prüfst die Gerechten, durchschaust kelāyôt (Nieren) und lēb (Herz)

kelāyôt + lēb

Ps 44,26

denn in den Staub gebeugt ist unsere næfæš (Lebendigkeit), unser bæṭæn (Leib, Mutterleib) klebt am Boden Wie kostbares Silber ist des Gerechten lāšôn (Zunge), des Frevlers lēb (Herz) ist wie nichts.

Ps 51,12

Spr 10,20

næfæš + bæṭæn lāšôn + lēb

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Das Menschenkonzept des Alten Testaments Spr 15,7

Die śepātayim (Lippen) des Weisen breiten Einsicht aus, das lēb (Herz) der Toren ist so (aber) nicht.

Spr 15,14

Des Klugen lēb (Herz) sucht Erkenntnis; aber der Toren pæh (Mund) geht mit Torheit um.

Spr 18,15

Ein verständiges lēb (Herz) erwirbt Einsicht, und das ’ozæn (Ohr) der Weisen sucht Erkenntnis.

śepātayim + lēb

lēb + pæh lēb + ’ozæn

Am Ende dieser beiden ersten Beobachtungsstücke kann schon ein erstes Fazit gezogen werden: Wie 3.2.1 und 3.2.2 gezeigt haben, gibt es in den vorkommenden Kombinationen keinerlei Tendenz zu festen Kombinationen oder sonst hervortretenden Konstanten! Welches Körperlexem mit welchem gepaart ist, hängt von der Aussageintention der Stelle ab; eine konstant auftretende Dichotomie, Trichotomie o.ä. ist auch nicht in Ansätzen zu erkennen. 3.2.3 Einzelausdrücke, die für den ganzen Menschen stehen, um ihn unter einem bestimmten Aspekt zu zeigen Wie die oben angeführte Tabelle in 2.2 zeigt, können anthropologische Ausdrücke auch in Texten stehen, in denen nur ein Aspekt des Menschseins thematisiert wird. Dieser Anwendungsfall ist der häufigste. Wie aber auch hier die Zahlenverhältnisse zeigen, kristallisiert sich aufgrund der Anwendungsfälle nach dem Gesamtüberblick keinerlei „System“ heraus, das aus wenigen anthropologischen (statistisch dominanten) Ausdrücken bestehen würde; oben aufgelistet sind die am häufigsten vorkommenden 16 Ausdrücke, die einen bestimmten Aspekt des Körpers und/oder des Menschseins thematisieren können. Dabei ist „häufig“ relativ willkürlich gesetzt und bezieht sich auf diejenigen Wörter, die ca. 100 mal und mehr vorkommen. Aber gleichwie, ob man von diesen Wörtern ausgeht oder noch weitere Lexeme hinzunimmt, es bildet sich in der Liste kein „System“ ab. Und auch als Rangliste für Wichtigkeit ist diese Übersicht nicht zu verstehen, da die Belege ja dem AT als einem spezifisch ausgewählten Korpus entstammen, das nach allen anderen Richtlinen zusammengestellt und überarbeitet worden ist als nach dem Kriterium statistischer Repräsentanz.26 26 Vgl. zum Grundcharakter des AT die Zusammenfassung von R. G. Kratz: „Was das Israel und den Jahweh des Alten Testaments ausmacht [...], ist das Ergebnis eines langen, leidvollen Reifungsprozesses, in dem die profan- und religionsge© 2016, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783788730628 — ISBN E-Book: 9783788730635

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3.2.4 Verschiedene Stellvertreterausdrücke in gleichen Vorgängen Schließlich werden verschiedene anthropologische Ausdrücke mit denselben bzw. analogen Vorgängen in Verbindung gebracht (exemplarische Auswahl): Ps 51,19

Opfer für Gott sind eine zerbrochene ruaḥ , zerbrochenes und zerschlagenes lēb wirst du, Gott, nicht verschmähen.

Ps 84,3 (s.o.)

schmachtete meine næpæš

Ps 63,2 (s.o.)

Meine næpæš dürstet nach dir, mein baśar schmachtet nach dir

Ps 16,9 (s.o.)

Darum freut sich mein lēb und frohlockt meine næpæš

Ps 84,3 (s.o.)

nun jauchzen mein lēb und mein bāśār

3.2.5

Belege im außeralttestamentlichen Hebräischen

Nur am Rande kann hier festgehalten werden, dass der Befund des inneralttestmentlichen Hebräischen dem Sachverhalt des außeralttestamentlichen Hebräischen entspricht. Auch hier finden sich Aussagen, die auf den Stellvertretungsaspekt abheben, in vollständiger Analogie zum biblischen Befund.27 Immerhin zeigt dies, dass im AT kein gesonderter kanonischer Weg eingeschlagen wurde.28

schichtliche Normalität der beiden Staaten Israel und Juda allmählich in die theologische Deutung des Alten Testaments, die ‚Sprache des Bekennens und Glaubens’, überging [...].“ R. G. Kratz, Die Komposition der erzählenden Bücher des Alten Testaments, Göttingen 2000, 314. Das AT ist daher Dokument „der Geistes- und Theologiegeschichte in Israel und Juda, a.a.o., 315. 27 Vgl. K. Müller, Die Bedeutungen der Körperteilbezeichnungen in der althebräischen Epigraphik, in: Müller/Wagner, Synthetische Körperauffassungen, 13–27. 28 Die Sachlage ist auch in den Nachbarkulturen des Alten Israel nicht wesentlich anders, vgl. dazu die Beiträge in Müller / Wagner, Synthetische Körperauffassungen, bes. U. Steinert, Synthetische Körperauffassungen in akkadischen Keilschrifttexten und mesopotamische Götterkonzepte, 73–106. © 2016, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783788730628 — ISBN E-Book: 9783788730635

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4.

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Fazit – Konturen des Menschenkonzepts des AT

4.1 Das Menschenkonzept des AT – ein offenes, kein geschlossenes System In den in Abschn. 2. und 3. vorgetragenen Beobachtungsdurchgängen ist nun die Kontur des Menschenkonzepts, das hinter dem AT steht, klar zu erkennen: Es gibt weder eine konstante Kombination von Ausdrücken, noch eine konstante Anzahl (einer, zwei oder drei, in manchen umfangreicheren Texten auch mehr) in den einzelnen Belegen, und schon gar nicht eine Beschränkung auf die sog. vier anthropologischen Grund-„Begriffe“. In keiner Weise lässt sich ein geschlossenes System, eine Dichotomie, eine Trichotomie o.ä. finden. Positiv gesagt: Das AT betrachtet insgesamt gesehen den Menschen unter wesentlich mehr Aspekten, als es eine trichotome Anthropologie tut. Der Mensch wird jeweils vollständig unter demjenigen Aspekt thematisiert, der je nach Aussageintention gebraucht wird. Der jeweilige Aspekt repräsentiert dabei einerseits den ganzen Menschen unter einem bestimmten Gesichtspunkt. Und andererseits spielt die Vielheit der so einsetzbaren Aspekte des Menschseins zu einem sehr facettenreichen Gesamtbild über den Menschen zusammen. Die Aspekte verhalten sich dabei zueinander wie die Elemente eines Wortfeldes: Ihren Platz erhalten sie nicht nur durch die einzelne Semantik eines Lexems, also der Bezeichnungsleistung eines anthropologischen Ausdrucks wie lēb, das einen konkreten Körperteil, das Herz, und bestimmte Funktionen, vorzugsweise das Denken, ausdrückt, sondern auch durch den Platz, den sie im Feld insgesamt besitzen. Intellektuelle Erkenntnisleistungen etwa sind nicht ausschließlich auf lēb beschränkt, auch Belege mit ‘ayin/Auge und ’ozæn/Ohr können auf intellektuelle Erkenntnis und nicht nur auf Sinneswahrnehmung führen. Und doch sind diese drei Ausdrücke niemals synonym, denn sie behalten ihre Bezüge auf weitere von der Wortsemantik gelenkten Bedeutungsbezirke, die sie voneinander abgrenzen (‘ayin/Auge auf die Verbindung mit den Seh-Dingen, ’ozæn/Ohr mit der Verbindung zum akustischen Bereich, lēb mit der Verbindung zur Gedächtnisleistung und Erinnerung u.a.m.). Diese Ganzheit der möglichen Aspekte, unter denen der Mensch gesehen werden kann, wird nie in toto in einem einzelnen Text abgerufen, sie ergibt sich für uns durch die Gesamtbetrachtung der Texte, also aus kanonischer Perspektive. Die Kanonteile bzw. Bücher bzw. Einzeltexte können aus dieser Ganzheit schöpfen. © 2016, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783788730628 — ISBN E-Book: 9783788730635

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Diese Ganzheit ist, soweit sich das vom derzeitigen Stand der Diskussion her sagen lässt, dabei nicht von klar erkennbaren Hierarchien geprägt. Ob einzelne Teile wie etwa das Herz eine besondere Rolle im Ganzen spielen – in diese Richtung würden etwa Anstöße aus der ägyptischen Menschensicht gehen, wo im Totengericht das Herz als wichtigstes und bedeutendstes Organ gewogen und beurteilt wird29 – ist m.E. (noch) nicht klar, der oben dargelegte Befund lässt darüber eher vorsichtig denken. Auch bleiben die vorgetragenen Beobachtungen hier zunächst auf die Gesamtperspektive des AT beschränkt. Die weitere Forschung wird sich vermehrt auch den Gebrauchsweisen des Menschenkonzepts in einzelnen Büchern und Texten des AT zuwenden, dadurch kann die Sichtweise weiter differenziert werden. Auf jeden Fall lässt sich jetzt schon sagen, dass die Aspekte des Menschseins in den Texten des AT nicht gegeneinander ausgespielt werden durch zugesprochene Höher- oder Niederrangigkeit: Die körperlichen Aspekte (wie bāśār, lēb, yād) z.B. sind den nicht-körperlichen (wie ruaḥ, næpæš) in keiner Weise untergeordnet; durch die synthetische Gebrauchsweise gehen Körperliches und Nicht-Körperliches ohnehin ineinander über (yād als Körperteil und als Handlungsgewalt). Dass das AT nicht körperfeindlich ist, hat hierin seinen erkennbaren Grund. Aber auch die handlungsorientierten Aspekte (Hand, Fuß, Arm u.ä.) sind den erkenntnisorientierten nicht unteroder übergeordnet. Überhaupt ist in diesem „System“ die Gefahr, den Menschen allzusehr auf eine Dimension zu reduzieren, eher gering. Es mag durchaus sein, das sich Zahl und Beschaffenheit der Aspekte des Menschseins im Laufe der geschichtlichen Entwicklung, die das AT spiegelt, verändert hat. Auch hier beginnen neue Studien erste Schneisen zu schlagen.30 Die Ganzheit ist jedenfalls durch eine klar erkennbare Offenheit geprägt, die Veränderungen zulässt. 4.2

Hat die Offenheit des Konzepts Grenzen?

Eine entscheidende Frage bei einem offenen Konzept ist die Frage nach den Grenzen. Gehören alle Körperlexeme und alle Ausdrücke für nicht-körperliche Anteile am Menschen zu dem multidimensionalen Konzept? Wird der Mensch im AT unter hunderten von Aspekten 29 In diese Richtung denkt: B. Janowski, Das Herz – ein Beziehungsorgan. Zum Personverständnis des Alten Testaments, in: ders. / Schwöbel, Ch. (Hg.), Dimensionen der Leiblichkeit (Theologie interdisziplinär 16), Neukirchen-Vluyn 2015, 1–45), 25–27 und 37–40. 30 Vgl. Müller, Der Mensch als ‫ נפש‬und die næfæš des Menschen. © 2016, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783788730628 — ISBN E-Book: 9783788730635

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betrachtet? Dass mit den oben in Abschn. 2.2 aufgelisteten Anteilen wesentliche Aspekte des Menschseins angesprochen werden können, die allesamt auch klar erkennbare und benennbare funktionale Aussagen haben, liegt auf der Hand. Und es wurde auch schon festgehalten, dass auch weniger häufig vorkommende Körperteile bestimmte Aspekte des Menschseins repräsentieren können, etwa kelāyôt/Nieren, ‘or/Haut oder ‘aṣāmôt/Knochen. Aber wie weit greift die Multidimensionalität aus? Gibt es hier statistische Grenzen? Frequenzgrenzen? Die oben angedeutete Beschaffenheit des Kanons, der aus theologischen und nicht statistischen Gründen zustandegekommen ist, widerrät einer allein quantitativen Argumentation. Schlussendlich ist jedes im AT vorhandene Körperwort in seinem Kontext darauf zu prüfen, ob mit ihm ein erkennbarer Aspekt des Menschseins verbunden ist oder nicht. Hier wird man zwar prinzipiell an die interpretatorischen Grenzen der Auslegung gebunden bleiben, aber es gibt doch eine ganze Reihe von Wörtern, bei denen eine Dimension des Menschseins nicht erkennbar ist, etwa bei kleineren Körperteilen (Fingernagel etc.), Unterabschnitten von Körperteilen (Ellbogen o.ä.), die auch wesentlich weniger häufig vorkommen. So kann man vielleicht von einer gewissen Tendenz sprechen, dass im AT die Anwendbarkeit funktionaler Bedeutung abnimmt mit geringerer Verwendungshäufigkeit, aber das darf nicht zu einer eisernen Regel werden, die vollständige Deskription aller entsprechenden Belege bleibt abzuwarten. Der Sachverhalt kann also so gefasst werden, dass zum Konzept der Multidimensionalität alle die Aspekte hinzuzählen, die erkennbar mit einer entsprechenden Aussage verbunden sind. Wenn ein Wort erkennbare Bedeutsamkeit als Teil des multidimensionalen Konzepts erlangt hat, dann können wir ihm einen gewissen Auffälligkeitswert zusprechen und mit Ulrike Steinert von dem Faktum der Salienz ausgehen.31 Nicht alle Körperteile haben den gleichen Auffälligkeitswert, es gibt unwichtigere Körperteile, die entsprechend weniger oder nicht funktional gebraucht werden und die sich dadurch von den „auffälligeren“ unterscheiden. Das Salienzkriterium hat Steinert auch bei ihrer Analyse des akkadischen Menschenkonzepts eingeführt und kommt für das Akkadische auf Listen mit sehr ähnlichen Ergebnissen zu den hier angeführten hebräischen Dimensionen des Menschseins.

31 Vgl. Steinert, Synthetische Körperauffassungen in akkadischen Keilschrifttexten und mesopotamische Götterkonzepte, 79. © 2016, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783788730628 — ISBN E-Book: 9783788730635

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4.3 Das Menschenkonzept als Beispiel für epistemische Organisation im „Denken“ des AT Wie weit diese Konzeption den Sprachteilhabenden am Hebräischen bewusst gewesen ist, ist schwer zu sagen. Das AT wie alle östlichen Alten Kulturen hat in den vorhellenistischen Zeiten keinen Zugang zu explizit-reflexiven und begrifflich ausgearbeiteten textlichen Präsentationsformen gefunden. Ein hebräische explizit systematisch ausgeformte Anthropologie, ein begrifflicher Traktat über den Menschen, der dieses Konzept als Selbstzeugnis darlegen würde, gibt es nicht, ebensowenig finden wir ähnliches aus Ägypten oder Mesopotamien, so war es schon oben in Abschn. 1.1 festgehalten worden. Das hier in Abschn. 2–4 beschriebene Konzept ist insofern eine nachträgliche Systematisierung aus heutiger Perspektive. Trotzdem wird man nicht per se behaupten können, dass sich der Umgang mit den Aspekten des Menschseins den Produzierenden der alttestamentlichen Texte selbst „zufällig“ und „unreflektiert“ ergeben hat. Der Einsatz der Aspekte etwa in den o.g. Texten ist so bewusst und planvoll, dass mindestens ein souveräner Umgang mit der Vielheit vorausgesetzt werden kann. Das kommt einem begrifflichen Denken zumindest nahe, ist demgegenüber auch nicht als minderwertig anzusehen, nur als eine andere Art der Wissensverarbeitung. Die Multidimensionalität des alttestamentlichen Menschenkonzepts ist selbst ein Spiegel, wie sich unter den epistemischen Erkenntnis- und Organisationsbedingungen des AT (bzw. der alten Kulturen des östlichen Mittelmeerraums) die Annäherung an eine bedeutende Leitkategorie des Lebens und Denkens – Was ist der Mensch? – ergeben hat: Ein Phänomen wird additiv eingekreist, von verschiedenen Seiten, unterschiedlichen Aspekten, die alle typisch für den in Rede stehenden Gegenstand sind, betrachtet, man nähert sich der Wahrheit über diesen Gegenstand additiv-aspektiv an, nicht begrifflich-systemhaft.32

32 Vgl. B. Janowski, Konstellative Anthropopologie. Zum Begriff der Person im Alten Tesetament, in: ders. (Hg.), Der ganze Mensch. Zur Anthropologie der Antike und ihrer europäischen Nachgeschichte, Berlin 2012, 109–127, hier 110–113; A. Wagner, Gottes Körper. Zur Vorstellung der Menschengestaltigkeit Gottes, Gütersloh 2010, 53–84. © 2016, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783788730628 — ISBN E-Book: 9783788730635

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4.4 Verhältnis des offenen Menschenkonzepts zu Anthropologien im AT Die Multidimensionalität der Menschensicht des AT bildet den Hintergrund für prononcierte einzelne anthropologische Entwürfe. Die Priesterschrift stellt etwa für ihre Sicht auf den Menschen in Gen 1,1ff einen Entwurf in den Vordergrund, der vor allem die Handlungsmöglichkeiten des Menschen und seine Verantwortlichkeit für die Schöpfung – die Menschheit als Statue, als Stellvertreter Gottes auf der Erde – betont.33 Hierin erweist sich das priesterschriftliche Konzept eher als theomorph, der Mensch wird Gott ähnlich (er hat, wie die Gestaltähnlichkeit von Gott und Mensch zeigt, die Möglichkeit zum Handeln und Kommunizieren, zum Erkennen und Erinnern etc.), aber nicht gleich bzw. gleichrangig erschaffen. Zu den Unterschieden von Gott und Mensch gehört die Geschlechtlichkeit auf der Seite des Menschen, der kein göttliches Pendant entspricht. Aber alle diese Aussagen bewegen sich innerhalb des Rahmens des o.g. Grundkonzeptes des AT, an keiner Stelle wird die Fülle der Aspekte des Menschseins verneint, reduziert, in Frage gestellt o.ä. Wenn P anthropologische Anschauungen akzentuiert, dann bedienen sich die P-Texte der Aussagemöglichkeiten der anthropologischen Grundkonzeption, etwa in Gen 1,26ff., wo das Machtausüben in Bildern, die auf die handlungsorientierten Körperteile zurückgehen (Fuß/Bein  treten auf), ausgedrückt wird.34 Das Aussageziel der P-Texte ist an einer spezifischen, an Aufgaben und Verantwortlichkeiten des Menschen orientierten Anthropologie des Sollens orientiert, der Mensch soll seine Rolle als Mandatar Gottes sehen und verstehen. Die Grundsicht auf das Sein des Menschen, die Möglichkeiten, ihn unter verschiedenen Aspekte zu betrachten, auch die sprachliche Prägung, der die P-Texte selbst hinsichtlich des multidimensionalen Menschenkonzepts unterliegen (etwa der Rückgriff auf saliente Menschenaspekte, das Prinzip der synthetischen Verwendung von Körperaussagen etc.) ist dabei bleibende Voraussetzung. Nicht anders ist das bei der Anthropologie der urgeschichtlichen Texte von Nicht-P, in denen das große Thema der menschlichen

33 Vgl. Wagner, Gottes Körper, 167–181. 34 Vgl. A. Wagner, Verkörpertes Herrschen. Zum Gebrauch von „treten“ / „herrschen“ in Gen 1,26-28, S. 199–214 in diesem Band [Erstveröffentlichung in: G. Etzelmüller / A. Weissenrieder (Hg.), Verkörperung als Paradigma einer theologischen Anthropologie, Tübingen 2016, 127–141]. © 2016, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783788730628 — ISBN E-Book: 9783788730635

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(Entscheidungs-)Freiheit (Gen 3), des Ungehorsams35, wie auch das der göttlichen Freiheit und Zugewandtheit zum Menschen (vgl. Gen 6,8, wo Gott in Freiheit Gnade gewährt) sowie das des grundsätzlichen Angewiesenseins auf Gnade (Gen 6,8, wo Noah und damit die sämtliche ihm nachkommende Menschheit ausschließlich durch Gottes Gnade die Flut überleben können) im Vordergrund steht; all dies soll als Grundbedingung des Menschseins nach Nicht-P erkannt werden.36 Die Nicht-P-Texte im einzelnen setzen das multidimensionale Menschenkonzept mit seinen oben beschriebenen Eigenheiten ebenso voraus wie andere Anthropologien des Sollens im AT (aus den Psalmen, dem Corpus Propheticum, den weisheitlichen Texten etc.). In dem Verhältnis der anthropologischen Entwürfe (P, Nicht-P usw.) zueinander zeigt sich wieder dasselbe epistemische Muster, das oben beschrieben wurde: Es ergibt sich auch hier eher ein additives (sich kommentierendes, ergänzendes, konvergierendes, widersprechendes) Nebeneinander, nicht eine hierarchieorientierte Systemhaftigkeit. Das kanonische AT bietet wesentliche Sollensorientierungen für das Menschsein an, ohne die Entscheidung über deren einzige Wahrheit zu treffen. Wie das Menschsein sich in körperlich-geistiger Hinsicht aus unterschiedlichen Aspekten zusammensetzt und wie die Grenzen und der Umfang der Zusammensetzung eine additive Offenheit haben, so finden auch die anthropologischen Positionen in einer additiven Weise im Kanon zusammen. 5.

Schluss

Die verschiedenen Ebenen der anthropologischen Aussagen im AT zu unterscheiden, dürfte ein Schlüssel zu ihrem Verständnis sein. Wir können das alttestamentliche Menschenkonzept also in mehrfacher Hinsicht als plurales, vielstimmiges Gebilde bezeichnen; das multidimensionale Rahmenkonzept bildet den Hintergrund, innerhalb dieses multidimensionalen Menschenkonzepts werden im Alten Israel bzw. im AT verschiedene Menschenbilder entworfen. Die plurale Menschensicht des AT dürfte dabei nicht nur neuzeitlicher theologischer Anthropologie helfen, eindimensionale Festlegun35 Hierauf macht bes. aufmerksam Ch. Levin, Das verlorene Paradies (Genesis 23). in: S. Gehrig / S. Seiler (Hg.), Gottes Wahrnehmungen. Helmut Utzschneider zum 60. Geburtstag, Stuttgart 2009, 85–101, 92–93. 36 Vgl. A. Schüle, Die Urgeschichte (Gen 1–11) (ZBK), Zürich 2009, z. St. © 2016, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783788730628 — ISBN E-Book: 9783788730635

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gen zu vermeiden, sie kann auch als Gegengewicht gegenüber jeder profanen eindimensionalen Menschensicht dienen und Anhängern eines homo faber oder eines homo oeconomicus in Erinnerung rufen, dass der Mensch mehr ist als ein Macher und ein Wirtschaftsfaktor. Mit dem pluralen alttestamentlichen Menschenkonzept lässt sich somit bis heute der Stachel der Widerständigkeit in eindimensionale Menschenkonzeptionen schlagen. Das mentalitätsgeschichtlich zu erfassende Menschenkonzept der alttestamentlichen Texte bildet den Hintergrund für sehr unterschiedliche anthropologische Entwürfe im Alten Testament. Es bietet die Möglichkeit, den Menschen unter sehr verschiedenen Aspekten, die bes. mit den Körperbegriffen verbunden sind, zu thematisieren. So wird der Mensch einerseits jeweils als ganze Größe unter dem entsprechend thematisierten Aspekt dargestellt, andererseits machen die verschiedenen Aspekte in Ihrer Summe das multidimensionale Menschenkonzept aus. Von Dichotomien und Trichotomien bei der Menschensicht im AT hat man sich zu verabschieden. Die Pluriformität wehrt einer eindimensionalen Anthropologie und öffnet vom biblischen Menschenkonzept her neue Zugänge zu einer theologischen Anthropologie und Ethik.

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Körper – Körperbedeutung – synthetische Körperauffassung

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Das synthetische Bedeutungsspektrum hebräischer Körperteilbezeichnungen

1.

Das Konzept der „synthetischen Körperauffassung“

In seiner Anthropologie des Alten Testaments hat H.W. Wolff in den Vorbemerkungen zum Kapitel über „Des Menschen Sein. Anthropologische Sprachlehre“ seine Auffassung der hebräischen Körperteile bzw. Körperteilbezeichnungen zum Ausdruck gebracht.1 Der Untertitel „Anthropologische Sprachlehre“ verweist dabei auf Wolffs methodischen Ansatzpunkt: Er geht den anthropologischen Sachverhalten soweit nach, soweit sie sprachlich fassbar sind. Bei den Körperteilen hält er zunächst fest, dass sie im Parallelismus „fast wie Pronomina für den ganzen Menschen stehen“ und die „Varianten [...] in einer zuweilen kaum noch erkennbaren Weise verschiedene Aspekte des einen Subjekts“ andeuten können; Wolff fasst diesen Aspekt alttestamentlichen „Denkens“ mit der Bezeichnung der „Stereometrie des Gedankenausdrucks“.2 Als ein zweites Grundcharakteristikum des Denkens weist er auf das synthetische „Denken“: „So setzt das stereometrische Denken [des AT] zugleich eine Zusammenschau der Glieder und Organe des menschlichen Leibes mit ihren Fähigkeiten und Tätigkeiten voraus. Es ist das synthetische Denken, das mit der Nennung eines Körperteils dessen Funktion meint.“3

Wolff veranschaulicht diesen Sachverhalt mit einem Beispiel: „Ruft der Prophet aus (Jes 52,7): Wie schön sind auf den Bergen die Füße des Freudenboten!, so meint er nicht deren graziöse Gestalt, sondern ihre hurtige Bewegung: Wie schön, daß der Bote über die Berge heraneilt! »Füße« sagt der Hebräer, aber er denkt an das sprunghafte Nahen. In Ri 7,2 kommt der befürchtete Selbstruhm Israels in dem Satz zur Sprache: Meine Hand hat mir geholfen. Gemeint ist natürlich das 1 Vgl. H.W. Wolff, Anthropologie des Alten Testaments, Gütersloh 72002. 2 Zitate jeweils aus H.W. Wolff, Anthropologie, 22. Zur Stereometrie vgl. A. Wagner, Der Parallelismus membrorum zwischen poetischer Form und Denkfigur, in: A. Wagner (Hrsg.), Parallelismus membrorum (OBO), Fribourg/Göttingen 2007, 1–26. 3 H.W. Wolff, Anthropologie, 23. © 2016, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783788730628 — ISBN E-Book: 9783788730635

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eigene Zupacken, die eigene Kraft. Das Glied und sein wirksames Handeln werden zusammengeschaut. Der Hebräer kann und muß mit einem verhältnismäßig kleinen Wortschatz, mit dem er die Dinge und gerade auch die menschlichen Körperteile benennt, eine Fülle feiner Nuancen zum Ausdruck bringen, indem der Satzzusammenhang die Möglichkeiten, Tätigkeiten, Eigenarten oder Widerfahrnisse des Benannten heraushebt.“4

Die Zusammenschau hier von Körperglied (Hand) und wirksamem Handeln ist das, worauf der Ausdruck „synthetisch“ zielt. Mit dieser Beobachtung hat Wolff eine Eigenart sowohl der hebräischen Anthropologie wie auch der hebräischen Sprache aufgedeckt. Er fordert sodann, diese Eigenarten beim Verstehen der biblischen Sachverhalte zu berücksichtigen, weil „unsere analytisch-differenzierende Sprache“ andere Bezeichnungen und Kategorien erfordert: „Es wird sich zeigen, daß die stereotype Übersetzung eines hebräischen Terminus mit dem gleichen Wort das Verständnis in den meisten Fällen notwendig in die Irre führt; sie verfehlt allzu oft die eigentliche Aussage über den Menschen.“ 5

Auch damit hat Wolff sicher Recht und es ist dieser Zugangsweise hoch anzurechnen, dass sie sich nicht der antiken Argumentation bedient und das Phänomen der Mehrdeutigkeit von Wörtern (ōnymía) unter dem Aspekt der Schädlichkeit für das Denken und die Verständigung diskutiert.6 Wolffs Zugang ist in der neueren Diskussion u.a. bei O. Keel, S. Schroer / T. Staubli und B. Janowski aufgenommen worden.7 Allerdings schließen sich an Wolffs Konzeption auch einige Fragen an: Wie weit können die zusammengeschauten Bereiche ausdifferenziert werden? Lassen sich innerhalb der Spannbreite weitere Bezirke als nur Körperteil und Funktion unterscheiden? Muss etwa der Bereich „Funktion“ nicht klarer differenziert werden? Welches Verhältnis haben die verschiedenen Bedeutungsbereiche zueinander? Und welche Rolle spielt die Tatsache, dass alle diese Bedeutungen 4 H.W. Wolff, Anthropologie, 23. 5 Ebd. 6 Vgl. die Diskussion bei Aristoteles und Quintilian, die sicher manches Vorurteil auch gegenüber dem Hebräischen heraufbeschworen hat. Vgl. Aristoteles, Kategorien [gr.-dt., übers. I.W. Rath] (Reclams Universalbibliothek 9706), Stuttgart 1998; C. Rapp, Ähnlichkeit, Analogie und Homonymie bei Aristoteles, in: ZPhF 46 (1992), 526–544. 7 O. Keel, Deine Blicke sind Tauben. Zur Metaphorik des Hohen Liedes (SBS 114/115), Stuttgart 1984; O. Keel, Die Welt der altorientalischen Bildsymbolik und das Alte Testament. Am Beispiel der Psalmen, Göttingen 51996; B. Janowski, Konfliktgespräche mit Gott. Eine Anthropologie der Psalmen, Neukirchen-Vluyn 2003; S. Schroer / T. Staubli, Die Körpersymbolik der Bibel, Darmstadt 22005 (11998). © 2016, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783788730628 — ISBN E-Book: 9783788730635

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jeweils über die Wortform/Lautform des entsprechenden Lexems abgerufen werden? Soll eine Wiedergabe/Übersetzung der hebräischen Begriffe immer die verschiedenen Bedeutungen wiedergeben? 2. 2.1

Körperteilbedeutungen am Beispiel von „Hand“8 Bedeutungs-Aspekt: Körperhaftigkeit der „Hand“

Um den verschiedenen Bedeutungsfacetten nachzugehen, die im AT Körperteile haben können, gehe ich jeweils von einigen Beispielen aus. Um die Sachlage nicht zu verkomplizieren, beschränke ich mich auf den Bedeutungsbereich der menschlichen Hand und lasse die Anthropomorphismusproblematik beiseite. Es ist zu beginnen mit der „konkreten“ Bedeutung von „Hand“ als Körperteil ohne übertragene Bedeutung: Spr 26,15 Ein Fauler steckt seine Hand in die Schüssel, und es wird ihm sauer, sie zum Mund zurückzuführen. Ri 16,29 Und er [Simson] fasste die zwei Mittelsäulen, auf denen das Haus ruhte, und er stemmte sich gegen sie, (gegen) die eine mit seiner rechten und die andere mit seiner linken Hand.

Hand (in den verschiedenen Wortfacettierungen des Hebräischen yd „Hand“, ymyn „rechte Hand“ und sm’l „linke Hand“) weist in diesen beiden Belegen keine Besonderheit auf. Es geht jeweils um das Körperteil Hand, mit dem bestimmte Handlungen ausgeführt werden können. Die Benennung der Hand dient jeweils der sprachlichen Darstellung einer ausgeführten Handlung, die nicht konventionalisiert ist, nicht im Bereich des Gestischen liegt und keine funktionale

8 Vgl. S. Schroer, Zur Deutung der Hand unter der Grabinschrift von Chirbet el Qôm, in: UF 15 (1983), 191–199; C. Verdan, La main, cet univers, Denges/ Lausanne 1994; R. Kieffer / J. Bergman (Hrsg.): La main de Dieu (WUNT 94), Tübingen 1997; R. Voigt, ‚Fuss’ (und ‚Hand’) im Äthiopischen, Syroarabischen und Hebräischen, in: ZAH 11/2 (1998), 191–199; R. Péter-Contesse, Main, pied, paume?, in: RB 105/4 (1998), 481–491; S. Schroer / T. Staubli, Körpersymbolik, 123–144; S. Schroer, Art. Hand Gottes und des Menschen in der Kunst. I, in: RGG4 Bd. 3 (2000), 1405–1406. Vgl. auch die einschlägigen Lexikonartikel zu yd, ymyn und sm‘l: A.S. van der Woude, Art. ‫ יד‬jād Hand, in: THAT I (1984), 667–674; J. Bergman / W. von Soden / P. Ackroyd, ‫ יד‬jād (mit zeroa‘, jāmîn, kap,’æṣba‘), in: ThWAT III (1982), 421–455; A. Soggin, (H.-J. Fabry), Art. ‫ ימין‬jāmîn, in: ThWAT III (1982), 658–663. © 2016, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783788730628 — ISBN E-Book: 9783788730635

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Bedeutung hat. Im Vordergrund steht hier die Darstellungsfunktion von Sprache.9 Gen 48,13 Dann nahm Josef beide, Ephraim an seiner rechten Hand zur Linken Israels und Manasse an seiner linken Hand zur Rechten Israels, und führte sie an ihn heran.

In der letzten Textstelle begegnet die Verbindung von konkreter und gestischer Bedeutung: Das „An-der-Hand-fassen“ (gestische Bedeutung) schließt auch die Referenz auf das Körperteil (in konkreter Bedeutung) ein. Dieser Beleg weist deutlich auf die Schwierigkeiten der Abgrenzung von verschiedenen Bedeutungsbereichen: Diese Schwierigkeit wird noch mehrfach begegnen. 2.2

Bedeutungs-Aspekt: Gestische Bedeutung der Hand

Die „Hand“ ist besonders reich an gestischen Bedeutungsaspekten. Die sich hier anschließende kleine Sammlung beansprucht nicht Vollständigkeit. Wichtig ist zu erkennen, dass Gesten nicht alle und automatisch „überzeitlich“ und „überkulturell“ gültig sind; 10 manche der im AT üblichen Gesten können wir unmittelbar nachvollziehen, einige nicht. Wichtig ist auch zu erkennen, dass hier keine übertragene Bedeutung in dem Sinne vorliegt, dass yd (oder ein ähnlicher Terminus für Hand) metaphorisch, pars pro toto oder in bildlicher Bedeutung aufzufassen wäre. In den folgenden Belegen ist in den Sätzen und Ausdrücken mit yd ein Gestus sprachlich „abgebildet“, d.h. – wie bei der „Körperteilabbildung“ (s. Abschn. 2.1) – ganz im Sinne der Darstellungsfunktion von Sprache. Gestus: die Hand drauf geben (Besiegelung/Gültigkeit)

2Kön 10,15f. Als er [Jehu] von dort wegging, da traf er Jonadab, den Sohn Rechabs, der ihm entgegenkam. Und er segnete ihn und sprach zu ihm: Ist dein

9 Vgl. zur Darstellungsfunktion (im Gegensatz zur Auslösungs und Appellfunktion): A. Wagner, Sprechakte und Sprechaktanalyse im Alten Testament. Untersuchungen an der Nahtstelle zwischen Handlungsebene und Grammatik (BZAW 253), Berlin / New York 1997, 7–36; A. Wagner, Die Stellung der Sprechakttheorie in Hebraistik und Exegese, in: A. Lemaire (Hrsg.), Congress Volume Basel 2001 [International Organization for the Study of the Old Testament] (VT.S 92), Leiden 2002, 55–83, jeweils im Anschluss an Karl Bühler. 10 Zur Frage der Analyse von Gesten, ihrer kulturellen Prägung u.ä. vgl. C. Müller, Redebegleitende Gesten. Kulturgeschichte, Theorie, Sprachvergleich (Körper, Zeichen, Kultur 1), Berlin 1998, bes. 13–130; M. Egidi (Hrsg.), Gestik. Figuren des Körpers in Text und Bild (Literatur und Anthropologie 8), Tübingen 2000. © 2016, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783788730628 — ISBN E-Book: 9783788730635

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Herz aufrichtig wie mein Herz gegenüber deinem Herz? Da sprach Jonadab: Ja. Wenn es so ist, dann gib mir deine Hand! Und er [Jonadab] gab ihm seine Hand. Und Jehu ließ ihn zu sich auf den Wagen steigen 16 und sprach: Geh mit mir und sieh meinen Eifer für Jahwe! Und er ließ ihn mit sich fahren auf seinem Wagen.

Der in 2Kön 10,15 geschilderte Gestus ist ohne weiteres zu verstehen: Das „Hand-Geben“ besiegelt die Verbrüderung zwischen Jonadab und Jehu. Der Gestus des „Hand-Gebens“ in ähnlicher gestischer Funktion ist auch auf einer zeitgenössischen Abbildung aus Nimrud (heutiger Irak) auf einem Kalksteinrelief aus dem Thronsaal Salmanassars II. (858–824 v. Chr.) zu sehen. Der assyrische König besiegelt hier eine Abmachung per Handschlag (jeweils mit der rechten Hand) mit einem anderen König:

Abb. 2: Kalksteinrelief aus dem Palast Salmanassers II. (858-824 v. Chr.) in Nimrud. Gestus: in die Hände klatschen (Gestus der Freude)

Ez 25,6 Denn so hat Adonai Jahwe gesprochen: Wegen deines [der Ammoniter bzw. Ammons] HändeKlatschens und Mit-den-Füssen-Stampfens und (weil) du dich mit größter Verachtung über das Land Israels gefreut hast [...]. Jes 55,12 Fürwahr, ihr sollt in Freuden ausziehen und im Frieden geleitet werden. Berge und Hügel sollen vor euch frohlocken mit Jauchzen und alle Bäume des Feldes in die Hände klatschen. (mit Personifizierung bzw. „Anthropomorphisierung“ der Bäume)

In Ez 25,6 ist zu beobachten, dass das in die Hände klatschen auch auf alttestamentlichem Hintergrund mit Freude verbunden wird (es © 2016, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783788730628 — ISBN E-Book: 9783788730635

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steht in einer Reihe mit dem Verb śmḥ „freuen“) – auch wenn das Klatschen der Ammoniter aus Freude hier aus der Perspektive Jahwes negativ beurteilt wird. Mit der Freude ist das Klatschen auch in Jes 55,12 verbunden. Diese gestische Bedeutung können wir unmittelbar nachvollziehen. Nicht unmittelbar verständlich sind andere mit dem Klatschen verbundene Bedeutungen: „Je nach Kontext kann das Klatschen aber auch statt Zustimmung Ablehnung, ja Vertreibung bedeuten. In diesem apotropäischen Sinne klatschte man zum Beispiel in der Anwesenheit eines vom Unheil getroffenen, um nicht in den Bannkreis seines Fluches hineingezogen zu werden (Ijob 27,23), oder angesichts einer zerstörten Stadt (Klgl 2,15). Ezechiel wird aufgefordert, über Israel in die Hände zu klatschen und mit dem Fuß zu stampfen, weil es für JHWH zum dämonischen Gräuel geworden ist (Ez 6,11), der offenbar vertrieben werden muß wie wilde Tiere auf dem Feld. Oder er soll zusammen mit JHWH in die Hände klatschen und Kriegsgeheul anstimmen wie ein schwerbewaffneter Krieger (Ez 21,19.22).“11 Gestus: Hände zum Gebet erheben

Ps 44,21 Wenn wir den Namen unsres Gottes vergessen hätten und unsre Hände ausgestreckt hätten zum fremden Gott: 22 Wäre es nicht so: Gott würde dies erforschen? Fürwahr, er kennt die verborgenen Dinge/Geheimnisse des Herzens.

Sicher will Ps 44,21 das sich zu einem fremden Gott Zuwenden im Gebet anprangern.12 Der Psalm greift dabei auf die für das AT und den Alten Orient typische Gebetsgeste zurück: Die Hände sind ausgestreckt, erhoben zum Gebet, nicht zusammengelegt oder gefaltet. Diese Geste ist auch in einer Abbildung aus Kuntillet ʿAğrūd zu sehen:

Abb. 3: Detail aus den Zeichnungen von Kuntillet ʿAğrūd, Pithos B

11 S.Schroer / T.Staubli, Körpersymbolik, 125. 12 Vgl. F.L. Hossfeld / E. Zenger, Die Psalmen I. Psalm 1–50 (NEB 29), Würzburg 1993, 277; K. Seybold, Die Psalmen (HAT I/15), Tübingen 1996, 183. © 2016, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783788730628 — ISBN E-Book: 9783788730635

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Auch wenn hier die Hände mangels Detailgenauigkeit nicht wiedergegeben sind, bleibt der Gestus – an dem körperlich gesehen auch der Arm beteiligt ist, der wiederum bei der Versprachlichung der Geste nicht erwähnt wird – doch klar erkennbar. Gestus: Hände zum Schwur erheben13

Gen 14,22 Da sprach Abram zu dem König von Sodom: „Ich erhebe (hiermit) meine Hand zu Jahwe, El Eljon, der sich Himmel und Erde erworben hat: [V.23 Nichts vom Faden bis zum Schnürriemen will ich nehmen, nichts von dem, was dir gehört (...)].“ Dtn 32,40 Denn ich will meine Hand zum Himmel heben und will sagen: So wahr ich ewig lebe: 41 wenn ich mein blitzendes Schwert schärfe und meine Hand zum Gericht greift, werde ich mich rächen an meinen Bedrängern und denen, die mich hassen, vergelten. Ez 36,7 Deshalb, so spricht mein Herr Jahwe: „Ich erhebe (hiermit) meine Hand (zum Schwur): Gewiß werden die Völker, die euch umgeben, ihre Schmach ertragen müssen.“

Gestus: Hände zum Schwur am Geschlecht des Partners

Gen 24,1 Abraham war alt und in die (Tage=) Jahre gekommen, und Jahwe hatte ihn gesegnet in allem. 2 Und Abraham sprach zum ältesten Knecht seines Hauses, der alles verwaltete, was ihm gehörte: Lege deine Hand unter meine Hüfte 3 und schwöre mir bei Jahwe, dem Gott des Himmels und dem Gott der Erde, dass du meinem Sohn keine Frau nimmst von den Töchtern der Kanaaniter, unter denen ich wohne, 4 sondern dass du gehst in mein Land und zu meiner Verwandtschaft und (dort) meinem Sohn Isaak eine Frau nimmst.

S. Schroer / T. Staubli haben sicher mit Recht vermutet, dass hinter „dieser archaischen Sitte [...] die Vorstellung stehen [mag], dass der Eidleistende bei seiner Manneskraft schwört, die verdorren soll, wenn er den Eid bricht“.14 Auch dieser Gestus ist bildlich belegt:

13 14

Vgl. auch Dtn 17,7; Ps 106,26. S. Schroer / T. Staubli, Körpersymbolik, 127. © 2016, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783788730628 — ISBN E-Book: 9783788730635

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Abb. 4: Siegelfund Nr. 470 aus dem Corpus der Stempelsiegel in Palästina/Israel

Gestus: Hände zum Segnen auflegen

Gestus oder Zeichen: Hand als Zeichen, Zeichen zur Macht

Gen 48,14 Da streckte Israel seine rechte Hand aus und legte sie auf den Kopfs Ephraims, der der Jüngere war, und seine linke auf den Kopf Manasses, er kreuzte seine Hände, fürwahr war Manasse der Erstgeborene. 15 Und er segnete Josef und sprach [...], Ex 14,21 Da streckte Mose seine Hand über das Meer und Jahwe ließ es zurückweichen durch einen starken Ostwind die ganze Nacht und machte das Meer trocken, und die Wasser teilten sich. 22 Und die Israeliten gingen hinein mitten im Meer auf dem Trockenen, und das Wasser war ihnen eine Wand zur Rechten und zur Linken.

Die Vielfalt der gestischen Bedeutung der Hand ist groß. Der Körperteil bzw. das Lexem „Hand“ erwirbt so insgesamt ein Repertoire an Bedeutung, das über die Körperteilbezeichnung hinaus das Bedeutungspotential der Gesten einschließt. Die (Wort-)Bedeutung wird so über das Konkrete hinausgeführt. 2.3

Bedeutungs-Aspekt: Funktionale Bedeutung der Hand

Funktionale Ps 73,23 Dennoch bleibe ich stets bei dir; denn Bedeutungsfacette: du hältst mich bei meiner rechten Hand. an der Hand halten im Sinne von beschützen, umschließen, führen, positiv: Macht über jmd. besitzen

Die rechte Hand (rechte Seite) weist auf die Ehrenseite; die Betonung dieser rechten Seite drückt mehr aus, als nur das Geführtwer-

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den mit der Hand, es geht um den Ausdruck eines „freundschaftlichvertrau-ensvolle[n] Verhältnis[ses]“15.16 Funktionale Bedeutungsfacette: Arbeit tun

Dtn 14,28 Nach drei Jahren sollst du aussondern den ganzen Zehnten vom Ertrag des entsprechenden Jahres und sollst ihn hinterlegen in deiner (Tore=) Wohnstatt. 29 Und es soll kommen der Levit, der weder Anteil noch Erbe mit dir hat, und der Fremdling und die Waise und die Witwe, die in deinen Toren leben, und sie sollen essen und sich sättigen, auf dass Jahwe, dein Gott, dich segne in allen Werken deiner Hand, das du tust.

Funktionale Bedeutungsfacette: Gewalt, Macht ausüben

Ps 22,17.21 Denn Hunde haben mich umgeben, eine Rotte der Bösen hat mich umringt [...] 21 Errette mein Leben vor dem Schwert, mein Einziges aus der (Hand des Hundes=) aus der Hundegewalt! Dtn 2,24 [Steht auf! Brecht auf! Überquert das Tal des Arnon!] Hiermit gebe ich in deine Hand Sichon, den König von Heschbon den Amoriter, und sein Land. [Fang an, nimm es in Besitz und beginne mit ihm Krieg.] 17 2Chr 12,5 [Da kam der Prophet Schemaja (...) und sagte zu ihnen:] „So spricht Jahwe: Ihr habt mich verlassen, und (hiermit) verlasse (auch) ich euch (und gebe euch) in die Hand Schischaks.“ Hi 1,12 [Da sagte Jahwe zu Satan:] „Hiermit ist alles, was er hat, in deiner Hand. Nur gegen ihn selbst strecke deine Hand nicht aus!“[...] Hi 2,6 [Da sagte Jahwe zu Satan:] „Hiermit ist er in deiner Hand. Aber schone sein Leben.“

Die Bedeutung „Macht ausüben“ kann sich soweit von der Körperteilreferenz verselbständigen, dass in bestimmten Wortkombinatio15 S. Schroer / T. Staubli, Körpersymbolik, 181. 16 Dieses Verhältnis geht möglicherweise sogar über den Tod hinaus; vgl. D. Michel, Ich aber bin immer bei dir. Von der Unsterblichkeit der Gottesbeziehung, in: D. Michel, Studien zur Überlieferungsgeschichte alttestamentlicher Texte (TB 93), Gütersloh 1997, 155–179, die rechte Hand umfasst damit ein sehr weitgehendes Verhältnis. 17 Zu den Übereignungsformeln im Krieg vgl. A. Wagner, Sprechakte, 109–111. © 2016, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783788730628 — ISBN E-Book: 9783788730635

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nen nur noch die reine Funktionalbedeutung präsent ist: im Ausdruck „die Hand der Zunge“ Spr 18,21 ist sicher nicht eine Personifizierung bzw. Anthropomorphisierung der Zunge gemeint – etwa analog der Personifizierung der Bäume in Jes 55,12, s.o. Abschn. 2.2 –, sondern die „Macht der Zunge“ gemeint (Tod und Leben stehen in der Zunge Macht [...]). Ähnlich in Jos 8,20 Und die Männer von Ai wandten sich um und sahen hinter sich und sahen den Rauch der Stadt aufsteigen gen Himmel und es gab für sie keine „Hände“ zum fliehen, hierhin und dorthin [...].

Gemeint ist hier sicher nicht das Körperteil Hand, auch keine Geste, sondern die abstrakt-funktionale Bedeutung „Handlungsmöglichkeit“ oder „Kraft“18. 3. Das Verhältnis von körperlicher, gestischer und funktionaler Bedeutung Wie oben schon angedeutet, haben wir es hier nicht mit klar abgrenzbaren Bedeutungsbereichen zu tun, sondern mit gut zu verstehenden Einzelfällen einerseits, unklaren Belegen und Überschneidungsbereichen andererseits. Die Bedeutung von yd umfasst die Bandbreite vom Körperlichen über das Gestische bis zum AbstraktFunktionalen, und das mit Übergangszonen. Es ist daher am sinnvollsten, von einem Bedeutungsspektrum zu sprechen: Bedeutungsspektrum von yd Körperteilbedeutung

Übergangsbereich

Gestische Bedeutung

Übergangsbereich

Abstraktfunktionale Bedeutung

Abschn. 2.1 Spr 26,15 Der Faule steckt seine Hand in die Schüssel

Abschn. 2.1 Gen 48,13

Abschn. 2.2 Ps 44,21 „Hände zum Gebet erheben“

Abschn. 2.2 Ex 14,21

Abschn. 2.3 Jes 55,12 Macht der Zunge

18

Vgl. H.W. Wolff, Anthropologie, 108–109. © 2016, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783788730628 — ISBN E-Book: 9783788730635

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Insgesamt ergeben sich für yd (und die verwandten Lexeme) also mehrere Verstehensmöglichkeiten. Polysemie ist für ein Lexem nichts Außergewöhnliches.19 Im jeweiligen konkreten Kotext kann die Bedeutung in der Regel problemlos monosemisiert bzw. disambiguiert werden.20 Bei den Körperteilen (im Hebräischen) kann man m.E. auch den Weg der Entstehung der Bedeutungsvielfalt nachkonstruieren: Zum synthetischen Bedeutungsspektrum kommt es deswegen, weil sich aus der konkreten Körperteilbedeutung über die (extralinguale) gestische Bedeutung neue Bedeutungspotentiale aufbauen, die sich mit dem Lexem yd verbinden; in den meisten Fällen geschieht so, dass die ganze Geste versprachlicht wird; in wenigen Fällen so, dass sich die von der körperlichen und gestischen Funktion ganz abgelöste abstrakt-funktionale Bedeutung verselbständigt hat (Jes 55,12). Allerdings spiegelt sich in dieser sprachlichen Polysemie wiederum nur die „Polysemie der Sache“; denn auch der Referent, der außersprachliche Sachverhalt, von yd ist ja mehrdeutig. Die abstrakte Bedeutung kann sich dabei weit von der konkreten Bedeutung entfernen, dürfte dieser auch bei der Bedeutungsentwicklung nachgeordnet sein. Eine Brücke für die Entwicklung der Abstraktbedeutung stellt die „gestische“ Bedeutung dar. Das einigende Band dieser verschiedenen Bedeutungen in der Sprache ist die Lautform von yd. Bei allen Bedeutungsbereichen handelt es sich ja um dieselbe hebräische Vokabel, die als Wortform alle diese Bedeutungen verbindet. Das ist ein entscheidender Punkt. Im Deutschen, darauf hatte H. W. Wolff schon hingewiesen (s.o. Abschn. 1), und ebensolches gilt natürlich für andere Sprachen, können die hebräischen Körperteilbezeichnungen nicht immer mit derselben Wortbedeutung übersetzt werden: Man kann yd nicht immer nur mit Hand übersetzen, weil dann in der Übersetzung etliche der gestischen und funktionalen Bedeutungen nur schwer verständlich wären.

19 Vgl. E.W. Schneider, Variabilität, Polysemie und Unschärfe der Wortbedeutung. Bd. 1 und 2. Tübingen 1988. 20 Die Polysemie gilt auch für bildliche Darstellungen, vgl. etwa die Deuteproblematik der Hand aus Chirbet el-Qom (8. Jh. v. Chr.) und die Hände unter einem Sichelmond mit Scheibe auf einer Basaltstele aus Hazor (13. Jh. v. Chr.). Vgl.: S. Schroer, Zur Deutung der Hand unter der Grabinschrift von Chirbet el Qôm (s. Anm. 8); S. Mittmann, Das Symbol der Hand in der altorientalischen Ikonographie, in: R. Kieffer / J. Bergman (Hrsg.), La main de Dieu, 19–48. © 2016, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783788730628 — ISBN E-Book: 9783788730635

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Das synthetische Bedeutungsspektrum hebräischer Körperteilbezeichnungen

Die hebräischen Körperteilbezeichnungen – also die Lexeme für Hand, Fuß, Arm usw. – stellen eine wichtige Klammer dar, an denen alle Bedeutungsaspekte eines Körperteils haften. Die Möglichkeit des Changierens zwischen konkretem, gestisch-mimischem und funktionalem Aspekt hat in der gemeinsamen Lautform ihr Scharnier. Eben deshalb legt sich noch einmal der Begriff des synthetischen Bedeutungsspektrums nahe: Die Nachbarbedeutungen des Bereichs aus dem Spektrum, der gerade im Vordergrund steht, bleiben im Bedeutungsraum als Nachbarbezirke erhalten. Sie schwingen sozusagen mit. Ein Bezirk tritt bei einer konkreten Anwendung als dominanter Bezirk auf, die anderen treten zurück, verschwinden aber nicht ganz, sondern stehen im Hintergrund. Damit liegt also immer auch eine gewisse „Zusammenschau“, etwas „Synthetisches“ vor. Eine Trennung in konkret und abstrakt legt sich von daher nicht sehr nahe.21 Ist also im Hebräischen ein Körperteil genannt, muss nach seiner jeweils dominanten Bedeutung aus seinem „synthetischen Bedeutungsspektrum“ gefragt werden.

21 Mit Blick auf diesen Sachverhalt gehen Schroer/Staubli vielleicht etwas zu weit, wenn sie die funktionsorientierte Bedeutung ausschließlich in den Vordergrund stellen: „Das semitische Denken ist, was sich in Sprache und Bildkunst gleichermaßen zeigt, niemals an Formen, Aussehen und Perspektiven orientiert, sondern immer an der Dynamis, an der Wirkung, die etwas hat. Wenn die Liebenden im Hohelied einander sagen: Deine Augen sind Tauben, dann geht es nicht um die Form der Augen, sondern um die Qualität des verliebten, liebenden Blickes. [...] So dachten IsraelitInnen auch bei Hand, Fuß und Nase usw. nicht primär an deren äußere Form, sondern an ihre Wirkung, an die Macht, die eine starke Hand ausübt oder an den Fuß, der als Geste der Unterdrückung auf dem Nacken des Feindes steht, oder an das Zornesschnauben der Nase. [...].“(S. Schroer / T. Staubli, Körpersymbolik, 21, Hervorhebungen von A.W.) Wichtig ist, dass man die Möglichkeit zum Changieren beachtet; dieses Umkippen von einer Bedeutungssphäre in die andere ist auch auf anderen Feldern zu beobachten, etwa dem Übergang von Abstraktem und Konkretem (vgl. dazu O. Keel, Die Welt der altorientalischen Bildsymbolik und das Alte Testament, 8–9; S. Schroer / T. Staubli, a.a.O., 21, machen selbst auch auf diesen Punkt aufmerksam: „Jedes konkrete Ding, z.B. die Hand, weist nämlich dann über sich hinaus. Andererseits ist es nicht möglich, ein Abstraktum wie Macht, Stärke ohne das Konkretum zu denken oder zu benennen.“) oder der „Offenheit der Welt auf das Über- und Unterirdische“, so B. Janowski, Konfliktgespräche mit Gott, 28, im Anschluss an O. Keel, Die Welt der altorientalischen Bildsymbolik und das Alte Testament, 47. Schließlich ist es mindestens missverständlich, diese Eigenart als „semitisches Denken“ zu verstehen; denn im A.O. folgen auch Ägypter (Hamito-Semiten) und Hethither (Indogermanen) diesem Paradigma, vermutlich gibt es etliche weitere vorneuzeitliche u.ä. Kulturen, die ähnlich „denken“. © 2016, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783788730628 — ISBN E-Book: 9783788730635

Das Konzept der synthetischen Körperauffassung in der Diskussion (veröffentlicht zusammen mit Katrin Müller)

1. Körperforschung und Körpergeschichte im Kontext Alttestamentlicher Anthropologie und Historischer Anthropologie als Ausgangspunkt und Rahmen für die Frage nach der synthetischen Körperauffassung Die Forschungen zum Themenbereich „Körper“ haben in den letzten Jahrzehnten stark zugenommen. Eine interdisziplinäre Forschungsbewegung über dieses Thema hat ein neues Arbeitsfeld unter den Stichworten „Körperforschung“ und „Körpergeschichte“ geschaffen, das in viele Einzelwissenschaften hineinreicht.1 1 Vgl. die unglaubliche Materialfülle neuerer Gesamtdarstellungen (a) und Einzelstudien (b), hier jeweils nur eine Auswahl an wichtigen Studien: a) Kamper, D. / Rittner, V. (Hg.), Zur Geschichte des Körpers. Perspektiven der Anthropologie, München/Wien 1976; Duden, B., Body History – a Repertory, Wolfenbüttel 1990; Corbin, A. / Courtine, J.-J. / Vigarello, G. (Hg.), Histoire du corps. Coffret 3 volumes: Tome 1, De la Renaissance aux Lumières, Tome 2, De la Révolution à la Grande Guerre, Tome 3, Les mutations du regard - Le XXe siècle, Paris 2004–2006; Andrieu, B. (Hg.), Dictionnaire du corps, Paris 2007; Kalof, L., A cultural history of the human body [umfasst: Crozier, I., A cultural history of the human body in the modern age; Sappol, M., A cultural history of the human body in the age of empire; Reeves, C., A cultural history of the human body in the age of enlightenment; Kalof, L., A cultural history of the human body in the Renaissance; Kalof, L., A cultural history of the human body in the medieval age; Garrison, D., H. A cultural history of the human body in Antiquity], Oxford u. a. 2010. b) Duden, B., Geschichte unter der Haut. Ein Eisenacher Arzt und seine Patientinnen um 1730, Stuttgart 1987; Walker Bynum, C., Fragmentierung und Erlösung. Geschlecht und Körper im Glauben des Mittelalters, Frankfurt a. M. 1996; Lorenz, M., Kriminelle Körper – Gestörte Gemüter. Die Normierung des Individuums in Gerichtsmedizin und Psychiatrie der Aufklärung, Hamburg 1999; Sarasin, Ph., Mapping the Body. Körpergeschichte zwischen Konstruktivismus, Politik und ‚Erfahrung‘, in: Historische Anthropologie. Kultur – Gesellschaft – Alltag 7 (1999), n. 3, 437–452; Sarasin, Ph., Reizbare Maschinen - Eine Geschichte des Körpers 1765– 1914, Frankfurt a. M. 2001; Duden, B. / Schlumbohm, J. / Veit, P., Geschichte des Ungeborenen. Zur Erfahrungs- und Wissenschaftsgeschichte der Schwangerschaft, 17.–20. Jahrhunderts, Göttingen 22002; Merta, S., Wege und Irrwege zum modernen Schlankheitskult. Diätkost und Körperkultur als Suche nach neuen Lebensstilformen 1880– 1930, Stuttgart 2003; Thommen, L., Antike Körpergeschichte, Zürich 2007; Le Goff, J. / Truong, N., Die Geschichte des Körpers im Mittelalter, Stuttgart 2007; © 2016, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783788730628 — ISBN E-Book: 9783788730635

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Das Konzept der synthetischen Körperauffassung in der Diskussion

Besonders zentral für die historisch und an Einzelkulturen orientierten Wissenschaften ist dabei die „Körpergeschichte“. Sie hat einige Grundtheoreme hervorgebracht, die heute breiten Konsens finden. Eines dieser Grundtheoreme ist die Einsicht in die historischkulturelle Relativität der Grundauffassungen über den Körper und seine Teile, seine Geschlechterkonstruktion u.ä.2 Die Thematisierung des „Körpers“ ist selbst nun wieder Teil der Historischen Anthropologie, einer größeren und umfassenden Bewegung, die den Menschen in seinem geschichtlichen Dasein fokussiert und die ebenfalls eine Fülle von Disziplinen und Wissenschaften erfasst hat. Die Historische Anthropologie insgesamt hat Anstöße und Prägungen erfahren aus Forschungsrichtungen, die der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts entstammen, vor allem der französischen Historikerschule der Annales und deren „Mentalitätsgeschichte“3, zudem der (vor allem deutschsprachigen) philosophischen Anthropologie u.a.m.4 In den Konstitutionsjahrzehnten der Fragestellungen, die in die Historische Anthropologie mündeten, hat die Alttestamentliche Anthropologie in Form der grundlegenden gleichnamigen Publikation von Hans-Walter Wolff einen großen Schub erhalten.5 Wolffs Leitfrage zeugt dabei von seiner Verwurzelung in den Grundfragen philosophisch-theologischer Anthropologie. Er hält im Vorwort seiner Anthropologie von 1973 fest: „Mein Interesse ist durch die Frage bestimmt, wie im Alten Testament der Mensch zur Erkenntnis seiner selbst angeleitet wird.“6 Vigarello, G., Les métamorphoses du gras. Histoire de l'obésité du Moyen Age au XXe siècle, Paris 2010. 2 Vgl. Sarasin, Ph., Art. Körpergeschichte, in: Historisches Lexikon der Schweiz. Hrsg. von der Stiftung Historisches Lexikon der Schweiz. Bd. 7, Basel 2008, 412– 413. 3 Raulff, U. (Hg.), Mentalitäten-Geschichte. Zur historischen Rekonstruktion geistiger Prozesse, Berlin 1987; vgl. auch: Dressel, G., Historische Anthropologie, Wien u. a. 1996; Wulf, C. (Hg.), Vom Menschen. Handbuch Historische Anthropologie, Weinheim/Basel 1997; v. Dülmen, R., Historische Anthropologie, Köln u. a.22000; Tanner, J., Historische Anthropologie zur Einführung, Hamburg 2004; Winterling, A. (Hg.), Historische Anthropologie (Basistexte Geschichte 1), Stuttgart 2006; Wulf, Christoph, Das Rätsel des Humanen. eine Einführung in die historische Anthropologie, München 2013; u. a. 4 Neben vielen anderen wäre hier z. B. auf Max Scheler zu verweisen, der Anthropologie als „Denkart“ versteht, „die die reale, vollständige Existenz des Menschen ergreift, seine Stellung und seine Beziehung zur gesamten Welt untersucht.“ Schischkoff, G., Philosophisches Wörterbuch, Stuttgart211982, Art. Anthropologie, 28–29, hier: 28. 5 Wolff, H.-W., Anthropologie des Alten Testaments, Gütersloh 1973. 6 Wolff, H.-W., Anthropologie des Alten Testaments. Mit zwei Anhängen neu herausgegeben von Bernd Janowski, Gütersloh 2010, 11. © 2016, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783788730628 — ISBN E-Book: 9783788730635

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Von den Fragestellungen, die später die Historische Anthropologie interessieren, ist Wolff methodisch-begrifflich weit entfernt – es geht ihm nicht um „Mentalitätsgeschichte“, „kulturelle Konstrukte“, „Körpergeschichte“ u.v.a.m. –, was Wolff dann de facto und sachlich in seinem Buch macht, umfasst aber doch wieder etliche Frage- und Arbeitsbereiche, die auch in der Historischen Anthropologie eine Rolle spielen: z.B. Körpervorstellungen, der Zeitbegriff, menschliche „Zustände“ (Jungsein, Altern, Schlafen, Ruhen, Wachen, Kranksein, Arbeit usw.) und Sozialbeziehungen u.ä. In diesem wirkungsgeschichtlich bedeutsamen Werk von Wolff findet sich nun auch erstmals ausgeführt das Konzept der synthetischen Körperauffassung, das im Zentrum der Beiträge dieses Buches steht. 2. Wolffs Methodik als Hintergrund für die Frage nach der Kulturspezifik der „synthetischen Körperauffassung“ 2.1 Wolffs Vorwurf der „Überfremdung“ bei der Beschreibung alttestamentlich-anthropologischer Sachverhalte 2.1.1 Beobachtungen zur „Überfremdung“ Im ersten Teil seiner Anthropologie versucht Wolff in einer „Anthropologischen Sprachlehre“ eine Grundlage für die Erkenntnis und für die Formulierung von Ergebnissen über die alttestamentlichen Sichtweisen über den Menschen zu geben. Dieser Buchteil ist ein im wahrsten Sinne des Wortes „fundamentaler“ Abschnitt seiner Anthropologie. Sein Ansatzpunkt ist dabei zunächst, und damit lag er auch völlig richtig, „Überfremdungen“ zu markieren, die sich im Laufe der Auslegungs- und Interpretationsgeschichte alttestamentlicher Textein der christlich-jüdischen Tradition ergeben haben. Überformungen und Überfremdungen gab (und gibt) es im Bereich anthropologischer Sachverhalte in mannigfacher Hinsicht, erinnert sei hier an die „Uminterpretation“ von hebr. næfæš, das schon von der LXX als psyche interpretiert wurde und dadurch die Rezeption in eine Richtung lenkte, die weg von der hinter næfæš stehenden alttestamentlichen Auffassung führte.7 Erinnert sei auch an den Versuch, 7 Vgl. Rösel, M., Die Geburt der Seele in der Übersetzung. Von der hebräischen „näfäsch“ über die „psyche“ der LXX zur deutschen „Seele“, in: Wagner, A. (Hg.), Anthropologische Aufbrüche. Alttestamentliche und interdisziplinäre Zugänge zur historischen Anthropologie (FRLANT 232), Göttingen 2009, 151–170; Müller, Katrin, „So wurde der Mensch ein lebendiges Wesen...“. Die „Seele“ des Menschen im Alten Testament, Bibel heute 1/2012, 14–16. © 2016, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783788730628 — ISBN E-Book: 9783788730635

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im AT „eine dichotomische[...] oder trichotomische[...]“8Anthropologie zu finden, ganz analog zur platonischen, die dem AT ebenso fremd ist wie eine platonische Seelenvorstellung.9 Der Impuls von Wolff, hier noch einmal genau auf die Gegebenheiten des hebräischen (und aramäischen) AT zu schauen, war also richtig und behält bis heute seine Berechtigung. So schnell gibt die Tradition und die in Tradition eingebettete Theologie verfestigte „Überfremdungen“ nicht preis. 2.1.2 Konsequenzen aus der Erkenntnis der „Überfremdung“ Interessant ist nun, wie Wolff weiter an das Problem herangeht. Zum einen fordert er: „Der alttestamentliche Sprachgebrauch muss dazu [also zum Erkennen der Überfremdungen und zum Erarbeiten einer sachgemäßen alttestamentlichen Anthropologie] geklärt werden.“10 Deswegen auch zunächst eine „Sprachlehre“ in seinem Werk (s.o.). Zum anderen: „Diese Aufgabe fordert Einsicht in die semitischen Vorstellungs- und Denkvoraussetzungen.“11 In den Formulierungen dieser Forderungen stecken nun Postulate und Voraussetzungen, die schwer gewichtig, aber teils unscharf und teils sehr zeitbedingt sind. Sie sollen im Folgenden (in Abschn. 2.2 und 2.3) kurz erläutert werden, weil sie den Hintergrund der Diskussion um die „synthetische Körperauffassung“(vgl. Abschn. 3) bilden. 2.2 Wolffs Verständnis von „Sprachgebrauch“, „Stereometrie“ und „Körperauffassung“, der Zusammenhang und die Kontexte dieser Begriffe Wie sich aus dem auf die Einleitung nachfolgenden Argumentationszusammenhang in der Anthropologie von Wolff ablesen lässt, zielt der Ausdruck „Sprachgebrauch“ auf mehrere Sprachphänomene, die analytisch weiter getrennt werden können. i) Zum einen analysiert Wolff sprachliche Einheiten wie „Herz, Seele, Fleisch, Geist“12 und zielt damit auf die Ebene der Wortsemantik bzw. der Lexeme. Was Wolff hier de facto macht, entspricht Prä8 Wolff, Anthropologie, 29. 9 Vgl. Wagner, A., Wider die Reduktion des Lebendigen. Über das Verhältnis der sog. anthropologischen Grundbegriffe und die Unmöglichkeit, mit ihnen die alttestamentliche Menschenvorstellung zu erfassen, S. 15–33 in diesem Band [Erstveröffentlichung in: Wagner, Anthropologische Aufbrüche, 183–199]. 10 Wolff, Anthropologie, 29. 11 Wolff, Anthropologie, 29. 12 Wolff, Anthropologie, 29. © 2016, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783788730628 — ISBN E-Book: 9783788730635

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gungen aus den 1920er und 1930er Jahren. Er fragt letztlich nach dem im wortfeldlinguistischen Sinne „paradigmatischen“ Verhältnis von Lexemen, wenn er festhält, dass anthropologische „Begriffe“„in der hebräischen Dichtung nicht selten untereinander austauschbar“ sind.13 „Paradigmatisch“ gebraucht Wolff nicht selbst, aber seine Beobachtungen entsprechen ganzem strukturalistischen bzw. wortfeldanalytischen Paradigmenbegriff: Semantische Relationen, wie sie auch ein Wortfeld ausmachen, werden so bestimmt, dass bestimmte Klassen von Lexemen konstituiert werden, indem sie an derselben Stelle eines Syntagmas (z.B. als Substantiv) stehen können und inhaltlich über das Thema „Körper“ oder Person o.ä. vernetzt sind (hier: Körper-Lexeme, Person-Lexeme usw.). Das entspricht einer nicht zuletzt stark von der deutschsprachigen Linguistik der 1920er und 1930er Jahre (Porzig, Trier, Weisgerber) geprägten Methodik.14 Diese Beobachtungen sind auch in gewisser Hinsicht noch immer tragfähig,15 solange die paradigmatisch zusammengehörigen Lexeme (im AT) nicht als „austauschbar“ im Sinne von austauschbaren Synonymen verstanden werden – dieser Gefahr ist etwa Risto Lauha erlegen, der die anthropologischen Begriffe letztlich als nicht unterscheidbar begreift (vgl. dazu unten 2.2. iii) und solange Rückschlüsse vom sprachlichen Befund (Wortfeldbeschaffenheit) zur Sache (Menschenkonzept) sensibel und vorsichtig vorgenommen werden. ii) Zum zweiten unterscheidet Wolff Sprachbereiche wie poetische Sprache („Dichtung“, s.o.) und nicht-poetische Texte. Die von ihm 13 Wolff, Anthropologie, 29. 14 Vgl. hier einführend und zusammenfassend: Elsen, H., Wortschatzanalyse (UTB 3897), Tübingen 2013, 27–31. 15 Auch wenn es von Wolff nicht explizit gesagt wird, scheint hinter der Wortfeldanalyse auch der Gedanke zu stehen, über die Untersuchung der Beschaffenheit des „Wortfeldes“ zum Themenbereich „Körper“, „Mensch“, „Person“ etc. auch Einblick in die hebräische Anthropologie zu gewinnen. Diese Spur kann auch heute noch weiterverfolgt werden, da sich Wortfelder zu gleichen Sachbereichen in Sprachen unterscheiden und daher unterschiedliche „sprachliche Welten“ aufschließen können. Für das Hebräische ist Wolff insofern fortzuschreiben, als die „paradigmatische“ Reihe der Zentrallexeme, die als Aspekte für einen Menschen stehen können, über die von Wolff zuerst genannten vier Termini næfæš, bāśār, ruaḥ und lēb hinaus erweitert werden muss; in der Tat können etliche Lexeme den Menschen unter bestimmten Aspekten darstellen und je vollgültig repräsentieren. Die Summe und das System des Zusammenspiels dieser Aspekte ergeben ein anderes „paradigmatisches Wortfeld“ und damit andere Hinweise auf das Menschenkonzept als z. B. das Wortfeld der Körper-/Personlexeme des klassischen Griechischen, das immer wieder auf ein trichotomes Menschenkonzept verweist. Vgl. zu diesem Problembereich ausführlich: Wagner, A., Wider die Reduktion des Lebendigen. Über das Verhältnis der sog. anthropologischen Grundbegriffe und die Unmöglichkeit, mit ihnen die alttestamentliche Menschenvorstellung zu erfassen, S. 15–33 in diesem Band. © 2016, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783788730628 — ISBN E-Book: 9783788730635

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angeführten Beispiele (etwa Ps 84,3) machen deutlich, dass er als Dichtung ansieht, was durch den Parallelismus membrorum geprägt ist.16 Er führt aus, dass in solchen poetischen Texten „Organe und Glieder des Menschen bruchlos von Pronomina abgelöst werden“ können,17 wie im Beispiel Spr 2,10f. „Die Weisheit wird in dein Herz kommen, und die Erkenntnis die Lust deiner Seele sein. Die Besonnenheit wird über dir wachen, die Vernunft dich behüten.“18

Für den Bereich der Poesie, also für durch den Parallelismus membrorum geprägte Texte, führt Wolff als Beschreibungskategorie im Anschluss an B. Landsberger die „Stereometrie des Gedankenausdrucks“ an19 und zitiert G. v. Rad: „Die Lehrer glauben ihre Gegenstände ... nicht durch die Verwendung sauber voneinander abgegrenzter Begriffe sachgerechter darstellen zu können, sondern durch das Gegenteil, nämlich durch die Nebeneinanderstellung sinnverwandter Wörter.“20

Der Zweigliedrigkeit des Parallelismus entspricht das stereometrische Prinzip, durch zwei dargebotene Blickwinkel schärfer zu sehen. So wie optisch die Stereometrie ein (dreidimensionales) Tiefensehen und akustisch die Stereophonie (räumliches) Tiefenhören ermöglicht, so der Parallelismus ein Tiefenverstehen. Ganz knapp resümiert Wolff dann mit Blick auf Körperthemen, die mit den Mitteln der Dichtung bzw. des Parallelismus dargestellt werden: „Dieses [in der Dichtung vorliegende!] stereometrische Denken steckt den Lebensraum des Menschen durch Nennung charakteristischer Organe ab und umschreibt so den Menschen als ganzen (Spr 18,15): Ein verständiges Herz erwirbt Erkenntnis / und das Ohr der Weisen sucht Erkenntnis. Verschiedene Körperteile umstellen mit ihrer wesentlichen Funktion den Menschen, der gemeint ist.“21

16 Vgl. zum Parallelismus membrorum: Wagner, A. (Hg.), Parallelismus membrorum (OBO 224), Fribourg/Göttingen 2007. 17 Wolff, Anthropologie, 29–30 [Hervorhebungen K.M. / A.W.]. 18 Wolff, Anthropologie, 30. 19 Zum Zusammenhang zwischen Stereometrie und Parallelismus vgl. Wagner, A., Der Parallelismus membrorum zwischen poetischer Form und Denkfigur, in: Wagner, Parallelismus membrorum, 1–26, hier 11–13. 20 v. Rad, G., Weisheit in Israel, Neukirchen-Vluyn 1970, 75f.; zitiert nach: Wolff, Anthropologie, 30. 21 Wolff, Anthropologie, 30. © 2016, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783788730628 — ISBN E-Book: 9783788730635

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Aus diesem Resümee darf nun nicht geschlossen werden, dass Wolff der Auffassung sei, das Körperverständnis des AT sei durch Stereometrie geprägt. Im Bereich der Poesie, im Parallelismus membrorum findet sich die analytische Möglichkeit, Körperlexeme, meist in einer Zweier-Relation, vorzufinden und sie, angeleitet von dieser poetischen Form, in eine Beziehung zueinander und zum Menschen bzw. Menschenbild zu setzen. Nun ist aber die Eigenart dieser Dichtungsform durch „Stereometrie“ beschrieben, nicht die Eigenart des Körperbildes/-verständnisses! Wolff scheint – mit G. v. Rad – davon auszugehen, dass die „sachgerechte Darstellung“ (darin steckt schon eine stark reflektive Aktivität!) in der Dichtung, im Parallelismus membrorum, von besonderer Signifikanz ist, deswegen wendet er sich häufig Beispielen mit Körperlexemen in der Poesie zu. Möglicherweise muss man sogar noch einen Schritt weiter gehen und sagen, die Anwendung des Parallelismus membrorum in den Texten der Weisheit – Weisheit ist das eigentliche Thema der Abhandlung von G. v. Rad, die Wolff zitiert – und die in den Texten der Weisheit vorfindliche Umgangsweise in der Nennung von Körperteilen und Organen ist der eigentliche Hintergrund von Wolffs Aussage zum „stereometrischen Denken“. Die Weisheit und ihre Ausdrucksformen, Texte, in denen der Parallelismus sehr häufig zur Anwendung kommt, aber auch das Erkenntnisinteresse der Weisheit und ihr analytischer Weltzugang, ermöglichen das Entdecken einer Sicht im AT, die „charakteristische[...] Organe“ nennt und damit „den Menschen als ganzen“ umschreibt.22 Dem letzten Gedanken folgend müsste man sagen, dass Stereometrie dann nicht die Körperauffassung des AT umschreibt, sondern die der Weisheit (und verwandter „Bereiche“), die sich vorwiegend des Parallelismus membrorum als Ausdrucksmittel bedient.23 iii) Wenn Wolff von „Austauschbarkeit“ der Körperlexeme „in der Dichtung“ spricht (s. 2.2.i), dann ist diese Ausdrucksweise leicht misszuverstehen.24 „Austauschbar“ darf nicht im Sinne von Bedeu22 Wolff, Anthropologie, 30. 23 Wolff selbst gibt hier Anlass zur Unschärfe, wenn er, nachdem er zunächst die Stereometrie als Kennzeichen des in der Weisheit häufig gebrauchten Parallelismus membrorum beschreibt, sie im nächsten Absatz dann aber stark verallgemeinernd als typisch für „de[n] Hebräer“ (Wolff, Anthropologie, 31) wertet. Ein Leser kann nun das eigentlich im Parallelismus membrorum greifbare (weisheitlich) stereometrische Denken auf das ganze AT beziehen. 24 R. Lauha kommt z. B. in seiner Studie zu dem Schluss, næfæš, lēb und ruaḥ seien – jedenfalls im Bezug auf Emotionen – zur Bezeichnung der Person untereinander austauschbar. Vgl. Lauha, R., Psychophysischer Sprachgebrauch im Alten Testament. Eine strukturalsemantische Analyse von ‫לב‬, ‫ נפש‬und ‫רוח‬. I. Emotionen (AASF.DHL 35), Helsinki 1983. © 2016, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783788730628 — ISBN E-Book: 9783788730635

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tungsgleichheit/Synonymie verstanden werden, als ob es egal sei, welches Organ oder welches Glied anstelle des Menschen genannt wird. Austauschbar sind die Organe und Glieder im semantisch-relationalen Sinn eines „Paradigmas“ (vs. „Syntagma“): an der Stelle eines Organs kann ein anderes stehen, wie im synonymen Parallelismus in dem oben angeführten Beispiel. Aber das macht nur dann einen Sinn, wenn, wie das die Eigenart des Parallelismus membrorum ist, durch Ähnlichkeiten und Verwandtschaften oder auch Antinomien von Lexemen in den Gliedern des Parallelismus membrorum eine „Wirkung“ erzeugt wird, die den Rezipienten dazu anregt, nach Ähnlichkeiten und Unterschieden mit Blick auf die eigentlich gemeinte Sache zu fragen. Bei vollständiger Synonymie wäre das gar nicht möglich. Auch die Beobachtung Wolffs, dass Organe und Glieder durch Pronomina ersetzt werden können, darf nicht so verstanden werden, dass Organe und Glieder dadurch untereinander gleich würden.25 iv) „Sprachgebrauch“ umfasst nun weiterhin nach Wolffs eigenen Formulierungen – er schreibt etwa: „Begriffe wie Herz, Seele, Fleisch, Geist“26 u.ä., – das Eingehen auf „Begriffe“; Wolffs „Anthropologische Sprachlehre“ ist stark davon geprägt, ca. ein Drittel seines Buches umfasst die Erörterung von solchen „Begriffen“27. Was Wolff dann aber erläutert, sind zunächst Wortbedeutungen, er liefert semantische Beschreibungen von Lexemen. Mit dieser Art des Zugangs auf anthropologische Sachverhalte eröffnet Wolff ein schwieriges Feld. Man kann hier deutlich die Bemühung spüren, über die Analyse des Wortinhaltes zum Begriff im Sinne eines gedanklichen Konzepts einer Sache zu kommen, um dadurch den „semitischen Vorstellungs- und Denkvoraussetzungen“28nahezukommen. Diese Vorgehensweise von Wolff ist allerdings nicht unproblematisch und muss kritisch reflektiert werden. 2.3 Kritische Reflexion der Position von Wolff, von einer wortorientierten „Sprachlehre“ ausgehend dem (begrifflichen) semitischen Denken nahezukommen Die Untersuchung der Bedeutungen eines Wortes, d.h., stark vereinfacht ausgedrückt, einer Einheit der Sprache, der kleinsten Einheit 25 Vgl. Wagner, A., Beten und Bekennen. Über Psalmen, Neukirchen-Vluyn 2008, 289–317 [Körperbegriffe als Stellvertreterausdrücke der Person in den Psalmen], bes. 315–317. 26 Wolff, Anthropologie, 29 [Hervorhebung K.M. / A.W.]. 27 Wolff, Anthropologie, 33–128. 28 Wolff, Anthropologie, 29. © 2016, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783788730628 — ISBN E-Book: 9783788730635

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der Syntax und größten der Morphologie,29 ist noch keine Untersuchung eines Begriffes im Sinne eines gedanklichen Konzeptes. Zu Recht kritisiert Barr bereits 1961/65 in seiner Untersuchung zum Verhältnis von moderner Semantik und biblischer Exegese die Vermischung von Wort und Begriff 30 sowie von Wortbedeutungsanalyse und Begriffsanalyse in theologischen Arbeiten.31 Bei einer Untersuchung muttersprachlicher Texte käme man wohl gar nicht auf die Idee, „die Aufstellung von Wortäquivalenten sei selbst schon eine zureichende Anleitung zum Verständnis der Gedanken jener Menschen, die die Wörter gebraucht haben.“32 Bei fremdsprachlichen Untersuchungen könnte man hingegen schon eher versucht sein, so vorzugehen, d.h. von Wortbedeutungen direkt auf Begriffe zu schließen, Bedeutungsunterschiede auf gedankliche Differenzen hin zu deuten und dabei zu übersehen, dass viele Wörter in anderen Sprachen mehrere Äquivalente haben und dies keineswegs (zwingend) etwas über unterschiedliche Denkvoraussetzungen aussagen muss.33 Natürlich wird über die Nennung eines Wortes ein bestimmtes gedankliches Konzept adressiert, aber, wenn man die verschiedenen deutschen Übersetzungsmöglichkeiten eines hebräischen Wortes kennt, das man u.a. z.B. mit Mensch wiedergeben kann, hat man selbstverständlich nicht die Menschenvorstellung des AT bzw. Differenzen zu modernen Menschenbildern erhoben, sondern „nur“ die verschiedenen Übersetzungsmöglichkeiten des betreffenden Wortes.34 Über eine Analyse der Aussagen mit einem Wort, das den Menschen bezeichnet, kann zwar bereits etwas über die Menschenvorstellung des AT gesagt werden, da es aber noch andere Wörter gibt, die 29 Vgl. Vater, Heinz, Referenz-Linguistik (UTB 2685), München 2005, 22. 30 „Die Verfasser des Theologischen Wörterbuchs sagen ,Begriff‘, wenn sie eine Spracheinheit meinen, die üblicherweise ,Wort‘ genannt wird. Das gilt auch von modernen Dogmatikern ….“. Barr, J., Bibelexegese und moderne Semantik. Theologische und linguistische Methode in der Bibelwissenschaft, München 1965. (Originaltitel: The Semantics of Biblical Language, Oxford 1961), 210. 31 Vgl. Barr, Bibelexegese und moderne Semantik, 207–246. Zur Kritik Barrs vgl. auch: Rüterswörden, U., Art. Wortforschung 1. Altes Testament, in: TRE 36 (2004), 329–335, hier: 333. 32 Barr, Bibelexegese und Semantik, 215. 33 Vgl. hierzu auch den Betrag Stengers in: Wagner, A. / Müller, K. (Hg.), Synthetische Körperauffassung im Hebräischen und den Sprachen der Nachbarkulturen. 34 Vgl. Barr, Bibelexegese und Semantik, 215–219 und 262–263. Barr betont (262): „Der Satz (und natürlich die noch größere literarische Einheit, etwa eine vollständige Rede oder ein Gedicht) ist der sprachliche Träger der gewöhnlichen theologischen Aussage, nicht das Wort (die lexikalische Einheit) oder die morphologische und syntaktische Einheit.“ © 2016, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783788730628 — ISBN E-Book: 9783788730635

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den Menschen bezeichnen, müssen auch diese Wörter und ihre Kontexte betrachtet werden, um die Vorstellungen über „den Menschen im AT“ zu beschreiben. Undselbst dann ist u.U. noch nicht der ganze Begriff „Mensch“ erfasst, denn man kann auch über den Menschenetwas sagen, ohne lexikalisch explizit, etwa durch Nomina, die den Menschen bezeichnen, auf ihn zu rekurrieren. Folglich wäre für eine Analyse zum Begriff/Konzept „Mensch“ eine Untersuchung aller alttestamentlichen Texte auf Aussagen über die „Sache des Menschen“ vonnöten. Somit ist also Vorsicht bei der Erhebung von Begriffsinhalten und gedanklichen Besonderheiten aus fremdsprachlichen Texten geboten. Man sollte daher methodisch klar unterscheiden, ob man gerade die unterschiedlichen Bedeutungen eines fremdsprachigen Wortes erhebt, ob man versucht, über Kontexte des Gebrauchs des Wortes, Rückschlüsse auf den zugrunde liegenden Begriff zu ziehen, oder man eine umfassende, vergleichende Begriffsanalyse anhand des gesamten Textbestandes durchführt. Dabei ist es sicher hilfreich die, auch bei Wolff zu findende, fast synonyme Verwendung der Wörter Wort und Begriff zu vermeiden35 und wie in vielen neueren Arbeiten von Wörtern bzw. Lexemen einerseits und Konzepten bzw. Begriffen andererseits zu sprechen, um einer Verwechslung von Satzeinheit und gedanklicher Einheit vorzubeugen. 3. Die „synthetische Körperauffassung“ – Beobachtungen zum Vorkommen in anderen Sprachen und die Frage der Kulturspezifik dieses Konzepts 3.1 Synthetische Körperauffassung / Synthetisches Bedeutungsspektrum Einen Zugang zu „semitischen Vorstellungs- und Denkvoraussetzungen“ versucht Wolff nun durch die Beobachtung des „synthetischen Denken[s]“36 bei der Körperauffassung zu gewinnen. Er beschreibt hier ein Konzept, das als Denkanknüpfungspunkt des Symposiums gedient hat, aus dem heraus die Aufsätze des vorliegenden Bandes hervorgegangen sind. Im hiererneut aufgenommenen Beitrag von A. Wagner37 ist dieses Konzept zusammengefasst und modifiziert. Stär35 Vgl. Vater, Referenz-Linguistik, 21–25. 36 Wolff, Anthropologie, 29 (erstes Zitat) und 30 (zweites Zitat). 37 Vgl. Wagner, A., Das synthetische Bedeutungsspektrum hebräischer Köperteilbezeichnungen, S. 71–82 in diesem Band [Erstveröffentlichung in: BZ 51 (2007), 257–265]; ebenfalls abgedruckt in: Wagner, A./ Müller, K. (Hg.), Synthetische Körperauffassung im Hebräischen und den Sprachen der Nachbarkulturen, 1–11. © 2016, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783788730628 — ISBN E-Book: 9783788730635

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ker betont als bei Wolff ist das „Gestische“ als Brücke zwischen konkreter und funktionaler Bedeutung und die Tatsache, dass die Bandbreite der Bedeutung vom Konkreten über das Gestische zum Funktionalen immer gleichzeitig in Form eines Spektrums präsent ist, bei dem kontextuell der eine oder der andere Bedeutungsaspekt hervorgehoben wird, ohne dass die anderen völlig aus dem Blick treten. In der Analyse der Ausdrucksformen der historischen Kulturen, die hinter dem AT stehen, sowie bei der Analyse der Nachbarkulturen des AT, die einen gewissen einheitlichen „Kulturraum“ bilden, den wir meist „Alter Orient“ nennen, kann das synthetische Bedeutungsspektrum bei dem Beschreiben der Körperauffassungen zur Anwendung kommen und sein analytisches Potenzial entfalten. Eine der spannenden Grundfragen des Symposiums ist es nun gewesen, die Körperauffassungen auf Gemeinsamkeiten und Unterschiede hin zu prüfen, indem mit den Grundannahmen des synthetischen Bedeutungsspektrums die Körperaussagen der betreffenden Sprachen und Kulturen untersucht wurden (vgl. Abschn. 3.2). Als eine weitere interessante Frage war sodann die Wolff’sche These zu prüfen, ob und wenn ja auf welche Weise genau hier eine „semitische“ Eigenart vorliegt (vgl. Abschn. 3.3). 3.2 Synthetisches Bedeutungsspektrum in den Sprachen und Kulturen kleinerer und größerer Nachbarn des Alten Testaments Ein erstes Anliegen des Symposiums war es also, durch Anwendungen auf verschiedene Sprachen und Texte die analytische Tragfähigkeit dieses Konzepts auszuloten und Konvergenzen und Interdependenzen bei den Körperauffassungen der untersuchten Sprachen und Texte aufzuweisen. Zunächst wurde im Beitrag von K. Müller ein Blick auf Körperteilwörter in der althebräischen Epigraphik geworfen, um zu untersuchen, ob sich auch dort das synthetische Bedeutungsspektrum aufzeigt lässt, oder es sich um ein rein biblisches Phänomen handelt. Zwar liegen nur wenige Belege für Körperteillexeme vor, aber bereits diese lassen klar erkennen, dass diese Wörterauch in der althebräischen Epigraphik gestische und funktionale Bedeutung haben können. Das Sprachphänomen ist also nichtrein innerbiblisch bzw. an bestimmte Textgattungen gebunden, sondern auch in außerbiblischen althebräischen Texten nachweisbar. Ebenso konnte D. Schwiderski für das Reichsaramäische und das biblische Aramäische aufzeigen, dass Körperteilbezeichnungen über ein synthetisches Bedeutungsspektrum verfügen können. Seine Analyse zeigt zudem, dass sich diese, insbesondere bei yad/Hand und dẹrāʿ/Arm, nicht stark von dem der entsprechenden hebräischen Le© 2016, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783788730628 — ISBN E-Book: 9783788730635

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xeme abhebt. Die kleineren Abweichungen sind, so Schwiderski, vermutlich dem Zufall der Überlieferung geschuldet. E. Martins Untersuchung poetischer ugaritischer Texte kommt zu einem ganz ähnlichen Ergebnis. Sie konzentriert sich dabei aufgrund der großen Anzahl an Belegstellen für Körperteilbezeichnungen auf jene, die zur Bezeichnung der Hand und des Fußes verwendet werden. Sie kann an diesen nachweisen, dass yd neben der Hand – wie im Hebräischen – auch zur Bezeichnung von Macht/Tatkraft verwendet werden kann und die Hände auch Teil von geprägten Gesten mit fester Bedeutung, z.B. beim Erheben der Hände als Gebetsritus, sind, wobei der Übergang zwischen körperlich, gestisch und funktional fließend sein kann. Ebenso kann sie für p‘n zeigen, dass das Wort neben der körperlichen Bedeutung „Fuß“, die abstrakt-funktionale Bedeutung Macht hat und die Freude ausdrückende Geste „mit den Füßen stampfen“ mehrfach belegt ist. Abschließend verweist sie noch auf weitere Körperteillexeme und deren synthetisches Bedeutungsspektrum. Sie betont, dass es keinen Unterschied in der Verwendung bezogen auf Menschen und Götter gibt. Auch für das Hethitische erweist sich, wie S. Görke in ihrem Beitrag aufzeigt, das Konzept des synthetischen Bedeutungsspektrums als tragfähig. Das Wort, das die Hand bezeichnet, kann ebenso auch Macht bzw. Verfügungsgewalt bezeichnen. Die Hand spielt auch in Gesten eine Rolle, wobei die Aussage auch hier durch die Geste als Ganze transportiert sein kann, z.B. im „Hand-Reichen“, das für Freundschaft steht. Auch im Hethitischen sind die Übergänge zwischen den Bedeutungen fließend. Görkes Seitenblick auf andere Körperteilbezeichnungen lässt vermuten, dass dies nicht nur für die Hand gilt. Ein Teilergebnis des vorliegenden Tagungsbandes ist somit, dass sich auch außerhalb der alttestamentlichen Belege im Althebräischen und Sprachen der Nachbarkulturen für Körperteilbezeichnungen ein synthetischen Bedeutungsspektrums nachweisen lässt. 3.3 Ist die synthetische Körperauffassung Ausweis eines „semitischen Denkens“? Ein zweites Anliegen des Symposiums und der Beiträge dieses Bandes war es, das Postulat zu hinterfragen, ob die Beobachtung bzw. Feststellung des synthetischen Bedeutungsspektrums wirklich einen Aufweis der „semitischen Vorstellungs- und Denkvoraussetzungen“ darstellt, ob also gesagt werden kann, dass das synthetische Bedeutungsspektrum etwas „Kulturspezifisches“ bzw. spezifisch „Semitisches“ sei. Dieser Frage widmen sich bes. die Beiträge von Steinert, Stenger und Werning sowie Kropp. © 2016, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783788730628 — ISBN E-Book: 9783788730635

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U. Steinert betont in ihrem Beitrag, dass Untersuchungen aus dem Feld der Ethnologie, der Semiotik und kognitiven Linguistik zum Ergebnis kämen, dass der Körper kulturübergreifend eine Quelle sprachlicher Ausdrücke sei, es gewisse Universalien in allen Sprachen gebe und der Körper Körpermetaphern, auf denen das synthetische Bedeutungsspektrum beruhe, aufgrund seiner Funktion und seines Aufbaus teilweise vorgebe. Da sich die den einzelnen Körperteilen zugesprochenen Funktionen z.T. aber interkulturell unterschieden, seien auch Unterschiede im synthetischen Bedeutungsspektrum der einzelnen Körperteilbezeichnungen zu erwarten. Bei zahlreichen akkadischen Körperteilbezeichnungen liege das Bedeutungsspektrum jedoch nah an dem der althebräischen. Unterschiede gibt es aber z.B. beim Wort Stirn. Das Wort kann, so Steinert, die Eigenverantwortung und die Person als Ganze bezeichnen. Im Althebräischen wird die Stirn jedoch eher mit Stolz verbunden und vertritt nicht die Person als Ganze. Steinert betont, dass nur solche Körperteilbezeichnungen metonymisch für die Person stehen, die eine hohe Salienz haben und in der jeweiligen Kultur „wichtige Funktionen ausüben und eine prominente Stellung im personalen System innehaben.“38 Kulturelle Unterschiede gebe es auch bei Beschreibungen von Gottheiten durch Körpermetaphern. So gibt es z.B. akkadische Texte, die vom Fleisch eines Gottes sprechen und damit seine Empfindungen bezeichnen, was im AT nicht zu finden ist. Aber auch in akkadischen Götterbeschreibungen rekurrieren Körperteilbezeichnungen meist weniger auf das Aussehen, sondern betonten Wesens- und Charakterzüge der Gottheit bzw. Funktionen und Fähigkeiten. Dabei werden in komplexen Beschreibungen oft zahlreiche Körperteile additiv genannt und können mit Objekten und Naturerscheinungen gleichgesetzt werden. Allerdings können auch diese zur Beschreibung der Gottheit dienen, d.h. es gibt auch Texte, die auf Körpermetaphern völlig verzichten und das Wesen des beschriebenen Gottes anders darlegen. D. Wernings Beitrag zeigt anhand der Erkenntnisseder kognitiven Linguistik, genauer der Analyse konzeptioneller Metaphern und Metonymien, dass die übertragene Verwendung von Körperteilbezeichnungen eine sprachliche Universalie ist und auch in modernen Sprachen häufig begegnet. Dahinter stehen metonymische und metaphorische Prozesse, d.h. „die Ansprache einer Bedeutung mit Hilfe einer

38 Steinert, U., Synthetische Körperauffassungen in akkadischen Keilschrifttexten und mesopotamische Götterkonzepte, in: Wagner, A. / Müller, K. (Hg.), Synthetische Körperauffassung im Hebräischen und den Sprachen der Nachbarkulturen, 73– 106, hier: 79. © 2016, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783788730628 — ISBN E-Book: 9783788730635

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anderen“39, wobei bei einer Metonymie die Übertragung innerhalb einer konzeptuellen Domäne,40 bei einer Metapher zwischen zwei Domänen stattfinde. Auch bei den hieroglyphisch-ägyptischen Körperteilbezeichnungen ließen sich zahlreiche solche übertragene Verwendungen finden (z.B. Hand für Verfügungsgewalt = funktionalmetonymisch). Häufig ist die Übertragung leicht erklärbar bzw. auch im Deutschen zu finden, wie z.B. bei der Verbindung von Auge und Sehen. Werning führt aber auch kulturspezifische metonymischfunktionale Verwendungen an, z.B. die Nennung des Schläfenbereichs für das Zuhören. Ein weiterer Fokus Wernings liegt auf der Frage, ob die Verwendung von Körperteilen in den Beschreibungen der Götter bzw. ihrer Taten eine anthropomorphe Göttervorstellung impliziert. Dafür fragt er nach dem Wachheits- bzw. Etablierungsgrad der Metonymien. Wenn stark etablierte Körperteilmetonymien auf Gott bezogen verwendet werden, könnten sie schlafend verarbeitet worden sein, d.h. es wäre dann nicht unbedingt notwendig, dass Gott körperhaft gedacht wurde. Jedoch könnte ein Autor auch eine etablierte Metonymie mit dem Ziel einer wachen Verarbeitung verwendet haben. Methodisch sei diese Frage daher nur schwer bzw. kaum zu beantworten, man könne aber bei manchen Ausdrücken zumindest zeigen, dass eine wache Verarbeitung nicht plausibel ist. Jedoch wäre auch eine wache Verarbeitung ohne körperhaften Gott denkbar, wenn nur die den Körperteilen zugesprochenen Funktionen im Blick sind, was u.a. in den thematisierten Beispielen nach Werning der Fall ist. Der in theologischer Rede in Ägypten und im AT so häufig zu findenden metonymischen und metaphorischen Verwendung von Körperteillexemen für Funktionen und Abstrakta müsse daher nicht zwangsläufig die Vorstellung einer Menschengestaltigkeit der Götter/Gottes zugrunde liegen. Auch J. Stenger betont, dass Metonymie ein gängiges und etabliertes Mittel der Bedeutungserweiterung sei. Welche Körperteilbezeichnungen in ihrer Bedeutung eine Erweiterung erfahren und welche 39 Werning, D., Der ,Kopf des Beines‘, der ,Mund der Arme‘ und die ,Zähne‘ des Schöpfers. Zu metonymischen und metaphorischen Verwendungen von KörperteilLexemen im Hieroglyphisch-Ägyptischen, in: Wagner, A. / Müller, K. (Hg.), Synthetische Körperauffassung im Hebräischen und den Sprachen der Nachbarkulturen, 107–162, hier: 108. 40 Als konzeptuelle Domäne bezeichnet man „einen aus Weltwissen, Vorwissen und Präsuppositionen bestehenden Bezugsrahmen, vor dessen Hintergrund die Bedeutung eines Konzeptes oder sprachlichen Ausdrucks zustande kommt“, Baldauf, Ch., Metapher und Kognition – Grundlagen einer neuen Theorie der Alltagsmetapher (Sprache in der Gesellschaft 24), Frankfurt a.M. 1997, 38. Werning betont mit Barcelona, dass diese durch „funktional beschreibbare Verbindungen zusammengehalten wird“, Werning, Kopf des Beines, 109. © 2016, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783788730628 — ISBN E-Book: 9783788730635

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nicht, liege an ihrer „visuellen Herausgehobenheit und der kulturellen Signifikanz[.]“41 Ob der Prozess generell linear vom Körperteil über die Funktionalität hin zum Abstrakten verlaufe, könne jedoch nur eine umfassende Studie zeigen. A. Wagner sei darin zuzustimmen, dass je nach Kontext die eine oder andere Bedeutung vorherrsche und es Überschneidungen geben könne. Stenger kritisiert daneben an Wolffs Beobachtungen, dass sie von einem Übersetzungsproblem ausgehen, weil Schwierigkeiten, ein passendes Äquivalent im Deutschen zu finden, nichts über das Denken der Hebräer und auch nur bedingt etwas über die Besonderheiten der hebräischen Sprache aussagen. Viele Wörter hätten unterschiedliche Wiedergaben in der jeweiligen Zielsprache. Schon das unterschiedliche Inventar an Körperteilbezeichnungen (z.B. aufgrund unterschiedlicher Segmentierung) lasse eine „semantische Identität“42 nicht erwarten. Zudem beeinflusse die Wahrnehmung und Erfahrung des eigenen Körpers und seiner Teile das jeweilige Konzept, das (in Ausschnitten) vom Wort adressiert werde, was wiederum einen Einfluss auf die metonymische/meronymische Verwendung habe. Außerdem übersehe Wolff, dass auch in unserer Sprache, Form und Funktion nicht immer klar getrennt ist und es Übergangszonen gibt. Dies gelte jedoch nicht nur für Körperteilwörter, sondern trete auch bei anderen Umweltaspekten auf. Metonymische Bedeutungserweiterung und Polysemie begegne auch in vielen anderen Domänen und sei daher ein „elementares kognitives Prinzip“43, was die Bezeichnung „synthetische Körperauffassung“ verschleiere. Für altgriechische Körperteillexeme ließen sich die Beobachtungen Wolffs ebenfalls belegen (z.B. kann cheír/Hand Tatkraft, Schutz oder auch Macht und glṓssa/Zunge Worte und Sprache bedeuten), wobei erneut Gemeinsamkeiten in der Konzeptualisierung neben kulturell bedingten Unterschieden stehen. M. Kropp betont ebenfalls, dass die Frage nach einer synthetischen Körperauffassung in erster Linie einem Übersetzungsproblem geschuldet sei. Wörtliche Übersetzungen seien oft unverständlich oder sinnverfälschend. Allerdings seien auch Übertragungen häufig nur eine unvollständige Wiedergabe und es bleibe fraglich, ob man sich überhaupt ganz in die „Eigenbegrifflichkeit der Andersheit und Vergangenheit“44 eindenken könne. Seine Untersuchung der metony41 Stenger, J., Körper, Kognition, Kultur. Körperteilbezeichnungen im Griechischen, in: Wagner, A. / Müller, K. (Hg.), Synthetische Körperauffassung im Hebräischen und den Sprachen der Nachbarkulturen, 163–184, hier: 180. 42 Stenger, Körper, 167. 43 Stenger, Körper, 181. 44 Kropp, M., „…und sagen: ‚Er ist ein Ohr!‘ Sprich: ‚Ein Ohr zum Guten für Euch!‘“ (Q 9,61). Synthetische Körperauffassung im Koran? Über einige Kör© 2016, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783788730628 — ISBN E-Book: 9783788730635

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misch/metaphorischen Bedeutungen von Körperteilbezeichnungen im Arabischen des Korans zeigt, dass diese ebenfalls metonymisch/metaphorisch verwendet werden. Kropp legt aber ebenfalls dar, dass dies eine sprachliche Universalie sei. Es gebe jedoch kulturell bedingte Besonderheiten bei den den Körperteilen zugeschriebenen Funktionen, die wörtliche Übersetzungen oft schwer oder unverständlich machten. Eine entsprechende Bestandsaufnahme könne daher zu einer verbesserten, treffenderen Übersetzung in die jeweilige Zielsprache betragen. Auffällig sei, dass im Arabischen anders als im Althebräischen „in statistisch relevanter Häufigkeit abstrakte Handlungsnomina“45 bevorzugt würden und teilweise auch Körperteil und Funktion nebeneinander genannt würden. Als Ergebnis der Fragestellung nach den kulturellen Geprägtheiten des synthetischen Bedeutungsspektrums kann also festgehalten werden, dass nicht nur im alten hamito-semitischen Sprachraum für zahlreiche Körperteillexeme ein synthetisches Bedeutungsspektrum nachgewiesen werden kann, sondern dieses ebenso auch in altgriechischen und arabischen Texten vorfindlich ist. Die Erkenntnisse aus neueren Studien der kognitiven Linguistik – die Wolff natürlich nicht kennen konnte – zeigen zudem, dass die, diesem Phänomen zugrunde liegende, metonymische Bedeutungserweiterung eine Universalie in Sprachen darstellt und auch nicht nur bei Körperteilbezeichnungen zu finden ist. Bei dem Grundphänomen der Körperteilmetonymie handelt es sich also nicht um eine spezifisch semitisch Denkvoraussetzung, was das Metonymieprinzip (bzw. das synthetische Bedeutungsspektrum) betrifft. Eine Kulturspezifik spielt aber dennoch eine Rolle, wie die folgenden Überlegungen zeigen. Interessant ist zum Vergleich mit den in diesem Band besprochenen Phänomenen ein Blick auf das Deutsche als einer modernen Sprache, die von den alten Sprachen der Antike und des A.O. deutlich entfernt ist: Ich fuhr mit der Hand in die Hosentasche und schaltete das Aufnahmegerät ein. (Hand = Körperteil) Aus: Jakob Arjouni, Chez Max, Zürich: Diogenes 2006, S. 198.46

per(teil)bezeichnungen und ihre Bedeutungen. Ein Versuch unter teilweiser Einbeziehung der altarabischen Poesie, in: Wagner, A. / Müller, K. (Hg.), Synthetische Körperauffassung im Hebräischen und den Sprachen der Nachbarkulturen, 185–224, hier: 188. 45 Kropp, „…und sagen: ‚Er ist ein Ohr!‘, 191. 46 Dieses und die folgende Beispiele sind dem Digitales Wörterbuch der deutschen Gegenwartssprache (DWDS) der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, http:// www.dwds.de entnommen, Zugriff am 27.03.14, Seitenangabe gemäß DWDS. © 2016, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783788730628 — ISBN E-Book: 9783788730635

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„Ist ja alles egal. Herbert gab Lucie die Hand und wandte sich zum Gehen. Döskopp und Johanna gingen mit.“ (Körperteil Hand als Teil einer Abschiedsgeste) Aus: Jentzsch, Kerstin, Ankunft der Pandora, Berlin: Verl. Das Neue Berlin 1996, S. 335. „Aber, Hand aufs Herz, wer würde Graffitisprayer, Landkommunen, Mormonen, Freaks, Hausbesetzer, Neue Wilde in der DDR für möglich halten?“ (Hand aufs Herz legen = Ehrlich sein; Gestische Bedeutung) Aus: Ketman, Per / Wissmach, Andreas, DDR - ein Reisebuch in den Alltag, Reinbek bei Hamburg: Rowohlt 1986, S. 17. ... Jeder von ihnen möchte seinen eigenen kleinen Verein behalten, den er fest in der Hand hat... (Hand = Verfügungsgewalt/Macht; Körperteil für Funktion) Aus: Die Zeit 22.10.1998, 22.10.1998. FREIWILLIGE. Zupackende Hände werden morgen für die Wiesenpflege im Naturschutzgebiet „Biesentaler Becken“ benötigt . Treff ist um 8.30 Uhr am Busbahnhof Bernau. (Hände = Menschen unter Aspekt Tatkraft; Körperteil für Person) Aus: Berliner Zeitung, 13.08.1999.

Wie diese Textpassagen zeigen, lässt sich für das Wort „Hand“ ebenfalls eine körperliche, gestische und abstrakt-funktionale Verwendung nachweisen, mit anderen Worten: die metonymische Verwendung von „Hand“ im Deutschen ist ähnlich wie die von yād im Hebräischen. Das Spektrum ähnelt dabei sogar deutlich dem des hebräischen Wortes yād. Andere Körperteil-Bedeutungen unterscheiden sich dagegen vom Hebräischen, d.h. Körperteile werden im Deutschen mit anderen „Funktionen“ verbunden als im Hebräischen (und umgekehrt). So steht im folgenden Beispiel der Kopf – wie im Deutschen häufig – für Verstand, was im Hebräischen nicht der Fall ist. „... Bei ihnen das Bedürfnis zu wecken, Zeitungen zu lesen, sich selbst zu informieren, trage dazu bei, sie zu selbstbewußten Menschen reifen zu lassen, die ihren eigenen Kopf gebrauchen...“ Aus: Berliner Zeitung, 23.01.1998.

Es liegt auf der Hand, dass sich diese Beispiele vermehren ließen. Auch wenn die Studien dieses Bandes (bes. Steinert, Wernings, Stenger und Kropp)und die hier vorgetragenen auswertenden Überlegungen zeigen, dass die Verwendung von Körperteillexemen zur Bezeichnung ihnen zugesprochener Funktionenkeine spezifisch semitische Vorstellungs- oder Denkvoraussetzung darstellen, wie Wolff angenommen hat, finden sich doch kulturelle Unterschiede bei den Körpermetonymien. Diese liegen weniger auf der Ebene des Metonymiephänomens als an anderen Funktionszuordnungen von Körper© 2016, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783788730628 — ISBN E-Book: 9783788730635

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teilen und eigenen kulturellen Konstruktionen von gestischer Bedeutung. Das Kulturspezifische an der synthetischen Körperauffassung ist also eher die andere „Körperauffassung“ als das „synthetische bzw. metonymische Denken“. Eine weitere kulturspezifische Eigenart des alttestamentlichen Gebrauchs dürfte in der (im Vergleich mit modernen Sprachen wie dem Deutschen, Englischen usw.) deutlich gehäuften Verwendung der Körperteillexeme anstelle von Abstrakta im Hebräischen liegen. Bereits für das deutlich jüngere Arabische sieht Kropp die Tendenz, eher zu Abstrakta zu greifen. Stehen hinter dieser Entwicklung andere „Vorstellungs- und Denkvoraussetzungen“? Vielleicht angestoßen durch ein begriffliches Denken, wie es die klassische griechische Philosophie hervorgebracht und das sich im Hellenismus weit verbreitet hat? Durch Körperteilwörter mit funktionaler Bedeutung, die anstelle von Abstrakta gebraucht werden, bleibt die körperliche Dimension der Person wesentlich stärker im Spiel als bei Abstrakta. Diese sprachliche Eigenart kann z.B. für die Gestaltung von Aussagen zur Konturierung von Personen oder auch von Gott herangezogen werden. Auf der Grundlage der Beschreibung „Ein Gott, der Macht ausübt, der präsent ist und über Kommunikationsfähigkeit verfügt“ kann man die verschiedensten Gotteskonzeptionen entwickeln. Eine solche Beschreibung ist nicht auf eine Körperbezogenheit festgelegt und schon gar nicht auf einen menschengestaltigen Körperbezug. Im Hebräischen des AT wird aber von Gott vorzugsweise mit den Körperteilwörtern gesprochen, die zwar häufig funktional gemeint sind, aber wenn von der Hand Gottes, dem Arm Gottes (Macht), den Füßen Gottes (mit denen Präsenz angezeigt wird), vom Gesicht, Mund, Auge und Ohr Gottes (mit der zugehörigen Kommunikationsfunktion) gesprochen wird, dann ist im Bedeutungsraum des Körperteillexems eben immer auch der Körperbezug im Spiel, der nie ganz verlassen wird.47 Die funktionale Bedeutung lässt sich also nicht vollständig, 47 Im Extremfall könnte man versuchen, das ganze menschengestaltige GottesSprach-„Bild“ des AT, das sich über die vielen Anthropomorphismen aufbaut, als völlig „körperlos“ zu deuten, wenn ausschließlich auf die funktionale Bedeutung der Körperteile rekurriert werden würde. Durch die Verbindung der funktionalen Bedeutung über die Lautform der Körper-Lexeme mit den anderen möglichen Bedeutungen – das hebräische Lexem yād Hand kann ja eine körperhafte, eine gestische oder eine funktionale Bedeutung haben –, bleibt aber die funktionale Bedeutung angebunden an das Körperhafte. Der komplett funktionale Deutungsversuch würde immer eine Rückbindung an das Körperliche behalten. Ebenso ist es bei der umgekehrten Möglichkeit, wenn man die Anthropomorphismen rein „körperlich“ sehen wollte, auch dann schwingen neben der körperlichen die gestischen und funktionalen Bedeutungen immer mit. Vgl. Wagner, A. (Hg.), Göttliche Körper – Göttliche Gefühle (OBO 270), Fribourg/Göttingen 2014. © 2016, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783788730628 — ISBN E-Book: 9783788730635

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wie bei Abstrakta, vom Körper ablösen. Von dieser hebräischen (bzw. altorientalischen) sprachlichen spezifischen Gegebenheit weichen spätere Übersetzungen und Interpretationen ab und neigen dazu, Körperlexeme zu vermeiden. Aber damit entfernt sich jede Übersetzung und Interpretation von dem hebräischen Bezugssystem.

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Körper im Alten Testament

1. 1.1

Quellen der Körperauffassung, Methodisches Quellen

Zugang zu Körpervorstellungen im Alten Israel haben wir in erster Linie über die Sprache bzw. die Texte des Alten Testaments. In neuerer Zeit sind auch Bild- und archäologische Quellen hinzugekommen. Bei dem sprachlichen Material geht es zum einen um „Wörter“ = „Lexeme“, mit denen bestimmte fixierbare Bedeutungsbereiche auf der Ebene der Wortsemantik bzw. der lexikalischen Semantik verhaftet sind, zum anderen um Vorstellungen, die mit dem Körper und den Körperteilen in den „Texten“ zum Ausdruck kommen. Bildliche Vorstellungen von Körperteilen können mit Sprache evoziert (Sprachbilder) oder material ausgeführt (zweidimensionale Bilder, Plastiken, Ikonographie) werden. In beiden Medien können sich gemeinsame Darstellungsprinzipien finden, die für die Körpervorstellung wichtig sind.1 Explizite Reflexionen und Traktate über den Körper finden sich im Alten Testament nicht (vgl. 1.3). Im Zusammenhang mit Wort- und Sprachanalysen ist zu bedenken, dass das Ergebnis der wortsemantischen Analyse der Körper- und Körperteil-Wörter des Hebräischen nicht gleichzusetzen ist mit einem reflektierten philosophischen oder theologischen „Begriff“ vom Körper und seinen Teilen. Die Analyse der Wörter des Hebräischen (und Aramäischen) schafft aber Grundlagen für einen Zugang zu den Körperauffassungen des Alten Testaments. Diese können dann in heutiger Wissenschaftssprache und -tradition, also dem Alten Testament gegenüber nachträglich, in Begriffe im Sinne explizit benenn1 Vgl. Wagner, Andreas, Gottes Körper. Zur alttestamentlichen Vorstellung der Menschengestaltigkeit Gottes. Gütersloh 22000 [engl. Übersetzung bei T&T Clark: God’s Body, the Anthropomorphic God in the Old Testament. Bloomsbury 2017], bes. 94–100. © 2016, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783788730628 — ISBN E-Book: 9783788730635

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barer gedanklicher Konzepte gefasst werden. In diese nachträglich formulierten Begriffe fließen weitere, das Alte Testament betreffende Analyseerkenntnisse ein, die aus anderen Untersuchungsbereichen (Ikonographie, Archäologie) und vor allem aus der Interpretation der Texte stammen (vgl. 1.3). 1.2

Zur Bezeichnung von Körper und Körperteilen

Der Wortschatz der Körperteilbezeichnungen im Hebräischen zeigt uns zunächst, dass die Anzahl der im Hebräischen des Alten Testaments überlieferten Körperteilnomina keine extremen Auffälligkeiten bietet. Die Studie von Oelsner2 zählt für das Hebräische des Alten Testaments ca. 250 distinkte Körper- und Körperteilbezeichnungen. Dabei ist zu bedenken, dass das Hebräische des Alten Testaments sicher nur einen Ausschnitt des gesamten Althebräischen darstellt und nicht als ein das gesamte hebräische Sprachvorkommen umfassendes Corpus zu betrachten ist. Die Größe des Körper- und Körperteilwortschatzes des Hebräischen im Verhältnis zur Gesamtzahl der überlieferten hebräischen Wörter ist aber vergleichbar mit den Verhältnissen anderer Sprachen: Ähnlich verhält es sich auch mit der ugaritischen Sprache, die etwa 100 Körperteilbezeichnungen aufweist (Zählung anhand DUL). Für das Babylonische resp. Assyrische listet eine alte Untersuchung von Holma hingegen etwas mehr als 350 Körper- und Körperteilbezeichnungen auf – wobei hier zu bedenken ist, dass auch viele medizinisch-ritualbezogene Texte überliefert sind, die ein entsprechendes Vokabular mitbringen. Das Lateinische, für das auch wesentlich umfangreichere Sprachzeugnisse existieren, verfügt über ca. 800 entsprechende Lexeme. In der Sprache der Insulaner von Truk in Mikronesien, einer Sprache, die aus einer stark mündlich orientierten Kultur kommt, und so in einer gewissen typologischen Weise mit dem Hebräischen vergleichbar ist, spricht Käser von einer „rund 1250 Bezeichnungen umfassenden anatomischen Terminologie“.3 Mögen diese Zählungen auf den ersten Blick auch stark differieren (250 vs. 1250), so sind die Zählungen zum einen ins Verhältnis zu setzen zu der Gesamtzahl der Wörter der jeweiligen Sprache (für das 2 Oelsner, Joachim, Benennung und Funktion der Körperteile im hebräischen Alten Testament, Diss. masch., Leipzig 1960. 3 Käser, Lothar, Die Besiedlung Mikronesiens. Eine ethnologisch-linguistische Untersuchung, Berlin 1990, 147. © 2016, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783788730628 — ISBN E-Book: 9783788730635

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Lateinische sind wesentlich mehr distinkte Wörter überliefert als für das Hebräische, was sich auf den prozentualen Anteil des Körperund Körperteilwortschatzes am Gesamtwortschatz auswirkt), zum anderen ist zu berücksichtigen, dass bei einigen Zählungen wie zur Sprache der Insulaner von Truk das Wortfeld „Körper“ sehr weit gefasst ist und auch z.B. physiologische Vorgänge wie Atmung eingeschlossen sind. Zum Dritten sind wesentlich andere Zahlenverhältnisse erst in modernen Sprachen erreicht, in denen ein ausgedehnter (anatomisch-medizinischer usw.) Fachwortschatz zur Bezeichnung von Körperaspekten hinzukommt. In solchen Fällen kommt es zu Zählungen von mehreren Tausend (so die meisten AnatomieWörterbücher) bzw. mehreren Zehntausend Körper- und Körperteilbezeichnungen (so in Medizinwörterbüchern, bei denen allerdings auch weitere, mit dem Körper, seinen Teilen und Funktionen zusammenhängende Wörter gelistet sind). Im Vergleich mit Körperwortfeldern anderer Sprachen zeigt sich weiterhin, dass die Zuordnung zwischen Lexemen und Körperteilen in unterschiedlichen Sprachen verschieden ausfällt: das Hebräische besitzt etwa in einigen Fällen eine andere lexikalisch-semantische Körperteilaufgliederung als das Akkadische oder Deutsche oder andere Sprachen. So werden die Körperglieder Fuß und Bein im Hebräischen nicht lexematisch unterschieden. Hebr. rægæl kann sowohl „Fuß“ wie auch „Bein“ wie auch beides zusammen („für das Gehen notwendige Funktionseinheit“) bedeuten. Das Akkadische hat dagegen verschiedene Wörter für Bein (išdu, purīdu) und auch ein Wort für Fuß (šêpu). Entsprechend ist bei jeder Körperteilbezeichnung des Hebräischen im engeren semantischen Sinn zunächst nach ihrem Bezug zu einem Körperteil zu fragen, d.h. es ist zu fragen, auf welche außersprachliche „Sache“ ein Körper- oder Körperteilwort „referiert“. Ganz entscheidende Bedeutung hat diese Beobachtung für die Frage der Aufteilung körperlicher und geistiger Anteile am Menschen (s.u. 2.). 1.3

Explizite und implizite Körperkonzepte

Im Alten Testament wie im Alten Orient nähert man sich einer Erkenntnis nicht über Definitionen und Systembildungen an. Während wir in der europäischen Tradition gewohnt sind, gedankliche Konzepte von Sachen, die hinter einem Begriff stehen, explizit zu formulieren, Begriffe zueinander in Beziehungen zu setzen, nach Begriffsschärfen, Extensionen, Interdependenzen zu fragen, Begriffe mit empirischen und experimentalen Beobachtungen zu verbinden, zu © 2016, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783788730628 — ISBN E-Book: 9783788730635

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verifizieren und zu falsifizieren, nach induktiven und deduktiven Erkenntniswegen zu suchen u.a.m., bis sich ganze Systeme von Erkenntnis und Wissenschaft aufbauen, fehlt eine solche explizite und reflektierte, meist im Medium der Schrift vorliegende Erkenntnismethodik und Erkenntnissystematik in den antiken Kulturen Ägyptens, Mesopotamiens, Syrien-Palästinas u.a.4 Im (klassischen) Griechenland, insbesondere in der griechischen Philosophie, ist der Versuch, über Begriffsbildungen zu Erkenntnis zu kommen und damit auch die „Welt“ zu analysieren zu einer ersten großen Blüte gekommen; Zeugnisse davon liegen mit den „Systemabhandlungen“ von Platon zum „Staat“, von Aristoteles zur „Rhetorik und Poetik“ usw. vor. Diese Tradition hat sehr stark auf die europäische Tradition eingewirkt und bestimmt bis heute unser wissenschaftliches Denken. Im Alten Testament finden sich aber keine expliziten und systemhaften Erörterungen dieser Art, auch nicht solche über den Körper, den Menschen, das Verhältnis von Körper zu geistigen Anteilen usw. Zudem ist die über weite Strecken vorherrschende Darbietungsform des Alten Testaments die Erzählung (Pentateuch, Geschichtsbücher) und die mehr oder weniger gestaltete Sammlung von Texten (Psalter, Sprichwörter, Prophetische Bücher). Auch daher werden wir vergebens nach Körper-Definitionen, Begriffsbestimmungen explizit reflexiver Art suchen. Auch wenn sich in einer Kultur keine expliziten Konzepte zu einem bestimmten Phänomen wie dem Körper, der Körperauffassung etc. finden, bedeutet das nicht, dass diese Kultur nicht doch implizite Konzepte besitzt, die aufzuspüren und (sekundär) explizit zu machen wären, um heute den entsprechenden Sachverhalt begrifflich zu reflektieren. Einen analogen Fall, der leicht nachvollziehbar ist, stellt das sprachliche Wissen dar. Sprachliches Wissen ist zu weiten Teilen nur implizit verfügbar, selbst muttersprachliche, versierte Sprechende können nur einen Bruchteil der semantischen, syntaktischen und pragmatischen Regeln einer Sprache explizit benennen, sie produzieren aber völlig mit den Regeln übereinstimmende sprachliche Äußerungen, Texte und Handlungen. Dieses implizite Sprachwissen lässt sich nach entsprechenden Analysen als „Grammatik“ explizieren. Ähnlich verhält es sich mit dem Körper-Wissen und verwandten anthropologischen Auffassungen. Eine Gesellschaft ist auch in dieser 4 Vgl. Machinist, Peter, Über die Selbstbewußtheit in Mesopotamien, in: Shmuel N. Eisenstadt (Hg.), Kulturen der Achsenzeit. Die Ursprünge und ihre Vielfalt (Teil 1), Frankfurt a.M. 1987, 258–291. © 2016, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783788730628 — ISBN E-Book: 9783788730635

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Hinsicht immer geprägt von überlieferten und überindividuell vorfindlichen Anschauungen. Die historische Anthropologie nennt diese (meist) nicht explizit gewussten Anschauungen häufig „Mentalitäten“: „Mentalität ist das Ensemble der Weisen und Inhalte des Denkens und Empfindens, das für ein bestimmtes Kollektiv in einer bestimmten Zeit prägend ist. Mentalität manifestiert sich in Handlungen“.5

Diese Mentalitäten im Bereich der Körperauffassung kann man in den sprachlichen Quellen mittels Wortfeldbeobachtungen, Wort- und Kontextuntersuchungen sowie Textanalysen aufspüren (vgl. 1.1.). Beispiele für diese Zugänge finden sich im weiteren Verlauf des Artikels. 2.

Körperliche und geistige Anteile im Menschen

Über lange Zeit wurde die „hebräische Anthropologie“ im Spiegel oder mit der Brille der klassisch-griechischen Philosophie betrachtet. Noch bis in die Forschung der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts hat man versucht, teils unbewusst angeleitet durch christliche Tradition, teils durch apologetisches Interesse, aus den alttestamentlichen Verhältnissen eine Zuordnung der geistigen und körperlichen Anteile des Menschen vorzunehmen, die der klassisch griechischen Konzeption entspricht. So wurden die atl. Begriffe næfæš als „Seele“, ruaḥ als „Geist“ und baśar als „Fleisch“ und als Trichotomie (Seele – Geist – Körper) oder Dichotomie (Seele/Geist – Körper) gewertet; allerdings ohne ein vollständig befriedigendes Ergebnis zu erhalten. In der neueren Diskussion, einsetzend mit der Anthropologie von H.W. Wolff 1973, ist hier eine neue Sichtweise gewachsen, die erkannt hat, dass im Alten Testament kein dichotomisches oder trichotomisches „System“ Mensch nachgewiesen werden kann. Seitdem hat sich herauskristallisiert, dass die Menschenkonzeption im Alten Testament (wie überhaupt im Alten Orient) anders zu fassen ist als mit Modellen aus der griechisch-europäischen Tradition.6 5 Dinzelbacher, Peter (Hg.), Europäische Mentalitätsgeschichte, Stuttgart 22008, XXIV. 6 Wagner, Andreas, Mensch (AT), S. 37–40 in diesem Band [Erstveröffentlichung in: Das wissenschaftliche Bibellexikon im Internet (WiBiLex), 2006]; ders., Wider die Reduktion des Lebendigen. Über das Verhältnis der sog. anthropologischen Grundbegriffe und die Unmöglichkeit, mit ihnen die alttestamentliche Menschenvorstellung zu fassen, S. 15–33 in diesem Band [Erstveröffentlichung in: ders. (Hg.), © 2016, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783788730628 — ISBN E-Book: 9783788730635

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Gründe, sich einem anderen, neuen Körperverständnis anzunähern, sind zum einen etwa, dass neben den drei oben genannten Bezeichnungen næfæš, ruaḥ und baśar eine Vielzahl von weiteren Körperteil- bzw. Menschenaspektbezeichnungen existieren, die beliebig kombinierbar sind und die es nicht zulassen, ausgerechnet die drei Begriffe hervorzuheben, die in Analogie zur klassisch griechischen Auffassung stehen.7 Zum anderen sind im Alten Testament die am häufigsten verwendeten Bezeichnungen für den Menschen gerade nicht næfæš, ruaḥ und baśar, sondern vielmehr pānîm „Gesicht“, yād „Arm“ und ‘ayin „Auge“ (vgl. Körperteile 4.1.). Schließlich hat die Untersuchung einzelner dieser Aspekte gezeigt, dass die Bedeutung, die man aus dem Alten Testament erheben kann, nicht der Bedeutung entspricht, die die Bezeichnungen und ihre (vermeintlichen) Übersetzungsäquivalente im Laufe der nachalttestamentlichen Rezeption erhalten haben. næfæš etwa ist keineswegs adäquat mit „Seele“ zu übersetzen und zu verstehen, es bezeichnet zunächst die Kehle, dann auch „Gier“, „Leben“ etc. Schon gar nicht steht hinter næfæš das Konzept einer unsterblichen geistigen „psychē“(etwa nach platonischem Konzept), die auch noch im Gegensatz zum Körper steht. Vielmehr drücken die Bezeichnungen für körperliche und geistige Bestandteile des Menschen einen bestimmten, inhaltlich benennbaren Aspekt der alttestamentlichen Menschenauffassung aus. Hebr. lev „Herz“ bezeichnet etwa den Mensch unter dem Aspekt des Verstandes, baśar „Fleisch“ den Menschen unter dem Aspekt der körperlichen Vergänglichkeit usw.. Sie bilden dabei kein geschlossenes System, sondern einen lockeren Verband, bei dem die Auswahl von Aspekten vom Anwendungsfall, sprich von der jeweiligen textlichen Aussageabsicht her bestimmt wird. Im Ergebnis kennt das Alte Testament keine strikte Entgegensetzung des Körpers etwa zum Geist, vergleichbar einem Leib (Körper) / Seele-Dualismus. Schon gar nicht geht das Alte Testament in der Breite davon aus, dass nicht-körperliche Elemente unsterblich seien. An die Unsterblichkeit tastet sich das Alte Testament nur vereinzelt heran. So darf alles Körperliche im Alten Testament nicht einfach in Anthropologische Aufbrüche. Alttestamentliche und interdisziplinäre Zugänge zur historischen Anthropologie (FRLANT 232), Göttingen 2009]; Janowski, Bernd, Der ganze Mensch. Zur Geschichte einer integrativen Formel, in: ders. (Hg.), Der ganze Mensch. Zur Anthropologie der Antike und ihrer europäischen Nachgeschichte, Oldenburg 2012 , 9–23; Steinert, Ulrike, Aspekte des Menschseins im Alten Mesopotamien. Eine Studie zu Person und Identität im 2. und 1. Jt. v. Chr. (Cuneiform Monographs 44), Leiden u.a. 2012. 7 Vgl. Wagner, Wider die Reduktion des Lebendigen. © 2016, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783788730628 — ISBN E-Book: 9783788730635

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einem Gegenspiel zum unsterblichen Anteil des Menschen gesehen werden. Selbstverständlich gelten die wesentlichen Anteile des Körpers (Fleisch, Knochen etc.) als vergänglich, aber der Körper ist im Alten Testament nicht aus einer Entgegensetzung mit unvergänglichen und/ oder geistigen Bestandteilen des Menschen zu beschreiben. Mit dieser Grundüberlegung verbunden ist die Einsicht, dass es keine pauschale Abwertung des Körpers im Alten Testament gibt. 3.

Körper- und Körperteile, Teile oder Ganzes?

Vom Körper im Alten Testament zu reden ist nicht möglich, ohne von seinen Teilen zu sprechen. Das Alte Testament kennt allerdings weder einen Terminus für die systemhafte/organismushafte Ganzheit des Körpers, noch kennt es die Sache. Der Körper wird durch Aspekte seiner Erscheinung beschrieben (etwa wenn es um die „Gestalt“ einer Person geht) oder durch Addition seiner Körperteile. Am intensivsten wurde dieses Phänomen von der Forschung aufgezeigt anhand der Beschreibungslieder im Hohelied (vgl. Hhld 4,17; Hhld 5,9-16; Hhld 7,2-6 u.a.): Hier finden sich Darstellungen des menschlichen (weiblichen wie männlichen) Körpers, die eine Auswahl von Körperteilen darstellen, um den Körper einer Person zu charakterisieren. Die Zusammenstellung der Körperteile ist zwar nicht willkürlich, aber es wird wie in der Bildkunst immer nur eine Auswahl von Körperteilen zusammengenommen. In keinem Fall kommt so eine photographische Realität zustande, die den Körper als optisches Ganzes abbilden würde. Ebenso fremd ist den Beschreibungsliedern der organische Systemgedanke.8 Diese Texte sind nicht davon geprägt, dass der Körper eine anatomisch-physiologische Funktionseinheit bildet, innerhalb derer Körperteile und Organe voneinander abhängen. In Darstellungen eines (dann ja auch immergleichen) „Systems“ müssten die systemtragenden Teile in derselben Kombination immer wiederkehren. Dies ist nun wiederum bei den Beschreibungsliedern nicht der Fall, sie stellen sehr verschiedene Glieder und Additionen zusammen. Die Analyse der Beschreibungslieder stimmt mit der ägyptischen Körperauffassung überein.9 Zu kontrastieren ist diese Körperauffassung mit entsprechenden Körpertexten aus dem griechischen Bereich, in dem uns andere Körperauf8 Vgl. Wagner, A., Gottes Körper, 94–100. 9 Brunner-Traut, Emma, Frühformen des Erkennens, Darmstadt 1992; (vgl. auch Janowski 2012, vgl. Anm. 5). © 2016, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783788730628 — ISBN E-Book: 9783788730635

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fassungen begegnen. Hier erscheint der Körper z.B. in der Fabel vom Streit des Magens und der Füße, die sich bei Äsop (Äsop, Fab. 132133; Text gr. und lat. Autoren) findet, oder in einer ähnlichen Fabel über den Aufruhr der Glieder gegen den Magen bei Livius (Livius, II,32,9-11, 234-235) unter seinem Systemaspekt. Ein solches Systemverständnis bestimmt auch das Bild vom Leib und seinen Gliedern, wie es Paulus im 1Kor 12,12-31 verwendet. Dem Alten Testament ist ein solches Verständnis aber fremd. 4.

Körper im Rechtsbereich (Strafen und Tötungsarten)

Im altorientalischen wie im alttestamentlichen Kontext ist einer der bekanntesten Rechtstexte die Talionsformel, ein Text, der in der wörtlichen Auslegung Bestrafung durch Körpersanktionen einschließen kann: Leben für Leben, Auge für Auge, Zahn für Zahn, Hand für Hand, Fuß für Fuß (nach Dtn 19,21, ähnlich Ex 21,23-25; Lev 24,20). Freilich ist die Talionsformel im Alten Testament jeweils in Kontexte eingepasst, die einen Rechtssachverhalt behandeln, der die Talionsformel als Rechtsprinzip heranzieht, ohne dass damit auf die wörtliche Umsetzung des Talionsprinzips abgehoben sein muss. In Ex 21,22-27 und Lev 24,17-22 geht es um Schadensersatzregelungen, in Dtn 19,16-21 um die Meineidsproblematik. Nirgendwo im Alten Testament finden sich Texte über Körperstrafen, die mit dem Talionsprinzip begründet sind. Über die Schadensersatzregelungen für Körperverletzungen etc. wird klar, dass der Körper als „Kapital“ seines Besitzers betrachtet wird, dessen Beschädigung zu vergelten ist. Drastische Körperstrafen werden in einigen Fällen der Rechtssätze des Alten Testaments sehr konkret beschrieben, etwa beim Abhauen von Gliedmaßen. Im Rechtsbereich sind sie selten. In Dtn 25,12 „[…] wird festgesetzt, dass einer Frau die Hand abgehackt werden soll, die sich in den Streit von Männern einmischt und den Gegner ihres Mannes bei den Schamteilen packt. Diese Handlung scheint eine außerordentlich schwerwiegende Verfehlung darzustellen, denn Verstümmelungsstrafen finden sich – wenn man vom ius talionis absieht – sonst nicht in den Rechtssatzungen.“10

In Ri 1,5-7 wird vom Abhauen der Daumen und der großen Zehen berichtet, was die Betroffenen kriegsuntauglich macht. Auch Bestrafungen post mortem sind möglich, folgt man 2Sam 4,12, wo themati10

Thiel, Winfried, Art. ‫ קצץ‬qāṣaṣ, in: ThWAT VII, Stuttgart u.a. 1993, 104–106. © 2016, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783788730628 — ISBN E-Book: 9783788730635

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siert wird, dass Hände und Füße der Leichen der von Davids Männern getöteten Mörder Isch-Boschets (Eschbaal) abgehackt werden.11 Weniger drastische Körperstrafen werden häufig als „Züchtigung“ eingesetzt: Schlagen mit dem Stock (Dtn 22,18) u.ä. Die radikalste Art, den Menschen zu bestrafen, ist die Hinrichtung, bei der der Körper durch verschiedene Arten zu Tode gebracht werden kann. Knierim verweist für das Alte Testament auf steinigen, erschießen, töten durch das Schwert, verbrennen und erhängen.12 „Die Bestrafungsformen der Hinrichtung, des Schlagens, der körperlichen Verstümmelung und der unbefristeten Einsperrung sind in wichtigen Punkten unterschieden. Das Schlagen […] verursacht Schmerz […], bedeutet jedoch weder permanente Verstümmelung noch Einschränkung der zukünftigen Lebensfreiheit. […] Dagegen sind […] Verstümmelung und auch unbefristete Einsperrung permanent […]. Hinrichtung [bedeutet] die endgültige Auslöschung des Lebens […].“13

Mit Blick auf die Körperstrafen wird nach alttestamentlicher Vorstellung der Körper nicht als ein unter allen Umständen zu schützender Bestandteil der Person gesehen. Dies korrespondiert in gewisser Weise mit der unten in Abschn. 6 thematisierten Einsicht, dass im Alten Testament Körper und Individualität, Körper und individuelles Personsein nicht in derselben Weise zusammengehören, wie in späterer westlich ausgerichteter Tradition und Denkweise.14 Von einem Grundrecht auf körperliche Unverletzbarkeit, wie es etwa in der Rechtsprechung der Bundesrepublik Deutschland verankert ist, ist im Alten Testament mitnichten zu sprechen. Allerdings ist dieser Denkbereich der Körperauffassung für das Alte Testament alles andere als hinreichend erforscht. Umfassende systematische Untersuchungen, welche Rolle Körperstrafen in den Gesellschaften Israels und Judas der verschiedenen Zeiten spielen, welche Körperauffassungen die Rechtsüberlieferungen des Alten Testaments haben, stehen bis dato noch aus.

11 Zu den wenigen weiteren im Alten Testament vorkommenden Verstümmelungen vgl. Knierim, Rolf, Zum alttestamentlichen Verständnis von Strafe, in: J.A. Loader / H.V. Kieweler (Hg.), Vielseitigkeit des Alten Testaments (FS G. Sauer), Frankfurt a.M. 1999, 103–120. 12 Ebd. 112. 13 Ebd. 113. 14 Wobei es auch hier große Unterschiede gibt, wie etwa die noch heute in vielen Staaten der USA zugelassene Möglichkeit zeigt, in der Schule auch Körperstrafen anzuwenden. © 2016, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783788730628 — ISBN E-Book: 9783788730635

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5. Bewusstsein verschiedener Körperstadien, Körperfürsorge, Schönheit, Sport 5.1

Körperstadien

Der Körper ist lebensnotwendige Voraussetzung für das Leben in der Welt. Sein Werden und Vergehen ist in den Texten des Alten Testaments reflektiert, soweit es die Erfahrungsmöglichkeiten der altorientalisch-alttestamentlichen Zeit zulassen: a) Das pränatale Stadium des Embryo (golæm, das unfertige Wesen in Ps 139,16) b) Die Leibesfrucht der schwangeren Frau (Ex 21,22) c) Das Säuglingsalter (bis ca. 3 Jahre)15 d) Kindheit, Jugend – „vom 5. Lebensjahr an wird mit der Arbeitskraft des Kindes gerechnet (Lev 27,5). Mit dem 13. Jahr tritt die körperliche Reife ein (Gen 17,25).“16 e) Das Erwachsenenalter (ca. 20-60 Jahre) f) Der Körper des älteren Menschen Dabei werden Charakteristika registriert, die die verschiedenen Entwicklungsstadien kennzeichnen: Jes 11,8 setzt voraus, dass der Säugling neugierig-reflexhaft nach Dingen greift, dies auch vor „dem Loch der Otter“ tun würde. Kinder spielen bewegungsorientiert im Freien auf den Plätzen (Sach 8,5). Im Erwachsenenalter ist körperliche Arbeit zu erbringen. Im Alter tritt Schwachheit auf (Ps 71,9) und die Sehkraft lässt nach (Gen 48,10). Am drängendsten formuliert sind Altersgebrechen in Pred 12,1-7.

15 Wolff, Hans-Walter, Anthropologie des Alten Testaments. Neuausgabe hg. von B. Janowski, Gütersloh [Erstauflage 1973] 2010, 181. 16 Ebd. © 2016, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783788730628 — ISBN E-Book: 9783788730635

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5.2

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Körperfürsorge

Der Körper kommt in diesen verschiedenen Stadien nicht ohne die jeweils angemessene Fürsorge aus. Man muss ihn versorgen mit Essen und Trinken, sonst führt das zu Schwachheit und Tod. An einigen Stellen des Alten Testaments wird Körperpflege in kosmetischer Hinsicht thematisiert: 1Sam 8,13 und Neh 3,8 kennen den Beruf des Salbenmischers. Der Körper kann zudem mit Öl eingerieben werden (Dtn 28,40; Mi 6,15 u.a.). Nach Rut 3,3 badet und salbt sich Rut, bevor sie zu Boas geht. Teure Kosmetika und kosmetische Körperpflege werden in prophetischen Texten als Kennzeichen von Luxus kritisiert, wenn hiermit kein fürsorgendes Verhalten für andere korrespondiert (Am 6,6). In ritueller Hinsicht spielen Waschungen des Körpers bzw. von Körperteilen eine Rolle. Fußwaschungen sind Zeichen der Gastlichkeit (Gen 18,4 u.a.), Waschungen erfolgen nach Kontakt mit Unreinen (Lev 15,2-13) u.ä. Eine Nachsorge für den Körper nach dem Tod gibt es kaum. Nur bei Jakob und Josef wird von der Salbung ihrer Leichname erzählt (Gen 50,2; Gen 50,26). Der Körper spielt in den Jenseitsvorstellungen atl. Texte lange Zeit keine Rolle. Tote können Jahwe nicht rühmen (vgl. Ps 88). Maßnahmen, wie etwa in Ägypten, die auf den Körper in der jenseitigen Welt zielen (Mumifizierung, Ernährung des Körpers im Jenseits durch ernährungsbezogene Grabbeigaben usw.), gibt es im Alten Testament nicht. 5.3

Körperschönheit

Schönheit nach alttestamentlicher Anschauung zu formulieren, ist nicht einfach, zumal es hierzu noch keine ausführlichen Untersuchungen veröffentlicht wurden. Vor allem Keel17 und Schroer/Staubli18 haben sich sehr darum bemüht, den dynamischen Aspekt des Schönheitsideals im Alten Testament herauszuarbeiten: „Die ägyptischen, akkadischen und hebräischen Beschreibungslieder haben nicht den Körper, nicht die Formen des Leibes vor Augen, sondern den Ausdruck und die Dynamik der beschriebenen Person. Die Augen sind schön, weil sie Liebesbotschaften senden, das Haar, weil es wallt und vor Kraft strotzt, die Zähne, weil sie vollständig sind und in scharfem Kontrast zu den roten Lippen stehen, der Hals wegen 17 Keel, Othmar, Deine Blicke sind wie Tauben. Zur Metaphorik des Hohen Liedes (SBS 114/115), Stuttgart 1984, 198. 18 Schroer, Silvia / Staubli, Thomas, Die Körpersymbolik der Bibel, Darmstadt 2 2005 (1. Aufl. 1998). © 2016, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783788730628 — ISBN E-Book: 9783788730635

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seiner stolzen Haltung, die Selbstbewusstsein zum Ausdruck bringt, die Brüste der Frau wegen ihrer erfrischenden Bewegung…“.19

„Schön ist letztlich nicht“ der einzelne Mensch, der einzelne Körper oder ein bestimmtes Körperteil, sondern „die Beziehung unter zwei oder mehr Menschen“. Das „Schönheitsideal ist kein Körper-, sondern ein Verhältnisideal“.20 5.4

Körper und Kampf, Übung, Training, Sport

Im Alten Testament sind einige Texte und Szenen überliefert, in denen es um Kampf (1Sam 17, Zweikampf zwischen David und Goliat) und Kampfspiele (2Sam 2,14-16; vgl. auch 2Sam 23,8-21) u.ä. geht. Körperliche Aktivität steht hier im Vordergrund. Zeugnisse zu Training und Sport gibt es weit weniger im Alten Testament als etwa aus dem Alten Ägypten.21 Diese Beobachtungen zeigen, dass wir zwar von Kenntnissen der Körperübung im Alten Testament ausgehen können, dass aber nach dem Ausweis der Texte kein besonders ausgeprägtes Interesse daran bestand.22 6.

Körper und Individualität

Ganz sicher sind individuelle Körpermerkmale bei den Menschen des Alten Orients bzw. des Alten Israel ebenso vorhanden und ausgeprägt gewesen wie heute. Hätte man einzelne Menschen kennengelernt, hätte man sie anhand ihrer Gesichtsphysiognomie, ihrer Statur, Größe, Hautfarbe/Hautbeschaffenheit/Augenfarbe/Ohrenform/Hand-/ Arm-/Fußform, ihrem Geruch, ihrer Ausstrahlung etc. wiedererkannt.

19 Ebd. 21–22. 20 Ebd., 22. 21 Vgl. Decker, Wolfgang / Herb, Michael, Bildatlas zum Sport im alten Ägypten, 2 Bde, Leiden u.a. 1994. 22 Vgl. Schroer, Silvia, Sport ist ungesund. Die Widerständigkeit des Alten Testaments gegenüber Körperkult und Sport, in: Berliner Debatte Initial 14 (2003), 56– 62. © 2016, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783788730628 — ISBN E-Book: 9783788730635

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Abb. 5: Betergruppe (Pithos B; Kuntillet ‘Aǧrūd; 8. Jh. v. Chr.)

Eigentümlicherweise werden aber solche individuellen Körperaspekte in den bildlichen und sprachlichen Darstellungen von Körperhaftem sowohl im Bereich des Alten Orients wie des Alten Israel in der Regel völlig ausgespart. Für die bildlichen Darstellungen gilt sogar, dass die Körperwiedergaben geradezu entindividualisiert sind und in der Hauptsache auch zur Darstellung des schlechthinnig-typisch (männlichen oder weiblichen) Menschlichen dienen.

Abb. 6: Darstellung ohne individuelle Züge: Der israelische König Jehu (oder sein Stellvertreter) wirft sich vor dem assyrischen König Salmanassar III. (858–824 v. Chr.) zu Boden (Schwarzer Obelisk aus Kalchu).

Was E. Gombrich von der ägyptischen Kunst sagt, gilt in analoger Weise auch für die des Alten Israel und seiner Umwelt: © 2016, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783788730628 — ISBN E-Book: 9783788730635

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„Die Künstler hatten die Aufgabe, alles so deutlich und so unverrückbar wie möglich darzustellen. Es war gerade nicht ihre Absicht, die Dinge der Wirklichkeit darzustellen, wie sie gerade zufällig aussahen [das schließt individuelle Physiognomie mit ein!]. Sie zeichneten aus dem Gedächtnis und nach strengen Regeln [ohne Modelle, keine individuellen Portraits], die zur Folge hatten, daß alles, was im Bilde vorkam, vollständig ersichtlich war.“23

Abb. 7: Skaraboid mit dem Motiv des königlichen Helden (6. Jh. v. Chr.)

So erklärt es sich auch, dass die meisten Menschendarstellungen für unsere Augen so entindividualisiert und idealisiert erscheinen. Dargestellt wird nicht das naturalistische Abbild, das Sehbild, sondern das, was am Menschen „menschlich“ bzw. für den gerade dargestellten „Menschentyp“ wie König oder Held o.ä. typisch ist. Dieses Menschliche/Typische kommt in seiner Idealform zur Darstellung und jeder dargestellte Mensch wird unter dieser Perspektive des Menschlichen/Typischen gesehen. Auch in den Körperbeschreibungen der Texte sind individuelle Merkmale so selten, dass es kaum mehr Belege gibt als den Hinweis auf die Größe Sauls, der einen Kopf größer war als andere Menschen (1Sam 10,23), oder David, der eine besondere Haarfarbe hatte (1Sam 16,12; 1Sam 17,42). Aber Beschreibungen ihrer Körpermerkmale, gar eine solche, die eine Wiedererkennung ermöglichen würde, gibt es nicht. 23 Gombrich, Ernst H., Die Geschichte der Kunst, Frankfurt a.M. (Kursive und Anmerkungen von A.W.). © 2016, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783788730628 — ISBN E-Book: 9783788730635

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2005, 60–67

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Aus diesen Beobachtungen sind nun Schlüsse für das Körperverständnis zu ziehen: Es ist sicher nicht so, dass der Körper für den Menschen des Alten Testaments und des Alten Orients unwichtig gewesen wäre. Aber Körperindividualität gehört nach dem Befund der Texte und Bilder nicht zum Beschreibungsrepertoire der Selbst- und Fremdbilder von Individuen. Alle Formen von „Körperkult“, wie er den westlich orientierten Gesellschaften bes. des 20. und 21. Jh. bekannt ist, fehlt in den Kulturen des Alten Testaments und Alten Orients völlig. Das hängt sicher zum einen daran, dass Individualität eine geringere Rolle spielt. Das liegt aber eben auch daran, dass der Körper in die Konstruktion der Individualität nicht bzw. nicht in derselben Weise einbezogen ist wie etwa in der europäischen Neuzeit (oder auch, in Anfängen, der griechisch-römischen Antike). 7. 7.1

Körper Gottes Körper Gottes und das Bilderverbot

Verbietet das Bilderverbot Vor- und Darstellungen des Körpers Gottes? Aus neueren Forschungen wissen wir, dass das hebräische Wort, das in den Zehn Geboten (Ex 20,2-17; Dtn 5,6-21) steht, pæsæl, im genauen Sinn „Statue“/„Kultstatue“ und nicht „Bild“ im Allgemeinen bedeutet. Es werden also nicht einfach alle Darstellungsarten von Gott abgelehnt, sondern speziell wird verboten, Statuen zur kultischen Verehrung Jahwes zu machen; eine zu enge Verbindung von Gott und einer materialen Statue wurde in den Texten des Bilderverbotes als Gott nicht gemäß angesehen. Israel grenzt sich hier ab zu seinen Nachbarreligionen, in deren Kult Götterstatuen eine große Rolle spielten.24 Zudem muss man genau wahrnehmen, dass das Bilderverbot auf Darstellungen Jahwes bezogen ist und sicher kein allgemeines Verbot jeglicher Bilddarstellung meint; die Darstellung anderer Motive fällt damit nicht unter das Verbot. Jenseits dieser beiden Stoßrichtungen gibt es also auch von den Zehn Geboten her „Bilderfreiräume“: Zum einen ist für das Alte Israel damit zu rechnen, dass es vielfältig mit Bildern zu tun hatte, wenn es um Dinge geht, die abseits von Jahwe liegen. Neuere Zu24 Janowski, Bernd, Die lebendige Statue Gottes. Zur Anthropologie der priesterlichen Urgeschichte, in: ders., Die Welt als Schöpfung (Beiträge zur Theologie des Alten Testaments 4), Neukirchen-Vluyn 2008, 140–171. © 2016, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783788730628 — ISBN E-Book: 9783788730635

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sammenstellungen des gefundenen Materials geben hier heute einen guten Eindruck von der tatsächlichen Bilderfülle, von der auch Israel umgeben war (vgl. IPIAO).25 Zum anderen wird in vielen Texten des Alten Testaments eine „Kontur“ des Gottes Jahwe gezeichnet, die uns eine ganz klar bildhafte Vorstellung nahelegt - ohne dass sie in die Abbildung in Form einer Statue ausmündet. 7.2

Anthropomorphismen

Texte, sprachliche Darstellungen bieten die Möglichkeiten der Schaffung sprachlicher „Bilder“ an. Sprachliche Bilder führen zu Bildern in der Vorstellung, die unsere Wahrnehmung von Dingen prägen, und von dieser Möglichkeit hat das Alte Testament bezüglich des Körpers Gottes reichlich Gebrauch gemacht. Wenn gesagt wird, dass Gott sein Ohr neigen soll (2Kön 19,16), dann entsteht bei uns die Vorstellung, dass Gott eben auch „Ohren“ hat. Das häufige und sehr unterschiedliche Reden von den Körperteilen Gottes quer über nahezu alle Texte des Alten Testaments formt mit solchem Reden eine Gesamtvorstellung, ein Gesamt-„Bild“ vom Körper Gottes, das uns Gott menschengestaltig „vor Augen führt“ ohne dass wir ihn freilich wirklich sehen, aber so, dass unsere Vorstellung Gottes von diesem sprachlichen „Bild“ gelenkt wird. Eine kleine Liste mit den zentralen Körperteilen Gottes, der Anzahl der Belege und jeweils nur einer Belegstelle aus dem Alten Testament kann dies verdeutlichen.26 a) Kopf (3-mal); Jes 59,17: „Er [Jahwe] … setzt den Helm des Heils auf sein Haupt / seinen Kopf …“ b) Gesicht/Angesicht (598-mal); Gen 33,10: „Jakob antwortete: … ich sah dein Angesicht, als sähe ich Gottes Angesicht …“ c) Auge (123-mal); Am 9,3: [Jahwe spricht] „… wenn sie sich vor meinen Augen verbärgen …“ d) Ohr (28-mal); 2Kön 19,16: „Jahwe, neige dein Ohr …“

25 Vgl. Schroer, Silvia / Keel, Othmar, Die Ikonographie Palästinas/Israels und der Alte Orient – eine Religionsgeschichte in Bildern (IPIAP), Fribourg 2005-2012. 26 Belegstellenlisten und weiteres Material bei Wagner, A., Gottes Körper, 101– 166. © 2016, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783788730628 — ISBN E-Book: 9783788730635

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e) Nase (162-mal); 2Sam 22,9: „Rauch stieg auf von seiner [Jahwes] Nase …“ f) Mund (57-mal); Lev 24,12: „… Antwort [wird] durch den Mund Jahwes.“ g) Kehle, Hals (16-mal); Jer 6,8: „Bessre dich, Jerusalem, ehe sich meine næfæš (Hals?) von dir wende …“ h) Arm (42-mal); Ex 15,16: „… vor deinem [Jahwes] mächtigen Arm erstarrten sie …“ i) Rechte (34-mal); Ps 48,11: „Gott, … deine Rechte ist voll Gerechtigkeit.“ j) Hand (218-mal); Jer 18,6 „… wie der Ton in des Töpfers Hand, so seid auch ihr … in meiner Hand [spricht Jahwe].“ k) Fuß (Bein) (13-mal); Jes 66,1: „So spricht Jahwe: … die Erde [ist] der Schemel meiner Füße!“ An insgesamt ca. 1300 Stellen des Alten Testaments kommen diese Körperausdrücke vor und formen in Gedanken bei den Lesenden beständig ein „Körperbild“, ein Gedankenbild, jedoch kein materiales Bild. Natürlich könnte man es ohne Weiteres in ein materiales Bild überführen. Solche materialen Bildausführungen gab es schon in der Antike, auch im jüdischen Kontext. Uns geläufig sind eher die malenden Bibelausleger der späteren Zeit, etwa die Maler der Renaissance, die das Bild Gottes ebenfalls in Menschengestalt wiedergegeben haben.27 Übrigens findet sich für die meist gewählte Darstellweise von Gott als älterem Mann im Alten Testament kaum ein Hinweis. Nie ist von einem Bart Gottes die Rede und auch sonst finden sich keine Körperaussagen mit Hinweisen auf einen „älteren Körper“. Zu den äußeren Körperteilen kommen noch die inneren Organe Gottes wie Herz etc. Interessant ist nun wiederum, das Körperbild Gottes im Alten Testament auf seine Aussagen hin zu befragen:

27 Vgl. Wagner, Andreas u.a. (Hg.), Gott im Wort Gott im Bild. Bilderlosigkeit als Bedingung des Monotheismus? Neukirchen-Vluyn 22008. © 2016, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783788730628 — ISBN E-Book: 9783788730635

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a) In erster Linie finden sich Körperteile, die mit dem Handeln und dem Kommunizieren verbunden sind. Hände, Füße, Arme stehen für das Wirken Gottes, für seine Taten; die Kommunikationsorgane zum Sehen, Reden, Hören, mimischen Kommunizieren zeigen deutlich, dass der alttestamentliche Gott nicht ein ferner, unnahbarer, menschenabgewandter Gott ist, sondern dass er Ohren hat, zu hören, Augen, zu sehen usw. Die Kommunikation zwischen Gott und Mensch wird so stark unterstrichen. Diese beiden Grundcharakteristika prägen ja auch sonst das Gottesbild, das wir im Alten Testament von Gott gewinnen: Im Vordergrund stehen seine Heilstaten, etwa die Rettung bzw. Herausführung aus Ägypten oder sein Mitgehen, Stärken und Zuhören, von dem viele Psalmen bestimmt sind. b) Interessant ist auch, dass in diesem Körperbild geschlechtliche Merkmale völlig ausgespart werden. Das kann angesichts der Fülle der Belege kaum Zufall sein. Das Geschlecht Gottes bleibt verborgen. Es spielt im Vorstellungsbild keine Rolle. c) An ganz wenigen Stellen finden sich auch Körperaussagen, die von der Menschengestaltigkeit abweichen. Das ist etwa bei den 6mal genannten Flügeln Gottes der Fall.28 Aber es sind verschwindend wenige Belege, die tiergestaltige Körperteile mit ins Bild nehmen. Sehr stark im Vordergrund steht die Menschengestaltigkeit. Mit der Vorstellung der Menschengestaltigkeit Gottes hängt wohl auch der Gedanke der Ebenbildlichkeit zusammen. Die Menschen sind ja gemäß dieser Vorstellung nach Gottes Gestalt gebildet. Gen 1,26ff präzisiert aber hier sehr interessant: Es geht um die Ähnlichkeit von Gott und der Menschheit, wobei explizit von Frau und Mann gesprochen wird, nicht etwa um die Ähnlichkeit von Gott und Mann. Außerdem geht es um Ähnlichkeit, nicht um Gleichheit: Gott vermag unendlich mehr in seinem Handeln, in seinem Hören und Sagen als der Mensch, auch wenn die Grundfähigkeiten in der beschriebenen Weise vergleichbar sind. Die Ähnlichkeit schließt sogar die næfæš ein, die lange als „Seele“ verstanden wurde29 und Mensch wie Gott prägt.

28 Vgl. Martin, Evelyne, Theriomorphismus im Alten Testament und Alten Orient. Eine Einführung, in: dies., Tiergestaltigkeit der Göttinnen und Götter zwischen Metapher und Symbol (BThSt 129), Neukirchen-Vluyn 2012, 1–36. 29 Vgl. Müller, Katrin, „So wurde der Mensch ein lebendiges Wesen …“. Die „Seele“ des Menschen im Alten Testament, Bibel heute 189 (2012), 14–16. © 2016, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783788730628 — ISBN E-Book: 9783788730635

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Mit der Gestaltähnlichkeit von Gott und Mensch wird also klar gemacht, dass der Mensch, wenn auch in geringerem Ausmaß als Gott, doch ebenso mit Kommunikations- und Handlungsmöglichkeiten ausgestattet ist; so kann er in der Welt, stellvertretend für Gott und mit Gott in Beziehung und Kommunikation stehend, Verantwortung einnehmen und für die ihm anvertraute Schöpfung eintreten.

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Körperteile

1.

Belege

Das Hebräische des Alten Testaments kennt über 250 verschiedene Wörter/Lexeme für Körper und Körperteile.1 Sie kommen in mehreren tausend Belegstellen vor.2 1.1

Zentrale und weniger zentrale Körperteile

Eine Übersicht über die Zahl der Belege der Wörter für Körperteile weist eine kleine Gruppe von ca. 15-18 Körperteilen aus, die besonders häufig (mehr als 100-mal) vorkommen. Nach diesem Häufigkeitsbefund sollen zentrale (die ca. 100-mal und öfter vorkommen; vgl. u. 4.1, 5.1 und 6.) und weniger zentrale Körperteile (die deutlich weniger als 100-mal vorkommen; vgl. u. 4.2. und 5.2.) unterschieden werden. 1.2

Äußere und innere Körperteile

Beim Körper ist es des Weiteren hilfreich zu unterscheiden, ob wir es mit äußeren Körperteilen (vgl. u. 4.) oder mit inneren Körperteilen (vgl. u. 5.) zu tun haben oder mit Lexemen, die Gesamtaspekte des Körpers (bzw. des Menschen) bezeichnen (vgl. u. 6.); bei Letzteren kann man sich fragen, ob es sich überhaupt noch um Körper-„Teile“ im engeren Sinn handelt, aber es sei hier, weil es Übergangsbereiche gibt und weil es sich teils um wichtige Aspekte handelt, auf diese Lexeme hingewiesen. Beim äußeren Körper, und das ist für die Quellenfrage wichtig, können wir Sprachquellen und Bildquellen vergleichen (vgl. u. 3.), von außen sichtbare Körperteile sind auch materialbildlich belegt (3.1.), innere Körperteile werden nur in seltenen Ein1 Oelsner, Joachim, Benennung und Funktion der Körperteile im hebräischen Alten Testament, (Diss. phil.) Leipzig 1960. 2 Zu grundsätzlichen Überlegungen der Analyse von Körperphänomenen, der Quellenproblematik und den methodischen Analysemöglichkeiten vgl. „Körper im Alten Testament“, S. 103–121 in diesem Band. © 2016, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783788730628 — ISBN E-Book: 9783788730635

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Körperteile

zelfällen abgebildet (vgl. u. 3.2.). So ergeben sich für die äußeren Körperteile andere Analysemöglichkeiten. 2.

Funktion der Körperteile – synthetisches Bedeutungsspektrum

Hans Walter Wolff hat 1973 den Begriff der „synthetischen Bedeutung“ geprägt, der einen wesentlichen Aspekt der Körperteilbedeutung beschreibt: Wird in einem Text ein Körperteil verwendet, so steht es häufig nicht einfach nur für die Bezeichnung des Körperteils, sondern es wird oft stellvertretend für seine Funktion verwendet: „Ruft der Prophet aus (Jes 52,7): Wie schön sind auf den Bergen die Füße des Freudenboten!, so meint er nicht deren graziöse Gestalt, sondern ihre hurtige Bewegung: Wie schön, daß der Bote über die Berge heraneilt! ‚Füße’ sagt der Hebräer, aber er denkt an das sprunghafte Nahen. In Ri 7,2 kommt der befürchtete Selbstruhm Israels in dem Satz zur Sprache: Meine Hand hat mir geholfen. Gemeint ist natürlich das eigene Zupacken, die eigene Kraft. Das Glied und sein wirksames Handeln werden zusammengeschaut. Der Hebräer kann und muß mit einem verhältnismäßig kleinen Wortschatz, mit dem er die Dinge und gerade auch die menschlichen Körperteile benennt, eine Fülle feiner Nuancen zum Ausdruck bringen, indem der Satzzusammenhang die Möglichkeiten, Tätigkeiten, Eigenarten oder Widerfahrnisse des Benannten heraushebt.“3

Wolff nennt das „synthetisch“, weil „eine Zusammenschau der Glieder und Organe des menschlichen Leibes mit ihren Fähigkeiten und Tätigkeiten“ vorausgesetzt ist, es ist „das synthetische Denken, das mit der Nennung eines Körperteils dessen Funktion meint“.4 Es hat sich allerdings bewährt, vom „synthetischen Bedeutungsspektrum“ zu sprechen, weil bei der Nennung eines Körpermotivs das gesamte Spektrum von körperlicher, gestischer bis hin zu einer rein abstrakt-funktionalen Bedeutung abgerufen sein und die Bedeutung innerhalb diesen Spektrums sich hin und herbewegen kann:5 „Hand“ kann in den Texten des Alten Testaments Verwendung finden im Sinne des Körperteils Hand, im Sinne von versprachlichten gestischen Bedeutungen („die Hand geben“) bis hin zu einer ganz funktional verstandenen Bedeutung (Hand = Macht). In allen Fällen steht im Hebräischen dasselbe Wort für Hand, obwohl sehr verschiedene Aspekte aus dem „Bedeutungsspektrum“ gemeint sein können; um die genaue Bedeutung zu erfassen, muss eine sprachliche Äußerung, 3 Wolff, Hans-Walter, Anthropologie des Alten Testaments, Neuausgabe hg. von B. Janowski, Gütersloh [Erstauflage 1973] 2010, 30-31. 4 Ebd. 5 Wagner, Andreas, Das synthetische Bedeutungsspektrum hebräischer Körperteilbezeichnungen, S. 71–82 in diesem Band. © 2016, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783788730628 — ISBN E-Book: 9783788730635

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Körperteile

die eine Körperaussage enthält, aus ihrem Kontext erschlossen werden. Nur von diesem „synthetischen“ Verständnis aus können Ausdrücke wie „die Hand der Zunge“ (Spr 18,21) richtig verstanden werden: Es geht dort nicht um eine Anthropomorphisierung der Zunge, sondern um ihre Macht, die Macht der Rede. Häufig kommen in Übersetzungen nur die Funktionen zur Sprache, auf die Nennung der Körperteile wird verzichtet. Allerdings verschwindet in der Übersetzung der Körper so hinter den Funktionen, was im Hebräischen aufgrund der Gegebenheiten des synthetischen Bedeutungsspektrums nicht möglich ist (vgl. oben zu Hand). Vor allem im Bereich des Anthropomorphismus führt das zu Tendenzen, den Körper Gottes „zu reduzieren“.6 3. 3.1

Die Unterscheidung von äußeren und inneren Körperteilen Äußere Körperteile in Sprache und Bild

Die Einteilung in äußere und innere Körperteile ist in erster Linie quellenbedingt. Da in neuerer Zeit bei der Erschließung anthropologischer Sachverhalte Bilder als Quellen eine große Rolle spielen, ist es ein wesentlicher Vorteil, sprachliche Quellen und material-bildliche Quellen parallel führen zu können. Diese Möglichkeit gibt es bei Körperteilen (bis auf Ausnahmen) nur bei den äußeren bzw. von außen sichtbaren Körperpartien. Innere Körperteile werden auf Bildern so gut wie nicht dargestellt (zu Ausnahmen vgl. 3.2).

Abb. 8: Darstellung eines Menschen auf Pithos B aus Kuntillet ‘Aǧrūd (8. Jh. v. Chr.). 6 Wagner, Andreas, Beten und Bekennen. Über Psalmen, Neukirchen-Vluyn 2008, 289-317. © 2016, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783788730628 — ISBN E-Book: 9783788730635

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Körperteile

Jede bildliche Darstellung eines menschlichen Körpers basiert auf der Addition dargestellter Körperteile. Vergleicht man die in „hebräischen“ Bildern vorkommenden Körperteile, ergibt sich in der Präsenz der dargestellten Körperteile eine gewisse Konvergenz mit den zentralen Körperteilen, die aus den Texten des Alten Testaments bekannt sind.7 Als „hebräische“ Bilder werte ich solche, bei denen Bilddarstellungen und hebräische Schrift/Sprache kombiniert sind.8 Als Beispiel sei hier auf die Abbildung eines Menschen auf großen Vorratsgefäßen (Pithoi) aus Kuntillet ‘Aǧrūd verwiesen, auf denen sich hebräische (Kurz-)Texte und Bilder finden. Als Ergebnis des Vergleichs derjenigen Bilder mit der Kombination „hebräische Sprache/Bilddarstellung“ und sprachlich bezeugter Körperteile lässt sich festhalten: „Die Gewichtungen sind leicht verschoben, am stärksten ist die Abweichung beim ‚Arm’, der in Bildern konstitutiv ist, bei der sprachlichen Repräsentation der häufigen Glieder [vgl. in diesem Art. unter Abschn. 4.1.] aber den untersten Platz belegt. Der Vergleich zeigt weiterhin zwei auffällige Sachbestände: a) Der in den Bildern immer dargestellte ‚Rumpf’ des Körpers besitzt keine sprachliche Entsprechung. Dass das Wort zufällig nicht in die hebräischen Texte des A.T. eingegangen und daher nicht überliefert wurde, ist angesichts der hohen Zahl der überlieferten Körperbegriffe unwahrscheinlich. Größere Plausibilität hat die Annahme, dass das Hebräische einen solchen Begriff nicht besitzt. b) Sehr auffällig ist auch das ‚Desinteresse’ der Bilder am ‚Ohr’; bei den Darstellungen auf materialen Bildern scheint das Ohr sehr entbehrlich zu sein. Wenn überhaupt kommt es ja nur einmal vor. In den Texten dagegen ist das Ohr unter den ‚top ten’ der Körperbegriffe.“9

Darstellungen von Körperteilen gibt es auch außerhalb von Abbildungen menschlicher Personen bei herausgelösten, selbständig und ohne Körperbezug für sich stehenden Körperteilen.

Abb. 9 Darstellung einer Hand in Chirbetel-Qōm (8. Jh. v. Chr.). 7 Wagner, Andreas, Gottes Körper. Zur alttestamentlichen Vorstellung der Menschengestaltigkeit Gottes, Gütersloh 2010, 101-109. 8 Ebd., 57-58. 9 Ebd., 109. © 2016, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783788730628 — ISBN E-Book: 9783788730635

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Körperteile

Aufgrund der Funktionsbedeutung von Körperteilen (vgl. 2.) kann auch in Bildern auf die mit dem Körperteil verbundene Funktion angespielt werden, etwa bei der Hand auf Macht, Schutz o.ä. Das dürfte bei der Abbildung der Hand aus Chirbet el-Qōm10 eine Rolle spielen. Neben den quellenbedingten Unterscheidungen ist es zumindest auffällig, dass bei den zentralen Körperteilen die Zahl der äußeren Körperteile mehr als doppelt so hoch ist als die der inneren. Man könnte daraus schließen, dass die äußeren Körperteile bzw. die mit ihnen verbundenen Funktionen in den Texten des Alten Testaments auch aus Wichtigkeitsgründen stärker im Vordergrund stehen. Da es bei den äußeren Körperteilen sehr stark um Kommunikation und Handlung geht und das zwei äußerst wichtige Sachbereiche sind, wäre das nicht unplausibel. Im Bereich des Anthropomorphismus ist diese Dominanz der äußeren Körperteile und die Betonung der Kommunikations- und Handlungsseite Gottes ein Teil der theologischen Gesamtaussage des Alten Testaments.11 3.2

Innere Körperteile

Innere Körperteile werden weit weniger auf bildlichen Quellen dargestellt; auch bei den zentralen Körperteilen (vgl. 4.) kommen im Alten Testament weniger innere als äußere Körperteile vor. In den altorientalischen Kulturen, das Alte Israel eingeschlossen, gibt es keine über das planmäßige Sezieren von Leichen gewonnenen Erkenntnisse über den inneren Körper; für medizinisch/anatomisch wissenschaftliche oder zu künstlerisch-ästhetischen Zwecken vorgenommene Untersuchungen von Körpergegebenheiten an Leichen finden sich keine Zeugnisse. Kenntnisse über innere Organe kommen aus der erfahrungsbezogenen „Heilkunst/Medizin“, aus Beobachtungen von Verletzungen und Toten (Unfall, Krankheiten und vor allem Krieg), aus analogen Beobachtungen zu Tierkörpern, die man aus Schlachtungen gut kannte, u.ä. In einigen Fällen werden auch innere Körperteile etwa in Form von Amuletten abgebildet, wenn es um ihre funktionale Bedeutung geht, etwa bei den Herzamuletten.

10 Vgl. Abb, 9. 11 Wagner, A., Gottes Körper, 156-158. © 2016, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783788730628 — ISBN E-Book: 9783788730635

128 4. 4.1

Körperteile

Äußere Körperteile Die zentralen äußeren Körperteile

Körperteilbegriffe, die mehr als 100-mal vorkommen: pānîm „Gesicht“ (2127-mal) yād „Hand“ (1618-mal) kaf „Handfläche“ (192-mal) yāmîn „Rechte“ (139-mal) ‘ayin „Auge“ (866-mal) næfæš „Kehle/Hals“ (754-mal) ro’š „Kopf“ (596-mal) pæh „Mund“ (500-mal) ’ap̄ „Nase“ (277-mal) rægæl „Fuß“ (247-mal) ’ozæn „Ohr“ (187-mal) śāfāh „Lippe“ (176-mal) zərôa‘ „Arm“ (93-mal12).

4.2.

Weitere äußere Körperteile

Auch die weniger zentralen Körperteile13 folgen in der Regel dem Prinzip des synthetischen Bedeutungsspektrums und können stellvertretend für die Sicht auf den Menschen unter einem bestimmten Aspekt stehen (zu Grenzen dieses Verständnisses vgl. Kap. 7). 5. 5.1

Innere Körperteile Die zentralen inneren Körperteile

Von den Körperteilen des Inneren sind folgende der Beleganzahl nach zu den zentralen Körperteilen zu rechnen: lev „Herz“ (601-mal) dām „Blut“ (360-mal) levāv „Herz“ (252-mal) ‘æṣæm „Knochen“ (123-mal) lāšôn „Zunge“ (117-mal).

12 Wichtiges Körperteil, knapp unter 100-mal belegt. 13 Wie Backe, Bauch, Brust, Daumen, Faust, Finger, Haut, Hüfte/Lende, Knie, Lippen, Nacken, Schoß/Mutterschoß, Schulter, Stirn, Zahn, Zunge etc. © 2016, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783788730628 — ISBN E-Book: 9783788730635

129

Körperteile

5.2

Weitere innere Körperteile

Was zu den äußeren weniger zentralen Körperteilen in Abschn. 4.2 gesagt ist, gilt auch hier. Für das Verständnis von Texten und bestimmten Aspekten des Menschseins sind auch diese Körperteile von großer Bedeutung. 6.

Körperteilübergreifende Aspekte des Körpers

Der Unterscheidung von äußeren und inneren Körperteilen entziehen sich einige der alttestamentlichen „Körper-Wörter“. Einige davon sind deswegen besonders wichtig, weil sie zu den „zentralen“ Körper-Wörtern gehören, da sie mehr als 100-mal im Alten Testament vorkommen. Sie entziehen sich der Unterscheidung zum Teil, weil mit ihnen einerseits nicht-körperliche Funktionen verbunden sind (næfæš, ruaḥ), andererseits auf Aspekte gezielt wird, die die äußeren Körperteile umfassen (Gruppe c) oder gar Anteile der inneren wie äußeren Körperteile beinhalten: a) Hierhin gehört zum einen das Wort næfæš (754-mal nach THAT), das teils Körperteilbegriff ist („Hals/Kehle“), teils über die Funktionsbedeutung für Gesamtaspekte des Körpers (man könnte auch „des Menschen“ sagen) steht („Leben/Gier“ etc.). Es gehört, wie die Beleganzahl zeigt, zu den zentralen Lexemen. b) Zu dieser Gruppe gehört zudem das Wort ruaḥ (378-mal nach THAT), das einen Zusammenhang mit der Körperfunktion des Atmens hat, aber auch für den Geist steht. Auch ruaḥ gehört zu den zentralen Körper-/Menschen-Lexemen. c) Schließlich gehört eine Reihe von Wörtern hierzu, die keine Körperteile, sondern den sichtbaren Umriss des Gesamtkörpers o.ä. bezeichnen, wie mar’æh „Gestalt“. d) Und nicht zuletzt ist hier auf das Wort bāśār (270-mal nach THAT; Fleisch) zu verweisen, das zur Benennung des vergänglichen Körperanteils der inneren wie äußeren Körperteile dient und ebenfalls zu den zentralen Körper-/Menschen-Lexemen zählt.

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Körperteile

7. Körper-Wörter: der Mensch unter einem bestimmten Blickwinkel Die zentralen Körperteile (vgl. 4.1, 5.1 und 6.) können hier nur in einer knappen Überschau kurz charakterisiert werden.14 Die Körperteile können jeweils den ganzen Menschen vertreten und stehen damit für Thematisierungen des Menschen unter einem bestimmten Aspekt:15 pānîm „Gesicht/Antlitz“ zielt auf mimische Kommunikationsfähigkeit/Zugewandtheit (1Kön 21,4: „er [Ahab] legte sich auf sein Bett, wandte sein Antlitz ab [d.h. er wandte sich ab] und wollte nicht Speise essen“). yād „Hand“ zielt auf Handlungsmöglichkeit/Mächtigkeit (Ri 7,2: „meine Hand hat mir geholfen“ [= ich habe mir selbst geholfen, es stand in meiner Macht, mir zu helfen]) ‘ayin „Auge“ zielt auf (optisch-visuelle) Erkenntnisfähigkeit/Kommunikationsfähigkeit (Ps 54,9: „mein Auge sieht meine Feinde“ [= ich sehe meine Feinde]) næfæš zielt auf Leben/Lebenswille/Lebenskraft/Gier/Bedürftigkeit/Hals/Kehle (Gen 12,13: „und meine næfæš wird um deinetwillen am Leben bleiben“ [d.h. ich werde um deinetwillen am Leben bleiben]) lev „Herz“ zielt auf Erkenntnisfähigkeit/Rationalität (Jer 12,3: „Du, Jahwe Herr, kennst mich und siehst mich und prüfst mein Herz vor dir“ [= prüfst mich]) ro’š „Kopf“ zielt auf „Personhaftigkeit [Individualität (?)]“ (Gen 49,26: „die Segnungen deines Vaters … – mögen sie kommen auf das Haupt Josefs …“ [= mögen sie kommen auf Josef]) pæh „Mund“ zielt auf Sprache/Kommunikationsfähigkeit (Spr 15,2: „der Weisen Zunge bringt gute Erkenntnis hervor; der Toren Mund sprudelt nur Narrheit“ [= die Toren sprudeln nur Narrheit]) ruaḥ „Geist/Kraft“ zielt auf Geist/Kraft/Vitalität (Ps 77,7: „ich denke [und grüble] in der Nacht, ich sinne mit meinem Herzen und meine rûaḥ forscht“ [= ich forsche]) dām „Blut“ zielt auf physische Lebenskraft (Ps 30,10: „Was für einen Gewinn hat mein Blut [= habe ich] [für dich, Jahwe], wenn ich ins Grab hinabsteige?“) bāśār „Fleisch“ zielt auf Körperlichkeit und Vergänglichkeit (Ps 119,120: „es schaudert mein bāśār aus Furcht vor dir“ [= es schaudert mir aus Furcht vor dir]) 14 Vgl. bes. die ausführlicheren Darstellungen bei Schroer, Silvia / Staubli, Thomas, Die Körpersymbolik der Bibel, Darmstadt 22005 (1. Aufl. 1998), 33-173 und Wagner, A., Gottes Körper, 110-134. 15 Siehe Wagner, Andreas, Mensch (AT), S. 37–43 in diesem Band. © 2016, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783788730628 — ISBN E-Book: 9783788730635

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Körperteile

’ap „Nase“ zielt auf Wut/Ausdruckskraft/Kommunikationsfähigkeit (Ez 38,18: „wenn Gog kommen wird über das Land Israels, spricht Gott der Herr, wird mein Zorn in meiner Nase aufsteigen“ [= in mir aufsteigen]) rægæl „Fuß“ zielt auf Macht/Präsenz (1Sam 23,22: „geht nun und gebt weiter Acht, wisst und seht, an welchem Ort sein Fuß weilt [an welchem Ort er weilt] und wer ihn dort gesehen hat“) ’ozæn „Ohr“ zielt auf (akustische) Erkenntnisfähigkeit/Kommunikationsfähigkeit (Spr 18,15: „ein verständiges Herz erwirbt Einsicht, und das Ohr der Weisen sucht Erkenntnis“ [= die Weisen suchen Erkenntnis]) śāfāh „Lippe“ zielt auf Sprache/Kommunikationsfähigkeit (Spr 15,7: „die Lippen des Weisen breiten Einsicht aus“ [= der Weise breitet Einsicht aus]) zeroa‘ „Arm“ zielt auf Handlungsmöglichkeit/Mächtigkeit (Ez 30,21: „ich habe den Arm des Pharao, des Königs von Ägypten, zerbrochen“ [= ich habe den Pharao vernichtet])

Die Frage ist, wie weit diese aspekthafte Stellvertretung für den Menschen durch Körperteile vom Alten Testament durchgehalten wird. Können auch seltene Körperteile wie „Daumen“ etc. den ganzen Menschen vertreten? Ganz ohne Zweifel sind alle zentralen Körperteile in dieser Funktion. Aber es gibt wohl eine abnehmende Wahrscheinlichkeit, dass mit Körperteilen, die nur in geringer bis sehr geringer Anzahl vorkommen, ein Aspekt des ganzen Menschen zum Ausdruck gebracht wird. Dies muss bei der Auslegung einer Textstelle oder der Nachfrage nach einem Körperteil jeweils genau geprüft werden. Hier ist die Forschung noch nicht abgeschlossen. 8.

Körperteile Gottes

Die auf Gott angewendeten Körperteile unterscheiden sich vom Prinzip her in dem Charakter der Funktionalität nicht. Auch bei Gott steht die Hand für Macht, das Herz für die Rationalität, der Mund für das Sprechen usw. Allerdings hat Gott aufgrund seiner „göttlichen“ Fähigkeiten andere Möglichkeiten als der Mensch; der Grad der Funktionalität ist ein anderer: Gottes Hand bedeutet wie beim Menschen Macht, aber seine Hand/Macht gelangt überall hin; sein Ohr hört wie das menschliche Ohr auch, aber die Hörfähigkeit erstreckt sich auf alle menschlichen Äußerungen usw. Mit Blick auf die einzelnen Körperteile und deren Funktion gibt es insofern keine Unterschiede zwischen den Anwendungen auf Gott und Mensch, als sich keine „gottspezifischen“ Körperteile finden. © 2016, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783788730628 — ISBN E-Book: 9783788730635

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Körperteile

Alle Körperteile, die auf Gott angewandt werden, finden sich auch im menschlichen Anwendungsbereich. Umgekehrt ist das nicht der Fall, denn im direkten Anthropomorphismus bei den äußeren Körperteilen werden alle diejenigen menschlichen Körperteile ausgespart, die geschlechtliche Festlegungen ermöglichen. Es ist im Alten Testament nicht die Rede von Gottes „weiblicher Brust“, Gottes Penis, Gottes Hoden u.ä.16 Den größten Anteil der Körperteile haben im Anthropomorphismus diejenigen, die mit den Funktionen von Kommunikation und Handlung verbunden sind (zur theologischen Deutung dieses Befundes vgl. „Körper im Alten Testament“ 7.2.).17

16 17

Wagner, A., Gottes Körper, 135-137. S. 116–121 in diesem Band. © 2016, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783788730628 — ISBN E-Book: 9783788730635

Zentrale Körperteile: Kopf, Arm und Hand

1.

Kopf

1.1 Körperteil des Menschen Der Kopf (ro’š) gehört zu den wichtigsten im Alten Testament genannten Körperteilen. Er wird im Hebräischen (wie im Deutschen) vom Gesicht/Angesicht (pānîm) unterschieden. Während Letzteres die Vorderseite des Kopfes mit Augen, Nase, Mund usw. bildet, bezeichnet „Kopf“ das gesamte Haupt. Die körperlichen Gegebenheiten können die Grundlage übertragener Bedeutungen bilden: „der Weise hat [wörtlich: seine] Augen im Kopf“ (Pred 2,14). Der Kopf ist beim aufrecht gehenden Menschen der höchste Körperteil. Dementsprechend bedeutetet das hebräische Wort ro’š nicht nur „Kopf“, sondern auch „Oberster/Oberste/Oberstes“ und „Erster/Erste/Erstes“ (s.u. 1.2) Der Kopf kann für den ganzen Menschen stehen (pars pro toto), etwa wenn „Köpfe“ (= Menschen) gezählt (1Chr 24,4) oder zerschmettert (Ps 110,6) werden. Die Redeweise entspricht der besonderen Rangstellung des Kopfes; man zählt nicht nach Körpern, Hälsen, Nasen oder ähnlich, sondern nach Köpfen. Auch im Zusammenhang von Segen und Fluch oder auch Blutrache steht „Kopf“ (in Gen 49,26 parallel zu Scheitel) häufig stellvertretend für den Menschen: „Die Segnungen deines Vaters …, mögen sie kommen auf den Kopf / das Haupt Josefs, auf den Scheitel des Geweihten unter seinen Brüdern!“ (Gen 49,26). David sagt im Blick auf das Blut des von Joab getöteten Abner: „es falle auf den Kopf Joabs und auf das ganze Haus seines Vaters“ (2Sam 3,29). Mit der besonderen Stellung des Kopfes als oberstem, erstem Glied hängt wohl auch die vor allem im Krieg ausgeübte Tötungsart des Köpfens zusammen. Mit dem Abschlagen des Kopfes wird das oberste/höchste Körperteil einer Person unwiderruflich zerstört (2Sam 4,8); die Person, der Mensch wird dadurch stärker getroffen

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Zentrale Körperteile: Kopf, Arm, Hand

und entwertet als etwa durch Erstechen. Die Angst verbreitende Wirkung dieser Tötungsart ist deswegen besonders groß. Der Kopf ist in der alttestamentlichen (altorientalischen) Welt nicht mit dem Denken, mit intellektuell-rationalen Fähigkeiten verbunden. Sitz der Denkfähigkeit ist vielmehr das Herz. So ist Vorsicht geboten bei der Frage, ob der Kopf auch „Zentrum der Person“ ist. „Kopf“ drückt implizit zuweilen auch die Begrenztheiten menschlichen Seins aus. Was über den Kopf des Menschen hinausgeht, kann in mehrfacher Hinsicht größer sein als der Mensch. Bei der Erzählung von der Entrückung des Elia sagen die Schüler zu Elisa, dem Vertrauten und Nachfolger Elias: „Weißt du, dass heute Jahwe deinen Herrn (= Elia) über deinen Kopf / dein Haupt hinwegnehmen wird?“ (2Kön 2,3). 1.2.

„Kopf“ in der Bedeutung „Spitzenstellung und Höchstwert“

„Kopf“ wird metaphorisch mit dem Sinn „Spitzenstellung und Höchstwert“ (Irsigler) in verschiedenen Zusammenhängen verwendet. Der Begriff bezeichnet dann z.B. den Führer einer sozialen Gruppe („Köpfe/Häupter eurer Stämme“ Dtn 1,15; „Köpfe/Häupter über das Volk“ Ex 18,25), einer militärischen Truppe („Kopf/Haupt der Drei“ 2Sam 23,8.18), einen höheren Funktionsträger („der erste/ oberste Priester“ 2Kön 25,18) oder den König (Jes 7,8–9; Hos 2,2). Die metaphorische Bedeutung ist nicht auf den sozial-menschlichen Bereich beschränkt, sondern kann sich auch auf „Sachen“ beziehen, z.B. den Kopf/Gipfel eines Berges (Ex 19,20), den Kopf/Anfang des Jahres (Ez 40,1) oder eine Summe (Ps 139,17). 1.3

Gestisch-funktionale Bedeutungen

Mit den konkreten und metaphorischen Bedeutungen eng verwoben sind Gesten, die im Alten Testament sprachlich und außerhalb dessen auch bildlich belegt sind: a) Die Gegenbewegung zum „Haupt erheben“ ist das „Senken des Kopfes“. Diese Geste dient, sofern sie von einem Menschen selbst ausgeht, dem Ausdruck der Demütigung und Selbstminderung. Das Senken des Kopfes vor Ranghöheren bringt im gesellschaftlichsozialen Kontext, etwa am Hof, Hierarchien zum Ausdruck (Proskynese). Diese Geste kann aber auch zu anderen Zwecken Anwendung

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Zentrale Körperteile: Kopf, Arm, Hand

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finden. Im Zusammenhang der Trauer um die Verwüstung Judas und Jerusalems heißt es in Klgl 2,10: „Die Ältesten der Tochter Zion sitzen auf der Erde und sind still, sie werfen Staub auf ihre Häupter und haben den Sack angezogen. Die Jungfrauen von Jerusalem senken ihre Köpfe zur Erde.“

Abb. 10: Gebetshaltungen (Kalkstein; Neues Reich 1550–1070 v. Chr.)

b) Das „gesenkte Haupt eines anderen zu erheben“, bedeutet, dessen Demütigung/Minderung zu beenden und ihn wieder zu Ehren zu bringen. Josef sagt zu dem Mundschenk: „Nach drei Tagen wird der Pharao dein Haupt erheben und dich wieder in dein Amt setzen“ (Gen 40,13); ähnlich sagt der Psalmist „Aber du, Jahwe, bist der Schild für mich, du bist meine Ehre und erhebst meinen Kopf / mein Haupt.“ (Ps 3,4).

Abb. 11: König Jehu von Israel unterwirft sich dem assyrischen König Salmanassar III. (858–823 v. Chr.; Schwarzer Obelisk aus Kalchu) © 2016, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783788730628 — ISBN E-Book: 9783788730635

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c) „Kopfschütteln“ hat im Alten Testament einen anderen Sinn als in der Neuzeit: Wie z.B. Ps 22,8 „Alle, die mich sehen, verspotten mich, sperren das Maul auf und schütteln den Kopf“ zeigt (vgl. 2Kön 19,21; Ps 109,25), ist es nicht so sehr eine Geste der Verwunderung oder Ablehnung, sondern des Hohns, der Verachtung und Ausstoßung. d) Weitere Gesten. Neben dem Senken des Kopfes als Zeichen der Trauer (s.o.) stehen ähnliche mit Trauer und Demütigung verbundene Gesten bzw. Handlungen, in deren Zentrum der Kopf steht: „sein Haupt verhüllen“ (2Sam 15,30; Jer 14,4) und „Sand, Asche o.ä. auf sein Haupt streuen“ (Ez 27,30) 1.4

Der Kopf Gottes

In Jes 59,17 und Ps 60,9 par. Ps 108,9 sowie im Rahmen einer Vision in Dan 7,9 wird auch das Haupt Gottes erwähnt. Diese Stellen scheinen zwar isoliert im Alten Testament, weil sonst keine weiteren Erwähnungen des Kopfes Gottes vorkommen; sachlich ist jedoch bei den zahlreichen Erwähnungen des Gesichts, der Augen, der Ohren, des Mundes Jahwes durchaus davon auszugehen, dass die anthropomorphen Vorstellungen auch den Kopf einschließen. Die geringe Belegzahl dürfte dadurch zu erklären sein, dass etwa die gestischen Bedeutungen soziale Rangstellungen voraussetzen, von denen Gott ausgenommen ist. Ebenso klar ist, dass man Gott nicht „pro Kopf“ zählen kann, dass sein Kopf nicht abgeschlagen werden kann usw. Die „spätere Apokalyptik kennt die Schau des Hauptes Gottes seitens des in den Himmel Entrückten (1Hen 71,10; vgl. Apk 1,14)“.1 2.

Arm

2.1 Körperteil des Menschen 2.1.1

Begrifflichkeit

Die Bedeutung des hebräischen Wortes zerôa‘ deckt sich weitgehend mit der Bedeutung des deutschen Wortes „Arm“. Dabei ist Arm im 1 Müller, Hans Peter, Art. Kopf, in: THAT II, München 31984, 711. Vgl. auch 701–715. © 2016, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783788730628 — ISBN E-Book: 9783788730635

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Zentrale Körperteile: Kopf, Arm, Hand

Hebräischen von yād „Hand“ zu unterscheiden, da es für „Hand“ eigene Wörter gibt (anders als in anderen semitischen Sprachen bzw. Sprachstufen und anders als bei Fuß/Bein im Hebräischen). Während bei der Hand zwischen yād „Hand“ und yāmîn „rechte Hand“ unterschieden werden kann, hat das Hebräische für den rechten bzw. linken Arm kein eigenes Lexem. 2.1.2 Körperaspekt Mit dem Körperteil Arm werden mannigfache Bewegungen ausgeführt. Ps 18,35 beschreibt das Bogenschießen, Jes 17,5 verweist auf den Schnitter, der die Halme fasst und mit seinem Arm die Ähren schneidet; in Jes 44,12 ist die Arbeit des Schmieds beschrieben, der ein Messer in der Glut macht und es mit Hammerschlägen formt und daran mit der ganzen Kraft seines Arms arbeitet. Diese Tätigkeiten, die mit dem Arm verbunden sind, führen zur Anschauung, dass der Arm Ort der Kraft ist (vgl. Hi 26,2). Am Arm kann Schmuck getragen werden, wie etwa 2Sam 1,10; Hhld 8,6 zeigen. Man kann fragen, ob dieses Tragen von Schmuck nicht nur soziale (Hoheitszeichen von Männern; Zeichen für sozialen Status) und ästhetische Funktionen sowie Amulettfunktionen (jeweils bei beiden Geschlechtern) hat, sondern auch die Kraft des Arms unterstützen soll. Hi 31,22 „ … so falle meine Schulter vom Nacken und mein Arm breche aus dem Gelenk“ deutet anatomisches Grundwissen über den Arm an, der im Schultergelenk verankert ist.

Abb. 12: Metallene Armreifen (neuassyrisches Relief)

2.1.3

Gestische Bedeutungen

Wie bei anderen Körperteilen werden auch beim Arm gestische Bedeutungen in Sprache wiedergegeben:

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a) Machtgeste. Der ausgestreckte Arm ist ein Zeichen von Mächtigkeit. Als „Machtzeichen“ des Pharao kommt dieses Motiv vor allem auf ägyptischen oder von Ägypten beeinflussten Darstellungen vor. Ez 30,21 setzt diesen Motivzusammenhang voraus, stellt Jahwes Macht über die des Pharao und führt diese Aussage bildlich aus, indem der Arm des Pharao von Jahwe zerbrochen wird: „Du Menschenkind, ich habe den Arm des Pharao, des Königs von Ägypten, zerbrochen, und siehe, er ist nicht verbunden worden, dass er wieder heilen könnte, auch nicht mit Binden umwickelt, dass er wieder stark würde …“.

Im Alten Testament ist der machtvolle Arm Gottes ein häufig gebrauchtes Motiv (s.u.), während der starke Arm von Königen – außer in Zusammenhängen wie Ez 30,21 – nicht vorkommt. „Zu gewissen Zeiten wurde dieses Motiv auch in Palästina gerne in Amulette eingeritzt, die den Träger oder die Trägerin der schlagenden Kraft göttlicher Macht versicherten. Nur so – aber nie als Symbol menschlicher Stärke – fand dieses Motiv auch Eingang in die Bibel.“2

Abb. 13: Der Reichsgott Amun (rechts) präsent. tiert dem Pharao (links) das Siegesschwert, der Pharao erschlägt einen Gefangenen, wohl vor dem Gott, der ihm den Sieg verliehen hat (Skarabäus; Bet-Schean; 13. Jh.)

b) Schutzgeste. Jemand/etwas „in die Arme zu nehmen“ ist eine Geste des Schutzes, der Geborgenheit, der Intimität. Nach Jes 40,11 sammelt der Hirte die Lämmer in seinen Arm, um sie zu schützen; in 1Kön 1,2 liegt eine Frau in den Armen eines Mannes: „Da sprachen seine Großen zu ihm: Man suche unserm Herrn, dem König, eine Jungfrau, die vor dem König stehe und ihn umsorge und in seinen Armen schlafe und unsern Herrn, den König, wärme.“

2 Schroer, Silvia / Staubli, Thomas, Die Körpersymbolik der Bibel, Darmstadt 2 2005 (11998), 137. © 2016, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783788730628 — ISBN E-Book: 9783788730635

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c) Gebetsgeste. Zum erhobenen Arm, vor allem dem erhobenen Unterarm, als Gebetsgeste vgl. Abschnitt 3.1.1. 2.2

Funktionale und übertragene Bedeutungen

Aus dem Bedeutungsfeld der Macht und Machtausübung, die mit dem Arm verbunden ist, entwickeln sich mehrere Wendungen und Ausdrücke, die stark auf die funktionale Bedeutung bezogen sind: a) Ein „Mann des Arms“ ist ein mächtiger Mann, kurz: ein Mächtiger, wie Hi 22,8 zeigt: „Dem Mächtigen (’îš zeroa‘ „Mann des Arms“) gehört das Land, und sein Günstling darf darin wohnen.“ b) Jer 17,5 ist ohne Grundkenntnisse alttestamentlicher Anthropologie kaum zu verstehen: „So spricht Jahwe: Verflucht ist der Mann, der sich auf Menschen verlässt und Fleisch für seinen Arm hält (d.h. der Fleisch für machtvoll hält) und weicht mit seinem Herzen ab von Jahwe.“ Mit „Fleisch“ (bāśār) wird im Hebräischen der Mensch unter dem Aspekt seiner Vergänglichkeit bezeichnet; alle Lebewesen haben „Fleisch“, nur auf Gott wird dieser Begriff nie angewandt, da Gott nicht vergänglich ist. Mit Arm ist die Macht gemeint, die mit dem Arm ausgeübt werden kann. In Jer 17,5 wird also derjenige verflucht, der sich auf den vergänglichen Menschen verlässt und die vergängliche menschliche Macht und Kraft über die unvergängliche Gottes stellt. Frei übersetzt müsste man die Wendung so wiedergeben: „Verflucht ist der Mann, der sich auf Menschen verlässt und sich selbst für stark hält, der nur auf sich selbst vertraut und mit seinem Herzen (= seiner Denkfähigkeit) von Jahwe abweicht.“ c) In Jer 48,25 könnte man „Arm“ am besten mit Macht/Kampfkraft wiedergeben (ähnlich Ps 83,6 „Arm“ Assurs). Das Bild vom Arm ist hier nicht konkret aufzufassen, weil ein Volk natürlich in strikt körperlichem Sinne keinen Arm haben kann. Die funktionale Bedeutung ist aber ohne Weiteres verständlich. 2.3

Arm/Arme Gottes

Sowohl von den gestischen wie auch von den funktionalen Bedeutungen her erschließen sich die Belege, in denen vom Arm bzw. den Armen Gottes die Rede ist: mit den Wendungen, die auf den Arm Gottes rekurrieren, wird die Macht und die Schutzleistung Gottes © 2016, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783788730628 — ISBN E-Book: 9783788730635

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zum Ausdruck gebracht. Aussagen über den Arm Jahwes/Gottes zeigen, was Gott an den Menschen und der Welt getan hat und tut; sie gehören mit den Aussagen über Hand/Hände und Fuß/Füße Gottes zu einem theologischen Sprach- und Bildkonzept über Gott, das die Erfahrungen des Handelns Gottes in der Welt auf dem Vorstellungshintergrund alttestamentlich-altorientalischer Körperaussagen und alttestamentlich anthropomorpher Redeweise kommunizierbar macht. Die größte Bedeutung nimmt der Arm Jahwes im Kontext der Bewahrungs- und Schutzleistung für sein Volk Israel ein. Die Wendung „mit starker/mächtiger Hand und ausgestrecktem Arm“ findet sich im Deuteronomium (Dtn 4,34; Dtn 5,15; Dtn 7,19; Dtn 11,2; Dtn 26,8) und davon beeinflussten Texten (Jer 32,21; Ps 136,12) und bezieht sich immer auf die Herausführung aus Ägypten: „Und [Du, Jahwe] hast dein Volk Israel aus Ägypten geführt durch Zeichen und Wunder, mit mächtiger Hand, mit ausgerecktem Arm und mit großem Schrecken.“ (Jer 32,21). Den Arm zum Kampf erhebt Jahwe auch, um die Chaosmächte einzudämmen und zu besiegen: „Du hast zerschlagen Rahab [einen der Chaosdrachen] wie einen Getöteten mit deinem starken Arm.“ (Ps 89,11). Der Arm Gottes kann dabei parallel mit Formulierungen zur Hand Gottes stehen: „Du hast einen gewaltigen Arm, stark ist deine Hand, und hoch/erhaben ist deine Rechte.“ (Ps 89,14; vgl. Jes 51,9). Der Kampf gegen die Chaosmächte ist nach außeralttestamentlichen Vorstellungen mit Welt- und Menschenschöpfung verbunden. Dieser Bezug ist auch im Alten Testament präsent. Im Alten Testament kann der Chaoskampf auf die einmalige Schöpfungstat Gottes (Creatio) bezogen oder als anhaltender Kampf gegen das immer bedrohlich bleibende Chaos (Gubernatio) verstanden werden. Der Kampf gegen die Chaosmächte ist damit Teil des fürsorgenden Handelns Gottes; Gott schaffte dadurch sowohl die Welt wie auch Ordnung in der Welt, wodurch der Mensch und alle Lebewesen erst leben können, und Gott erhält diese Lebensmöglichkeit. Das Schöpfungswerk Gottes wird zuweilen auch unter Absehung der Chaoskampfthematik als Werk seines Arms verstanden: „Du hast Himmel und Erde gemacht durch deine große Kraft und durch deinen ausgereckten Arm.“ (Jer 32,17). Die „Kampfleistungen“ zeigen, dass es ein „großer/mächtiger Arm“ ist, den Jahwe besitzt (Ex 15,16; Ps 79,11; Ps 89,11.14). Mit der „Kampfgeste“ wird Jahwe als Krieger gezeichnet (vgl. bes. Ex 15) – eine Vorstellung, die wohl in frühe Bereiche der Jahweverehrung zurückreichen kann, aber bis in späte Zeit lebendig bleibt. © 2016, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783788730628 — ISBN E-Book: 9783788730635

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Der Arm Jahwes, der Gottes Handlungsmöglichkeiten für den Menschen anschaulich vor Augen führt, ist ebenso notwendig, um Recht zu verschaffen (Jes 51,5). Bei individuellen Hilfeanliegen etwa der Beter in den Psalmen spielt der Arm Jahwes keine Rolle. Mit wenigen Ausnahmen (Beistand für David Ps 89,22) sind mit dem Arm Jahwes vor allem kollektive Hilfeleistungen verbunden. Die Entblößung des Armes – das „Innere“ ist aufgedeckt – macht ihn, vor allem für fremde Völker, deutlicher sichtbar und begreifbar (Jes 52,10). In Jes 51,9 wird der Arm wie eine Person angesprochen: „Wach auf, wach auf, zieh Macht an, du Arm Jahwes!“ In Jes 63,12 heißt es, dass Jahwe seinen herrlichen Arm zur Rechten des Mose gehen lies. Erscheint hier der Arm als eine Art Hypostase Jahwes? Es werden nur wenige weitere Gesten/Funktionen der Arme Jahwes thematisiert: Wie der Hirte die Lämmer (s.o.) sammelt Gott die Menschen in seinen Arm (Jes 40,11). Schwer zu deuten ist Dtn 33,27: „Eine Wohnung (ist) der Gott der Urzeit, und unter [dir?] (sind) ewige Arme. Und er vertreibt vor dir (den) Feind und spricht: Vernichte!“ 3.

Hand

3.1 Körperteil des Menschen Das Hebräische besitzt mehrere Bezeichnungen für Hand: yād „Hand“, kaf „Hand/Handfläche“, yāmîn „rechte Hand“, weniger häufig finden sich auch śemo’l „linke Hand“ u.a. Alle diese Lexeme dienen zur Beschreibung eines bestimmten Aspektes des Körperteils „Hand“. Die Wahrnehmung der Hand als Körperteil, mit dem entsprechende „Handlungen“ zu verrichten sind, deckt sich mit heutigem Verständnis und Gebrauch. Mit der Hand kann der Mensch greifen, Gesten ausführen, essen u.ä.: „Der Faule steckt seine Hand in die Schüssel, und es wird ihm sauer, sie zum Munde zurückzuführen.“ (Spr 26,15). Da es im Hebräischen kein Wort für Penis gibt, übernehmen andere Wörter diese Bezeichnungsleistung, etwa: Lenden, Bauch, Fleisch u.a.; zu diesen Begriffen gehört auch „Hand“ (vgl. Hhld 5,4). 3.1.1 In das Bedeutungsspektrum aller Begriffe von „Hand“ sind etliche gestische Bedeutungsaspekte eingeflossen. Im Folgenden sind © 2016, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783788730628 — ISBN E-Book: 9783788730635

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einige der wesentlichen Gesten wiedergegeben. Wichtig ist zu erkennen, dass Gesten nicht alle und automatisch „überzeitlich“ und „überkulturell“ gültig sind; manche der im Alten Testament üblichen Gesten können unmittelbar nachvollzogen werden, einige nicht. Abb. 14: Zwei Könige besiegeln eine Abmachung per Handschlag (Kalksteinrelief aus dem Thronsaal Salmanassars II.; 858–824 v. Chr.)

a) Die Hand auf etwas geben (Besiegelung/Gültigkeit): 2Kön 10,15f. „Als er [Jehu] von dort wegging, da traf er Jonadab, den Sohn Rechabs, der ihm entgegenkam. Und er segnete ihn und sprach zu ihm: Ist dein Herz aufrichtig wie mein Herz gegenüber deinem Herz? Da sprach Jonadab: Ja. Wenn es so ist, dann gib mir deine Hand! Und er [Jonadab] gab ihm seine Hand. Und Jehu ließ ihn zu sich auf den Wagen steigen und sprach: Geh mit mir und sieh meinen Eifer für Jahwe! Und er ließ ihn mit sich fahren auf seinem Wagen.“

Dieser Gestus, vermutlich beim Abschluss eines Vertrages o.ä. eingesetzt, ist auch auf einer zeitgenössischen Abbildung aus Nimrud (Irak) auf einem Kalksteinrelief aus dem Thronsaal Salmanassars II. (858–824 v. Chr.; siehe Abb. 14) zu sehen: Der assyrische König besiegelt hier eine Abmachung per Handschlag (jeweils mit der rechten Hand) mit einem anderen König. b) In die Hände klatschen (Freude u.a.): In Ez 25,6 sagt Jahwe zu den Ammonitern: „Wegen deines Hände-Klatschens und Mit-denFüssen-Stampfens und (weil) du dich mit größter Verachtung über das Land Israels gefreut hast.“ (ähnlich, allerdings mit Personifizierung bzw. „Anthropomorphisierung“ der Bäume Jes 55,12). In Ez 25,6 ist zu beobachten, dass das in die Hände klatschen auch auf alttestamentlichem Hintergrund mit Freude verbunden wird (es steht in einer Reihe mit dem Verb śmḥ „freuen“) – auch wenn das Klatschen der Ammoniter aus Freude hier aus der Perspektive Jahwes © 2016, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783788730628 — ISBN E-Book: 9783788730635

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negativ beurteilt wird (vgl. Jes 55,12). Diese gestische Bedeutung können wir unmittelbar nachvollziehen. Nicht in gleicher Weise verständlich sind andere mit dem Klatschen verbundene Bedeutungen: Das „Unheil abwendende (= apotropäische) Klatschen“, etwa um nicht in einen Fluch hineingezogen zu werden, wenn der Verfluchte anwesend ist (Hi 27,23) oder das „vertreibende Klatschen“, zu dem Ezechiel aufgefordert wird, wobei sich das Vertreiben auf die „schlimmen Gräuel Israels“ richtet. c) Hände zum Gebet erheben: Ps 44,21f. „Wenn wir den Namen unsres Gottes vergessen hätten und unsre Hände ausgestreckt hätten zum fremden Gott: wäre es nicht so: Gott würde dies erforschen? Fürwahr, er kennt die verborgenen Dinge/Geheimnisse des Herzens.“

Sicher will Ps 44,21 die Hinwendung zu einem fremden Gott im Gebet anprangern; der Psalm greift dabei auf die für das Alte Testament und den Alten Orient typische Gebetsgeste zurück: Die Hände sind erhoben zum Gebet, nicht zusammengelegt oder gefaltet. Auch wenn hier die Hände mangels Detailgenauigkeit nicht wiedergegeben sind, bleibt der Gestus – an dem körperlich gesehen auch der Arm beteiligt ist, der wiederum bei der Ver– sprachlichung der Geste nicht erwähnt wird – doch klar erkennbar.

Abb. 15: Hände zum Gebet erhoben (Graffiti auf Pithos B aus Kuntillet ‘Aǧrūd; 8. Jh. v. Chr.)

d) Hände zum Schwur erheben: Gen 14,22f. „Da sprach Abram zu dem König von Sodom: ‚Ich erhebe (hiermit) meine Hand zu Jahwe, El Eljon, der sich Himmel und Erde erworben hat: Nichts vom Faden bis zum Schnürriemen will ich nehmen, nichts von dem, was dir gehört.’“3

3

Vergleiche auch Dtn 17,7; Dtn 32,40; Ez 36,7; Ps 106,26. © 2016, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783788730628 — ISBN E-Book: 9783788730635

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e) Hände zum Schwur an das Geschlecht des Partners legen: Gen 24,1–4 „Abraham war alt und in die (Tage=) Jahre gekommen, und Jahwe hatte ihn gesegnet in allem. Und Abraham sprach zum ältesten Knecht seines Hauses, der alles verwaltete, was ihm gehörte: Lege deine Hand unter meine Hüfte und schwöre mir bei Jahwe, dem Gott des Himmels und dem Gott der Erde, dass du meinem Sohn keine Frau nimmst von den Töchtern der Kanaaniter, unter denen ich wohne, sondern dass du gehst in mein Land und zu meiner Verwandtschaft und (dort) meinem Sohn Isaak eine Frau nimmst.“ Abb. 16: Hände zum Schwur am Geschlecht des Partners (Stempelsiegel)

Schroer/Staubli haben sicher zu recht vermutet, dass „hinter dieser archaischen Sitte […] die Vorstellung stehen [mag], dass der Eidleistende bei seiner Manneskraft schwört, die verdorren soll, wenn er den Eid bricht“.4 Auch dieser Gestus ist bildlich belegt. f) Hände zum Segnen auflegen: Gen 48,14f. „Da streckte Israel seine rechte Hand aus und legte sie auf den Kopf Ephraims, der der Jüngere war, und seine linke auf den Kopf Manasses, er kreuzte seine Hände, fürwahr war Manasse der Erstgeborene. Und er segnete Josef und sprach […]“.

g) Weitere gestische Bedeutungen: Hände (und Füße) waschen als Zeichen der Reinheit (Ex 30,19); die Hand füllen als Gestus der Bezahlung und Einsetzung ins Priesteramt (Ri 17,5.12); Hand erheben bedeutet Sieg, Hand senken Niederlage (Ex 17,11); ähnlich Jer 38,4, wo die schlaffen Hände Zeichen der Schwäche sind; Handauflegen als Designationsgeste (Lev 3,2 ein Tier wird durch Handauflegen als Opfer designiert; Num 27,23 Designation eines Nachfolgers); Ergreifen bei der rechten Hand (Ps 63,9) als Ausdruck eines Vertrauensverhältnisses, wobei vorausgesetzt ist, dass der Zuständigkeitsbereich der rechten Hand positiv konnotiert ist; u.a.

4 Schroer, Silvia / Staubli, Thomas, Die Körpersymbolik der Bibel. Darmstadt 2 2005, 127. © 2016, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783788730628 — ISBN E-Book: 9783788730635

Zentrale Körperteile: Kopf, Arm, Hand

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3.1.2 Gestisch-funktionale, metaphorische und abstrakte Bedeutung der Hand Die Vielfalt der gestischen Bedeutung der Hand ist groß. Viele der gestischen Bedeutungen tendieren schon zu Abstraktbedeutungen hin. Die stärker abstrakten und funktionalen Bedeutungsaspekte sollen hier in einem eigenen Abschnitt thematisiert werden: a) Funktionale Bedeutungsfacette: „an der Hand halten“ im Sinne von „beschützen/umschließen/führen“, positiv „Macht über jemanden besitzen“: Ps 73,23 „Dennoch bleibe ich stets bei dir; denn du hältst mich bei meiner rechten Hand.“ Die rechte Hand/Seite weist auf die Ehrenseite. Die Betonung dieser rechten Seite drückt mehr aus, als nur das Geführtwerden mit der Hand. Es geht darum, ein „freundschaftlich-vertrauensvolles Verhältnis“ auszudrücken.5 b) Funktionale Bedeutungsfacette: „In der Hand sein von/in der Hand haben“ im Sinne von „in der Gewalt sein/haben“ bzw. „Macht ausüben“ begegnet in Ps 22,17.21 „Denn Hunde haben mich umgeben, eine Rotte der Bösen hat mich umringt […] 21 Errette mein Leben vor dem Schwert, mein Einziges aus der (Hand des Hundes=) aus der Hundegewalt!“ und in Dtn 2,24: „Hiermit gebe ich in deine Hand Sichon, den König von Heschbon den Amoriter, und sein Land.“ In Hi 2,6 sagt Jahwe zu Satan „Hiermit ist er in deiner Hand. Aber schone sein Leben!“ (vgl. 2Chr 12,5; Hi 1,12). Auf die eigene Macht, die Anmaßung der Selbstmächtigkeit, bezieht sich Ri 7,2, wo Israel von sich sagt: „meine Hand hat mir geholfen“ im Sinne von „ich habe mir selbst geholfen/es stand in meiner Macht, mir zu helfen“. Die Bedeutung „Macht ausüben“ kann sich soweit von der Körperteilbedeutung verselbständigen, dass in bestimmten Wortkombinationen nur noch die reine Funktionalbedeutung präsent ist: im Ausdruck „die Hand der Zunge“ Spr 18,21 ist sicher nicht eine Personifizierung bzw. Anthropomorphisierung der Zunge, sondern die Macht der Zunge gemeint (Tod und Leben stehen in der Zunge Macht). Ähnlich in Jos 8,20 „Und die Männer von Ai wandten sich um und sahen hinter sich und sahen den Rauch der Stadt aufsteigen gen Himmel und es gab für sie keine ‚Hände’ zum fliehen, hierhin und dorthin … .“ Gemeint ist hier sicher nicht das Körperteil Hand, auch

5

Schroer, S. / Staubli, Th., Die Körpersymbolik der Bibel, 181. © 2016, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783788730628 — ISBN E-Book: 9783788730635

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keine Geste, sondern die abstrakt-funktionale Bedeutung „Handlungsmöglichkeit“ oder „Kraft“ (vgl. Num 20,20).6 3.2

Die Hand im „Bild“

Die sprachlichen Beispiele für die Deutung von „Hand“ lassen sich durch die Information des Textumfeldes meist einigermaßen gut deuten. Schwieriger ist die Ausgangslage bei der Deutung von Bildern bzw. bildlichen Darstellungen von „Hand“. Wird in den Bildern nicht auf eine Geste abgehoben – Beispiele dafür s.o. –, dann ist die Abbildung einer Hand schwer zu deuten, obschon die solitär abgebildete Hand durchaus zur Darstellung kommt und damit fast alles, was mit dem Bedeutungsspektrum der „Hand“ ausgedrückt werden kann. Prominente Beispiele sind die Hand aus Chirbet el-Qōm und die Hände unter einem Sichelmond mit Scheibe auf einer Basaltstele aus Hazor.

Abb. 17: Darstellung einer Hand in Chirbet el-Qōm (8. Jh. v. Chr.).

Schroer plädiert für eine apotropäische Funktion der in Chirbet elQōm dargestellten Hand.7 Mittmann will sie als schützende Hand Gottes auffassen.8 Aus der Abbildung selbst bzw. dem benachbarten Text kann man keine klaren Hinweise auf eine bestimmte Deutung entnehmen. 6 Wolff, Hans Walter, Anthropologie des Alten Testaments, Gütersloh 1973 (72002), 108-109. 7 Schroer, Silvia, Zur Deutung der Hand unter der Grabinschrift von Chirbet el Qōm, UF 15 (1983), 191–199. 8 Mittmann, Siegfried, Das Symbol der Hand in der altorientalischen Ikonographie, in: R. Kieffer / J. Bergman (Hgg.), La main de Dieu (WUNT 94), Tübingen 1997, 19–48. © 2016, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783788730628 — ISBN E-Book: 9783788730635

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Abb. 18: Stele mit Händen in der Stelenreihe aus Hazor (Spätbronzezeit; 1500–1200 v. Chr.)

Sind auf der 46 cm hohen Steinstele aus Hazor betende Hände (wie in Ps 44,21, s.o.) zu sehen, wofür O. Keel plädiert?9 Oder haben die Hände hier eine andere Funktion? Spielt die Zweiheit eine Rolle? Wie ein hebräischer Terminus, der nicht stereotyp übersetzt werden kann, so ist auch das materiale oder mentale Bild einer Hand nicht stereotyp zu deuten. Wie in einem Vexierbild spielen oft verschiedene Bedeutungsaspekte zusammen. In den Bildern ist ebenso wie auch in den sprachlichen Belegen für „Hand“ – selbst bei dem körperhaften Bedeutungsaspekt – keinerlei Interesse an individueller Formgestaltung der Hand zu erkennen. 3.3

Die Hand Gottes

Sowohl die gestischen als auch die funktionalen Bedeutungen der bisher besprochenen Belege von „Hand“ öffnen den Zugang zu den Belegen, in denen von der Hand bzw. den Händen Gottes die Rede ist: mit entsprechenden Wendungen werden auch bei der Übertragung auf Gott sehr ähnliche Bedeutungen zum Ausdruck gebracht, wie im menschlichen Bereich. Unterschieden ist im Alten Testament die Wirkungsweise der Hände Gottes grundsätzlich dadurch, dass die 9 Keel, Othmar, Die Welt der altorientalischen Bildsymbolik und das Alte Testament. Am Beispiel der Psalmen, Göttingen 51996. © 2016, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783788730628 — ISBN E-Book: 9783788730635

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Handlungsmöglichkeiten Gottes weit über das hinausgehen, was als Handlungsmöglichkeit des Menschen angesehen wird. Wie die Hand des Menschen formend tätig sein kann, so auch die Hand/Hände Gottes. Allerdings kann sich diese Tätigkeit Gottes bis zur Ausformung der (gesamten) Schöpfung steigern: sie erscheint als „Werk seiner Hände“ (Ps 19,2), ähnlich Jes 45,12 „Ich habe die Erde gemacht und den Menschen auf ihr geschaffen. Ich – meine (beiden) Hände haben den Himmel ausgebreitet … .“ Parallel zum Gebrauch von Arm/Arme Gottes ist die Hand Gottes in Wendungen zu finden, die auf die Herausführung Israels aus Ägypten zielen: Die Wendung „mit starker/mächtiger Hand und ausgestrecktem Arm“ findet sich im Deuteronomium (Dtn 4,34; Dtn 5,15; Dtn 7,19; Dtn 11,2; Dtn 26,8) und den davon beeinflussten Texten und bezieht sich immer auf den Exodus: Jer 32,21 „Und du [Jahwe] hast dein Volk Israel aus Ägypten geführt durch Zeichen und Wunder, mit mächtiger Hand, mit ausgerecktem Arm und mit großem Schrecken.“ (vgl. Ps 136,12). Außerhalb dieser Wendung kann die Hand Gottes auch alleine, ohne die Kombination mit Arm, für die große Rettungstat Jahwes verwendet werden: „Des Pharao Wagen und seine Macht warf er ins Meer … Jahwe, deine rechte Hand tut große Wunder; Jahwe, deine rechte Hand hat die Feinde zerschlagen.“ (Ex 15,4–6). Wie beim Arm wird auf die Hand Gottes auch im Kontext des Chaoskampfes rekurriert: „Du hast zerschlagen Rahab [einen der Chaosdrachen] wie einen Getöteten mit deinem starken Arm … Du hast einen gewaltigen Arm, stark ist deine Hand, und hoch/erhaben ist deine Rechte.“ (Ps 89,11–14). Dieser Gebrauch von Hand Gottes schließt an die Schöpfungsthematik an. Von der Hand Gottes kann auch im Zusammenhang mit Strafe (für Israel) die Rede sein, vgl. Jes 9,11.16 u.ö). Erfasst sein durch die Hand Gottes verleiht den Propheten besondere Kräfte (1Kön 18,46) oder versetzt sie in besondere Erkenntniszustände (Jes 8,11; Ez 3,14). Die Hand Gottes kann Schutz zum Ausdruck bringen, wenn sie etwa wie Jes 25,10 „auf dem Berg“ (Zion) ruht. Sie kann aber auch „einschließen“ wie die feindliche Macht eine Stadt einschließt (Ps 139,5).

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Zentrale Körperteile: Kopf, Arm, Hand

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Abb. 19: Gottes Hand (Wandfresko einer Synagoge in Dura-Europos; ca. 250 n. Chr.)

Auf einem Wandfresko einer Synagoge aus Dura-Europos sind die Hände Gottes auch bildlich belegt: Obwohl von der „linken Hand Gottes“ im Alten Testament nie die Rede ist, sind hier beide Hände zu sehen; vgl. auch Ps 119,83: „Deine (beiden) Hände haben mich gemacht […]“. Gemeinsam mit Aussagen über Arm/Arme und Fuß/Füße Jahwes/ Gottes bringen Formulierungen mit Hand/Händen Jahwes/Gottes zum Ausdruck, was Gott an den Menschen und der Welt getan hat und tut. Alle diese Aussagen gehören zu einem theologischen Sprach- bzw. Bildkonzept über Gott, das die Erfahrungen des Handelns Gottes in der Welt auf dem Vorstellungshintergrund alttestamentlich-altorientalischer Körperaussagen und der alttestamentlichen anthropomorphen Redeweise kommunizierbar macht.10

10 Vgl. Wagner, Andreas, Das synthetische Bedeutungsspektrum hebräischer Körperteilbezeichnungen, S. 71–82 in diesem Band [Erstveröffentlichung in: BZ 51 (2007), 257-265]. © 2016, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783788730628 — ISBN E-Book: 9783788730635

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Sinne

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Essen im Alten Testament – einige kulturanthropologische Überlegungen

1.

Eindrücke aus der christlich-europäischen Tradition

1.1

Essen gehört auf die Seite des Leibes, des Körpers

Wir können den Einstieg in das Thema von verschiedenen Seiten aus vornehmen. Eine Möglichkeit ist, beim gegenwärtigen „Körperkult“ anzusetzen, jedenfalls soweit wir uns im europäisch-amerikanischen Kontext bewegen. Dass der „Körper“ des Menschen in der Gegenwart weithin Vorstellungen und Handlungen mit Blick auf das jeweilige Selbst und den und die anderen bestimmt, liegt auf der Hand: a) Schönheit wird als eine Domäne des Körpers aufgefasst und bestimmt das Leben von Millionen von Menschen. Eine zentrale Rolle in diesem Zusammenhang spielt das Essen. Richtiges „Essen“ macht schöne Körper. Keine Zeit und Kultur war diätenversessener und nahrungsmittelbewusster als unsere – beides „Eigenschaften“ die in der Größenordnung milliardenschwerer industrieller Unternehmungen gesellschafts- und „marktrelevante“ Faktoren unsrer Lebenswelt darstellen. Damit sind wir also schon beim Essen. Sammeln wir aber zunächst noch einige weitere Gedanken: b) Gesundheit ist neben der Schönheit ein ähnlich besetzter Bereich, in der volkswirtschaftlichen Größenordnung vielleicht noch bedeutender als derjenige der Schönheit. Gesundes Essen macht auch gesunde Körper. c) Hochkonjunktur hat in Zeiten der Körperkultur auch alles, was dem Körper gut tut. Auch hier kommen wir sofort zum Essen. Die Spannbreite reicht von der Feinschmeckerkultur, über Slow Food und Fast Food bis zur Ernährungswissenschaft. Auch hier treffen wir sofort auf einen volkswirtschaftlich relevanten Faktor: Kochbücher © 2016, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783788730628 — ISBN E-Book: 9783788730635

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Essen im Alten Testament – einige kultur-anthropologische Überlegungen

sind – jedenfalls in Deutschland – die meistverkaufte Büchersorte, völlig konjunkturunabhängig. Neben diesen Überbetonungen des Körpers stehen diejenigen Traditionen und Verhaltensweisen, die – uns ebenfalls vertraut und nicht fremd –, den Körper in seiner Bedeutung abwerten, ihn nicht ernst nehmen, ihn als den schlechteren und bedeutungsloseren Teil des Menschen ansehen, oder die körperliche Schädigungen aus Unachtsamkeit in Kauf nehmen. Diesen kulturellen Faktor treffen wir sowohl im Bereich der christlichen Tradition wie auch dem nichtchristlichten Teil unserer Kultur an: Körpervergessenheit, Ausbeutung, Stress, berufsbedingte Krankheiten, körperliche Burnout-Syndrome usw. sind wiederum volkswirtschaftlich relevante Faktoren in unserer Gesellschaft, und das nicht nur in der Arbeitswelt. Daneben stehen asketische Traditionen, auf die ich gleich zu sprechen komme, die sich, wenn wir Max Weber glauben wollen, in der Moderne von der Religion abgelöst haben und ein inzwischen körperzerstörendes Eigenleben führen. Dazu gibt es dann wiederum „Gegenbewegungen“, die auf die vorhin genannten körperzentrierten Ideale zurückgreifen oder versuchen, Körper und Seele, Körper und Geist auszubalancieren. In diesem Zusammenhang ist mir die Renaissance der Hildegard von Bingen besonders präsent. Hildegard war durch eine außerordentliche Körperzugewandtheit gekennzeichnet. Ihre Lebensregeln entfalten heute wieder große Anziehungskraft. Dabei ist bei den meisten „Gegenbewegungen“ – anders als bei Hildegard – keineswegs immer der nicht-körperliche Teil des Menschen im Blick. Zwar sagt der Volksmund, Essen hält Leib und Seele zusammen, und viele Angebote aus dem Bereich Nahrung und Genussmittel schreiben sich das auf ihre Fahnen. Aber der Aspekt des Nicht-Körperlichen bleibt dann doch meist im Irdisch-Profanen und geht in Wellness, Rekreation, Genuss u.ä. auf. Im genusssüchtigen Workaholic kreuzen sich all diese Strömungen, und bevor wir in Kulturpessimismus verfallen und dem oder der Workaholic bei der körperlichen Midlife-Crisis zuschauen, wenden wir uns lieber der Herkunft dieser Körperauffassung und der damit verbundenen Essensauffassung zu.

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Essen im Alten Testament – einige kultur-anthropologische Überlegungen

1.2

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Prägung durch antike und christliche Vorstellungen

Es ist eine Erklärung für manche körperfeindliche – und letztlich auch körperbetonte – Tendenzen der Gegenwart, auf die christliche Tradition zurückzublicken. Die vom Christentum geprägte leibfeindliche Linie in der europäisch-abendländischen Kultur zu verfolgen wäre auch ohne Zusammenhang mit dem am Anfang skizzierten Körperkult ein weiterer möglicher Einstieg in unser Thema. a) Wir können hier ansetzen (nach katholischer Tradition) bei den „evangelischen Räten“ – evangelisch im Sinne von evangeliumsgemäß; Räte als Plural von Rat, Ratschlag. Die Räte lauten: Armut, Ehelosigkeit, Gehorsam, Ratschläge, die Jesus denen gegeben haben soll, die er für berufen hielt. Und zur Armut gehört Beschränkung beim Essen. b) Bestimmte Traditionen berufen sich auch immer wieder auf Johannes den Täufer, der als Vorbild für Nahrungsaskese gilt. c) Es ist hinzuweisen auf die Montanisten mit ihrem Hang zum Fasten, denen sich – nicht nur in dieser Hinsicht – auch Tertullian anschloss. d) Berüchtigt ist das Körperverständnis von Origenes. Er lebte in strenger Askese. Diese ging so weit, dass er Matthäus 19,12 buchstäblich Folge leistete und sich entmannte. In späteren Jahren beurteilte er seine extreme Tat zwar anders, aber leibfreundlich ist er nie mehr geworden. Kennzeichnend bei Origenes ist seine Prägung durch platonische Ideen. Aufgenommen hat er etwa die Lehre, dass jene Seele, die zur Erkenntnis des höchsten Grundes in der Lage ist, aber gefangen im Körper in dieser Welt, nach dem Tod in den göttlichen Bereich steigt, nachdem sie zuvor durch das Feuer gereinigt worden ist. Doch gibt es auch gnostische Einflüsse, gerade in der Anthropologie: ein solches Erbe ist die Dreiteilung des Menschen in Körper (soma), Seele (psyche) und Geist (pneuma). Seele und Geist seien beim Menschen präexistent, d.h. schon vor der Geburt seiend. e) Das Mönchtum sorgte für größte Verbreitung auch der asketischen Ideale auf dem Boden einer antinomischen Geist / Seele-Körper-Anthropologie: Ende des 3. Jh. n. Chr. in Ägypten beginnend, von Antonius und Pachomius angestoßen, findet die Bewegung in © 2016, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783788730628 — ISBN E-Book: 9783788730635

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Essen im Alten Testament – einige kultur-anthropologische Überlegungen

Basilius von Caesarea (* um 330; † 1. Januar 379) eine führenden Kopf. Basilius lebt Zeit seines Lebens asketisch; verzichtet vollständig auf Fleisch. Benedikt von Nursia (* um 480; † 21. März 547) verfasst die bis heute bestimmende Mönchsregel. Grundsätze dabei beziehen sich auch auf das Essen: Geboten ist eine einfache Ernährung. Auf das Fleisch vierfüßiger Tiere wird verzichtet; maximal eine gekochte Hauptmahlzeit am Tag; Beschränkung des Weinkonsums. Alle die mönchischen Ideale werden mit der Verbreitung des Mönchtums in ganz Europa bekannt gemacht und gingen ein in den Vorstellungskomplex der europäischen Kultur zu „Mensch“ und „Essen“. Diese Auffassungen sind natürlich nicht beschränkt auf das Mönchtum oder den katholischen Bereich. Um eine besonders markante protestantische Facette verweisen, sei auf eine kennzeichnende Aussage des Pietismus verwiesen: Gerhard Tersteegen: Wir entsagen willig Allen Eitelkeiten, Aller Erdenlust und Freuden.1

1.3

Erste Zusammenfassung

a) Ausgangspunkt waren Beobachtungen, die das grundsätzliche Verhältnis von Essen und Körper betreffen. Dabei kann man entweder von der Überbetonung des Körpers ausgehen oder von seiner Abwertung. In beiden Fällen steht das Essen, stehen Nahrungsaufnahme und Nahrungsmittel auf der Seite des Körperlichen, dem Geist und der Seele gegenüber. b) Auf dem Hintergrund der christlichen Tradition hat sich als anthropologische Grundanschauung verbreitet, dass der Mensch als Zweiheit oder Dreiheit gesehen wird. Die wichtigsten, bis in die griechische Antike zurückzuverfolgenden Modelle sind dabei: das dichotome (Körper und Geist oder Seele) oder das trichotome Modell (Körper, Geist und Seele). c) Aus antik-christlicher Tradition stammt die negative Bewertung des Körpers als irdisch-materielle Hülle. Alles, was mit dieser Hülle 1 Aus: Tersteegen, G., Geistliches Blumengärtlein inniger Seelen; oder Kurze Schlußreimen, Betrachtungen und Lieder über allerhand Wahrheiten des inwendigen Christenthums: zur Erweckung, Stärkung und Erquickung in dem verborgenen Leben mit Christo in Gott; nebst der Frommen Lotterie, Frankfurt 1729. © 2016, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783788730628 — ISBN E-Book: 9783788730635

Essen im Alten Testament – einige kultur-anthropologische Überlegungen

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in Verbindung steht, kann entsprechend negativ betrachtet werden, so auch das Essen. Essensverzicht oder -beschränkung kann als Mittel zu einer reineren, klareren Erkenntnis der nicht-körperlichen Dimension des Menschen dienen, vor allem in religiöser Hinsicht. 2.

Alttestamentliche anthropologische Grundlagen

Die bisherige anthropologische Forschung zum Alten Testament hat sehr stark die expliziten Aussagen herangezogen, die direkt vom Menschen handeln. Wesentliche Einsichten, die auf diesem Weg erzielt wurden, betreffen die sog. anthropologischen Grundbegriffe: a) bāśār „Fleisch“ (Aspekt des körperlich-vergänglichen Anteils an Mensch und Tier, wird nie von Gott ausgesagt) b) lēb „Herz“, besonders Sitz des Verstandes (Aspekt der Rationalität) c) næfæš „Leben, Gier, Kehle“ (Aspekt des Lebens, der Lebendigkeit) d) ruaḥ „Wind, Geist, Kraft, Vitalität“ (Aspekt der letztlich von außen kommenden Vitalität). Diese Reihe ist zu vermehren um weitere „Stellvertreterausdrücke“ für den Menschen, wie sie sich z.B. in Ri 7,2 finden: „Israel könnte sich rühmen wider mich und sagen: Meine Hand hat mich errettet“, d.h.: ich habe mich selbst (aus eigener Kraft) gerettet. Solche auf ein Körperteil oder ein inneres Organ bezogenen Ausdrücke sind zahlreich, stehen ebenfalls für den ganzen Menschen und geben einen bestimmten Aspekt an, unter dem er gesehen werden soll: e) Fuß (Aspekt der Präsenz, Kraft und Macht): Ps 94,18 „Wenn ich sprach: Mein Fuß ist gestrauchelt, so hielt mich, Jahwe, deine Gnade.“ f) Auge (Aspekt des Sehens und Erkennens): Ps 92,12 „Mit Freude sieht mein Auge auf meine Feinde herab und hört mein Ohr von den Boshaften, die sich gegen mich erheben.“

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g) Ohr (Aspekt des Hörens und Begreifens), u.a. Der Mensch kann nach dem Alten Testament als Ganzes unter dem jeweiligen Aspekt gesehen werden, den ein anthropologischer Begriff oder ein Körperteil zum Ausdruck bringt. Die alttestamentliche Anschauung zum Menschen verzichtet darauf, alle diese Aspekte in ein System zusammenzubinden. Sie stehen vielmehr additiv-parataktisch nebeneinander, ohne in ein „System“ Mensch integriert zu sein. Es liegt auf der Hand, dass sich auch in dieser Vielfalt keine Hierarchisierung und schon gar keine Dichotomie, Trichotomie oder Polytomie herauslesen lässt. Eine Reduktion des Menschen auf einen oder wenige Aspekte ist dem AT also fremd. Wäre der Mensch nur auf das Körperliche, nur auf das Geistige, nur auf den Intellekt, nur auf das Gefühl, nur auf die Vergänglichkeit, nur auf das, was er von Gott hat, nur auf das Handeln, nur auf das Sprechen usw. reduziert, dann fehlten ihm die anderen ausbalancierenden Aspekte. So ist dem AT auch eine Abwertung einzelner Aspekte, etwa des körperlich-fleischlichen, bāśār, gegenüber ruaḥ oder næfæš fremd. Zwar wird gesagt, dass das bāśār vergänglich ist, aber nirgendwo findet sich die Anschauung, dass ruaḥ oder næfæš höherwertig sind, dass man das bāśār nicht zu achten hat u.ä. Eine klare Zuordnung des Essens (im Sinne der Nahrungsaufnahme) etwa zu bāśār ist nur schwer festzustellen. Es lassen sich etwa klare Bezüge zwischen ruaḥ (!) und Essen beobachten: Wie ein Aufatmen, verbunden mit Belebung und Rückkehr der Vitalität, wirkt auf die ruaḥ die Stärkung durch essen: 1Sam 30,12 [...] und sie gaben ihm ein Stück Feigenkuchen und zwei getrocknete Weintrauben. Da aß er und seine ruaḥ kehrte zu ihm/auf ihn zurück, denn er hatte drei Tage und drei Nächte nichts gegessen und getrunken.

Das Fazit für diesen zweiten Abschnitt enthält auch meine Hauptthese für die Betrachtung des Essens im AT: Das Grundverhältnis zwischen Mensch und Essen ist aufgrund der alttestamentlichen Anthropologie ein anderes, als ich es vorhin mit Blick auf die europäischabendländische Kultur skizziert habe. Essen korrespondiert im AT mit den verschiedensten Aspekten des Menschen. Und Essen (und Trinken) wird nicht als zum Leib, zum Materiellen, zum Irdischen gerechnet und abgewertet.

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Von diesem anthropologischen Grundverständnis ausgehend will ich nun im AT einige Sachverhalte besprechen, die mit dem Vorgang des Essens, die mit Essen als Nahrung zu tun haben: 3. 3.1

Essen im AT Speiseverbote

Was einem vielleicht im AT zunächst zum Essen einfällt, sind Speiseverbote. Vorschriften und Bestimmungen, die die Auswahl der Nahrungsmittel betreffen, wie Lev 11,1–8 Und Jahwe redete mit Mose und Aaron und sprach zu ihnen: 2 Redet mit den Israeliten und sprecht: Dies sind die Tiere, die ihr essen dürft unter allen Tieren auf dem Lande. 3 Alles, was gespaltene Klauen hat, ganz durchgespalten, und wiederkäut unter den Tieren, das dürft ihr essen. 4 Nur diese dürft ihr nicht essen von dem, was wiederkäut und gespaltene Klauen hat: das Kamel, denn es ist zwar ein Wiederkäuer, hat aber keine durchgespaltenen Klauen, darum soll es euch unrein sein; 5 den Klippdachs, denn er ist zwar ein Wiederkäuer, hat aber keine durchgespaltenen Klauen; darum soll er euch unrein sein; 6 den Hasen, denn er ist auch ein Wiederkäuer, hat aber keine durchgespaltenen Klauen; darum soll er euch unrein sein; 7 das Schwein, denn es hat wohl durchgespaltene Klauen, ist aber kein Wiederkäuer; darum soll es euch unrein sein. 8 Vom Fleisch dieser Tiere dürft ihr weder essen noch ihr Aas anrühren; denn sie sind euch unrein. [...] ähnlich: Lev 17,10–16 u.v.a.

Speiseverbote haben mit der Frage von Reinheit oder Unreinheit der Nahrungsmittel zu tun. Diese Reinheitsvorstellungen sind zu beachten, um selbst nicht verunreinigt zu werden, um den eigenen Körper nicht zu verunreinigen. Speisegebote dienen im AT nicht asketischen Aufgaben. Die Speiseverbote enthalten eine wichtige anthropologische Präsupposition: Der Körper dient als ein Gegenstand, der rein zu erhalten ist, der auch tatsächlich rein sein kann. Keinesfalls wird er negativ gesehen oder steht höheren Erkenntnissen im Weg. Man könnte sogar noch weitergehen und sagen: jede Trennung in Körper und Geist ist für das AT mit Blick auf die Rein/Unrein-Problematik obsolet: Der ganze Mensch wird unter der Frage der Reinheit/Unreinheit betrachtet, nicht Leib allein oder Geist allein oder Gesinnung allein o.ä., der ganze Mensch ist im Blick, mit allen seinen Facetten. Hier ist eine Formulierung von E. Gestenberger interessant: „Kultisch rein sein bedeutete für den antiken Menschen, sich in der physischen und geistlichen Verfassung zu befinden, die ihm den Zugang zum Heili-

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Essen im Alten Testament – einige kultur-anthropologische Überlegungen

gen ermöglichte.“2 Die Voraussetzung der Reinheit für die Heiligkeit ist sicher richtig erfasst. Aber die Aufteilung in „physisch und geistlich“ bringt eher den Sachverhalt unserer Anthropologie näher, als dass sie eine adäquate Wiedergabe alttestamentlichen Verständnisses ist. Sehr gut bringt Gerstenberger zum Ausdruck, dass es bei den Speisegeboten und ihrer Forderung nach Reinheit bzw. Heiligkeit nicht um eine Überwindung des menschlichen Körpers, sondern um eine Angleichung an Gottes Heiligkeit geht: „ ‚Heilig‘ und ‚rein‘ sind synonyme Begriffe. Nur der reine Mensch kann sich dem Heiligen ungestraft nähern. [...] Ihr sollt heilig sein, denn ich bin heilig! (vgl. Lev 11,44; 19,2). [...] Es geht um die Frage: Welche äußeren Umstände stören die Übereinstimmung mit Gott [...].“3

Der eigentliche Zielpunkt der Speisegebote im AT ist Gott – nicht der Mensch, nicht der menschliche Körper. Schon gar nicht ist der Zielpunkt, durch Befolgung der Speisegebote zu einer höheren, vom Körper losgelösten Erkenntnis zu kommen. Ganz ähnlich sind etliche der alttestamentlichen Fastengebote und -berichte aufzufassen. Auch beim Fasten geht es nicht um die Überwindung des menschlichen Körpers, sondern, wie es Eleonore Schmitt formuliert hat, darum, „Gott zu einer bestimmten Handlung zu bewegen.“4 Individuell: 2Sam 12,16 Und David suchte Gott um des Knäbleins willen und fastete, und wenn er heimkam, lag er über Nacht auf der Erde. Kollektiv (vgl. dazu: Podella)5: Esr 8,21 Und ich ließ dort am Fluss bei Ahawa ein Fasten ausrufen, damit wir uns vor unserm Gott demütigten, um von ihm eine Reise ohne Gefahren zu erbitten für uns und unsere Kinder und alle unsere Habe. Explizit wird dieser Sachverhalt von Jes 58,3 formuliert: ‚Warum fasten wir, und du siehst es nicht an? [...] und du willst's nicht wissen?’ – Siehe, an dem Tag, da ihr fastet, geht ihr doch euren Geschäften nach und bedrückt alle eure Arbeiter.

2 Gerstenberger, E., Das dritte Buch Mose. Leviticus (ATD 6), Göttingen 1993, 117. 3 Ebd. 4 Schmitt, E., Das Essen in der Bibel. Literaturethnologische Aspekte des Alltäglichen (Studien zur Kulturanthropologie 2), Münster 1994, 132. 5 Vgl. Podella, T., Sôm-Fasten. Kollektive Trauer um den verborgenen Gott im Alten Testament (AOAT 224), Neukirchen-Vluyn 1989. © 2016, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783788730628 — ISBN E-Book: 9783788730635

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3.2 Kritik am Essen und Trinken 3.2.1

Prophetie

Am 6,1–6* Weh den Sorglosen zu Zion und weh denen, die voll Zuversicht sind auf dem Berge Samarias, den Vornehmen des Erstlings unter den Völkern, zu denen das Haus Israel kommt! [...] 4 [...] Ihr esst die Lämmer aus der Herde und die gemästeten Kälber 5 und spielt auf der Harfe und erdichtet euch Lieder wie David 6 und trinkt Wein aus Schalen und salbt euch mit dem besten Öl, aber bekümmert euch nicht um den Schaden Josefs.

In diesem Amos-Wort wird nicht das Essen an sich kritisiert, sondern, von der ganzen marzeaḥ-Problematik („religiöse Genossenschaft“?) abgesehen, die Sorglosigkeit, die V.1 anprangert. Die Sorglosigkeit, die sich im feierlichen Essen und Trinken ausdrückt. Der Text mag noch mehr Anspielungen haben. Jeremias weist darauf hin, dass der Ausdruck „Wein aus Schalen“ sonst nur im Zusammenhang mit Opfern begegnet und hier eine „Grenze zwischen Gott und Mensch“ berührt ist, der die Feiernden gefährlich nahe kommen. Dies sei mehr Gegenstand der Kritik, so Jeremias, als die Maßlosigkeit, die Kultiviertheit des Trinkens o.ä.; ähnlich: Jes 5,22.6 3.2.2

Weisheit

Maßlosigkeit und Missbrauch im Besonderen wird in der Weisheit angeprangert: Spr 20,1 Der Wein macht Spötter, und starkes Getränk macht wild; wer davon taumelt, wird niemals weise. Spr 23,29–34 Wo ist Weh? Wo ist Leid? Wo ist Zank? Wo ist Klagen? Wo sind Wunden ohne jeden Grund? Wo sind trübe Augen? 30 Wo man lange beim Wein sitzt und kommt, auszusaufen, was eingeschenkt ist. 31 Sieh den Wein nicht an, wie er so rot ist und im Glase so schön steht: Er geht glatt ein, 32 aber danach beißt er wie eine Schlange und sticht wie eine Otter. 33 Da werden deine Augen seltsame Dinge sehen, und dein Herz wird Verkehrtes reden, 34 und du wirst sein wie einer, der auf hoher See sich schlafen legt, und wie einer, der oben im Mastkorb liegt.

3.2.3 Kritik am technischen Offenbarungsmittel Alkohol u.ä. Jes 28,7f. Aber auch diese sind vom Wein toll geworden und taumeln von starkem Getränk. Priester und Propheten sind toll von starkem Getränk, sind vom Wein

6

Vgl. Jeremias, J., Der Prophet Amos (ATD 24,2), Göttingen 1995, 88. © 2016, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783788730628 — ISBN E-Book: 9783788730635

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verwirrt. Sie taumeln von starkem Getränk, sie sind toll beim Weissagen und wanken beim Rechtsprechen. 8 Denn alle Tische sind voll Gespei und Unflat an allen Orten!

Bei dieser Jesaja-Stelle geht es um die Kritik am technischen Offenbarungsmittel Alkohol, nicht um Ablehnung oder Abwertung des Weines bzw. Rauschtrankes. 3.2.4

Fazit zum Abschnitt 3.2

Kritik am Essen und Trinken ist den verschiedensten Motiven geschuldet, aber nicht der Zuordnung von Essen auf eine körperliche Seite des Menschen, die als seine negative Seite gesehen wird, und nicht als Kritik am Essen überhaupt. 3.3

Positive Wertungen von Essen und Trinken

Über den Juda und Israel zur Zeit Salomos heißt es in 1.Kön 4,20: 1Kön 4,20 Juda aber und Israel waren zahlreich wie der Sand am Meer, und sie aßen und tranken und waren fröhlich. Ps 104,14–15 Du lässt Gras wachsen für das Vieh und Saat zu Nutz den Menschen, dass du Brot aus der Erde hervorbringst, 15 dass der Wein erfreue des Menschen Herz und sein Antlitz schön werde vom Öl und das Brot des Menschen Herz stärke. Ri 9,13 Aber der Weinstock sprach zu ihnen: Soll ich meinen Wein lassen, der Götter und Menschen fröhlich macht, und hingehen, über den Bäumen zu schweben? Cant 5,1 Esst, meine Freunde, und trinkt und werdet trunken von Liebe!

Aufrufe zur und Schilderungen von Freude am Essen und Trinken sind völlig unproblematisch ernst zu nehmen, dahinter steht kein Körperkult; jede dahingehende Vereinnahmung ist unsachgemäß. Smend hat hier wunderbar formuliert: „Im Gegenüber zum Nicht-Essen und Nicht-Trinken bezeichnet oft das Essen und Trinken den entspannten, normalen und natürlichen Zustand.“7 M.E. steht auch Qohelet in dieser Tradition:

7 Smend, R., Essen und Trinken – ein Stück Weltlichkeit des Alten Testaments, in: Donner, H. [u.a.] (Hg.), Beiträge zur Alttestamentlichen Theologie. Festschrift für Walther Zimmerli zum 70. Geburtstag. Göttingen 1977, 450. © 2016, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783788730628 — ISBN E-Book: 9783788730635

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Qoh 3,13 Denn ein Mensch, der da isst und trinkt und hat guten Mut bei all seinem Mühen, das ist eine Gabe Gottes. Qoh 5,18 Denn wenn Gott einem Menschen Reichtum und Güter gibt und lässt ihn davon essen und trinken und sein Teil nehmen und fröhlich sein bei seinem Mühen, so ist das eine Gottesgabe. Qoh 8,15 Darum pries ich die Freude, dass der Mensch nichts Besseres hat unter der Sonne, als zu essen und zu trinken und fröhlich zu sein. Das bleibt ihm bei seinem Mühen sein Leben lang, das Gott ihm gibt unter der Sonne.

Kaum sind hinter Qohelet körperlustorientierte hedonistische Tendenzen zu vermuten. Es geht ihm, in gut alttestamentlicher Tradition, um den „entspannten, normalen, natürlichen Zustand“, bei dem er glücklich ist. 3.4

Ezechiel isst eine Buchrolle (Ez 2,8–3,3)

Ez 2,8–3,3 Aber du, Menschenkind, höre, was ich dir sage, und widersprich nicht wie das Haus des Widerspruchs. Tu deinen Mund auf und iss, was ich dir geben werde. 9 Und ich sah, und siehe, da war eine Hand gegen mich ausgestreckt, die hielt eine Schriftrolle. 10 Die breitete sie aus vor mir, und sie war außen und innen beschrieben, und darin stand geschrieben Klage, Ach und Weh. 3,1 Und er sprach zu mir: Du Menschenkind, iss, was du vor dir hast! Iss diese Schriftrolle und geh hin und rede zum Hause Israel! 2 Da tat ich meinen Mund auf, und er gab mir die Rolle zu essen 3 und sprach zu mir: Du Menschenkind, du musst diese Schriftrolle, die ich dir gebe, in dich hinein essen und deinen Leib damit füllen. Da aß ich sie, und sie war in meinem Munde so süß wie Honig.

Zweifelsohne ist dies ein aufregender Text. Nicht nur aufregend als prophetischer Text aus den Beauftragungskapiteln Ez 1–3. Auch unter der Fragestellung des Essens und des Verhältnisses von Essen und Körper ist der Text aufschlussreich. Indem die Schriftrolle und damit die Botschaft, die Ezechiel aufgetragen wird, in ihn eingeht, in seinen Körper eingeht, wird ihm die Botschaft einverleibt, nimmt er die Botschaft ganz in sich auf. „Durch Mund, Rachen und Kehle, durch die Speiseröhre gleitend, fallen die Worte in das Behältnis des Leibes [...], um dort verschlungen, verdaut, verschluckt zu werden.“8 Körperlicher und leibbezogener kann man sich die Aufnahme des Verkündigungsinhaltes kaum vorstellen. Hinter solchen Auffassungen können daher keinesfalls körper- oder leibfeindliche Vorstellun8 Rigotti, F., Philosophie der Küche. Kleine Kritik der kulinarischen Vernunft, München 2003 [zuerst: La filosofia in cucina. Bologna 1999], 36. © 2016, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783788730628 — ISBN E-Book: 9783788730635

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Essen im Alten Testament – einige kultur-anthropologische Überlegungen

gen stehen. Im Extremfall kann also auch Erkenntnis durch essen erworben werden. 4.

Schlussbemerkung

Kultur prägt die Auffassung vom Menschen und von allem, was mit dem Menschen verbunden ist, so auch vom „essen“ und „trinken“. Mein Beitrag wollte durch den gewissermaßen kontrastiven Vergleich von alttestamentlichem und europäischem Kontext an einigen Beispielen erkunden, welche unterschiedlichen Verbindungen von „Mensch“ und „essen“ in diesen beiden Kulturen bestehen. Der Ausgangspunkt war dabei die unterschiedliche Anthropologie der beiden Kulturen. Vor allem die oft negative Bewertung des Körpers in der europäischen Kultur bedingt einen ebenso abweisenden Umgang mit Essen und Trinken, bringt aber auch, vor allem nach Traditionsabbrüchen, völlig ungebremste Gegenauffassungen hervor. Ziel meiner in diesem Sinne kulturanthropologischen Erkundung war es, die Andersartigkeit des alttestamentlichen Umgangs mit Essen und Trinken zu illustrieren, die m.E. in der Anthropologie des AT ihre Grundlage hat. Eine Andersartigkeit, die wir in Rechnung stellen müssen, wenn wir alttestamentliche Texte und Aussagen adäquat verstehen wollen.

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„Wie ein Duft von Myrrhe, Weihrauch und allerlei Gewürz“ Riechen, Duft und Gerüche im Alten Testament

1. 1.1

Riechen als anthropologischer Sachverhalt Riechen gehört auf die Seite des Leibes, des Körpers

Das Riechen-Können gehört zu den grundlegenden anthropologischen Konstanten. In allen Kulturen und zu allen Zeiten konnten Menschen Gerüche aufnehmen. Was aber mit Gerüchen angefangen wird, wie sie ins Leben und Denken eingebaut sind, welche Gerüche als gut, edel und schön eingeordnet werden und welche nicht, ist kulturell verschieden. Ebenso wie das Schmecken. Riechen und Schmecken gehören dabei, wie auch die weiteren Sinne Tasten, Hören und Sehen, auf die Seite der sehr eng mit dem Köper bzw. seinen entsprechenden Wahrnehmungsorganen verbundenen Empfindungen. Körperorgane und zugehörige Sinnesempfindungen verbinden den Menschen mit seiner Umwelt. Sinnliche Eindrücke allesamt sind Körperwahrnehmungen. In der Geschichte der Sinne und des Körpers waren daher Sinneswahrnehmung und Körperverständnis immer eng miteinander verbunden. Da wir in den heutigen westlichen Gesellschaften gerade in einer Umbruchsituation hinsichtlich der Körperauffassung leben – Körperfeindlichkeit (und damit Geruchsfeindlichkeit bzw. Sinnesfeindlichkeit) und Körperzugewandtheit (und damit verbunden Geruchszugewandtheit) prallen in der aktuellen Kultur aufeinander –, wollen wir zunächst diesem Phänomen etwas nachgehen. 1.2

Prägung durch antike und christliche Vorstellungen

Die Abwertung von Körper und Sinnen, zuweilen kann man sicher von Leibfeindlichkeit sprechen, hat eine lange Geschichte. Neben Einflüssen aus dem antiken griechischen Raum spielt hier das Christentum eine nicht unwesentliche Rolle.

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Wir können hier beginnen – nach katholischer Tradition – bei den „evangelischen Räten“ – evangelisch im Sinne von evangeliumsgemäß; Räte als Plural von Rat, Ratschlag. Die Räte lauten: Armut, Ehelosigkeit, Gehorsam, Ratschläge, die Jesus denen gegeben haben soll, die er für berufen hält. Und zur Armut gehört Beschränkung in der Geschmacks- und Geruchswelt. Das Gegenteil wäre die luxuriöse Welt von Weihrauch und Myrrhe. Im protestantischen Sinne „evangeliumsgemäß“ ist diese Anschauung allerdings nicht, da es keine wörtliche Überlieferung aus dem NT dazu gibt. Bestimmte Traditionen berufen sich auch immer wieder auf Johannes den Täufer, der als Vorbild für Nahrungsaskese gilt. Es ist hinzuweisen auf die Montanisten mit ihrem Hang zum Fasten, denen sich – nicht nur in dieser Hinsicht – auch Tertullian anschloss. Berüchtigt ist das Körperverständnis von Origenes; er lebte in strenger Askese. Diese ging so weit, dass er Matthäus 19,12 buchstäblich Folge leistete und sich entmannte. In späteren Jahren beurteilte er seine extreme Tat zwar anders, aber leib- und sinnesfreundlich ist er nie mehr geworden. Kennzeichnend bei Origenes ist seine Prägung durch platonische Ideen. Aufgenommen hat er etwa die Lehre, dass jene Seele, die zur Erkenntnis des höchsten Grundes in der Lage ist, aber gefangen im Körper in dieser Welt, nach dem Tod in den göttlichen Bereich steigt, nachdem sie zuvor durch das Feuer gereinigt worden ist. Doch gibt es auch gnostische Einflüsse, gerade in der Anthropologie: ein solches Erbe ist die Dreiteilung des Menschen in Körper (soma), Seele (psyche) und Geist (pneuma). Seele und Geist seien beim Menschen präexistent, d.h. schon vor der Geburt seiend. Das Mönchtum sorgte anschließend für größte Verbreitung auch der asketischen Ideale auf dem Boden einer antinomischen Geist/ Seele-Körper-Anthropologie: Ende des 3.Jh.s in Ägypten beginnend, von Antonius und Pachomius angestoßen, findet die Bewegung in Basilius von Caesarea (* um 330; † 1. Januar 379) einen führenden Kopf. Basilius lebt Zeit seines Lebens asketisch, verzichtet vollständig auf Fleisch. Benedikt von Nursia (* um 480; † 21. März 547) verfasst die bis heute bestimmende Mönchsregel. Grundsätze dabei beziehen sich auch auf Essen, Trinken, Riechen. Geboten ist eine einfache Ernährung: auf das Fleisch vierfüßiger Tiere wird verzichtet; maximal eine gekochte Hauptmahlzeit am Tag; Beschränkung des Weinkonsums. Kein lukullisches Mahl mit opulenten Gewürzdüften, keine Weine mit berauschenden Düften und Geschmäckern. Alle mönchischen Ideale werden mit der Verbreitung des Mönchtums © 2016, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783788730628 — ISBN E-Book: 9783788730635

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in ganz Europa bekannt gemacht und gingen ein in den Vorstellungskomplex der europäischen Kultur zu „Mensch“, „Körper“ und „Sinnen“. Diese Auffassungen sind natürlich nicht beschränkt auf das Mönchtum oder den katholischen Bereich. Um auf eine besonders markante protestantische Facette zu verweisen, sei eine Aussage von Gerhard Tersteegen angeführt, die für sich spricht: Wir entsagen willlig / Allen Eitelkeiten, / Aller Erdenlust und Freuden.1 1.3

Die Lust am Duft in der Gegenwart

Eingewoben in eine extreme Lust am Duft befindet sich der Gegenstrom zur Leib- und Sinnenfeindlichkeit der Gegenwart. Das reicht von erfolgreichen Filmen Der Duft der Frauen (Regie Martin Brest), Büchern Das Parfüm (Patrick Süskind) bis zu einer Fülle von Körper-(Gegen-)düften im Bereich der Deodorants und Parfümangebote. Schokoladenbäder und (aufgrund der medialen Vermittlung an sich völlig geruchslose) Kochshows sind allseits beliebt, Sinnliches und Duftiges im Wellnessbereich ist angesagt. Die Fülle an Wein- und Essensmagazinen zielt nicht zuletzt auf die Kultivierung des Geruchssinns („Weinnasen“) ab. U.v.a.m. Der hedonistische Gegenschlag verdankt sich dabei teils antireligiösen (nicht nur antichristlichen) Wurzeln, ist aber auch teils religiös motiviert. Sinnliches und positiv bewertete Sinneserfahrungen gibt es nun auch wieder in der christlichen Tradition – die Wiederentdeckung der Erfahrungen und Schriften von Hildegard von Bingen spricht hier Bände –, und die christliche Tradition kann hier an ein positives Geruchs-, Sinnen- und Körperverständnis anknüpfen, wie es insbesondere im Alten Testament vorfindlich ist. Doch bevor wir dahin kommen, wollen wir noch einmal festhalten, dass die häufig versprochenen Dufterlebnisse sicher zu einem gehobenen Körpergefühl führen können, jedoch kaum vermögen, Sinnkrisen und Daseinsängste zu beheben. Wohlbefinden der körperlichen Seite des Menschen alleine wird keine Erlösung vollbringen.

1 Aus: Tersteegen, G., Geistliches Blumengärtlein inniger Seelen; oder Kurze Schlußreimen, Betrachtungen und Lieder über allerhand Wahrheiten des inwendigen Christenthums: zur Erweckung, Stärkung und Erquickung in dem verborgenen Leben mit Christo in Gott; nebst der Frommen Lotterie, Frankfurt 1729. © 2016, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783788730628 — ISBN E-Book: 9783788730635

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Riechen, Duft und Gerüche im Alten Testament

Erstes Fazit

a) Ausgangspunkt waren Beobachtungen, die das grundsätzliche Verhältnis von Riechen (und andern sinnlichen Wahrnehmungen) und Körper betreffen. Dabei kann man entweder von der Überbetonung des Körpers ausgehen oder von seiner Abwertung. In beiden Fällen steht meist das Riechen auf der Seite des Körperlichen und damit den nicht-körperlichen Anteilen des Menschen(Geist, Seele u.ä.) gegenüber. b) Auf dem Hintergrund der (griechisch beeinflussten) nachbiblisch-christlichen Tradition hat sich als anthropologische Grundanschauung verbreitet, dass der Mensch als Zweiheit oder Dreiheit gesehen wird. Die wichtigsten, bis in die griechische Antike zurückzuverfolgenden Modelle sind dabei: das dichotome (Körper und Geist oder Seele) oder das trichotome Modell (Körper, Geist und Seele). c) Aus antik-christlicher Tradition stammt die negative Bewertung des Körpers als irdisch-materieller Hülle; alles, was mit dieser Hülle in Verbindung steht, kann entsprechend negativ betrachtet werden, so auch das Riechen; Verzicht oder Beschränkung im olfaktorischen Bereich (wie bei andern Sinneseindrücken) wurde immer wieder als Mittel begriffen, um zu einer reineren, klareren Erkenntnis der nichtkörperlichen Dimension des Menschen zu kommen. 2. Biblische, insbesondere alttestamentliche anthropologische Grundlagen Um nun zu einem sachgemäßen Bild der biblischen Überlieferung bezüglich des Riechens und der Düfte zu gelangen, ist es notwendig, bei der Anschauung des AT über den Menschen überhaupt einzusetzen. Interessanterweise kennt nämlich das AT eine Entgegensetzung von „Körperlichem“ (einerseits) und „Geistigem und/oder Seelischem“ (andererseits) in mehrfacher Hinsicht nicht. In der neueren Anthropologie ist in den Vordergrund getreten, dass der Mensch im AT unter einer Fülle von Blickwinkeln betrachtet wird, die untereinander kein geschlossenes System oder Konzept wie die griechisch-christlichen Dichotomien oder Trichotomien bilden.

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Neben die sog. anthropologischen Grundbegriffe (H.W. Wolff) a) bāśār/ Fleisch (Aspekt des körperlich-vergänglichen Anteils an Mensch und Tier, wird nie von Gott ausgesagt), b) lēv/ Herz, besonders Sitz des Verstandes (Aspekt der Rationalität), c) næfæsch/ Leben, Gier, Kehle (Aspekt des Lebens, der Lebendigkeit) d) ruaḥ/ Wind, Geist, Kraft, Vitalität (Aspekt der letztlich von außen kommenden Vitalität), werden in der neueren anthropologischen Forschung zum Alten Testament weitere „Stellvertreterausdrücke“ für den Menschen gestellt, die alle jeweils einen bestimmten Aspekt des Menschseins zum Ausdruck bringen: e) yād/ Hand. In Ri 7,2 lesen wir: „Israel könnte sich rühmen wider mich und sagen: Meine Hand hat mich errettet“, d.h.: ich habe mich selbst aus eigener Kraft gerettet. Solche auf ein Körperteil oder ein inneres Organ bezogenen Ausdrücke sind zahlreich, stehen wie die oben angeführten Grundbegriffe für den ganzen Menschen und geben einen bestimmten Aspekt an, unter dem er gesehen werden soll, bei Hand den Aspekt der Macht/Kraft. f) rægæl/ Fuß (Mensch unter dem Aspekt der Präsenz, Kraft und Macht): Ps 94,18 „Wenn ich sprach: Mein Fuß ist gestrauchelt, so hielt mich, Jahwe, deine Gnade.“ g) ‘ayin/ Auge (Mensch unter dem Aspekt des Sehens und Erkennens): Ps 92,12 „Mit Freude sieht mein Auge auf meine Feinde herab und hört mein Ohr von den Boshaften, die sich gegen mich erheben.“ h) ’ozæn/ Ohr (Mensch unter dem Aspekt des Hörens und Begreifens) i) ’ap/ Nase (Mensch unter dem Aspekt des Riechens und zornig seins). Unschwer ist im AT die Verbindung von „Wut- und Zornesschnauben“ und dem Organ Nase herzustellen. Diese Verbindung © 2016, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783788730628 — ISBN E-Book: 9783788730635

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Riechen, Duft und Gerüche im Alten Testament

führt im Hebräischen dazu, dass das Wort „Nase“ auch die Bedeutung „Zorn“ erhält. Über die Lautform des Wortes bleibt aber im Hebräischen immer auch der Körperbegriff präsent – „’ap“ bedeutet eben „Zorn“ wie „Nase“; diese Präsenz fällt weg, wenn in Übersetzungen nur noch vom Zorn die Rede ist. „Nase/Zorn“ erscheint somit als eine Art „emotionales Ausdrucksorgan“ und gehört in die Reihe der Kommunikationskörperteile.2 Der Mensch kann nach dem Alten Testament somit als Ganzes unter dem jeweiligen Aspekt gesehen werden, den ein anthropologischer Begriff oder ein Körperteil zum Ausdruck bringt. Die alttestamentliche Anschauung zum Menschen verzichtet darauf, alle diese Aspekte in ein System zusammenzubinden. Sie stehen vielmehr additivparataktisch nebeneinander, ohne in ein „System“ Mensch integriert zu sein. Von daher werden auch die Bereiche, die unterschiedliche Aspekte des Menschseins abdecken, niemals gegeneinander ausgespielt oder in Gegensatzpaare gegliedert. Eine grundsätzliche Körperabwertung kann sich so gar nicht ergeben. Folglich werden weder im AT noch im NT körperliche Aspekte gegen geistige ausgespielt oder umgekehrt. Beides, Körperliches und Geistiges gehört zum ganzen Menschen. Das gilt natürlich ebenso für das Riechen bzw. den ganzen Bereich des Dufts und Geruchs. Von der Anthropologie her erklärt sich also die Unbefangenheit, mit der das AT mit Gerüchen und Düften umgeht. Die Bedeutung von Duft und Geruch im Leben wird weder überhöht noch heruntergespielt. Diese Grundlegung gilt bis weit ins NT hinein. 3.

Duft und Geruch im Alten Testament

Riechen stellt für das AT eine Selbstverständlichkeit bei lebenden Wesen dar; dies zeigt sich besonders deutlich in polemischen Wendungen, wie in dem Spottgedicht auf fremde Götter in Ps 115. Der Psalm geht davon aus, dass die Götterstatuen/Götzenbilder keine Lebendigkeit haben, daher das auch nicht können, was Lebende „normalerweise“ vermögen: 2 Ausführliche Erläuterungen zu diesem Konzept finden sich bei: Wagner, Andreas: Gottes Körper. Zur alttestamentlichen Vorstellung der Menschengestaltigkeit Gottes, Gütersloh 2010. © 2016, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783788730628 — ISBN E-Book: 9783788730635

Riechen, Duft und Gerüche im Alten Testament

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Ps 115 4 Ihre Götzen sind Silber und Gold, ein Werk von Menschenhänden. 5 Einen Mund haben sie, reden aber nicht. Augen haben sie, sehen aber nicht. 6 Ohren haben sie, hören aber nicht. Eine Nase haben sie, riechen aber nicht. 7 Sie haben Hände, tasten aber nicht; Füße, gehen aber nicht. Keinen Laut geben sie mit ihrer Kehle. 8 Ihnen gleich sollen die werden, die sie machten, ein jeder, der auf sie vertraut.

Zunächst einmal gehört die Welt der Düfte im AT häufig auf die Seite der positiv bewerteten Dinge. In den meisten Fällen, wenn von Geruch und Duft die Rede ist, führt die Spur in den Kontext der Liebeslieder und der Opfer. In beiden Fällen geht es um einen Beziehungsaspekt. Augenfällig ist das bei den Liebesgedichten des Hoheliedes. Hier ist die Anziehung der Liebenden nicht zuletzt dadurch geprägt, dass sie von dem jeweiligen Duft des anderen, der durch Vergleiche mit kostbaren und edlen Gegenständen und Gerüchen (Blumen, Obst, Gewürze) stets positiv bewertet wird, betört und beeindruckt sind: Hoheslied 1,12 Als der König (=der Geliebte in der Rolle des Königs) sich herwandte, gab meine Narde ihren Duft. 3,6 Was steigt da herauf aus der Wüste wie ein gerader Rauch, wie ein Duft von Myrrhe, Weihrauch und allerlei Gewürz des Krämers? 4,11 Von deinen Lippen, meine Braut, träufelt Honigseim. Honig und Milch sind unter deiner Zunge, und der Duft deiner Kleider ist wie der Duft des Libanon. 4,16 Steh auf, Nordwind, und komm, Südwind, und wehe durch meinen Garten, dass der Duft seiner Gewürze ströme! Mein Freund komme in seinen Garten und esse von seinen edlen Früchten. 7,9 Ich sprach: Ich will auf den Palmbaum steigen und seine Zweige ergreifen. Lass deine Brüste sein wie Trauben am Weinstock und den Duft deines Atems wie Äpfel; 7,14 Die Liebesäpfel geben den Duft, und an unsrer Tür sind lauter edle Früchte, heurige und auch vorjährige: Mein Freund, für dich hab ich sie aufbewahrt.

In ähnlicher Weise stiften Opferdüfte Beziehungen zwischen der Sphäre der Götter und der Menschen. Im ersten Beispiel aus dem Ezechiel-Buch steht zwar die Ablehnung der Götter im Vordergrund, aber dabei spielt weniger eine Rolle, dass Opfer und Opferdüfte im Spiel sind, sondern dass diese Opfer für viele Götter und nicht nur für den einen Gott Jahwe dargebracht werden: Ez 6,11ff. So spricht Gott der Herr: Schlag deine Hände zusammen und stampfe mit deinem Fuße und sprich: Weh über alle schlimmen Gräuel des Hauses Israel, derentwegen sie durch Schwert, Hunger und Pest fallen müssen! 12 [...] so will ich meinen Grimm unter ihnen vollenden, 13 dass ihr erfahren sollt, dass ich der Herr bin, wenn ihre Erschlagenen mitten unter ihren Götzen liegen um ihre Altäre her, © 2016, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783788730628 — ISBN E-Book: 9783788730635

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Riechen, Duft und Gerüche im Alten Testament

oben auf allen Hügeln und oben auf allen Bergen und unter allen grünen Bäumen und unter allen dichten Eichen, überall, wo sie all ihren Götzen lieblichen Opferduft darbrachten.

Jahwe selbst ist dem Opfer wie den Opferdüften nicht abgeneigt. Am deutlichsten zeigt das Gen 8,20-21: 20 Und Noah baute dem HERRN einen Altar; und er nahm von allem reinen Vieh und von allen reinen Vögeln und opferte Brandopfer auf dem Altar. 21 Und der HERR roch den wohlgefälligen Geruch, und der HERR sprach in seinem Herzen: Nicht noch einmal will ich den Erdboden verfluchen um des Menschen willen; denn das Sinnen des menschlichen Herzens ist böse von seiner Jugend an; und nicht noch einmal will ich alles Lebendige schlagen, wie ich getan habe.

An vielen Stellen des AT ist es ein Zeichen der ausgeglichenen Gottesbeziehung, wenn der Mensch Düfte produziert, die Gott „wohlgefällig“ aufnimmt, darauf nehmen viele gesetzlichen Bestimmungen im AT Bezug: Ex 29,18 Den ganzen Widder aber sollst du auf dem Altar als Rauch aufsteigen lassen: ein Brandopfer für den HERRN ist es, ein wohlgefälliger Geruch. Ein Feueropfer ist es für den HERRN. 29,25 Dann nimm es von ihren Händen und lass es auf dem Altar über dem Brandopfer als Rauch aufsteigen zum wohlgefälligen Geruch vor dem HERRN! Ein Feueropfer ist es für den HERRN.

Ähnlich auch Ex 29,41; Lev 1,9.13.17; 2,2.9.12; 3,16; 4,31; 6,8.14; 8,21.28; 17,6; 23,13.18. Die positive Gottesbeziehung kann klingen wie ein Liebeslied (s.o.), Israel, so es die Zuneigung Jahwes hat, soll anziehend duften „wie der Geruch des Libanon“: Hos 1,6f.Ich [Gott] werde für Israel sein wie der Tau. Blühen soll es wie die Lilie, und seine Wurzeln schlagen wie der Libanon. 7 Seine Triebe sollen sich ausbreiten, und seine Pracht soll sein wie der Ölbaum und sein Geruch wie der des Libanon.

Von Gestank und schlechten Gerüchen wird im AT auffallend wenig gesprochen. Joel 2,18-20 ist da eine Ausnahme; hier wird ausgemalt, wie Israel den Gestank des gefallenen Feindes als Vergeltungstat Gottes begreifen soll: Joel 2 18 Und der HERR eiferte für sein Land, und er hatte Mitleid mit seinem Volk. 19 Und der HERR antwortete und sprach zu seinem Volk: Siehe, ich sende euch das © 2016, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783788730628 — ISBN E-Book: 9783788730635

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Korn und den Most und das Öl, dass ihr davon satt werdet; und ich werde euch nicht mehr zu [einem Gegenstand der] Verhöhnung machen unter den Nationen. 20 Und ich werde „den von Norden“ von euch entfernen und ihn in ein dürres und ödes Land vertreiben, seine Vorhut in das vordere Meer und seine Nachhut in das hintere Meer. Und sein Gestank wird aufsteigen, und aufsteigen wird sein Verwesungsgeruch, denn großgetan hat er.

Nebenbemerkung: Gestank wird überhaupt meistens mit Verwesung oder Heerlagern verbunden: Jes 34,3 Und ihre Erschlagenen werden hingeworfen, und der Gestank ihrer Leichen steigt auf, und die Berge zerfließen von ihrem Blut. Am 4,10 Ich schickte unter euch die Pest in der Art Ägyptens. Ich habe eure jungen Männer mit dem Schwert erschlagen, [zusammen] mit euren gefangenen Pferden, und ich ließ den Gestank eurer Heerlager aufsteigen, und zwar in eure Nase. Dennoch seid ihr nicht zu mir umgekehrt, spricht der HERR.

Im Falle einer nicht-ausgeglichenen Gottesbeziehung drückt sich dies im Nicht-riechen-wollen des wohlgefälligen (Opfer-)Geruches aus: Lev 26 27 Und wenn ihr bei alldem mir nicht gehorcht und euch mir entgegenstellt, 28 dann werde ich mich euch im Grimm entgegenstellen, und ich meinerseits werde euch züchtigen wegen eurer Sünden, [und zwar] siebenfach. [...] 31 Und ich werde eure Städte zur Trümmerstätte machen und eure Heiligtümer öde machen, und ich werde euren wohlgefälligen Geruch nicht riechen.

Am Drastischsten wurde dies von den Propheten formuliert: Sie schärfen den Israeliten ein, dass zu einem ordentlichen Kult, in dem auch Düfte ja eine große Rolle spielen (s.o.), ein ordentliches Verhalten in der Welt treten muss. Gibt es hier ein Auseinanderklaffen zwischen aufwendig zelebriertem Kult und einem eklatanten Fehlverhalten etwa im Bereich des menschlichen Miteinanders, so will Gott den Opferduft nicht mehr riechen, was mit einem Kommunikationsabbruch gleichzusetzen ist: Am 5,21 Ich hasse, ich verwerfe eure Feste, und eure Festversammlungen kann ich nicht [mehr] riechen. Und schlimmstenfalls kann sich in der Bilderwelt der Propheten der Duft in sein Gegenteil verkehren: Jes 3 16 Und der HERR sprach: Weil die Töchter Zions hochmütig sind und mit hochgerecktem Hals dahergehen und verführerische Blicke werfen, [weil sie] trippelnd einherstolzieren und mit ihren Fußspangen klirren: 17 deshalb wird der Herr den Scheitel der Töchter Zions grindig machen, und der HERR wird ihre Stirn entblößen. 18 An jenem Tag wird der Herr wegnehmen den Schmuck der Fußspangen und © 2016, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783788730628 — ISBN E-Book: 9783788730635

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Riechen, Duft und Gerüche im Alten Testament

Stirnbänder und Halbmonde; 19 die Ohrgehänge und Armketten und Schleier; 20 die Kopfbunde und Schrittkettchen und Gürtel und Riechfläschchen und Amulette; 21 die Fingerringe und Nasenringe; 22 die Prachtkleider und Mäntel und Umschlagtücher und Beutel; 23 die Handspiegel und Hemden und Turbane und Überwürfe. 24 Und es wird geschehen, statt des Wohlgeruchs wird Moder sein und statt des Gürtels ein Strick, statt des Lockenwerks eine Glatze und statt des Prunkgewandes ein umgürteter Sack, ein Brandmal statt Schönheit.

Wiederum geht es hier nicht um eine Ablehnung des Duftes per se, sondern die Umkehrung von Duft in Moder ist Strafe für das Fehlverhalten. Das Fehlverhalten der „Töchter Zions“ ist wiederum nicht in der Tatsache zu suchen, dass sie sich pflegen, sondern dass sie nur sich pflegen und in ihrer Selbstbezogenheit nicht auf andere achten. Kritik wird hier also am Verhalten, nicht am Parfümieren geübt. 4.

Zusammenfassung

Düfte und Gerüche kommen im AT am häufigsten dort vor, wo es um Beziehungen geht: Beziehungen der Menschen untereinander, etwa der Liebenden im Hohenlied, oder in der Beziehung Gott – Mensch. Interessanterweise gibt es keine Hinweise zu einer eigenen Duftsphäre Gottes im AT In den Nachbarreligionen des Alten Testaments, etwa in Ägypten, spielt der Duft der Götter dagegen eine große Rolle und konstituiert geradezu eine olfaktorisch wahrnehmbare Göttlichkeit. Von daher erklärt sich wohl auch die häufige Verwendung des Weihrauches im ägyptischen Kult, denn er galt als „Schweiß der Götter“. Im Kult wurde er einerseits als Opfer dargebracht, andererseits dient er dem Menschen zur Reinigung. Auch das AT blickt an einzelnen Stellen auf eine Verwendung von Weihrauch (vgl. Ex 30,34-38), wobei der Weihrauchduft deutlich gegenüber dem Opferduft zurücksteht. Düfte und (angenehme) Gerüche begreift das AT also im Kontext der Kultur des Alten Orients als eine Selbstverständlichkeit, die nicht abzuwerten ist und die zum Leben wie zum Kult gehört.

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Anthropologie und Theologie

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Die Gottebenbildlichkeitsvorstellung der Priesterschrift zwischen Theomorphismus und Anthropomorphismus

1. Der zentrale Text für die priesterschriftliche Gottebenbildlichkeitsvorstellung1: Gen 1,26–31 1.1

Gen 1,26–31

Die Vorstellung von der Gottebenbildlichkeit gehört zu den wichtigsten anthropologischen Grundaussagen des AT Es hat zwar schon immer verwundert, dass dieses Aussage innerhalb des AT auf schöpfungs- und urgeschichtliche Texte der Priesterschrift (P)2 konzentriert 1 Das Problem der Gottebenbildlichkeitsvorstellung der Priesterschrift kann nicht erörtert werden, ohne die sprachlichen Gegebenheiten der entsprechenden Texte zu verstehen. Zum Verständnis dieser Gegebenheiten sind besonders folgende Forschungen von Ernst Jenni wegweisend: Ders., ‫ דמה‬dmh „gleichen“, in: Theologisches Handwörterbuch zum Alten Testament I (1984), 451–456; ders., Die hebräischen Präpositionen I: Die Präposition Beth, Stuttgart [u.a.] 1992; ders., Die hebräischen Präpositionen II: Die Präposition Kaph, Stuttgart [u.a.] 1994; ders., Pleonastische Ausdrücke für Vergleichbarkeit (Ps 55,14; 58,5), in: ders., Studien zur Sprachwelt des Alten Testaments I. Hg. von B. Huwyler und K. Seybold, Stuttgart 1997, 206– 211; ders., Untersuchungen zum hebräischen Kohortativ (zuerst: 2002/2003), in: ders., Studien zur Sprachwelt des Alten Testaments II. Hg. von J. Luchsinger, H.-P. Mathys und M. Saur, Stuttgart 2005, 166–226. 2 Gen 1,1–2,4a ist der Priestergrundschrift Pg zuzuschreiben; bis auf Gen 2,4a ist diese Zuschreibung weithin Konsens. Gen 1 ist das Kopfstück des Großwerkes von P. Von hier aus entfaltet sich der weitere Gang des Geschichtsentwurfes von P. Hier erfolgen auch wesentliche (theologische und anthropologische) Grundlegungen. Zur Diskussion von P und zur Textabgrenzung vgl. (auf die Literatur kann natürlich in diesem Rahmen nur auswahlweise verweisen werden): H. Gunkel, Genesis (Göttinger Handkommentar zum Alten Testament 1), Göttingen 91977 (11901); G. v. Rad, Das erste Buch Mose. Genesis, (Altes Testament Deutsch 2–4) Göttingen 121987 (11949); W.H. Schmidt, Die Schöpfungsgeschichte der Priesterschrift. Zur Überlieferungsgeschichte von Genesis 1,1–2,4a und 2,4b–3,24 (Wissenschaftliche Monographien zum Alten und Neuen Testament 17), Neukirchen-Vluyn 21967; C. Westermann, Genesis. 1. Teilband: Genesis 1–11 (BK 1.1), Neukirchen-Vluyn 1974; O.H. Steck, Der Schöpfungsbericht der Priesterschrift. Studien zur literarkritischen und überlieferungsgeschichtlichen Problematik von Genesis 1,1–2,4a (Forschungen zur Religion und Literatur des Alten und Neuen Testaments 115), Göttingen 1975; © 2016, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783788730628 — ISBN E-Book: 9783788730635

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Die Gottebenbildlichkeitsvorstellung der Priesterschrift

ist und keine große inneralttestamentliche Wirkungsgeschichte entfaltet hat.3 Aber für P bildet die Aussage zur Gottebenbildlichkeit zweifelsohne das Zentrum ihrer Anthropologie. Der zentrale Text für die Gottebenbildlichkeitsvorstellung bei P, Gen 1,26–31,4 ist ein Text mit einer außergewöhnlichen außeralttestamentlichen Wirkungsgeschichte. Allerdings verdankt er seine Prominenz nicht nur dem Gedanken der Gottebenbildlichkeit. Er macht auf kleinstem Raum und in größter Verdichtung fundamentale theologische Aussagen: a) Zur Schöpfung des Menschen und zur Gottebenbildlichkeit, und damit zum Verhältnis Gott – Mensch b) Zum Herrschaftsauftrag und damit zum Verhältnis von Mensch und Schöpfung etc. c) Zum Grundverhältnis der Menschen untereinander – alle Menschen, auch Mann und Frau, stehen nach Gen 1 auf einer Ebene.

T. Pola, Die ursprüngliche Priesterschrift. Beobachtungen zur Literarkritik und Traditionsgeschichte von Pg (Wissenschaftliche Monographien zum Alten und Neuen Testament 70), Neukirchen-Vluyn 1995; H. Seebass, Genesis I. Urgeschichte (1,1–11,26), Neukirchen-Vluyn 1996; B. Janowski, Sühne als Heilsgeschehen. Traditions- und religionsgeschichtliche Studien zur Sühnetheologie der Priesterschrift (Wissenschaftliche Monographien zum Alten und Neuen Testament 55), Neukirchen-Vluyn 22000 (11980); R.G. Kratz, Die Komposition der erzählenden Bücher des Alten Testaments, Göttingen 2000, 230–248; E. Zenger [u.a.] (Hg.), Einleitung in das Alte Testament (Studienbücher Theologie 1,1), Stuttgart [u.a.] 52004 (21995); Kessler, Martin / Deurloo, Karel A.: A commentary on Genesis. The book of beginnings, New York 2004; U. Neumann-Gorsolke, Herrschen in den Grenzen der Schöpfung. Ein Beitrag zur alttestamentlichen Anthropologie am Beispiel von Psalm 8, Genesis 1 und verwandten Texten. (Wissenschaftliche Monographien zum Alten und Neuen Testament 101) Neukirchen-Vluyn 2004. 3 Vgl. Seebass, Genesis I, 79–80; B. Janowski, Die lebendige Statue Gottes. Zur Anthropologie der priesterlichen Urgeschichte, in: M. Witte (Hg.), Gott und Mensch im Dialog. Festschrift für Otto Kaiser zum 80. Geburtstag Bd. 1 (Beihefte zur Zeitschrift für die alttestamentliche Wissenschaft 345), Berlin / New York 2004, 183– 214, hier 185; zu der Verwandtschaft mit Ps 8 Vgl. R. Oberforcher, Biblische Lesarten zur Anthropologie des Ebenbildmotivs, in: A. Vonach, / G. Fischer (Hg.), Horizonte biblischer Texte. Festschrift für Josef M. Oesch zum 60. Geburtstag (Orbis Biblicus et Orientalis 196), Fribourg/Göttingen 2003, 131–168; Neumann-Gorsolke, Herrschen, passim. 4 Zur Textabgrenzung: Seebass, Genesis I, 78; Janowski, Statue, 186–189. Die Gottebenbildlichkeitsvorstellung findet sich ebenso in Gen 5,1.3 und 9,6 (s. u. Anm. 24). © 2016, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783788730628 — ISBN E-Book: 9783788730635

Die Gottebenbildlichkeitsvorstellung der Priesterschrift

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Der Zusammenklang dieser anthropologischen Grundgedanken macht das Gewicht des Textes aus. Kaum eine Aussage zur theologischen Anthropologie kann getätigt werden, ohne eine der drei genannten Verhältnisbestimmungen zu berühren. Die Verse, die die Menschenschöpfung und die Gottebenbildlichkeitsvorstellung betreffen, Vv. 26–31, sind dabei eingebettet in den Schöpfungstext von Gen 1,1–2,4a. Bei der Interpretation der Aussagen von Gen 1,26–31 ist das Gesamtkonstrukt des Schöpfungstextes zu beachten.5 Die Beobachtung, dass die Erschaffung des Menschen das letzte und höchste der Schöpfungswerke ist, kann man nicht an den Versen 26–31 alleine machen, sie kommt nur zustande, wenn die Architektur und der Aufbau des gesamten Textes einbezogen werden. Entsprechendes gilt für die priesterschriftliche Gesamtkonzeption, innerhalb derer Gen 1,26–31 einen fundamentalen Platz hat. 1.2

Gottebenbildlichkeitsvorstellung in Gen 1,26–27

Die Gottebenbildlichkeitsvorstellung wird in den Versen in Gen 1,26–27 thematisiert: Gen 1,26–27 26 Dann sprach Elohim: Wir wollen (einen) ’ādām machen als etwas wie unseren ṣælæm, entsprechend6 unserer demut. Und sie [die Menschen] sollen treten auf/über - die Fischbrut des Meeres - und über die Vögel des Himmels - und über das Vieh - und über die ganze Erde - und über alles Kriechgetier, das auf der Erde kriecht 27 Und da schuf (br’) Elohim den Menschen als etwas wie seinen ṣælæm, als etwas wie seinen ṣælæm hat er ihn erschaffen (br’), männlich und weiblich schuf er sie (pl.).

1.3 Textbeobachtungen In den beiden Versen drängen sich etliche Beobachtungen und Fragen auf. Sie werden zunächst gesammelt, im nächsten Abschnitt 1.4 dann besprochen: 5 Vgl. Janowski, Statue, 188–189 und 198–201. 6 Eigentümlicherweise scheinen die Präpositionen b und k hier gleichbedeutend, in Gen 5,3 kommen sie ebenfalls vor, allerdings b bei demut und k bei ṣælæm. Die Übersetzung für b (als Beth essentiae) in Gen 1,26 folgt Jenni, Präpositionen I, 84, dort weitere Lit., vgl. auch: Jenni, Präpositionen II. © 2016, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783788730628 — ISBN E-Book: 9783788730635

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1.3.1 V. 26 eröffnet den Abschnitt mit einer für den ganzen Schöpfungstext von P typischen Wendung Dann sprach Elohim. Die folgende wörtliche Rede beginnt mit einem Plural: Wir wollen (einen) ādām machen. Gott redet in Wir-Form; eine solche Aussage ist für die Priesterschrift singulär. Gegenstand der Schöpfung ist der ādām, womit hier nicht Eigenname oder Einzelmensch, sondern das Menschheitskollektiv gemeint ist.7 1.3.2 Das Vorhaben, Menschen zu machen, wird präzisiert durch die Aussage als etwas wie unseren ṣælæm, entsprechend unserer demut. Dies ist der Kern der Ebenbildlichkeitsaussage; zu fragen ist hier nicht nur nach der Bedeutung von ṣælæm und demut, sondern auch nach dem Verhältnis beider Lexeme zueinander. 1.3.3 Das Hauptproblem für die Deutung des nächsten Textabschnitts ist die Frage des syntaktischen Anschlusses8 sowie der Bedeutung des Verbes rdh „treten“ (vgl. dazu Abschn. 5). 1.3.4 Bei dem zweiten Teil des Menschenschöpfungstextes (V. 27) ist auffällig, dass einige Besonderheiten aus dem ersten Teil nicht mehr aufgenommen werden. Wie die Zweiheit von ṣælæm und demut nur im ersten Teil, in V. 26, zu finden ist – in V. 27 steht nur noch ṣælæm – (vgl. dazu Anm. 24), so fehlt auch der auf Gott bezogene Plural. Dagegen taucht das der Schöpfungstätigkeit Gottes vorbehaltene Verb bara’ auf und der Mensch wird in männlich und weiblich differenziert. Schöpfungsentschluss (V. 26) und -ausführung (V. 27) entsprechen sich somit, bieten aber im Detail Unterschiede. Die Verse verhalten sich dabei wie die Glieder eines Parallelismus und ergänzen sich in den Verschiedenheiten zu einer die Teile übersteigenden Gesamtaussage:

7 Vgl. C. Westermann, Art. ‫ אדם‬ādām, Theologisches Handwörterbuch zum Alten Testament I (1984), 41–57, hier 45. 8 Dieses Problem kann soll an anderer Stelle behandelt werden. © 2016, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783788730628 — ISBN E-Book: 9783788730635

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Gen 1,26–27 Einleitung: V. 26: Schöpfungsentschluss (Textteil A: der Sachverhalt wird in Gottesrede geschildert)

Dann sprach Elohim: Inhalte: „Menschen machen“ „gottebenbildlich“

Stilistische Auffälligkeiten, kleine thematische Variationen • pluralis maiestatis • ṣælæm und demut (Zweiheit)

Verhältnis zu den Tieren • Metaphorik: rdh/treten    Spiegelachse, Textteile A und A‘ ergänzen sich zur Gesamtaussage wie die Glieder in einem Parallelismus membrorum    Inhalte: Stilistische Auffälligkeiten, V.27: Erzählung kleine thematische Variader Schöpfungstat (Textteil A’: der tionen „Menschen sind Sachverhalt wird in • Verb br’ gemacht“ Erzählform • ṣælæm (jetzt ohne demut) geschildert) • männlich u. weiblich „sind gottebenbildlich“ (Zweiheit)

1.4

Besprechung der Beobachtungen

1.4.1 Bei Gunkel war das Problem des Plurals mit der Deutung der Ebenbildlichkeit verbunden; er setzt voraus, dass mit dem Plural der himmlische Hofstaat gemeint sei, und folgert: „Der Gedanke ist nicht, dass der Mensch nach dem Bilde des einen Gottes (Jahve) (‚nach meinem Bilde‘), sondern nach dem der [elohim]-Wesen (‚nach unserem Bilde‘) geschaffen sei [...].“9 Allerdings gibt es innerhalb der Priesterschrift keinen weiteren Hinweis darauf, dass sie einen himmlischen Hofstaat voraussetzt, sodass diese Annahme unwahrscheinlich ist. Viel eher ist hier mit einem pluralis majestatis zu rechnen, der in den altorientalischen Kulturen erst bei den Persern aufkommt und auch inneralttestamentlich in Esr 4,18 bei einer Aussage des persischen Königs belegt ist.10 Zeitlich stimmt das mit dem üblicherweise angenommenen spätexilischen oder frühnachexilischen

9 Gunkel, Genesis, 111. 10 So mit: Seebass, Genesis I, 79; anders Jenni, Kohortativ, 199–200. © 2016, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783788730628 — ISBN E-Book: 9783788730635

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Entstehungszeitraum von Pg überein.11 Der Gebrauch des auffälligen Plurals dient in jedem Fall dazu, das Werk der Menschenschöpfung zu unterstreichen. 1.4.2

ṣælæm und demut

1.4.2.1 Die Bedeutung von ṣælæm12 tritt in den Arbeiten der letzten Jahrzehnte klar hervor:13 Es handelt sich nicht um einen Ausdruck, der dem deutschen Wort „Bild“ entspricht, das ein sehr breites Bedeutungsspektrum hat, viel mehr zielt ṣælæm auf handwerklich gemachte (meist plastische) „Bilder“, angefertigte Artefakte, in verschiedener materialer Ausführung und mit Abbildungsfunktion. Im Vordergrund steht das Gefertigte, Handgreifliche, Gemachte, das auf ein dreidimensionales Bild verweist, wie es bei Kult- und Repräsentationsstatuen der Fall ist.14 Der hebräische Befund hat eine Parallele 11 Möglicherweise hat Seebass recht, wenn er dabei eine polemische Spitze gegen die menschlichen – nichtisraelitischen – Könige vermutet: „Jahwe, nicht ein König, ist Herr der Ebenbilder Gottes.“ Seebass, Genesis I, 79. 12 Für ṣælæm im AT gibt es 34 Belege (Gen 5 x, Num 1 x, 1Sam 3 x, 2Kön 1 x, Ez 3 x, Am 1 x, Ps 2 x, Dan 17 x aram., 2Chr. 1 x). 13 Zur Diskussion Vgl. C. Dohmen, Das Bilderverbot. Seine Entstehung und seine Entwicklung im Alten Testament (Bonner Biblische Beiträge 62), Frankfurt 21987, 281–282; S. Schroer, In Israel gab es Bilder. Nachrichten von darstellender Kunst im Alten Testament (Orbis Biblicus et Orientalis 74), Fribourg/Göttingen 1987; 322ff.; A. Berlejung, Die Theologie der Bilder. Herstellung und Einweihung von Kultbildern in Mesopotamien und die alttestamentliche Bildpolemik (Orbis Biblicus et Orientalis 162), Fribourg/Göttingen 1998, 308–310; C. Uehlinger, Bilderkult III, Religion in Geschichte und Gegenwart4 Bd.1 (1998), 1565–1570; W. Gross, Gen 1,26.27; 9,6. Statue oder Ebenbild Gottes? Aufgabe und Würde des Menschen nach dem hebräischen griechischen Wortlaut, Jahrbuch für Biblische Theologie 15 (2000), 11–38; O. Kaiser, Der Mensch, Gottes Ebenbild und Statthalter auf Erden, in: ders., Gottes und der Menschen Weisheit. Gesammelte Aufsätze (Beihefte zur Zeitschrift für die alttestamentliche Wissenschaft 261), Berlin / New York 1998, 43–55; H.-P. Mathys (Hg.), Ebenbild Gottes – Herrscher über die Welt. Studien zu Würde und Auftrag des Menschen (Biblisch-theologische Studien 33), Neukirchen-Vluyn 1998; Janowski, Statue, 189–190. 14 Die Diskussion der Bedeutung von ṣælæm geht von mehrerer Ausgangspunkten aus: zum einen gibt das arab. (Verb) ṣlm = abhauen, behauen, schneiden, schnitzen einen Hinweis auf ṣælæm als deverbalisiertes Nomen, dem eine dem Nomen entsprechende Semantik zugesprochen wird. Zum anderen ist auf alttestamentliche Belege zu verweisen, die die Bedeutung des hebräischen Wortes in seinen Verwendungsumfeldern illustrieren: 2Kön 11,18 (=2Chr. 23,17), (Joasch wird König in Juda, Maßnahmen des Priesters Jojada): Da ging alles Volk des Landes in das Haus (Tempel) Baals und sie brachen seine Altäre ab, und sie zerschlugen alle seine ṣælamim gründlich und töteten Mattan, den Priester Baals, vor den Altären. Hier ist ṣælæm in der Bedeutung Götterstatue, Kultbild gebraucht. Ähnliches gilt für Ez 7,20 und Num 33,52: Ez 7,20 (aus einer Vision über das Ende): Sie haben ihre edlen © 2016, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783788730628 — ISBN E-Book: 9783788730635

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im akkadischen ṣalmu, das zwar ein breiteres Bedeutungsspektrum als ṣælæm aufweist, aber auch die Bedeutung von Statue haben kann.15 Mit ṣælæm/ṣalmu ist die Sphäre der altorientalischen Kultund Herrscherbildproblematik berührt. Ich schließe mich hier der Auffassung von Janowski an, der formuliert hat, dass „in [ṣælæm] das Abgebildete wirkmächtig präsent ist“ und dass daher „sich das Wort am besten mit [...] ‚Repräsentationsbild‘ wiedergeben“ lässt.16 1.4.2.2 Weit weniger intensiv wird der Begriff demut17 diskutiert.18 Im Gegensatz zu ṣælæm gibt es für demut – mit einer Ausnahme, s.u. – keine religionsgeschichtlichen Parallelen aus dem Kontext der Kult- und Repräsentationsbildproblematik und gar keine aus dem Bereich der Gottebenbildthematik. demut bezieht sich ebenfalls auf bildliche/figürliche Darstellungen „und unterstreicht deren Entsprechung zum Vorbild“.19 Einer der deutlichsten Fälle für diese Bedeutung ist 2Kön 16,10: 2Kön 16 10 Und der König Ahas zog Tiglat-Pileser entgegen, dem König von Assyrien, nach Damaskus. Und als er den Altar sah, der in Damaskus war, sandte der König Ahas zum Priester Uria Maße und Abbild/Modell (demut) des Altars, ganz wie dieser gemacht war. 11 Und der Priester Uria baute einen Altar und machte ihn so, wie der König Ahas zu ihm gesandt hatte von Damaskus, bis er selbst von Damaskus kam.

(edelmetallenen) Kleinode zur Hoffart verwendet und haben ṣælamim ihrer Götzen, ihrer Scheusale, daraus gemacht. Darum will ich ihnen all das zum Unrat machen. Num 33,52 (Auftrag Jahwes an die Israeliten vor dem Übergang in das Land Kanaan): So sollt ihr alle Bewohner vertreiben vor euch her und vernichten alle ihre (gemalten, Vgl. Lev 26,1) Bildwerke und alle ihre gegossenen ṣælamim zerstören und alle ihre Opferhöhen vertilgen. Ez 7,20 und Num 33,52 machen deutlich, dass ṣælæm auch das aus Metall gegossene Kultbild, Götterbild umschließt. Ähnlich: Am 5,26 (Text nicht ganz sicher); Ez 16,17 und 23,14 steht ṣælæm in der Bedeutung von (Wand-)Bildern von Männern. 1Sam 6,5 bringt ein Verständnis zu Ausdruck, hinter dem eine „magische“ Beziehung zwischen einer Sache und ihrem Abbild besteht; auch hier handelt es sich um handwerklich angefertigte plastische Abbilder, Gleichbilder. 15 Vgl. Berlejung, Bilder, 62–66. 16 Janowski, Statue, 190. 17 Für demut) gibt es 25 Belege: Ez 1–10 (16 Belege); Gen 3x, 2Kön 1x, Proto-Jes 1x, Deut-Jes 1x, Ps 1x, Dan 1x, 2Chr. 1x. 18 Vgl. E. Jenni, ‫ דמה‬dmh gleichen; Dohmen, Bilderverbot, 281–282; Schroer, Bilder, 326ff.; Jenni, Pleonastische Ausdrücke; Berlejung, Bilder, 310–311; Janowski, Statue, 188–189. 19 E. Jenni, ‫ דמה‬dmh gleichen, 452. © 2016, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783788730628 — ISBN E-Book: 9783788730635

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Wie bei materialen Darstellungen nahe liegend bezieht sich demut auf die Abbildfunktion im Bereich des Sichtbaren (so in alle Belegen). demut zielt also auf die gestalthafte Vergleichbarkeit zweier Dinge. Dies allerdings nur unter der Bedingung, „dass [...] die Notwendigkeit oder das Bedürfnis, auf die Gleichheit hinzuweisen, [...] nur dann besteht, wenn die Gleichheit nicht ohne weiteres feststeht“.20 Zwei Aspekte sind also an demut besonders wichtig: a) Es geht um äußere/sichtbare Gestaltähnlichkeit. b) Es geht um Gleichartigkeit oder Ähnlichkeit, aber nicht um Identität! Das ist wichtig für das Verständnis der Ebenbildlichkeit: Mensch und Gott sind gleichartig (jedenfalls in gewisser Hinsicht), aber nicht identisch! 1.4.2.3 Wie ist nun das Verhältnis von ṣælæm und demut zueinander? Die erste wichtige Beobachtung ist die Tatsache, dass es sich bei ṣælæm und demut nicht um Synonyme handelt. Die Lexeme sind klar unterschieden. Auch die Tatsache, dass beide mit Präpositionen eingeleitet sind, die bekanntermaßen in Gen 5,3 in umgekehrter Zuordnung stehen,21 ändert daran nichts. Die zweite Beobachtung betrifft die Koppelung von ṣælæm und demut. Beide Begriffe erscheinen als ein Begriffspaar, das zusammen das Ganze des Menschen im (bildlichen) Gegenüber zu Gott ausdrückt. Das Zusammenwirken der beiden Begriffe ist dabei ausschlaggebend, die auszusagende Sache wird von zwei Seiten her umschlossen. Durchaus ist hier von einem Merismus zu sprechen, einer Sprachfigur, die eine Ganzheit dadurch zum Ausdruck bringt, indem zwei ihrer Seiten genannt werden:22

20 E. Jenni, dmh gleichen, 452. 21 Vgl. Jenni, Präpositionen 1, 83–84; Jenni nimmt Ergebnisse von W. Gross, Die Gottebenbildlichkeit des Menschen im Kontext der Priesterschrift, in: ders., Studien zur Priesterschrift und zu alttestamentlichen Gottesbildern (Stuttgarter biblische Aufsatzbände 30), Stutgart 1999, 11–36 auf. 22 Vgl. J. Krasovec, Der Merismus im Biblisch-Hebräischen und Nordwestsemitischen (Biblica et Orientalia 33), Rom 1977; W. Bühlmann / K. Scherer, Sprachliche Stilfiguren der Bibel. Von Assonanz bis Zahlenspruch. Ein Nachschlagewerk, Gießen 21994, 84. © 2016, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783788730628 — ISBN E-Book: 9783788730635

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Die Gottebenbildlichkeitsvorstellung der Priesterschrift Ps 89,12 Ex 10,9 Gen 24,50 Ps 8,8 Gen 1,26

Himmel und Erde jung und alt Gutes und Böses Schafe und Rinder = (Kleinvieh und Großvieh) ṣælæm und demut

= das All, die Welt = alle Leute = alles = alle Haustiere = die ganze Ebenbildlichkeit

Bei den Merismen im AT ist es nicht ungewöhnlich, dass die beiden Glieder mit (gleichen oder verschiedenen) Präpositionen eingeleitet sind: Ps 57,12

Ps 113,5f. Jes 1,6 Ps 72,8

Erhebe dich, über (Präp: ‘al) den Himmel, Gott, und über (Präp: ‘al) die ganze Erde, (sei) deine Herrlichkeit Wer ist wie Jahwe [...] 6 [...] im (Präp: be) Himmel und auf (Präp: be) der Erde Von der (Präp.: min) Fußsohle (und) bis (Präp: ‘ad) zum Kopf Von (Präp.: min) Meer, zu (Präp: ‘ad) Meer, vom (Präp.: min) Strom bis an (Präp: ‘ad) die Enden der Erde

= gesamte Welt

= gesamte Welt = gesamter Mensch = gesamte Erde

ṣælæm und demut dürfen also nicht isoliert voneinander betrachtet werden, ihr Zusammenspiel ist das Wesentliche. Im Wesen des Merismus liegt es dabei – hierin ist der Merismus dem Parallelismus ähnlich23–, dass sich die Gesamtaussage aus den Gliedaussagen aufbaut, die Gliedaussagen aber dadurch nicht aufgehoben werden, sondern in ihrer Bedeutung präsent bleiben und die „Begrenzung“ des ausgesagten „Ganzen“ bilden.24 23 Vgl. zum Parallelismus und seiner noetischen Funktion, in der sich beide Teilaussagen zu einer neuen Gesamtaussage ergänzen: A. Wagner, Der Parallelismus membrorum zwischen poetischer Form und Denkfigur, in: ders. (Hg.), Parallelismus membrorum (Orbis Biblicus et Orientalis), Fribourg/Göttingen 2006, 1–26. 24 Die merismische Konstruktion ermöglicht feinsinnige Unterscheidungen: In Gen 5,3 etwa steht demut im Merismus voran, das dadurch und durch den Unterschied zur Gen 1,26 einen Akzent erhält. Diese Akzentuierung ist vorbereitet durch Gen 5,1, wo als Beginn der Geschlechterfolge Adam als demut Gottes – hier steht demut ohne ṣælæm – eingeführt wird; innerhalb der Problematik „Geschlechterfolge“, die im Bereich des Menschlichen unweigerlich mit Gestaltähnlichkeit verbunden ist (bis hin zur Generationen-/Familienähnlichkeit) und die zum Ausdruck bringt, dass die Gottebenbildlichkeit von Generation zu Generation weitergegeben wird, hat der Gestaltähnlichkeitsaspekt von Mensch und Gott eine größere Bedeutung als in Gen 1,26–28 wo der Repräsentationsgedanke stärker im Vordergrund steht (nicht zufällig arbeitet P in Gen 1,27 nur mit ṣælæm und ohne demut). Vgl. © 2016, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783788730628 — ISBN E-Book: 9783788730635

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Die dritte Beobachtung die Zweiheit von ṣælæm und demut betreffend zeigt sich im religionsgeschichtlichen Vergleich: sowohl in den ägyptischen Paralleltexten, die die Vorstellung von der Ebenbildlichkeit des Königs zu einem der Götter, meist Re, kennen,25 wie auch in den akkadischen Parallelen,26 wie auch in dem einen bisher aufgefundenen Text aus dem persischen Bereich,27 steht jeweils nur ein Lexem, um die Ebenbildlichkeit auszudrücken. Eine Zweiheit wie bei P gibt es also bei der Tradition des Königs als eines Ebenbildes Gottes nicht. Die merismische Zweiheit gehört zu den innovativen sprachlichen Bemühungen von P, um einen bis dahin ungesagten (ungedachten) Sachverhalt zum Ausdruck zu bringen.28 Die Fassung der Gottebenbildlichkeitsvorstellung als einer zweigliedrigen Aussage stellt also eine Besonderheit des Konzepts von P dar. Meine These zur Ebenbildlichkeit lautet daher: Die Gottebenbildlichkeit zielt auf Repräsentanz und Gestaltähnlichkeit.

dazu: Gunkel, Genesis, 112; H.-P. Müller, Eine neue babylonische Menschenschöpfungserzählung im Licht keilschriftlicher und biblischer Quellen, in: ders., Mythos – Kerygma –Wahrheit. Gesammelte Aufsätze zum Alten Testament in seiner Umwelt und zur Biblischen Theologie (Beihefte zur Zeitschrift für die alttestamentliche Wissenschaft 200), Berlin / New York 1991, 43–67, hier 52. Ebenso konsequent ist es von P, in Gen 9,6 wieder alleine mit ṣælæm zu operieren, weil bei der Problematik der Tötung eines Menschen die Repräsentation Gottes bedroht ist und der Ähnlichkeitsaspekt eine weniger bedeutsame Rolle spielt. 25 Vgl. B. Ockinga, Die Gottebenbildlichkeit im Alten Ägypten und im Alten Testament (ÄAT 7), Wiesbaden 1984; J. Assmann, Die Mosaische Unterscheidung. Oder der Preis des Monotheismus (Edition Akzente), München/Wien 2003, 96–98; Neumann-Gorsolke, Herrschen, 177–181; Janowski, Statue, 190–191. 26 Vgl. A. Angerstorfer, Ebenbild eines Gottes in babylonischen und assyrischen Keilschrifttexten. Biblische Notizen 88 (1997), 47–58; W. Gross, Gen 1,26.27; 9,6, 11–38; Neumann-Gorsolke, Herrschen, 181–185; Janowski, Statue, 190–191. 27 Neumann-Gorsolke, Herrschen, 179–181. 28 In der Statueninschrift vom Tell el-Fecherije (Syrien, 9. Jh. v. Chr.), einem Herrscher-Repräsentationsbild für den König Hadad-yis‘i von Guzana mit akkadischer und aramäischer Inschrift, finden sich im aramäischen Teil die Begriffe ṣlm und dmwt’ in einem Text; allerdings nicht als „Doppelbegriff“, sondern einmal in Teil A und einmal in Teil B der Inschrift. Vgl. C. Dohmen, Die Statue vom Tell Fecherije und die Gottebenbildlichkeit des Menschen, BN 22 (1983), 91–106; D. Schwiderski, Studien zur Redaktionsgeschichte und Religionsgeographie der akkadisch-aramäischen Bilingue vom Tell Fecherije, in: E. Schwertheim (Hg.), Religion und Region. Götter und Kulte aus dem östlichen Mittelmeerraum (Asia Minor Studien 45), Bonn 2003, 31–47; Neumann-Gorsolke, Herrschen, 190–192. © 2016, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783788730628 — ISBN E-Book: 9783788730635

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2. Die Gottebenbildlichkeit zielt auf Repräsentanz und Gestaltähnlichkeit ṣælæm wurde als Ausdruck für das einen Gott oder Herrscher repräsentierende Bild bestimmt. Diese Bedeutung für Gen 1,26 vorausgesetzt heißt, dass der Mensch als Repräsentationsbild Gottes geschaffen wurde. Die Aussage der Priesterschrift nimmt dieses Bildkonzept auf, verändert es aber mehrfach. Ein Repräsentationsbild ist ein statisches, „unbelebtes“ Artefakt, auch wenn, wie auf altorientalischem Hintergrund üblich (s.o.), eine enge Beziehung zum zugehörigen Gott bzw. Herrscher angenommen wird. Die Übertragung dieser Vorstellung auf einen lebendigen Menschen zeigt auch die ägyptische und mesopotamische Vorstellung vom König als Ebenbild Gottes. P überträgt die Repräsentationsbildvorstellung dann aber auf alle Menschen. Die Aussage zielt dabei auf den Zusammenhang von Repräsentationsbild und der Bezugsgröße, für die das Bild steht: Wie das Repräsentationsbild einen Gott oder Herrscher repräsentiert, so repräsentiert der Mensch – nach der Vorstellung von P – Gott. Der Mensch steht in der Welt an Gottes Statt. Dies ist für P Grundlage des in V. 26 und 28 vorgetragenen Herrschaftsgedankens.29 Damit verbunden ist aber auch (neben einem möglicherweise polemischen Unterton gegenüber fremden Kult- und Herrscherbildern, vgl. oben) die Vorstellung, dass es eine enge Verbindung zwischen Mensch und Gott gibt, die keinerlei Vermittlungsinstanz benötigt und die auf dem Entsprechungsgedanken beruht, ohne dass hier eine Identität bestünde (vgl. die Bedeutung von demut, s.o.). Diese Beziehung/Entsprechung besteht zwischen Gott und jedem Menschen (ādām als Kollektivbezeichnung! Vgl. auch zu Gen 5,3); jeder Mensch ist deshalb Stellvertreter Gottes, wie V. 27 zeigt, auch gleichermaßen Mann und Frau; es gibt unter den Menschen keine Unterschiede in dieser Beziehung.30 Um dieser auf altorientalischem Hin29 Die Interpretation des Herrschaftsgedankens steht vorliegenden Rahmen nicht im Vordergrund, vgl. dazu: U. Rüterswörden, Dominium terrae. Studien zur Genese einer alttestamentlichen Vorstellung (Beihefte zur Zeitschrift für die alttestamentliche Wissenschaft 215), Berlin / New York 1993; Mathys, Ebenbild Gottes – Herrscher über die Welt; Neumann-Gorsolke, Herrschen; Janowski, Statue, jeweils mit Lit.! 30 Was in Ägypten eine königlich-royale Eigenschaft ist, kommt bei P allen Menschen zu. Daher ist durchaus von einer Royalisierung der Menschen bei P zu sprechen; vgl.; Janowski, Statue, 193; E.-J. Waschke, Zur Bedeutung der Königsideologie für die Gottesebenbildlichkeit, in: A. Wagner (Hg.), Anthropologische Aufbrüche. Alttestamentliche Menschenkonzepte und anthropologische Positionen und © 2016, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783788730628 — ISBN E-Book: 9783788730635

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tergrund völlig originären Anthropologie eine sprachliche Fassung zu geben, schafft P in der präpositional eingebundenen und merismischen Zweiheit/Ganzheit von be-ṣælæm + ke-demut eine neue und komplexe, aber leistungsfähige Ausdrucksweise. In ṣælæm auch enthalten ist das Bedeutungsmoment der Abbildung einer Sache. Das Aussehen eines Kultbildes ist nicht völlig beliebig. Dieser Aspekt der Ebenbildlichkeit wird nun innerhalb der „merismischen Ganzheit“ durch demut konkretisiert: Der Mensch ist nicht nur Repräsentant, Statue Gottes, er ist ihm auch gleichartig, was das Äußere, das Gestalthafte anbelangt, es gibt eine gemeinsame auf die Gestalt bezogene „anthropomorphe“ Schnittmenge. Zum Verständnis dieser Gestaltähnlichkeit sind zwei Aspekte zu berücksichtigen: a) Bei dem Verhältnis von Gott und Mensch bei P ist der spezifische Anthropomorphismus Jahwes vorauszusetzen, der von dem Anthropomorphismus anderer Götter zu unterscheiden ist. b) Die Gleichartigkeit der Gestalt ist nicht von der uns vertrauten Formvorstellung, sondern vom synthetischen Denken des AT her zu verstehen, das die Funktion des Körpers in den Vordergrund stellt. Beide Aspekte werden in den nächsten Abschnitten 3 und 4 kurz erläutert. 3.

Anthropomorphismus im Alten Orient und im Alten Testament

Soweit wir Schrift- und Bildzeugnisse aus den altorientalischen Kulturen besitzen gehört die Menschengestaltigkeit von Göttern – neben der Tiergestaltigkeit (Theriomorphismus) und Mischgestaltigkeit,31 neben der Gleichsetzung von Göttern und Naturkräften – zum altorientalischen religiösen Vorstellungsrepertoire. Methoden (Forschungen zur Religion und Literatur des Alten und Neuen Testaments 232), Göttingen 2009, 235–254; anders Koch und Otto, die eher von einer „Demokratisierung“ ausgehen: K. Koch, Imago Dei – Die Würde des Menschen im biblischen Text (Berichte aus den Sitzungen der Joachim Jungius-Gesellschaft der Wissenschaften 18), Göttingen 2000, 23; E. Otto, Gottes Recht als Menschenrecht. Rechts- und literaturhistorische Studien zum Deuteronomium (Beihefte zur Zeitschrift für Altorientalische und Biblische Rechtsgeschichte 2), Wiesbaden 2002, 179. 31 Vgl. R. Merz, Die numinose Mischgestalt (Religionsgeschichtliche Versuche und Vorarbeiten XXXVI), Berlin / New York 1978. © 2016, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783788730628 — ISBN E-Book: 9783788730635

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Für dieses Vorstellungsrepertoire gibt es im Bereich der symbolischen Repräsentation Gottes bzw. der Götter in den altorientalischen Religionen grundsätzlich zwei Möglichkeiten der Darstellung: a) Den Raum der bildlichen Darstellung (zwei- und dreidimensional), vorwiegend in Kultbildern b) Den Raum der sprachlich-mentalen Dar- und Vorstellung, den Raum also der Sprachbilder und Texte. Es ist, B. Gladigow folgend, eine religions-phänomenologische Besonderheit, dass in den Religionen mit personhafter Gottesvorstellung der Anthropomorphismus eine besondere Rolle spielt,32 so auch bei der altorientalischen und griechischen polytheistischen Götterwelt mit ihren vielfältigen Götterpersönlichkeiten.33 In der religiösen Welt, aus der die alttestamentliche Religion herauswächst, ist der Anthropomorphismus also kein Fremdkörper, sondern gehört zu den Grundannahmen über Götter. Allerdings haben die verschiedenen Religionen und Kulturen durchaus unterschiedliche Anthropomorphismus-Vorstellungen ausgeprägt; ich will hier auf einige hinweisen, um für die Verschiedenheit von Anthropomorphismuskonzepten zu sensibilisieren: In einigen Fällen gibt es die Möglichkeit zu Mehrgestaltigkeiten, also die Möglichkeit, sich einen Gott in Menschengestalt, bei anderer Gelegenheit in Tiergestalt, in Mischgestalt o.ä. vorzustellen. Die Verwandlungsfähigkeit des griechischen Zeus (Stier, Schwan) ist hier genauso anzuführen wie die Verwandlungsfähigkeit der Hathor, die zum einen in Menschengestalt, zum anderen in Gestalt einer Kuh auftreten kann, oder die anstatt mit menschlichen Ohren mit Kuhohren

32 Vgl. B. Gladigow, Art. Gottesvorstellungen, Handbuch religionswissenschaftlicher Grundbegriffe, Bd. III, hg. von H. Cancik, B. Gladigow und K.-H. Kohl, Stuttgart [u.a.] 1993, 32–49. 33 Vgl. (Auswahl!) jeweils passim: J. Bottéro, Religion in ancient Mesopotamia. Chicago [u.a.] 2001; J.N. Bremmer, Götter Mythen und Heiligtümer im antiken Griechenland, Darmstadt 1996; W. Burkert, Griechische Religion der Archaischen und Klassischen Epoche, Stuttgart 1977; B. Groneberg, Die Götter des Zweistromlandes. Kulte, Mythen, Epen, Düsseldorf/Zürich 2004; K. Koch, Geschichte der ägyptischen Religion. Von den Pyramiden bis zu den Mysterien der Isis, Stuttgart/ Berlin/Köln 1993; H. Niehr, Religionen in Israels Umwelt. Einführung in die nordwestsemitischen Religionen Syriens-Palästinas (Die neue Echter-Bibel. Ergänzungsband zum Alten Testament 5), Würzburg 1998. © 2016, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783788730628 — ISBN E-Book: 9783788730635

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ausgestattet ist.34 Thot kennt man als Mensch mit Ibis-Kopf, doch tritt er auch als Ibis-Vogel oder als Pavian auf.35 Eine ähnlich geartete Mehrgestaltigkeit Jahwes kennen wir nicht.36 Auch die Gestaltausformungen bzw. die Körpervorstellungen innerhalb der verschiedenen Anthropomorphismuskonzepte sind unterschiedlich: Die griechischen Götter lassen sich – seit Hesiod und Homer – bei Darstellung in reiner Menschengestalt an ihrer äußeren Körperform bzw. an -merkmalen erkennen: Athena an den leuchtenden Augen, Aphrodite (= Hathor) am schönen Hals usw. Durch solche Körpermerkmale sind die Götter aus den Religionen des östlichen Mittelmeerraumes nicht zu identifizieren. Die kanaanäischen, assyrisch-babylonischen oder ägyptischen Götter brauchen Attribute, Symbole, Gesten, um die Identität sicherzustellen: Hathor wird oft als junge Frau dargestellt, die man aber nicht an körperlichen Merkmalen, sondern an den Hörnern erkennt, zwischen denen die Sonnenscheibe steht, oder an den Kuhohren. An der Form der Frauengestalt alleine ist Hathor nicht zu erkennen.37 Der Anthropomorphismus Israels folgt, was die Identifizierung der „Götter-“ bzw. Gottesidentität“ anbelangt, klar der altorientalischen Konzeption. Individuelle Formmerkmale für Jahwes Gestalt, an denen man seine Identität erkennen könnte, etwa besondere physiog-

34 Vgl. K. v.d. Toorn, Hathor, in: Dictionary of deities and demons in the bible, hg. von ders. / B. Becking / P.W. v.d. Horst, Leiden [u.a.] 1999, 385–387. 35 Vgl. R.L. Vos, Thot, in: Dictionary of deities and demons in the bible, hg. von K. v.d. Toorn / B. Becking / P.W. v.d. Horst, Leiden [u.a.] 1999, 861–864. 36 Möglicherweise gab es in der Religionsgeschichte Israels Phasen, in denen Jahwe in Verbindung etwa mit dem Stier/Kalb gebracht wurde, vgl. dazu: K. Koenen, Bethel. Geschichte, Kult und Theologie (Orbis biblicus et orientalis 192), Fribourg/Göttingen 2003; C. Uehlinger, Exodus, Stierbild und biblisches Kultbildverbot. Religionsgeschichtliche Voraussetzungen eines biblisch-theologischen Spezifikums, in: C. Hardmeier / R. Kessler / A. Ruwe (Hg.), Freiheit und Recht. Festschrift für Frank Crüsemann zum 65. Geburtstag, Gütersloh 2004, 42–77; M. Köhlmoos, Bet-El - Erinnerungen an eine Stadt. Perspektiven der alttestamentlichen Bet-ElÜberlieferung (Forschungen zum Alten Testament 49), Tübingen 2006. Aber selbst wenn die These einer Verbindung von Jahwe und einem Stier für die Königszeit (an Kultorten wie Bet-El) sich durchsetzen sollte, dann ist diese Verbindung in exilischnachexilsicher Zeit gelöst worden. Man könnte daher allenfalls von sukzessiver statt von simultaner Mehrgestaltigkeit sprechen. 37 Auf diesen Sachverhalt hat schon H. Schäfer, Von Ägyptischer Kunst, besonders der Zeichenkunst. Eine Einführung in die Betrachtung ägyptischer Kunstwerke, 2 Bde. Leipzig 11919; 4. verbesserte Auflage. Hrsg. und mit einem Nachwort versehen von Emma Brunner-Traut. Wiesbaden 1963 [engl. 31986], 20 hingewiesen. © 2016, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783788730628 — ISBN E-Book: 9783788730635

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nomisch singuläre Gesichts- (Bartfom/Augenfom/Nasenform) oder Körperkennzeichen gibt es im gesamten Alten Testament nicht. Das Bilderverbot des AT hält fest, dass in der alttestamentlichen Religion Jahwe spätestens ab der exilisch-nachexilischen Zeit als kultbildloser Gott verehrt wurde.38 Eindeutige materiale Bildzeugnisse Jahwes oder gar eine spezifische Jahwe-Ikonographie sind bisher nicht nachgewiesen.39 Und selbst wenn sie überliefert wären, würden sie wenig anders aussehen, als die bekannten anthropomorphen Götter, Bilder und Statuen der Nachbarn Israels. Das Bilderverbot hat aber nicht bewirkt, dass der Anthropomorphismus im AT verschwunden wäre. Er hat den mentalen Bereich der Gottesvorstellung besetzt.40 Ein anthropomorphes Gotteskonzept ist überall im AT zu finden, und zwar nicht als seltene Vorstellung, sondern mit einer Vielzahl von Belegen: Aussagen über Jahwes Körper, sein Gesicht, seine Augen, seine Hand, seinen Arm usw. kommen hundertfach im AT und in allen Literaturbereichen vor. Der Anthropomorphismus wurde im Laufe der innerisraelitischen religionsgeschichtlichen Entwicklung nicht aufgegeben, nicht einmal in den monotheistischen Spitzentexten wie etwa Deuterojesaja. Mit Blick auf den späten Ps 139, in dem die Hand Gottes universale, ja fast kosmische Reichweite hat, kann man vielleicht sogar sagen, dass der Anthropomorphismus monotheistisch gesteigert, mit der Macht des einzigen Gottes gewachsen ist.41 Eingedenk der Einsicht, dass das Phänomen des Anthropomorphismus außer- wie inneralttestamentlich sehr differenziert wahrzunehmen ist, tritt auch der Charakter des Konzeptes von P schärfer zutage: In der früheren literarischen Pentateuchkonzeption, die einen alten Jahwisten einer jungen Priesterschrift gegenüberstellte, profilierte sich auch der Anthropomorphismus scharf: der alte J hat einen „urtümlichen“ Anthropomorphismus, bei P war das Gotteskonzept gereinigter, abstrakter, transzendenter.42 Dabei trat zuweilen zu stark in den Hintergrund, dass auch P dem anthropomorphen Konzept grund38 Vgl. A. Wagner, Alttestamentlicher Monotheismus und seine Bindung an das Wort, in: ders. [u.a.] (Hg.), Gott im Wort – Gott im Bild. Bilderlosigkeit als Bedingung des Monotheismus? Neukirchen-Vluyn, 2005, 1–22 (Lit.!). 39 Vgl. O. Keel, Warum im Jerusalemer Tempel kein anthropomorphes Kultbild gestanden haben dürfte, in: G. Boehm (Hg.), Homo pictor (Colloquium Rauricum 7), München/Leipzig 2007, 244–281. 40 Vgl. C. Uehlinger, Bilderverbot, RGG4 Bd.1 (1998), 1574–1577, hier 1576. 41 Vgl. A. Wagner, Permutatio religionis – Ps cxxxix und der Wandel der israelitischen Religion zur Bekenntnisreligion, in VT 57 (2007), 91–113. 42 Vgl. v. Rad, Genesis, 11–14. © 2016, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783788730628 — ISBN E-Book: 9783788730635

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sätzlich treu blieb. Dies verdeutlicht eine (vorläufige und knappe) Übersicht, die auf Gegebenheiten des gestaltbezogenen Anthropomorphismus bei Pg ausgerichtet ist (Anthropopathismen etc. sind hier ausgeblendet): Körperteile Gottes43

ro’š Kopf pānîm Gesicht ‘ayin Auge ’ozæn Ohr

’ap Nase

pæh Mund zerôa‘ Arm

Belege aus P (Grundschrift)

Belege (Körperteile) aus dem AT (Auswahl!) – Jes 59,15 Dan 7,9 Körperteil: Gesicht; Ex 25,30 Und du sollst auf Gen 33,10 den Tisch allezeit Schaubrote legen vor mein Job 2,7 Angesicht. Funktion: sehen; vorausgesetztes Körperteil: Am 9,3 Auge; Gen 1,4 (u.ö.):Und Gott sah, dass das Gen 6,8 Licht gut war. Funktion: hören; vorausgesetztes Körperteil: 2Kön 19,16 Ohr; Gen 12, 20 Und für Ismael habe ich dich 2Chr 7,15 auch erhört. Siehe, ich habe ihn gesegnet und will ihn fruchtbar machen und über alle Maßen mehren. [...] Ex 6,5 Auch habe ich gehört die Wehklage der Israeliten, die die Ägypter mit Frondienst beschweren[...] Funktion: riechen; vorausgesetztes Körperteil: 2Sam 22,9 Nase; Lev 26,31 Und ich will eure Städte wüst Jes 65,5 machen und eure Heiligtümer verheeren und will den lieblichen Geruch eurer Opfer nicht mehr riechen (hier aber nicht Pg, sondern Heiligkeitsgesetz) Funktion: sprechen; vorausgesetzes Körperteil: Lev 24,12 Mund; Gen 1,3 Und Gott sprach: [...] Ps 33,6 Körperteil: Arm, Ex 6,6 Darum sage den Israeli- Ex 15,16 ten: Ich bin Jahwe und will euch wegführen von Ps 89,11 den Lasten, die euch die Ägypter auflegen [...] und will euch erlösen mit ausgerecktem Arm und durch große Gerichte

43 Wiedergegeben sind hier die zentralen/häufigsten Körperteile, wie sie bei einer menschlichen Gestalt in Sprachbildern und materialen Bildern des AT bzw. Israels anzutreffen sind. Vgl. A. Wagner, Mensch (AT), S. 37–43 in diesem Band. © 2016, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783788730628 — ISBN E-Book: 9783788730635

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Körperteil: Hand, Ex 6,8 [...] das Land, um Jer 18,6 dessentwillen ich meine Hand (zum Schwur) Ps 48,11 erhoben habe [...] – 2Sam 22,10 Jes 66,1

Die genannten Körperteile (linke Spalte) sind die charakteristischen für den alttestamentlichen Anthropomorphismus. In der Wiedergabe von ausgewählten Belegen aus dem AT (ganz rechte Spalte) ist nur angedeutet, wie weit die anthropomorphe Gottesvorstellung verbreitet ist; sie findet sich in so gut wie allen Textbereichen, in frühen wie in späten Texten. Fast alle der zentralen Anthropomorphismen finden sich auch in P. P folgt also dem anthropomorphen Grundkonzept, das das AT weithin bestimmt. Diese Tatsache ist bei der Interpretation der Gottebenbildlichkeitsvorstellung zu berücksichtigen.44

44 Die Anthropomorphismuskonzepte der altorientalischen Religionen unterscheiden sich in mannigfacher Hinsicht; dem kann hier nicht ausführlich nachgegangen werden. Wie anders der alttestamentliche Anthropomorphismus, etwa hinsichtlich der Gott bzw. den Götter zugeschriebenen Handlungen und Verhaltensweisen ist, zeigen die beiden nachstehenden ugaritischen Texte: KTU 1,114, 1–4 Die Götter als Gäste Els El schlachtet ein Opfer in seinem Haus, / er verköstigt inmitten seines Palastes. / Er ruft zum (Fleisch-)zerschneiden die Götter. / „Esset, o Götter, und trinkt, / trinkt Wein bis zur Sättigung, / neuen Wein bis zur Trunkenheit!“ KTU 1.3 I: Das Festmahl Baals Er [wohl: El gemeint] dient Baal, dem mächtigen, / Ehrt den Fürsten, den Herrn der Erde. / Er erhob sich, legte vor und speiste ihn. / Er zerteilte eine Brust vor ihm, / Mit scharfem Messer das Vorderstück des Masttieres. / Er trat herzu, kredenzte und reichte ihm zu trinken.// Er gibt ihm den Becher in seine Hand, / Den Pokal in seine beiden Hände – / Einen großen Humpen von gewaltigem Maß, / Einen heiligen Becher, / nicht darf ihn schauen eine Frau, / Einen Pokal, nicht darf ihn erblicken eine Göttin. / Tausend Krüge fasst er des Weins, / Zehntausend vermag man in ihm zu mischen. // Es hub an zu spielen und zu singen, / Die Zymbel in der Hand, ein Anmutiger. / Es sang ein Jüngling mit schöner Stimme / Über Baal, der auf den Gipfeln des Nordberges wohnt: / „Es blickt Baal auf seine Töchter; / Er schaut Pidraja, die Tochter des Nebels, / Und auf Talaja, die Tochter des Regens...“ Übersetzung nach: O. Loretz, Ugarit und die Bibel. Kanaanäische Götter und Religion im Alten Testament, Darmstadt 1990; W. Beyerlin (Hg.), Religionsgeschichtliches Textbuch zum Alten Testament (Altes Testament Deutsch. Ergänzungsreihe 1), Göttingen 21985 (11975). Der alttestamentliche Gott wird – in allen alttestamentlichen Textbereichen – völlig anders charakterisiert als die feiernden, saufenden, lustvoll-ausschweifend agierenden Götter von Israels Nachbarn. © 2016, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783788730628 — ISBN E-Book: 9783788730635

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4. Funktionalismus bei der Körperauffassung (synthetische Körperauffassung) Auf den Sachverhalt, dass Körperbezeichnungen im AT (resp. dem Alten Orient) nicht nur auf die Darstellung der Körperform zielen, hat schon H. W. Wolff in seiner Anthropologie des Alten Testaments verwiesen, Nachfolgende haben hier angeknüpft.45 Wolff nennt das Phänomen: „das synthetische Denken“: „So setzt das [...] Denken [des AT] zugleich eine Zusammenschau der Glieder und Organe des menschlichen Leibes mit ihren Fähigkeiten und Tätigkeiten voraus. Es ist das synthetische Denken, das mit der Nennung eines Körperteils dessen Funktion meint.“46

Wolff veranschaulicht diesen Sachverhalt mit einem Beispiel: „Ruft der Prophet aus (Jes 52,7): Wie schön sind auf den Bergen die Füße des Freudenboten!, so meint er nicht deren graziöse Gestalt, sondern ihre hurtige Bewegung: Wie schön, daß der Bote über die Berge heraneilt! ‚Füße‘ sagt der Hebräer, aber er denkt an das sprunghafte Nahen. In Ri 7,2 kommt der befürchtete Selbstruhm Israels in dem Satz zur Sprache: Meine Hand hat mir geholfen. Gemeint ist natürlich das eigene Zupacken, die eigene Kraft. Das Glied und sein wirksames Handeln werden zusammengeschaut. Der Hebräer kann und muß mit einem verhältnismäßig kleinen Wortschatz, mit dem er die Dinge und gerade auch die menschlichen Körperteile benennt, eine Fülle feiner Nuancen zum Ausdruck bringen, indem der Satzzusammenhang die Möglichkeiten, Tätigkeiten, Eigenarten oder Widerfahrnisse des Benannten heraushebt.“47

Die Zusammenschau hier von Körperglied (Hand) und wirksamem Handeln ist das, worauf der Ausdruck „synthetisch“ zielt. Mit dieser Beobachtung hat Wolff eine Eigenart sowohl der hebräischen Anthropologie wie auch der hebräischen Sprache aufgedeckt.48 Mit diesem Funktionalismus haben wir also immer da zu rechnen, wo es um Körperteile geht. Das synthetische Denken findet nicht nur Anwendung bei den menschlichen Körperteilen, sondern kommt na45 Vgl. (Auswahl!): O. Keel, Deine Blicke sind Tauben. Zur Metaphorik des Hohen Liedes (Stuttgarter biblische Studien 114/115), Stuttgart 1984; ders., Die Welt der altorientalischen Bildsymbolik und das Alte Testament. Am Beispiel der Psalmen, Göttingen 51996; B. Janowski, Konfliktgespräche mit Gott. Eine Anthropologie der Psalmen, Neukirchen-Vluyn 2003; S. Schroer / T. Staubli, Die Körpersymbolik der Bibel, Darmstadt 22005 (11998); A. Wagner, Mensch. 46 H. W. Wolff, Anthropologie des Alten Testaments, Gütersloh 72002, 23. 47 Wolff, Anthropologie, 23. 48 Vgl. A. Wagner, Das synthetische Bedeutungsspektrum hebräischer Körperteilbezeichnungen, S. 71–82 in diesem Band. © 2016, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783788730628 — ISBN E-Book: 9783788730635

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türlich auch bei den Anthropomorphismen zur Anwendung. Hier allerdings übertreffen die göttlichen Möglichkeiten die menschlichen, die Hand/Macht Jahwes ist stärker als die Hand/Macht des Menschen. Was für die einzelnen Körperteile gilt, das ist auch dem „Ganzen“ Körper zuzusprechen, wobei die „Ganzheit“ des Körpers im AT (resp. Alten Orient) aus der Addition seiner Teile besteht. Der gesamte Körper (mit seinen Teilen und damit Teilfunktionen) stellt ein komplexes Gebilde aus Handlungs- und Kommunikationsfunktionen dar: Mit Augen, Mund und Ohren kann ich kommunizieren, mit der Hand, dem Arm „handeln“, mit dem Fuß Macht ausüben usw. In folgender Übersicht über die Körperteile sind ihre Funktionen zusammengefasst: Körperteile ro’š Kopf pānîm Gesicht

‘ayin Auge ’ozæn Ohr ’ap Nase pæh Mund/ śāfāh Lippe yād Hand/ yāmîn Rechte yād Hand rægæl Fuß

(gestische) funktional/ abstrakte Bedeutung Zentrum der ‚Person’, personales Gegenüber Beziehung herstellen, von Angesicht zu Angesicht kommunizieren Sehen Hören Riechen, Zorn, zürnen Sprechen   (treten)

Funktionsbereich Kommunikationsvoraussetzung Kommunikation

Kommunikation ausüben Kommunikation ausüben Reaktionsmöglichkeit, Handlungsgrundlage, Kommunikation ausüben Kommunikation ausüben Macht und Präsenz ausüben Handlungen ausführen Handeln (Arbeiten), Macht ausüben Macht und Präsenz ausüben

Die synthetische Körperauffassung ist auch bei der Deutung des „Körpers Jahwes“ zu beachten. Der Sinn des Anthropomorphismus ist es nicht, die göttliche Gestalt sichtbar zu machen oder gar zu vermenschlichen, der Sinn ist, über die Körperteile, deren Form und Physiognomie völlig belanglos sind, Aussagen zur Wirkweise zu machen. Die anthropomorphen Götter sehen so aus, wie ihre Funktionen sind: Sie sprechen und handeln, fühlen und Denken ähnlich wie Menschen, allerdings tun sie all dies nach ihren göttlichen Möglichkeiten, die weit über das Menschliche hinausgehen.

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Beim altorientalischen/alttestamentlichen Anthropomorphismus der Götter geht es also nicht darum, die Gottesvorstellung zu vermenschlichen, sondern die durch Menschen erfahrenen göttlichen Wirkkräfte mittels der synthetischen Körperteilauffassung kommunikabel zu machen. Hinsichtlich dieses anthropomorphen Ausdruckscodes unterscheidet sich das AT nicht wesentlich von seinen Nachbarreligionen. Allerdings wirken sich Unterschiede vor allem in der Gotteskonzeption (Monolatrie, Monotheismus, universale Wirkmächtigkeit Jahwes) auch bei den „anthropomorphen Wirkmächtigkeiten“ aus, „Jahwes Hand“ hat (in der Spätzeit des AT) etwa eine universale Funktion/Reichweite. 5. Der theologische Sinn der Gestaltähnlichkeit von Gott und Mensch bei P Ich fasse zunächst einige Beobachtungen und Argumentationsschritte zusammen: a) Das Gottebenbildlichkeitskonzept von Gen 1,26–27 ist unter den Aspekten der Repräsentation und der Gestaltähnlichkeit aufzufassen. b) Für das Verständnis der Körpergestalt ist für Israel die synthetische Körperauffassung entscheidend. D.h. es geht nicht um die Körperform, sondern um die Körper- und Körperteilfunktion. c) Die Gestaltähnlichkeit bei der Ebenbildvorstellung ist nun auf diesem Hintergrund als Funktionsähnlichkeit zu verstehen. Ähnlichkeit muss dabei unterstrichen werden, es geht nicht um Gleichheit. Gotteshand hat andere Möglichkeiten als Menschenhand. d) Die so verstandene Gottebenbildlichkeitsvorstellung und der damit verbundene Anthropomorphismus Jahwes sind eingebunden in das theologische Gesamtkonzept der Priesterschrift, das wiederum durch Grundentscheidungen und Grundannahmen geprägt ist, die auch für andere Texte bzw. Textbereiche des AT bzw. das AT insgesamt gelten (Stichworte sind hier: Konzentration auf den einen Gott; Geschichtsmächtigkeit dieses Gottes; Zugewandtheit zu den Menschen und zur Schöpfung); israelitische Auffassungen unterscheiden sich dabei z.T. fundamental von den Religionen der Umwelt.

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Nach dem Konzept der Priesterschrift – und etlicher anderer Texte des AT – tritt Gott der Welt als Schöpfer gegenüber. Die ägyptischen Götter etwa, so hat das J.Assmann scharf formuliert, sind dagegen die Welt, sind evident und immanent.49 Naturphänomene wie Sonne, Gestirne, Krankheiten usw. werden in ihrer göttlichen Qualität begriffen. In der priesterschriftlichen Vorstellung sind Sonne, Gestirne, Mond „Lampen“ ohne göttliche Eigennatur. Dieser polemische Zug im Schöpfungstext der Priesterschrift setzt ein völlig anderes Gottesverständnis voraus. In der Tat ist der Gott von P viel abstrakter, losgelöster von der Welt, auch mächtiger, souveräner, transzendenter. Und mit diesen Eigenschaften droht Gott die Gefahr, die Verbindung zum Menschen zu verlieren. Mit dem Anthropomorphismus und der Vorstellung von der Gottebenbildlichkeit hat P demgegenüber ein Konzept aufgegriffen und als Fundamentalaussage über Gott und Mensch gestaltet, das die Verbundenheit von Gott und Mensch von der Schöpfung her festhält. Aufgrund der Ähnlichkeit – nicht Gleichheit – sind Voraussetzungen geschaffen, die Kommunikation und Handlung zwischen Gott und Mensch ermöglichen. Ob man auf diese Ähnlichkeit von Gott her (Theomorphismus50) oder vom Menschen her (Anthropomorphismus) blickt, ist eine Frage der Perspektive, eine Frage, ob ich Aussagen über Gott oder über den Menschen machen will. Unterstreiche ich die Ähnlichkeit des Menschen mit Gott, ist die hohe Stellung akzentuiert, 49 Vgl. J. Assmann, Ma‘at. Gerechtigkeit und Unsterblichkeit im Alten Ägypten, München 1990, 35; D. Michel, Annäherungen. Gedanken zur fundamentalen Bedeutung des Alten und der normativen Bedeutung des neuen Testaments, in: ders., Studen zur Überlieferungsgeschichte alttestamentlicher Texte hrsg. von A. Wagner [u.a.], (Theologische Bücherei 93), Gütersloh 1997, 69–92, hier 84–87. 50 „Tatsächlich hat sich Israel auch Jahwe selbst menschengestaltig vorgestellt, aber diese uns geläufige Formulierung läuft nun, alttestamentlich gedacht, in falscher Richtung, denn man kann im Sinne des Jahweglaubens nicht sagen, Israel habe Gott anthropomorph gesehen, sondern umgekehrt, es hat den Menschen für theomorph gehalten.“ G. v. Rad, Theologie des Alten Testaments. Bd. 1 Die Theologie der geschichtlichen Überlieferungen Israels. München 91987 (11957), 159. Im Weiteren verweist G. v. Rad auf den Abstand zwischen Gott und Mensch, den auch das AT betont hat. Ähnlich Zimmerli: „Hier [in Gen 1] wird nicht von einer Menschengestaltigkeit Gottes, sondern von einer Gottesgestaltigkeit des Menschen geredet.“ W. Zimmerli, Grundriß der alttestamentlichen Theologie (ThW 3,1), Stuttgart [u.a.] 7 1999 (11972), 28. Auch Kaiser formuliert ähnlich: „Der Mensch ist nach der Überzeugung des Priesters [=der Priesterschrift] eine vollplastische Kopie Gottes [...].“ O. Kaiser, Der Gott des Alten Testaments. Theologie des AT 2: Jahwe, der Gott Israels, Schöpfer der Welt und des Menschen, Göttingen 1998, 304. Ähnlich auch: M. Weippert, Tier und Mensch in einer menschenarmen Welt. Zum sog. dominium terrae in Genesis 1, in: Mathys, Ebenbild Gottes – Herrscher über die Welt, 35–55, hier 42–44, der von der „Theomorphie des Menschen“ spricht. © 2016, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783788730628 — ISBN E-Book: 9783788730635

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die der Mensch in der Vorstellung von P in der Welt hat. Unterstreicht man die Ähnlichkeit Gottes mit dem Menschen, kommt man zur Anthropomorphismusproblematik. Entscheidend ist es, über diese beiden Perspektiven hinaus die Verbindung zwischen Schöpfer und Geschöpf festzuhalten, die über die Gestaltähnlichkeit innerhalb des priesterschriftlichen Ebenbildkonzepts ausgedrückt wird.51 Das merkwürdig auffallende Bild vom „treten“ in Gen 1,26 (s.o. 1.3.3) setzt diesen Sachverhalt ebenfalls voraus: der Herrschaftsgedanke über die Tiere, der sich in V. 28 fortsetzt, wird mit einer Körpermetapher – treten (mit den Füssen) auf die Beherrschten – ausgedrückt. Nach der „gestalthaften“ Schöpfung ist der Mensch dazu in der Lage, ebenso wie die Welt Gott „zu Füßen“ liegt: Jes 66,1 Der Himmel ist mein Thron, und die Erde der Schemel meiner Füße. Nach dem Ebenbildlichkeitsgedanken der Priesterschrift kann Gott am Menschen, an der Menschheit (ādām) handeln, auch sich ihr mitteilen, diese kann empfangen und stellvertretend in der Welt handeln. Dabei entschwindet Gott dem Menschen nicht, sondern bleibt aufgrund der gemeinsamen und über die gleichartige Gestalt vermittelten Fähigkeit zur Kommunikation jedem einzelnen Menschen ohne Zwischeninstanz zugänglich.52 Dies bleibt Grundlage im Verhältnis Gott – Mensch, auch wenn sich die geschichtlichen Formen der (kultischen) Gottesbegegnung ändern. 51 In Ägypten, so hat Assmann, Mosaische Unterscheidung, 96–97 festgehalten, beruht „Gottesnähe“ auf dem Staat und dem Pharao. Die Götter haben sich aus der Welt zurückgezogen, an „Stelle ihrer Realpräsenz haben sie aber den Staat auf Erden eingerichtet“ (a.a.O. 96). „Anstelle der ursprünglichen unmittelbaren und symbiotischen Gottesnähe, wie sie die Mythen erzählen und imaginieren, entsteht der kulturell geformte, auf den Möglichkeiten symbolischer Vermittlung und Vergegenwärtigung beruhende Raum der Gottesnähe. Der Staat ist die Institution der Gottesnähe. Der Pharao herrscht als Repräsentant des Schöpfergottes.“ (a.a.O. 97) Das Prinzip der repräsentativen politischen Theologie ist dabei: „der Herrscher als Bild Gottes“. (a.a.O. 97) P knüpft mit der Übernahme der Bild Gottes-Vorstellung an diesen Zusammenhang an; mit der Transformation der Bild-Gottes Vorstellung auf alle Menschen ist auch die Gottesnähe für alle Menschen hergestellt. 52 P steht vor dem Grundproblem – wie etliche weitere exilisch-nachexilische theologische Entwürfe, vgl. etwa Deuterojesaja –, Jahwe, nachdem der Tempelkult als Ort der Möglichkeit zur Gottesbegegnung weggefallen war, sowohl wirkmächtig wie auch präsent zu halten. Der gestaltbezogene Anthropomorphismus kann genau dies leisten. Eine konvergente Erscheinung innerhalb von P hat A. Diesel, „Ich bin Jahwe“. Der Aufstieg der Ich-bin-Jahwe-Aussage zum Schlüsselwort des alttestamentlichen Monotheismus (Wissenschaftliche Monographien zum Alten und Neuen Testament 110), Neukirchen-Vluyn 2006, 385–386 herausgearbeitet: Mit der „Ich bin Jahwe“-Aussage – als „Anthropolingualismus“ dem Phänomen des Anthropomorphsmus durchaus zugeordnet– schafft P eine größtmögliche Präsenz Jahwes, um Nähe zwischen Jahwe und seinem Volk herzustellen. © 2016, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783788730628 — ISBN E-Book: 9783788730635

Verkörpertes Herrschen Zum Gebrauch von „treten“/„herrschen“ in Gen 1,26–28

1.

Vorbemerkung

Seit über einem halben Jahrhundert stehen wir in der alttestamentlichen Exegese in einer Forschungsbewegung, die uns die Religion des Alten Testaments mitsamt ihren Gottes- und Menschenvorstellungen anders erscheinen lässt als Generationen zuvor. Die Alttestamentler in der Mitte des 20. Jahrhunderts gingen davon aus, dass die prägende religiöse Idee des Alten Testaments, die Auffassung vom monotheistischen Gott Jahwe, auch die Religion Israels von Anfang an bestimmte. Ludwig Köhler formuliert in seiner Theologie des AT von 1953: „Gott hat es so gewollt, dass er sich zur Zeit des Mose Israel durch ihn bekannt gab: das ist der erste Satz der Geschichte Gottes.“1 Diese Grundposition hat sich nun stetig dahingehend verändert, dass nach heutiger religionsgeschichtlicher Auffassung der Monotheismus des AT, der auch die auf dem AT basierenden Religionen des Judentums, Christentums und des Islam so stark geprägt hat, nicht am Beginn, sondern am Ende der religionsgeschichtlichen Entwicklung des Alten Israel steht. Ausschlaggebend für dieses neue Bild, das ist hier nur anzudeuten, sind einerseits veränderte Einschätzungen zentraler alttestamentlicher Literaturstücke. Diese Bewegung hat im 19. Jahrhundert begonnen und sich im 20. Jahrhundert fortgesetzt. „Lex post prophetas“ hat Wellhausen schon als Grundeinsicht etabliert, das Gesetz, die Tora in der Gestalt, wie wir sie kennen, entsteht erst nach der Prophetie des 8. und 7. Jahrhunderts v. Chr.. Auch wenn der Prozess im einzelnen komplex ist, so stimmt doch die neuere Forschung darin überein, dass dieser Prozess im Umfeld des Untergangs des Nordreiches 722 v. Chr. beginnt, nach 587 v. Chr. forciert wird und in der nachexilischen Zeit zu einem gewissen Abschluss kommt. Mose, so bereits die kritische Erkenntnis Martin Noths, ist eher eine Figur der späteren alttes1

Köhler, Ludwig, Theologie des Alten Testaments, Tübingen 31953, 43. © 2016, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783788730628 — ISBN E-Book: 9783788730635

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tamentlichen Literatur als eine gut beschreibbare historische Größe der Frühzeit Israels.2 Und erst in den Texten dieser späteren Literaturgruppe, die wir Pentateuch oder Tora nennen, finden sich „monotheistisch“ geprägte Texte, wie zum Beispiel priesterschriftliche Stücke, etwa die Schöpfungserzählung in Gen 1,1 ff. u. ä. Neben dem Pentateuch stehen spätere prophetische Schriften wie Texte Deuterojesajas in Jes 40–55,3 die ebenfalls von einem monotheistischen Gotteskonzept geprägt sind. Eine weitere Linie, die zu einem neuen Bild über Gottes- und Menschenvorstellungen im AT geführt hat, waren die Entdeckungen außeralttestamentlicher hebräischer Texte, Bilder und Materialien, die ein nicht-strikt-monotheistisches Bild der Jahwe-Religion(en) des Nordens und des Südens zur Zeit der beiden Königreiche Israels geben.4 Und eine dritte Linie deutet sich in den letzten Jahren an: Im Zuge von Forschungsanstößen aus der historischen Anthropologie ergibt sich eine Vielzahl von Neuentdeckungen, die ebenfalls unsere Sicht von theologischen und anthropologischen Sachverhalten im AT modifizieren. Wichtige Anregungen gehen dabei sowohl von der Körper- als auch der Emotionsforschung aus, die sich beide langsam 2 Vgl. Noth, Martin, Überlieferungsgeschichte des Pentateuch. ND der 1. Aufl. 1948, Darmstadt 1960; engl. Übersetzung: A history of Pentateuchal traditions, Chico/California 1981; Smend, Rudolf, Mose als geschichtliche Gestalt, HZ 260 (1995), 1–19; Gertz, Jan Christian, Mose und die Anfänge der jüdischen Religion, ZThK 99 (2002), 3–20; Otto, Eckart, Mose. Geschichte und Legende (Beck'sche Reihe 2400), München 2006; Dohmen, Christoph, Mose. Der Mann, der zum Buch wurde (Biblische Gestalten 24), Leipzig 2011. 3 Vgl. die Hinweise zum Monotheistischen als dem „Neuen“ (für die altisraelitische Theologie- und Religionsgeschichte) in der Theologie Deuterojesajas, etwa von Diethelm Michel, Art. „Deuterojesaja“, TRE 8 (1981), 510–530, hier 520, bis Leuenberger, Martin, „Ich bin Jhwh und keiner sonst“. Der exklusive Monotheismus des Kyros-Orakels Jes 45,1–7 (SBS 224), Stuttgart 2010, 47, der von einer „fundamentale[n] Innovation der Gotteskonzeption“ spricht. 4 Vgl. (Auswahl): Albertz, Rainer, Religionsgeschichte Israels in alttestamentlicher Zeit. Teil 1: Von den Anfängen bis zum Ende der Königszeit (ATD Ergänzungsreihe 8/1); Teil 2: Vom Exil bis zu den Makkabäern (ATD Ergänzungsreihe 8/2), beide Teile, Göttingen 1992; Smith, Mark S., The Early History of God. Yahweh and the other Deities in Ancient Israel, San Francisco 1990; Keel, Othmar/ Uehlinger, Christoph, Göttinnen, Götter und Gottessymbole. Neue Erkenntnisse zur Religionsgeschichte Kanaans und Israels aufgrund bislang unerschlossener ikonographischer Quellen (QD 134), Freiburg 52001; Zevit, Ziony, The Religions of Ancient Israel. A Synthesis of Parallactic Approaches, London / New York 2001; Leuenberger, Martin, Gott in Bewegung. Religions- und theologiegeschichtliche Beiträge zu Gottesvorstellungen im alten Israel (FAT 76), Tübingen 2011; Tilly, Michael/ Zwickel, Wolfgang, Religionsgeschichte Israels. Von der Vorzeit bis zu den Anfängen des Christentums, Darmstadt 2011. © 2016, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783788730628 — ISBN E-Book: 9783788730635

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religions- und kulturvergleichend ausformen.5 Anthropologie und Theologie hängen dabei eng zusammen, so spielen Körperfragen bei der Bestimmung des Menschen wie bei der Bestimmung Gottes eine große Rolle. Auch diese Neubestimmungen führen zur veränderten Bewertung von Verstehensaspekten im Umkreis des Monotheismus, etwa der Frage von Gestalthaftigkeit und Personalität, der zeitlichen Neueinordnung des Anthropomorphismus u.Ä. Alle genannten Veränderungen sind interdependent und ermöglichen ein besseres Verständnis der verschiedenen Entwicklungen (bes. der religions- und theologiegeschichtlichen) und Phänomene (wie des Monotheismus u. a. zentralen Aussagen und Theologumena des AT). Die veränderten Betrachtungsweisen wirken sich auch bei der Deutung von Einzeltexten aus. Letzteres möchte ich am Beispiel eines der prominentesten Texte des AT, an Gen 1,26–28, zeigen, einem Text, der auch eine immense wirkungsgeschichtliche Bedeutung hat. Dabei wird eine besondere Rolle spielen, wie sich die Einschätzung des Verhältnisses von Monotheismus und Anthropomorphismus geändert hat. Ein gewisser Fokus liegt dabei auf der Frage des dominium terrae. Was also können wir an Gen 1,26–28 vor dem Hintergrund der neueren und neuesten religionsgeschichtlichen und theologischen Modellvorstellungen entdecken? 2.

Der Text Genesis 1,26–28

Die Grundaussagen des Textes sind in den letzten Jahrzehnten eingehenden Untersuchungen unterzogen worden. Einen Markstein bildet dabei sicher der Kommentar von Claus Westermann – die zugehörigen Lieferungen erschienen 1967–1970 –, der dem Abschnitt Gen 5 Vgl. (Auswahl): Hedwig-Jahnow-Forschungsprojekt (Hg.), Körperkonzepte im Ersten Testament. Aspekte einer feministischen Anthropologie, Stuttgart 2003; Schroer, Silvia / Staubli, Thomas, Die Körpersymbolik der Bibel, Darmstadt 22006; Wagner, Andreas (Hg.), Anthropologische Aufbrüche. Alttestamentliche Menschenkonzepte und anthropologische Positionen und Methoden (FRLANT 232), Göttingen 2009; Janowski, Bernd / Liess, Kathrin (Hg.), Der Mensch im alten Israel. Neue Forschungen zur alttestamentlichen Anthropologie (HBS 59), Freiburg [u.a.] 2009; Oorschot, Jürgen van (Hg.), Der Mensch als Thema theologischer Anthropologie. Beiträge in interdisziplinärer Perspektive (BThSt 111), Neukirchen-Vluyn 2010; Frevel, Christian (Hg.), Biblische Anthropologie. Neue Einsichten aus dem Alten Testament (QD 237), Freiburg [u.a.] 2010; Berlejung, Angelika [u.a.], Menschenbilder und Körperkonzepte im Alten Israel, in Ägypten und im Alten Orient (Orientalische Religionen in der Antike 9), Tübingen 2012. © 2016, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783788730628 — ISBN E-Book: 9783788730635

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1,1–2,4a alleine ca. 150 Seiten gewidmet hat (S.104–244).6 Seit dieser Publikation haben sich für viele Aspekte sowohl des Einzeltextes Gen 1,1–2,4a wie auch für die ganze Priesterschrift neue Forschungsansätze entwickelt. Da es unmöglich ist, diese auch nur in den Grundzügen hier vorzustellen, sei, mit Fokussierung auf die Ebenbildlichkeitsvorstellung, auf die Aufarbeitung in der umfangreichen jüngst erschienen Monographie von Annette Schellenberg zum Thema verwiesen.7 Die Priesterschrift wurde von Westermann wie von vielen seiner Generation noch selbstverständlich und unhinterfragt als Quellenschrift des Pentateuch betrachtet. Heute, nach vielen Arbeiten zum Pentateuch, sind wir hier vorsichtiger. Die Diskussion um die Frage, ob die Priesterschrift als Quelle oder als Bearbeitungsschicht zu verstehen ist, hat deutlich die Wahrnehmung der Heterogenitäten innerhalb der P-Texte gefördert.8 Unter „P(G)“ bzw. „P“ wird im Folgenden die Priester-Grundschrift verstanden, der die basalen und zentralen priesterlichen Texte der Genesis und des Exodusbuches wie Gen 1,1–2,4a, Teile der Flutgeschichte, Ex 6 u.a.m. zugehören und die am Ende des Exils oder in der frühnachexilischen Zeit entstanden sein dürfte. Später wurde P mehrfach überarbeitet und erweitert. Bei der Interpretation des priesterschriftlichen Schöpfungstextes und dort vor allem in der Passage, die Menschenschöpfung und Herrschaftsauftrag umfasst, haben sich interessante Neuinterpretationen herausgebildet, ich möchte einige davon in einem kurzen Durchgang durch den Text hervorheben:9 6 Westermann, Claus, Genesis. 1. Teilband: Genesis 1–11 (BK I/1), NeukirchenVluyn 1974. 7 Schellenberg, Annette, Der Mensch, das Bild Gottes? Zum Gedanken einer Sonderstellung des Menschen im Alten Testament und in weiteren altorientalischen Quellen (AThANT 101), Zürich 2011. 8 Literatur zu P (Auswahl): Schmidt, Ludwig, Studien zur Priesterschrift (BZAW 214), Berlin / New York 1993; Pola, Thomas, Die ursprüngliche Priesterschrift. Beobachtungen zur Literarkritik und Traditionsgeschichte (WMANT 70), Neukirchen-Vluyn 1995; Zenger, Erich, Art. „Priesterschrift“, in: Theologische Realenzyklopädie XXVII (1996), 435–446; Groß, Walter, Studien zur Priesterschrift und zu alttestamentlichen Gottesbildern (SBS 30), Stuttgart 1999; Janowski, Bernd, Sühne als Heilsgeschehen. Traditions- und religionsgeschichtliche Studien zur Sühnetheologie der Priesterschrift (WMANT 55), Neukirchen-Vluyn 22000; Kratz, Reinhard G., Die Komposition der erzählenden Bücher des Alten Testaments, Göttingen 2000; Weimar, Peter, Studien zur Priesterschrift (FAT 56), Tübingen 2008. 9 In diesem Abschnitt fasse ich zusammen, was in folgenden Publikationen ausführlicher erörtert ist: Wagner, Andreas, Die Gottebenbildlichkeitsvorstellung der Priesterschrift zwischen Theomorphismus und Anthropomorphismus, S. 177–198 in © 2016, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783788730628 — ISBN E-Book: 9783788730635

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26 Dann sprach Gott (Elohim): Wir wollen (einen) ādām/ eine Menschheit machen als etwas wie unser ṣælæm und entsprechend unserer demût. Und sie [die Menschen] sollen „treten auf/über“ (= herrschen über) – die Fischbrut des Meeres – und die Vögel des Himmels – und das Vieh – und die ganze Erde – und alles Kriechgetier, das auf der Erde kriecht. 27 Und da schuf (br’) Gott (Elohim) den Menschen als etwas wie seinen ṣælæm, als etwas wie seinen ṣælæm hat er ihn erschaffen (br’), männlich und weiblich hat er sie (Pl.) erschaffen. 28 Und Gott (Elohim) segnete sie und Gott (Elohim) sprach zu ihnen: Seid fruchtbar und werdet viele und füllt die Erde an und „bekommt unter eure Füsse“ / „tretet nieder“(= übt Macht aus über) und „tretet“ auf/über (beherrscht) – die Fischbrut des Meeres – und die Vögel des Himmels – und alles Lebendige, das auf der Erde wimmelt

In der Urgeschichte wird in der Priesterschrift mit dem nomen appellativum „Elohim“ von Gott geredet, das nomen proprium Jahwe verwendet P erst in und nach Ex 6. Dadurch wird zum Ausdruck gebracht, dass P in den Texten vor den Väternotizen das Schicksal der ganzen Welt im Blick hat, während es insbesondere in der Nachväterzeit um Israel (im Gegenüber zu Jahwe) geht.10 P redet in Vers 26 auffallend in einer Pluralform von Gott, wie die Formulierungen des Verbs (lasst uns) und die Suffixe (wie unser ṣælæm und entsprechendunserer demût) zeigen. Das Wort Elohim selbst ist hier kein Plural, wie die Kombinationen mit Verben im Singular in den Versen 26 und 27 klar zeigen. Bei den pluralischen Formulierungen von Vers 26 gehe ich von einem pluralis maiestatis aus, wie er als Stilform in der persischen diesem Band [Erstveröffentlichung in: „...der seine Lust hat am Wort des Herrn!“ FS Ernst Jenni zum 80. Geburtstag, hg. von Jürg Luchsinger, Hans-Peter Mathys und Markus Saur (AOAT 336), Münster 2007, 344–363]; ders., Gottes Körper. Zur alttestamentlichen Vorstellung der Menschengestaltigkeit Gottes. Gütersloh 2010, 167–181; ders., Der Mensch als ‚Bild‘ Gottes und das ‚Bild‘ Gottes im Alten Testament. S. 273–285 in diesem Band [Erstveröffentlich in: Rheinsprung 11. Zeitschrift für Bildkritik 1 (2011), 79–91. [http://rheinsprung11.unibas.ch/archiv/ausgabe-01/ thema/der-mensch-als-bild-gottes.html]. 10 Eine Ausnahme ist Gen 17,1; hier ist auch von Jahwe die Rede, allerdings nicht in einer Gottesrede; in der Selbstkundgabe Gottes gibt es „Jahwe“ in P erst ab Ex 6. © 2016, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783788730628 — ISBN E-Book: 9783788730635

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Zeit aufkommt (im AT: vgl. Esr 4,18).11 In den Pluralformulierungen eine Anspielung auf eine Thronratsvorstellung zu sehen, wäre innerhalb der P-Texte singulär und scheint mir daher wenig plausibel. Der pluralis maiestatis dient hier der Hervorhebung des besonderen Schöpfungswerkes – wobei deutlich vermerkt werden soll, dass der Höhepunkt des gesamten Schöpfungstextes Gen 1,1–2,4a nicht die Menschenschöpfung, sondern der Sabbat ist, die Menschenschöpfung ist lediglich das letzte der Schöpfungswerke. Die priesterschriftlichen Texte geben keinerlei Anlass, an einer Einheit Gottes zu zweifeln. Alleine der Schöpfungstext Gen 1,1–2,4a zeigt, dass es keine weiteren selbstständigen göttlichen Größen in der Schöpfung neben Gott gibt.12 Die nächstähnliche Größe zu Gott ist der Mensch, die Menschheit, wie wir gleich sehen werden. Im universalen Konzept der Urgeschichte wird von Elohim nun die Menschheit – ādām – geschaffen. Es geht hier um die grundlegendste Fassung der Gottesbeziehung in Form von Schöpfungsaussagen, und zwar der Gottesbeziehung aller Menschen zu dem einen Schöpfer. Die Menschheit schlechthin wird von Gott geschaffen und nun weiter in den Schöpfungsaussagen qualifiziert: a) Die Menschheit soll zu Gott im Verhältnis von ṣælæm und demût stehen. 
 b) Die Menschheit soll auf die geschaffenen Lebewesen und die ganze Erde „treten“. 
 c) Die Menschheit wird geschaffen „männlich und weiblich“, in dieser geschlechtlichen Scheidung ist sie Gegenüber Gottes. 
 Einer der Schlüsselbegriffe dieser Passage ist ṣælæm. Gegenüber der nur einmal in V. 26 auftauchenden Paarung mit demût kommt ṣælæm in unserem Abschnitt in V. 27 noch weitere zwei Male vor, demût dagegen nicht. Was ist nun mit ṣælæmge meint? Die meisten neueren Untersuchungen führen auf die Spur, dass unter ṣælæm 11 Vgl. Breyer, Francis / Amadeus, Karl, Zur Verwendung eines pluralis maiestatis in den Inschriften Nabonids, in: Loretz, O. / Metzler K. A. / Schaudig, H. (Hg.), Ex Mesopotamia et Syria lux. Festschrift für Manfried Dietrich zu seinem 65. Geburtstag (AOAT 281), Münster 2002, 89–93. 12 Allenfalls könnten die Anspielungen an Urmonster (tanninîm, Gen 1,21) als gebändigte Chaoskräfte gesehen werden und die Erde in einer eigenen Art von Schöpferkraft, beides spielt aber nicht in das ebenbildlich aufeinander bezogene Verhältnis von Gott und Mensch hinein. © 2016, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783788730628 — ISBN E-Book: 9783788730635

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a) handwerklich gemachte, in der Regel dreidimensionale Bilder oder b) angefertigte Artefakte in verschiedener materialer Ausführung mit Abbildungsfunktion zu verstehen sind. Umschrieben ist damit das Kultbild, in der Regel eine Statue, das wir aus den altorientalischen Nachbarreligionen Israels gut kennen. In Ägypten ist der Pharao die Statue Gottes, vergleichbare Aussagen gibt es auch aus Assyrien und Babylonien.13 Im Akkadischen kann mit demselben Wort ṣalmu sowohl der König in seiner Statuenfunktion (gegenüber der Bezugsgröße eines Gottes bzw. einer Göttin, s.u.) wie auch das Kultbild, das die Statue einer Gottheit darstellt, bezeichnet werden.14 Statue und Bezugsgröße (also ein Gott bzw. eine Göttin) haben eine enge Beziehung zueinander, in der die Statue die Bezugsgröße repräsentiert. Die Priesterschrift (P) überträgt die Kultbildvorstellung auf den Menschen schlechthin, auf die Menschheit insgesamt; die Aussage zielt dabei auf den Zusammenhang von Statue und Bezugsgröße: Wie das Kultbild bzw. der König als Statue nach altorientalischer Vorstellung – einen Gott repräsentiert, so repräsentiert die Menschheit – nach der Vorstellung von P (d.h. im israelitischen Kontext) Gott. Der Mensch steht in der Welt an Gottes statt. Damit verbunden ist (neben einem möglicherweise polemischen Unterton gegenüber fremden Kultbildern) die Vorstellung, dass es eine enge Beziehung zwischen Mensch und Gott gibt, die keinerlei Vermittlungsinstanz benötigt (ohne dass hier eine Identität bestünde). Diese Beziehung besteht zwischen Gott und jedem Menschen (ādām als Kollektivbezeichnung! Vgl. auch zu Gen 5,3); jeder Mensch, ob Mann oder Frau, ist deshalb Stellvertreter Gottes, wie Vers 27 zeigt; es gibt unter den Menschen keine Unterschiede in dieser Beziehung! Da die Priesterschrift hier vom Gedanken des Königs als Statue eines Gottes aus denkt, in Gen 1,26 aber die „Gottesebenbildlichkeit“ (= die Tatsache, dass der König bzw. die Statue als Repräsentations13 Belege aus Ägypten und Mesopotamien bei Janowski, Die lebendige Statue Gottes, S. 189–194. Für Syrien-Palästina ist auf einen vergleichbaren Beleg vom Text der Statue von Tell Fecherije hinzuweisen; vgl. Texte aus der Umwelt des Alten Testaments (TUAT). Bd. I, Lief. 6, hrsg. von Otto Kaiser [u.a.], Gütersloh 1985, S. 632–637. 14 Vgl. Renger, Johannes, Art. „Kultbild“. A. Philologisch, in: Reallexikon der Assyriologie (RAL). Bd. 6, hrsg. von Dietz-Otto Edzard [u.a.], Berlin / New York 1983, S. 306–315, hier S. 307. © 2016, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783788730628 — ISBN E-Book: 9783788730635

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bild für Gott genommen wird) allen Menschen zugesprochen wird, spricht man oft von einer „Royalisierung“ des Menschen bei P: Was in Ägypten eine königlich-royale Eigenschaft ist, kommt im AT allen Menschen zu.15 In ṣælæm ist auch das Bedeutungsmoment der Abbildung einer Sache enthalten. Das Aussehen eines Kultbildes ist nicht völlig beliebig. Dieser Aspekt der Ebenbildlichkeit wird nun in Vers 26 durch demût konkretisiert: Die Abstraktbildung demûtwurde vom Verbum dmh „gleichen“ abgeleitet. Dem Sinn des Verbes entsprechend weist die Abstraktbildung demût auf die Tatsache des Gleichens „und [so formuliert Jenni im THAT] unterstreicht [die] Entsprechung zum Vorbild“ (vgl. 2Kön 16,10).16 Dies allerdings nur unter der Bedingung, „dass [...] die Notwendigkeit oder das Bedürfnis, auf die Gleichheit hinzuweisen, [...] nur dann besteht, wenn die Gleichheit nicht ohne weiteres feststeht.“17 Zwei Aspekte sind also an demût besonders wichtig: a) Es geht um äußere/sichtbare Gestaltähnlichkeit. 
 b) Es geht um Gleichartigkeit oder Ähnlichkeit, aber nicht um Identität! Das ist
wichtig für das Verständnis der Ebenbildlichkeit: Mensch und Gott sind gleichartig (jedenfalls in gewisser Hinsicht), aber nicht identisch! Fazit: Der Mensch ist nicht nur Repräsentant, Mandatar (Gerhard v. Rad) Gottes, er ist ihm auch gleichartig, was das Gestalthafte anbelangt. Damit haben wir nun einen zentralen Punkt erreicht: Ebenbildlichkeit schließt tatsächlich Gestaltanalogie ein! Dieser Gedanke ist nun im weiteren vor dem Hintergrund der alttestamentlichaltorientalischen Gestalt- bzw. Körpervorstellung zu verstehen (s.u. 3.2). Würden wir die Ebenbildlichkeit von einem modernen Bildbzw. Abbildungskonzept her verstehen wollen, könnten wir schnell in eine Schieflage geraten und fragen, wie Gott aussieht, wie wir aussehen bzw. welche Beziehungen es zwischen dem Aussehen Gottes 15 Vgl. Waschke, Ernst-Joachim, Die Bedeutung der Königsideologie für die Vorstellung der Gottesebenbildlichkeit des Menschen, in: Wagner (Hg.), Anthropologische Aufbrüche, S. 235–252. 16 Jenni, Ernst, Art. ‫ דמה‬dmh gleichen, THAT I, (31984), 452. 

 17 Ebd. © 2016, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783788730628 — ISBN E-Book: 9783788730635

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und dem Aussehen des Menschen gibt usw. Das würde aber den Sinn dieser zentralen P-Aussage nicht treffen. 
 3. Zu anthropologischen und anthropomorphen Körper-Vorstellungen in der Priesterschrift 
 3.1

Anthropomorphismus in der Priesterschrift

Das Körper- bzw. Körperteilverständnis der Priesterschrift bewegt sich im Rahmen des alttestamentlich-altorientalischen Körperparadigmas.
Zunächst ist noch einmal festzuhalten, dass P, entgegen der aus der älteren Forschung stammenden Meinung, kein transzendentes und unplastisches Gottesbild hat. P denkt Gott ebenso anthropomorph wie das sonstige AT davor und danach auch, auch wenn der Anthropomorphismus von P anders ist als der, der Nicht-P-Texte.18 Die folgende kleine Übersicht soll das nur noch einmal ins Gedächtnis rufen: 
 Tabelle 1: Körperteile Gottes in PG pānîm „Gesicht“ ‘ayin „Auge“ ’ozæn „Ohr“

pæh „Mund“ zerôa‘ „Arm“

yād „Hand“

Ex 25,30 Und du sollst auf den Tisch allezeit Schaubrote legen vor mein Angesicht. für sehen; vorausgesetztes Körperteil: Auge; Gen 1,4 (u.ö.): Und Gott sah, dass das Licht gut war. für hören; vorausgesetztes Körperteil: Ohr; Gen 17,20 Und für Ismael habe ich dich auch erhört. Siehe, ich habe ihn gesegnet und will ihn fruchtbar machen und über alle Maßen mehren. [...] Ex 6,5 Auch habe ich gehört die Wehklage der Israeliten, die die Ägypter mit Frondienst beschweren [...] für sprechen; vorausgesetztes Körperteil: Mund; Gen 1,3 Und Gott sprach: [...] Ex 6,6 Darum sage den Israeliten: Ich bin Jahwe und will euch wegführen von den Lasten, die euch die Ägypter auflegen [...] und will euch erlösen mit ausgerecktem Arm und durch große Gerichte. Ex 6,8 [...] das Land, um dessentwillen ich meine Hand (zum Schwur) erhoben habe [...]

18 In der Herausarbeitung der Unterschiede alttestamentlicher Anthropomorphismen ist die Forschung noch nicht sehr weit fortgeschritten, eine Geschichte des alttestamentlichen Anthropomorphismus, die eine Einordnung des P-Anthropo-morphismus erlauben würde, ist noch nicht geschrieben. © 2016, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783788730628 — ISBN E-Book: 9783788730635

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Die Übersicht – ich brauche sie nicht im Einzelnen durchzugehen, zudem habe ich mich auch nur auf eine kleine Auswahl beschränkt – macht den Gedanken der Menschengestaltigkeit Gottes bei P deutlich. Solche Belege wären um weitere Anthropomorphismen der Priesterschrift zu ergänzen, etwa der Tatsache, dass Gott, nicht zuletzt beim Schöpfungstext Gen 1,1ff., in menschlich verstehbarer Rede spricht, und weitere. 3.2

Gründe für den Anthropomorphismus in der Priesterschrift

Warum ist auch die Priesterschrift weiter von einem anthropomorphen Gottesbild geprägt, auch wenn bei ihr ein ansonsten monotheistisches Gottesbild zum Tragen kommt? – Die Antwort ist einerseits von dem Körperverständnis des AT (und des Alten Orients) her zu geben, andererseits hängt sie mit der religions- und theologiegeschichtlichen Entwicklung Israels zusammen. Zunächst zum Körperverständnis des AT: Das AT verwendet die Rede vom Körper bzw. seinen Körperteilen, um auch die mit diesen Körperteilen ausgeübten Funktionen und Aufgaben zu benennen. Mit „Hand“ ist nicht nur das Körperteil gemeint, sondern auch das, was ich mit der Hand ausführen kann, etwa Kämpfen, Waffen führen, Macht ausüben. Das wird am schönsten deutlich an Wendungen wie „die Hand der Zunge“ (Prov 18,21: „Tod und Leben stehen in der Hand der Zunge; wer sie liebt, wird ihre Frucht essen.“) – hier ist nicht das konkrete Körperteil „Hand“, sondern die Macht der Rede gemeint. Wenn wir in dieser Weise die zentralen äußeren Körperteile durchgehen, dann erhalten wir etwa die in Tabelle 2 zusammengefasste Übersicht über die Funktionen.19 Tabelle 2: Anthropologische Begriffe und Funktionen im AT (Auswahl; Auswahlkriterium: äußere Gestaltähnlichkeit zwischen Gott und Mensch) anthropologischer Begriff

der Mensch/Gott unter dem Aspekt von ... (Kommunikation)

pānîm „Gesicht“/„Antlitz“ ’ozæn „Ohr“

...mimischer Kommunikationsfähigkeit/ Zugewandtheit ...(akustischer) Erkenntnisfähigkeit/ Kommunikationsfähigkeit

19 Vgl. hierzu: Wagner, Gottes Körper; zum Körperverständnis 53–100, zur Funktionalität der Körperteile 101–134. © 2016, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783788730628 — ISBN E-Book: 9783788730635

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Verkörpertes Herrschen ‘ayin „Auge“ pæh „Mund“ ’ap „Nase“

...(optisch-visueller) Erkenntnisfähigkeit/ Kommunikationsfähigkeit ...Sprache/Kommunikationsfähigkeit ...Wut/Ausdruckskraft/Kommunikationsfähigkeit (Handlung)

yād „Hand“ zerôa‘ „Arm“ rægæl „Fuß“

...Handlungsmöglichkeit/Mächtigkeit ...Handlungsmöglichkeit/Mächtigkeit ...Macht/Präsenz (ausüben)

Das Spezifische dieser Art von Körperverständnis ist nun nicht die Tatsache, dass hier überhaupt in synthetischer (andere sagen metonymischer) Art und Weise vom Körper geredet wird, sondern dass Funktionen fast immer mit Körperwörtern ausgedrückt werden und nicht oder nur kaum durch Abstraktausdrücke ersetzt werden oder zu ersetzen sind – letzteres, weil es in Sprachen wie dem Hebräischen in vielen Bereichen keine Abstrakta gibt, die anstelle der Körperwörter stehen können.20 Die Körperbezogenheit der Funktionen bleibt so in einer viel stärkeren Weise „im Spiel“ als in modernen Sprachen. Wird daher von Funktionen gesprochen, die mit Gott in Verbindung gebracht werden, also von seinem Kommunizieren und Handeln (s.u.), dann ergibt sich ein anthropomorphes Reden schon durch diese sprachliche Gegebenheit. Dies ändert sich auch in monotheistischen Gotteskonzeptionen nicht. Nicht nur die gerade beschriebene sprachliche Gegebenheit spielt eine Rolle, auch die inhaltliche Füllung und Auswahl der Funktionen transportiert theologische Grundaussagen, die zum Ausdruck der Gottesvorstellung bei P zu beachten sind. Sie gewinnen in der Zeit monotheistischer Gotteskonzepte neue Bedeutungen. Die in der Tabelle aufgeführten Körperteile sind diejenigen, die im AT am häufigsten vorkommen, sowohl bei der Beschreibung von Menschen wie auch bei der Beschreibung der Gestalt Gottes. Wenn wir nun nach der Gesamtfunktion dieser Tatsache fragen, also des Redens von Körperteilen hinsichtlich ihres Funktionsaspekts, dann sind die Funktionen in den beiden Aspekten „Kommunikation“ und „Handlung“ zu bündeln. Beides sind Grundfähigkeiten des Menschen 20 Vgl. Vgl. Müller, Katrin / Wagner, Andreas, Das Konzept der synthetischen Körperauffassung in der Diskussion, S. 83–101 in diesem Band [Erstveröffentlichung in: Müller, Katrin / Wagner, Andreas (Hg.), Synthetische Körperauffassung im Hebräischen und den Sprachen der Nachbarkulturen (AOAT 416), Münster 2014, 223–238.] © 2016, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783788730628 — ISBN E-Book: 9783788730635

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und Grundfähigkeiten Gottes, Gott und Mensch ähneln sich in dieser Hinsicht, sind aber beileibe nicht gleich, denn Gottes Handlungs- und Kommunikationsfähigkeiten gehen nach dem AT weit über die des Menschen hinaus. Aber die Gleichartigkeit bleibt. Um dieser Funktionsaussage willen wird der Anthropomorphismus des AT auch in den stark auf Jahwe ausgerichteten und den monotheistischen Texten beibehalten. Die Menschengestaltigkeit wäre falsch verstanden, wenn wir sie als Versuch der optischen Beschreibung Gottes verstehen würden. Aber wenn wir sie in ihrer Funktionsaussage verstehen, macht sie das deutlich, was der Tenor vieler Texte des AT ist, dass Gott ein in der Welt handelnder und mit dem Menschen kommunizierender Gott ist, kein weltferner Weltenlenker. Diese Art von Gott zu reden, enthält noch weitere theologische Aussagemomente. Neben den inhaltlichen Charakteristika (Gott als Kommunizierender und Handelnder) hält die anthropomorphe Rede Gott auch für „fassbar“; das ist wichtig, um als Gegengewicht die Tendenz im Monotheismus zu einer abstrakten Gottesvorstellung auszubalancieren.21 Ebenso unterstreicht sie das Partner-Sein Gottes, und in der Figur der Ebenbildlichkeit auch das Aufeinander-Bezogensein des Schöpfers zu seinem speziellen Menschengeschöpf: In Kommunikation und Handlung entsprechen sich nur Gott und Mensch. Mensch und Tier, Mensch und Pflanze, Mensch und Welt haben andere Bezugsverhältnisse (s.u.), ebenso Gott und Tier, Gott und Pflanze, Gott und Welt. 4. Körperaussagen in Gen 1,26–28, bes. rdh „treten auf/über“ und kbš „treten auf/über“ / „unter die Füße bekommen“ 4.1

Die Aufgabe des Menschen nach Genesis 1,26–28

In Gen 1,26 ff. kommt zum Ausdruck, dass Gott die Menschheit, jeden Menschen, sei es Mann oder Frau, in die Verantwortung stellt, seine „Statue“, sein „Kultbild“ zu sein, Stellvertretungsfunktion einzunehmen. Dabei wird der Mensch in einer Gestaltähnlichkeit (demût) nicht Gleichheit zu Gott geschaffen, die wir von ihrer Funktion her auflösen müssen. Diese Gestaltähnlichkeit besagt, dass Gott wie Mensch zu Kommunikation und Handlung fähig sind, allerdings in unterschiedlichen Dimensionen: die Handlungs- und Kommunikationsmöglichkeiten Gottes gehen weit über die entsprechenden men21

Wagner, Gottes Körper, 183–188. © 2016, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783788730628 — ISBN E-Book: 9783788730635

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schlichen Fähigkeiten hinaus, aber in der Gleichartigkeit bleibt der Mensch verständnisfähig und ist in der Lage, in der Welt (stellvertretend für Gott) zu handeln. 4.2

Die Ausdrücke zur Beschreibung des Herrschaftsauftrages

Wie sieht nun diese Handlung des Herrschens über die Welt aus? Im Gegensatz zu der Auffassung, der Auftrag, über die Welt zu herrschen, müsse bedeuten, sie gnadenlos auszubeuten, soll der Mensch mit der Schöpfung umgehen wie der König mit seinem Herrschaftsbereich – der Gedanke der Royalisierung war oben schon angesprochen: Der Mensch soll dieselbe Aufgabe übernehmen wie der König, nämlich für die größtmögliche Wohlfahrt zu sorgen. Also nicht Ausbeutung um jeden Preis, sondern Bemühen um den Erhalt und das Funktionieren des Ganzen. Die Interpretationen, die den Herrschaftsauftrag im Sinne einer brutalen Beherrschung der Schöpfung verstanden haben, haben häufig Assoziationen aus der Bildwelt derjenigen Texte aufgenommen, die zur Deutung der Verben rdh und kbš herangezogen wurden. Merkwürdigerweise redet P in Vers 26 und Vers 28 nicht mit „erwartbaren“ hebräischen Vokabeln vom herrschen. P gebraucht hier zwei selten auftretende Bildausdrücke, die zunächst aufgelöst werden müssen: a) Zweimal findet sich rdh, was in der Grundbedeutung nicht mit „herrschen“, sondern mit „treten auf“ wiederzugeben ist. Vielen geläufig ist die markante Stelle, in der im AT rdh in drastischem Zusammenhang vorkommt, Joel 4,12 f.: „Die Nationen sollen sich aufmachen und hinaufziehen ins Tal Joschafat! Denn dort werde ich sitzen, um alle Nationen ringsumher zu richten. 13 Legt die Sichel an! Denn die Ernte ist reif. Kommt, tretet! Denn die Kelter ist voll, die Tröge fließen über. Denn groß ist ihre Bosheit.“ 


b) Ebenso ist kbš ein Verb, das im Hebräischen wie in den verwandten semitischen Sprachen (etwa Aramäisch, Akkadisch etc.) zunächst auf den Vorgang des „Tretens“ bzw. „auf etwas Tretens“ zielt. Gunkel gibt für beide Verben „untertreten“ als Bedeutung in seinem Genesiskommentar an.22 Die Interpretation von kbš verschiebt sich im 20. Jahrhundert, die unmittelbare Wortbedeutung tritt in den Hin22 Gunkel, Hermann, Genesis (Göttinger Handkommentar zum Alten Testament Bd. 1), Göttingen 91977 (Erstauflage 1901), 113, (Kommentar zu V.28). © 2016, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783788730628 — ISBN E-Book: 9783788730635

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tergrund, dagegen wird die meist negative Bedeutung in vielen Belegstellen hervorgehoben. Siegfried Wagner formuliert im ThWAT: „kabasch gehört zu denjenigen Verben, die die Ausübung von Gewalt zum Ausdruck bringen wollen.“23 Es ist zwar richtig, dass kbš an etlichen Stellen vorkommt, in denen es um teils auch martialische Gewaltausübung geht, etwa in Num 32,22, wo es um die Unterwerfung des Landes geht, oder in Jer 34,11.16, wo es um das Unterwerfen von Menschen zu Sklavinnen und Sklaven geht. Aber trotzdem dürfen wir nicht davon absehen, dass sich kbš im unmittelbaren Wortsinn auf den Vorgang des „tretens“ bezieht, wie nicht zuletzt auch die Ableitung des hebräischen Nomens kebeš „Fußschemel“ zeigt. Und dieses „treten“ bedeutet nach der synthetischen Körperauffassung eben „Machtausüben“, „beherrschen“, das durchaus auch mit Gewalt verbunden sein kann. Macht ist ein ambivalentes Gut. 
 Warum also greift die Priesterschrift hier zu Vokabeln des „Tretens“, um das Herrschen und Macht ausüben zum Ausdruck zu bringen? Als Alternativausdrücke für „herrschen“ hätten im Hebräischen etliche nicht-bildliche Ausdrücke zur Verfügung gestanden, die im AT sonst viel häufiger zur Bezeichnung des Herrschens gebraucht werden: 
 a) mālak „herrschen“, „König sein“ b) māšal „herrschen“ 
 c) sārar „herrschen“ 
 Die Priesterschrift hat hier nicht zu rdh und kbš gegriffen, um bei den Lesenden die Vorstellung eines „martialischen Gewaltausübens“ abzurufen. Sondern: Die Verben rdh und kbš gehören zum selben Körperaussagehintergrund wie die Gestaltanalogie von Gott und Mensch, die die Passage auch sonst prägt: In der „Körperteilsprache“ des Hebräischen stehen die Füße für das Machtausüben, und die entsprechende verbale Tätigkeit „treten, treten auf, treten über“ bringt diesen Vorgang anschaulich zur Darstellung. Die Formulierung des Herr-

23

Wagner, Siegfried, Art. ‫ כבש‬kābaš treten, ThWAT VI (1984 ), 54–60. 


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schaftsauftrages gründet im Gestaltähnlichkeit einschließenden Konzept der Ebenbildlichkeit. Die Gebrauchsbedeutungen von rdh und kbš in ihren anderen im AT belegten Kontexten treffen auch den priesterschriftlichen Aussagegehalt nicht: Es geht der Priesterschrift nicht um das „Unterwerfen“, „Versklaven“ oder gar „Vergewaltigen“ der Schöpfung, sondern um die machtvolle Stellung des Menschen. Macht ausüben ist dabei nicht vorschnell und allein negativ zu verstehen, im Sinne der Royalisierungsvorstellung von P heißt das ja, dass der Mensch Verantwortung in der Welt zur Wohlfahrt der Welt übernehmen soll, stellvertretend für Gott. Der Mensch soll über diese Macht verfügen, sonst könnte er nicht stellvertretend für Gott in der Welt handeln. Er soll seine Macht aber nicht gegen die Schöpfung missbrauchen. 5.

Zusammenfassung

Die Interpretation des priesterschriftlichen Schöpfungstextes sollte also die Körpervorstellungen, die hinter den Ebenbildlichkeitsaussagen und hinter der Formulierung des Herrschaftsauftrags stehen, beachten. Dann ergibt sich eine in Inhalt und Bildsprache kohärente theologisch höchst durchdachte Aussage, das gilt nicht zuletzt für den Gebrauch von „treten“ und „herrschen“ in Gen 1,26–28. Wie auch andere späte und auch noch spätere Texte des AT gibt die Priesterschrift das Reden von der Menschengestaltigkeit Gottes nicht auf, auch wenn die religionsgeschichtliche Wandlung des Gottesgedankens innerhalb der israelitischen Religionswelt schon weit in Richtung Monotheismus fortgeschritten ist. Ein konsequent gedachter Monotheismus ist für das AT nicht mit einer Entkoppelung vom Personalitäts- und Gestaltgedanken Gottes verbunden, wie frühere Ausleger das häufig angenommen und auch zur Datierung von Pentateuchquellenschriften herangezogen haben. Eingebettet ist dieser binnenisraelitische Vorgang in eine Religionswelt, aus der uns das Anthropomorphismus-Phänomen von den frühesten geschichtlichen Zeugnissen her vertraut ist. Sicher ist der israelitische Anthropomorphismus in den Anthropomorphismen früherer und benachbarter Religionsstufen und Religionen verwurzelt. Allerdings muss nach der Funktion der Vorstellung von der Menschengestaltigkeit Gottes bzw. der Götter in den jeweiligen Religionen gefragt werden, die ist äußerst unterschiedlich. Im Fragen nach

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Verschiedenheiten stehen wir allerdings auch erst am Anfang der Forschungen. Im AT erhält der Anthropomorphismus im Kontext der Spätform der Religion, wie sie sich im AT niedergeschlagen hat, ein großes theologisches Gewicht: Die Vorstellung vom alleine herrschenden und im Himmel thronenden Jahwe, die immer unter der Gefahr steht, einen weltfernen Gott zu erzeugen, wird ausbalanciert durch verschiedene Theologumena: Durch die Ebenbildlichkeitsvorstellung von P, durch die Anschauung besonders aus dem Bereich der Prophetie, dass Jahwe ein in die Welt eingreifender Gott ist, aber auch durch die Rede von der Menschengestaltigkeit Gottes, wie sie auch in Gen 1,26–28 und seinen Bildern zur Sprache kommt, und die Jahwe unter der Facette des Sich-Mitteilen-Könnens und als einen in der Welt handelnden, nicht „schlafenden“ (Ps 121,4: „Siehe, der Hüter Israels schläft und schlummert nicht“), immerwährend dem Menschen zugewandten Gott zeigt.

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Das Böse im Gefüge prophetischer Anthropologie und Theologie

1. Die Rede vom „Bösen“ und/oder „bösen Dingen“ in der prophetischen Literatur 1.1 Die Formulierung der Überschrift „Das Böse im Gefüge prophetischer Anthropologie und Theologie“ suggeriert durch die Substantivierung im Deutschen und den durch theologischen1 und philosophisch-geisteswissenschaftlichen2 Gebrauch des innerhalb der europäischen Tradition sehr stark aufgeladenen Begriffs des „Bösen“, dass nach einer klar gefassten und griffigen, womöglich personifizierten Vorstellung des Bösen auch im Denkhorizont der alttestamentlichen Prophetie zu fragen ist. Auf diese Formulierung war schwer zu verzichten, da ja der ganze Band des JBTh dem Thema „Das Böse“ gewidmet ist und der Anschluss auch meines Beitrages zur Gesamtthematik sichergestellt 1 Aus der Diskussion der letzten Jahre sei hier nur hingewiesen auf E. Drewermann, Strukturen des Bösen. Die jahwistische Urgeschichte in exegetischer, psychoanalytischer und philosophischer Sicht, v. Paderborn 1977–1980 (seitdem verschiedene Auflagen und Übersetzungen); P. Ricoeur, Le mal. Un défi à la philosophie et à la théologie, Genève 1986, deutsch: Das Böse. Eine Herausforderung für Philosophie und Theologie, Zürich 2006; C. Colpe / W. Schmidt-Biggermann (Hg.), Das Böse. Eine historische Phänomenologie des Unerklärlichen, Frankfurt a.M. 1993; F. Hermanni / P. Koslowski, Die Wirklichkeit des Bösen. Systematischtheologische und philosophische Annäherungen, München 1998; F. Hermanni, Das Böse und die Theodizee. Eine philosophisch-theologische Grundlegung, Gütersloh 2002; I. U. Dalferth, Das Böse. Essay über die kulturelle Denkform des Unbegreiflichen, Tübingen 2006, 22010; ders. / K. Lehmann / N. Kermani, Das Böse. Drei Annäherungen, Freiburg/Basel/Wien 2011. 2 Auch hier können nur Andeutungen gemacht werden; vgl. aus der neueren Forschung: H. Arendt, Über das Böse. Eine Vorlesung zu Fragen der Ethik, aus dem Nachlaß hg. von J. Kohn, aus dem Engl. von U. Ludz, Nachwort von F. Augstein (Serie Piper 5063), München u.a. 2010; C. Schulte, Radikal böse. Die Karriere des Bösen von Kant bis Nietzsche, München 1988, 21991; R. Safranski, Das Böse oder Das Drama der Freiheit, München 1997; S. Neiman, Evil in modern thought. An Alternative History of Philosophy, Princeton u.a. 2002, deutsch: Das Böse denken. Eine andere Geschichte der Philosophie, Frankfurt a.M. 2004, ND 2009; P.-A. Alt, Ästhetik des Bösen, München u.a. 2010, 22011; T. Eagleton, On evil, New Haven u.a. 2010, deutsch: Das Böse, Berlin 2011. © 2016, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783788730628 — ISBN E-Book: 9783788730635

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sein muss. Doch ist Vorsicht geboten bei einer vorschnellen Anwendung eines wie auch immer gearteten Begriffs vom „Bösen“ auf das Alte Testament, wie wir ihn, zumal in theologisch-philosophischer Tradition, zu gebrauchen gewohnt sind. Wenn wir dem Alten Testament gerecht werden wollen, sollte möglichst vermieden werden, fremde Gedanken bzw. Denktraditionen in es hineinzutragen. Erstes Ziel muss es sein, das Alte Testament – in unserem Falle die prophetische Literatur – möglichst mit dem eigenen Konzept zur Sprache kommen zu lassen. Daher möchte ich auf die Frage nach „dem Bösen“ von den Texten der prophetischen Bücher her zugehen und dabei zunächst ganz offen fragen, wo und wie uns eine Rede von „bösen Dingen“ und/oder „dem Bösen“ in der prophetischen Literatur begegnet. 1.2 Im Bereich der alttestamentlichen Prophetie3 und der von den Propheten beeinflussten Literatur – hier ist insbesondere an die deuteronomische und deuteronomistische Literatur4 zu denken (s. dazu u. Abschn. 2.3.2) – findet sich die Benennung des „Bösen“ vor allem im Gebrauch des Verbs r‘‘ „böse sein“ und des Adjektivs ra‘ „böse“ sowie den Ableitungen von diesen beiden Lexemen.5 Wobei nach dem oben Gesagten präsent bleiben sollte, dass die Frage nach der Wortbedeutung des Lexems nicht gleichzusetzen ist mit der Erhebung eines reflektierten Begriffskonzepts.6 3 Wir müssen stark unterscheiden zwischen Aussagen, die mit Bezug auf einen historischen Propheten getätigt werden, und Aussagen, die aufgrund der vorfindlichen prophetischen Literatur zu erheben sind. In die prophetische Literatur sind auch die Stimmen der Überlieferer und Bearbeiter der Prophetenworte eingegangen, welche die prophetische Botschaft aktuell gehalten und die Problemlagen den jeweiligen späteren Zeiten angepasst haben. Mit zunehmender Bearbeitung entfernen sich die prophetischen Texte von den historischen prophetischen Figuren. Ein Grundbezug, der sich auch in einem je eigenen Profil der überarbeiteten prophetischen Bücher ausdrückt, bleibt aber durchaus erhalten. Vgl. J. Jeremias, Der Zorn Gottes im Alten Testament (BThSt 104), Neukirchen-Vluyn 22011, 77–80. 4 Vgl. zur deuteronomischen und deuteronomistischen Literatur (Deuteronomium, Josua – 2. Könige, deuteronomistisch überarbeitete Prophetenbücher u.Ä.) K. Schmid, Literaturgeschichte des Alten Testaments. Eine Einführung, Darmstadt 2008, passim; zum Deuteronomium und zum Deuteronomistischen Geschichtswerk vgl. unten Anm. 20. 5 Natürlich wird auch in etlichen Texten Böses bzw. „das Böse“ vorausgesetzt, ohne dass es benannt wird, etwa bei den Visionen des Amos, oder es werden einzelne böse Taten aufgezählt, ohne dass das Stichwort r‘‘ fällt; wie sich diese Belege zu solchen mit explizitem Gebrauch von r‘‘ (u.ä. Termini) verhalten, zeigt die weitere Erörterung. Zur allgemeinen, über die prophetische Literatur hinausgehende, semantischen Beschreibung vgl. H.J. Stoebe, Art. ‫ רע‬ra‘, THAT II (31984), 794–803; C. Dohmen / D. Rick, Art. ‫ רע‬ra‘, ThWAT VII (1993), 582–612. 6 Von einem (philosophisch-theologischen) Begriff ist in der Regel dann zu sprechen, wenn durch eine Definition der Begriffsinhalt festgelegt ist. Dies setzt einen © 2016, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783788730628 — ISBN E-Book: 9783788730635

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1.2.1 Bereits wenige Belege geben einen guten ersten Eindruck von einem zentralen Hauptaspekt der Sachlage. Bei der Beschreibung der Bedeutung von r‘‘ und ra‘ ist dabei wiederum ganz von den prophetischen Belegen auszugehen, um das Bild nicht zu verfälschen. Mi 2,1–2 Weh – die ’āwen („Unheil“) planen und rā‘ („Böses“) tun auf ihren Lagern […] 2 Sie begehren Äcker und reißen (sie) an sich, und Häuser, und sie nehmen (sie) […].

In Mi 2,1–2 findet sich ein Weheruf (V.1) mit Erläuterung (V.2); die beiden ersten Teile bieten eine Situationsschilderung für die dann in V.3 formulierte Konsequenz.7 Der Weheruf dient hier wie an anderen Stellen dem Aufdecken von Verfehlungen. Mit dem „Weh“ wird eine Klage angestimmt, die einen vorliegenden Trauerfall vermuten lässt. Im Fortgang des Textes wird jedoch ersichtlich, dass nicht ein Toter betrauert wird, sondern dass Lebende im Zentrum der prophetischen Anklage stehen: „Der prophetische Wehe-Ruf enthält kaum überbietbaren Spott über den, der das Böse getan hat, indem man ihn als Toten beklagt, obwohl er noch lebt.“8 „Unheil“ und „Böses“ in Reflexionsvorgang und eine mündliche oder schriftliche Fixierung der Definition voraus. Über solche „Begriffe“ kann dann im Begriffsdiskurs (in der Wissenschaft) weiter kommuniziert werden. Die Sprache mit ihren Wortbedeutungen verfährt weit weniger explizit reflektiert, verändert sich auch stark nach Umfeld und Zeit. Zwischen dem reflektierten Begriffsgebrauch der Wissenschaft und dem Wortinhalt in natürlichen Einzelsprachen gibt es freilich Übergangsbereiche. In abendländischer Tradition wird die im engeren philosophischen Sinn begriffsbezogene Denkweise mit Sokrates bzw. der klassischen griechischen Philosophie verbunden. Sprachen und Kulturen wie die des Alten Testaments, die davon zunächst unbeeinflusst sind, finden ihre eigenen Wege, um zu einem reflektierten Sprachgebrauch zu gelangen. Das Alte Testament kommt inner-halb seiner kanonischen Tradition zu etlichen theologisch-philosophischen „Begriffsbildungen“, allerdings selten über den Weg einer Definition, sondern viel stärker über den Weg des sehr bewussten Gebrauchs von „Wörtern/Begriffen“ in den Texten im kanonischen Raum, durch intensive intraund intertextuelle Bezüge, durch Wiederholungen usw.; gerade am Beispiel des „Bösen“ wird sich das im Verlauf der Darstellung in diesem Aufsatz zeigen. Vgl. zur allgemeinen Problemlage G. v. Rad, Weisheit in Israel, Neukirchen-Vluyn 1970, 27; A. Wagner, Prophetie als Theologie. Die so spricht Jahwe-Formeln und ihr Beitrag für das Grundverständnis alttestamentlicher Prophetie (FRLANT 207), Göttingen 2004, 329–331; ders., Der Mensch als ‚Bild‘ Gottes und das ‚Bild‘ Gottes im Alten Testament, S. 273–285 in diesem Band [Erstveröffentlichung in: Rheinsprung 11. Zeitschrift für Bildkritik 1 (2011) [http:// rheinsprung11.unibas.ch/archiv/ausgabe01/thema/der-mensch-als-bild-gottes.ht ml], 79–91], bes. 262ff. 7 Vgl. zur Textabgrenzung von Mi 2,1–3 und zum Aufbau R. Kessler, Micha (HThKAT), Freiburg/Basel/Wien 1999, 112–114; Wagner, Prophetie, 249–251. 8 A. Wagner, Sprechakte und Sprechaktanalyse im Alten Testament. Untersuchungen an der Nahtstelle zwischen Handlungsebene und Grammatik (BZAW 253), Berlin / New York 1997, 306; vgl. zu den Weherufen insgesamt ebd., 300–307. © 2016, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783788730628 — ISBN E-Book: 9783788730635

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Mi 2,1 beziehen sich also auf die Taten der angeklagten Menschen, die in V.2 konkret genannt werden („[…] und die Äcker und Häuser an sich reißen“). Damit ist ein ganz wesentlicher Grundzug getroffen, der die Vorstellung vom Bösen im Bereich der prophetischen Literatur ausmacht: Das Böse ist in einem Großteil der Fälle bezogen auf Taten, die vom Menschen kommen und dem Menschen schaden. Diese Beobachtung lässt sich an etlichen weiteren Belegen aus verschiedenen prophetischen Büchern nachvollziehen, etwa bei einer ganzen Reihe von Anklagen wegen Verfehlungen in Jes 5,18ff.: Im Weheruf in Jes 5,20, in dem ra‘ in markanter Weise vorkommt, geht es ebenfalls um die Anklage von konkreten menschlichen Verfehlungen. Jes 5,20 ist in die Reihe von Anklagen konkreter Vergehen eingereiht, die ab Jes 5,18 aufgezählt werden: Jes 5,18 Weh – die herbeiziehen die Schuld mit Stricken der Lüge und wie mit Wagenseilen die Verfehlung! 20 Weh – die das Böse gut und das Gute böse nennen […]! 21 Weh – die in ihren eigenen Augen weise sind und die sich selbst für klug halten! 22 Weh – die Helden sind beim Weintrinken und die tapferen Männer sind beim Mischen des Rauschtranks!

Jes 5,20 dient nicht nur dem Anprangern von Ignoranz und Lüge, sondern auch dazu, mit ra‘ die in den umgebenden Versen aufgezählten Vergehen als „böse“ zu klassifizieren. Auch bei den beiden folgenden Versen liegt auf der Hand, dass das „Böse“, das in der prophetischen Literatur kritisiert wird, im konkreten Tun der Menschen an anderen Menschen liegt: Jer 5,28 […] sie halten kein Recht, das Recht der Waise fördern sie nicht, das sie (eigentlich) zum Erfolg führen sollten, und sie verschaffen den Armen nicht Recht. Hab 2,9 Weh dem, der unrechten Gewinn macht zum Bösen seines Hauses, auf dass er sein Nest in der Höhe baue, um aus der Hand (= Macht) des Bösen gerettet zu werden!

„Böses“ erscheint also im prophetischen Kontext von diesen Belegen her als etwas, was die menschliche Gemeinschaft stört (zerstört). Es kommt dabei aber nicht von außen auf den Menschen zu, sondern der Mensch selbst „ersinnt“ oder „plant“ (vgl. Mi 2,1, s. auch u. Hos 7,15) das Böse. © 2016, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783788730628 — ISBN E-Book: 9783788730635

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Dass der Mensch böse sein bzw. (an anderen Menschen, an Gott) böse handeln kann, gehört (von Amos an9) zur Grundauffassung prophetischer Anthropologie. 1.2.2 Sowohl beim Handeln des Einzelnen wie auch bei kollektiven Vorgängen ist im Kontext der Prophetie das korrespondierende Handeln Gottes hinzuzudenken: Handeln die Menschen „böse“, wird Gott auf den Plan gerufen, der „böse“ an den Menschen handelt. Dieser Zusammenhang drückt sich in der prophetischen Verkündigung und Literatur vor allem im Nebeneinander von Scheltrede und Drohwort aus. In der klassischen Formulierung G. von Rads: „In den Redeformen der Prophetie, vorzugsweise im Nebeneinander von Scheltrede und Drohwort, zeigt sich, dass „das auf ihn [den Menschen] zukommende Geschehen als Strafe sehr genau seiner Versündigung entspricht, dass also […] das von dem Menschen in Bewegung gebrachte Böse von Jahwe selbst in einer strengen Entsprechung auf sein Haupt zurückgelenkt wird.“10

Bis heute ist dabei nicht geklärt, ob die Propheten dabei von einer ihnen zuteil gewordenen – im Falle der Unheilspropheten „unheilvollen“ – Zukunftsgewissheit aus denken, um zur Gegenwartsanalyse und -kritik zu kommen,11 oder umgekehrt, ob die Erkenntnis der „unheilvollen“ Gegenwart nicht zum Schluss auf eine „unheilvolle“ Zukunft führt.12 Aber nach beiden Denkmöglichkeiten bleibt der 9 Auch wenn in den frühen Amos-Texten der Begriff ra‘ zur Bezeichnung von bösen Taten (bis auf Am 5,4–5*, s.u. Abschn. 2.2) kaum explizit auftaucht, so wird die Sache des Bösen doch auch bei Amos verurteilt. Außerdem wird in Am 6,3 in einem schon eher auf Amos zurückzuführenden Text als Folge der Untaten Samarias der „böse Tag“ in Aussicht gestellt. Hier erscheint der Begriff in der vom Propheten erwarteten Vergeltung Jahwes. Die Belege in Am 5,14 und 15 (s. dazu auch u. Abschn. 2.2) dürften von späteren Überarbeitern stammen, die auch für die Entstehung der Ringkomposition 5,1–17 verantwortlich zeichnen, vgl. J. Jeremias, Der Prophet Amos (ATD 24,2), Göttingen 1995, 71–73. 10 G. v. Rad, Theologie des Alten Testaments, Bd. 2: Die Theologie der prophetischen Überlieferungen Israels, München 91987 (11960), 83. 11 Vgl. W.H. Schmidt, Zukunftsgewißheit und Gegenwartskritik. Studien zur Eigenart der Prophetie (BThSt 51), Neukirchen-Vluyn 22002, passim. 12 Vgl. v. Rad, Theologie, 83: „In diesem Teil der prophetischen Rede sind keine geheimen Erfahrungen oder sonst auf übernatürlichem Wege empfangene Erkenntnisse im Spiel. Im Grunde praktiziert hier der Prophet ein ganz elementares Wissen, das ihm, das aber im Grunde jedem, der einige Erfahrung von der Welt und dem Leben hat, vorgegeben ist, nämlich ein Wissen um göttliche Grundordnungen, denen das Leben der Menschen unterworfen ist.“ Mit dem Blick auf „göttliche Grundordnungen“, die Weisheit wie auch Prophetie vorauszusetzen scheinen, will Rad wohl nahelegen, dass hier die Erkenntnis kommenden Unheils von dem weisheitlich geprägten Tun-Ergehen-Zusammenhang her zu denken ist, der in einer analogen Weise und übertragen auf das Verhältnis „Gott – Volk“ von den Propheten angewandt © 2016, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783788730628 — ISBN E-Book: 9783788730635

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Das Böse im Gefüge prophetischer Anthropologie und Theologie

Zusammenhang von bösem Tun der Menschen und Strafe Gottes entscheidend, den die prophetische Kritik aufdeckt. 1.2.2.1 Ist die menschliche Gemeinschaft gestört, missfällt das nach der Ansicht der Propheten Gott. Dieser (häufig sozialkritische) Strang zieht sich seit Amos als breiter Grundstrom durch die Aussagen der Prophetie. Wie Hos 7,15 zeigt – auch Hab 2,9 (s.o.) hat auf diesen Zusammenhang schon angespielt –, kann das böse Handeln der Menschen auch als ein Handeln direkt gegen Gott verstanden werden: Hos 7,15 Ich aber […] stärke ihre Arme; und sie sinnen Böses gegen mich.

Ist die Gemeinschaft unter den Menschen gefährdet, dann ist, so die prophetische Grundauffassung, auch das Gottesverhältnis tangiert. Die Störung des Gott-Mensch-Verhältnisses zieht entsprechende strafende und vergeltende Maßnahmen Gottes nach sich. Böses, das dem Menschen widerfährt, kann daher von den Propheten in vielen Fällen als strafendes Handeln Gottes verstanden werden, vor allem, wenn Verfehlungen vorausgehen. Paradigmatisch durchgeführt ist dieser Gedanke in den Fremdvölkersprüchen des Amos (Am 1,3–2,16), wo Israels Vergehen in die Androhung eines kommenden Unheils in Form einer „verheerenden Kriegsniederlage“ ausmünden.13 Auch die Visionen des Amosbuches (Am 7–9), die das Unheil in Form von Naturkatastrophen und/oder Fundamentalzerstörungen thematisieren, sind letztlich vom Zusammenhang von Schuld und Strafe bestimmt, auch wenn in den Amosvisionen von der konkreten Schuld nicht explizit geredet wird. Der Zusammenhang des „von dem Menschen in Bewegung gebrachten Bösen“ und der Strafe, die Jahwe „auf sein Haupt zurücklenkt“ (von Rad), bestimmt aber auch alle weiteren Unheilsprophetien von Amos bis zu den späteren Propheten. 1.2.2.2 Nicht nur die Störung und Zerstörung menschlicher Gemeinschaft ruft Gott auf den Plan. Als zweiter Strang treten Kultverfehlungen hinzu als böses Handeln von Menschen vor und an Jahwe; auch hier nur einige Beispiele: Hos 4,4–10: Verfehlungen der Priester; 4,11–15: Abgöttische Gottesdienste

wird; dazu braucht es keiner geheimen Offenbarung. In der Tat finden sich für diese Position gerade bei den Propheten Amos und Micha einige Hinweise; vgl. Wagner, Prophetie, 246.249. 13 Vgl. Jeremias, Prophet, 5–29, hier 27. © 2016, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783788730628 — ISBN E-Book: 9783788730635

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Am 5,4–5: Schuld im Gottesdienst Jer 25,4–7: Abfall von Jahwe; in deuteronomistischer Färbung: „4 […] Ihr aber habt nicht gehört […] 5 als folgendermaßen [von Jahwe durch die Propheten] gesprochen wurde: Kehrt doch um! […] 6 Und folgt nicht andern Götter nach, um ihnen zu dienen und sie anzubeten […] 7 Ihr aber habt nicht auf mich gehört, Spruch Jahwes […].“ – u.v.a.m.

1.3 Erstes Fazit: Nachdenken über das Böse im Kontext der Prophetie ist in der Hauptsache Nachdenken über Verhaltensweisen von Menschen in Beziehung zueinander und in Beziehung zu Gott. Zur Grundanlage des Menschen gehört es, dass er gegenüber anderen Menschen und gegenüber Gott „böse“ handeln kann, als Individuum wie im Kollektiv. In der Prophetie des 8. Jh. v. Chr. entstand ein „Schuld-Strafe-Paradigma“14, das die Deutung „des Bösen, des Unheils“, das „Israel“15 widerfährt, als Strafe Gottes ermöglichte. Unheil und Böses, die von Gott kommen, können dabei die verschiedensten Formen annehmen (Erdbeben; vgl. Am 1; Naturkatastrophen wie Heuschreckenplage, Dürre u.Ä.; vgl. Am 7–8; Kriegszerstörungen; vgl. Am 2,13–16 u.a.m.). „Böses“ insgesamt kann also aus der Perspektive der Prophetie verstanden werden a) als durch Menschen hervorgebracht oder b) durch Gott bewirkt, um „Böses“ der Menschen zu vergelten. 1.4 Es bleibt dabei zu bedenken, dass die prophetische Literatur keine allgemeinen theologischen Abhandlungen und Systementwürfe bietet. Prophetie zielt von Anbeginn darauf, die Menschen zu etwas bewegen zu wollen oder zumindest die Folgen ihres Tuns aufzuzeigen. Im Fokus der prophetischen Literatur stehen daher das Handeln 14 Zum „Schuld-Strafe-Paradigma“ als Kennzeichnung für die Prophetie des 8. Jh. vgl. K. Schmid, Literaturgeschichte, 131. 15 Diese Erkenntnis bezieht sich zunächst auf das Nordreich, bleibt aber dann als Deuteperspektive nicht nur dem Südreich Juda erhalten, wie die Judaperspektive in der Überlieferung bes. der Amos- und Hoseatexte zeigt – vgl. die Überschriften in Am 1,1 und Hos 1,1, die mit der Angabe auch des Südreichskönigs Usija „deutlich nachgeborene judäische Leser im Blick“ haben (Jeremias, Prophet, 1; vgl. auch ders., Der Prophet Hosea [ATD 24,1], Göttingen 1983, 23). Diese Deuteperspektive gilt schließlich sogar über die staatliche Zeit hinaus, denn der Zusammenhang zwischen menschlicher Schuld und göttlicher Strafe wird ja auch in nachstaatlicher Zeit nicht aufgehoben. In der deuteronomistischen Literatur wird diese Perspektive zum Schlüssel der Geschichtsdeutung. Die prophetische Erkenntnis des 8. Jh. ist also im Alten Testament von bleibender Aktualität und wird auch in späteren (nachalttestamentlichen) Zeiten immer wieder aufgenommen; vgl. die interessante Studie mit etlichen Beispielen von S. Beyerle / M. Roth / J. Schmidt (Hg.), Schuld. Interdisziplinäre Versuche ein Phänomen zu verstehen (Theologie – Kultur –Hermeneutik 11), Leipzig 2009. © 2016, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783788730628 — ISBN E-Book: 9783788730635

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und Tun des Menschen und die Reaktion Gottes. Dass andere Erfahrungs- und Denkbereiche des Bösen, etwa Naturkatastrophen, die nicht auf ein strafendes (vergeltendes) Handeln Gottes zurückgeführt werden, ausgespart bleiben, sollte von diesem Fokus her nicht verwundern.16 Von der Prophetie her gedacht erscheint das Böse als menschliche Verfehlung oder als Gottes strafendes Handeln. Reflexionen über das Böse als Größe außerhalb dieses Zusammenhangs lassen sich in der prophetischen Literatur nicht nachweisen. 1.5 Es liegt weiterhin auf der Hand, dass sich die Positionen je nach dem Profil der entsprechenden prophetischen Literaturstücke unterscheiden. Amos vertritt nicht dasselbe Konzept wie Ezechiel. Wir werden also zu differenzieren haben und sollten eigentlich vom Bösen im Gefüge prophetischer Anthropologien und Theologien sprechen. Dies kann im Rahmen dieses Aufsatzes nicht für alle prophetischen Überlieferungen im Einzelnen und nicht in ausführlicher Weise gezeigt werden. Doch auch angesichts verschiedener Differenzierungen ist festzuhalten, dass die Gesamtbewegung, die sich in den Texten der Prophetie zeigt und die eine Text- und Entwicklungsstrecke von mehreren Jahrhunderten umspannt, die Auffassung vom Bösen für die alttestamentliche Tradition sehr fundamental und bleibend für die alttestamentliche Religion verändert hat. Dies geschah aus Bewegungen heraus, die mit der zunehmenden Profilierung und Ausarbeitung eines bestimmten Gotteskonzepts zusammenhängen. Auch das ist im Folgenden zu beachten.

16 Belege wie Mi 4,6 und Jes 41,23 könnten andeuten, dass es weitere (selten vorkommende) Denkdimensionen in dieser Hinsicht auch in der Prophetie geben kann; vor allem Jes 41,23 könnte so zu verstehen sein, dass es zur Gottheit eines Gottes vielleicht hinzugehört, durch „Böses“ zu erschrecken, ohne dass das Böse als Strafe verstanden werden muss. © 2016, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783788730628 — ISBN E-Book: 9783788730635

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2. Verschiedene Umgangsweisen mit dem „Bösen“, Differenzierungen, Ansätze einer Begriffsgeschichte innerhalb der prophetischen Literaturentwicklung 2.1 Ein erster Blick in den Wortbestand zeigt einen auffälligen Befund:17 roa‘ Schlechtigkeit

ra‘ böse, schlecht

rā‘āh Böses, Unheil

1

25

11 5

Gen

r‘‘ schlecht/ böse sein 9

Ex

2

4

Lev

1

6

Num

3

Dtn

5

1

9

3

28

7

Jos

1

2

Ri

1

9

10

1Sam

7

11

20

2Sam

4

4

11

1Kön

3

15

12

2Kön

1

26

6

Jes 1–39

8

7

3

Jes 40–55

1

1

2

Jes 56–66

2

5

1

Jer

12

35

89

16

8

1

6

1

1

11

Ez Hos

1

Joel

2

Am

4

Ob

3 1

Jon

1

2

7

Mi

2

5

3

Nah

2 2

Hab Zeph

1

1

Sach

1

2

Mal

3

3

17 Belege nach OakTree Software, Accordance® 9 Bible Software. Version 9.4.1, Altamonte Springs 2011. © 2016, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783788730628 — ISBN E-Book: 9783788730635

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Ps

15

Hi

2

Prov

7

Qoh

1

1

33

31

11

4

47

21

18

13

Klgl

3

Esth

2

Dan Ruth

3 1 1

Esr Neh

3

1Chr

4

1

2Chr Gesamt

4

97

19

6

7

1

3

14

7

357

311

In der Übersicht fallen die Zahlen des Jeremiabuches deutlich auf. Wortstatistiken im Biblischen Hebräischen sind für sich genommen nur eingeschränkt aussagekräftig, und man sollte Schlüsse nicht allein aufgrund der Vorkommenszahlen treffen. Jedoch ist hier das Bild doch sehr eindeutig und führt auf eine bestimmte Spur, die sich im Kontext weiterer Beobachtungen gut auswerten lässt. Das Jeremiabuch tritt hier also hervor als das Buch mit den weitaus meisten Belegstellen von Wörtern, die „Böses“ bezeichnen. Damit hebt es sich insbesondere von den anderen schriftprophetischen Büchern ab, von denen keines eine solche absolute oder relative Häufung der Wörter zum Bösen aufweist: Beim Verb r‘‘ „schlecht/ böse sein“ ist der Befund noch nicht sehr signifikant, aber die Häufung bei den Termini roa‘ „Schlechtigkeit“, ra‘ „böse/ schlecht“ und rā‘āh „Böses/Unheil“ ist doch außerordentlich groß. Daraus können wir schon einmal so viel entnehmen, dass sich im Jeremiabuch mit dem häufigen Gebrauch der Wörter, die „Böses“ bezeichnen, eine Auffassung über das Böse niedergeschlagen bzw. entwickelt hat, die im Laufe der alttestamentlichen Literaturgeschichte nicht (!) in die anderen schriftprophetischen Bücher, auch zu keinem späteren Zeitpunkt und durch keine Überarbeitung, mit dem Mittel der Häufung ein- bzw. nachgetragen wurde.18 Die zah18 Vgl. die Hinweise zur Literaturwerdung der prophetischen Bücher bes. oben in Anm. 3. Die Geschichte der Prophetenbücher ist eine Geschichte beständiger Überarbeitung und Aktualisierung. In der neueren Forschung wird diese produktive Anpassung der prophetischen Botschaft an die jeweilige Gegenwart der Bearbeiter deutlich positiv gesehen; vgl. O.H. Steck, Prophetische Prophetenauslegung, in: H. F. Geisser / H. J. Luibl / W. Mostert / H. Weder, Wahrheit der Schrift – Wahrheit der © 2016, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783788730628 — ISBN E-Book: 9783788730635

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lenmäßigen Unterschiedlichkeiten im Umgang mit dem „Bösen“ sind dem jeweiligen theologischen Profil der prophetischen Bücher zuzuschreiben und zu einem guten Teil bis auf die Stufe des kanonischen Textes erhalten geblieben. Im Falle des Jeremiabuches zeigt sich also in der Häufung eine Besonderheit vor allem dieses Buches.19 Vergleichbar mit der Häufung der Wörter für „Böses“ im Jeremiabuch sind außerhalb des Literaturbereichs der prophetischen Bücher der Psalter, Proverbia und vor allem das Deuteronomium20 sowie die Schriften des sog. Deuteronomistischen Geschichtswerks (Josua – 2. Könige).21 Auf die Häufungen in den Proverbien und den Psalmen (vgl. den Beitrag zum Bösen in den Psalmen von Alexandra Grund im vorliegenden Band) kann hier nicht weiter eingegangen werden. Die Häufungen im Deuteronomium und der davon beeinflussten Literatur sollen dagegen weiter in die Erörterung einbezogen bleiben. Auslegung. Eine Zürcher Vorlesungsreihe zu Gerhard Ebelings 80. Geburtstag am 6. Juli 1992, Zürich 1993, 198–244. Aber Bearbeitungen und Fortschreibungen gehen eben nicht so weit, dass die individualprophetischen Ausdrucksprofile sämtlich getilgt würden. 19 Wiederum muss das nicht von vornherein heißen, dass das (allein) auf die Person des Jeremia zurückgehen muss; hier kann auch die Jeremiatradition mitgewirkt haben; vgl. dazu u. Abschn. 2.3.1. 20 Vgl. zum Deuteronomium aus der neueren Forschung N. Lohfink, Studien zum Deuteronomium und zur deuteronomistischen Literatur, Bde. 1–5 (SBS 8; 12; 20; 31; 38), Stuttgart 1990–2005; H. U. Steymans, Deuteronomium 28 und die adê zur Thronfolgeregelung Asarhaddons. Segen und Fluch im Alten Orient und in Israel (OBO 145), Freiburg/Schweiz 1995; E. Otto, Das Deuteronomium (BZAW 284), Berlin / New York 1999; ders., Das Deuteronomium im Pentateuch und Hexateuch. Studien zur Literaturgeschichte von Pentateuch und Hexateuch im Lichte des Deuteronomiumrahmens (FAT 30), Tübingen 2000; G. Braulik, Studien zum Deuteronomium und seiner Nachgeschichte (SBS 33), Stuttgart 2001; E. Otto / R. Achenbach (Hg.), Das Deuteronomium zwischen Pentateuch und Deuteronomistischem Geschichtswerk (FRLANT 206), Göttingen 2004; G. Braulik, Studien zu den Methoden der Deuteronomiumsexegese (SBS 42), Stuttgart 2006; C. Koch, Vertrag, Treueid und Bund. Studien zur Rezeption des altorientalischen Vertragsrechts im Deuteronomium und zur Ausbildung der Bundestheologie im Alten Testament (BZAW 383), Berlin / New York 2008. Zur Einführung T. Veijola, Das fünfte Buch Mose. Deuteronomium [1]. Kapitel 1,1–16,17 (ATD 8,1), Göttingen 2004; U. Rüterswörden, Das Buch Deuteronomium (NSK.AT 4), Stuttgart 2006; ders., Art. Deuteronomium, WiBiLex 2008, www.wibilex.de/stichwort/Deuteronomium (Zugriffsdatum: 31.07.2011). 21 Vgl. aus der neueren Forschung M. Witte / K. Schmid / D. Prechel (Hg.), Die deuteronomistischen Geschichtswerke. Redaktions- und religionsgeschichtliche Perspektiven zur „Deuteronomismus“-Diskussion in Tora und Vorderen Propheten (BZAW 365), Berlin / New York 2006; P. Mommer / A. Scherer (Hg.), Geschichte Israels und deuteronomistisches Geschichtsdenken (FS W. Thiel) (AOAT 380), Münster 2010. Zur Einführung vgl. H.-C. Schmitt, Arbeitsbuch zum Alten Testament, Göttingen 32011, 248–267. © 2016, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783788730628 — ISBN E-Book: 9783788730635

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Mit Jeremia und dem Deuteronomium betreten wir nun den Boden des 7. Jh. v. Chr. Versuchen wir, bevor wir diesen Befund bei Jeremia und im Deuteronomium weiter betrachten, zunächst noch einmal die prophetische Literatur davor und deren Auffassungen vom „Bösen“ in Augenschein zu nehmen, auch wenn es natürlich schwierig ist, Texte aus der prophetischen Literatur des 8. Jh. v. Chr. exakt zu datieren. 2.2 Der älteste der Unheilspropheten ist Amos aus dem 8. Jh. v. Chr.22 Über die Unheilsprophetie ist in den letzten Jahrzehnten viel diskutiert worden, am interessantesten vielleicht über die Frage, ob es von Amos23 oder Jesaja24 wirklich unheilsprophetische prospektive Texte aus der Zeit vor dem Untergang des Nordreichs Israel (722 v.Chr.) gegeben haben kann oder ob diese Texte nicht erst im Zusammenhang der nachträglichen Bewältigung der Katastrophe von 722 oder 587/6 (Zerstörung des Sandreiches Juda) entstanden sind. Aber wie literargeschichtliche Argumentationsgänge zeigen, gerade im Amos-Buch25, oder zeitgleiche Unheilsprophetien aus dem 8. Jh. aus dem unmittelbaren Nachbargebiet des Nordreichs (Text vom Tell Deir ‘Alla26) belegen, spricht doch vieles dafür, dass wir von einem Grundbestand von Unheilsprophetie ausgehen können, der 22 Zu Amos vgl. H. W. Wolff, Dodekapropheton 2. Joel und Amos (BK XIV/2), Neukirchen-Vluyn 1969; F. I. Andersen / D. N. Freedman, Amos. Introduction and commentary (AncB 24A), New York 1989; G. Fleischer, Von Menschenverkäufern, Baschankühen und Rechtsverkehrern. Die Sozialkritik des Amosbuches in historisch-kritischer, sozialgeschichtlicher und archäologischer Perspektive (BBB 74), Frankfurt a.M. 1989; Jeremias, Prophet; D. U. Rottzoll, Studien zu Redaktion und Komposition des Amosbuches (BZAW 243), Berlin / New York 1996; A. Schart, Die Entstehung des Zwölfprophetenbuchs. Neubearbeitungen von Amos im Rahmen schriftenübergreifender Redaktionsprozesse (BZAW 260), Berlin / New York 1998; U. Dahmen / G. Fleischer, Die Bücher Joel und Amos (NSK.AT 23,2), Stuttgart 2001; A. C. Hagedorn (Hg.), Aspects of Amos. Exegesis and interpretation, New York u.a. 2011. Zusammenfassende Information bei P. Höffken, Art. Amos/ Amosbuch, WiBiLex 2006, www.wibilex.de/stichwort/Amos/Amosbuch (Zugriffsdatum: 31.07.2011). 23 Vgl. U. Becker, Der Prophet als Fürbitter. Zum literarhistorischen Ort der Amos-Visionen, VT 51 (2001), 141–165; R. G. Kratz, Die Worte des Amos von Tekoa, in: M. Köckert / M. Nissinen / E. Cancik-Kirschbaum (Hg.), Propheten in Mari, Assyrien und Israel (FRLANT 201), Göttingen 2003, 54–89. 24 Vgl. U. Becker, Jesaja – von der Botschaft zum Buch (FRLANT 178), Göttingen 1997. Zur Diskussion, insbesondere zur Denkschriftproblematik, vgl. Schmid, Literaturgeschichte, 97–101. 25 Vgl. Jeremias, Amos, passim; J. C. Gertz, Die unbedingte Gerichtsankündigung des Amos, in: Gottes Wege suchend. Beiträge zum Verständnis der Bibel und ihrer Botschaft (FS R. Mosis), hg. von F. Sedlmeier, Würzburg 2003, 153–170. 26 Eine kurze Einschätzung der Beziehungen zur Prophetie und weitere Literatur bietet Wagner, Prophetie, 99–101. © 2016, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783788730628 — ISBN E-Book: 9783788730635

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überhaupt erst zur Begründung einer prophetischen Schrifttradition geführt hat. Der Gang der Geschichte hat den Wahrheitserweis für diese prophetische Traditionslinie und damit für ihre Hochschätzung erbracht. Nach vielen Überarbeitungs- und Aktualisierungsvorgängen hat dieser Prozess dann zu den im Alten Testament vorliegenden Prophetenbüchern geführt.27 In diesem Prozess sind die theologischen Prägungen der historischen Propheten lebendig geblieben und haben es aufgrund ihrer Unterschiedlichkeit gerechtfertigt, verschiedene prophetische Traditionslinien beizubehalten, um über eine gewisse Fülle (drei große, zwölf kleine Propheten) das Gesamtphänomen des „Prophetischen“ abzudecken. Zu den Unterschiedlichkeiten gehört etwa, dass Amos im Gang der israelitischen Religionsgeschichte („israelitisch“ im Sinne der auf die Religionsgeschichte des gesamten Alten Israel bezogenen Entwicklung, nicht nur der des Nordreichs) mit Blick auf den sich ausbildenden Monotheismus28 an einer anderen Stelle steht als etwa Deuterojesaja. In den Fremdvölkersprüchen des Amos richtet Jahwe über die nächsten Nachbarn des Alten Israel, aber noch nicht über alle Völker der ganzen damaligen Welt. Einen solchen universell regierenden Gott haben erst Texte wie Deuterojesaja im Blick (zu Deuterojesaja s. auch u. Abschn. 3). Diese Unterschiedlichkeiten der prophetischen Traditionen wirken sich auch bei der Beurteilung des Bösen aus. Bei der Unterschiedlichkeit hinsichtlich der Zahl des Vorkommens der Termini über das „Böse“ in den prophetischen Büchern hatte dieser Abschnitt auch eingesetzt (s.o. Abschn. 2.1). Im Amosbuch, das wiederum in dieser Hinsicht paradigmatisch für die Prophetie des 8. Jh. ist, finden sich nur wenige lexematische Benennungen des Bösen . In den frühen Amos -Texten stehen ganz im Vordergrund konkret genannte Sachen bzw. Taten, die „böse sind“, aber nicht mit den entsprechenden Vokabeln für „Böses“ (vgl. obige Tabelle) explizit bezeichnet werden. Davon war schon die Rede (vgl. o. Abschn. 1.2.2.1).29 27 Einen guten Einblick in den Forschungsstand zur Entwicklung der prophetischen Literatur gibt Schmid, Literaturgeschichte, passim. 28 Vgl. zusammenfassend und mit Literatur M. Bauks, Art. Monotheismus (AT), WiBiLex 2011, www.wibilex.de/stichwort/Monotheismus_AT (Zugriffsdatum: 31.7.2011). 29 Die Konkretionen der bösen Taten liegen, wie in Abschn. 1 schon angedeutet, auf zwei Feldern: Den „bösen Taten“ auf sozialem Feld stehen die „bösen Taten“ des kultischen Bereichs zur Seite. Thematisiert Amos wie (Proto-)Jesaja und Micha stark die sozialen Vergehen, dann stehen bei Hosea eher die kultischen Vergehen im Vordergrund. © 2016, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783788730628 — ISBN E-Book: 9783788730635

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Dies steht ganz im Gegensatz zum Jeremiabuch, wo lexematische Benennungen stark dominieren. Dabei ist das Amosbuch nahezu in toto eine Sammlung von Anklagen über das „böse“ Verhalten der Menschen oder „böse“ Folgen Jahwes (die Ausnahme bilden Doxologien und wenige andere Texte). Es hätte also mannigfache Ansatzpunkte gegeben, diese „bösen“ Sachen auch „böse“ zu nennen. Aber so verfährt Amos (noch) nicht, ebenso nicht die anderen Propheten des 8. Jh. Nur an zwei Stellen blitzt auch im Amosbuch auf, dass in einer Art Zusammenfassung auf „alles Böse“ rekurriert wird: Amos 5 4 Suchet Gutes und nicht Böses, damit ihr leben könnt, so wird der Herr, der Gott Zebaoth, bei euch sein, wie ihr sagt. 15 Hasst Böses und liebet Gutes, haltet aufrecht das Recht im Tor, vielleicht wird Jahwe, der Gott Zebaoth, gnädig sein dem Rest Josefs.

Diese beiden Belege finden sich in dem großen chiastischen Text Am 5,1–17, der insgesamt sehr wahrscheinlich zur eher späteren redaktionellen Bearbeitung des Amosbuches gehört. Möglicherweise geht Am 5,4–5* auf Amos oder noch ältere Tradition zurück und wäre dann Ausgangspunkt für die begriffliche Benennung böser Taten. Dieser ältere Text ist dann in die Komposition Am 5,1–17 eingegangen und wurde ergänzt durch das Korrespondenzstück Am 5,15.30 In Am 5,17 wird von einer späteren Position aus auf das von dem Propheten Amos (und anderen späteren Propheten) Kritisierte zurückgeblickt, und vieles von dem, was in älteren prophetischen Texten an konkreten Verfehlungen genannt wird, ist hier in der „Sammelkategorie“ ra‘ „Böses“ – hier ohne Artikel – zusammengefasst. Man kann den chiastischen Text auch von außen nach innen lesen und dort im Inneren (bes. Am 5,7 // 5,10–13: Recht/Rechtsbeugung) konkrete Verfehlungen finden, die Anschauungsmaterial für die im Allgemeineren bleibenden Rahmenverse darstellen.31 2.3 Die ersten unheilsprophetischen Traditionen sind also im Laufe des 8. Jh. v. Chr. entstanden und nach dem Untergang 722 v. Chr. 30 Zu Am 5,1–17 vgl. Jeremias, Prophet, 59–73; Wagner, Prophetie, 209–218. Zum Restgedanken, der hier eines der Indizien ist, die auf spätere Formung weisen, vgl. J. Jeremias, Der „Rest Israels“. Das Basisthema des Michabuches, in: Der Freund des Menschen (FS G.C. Macholz), hg. von A. Meinhold / A. Berlejung, Neukirchen-Vluyn 2003, 57–68. 31 Ähnliches wie für Amos gilt für die älteren Teile von Jesaja, Micha und Hosea; dies kann hier im Einzelnen aus Platzgründen nicht gezeigt werden. Auch dort finden sich die Wörter für „Böses“ eher in den später bearbeiteten Teilen. © 2016, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783788730628 — ISBN E-Book: 9783788730635

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weitertradiert worden. In der Zeit danach beobachten wir Indizien für eine klare Bearbeitung in den Texten der Propheten aus dem Nordreich als Zeichen einer Rezeption , die auch die Südreichsperspektive einschließt (für Amos und Hosea wurde darauf o. in Abschn. 1.3, Anm. 15 bereits hingewiesen). Die Prophetien sind also aus dem Norden in den Süden gewandert, wo sie im noch bis 587/6 einigermaßen selbstständigen Juda weitergewirkt haben. Schon lange wurden dabei Traditionslinien auch inhaltlicher Art beobachtet, die von den Nordreichspropheten bis zu literarischen Zeugnissen der späteren Zeit reichen. Insbesondere die deuteronomisch-deuteronomistische Literatur scheint sich an manchen Traditionen des Nordens zu orientieren, wenn man etwa an die Parallelen zwischen der Ablehnung kanaanäischer Kultbräuche im Deuteronomium (Dtn 18,10) und Hosea (Hos 2) u.Ä. denkt. Im Verlauf des 7. Jh. v. Chr. bildet sich jedenfalls hinsichtlich unserer Frage nach der prophetischen Sicht des „Bösen“ eine Position heraus, die wir im Deuteronomium und bei Jeremia greifen können, und die, wie die oben angeführte Übersicht gezeigt hat, beim Formulieren der prophetischen Botschaft nun den Terminus ra‘ „Böses“ zahlenmäßig stark in den Vordergrund stellt. Warum ist das so? 2.3.1 Der jeremianischen Verkündigung liegen die Erfahrungen der Zerstörung des Nordreichs Israel durch die Assyrer genauso voraus wie die Verkündigungen und frühen Fortschreibungen der Nor dreichspropheten.32 Für Juda hätte es ein wegweisender Anschauungsfall wer-den können, was im Nordreich passiert war. Aber das Verhalten des Volkes im Süden hat sich nicht geändert, „also rennt es in einen noch schlimmeren Abgrund; – für Jeremia und seinen Gott ist ein solcher Schluss unausweichlich.“33 Auf der Folie der Geschehnisse des 8. Jh. v. Chr. tritt im 7. Jh. deutlicher und schneller als ein Jahrhundert zuvor der Zusammenhang zwischen der Summe der Bosheit und dem entsprechend ge32 Fur Jeremia insgesamt vgl. W. McKane, A Critical and Exegetical Commentary on Jeremiah, Vol. I. Introduction and Commentary on Jeremiah I–XXV (ICC), Edinburgh 1986; W. Holladay, Jeremiah 1. A Commentary on the Book of the Prophet Jeremiah, Chapters 1–25 (Hermeneia), Philadelphia 1986; ders., Jeremiah 2. A Commentary on the Book of the Prophet Jeremiah, Chapters 26–52 (Hermeneia), Minneapolis 1989; G. Wanke, Jeremia. Teilband 1: Jeremia 1,1–25,14 (ZBK 20), Zürich 1995; C. Maier, Jeremia als Lehrer der Tora. Soziale Gebote des Deuteronomiums in Fortschreibungen des Jeremiabuches (FRLANT 196), Göttingen 2002; G. Fischer, Jeremia, Bd. 1: 1–25; Bd. 2: 26–52 (HThKAT), Freiburg/Basel/Wien 2005; ders., Der Prophet wie Mose. Studien zum Jeremiabuch (BZAR 15), Wiesbaden 2011. Z. Einführung vgl. K. Seybold, Der Prophet Jeremia, Stuttgart/Berlin/Köln/Mainz 1993; G. Fischer, Jeremia. Der Stand der theologischen Diskussion, Darmstadt 2007. 33 K. Koch, Die Profeten II, Stuttgart/Berlin/Köln/ Mainz 1980, 29. © 2016, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783788730628 — ISBN E-Book: 9783788730635

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wachsenen „Zornkapital“ auf der Seite Gottes in den Vordergrund. Das Schuld-Strafe-Paradigma, das sich durch den Untergang des Nordreichs bereits als wahr erwiesen hat, kann im Denken des 7. Jh. noch zügiger Anwendung kommen. Vermutlich spielt auch eine Rolle, dass die Gottesidee schon wesentlich stärker in Richtung Monotheismus fortgebildet war und dem einen Gott mit großer ethischer Verbindlichkeit auch eine entsprechende schärfere Forderung an ein konsequent auf Jahwe ausgerichtetes Verhalten Judas entsprochen hat.34 Im Jeremiabuch ist in Jer 4,18 der Zusammenhang zwischen Tun und Ergehen explizit formuliert: Jer 4,18 [Zu Jerusalem gesagt von Jahwe:] Dein Weg und deine Taten haben dir das eingebrockt […]

Und ein Text wie die Kesselvision in Jer 1,13–16 bringt unter dem Stichwort „Böses“ das „böse Tun“ der Menschen mit „dem Bösen“, das Jahwe von Norden her öffnet, in einen klaren Entsprechungszusammenhang. Juda hat „Böses“ getan. Das Getane als „Böses“ zu benennen, zu „outen“, ist die Aufgabe des Propheten. Man hat den Eindruck, dass es angesichts der vielen Belege im Jeremiabuch stärker als in der Prophetie ein Jahrhundert zuvor darum geht, die Bewertung als Böses klar auszusprechen. Dies lässt sich etwa aus dem Vorkommen der als „frühe“ Jeremiatexte angenommenen Kapitel, etwa Jer 2,1–4,4* (8-mal rā‘āh, 2-mal ra‘ ) und Jer 4,5–6,30* (7-mal rā‘āh, 2-mal ra‘ ), schließen. In diesen fünf Kapiteln des Jeremiabuches kommt ra‘ „Böses“ fast dreimal so häufig vor wie im ganzen Amosbuch (3-mal rā‘āh, 4-mal ra‘ ). Und dies nimmt mit fortlaufender Wirkungszeit Jeremias, wenn man davon noch reden will, bzw. in der weiteren, zumal von deuteronomisch-deuteronomistischen Händen (vgl. dazu den nächsten Abschnitt) stark beeinflussten, Buchgeschichte deutlich zu. Hier ist eine interessante Konvergenz zu anderen sehr spezifischen Entwicklungen im Jeremiabuch zu beobachten: Durch die Häufigkeit des Gebrauchs der Termini rā‘āh und ra‘ entwickeln sich diese beiden Wörter in Richtung eines echten „definierten“ theologischen 34 Zum Zusammenhang zwischen Monotheismus und ethischer Prägung Jahwes vgl. D. Michel, Einheit in der Vielfalt des Alten Testaments, in: ders., Studien zur Überlieferungsgeschichte alttestamentlicher Texte, hg. von A. Wagner / A. Müller / R.G. Lehmann / A. Diesel / J.F. Diehl / A. Behrens (TB 93), München 1997, 53–68, bes. 68; A. Wagner, Primäre/sekundäre und Bekenntnis-Religion als Thema der Religionsgeschichte, in: ders. (Hg.), Primäre und sekundäre Religion als Kategorie der Religionsgeschichte des Alten Testaments (BZAW 364), Berlin / New York 2006, 3–19, bes. 11. © 2016, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783788730628 — ISBN E-Book: 9783788730635

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Begriffs und zeugen von einer schon im wirklichen Sinne „Theologie“ zu nennenden Denkart. Diesem Phänomen ist an die Seite zu stellen, dass das Jeremiabuch – ähnlich wie Ezechiel – die höchste Zahl und Dichte des gesamten Feldes der verschiedenen koh-’āmarFormeln aufweist, etwa im Vergleich mit Jes 1–39: koh koh ’āmar ’āmar ’elay

3

ki-khoh ’āmar

Jer

95

28

Ez

89

10

P-Jes

6

1

ki-khoh ’āmar ’elay

lākhen koh koh-’āmar’āmar Formeln pro (ca.) 1000 Wörter

1

5

27

7,7

26

6,95

5

1,8

Auch der intensive Formelgebrauch ist als Ausweis reflektierter Theologie zu verstehen und durch eine Aufwertung der Prophetie (zumindest aus prophetischer und deuteronomisch-deuteronomistischer Perspektive) zu erklären.35 Das Prophetenbild der „Propheten als Boten“ wird sozusagen dogmatisch zementiert durch den häufigen Gebrauch der auch als Botenformel zu verstehenden unerweiterten koh-’āmar-Formel – was wiederum die Rolle des Propheten als des wahren Künders des Gotteswortes unterstreicht.36 Die UnheilsProphetien des 8. Jh. und die des ausgehenden 7. Jh. / beginnenden 6. Jh. waren aus exilisch-nachexilischer Perspektive durch den Gang der Geschichte bestätigt, das Schuld-Strafe-Paradigma endgültig als geschichts-theologisches Deuteprinzip etabliert. Mit der Zerstörung auch des Sandreiches war nun die geschichtlich mögliche Zerstörung Israels abgeschlossen (mehr als Nord- und Sandreich war nicht zu zerstören), das Handeln Jahwes damit auch zu einem Punkt gekommen, der als Abschlusspunkt, später als Wendepunkt, erkannt wurde. Weiter als bis dahin kann die Geschichte nicht gehen, alles Weitere wäre Wiederholung. An diesem Punkt beginnt nun gedanklich in besonderer Weise die theologische Aufarbeitung und Zukunftssicherung: Mit den großen Rückblicken auf die Geschichte in den geschichtlichen Büchern des Alten Testaments, mit dem Ausarbeiten und Fixieren der prophetischen Verkündigung und mit der zunehmenden Formung in den prophetischen Büchern sowie mit der Fixierung der Gesetze, die Orientierung in der Zukunft ermöglichen sollen (im Pentateuch). 35 36

Vgl. Wagner, Prophetie, 329–331 (zu Jer 281–286). Vgl. ebd., 322–325. © 2016, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783788730628 — ISBN E-Book: 9783788730635

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Und hier wird auch in besonderer Weise klar, dass „das“ Böse in allen seinen Ausformungen Auslöser der Strafen Jahwes war. Gleichermaßen formt nun das theologische Reflektieren und Begreifen in Formeln und Begriffen wie auch das Reden vom Bösen „Theologie“, wie sie sich im Jeremiabuch oder in der deuteronomisch-deuteronomistischen Literatur niederschlägt. Und von diesem Punkt des Denkens aus erscheint „das Böse“ auch als (immer?) „das(selbe) Böse“, das in allen bösen Einzeltaten enthalten ist, weswegen man von nun an „vom Bösen“ reden kann, ohne es immer in seinen Einzelfacetten benennen zu müssen. 2.3.2 Wie sich schon angedeutet hat, verhält es sich mit dem ältesten Kern der deuteronomischen Überlieferung (Gesetze in Dtn 12– 26*) aus der Zeit vor dem Exil ähnlich wie mit der Jeremia-Überlieferung. Auch den deuteronomischen Anfängen37 lagen die Erfahrungen und Reflexionen der Propheten des 8. Jh. schon voraus. Das deuteronomische Gesetz als Kern der im 7. Jh. entstehenden deuteronomischen „theologischen Bewegung“ kann man als einen Versuch verstehen, die Erfahrungen aus der vorausgehenden Prophetie produktiv aufzunehmen: Aus der Kritik der Propheten wird inhaltlich geschöpft (etwa Hosea, vgl. o.), die kritisierten Aspekte aber in Weisungsform umgegossen bzw. Weisungen in der Autorität Gottes verankert, damit Orientierung für die Zukunft möglich ist, um weitere Straf-Katastrophen vonseiten Gottes zu vermeiden.38

37 Die Frage der Entstehung des Deuteronomiums wird divergent diskutiert; eine Grundposition sieht das Deuteronomium als exilisch entstanden, weil es einen Lebensentwurf für die Zeit nach dem Exil biete und sich die Forderung nach Kultzentralisation nur nachexilisch erkläre (R. G. Kratz, Die Komposition der erzählenden Bücher des Alten Testaments, Göttingen 2000, 136–138); die andere Position, der ich mehr zuneige, geht von einer vorexilischen deuteronomischen Gesetzessammlung aus, die bis in die nachexilische Zeit weitere Bearbeitungen erfahren hat; vgl. die in Anm. 20 genannte Literatur. 38 Ähnlich hat das Kratz schon mit Blick auf das Bundesbuch formuliert: Die „Theologisierung des Rechts“, die sich im Bundesbuch zeigt, „zeichnet sich weniger durch inhaltliche Neuheit als vielmehr dadurch aus, daß sie die juristischen, sozialen und kultischen Regelungen, die in vorexilischer Zeit mehr oder weniger selbstverständlich galten, als Gottesrecht, von Jahwe selbst proklamierte und autorisierte Gesetze, ausgibt und die Befolgung der Gesetze jedem einzelnen Glied des Volkes ans Herz legt. Das hat zur Voraussetzung, daß die Regelungen ihren natürlichen Sitz im Leben, wo sie aus sich heraus Autorität und Gültigkeit besaßen, verloren haben. Terminus post quem dieser rechtshistorischen Entwicklung ist der Untergang des Staates Israel um 720 und die assyrische Krise Judas bis 701 v. Chr. […]“ (Kratz, Komposition, 147). Noch stärker gilt diese Beobachtung für das spätere „Urdeuteronomium“, bei dem auch noch klare neue inhaltliche Akzente (Kultzentralisation) hinzukamen. © 2016, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783788730628 — ISBN E-Book: 9783788730635

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Die Gründe für den häufigen Gebrauch von ra‘ in der deuteronomisch-deuteronomistischen Literatur dürften dabei ähnlich sein wie bei Jeremia, zumal, wenn man von einer ungefähr zeitgleichen Entstehung in der zweiten Hälfte des 7. Jh. ausgeht. Auch hier wird ra‘ zum Sammelbegriff für das vom Menschen zu Meidende. Hier kann nicht breit ausgeführt werden, dass es interessante Bezüge zwischen der Verwendung von ra‘ (mit Derivaten) und unterschiedlichen Bearbeitungsstufen der deuteronomisch-deuteronomistischen Texte gibt; es sollen hier nur ein paar Beobachtungen angefügt werden: a) Wenn die These vom „Urdeuteronomium“ als Reformulierung des Bundesbuches richtig ist, dann kann die Nähe zum Ausgangstext der Grund dafür sein, dass sich in den als Grundbestand vermuteten Texten von Dtn 12–26*39 nur zwei wenige Belege für ra‘ finden, die zudem in Verdacht stehen, deuteronomistische Nachträge zu sein; im Bundesbuch spielt dieser Begriff keine Rolle, und der Zielpunkt der frühesten deuteronomischen Texte war denn auch vielmehr die Kultproblematik als die Thematisierung des Bösen. Möglicherweise gehört die Verwendung der aufgeladenen Vokabel zu deuteronomischen (deuteronomistischen?) Überarbeitungen, die ihrerseits von der Jeremia-Tradition beeinflusst sind und die stark in den Vordergrund stellen möchten, dass Abweichungen von den Forderungen der deuteronomischen Gesetze zum selben „bösen“ Ende führen wie 722 oder 587/6 (vgl. etwa Dtn 17,2); ungleich mehr als die ursprünglichen deuteronomischen Texte sind die späteren Fortführungen dem Schuld-Strafe-Paradigma verbunden. b) In deutlich begrifflicher Weise wird ra‘ als Sammelbegriff für alle Spielarten des Bösen, die Menschen hervorbringen können, in Formeln gebraucht, die Erkennungsmerkmal deuteronomistischer Literatur und deuteronomistischen Denkens werden: In Dtn 4,25; 17,2 findet sich die Leitformulierung, die auch im Deuteronomistischen Geschichtswerk immer wieder dazu dient, menschliche Untaten geschichtstheologisch einzuordnen: „… tun was böse ist in den Augen Jahwes, deines Gottes“ (vgl. Ri 2,11; 13,1; 1Sam 12,17; 2Sam 12,9; 1Kön 11,6; 2Kön 3,2 u.a.m.). Der Gebrauch in Formeln erinnert wiederum an die Formelvorliebe des Jeremiabuches und ist ebenso ein deutlicher Ausweis explizit theologischer Arbeit (s.o.). c) Zu registrieren ist auch im Unterschied zu Jeremia ein häufigerer Gebrauch von ra‘ gegenüber rā‘āh im Deuteronomium. Das heißt, dass die Wahrscheinlichkeit einer gegenseitigen Beeinflussung der Ursprungstexte von Jeremia und Deuteronomium wenig hoch ist; gegenüber Jeremia bildet in Dtn 12–26* die Beschränkung auf den Begriff ra‘ und die Vermeidung von rā‘āh ein eigenes Profil. Wären die deuteronomischen Texte von Jeremia abhängig oder umgekehrt, dann sollten sich eigentlich beide Begriffe bei beiden finden. In Bezug auf das Nicht-Vorkommen von rā‘āh im Gesetzeskern bleibt dieses Profil von den ursprünglichen Stufen Dtn 12–26* bis 39 Vgl. die Übersicht bei J. C. Gertz, Tora und Vordere Propheten, in: ders. (Hg.), Grundinformation Altes Testament (UTB 2745), Göttingen 2006, 187–302, hier 248. In den genannten Texten (Dtn 12,13–28*; 14,22–29*; 15,1–18*. 19–23*; 16,1– 17*.18*; 17,8–13*; 19,1–13*.15–21*; 21,1–9; 25,1–3*) findet sich ra‘ nur in Dtn 17,12 und 19,20; beides Belege, in denen ra‘ im Zusammenhang mit Wendungen, die auf die Mitte abheben, vorkommt. © 2016, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783788730628 — ISBN E-Book: 9783788730635

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hin zur Endfassung Dtn 12–26 erhalten. Belege für rā‘āh finden sich in der Endfassung des Buches Deuteronomium nur in den Kap. 29–31 (Dtn 29,20; 31,17.18.21. 29; 32,23), also in den Abschnitten der (älteren) deuteronomistischen Redaktion. Wie die am Anfang des Kapitels dargebotene Tabelle zeigt, entspricht dies wohl auch dem Sprachgebrauch der dem Deuteronomistischen Geschichtswerk zugeschriebenen Texte Josua – 2. Könige, in denen beide Begriffe (ra‘ 67-mal, rā‘āh 59mal) vorkommen. d) Im Deuteronomium wird der Terminus ra‘ einerseits gebraucht, um den Makel von Tieren zu bezeichnen, die aufgrund dieses Makels nicht geopfert werden sollen, wie Dtn 17,1, und andererseits, um mit ra‘ das „Böse“ des Menschen zu bezeichnen, wie Dtn 17,2; beide Verwendungsweisen können eng nebeneinander stehen. Ist es Zufall, dass in Dtn 17,2 dabei ra‘ mit Artikel steht, in Dtn 17,1 dagegen nicht? Drückt sich darin nicht eine Summierungsabsicht aus, in dem Sinn, dass „das“ Böse als das eine Böse in jeder einzelnen „bösen“ Handlung zum Ausdruck kommt? Im Artikelgebrauch scheint jedenfalls eine eigene Signifikanz gegenüber dem Gebrauch von ra‘ ͑und rā‘āh ohne Artikel zu liegen, wenn man den Gesamtbestand von ra‘ und rā‘āh anschaut: In der prophetischen und deuteronomisch-deuteronomistischen Literatur kommt die Form mit Artikel in ähnlicher Verteilungshäufigkeit vor wie ra‘ und rā‘āh ohne Artikel, in den Proverbien, wo es auch viele Belege für ra‘ und rā‘āh gibt (s. oben die Tabelle in Abschn. 2.1), fehlt der Artikel bei ra‘ und rā‘āh dagegen auffälligerweise ganz.

Die hier angedeuteten Tendenzen – der Gebrauch von ra‘ u.ä. Wörtern/Lexemen als theologisch gefasste Begriffe, der Einbau dieser Begriffe in Formeln (Jeremia, Deuteronomium, Deuteronomistisches Geschichtswerk) als Indizien einer explizit reflektierenden Theologie, der fortschreitende Reflexionsprozess über das Schicksal des Nord- und Sandreiches – waren verbunden mit einer gegenüber der Prophetie des 8. Jh. fortschreitenden „Monotheisierung“ Jahwes. Man denke nur an die Einheitsforderungen des Deuteronomiums, an die Jahwezentrierung von Jeremia u.Ä. Dieser Prozess mündet aus in eine monotheistisch geprägte Theologie, wie sie in den Texten Deuterojesajas vorfindlich ist. Und auch hier ist nun wieder nach dem Ort des „Bösen“ zu fragen. 3. Das Böse bei Deuterojesaja – der Ort des Bösen im Monotheismus Was sich in der Entwicklung des Nachdenkens über das Böse im prophetischen Überlieferungsstrom angebahnt hat, wird bei Deuterojesaja40 deutlich und klar gefasst: Wenn alles, was ist, von Gott 40 Vgl. R. G. Kratz, Kyros im Deuterojesajabuch. Redaktionsgeschichtliche Untersuchungen zur Entstehung und Theologie von Jesaja 40–55 (FAT 1), Tübingen 1991; J. van Oorschot, Von Babel zum Zion. Eine literar- und redaktionsgeschichtliche Studie zu Jesaja 40–55 (BZAW 206), Berlin / New York 1993; U. Berges, Das © 2016, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783788730628 — ISBN E-Book: 9783788730635

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kommt, Welt und Mensch, dann muss auch das Böse von Gott kommen, auch wenn es im Menschen liegt. Ein Böses als eigene – etwa dämonische oder satanische – Größe außerhalb Gottes gibt es nicht. Deuterojesaja formuliert entsprechend: Jes 45,7 … der (das) Licht bildet und (die) Finsternis erschafft, der Frieden wirkt und Böses (ra )͑ erschafft. Ich (allein) bin Jahwe, der das alles wirkt. 41

Sehr prägnant hat A. Diesel den Sachverhalt zu Jes 45,7 formuliert: „Wenn außer Jahwe nichts und niemand ist, der zu wirken beanspruchen kann (zumindest im Sinne des geschichtsmächtigen Wirkens), dann muss alles auf Jahwe zurückgeführt werden, das Licht […], aber eben auch die Finsternis, der Schalom (den erhofft man sich ja seit je von seinem Gott), aber eben auch das Unheil. Westermann hebt in seiner Auslegung diesen Vers besonders hervor und betont die Einmaligkeit einer solchen Aussage im gesamten Alten Testament. Im Denken Deuterojesajas ist sie konsequent. Wenn es nur eine wirksame Größe gibt, die Schöpfung und Geschichte gleichermaßen lenkt, dann gibt es keine Ressortverteilung mehr unter verschiedenen Göttern, dann ist Jahwe für alles verantwortlich. Alle unheilvollen Widerfahrnisse können dann nicht auf das Wirken eines Jahwe gegnerisch gesinnten Gottes zurückgeführt werden oder auf eine Schwäche Jahwes, der einem anderen Gott unterlegen wäre, auf Jahwe selbst muss alles zurückgeführt werden. Bei der Diskussion darüber, inwiefern bei Deuterojesaja von (theoretischem) Monotheismus gesprochen werden kann, sollte dieser Vers mehr als andere Aussagen Beachtung finden. In 45,7 kommt die Theodizeeproblematik in den Blick. Sie entsteht mit dem Monotheismus, weil hier das Böse nicht mehr auf gegengöttliche Kräfte zurückgeführt werden kann, aber sie entsteht eben auch erst dann.“42

Konvergenzen gibt es von diesem Konzept zu dem ungefähr zeitgleichen priesterschriftlichen Entwurf Gen 1,1–2,4a, wo in der ausgebreiteten Schöpfung keine Größe geschaffen wird, die das Böse wirken könnte.43 Es gibt nichts in der geschaffenen Existenz, was nicht von Gott käme. Buch Jesaja. Komposition und Endgestalt (HBS 16), Freiburg/Basel/Wien 1998; M. Albani, Der eine Gott und die himmlischen Heerscharen. Zur Begründung des Monotheismus bei Deuterojesaja im Horizont der Astralisierung des Gottesverständnisses im Alten Orient (Arbeiten zur Bibel und ihrer Geschichte 1), Leipzig 2000; H.-J. Hermisson, Deuterojesaja. Jesaja 45,8–49,13 (BK 1XI,2), Neukirchen-Vluyn 2003; S. Petry, Die Entgrenzung JHWHs. Monolatrie, Bilderverbot und Monotheismus im Deuteronomium, in Deuterojesaja und im Ezechielbuch (FAT II/27), Tübingen 2007. Zur Einführung vgl. D. Michel, Art. Deuterojesaja, TRE VIII (1981), 510–530; H.-J. Hermisson, Art. Deuterojesaja, RGG4 II (1999), 684–688. 41 Zur Übersetzung vgl. A. Diesel, „Ich bin Jahwe“. Der Aufstieg der Ich-binJahwe-Aussage zum Schlüsselwort des alttestamentlichen Monotheismus (WMANT 110), Neukirchen-Vluyn 2006, 305–306. 42 Ebd., 318–319. 43 Vgl. B. Janowski, Konfliktgespräche mit Gott. Eine Anthropologie der Psalmen, Neukirchen-Vluyn 32009, 112. © 2016, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783788730628 — ISBN E-Book: 9783788730635

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Von diesem Punkt aus kann nun in verschiedenen Richtungen weitergedacht werden: a) Die Frage nach dem Sinn des Bösen. Da es böses Handeln von Mensch und Gott in der Welt gibt, beides auch in einem Zusammenhang steht, ist da, wo in der Welt Böses angetroffen wird, nach dem dahinterstehenden Ort in diesem Zusammenhang zu fragen. Widerfährt einem Böses, kann man sich fragen, woher es kommt, ob es böses menschliches Handeln oder eine Strafe Gottes für eigenes böses Handeln war. Im Hiobbuch nach der Argumentationslogik der Freunde Hiobs kann daher nach den Ursachen für Hiobs Leiden gefragt werden; die Freunde gehen davon aus, dass gemäß dem SchuldStrafe-Paradigma eine „Ursache“ für sein Leiden in Hiobs Verhalten vorliegen muss; die Rahmenerzählung gibt dem Leser allerdings zu erkennen, dass die Freunde damit auf einer falschen Spur sind. Die Frage nach dem erkennbaren Sinn von Leiden (auch als mögliche Strafe für eigene Vergehen) dürfte eine für das Alte Testament präsente Frage gewesen sein, die sich gerade vor dem Hintergrund prophetischer Tradition stellt. Auch im Jonabuch ist das böse Geschick, das Jona widerfährt, in einen übergreifenden Plan Jahwes eingebunden. Von solchen Umgangsweisen her hat man den Eindruck, dass Rezipienten angeleitet werden sollen, nach den Funktionen des Bösen im Plan Jahwes zu suchen; wenn alles Böse von Gott kommt, dann, so könnte man unterstellen, sollte es auch seinen jeweiligen Sinn haben. b) Die Möglichkeit des Menschen, böse zu handeln, als anthropologische Konstante. Schon seit der Prophetie des 8. Jh. v. Chr. gehörte es zur Grundüberzeugung, dass Menschen untereinander und Jahwe gegenüber böse handeln können. Im fortgeschrittenen monotheistischen Denken verändern sich auch hier die Akzente. Steht von Amos, Hosea, Micha und Protojesaja her die Beziehung zwischen Israel und Jahwe im Vordergrund, so erfährt in der monotheistischen Gotteskonzeption dieses Verhältnis eine universale Weitung. Es geht nun um den Menschen schlechthin. Zudem hat sich schon nach 722 und insbesondere nach 587/6 die Zugehörigkeitsbestimmung zur Mensch-Gott-Beziehung verändert. War in der Königszeit die Jahwereligion israelitische Nationalreligion, so wird sie in exilisch-nachexilischer Zeit zur Bekenntnisreligion.44 Die Zugehörigkeit zur Jah44 Vgl. Wagner, Bekenntnis-Religion; ders., Ps 91 – Bekenntnis zu Jahwe, in: ders., Beten und Bekennen. Über Psalmen, Neukirchen-Vluyn 2008, 97–122 sowie Permutatio religionis – Ps cxxxix und der Wandel der israelitischen Religion zur Bekenntnisreligion, in: ebd., 123–143. © 2016, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783788730628 — ISBN E-Book: 9783788730635

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wereligion wird dann durch Entscheidungs- und Bekenntnisakte erreicht, was sich an der Orientierung an den Weisungen und Gesetzen zeigen muss. Der Mensch hat – trotz der Vorleistungen, die Gott in der Geschichte immer wieder getan hat (Exodus als positive Grunderfahrung etc.) und die letztlich in die Formulierung des Gotteswillens in Form der Gesetze ausmünden und dem Menschen den Weg weisen – die Freiheit zur Entscheidung. Gäbe es diese Freiheit auch zum von den Gesetzen und damit von Gott abweichenden Handeln nicht, gäbe es auch nicht die Möglichkeit, sich für Gott zu entscheiden. In der Zeit nach 587/6 werden daher die Anlagen des Menschen zum Bösen als schöpfungsgemäß gesehen (vgl. Jes 45,7; vgl. auch Texte des Pentateuchs), wenn dies auch kein zentrales Thema der prophetischen Literatur ist. c) Das Böse als zusammenfassender Begriff des „einen“ Bösen als Beginn der Vorstellungen einer „Gegenkraft“ zu Jahwe. Von dem Gedanken der zusammenfassenden Kraft der Begriffe ra‘ und rā‘āh her kann ein Vorstellungsbereich gespeist werden, an den später dualistisches Denken, das einen „bösen“ Gegenspieler Gottes kennt, anknüpfen kann. Wenn Gott das eine „Böse“ gegenübersteht, so kann durch eine Personifizierung dieses Böse in eine neue Rolle überführt werden. Die Texte im Alten Testament, die für die Herausbildung einer „Gegenspielerfigur“ zu Gott Ansätze liefern (Hi 1–2 und Sach 3 mit der Vorstellung des Satans als dem Ja-aber-Sager des himmlischen Hofstaates, 1Chr 21,1 im Vergleich zu 2Sam 24,1 u.Ä.), kennen aber noch keine Verbindung dieser Figur mit „dem“ Bösen. In der prophetischen Literatur findet sich eine Personalisierung des einen Bösen, wie oben ausgeführt, nicht. 4. Die Perspektive der Überwindung des Bösen in messianischen Texten Die prophetische Literatur stimmt in einem wichtigen Grundzug zusammen: in der Grundüberzeugung dass Jahwe in der Geschichte handelt und sein Volk, seine Anhänger, die Welt zu jeweils neuen Stufen der Erkenntnis, der Organisationsformen der Gesellschaft, des Daseins in der Welt führt. Die Zeit vor Ägypten, vor dem Auszug, die Zeit in der Wüste wird unterschieden von der Königszeit (insbesondere bei Hosea).45 Und mit 722 und 587/6 hat auch die Existenz 45 Vgl. D. Michel, Zu Hoseas Geschichtsverständnis, in: ders., Studien zur Überlieferungsgeschichte alttestamentlicher Texte, hg. von A. Wagner / A. Müller / R. G. Lehmann / A. Diesel / J. F. Diehl / A. Behrens (TB 93), München 1997, 219–228, bes. 224. © 2016, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783788730628 — ISBN E-Book: 9783788730635

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Israels als Königtum ein klares Ende, es beginnt danach etwas Neues, Anderes. Aus dem Rhythmus des Vergehens und Neuschaffens von „Epochen“ verschiedenster Art entsteht die feste Zuversicht, dass Jahwe noch immer (gutes) Neues geschaffen hat und dies auch zukünftig tun wird; so konnten Grundideen über den König (als Gesalbten) in Messiasvorstellungen bzw. -erwartungen umgeformt werden. Dieses durch den Gang der Geschichte zwischen Gott und Volk erfahrungsgesättigte zukunftszuversichtliche Denken, die Erwartung, dass Neues kommt, und die Sehnsucht, dass die misslichen Zustände des Weltdaseins mit all ihrem Bösen irgendwann endgültig̈ überwunden sein werden, sind nun zu verbinden mit den messianischen Texten in der prophetischen Literatur, auf die ich hier zum Abschluss des Nachdenkens über das Böse in der Prophetie hinweisen will. Diese Texte, die m.E. eher aus der nachexilischen Zeit stammen und hier auch nicht en detail besprochen werden können, halten sehr konkrete Bilder parat, um die Überwindung des Bösen, das eine der Daseinsbedingung der noch bestehenden Welt darstellt, zu illustrieren: Jes 9,6 Recht und Gerechtigkeitstat, von nun an bis in Ewigkeit soll herrschen. Jes 11 6 Und der Wolf wohnt beim Lamm und der Leopard lagert beim Böckchen, und das Kalb und der Junglöwe und das Mastvieh sind zusammen, und ein kleiner Junge treibt sie. 7 Und Kuh und Bärin weiden miteinander, ihre Jungen lagern beieinander. Und der Löwe frisst Stroh wie das Rind. 8 Und der Säugling spielt am Schlupfloch der Natter und das (entwöhnte) Kind steckt seine Hand in die Höhle der Schlange.

Und dann, zusammenfassend und mit Gebrauch des Verbes r‘‘ und damit einem der expliziten Termini/Begriffe für das „Böse“: Jes 11,9 Man tut nichts Böses und handelt nicht verderblich auf meinem ganzen heiligen Berg. Denn voll von Erkenntnis Jahwes ist das Land, wie Wasser, die das Meer bedecken.

Erst wenn diese Hoffnungen erfüllt sind, ist das Böse überwunden. In der Welt bleibt einstweilen der prophetische Auftrag, sich ihm zu stellen, es, sofern man selbst verantwortlich ist, zu meiden.

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Anthropomorphismus

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Menschenkörper – Gotteskörper1

1.

Körper als Thema der Anthropologie

1.1 Anthropologische Forschungen in den Geistes- und Kulturwissenschaften haben in den letzten Jahrzehnten Konjunktur. Die großen Auf- und Umbrüche in der europäisch geprägten Welt gehen seit Jahrhunderten mit dem Neuentwurf von „Menschenbildern“ einher – mindestens seit der Renaissance, in der der Mensch selbst in den Vordergrund der meisten Weltverständnisse gerückt ist.2 Und besondere Konjunktur haben „Anthropologien“, seit zu Beginn des letzten Jahrhunderts essentials der Weltorientierung (Neuaufbrüche in der Physik, neue politische Weltbilder, neue Weltordnungen durch und nach dem 1. Weltkrieg u.a.m.) weggefallen sind.3 Das hat sich in 30– 40-Jahres-Abständen als Puls der Neuzeit fortgesetzt: Neuaufbrüche nach dem 2. Weltkrieg, in der 1968er Zeit4, um die Jahrtausendwende vom 20. zum 21. Jahrhundert. Alle diese Pulsschlagzeiten sind mit neuen „anthropologischen Aufbrüchen“5 verbunden. Was bei der Frage nach dem Menschen jeweils anders gesehen wurde, war zwar sehr verschieden, betraf aber in der Regel seine 1 Erstveröffentlichung im Sammelband: A. Wagner (Hg.), Göttliche Körper – göttliche Gefühle. Was leisten anthropomorphe und anthropopathische Götterkonzepte im Alten Orient und im Alten Testament? (OBO 270), Göttingen 2014, 1–29. 2 Vgl. E. Garin, Der Mensch der Renaissance (L’uomo del Rinascimento), Frankfurt a.M. 1990. 3 Die Umbrüche in Kunst, Literatur und Musik um den ersten Weltkrieg sind augenfällig, in der Philosophie werden explizite anthropologische Studien vorgelegt, vgl. etwa die Arbeiten von Max Scheler (1874–1928), Helmuth Plessner (1892– 1985), Arnold Gehlen (1904–1976) und Ernst Cassirer (1874–1945). 4 H.-G. Gadamer / P. Vogler (Hg.), Neue Anthropologie. 7 Bde., Stuttgart 1972– 1975. 5 Diese Beobachtung hat auch zum Titel des nachfolgend genannten Sammelbandes geführt: A. Wagner (Hg.), Anthropologische Aufbrüche. Alttestamentliche und interdisziplinäre Zugänge zur historischen Anthropologie (FRLANT 232), Göttingen 2009. © 2016, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783788730628 — ISBN E-Book: 9783788730635

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geistigen Fähigkeiten oder seine Stellung in der Welt, seine Aufgaben, sein Selbstverständnis u.Ä. Am besten geben dies die vielen lateinischen Begriffsbildungen wieder, in denen das jeweils fokussierte Spezifikum des Menschen gefasst wird: Um den Menschen vom Tier zu unterscheiden, wird er häufig als Homo habilis verstanden, als Homo sapiens, auch als Homo creator, der eigenständig Dinge schaffen kann, als Homo symbolicus/grammaticus/loquens/ pictor, der sprachliche und kulturelle Systeme zu entwerfen in der Lage ist; der Mensch hat die Fähigkeit, über sich selbst nachzudenken, ist also Homo excentricus. Er spielt (Homo ludens), lacht (Homo ridens), leidet (Homo patiens), ist manchmal unwissend (Homo insipiens), geschwätzig (Homo loquax). Von anderer Seite her werden seine Fähigkeiten und sozialen Verankerungen und Aufgaben herausgestellt: Der Mensch ist Homo faber, Homo laborans, Homo oeconomicus, Homo politicus und Homo sociologicus. Und er ist auch ein Homo metaphysicus und ein Homo religiosus. 1.2 Die Sichtweise auf den Menschen kann also sehr unterschiedlich sein, die „Wesensbestimmung“ sehr verschieden vorgenommen werden. Aber der Körper? Die Emotionen? Sind beides nicht die immer gleichen und gleichbleibenden Grundlagen der unterschiedlich vorgenommenen Bestimmungen? Und geradezu Aspekte des Menschseins, die den Menschen doch eher mit anderen körperhaften und Emotionen besitzenden Lebewesen verbinden? Es ist nun eine wesentlich jüngere Entwicklung, Körper und Emotion zum Gegenstand „anthropologischer“ Forschungen gemacht zu haben. Wie bei vielen Entwicklungen gibt es Anfänge, die weiter vorausliegen, aber meistens wird das Aufkommen der Fragestellungen zum „Körper“ als Gegenstand der geschichtlichen Forschungen im engeren Sinn in den bzw. um die 1980er Jahre gesehen. Ph. Sarasin verbindet das Entstehen dieser neuen Körperforschung mit drei Quellpunkten, die die Körpergeschichte inspiriert haben: „[...] im Zuge [i] der ‚anti-essentialistischen‘ feminist. Theorie (Geschlechtergeschichte), [ii] des franz. Poststrukturalismus und [iii] der neohistorist. Kulturgeschichte, geriet der Körper selbst unter Historizitätsverdacht: Er erschien nicht länger als vor jeder Geschichte gegeben, sondern auch abgesehen von seiner biolog. Evolution als Produkt der hist. Entwicklung.“6

6 Ph. Sarasin, Art. Körpergeschichte, in: Historisches Lexikon der Schweiz 7 (2008), 412–413, hier 412. © 2016, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783788730628 — ISBN E-Book: 9783788730635

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Dabei geht es beim Stichwort „Körper“ nicht um organische Beschaffenheiten, die Gegenstand einer medizinisch-naturwissenschaftlichen Anthropologie sind, sondern es geht um das kulturelle und individuelle Verständnis und Selbstverständnis von Körper. Es geht um die Genderaspekte, bei denen es viele kulturelle Bedingtheiten gibt. Es geht um die Frage, wie Körperideale beschaffen sind, welche Bezüge dem Körper zu anderen Aspekten des Menschseins gegeben werden, wie das Verhältnis von Körperganzheit und Körperteilen ist u.a.m. Der Körper als Produkt von Kultur und Geschichte ist also einerseits je nach Kultur und ihrer Fassung und Prägung dessen, was sie Körper nennt, wie sie ihn definiert, betrachtet, bewertet, mit ästhetischen Kategorien versteht usw., nur kulturspezifisch zu beschreiben. Wir können keine einer Kultur vorausliegende Körper-Essenz mehr annehmen, sondern müssen den Körper als kulturellen Körper verstehen und beschreiben. Und andererseits, da sich dieses Verständnis innerhalb und zwischen Kulturen ändert, ist es auch möglich, einer Geschichte dieser Veränderungen, einer Körpergeschichte nachzugehen. 1.3 Mit Sarasin sind vor allem drei Bereiche zu nennen, die als Hauptlinien der „Körpergeschichte“ gelten können: 1.3.1 Der erste ist der metaphorische Bereich, in dem Körper und Körperteile als Bedeutungsträger erscheinen; häufig geht es dabei um Analogien von anatomischer und gesellschaftlicher Ordnung u.Ä. Für diesen Fragebereich der Körpergeschichte gibt es eine lange Tradition der Anwendung, nicht zuletzt aus der europäischen Tradition, wenn Körperteile/Körperbereiche bestimmten gesellschaftlichen Strukturen und Bereichen zugeordnet werden. Eines der bekanntesten Beispiele dürfte sein, dass Plato in seiner Politeia den Staat im Bild des Körpers entwirft. Der von den Philosophen gelenkte Staat ist wie der Körper in unterschiedliche Bereiche gegliedert. Die Körperfunktionen dieser Bereiche spielen in der metaphorischen Bedeutung und Übertragung auf den „Staatskörper“ eine deutende bzw. erklärende Rolle: Platon sieht den menschlichen Körper in drei Bereiche gegliedert: Kopf, Brust und Unterleib. Mit jedem dieser Bereiche ist beim Menschen eine bestimmte Eigenschaft verbunden: Zum Kopf gehört die Vernunft, das Denken, zur Brust gehört der Wille und zum Unterleib die Begierde. Den Eigenschaften entspricht nach Platon jeweils eine bestimmte Tugend: Die Vernunft hat als Aufgabe, nach Weisheit zu © 2016, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783788730628 — ISBN E-Book: 9783788730635

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streben, dem Willen entspricht der Mut, die Begierde ist zu zügeln, was zur Mäßigkeit führt. Das gemeinsame Funktionieren ist dabei das Entscheidende. Auch ein Staat funktioniert nur durch das Zusammenspiel der Funktionen. Der Staatskörper hat dabei im „Herrscher“ einen Bereich, der die Vernunftsfunktion erfüllt; er hat die Aufgabe, nach Weisheit zu streben. Der Staatskörper hat weiterhin in den „Soldaten“ einen Bereich, der zu seinem Erhalt vom Willen geleitet ist, der Brust des Menschen entsprechend, ihm ist die Tugend des Mutes zugeordnet. Und zum dritten hat der Staatskörper einen Bereich, der für das Stillen der zum Leben notwendigen Begierden (u.a. Essen, Trinken usw.) gebraucht wird und dem die Tugend der Mäßigung zugeordnet ist, beim Menschen der Unterleib, beim Staat der Handelsstand mit Bauern und Handwerkern. Ähnlich wie Platon gebraucht auch Th. Hobbes körpermetaphorische Aussagen in Leviathan or the Matter, Forme and Power of a Commonwealth Ecclesiastical and Civil (1651), wenn er die Entsprechungen zwischen dem Körper des Leviathan und dem Staats-/ Gesellschaftswesen beschreibt.7 Ein weiteres bekanntes Beispiel für diesen Bereich der metaphorischen Körpergeschichte ist die Rede von den Körpern des Königs, die, wie der Beitrag in diesem Buch von H. Niehr zeigt (vgl. dazu auch weiter unten in diesem Aufsatz), bis in den altorientalischen Kulturraum reichende Wurzeln hat. 1.3.2 Ein zweiter Forschungsbereich der Körpergeschichte wurde vor allem von der feministischen (Judith Butler8, Donna Haraway9 u.a.) und sozialkonstruktivistischen Forschung aufgeworfen. Die vermeintlichen naturwissenschaftlich-medizinischen „unwandelbaren“ Aussagen über den Körper und „speziell über Eigenarten und Differenz der Geschlechter“ hängen doch auch immer mit den „historisch wandelbaren Aussage- und Repräsentationssystemen“ der Gesellschaften über Körper und Geschlecht zusammen. Dabei „gerieten 7 Vgl. A. Utzinger, Thomas Hobbes’ „Leviathan“. Anatomie eines Staats-We-sens, in: P. Michel (Hg.), Spinnenfuß und Krötenbauch. Geschichte und Symbolik von Kompositwesen (Schriften zur Symbolforschung 16), Zürich 2013, 279–288. 8 Vgl. bes. J. Butler, Gender Trouble. Feminism and the Subversion of Identity, New York u.a. 1990 [Deutsch: Das Unbehagen der Geschlechter, Frankfurt a. M. 2003]; dies., Bodies that Matter, New York u.a. 1993 [Deutsch: Körper von Gewicht. Die diskursiven Grenzen des Geschlechts, Berlin 1995]. 9 Vgl. bes. D.J. Haraway, Primate Visions. Gender, Race and Nature in the World of Modern Science, New York u.a. 1989; dies., Die Neuerfindung der Natur. Primaten, Cyborgs und Frauen. Hg. von Carmen Hammer und Immanuel Stieß, Frankfurt a.M. u.a. 1995. © 2016, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783788730628 — ISBN E-Book: 9783788730635

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Annahmen über ‚die‘ Natur des Menschen noch ‚vor‘ jeder Geschichte als Leerformeln unter Ideologieverdacht“. Eine Folge davon war, dass „sich insbesondere die überkommenen Vorstellungen von in der Biologie verankerten ‚rassischen‘ und sexuellen Identitäten als unhinterfragte Voraussetzungen hist. Analyse weitgehend“ auflösten.10 1.3.3 Drittens, so Sarasin, „[...] hat die Historisierung des Körpers zur Frage geführt, wie Körper in der Geschichte nicht nur unterschiedlich repräsentiert, sondern im Rahmen bestimmter Macht- bzw. Wissensdispositive11 als je verschiedene hervorgebracht, ja hergestellt wurden“.12

Vom gesellschaftlich konstituierten und mit ästhetischer Hochschätzung verbundenen Ideal des athletisch-trainierten Körpers her kann ein solches „sozial verabredetes“ Körperbild zur „realen“ Körperbildung führen. Der individuelle, real vorfindliche Körper einer Person wird tatsächlich (auch) durch solche kulturellen Konstruktionen (wirklich) geformt.13 1.4 Mit den beiden letztgenannten Aspekten der Körperforschung wurden auch Annahmen über die Selbstständigkeit des Körpers und seine Unabhängigkeit von sozialer Einbindung aufgegeben, ein neuer Raum für die Frage nach Beziehungen zwischen Körper und sozialer Sphäre war aufgetan, der neue Forschungsimpulse freigesetzt hat (Assmann14, Janowski15). In der Forschung über den antiken und altorientalischen (menschlichen) Körper wie den Menschen insge10 Sarasin, Körpergeschichte, 413. 11 Bei Foucault sind Dispositive „ein entschieden heterogenes Ensemble, das Diskurse, Institutionen, architekturale Einrichtungen, reglementierende Entscheidungen, Gesetze, administrative Maßnahmen, wissenschaftliche Aussagen, philosophische, moralische oder philanthropische Lehrsätze, kurz: Gesagtes ebensowohl wie Ungesagtes umfaßt.“ Foucault, M., Dispositive der Macht. Über Sexualität, Wissen und Wahrheit, Berlin 1978, 119–120. 12 Sarasin, Körpergeschichte, 413. 13 Vgl. R. Gugutzer, Körperkult und Schönheitswahn. Wider den Zeitgeist, APuZ 18 (2007), 3–6. 14 Vgl. [mit Verweisen auf weitere Lit.] J. Assmann, Konstellative Anthropologie. Zum Bild des Menschen im alten Ägypten, in: B. Janowski / K. Liess, Der Mensch im alten Israel. Neue Forschungen zur alttestamentlichen Anthropologie (HBS 59), Freiburg u.a. 2009, 95–120. 15 Vgl. [mit Verweisen auf weitere Lit.] B. Janowski, Anerkennung und Gegenseitigkeit. Zum konstellativen Personenbegriff des Alten Testaments, in: ders./ Liess, Der Mensch im alten Israel, 181–211, bes. 181–185. © 2016, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783788730628 — ISBN E-Book: 9783788730635

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samt finden sich diese Hauptlinien der Körpergeschichte wieder bzw. sie haben sich auch in diesen Forschungen z.T. konstituiert.16 In Verbindung mit der Körpergeschichte, nicht zuletzt, weil sie häufig als „körperlich begründet“ erschienen, wurden auch Emotionen und Gefühle in die historische Betrachtung einbezogen und stellen einen Teil der Körpergeschichte dar. 2.

Körper (und Emotionen) der Götter

Diese Neuaufbrüche beim Verständnis von Körper (und Emotion) zeitigen nun weitere Folgen für all die Gebiete des Denkens, in denen „Körper“ eine Rolle spielen. Dass sich zunächst Fragen aus dem Bereich der historischen Anthropologie neu stellen, liegt auf der Hand. Mit Blick auf den Menschen können Entwürfe des Menschseins, Körperverständnisse, Grundauffassungen über den Zusammenhang von Körper und Emotionen, Körper und Sozialsphäre neu untersucht werden und neuen Aufschluss geben.17 Für das Alte Testament und den Alten Orient wird so vermehrt deutlich, wie – und in welcher Weise „anders“ – der Körper gesehen wird. Das ist zum einen wichtig, um die Körperaussagen der Texte vor ihrem antiken kulturellen Hintergrund, der vom heutigen verschieden ist, einordnen zu können. Zum anderen ist dies wichtig, weil auf solchen andersartigen Gegenbildern unsere eigene Andersartigkeit sichtbar wird und am Ende eine wirkliche Körpergeschichte stehen kann, die aufzeigt, wo, wann und warum

16 Vgl. für die Forschungen nach H.W. Wolff, Anthropologie des Alten Testament. Mit zwei Anhängen neu herausgegeben von Bernd Janowski, Gütersloh 2010, bes. Hedwig-Jahnow-Forschungsprojekt (Hg.), Körperkonzepte im Ersten Testament. Aspekte einer feministischen Anthropologie, Stuttgart 2003; S. Schroer, Feministische Anthropologie des Ersten Testaments. Beobachtungen, Fragen, Plädoyers, lectio difficilior 1/2003, http://www.lectio.unibe.ch/03_1/schroer.htm; S. Schroer / Th. Staubli, Die Körpersymbolik der Bibel, Darmstadt 22006; vgl. außerdem auch die körper- und körperteilbezogenen Beiträge in: Wagner, Anthropologische Aufbrüche; Th. Krüger, Das menschliche Herz und die Weisung Gottes. Studien zur alttestamentlichen Anthropologie und Ethik (AThANT 96), Zürich 2009; Janowski/ Liess, Der Mensch im alten Israel; J. van Oorschot (Hg.), Der Mensch als Thema theologischer Anthropologie. Beiträge in interdisziplinärer Perspektive (BThSt 111), Neukirchen-Vluyn 2010; Ch. Frevel (Hg.), Biblische Anthropologie. Neue Einsichten aus dem Alten Testament (QD 237), Freiburg u.a. 2010; A. Berlejung u.a. (Hg.), Menschenbilder und Körperkonzepte im Alten Israel, in Ägypten und im Alten Orient (Orientalische Religionen in der Antike 9), Tübingen 2012. 17 Vgl. die in der vorigen Anmerkung genannte Literatur. © 2016, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783788730628 — ISBN E-Book: 9783788730635

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und mit welchem Ergebnis Veränderungen in den Körperfragen stattgefunden haben. Des Weiteren – und das führt zum Thema dieses Buches – sind mit den menschlichen Vorstellungen über Körper und Emotion, die nach Kulturen und Zeiten verschieden sind, auch die menschlichen Vorstellungen über göttliche Körper und Emotionen verbunden. Kulturelle Prägungen für das Gebiet des Körpers und der Emotionen und der Wandel dieser Vorstellungen gelten sicher nicht nur für die menschliche Seite, auch die Vorstellungen über göttliche Körper und Emotionen und deren Wandlungen und Veränderungen müssen „körpergeschichtlich“ untersucht werden. Die Fragen des Körpers und seiner Funktion als sozialer Bedeutungsträger, als kulturelles Konstrukt oder gar Produkt u.a.m. stellen sich natürlich auch mit Blick auf göttliche Körper. Diesem Grundthema geht das vorliegende Buch nach, indem es aus dem Kulturraum des Alten Orients und Alten Testaments heraus die Frage nach göttlichen Körpern und Emotionen stellt.18 Im Vordergrund steht dabei der Versuch, die von der Körpergeschichte angestoßenen Neubestimmungen des Phänomens des Anthropomorphismus in der altorientalisch-alttestamentlichen Götterund Gotteswelt religionsvergleichend zu bedenken. Dazu werden für verschiedene Kulturräume (bes. Mesopotamien und Ugarit) teils grundlegende Entwürfe vorgelegt, die davon ausgehen, die Körperund Anthropomorphismus- sowie Anthropopathismusvorstellungen religions-/kulturspezifisch zu beschreiben. Die Beiträge dieses Bandes19 weisen in ihrer Gesamtheit deutlich darauf, dass wir nicht von einem homogenen Phänomen ausgehen können, das in kulturell-geographischer und zeitlicher weiter Erstreckung von Mesopotamien bis Ägypten und von den Anfängen bis in die hellenistische Zeit ein und dieselbe Form des Anthropomorphismus voraussetzt. Für die weitere Forschung wird es notwendig sein, 18 Die Fragen nach dem Körper, auch nach der Bedeutung der Körper der Götter, sind teils durchdrungen von, teils konvergent mit religionsgeschichtlichen Fragestellungen, die sich in den letzten Jahren ebenfalls dem Thema des Anthropomorphismus zugewandt haben. Im Bereich der altorientalischen Götter ist hier zu verweisen auf: B.N. Porter, What is a God? Anthropomorphic and Non-anthropomorphic Aspects of Deity in Ancient Mesopotamia (Transactions of the Casco Bay Assyriological Institute 2), Chebeague 2009; für das Alte Testament vgl. E.J. Hamori, „When Gods Were Men.“ The Embodied God in Biblical and Near Eastern Literature (BZAW 384), Berlin u.a. 2008; B.D. Sommer, The Bodies of God and the World of Ancient Israel, Cambridge 2009; A. Wagner, Gottes Körper. Zur alttestamentlichen Vorstellung der Menschengestaltigkeit Gottes, Gütersloh 2010. 19 Siehe Anm. 1. © 2016, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783788730628 — ISBN E-Book: 9783788730635

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die anthropomorphen Zugänge in ihrer intra- und interkulturellen Differenziertheit zu beobachten und zu beschreiben. 3.

Die Beiträge des Buches20 und ihre Bezüge zur Gesamtthematik

3.1 Göttliche Körper am Beginn der Religionsgeschichte der Menschheit Der frühestmögliche Einsatzpunkt für die Frage nach dem Verhältnis von Göttervorstellungen und Körperhaftigkeit liegt im Bereich der vorgeschichtlichen Religion. Ina Wunn21 gibt aus ihrer Perspektive eine eindeutige Antwort: „Götter und letztlich auch ein henotheistischer Gott haben Körper, weil sie ihre menschenähnliche Gestalt über eine mehrere Jahrtausende währende Religionsgeschichte als Erbe aus grauer Vorzeit mit sich tragen. Götter fielen nicht vom Himmel, sondern entwickelten sich aus sehr viel älteren Vorstellungen, an deren Anfang zunächst ein Verstorbener stand, der als in einer anderen Welt weiterexistierend gedacht wurde.“ (43–44)

Auch die weitere Entwicklung des „Ahnen“ und seiner Ausformung zum Heros sowie die Vorstellungen von der „Urmutter“ bleiben im Rahmen anthropomorpher Konzepte. Der Impuls, die Gottesidee überhaupt anthropomorph zu formen, könnte also aus der frühesten Religionsgeschichte stammen und bis in spätere Zeiten hineinreichen. Fast alles, was wir darüber wissen, ist den Körperdarstellungen der frühen Artefakte geschuldet, die vor allem bei der Urmutter eine eindeutige (weibliche) Menschengestaltigkeit belegen. Über die Art der Körperauffassung ist dabei schwer etwas Genaues zu sagen, da es nicht allzu viele Belege mit sicherer Deutung gibt. Allerdings weisen die Darstellungen doch einerseits auf gestische Fokussierung hin (gespreizte Beine) oder die Betonung einzelner Funktionsbereiche durch übergroße Darstellung von Körperteilen (Brüste, Vulva, Hüften etc., die mit dem Bereich der Fruchtbarkeit verbunden sind)22. Neben (i) die bloße Darstellung von Körper und Körperteilen treten also (ii) die Darstellung von Gesten und (iii) die Betonung von Funktionen durch übergroß dargestellte Kör-

20 21 22

Siehe Anm. 1. Vgl. I. Wunn, Die Entstehung der Götter, ebd., 31–47. Vgl. Abb. 1 und 2 in ebd., 45–46. © 2016, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783788730628 — ISBN E-Book: 9783788730635

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perteile.23 Damit ist der Dreiklang, der bis ins sprachlich gefasste synthetische Bedeutungsspektrum24 späterer Zeit hineinreicht, schon früh angelegt. 3.2

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Eine zentrale Frage bei dem Verständnis menschenkörpergestaltiger Gottheiten bleibt der Zusammenhang zwischen dem, was das körpertragende Wesen ausmacht, und seinem Körper selbst. Im Bereich des Menschen wäre hier zu fragen, wie etwa der Zusammenhang zwischen „Persönlichkeit“ und „Körperindividualität“ ist – ein Zusammenhang, der in der Geschichte sehr unterschiedlich gesehen bzw. konstruiert wurde. Heute scheint er untrennbar, bis hin zum Phänomen, dass jeder Mensch über sein „Passbild“ individuell identifiziert werden kann oder jeder als für seinen Körper verantwortlich gilt. Im Bereich des Alten Orients dagegen besteht dieser Zusammenhang nicht in derselben Weise; Körperindividualität erkennen wir in bildlichen und sprachlichen Darstellungen so gut wie nie.25 Auch bei göttlichen „Wesen“ stellen sich diese Fragen nach dem Verhältnis von Person und Körper. Beate Pongratz-Leisten26 arbeitet in ihrem Beitrag heraus, dass bei Göttern in Mesopotamien Körper und „Person“ nicht zusammenfallen: „Göttlichkeit ist nicht auf die anthropomorphe Gottesvorstellung beschränkt, sondern schließt leblose Objekte mit ein und ist somit fließender Natur.“ (108) Der Begriff der „göttlichen Person“ wird dabei bestimmt „als Konglomerat von Einzelteilen, die unabhängig für die ganze Person agieren“ (115). Entscheidend ist nicht eine Identität zwischen göttlichem Körper und einem wie auch immer gearteten göttlichen Wesen, sondern es ist vielmehr nach der Intentionalität des Göttlichen zu fragen, die sich in verschiedenen Erscheinungsformen – „Extension 23 Vgl. N.J. Conrad, Die Entdeckung und Bedeutung der Venus vom Hohle Fels, in: Ders. / St. Kölbl (Hg.), Die Venus vom Hohlen Fels (Museumsheft 9), Blaubeuren 2010, 7–38, hier 31–32. 24 Vgl. A. Wagner, Das synthetische Bedeutungsspektrum hebräischer Körperteilbezeichnungen, S. 71–82 in diesem Band [Erstveröffentlichung in: BZ 51 (2007), 257–265]; K. Müller / A. Wagner (Hg.), Synthetische Körperauffassung im Alten Testament und seinen Nachbarkulturen (AOAT 416), Münster 2014. 25 Vgl. Wagner, Gottes Körper, 53–100, bes. 98–99; vgl. auch J. Dietrich, Individualität im Alten Testament, Alten Ägypten und Alten Orient, in: Berlejung, Menschenbilder und Körperkonzepte, 77–96. 26 Vgl. B. Pongratz-Leisten, Entwurf zu einer Handlungstheorie des altorientalischen Polytheismus, in: Wagner (Hg.), Göttliche Körper – göttliche Gefühle, 101– 116. © 2016, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783788730628 — ISBN E-Book: 9783788730635

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des Körpers in sekundäre Handlungsträger, die sowohl belebte wie unbelebte Subjekte mit einschließt“ (115) – ausdrückt. Entsprechend sind Kategorien der „Inkarnation“ etc. neu zu bedenken bzw. zum Ausdruck eines mesopotamischen Gottessachverhalts ungenügend. Von hier aus ergibt sich auch eine exponierte Deutung eines Kultbildes: Es wird „von menschlicher Seite her die Statue vor allem als Medium der Kommunikation und nicht als Inkarnation der Gottheit angesehen“ (114). „Die zentrale Funktion der Gottesstatue besteht in der Etablierung einer Lokalität für die ständige Epiphanie der Gottheit, für die soziale Interaktion zwischen Mensch und Gottheit.“ (114) 3.3

Mesopotamien II

Auch Astrid Nunn27 setzt bei dem Gedanken ein, dass Körper und Individualität nicht zusammenfallen. Nicht einmal die Göttlichkeit selbst ist – bei materialbildlichen Darstellungen – am Körper zu erkennen: „Ein mesopotamischer Gott ist an seinem Körper allein nicht zu erkennen [...]“; erst beim Vorhandensein [...] einer Hörnerkrone wissen wir sicher, dass es sich um einen Gott handelt. [...] Um zu wissen, um welchen Gott es sich handelt, ist ein begleitendes sicheres Attribut oder eine Beischrift nötig.“ (52)

Die Darstellweise des Körperaspektes selbst folgt verschiedenen Prinzipien: Die Körperdarstellung bei Göttern wie Marduk ist zunächst einmal stark anthropomorph geprägt. Etwa im Enūma Eliš finden sich anthropomorphe Beschreibungen von Marduk, die großenteils der menschlichen Gestalt folgen, dann aber doch auch übermenschlichkeitsanzeigende Faktoren enthalten: „Vier waren seine Augen, vier seine Ohren [...].“ (53), ist wohl eine bildliche Steigerung für besonders gutes/leistungsfähiges Sehen und Hören.28 Die Gestalt des Gottes geht also in solchen textlichen Beschreibungen nicht in der „strikten“ Menschengestaltigkeit auf.29 In anderen Texten finden 27 Vgl. A. Nunn, Mesopotamische Götter und ihr Körper in den Bildern, ebd., 51– 66. 28 Vgl. Schroer/Staubli, Körpersymbolik der Bibel, 90. 29 Ähnliche Mechanismen gibt es auch in der alttestamentlichen Gotteskonzeption; auch die Gestalt des alttestamentlichen Gottes, in der dezidiert die Geschlechtsmerkmale ausgespart sind, geht nicht in der Gestalt des „männlichen“ oder „weiblichen“ Menschen auf; ebenso sind die Sinnesleistungen Gottes ins Übermenschliche gesteigert usw., vgl. Wagner, Gottes Körper, 135–137; 155–158 und passim. So bleibt insgesamt die Gottheit Gottes gewahrt. © 2016, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783788730628 — ISBN E-Book: 9783788730635

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sich auch die Beschreibungen von Mischgestalten (auch höherer) Götter, vor allem solche, die tierische und menschliche Körperteile enthalten. „Verbaliter“ (55) finden sich also auch trans-anthropomorphe Sprach- und Denkbilder, allerdings werden diese über die Menschengestaltigkeit hinausgehenden und mischgestaltigen Körperformen höherer Götter nicht in materialen Bildern dargestellt: „Niedrige Gottheiten und Dämonen werden solchermaßen abgebildet, niemals aber hohe Götter.“ (55) Diese Differenz ist beachtenswert. Die entscheidende Frage ist dann auch in der Tat: „Warum werden die höchsten Götter nicht als gemischte Wesen abgebildet?“ (56) A. Nunn erwägt als Antwort auf diese Frage, ob sich im anthropomorphen Körper, der „soziokultureller Symbolträger“ ist, nicht eine Ordnung ausdrückt, die sich mit einem mischgestaltigen Körper nicht in gleicher Weise ausdrücken ließe; bei Mischgestaltigkeit kämen „hässliche Tierteile“ (56) hinzu, die die (unordentlichen?) Mischgestalten in die Nähe des Chaos rücken. Ausgehend von diesen Bedeutungen – ähnlich wertet das auch P. Machinist30 – würde der menschliche Körper als Körpermetapher der Ordnung, der tierische und gemischte als Körpermetapher des Chaos gelten. Hat der Mensch gegenüber den tierischen und mischgestaltigen Körpern eine größere Distanz und eher das Gefühl der Fremdheit und Unberechenbarkeit als beim eigenen Körper?31 Die metaphorische Abbildungsleistung des Körpers für das Ganze (der Welt) wäre jedenfalls ähnlich wie bei anderen Körpermetaphern (vgl. etwa oben Abschn. 1.3.1 zu Platon). Astrid Nunn vertieft alsdann die Beobachtungen zur oben schon angesprochenen Differenz von textlichen Beschreibungen und materialbildlichen Darstellungen, die voneinander abweichen können. Ein Beispiel sind textliche Aussagen über Ischtar, also Sprachbilder, in denen Ischtar zuweilen mit vier Augen, zwei männlichen und zwei weiblichen, imaginiert wird. Materialbildliche Darstellungen, etwa in Form von Statuen, einer Ischtar mit vier Augen gibt es, soweit wir wissen, aber keine, ähnlich bei Marduk (s.o.). Von diesem gibt es ebenfalls Aussagen über vier Augen, auch diese aber nur in Texten, nicht in materialen Bildern. Zwischen textlichen und materialbildlichen Darstellungen scheint also eine Diskrepanz zu liegen. Als Ergebnis ihrer Überlegungen fasst A. Nunn zusammen: „Anthropomorphismus ist im Alten Orient funktional. Er gehört zum Zeichensystem, das vom kulturellen Verständnis geprägt ist. Anthropomorphismus ist eine Strategie 30 Vgl. P. Machinist, Anthropomorphism in Mesopotamian Religion, in: A. Wagner, Göttliche Körper – göttliche Gefühle, 67–99. 31 Vgl. dazu auch Wagner, Gottes Körper, 160–162. © 2016, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783788730628 — ISBN E-Book: 9783788730635

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der Interaktion zwischen Gott und Mensch. Er garantiert die Handlungsfähigkeit der Götter, während das Chaos durch Mischwesen verkörpert wird. Dabei spielen Metaphern in der Beschreibung des göttlichen Körpers eine wichtige Rolle. Die Metaphorik gibt Grenzwerte wieder, die man mit Begriffen kaum ausdrücken kann.“ (59)32

Mit dem zuletzt Gesagten ist eine wichtige Leistung der Metapher gegenüber dem begrifflichen Ausdruck festgehalten: Möglicherweise ist die komplexe anschaulichkeitsgeprägte metaphorische Ausdrucksweise nicht ungeeigneter, bestimmte „theologische“ Sachverhalte auszudrücken, als die begriffliche, wobei zu bedenken bleibt, dass eine philosophisch-begriffliche Ausdrucksweise in der altorientalischen Welt ohnehin kaum zu finden ist. Der angesprochenen Unterschiedlichkeit sprachlich körper-metaphorischer und materialbildlich körper-metaphorischer Aussagen bleibt in Zukunft weiter nachzugehen. In einem zweiten Gedankengang setzt sich A. Nunn mit der Möglichkeit auseinander, „eine göttliche Präsenz ohne Körper zu markieren“ (59). „In unseren Köpfen ist das Phänomen, Götter bildlos darzustellen, mit Israel und vielleicht noch mit der levantinischen Küste verbunden. Zahlreiche alte und neue archäologische Funde aus Syrien oder Anatolien zeigen, dass eine bildlose Verkörperung eines Gottes wesentlich verbreiteter war.“ (59)

A. Nunn weist auf Funde aus Mari im Hof des Nini-Zaza-Tempels („Baitylos“), auf das Archiv von Ebla, in dem „aufrechte Steine“ erwähnt werden, die SKN heißen, sowie auf Funde in Syrien (ArRawda und Munbāqa). Die jeweils gefundenen/beschriebenen „bildlosen“ Kultobjekte dienen „als Medium der Kommunikation“ (61). Die „bildlose“ symbolische Repräsentation in Form der genannten Kultobjekte ist durchaus begleitet von mentalen Vorstellungen über zugehörige Götter, die sicher auch „bildhafte“ Konzepte einschließen. Diese Differenz zwischen bildlosem Kultobjekt und bildlicher, auch anthropomorpher, mentaler Gotteskonzeption, ist der o.g. Differenz zwischen materialbildlichen (anthropomorph-idealkörperlichen) Darstellungen der Götterstatuen von abweichenden textlich-mentalen Konzepten analog. Insofern wäre der Unterschied zwischen „bildlosen“ Kultsymbolen und materialbildlichen-„bildhaften“ Kulten nicht sehr groß. 32 Auch für den alttestamentlichen Gott ist diese Funktion des Anthropomorphismus kennzeichnend, auch hier wird durch die körper- bzw. körperfunktionenbezogene Vorstellweise die Handlungs- und Kommunikationsfähigkeit hervorgehoben, vgl. Wagner, Gottes Körper, 154–158. © 2016, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783788730628 — ISBN E-Book: 9783788730635

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Mesopotamien III

Peter Machinist33 beginnt seinen Reflexionsgang mit allgemeinen Bemerkungen zum Anthropomorphismus. Er geht von der Dreiteilung „physical“, „functional“, „emotional“ aus, was auch bisherigen Zugängen entspricht.34 Machinist hält fest, dass anthropomorphe Aussagen über Gott/ Götter nach „westlicher“ Auffassung Metaphern sind, „representing analogies for understanding the deity“ (68). Andere religiöse Traditionen können das anders sehen. Von daher mahnt Machinist mit Blick auf den Anthropomorphismus der mesopotamischen Religionen: „[...] it is often safer, until shown otherwise, to assume that they mean it literally“. (69)35 Damit hat Machinist einen wichtigen Punkt getroffen: Wer den Anthropomorphismus als Metapher begreift, setzt – häufig unbewusst – ein Gottesbild voraus, das von der „westlichen“ Tradition und Gottesauffassung geprägt ist. Nach diesem Gottesbild ist Gott unfassbar, unbeschreibbar, analogielos und hinter den Dingen stehend. Allenfalls eine Akkommodation o.Ä., also Formen der Zuwendung zum Menschen lassen das Göttliche für den Menschen greifbar, erfahrbar und damit auch sprachlich kommunizierbar werden. Der eigentliche Gott jedoch verbirgt sich „hinter“ der Sprache. Er ist referentiell nicht zu fassen, nur eben „metaphorisch“ – so die westliche, von griechischer Philosophie (Machinist zitiert Xenophanes) und von jüdischer (Machinist zitiert Maimonides) und christlicher Theologie geprägte Tradition.36 Es ist wichtig, sich diese Grundproblematik und solche Grundprägungen bewusst zu machen, wenn man an die Analyse anthropomorpher Erscheinungen anderer Religionen herantritt. Es besteht die Gefahr, ein fremdes Gottesbild in diese Religionen hineinzuprojizieren. Beim Versuch, über das Phänomen des Anthropomorphismus einen Überblick zu erlangen, sind für Machinist einige Vorüberlegun33 Vgl. P. Machinist, Anthropomorphism in Mesopotamian Religion, in: A. Wagner, Göttliche Körper – göttliche Gefühle, 67–99. 34 Vgl. Wagner, Gottes Körper, 13–14, im Anschluss an H.M. Kuitert, Gott in Menschengestalt. Eine dogmatisch-hermeneutische Studie über die Anthropomorphismen der Bibel, München 1967, passim. 35 Zur Problematik, ob Anthropomorphismus, Theriomorphismus etc. und ähnliche „Morphismen“ als Metaphern, Symbole oder anderes zu werten sind, vgl. E. Martin, Theriomorphismus im Alten Testament und im Alten Orient, in: Dies. (Hg.), Tiergestaltigkeit der Göttinnen und Götter zwischen Metapher und Symbol (BThS 129), Neukirchen-Vluyn 2012, 1–36, hier bes. 25–26. 36 Vgl. Wagner, Gottes Körper, 41–51 (Anthropomorphismus als theologisches Problem). © 2016, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783788730628 — ISBN E-Book: 9783788730635

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gen wichtig: Zum einen die Überlegung, dass Objekte wie etwa Kultbildstatuen oder Attribute/Attributtiere „deity or divinity“(72) repräsentieren und nicht mit den Vorstellungen, den Konzepten von Göttern und Göttlichem verwechselt werden dürfen. Dass die Göttin Gula mit einem Hund als Attributtier dargestellt wird, heißt eben noch nicht, dass das Attributtier die Göttin ist oder die Göttin „as a dog herself“ (72) konzeptualisiert wird. Auf diese Differenz hat ja auch schon A. Nunn verwiesen. Zum anderen unterscheidet Machinist für Mesopotamien zwischen „gods“ einerseits und „monsters/demons“ andererseits, beide gehören zur „supernatural world“ (72). Eine genaue Differenzierung ist dabei schwierig, weil sich keine klaren Grenzen in Darstellung und Konzeptualisierung finden lassen; anthropomorphe Erscheinungsweisen werden überlagert von anderen (Naturelemente, Theriomorphismus, Mischformen etc.), unzweifelhaft klare Zuordnungen von Konzepten und Repräsentationsformen in Texten und Bildern sind nicht zu erkennen. Mit diesen Vorüberlegungen tritt Machinist an das Untersuchungsmaterial heran und betrachtet verschiedene Quellenbereiche: a) „Ritual texts and scholastic texts that explain rituals or ritually related activities“ (z.B. der Göttertypentext). „Perhaps the texts functioned as lists of descriptions of actual divine images to be manufactured or at least conceptualized“ (75–76); hier finden sich anthropomorphe Darstellungen, daneben aber auch Mischformen. b) „Visual art, specifically divine images.“ Die Mehrheit der materialbildlichen Darstellungen ist anthropomorph, vor allem im Bereich der Darstellungen „that can be identified as gods“ (76). Als Beispiel verweist Machinist auf die anthropomorphe Innana-Darstellung der Vase aus Uruk (ca. 3200–3000 BC). Aber es gibt auch in diesem Bereich Misch- und andere Formen, etwa Repräsentationsobjekte oder astrale Symbole/ Bilder, die in Verbindung mit Gottheiten stehen. Zur Bezeichnung dieses vielfältigen „Bildgebrauchs“ wird ṣalmu gebraucht. „Its basic translation is not ,statue‘, but ,image‘“ (77), wie Machinist im Anschluss an I. Winter betont. Zur Frage der Präsenz der Gottheiten in den Kultbildern bemerkt Machinist: „It is that the physical object as image cannot be described as a lifeless representation of the deity or monster/demon, as the authors of the Hebrew Bible often characterize it (especially Jeremiah 10:1–11; [Second] Isaiah 44:9–20; cf. Deuteronomy 4:12–20), or even as a metaphor, in the Western sense of a separated analogy, of said deity or monster/demon.“ (77)

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Indizien für „not lifeless“ sind die Einweihungsrituale der Kultbilder oder die Tatsache, dass Kultbilder auch mit dem Logogramm für Gott/Göttliches (dingir = ilu) versehen werden können. „All of this does not indicate, of course, that the ṣalmu and the god or monster/demon were completely identical; after all, a god or monster could have more than one ṣalmu. Nonetheless, each ṣalmu clearly was understood to possess something of the divine life-force of the deity or monster of which it was a part, and so the ancient perception appears to have been of a fluent oscillation between deity and ṣalmu.“ (79)37

c) „Myths.“ Die Analyse des mythischen Materials erhält ein eigenes Kap., s.u. Vor der Untersuchung des Anthropomorphismus in den Mythen fügt Machinist eine Reflexion über die zeitliche Sicht auf den Anthropomorphismus im Gesamt der mesopotamischen Religionsgeschichte ein. Der These einer Entwicklung hin zu einem anthropomorphen Götter-Konzept, wie sie prominent von Th. Jacobsen vertreten wurde, steht er skeptisch gegenüber, weil sie sich quellenanalytisch kaum festmachen lässt. Zudem scheint der Anthropomorphismus als Konzept eher funktionale Aufgaben zu übernehmen (etwa in der Unterscheidung zwischen Göttern einerseits, Monstern und Dämonen andererseits, s.u.), wobei die Abgrenzung nicht streng ist; verschiedene Götter können zu allen Zeiten auch nicht-anthropomorphe oder auch hybride Formen und Metamorphosen aufweisen. 37 Der Zusammenhang zwischen der göttlichen Größe und den zugehörigen Repräsentationsartefakten (ṣalmu) ist ja auch für die Interpretation der priesterschriftlichen Anthropologie wichtig; vgl. W. Gross, Gen 1,26.27; 9,6: Statue oder Ebenbild Gottes? Aufgabe und Würde des Menschen nach dem hebräischen und dem griechischen Wortlaut, JBTh 15 (2000), 11–38; B. Janowski, Die lebendige Statue Gottes. Zur Anthropologie der priesterlichen Urgeschichte, in: Ders., Die Welt als Schöpfung. Beiträge zur Theologie des AT 4, Neukirchen-Vluyn 2008, 140–171 (Ersterscheinung 2004); A. Schellenberg, Der Mensch, das Bild Gottes? Zum Gedanken einer Sonderstellung des Menschen im Alten Testament und in weiteren altorientalischen Quellen (AThANT 101), Zürich 2011; Ch. Dohmen, Die Statue von Tell Fecherije und die Gottebenbildlichkeit des Menschen, in: Ders., Studien zum Bild und Bilderverbot im Alten Testament (SBS 51), Stuttgart 2012, 20–32 (Ersterscheinung 1983). Das von Pg gebrauchte Wortpaar ṣælæm und demût zur Beschreibung der Gottebenbildlichkeit dient m.E. dabei als Merismus, der genau den von Machinist thematisierten Unterschied festhalten will: Es besteht eine Beziehung zwischen Statue (ṣælæm) und Bezugsgröße (Gott), aber eben eine, die nur die Gleichartigkeit, Ähnlichkeit (demût), nicht die Identität hervorhebt! So: A. Wagner, Die Gottebenbildlichkeitsvorstellung der Priesterschrift zwischen Theomorphismus und Anthropomorphismus, S. 177–198 in diesem Band [Erstveröffentlichung in: J. Luchsinger / H.-P. Mathys / M. Saur, „... der seine Lust hat am Wort des Herrn!“ (FS Ernst Jenni) (AOAT 336), Münster 2007, 344–363], bes. 191. © 2016, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783788730628 — ISBN E-Book: 9783788730635

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Entwicklungen von nicht-anthropomorph zu anthropomorph lassen sich daher kaum festmachen. Eher scheint zu allen Zeiten das NichtAn-thropomorphe und Hybride der Monster und Dämonen für ihre Verbindung mit dem Chaos zu stehen, während die anthropomorphen Götter mit der Eindämmung des Chaos verbunden werden (s.o.). An drei Beispielen aus den Mythen führt Machinist dann diesen Gedanken aus: (1) Enūma Eliš. Machinist stellt hier Tiamat als hybrid-nicht-anthropomorphes Element, das die alte Ordnung repräsentiert, dem anthropomorphen Marduk, der für die neue und endgültige Ordnung steht, gegenüber. „If, in short, there is a pronounced non-anthropomorphic character to Tiamat and her allies, Marduk, on the other hand, as principal of the new order, is depicted anthropomorphically.“ (85) Die anthropomorphe Körpergestalt würde somit mit der „guten“ kosmischen Ordnung verbunden sein, anders gesagt: die (anthropomorphe) Gestalt verweist auf diese Ordnung. Diese Feststellung liegt damit auf der Ebene a) der von Sarasin vorgenommenen Einteilung der Körperforschungsgebiete (s.o.): Körperaspekte, hier der anthropomorphe (im Unterschied zu dem nicht-anthropomorphen oder hybriden) Körper, können zu Bedeutungsträgern von Ordnungen, hier der Weltordnung, werden. Die Beziehung zwischen der anthropomorphen Gestalt Marduks und der neuen Ordnung ist das eine; das Faktum, dass Marduk nicht in einer anthropomorphen Gestalt aufgeht, das andere. Zu dem, was Marduk als Gott im Unterschied zu den Menschen ausweist, gehört auch, dass er sich auch nicht-anthropomorpher Formen bedienen kann. So wird wiederum seine Gottheit unterstrichen. – In diesem Punkt zeigen sich interessante Analogien zum alttestamentlichen Gotteskonzept, bei dem Jahwe zwar stark anthropomorph geformt wird, aber eben nicht völlig im Anthropomorphismus aufgeht (das scheint eine Funktion der Theriomorphismen zu sein38; teils geht die Gotteskonzeption des Alten Testaments auch mit „anthropomorphen Mitteln“ über menschliche Begrenzungen hinaus, Ps 121,4 er schläft und schlummert nie39). Vor allem eingedenk des letzten Aspektes ist es auch schwer möglich, den Übergang zur „vorzugsweisen“ anthropomorphen Form Marduks als eine religionsgeschichtliche Entwick38 Vgl. Martin, Theriomorphismus im Alten Testament und im Alten Orient, 24–25. 39 Vgl. Wagner, Gottes Körper, 186–188. © 2016, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783788730628 — ISBN E-Book: 9783788730635

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lung zu sehen. Die anthropomorphe Form wird immer wieder durchbrochen – ebenso wie der Vorgang des Übergangs von nicht-anthropomorphen Gottheiten/numinosen Wesen/Monstern etc. zu anthropomorphen Göttern. Dies ist kein religionshistorischer Vorgang, sondern selbst Gegenstand des mythischen Geschehens zum Ausdruck einer neuen, der eigentlichen Ordnung. (2) Ähnlich verhält es sich im Anzu-Mythos; hier wird nicht eine neue Ordnung etabliert im Kampf von anthropomorphen Göttern gegen nicht-anthropomorphe, sondern die bestehende Ordnung verteidigt. (3) Eine andere Funktion hat der Anthropomorphismus dagegen im Erra-Epos: „For here the anthropomorphic does not indicate a god or any other being who maintains order; it is rather the opposite: a god who has lost his godhood and assumed the unreasoned and unreasonable behavior of a human destroyer of order. The anthropomorphic, in other words, serves here to mark the rebellious monster.“ (94)

Machinist schließt das aus dem Hinweis des Išum, der Erra wieder auf den „rechten“ Weg bringt, nachdem der sich Marduks Macht ergaunert und Babylon malträtiert hat: „You changed out of your divine nature and made yourself a human. You girded on your weapons and entered Babylon“ (IV 3: i-lu-ut-ka tu-šá-an-ni-ma tam-tašál a-me-liš). Allerdings ist es hier stärker der Anthropopragmatismus, der zum Ausdruck des Herausfallens des Erra aus seiner Götterrolle dient, nicht Aussagen zur „Gestalt“. Zuletzt wirft Machinist einen Blick auf das Alte Testament: Nachdem er hier eine Fülle von Anthropo- und Theriomorphismen ausgemacht hat, stellt er die eingangs schon erörterte Frage: „[...] in many of these occurrences, both anthropomorphic and nonanthropomorphic, one could ask whether the descriptions were understood as real – whether God was conceived as really having the pain of a woman in childbirth, or wings, or the shape of a bull or lion – or whether these were, in our modern sense, metaphors“. (96)

Mit dem Hinweis auf die Einbettung in das altorientalische Religionssystem, auf die vielfachen Analogien der alttestamentlichen und der altorientalischen „Morphismus“-Phänomene deutet er die Antwortrichtung an und geht davon aus „[...] that our descriptions cannot be dismissed easily or simply as metaphors or analogies“. (96) © 2016, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783788730628 — ISBN E-Book: 9783788730635

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Für das Verhältnis von Jahwe und anderen Göttern und Monstern im Alten Testament halt Machinist fest: Andere Götter sind im Alten Testament deutlich präsent, wenn auch eingebunden in „a kind of cosmic empire“ (97), das Jahwe untergeordnet ist (vgl. Dtn 4,19; 32,8–9). Monster erscheinen im Alten Testament weniger häufig, aber es sind einige noch greifbar, von Behemot (Hi 40,15–24) bis zu tannin (Ps 74,13) u.a. Da alle diese Erscheinungen im Alten Testament stark in den Hintegrund gedrängt sind, lässt sich über die anthropomorphe bzw. nicht-anthropomorphe Struktur der Götter und Monster im Alten Testament wenig sagen, es gibt nur noch „Splitter“ davon, wie die Rede vom Zorn des moabitischen Gottes gegen Israel (2Kön 3,27) oder die Flügel der Morgenröte (Ps 139,9). Obwohl andere Götter und Monster stark zurückgedrängt sind, erkennt Machinist drei Funktionen im Alten Testament, die sie im Gegenüber zu Jahwe einnehmen: a) Zum einen nehmen sie die Rolle von Jahwes „servants“ ein und zeigen Jahwe als den Herrscher des „cosmic empire“ (98). b) „A second role for the gods and monsters/demons in the Hebrew Bible, again as it is in Mesopotamia, is as challengers to the established cosmic order of the central governing gods, here captained by Yahweh.“ (98) Vorzugsweise „the Sea“ ist solch eine „Anfechtungskraft“ gegen die „Ordnung“. Machinist geht davon aus, dass auch z.B. Ex 15 auf diese Zusammenhänge zurückgreift und dass die Autoren hier „the combat mythic tradition“ aufgenommen und verarbeitet haben (99). c) Die Funktion von Behemot und Leviathan in Hi 40,15–24; 40,25–41,34 zeigt eine weitere Funktion der numinos-göttlichen Kräfte ausserhalb Jahwes: „Behemot and Leviathan function in Yahweh’s speech to Job as boundary markers – of the outer ends of the cosmos, its farthest reaches beyond human understanding and control. As huge, hybrid, monstrous non-anthropomorphs, thus, they represent the extreme non-human world that only Yahweh can conceive, create, and rule.“ (99)

3.5

Ugarit I

Mark S. Smith40 geht bei seiner Abhandlung über Anthropomorphismus in Ugarit von mehreren Frontstellungen aus: Zum einen ist das Verhältnis zwischen Anthropomorphismus und Theomorphismus 40 Vgl. M. Smith, Ugaritic Anthropomorphism, Theomorphism, Theriomorphism, in: A. Wagner, Göttliche Körper – göttliche Gefühle, 117–140. © 2016, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783788730628 — ISBN E-Book: 9783788730635

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zu bedenken, zum anderen das von Anthropomorphismus und Theriomorphismus. Beide Problemstellungen bilden eine wichtige Facette in der Diskussion. Das Verhältnis von Anthropomorphismus und Theriomorphismus in Mesopotamien wurde bereits in dem Beitrag von A.Nunn berührt. Vor allem mit Blick auf Anat und Baʿal sind die textlichen Zeugnisse für theriomorphe Belege groß; zuweilen wechseln theriomorphe und anthropomorphe Vorstellungen in einem Text. Auch ikonographisch sind Theriomorphismen in Ugarit breit belegt. Zudem gibt es „physiomorphic descriptions“ (119), womit Smith einen Ausdruck von M. Korpel aufnimmt. Ein erstes Fazit: „In these cases, the natural and anthropomorphic make for a mix that alerts us to the fact that deities are not simply figures of nature or of fertility, but that they have a twin reality, human as well as a non-human dimensions sometimes manifest or expressed via natural reality.“ (119)

Allgemein gilt: Der Unterschied zwischen Menschen und menschengestaltigen Göttern liegt nicht in daran, dass sie teils dieselben Fähigkeiten, etwa körperlicher, sinnlicher, denkerischer oder emotionaler Art haben, sondern daran, dass Menschen in diesen Fähigkeiten limitiert sind, Götter nicht: „In short, anthropomorphism provides a measure not only of deities but of humans as well.“ (120) Diesem Punkt kann ich von meinen eigenen Überlegungen zum alttestamentlichen Anthropomorphismus her nur zustimmen.41 Bei der Beschreibung der Eigenart des ugaritischen Anthropomorphismus geht Smith von drei Beobachtungsbereichen aus: (1) „Predications.“ Hier wird betrachtet, was über Götter in den Texten gesagt wird, was an Aussagen mitgeteilt wird. Zu diesem Beobachtungsbereich gehören etwa die vielen „Handlungen“ der Götter, die in ugaritischen Texten thematisiert werden: Die Götter essen, trinken, sie laufen, segnen, durchleben Lebenszyklen usw. Dabei können sich menschliche und göttliche Handlungen entsprechen oder in der göttlichen Welt sind andere Handlungen möglich als in der menschlichen, etwa wenn weibliche Göttinnen jagen, was Frauen im menschlichen Bereich in Ugarit nicht zukommt. Götter haben Emotionen, sie lachen u.ä. Aber die Menschenähnlichkeit geht nicht so weit, dass Göttliches und Menschliches ineinander aufgingen. Götter sterben nicht, sie haben andere Handlungsmöglichkeiten als Menschen. Das Verhältnis ist demnach asymmetrisch: „In short, 41

Vgl. Wagner, Gottes Körper, 156–157. © 2016, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783788730628 — ISBN E-Book: 9783788730635

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there is slippage between human and divine natures.“ (122) Das Entscheidende an dieser Andersartigkeit ist nach Smith, dass dadurch der Unterschied zwischen Göttern einerseits und Menschen andererseits hervorgehoben wird: „Anthropomorphism not only says how deities and humans are like one another, but also about humans are not like deities [...].“ (122) Bei der Analyse des ugaritischen Anthropomorphismus ist weiterhin zu beachten, dass die anthropomorphen Aussagen auch nach Gattungen verschieden sind: In den Epen (Ba‘al-Zyklus, Keret-Epos etc.) herrschen andere anthropomorphe Anschauungen vor als in Texten, die frühere Stadien der ugaritischen Religion beleuchten. Anthropomorphismus ist nicht gleich Anthropomorphismus, eine Beobachtung, die von der Analyse des alttestamentlichen Anthropomorphismus her ebenfalls zu unterstreichen ist.42 (2) „Intersections.“ Für den zweiten Beobachtungsbereich von Smith ist festzuhalten, dass der Bereich der Götter und der Bereich der Menschen „Überschneidungsflächen“ bieten, in denen sich die Wege der Götter und die der Menschen kreuzen. Die Begegnungsmöglichkeiten sind aber wiederum unterschiedlich bestimmt: „[...] deities operate largely in the human world in the Ugaritic texts.“ (129) Götter können ohne Weiteres konkrete irdische Orte aufsuchen und sind „very much at home in the human world“ (129), etwa wenn El in Kerets Haus zum Hochzeitsempfang kommt und ihn segnet (KTU 1.15 II). Andererseits gibt es „Eigengesetzlichkeiten“ des göttlichen und des menschlichen Bereichs, die der Vorstellung eines Ineinanderaufgehens der beiden Bereiche widerraten: Götter opfern etwa einander nicht, ebenso „deities do not bless other deities“ (130), hier gelten also eigene „Gesetze“. Die „göttliche Welt“, die z.B. durch die Eigenschaft der Unsterblichkeit erreicht würde, bleibt den Menschen denn auch verschlossen. (3) In einem dritten Beobachtungsbereich weitet Smith den Blick über direkte Anthropomorphismen in den Bereich der Vergleiche aus. Es werden sowohl Götter mit Menschen („Anthropomorphismus“) wie auch Menschen mit Göttern („Theomorphismus“) wie auch Götter untereinander verglichen. Ausgehend von KTU 1.101.19 beobachtet Smith die Möglichkeit eines die im engeren Sinn „anthropo“-morphe Bildlichkeit übersteigenden Vergleichs: „Baal sits (enthroned) like the sitting of a mountain, / Haddu... like the (cos42

Wagner, Gottes Körper, 165–166. © 2016, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783788730628 — ISBN E-Book: 9783788730635

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mic) ocean, [...] His mouth is like two clouds of (?)... [...].“ Smith folgert daraus: „The analogies suggest a superhuman scale, which for deities is hardly uncommon. What is uncommon is the correlation of Baal’s superhuman, anthropomorphic self with the superhuman scale of his mountain, combined with features associated with his stormy theophany.“ (137)

Im Anschluss an R. Hendel nennt Smith dieses Phänomen, das er mit Ez 1 vergleicht, „transcendent anthropomorphism“ (137). Baʿal erweist, vorgetragen in anthropomorpher (Mund) und anthropopragmatischer Ausdruckweise (sitzen, thronen), seine „übermenschliche“ Qualität, verbunden mit einem Bezug zur Natur (Wolken, Berg), in der er sich – im Unterschied zu Jahwe in Ez 1 – ebenso manifestieren kann. Am Schluss seines Beitrages geht Smith kurz auf den Anthropomorphismus des Alten Testaments ein. Er vermutet auch hier „Formen des transzendenten Anthropomorphismus“, etwa in dem Körperbild von Ez 1: „The divine body of Ezekiel 1 is a body that is and is not a body at the same time.“ (138) Oder in dem Thronrat der HiobRahmenerzählung, in dem möglicherweise der Satan als eine figuralliterarische Aus-/Teilgliederung Gottes dargestellt wird, aber (mit allen göttlichen Thronratsmitgliedern) eigentlich „the oneness of divinity“ (139) repräsentiert. Wenn man davon ausgeht, dass hinter diesen Erscheinungen (wie Ez 1 und Hi 1–2) ebenso das (über das Menschengestaltige hinausgehende) eine Göttliche steht wie hinter monotheistischen Formulierungen, dann kann man hier, wie Smith formuliert, auch kaum einen sachlichen, sondern eher einen ausdrucksseitigen Widerspruch sehen. Aber Smith’ Reflexionsmodus ist hier vorsichtig und vermutend. „Paradox“ nennt Smith für das Alte Testament das Nebeneinander differenter Körpervorstellungen, um etwas über Gott auszusagen: ein ganz „menschenkörperbezogener“ Anthropomorphismus steht neben „supranaturalen“ Erscheinungen wie Ez 1 oder anderen GottesKörper-Konzepten im Hiob-Rahmen. Solche unterschiedlichen Vorstellungen scheinen nicht zusammenzugehen, scheinen „paradox“. Letztlich erklärt er den Widerspruch aus alten und neuen Aussageweisen, ohne ihn auflösen zu können: „From the religious perspective, the combination of old and new leaves readers of the Bible with a paradoxical God.“ (140)

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Ugarit II

Herbert Niehr43 setzt in seinem Beitrag über „Körper des Königs und Körper der Götter in Ugarit“ beim menschlichen König an: „Geht man zunächst vom Menschen aus, nach dem die anthropomorphe Sprechweise über die Götter gestaltet wurde, so ist zu sehen, dass im Alten Orient der Mensch par excellence der König war.“ (141) Der König ist der Garant der Ordnung in der menschlichen Welt. Da er aber als Mensch sterblich und krankheitsanfällig war, entwickelte man Strategien, mit diesen Un-Zeiten umzugehen: „Mit dem Mythos von der besonderen Zeugung und Geburt des zukünftigen Königs, mit der Sukzession auf dem Königsthron, mit der Ahnenwerdung und der Vergöttlichung der verstorbenen Könige sowie mit der Erstellung von Genealogien.“ (142)

Niehr folgert weiterhin: „Die besondere Stellung des altorientalischen Königs zwischen Göttern und Menschen führte also zu einer Differenzierung zwischen dem sterblichen Amtsinhaber und dem unsterblichen Amt. Oder, um es mit der jüngeren, aber zutreffenden Terminologie des ausgehenden Mittelalters zu sagen, man unterschied zwischen den beiden Körpern des Königs.“ (142)

Mit dieser Einordnung nimmt Niehr die Beobachtung von E.H. Kantorowicz auf, dass beim König body natural und body politic zu unterscheiden sind. „Stand der body natural für den König als Mensch von der Geburt bis zum Grab, so der body politic für das königliche Amt, welches niemals starb.“ (142) Der Tod des Königs bedeutete das Ende des body natural. „Dieser auf den ersten Blick mittelalterliche Denkansatz entstammt dem Alten Orient, von wo aus er über das Alte und das Neue Testament in die politische Theologie des Mittelalters übernommen wurde.“ (142) Niehr zeigt die entsprechende Rezeptionsgeschichte dieser körpermetaphorischen Vorstellung (s.o. Abschnitt 1.3.1) bis in neuere Arbeiten der Altorientalistik, Ägyptologie und alttestamentlichen Wissenschaft auf. Die Götterwelt und die Menschenwelt in Ugarit sind durch miteinander zusammenhängende Hierarchien verbunden. Menschliche und göttliche Hierarchie gehören zu einem kosmischen System. Ihren Zusammenhang und die Interdependenz der Hierarchien zeigen die 43 Vgl. H. Niehr, Körper des Königs und Körper der Götter in Ugarit, in: A. Wagner, Göttliche Körper – göttliche Gefühle, 141–167. © 2016, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783788730628 — ISBN E-Book: 9783788730635

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Korrespondenzen von Ritualen und Mythen, in denen das königliche Wirken für den Zusammenhalt der Welt eine besondere Rolle spielt. Bei der Untersuchung des Anthropomorphismus möchte Niehr den Akzent darauf legen, „die politische Dimension der anthropomorphen Rede von den Göttern“ herauszuarbeiten und auch den Bereich des Kultes einzubeziehen (144). Anthropomorphismus heißt nun zunächst, die Möglichkeiten zur Visualisierung zu eröffnen (in Sprache, mentaler Vorstellung und materialen Bildern). Die „Visualisierung ermöglicht es, Götter als Personen auftreten“ zu lassen (144), die mit ihresgleichen und den Menschen interagieren können. „In kultischer Hinsicht ermöglicht es die anthropomorphe Denk- und Sprechweise, die Gottheiten in Tempeln Wohnung nehmen zu lassen, sie dort mit Kleidung, Speise und Trank, oder auch mit Weihrauch u.a.m. zu versorgen sowie mit Hymnen und Gebeten zu verehren und anzurufen. Somit wird ein direkter Kontakt zwischen den Göttern und den Menschen, insbesondere dem König und den Priestern als Kultakteuren, erschlossen. Dabei ist zu sehen, dass auch die Bilder des Königs wie die Götterbilder Empfänger von Kulten sein konnten.“ (145)

Aufgrund der gegenseitigen Angleichung in den (anthropomorphen) Darstellungen ist nicht immer genau zu erkennen, ob es sich um „einen Gott“ oder einen „divinisierten König“ handelt. Als Kultakteur ist der König in besonderer Weise mit den Göttern verknüpft: „Der König erhält seitens der Götter den Auftrag zur Herstellung eines Götterbildes, den er an Handwerker weitergibt.“ (149) Der König ist auch für den weiteren Kult um die Götterbilder zuständig, „die Wendung ‚Der König betrachtet GN‘ (KTU 1.164,10f.; 1.168,1f.8f.)“ steht „für den Besuch des Königs bei der Götterstatue [...] und den opfergemäßen Bezug“ (150). In diesem Zusammenhang spielt u.a. die kultische Reinheit des Königs eine große Rolle. Anders als die Götter ist der König als body natural sterblich, was etwa im Kirta-Epos (KTU 1.16 I 3–15; vgl. 1.16 II 36f.40) reflektiert wird. Aber auch durch den Tod des einzelnen Königs (body natural) gerät die Institution des Königtums nicht in Gefahr. Im Aqhatu-Epos wird nach Niehr dem body politic des Königs eine Art Unsterblichkeit von der Göttin Anat zugesprochen als „von Zeit zu Zeit gewährte Wiederkunft aus der Unterwelt zusammen mit dem Wettergott Ba‘al“ (154). Nicht verwunderlich ist es daher, dass sich königliche Bestattungsriten und die Bestattungsriten für den gestorbenen Ba ‘al ähneln und den Königen postmortale Existenz zugesprochen wird. Niehr führt hier Texte wie KTU 1.108 an und geht davon aus, dass „mlk ‘lm den unvergänglichen body politic des Königs von Ugarit“ dar© 2016, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783788730628 — ISBN E-Book: 9783788730635

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stellt (158). Dies müsste freilich bedeuten, dass es eine gewisse Kongruenz zwischen dem dauerhaft bestehenden Königtum als body politic und den postmortalen Erscheinungsformen der eben genannten Art gibt. 3.7

Körper und soziale Rollen

Christl Maier44 setzt an bei der Betrachtung von Gottes Körper im Alten Testament, wie er vor allem im Marburger Hedwig-JahnowProjekt zu Körperkonzepten und Publikationen von G. Baumann45 beschrieben worden ist: „Gott hat nach dem alttestamentlichen Befund keinen geschlechtlich differenzierten Körper, weder männliche noch weibliche Geschlechtsmerkmale.“ (174) Prägende Zuordnungen finden sich nach Baumann eher in den Jahwe zugeschriebenen sozialen Rollen, die an altorientalischen Gottheiten und auch an der Rolle des Königs orientiert sind; diese sind hinsichtlich des Geschlechts nicht so stark festgelegt wie die spätere Vaterrolle, die vor allem neutestamentlich das Gottesbild prägt und bei der die Männlichkeit Gottes schließlich dominant wird. Des Weiteren argumentiert Maier gegen eine nicht ausreichend differenzierte Wahrnehmung von Gender- und Sexus-Beobachtungen im Gottesbild. Gegen das Bild des geschlechtslosen Gottes stellt sie zunächst Beobachtungen über eindeutig weibliche Rollen Jahwes und thematisiert hier vor allem Jahwe in der Rolle als Gebärerin (Ps 90,2; Dtn 32,18; Ps 2,746; ähnlich auch Jes 46,3f). Zum Zweiten beleuchtet Maier eine Deutung von raḥamîm als weibliche Seite Jahwes kritisch. Nach einem Durchgang durch die Diskussion um die Etymologie von raḥamîm hält sie fest: 44 Vgl. Ch. Maier, Körperliche und emotionale Aspekte JHWHs aus der Genderperspektive, in: A. Wagner, Göttliche Körper – göttliche Gefühle, 171–189. 45 G. Baumann, Das göttliche Geschlecht. JHWHs Körper und die Gender-Frage, in: Hedwig-Jahnow-Forschungsprojekt, Körperkonzepte, 220–250; dies., Die „Männlichkeit“ JHWHs. Ein Neuansatz im Deutungsrahmen altorientalischer Gottesvorstellungen, in: F. Crüsemann u.a. (Hg.), Dem Tod nicht glauben. Sozialgeschichte der Bibel, FS Luise Schottroff, Gütersloh 2004, 197–213; vgl. mit Aufnahme und Weiterführung der Beobachtungen G. Baumanns Wagner, Gottes Körper. 46 Zur Bedeutung von yld Qal gebären in Ps 2,7 vgl. ähnliche Beobachtungen bei A. Wagner, Sprechakte und Sprechaktanalyse im Alten Testament. Untersuchungen an der Nahtstelle zwischen Handlungsebene und Grammatik (BZAW 253), Berlin/New York 1997, 105–106.148; ders., Die Stellung der Sprechakttheorie in Hebraistik und Exegese, in: Congress Volume Basel 2001 [International Organization for the Study of the Old Testament]. Hrsg. von André Lemaire (VT.S 92), Leiden 2002, 55–83, hier: 76–78. © 2016, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783788730628 — ISBN E-Book: 9783788730635

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„Ein einseitiges Verständnis der Metapher der ‚Mutterschößigkeit‘ JHWHs als allein weibliches Konzept steht aber gleichzeitig in der Gefahr des Essentialismus und der Einengung von Weiblichkeit auf Gebärfähigkeit in biologischer Hinsicht (‚sex‘) bzw. auf die Mutterrolle in sozialer und kultureller Hinsicht (‚gender‘). Vielmehr eröffnet die Rede von JHWHs ‚Mutterschößigkeit‘ die Vorstellung eines leidenschaftlichen und mitleidenden Gottes, der sich um die Menschen kümmert und ihnen nahe ist.“ (188)

Als Ertrag hält sie fest: Der „durch Körperbegriffe umschriebene Körper Gottes im Alten Testament [bleibt] geschlechtlich indifferent [...]. Gleichzeitig umgreift die metaphorische Charakterisierung JHWHs beide Geschlechter [...]. Die Gottheit im Alten Testament wird als Vater und Mutter, Erzieher und Amme, als zeugend und gebärend charakterisiert. Diese Rollen werden heute als ‚männlich‘ oder ‚weiblich‘ wahrgenommen, allerdings immer stärker als sozial konstruierte, da sich ihre geschlechtsspezifische Zuschreibung zunehmend auflöst.“ (188)

Wenn die gynaikomorphen (Rollen-)Aspekte im Gottesbild herausgearbeitet werden, dann können sie helfen, ein zu stark andromorphes (Rollen-)Bild zu revidieren. Durch den Beitrag von Maier wird noch einmal klar, wie wichtig es ist, die Körperaussagen mit weiteren sozialen Daten, hier vor allem mit den sozialen Rollen, in Beziehung zu setzen, wenn es um die Erfassung des gesamten „Personen-“ bzw. Gottesbildes geht. Körper sind eben nur ein Teil einer Person, eines (göttlichen oder menschlichen) Individuums. 3.8

Emotionen im Alten Testament I

Gefühle und Körper sind eng miteinander verbunden. Melanie Köhlmoos47 erinnert daran, dass das alttestamentliche Gotteskonzept sehr intensiv mit Anthropomorphismen und auch Anthropopathismen arbeitet, auch wenn zu bestimmten Zeiten der christlichen Tradition hier andere Konzepte bestimmend geworden sind, die den körperlich-emotionalen Seiten Gottes kritisch gegenüberstehen.48 Dem Körper und den Gefühlen ist daher in einem ersten Schritt auf biblischer Grundlage und im biblischen Verstehenshorizont nachzugehen, um sich eine adäquate sachliche Verstehensgrundlage zu erarbeiten. 47 Vgl. M. Köhlmoos, „Denn ich, JHWH, bin ein eifersüchtiger Gott“. Gottes Gefühle im Alten Testament, in: A. Wagner, Göttliche Körper – göttliche Gefühle, 191–217. 48 Wagner, Gottes Körper, 41–51. © 2016, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783788730628 — ISBN E-Book: 9783788730635

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Das Hebräische kennt kein Wort für Gefühl oder fühlen. An Stelle dieser Lexeme werden Vokabeln verwendet, die in ihrer Hauptbedeutung anderes bezeichnen: rā’āh sehen, ṭā‘am schmecken und yāda‘ erkennen. rā’āh kann als Gefühlsverb die ganze Spannweite emotionaler Affekte bezeichnen; ṭā‘am „bezeichnet in erster Linie eine sensorische Empfindung (Geschmack), die jedoch in Richtung des Gespürs und des Merkens ausgedehnt werden kann“ (192). In selteneren Fällen kann auch yāda‘ im Sinne von „durch Erleben erfahren“ verwendet werden. Köhlmoos schliesst daraus: „Der hebräische Mensch denkt mit dem Herzen und fühlt mit Augen und Zunge.“ (192) Mit Blick auf die Gefühle Gottes macht Köhlmoos im ersten Schritt eine Bestandsaufnahme quer über das Alte Testament hinweg: a) Körperliche Empfindungen: (Wohl-) Behagen (nîḥoaḥ), kommt nur auf Jahwe bezogen vor, Hunger (rā‘āb), Sättigung (śāba‘) und Müdigkeit/Schwäche/Erschöpfung (yāgā‘; lā’āh), die insgesamt nicht sehr häufig thematisiert werden. b) Emotionale Empfindungen und Zustände: Interesse/Anteilnahme/Wohlwollen (ḥāpaṣ, ḥāšaq, rāṣāh/rāṣôn, ḥāmad), Ablehnung/Widerwillen (mā’as, śānā’), Freude (gîl, śûś, śāmaḥ), Zorn (’ap, zā‘am, zā‘ap, ḥemāh, ḥārôn, ‘ābarāh, qāṣap), Verachtung (mā’as, śānā’), Ekel/Abscheu (mā’as, śānā’, šiqqûṣ, tā‘ab, gā’al, qûṭ), Mitleid (rāḥam, nāḥam), Reue (nāḥam), Begehren (’āwāh), Hoffnung (qāwāh, ṣāpāh), Liebe (’āheb, ḥæsæd), Hass (śānā’), Eifersucht (qānā’) und Genugtuung (nāḥam, nāqam). In diesem Bereich sind das Spektrum der Lexeme und die Beleganzahl größer als bei den körperlichen Empfindungen. c) Alsdann beobachtet Köhlmoos das Vorkommen der Emotionen Gottes. „Am ergiebigsten für das ganze Gefühlsspektrum JHWHs sind die Psalmen, Jesaja, Jeremia und das Deuteronomium, wobei aber in keinem dieser Bücher alle Gefühle Gottes benannt werden.“ (195) [...]. „Von Gottes Gefühlen ist kaum einmal narrativ die Rede. Lediglich der Zorn, die Reue und das Mitleid JHWHs sind Sachverhalte, die sich durch einen Erzähler mitteilen lassen. Sämtliche anderen Gefühle und die Mehrzahl der drei eben genannten werden fast ausschließlich in Form der Rede versprachlicht, sei es als Figurenrede innerhalb der Erzählung, sei es in der Kommunikation im Gebet, sei es in der Prophetie. Dabei ist derjenige, der am meisten über die Gefühle Gottes spricht, Gott selbst.“ (196–197)

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Im Weiteren geht Köhlmoos nun auf Deutungen dieses Befundes ein. Sie ist dabei geleitet von der Grundeinsicht: „Was Gott fühlt, und mehr noch, was er nicht fühlt, ist durchaus Bestandteil einer rational konturierten Theologie.“ (197) Die schon angesprochenen Empfindungen Gottes rechnet Köhlmoos, da es um körperliche Erfahrungen geht, eher zu den Anthropomorphismen als den Anthropopathismen. Im Gefolge der Diskussionen zur Emotionalität49 unterscheidet Köhlmoos dann zwischen Gefühl und Emotion: „Emotionen sind ein (mehr oder weniger) objektiver Sachverhalt, Gefühl ist dessen subjektives Erleben.“ (200) Bei Gefühlen geht sie mit Schwarz-Friese davon aus, dass es sich dabei um kognitiv beeinflusste emotionale Zustände handelt. Emotionen werden verstanden als „Kenntnissysteme“, die „teils universale, angeborene Empfindens- und Verhaltensmuster, teils sozial gesteuerte und individuelle Erlebens- und Erfahrenswerte“ umfassen; ebenso als „Bewertungssysteme“, die gebraucht werden, „um innere und äußere Sachverhalte je nach Situation einzuschätzen und zu bewerten“.50 Im Anschluss an diese Grundbestimmungen fragt Köhlmoos nach Gefühlen und Emotionen Gottes im Alten Testament. Sie schlägt dabei folgende Unterscheidung vor: „Nur, wo JHWH in 1. Person sein subjektives Erleben schildert, liegt überhaupt ein Gefühl vor. Demgegenüber sind Texte in 2. und 3. Person Aussagen über die Emotionen Gottes.“ (201) Von dieser Unterscheidung aus versteht sie z.B. Jes 63,1–6 als „Schilderung des subjektiven Erlebens JHWHs im Moment seines Zorns“ (202), wohingegen Hi 19,6–20 „eine Schilderung des Zornes Gottes als dessen objektiv – durch Hiob – beobachtbare Emotion“ sei (203). Ausgehend von der Beschreibungsmatrix aus dem Emotionsmodell von R. Plutchik51, der zu den universalen Emotionsanalytikern gehört, versucht Köhlmoos nun, sich den Emotionen Gottes im Alten Testament zu nähern. Hos 11,1–9 versteht Köhlmoos nicht aus dem 49 Köhlmoos schließt hier stark an M. Schwarz-Friese, Sprache und Emotion (UTB 2939), Tübingen/Basel 2007 an; vgl. zu dieser Problematik und mit Bezug zum Hebräischen bzw. zum Alten Testament auch A. Wagner, Emotionen, Gefühle und Sprache im Alten Testament. Vier Studien (KUSATU 7), Kamen 22011 [12006], bes. I. Gefühl. Emotion und Affekt in der Sprachanalyse des Hebräischen, 7–47. 50 Schwarz-Friese, Sprache, 73. 51 Vgl. R. Plutchik, Emotions. A General Psycho-Evolutionary Theory, in: K. Scherer / P. Ekman (Hg.), Approaches to Emotion, Hillsdale 1984, 197–200. © 2016, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783788730628 — ISBN E-Book: 9783788730635

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sonst häufig angenommenen Gegensatz von Liebe und Zorn, sondern sie stellt dem Modell von Plutchik folgend fest: „Der Zorn, den JHWH explizit nicht vollstrecken will, ist indes nicht das genaue Gegengewicht zu seiner Liebe [...], sondern Teil einer wesentlich komplexeren emotionalen Strategie, die im Falle von Hos 11 mit einem erheblichen Anteil an Reflexion verknüpft ist.“ (208)

Hos 11 bedient sich der emotionalen Strategie aus persuasiven Gründen: „In Hos 11 wird die Analogie der väterlichen Liebe JHWHs eingesetzt, um seitens der Hörer die größtmögliche Empathie mit Gott zu erreichen.“ (210) Köhlmoos folgert aus solchen Beobachtungen die sicher richtige Konsequenz, dass nämlich beim Auslegen der Texte und der Analyse ihrer emotionalen Aspekte darauf zu achten ist, „[...] die (mögliche) Wirkung dieser Gefühle auf das Publikum zu erheben [...]. Die Gefühle Gottes dienen nicht nur der Beschreibung Gottes, sondern vermitteln auch eine Botschaft.“ (210) Im letzten Teil ihrer Studie geht Köhlmoos auf die Frage ein, inwiefern Emotionen auch von kulturellen Gegebenheiten beeinflusst sind. Hier wendet sie sich anderen Grundüberlegungen zu, als sie von Plutchik her zu formulieren wären. Die biologisch verwurzelten Emotionen werden kulturell codiert. „Die [oben beschriebene alttestamentliche] Verknüpfung der Gefühle mit den Sinnen, des Denkens mit dem Herzen stellt einen Rahmen zur Eigenwahrnehmung, zum Ausdruck und zur Bewältigung der Emotion dar [... . Sie] ist ein Beispiel für eine solche [...] Codierung“. (212)

Als ein Beispiel für solche kulturellen Unterschiede führt Köhlmoos den Zorn Gottes an: „In alttestamentlichen Texten ist der Zorn JHWHs die Reaktion auf ein schuldhaftes Vergehen der Menschen [...]. Die westlich-neuzeitliche Tradition reagiert auf Fehlverhalten jedoch mit dem Wunsch nach (juristischer oder moralischer) Vergeltung. So werden die beiden Systeme – der textliche Befund des Zorns angesichts der Verfehlung und die Tradition der Strafe in Reaktion auf Verfehlung – miteinander vermischt [...]“ (212), wenn dies in der Auslegung nicht auseinandergehalten wird. In der Tat werden solche kulturellen Unterschiede schon länger beobachtet.52

52 Vgl. Wagner, Gefühle und Emotionen, Bindung der Emotion ‚Hass‘ an Gründe: 71–72; Bindung der Emotion ‚Eifer/Eifersucht‘ an Gründe: 90–92; Bindung der Emotion ‚Zorn‘ an Gründe: A. Wagner, Emotionen in alttestamentlicher und ver© 2016, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783788730628 — ISBN E-Book: 9783788730635

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Mit Blick auf das Gesamt-Spektrum der Emotionen Gottes ist es nun auffällig, dass etliche Emotionen im Anthropopathismus nicht vorkommen: „[...] Enttäuschung und Verwunderung [konnten] nur implizit von JHWH ausgesagt werden, in der imaginierten Nachzeichnung seines Gefühlserlebens. Furcht, Schuld und Scham, Kummer und Leid sind dagegen nicht einmal implizit von Gott aussagbar. [...] Auch hier ist das alttestamentliche Gottesbild nicht davon geprägt, dass Gott ein derart überweltliches Wesen ist, dass er die genannten Emotionen nicht haben kann. Vielmehr ist ,Gott‘ im Alten Testament so codiert, dass er diese Emotionen nicht haben darf. Ein leidender, ängstlicher oder schuldiger Gott ist nicht denkbar.“ (214–215)

Hier bietet die Gotteskonzeption des Alten Testaments weniger Möglichkeiten als die emotionale Modellierung der Götter in den Panthea der Nachbarreligionen. Damit ergibt sich im Bereich des Anthropopathismus eine völlig analoge Gegebenheit zum Anthropomorphismus. Auch bei der Körperdarstellung werden aus konzeptionell-theologischen Gründen bestimmte Körperteile häufig und andere gar nicht eingesetzt.53 3.9

Emotionen im Alten Testament II

Katrin Müller54 fokussiert in ihrem Beitrag einen einzelnen Emotionsbereich, die Liebe. Ähnlich wie Köhlmoos und v.a. unterscheidet sie mit der neueren Forschung Emotionen als die nach außen tretenden, an sprachlichen Äußerungen, Mimik/Gestik, Handlungen u.a. beobachtbaren affektiven Regungen von den nur introspektiv wahrnehmbaren. Sie geht von einem Untersuchungsansatz aus, der bei Emotionen grundsätzlich mit kulturell unterschiedlichen Prägungen rechnet. In Konvergenz mit Forschungen von Kövecses, van Wolde, Wagner setzt sie bei der Sprache bzw. den Verbalisierungen der Emotion Liebe an und kontrastiert den hebräischen Befund mit dem mit derselben Zugangsweise erhobenen Befund einer neueren Sprache am Beispiel des Deutschen. In beiden Fällen ist der jeweilige Ausgangspunkt textlich vorfindliches Material (im Hebräischen aus dem Alten Testament, im Deutschen aus dem Großkorpus des Digitawandter Literatur – Grundüberlegungen am Beispiel des Zorns, in: R. Egger-Wenzel / J. Corley (Hg.), Emotions from Ben Sira to Paul, Berlin 2012, 27–68. 53 Vgl. Wagner, Gottes Körper, 154–158. 54 Vgl. K. Müller, Lieben ist nicht gleich lieben. Zur kognitiven Konzeption von Liebe im Hebräischen, in: A. Wagner, Göttliche Körper – göttliche Gefühle, 219– 237. © 2016, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783788730628 — ISBN E-Book: 9783788730635

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len Wörterbuches der deutschen Gegenwartssprache), nicht konstruierte Beispiele. Zielpunkt der Analyse ist zunächst die Herausarbeitung des konzeptionell-kognitiven Gehalts der Bildausdrücke/Metaphern, eine Vorgehensweise, die auf Lakoff/Johnson55 zurückgeht und die davon ausgeht, dass bestimmte epistemische Vorstellungen über ein Phänomen in einer Gesellschaft/Sprache in den kognitiven Konzepten solcher Metaphern zu greifen sind. Durch den Ansatz bei der Sprache bzw. den Texten eignet sich diese Methode auch besonders gut für historische Analysen. Bei der Analyse der deutschen Beispiele stößt man sehr schnell auf ein grundlegendes Konzept, das prägend für das neuere europäische Versprachlichen von Emotionen ist: die Behältermetapher. „Voll sein“ von Liebe schließt ein, dass hinter der vordergründigen Aussage, dass die betreffende Person vom Gefühl der Liebe erfasst ist, die Vorstellung steht, Liebe fülle uns an, wie eine Flüssigkeit oder sonstiger Inhalt einen Behälter anfüllt. Desweiteren spielt das Herz eine große Rolle, teils als Behälter im Behälter, teils, weil es in der Versprachlichungstradition von vielen Emotionen als „Sitz“ der Emotionen behandelt wird. Ein weiteres prägendes Konzept für Liebe im Deutschen ist das der Flamme, Liebe brennt, vorzugsweise im Innern bzw. aus uns heraus. Vergleicht man zu diesem Befund die Ergebnisse der Analyse aus dem Hebräischen, ist zunächst auffallend, dass „sich kein einziges Beispiel für die Metapher des ‚Voll-Seins‘ bzw. des ‚Erfüllt-Seins‘“ findet, obwohl „es für die Wurzel ahb im Alten Testament 251 Belege gibt“ (227). Im Hebräischen wird nun die Metaphernwelt um ’ahb weiter untersucht. Eine wichtige Stelle für das Verständnis der Liebe ist Dtn 6,5, für die Müller festhält, dass über die Übersetzung nicht neuzeitliche Anthropologie und neuzeitliches Emotionsverständnis einfließen dürfen, sondern dass die andere anthropologische und emotionale Grundkonzeption des Alten Testaments beachtet bleiben muss: In Dtn 6,5 spielt die Trias ‚Herz – næfæš – Kraft’ eine Rolle. Alle drei werden zur Beschreibung der Liebe zu Gott herangezogen, und häufig wurde in der Vergangenheit hier ein trichotomisches Menschenbild vermutet. „[Die] Anthropologie des Alten Testaments sieht den Menschen [aber] nicht ‚aufgeteilt‘ in ‚Leib ‒ Seele ‒ Geist‘ [o.ä.]; die ‚[...] Liebe bezieht sich daher hier [in Dtn 55 G. Lakoff / M. Johnson, Leben in Metaphern. Konstruktion und Gebrauch von Sprachbildern. Aus dem Amerikanischen übersetzt von Astrid Hildenbrand, Heidelberg 72011, passim. © 2016, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783788730628 — ISBN E-Book: 9783788730635

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6,5 nicht auf Leib, Seele und Geist, sondern] auf das, was für den Verfasser und seine Umwelt den Menschen ausmacht ‒ die Rationalität, die Bedürftigkeit/Lebendigkeit und die körperliche Kraft.“ (230)

Besser ist es also, in Dtn 6,5 die Präposition be, die jeweils vor den drei genannten Lexemen steht, durch mit zu übersetzen; eine Formulierung wie die Übersetzung der Lutherbibel von ganzem Herzen ist hier irreführend, da sie die Liebesinnerlichkeit der europäischen Tradition ins Spiel bringt. Auch das Bild der Liebe als Flamme ist im Alten Testament zu finden, allerdings nicht als Ausdruck für ein Lodern im Inneren, sondern als Ausdruck der Empfindung der unbeeinflussbaren Macht der Liebe. Ebenfalls auffällig wie bei etlichen anderen Emotionen ist die Rückbindung der Liebe an Gründe: „Liebe scheint also durch bestimmte Geschehnisse und Gegebenheiten bedingbar zu sein, dem Konzept des Redens über die Liebe liegt im biblischen Hebräischen ein gewisses ‚Kausalitäts-Denken‘ zugrunde.“ (233)

Bei diesem letzten Punkt gibt es allerdings eine Ausnahme mit hochgradiger theologischer Brisanz: Im Bereich des Anthropopathismus finden sich keine (!) Begründungen für Gottes Liebe gegenüber seinen menschlichen Partnern; warum Jahwe Israel liebt, wird an keiner Stelle thematisiert. Im Gegensatz zu menschlicher Liebe ist also Gottes Liebe „unbedingt“.

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Der Mensch als ‚Bild‘ Gottes und das ‚Bild‘ Gottes im Alten Testament

1.

Vorbemerkung

Im Alten Testament wie im Alten Orient nähert man sich Erkenntnis nicht über Definitionen und Systembildungen an. Was die europäische Tradition in Philosophie und Wissenschaft (einschließlich der Theologie), fußend auf griechischer Übung und Überlieferung, zu einem Erkenntnissystem ausgebaut hat, ist eindrucksvoll und sicher auch Erkenntnis fördernd. Aber es ist eben ein grundsätzlich anderer Erkenntnisweg als der der altorientalischen Kulturen (zu denen auch das Alte Testament gehört). Während wir gewohnt sind, gedankliche Konzepte von Sachen, die hinter einem Begriff stehen, explizit zu formulieren, Begriffe zueinander in Beziehungen zu setzen, nach Begriffsschärfen, Extensionen, Interdependenzen zu fragen, Begriffe mit empirischen und experimentalen Beobachtungen zu verbinden, zu verifizieren und zu falsifizieren, nach induktiven und deduktiven Erkenntniswegen zu suchen u.a.m., bis sich ganze Systeme von Erkenntnis und Wissenschaft aufbauen, fehlt eine solche explizite und reflektierte, meist im Medium der Schrift vorliegende Erkenntnismethodik und -systematik in den antiken Kulturen des östlichen Mittelmeerraums nahezu ganz; ich meine damit die großen und kleinen Kulturen der geschichtlichen Zeit Ägyptens, Mesopotamiens, Syrien-Palästinas u.a., bis zur hellenistischen Zeit, in der es zu bis heute bedeutsamen und sehr intensiven Begegnungen dieser Kulturen mit griechischer Tradition und großen Beeinflussungen gekommen ist.1 1 Vgl. Emma Brunner-Traut, Frühformen des Erkennens. Am Beispiel Altägyptens, Darmstadt 1990; Peter Machinist, Über die Selbstbewußtheit in Mesopotamien, in: Shmuel N. Eisenstadt (Hg.), Kulturen der Achsenzeit. Die Ursprünge und ihre Vielfalt. Teil 1, Frankfurt a. M. 1987, 258–291; Andreas Wagner, Der Parallelismus membrorum zwischen poetischer Form und Denkfigur, in: ders. (Hg.), Parallelismus membrorum (Orbis Biblicus et Orientalis 224), Fribourg/Göttingen 2007, 1–26, bes. 18–21. © 2016, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783788730628 — ISBN E-Book: 9783788730635

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Wir werden daher auch vergebens nach begrifflich-systematischen Philosophie- oder Wissenschaftswerken, die etwa mit griechischen oder lateinischen Werken dieser Art vergleichbar wären – ich denke hier an Aristoteles‘ Rhetorik oder Poetik u.ä. –, aus Ägypten, Assyrien, Babylonien oder Kanaan Ausschau halten. Es gibt sie nicht. Nicht, weil sie (noch) nicht gefunden wurden; das wäre angesichts der Abermillionen Textzeugnisse, die wir aus diesen Kulturen haben, ein völlig unwahrscheinlicher Zufall. Es gibt sie nicht, weil im Alten Orient wie im Alten Testament Erkenntnis anders organisiert wird. Da ich es mit der Pauschalisierung nicht übertreiben und nicht alle Kulturen des Alten Orients über einen Kamm scheren möchte, will ich diesen Sachverhalt am Beispiel des Alten Testaments andeuten: Das Alte Testament mit seinen 39 Büchern, die über Jahrhunderte zu einer kanonischen Sammlung zusammengewachsen sind, ist nicht der ‚durchsystematisierte Entwurf‘ der israelitischen Religion; das gilt für das Neue Testament ebenso. Solche ‚Systementwürfe‘ gibt es für die christliche Tradition erst seit der Zeit der Kirchenväter, die das, sozusagen griechisch geschult, getan haben. Im Alten Testament werden die zentralen Aspekte des Glaubens und der Religion, der Verhältnisbestimmung zur Welt u.a.m. nicht in Form von Abhandlungen oder begrifflichen Ausarbeitungen dargeboten. Die über weite Strecken vorherrschende Darbietungsform des Alten Testaments ist die Erzählung (Pentateuch, Geschichtsbücher) und die mehr oder weniger gestaltete Sammlung von Texten (Psalter, Sprichwörter, Prophetische Bücher). Und auch in diesen Texten werden wir vergebens nach Definitionen, Begriffsbestimmungen explizit reflexiver Art, wie wir sie aus griechisch-philosophischer oder späterer europäischer Tradition kennen, suchen. Das heißt nun nicht, dass es im AT keine wichtigen Sachverhalte gibt, die unter einem ‚Begriff’, einem Wort, einem Terminus abzurufen wären. Das Alte Testament birgt eine Fülle von gewichtigen Sachen und Wörtern. Allerdings muss sich jeder die Anschauung von den hinter diesen Wörtern stehenden Sachverhalten anders erwerben als durch ‚Lesen‘ von Explikationen oder Definitionen. Wenn ich etwas über den Begriff des ‚Königs‘ wissen möchte, muss ich die Erzählungen über Könige lesen und mir daraus eine Anschauung bilden. Eine etwa mit einem heutigen Lexikoneintrag vergleichbare Definition des Königs, gar des Königtums usw. gibt es im AT nicht und auch nicht zeitgenössisch in anderen altorientalischen Kulturen. Wir finden dagegen in Erzählungen, Psalmen usw. viele Aussagen über Könige, auch teilweise präskriptive Texte (Dtn 17,14-20), aber aus © 2016, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783788730628 — ISBN E-Book: 9783788730635

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diesen Aussagen musste sich der Adressat schon immer selbst eine Vorstellung ‚erlesen‘. Das gilt ebenso auch für Begriffe wie ‚Gott‘, ‚Mensch‘ u.v.a.m.2 Zudem gibt es Phänomene, für die dem AT kein eigenes (hebräisches oder aramäisches) Wort zur Verfügung gestanden hat. Ein prominentes Beispiel ist etwa, dass es im AT kein wirklich treffendes Wort für ‚Glaube‘/‚glauben‘ gibt. Das Fehlen von Wörtern muss nun aber nicht heißen, dass es für das AT oder die israelitische Kultur die entsprechende Sache nicht gegeben hat. Zuweilen kann man ja auch von einer Sache zwischen den Zeilen reden oder die Sache ‚hinter‘ etwas oder in anderen Zuständen, als sie uns bekannt ist, entdecken. 2.

Der Mensch als Bild Gottes

Nach diesem kurzen erkenntnistheoretischen Propädeutikum sind wir gewappnet für die Frage nach dem ‚Bild’ im AT. Es ist nun klar, dass wir eine Definition von ‚Bild’ nicht finden und dass wir uns eine Anschauung durch Lesen von Erzählungen und Texten, in denen die Sache ‚Bild‘ vorkommt, erwerben müssen. Wir beginnen mit dem Topos der Ebenbildlichkeit des Menschen. Jeder bildwissenschaftlich Interessierte, dem beim Nachdenken über ‚Bild‘ das Alte Testament in den Kopf kommt – und da das AT an der Wiege unserer Kultur steht, passiert das unweigerlich, sobald man anfängt, den Bildbegriff geschichtlich aufzuarbeiten – wird zuerst an die Frage der ‚Ebenbildlichkeit‘ denken und dann an die Aussage, dass Gott den Menschen als sein ‚Bild‘ schuf; ich rekurriere hier nur einmal auf die deutschsprachigen Übersetzungen: Gen 1,26 Luther-Übersetzung (1984): Und Gott sprach: Lasset uns Menschen machen, ein Bild, das uns gleich sei [...] Zürcher Übersetzung (2007) Und Gott sprach: Lasset uns Menschen machen als unser Bild, uns ähnlich [...]

2 Eine Sammlung von an im AT vorkommenden Wörtern angeschlossenen Sacherklärungen über den Inhalt dieser Wörter, selbstredend in sekundärer, nachträglich erkennender exegetischer Perspektive, bieten etwa folgende Wörterbücher: Theologisches Handwörterbuch zum Alten Testament (THAT). Bd. 1–2, hrsg. von Ernst Jenni und Claus Westermann, München 1984; Theologisches Wörterbuch zum Alten Testament (ThWAT). Bd. 1–3, hrsg. von G. Johannes Botterweck und Helmer Ringgren; Bd. 4–5, hrsg. von G. Johannes Botterweck, Helmer Ringgren und Heinz-Josef Fabry; Bd. 6ff., hrsg. von Heinz-Josef Fabry [u.a.]. Stuttgart [u.a.] 1973ff. © 2016, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783788730628 — ISBN E-Book: 9783788730635

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Bibel in gerechter Sprache (2006) Da sprach Gott: „Wir wollen Menschen machen – als unser Bild, etwa in unserer Gestalt [...]“

Im Hebräischen stehen nun an der Stelle, an der die deutschen Übersetzungen das Wort ‚Bild‘ haben, die Wörter ṣælæm und demut. Jede weitere Nachfrage nach einem ‚Bild‘-Konzept im AT, bei dem die Ausgangsstelle Gen 1,26ff. ist, muss nun bei der Rückfrage nach dem hebräischen Wort und seiner Bedeutung beginnen. a) Bei der Erklärung der Wortbedeutung von ṣælæm und der dahinterstehenden Sache hat die Forschung in den letzten Jahrzehnten große Fortschritte gemacht.3 Einen guten Hinweis auf die Bedeutung des Nomens ṣælæm gäbe ein wurzelgleiches Verb, von dem das Nomen abgeleitet ist. Im Hebräischen ist ein solches Verb zwar nicht belegt, aber im Arabischen gibt es das Verb ṣlm = abhauen, behauen, schneiden, schnitzen. Aufgrund der Verwandtschaft der semitischen Sprachen untereinander kann auch das Arabische einen ersten Anhalt geben. 2Kön 11,18 (= 2Chr. 23,17) (Joasch wird König in Juda, Maßnahmen des Priesters Jojada)4 Da ging alles Volk des Landes in das Haus (Tempel) Baals und sie brachen seine Altäre ab, und sie zerschlugen alle seine ṣelamîm (Pl. von ṣælæm) gründlich und töteten Mattan, den Priester Baals, vor den Altären.

Die Bedeutung von ṣælæm ist hier aus dem Kontext gut zu erschließen: Da etwas zerschlagen wird, muss es sich um etwas Materielles handeln. Da es sich um Kultgegenstände im Tempel handelt, Altäre 3 Vgl. Bernd Janowski, Die lebendige Statue Gottes. Zur Anthropologie der priesterlichen Urgeschichte, in: Markus Witte (Hg.), Gott und Mensch im Dialog. Festschrift für Otto Kaiser zum 80. Geburtstag. Bd. 1. (BZAW 345), Berlin / New York 2004, 183–214, hier 185; Ute Neumann-Gorsolke, Herrschen in den Grenzen der Schöpfung. Ein Beitrag zur alttestamentlichen Anthropologie am Beispiel von Psalm 8, Genesis 1 und verwandten Texten (Wissenschaftliche Monographien zum Alten und Neuen Testament 101), Neukirchen-Vluyn 2004; Robert Oberforcher, Biblische Lesarten zur Anthropologie des Ebenbildmotivs, in: Andreas Vonach, Georg Fischer (Hg.), Horizonte biblischer Texte. Festschrift für Josef M. Oesch zum 60. Geburtstag (Orbis Biblicus et Orientalis 196), Fribourg/Göttingen 2003, 131–168; Walter Groß, Gen 1,26.27; 9,6. Statue oder Ebenbild Gottes? Aufgabe und Würde des Menschen nach dem hebräischen griechischen Wortlaut, in: Jahrbuch für Biblische Theologie 15, 2000, 11–38. 4 Soweit nicht anders vermerkt handelt es sich bei den Übersetzungen um von mir angefertigte Arbeitsübersetzungen. © 2016, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783788730628 — ISBN E-Book: 9783788730635

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schon genannt sind, das arab. Verb auf etwas Geschnitztes, Angefertigtes, Behauenes hinweist, spricht alles dafür, dass hier ṣælæm in der Bedeutung Götterstatue, Kultbild gebraucht ist. Ähnliches gilt für Ez 7,20: Ez 7,20 (aus einer Vision über das Ende) Sie haben ihre edlen (edelmetallenen) Kleinode zur Hoffart verwendet und haben ṣelamîm ihrer Götzen, ihrer Scheusale, daraus gemacht. Darum will ich ihnen all das zum Unrat machen.

Ez 7,20 könnte andeuten, was Num 33,52 deutlich macht, dass ṣælæm auch das aus Metall gegossene Kultbild, Götterbild umschließt: Num 33,52 (Auftrag Jahwes an die Israeliten vor dem Übergang in das Land Kanaan) So sollt ihr alle Bewohner vertreiben vor euch her und vernichten alle ihre (gemalten, vgl. Lev 26,1) Bildwerke und alle ihre gegossenen ṣelamîm zerstören und alle ihre Opferhöhen vertilgen.

Ähnlich: Am 5,26 (Text nicht ganz sicher); Ez 16,17 und 23,14 steht ṣælæm in der Bedeutung von (Wand-)Bildern von Männern. 1Sam 6,5 bringt ein Verständnis zum Ausdruck, hinter dem eine ‚magische‘ Beziehung zwischen einer Sache und ihrem Abbild besteht; auch hier handelt es sich um handwerklich angefertigte plastische Abbilder, Gleichbilder: 1Sam 6,5 (Ladeerzählung, als die Lade von den Philistern zurückgeschickt wird) So macht nun ṣelamîm eurer Geschwülste/Beulen (Pestbeulen, jedenfalls Zeichen einer Krankheit) und eurer Mäuse, die euer Land zugrunde gerichtet haben, dass ihr dem Gott Israels die Ehre gebt. Vielleicht wird seine Hand leichter werden über euch und über euren Gott und über euer Land. [...] 11 und sie stellten die Lade Jahwes auf den Wagen, dazu das Kästlein mit den goldenen Mäusen und mit den ṣelamîm ihrer Beulen.

Als Fazit kann nun festgehalten werden: ṣælæm bedeutet: Handwerklich gemachtes Bild, angefertigtes Artefakt, Gemachtes in verschiedener materialer Ausführung mit Abbildungsfunktion. Im Vordergrund steht mal das Gefertigte, Handgreifliche, Gemachte (Kultstatue, Statue), mal das Bild bzw. Abbild. Am wahrscheinlichsten ist nun, dass Gen 1,26 hier auf den Gedanken einer ‚Statue‘ abhebt. In Ägypten ist der Pharao die Statue Gottes, vergleichbare Aussagen gibt es auch aus Assyrien und Baby© 2016, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783788730628 — ISBN E-Book: 9783788730635

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lonien.5 Eingebettet ist diese Vorstellung wiederum in das altorientalische Kultbildkonzept. Im Akkadischen kann mit demselben Wort ṣalmu sowohl der König in seiner Statuenfunktion (gegenüber der Bezugsgröße eines Gottes bzw. einer Göttin, s.u.) wie auch das Kultbild, das die Statue einer Gottheit darstellt, bezeichnen.6 Statue und Bezugsgröße (also ein Gott bzw. eine Göttin) haben eine enge Beziehung zueinander, in der die Statue die Bezugsgröße repräsentiert. Der alttestamentliche Schöpfungstext Gen 1,1-2,4a, der zu einem Pentateuchteil gehört, den die Forschung ‚Priesterschrift‘ genannt hat, entstanden in der Zeit am Ende des Exils oder kurz danach, also in einer Zeit intensiver Konfrontation mit babylonischer Kultur und Religionswelt, interpretiert diesen ‚Statuengedanken‘ nun neu: Nicht allein dem König, den es nach dem Untergang des Südreiches Juda 587 v. Chr. für Israel auch nicht mehr gab, sondern allen Menschen sei diese ‚Statuen-Stellung‘ von der Schöpfung an zuzusprechen. Damit wird natürlich keine geschichtliche Aussage über die Entstehung des Menschen, sondern eine Aussage über das Wesen des Menschen gemacht. Die Priesterschrift (P) überträgt die Kultbildvorstellung auf den Menschen schlechthin, auf die Menschheit insgesamt; die Aussage zielt dabei auf den Zusammenhang von Statue und Bezugsgröße: Wie das Kultbild bzw. der König als Statue – nach altorientalischer Vorstellung – einen Gott repräsentiert, so repräsentiert die Menschheit – nach der Vorstellung von P (d.h. im israelitischen Kontext) – Gott. Der Mensch steht in der Welt an Gottes Statt. Damit verbunden ist (neben einem möglicherweise polemischen Unterton gegenüber fremden Kultbildern) die Vorstellung, dass es eine enge Verbindung zwischen Mensch und Gott gibt, die keinerlei Vermittlungsinstanz benötigt (ohne dass hier eine Identität bestünde). Diese Beziehung besteht zwischen Gott und jedem Menschen (‘ādām als Kollektivbezeichnung! Vgl. auch zu Gen 5,3). Jeder Mensch ist deshalb Stellvertreter Gottes, wie V.27 zeigt, auch gleichermaßen Mann und Frau. Es gibt unter den Menschen keine Unterschiede in dieser Beziehung.

5 Belege aus Ägypten und Mesopotamien bei Janowski, Die lebendige Statue Gottes, 189–194. Für Syrien-Palästina ist auf einen vergleichbaren Beleg vom Text der Statue von Tell Fecherije hinzuweisen; vgl. Texte aus der Umwelt des Alten Testaments (TUAT). Bd. I, Lief. 6, hrsg. von Otto Kaiser [u.a.], Gütersloh 1985, 632–637. 6 Vgl. Johannes Renger, Art. Kultbild. A. Philologisch, in: Reallexikon der Assyriologie Bd. 6, hrsg. von Dietz-Otto Edzard [u.a.], Berlin / New York, 306–315, hier 307. © 2016, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783788730628 — ISBN E-Book: 9783788730635

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Da die Priesterschrift hier vom Gedanken des Königs als Statue eines Gottes aus denkt, in Gen 1,26 aber die „Gottesebenbildlichkeit“ (= die Tatsache, dass der König bzw. die Statue als Repräsentationsbild für Gott genommen wird) allen Menschen zugesprochen wird, spricht man oft von einer ‚Royalisierung‘ des Menschen bei P: was in Ägypten eine königlich-royale Eigenschaft ist, kommt im AT allen Menschen zu.7 b) In ṣælæm auch enthalten ist das Bedeutungsmoment der Abbildung einer Sache. Das Aussehen eines Kultbildes ist nicht völlig beliebig. Dieser Aspekt der Ebenbildlichkeit wird nun in Gen 1,26 durch demut konkretisiert: Der Mensch ist nicht nur Repräsentant Gottes, er ist ihm auch gleichartig, was das Gestalthafte anbelangt. Die Abstraktbildung demut wurde vom Verbum dmh/gleichen, das im biblischen Hebräisch breit bezeugt ist, abgeleitet. Dem Sinn des Verbes entsprechend weist die Abstraktbildung demut auf die Tatsache des Gleichens, der Gleichheit. L. Köhler hat den guten Vorschlag gemacht, demut zu übersetzen mit „etwas wie“.8 demut bezieht sich ebenfalls auf bildliche bzw. figürliche Darstellungen „und unterstreicht deren Entsprechung zum Vorbild“.9 Einer der deutlichsten Fälle für diese Bedeutung ist 2.Kön 16,10: 2Kön 16 10 Und der König Ahas zog Tiglat-Pileser entgegen, dem König von Assyrien, nach Damaskus. Und als er den Altar sah, der in Damaskus war, sandte der König Ahas zum Priester Uria Maße und Abbild/Modell (demut) des Altars, ganz wie dieser gemacht war. 11 Und der Priester Uria baute einen Altar und machte ihn so, wie der König Ahas zu ihm gesandt hatte von Damaskus, bis er selbst von Damaskus kam.

Wie bei materialen Darstellungen nahe liegend bezieht sich demut auf die Abbildfunktion im Bereich des Sichtbaren (so in allen Belegen). demut zielt also auf die gestalthafte Vergleichbarkeit zweier Dinge. Dies allerdings nur unter der Bedingung, „dass [...] die Notwendigkeit oder das Bedürfnis, auf die Gleichheit hinzuweisen, [...] nur dann besteht, wenn die Gleichheit nicht ohne weiteres feststeht.“10 Zwei Aspekte sind also an demut besonders wichtig: 7 Vgl. Ernst-Joachim Waschke, Die Bedeutung der Königsideologie für die Vorstellung der Gottesebenbildlichkeit des Menschen, in: Andreas Wagner (Hg.), Anthropologische Aufbrüche (FRLANT 232), Göttingen 2009, 235–252. 8 Vgl. Ernst Jenni, Art. ‫ דמה‬dmh gleichen, in: THAT I, 451–456. 9 Ebd., 452. 10 Ebd. © 2016, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783788730628 — ISBN E-Book: 9783788730635

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a) Es geht um äußere bzw. sichtbare Gestaltähnlichkeit. b) Es geht um Gleichartigkeit oder Ähnlichkeit, aber nicht um Identität! Das ist wichtig für das Verständnis der Ebenbildlichkeit: Mensch und Gott sind gleichartig (jedenfalls in gewisser Hinsicht), aber nicht identisch! Beide Begriffe, ṣælæm und demut, bilden ein Paar (Merismus), um die „Eben-‚Bild’-lichkeit“ zu umschreiben. Aber wenn wir hier von einem ‚Bild’-Konzept sprechen wollen, dann ist es zunächst ein funktionales, das sicher nicht mimetisch angelegt ist. Es geht nicht um eine Abbildung Gottes in porträthafter Weise – also völlig anders als Abbildungen der Person einschließlich der individuellen physiognomischen Merkmale! Es geht darum, über den ‚Statuen‘-Gedanken die Repräsentationsfunktion zu unterstreichen. Bei dem zweiten Begriff des zum Ausdruck gebrauchten Paares der „Eben-‚Bild’-lichkeit“, demut, geht es sodann um Gestaltähnlichkeit. Aber auch diese Aussage ist von dem Hintergrund der Gestaltund Körpervorstellung des AO bzw. AT her aufzulösen. Die Gestaltanalogie zielt nicht auf eine mimetische Wiedergabe der göttlichen Gestalt in der menschlichen, sondern hier spielt wiederum und noch einmal in einer eigenen Weise Funktionalität eine Rolle. Um diesen Gedanken zu fassen, müssen im nächsten Abschnitt kurz Körperbzw. Körperteilvorstellung und das Konzept des alttestamentlichen Anthropomorphismus erläutert werden. 3.

Das ‚Bild’ Gottes im Alten Testament

Das AT verwendet die Rede vom Körper bzw. von seinen Körperteilen, um auch die mit diesen Körperteilen ausgeübten Funktionen und Aufgaben zu benennen. H. W. Wolff hat das die „synthetische Körperauffassung“ genannt. Mit „Hand“ ist nicht nur das Körperteil „Hand“ gemeint, sondern auch das, was ich mit der Hand ausführen kann, etwa Kämpfen, Waffen führen, Macht ausüben. Das wird am schönsten deutlich an Wendungen wie „die Hand der Zunge“ (Spr 18,21 Tod und Leben stehen in der Hand der Zunge; wer sie liebt, wird ihre Frucht essen.) – hier ist nicht das konkrete Körperteil ‚Hand’, sondern die Macht der Rede gemeint. In dieser Weise sind nun auch die alttestamentlichen Gestaltaussagen über Gott zu verstehen (Anthropomorphismen), es sind Möglich© 2016, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783788730628 — ISBN E-Book: 9783788730635

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keiten, die Gotteserfahrungen der alttestamentlichen Menschen zur Sprache zu bringen. Sie dienen sämtlich dem Ausdruck der mit ihnen verbundenen Funktionen und sind keine Versuche mimetischer Beschreibungen der Gestalt Gottes. Wenn wir in dieser Weise die zentralen äußeren Körperteile durchgehen, dann erhalten wir etwa die in Tabelle 1 zusammengefasste Übersicht. Tabelle 1 Körperteil

gestalthaft-äußeres sprachliches ‚Bild’ Gottes

ro’š Kopf

Jes 59,17 Er [Jahwe] zieht Gerechtigkeit an wie einen Panzer und setzt den Helm des Heils auf sein Haupt / seinen Kopf und zieht an das Gewand der Rache und kleidet sich mit Eifer wie mit einem Mantel. Ps 60,9 [Gott hat gesprochen in seinem Heiligtum: ...] Gilead ist mein, mein ist Manasse, Ephraim ist der Schutz meines Hauptes / meines Kopfes, Juda ist mein Zepter. (par. Ps 108,9)

pānîm Gesicht, Angesicht

Gen 33,10 Jakob antwortete: Ach nein! Hab ich Gnade gefunden vor dir, so nimm mein Geschenk von meiner Hand; denn ich sah dein Angesicht, als sähe ich Gottes Angesicht, und du hast mich freundlich angesehen. Hi 2,7 Da ging der Satan weg vom Angesicht Jahwes und schlug Hiob mit bösen Geschwüren von der Fußsohle an bis auf seinen Scheitel.

‘ayin Auge

Am 9,3 Und wenn sie sich auch versteckten oben auf dem Berge Karmel, will ich sie doch suchen und von dort herabholen; und wenn sie sich vor meinen Augen verbärgen im Grunde des Meeres, so will ich doch der Schlange befehlen, sie dort zu beißen. Gen 6,8 Aber Noah fand Gnade vor den Augen Jahwes.

’ōzæn Ohr

2Kön 19,16 [es spricht Hiskia] Jahwe, neige dein Ohr und höre, tu deine Augen auf und sieh und höre die Worte Sanheribs, der hergesandt hat, um dem lebendigen Gott hohnzusprechen. 2Chr 7,15 [der Sprechende ist Jahwe] So sollen nun meine Augen offen und meine Ohren aufmerksam sein auf das Gebet an diesem Ort.

’ap Nase

2Sam 22,9 Rauch stieg auf von seiner Nase und verzehrend Feuer aus seinem Munde, Flammen sprühten von ihm aus. Jes 65,5 [Jahwe spricht über die Ungehorsamen] Die sollen ein Rauch werden in meiner Nase, ein Feuer, das den ganzen Tag brennt.

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pæh Mund

Lev 24,12 und legten ihn [einen lästernden Israeliten] gefangen, bis ihnen klare Antwort würde durch den Mund Jahwes. Ps 33,6 Der Himmel ist durch das Wort Jahwes gemacht und all sein Heer durch den Hauch seines Mundes.

næpæš Kehle, Hals

Jer 6,8 Bessre dich, Jerusalem, ehe sich meine næpæš (Hals?) von dir wende und ich dich zum wüsten Lande mache, darin niemand wohnt! Ez 23,18 Als sie ihre Hurerei so offen trieb und ihre Schande so enthüllte, da verrenkte sich meine næpæš (Hals?) [...].

zerôa‘ Arm

Ex 15,16 Es fiel auf sie Erschrecken und Furcht; vor deinem mächtigen Arm erstarrten sie wie die Steine, bis dein Volk, Jahwe, hindurchzog, bis das Volk hindurchzog, das du erworben hast. Ps 89,11 Du hast Rahab zu Tode geschlagen und deine Feinde zerstreut mit deinem starken Arm.

yāmîn Rechte

Jes 62,8 Jahwe hat geschworen bei seiner Rechten und bei seinem starken Arm: [...] Ps 48,11 Gott, wie dein Name, so ist auch dein Ruhm bis an der Welt Enden. Deine Rechte ist voll Gerechtigkeit.

yād Hand

Jer 18,6 Kann ich nicht ebenso mit euch umgehen, ihr vom Hause Israel, wie dieser Töpfer? spricht Jahwe. Siehe, wie der Ton in des Töpfers Hand, so seid auch ihr vom Hause Israel in meiner Hand. Ps 75,9 Denn Jahwe hat einen Becher in der Hand, mit starkem Wein voll eingeschenkt.

rægæl Fuß (Bein)

2Sam 22,10 Er [Jahwe] neigte den Himmel und fuhr herab, und Dunkel war unter seinen Füßen. Jes 66,1 So spricht Jahwe: Der Himmel ist mein Thron und die Erde der Schemel meiner Füße! [...]

Die genannten Körperteile sind diejenigen, die im AT am häufigsten vorkommen, sowohl bei der Beschreibung von Menschen, als auch bei der Beschreibung der Gestalt Gottes. Wenn wir nun nach der Gesamtfunktion dieser Tatsache fragen, also des Redens von Körperteilen hinsichtlich ihres Funktionsaspekts, dann sind die Funktionen in den beiden Aspekten ‚Kommunikation’ und ‚Handlung’ zu bündeln, vgl. Tabelle 2.

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Tabelle 2 Körperteile ro’š Kopf pānîm Gesicht ‘ayin Auge ’ōzæn Ohr ’ap Nase

pæh Mund (Lippe) næpæš Kehle, Hals zerôa‘ Arm yād Hand, (vgl.: kap Hand/-fläche) yāmîn Rechte rægæl Fuß

(gestische) funktional/abstrakte Bedeutung personales Gegenüber Beziehung herstellen, von Angesicht zu Angesicht kommunizieren Sehen Hören Zorn, zürnen

Sprechen Leben, lebendiges Gegenüber

Funktionsbereich ‚Kommunikation’

Funktionsbereich ‚Handlung’

Kommunikationsvoraussetzung Kommunikation

Kommunikation ausüben Kommunikation ausüben Reaktionsmöglichkeit, Kommunikation ausüben Kommunikation ausüben Kommunikationsvoraussetzung

Handlungsgrundlage

Macht und Präsenz ausüben, Handlungen ausführen Handeln (Arbeiten), Macht ausüben wie Hand, s.o. Macht und Präsenz ausüben

Beides sind Grundfähigkeiten des Menschen und Grundfähigkeiten Gottes, Gott und Mensch ähneln sich in dieser Hinsicht, sind aber beileibe nicht gleich, denn Gottes Handlungs- und Kommunikationsfähigkeiten gehen nach dem AT weit über die des Menschen hinaus. Aber die Gleichartigkeit bleibt. Auf diese Aussage möchte der alttestamentliche Anthropomorphismus hinaus. Die Menschengestaltigkeit wäre falsch verstanden, wenn wir sie als Versuch der optischen Beschreibung Gottes verstehen würden. Aber wenn wir sie gemäß der „synthetischen Körperauffassung“ (s.o.) als Funktionsaussage wahrnehmen, macht sie das deutlich, was der Tenor vieler Texte des AT ist, dass Gott ein in der Welt handelnder und mit dem Menschen

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kommunizierender Gott ist, kein weltferner Weltenlenker. Auch dieses Konzept des ‚Bildes’ Gottes ist somit ein funktionales.11 4.

Fazit

Beide hier in den letzten Abschnitten vorgestellten ‚Bildkonzepte’ sind nur aus ihrem alttestamentlichen Funktions- und Aussagezusammenhang heraus entwickelt, und alles, was wir davon verstehend beschreiben können, weist auf ein sehr funktionales Bildverständnis hin. Dies ist nicht der Ort für eine vertiefte Auseinandersetzung mit der Frage, ob der Bildbegriff aus neueren bildwissenschaftlichen Diskussionen weiterführend ist bei der Analyse alttestamentlicher Bildsachverhalte; und umgekehrt der Frage, ob die Bildwissenschaft bisher sachlich angemessen am alttestamentlichen Bildbegriff angeknüpft oder ihn angemessen berücksichtigt hat. Ich möchte diesen kurzen Beitrag zunächst als Versuch der Sensibilisierung verstanden wissen, der auf die andersartige Darbietungsweise von alttestamentlicher ‚Bild‘-Vorstellung und die Schwierigkeiten bei der Aufdeckung eines Bildkonzepts im AT hinweist. Die bisher ausführlichste Beschreibung der Bildterminologie des AT selbst hat Silvia Schroer vorgelegt.12 Bei der Nachfrage nach der Funktionsweise, den Aussagebedingungen, der Hermeneutik der Bilder stehen wir immer noch mitten in der Diskussion. Hier sollte darauf hingewiesen werden, dass sich in den beiden in den vorhergehenden Abschnitten vorgestellten Bildkonzepten das ‚Bild‘ von einem materiellen Bildträger klassischer Art abgelöst hat: Die Menschheit als ‚Statue/Bild‘ Gottes ist ebenso eigen wie Gott im anthropomorphen ‚Sprach‘-Bild des AT, dem kein materiales Bild Gottes (Bilderverbot), das nämlich in den Verdacht geraten könnte, Gott in Form einer (Kult-)Statue greifbar zu machen, 11 Es soll hier nur kurz angemerkt werden, dass es beim alttestamentlichen Bilderverbot um das Verbot von Kultbildern Jahwes, nicht um ein generelles Bilderverbot geht. Auch von hier aus wäre nach dem Bildbegriff zu fragen, das Ergebnis gleicht aber dem hier vorgestellten. Vgl. zum Bilderverbot: Andreas Wagner, Alttestamentlicher Monotheismus und seine Bindung an das Wort, in: ders. [u.a.] (Hg.), Gott im Wort – Gott im Bild. Bilderlosigkeit als Bedingung des Monotheismus?, Neukirchen-Vluyn 2008, 1–22; ders., Gottes Körper. Zur alttestamentlichen Vorstellung der Menschengestaltigkeit Gottes, Gütersloh 2010, 21–31. 12 Silvia Schroer, In Israel gab es Bilder. Nachrichten von darstellender Kunst im Alten Testament (Orbis Biblicus et Orientalis 74), Fribourg/Göttingen 1987. © 2016, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783788730628 — ISBN E-Book: 9783788730635

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an die Seite zu stellen ist. Bei beiden Bildbegriffen geht es nicht um einfache Mimesis, es herrscht eine eher dem sprachlichen Zeichen ähnliche Referenzbeziehung. Die spannende Frage vor allem beim Anthropomorphismus auch für die Theologen ist an dieser Stelle, ob es sich hier nun wirklich und nur um eine völlig arbiträre Beziehung handelt oder ob doch irgendwelche ‚bildlichen‘ Aspekte eine Rolle spielen, vielleicht in Form komplexerer mimetischer Beziehungen. Ist der Anthropomorphismus als Funktionsaussage zu verstehen oder als Bildaussage? Von daher sind der Diskussion um Bilder im AT und seiner Umwelt auch die Fragen hinzuzufügen, die sich von Sprachbildern her stellen.

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1.

Körper als kulturelle Konstruktion

Körper, menschliche Körper, sind kulturelle Konstrukte. Auf diesen Nenner könnte man die allgemeine Diskussion um Körper und Körperverständnis der letzten anderthalb Jahrhunderte bringen. Anstöße gingen dabei von den verschiedensten Wissenschaften aus. Auf folgende Namen aus dem 19. und 20. Jh. stoßen wir dabei immer wieder: a) Jules Michelet (1798–1874), Historiker. Michelet hat in seinen Arbeiten zur französischen Geschichte immer wieder die Kategorie des Körpers einbezogen und ist einer der großen Anreger gewesen vor allem für die französische Forschung.1 b) Johan Huizinga (1872–1945), Kulturgeschichtler und Historiker mit weitem Horizont.2 c) Marc Bloch (1886–1944) und Lucien Febvre (1878–1956), die Gründer der Historikerschule der Annales, die ein besonderes Interesse an gesellschaftlichen Konstruktionen – Mentalitäten – als Gegenstand der Geschichtswissenschaft hatten.3 1 Vgl. etwa neben vielen anderen seine Arbeiten zur „Frau“ und zur „Liebe“: Michelet, Jules, La femme. Paris 1860; ders., L’amour, Paris 1859; gut greifbar sind beide in: ders., Oeuvres complètes, Bd. 18, L'amour, la femme, Paris 1985; ders., Die Frau, Paris 1860 (Deutsche Übersetzung von F. Spielhagen); ders., Die Liebe, Leipzig 1875 (Deutsche Übersetzung von F. Spielhagen). 2 Vgl. u.a.: Huizinga, Jan, Herbst des Mittelalters. Studien über Lebens- und Geistesformen des 14. und 15. Jahrhunderts in Frankreich und in den Niederlanden, München 1924 und weitere Auflagen (Deutsche Übersetzung von T. Jolles Mönckeberg); ders., Wege der Kulturgeschichte. Studien, München 1930 (Deutsche Übersetzung von W. Kaegi). 2 Vgl. neben vielen anderen Arbeiten: Bloch, Marc, Les rois thaumaturges. Étude sur le caractère surnaturel attribué à la puissance royale particulièrement en France et © 2016, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783788730628 — ISBN E-Book: 9783788730635

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c) Marcel Mauss (1872–1950), Soziologe und Ethnologe.4 d) Michel Foucault (1926–1984), Philosoph, Psychologe, Soziologe.5 e) Pierre Bourdieu (1930-2002), Soziologe.6 f) Mary Douglas (1921-2007), Sozialanthropologin,7 u.a.m. Wie verschieden die einzelnen Forschenden auch einen Zugang zum Körper gesucht haben, in einem stimmen sie nahezu ausnahmslos überein: Das Konzept von Körper in einer Kultur, Gesellschaft, Sprachgemeinschaft oder Zeit entsteht durch das Zusammenspiel von universalen menschlich-organischen bzw. organismischen Setzungen und kulturell verschiedenen Faktoren. Es ist schlichtweg nicht möglich, diese kulturell verschiedenen Faktoren aufzuzählen, denn zum einen sind sie der Zahl nach wenn nicht endlos, so doch kaum zählbar, und der Art nach sind sie nicht systematisierbar. Diese Faktoren reichen von der unterschiedlichen Auffassung über die Ganzheit eines Körpers bis zur Frage kulturell verschiedener Schmerzschwellen, von der je eigenen Körpersymbolik einer Gesellschaft bis hin zur Frage der Verbindung von Körperlichkeit und geistigen Anteilen im Menschen, von der Konstruktion von Bewegungsabläufen bis hin zur Verschränkung der Körperlichkeit

en Angleterre, Paris 1924; Raphael, Lutz, Die Erben von Bloch und Febvre. Annales-Geschichtsschreibung und nouvelle histoire in Frankreich. 1945–1980, Stuttgart 1994. 4 Vgl. u.a.: Mauss, Marcel, Sociologie et anthropologie, recueil de textes, préface de Claude Lévi Strauss, Paris 1950; ders., Soziologie und Anthropologie. Zwei Bände, Wiesbaden 2010 (Deutsche Übersetzung von H. Ritter). 5 Vgl. n.v.a. Schriften: Foucault, Michel, Les mots et les choses. Une archéologie des sciences humaines, Paris 1966; ders., Die Ordnung der Dinge. Eine Archäologie der Humanwissenschaften, Frankfurt am Main 1971 (Deutsche Übersetzung von U. Köppen); ders., Surveiller et punir. Naissance de la prison, Paris 1975; ders., Überwachen und Strafen. Die Geburt des Gefängnisses, Frankfurt/M. 1976 (Deutsche Übersetzung von W. Seitter). 6 Vgl. bes.: Bourdieu, Pierre, Le sens pratique. Paris 1980; ders., Sozialer Sinn. Kritik der theoretischen Vernunft (stw 1066), Frankfurt/M.1987 (Deutsche Übersetzung von G. Seib). 7 Vgl. u.a.: Douglas, Mary, Natural Symbols. Explorations in Cosmology. London 1970; dies., Ritual, Tabu und Körpersymbolik. Sozialanthropologische Studien in Industriegesellschaft und Stammeskultur, Frankfurt/M. 1974 (Deutsche Übersetzung von E. Bubser). © 2016, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783788730628 — ISBN E-Book: 9783788730635

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mit der sozialen Sphäre, etwa über die Aspekte Krankheit, Körperformideal, Körpersozialisation u.ä.m. Alle diese Überlegungen führen zu dem Ergebnis, dass aufgrund der Anteile an kultureller Konstruktion im Körperverständnis von einer kulturell zu relativierenden Größe ausgegangen werden muss: Die Auffassung vom Körper ist je nach Kultur verschieden. Wir sind daher vor die Aufgabe gestellt, wenn wir uns mit Körpervorstellungen anderer Kulturen befassen, diese zunächst in ihrer Eigenart zu verstehen. Vor diesem größeren disziplinenübergreifenden Kontext der Körperforschung hat sich nun auch in der alttestamentlichen Wissenschaft im letzten halben Jahrhundert der „Körper“ zunehmend zu einer immer deutlicher in den Vordergrund drängenden Forschungsfrage entwickelt. Nach Anfängen bei Johan Pedersen8 und Ludwig Köhler9 ist der erste Markstein in der alttestamentlichen Anthropologie von Hans Walter Wolff gesetzt worden.10 Auf Wolff ist gleich (s.u. Abschn. 2) noch intensiver einzugehen. Nach Wolff führen verschiedene verstreute Arbeiten von Othmar Keel Gedanken aus der Wolff’schen Anthropologie weiter, insbesondere, was die Funktions- und Verständnisweise von Körper und Körperteilen im Alten Testament anbelangt.11 Bis dann mit dem Buch „Die Körpersymbolik der Bibel“ von Silvia Schroer und Thomas Staubli der Körper auch wörtlich im Titel auf den Plan tritt.12 Seitdem sind neben den Publikationen zum Gesamtbereich der Anthropologie eine Menge an Einzeluntersuchungen erschienen, die immer wieder das Thema Körper einschliessen13 – nicht zuletzt die 8 Pedersen, Johan, Israel. Its life and culture. 4 vols. in 2 vols. Repr, London 1973 (Erstauflage: London 1926–1940), hier: I/II, 170–181. 9 Köhler, Ludwig, Der Hebräische Mensch, Tübingen 1953, 4–47. 10 Wolff, Hans Walter, Anthropologie des Alten Testaments. Mit zwei Anhängen neu hrsg. von Bernd Janowski, Gütersloh/München 2010 (11973). 11 Hier wäre bes. auf sein vielleicht bekanntestes Buch in diesem Zusammenhang zu verweisen: Keel, Othmar, Deine Blicke sind Tauben. Zur Metaphorik des Hohen Liedes (SBS 114/115), Stuttgart 1984. 12 Schroer, Silvia / Staubli, Thomas, Die Körpersymbolik der Bibel, Darmstadt 2 2005 (11998). 13 Vgl. u.a.: Hedwig-Jahnow-Forschungsprojekt (Hg.), Körperkonzepte im Ersten Testament. Aspekte einer feministischen Anthropologie, Stuttgart 2003; Bauks, Michaela / Liess, Kathrin / Riede, Peter (Hg.), Was ist der Mensch, dass du seiner gedenkst? (Psalm 8,5). Aspekte einer theologischen Anthropologie. Festschrift für Bernd Janowski zum 65. Geburtstag, Neukirchen-Vluyn 2008; Wagner, Andreas (Hg.), Anthropologische Aufbrüche. Alttestamentliche und interdisziplinäre Zugänge zur historischen Anthropologie (FRLANT 232), Göttingen 2009; Krüger, Thomas, © 2016, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783788730628 — ISBN E-Book: 9783788730635

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Anthropologie der Psalmen von Bernd Janowski, in der etwa die Verbindungen zwischen Körper, Krankheit und sozialer Umgebung eingehend thematisiert sind.14 Und ich bin sicher, die 5. Auflage der RGG wird auch einen Artikel „Körper“ haben, und das nicht nur in alttestamentlicher Hinsicht.15 2. 2.1

Körperfunktionen im Alten Testament Synthetische Körperauffassung nach H.W. Wolff

In seiner Anthropologie des Alten Testaments weist H.W. Wolff auf ein Grundcharakteristikum der Körper-Anschauung im AT: Das „[...] stereometrische Denken [des AT setzt] zugleich eine Zusammenschau der Glieder und Organe des menschlichen Leibes mit ihren Fähigkeiten und Tätigkeiten voraus. Es ist das synthetische Denken, das mit der Nennung eines Körperteils dessen Funktion meint.“16

Wolff veranschaulicht diesen Sachverhalt mit einem Beispiel: „Ruft der Prophet aus (Jes 52,7): Wie schön sind auf den Bergen die Füße des Freudenboten!, so meint er nicht deren graziöse Gestalt, sondern ihre hurtige Bewegung: Wie schön, daß der Bote über die Berge heraneilt!

Das menschliche Herz und die Weisung Gottes. Studien zur alttestamentlichen Anthropologie und Ethik (AThANT 96), Zürich 2009; Janowski, Bernd / Liess Kathrin, Der Mensch im alten Israel. Neue Forschungen zur alttestamentlichen Anthropologie (HBS 59), Freiburg u.a. 2009; Van Oorschot, Jürgen (Hg.), Der Mensch als Thema theologischer Anthropologie. Beiträge in interdisziplinärer Perspektive (BThSt 111), Neukirchen-Vluyn 2010; Frevel, Christian (Hg.), Biblische Anthropologie. Neue Einsichten aus dem Alten Testament (QD 237), Freiburg u.a. 2010; Berlejung, Angelika u.a. (Hg.), Menschenbilder und Körperkonzepte im Alten Israel, in Ägypten und im Alten Orient (Orientalische Religionen in der Antike 9), Tübingen 2012; Janowski, Bernd (Hg.), Der ganze Mensch. Zur Anthropologie der Antike und ihrer europäischen Nachgeschichte, Berlin 2012; Schroer, Silvia / Staubli, Thomas, Menschenbilder der Bibel, Ostfildern 2014. 14 Janowski, Bernd, Konfliktgespräche mit Gott. Eine Anthropologie der Psalmen, Neukirchen-Vluyn 42013 (12003). 15 Vgl. etwa in den neueren Lexika: Gruber, M. / Michel, A., Art. „Körper“, in: Crüsemann, Frank [u.a.], Sozialgeschichtliches Wörterbuch zur Bibel, Gütersloh 2009, 307–312; Wagner, Andreas, Körper im Alten Testament, 103–121 in diesem Band [Erstveröffentlichung in: Das Wissenschaftliche Bibellexikon im Internet (www.wibilex.de) 2013 (https://www.bibelwissenschaft.de/de/stichwort/ 23856/)]. 16 Wolff, Anthropologie, 30. © 2016, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783788730628 — ISBN E-Book: 9783788730635

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‚Füße‘ sagt der Hebräer, aber er denkt an das sprunghafte Nahen. In Ri 7,2 kommt der befürchtete Selbstruhm Israels in dem Satz zur Sprache: Meine Hand hat mir geholfen. Gemeint ist natürlich das eigene Zupacken, die eigene Kraft. Das Glied und sein wirksames Handeln werden zusammengeschaut [kursiv A.W.].“17

Die Zusammenschau (von gr. synthesis „Zusammensetzung“, „Verknüpfung“) von Körperglied (Hand, in Ri 7,2 meine Hand) und wirksamem Handeln (in Ri 7,2 „die eigene Kraft“) ist das, worauf der Ausdruck „synthetisch“ zielt. Wolffs Zugang und Terminologie ist in der neueren Diskussion u.a. bei O. Keel, S. Schroer / T. Staubli und B. Janowski aufgenommen worden. Ich möchte das Konzept der synthetischen Bedeutung von Körperteillexemen in Abschn. 2.2. an einigen Beispielen zur Hand18 noch einmal verdeutlichen, dann auch präzisieren und vom „Synthetischen Bedeutungsspektrum (bei Körperteillexemen)“ reden (Abschn. 2.2) sowie den analytischen Anspruch des Konzeptes bezüglich der Erfassung semitischen Denkens kritisch hinterfragen (Abschn. 2.3).

17 Wolff, Anthropologie, 30–31. 18 Das Folgende im Anschluss an: Wagner, Andreas, Das synthetische Bedeutungsspektrum, in diesem Band S. 71–82 [bereits veröffentlicht in: Müller, Katrin/ Wagner, Andreas, Synthetische Körperauffassung im Hebräischen und den Sprachen der Nachbarkulturen (AOAT 416), Münster 2014, 1–11 (zuerst erschienen 2007)], mit Rekursen auf folgende Lit. zu „Hand“: Schroer, Silvia, Zur Deutung der Hand unter der Grabinschrift von Chirbet el Qôm, UF 15 (1983), 191–199; Verdan, Claude, La main, cet univers, Denges/Lausanne 1994; Kieffer, René / Bergman, Jan (Hg.), La main de Dieu (WUNT 94), Tübingen 1997; Voigt, Rainer, ‚Fuss’ (und ‚Hand’) im Äthiopischen, Syroarabischen und Hebräischen, ZAH 11/2 (1998), 191– 199; Péter-Contesse, René, Main, pied, paume? RB 105/4 (1998), 481–491; Schroer/ Staubli, Die Körpersymbolik der Bibel, 123–144; Schroer, Silvia, Art. „Hand Gottes und des Menschen in der Kunst I“, in: RGG4 Bd. 3 (2000), 1405–1406; Wagner, Andreas, Art. „Hand (AT)“, S. 141–149 in diesem Band [Erstveröffentlichung in: Das Wissenschaftliche Bibellexikon im Internet (www.wibilex.de) 2007 [Zugriffsdatum 01.08.2014] (http://www.bibel-wissenschaft .de/de/stichwort/40970/). Vgl. auch die einschlägigen Lexikonartikel zu yd, ymyn und śm’l: Van der Woude, A.S., Art. jād „Hand“, in: THAT I (1984), 667–674; Bergman, J. / von Soden, W. / Ackroyd, P., „jād (mit zərôa‘,jāmîn, kaf und ’æṣba‘)“, in: ThWAT III (1982), 421–455; Soggin, A. (Fabry, H.-J.), Art. „jāmîn“, in: ThWAT III (1982), 658–663. © 2016, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783788730628 — ISBN E-Book: 9783788730635

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2.2 Körperteilbedeutungen (Synthetisches Bedeutungsspektrum) von Körperlexemen am Beispiel von „Hand“ 2.2.1

Bedeutungs-Aspekt: Körperhaftigkeit der „Hand“

Es ist zu beginnen mit der „konkreten“ Bedeutung von „Hand“ als Körperteil ohne übertragene Bedeutung: Prov 26,15 Ein Fauler steckt seine Hand in die Schüssel, und es wird ihm sauer, sie zum Mund zurückzuführen. Ri 16,29 Und er [Simson] fasste die zwei Mittelsäulen, auf denen das Haus ruhte, und er stemmte sich gegen sie, (gegen) die eine mit seiner rechten und die andere mit seiner linken Hand.

Hand (in den verschiedenen Wortfacettierungen des Hebräischen yd Hand, ymyn rechte Hand und śm’l linke Hand) weist in diesen beiden Belegen keine Besonderheit auf. Es geht jeweils um das Körperteil Hand und seine konkrete Körperteil-Bedeutung. Die Thematisierung der Hand dient jeweils der sprachlichen Darstellung einer mit dem konkreten Körperteil ausgeführten non-verbalen „Hand“-lung, die nicht konventionalisiert ist, nicht im Bereich des Gestischen liegt und keine funktional-übertragene Bedeutung hat. Weil hier das Geschehen durch Sprache wie durch eine Kamera abgebildet wird, steht die Darstellungsfunktion von Sprache im Vordergrund.19 2.2.2

Bedeutungs-Aspekt: Gestische Bedeutung der Hand

Die „Hand“ ist besonders reich an gestischen Bedeutungsaspekten. Wichtig ist zu erkennen, dass Gesten nicht alle und automatisch „überzeitlich“ und „überkulturell“ gültig sind;20 manche der im AT 19 Vgl. zur Darstellungsfunktion (im Gegensatz zur Auslösungs- und Appellfunktion): Wagner, Andreas, Sprechakte und Sprechaktanalyse im Alten Testament. Untersuchungen an der Nahtstelle zwischen Handlungsebene und Grammatik (BZAW 253), Berlin / New York 1997, 7–36; Wagner, Andreas, Die Stellung der Sprechakttheorie in Hebraistik und Exegese, in: Lemaire, André (Hg.), Congress Volume Basel 2001 [International Organization for the Study of the Old Testament] (VT.S 92), Leiden 2002, 55–83, jeweils im Anschluss an Karl Bühler. 20 Zur Frage der Analyse von Gesten, ihrer kulturellen Prägung u.ä. vgl.: Müller, Cornelia, Redebegleitende Gesten. Kulturgeschichte, Theorie, Sprachvergleich (Körper, Zeichen, Kultur 1), Berlin 1998, bes. 13-130; Egidi, Margreth (Hg.), Gestik. Figuren des Körpers in Text und Bild (Literatur und Anthropologie 8), Tübingen 2000. © 2016, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783788730628 — ISBN E-Book: 9783788730635

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üblichen Gesten können wir unmittelbar nachvollziehen, einige nicht. Wichtig ist auch zu erkennen, dass hier keine übertragene Bedeutung in dem Sinne vorliegt, dass yd (oder ein ähnlicher Terminus für Hand) metaphorisch, pars pro toto oder in bildlicher Bedeutung aufzufassen wäre. In den folgenden Belegen ist in den Ausdrücken mit yd ein Gestus sprachlich „abgebildet“; wie bei der „Körperteilabbildung“ (s.Abschn. 2.1) ganz im Sinne der Darstellungsfunktion von Sprache. Gestus: die Hand drauf geben (Besiegelung/Gültigkeit)

2Kön 10,15 Als er [Jehu] von dort wegging, da traf er Jonadab, den Sohn Rechabs, der ihm entgegenkam. Und er segnete ihn und sprach zu ihm: Ist dein Herz aufrichtig wie mein Herz gegenüber deinem Herz? Da sprach Jonadab: Ja. Wenn es so ist, dann gib mir deine Hand! Und er [Jonadab] gab ihm seine Hand. [...]

Der hier geschilderte Gestus ist ohne weiteres zu verstehen: Das „Hand-Geben“ besiegelt die Verbrüderung zwischen Jonadab und Jehu. Wir finden im AT etliche weitere gestische Aussagen mit „Hand“: a) Gestus: in die Hände klatschen (Gestus der Freude), Ez 25,6 b) Gestus: Hände zum Gebet erheben, Ps 44,21 c) Gestus: Hände zum Schwur erheben, Gen 14,22 d) Gestus: Hände zum Schwur am Geschlecht des Partners, Gen 24,1 e) Gestus: Hände zum Segnen auflegen, Gen 48,14 Die Vielfalt der gestischen Bedeutung der Hand ist groß. Der Körperteil bzw. das Lexem „Hand“ erwirbt so insgesamt ein Repertoire an Bedeutung, das über die Körperteilbezeichnung hinaus das Bedeutungspotential der Gesten einschließt; die (Wort-)Bedeutung wird so über das Konkrete hinausgeführt.

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Bedeutungs-Aspekt: Funktionale Bedeutung der Hand

Nun gibt es bei „Hand“ eine ganze Menge von Belegen, die weit über die konkret körperliche oder die gestische Bedeutung hinausgehen: Ps 22,17.21 Denn Hunde haben mich umgeben, eine Rotte der Bösen hat mich umringt [...] 21 Errette mein Leben vor dem Schwert, mein Einziges aus der (Hand des Hundes =) aus der Hunde Gewalt (Hundegewalt?)!

Schon in semantischer Hinsicht bereitet diese Stelle Schwierigkeiten, denn genau genommen haben Hunde keine Hände. Leider besitzt das Hebräische aber auch kein Wort für Hundepfoten. Aber natürlich ist hier nicht gemeint, dass der Beter körperlich von Hundepfoten eingeschlossen ist, sondern er ist in der Gewalt, in der Macht der Hunde, der Bösen, die schon in V.17 genannt werden. Beim Körperteil Hand ist das Machtausüben die am häufigsten vorkommende funktionale Körperaussage. Ri 6,1 Und als die Israeliten taten, was Jahwe missfiel, gab sie Jahwe in die Hand der Midianiter sieben Jahre.

Die Bedeutung „Macht ausüben“ kann in eindrücklicher Weise mit anderen funktionalen Körperteilbedeutungen kombiniert werden: im Ausdruck „die Hand der Zunge“ Prov 18,21 ist sicher nicht eine Personifizierung bzw. Anthropomorphisierung der Zunge gemeint, sondern die „Macht der Zunge“ (Tod und Leben stehen in der Zunge Macht [...]) bzw. die „Macht der Rede“. Ähnlich ist die funktionale Bedeutung von Hand (Pl.) in Jos 8,20 sehr weit weg von einer konkret körperlichen Bedeutung: Jos 8,20 Und die Männer von Ai wandten sich um und sahen hinter sich und sahen den Rauch der Stadt aufsteigen gen Himmel und es gab für sie keine „Hände“ zum fliehen, hierhin und dorthin [...].

Gemeint ist hier sicher nicht das Körperteil Hand, auch keine Geste, sondern die abstrakt-funktionale Bedeutung „Handlungsmöglichkeit“ oder „Kraft“.21

21 Vgl. H.W. Wolff, Anthropologie, 108–109. © 2016, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783788730628 — ISBN E-Book: 9783788730635

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Die Gestalt Gottes und der Mensch im Alten Testament

2.2.4

Synthetisches Bedeutungsspektrum

Mit Blick auf das Verhältnis von körperlicher (2.2.1), gestischer (2.2.2) und funktionaler (2.2.3) Bedeutung haben wir es nicht mit klar abgrenzbaren Bedeutungsbereichen zu tun, sondern mit gut zu verstehenden Einzelfällen einerseits, unklaren Belegen und Überschneidungsbereichen andererseits. Die Bedeutung von yd umfasst die Bandbreite vom Körperlichen über das Gestische bis zum Abstrakt-Funktionalen – und das mit Übergangszonen. Es ist daher am sinnvollsten, von einem Bedeutungsspektrum zu sprechen: Tabelle 1: Bedeutungsspektrum von yd Konkrete Körperteilbedeutung

Übergangsbereich

Gestische Bedeutung

Übergangsbereich

Prov 26,15 Der Faule steckt seine Hand in die Schüssel

Gen 48,13 (konkret oder gestisch?)

Ps 44,21 „Hände zum Gebet erheben“

Ex 14,21 (gestisch oder funktional?)

Abstraktfunktionale Bedeutung Jes 55,12 Macht der Zunge

Was hier exemplarisch am Bsp. von „Hand“ gezeigt wurde, gilt ebenso für die meisten Körperteile im Hebräischen. Ist also im Hebräischen ein Körperteil genannt, muss die jeweils dominante Bedeutung aus seinem „synthetischen Bedeutungsspektrum“ im entsprechenden Kontext bestimmt werden. Eine mechanische Übersetzung und immergleiche Wiedergabe eines hebräischen Körperlexems ist nicht möglich, wenn man den je kontextuell verschiedenen Sinn wiedergeben will. Angeleitet von solchen Grunderkenntnissen können nun alle Teile des Körpers nach konkreter, gestischer und funktionaler Bedeutung befragt werden. 2.2.5

Weitere Beobachtungen

Hier ist noch ein zweites Feld anzuschließen, um Einblick in das Funktionieren von hebräischen Körperausdrücken zu erhalten. Vielen Auslegenden ist in der Vergangenheit aufgefallen, dass sich gerade in poetischer Sprache im AT häufig Vergleiche mit Körperteilen finden, die unser Verständnis an die Grenze führen. Die Schwierigkeiten bestanden in der Hauptsache deswegen, weil europäischneuzeitliche Ausleger intuitiv ihr Körperverständnis und davon abhängige Deuteschemata in die Interpretation solcher Belege eingeb© 2016, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783788730628 — ISBN E-Book: 9783788730635

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racht haben. Weil neuzeitliche Sprachformung darauf trainiert ist, das Konkret-Anschauliche vom Abstrakt-Funktionalen zu trennen, und diese Trennung auch ganz stark durch Verwendung unterschiedlicher Lexeme/Wörter – Konkreta einerseits, Abstrakta andererseits – markiert wird, waren bestimmte Verwendungen von Körperlexemen und etliche mit Körperlexemen konstruierte Bilder schwer zu verstehen, wie die folgenden Beispiele zeigen: Cant 4,4 (Beschreibung der Frau) wie der Davidsturm ist dein Hals. Cant 7,5 Deine Nase ist wie der Libanonturm, der gegen Damaskus späht. Cant 8,10 Ich bin eine Mauer und meine Brüste sind wie Türme.

Mit einer konkret körperlichen, formbezogenen Deutung der Vergleiche etwa von Nase und Turm kommt man hier nicht sehr weit.22 Was wäre auch das Ziel eines Vergleichs zwischen der Form des Turms und der Form des Halses, der Nase oder der Brüste? Bei diesen Beispielen steht wie ganz häufig im Alten Testament nicht der Formbezug, sondern die gestisch-funktionale Bedeutung im Vordergrund: Die Nase ist erhoben und drückt eine stolze Haltung aus, die Brüste sind zur Abwehr nach vorn gestreckt und nehmen dieselbe Abwehrfunktion ein wie ein Turm in einer Stadtmauer, auch der Hals ist stolz gereckt wie ein Turm. Hals (im Deutschen ein Konkretum) und Stolz (im Deutschen ein Abstraktum) können im Extremfall wie in Ps 75,6 völlig synonym verwendet werden („redet nicht mit Hals“ = Stolz Überhebliches). Die gestisch-funktionale Bedeutung der Körperlexeme ist hier verwoben in einem sprachlichen Bild oder mit einem Vergleich, bei dem es eben auf die Erfassung der abstrakt-funktionalen Seite des Körperlexemes ankommt. 2.2.6 Man kann nun eine ganze Liste von funktionalen Bedeutungen der Körperteile zusammenstellen, eine Art „Körpergrammatik“, die das Verstehen entsprechender Wendungen in alttestamentlichen Texten wesentlich erleichtert:

22 Vgl. bes. Keel, Deine Blicke sind Tauben, und die ausführlichere Diskussion dieser Beispiele in Wagner, Andreas, Gottes Körper. Zur alttestamentlichen Vorstellung der Menschengestaltigkeit Gottes, Gütersloh 2010, 85–94. © 2016, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783788730628 — ISBN E-Book: 9783788730635

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Die Gestalt Gottes und der Mensch im Alten Testament Tabelle 2: Körperteile mit Funktionsbedeutung (Auswahl) Körperbegriff

Bsp.

pānîm Gesicht/ Antlitz

1Kön 21,4

yād Hand

Ri 7,2

‘ayin Auge

Ps 54,9

rō’š Kopf

Gen 49,26

pæh Mund

Prov 15,2

’af Nase

Ez 38,18

rægæl Fuß

1Sam 23,22

’ō zæn Ohr

Spr 18,15

Übersetzung (mit Stellvertreterformulierung) er (Ahab) legte sich auf sein Bett, wandte sein Antlitz ab (= er wandte sich ab) und wollte nicht Speise essen. meine Hand hat mir geholfen (= ich habe mir selbst geholfen, es stand in meiner Macht, mir zu helfen) mein Auge sieht meine Feinde (= ich sehe meine Feinde)

Belege

zielt auf ...

2127

mimische Kommunikationsfähigkeit/Zugewandtheit Handlungsmöglichkeit / Mächtigkeit

die Segnungen deines Vaters [...] – mögen sie kommen auf das Haupt Josefs [...] (= mögen sie kommen auf Josef) der Weisen Zunge bringt gute Erkenntnis hervor; der Toren Mund sprudelt nur Narrheit (= die Toren sprudeln nur Narrheit) wenn Gog kommen wird über das Land Israels, spricht Gott der Herr, wird mein Zorn in meiner Nase aufsteigen (= in mir aufsteigen) geht nun und gebt weiter Acht, wisst und seht, an welchem Ort sein Fuß weilt (an welchem Ort er weilt) und wer ihn dort gesehen hat ein verständiges Herz erwirbt Einsicht, und das Ohr der Weisen sucht Erkenntnis (= die Weisen suchen Erkenntnis)

596

618

866

(optischvisuelle) Erkenntnisfähigkeit/ Kommunikationsfähigkeit Personhaftigkeit [Individualität (?)]

500

Sprache/ Kommunikationsfähigkeit

277

...Wut/ Ausdruckskraft/ Kommunikationsfäigkeit

247

...Macht/ Präsenz

187

...(akustische) Erkenntnisfähigkeit/ Kommunikationsfähigkeit

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śāfāh Lippe(n)

Spr 15,7

zerôa‘ Arm

Ez 30,21

die Lippen des Weisen 176 breiten Einsicht aus (= der Weise breitet Einsicht aus) ich habe den Arm des 93 Pharao, des Königs von Ägypten, zerbrochen (= ich habe den Pharao vernichtet)

...Sprache/ Kommunikationsfähigkeit ...Handlungsmöglichkeit/ Mächtigkeit

In Tabelle 2 aufgelistet sind die Begriffe, die im AT mehr als hundert Mal bzw. bei „Arm“ fast hundert Mal vorkommen. Zudem habe ich mich hier auf die im wörtlichen Sinne auch als Anthropomorphismen in Frage kommenden Körperlexeme beschränkt, die alle die „sichtbare Gestalt“ betreffen. Die Liste ließe sich ebenfalls fortsetzen mit Lexemen, die das Körperinnere betreffen. Inwieweit sich die Liste fortsetzen ließe mit weniger häufig vorkommenden Körper-Lexemen, ist eine weitere wichtige Frage. Werden alle Körperteile auch mit funktionaler Bedeutung „belegt“? Auch die Körperteile, die nur sehr selten vorkommen? Ohne dies an dieser Stelle ausführlicher darlegen zu können, ist hier die Einschätzung anzuführen, dass im AT die Anwendbarkeit funktionaler Bedeutung mit geringerer Verwendungshäufigkeit abnimmt. Neben den häufig genannten Körperlexemen (s.o. Tabelle 2) gibt es sehr viele Körperwörter, die nur wenig häufig vorkommen (vgl. etwa u. in Tabelle 3). Diese selten(er) vorkommenden Körperwörter betreffen semantisch gesehen in der Regel kleinere Körperteile (Daumennagel etc.) oder Unterabschnitte von Körperteilen (Ellbogen o.ä.), die (möglicherweise) wenig(er) Anhalt für gestische und/oder funktionale Bedeutungen geben. U. Steinert stellt einen ähnlichen Sachverhalt im Akkadischen fest und erklärt den Sachverhalt mit Salienz: Nicht alle Körperteile haben den gleichen Auffälligkeitswert, es gibt unwichtigere Körperteile, die entsprechend weniger oder nicht funktional gebraucht werden und die sich dadurch von den „auffälligeren“ unterscheiden.23

23 Vgl. Steinert, Ulrike, Synthetische Körperauffassungen in akkadischen Keilschrifttexten und mesopotamische Götterkonzepte, in: Müller/Wagner, Synthetische Körperauffassung im Hebräischen und den Sprachen der Nachbarkulturen, 73–106, hier 79. © 2016, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783788730628 — ISBN E-Book: 9783788730635

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2.3. Inwiefern sind diese bisher thematisierten Eigenarten nun semitische Eigenarten oder hebräische Eigenarten? 2.3.1

Problemstellung

Der Anspruch von Wolff war ja nun nicht nur, die grundlegenden Charakteristika des alttestamentlichen Körperverständnisses zu beschreiben, sondern sie auch als Ausdruck eines semitischen Denkens zu verstehen. Bei Wolff hat es den Anschein, als habe er mit der Aufdeckung der synthetischen Dimension bei Körperlexemen ein Stück Eigenart des semitischen Denkens offenlegen können. Diesen Anspruch Wolffs muss man nun allerdings auf dem Stand der heutigen Diskussion noch einmal prüfen und neu akzentuieren. 2.3.2. Kulturelle Prägungen bei den Körperteilbenennungen und der Verbindung von Körperteil und Funktion Unbestritten gibt es kulturelle/sprachliche Unterschiede bei der semantischen Bezeichnungsleistung von Körperlexemen: Schon lange hält die hebräische Lexikographie fest, dass hebr. rægæl sowohl „Fuß“ als auch „Bein“ bedeuten kann. Andere Sprachen (z.B. das Standarddeutsche) teilen die Beziehungsmöglichkeiten von Körperteil und bezeichnendem Wort anders auf und prägen für Fuß und Bein jeweils eigene Lexeme aus. Ebenso altbekannt ist die Tatsache, dass im Hebräischen Körperteile mit anderen Funktionen verbunden werden als etwa im Deutschen. Das Herz ist im Hebräischen nicht zuletzt das Organ der Rationalität.24 Insofern kann hier festgehalten werden, dass hinsichtlich der sprachlichen Beziehung von Körperteilen und Körperteillexemen sowie hinsichtlich der Verbindung von Körperteil und Funktion kulturelle Eigenarten bestehen. Eine genaue Untersuchung des Wortfeldes kann hier bei einer einzelsprachlichen Analyse weiterhelfen. 2.3.3 Kulturelle Prägung der Gesten Wenn nun ein Körperteil in Form eines Lexems versprachlicht wird und in einem Text mit dem betreffenden Körperteil eine Geste o.ä. beschrieben wird, so tritt die gestische Bedeutung im Bedeutungsspektrum zur lexikalisch-semantischen Bedeutung des Körperteils 24 Vgl. Schroer/Staubli, Die Körpersymbolik der Bibel, 33–44. © 2016, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783788730628 — ISBN E-Book: 9783788730635

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hinzu; oben waren dafür etliche Beispiele genannt. Gesten sind nun durchaus nicht universal. Auch im Hebräischen finden sich schnell Beispiele, die man aus einem europäisch-neuzeitlichen Kontext anders deuten würde (Klatschen als Begleitung von Kampf und Schwert, vgl. Ez 21,19.2225) oder nicht ohne weiteres versteht (Schwören mit der Hand am Geschlecht des Schwurpartners26). Das stimmt überein mit der allgemeinen Auffassung der Forschungen zu Gestik und Mimik, die kulturelle Ausprägungen betont.27 2.3.4 Ist das synthetische Bedeutungsspektrum Ausdruck semitischen Denkens? Insofern die kulturspezifischen Körperteilbenennungen und Funktions- zuweisungen (2.3.2) und die kulturspezifischen Gesten (2.3.3) im Bedeutungsspektrum eingeschlossen sind, liegt bei einem jeden synthetischen Bedeutungsspektrum eine kulturelle Prägung vor. Identische Bedeutungsspektren von Körperteilen bzw. Körperteillexemen aus unterschiedlichen Sprachen/Kulturen dürfte es kaum geben. Es ist aber auch zu fragen, ob das synthetische Prinzip selbst eine semitische Eigenart darstellt.28 Hier kann nun doch wesentlich mehr als zu Wolffs Zeiten gesagt werden. Wie in der Publikation Synthetische Körperauffassung im Hebräischen und den Sprachen der Nachbarkulturen29 herausgearbeitet, kann man zunächst die zum Hebräischen benachbarten Sprachen daraufhin befragen, ob sich die Phänomene, die in der alttestamentlichen Anthropologie unter dem Stichwort „Synthetische Bedeutung“ bzw. „Synthetisches Bedeutungsspektrum bei Körperteillexemen“ zusammengefasst werden, dort ebenso finden. Die wenig überraschende Antwort ist nun, dass – analog zum biblischen wie dem au25 Ebd., 124. 26 Ebd., 127. 27 Vgl. Bremmer, Jan / Roodenburg, Herman (Hg.), A Cultural History of Gesture. From Antiquity to the Present Day, Cambridge 21994; Müller, C., Redebegleitende Gesten. Kulturgeschichte, Theorie, Sprachvergleich; Heringer, Hans Jürgen, Interkulturelle Kommunikation. Grundlagen und Konzepte, Tübingen 42014. 28 Zuweilen wird Wolff auch unterstellt, er habe gesagt, das Körperverständnis des Hebräischen sei durch Stereometrie geprägt; auf diesen Aspekt der Problematik bei Wolff kann ich hier nicht eingehen, vgl. dazu: Müller, K. / Wagner, A., Das Konzept der synthetischen Körperauffassung in der Diskussion, S. 83–101in diesem Band [Erstveröffentlichung in: Müller/Wagner, Synthetische Körperauffassung im Hebräischen und den Sprachen der Nachbarkulturen, 223–238], bes. 86ff.. 29 Müller/Wagner, Synthetische Körperauffassung im Hebräischen und den Sprachen der Nachbarkulturen. © 2016, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783788730628 — ISBN E-Book: 9783788730635

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ßerbiblischen Hebräischen – nicht nur die benachbarten und/bzw. eng verwandten semitischen Sprachen wie das Aramäische und Ugaritische dieses Phänomen aufweisen, sondern auch das Akkadische und Arabische. Das Phänomen findet sich aber auch im hamito-semitischen Ägyptischen wie im indogermanischen Hethitischen und Griechischen. Also ist schon angesichts der Alten Sprachen das synthetische Prinzip sicher kein Proprium des Hebräischen oder Semitischen. Die Studien des genannten Bandes greifen z.T. auf Forschungsergebnisse der neueren (bes. kognitiven) Linguistik zurück, die davon ausgehen, dass das, was Wolff unter „Synthetischem Denken“ beschreibt, ein eher universales Grundprinzip der Sprachen ist. Da der Körper bei allen Sprachenbildungen und Weiterentwicklungen eine bedeutende Rolle spielt, ist das auch nicht verwunderlich. Die Benennung der Phänomene ist teils anders, oft wird von Metonymie und Meronymie oder von einer bestimmten Art von Metaphorik u.ä. geredet, aber das Prinzip, dass es konkrete Körperteilbedeutung und davon abgeleitete (irgendwie funktionale) Bedeutung gibt, kommt in nahezu allen Sprachen vor. Nicht zuletzt zeigt dies die Tatsache, dass wir sehr viele Wendungen aus dem biblischen Hebräisch ohne weiteres ins Deutsche übersetzen und verstehen können. Kulturelle Unterschiede (etwa zwischen dem Deutschen und dem Hebräischen) beobachten wir da, wo die Ausdrucksweise einer Sprache über Körperphänomene insgesamt einbezogen wird. Unterschiede in sprachlich struktureller oder metaphorischer oder textlicher Hinsicht dienen als Quelle für die Erhebung der Andersartigkeit von Körperauffassungen. Zum einen kann dabei die metaphorische Struktur eine Rolle spielen (etwa bei der Untersuchung des Verhältnisses zwischen Emotionen und Körper).30 Zum anderen sind in struktureller Hinsicht u.a. der Wortschatz und der Gebrauch von Körperwörtern aufschlussreich. So ist etwa die Betrachtung von Körperlexemen und bedeutungsähnlichen Abstrakta interessant: Abstrakta benennen dieselben Funktionen und Gesten, die auch mit der funktionalen Verwendung von 30 Die metaphorische Struktur habe ich am ausführlichsten untersucht im Bereich der Emotionen. Die bisherigen Ergebnisse weisen darauf hin, dass das Hebräische im Körper nicht den Behälter für Emotionen sieht, wie das in andern Sprachen/Kulturen vor allem der griechisch-abendländischen Tradition der Fall ist; vgl. Wagner, A., Emotionen, Gefühle und Sprache im Alten Testament. Vier Studien. (KUSATU 7) Kamen 22011; ders., Emotionen in alttestamentlicher und verwandter Literatur – Grundüberlegungen am Beispiel des Zorns, in: Egger-Wenzel, Renate / Corley, Jeremy (Hg.), Emotions from Ben Sira to Paul (Deuterocanonical and Cognate Literature. Yearbook 2011), Berlin/Boston 2012, 27–68. © 2016, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783788730628 — ISBN E-Book: 9783788730635

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Körperwörtern ausgedrückt werden kann. Es ist nun eine interessante Frage, wann eine Kultur/Sprache Körperlexeme einsetzt, wann Abstrakta gebraucht werden, wie das Mengenverhältnis beider ist u.ä. Im AT z.B. ist nach der Verwendung von Hand (Körperwort) im (funktionalen) Sinne von Macht einerseits, nach der Verwendung von abstrakten Lexemen zu Macht (etwa mšl oder śrr, beides „herrschen“/ „Macht haben“ und deren nominale Derivate u.ä.) andererseits zu fragen. Bezüglich dieser Frage ist nun festzustellen, dass schon im Vergleich zwischen dem Hebräischen und dem Arabischen das Arabische eine deutliche Tendenz darin aufzeigt, die funktionalen Körperausdrücke zugunsten der Verwendung von Abstrakta zurückzudrängen.31 Das Hineinhorchen in die gegenwärtige Welt einer Sprache wie dem Deutschen zeigt ebenso schnell, dass sich der Wortschatz im Deutschen enorm ausdifferenziert hat und der Gebrauch von Abstrakta im Vergleich zum Hebräischen stark im Vordergrund steht. Kommen im heutigen Deutschen konkrete Körperwörter für funktionale Aussagen (meine Hand hat dir geholfen im Sinne von ich war dir hilfreich) zum Einsatz, klingt das häufig nach Stileffekt und evoziert Bibeldeutsch oder Indianersprache à la Karl May. Auch haften den konkreten Körperlexemen andere Konnotationen an als den Abstrakta. So verlieren etwa abstrakt-funktional gebrauchte Körperlexeme nie vollständig den Bezug zum Körperlichen. Nicht zuletzt die eben genannten Unterschiede der Konkreta und Abstrakta spielen bei der Frage nach der Bedeutung von Gottes Körper eine besondere Rolle, darauf wird in Abschnitt 3 zurückzukommen sein.

31 Vgl. Kropp, Manfred: „ … und sagen: ‚Er ist ein Ohr!‘ Sprich: ‚Ein Ohr zum Guten für Euch!‘“ (Q 9,61). Synthetische Körperauffassung im Koran? Über einige Körper(teil)bezeichnungen und ihre Bedeutungen. Ein Versuch unter teilweiser Einbeziehung der altarabischen Poesie, in: Müller/Wagner, Synthetische Körperauffassung im Hebräischen und den Sprachen der Nachbarkulturen, 185–222: Auffällig sei, dass im Arabischen anders als im Althebräischen „in statistisch relevanter Häufigkeit abstrakte Handlungsnomina“ (a.a.O. 191) bevorzugt würden und teilweise auch Körperteil und Funktion nebeneinander genannt würden. © 2016, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783788730628 — ISBN E-Book: 9783788730635

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3.

Gottes Körper32

3.1 Entsprechungen zwischen Gotteskörper und Menschenkörper, der Befund im gesamten AT Nach dem in Abschnitt 2 ausgeführten Grundgedanken über die kulturelle Geprägtheit von Körperkonzepten und nachdem einige Konturen des hebräischen Körperkonzepts erläutert wurden, ist eigentlich schon klar, dass diese Konturen nicht für die Beschreibung des menschlichen Körpers alleine gelten können, sondern auch für das Verstehen des göttlichen Körpers herangezogen werden müssen. Der Körper Gottes ist ebenso eine kulturelle Konstruktion wie der menschliche Körper, beide Konstruktionen sind dabei interdependent. Einige der Entdeckungen, die am menschlichen Körper gemacht worden sind, müssen daher bei den Körpergegebenheiten Gottes nicht nochmals aufgedeckt werden, etwa die Zuordnung von bestimmten Körperteilen und entsprechenden Funktionen: Auch bei Gott verbindet sich die Hand mit Handeln und Machtausüben, nicht nur der Mensch denkt im AT mit dem Herzen, auch Gott, u.ä.33 Eine Betrachtung von Gottes Körper im AT setzt zunächst einmal eine Bestandsaufnahme voraus. Bei dem Erheben der Belegstellen bin ich davon ausgegangen, nur „wirkliche“ oder „direkte“ Anthropomorphismen aufzunehmen.34 Vergleiche, die durch die hebräische Vergleichspartikel k („wie“) oder ähnliche explizite sprachliche Vergleichs-Mechanismen gekennzeichnet sind, habe ich außen vor gelassen. Vergleiche funktionieren anders als direkte Anthropomorphismen. Der Blick sollte sich nun zunächst auf den Bestand der Körperlexeme und Anthropomorphismen in Form von einigen Listen richten: Tabelle 3: Gesamtbestand der Körperlexeme zu sichtbaren Körperteilen ’aṣṣîl Achsel kātēf Achsel/Schulter ’ æzrôa‘ Arm zerôa‘ Arm

bat ‘ayin Augapfel bāvat ‘ayin Augapfel ‘ayin Auge ‘af‘appayim Augen (lit.)

gav Augenbraue ḥōr Augenhöhle šemūrah Augenlid

32 Die Darstellung der Sachverhalte in Abschn. 3 orientiert sich an Wagner, Gottes Körper, 101–158, insbesondere die Tabellen sowie Abschnitte 3.2 und 3.3 wurden von dorther übernommen, allerdings mit neuerer Literatur überarbeitet und aktualisiert. 33 Vgl. Wagner, Gottes Körper, 138–153. 34 Zu direkten Anthropomorphismen vgl. Wagner, Gottes Körper, 19–20. © 2016, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783788730628 — ISBN E-Book: 9783788730635

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‘af‘appaym Augenwimpern/-lider mar’æh Aussehen leḥî Backe/Kinn yāḥēf Barfüßigkeit zāqān Bart bæṭæn Bauch gāḥôn Bauch ḥōmæš Bauch kārēś Bauch qēvāh Bauch qæræv Bauchhöhle śe‘ār Behaarung šoq Bein/Schenkel ‘ōfæl Beule yabbælæt Bläschen yerāqôn Blässe qālôn Blöße/Scham ḥāzæh Brust šad Brust bæṭæn Brust gav Buckel/Rücken ḥēq Busen (oft im Sinne von „in den Armen“) ḥō v Busen ḥōṣæn Busen behôn Daumen bohæn yād Daumen ’ammāh Elle ‘ærwāh Entblößung ‘āqēv Ferse lāšād Fett pîmāh Fett šæmæn Fett temûnāh Figur ’ æṣba‘ Finger qōṭæn kleiner Finger ṣippræn Fingernagel yerēkāh Flanke bāśār Fleisch śe’ēr Fleisch rægæl Fuß/Bein kaf rægæl Fußsohle

ḥēkh Gaumen malqôaḥ Gaumen ræsæn Gebiss aṣîl, [’ārbāh] Gelenk mafræqæt Genick qēvāh Genitalien šēt Gesäß ‘ō fæl Geschwulst teḥōrîm Geschwülste māzō r Geschwür šeḥîn Geschwür ’ava‘bū‘ōt Geschwüre pānîm Gesicht hôd Gesichtsfarbe, blühende gizerāh Gestalt demût Gestalt mar’æh Gestalt ‘ayin Gestalt ṣûrāh Gestalt ṣîr Gestalt qæṣæv Gestalt tō’ar Gestalt temûnāh Gestalt qårḥāh Glatze qāraḥat Glatze [bad], bāśār Glied, männl. / Penis yeṣūrîm Glieder gargerôt Gurgel śē‘ār Haar śē‘arāh Haar śêyvāh graues Haar qådqôd śē‘ār Haarscheitel gargerôt Hals gārôn Hals/Kehle ṣawwā’r Hals yād Hand ’æṣbā‘ot Hand ṭæfaḥ flache Hand / Handbreite kaf hohle Hand / Handfläche

ḥōfæn hohle Hand šō‘al hohle Hand ṭōfaḥ Handbreite ’aṣṣîlêy yādayim Hand gelenke rō’š Haupt/Kopf dallāh Haupthaar pæra‘ Haupthaar bāśār Haut gælæd Haut ‘ôr Haut bōhaq Hautausschlag bahæræt Hautflecken ’æšækh Hoden yārēkh Hüfte ḥalāṣayim Hüften måtnayim Hüften nāšæh Hüftgegend gibbēaḥ Kahlkopf qērēaḥ Kahlkopf næfæš Kehle/Hals leḥî Kinnlade bærækh Knie se‘ippîm Kniekehlen qarsōl Knöchel ’åfsaym Knöchel (pl.) gæræm Knochen/ Gebein ‘æṣæm Knochen/ Gebein ‘ōṣæm Knochen/ Gebein rō’š Kopf bāśār Körper gaf Körper ‘æṣæm Körper môtnaym Kreuz mûr’āh Kropf bæṭæn Leib bāśār Leib gewîyyāh Leib ḥælæṣ Lende yārēkh Lende kæsæl Lende

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Die Gestalt Gottes und der Mensch im Alten Testament śemō’l linke Seite śāfāh Lippe śāfām Lippenbart qewūṣṣôt Locken pānîm Miene pæh Mund ḥēkh Mund midbār Mund śāfāh Mund šad Mutterbrust ṭabbûr Nabel ‘ōræf Nacken ṣawwā’r Nacken šekhæm Nacken ṣārævæt Narbe ’af Nase ’appaym Nasenlöcher ’ōzæn Ohr bedal ’ōzæn Ohrzipfel tenukh ’ōzæn Ohrzipfel ’îšôn Pupille māqôr damîm Quelle des Monatsblutes yamîn rechte Seite/ rechte Hand

ṣēlā‘ Rippe gedûdāh Ritzwunde gav Rücken gaf Rücken ’āḥôr Rücken/Rückseite gulgōlæt Schädel bāśār männl. Scham navlût weibl. Scham pōt weibl. Scham mevûšîm Schamteile mā’ō r Schamteile qådqôd Scheitel šôq Schenkel raqqāh Schläfe pē’āh Schläfen ḥæræs Schorf mispaḥat Schorf sappaḥat Schorf mifšā‘āh Schrittgegend kātēf Schulter šekhæm Schulter kātēf Schulterblatt qānæh Schultergelenk gîd Sehne ’eṣæl Seite ṣad Seite

mēṣaḥ Stirn ṣîṣit Stirnhaar gizrāh Taille ḥōmæš Unterleib mē‘æh Unterleib kerā‘ayim Unterschenkel/ Wadenbein zerôa‘ Vorderarm ‘årlāh Vorhaut mappāl Wampe ḥabbûrāh Wunde māzôr Wunde maḥaṣ Wunde makkāh Wunde ‘aṣṣævæt Wunde pæṣa‘ Wunde šēn Zahn metale‘ôt Zähne maltā‘ôt Zähne ‘ôr šinnaym Zahnfleisch ’æṣba‘ raglaym Zehe bōhæn rægæl große Zehe ’ æṣba‘ Zeigefinger maḥlāfot Zöpfe lāšôn Zunge

Die voranstehende Liste zeigt, dass es ca. 200 distinkte Körper-Lexeme gibt.35 In einem ersten Schritt sollten nun die Körperteile betrachtet werden, die nie als direkte Anthropomorphismen vorkommen: Tabelle 4: Körperteile, die im Anthropomorphismus nicht vorkommen Kopfbereich:

Obere Extremitäten:

Leibesmitte:

Scheitel/Haarscheitel Schädel Glatze/Kahlkopf Stirn

Elle/Unterarm Achsel Schulter Schulterblatt

Brüste Busen Mutterbrust Brust

35 Ähnlich die Zählung bei Oelsner, Joachim, Benennung und Funktion der Körperteile im hebräischen Alten Testament. Diss. masch., Leipzig 1960. Übersetzungen teils unklar. © 2016, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783788730628 — ISBN E-Book: 9783788730635

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Augapfel Augenbraue Augenhöhle Ohrläppchen Schläfe Haare Graues Haar Haupthaar Stirnhaar Locken Zöpfe Gesichtsfarbe, blühende Bart Lippenbart Unterkiefer/Kinnlade Backe/Kinn Gaumen Zähne Gebiss Zahnfleisch Kropf Genick Gurgel

Schultergelenk Linke Seite / linke Hand Daumen Handbreite Hohle Hand Handgelenk Kleiner Finger

Rippe Bauch Wampe Fett Fleisch Nabel Taille Buckel Flanke Kreuz Unterleib

Lendenbereich: Lende Quelle des Monatsbluts Gesäß Hüfte Leisten Hüftgegend Schrittgegend Blöße/Scham Entblößung weibl. Scham Genitalien Schamteile Penis Hoden Vorhaut

Untere Extremitäten: Knie Kniekehlen Knochen/Gebein Schenkel Unterschenkel/Wadenbein Knöchel Fußsohle Gelenk Große Zehe Zehe

Sonstiges: Aussehen Beule Bläschen Blässe Barfüssigkeit Behaarung Figur Geschwülst Geschwür(e) Gestalt Haut Hautausschlag Hautflecken Körper Leib Narbe Ritzwunde Schorf Wunde

Die Auflistung lässt zunächst ein klares, aber auffälliges Auswahlprinzip erkennen: Es werden bei den direkten Anthropomorphismen keine geschlechtsbezogenen Körperteile gebraucht! Angesichts der Menge an Belegen ist dies außerordentlich signifikant und ganz © 2016, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783788730628 — ISBN E-Book: 9783788730635

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sicher kein Zufall. Ein erster Schluss liegt auf der Hand: Das AT vermeidet im Bereich der anthropomorphen (äußeren) Darstellung die Festlegung Jahwes auf ein Geschlecht.36 Nun zur Gegenprobe: Die nächste Liste bietet Körperteile, die im Anthropomorphismus des AT vorkommen:37 Tabelle 5: Körperteile, die im Anthropomorphismus des AT vorkommen Körperteile Gottes

Beleganzahl

Zentrale Körperteile: pānîm Gesicht ‘ayin Auge ’ō zæn Ohr ’af Nase pæh Mund næfæŝ Kehle, Hals zerôa‘ Arm yāmîn Rechte yād Hand rægæl Fuß, Bein

598 123 28 162 57 16 42 34 218 13

Weniger zentrale Körperteile: rō’ŝ Kopf ’æṣba‘ Finger qæræb Bauch(-höhle) lāŝôn Zunge ’ēṣæl Seite śāfāh Lippe šēn Zahn ’āḥôr Rücken, Rückseite ‘ō ræf Nacken ‘āqēv Ferse

3 3 1 1 1 3 1 1 1 1

36 Vgl. eine gleich lautende Deutung des Befundes bei: Baumann, Gerlinde, Das göttliche Geschlecht. JHWHs Körper und die Gender-Frage, in: Hedwig-JahnowForschungsprojekt (Hg.), Körperkonzepte im Ersten Testament, 220–250; dies., Die „Männlichkeit“ JHWHs. Ein Neuansatz im Deutungsrahmen altorientalischer Gottesvorstellungen, in: Crüsemann, Frank u.a. (Hg.), Dem Tod nicht glauben. Sozialgeschichte der Bibel. FS Luise Schottroff, Gütersloh 2004, 197–213; Maier, Christel, Körperliche und emotionale Aspekte JHWHs aus der Genderperspektive, in: Wagner, Andreas (Hg.), Göttliche Körper – göttliche Gefühle. Was leisten anthropomorphe und anthropopathische Götterkonzepte im Alten Orient und Alten Testament? (OBO 270), Fribourg und Göttingen 2014, 171–189. 37 Zählung nach THAT und eigener Konkordanzarbeit. © 2016, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783788730628 — ISBN E-Book: 9783788730635

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1 1 4

Aus der Auflistung der auf die äußere Gestalt bezogenen Anthropomorphismen lassen sich weitere Schlüsse ziehen: Auch im Bereich der Anthropomorphismen ist, ganz ähnlich, wie wir das bei den Körperteilen insgesamt im AT finden, eine Konzentration auf bestimmte Körperteile zu beobachten. Die gruppenweise Zuordnung zu häufigen Körperteilen, die alle eine klar erkennbare funktionale Bedeutung haben, und solchen, die weniger salient sind, entspricht wiederum den Beobachtungen bei den menschlichen Körperteilen (s.o. Abschn. 2.2.6). Im nächsten Abschnitt ist nun nach der Funktion dieser häufig vorkommenden Körperteile und ihrer Bedeutung für die Konturierung der Gott zugeschriebenen Funktionen zu fragen. 3.2

„Funktionen von Gottes Körper“

Wir müssen nun diese Beobachtungen über das Stichwort des synthetischen Bedeutungsspektrums mit den in Abschnitt 2 vorgetragenen Beobachtungen zu den menschlichen Körperteilen und ihrer gestischfunktionalen Bedeutung in Beziehung setzen. Eingedenk des für weite Teile des AT waltenden Nicht-Interesses an Körperformen und der häufigen gestisch-funktionalen Bedeutung von Körperlexemen sind die Körperaussagen im Anthropomorphismus häufig von ihrem Funktionalitätsaspekt her zu verstehen.38 Im Ganzen muss man daher zunächst festhalten, dass das Konzept vom Körper Gottes im AT nicht vorzugsweise oder gar ausschließlich dazu dient, ein visuell-optisches Bild zu entwerfen, sondern es wird in der Regel dazu gebraucht, um die mit Gott verbundenen, ihm wesentlich zugesprochenen Funktionen zum Ausdruck zu bringen. Ich will dies wiederum an einer Tabelle veranschaulichen und dabei die Funktionen gruppenweise ordnen:

38 Hier ist kein Raum, um dies ausführlich und im Einzelnen zu zeigen, vgl. dazu: Wagner, Gottes Körper, 138–158. © 2016, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783788730628 — ISBN E-Book: 9783788730635

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Die Gestalt Gottes und der Mensch im Alten Testament Tabelle 6: Funktionen des alttestamentlichen Anthropomorphismus Körperteile

pānîm Gesicht

‘ayin Auge ’ō zæn Ohr ’af Nase pæh Mund (Lippe) næfæš Kehle, Hals zerôa‘ Arm

yād Hand ( vgl. kap Handfläche) yāmîn Rechte rægæl Fuß

(gestische) funktional/abstrakte Bedeutung Beziehung herstellen, von Angesicht zu Angesicht kommunizieren Sehen Hören Zorn, zürnen

Sprechen Leben, lebendiges Gegenüber Macht und Präsenz ausüben, Handlungen ausführen Handeln (Arbeiten), Macht ausüben

Handeln (Arbeiten), Macht ausüben Macht und Präsenz ausüben

Funktionsbereich „Kommunikation“

Funktionsbereich „Handlung“

Kommunikation

Kommunikation ausüben Kommunikation ausüben Reaktionsmöglichkeit, Handlungsgrundlage Kommunikation ausüben Kommunikation ausüben Kommunikationsvoraussetzung Handlung

Handlung

Handlung Handlung

Wenn wir also jetzt den Anthropomorphismus von seinen zentralen Körperteilen und Funktionen her „lesen“, dann werden wir von der damit verbundenen Funktionalität gestoßen auf die Aspekte Kommunikation und Handlung. Gott ist gegenüber dem Menschen ein Macht ausübender und ein (in der Welt) handelnder Gott; ein Gott, der kommunikationsfähig ist wie ein Mensch, der daher als „Kommunikationspartner“ des Menschen erscheint. Beide Charakteristika zeigen: Der alttestamentliche Gott ist kein ferner, weltabgewandter Gott, sondern ein mit dem Menschen kommunizierender und in der Welt handelnder Gott. © 2016, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783788730628 — ISBN E-Book: 9783788730635

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Die Handlungs- und Kommunikationsfähigkeit ist dabei zwar der menschlichen vergleichbar, es gibt eine gemeinsame Schnittmenge; aber, wie viele Einzelaussagen zeigen, gehen die Fähigkeiten Gottes weit über die menschlichen Fähigkeiten zum Handeln und zur Kommunikation hinaus. Sie sind eben göttlich und nicht menschlich; die Gottheit Gottes bleibt dadurch gewahrt. Gott ist nicht Mensch (Hos 11,9 Denn ich bin Gott und nicht ein Mensch). Die Funktionen bleiben aber nun zuletzt über die Wirkbedingungen des synthetischen Bedeutungsspektrums rückgebunden an den Aspekt der Körperlichkeit. Ein völliges Loslösen in reine Funktionalität ist nicht möglich. Im Hebräischen bleibt der Ausgangspunkt für die körperhaft-anatomischen, für die gestischen wie auch alle funktionalen Bedeutungen das jeweils eine Körperlexem. Welcher der Aspekte aus dem Synthetischen Bedeutungsspektrum gerade dominant verwendet wird, wird über das sprachlich-sachliche Umfeld entschieden (Kotext, Kontext). Aber über die Präsenz des Lexems und die Verhaftung des Lexems im synthetischen Bedeutungsspektrum sind die weiteren Bedeutungsaspekte, die in anderen Ko-/Kontexten dominant sein können, als Möglichkeiten präsent und schwingen bei der Bedeutungskonstitution mit. Selbst eine abstrakt-funktionale Aussage bleibt über diese Eigenart mit den Körperaussagen verbunden. Dieser Körperbezug geht etwa ganz verloren, wenn in Übersetzungen anstelle der hebräischen Körperlexeme, auch wenn sie im jeweiligen Ko-/ Kontext funktional verwendet werden, Abstrakt-Nomina verwendet werden (statt hebr. yād „Hand“ im Sinne von „Macht“ z.B. dt. Macht; hier gibt es von Macht her kein Bedeutungsspektrum, das von einem Körperlexem ausginge). Gerade für die Frage nach dem Beitrag des Anthropomorphismus zur Gotteskonzeption ist das ein zentraler Punkt, denn wenn die Mechanismen zum synthetischen Bedeutungsspektrum richtig beschrieben sind, ist das hebräische Gottesbild letztlich nicht vollständig von einem Körperbezug zu lösen, selbst wenn man überwiegend oder sehr häufig die Körperlexeme von ihrer gestisch-funktionalen Seite her versteht.39 Diese Bezüge in einer Übersetzung zu lösen hiesse dann auch, ein anderes Gottesbild in die Übersetzung einzutragen!

39 Vgl. Müller, Katrin / Wagner, Andreas, Das Konzept der synthetischen Körperauffassung in der Diskussion, S. 83–101 in diesem Band [Erstveröffentlichung in: Müller/Wagner, Synthetische Körperauffassung im Hebräischen und den Sprachen der Nachbarkulturen, 223–238] hier 100f. © 2016, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783788730628 — ISBN E-Book: 9783788730635

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3.3 Kongruenzen zwischen Anthropomorphismus und textlichen Grundaussagen des AT Die Hervorhebung der beiden Aspekte Kommunikation und Handlung bringt einen Sachverhalt zum Ausdruck, der den inhaltlich-textlichen Aussagen des AT nicht unbekannt ist. Immer wieder wird Jahwe als Gott apostrophiert, der die Welt durch sein Handeln geschaffen hat, der Israel vom „Auszug aus Ägypten an“ durch die Geschichte führt (Pentateuch, Geschichtswerke), der aber auch dem Wort und dem Anliegen der Menschen zugänglich ist, wie es in vielen Psalmen ausgesprochen ist, der sich den Menschen aber auch im Wort der Propheten, der Schrift u.ä. mitteilt.40 Was ist aber nun die besondere Leistung der anthropomorphen Aussagen, wenn sie inhaltlich auf derselben Linie liegen wie viele textliche Aussagen? – Die besondere Leistung liegt in der Art der Thematisierung dieser theologischen Aussagen als anschauliches Bild. Die eben genannten zentralen Punkte des alttestamentlichen Gottesverständnisses werden eben nicht in dürren und abstrakten Sätzen vermittelt, sondern durch das „Körperbild“ Gottes, das eingebunden und verwoben ist in fast alle Texte des AT. Mit höchster Anschaulichkeit kann das „Bild“ in seinen Einzel- teilen immer wieder in das Bewusstsein der Hörer und Leser sickern, um dort zu wirken. Bilder, auch sprachliche, wirken dabei zuweilen stärker als Wortinhalte und abstrakte Gedanken. Die Anschaulichkeit und sprachbildliche Darstellweise ist unmittelbar verständlich, setzt – zumal vor dem Vorstellungshintergrund des AT/AO – keine weiteren Spezialkenntnisse voraus. Diese Aussagen über Gott schaffen daher sofort eine große Fasslichkeit, Vertrautheit und Nähe für jeden Menschen. Es entsteht so eine unmittelbare Beziehung zwischen Gott und jedem Menschen. Im Netz des Sprachbildes vom Körper Gottes, das von den alttestamentlichen Texten immer wieder ausgeworfen und das auch durch ihre Rezeptions- und Wirkungsgeschichte weiter entwickelt wird, bleibt Gott präsent, fassbar, tritt als Gegenüber des Menschen auf, ohne in einem materialen Kultbild festgelegt zu sein. Auffällig bleibt bei dieser Konstruktion, dass das äußere Körperbild auf Geschlechtsmerkmale verzichtet. Während beim Menschen geschlechtlich identifizierende Körperteile im AT häufig belegt sind, 40 Vgl. Michel, Diethelm, Einheit in der Vielfalt des Alten Testaments, in: ders., Studien zur Überlieferungsgeschichte alttestamentlicher Texte (ThB 93), Gütersloh 1997, 53–68, bes. 68; Fischer, Georg, Theologie des Alten Testaments (NSKAT 31), Stuttgart 2012, 252–273. © 2016, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783788730628 — ISBN E-Book: 9783788730635

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fehlen sie bei Gott. Dies gilt im Übrigen nicht nur für die häufig angewandten, zentralen Körperbegriffe, sondern für alle, die den äußern Körper betreffen. Das korrespondiert mit der Feststellung, dass auf Gott bei Vergleichen und Metaphern Bilder angewandt werden, die aus beiden Geschlechterbereichen stammen.41 Auch so kann die geschlechtliche Festlegung vermieden werden. So deutet sich an diesem Punkt eine weitere theologische Aussage an: Die alttestamentlichen Texte scheinen großes Interesse daran zu haben, dass der eine Gott nicht auf ein Geschlecht festgelegt werden kann und soll. Zum einen ist darin wieder die Bemühung zu sehen, die Gottheit Gottes nicht in Frage zu stellen. Bei aller Gleichartigkeit mit dem Menschen ist es ein zentraler Unterscheidungspunkt, dass Gott sich nicht so leicht auf ein Geschlecht festlegen lässt. Zum anderen sehe ich in dieser Tatsache einen gewissen inneren Motor für das Kultbildverbot. Denn nicht nur die Tatsache, dass sich der alttestamentliche geschichtsmächtige Schöpfer-Gott nicht in das Gefäß eines Kultbildes pressen lässt,42 dürfte die Schaffung von Kultbildern in der Spätzeit Israels verhindert haben; auch die Schwierigkeit, einen solchen, was das äußere Körperbild anbelangt, jenseits menschlicher Geschlechtlichkeit wirkenden Gott darstellen zu können, dürfte seinen Teil beigetragen haben. Nicht unterschätzt werden darf wohl auch der Anteil, den der Anthropomorphismus für die Auffassung von Gott als einem personalen Gegenüber des Menschen leistet. Auch wenn Gott nicht auf eine menschliche Person reduziert werden kann (etwa wegen der ausgesparten geschlechtlichen Festlegung), so hat er doch etwas Personhaftes. Er hat über seinen Eigennamen Jahwe, seine machtvollen und fürsorgenden Merkmale auch personhaft-individuelle Züge, die ihn von anderen Götterpersönlichkeiten unterscheiden, ohne dass die Individualität in eine Körperindividualität ausmünden würde. Und neben dem Menschenhaften bleibt eben noch anderes, wie theriomorphe Züge, die das Göttliche unterstreichen, weil sie über das Menschenvergleichbare hinausgehen. Wobei wiederum die theriomorphen Aspekte nicht die Form, sondern die Funktion in den Vorder-

41 Vgl. Preuß, Horst Dietrich, Theologie des Alten Testaments. Bd. 1 JHWHs erwählendes und verpflichtendes Handeln, Stuttgart [u.a.] 1991, 281–282; Maier, Körperliche und emotionale Aspekte JHWHs aus der Genderperspektive. 42 Vgl. Wagner, Andreas, Alttestamentlicher Monotheismus und seine Bindung an das Wort, in: Wagner, Andreas [u.a.] (Hg.) Gott im Wort – Gott im Bild. Bilderlosigkeit als Bedingung des Monotheismus? Neukirchen-Vluyn 22008, 1–22. © 2016, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783788730628 — ISBN E-Book: 9783788730635

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grund stellen.43 In das große, anschauliche mentale „Bild“ können diese letztgenannten Momente aber ebenfalls einfließen und präsent bleiben. So verstanden zielt der alttestamentliche Anthropomorphismus weder auf die bildliche Darstellung der Person Gottes, noch ist er der primitive Versuch, Gott zu vermenschlichen, sondern er entfaltet in höchst anschaulicher Weise Aussagen über Gott, die zu den zentralen Erfahrungen und Einsichten alttestamentlichen Glaubens gehören. Er ermöglicht es, die personhafte Zuwendung Gottes zum Menschen festzuhalten, ohne Gott seiner Gottheit zu berauben.

43 Vgl. Martin, Evelyne, Theriomorphismus im Alten Testament und im Alten Orient, in: Dies. (Hg.), Tiergestaltigkeit der Göttinnen und Götter zwischen Metapher und Symbol (BThS 129), Neukirchen-Vluyn 2012, 1–36. © 2016, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783788730628 — ISBN E-Book: 9783788730635

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Anhang

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339

Literatur

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Literatur

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Literatur

WOLFF, H. W., Dodekapropheton 2. Joel und Amos (BK XIV/2), Neukirchen-Vluyn 1969. WOLFF, H. W., Anthropologie des Alten Testaments. Mit zwei Anhängen neu herausgegeben von Bernd Janowski (KT 91), Gütersloh 2010 (München 11973). V. D. WOUDE, A. S., Art. ‫ יד‬jād Hand, in: THAT I (1984), 667–674. WULF, CHR. (Hg.), Vom Menschen. Handbuch historische Anthropologie, Weinheim/Basel 1997. WULF, CH., Anthropologie. Philosophie – Geschichte – Kultur (Rowohlts Enzyklopädie 55664), Reinbek 2004. WULF, CH. (Hg.), Fuß – Spuren des Menschen (Paragrana 21,1), Berlin 2012. WULF, CH., Das Rätsel des Humanen. eine Einführung in die historische Anthropologie, München 2013. WUNN, I., Die Entstehung der Götter, in: Wagner, A. (Hg.), Göttliche Körper – göttliche Gefühle. Was leisten anthropomorphe und anthropopathische Götterkonzepte im Alten Orient und im Alten Testament? (OBO 270), Göttingen 2014, 31–47. ZENGER, E., Art. „Priesterschrift“, in: TRE XXVII (1996), 435–446. ZENGER E. (u.a.), Einleitung in das Alte Testament (Studienbücher Theologie 1,1), Stuttgart (u. a.) 52004 (21995). ZEVIT, Z., The Religions of Ancient Israel. A Synthesis of Parallactic Approaches, London / New York 2001. ZIMMERLI, W., Grundriß der alttestamentlichen Theologie (ThW 3,1), Stuttgart (u.a.) 71999 (11972).

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Bibelstellen (Auswahl)

Altes Testament Genesis 1,1–2,4a 1,1ff. 1,3.4 1,26–31 1,26ff. 1,26 1,27 1,28 6,5–8 6,5 6,8 6,9–14 8,20f. 8,21ff. 12,13 12,20 14,22f. 14,22 17,20 24,1–4 24,1 24,50 33,10 40,13 48,13 48,14f. 48,14 49,26 Exodus 6,5

235.278 208 192.207 177–198 29.65.179– 183.199–214. 203 42.185.187. 198.203.206. 275f.279 187.204ff. 185 47 6 66.283 45 172 39 8.54.130 192 143 77.295 207 144 77.293 183 118.281 135 81.295 144 78.293 54.130.133. 297 207

6,6 6,8 10,9 14,21 15,4–6 15,16 20–23 20,2–17 21,22–27 25,30 29,18.25 30.21

207 193.207 185 78.81.295 148 121.282 234 117 110 192.207 172 131

Leviticus 11,1–47 11,44 19,2 24,12 24,17–22 26,31 26,27f.31

159f. 160 160 119.272 110 192 173

Numeri 21,28 33,52

56 183.277

Deuteronomium 2,24 79.145 4,11 25 4,25 234 5,6–21 117 6,5 18.58.271 12–26 234 79 14,28 17,1f. 234f. 17,3 234 19,16–24 110 22,18 111 23,25 23

25,12 28,65 32,40 33,27

110 58 77 141

Josua 8,20

80.145.294

Richter 1,5–7 110 3,10 27 6,1 296 7,2 30f.38.54.68. 124.130.145. 157.169.194. 293.299 9,13 168 16,29 73.292 1. Samuel 6,5–11 277 6,5 183 11,6 27 23,22 55.131. 297 30,12 26.158 2. Samuel 3,29 4,12 12,16 13,12 18,14 22,9 22,10

133 110 160 40 17 119.283 284

1. Könige 1,2 4,20 5,9

138 162 25

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344 21,4 21,5

Bibelstellen (Auswahl)

53.130.296 26

2. Könige 2,3 134 10,15f. 75.142.293 11,18 182.276 16,10f. 183.279 19,16 119.281 Jesaja 1,6 185 3,16–24 173f. 5,14 22 5,18–22 218 11,6–8 238 28,7f. 161 34,3 173 40,6f. 22 45,7 235 45,12 148 51,9 141 52,7 67f.124.194. 290f. 55,12 75.80f.295 58,3 160 59,17 118.281 62,8 282 63,1–6 268 281 65,5 66,1 119.282 Jeremia 1,13–16 2,1–4,4 4,5–6,30* 4,18 5,28 6,8 12,3 17,5 18,6 20,12 25,4–7 32,17 32,21 48,25 57,15

230f. 231 231 230 219 119.282 54.130 139 119.282 58 221 140 140.148 139 58

Ezechiel 1 261 2,8–3,3 163 7,20 277 23,18 282 75f.142f.293 25,6 30,21 55.138.297 36,7 77 38,18 54.131.297 Hosea 1,6f. 4,4–10. 11–15 7,15 11,1–9 11,9 12,2

172 221 220 268 309 26

Joel 2,18–20 4,12f.

172f. 211

Amos 1,3–2,16 4,10 5,1–17 5,4–5 5,4 5,14f. 5,15 6,1–6 6,3 7–9 9,3

220 173 228f. 221 228 219 228 160 219 221 119.281

Micha 2,1–2

217

Habakuk 2,9

219

Sacharja 3 14,12

237 22

Psalmen 2,7 3,4

265 135

8,5 8,8 16,9

39 185 17.19.28.57 60 22,8 134 22,17.21 79.145.294 28,26 27 30,10 54.130 33,6 282 38,17 31 44,21f. 143 44,21 76.81.147. 293.295 44,22 25 44,26 18.58 48,11 119.281 51,12 18.27f.58 51,19 19.60 54,9 54.130.297 57,12 183 60,9 281 63,2 17f. 72,8 183 73,21 30.58 73,23 145 75,9 282 77,7 54.130 84,3 17.19.57.60 88,10 31 89,11–14 148 89,11 140.282 89,12 183 89,14 140 92,12 31.32.36. 157.169 94,18 31.36.157. 169 104,14–15 162 105,18 22 113,5f. 183 115,4–8 171 119,83 149 119,120 18.54.130 121,3 56f. 121,4 256 139 191 139,16 112 139,23 25

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345

Bibelstellen (Auswahl)

Hiob 1–2 237.261 1,12 79 2,6 79.145 2,7 281 10,11 21 19,6–20 268 134 22,8 31,22 137 33,21 21 40,15–24 258 40,25–41,34 258 Proverbia 2,10f. 88 3,31 52 5,11 22 10,13 27 10,20 58 12,10 29 15,2 54.130.299 15,7 55.59.131.297 15,14 59 16,26 23 18,15 25.56.59. 131.297 18,21 80.125.145. 208.280 20,1 161 23,17 52f. 23,19–34 161 23,31–33 25 24,1 52 26,15 73.81.141. 292.295 29,11 27 Hoheslied 1,12 3,6 4,1–7 4,4 4,11 4,16 5,1 5,9–16 5,18 7,2–6

7,5 7,9 7,14 8,10 8,15

296 171 171 296 163

Kohelet 2,14 3,13 3,19ff.

133 163 29

Klagelieder 2,10 135 3,4 18.21.58 Esra 6,11–13 8,21 2. Chronik 7,15 23,17

171 160 281 182.276

Neues Testament 1. Korinther 12,12–31

110

171 171 109 296 171 171 162 109 163 109 © 2016, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783788730628 — ISBN E-Book: 9783788730635

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Bildnachweise

Abb. 1 (S. 39) Aus: O. KEEL / C. UEHLINGER, Götter, Göttinnen und Gottessymbole (QD 134), Freiburg u.a. 52001, Abb. 243; © Stiftung BIBEL+ORIENT, Fribourg/Schweiz Abb. 2 (S. 75) Aus: O. KEEL, Die Welt der altorientalischen Bildsymbolik und das Alte Testament. Am Beispiel der Psalmen, Göttingen 51996, Nr. 123 Abb. 3 (S. 76) Aus: O. KEEL / C. UEHLINGER, Götter, Göttinnen und Gottessymbole (QD 134), Freiburg u.a. 52001, Abb. 243; © Stiftung BIBEL+ORIENT, Fribourg/Schweiz Abb. 4 (S. 78) Aus: O. KEEL, Corpus der Stempelsiegel-Amulette aus Palästina/Israel. Von den Anfängen bis zur Perserzeit Einleitungsband (OBO.SA 25), Fribourg/Göttingen 1995, Nr. 470; © Stiftung BIBEL+ORIENT, Fribourg/Schweiz Abb. 5 (S. 115) Aus: O. KEEL / C. UEHLINGER, Götter, Göttinnen und Gottessymbole (QD 134), Freiburg u.a. 52001, Abb. 221; © Stiftung BIBEL+ORIENT, Fribourg/Schweiz Abb. 6 (S. 115) Aus: 1000-Bilder-Bibel; © Deutsche Bibelgesellschaft, Stuttgart Abb. 7 (S. 116) Aus: O. KEEL / C. UEHLINGER, Götter, Göttinnen und Gottessymbole (QD 134), Freiburg u.a. 52001, Abb. 360b; © Stiftung BIBEL+ORIENT, Fribourg/Schweiz Abb. 8 (S. 125) Aus: O. KEEL / C. UEHLINGER, Götter, Göttinnen und Gottessymbole (QD 134), Freiburg u.a. 52001, Abb. 243; © Stiftung BIBEL+ORIENT, Fribourg/Schweiz Abb. 9 (S. 126) Aus: O. KEEL / C. UEHLINGER, Götter, Göttinnen und Gottessymbole (QD 134), Freiburg u.a. 52001, Abb. 236; © Stiftung BIBEL+ORIENT, Fribourg/Schweiz Abb. 10 (S. 135) Aus: 1000-Bilder-Bibel; © Deutsche Bibelgesellschaft, Stuttgart © 2016, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783788730628 — ISBN E-Book: 9783788730635

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Bildnachweise

Abb. 11 (S. 135) Aus: 1000-Bilder-Bibel; © Deutsche Bibelgesellschaft, Stuttgart Abb. 12 (S. 137) Aus: 1000-Bilder-Bibel; © Deutsche Bibelgesellschaft, Stuttgart Abb. 13 (S. 138) Aus: O. KEEL / C. UEHLINGER, Götter, Göttinnen und Gottessymbole (QD 134), Freiburg u.a. 52001, Abb. 114a; © Stiftung BIBEL+ORIENT, Fribourg/Schweiz Abb. 14 (S. 142) Aus: ANEP, Nr. 821. Abb. 15 (S. 143) Aus: O. KEEL / C. UEHLINGER, Götter, Göttinnen und Gottessymbole (QD 134), Freiburg u.a. 52001, Abb. 243; © Stiftung BIBEL+ORIENT, Fribourg/Schweiz Abb. 16 (S. 144) Aus: O. KEEL, Corpus der Stempelsiegel-Amulette aus Palästina/Israel. Von den Anfängen bis zur Perserzeit. Einleitungsband (OBO.SA 25), Fribourg/Göttingen 1995, Nr. 470; © Stiftung BIBEL+ORIENT, Fribourg/Schweiz Abb. 17 (S. 146) Aus: O. KEEL / C. UEHLINGER, Götter, Göttinnen und Gottessymbole (QD 134), Freiburg u.a. 52001, Abb. 221; © Stiftung BIBEL+ORIENT, Fribourg/Schweiz Abb. 18 (S. 147) Aus: 1000-Bilder-Bibel; © Deutsche Bibelgesellschaft, Stuttgart Abb. 19 (S. 149) Frei. Quelle: https://commons.wikimedia.org/ wiki/File:Dura_Europos_fresco_Jews_ cross_Red_Sea.jpg

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Nachweis der Erstveröffentlichungen

Anthropologie(n) des Alten Testaments im 21. Jahrhundert A. Wagner / J. van Oorschot, Anthropologie(n) des Alten Testaments (Veröffentlichungen der Wissenschaftlichen Gesellschaft für Theologie 42), Leipzig 2015, 11–21

Wider die Reduktion des Lebendigen Über das Verhältnis der sog. anthropologischen Grundbegriffe und die Unmöglichkeit, mit ihnen die alttestamentliche Menschenvorstellung zu erfassen A. Wagner (Hg.), Anthropologische Aufbrüche. Alttestamentliche und interdisziplinäre Zugänge zur historischen Anthropologie (FRLANT 232), Göttingen 2009, 183–199

Mensch (AT) Das Wissenschaftliche Bibellexikon, Darmstadt 2006, http://www.bibelwissenschaft. de/stichwort/26893/

Das Menschenkonzept des Alten Testaments Erstveröffentlichung

Das synthetische Bedeutungsspektrum hebräischer Körperteilbezeichnungen BZ 51 (2007) 257–265.

Das Konzept der synthetischen Körperauffassung in der Diskussion (veröffentlicht zusammen mit Katrin Müller) K. Müller / A. Wagner (Hg.), Synthetische Körperauffassung im Hebräischen und den Sprachen der Nachbarkulturen (AOAT 416), Münster 2014, 223–238.

Körper (AT) Das wissenschaftliche Bibellexikon, Darmstadt 2013, http://www.bibelwissenschaft. de/stichwort/23856/

Körperteile Das wissenschaftliche Bibellexikon, Darmstadt 2013, http://www.bibelwissenschaft. de/stichwort/64672/ © 2016, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783788730628 — ISBN E-Book: 9783788730635

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Nachweis der Erstveröffentlichungen

Kopf (AT) Das wissenschaftliche Bibellexikon, Darmstadt 2007, http://www.bibelwissenschaft. de/stichwort/41419/.

Arm (AT) Das wissenschaftliche Bibellexikon, Darmstadt 2007, http://www.bibelwissenschaft. de/stichwort/41407/

Hand (AT) Das wissenschaftliche Bibellexikon, Darmstadt 2007, http://www.bibelwissenschaft. de/stichwort/40970/

Essen im Alten Testament – einige kulturanthropologische Überlegungen RozRazil 3/2007, 51–55

„Wie ein Duft von Myrrhe, Weihrauch und allerlei Gewürz“ Riechen, Duft und Gerüche im Alten Testament Kirche im ländlichen Raum 61.4 (2010) 4–10

Die Gottebenbildlichkeitsvorstellung der Priesterschrift zwischen Theomorphismus und Anthropomorphismus J. Luchsinger / H.-P. Mathys / M. Saur (Hg.), „… der seine Lust hat am Wort des Herrn“ (FS Ernst Jenni) (AOAT 336), Münster 2007, 344–363

Verkörpertes Herrschen Zum Gebrauch von „treten“/„herrschen“ in Gen 1,26–28 G. Etzelmüller / A. Weissenrieder (Hg.), Verkörperung als Paradigma theologischer Anthropologie (TBT 172), Berlin/Boston 2016, 127–141.

Das Böse im Gefüge prophetischer Anthropologie und Theologie JBTh 26 (2011) 29–53.

Menschenkörper – Gotteskörper A. Wagner (Hg.), Göttliche Körper – göttliche Gefühle. Was leisten anthropomorphe und anthropopathische Götterkonzepte im Alten Orient und im Alten Testament? (OBO 270), Göttingen 2014, 1–29

Der Mensch als ‚Bild‘ Gottes und das ‚Bild‘ Gottes im Alten Testament Rheinsprung 11. Zeitschrift für Bildkritik 1 (2011) 79–91

Die Gestalt Gottes und der Mensch im Alten Testament B. Janowski (Hg.), Dimensionen der Leiblichkeit. Theologische Zugänge (Theologie interdisziplinär 16), Neukirchen-Vluyn 2015, 46–68 © 2016, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783788730628 — ISBN E-Book: 9783788730635