Erwählungstheologie und Universalismus im Alten Testament

Table of contents :
INHALTSVERZEICHNIS
1. Das Problem
2. Untersuchung einiger grundlegender Stellen
3. Das universalistische nationale Erwählungsverständnis
4. Das prophetisch-nationale partikularistische Erwählungsverständnis
5. Das priesterlich-prophetische Erwählungsverständnis
6. Das Erwählungsverständnis der vorexilischen Propheten
7. Das eschatologische universalistische Erwählungsverständnis
8. Das partikularistische eschatologische Erwählungsverständnis
9. Die Überwindung der Erwählungstheologie durch Universalismus
10. Zusammenfassung und Schluss

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PETER ALTMANN ERWÄHLUNGSTHEOLOGIE UND UNIVERSALISMUS IM ALTEN T E S T A M E N T

PETER ALTMANN

ERWÄHLUNG S T H E O L O G I E UND UNIVERSALISMUS IM ALTEN T E S T A M E N T

1964

VERLAG ALFRED TÖPELMANN • BERLIN

B E I H E F T E ZUR Z E I T S C H R I F T FÜR D I E ALTTESTAMENTLICHE

WISSENSCHAFT

H E R A U S G E G E B E N VON G E O R G F O H R E R

92

© 1964 by Alfred Töpelmann, Berlin 30, Genthiner Straße 13 Alle Rechte, insbesondere das der Übersetzung in fremde Sprachen, vorbehalten. Ohne ausdrückliche Genehmigung des Verlages ist es auch nicht gestattet, dieses Buch oder Teile daraus auf photomechanischem Wege (Photokopie, Mikrokopie) zu vervielfältigen. Printed in Germany Satz und Druck: Walter de Gruyter & Co., Berlin 30 Archiv-Nr. 3822646

INHALTSVERZEICHNIS Seite

1. Das Problem

1

2. Untersuchung einiger grundlegender Stellen

5

3. Das universalistische nationale Erwählungsverständnis

. . .

9

4. Das prophetisch-nationale partikularistische Erwählungsverständnis 13 5. Das priesterlich-prophetische Erwählungsverständnis . . . . 6. Das Erwählungsverständnis der vorexilischen Propheten. .

18 .21

7. Das eschatologische universalistische Erwählungsverständnis 25 8. Das partikularistische eschatologische Erwählungsverständnis 27 9. Die Überwindung der Erwählungstheologie durch Universalismus 29 10. Zusammenfassung und Schluß

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1. DAS P R O B L E M Wer es unternimmt, die Beurteilung, die der Begriff der Erwählung Israels im Alten Testament in den verschiedenen Kommentaren, Monographien und Theologien des A T erfahren hat, zu untersuchen 1 , begegnet einer verwirrenden Fülle von Ansichten und Definitionen. E s gibt sicherlich nicht viele Probleme der alttestamentlichen Wissenschaft, die so unterschiedlich bewertet und zu lösen versucht wurden wie gerade die Frage nach der Bedeutung, der Abgrenzung und dem Inhalt des Erwählungsgedankens. Diese Situation scheint als Ursache folgende Fehler zu haben: a) Man trennt den Begriff der Erwählung zu wenig exakt von anderen, vielleicht ähnlichen Vorstellungen. So werden weitgehend Erwählungs- und Bundestheologie als identisch betrachtet und behandelt 2 . b) Man bindet die Erwählungsaussage an das Wort bahär und kommt so zu angreifbaren Ergebnissen und einer argen Verengung der alttestamentlichen Erwählungstheologie 3 . 1 Die vorliegende Untersuchung geht von den Ergebnissen meiner mit dem gleichen Titel versehenen Dissertation an der Evangelisch-theologischen Fakultät der Universität Wien aus (1961), stellt aber eine eigene neue Arbeit dar. 2 So verfährt vor allem E I C H R O D T in seiner Theologie des Alten Testaments (von Teil 1 wurde die 5. Auflage, 1957, von Teil 2 und 3 die 2. Auflage, 1948, verwendet; weiterhin zitiert unter Angabe des Teiles mit E I C H R O D T , Theologie). 3 So K Ö H L E R , Theologie des AT, 3. Auflage, 1953 (weiterhin zitiert mit K Ö H L E R , Theologie), S. 66 und vor allem V R I E Z E N , Die Erwählung Israels nach dem AT, 1953 (weiterhin zitiert mit V R I E Z E N , Erwählung), S. 36. Obwohl V R I E Z E N SO konsequent die These vertritt, daß nur bahär die volle und ganze Bedeutung des Erwählungsgedankens wiedergebe, ist die Situation an der Stelle E x 19 5 f. so eindeutig, daß er gezwungen ist, hier die Erwählungsaussage anzuerkennen. Diesen Widerspruch sucht er durch Zuteilung der Stelle zur deuteronomisch-deuteronomistischen Literatur und Erklärung ihrer Abhängigkeit von bahär auszugleichen (Erwählung, S. 62). Aber das ist denn doch bedenklich, da die an der Stelle E x 19 5f. geäußerten Gedanken in keiner Weise der sonstigen Theologie des Elohisten, welcher Quelle dieser Text angehört (vgl. die Mehrzahl der Kommentare), widersprechen. Im Gegenteil, die E x 19 5f. ausgesprochenen Vorstellungen finden sich auch sonst bei E : die Betonung der religiösen Seite, ersichtlich bei einem Vergleich der Erzählung von der Gefährdung der Sara bei J und bei E ; der Separationsgedanke, in der Exodusstelle nur angedeutet, findet sich expressis verbis Num 23 9; die besondere Betonung der Gehorsamsforderung zeigt sich vor allem E x 32, so daß man häufig von einem prophetischen Element in der Theologie des Elohisten spricht.

Altmaao,

Erwählungstheologie

1

2

Erwählungstheologie und Universalismus im AT

c) Man löst den Erwählungsgedanken aus der sonstigen Theologie der alttestamentlichen Autoren, bei denen sich Erwählungsaussagen finden, und behandelt ihn wie einen dogmatischen Locus4. d) Man greift bestimmte Einzelzüge einiger Erwählungsaussagen heraus, erhebt sie zum Allgemeinprinzip und Hauptmerkmal der Erwählungstheologie und läßt andere Gedanken, die ihr ebenfalls angehören, völlig außer acht. Es ist klar, daß ein derartiges Vorgehen ein ganz verzeichnetes Bild der Lage geben muß5. e) Man behauptet die Existenz von Erwählungstraditionen und kommt deshalb zu ungenauen Ergebnissen, weil man den vielleicht an einigen Stellen einer solchen Tradition auftauchenden Erwählungsgedanken als prinzipiell dieser Überlieferung zugehörig annimmt oder stillschweigend voraussetzt. Vor allem die Exodustradition wird in diesem Sinne behandelt6. Der Fehler dieser Methode wird gerade bei der Untersuchung des Propheten Arnos besonders deutlich. Denn hier muß man auf Grund der Gleichsetzung von Exodusüberlieferung und Erwählungstradition logischerweise einen unaufhebbaren Widerspruch zwischen Am 3 2 und Am 9 7 konstatieren. Aus diesem Dilemma gerät man weder durch Textumstellungen7 noch durch die Feststellung 4 KOCH, Zur Geschichte der Erwählungsvorstellung in Israel, ZAW 67, 1955, S. 205ff., operiert zwar mit dem Wortfeld der Vokabel bahär, berücksichtigt aber nicht die sonstige Theologie der Verfasser der von ihm herangezogenen Stellen. 8 Dieser Einwand ist vor allem gegenüber ROWLEY ZU machen, der ausschließlich »election to Service« gelten läßt (The Biblical Doctrine of Election, 3. Auflage, 1953, S. 94). Das andere Extrem stellt DE LIAGRE BÖHL dar, für den Erwählung gleich Erwähltheit bedeutet (Missions- und Erwähltheitsgedanke in Alt-Israel, Festschrift A. BERTHOLET, 1950, S. 78 und 95). Auch die Behauptung, Erwählungstheologie und Heilsglaube gehörten untrennbar zusammen (v. RAD, Das theologische Problem des alttestamentlichen Schöpfungsglaubens, BZAW 66, 1936, S. 138 und v. RAD, Theologie des AT, Band 1, 1957, S. 77), erweist sich als bedenklich, wenn man an die vorexilischen Propheten, in gewissem Sinne auch an die Priesterschrift denkt. 6 Für GALLING gründet sich das Erwählungsbewußtsein Israels überwiegend auf den Exodus (Die Erwählungstraditionen Israels, BZAW 48, 1928, S. 56). Stellen wie E x 15 21 J d c 5 31 Dtn 26 5ff. Jes ölflff. J e r 32 17fr. Ps 63 7fr. Ps 66 5ff. Ps 74 12fr. und Ps 81 off., die selbstverständlich der Exodustradition angehören, mit Erwählung jedoch gar nichts zu tun haben, werden einfach als Erwählungsaussagen gewertet; damit im Zusammenhang steht auch GALLINGS Behauptung, der Inhalt des Erwählungsbewußtseins sei das Wissen um die Rechtmäßigkeit des Landbesitzes (a. a. O. S. 68). Daß diese Definition der Sachlage nicht gerecht wird, liegt auf der Hand. Auch EICHRODT meint, daß die Propheten dort, wo sie von Exodus und Landnahme reden, die Erwählung meinen (Theologie, Teil 1, S. 247). Allein die Stelle Am 9 7 macht diese Behauptung unmöglich, wie sich im Folgenden zeigen wird. 7 MORGENSTERN, The Universalism of Arnos, Tribute to Leo Baeck, S. 115, glaubt dadurch, daß er Am 9 7 bei Streichung von Am 3 lb zwischen 3 la und 3 2 stellt, zur Übersetzung des Wortes jadati mit »you have I known more intimately« berechtigt

1. Das Problem

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heraus, daß man von einem alttestamentlichen Propheten keine Systematik verlangen darf 8 . In Am 9 7 lehnt der Prophet die Begründung eines Erwähltheitszustandes durch den Exodus radikal ab, während Am 3 2 die Verantwortung des vor allen Völkern durch ein besonders enges Verhältnis zu Jahwe, dem Weltgott, ausgezeichneten Israel feststellt 9 . Gegenüber Am 3 l b — hier wird ebenso wie Am 9 7 das falsche, auf dem Exodus basierende Erwählungsverständnis ironisierend abgelehnt — zeigt Am 3 2, daß der Sinn der Erwählung Israels nicht in dem Heilszustand dieses Volkes, sondern in einem lebendigen Gemeinschaftsverhältnis zwischen Gott und Volk (jadä'l) bestanden hätte. Wo also liegt ein Widerspruch vor zwischen Am 3 2 und Am 9 7? Während die Bedenklichkeit der übrigen oben angeführten Betrachtungsweisen sich von selbst ergibt, müssen doch einige Gründe, die eine Beschränkung der Untersuchung der alttestamentlichen E r wählungstheologie auf Stellen, an denen das Wort bahär vorkommt, ausschließen, angeführt werden. Da ist zunächst einmal die Tatsache, daß doch eine Reihe von Ausdrücken der Bedeutung von bahar in manchen Fällen sehr nahe kommen kann. Solche Termini sind jadä\ qara', hibdil, in gewissem Sinne auch segullä und nahHä. Nun meint VRIEZEN, der sich durch diese Tatsache veranlaßt sieht, zwischen sachlichen und begrifflichen Erwählungsaussagen zu unterscheiden, daß zu sein und so den von ihm zwischen 3 2 und 9 7 konstatierten Widerspruch zu lösen. Warum es erst dieser Umstellung bedarf, um den Ausdruck jadati in dieser Weise zu übersetzen, ist unklar. Schließlich meint jadä' in den seltensten Fällen ein bloßes Kennen, sondern an und für sich eine tiefere Beziehung. Ganz abgesehen davon ist die von MORGENSTERN und vielen anderen Forschern meist kommentarlos durchgeführte Streichung von Am 3 l b unzulässig. 8 So GALLING, a. a. O. S. 9. Soviel Systematik, daß nicht an einer Stelle genau das behauptet wird, was an einer anderen klipp und klar verneint wird, darf man wohl auch einem Arnos zutrauen. 8 Jahwe ist für Arnos absoluter Weltgott: er richtet das Vergehen eines fremden Volkes an einem anderen Fremdvolk (Am 2 1-3); er verfügt souverän über die Naturkräfte (Am 4 6-11 7 4 und 9 1-4). Daß Jahwe bei Arnos nicht in positivem Sinne für die anderen Völker Gott ist, liegt an der totalen Unheilssituation, in der Arnos das erwählte Volk sieht (daß der Schluß des Buches mit den Heilsweissagungen nicht von dem Propheten stammt, kann kaum mehr bezweifelt werden). Unzutreffend ist es, wenn CRAMER, Arnos, B W A N T 15, 1930, S. 63f., meint, Arnos wolle sagen, daß die anderen Völker Jahwe so lieb seien wie Israel und Jahwe ihnen die gleiche Gnade zukommen ließe, denn in Am 9 7 ist die polemische Situation zu berücksichtigen: kein Volk hat das Recht, sich auf Grund einer selbstverständlich von Jahwe als dem Herrn der Weltgeschichte gelenkten Wanderbewegung eine Vorzugsstellung anzumaßen. Arnos hat andere Dinge zu verkündigen als »positive monotheistische Aussagen«, wie MORGENSTERN sie verlangt, um dem Propheten uneingeschränkten Universalismus zuzuschreiben (a. a. O. S. 106 und 111).

1*

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Erwählungstheologie und Universalismus im AT

diese Wörter zwar der Bedeutung von bahär sehr ähnlich sein können, daß jedoch nur bahär den Vollinhalt des Begriffes der Erwählung ausdrücke 10 . Abgesehen davon, daß diese Unterscheidung äußerst gezwungen und gekünstelt wirkt, müßte dann bahär an allen Stellen, an denen dieser Ausdruck vorkommt, doch zumindest grob gesprochen die gleiche Bedeutung haben. Dies ist jedoch gerade nicht der Fall. Im Gegenteil, es ist erstaunlich, wie verschiedenartig die Wörter sind, die bei den verschiedenen Autoren — vor allem im Deuteronomium und bei Deuterojesaja findet sich bahär recht häufig — in der unmittelbaren Nähe von bahär stehen und so die Färbung des Begriffes mitbestimmen. Im Deuteronomium sind dies segullä, nähHä und 'äm qadös, von denen zumindest die beiden ersten ein statisches Erwählungsverständnis bezeugen, das heißt, die Erwählung wird als etwas Bestehendes, als Zustand, als Erwähltheit aufgefaßt, während bei Deuterojesaja aus den Ausdrücken 'eeb&d und 'ed das dynamische Erwählungsverständnis des Propheten ersichtlich ist, was bedeutet, daß die Erwählung in erster Linie als Berufung und Aufgabe verstanden wird. Bei dieser verschiedenartigen Füllung des Wortes bahär — der Ausdruck wird ja kaum ohne die Nachbarschaft solcher Bestimmungswörter gebraucht — ist nicht einzusehen, daß bahär in anderer und gültigerer Weise dem Gedanken der Erwählung Ausdruck verleihen soll als die eben angeführten Wörter. Wenn V R I E Z E N bahär als »geladenes« Wort bezeichnet, um so die Abgrenzung des Wortes gegen andere Ausdrücke zu rechtfertigen, so muß dagegen gesagt werden, daß gerade die Tatsache, daß bahär immer durch andere Ausdrücke genauer bestimmt werden muß, sehr auffällig ist. Wohl ist bahär ein »geladenes« Wort, aber es ist eben in sehr verschiedener Weise »geladen«, und zwar eben durch die oben genannten Begriffe. Es ist doch unlogisch, bahär von den Ausdrücken, die seine außerdem so verschiedenartige »Geladenheit« ausmachen, in so grundsätzlicher Weise zu unterscheiden, daß bei jenen nicht, bei bahär dagegen sehr wohl in vollgültiger Weise von Erwählung die Rede sein soll. Weiter ist sehr merkwürdig, daß Jeremia, bei dem der Erwählungsgedanke zweifellos eine wichtige Rolle spielt (Jer 2 3 319 und 13 11) und dem die deuteronomische Erwählungstheologie sehr wohl bekannt ist, bahär konsequent vermeidet, was nichts anderes als die Ablehnung der deuteronomischen Erwählungstheologie bedeuten kann 11 . 10

VRIEZEN, Ervvählung, S. 36.

Jer 13 11 korrigiert ganz bewußt Dtn 26 19; die Tempelrede Jer 7 1-15 enthält eine deutliche Spitze gegen die deuteronomische Theologie und Jer 8 8f. richtet sich gegen Dtn 4 6£f. Beim Vergleich der beiden Stellen Jer 13 11 und Dtn 2619 tritt die Unhaltbarkeit der Position VRIEZENS deutlich zu Tage. Beim Propheten ist ausdrücklich von Jahwes Ehre die Rede; im Deuteronomium mit den gleichen Worten von der Israels. Freilich stellt Jer 13 n eine Bezugnahme auf die Deuteronomiumsstelle dar, 11

2. Untersuchung einiger grundlegender Stellen

5

Aus all dem dürfte klar geworden sein, daß es nicht angeht, nur Stellen, die das Wort bahär enthalten, zu einer Untersuchung der alttestamentlichen Erwählungstheologie heranzuziehen. Einen Unterschied zwischen sachlichen und begrifflichen Erwählungsaussagen gibt es nicht. Es erhebt sich nun die Frage, ob und wie es gelingen kann, ein eindeutiges Kriterium aller Erwählungsaussagen zu finden, mit dessen Hilfe es möglich ist, den Erwählungsgedanken von anderen Vorstellungen zu trennen; gewissermaßen einen gemeinsamen Nenner aller Erwählungsaussagen, deren Summe die Erwählungstheologie des Alten Testaments darstellt. Die Beantwortung dieser Frage ergibt sich aus der Untersuchung einiger grundlegender Stellen. 2. UNTERSUCHUNG EINIGER GRUNDLEGENDER STELLEN »Denn du bist ein heiliges Volk für Jahwe, deinen Gott, und dich 1 hat Jahwe, dein Gott erwählt, daß du sein Eigentumsvolk sein sollst aus allen Völkern, die auf Erden sind. « (Dtn 7 6; vgl. Dtn 14 2) »Siehe: Jahwe, deinem Gott, gehört der Himmel und der Himmel Himmel, die Erde, und alles, was auf ihr ist. Nur euren Vätern hat Jahwe sich zugewendet, sie zu lieben, und hat euch, ihre Nachkommen, aus allen Völkern erwählt.« (Dtn 10l4f.) »Und du, Israel, mein Knecht, Jakob, den ich erwählt habe, Same Abrahams, meines Freundes: ich habe dich ergriffen 2 von den Enden der Erde und von ihren Säumen habe ich dich berufen und sprach zu dir: mein Knecht bist du, ich habe dich erwählt und nicht verworfen. « (Jes 41 8f.) »Nur euch habe ich erwählt aus allen Geschlechtern der Erde.« (Am 3 2a)

An all diesen Stellen ist nicht nur Israels Erwählung gemeint, sondern diese Erwählung ist genauer bestimmt: Israel ist aus allen Völkern der Erde herausgenommen. Bei Deuterojesaja meint der Ausdruck »von den Enden der Erde und von ihren Säumen « nichts anderes als eben »aus allen Völkern (bzw. Geschlechtern) der Erde«, so daß hier überall ein universalistisches Moment in engstem Zusammenhang aber es handelt sich um eine Korrektur der Formulierung Dtn 2619! Wie kann VRIEZEN sagen, auch Dtn 2619 meine Jahwes Ehre, wenn doch ausdrücklich dasteht, daß Israel Ehre empfangen solle ? Weil an einigen Stellen im Alten Testament die drei Ausdrücke Preis, Ruhm und Ehre nebeneinander stehen, kann man doch nicht den »Gedanken des Ruhms « als religiösen, theozentrischen Glaubenssatz bezeichnen, wie dies VRIEZEN, Erwählung, S. 55, tut. Was heißt denn überhaupt »der Gedanke des Ruhms « ? Im Deuteronomium und an der kaum von dem Propheten Zephanja stammenden Stelle Zeph 319 liegt j a der Akzent auf etwas ganz anderem als bei Jeremia und auch bei Deuterojesaja (Jes 43 2l). So muß man sagen, daß es sich bei Dtn 2619 nicht »um ein klassisches Wort, das bei den führenden Geistern Widerhall gefunden hat« handelt, wie VRIEZEN, Erwählung, S. 65, sagt, sondern um ein Wort, das die prophetische Kritik geradezu herausgefordert hat. 1 2

B. H. B. H.

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Erwählungstheologie und Universalismus im AT

mit der Erwählungsaussage steht3. Weitere Fundamentalstellen, an denen sich die notwendige Verbindung der Erwählungsaussagen mit universalistischen Gedanken zeigt, sind folgende: »Heil dem Volk, dessen Gott Jahwe ist, der Nation, die er sich zum Erbteil erwählt hat. « (Ps 33 12)

Diese Aussage folgt auf den Lobpreis der Allmacht und Allgerechtigkeit Jahwes! Dtn 4 19 f. unterscheidet das erwählte Volk des Weltgottes von der Masse der anderen Völker, denen Kenntnis und Verehrung des einzigen Gottes verwehrt ist 4 : » Und damit du, wenn du deine Augen erhebst und Sonne, Mond und Sterne siehst, das ganze Heer des Himmels, dich nicht verleiten läßt, sie anzubeten, und ihnen zu dienen, welche Jahwe, dein Gott, allen Völkern unter dem ganzen Himmel zugeteilt hat. Euch aber hat Jahwe genommen und aus dem eisernen Schmelzofen, aus Ägypten, herausgeführt, damit ihr sein Eigentumsvolk würdet, wie es heute ist.«

Dtn 32 8 f. wird der Vollzug der Erwählung direkt vordemonstriert : »Als der Höchste die Völker als Erbbesitz verteilte, als er die Menschenkinder trennte, da setzte er die Zahl der Völker fest nach der Zahl der göttlichen Wesen5. Da wurde Jakob Jahwes Anteil, Israel sein Erbbesitz. «

Jer 10 16 wird in ähnlicher Weise wie Dtn 419 das erwählte Volk der ganzen Welt gegenübergestellt: »Aber nicht wie diese (die ohnmächtigen Götzen) ist Jakobs Teil, denn der Bildner des Alls ist er und Israel sein Eigentumsvolk6 — Jahwe Zebaoth ist sein Name.«

Und schließlich eine Stelle, an der dieser notwendige Zusammenhang von Universalismus und Erwählungstheologie geradezu programmatisch ausgesprochen wird, nämlich E x 19 5f.: 3 Diese Stellen sind immer als grundlegend erkannt worden: Dtn 7 6ff. nennt VRIEZEN, Erwählung, S. 51, den »locus classicus« aller Erwählungsaussagen im Alten Testament; Am 3 2 gilt vielen Forschern als typisch für die gesamte vorexilische Prophetie. 4 Die Ansicht, die Stelle wolle sagen, Jahwe hätte die Gestirne allen Völkern einschließlich Israels als dienstbare Wesen geschenkt, ist nur möglich, wenn man, wie BREIT, Die Predigt des Deuteronomisten, 1933, S. 50, dies tut, »die Stelle für sich betrachtet«. Dies ist eine sehr einfache Methode, um alles, was man gerade will, in eine Stelle hineinzulesen. KÖNIG, Das Deuteronomium, S. 80, meint, Vers 19 sei ein bloßer Hinweis auf den Schöpfer. Aber dazu ist die Stelle doch viel zu programmatisch; was hat man sich außerdem unter einem »bloßen Hinweis« vorzustellen? Der Zusammenhang zeigt klar und deutlich, daß ein Gegensatz herausgestellt werden soll: die Völker müssen sich mit wertlosen religiösen Gütern begnügen, während Israel das Eigentumsvolk des einzigen Gottes ist.

B . H. Wörtlich: Stamm seines Erbes; nähalä dasselbe. 6

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und segullä bedeuten ja weitgehend

2. Untersuchung einiger grundlegender Stellen

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»Und nun, wenn ihr auf meine Stimme hört und meinen Bund haltet, sollt ihr • mein Eigentumsvolk 7 aus allen Völkern sein, denn mein ist die ganze Erde. Und ihr sollt mir ein Königreich von Priestern sein und ein heiliges Volk.«

Auch Forscher, die sonst die Erwählungsaussage an bahär binden, sind geneigt, an dieser Stelle eine Ausnahme zu machen8. Die universalistische Vorstellung, die unbedingt den Hintergrund der Erwählungsaussagen bilden muß, läßt sich noch genauer fassen: kl Ii käl ha'arws9. Jahwes universale Macht ist notwendig, daß er ein Volk aus allen Völkern der Erde erwählt. Diese universalistische Vorstellung, bei der also die Allmacht Jahwes eine Rolle spielt, wird vielleicht am besten »dynamischer Universalismus« zu nennen sein. Es ist durchaus zu beachten, daß dieser dynamische Universalismus durchaus keinen theoretischen Monotheismus einschließen muß, wie denn überhaupt universalistische Vorstellungen nur einen praktischen Monotheismus zur Folge haben müssen, der freilich dann und wann in theoretischen Monotheismus übergehen kann. Nicht Monotheismus und Erwählungstheologie, sondern dynamischer Universalismus und Erwählungsaüssagen gehören zusammen10. Es finden sich im Alten Testament auch noch andere universalistische Vorstellungen, aber in all diesen ist dynamischer Universalismus als Grundvoraussetzung enthalten. Die alttestamentliche Erwählungstheologie will demnach nicht ein Verhältnis Jahwes zu Israel konstatieren, sondern ein solches in ganz bestimmter Hinsicht qualifizieren. Die Beziehung Israels zu Jahwe wird verstanden als das Verhältnis Israels zu dem zumindest weltmächtigen — wenn nicht sogar einzigen — Gott. Dadurch gewinnt Israel ein besonderes Verhältnis zu allen anderen Völkern der Erde. Die einzelnen Erwählungsaussagen im Alten Testament und die verschiedenen Strömungen sehen als das Besondere dieser Beziehung Israels zur Völkerwelt jeweils verschiedene Dinge an, aber allen Erwählungsaussagen ist dies gemeinsam, daß die Beziehung Jahwes zu Israel als ein in universalem Rahmen gegebenes Verhältnis betrachtet und durch verschiedene universale Aspekte bestimmt gesehen wird. Deshalb können Deutungen, die als das Besondere der Erwählungsaussagen den Gedanken des nicht von Natur aus gegebenen Zusammenhangs zwischen Jahwe und Israel verstehen, nicht richtig 7

B. H.

8

Z. B . VRIEZEN, E r w ä h l u n g , S. 6 2 .

8

Daß 'asrses hier E r d e und nicht Land bedeutet, geht daraus hervor, daß in

Vers 4 gerade Jahwes nicht an bestimmte Grenzen gebundene Macht betont wird, gegen WILDBERGER, Jahwes Eigentumsvolk, Abhandlungen zur Theologie des Alten und Neuen Testaments, Nr. 37, 1960, S. 74 und 76. 10

G e g e n VOLZ, J e s 2 . 1 9 3 2 . S . 1 8 .

8

Erwählungstheologie und Universalismus im AT

sein, weil hier der universale Gesichtspunkt fehlt 11 . Deshalb müssen Bundes- und Erwählungstheologie grundsätzlich voneinander unter-' schieden werden. Während es in der Bundestheologie um das Verhältnis Jahwes zu Israel geht, spielen in der Erwählungstheologie drei Größen eine Rolle: Jahwe, Israel und Völkerwelt. Dies also ist der Grundgedanke, der gemeinsame Nenner aller Erwählungsaussagen: Jahwe, der weltmächtige Gott, hat Israel durch die Erwählung zu einem besonderen — dieser Ausdruck zunächst ganz allgemein — Volk gemacht 12 . Dies ist gewissermaßen die Form, in die dann die verschiedenen, aus dem Glauben an die Erwählung gefolgerten und mit ihr in Zusammenhang gebrachten Gedanken gegossen werden. Israel hat als das erwählte Volk des weltmächtigen Gottes eine einzigartige — auch wieder ganz allgemein und ohne bestimmte Wertung — Stellung inne. Weil die aus der Erwählung gezogenen Konsequenzen nun sehr verschieden sind, kann man nicht von einem Erwählungsdogma sprechen. Es handelt sich auch nicht um einen einmal endgültig fixierten Begriff, sondern um ein dauerndes Ringen und Fragen nach dem rechten Sinn der Erwählung. Von einer endgültigen Lösung zu sprechen und diese als durch Deuterojesaja und Deuteronomium gegeben zu betrachten, ist aus zwei Gründen unmöglich. Erstens ist die Entwicklung nach Deuterojesaja noch lange nicht abgeschlossen (Maleachi, Jona, Sacharja, chronistisches Geschichtswerk, Psalmen) und zweitens ist die Erwählungstheologie des Deuteronomiums von der des exilischen Propheten so verschieden, daß man diese beiden Autoren nicht als Repräsentanten des gleichen Erwählungsverständnisses bezeichnen kann. Also nicht Erwählungsdogma, sondern Erwählungsdogmatik13. Nachdem nun das Grundsätzliche festgestellt wurde, daß nämlich im Alten Testament der Gedanke der Erwählung des Volkes Israel dort vorliegt, wo das Verhältnis Jahwes zu Israel als ein in universalem Rahmen gegebenes qualifiziert wird, muß die weitere Aufgabe darin bestehen, diese These dadurch zu erhärten und zu vertiefen, daß gezeigt wird, wie die aus der Erwählung resultierende Sonderstellung verschieden gedeutet und bewertet wurde und welche universalistische Vorstellungen in Verbindung mit Erwählungsaussagen auftreten 14 . Gegen Voiz, Jes 2, S. 17. Nicht, wie so oft gemeint wird, in besonderer Weise zum Volk! Gegen WRIGHT, Erwählung im Alten Testament und im Judentum, RGG, 3. Auilage, 2. Band, Sp. 612. 1 3 Gegen VRIEZEN, Erwählung, S. 79ff. 1 4 Andere Erwählungsvorstellungen, wie etwa die Erwählung des Königs oder anderer Personen, liegen auf einer ganz anderen Ebene, da diesen der notwendige Zusammenhang mit universalistischen Momenten fehlt; gegen WEISER, Glaube und Geschichte im AT, BWANT 1931, S. 55. 11

12

3. Das universalistische nationale Erwählungsverständnis

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Der Gedanke der Erwählung eines Volkes durch den weltmächtigen Gott birgt an sich eine gewisse Spannung in sich. Es kommt nun darauf an, ob diese Spannung, die durch keine rationalistische Exegetenkünstelei aus der Welt geschafft werden kann und soll, verschärft, gemildert oder gar aufgehoben wird. So finden sich bei jedem Verfasser, dem der Erwählungsgedanke wichtig ist, Momente, die diese Spannung verringern und solche, die sie vergrößern. Hierbei kristallisieren sich mehrere Gruppen heraus, die nun aufgezeigt werden sollen. Selbstverständlich finden sich auch innerhalb einer solchen Gruppe größere Unterschiede, aber es treten doch immer wieder gemeinsame Vorstellungen auf, die das Zusammenfassen der entsprechenden Autoren rechtfertigen. Es ist klar, daß hierzu die gesamte Theologie eines alttestamentlichen Verfassers viel mehr in Betracht gezogen werden muß, als dies sonst bei der Behandlung der Erwählungstheologie meist zu geschehen pflegt. Selbstverständlich ist dies nicht überall möglich, aber dort, wo diese Möglichkeit besteht, unerläßlich. 3. DAS U N I V E R S A L I S T I S C H E NATIONALE ERWÄHLUNGSVERSTÄNDNIS Wie schon die Überschrift sagt, handelt es sich hier um eine Gruppe von Verfassern, deren Erwählungstheologie durch das Gegeneinanderwirken von besagte Spannung verstärkenden und sie abschwächenden Momenten gekennzeichnet ist. Es handelt sich hier in erster Linie um den Jahwisten und die Laienquelle1. Zunächst muß festgestellt werden, ob bei den genannten Verfassern überhaupt von Universalismus, der Grundvoraussetzung aller Erwählungsaussagen, die Rede sein kann. Dies ist nun bei beiden Quellen ganz deutlich der Fall, denn Israels Erwählung wird auf dem Untergrund der Urgeschichte gezeichnet. Jahwe gilt als Schöpfer und Erhalter der Welt. Neben diesem dynamischen Universalismus findet sich noch eine andere universalistische Vorstellung: Jahwe tritt als Richter der Welt auf, und zwar handelt es sich um ein einmalig erfolgtes Gericht, während bei den Propheten Jahwe fremde Völker wegen deren Vergehen von Fall zu Fall zur Rechenschaft zieht (Jer 18 7 f. Am 2 1-3). Bei der Laienquelle ist dieses Gericht in der Erzählung vom Turmbau zu Babel gegeben2. So ist die Beschränkung 1 Die Aufteilung der Quellenschichten des Hexateuch richtet sich nach der von EISSFELDT, Hexateuchsynopse, 1922, getroffenen Einteilung. 2 Die von GUNKEL, Die Urgeschichte und die Patriarchen, 2. Auflage, 1921, S. 8 (weiterhin zitiert mit GUNKEL, Kommentar), unternommene Aufspaltung des Berichtes auf zwei Quellen geht nicht ganz glatt vor sich; der angebliche Widerspruch zwischen Gen 11 5 und 11 7, von dem bei der Aufteilung des Textes auf zwei Verfasser aus-

10

Erwählungstheologie und Universalismus im AT

der religiösen Verehrung Jahwes auf ein Volk nicht ursprünglich gottgewollt, denn die Sünde der Menschheit, die darin bestand, sich einen Sem (Gen II4) machen zu wollen, das, was Gott dann freiwillig dem Abraham gibt3, steht am Anfang ihrer Geschichte4. Diese Vorstellung von Jahwes Gericht über alle Völker, das der Erwählung des einen Volkes vorausgeht, ist dazu angetan, die dem Erwählungsgedanken innewohnende Spannung einzuschränken. Beim Jahwisten besteht dieses Urgericht in der Sintflut. Israels Erwählung entspricht nicht dem ursprünglichen Schöpfungsplan: man beachte die Resignation an der Stelle Gen 8 21 5 . Israels Erwählung bahnt sich für L und J in der Erwählung des Abraham an. Bei beiden Quellen findet sich in dem Passus Gen 12 1 - 4 (Gen 12 3 gehört zu J, sonst gehört die Stelle, abgesehen von Vers 4b, zu L) das wichtige, oft im Alten Testament vorkommende Erwählungsstichwort Segen: »Und ich will dich zu einem großen Volk machen, dich segnen und deinen Ruhm mehren. Sei ein Segen!« (Gen 12 2, L). »Und in dir sollen gesegnet werden alle Geschlechter der Erde 6 .« (Gen 12 3b, J ) . gegangen wird, läßt sich auf einfache Weise lösen: Vers 5 handelt es sich um ein bloßes Betrachten des Turms, Vers 7 aber schildert Jahwes endgültiges Herabfahren, vgl. KÖNIG, Die Genesis, 2. und 3. Auflage, 1925 (weiterhin zitiert mit KÖNIG, Genesis) S. 432f. und HEINISCH, Das Buch Genesis, 1930, S. 199f. 3 Der Zusammenhang zwischen Gen 11 4 und Gen 12 2 ist deutlich und immer erkannt worden, vgl. etwa PROCKSCII, Die Genesis, 1913, S. 90. 4

PROCKSCH, D i e Genesis, S . 85.

Vgl. v. RAD, Das erste Buch Mose, 2. Auflage, 1950, S. 100 (weiterhin zitiert mit v. RAD, Genesis). • GUNKEL, Kommentar, S. 135, meint einen Widerspruch zwischen Gen 12 3 a und 12 3b feststellen zu müssen, falls man nibrekü passivisch übersetzt, weil der Universalismus von 3 b sich dann nicht mit dem Partikalurismus 3 a vertrüge. Abgesehen davon, daß Universalismus und Partikularismus oft ganz eng nebeneinander liegen können, existiert ein solcher Widerspruch gar nicht, da in beiden Vershälften festgestellt werden soll, daß sich an Abraham, und das heißt dem zukünftigen Israel, das Geschick der Völker entscheiden wird. 5

Daß der Segen nicht geistlich, sondern rein materiell zu verstehen ist, zeigt sich in der Art und Weise, wie Nichtisraeliten an ihm teilnehmen können (Laban, Potiphar). Hieraus ist auch ersichtlich, daß es falsch ist, von vornherein jede Möglichkeit, daß auch an Segen für die Völkerwelt gedacht sei, auszuschließen. Schließlich ist die passive Bedeutung des Niphals zwar nicht die einzige, aber die weitaus häufigste, vgl. GRETHER, Hebräische Grammatik für den akademischen Unterricht, 1951, S. 97. Viele der neueren Exegeten treten wieder für die passivische Übersetzung des Ausdrucks nibrekü ein, z. B . v. RAD, Genesis, zur Stelle. Andrerseits aber darf man nicht ins andere Extrem fallen und in diesem Text die Verbreitung der israelitischen Religion zum Heile der Menschheit angedeutet finden, gegen PROCKSCH, Die Genesis. S. 91.

3. Das universalistische nationale Erwählungsverständnis

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Hier findet sich ein weiterer universalistischer Gedanke: durch Israels Erwählung kann und soll auch wohl den Völkern Segen erwachsen. Diese Art von Universalismus wird vielleicht am besten »karitativer Universalismus« zu nennen sein. Über diesen karitativen Universalismus gehen L und J nicht hinaus; es findet sich bei beiden auch nicht die leiseste Andeutung, daß die religiöse Verwerfung der Völker, die ja durch Gen 111—9 bzw. beim Jahwisten durch die Sintfluterzählung gegeben ist, durch die Erwählung Israels eingeschränkt oder gar aufgehoben werden sollte. Im Gegenteil, durch Israels Erwählung wird die religiöse Verwerfung der Völkerwelt noch bestätigt, freilich aber durch karitativen Universalismus gemildert. Deshalb ist die Überschrift, die sich in den meisten Kommentaren zu Gen 12 1 - 4 findet — Berufung Abrahams — eigentlich irreführend, da dieser Ausdruck zu sehr an die Berufung zu einer bestimmten Aufgabe denken läßt. Keine Rede also von »Wiedervereinigung der gespaltenen Menschheit7« und ähnlichen Dingen. Im Erwählungsstichwort Segen findet sich zwar karitativer Universalismus beschlossen, doch noch viel stärker Nationalismus. Israel ist ja schließlich das vor allen Völkern der Erde gesegnete Volk! Ein ungeheures Selbstbewußtsein spricht sich in dem jahwistischen Vers Gen 12 3a aus: Israel ist das Schlüsselvolk der Weltgeschichte, und zwar hier in positivem Sinne8. Allerdings darf man, wie gesagt, nicht vergessen, daß dieser nationalistischen Haltung der Wunsch, daß alle Völker an Israels Gesegnetsein teilnehmen sollen, gegenübersteht. Wie wichtig dem Jahwisten dieser Gedanke ist, zeigt die beinahe wörtliche Wiederholung der Formel Gen 12 3b an verschiedenen Stellen9. Die Völker werden durch das erwählte Volk zwar nicht 7

Gegen E I C H R O D T , Gottes Ruf im AT, 1951, S. 36; auch aus Ex 8 6 und Ex 9 16 sind keine in diese Richtung gehenden Schlüsse zu ziehen, weil an diesen Stellen die Völker nicht zum Glauben an Jahwe gebracht werden sollen, sondern ihnen Jahwes Allmacht demonstriert werden soll. Ex 8 6 ist auch ein gewisses Sicherheitsgefühl lestzustellen: als Volk des weltmächtigen Gottes hat Israel kein anderes Volk zu fürchten. 8 Bei den meisten Propheten in vorexilischer Zeit ist ein »negatives « Erwählungsbewußtsein festzustellen: hier bewegt Jahwe die Weltgeschichte auf Israel zu, um sein erwähltes Volk zu strafen, vgl. NOTH, Geschichte Israels, 4. Auflage, 1959, S. 232 und v. RAD, Theologie des AT, Band 2, 1960, S. 195. 9 Gen 28 14b und Gen 18l8b; viele Exegeten betrachten Gen 18 18b als Zusatz (z. B. G U N K E L und PROCKSCH in ihren Kommentaren zur Stelle), doch stellt Vers 18 nur eine Wiederholung von Gen 12 3b dar, während Vers 19 einen dem Jahwisten fremden Gedanken bringt, weil hier die Erwählung ihrer universalen Bedeutung entzogen und die Betonung auf ganz andere Dinge gelegt wird, so daß dieser Vers zu streichen sein wird, vgl. v. RAD, Genesis, S. 178.

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Erwählungstheologie und Universalismus im AT

bedroht, aber ihr Schicksal hängt von ihrem Verhalten zu Israel ab 10 . So liegen an dieser Stelle universalistische und nationalistische Einflüsse vor. Deshalb darf man diese Stelle auf der einen Seite nicht überschätzen und nicht vergessen, daß im Alten Testament noch viel tiefere Gedanken über Israels Erwählung zu finden sind; andrerseits aber ist es falsch, von vornherein dem Jahwisten jeglichen Universalismus abzusprechen, wie GUNKEL dies tut. War in der Genesisstelle bei allem Nationalismus doch ein gewisser nicht zu leugnender Universalismus festzustellen, so bricht die nationalistische Haltung des Jahwisten im ersten Bileamspruch Num 24 5 - 9 durch: »Wie schön sind deine Zelte, J a k o b ; deine Wohnungen, Israel. Wie Täler, die sich ausbreiten, wie Gärten am Strom; wie Eichen 1 1 , die Jahwe gepflanzt, wie Zedern am Wasser. E s zittern Nationen vor seiner Macht 1 2 , und sein Arm reicht über viele Völker 1 3 . Mächtiger als Agag ist sein König, und sein Königreich hebt sich empor 14 . E s 1 5 frißt seine Feinde 1 6 und zerschmettert ihre Knochen 1 7 . E s kauert sich nieder und legt sich hin wie ein Löwe, wie eine Löwin; wer will es stören ? Gesegnet, wer dich segnet, verflucht, wer dir flucht. *

Freilich mußten die Propheten eine derartige Haltung erbittert bekämpfen, um so mehr dort, wo nur mehr dieser Nationalismus vorhanden ist und das Streben nach Sicherheit im Vordergrund steht. Weil aber beim Jahwisten auch universalistische Gedanken zu finden sind, darf man sein Werk nicht als Dokument der von den Propheten so angegriffenen Volksreligion bezeichnen 18 . Diese beiden Quellen, deren Merkmal es ist, daß ein gewisser karitativer Universalismus einem gesunden Nationalismus die Waage 1 0 Gen 12 3a; weil Israel das Schlüsselvolk der Weltgeschichte ist, deshalb hat die Erwählungstheologie nicht nur einen Bezug auf die Geschichte, wie GALLING, a. a. O. S. 92 zu Recht feststellt, sondern auf die Universalgeschichte.

B . H. B . H. 1 3 B . H. 1 1 B . H. 1 5 Vers 8 a ist mit GRESSMANN, Die älteste Geschichtsschreibung und Prophetie Israels, S. 67, zu streichen. 11

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B . H. Die letzten beiden Worte des Verses sind ebenfalls mit GRESSMANN, a. a. O. S. 57, zu streichen. 1 8 Man hat öfters Gen 49 für den Jahwisten und die Erwählungstheologie in Anspruch genommen (z. B. PROCKSCH, Die Genesis, S. 264). Erstens handelt es sich bei diesem Stück, wie EISSFELDT gezeigt hat (Einleitung in das AT, 2. Auflage, 1956, S. 250 und 273, weiterhin zitiert mit EISSFELDT, Einleitung), wahrscheinlich um nichtquellenhafte Zusätze zu den der Laienquelle zugehörigen Versen 2-7, und zweitens ist in Vers 10, der als Beispiel eines besonders starken Nationalismus herangezogen werden könnte, von der Herrschaft Judas vielleicht nur über die übrigen Stämme, nicht aber über andere Völker die Rede, vgl. KÖNIG, Genesis. S. 757, Anm. 2. 16

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4. Das prophetisch-nationale partikularistische Erwählungsverständnis

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hält, wobei noch hinzukommt, daß die Situation der Erwählung eines Volkes nicht Jahwes ursprünglichem Plan entspricht, sind die ältesten Belege einer Erwählungstheologie im Alten Testament 19 . In diese Gruppe ist auch Ps 33 einzuordnen. Dynamischer Universalismus findet sich in den Versen 6-9; 15 b erscheint die Vorstellung von Jahwe, dem universalen Richter, der Recht und Gerechtigkeit liebt (Vers 5). Jahwes hsesxd erfüllt die Erde. Aus diesen universalistischen Momenten läßt sich der Schluß ziehen, daß in Vers 18 nicht nur an Israeliten gedacht ist, so daß jeder Mensch durch entsprechendes Verhalten in den Genuß des hxsxd Jahwes gelangen kann 20 . Es ist demnach auch karitativer Universalismus anzunehmen, der allerdings keinen Zusammenhang mit der Erwählung Israels hat. Aber dem Verfasser liegt auch ganz stark Israels durch die Erwählung gegebene Vorzugstellung am Herzen (Vers 12). Zu beachten ist auch die grundsätzliche Heilssituation, die aus der Erwählung folgt. Sofern die Völker sich gegen Israel erheben, stellen sie sich gegen Jahwes Plan (Vers 10)21. So bringt die Erwählung zwar ungeheure Bevorzugung für Israel, doch entspricht Israels Erwählung nicht die Verwerfung der Völker, wie dies gerade im Zusammenhang mit dem Terminus nähalä öfters der Fall ist (z. B. Dtn 4 i9f.) 4. DAS PROPHETISCH-NATIONALE P A R T I K U L A R I S T I S C H E ERWÄHLUNGSVERSTÄNDNIS In diese Gruppe gehören vor allem Elohist und Deuteronomium. Die sich in diesen Werken findenden prophetischen Gedanken richten Da die Laienquelle auf alle Fälle älter als Arnos ist (vgl. EISSFELDT, Einleitung, S. 236) und dies wohl auch für den Jahwisten gilt, hat QUELL nicht Recht, wenn er Am 3 2 als den ältesten Beleg eines noch dazu nur »begrifflichen« Erwählungsglaubens bezeichnet — QUELL will ja auch nur dem Wort bahär die vollgültige Erwählungsaussage zuschreiben (Die Erwählung im AT, Theologisches Wörterbuch zum NT, 4. Band, S. 148ff.). Der Ausdruck am JHWH, der sich im literarisch älteren Deborahlied findet (Jdc 5 11), hat nichts mit Erwählung zu tun, sondern gehört der Bundestheologie an. 19

In diesen Werken nun findet man auch zum ersten Mal universalistische Gedanken, die ja eine Erwählungstheologie erst möglich machen. Vielleicht hat man die gewaltige Leistung der Laienquelle und des Jahwisten im Zusammenhang mit der Erweiterung des politischen und geistigen Horizonts zur Zeit Davids und Salomos zu verstehen, vgl. NOTH, a. a. O. S. 203 und EICHRODT, Theologie, Teil 1, S. 19. 2 0 Vgl. KRAUS, Psalmen, 1. Band, 1960, S. 265: der König in Vers 16 muß nicht nur der israelitische sein. 2 1 Wegen der universalistischen Gedanken, die sich ja auch in diesem Psalm finden, kann man nicht sagen, daß für den Verfasser der Zweck der Erwählung Israels in der Erhebung dieses Volkes über alle anderen Völker liege, gegen KITTEL, Die Psalmen, 3. und 4. Auflage, 1922, S. 124 (weiterhin zitiert mit KITTEL, Psalmen).

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Erwählungstheologie und Universalismus im AT

sich gewissermaßen nach innen und nicht nach außen, ins Universale. Der Partikularismus ist der Preis, der für diese theologische Vertiefung und Radikalität gegenüber den beiden älteren Hexateuchquellen gezahlt werden muß. So verzichtet E in seiner Darstellung auf eine Urgeschichte und beginnt mit Abraham 1 . Die Formel Gen 12 3 ist beim Elohisten uminterpretiert : Gen 22 nf. : »Ich will dich reichlich segnen und deinen Samen sehr zahlreich machen wie den Sand am Ufer des Meeres, und deine Nachkommen sollen das Tor ihrer Feinde besetzen, und mit deinem Samen sollen sich Segen wünschen2 alle Völker der Erde darum, daß du auf meine Stimme gehört hast. «

Dieser Abrahamsegen wird Gen 26 3b-5 auf Isaak übertragen ; wieder erscheint baräk im Hitpael. Israels Erwählung hat keine positive Bedeutung für die Völkerwelt mehr. Dafür tritt die religiöse Seite der Erwählung Israels mehr hervor. Dies vor allem in der schon übersetzten Stelle E x 19 5f. Wichtig ist der Ausdruck segullä: er bedeutet, daß Gott sich nur um dieses eine Volk kümmern will, nicht, daß nur Israel Jahwes Herrschaftsgebiet sein soll, denn Gott ist ja der Herr der ganzen Erde und universaler Richter. Der ganze Widerspruch zwischen dynamischem Universalismus und karitativ-religiösem Partikularismus liegt in diesem Wort segullä3. Noch verstärkt wird dieser Partikularismus durch Nationalismus (Bileamsprüche, besonders Num 23 24) und Separatismus: » Siehe, ein Volk, das abseits wohnt, sich nicht unter die Heidenvölker rechnet. « (Num 23 Ob)

Die Aussonderung ist zur Absonderung geworden; die anderen Völker sind die Heiden. Hier wird zum ersten Mal jener ungeheure Widerspruch zwischen Jahwe, dem Nationalgott, und Jahwe, dem Weltgott, der das ganze Alte Testament durchzieht, in seiner vollen Deutlichkeit sichtbar. Beim Elohisten beginnt eine Linie, die bis in die jüngste Zeit hinaufreicht und wohl im chronistischen Geschichtswerk ihren Höhepunkt findet. Ein Gegengewicht zu diesen partikularistischen Vorstellungen bildet ein gewisser Prophetismus : gerade E betont 1 Gegen die Annahme, daß der Elohist keine Urgeschichte gekannt habe (so v. RAD, Genesis, S. 18), sprechen die Stellen E x 411 (Gott der Schöpfer), ferner Gen 20 3ff- (Gott der universale Richter) und die Tatsache, daß E die allgemeinere Bezeichnung »Gott« wählt und nicht Jahwe sagt, vgl. PROCKSCH, Die Genesis, S. 238. 2 Das Hitpael kann zwar auch in seltenen Fällen passive Bedeutung haben, doch ist es viel häufiger reflexiv und medial, vgl. GRETHER, a. a. O. S. 97. 3 KÖHLERS These, daß der Platz der Erwählungstheologie dort sei, wo Jahwe Gott der Völker wird und doch Israels Gott bleibt (KÖHLER, Theologie, S. 67) ist nur dann richtig, wenn man das Gott-Sein Jahwes über die Völker nur in dynamischem, nicht aber in karitativem oder gar religiösem Sinn versteht, denn im Deuteronomium beispielsweise ist Jahwe der allmächtige Gott, will aber in religiös-karitativer Hinsicht nur Israels Gott sein.

4. Das prophetisch-nationale partikularistische Erwählungsverständnis

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die Notwendigkeit des Gehorsams, den das erwählte Volk Gott schuldig ist. Prophetischer Pessimismus findet sich E x 32; wichtig ist in diesem Zusammenhang auch Num 11 29: »Bestünde doch das ganze Volk Jahwes aus Propheten! Ließe doch Jahwe seinen Geist über sie kommen! «

Die Betonung der ethischen Seite steht vor der Wertschätzung des Kultischen, die man vielleicht aus E x 19 5f. erschließen zu können gemeint hat 4 . Beim Elohisten findet also eine radikale Konzentrierung der Erwählungstheologie auf das eigentlich Religiöse statt, der, so könnte man vielleicht sagen, der »naive Universalismus« des Jahwisten und der Laienquelle zum Opfer fällt. Der starke Nationalismus wird durch prophetisch anmutende Unheilsdrohung stark gedämpft (Ex 32). Ähnlich ist die Situation im Deuteronomium. Auch hier tragen die verschiedenartigsten Elemente zu einer sehr komplexen Erwählungstheologie bei5. Der religiöse Partikularismus des Deuteronomiums ergibt sich ganz klar aus Dtn 10 i4f. und Dtn 4 i9f.; der Nationalismus nicht zuletzt aus dem Vergleich von Dtn 26 19 mit Jer 13 11. Trotzdem hat es nicht an Versuchen gefehlt, diesen Nationalismus und diesen Partikularismus hinwegzuexegesieren. Doch müssen alle derartigen Versuche scheitern, da im Deuteronomium der zweifellos und notwendigerweise vorhandene universale Rahmen (dynamischer Universalismus) eben nicht entsprechend durch eine religiöse, karitative oder theokratische universale Bedeutung der Erwählung Israels gefüllt wird. Besonders VRIEZEN hat einen solchen Versuch un4 An dieser Stelle ist auf WILDBERGERS schon erwähnte Studie näher einzugehen, deren Ausgangspunkt j a diese Stelle ist. Sie wird als Erwählungsproklamation bezeichnet und so das Ganze schon in die Sphäre des Kultischen gezogen. Die ganze, in der Konstruktion eines Erwählungsfestes gipfelnde Studie basiert letzten Endes einzig und allein darauf, daß besagter Text dem Verfasser den Eindruck macht, »Beschreibung einer kultischen Begehung« zu sein (S. 15). Auch ist es nicht zu beweisen, daß die von WILDBERGER herangezogenen Stellen wirklich »Ausstrahlungen der Erwählungsproklamation « sind, wie der Verfasser behauptet. Schließlich muß WILDBERGER selbst zugeben, daß nirgends im Alten Testament von einem Erwählungsfest die Rede ist

(S. 41). Die Existenz eines derartigen Festes ist bei der Komplexität der Erwählungstheologie ausgeschlossen. 6 Zur Frage der literarischen Einheitlichkeit des Werkes: alle Versuche, hier verschiedene Verfasser bzw. Ausgaben herauszuarbeiten, können nicht restlos überzeugen. Numerus- und Personenwechsel sind jedenfalls keine zuverlässigen Kriterien für literarische Uneinheitlichkeit, vgl. JUNKER, Das Buch Deuteronomium, 1933, S. 6, und BREIT, a. a. O. S. 179. Theologische Einheitlichkeit besteht jedenfalls, und so wird man das Deuteronomium mit Ausnahme der allgemein als sekundär erkannten Kapitel 32 und 33 als Einheit betrachten dürfen.

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Erwählungstheologie und Universalismus im AT

ternommen, weil er, wenn er die auf den Begriff bahär gegründete Erwählungstheologie des Deuteronomiums und des Deuterojesaja als Endpunkt der Entwicklung versteht, die Erwählungsaussagen des Deuteronomiums denen des Propheten angleichen muß. So schlägt er vor, 'äm qados (Dtn 7 6) mit »geistiges« Volk zu übersetzen mit dem Hinweis, daß der Deuteronomiker nicht vom empirischen, sondern vom idealen Volk Israel ausgehe6. Dieser Unterschied existiert jedoch nicht in dieser Form, denn Israel ist auf Grund seiner Erwählung durch den einzigen, heiligen Gott — der Monotheismus ergibt sich aus Dtn 4 i9f., nicht etwa aus Dtn 6 4, wo von der Einheitlichkeit der Person Jahwes geredet wird — heilig und soll sich deshalb von allen anderen Völkern in schärfstem Maße fernhalten (Dtn 7 L -5 unmittelbar vor der Feststellung der Erwählung Israels). Das durch Jahwes Erwählung heilige Israel soll sich seiner Erwählung durch Heiligung würdig erweisen; Indikativ und Imperativ liegen eng ineinander: Sei heilig, denn du bist heilig. Israels Heiligkeit ist nicht eine geistliche Überhöhung seiner sonstigen Existenz, sondern eine Qualifizierung seines gesamten Daseins; daher, doch anders als etwa in der Priesterschrift, der Versuch, das ganze Leben in den religiösen Bereich hineinzuziehen7. VRIEZENS Übersetzungsvorschlag läßt sich auch dadurch nicht stützen, daß er sagt, für Israel sei Jahwes Gesetz, also eine geistige Größe, das höchste Gut 8 , denn abgesehen davon, daß das Gesetz gerade bei D ganz stark ins alltägliche Leben hineinwirken soll, kann man sich bei der von VRIEZEN herangezogenen Stelle Dtn 4 6ff. des Eindrucks nicht erwehren, daß hier Israel das Gesetz förmlich angepriesen wird mit dem Hinweis auf die Weisheit, die es als Besitzer dieses Gesetzes dann bei allen Völkern der Erde genießen werde. Stark ist auch der Nationalismus im Deuteronomium; aber auch das wird oft bestritten 9 ; schließlich hat Israels Erwählung auch keinerlei universale Bedeutung im theokratischen Sinn, weder auf dem Wege 8

VRIEZEN, E r w ä h l u n g , S. 56.

VRIEZEN selbst muß die Einheit zwischen empirischem und idealem Volk zugeben. Wenn er sagt, diese Einheit sei »nur« vom Glauben an die Erwählung zu verstehen (Erwählung, S. 56), so ist dazu zu sagen, daß diese Gleichsetzung Ausgangspunkt und Zentrum der deuteronomischen Theologie und das Wörtlein »nur« in diesem Zusammenhang irreführend ist. 7

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VRIEZEN, E r w ä h l u n g , S. 56.

* Zu VRIEZENS Einwand, man könne im Deuteronomium allein schon deshalb nicht von gesteigertem Nationalismus sprechen, weil eine zwar nie physisch gemeinte nationale Verbundenheit zwischen Jahwe und Israel nie aufgehoben werde, sondern eine Vergeistigung durch den Erwählungsgedanken stattfände (VRIEZEN, Erwählung, S. 67, Anm. 2), ist zu sagen, daß erstens diese Verbundenheit dort, wo die Propheten

4. Das prophetisch-nationale partikularistische Erwählungsverständnis

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der Mission noch auf andere Weise10. Die Ethik des Deuteronomiums ist durchaus eudämonistisch (7 12 ff. wird eine Fülle des Segens im Falle des Gehorsams versprochen, und dies im Anschluß an die fundamentalen Sätze über die Erwählung!). Der Jahwist hatte mit diesem Segen noch eine universale Bedeutung der Erwählung Israels verbunden. Dies fehlt bei D vollkommen11. Trotz der Betonung der Notwendigkeit des Gehorsams ist ein gewisses Gefühl der Sicherheit durch den Besitz des Gesetzes gegeben12. All dies steigert die dem Erwählungsgedanken innewohnende Spannung außerordentlich. Wie bei E wirkt der prophetische Geist nach innen. Ein naiver Nationalismus ist nach den großen Propheten nicht mehr möglich. Der Unterschied zwischen L und J einerseits, E und D andrerseits besteht also darin, daß bei letzteren der Akzent mehr auf die Gehorsamsforderung gelegt wird, aber mit der religiösen Vertiefung zugleich eine zum Partikularismus führende Verengung eintritt. Allen gemeinmit Israels gänzlichem Untergang rechnen (z. B. Jer 6 27fr.), tatsächlich aufgehoben ist, und zweitens der Erwählungsgedanke nicht unbedingt — und gerade nicht im Deuteronomium — dazu angetan ist, die sonstige Theologie eines alttestamentlichen Verfassers zu vergeistigen, vgl. etwa die Erwählungsstichwörter baräk und berakä. In diesem Zusammenhang ist auch die unrichtige Behauptung, daß der Erwählungsglaube sich erst nach dem nationalen Zusammenbruch Bahn brechen konnte (CASPARI, Beweggründe der Erwählung nach dem AT, NKZ 1921, S. 202), zu nennen. Kann man denn bei L und J nicht von einer Erwählungstheologie sprechen, haben denn die vorexilischen Propheten nicht gegen tief im Volk verwurzelte falsche Erwählungsvorstellungen kämpfen müssen ? 10 Eine Stelle wie Dtn 419 oder Dtn 10 l4f. spricht dagegen, daß für den Verfasser des Deuteronomiums Israel einen Auftrag in der Welt habe (VRIEZEN, Erwählung, S. 53), daß Gott durch Israel in der Welt herrschen wolle (VRIEZEN, Erwählung, S. 64; wie verträgt sich das außerdem mit der Separationsforderung ?), oder daß im Begriff des ger ein Ansatz zur Mission liege (BREIT, a. a. O. S. 188, Anm. 2; Dtn 1018 ist nur von Dtn 1019 aus zu interpretieren; weil Israel selbst Fremdling in Ägypten war, darum soll der ger eine bessere Behandlung als der gewöhnliche Ausländer erhalten). Die Ausdrücke segullä und nä(t"lä bezeichnen doch die religiöse Einzigartigkeit der Beziehung Israels zu Jahwe, nicht aber, daß Israel von Jahwe total abhängig sei; dies muß für D nicht erst festgestellt werden (vgl. Dtn 7 7; gegen V R I E Z E N , Erwählung, S . 6 3 und B R E I T , a. a. O . S . 47). Israel hat Jahwe auch nicht durch besonders rechtmäßiges Verhalten in der Welt zu repräsentieren, wie dies bei einigen Propheten der Fall ist; welche Möglichkeiten hätten sich für D an Hand der Tatsache, daß Israel im Besitz des im Gesetz festgelegten Gotteswillens ist, ergeben! Statt dessen spricht der Verfasser von dem Ruhm, den Israel als weises Volk genießen werde (Dtn 4 6). 11 Auch fehlt das Verantwortungsbewußtsein der Welt gegenüber, das doch klar an der Stelle Am 3 2 gegeben ist; gegen die Behauptung, D betone wie Arnos die Verpflichtung des erwählten Volkes (BREIT, a. a. O. S. 36). 12 Mit Recht nennt v. RAD die Thora einen Garanten der Erwählung, Theologie des AT, Band 1. S. 197.

A l t m a n o , Erwählungstheologie

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Erwähnungstheologie und Universalismus im AT

sam ist die nationalistische Haltung, die bei L und J noch optimistischnaiv, bei E und D mehr theologisch begründet ist. Die deuteronomistische Literatur bringt gegenüber dem Deuteronomium selbst wenig Neues. Der Gedanke der Sicherheit tritt hervor (I Sam 1222 I I Sam 724). An Israels Ruhm ist gedacht (II Sam 7 23b), und ein aus der Erwählung resultierendes Überwertigkeitsgefühl findet sich: »Und wer ist wie dein Volk Israel13, (gibt es) ein anderes Volk14 auf Erden, für das Gott hingegangen16 wäre, es sich zum Volk zu erkaufen ? «

I Reg 8 53 erscheint der Separationsgedanke: hibdil. Auch der Terminus nähalä findet sich an dieser Stelle. Einmal wird der Partikularismus entscheidend durchbrochen: I Reg 8 60 (vgl. diese Stelle etwa mit Dtn 28 10). Die einzigartige religiöse Bevorzugung, die Israel durch die Erwählung erfahren hat, tritt wie Dtn 4 19 auch in der schon übersetzten Stelle Dtn 32 8f. hervor. Diese beiden Stellen sind der stärkste Beweis gegen die Behauptung, Erwählung gelte im Alten Testament nur im Zusammenhang mit einer Aufgabe 16 . Schließlich wäre auf einige Psalmen hinzuweisen, in denen das eine oder das andere Erwählungsstichwort bzw. einzelne im Deuteronomium vorkommende Erwählungsvorsteilungen zu finden sind: Ps 28 9 verwendet den Ausdruck nähalä und scheint auf Dtn 26 19 anzuspielen17. Das Erwählungsstichwort baräk findet sich Ps 29 n : Jahwe möge seine universale Macht nur seinem erwählten Volk zugute kommen lassen. Keine Rede davon, daß dies Israel nur in besonderer Weise gelte oder gar von Frieden auf Erden, sondern dies alles nur für Israel 18 . Die mit dem Ausdruck segullä verbundene Vorstellung findet sich auch Ps 114 7; zwischen dynamischem Universalismus und religiöskaritativem Partikularismus besteht ein krasser Unterschied. 5. DAS P R I E S T E R L I C H - P R O P H E T I S C H E ERWÄHLUNGSVERSTÄNDNIS Obwohl in der Priesterschrift die Eschatologie keine Rolle spielt, bei Ezechiel aber zum ersten Mal eschatologisches Denken anzutreffen 1 6 B. H. B. H. « B. H. Gegen ROWLEY, a. a. O. S. 94, der sagt: »In the thought of the Old Testament it is always election to service, and it is held to be forfeited when it has no relation to service«. 1 7 Weil die mit dem Ausdruck nähalä verbundene Vorstellung dynamischen Universalismus voraussetzt (Dtn 419, Dtn 32 8f.; der enge Zusammenhang zwischen näffHä und bahär), kann man nicht sagen, daß Jahwe das Volk Israel oder das Land als Erbteil »zugefallen« sei, gegen SCHMIDT, Die Psalmen, 1934, S. 62. 1 8 Gegen KITTEL, a. a. O. S. 113 und WEISER, Psalmen, 4. Auflage, 1955, S. 179. 15

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5. Das priesterlich-prophetische Erwählungsverständnis

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ist 1 , ist es doch gerechtfertigt, diese beiden Verfasser trotz ihrer auch sonstigen Verschiedenheiten in eine Gruppe zusammenzufassen, weil es beiden um die Verwirklichung des Gedankens, daß Israel das von J a h w e zum 'äm qados erwählte Volk sei, geht. Ganz stark findet sich bei P der schon bei L, J und auch D (Dtn 419) angedeutete Gedanke, daß Israels Erwählung nicht der ursprünglichen Schöpfungsordnung entspricht 2 . Eine so positive Bewertung des Menschen an sich findet man im Alten Testament eigentlich recht selten (vor allem noch in Ps 8). Der Mensch ist Gottes Ebenbild (Gen 1 26) und bleibt es auch nach dem Gericht der Sintflut (Gen 9 6). Deshalb ist die weitverbreitete Ansicht, P betrachte Israel als den Zweck der Weltschöpfung, falsch 3 . Nun steht aber dieser Universalismus bei P nicht in Zusammenhang mit einer besonderen Bestimmung der E r wählung Israels für die Völker, sondern ist unabhängig von einer solchen gegeben 4 . Die Freudigkeit über Israels Erwählung fehlt; ein ungeheurer Ernst steht über der ganzen Schrift; es geht um die E r füllung des Kultus und der von Gott gegebenen Ordnungen. Die B e deutung des erwählten Volkes ist demgegenüber zweitrangig. Alles ist eben Notordnung: nicht einmal der Kultus, der die durch die Sünde entstandene Kluft zwischen Mensch und Gott überwinden soll, vermag dies völlig. So ist auch kaum Platz für eine besonders nationalistische Haltung; mit prophetischem Ernst ist Sünde und Schuld des Menschen vor Gott erfaßt 5 . So kommt eine Aufgabe Israels für die Völker oder eine universale Bedeutung der Erwählung Israels nicht in Frage, weil 1 Vgl. FOHRER, Ezechiel, 1955, zu den Kapiteln 38 und 39; ferner FOHRER, Die Struktur der alttestamentlichen Eschatologie, Th. Literaturzeitung 1960, Nr. 6, (weiterhin zitiert mit FOHRER, Struktur). 2 Der Ausdruck, den v. RAD, Genesis, S. 109, für Gen 9 2 gebraucht, ist bezeichnend für alle nach der Sintflut erlassenen Ordnungen, zu der auch die Erwählung Israels zählt: Notordnung. s Gegen GUNKEL, Kommentar, S. 48, und v. RAD, Theologie des AT, Band 1,

S. 233. 4 P betrachtet die Völkervielheit als Ausfluß göttlichen Segens, vgl. VRIEZEN, Theologie des AT in Grundzügen, 1956, S. 119; aber es fehlt gegenüber J und L die universale Bedeutung Israels, wie sie bei diesen an Hand des Erwählungsstichwortes Segen gegeben war. 6 Nur Lev 924 erinnert an die bei D so stark betonte gottgewollte Freude; ansonsten herrscht eine Atmosphäre der Furcht und des Schreckens (Lev 8 35 10 2). Was den Nationalismus der Priesterschrift betrifft, so muß gegen die Behauptung, P sei übertrieben nationalistisch (HOLZINGER, Einleitung in den Hexateuch, 1893, S. 388), gesagt werden, daß in den Stellen Gen 26 34f. 28 2. 6 und Num 25 6FF. wohl das Religiöse, nicht aber das Nationale überwiegt; außerdem spricht die einzigartige positive Bewertung des Menschen an sich dagegen. Auch geht es weit weniger um Israels Heil als um seine Heiligkeit (Ex 3113; vgl. EICHRODT, Theologie, Teil 1, S. 292).

2*

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Erwählungstheologie und Universalismus im A T

die Konzentrierung des Gotteswillens auf ein Volk nicht ursprünglich gottgewollt und durch die Schuld der Menschheit bedingt ist, die nicht einmal im mosaischen Kultus vollkommen getilgt werden kann6. Man kann eigentlich gar nicht von einem Partikularismus bei P sprechen. Die Priesterschrift liegt durch ihre starre Betonung der Notwendigkeit der peinlichen Erfüllung der gottesdienstlichen Vorschriften, wobei der Eindruck entsteht, daß die Tatsache, daß Israel diesen Kultus vollzieht, im Vergleich damit nicht von allzu großer Bedeutung ist, irgendwie jenseits von Nationalismus, Partikularismus und religiösem Universalismus. Israel soll das heilige Volk des heiligen Gottes sein, hierzu von Gott ausgesondert (Lev 20 24: hibdil), aber diese Heiligkeit ist für den Menschen unheimlich und gefährlich, nicht im eigentlichen Sinn heilbringend wie bei Ezechiel. Der durch die Sünde des Menschen entstandene Schaden ist für P nicht wieder ganz in Ordnung zu bringen7. Für Ezechiel, bei dem selbstverständlich beinahe wie bei allen großen Propheten dynamischer Universalismus vorhanden ist (Ez 26 19: wenn ich8 die Urflut gegen dich heraufführe; ferner Ez 26 7 und 28 7), hätte das erwählte Volk — es findet sich auch der Ausdruck bahär an der Stelle Ez 20 5 — den heiligen Gott durch ein besonders beispielhaftes Verhalten repräsentieren sollen. Dies ist ja ein typischer Gedanke prophetischer Erwählungstheologie; hier ausgedrückt an der Stelle Ez 5 5-6a: Jerusalem in der Mitte der Völker! Wieder Israel das Schlüsselvolk der Weltgeschichte, aber hier in einem anderen Sinn als bei L und J: hier findet sich eine universale Aufgabe des erwählten Volkes. An der Stelle Ez 20 5 deutet der Ausdruck wa'iwwadä* darauf hin, daß dieser Offenbarung Jahwes so etwas wie dä'ät '&lohim hätte entsprechen sollen. Das erwählte Volk wird nun vor universalem Forum zur Rechenschaft gezogen (Ez 5 8; auch die Völker sind nach Ez 5 5-6a Jahwe ja verantwortlich), ja es wird auf Grund seiner Erwählung besonders hart gestraft (vgl. Ez 5 9 mit Am 3 2). Um seines Namens willen aber läßt Jahwe das dem Tode verfallene Volk — stärkster Ausdruck des Unheilplanes Jahwes mit Israel ist Ez 20 25 — doch nicht fallen. Der Unheilsplan wird in sein Gegenteil verkehrt: ein heiliges Volk, in dessen Mitte der heilige Gott wohnt, das ist die eschatologische Erfüllung der Erwählung beim Propheten Ezechiel®. Durch Jahwes endzeitliches Eingreifen findet sich anders • V g l . HOLZINGER, a. a. O. S. 376f.; aus Stellen wie G e n 17 6 28 A u n d ähnlichen ist doch keine Ausweitung des Heils über Israel hinaus zu entnehmen, gegen v. RAD, Genesis, S. 169. 7

V g l . auch die Begründung des religiösen Partikularismus an der Stelle L e v 20 23:

mit B . H . ist statt des Singulars » V o l k « der Plural zu lesen.

8

B. H .

• D i e wichtigste dem V o l k v o n den Priestern zu erteilende Belehrung hat über rein und unrein zu erfolgen ( E z 4423).

6. Das Erwählungsverständnis der vorexilischen Propheten

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als bei P ein ganz positiver Ausklang — dies war die Stiftung des mosaischen Kultus für P nicht! So läge vielleicht bei Ezechiel auch Heil für die Völker im Bereich der Möglichkeit10. Sowohl P als auch Ezechiel sind stark priesterlich orientiert (Betonung der Heiligkeit Gottes und Forderung bzw. eschatologische Ermöglichung der Heiligkeit Israels) und haben doch die Gedanken, die für die großen Propheten wichtig sind: vor allem das Bewußtsein der menschlichen Schuld und Nichtigkeit vor Gott und die Überzeugung von Gottes Souveränität und seine Ungebundenheit an sein erwähltes Volk11. Die Erwählungstheologie dieser beiden Autoren ist besonders durch die Vorstellung, daß Jahwe der allgerechte Gott ist, der sich ein besonders heiliges Volk zurichten will, vor allen anderen universalistischen Gedanken bestimmt. 6. DAS ERWÄHLUNGSVERSTÄNDNIS DER VOREXILISCHEN PROPHETEN Die Erwählungstheologie der vorexilischen Propheten ist geprägt durch die prinzipielle und totale Unheilssituation, in der das erwählte Volk gesehen wird1. Deshalb setzen sie sich mit falschen, meistens den 10

Die ausdrückliche Betonung der »Unbeschnittenen an Herz und Fleisch« (Ez 44 7. 9) ließe daran denken, daß Ezechiel auch mit Fremden, die sich dem Jahweglauben angeschlossen haben, rechnet, vgl. F O H R E R , Ezechiel, S. 248. 11 Weitere Züge der Erwählungstheologie des Ezechiel werden bei den vorexilischen Propheten behandelt, wenn sie Allgemeingut der großen Propheten sind. 1

Dieses Bewußtsein gewinnen die Propheten vor allem in den Berufungsvisionen (Am 7 s Jes 613: die letzten Worte »heiliger Same ist sein Stumpf« sind Zusatz, vgl. die Kommentare), und sprechen es auch immer wieder aus: Jes litt. Hos 1«. 9 612, ganz besonders aber Am 519 9 lff. und 312. An der letzten Stelle handelt es sich ja gar nicht um einen wirklich lebendigen Rest, sondern der Prophet meint, daß von Israel gerade so viel übrig bleibt, daß man sieht, daß hier einmal ein Volk existierte, vgl. W E I S E R , Das Buch der Zwölf Kleinen Propheten, 1. Teil, 2. Auflage, 1956, zur Stelle. Es ist keine Rede von einem Rest, der »Erbe der Erwählung wäre«, gegen R O W L E Y , a. a. O. S. 83. Eine Heilseschatologie würde die ganze Botschaft der Propheten sinnund wertlos machen. Zur Frage des Entstehens der eschatologischen Theologie vgl. F O H R E R , Struktur. So ist die Frage, die R O H L A N D , Die Bedeutung der Erwählungstraditionen für die Eschatologie der alttestamentlichen Propheten, Dissertation Heidelberg 1956, stellt, bei Arnos, Hosea, Micha, Jesaja, Jeremia und Zephanja unmöglich. Deshalb sind alle folgenden, für die Erwählungstheologie eventuell bedeutungsvollen Stellen den Propheten, in deren Buch sie stehen, abzusprechen: Jes 2 2fr. 42-6 89f. 14lir. 17l2-l4 19 24f. Mi 2l2f. 58-8 77-20; ebenso gilt dies für Hosea und Jeremia, bei denen unbedingte Heilsverheißungen nur in der Form, wie sie Hos 118f. und Jer 3120 auftreten, möglich sind, und auch nur deshalb, weil diese Heilsweis-

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Erwählungstheologie und Universalismus im A T

Glauben an die Erwählung als einen Heilszustand beinhaltenden Erwählungsvorstellungen auseinander. Arnos kämpft gegen den Glauben, daß Erwählung ein auf dem Exodus gegründeter Heilszustand sei 2 ; Am 6 1 greift er ironisch die Selbstbezeichnung Israels »erstes der Völker« auf; Am 2 9-11 zeigt, wie das Erwählungsverständnis eines Propheten (Am 2 11: lebendige Gemeinschaft) dem des Volkes (Am 2 9f.: eine Kette von Heilstaten Jahwes an Israel) gegenübersteht. Hosea verurteilt an der Stelle Hos 12 3ff. ein an der Vätertradition orientiertes Erwählungsverständnis3. Vielleicht stellt auch Hos 10 1 eine derartige Kritik dar, indem der Prophet ein Volkssprichwort zitiert und auf seine Weise fortsetzt: »Ein üppiger Weinstock 4 ist Israel, der viel Frucht brachte 5 . J e mehr Frucht es brachte, desto mehr Altäre machte es sich 8 .«

Jesaja hatte sich mit Kreisen auseinanderzusetzen, deren Schlagsagungen in organischem Zusammenhang mit der Theologie dieser Propheten stehen, während dies bei Arnos, Micha, J e s a j a und auch bei Zephanja, in dessen Buch j a besonders viel auf spätere Verfasser zurückgeht (vgl. ELLIGER, Das Buch der Zwölf Kleinen Propheten, 2. Teil, 2. Auflage, 1951, die einleitenden Bemerkungen zum Propheten Zephanja), nicht der Fall sein kann. Folgende Stellen sind aus anderen Gründen nicht zum Erweis unbedingter Heilsweissagungen möglich: Arnos wendet sich wohl nicht ausdrücklich ans Südreich — dies käme höchstens in Frage Am 6 l und 6 1 1 — aber das heißt nicht, daß er dem Südreich kritiklos gegenüberstehen muß; Am 1 2 kann kaum das Eintreten des Arnos für den Jerusalemer Tempel als einzig legitimen Kultort bedeuten, gegen KÖNIG, Geschichte der alttestamentlichen Religion, 3. und 4. Auflage, 1924, S. 412; schließlich hat der Name se'ar jaSüb weder verheißende, noch drohende, sondern mahnende Bedeutung, vgl. FOHRER, Neuere Literatur zur alttestamentlichen Prophetie, Th. Rundschau, N F 20, S. 226; endlich ist das von J e s a j a dem Ahas angekündigte Zeichen ein Unheilszeichen, vgl. FOHRER, ZU J e s 7 14 im Zusammenhang von 710-22, ZAW 68, 1956, S. 54ff. 2

Vgl. dazu das in Kapitel 1 Gesagte.

Weil Hos 12 7 sich auf das gegenwärtige Israel bezieht, vgl. SELLIN, Das Zwölfprophetenbuch, 2. und 3. Auflage (1. Hälfte 1929, 2. Hälfte 1930), S. 123, weiterhin zitiert mit SELLIN, Kommentar, und Vers 6 Glosse ist (vgl. B . H.), sagt Hosea hier nichts Positives über J a k o b . 8

4 Zur Übersetzung des Wortes bäqeq vgl. ROBINSON-HORST, Die Zwölf Kleinen Propheten, 2. Auflage, 1954, S. 38 (weiterhin zitiert mit ROBINSON bzw. HORST,

Kommentar). s

Vgl. ROBINSON, Kommentar, S. 38.

• B . H. Sehr ähnlich dieser Stelle ist E z 15, wo der Prophet gegen das Bewußtsein des besonderen Wertes Israels polemisiert. Deshalb ist es unwahrscheinlich, daß E z 25 8 die Prärogative des erwählten Volkes wahren wolle; der Frevel besteht darin, Jahwe auf die gleiche Stufe mit den anderen Göttern gestellt zu haben, gegen HERRMANN, Ezechiel, 1924, S. 158.

6. Das Erwählungsverständnis der vfcrexilischen Propheten

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wort »Immanuel« war: also nationaler Sicherheitsglaube7. Besonders heftig aber trat Micha gegen falsche, aus der Erwählung gezogene Konsequenzen auf, zunächst an der Stelle Mi 2 6-s: »Predigt nicht (wörtlich »triefen lassen«), predigen sie; nicht soll man Fluch predigen 8 ; nicht wird uns Beschämung 9 erreichen 10 . Ist denn verflucht 11 das Haus Jakobs ? Ist Jahwes Atem zu kurz, sind dies seine Taten ? Sind seine Wege 12 nicht gut mit seinem Volke Israel 13 ?«

Man meint, Jahwe müsse nur Gutes tun für sein erwähltes Volk. Die Worte »ist denn verflucht das Haus Jakobs« zeigen deutlich die Anspielung wohl auf Gen 22 18. Geschieht Unheil, dann führt man es eher auf Jahwes Ohnmacht als auf seine Strafgerichte zurück. Mi 3 12 gellte dem Volk noch ein Jahrhundert nach Micha in den Ohren! Jeremias Tempelrede ist ein einziger Protest gegen den falschen Sicherheitsglauben; Jer 8 8f. korrigiert Dtn 4 6ff.; Jer 9 3 ist wohl in Parallele zu Hos 12 4ff. zu setzen. Was ist nun der Hintergrund dieser prophetischen Proteste? Die Überzeugung, daß Jahwe nicht nur der absolut weltmächtige, sondern auch der allgerechte Gott ist. Diese universalistische Vorstellung findet sich besonders bei Jeremia 14 und Arnos15. Auch Jesaja kennt Jahwe als den universalen Richter (Jes 10 5f.), ebenso Ezechiel (Ez 29 3). Deshalb findet sich bei den Propheten auch öfters der Gedanke, daß Israel vor universalem Forum zur Rechenschaft gezogen wird (Jes 1 2f. Mi l2ff. 16 Jer 2 12 Jer 618 und Ez 5 8). Jahwe ahndet nicht nur Israels Sünden genauso wie die der anderen Völker, sondern Israel ist gerade auf 7 Vgl. GALLING, a. a. O. S. 81; diesem Immanuelglauben ähnlich ist die aus der Formulierung »daß du mit uns gehst« ersichtliche Auffassung (Ex 3318, zu keiner der Hexateuchquellen gehörig). 8

Vgl. SELLIN, K o m m e n t a r , S. 3 1 9 .

» B . H. 1 0 Vgl. ROBINSON, Kommentar zur Stelle. 1 1 B . H. 12 B . H. 1 8 B. H. 1 4 J e r 18 7ff.; die Stelle will j a sagen, daß es weder für Israel unbedingtes Heil, noch für die Völker unbedingtes Unheil geben muß. So bedeutet Vers 4 nicht, daß Jahwe Israels Sache doch noch zu einem guten Ende führen wolle, sondern daß er auch die Erwählung zurücknehmen und Israel zu etwas anderem verwenden kann, gegen VOLZ, Der Prophet Jeremia, 1922, S. 191 (weiterhin zitiert mit VOLZ, Jeremia). 1 6 Am 21-3 wird ein Volk wegen eines Vergehens an einem anderen Volk von Jahwe zur Rechenschaft gezogen. 1 8 Weil bahsem nicht mit »gegen euch« übersetzt werden muß, sondern auch »unter euch«, »in eurer Mitte« heißen kann (vgl. STEUERNAGEL, Einleitung in das AT. 1912, S. 625), brauchen die Verse wegen einer vor der Verurteilung Israels unpassend anmutenden Ankündigung des Weltgerichtes nicht gestrichen zu werden.

Erwählungstheologie und Universalismus im AT

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Grund seiner Erwählung Gott ganz besonders Rechenschaft schuldig. Dieser Gedanke findet sich in klassischer Formulierung Am 3 2 1 7 ; weitere Belegstellen sind Mi 3 1 Jer 2 9 und Ez 5 9. Was hätten — angesichts der totalen Unheilssituation m u ß man im Konjunktiv Plusquamperfekt reden — nun die Propheten unter Erwählung verstanden? Es wurde schon angedeutet: ein besonders rechtmäßiges Verhalten des erwählten Volkes, u m Jahwe in der Welt zu repräsentieren. Hosea spricht von dä'ät '&lohim, vertieft durch das Bild der Ehe zwischen Jahwe und Israel, das sich auch bei Jeremia findet; Arnos von Propheten und Nasiräern, die Mittler zwischen Volk u n d Gott gewesen wären; Jesaja von Recht und Gerechtigkeit, die Jahwe gerade von Israel erwartet hätte, ebenso Micha (Mi 3 n ) . Ganz klar ausgesprochen aber findet sich dieser Gedanke, daß Israel Jahwe in der Welt zu vertreten hat, bei Jeremia, der auch immer wieder auf Jes 5 1-7 anspielt (Jer 2 21 u n d 8 13), u n d zwar an der Stelle 13 11 18 , und in der schon besprochenen Ezechielstelle. Typisch prophetisch ist der Gedanke, daß Israel in negativer Hinsicht das Schlüsselvolk der Weltgeschichte ist: Am 6 14 (Am 4 6-11 vom Bereich der Geschichte auf den der N a t u r übertragen) Hos 10 10 Jes 5 26ff. Jes 7 18 Jer 115 Jer 5 15 J e r 25 9 Zeph 3 6 u n d vielleicht auch Zeph 1 719. Während alle anderen Propheten über die Forderung der Umkehr nicht hinausgehen, erblicken Hosea, Jeremia und Ezechiel die Möglichkeit einer R e t t u n g des Volkes in Jahwes Eingreifen, das es dem Volk ermöglicht, sich zu Gott zu wenden 20 . Das Heil der Völker 17 Durch den Zusammenhang, in dem das Wort steht, ergibt sich, daß jadä' — ansonsten durchaus kein Erwählungsterminus, gegen ROHLAND, a. a. O. S. 27 — hier nur mit »erwählen«übersetzt werden kann; »ich kenne «ist wegen Am 9 7 und auch Am 2 L-s unmöglich, gegen KÖHLER, Amos-Forschungen von 1917—1932, Th. Rundschau N F 4, 1932, S. 207; CRAMERS Übersetzung »nur euch gilt mein Ehebund« (a. a. O. S. 32) hat im Text keinen Anhaltspunkt. Warum wählt Arnos nicht bahär ? Wohl deshalb, weil dieser Ausdruck einem zu statischen Erwählungsverständnis Raum gibt, indem der Akzent zu stark auf die Gottestat gelegt wird. 18

Der Gürtel ist das besondere Schmuckstück des Mannes, vgl. VOLZ, Jeremia, Kommentar zur Stelle. " Wenn nämlich die »Geladenen« von Jahwe zur Bestrafung Israels aufgebotene Völker sind, wie EICHRODT, Theologie, Teil 3, S. 52, Anm. 2 vermutet. 20 Ez 40—48 Jer 3120, eventuell Jer 31 81 und bei Hosea an mehreren Stellen, vor allem aber Hos 118f. Wenn RUDOLPH, Jeremia, 2. Auflage, 1958, S. X l l f . , davon redet, daß Jeremia sich wegen seines Erwählungsglaubens nicht mit einem Ende der Geschichte Jahwes mit Israel abfinden könne und daß der Erwählungsglaube des Propheten da durchschlage, wo er noch mit einer Zukunft Israels nach der Katastrophe rechne, dies aber bei Babel nicht für möglich halte (Jer 51 64), so ist dazu zu sagen, daß RUDOLPH dadurch von vornherein die Erwählungstheologie in die Sphäre des Nationalismus und Sicherheitsglaubens zieht; Jeremia hat außerdem mit dem totalen

7. Das eschatologische universalistische Erwählungsverständnis

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liegt kaum in der Verkündigungssituation dieser Propheten. Ihr Universalismus (in erster Linie die Vorstellung, daß Jahwe der allgerechte Gott ist) richtet sich mehr gegen das erwählte Volk. Ansätze zu einem religiösen Universalismus finden sich bei Ezechiel und Jeremía 21 , karitativer Universalismus zeigt sich bei Jeremía (Jer 18 7ff.). Das wichtigste Merkmal der Erwählungstheologie der vorexilischen Propheten ist dies, daß zwar niemals die Erwählung selbst, wohl aber das erwählte Volk, wie es sich den Propheten jeweils darstellte, auf Grund der Überzeugung, daß Jahwe nicht nur der weltmächtige, sondern auch der allgerechte Gott ist, in Frage gestellt und verurteilt wird. Ein Psalm, der eine Kritik an einer partikularistischen Erwählungsvorstellung darstellt, mag hier erwähnt werden: Ps 82. Jahwe hat den Völkern Gottwesen als Richter zugeteilt (Ps 82 2. 6. 8); die Vorstellung findet sich ja auch Dtn 4 19 und Dtn 32 8. Der Psalmist fordert Jahwe auf, dem ungerechten Treiben der Gottwesen ein Ende zu setzen und die Völker direkt zu seinem Eigentum zu machen (nahäl in Vers 8). Deshalb wird auch in Vers 8 wie in Ps 26 i »schaffe Recht« zu übersetzen sein22. Eine partikularistische Erwählungsvorstellung wird durch Universalismus überwunden; alle Völker sollen Jahwes nähHä werden 23 . 7. DAS ESCHATOLOGISCHE UNIVERSALISTISCHE ERWÄHLUNGSVERSTÄNDNIS Fundament der Theologie Deuterojesajas ist das Bewußtsein, daß der eine Gott (Jes 43 n 44 8 45 5 46 9) etwas ganz Neues schaffen werde (Jes 43 19), was in erster Linie Heil für Israel, dann aber auch Untergang der erwählten Volkes gerechnet (Jer 12 7 und 6 27fr.); schließlich ist es sehr unsicher, ob Jer 51 64 wirklich den Propheten zum Verfasser hat. 21 Jeremia ist von Anfang an Prophet für die Völker (Jer 15), und zwar nicht nur Unheilsprophet, gegen SCHMIDT, Die großen Propheten, 2. Auflage, 1923, S. 203ff., der ohne nähere Begründung die an der Stelle Jer 110 stehenden die positive Aufgabe des Propheten ins Auge fassenden Ausdrücke streicht, so daß nun vier die gleiche Sache meinende Wörter gehäuft aneinander gereiht wären. Viel berechtigter ist die Streichung der Ausdrücke »und zu vertilgen und niederzureißen«, so daß nun zwei positive zwei negativen Wörtern gegenüberstehen. Falls die Verse Jer 16 L9FF. den Propheten zum Verfasser haben, dann läge hier religiöser Universalismus vor. Allerdings ist der Gedanke der Bekehrung der Völker zu Jahwe kein altes, in der Kulttradition des Jahwebundes überliefertes Gedankengut, wie WEISER, Der Prophet Jeremia, 1952, S. 147 meint, denn die von ihm angeführten Belegstellen stammen entweder nicht von dem Propheten, in dessen Buch sie stehen (Jer 4 l f . Jes 2 2tr. = Mi 4lff. und Jer 317) oder sie enthalten gar nicht den Gedanken der Bekehrung (Jes 18 7). 22 Nicht wie in den meisten Kommentaren »richte« oder »halte Gericht«. 23 Ähnlich Ps 58a. 8 (mit B. H. ist in Versa 'elim zu lesen).

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Erwählungstheologie und Universalismus im AT

Heil für die ganze Welt bringen werde. Israel spielt in Jahwes universalem Heilsplan eine entscheidende Rolle: es ist Jahwes Knecht 1 (Jes 44 21 42 19 43 io), Bote (42 19) und Zeuge (43 10). Der politische Erwählte Jahwes aber ist nicht Israel, sondern Kyros, so daß man nicht von Nationalismus bei Deuterojesaja sprechen kann2. E r schwärmt nicht von Israels politischer Weltherrschaft; der Beruf des erwählten Volkes ist vielmehr geistlich: »Ihr seid meine Zeugen, spricht Jahwe, und meine Knechte 8 , die ich erwählt habe, damit sie 1 zur Erkenntnis kommen und an mich glauben und merken, daß ich es bin, vor dem kein Gott war und nach dem keiner sein wird. «

Israels Aufgabe ist die Weltmission. Die Heiden bedürfen der Botschaft von dem einen Gott (Jes 42 4 51 5). Deshalb hat Gott Israel auserwählt »von den Enden der Erde« (Jes 41 8f.). Neben diesem Auftrag zur Mission findet sich vielleicht auch schon außerhalb der eigentlichen Ebedlieder das stellvertretende Leiden des erwählten Volkes angedeutet, Jes 49 7: »So spricht Jahwe, Israels Erlöser, sein Heiliger, zu dem tief Verachteten 6 , dem von den Leuten Verschmähten®, dem Sklaven der Gewalthaber: Könige schauen es und stehen auf; Fürsten und beten an, wegen Jahwes, der treu ist, des Heiligen Israels, der dich erwählt hat. «

Die Beziehung zu Jes 52 15 (das Staunen der Könige) ist deutlich. Zur Frage der Ebedlieder überhaupt ist in diesem Zusammenhang zu sagen, daß sie gegenüber der sonstigen Theologie Deuterojesajas kaum neue Gedanken bringen — Mission und Leiden finden sich auch außerhalb dieser Gedichte —, daß aber einige auffallende Verbindungslinien zu anderen Stellen vorliegen7. So findet sich bei Deuterojesaja religiöser 1 Der Ausdruck Knecht — der bevorzugte Günstling, der das Ohr des Herrn hat, den der Herr zu besonderem Auftrag verwendet (VOLZ, Jesaja 2, S. 18) — zeigt, daß im Deuteronomium und bei Deuterojesaja eben gerade nicht dasselbe Verhältnis von Erwählungsaussagen und monotheistischen Glaubenssätzen herrscht, gegen VRIEZEN,. Erwählung, S. 69.

Gegen DUHM, Das Buch Jesaja, 4. Auflage, 1922, S. 322. B . H. 4 B . H. Das dynamische Element in den Ausdrücken Knecht und Zeuge wird übersehen, wenn man die zweite Person beläßt, wie dies etwa VOLZ, Jesaja 2, S. 39 tut. Das Wort Zeuge prägt auch die Titel an der Stelle Jes 65 3-5 geistlich: nagid heißt einfach Anführer (vgl. KÖHLER-BAUMGARTNER, Lexicon in Veteris Testamenti Libros, 1963, S. 692) und muß nicht den politischen Führer meinen, während me$äww& bedeutet, daß Israel den Völkern in Jahwes Namen Gebote erteilen wird, vgl. Jes 42 4. Von Beherrschen der Völker ist keine Rede. 2

3

Mit B . H. ist libezüj zu lesen. • B . H. ' J e s 49 lb ist mit 442aß, Jes 49 3b mit 4423cß zu vergleichen; Jes 42 4 ist 61 5 ähnlich, ebenso Jes 42 1 ähnlich 44 3. Individuelle Züge machen, soweit sie nicht zu 6

8. Das partikularistäsche eschatologische Erwählungsverständnis

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Universalismus, der die Erwählungstheologie des Propheten ganz stark bestimmt, wobei Israel das in verschiedener Weise von Jahwe gebrauchte Werkzeug ist8. Jes 56 i-89 hat man ein Zeugnis für eine Art von »kultischem Universalismus« genannt10, das heißt, daß der Anschluß an Jahwe Aufgehen in Israel bedeutet. Die gleiche Situation liegt in Ps 87 vor: Zion ist der geistliche Mittelpunkt der Welt11. Auch bei Sacharja, der ein typischer Vertreter der eschatologischen Theologie ist12, findet sich ein ausgesprochen universales Interesse (Sach 2 i 5 a 8 20ff.). Hingegen geht es Haggai nur um die Ausstattung des Tempels mit den Kostbarkeiten der Völker, nicht aber um deren Heil13. Falls in Ps 135 20 an Proselyten gedacht sein sollte, wäre der Psalm auch hier zu erwähnen14. 8. DAS PARTIKULARISTISCHE ESCHATOLOGISCHE ERWÄHLUNGSVERSTÄNDNIS In diese Gruppe gehört zunächst der Prophet Maleachi1. Er demonstriert an Jahwes Haß gegen Edom dessen Liebe zu Israel (Mal 1 2-5). Der Gedanke der rassischen Auserwähltheit spielt bereits stark sind, die kollektive Deutung nicht unmöglich (vgl. E I S S F E L D T , Der Gottesknecht bei Deuterojesaja, 1933, S. 12), so daß wohl diese Lieder außer in den Gedichten in den Kapiteln 50, 62 und 53 Israel meinen. 8 An einigen Stellen greift Jahwe direkt ein; so Jes 45 22-24a in einer »Missionsrede«; Vers 24a wird mit VOLZ, Jesaja 2, S. 72 »für den Menschen« zu lesen sein; Jes 4Ö24b-25 spielt eine ähnliche Rolle wie Jes 2 5 bzw. Mi 45 und ist zu streichen. 9 Der sogenannte Tritojesaja splittert sich in den neueren Bearbeitungen immer mehr in Einzelstücke auf, vgl. E I S S F E L D T , Einleitung. 10

VOLZ, J e s a j a 2, S. 206.

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Wenn es sich nicht um Proselyten, sondern um in der ganzen Welt zerstreute Juden handeln sollte, dann müßte man einen Hinweis darauf, daß diese Diasporasituation doch ein Ende finden möge, erwarten. Dagegen ist deutlich die Freude und der Stolz bei der Aufzählung herauszuhören. 12 Diese wertet entweder das Exil als Verwerfung und spricht von Wiedererwählung (Sach 117 b 2 16 und Jes 14 1) und gliedert auf diese Weise den Erwählungsgedanken in ihr Schema: zuerst Gericht, dann Heil ein, oder sie betont gerade das Bestehen der Erwählung trotz des Gerichtes des Exils (Jer 33 24ff.). Typisch für sie ist auch, daß verschiedene Erwählungsvorstellungen der früheren Zeit aufgenommen werden und ihre eschatologische Erfüllung finden. 13 Hagg 2 7; wo ist hier von Heil der Völker (HORST, Kommentar, S. 207) oder gar von einer neuen, im Glauben an Gott geeinten Menschheit (SELLIN, Kommentar, S. 461) die Rede ? 14 Der Ausdruck segullä in Vers 4 spräche eher dagegen. 1

Man hat sich immer wieder bemüht, die Stelle Mal 111 dem Propheten zuzuschreiben; aber alle Argumente, die dafür ins Treffen geführt werden, sind nicht

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Erwählungstbeologie und Universalismus im AT

eine Rolle (Mal 2 152). Mal 3 12 stellt die eschatologische Erfüllung der an der Stelle Gen 22 18 gegebenen Erwählungsvorstellung dar, während Mal 3 17 dies mit der mit dem Ausdruck s'gullä verbundenen Vorstellung geschieht. Ferner ist hier auf Joel hinzuweisen 3 : Joel 4 10 ist bewußte Änderung von Jes 2 4 bzw. Mi 4 3. Während die Vernichtung der Völker erwartet wird, gilt Israel als Jahwes nähaläSchließlich findet sich im Buche Zephanja ein Redaktor, der das ursprünglich nur Israel geltende Unheil kosmisch ausweitet (Zeph 1), während die an der Stelle Dtn 26 19 auftretende Erwählungsvorstellung Zeph 3 I9f. ihre eschatologische Erfüllung findet 5 . In dieser Gruppe werden die Völker entweder ganz vernichtet, oder aber es wird gar nicht an sie gedacht 6 . Sie treten höchstens als schlagend; SELLIN, Kommentar, S. 589, meint, der Prophet beschränke das Gericht j a nur auf J u d a ; dies wohl, aber auch das Heil. Die Überzeugung von der über Israels Grenzen hinausgreifenden Macht Jahwes verdient nicht den Namen Universalismus, gegen MARTI, Das Dodekapropheton, 1904, S. 462; der Prophet kämpft auch nicht gegen die eheliche Untreue überhaupt — was als Universalismus gewertet werden könnte — sondern es geht ihm um die Reinerhaltung des jüdischen Blutes, gegen SELLIN, Kommentar, S. 590, weil der Ausdruck 'eSast beHtxha in Mal 214 nicht »Weib deines Kontrakts« (so HORST, Kommentar, S. 268) heißt, sondern wegen Mal 210, wo das Wort berit die völkisch-religiöse Einheit der Juden bedeutet, die Israelitin meint: nur von ihr ist zasra 'moh%m zu erwarten (Mal 215). 2 Hier ist auf das chronistische Geschichtswerk hinzuweisen, wo dieser Gedanke die treibende Kraft ist und den entscheidenden Faktor der Erwählungstheologie darstellt. I m Unterschied zu den Verfassern dieser Gruppe spielt die Eschatologie in jenem Werk keine Rolle. Man kann nicht sagen, daß Israels Erwählung den Chronisten nicht mehr interessiert (v. RAD, Theologie des AT, Band 1, S. 349f.); es wird nur deshalb mehr von der Erwählung Davids und der Leviten geredet, weil Israels Erwählung die Grundvoraussetzung der chronistischen Theologie und so selbstverständlich ist, daß sie nicht ausdrücklich festgestellt werden muß. • Weil sowieso nur die Kapitel 3 und 4 in Frage kommen, braucht auf das schwierige Problem des Verhältnisses der beiden Teile zueinander nicht eingegangen werden. 4 Joel 4 2; auch in der Liturgie Mi 7 7-20 wird Israel so genannt, während die Völker zitternd nahen, um Jahwe ihre Reverenz zu erweisen. An solchen Stellen ist der »Rest« der Erbe der Erwählung, doch kann man das nicht bei den vorexilischen Propheten sagen; die von ROWLEY, a. a. O. S. 70ff. zu diesem Zweck herangezogenen Stellen meinen entweder gar keinen wirklichen Rest (Am 312) oder aber sie stammen nicht von dem Propheten, in dessen Buch sie stehen (z. B. Jer 23 8f.). Der Ausdruck näfialä findet sich auch in der sonst großartigen Polemik gegen die Götzen Jer 10 1-16 und prägt die Stelle partikularistisch. 6 Jer 1311 wird in dieser Weise von Deuterojesaja aufgenommen, und zwar an der Stelle Jes 43 21. • Vgl. auch das chronistische Geschichtswerk; die Heiden sind vollkommen uninteressant.

9. Die Überwindung der Erwählungstheologie durch Universalismus

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Bewunderer des endzeitlichen Glücks Israels auf. Nur dynamischer Universalismus spielt unter allen universalistischen Vorstellungen eine Rolle: Jahwe setzt seine Allmacht nur für sein erwähltes Volk ein, so daß dieses in einem immerwährenden Heilszustand lebt, während die Völkerwelt davon ausgeschlossen ist7. 9. D I E Ü B E R W I N D U N G D E R DURCH

ERWÄHLUNGSTHEOLOGIE

UNIVERSALISMUS

An Stellen wie Jes 2 2ff. = Mi 4 iff. bahnt sich die Uberwindung jeglicher Erwählungstheologie durch religiösen Universalismus an, doch bleibt hier wie auch an der Stelle Jes 19 24f. noch ein gewisses Erwähltheitsmoment bestehen. Der letzte Schritt ist Mal 1 n und besonders bei dem universalistischen Glossator im Zephanjabuch, dessen Anliegen es ist, das Heil auf die Heiden auszudehnen, getan1. Er meldet sich Zeph 2 n 2 , Zeph 3 9f. und vielleicht schon 2 8a zu Wort, wenn nämlich EHRLICH Recht hat und statt »alle Demütigen im Lande« »alle Völker der Erde« zu lesen ist3. Zunächst ist Zeph 2 H zu übersetzen: »Jahwe erscheint* über ihnen und läßt alle Götter der Erde hinschwinden 5 , und es werden ihn anbeten alle Gestade der Heiden, ein jeder von seiner Stätte aus.«

Jahwe vernichtet die heidnischen Götter, die Wurzel allen Übels für die Völkerwelt. Das über ihr liegende Urteil (Dtn 4 19) wird aufgehoben. Zwischen Israel und den anderen Völkern gibt es keinen Unterschied mehr. Schließlich noch Zeph 3 9f.: »Denn ich will den Völkern reine Lippen geben, daß alle Jahwes Kamen anrufen und ihm einträchtig dienen. Von jenseits der Ströme von Kusch bis zum äußersten Norden* werden sie mir Speiseopfer bringen.« 7 Einen Protest gegen diese partikularistische Erwählungstheologie stellt das Buch Jona dar, in dem der Glaube, daß der allmächtige Gott nur Nationalgott für sein erwähltes Volk ist, ad absurdum geführt wird. Vielleicht soll auch das zeitlich schwer einzuordnende und auch in seiner Absicht nicht leicht zu deutende Buch Ruth einen derartigen Einspruch darstellen. 1 Vgl. E L L I G E R S einleitende Bemerkungen zum Propheten Zephanja in seinem schon in der Anmerkung 1 zu Abschnitt 6 erwähnten Kommentar. 2 Zeph 2 10 ist Zusatz (B. H.); doch sind Zeph 210 und 2 n einander ganz unähnlich, so daß hier nicht derselbe Verfasser vorliegen kann. 8 E H R L I C H , Randglossen zur Hebräischen Bibel, 6. Band, 1912, S. 311 f; das Wort richtet sich nach E H R L I C H an alle Völker, die Jahwes Strafgerichte ausgeführt haben. Dieses Suchen muß nicht in Form einer Wallfahrt geschehen; Zeph 2 l l würde dem direkt widersprechen. * B. H. 6 Vgl. H O R S T und E L L I G E R , Kommentare zur Stelle. • B. H.

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Erwählungstheologie und Universalismus im AT

Der Verfasser will die ganze Welt umspannen. Jahwe stellt den bei der Schöpfung gewollten Zustand wieder her. Jede Verschiedenheit zwischen den Völkern wird aufgehoben; keine Rede mehr von einem erwählten und besonders bevorzugten Volk. Die Theologie dieses Glossators ist einer der Höhepunkte des Alten Testaments, ja der gesamten Bibel. Der religiöse Universalismus hat jegliche Erwählungstheologie überwunden. 10. ZUSAMMENFASSUNG UND SCHLUSS Die alttestamentliche Erwählungstheologie umspannt einen weiten Bogen. Er reicht von der Überzeugung eines Deuterojesaja, daß das erwählte Volk Jahwes Werkzeug in dessen Weltplan darstellt, bis zu dem Verfasser von Joel 3—4, der die völlige Vernichtung der Völker ersehnt; von dem negativen Erwählungsbewußtsein der vorexilischen Propheten bis zur nationalistischen Erwählungstheologie des Jahwisten; vom Separatismus, der beim Elohisten beginnt, sich über das Deuteronomium und die Priesterschrift fortsetzt und im chronistischen Geschichtswerk gipfelt, bis zur völkerfreundlichen Gesinnung des Verfassers des Buches Jona. Universalismus und Erwählungsaussagen sind zwei korrespondierende Größen im Alten Testament: Universalismus vermag die Erwählungstheologie völkerfreundlich (religiöser und karitativer Universalismus), völkerfeindlich (bloße Betonung des dynamischen Universalismus) oder auch gegen Israel selbst gerichtet zu prägen (Jahwe, der allgerechte Richter). Drei große Linien werden sichtbar: eine, in der Israels durch die Erwählung gegebene Bevorzugung die größte Rolle spielt, eine, der vor allem die Aufgabe des erwählten Volkes wichtig ist, und eine, in der der Gedanke, daß Israel Jahwe in der Welt zu repräsentieren hat, hervortritt. Schließlich kann Universalismus auch über jegliche Erwählungstheologie hinausgehen. Von überragendem Einfluß auf die alttestamentliche Erwählungstheologie war die Geschichte des erwählten Volkes. Als sich der Horizont Israels in der Zeit Davids und Salomos erweiterte, da entstand wohl zum ersten Mal das Bewußtsein der Erwählung durch den weltmächtigen Gott. Eine optimistisch-nationalistische, aber doch völkerfreundliche Erwählungstheologie entstand in den Werken der Laienquelle und des Jahwisten. Innerer Verfall und die Bedrohung durch die Weltmächte riefen die prophetische Reaktion auf den Plan, angebahnt durch den Elohisten und modifiziert durch das Deuteronomium. Das Zerbrechen des Staatswesens führte zu einer weiteren Vergeistlichung des Erwählungsgedankens: seltsame Extreme sind das strenge, durch und durch pessimistische Werk der Priesterschrift, und der von eschatologischem Jubel erfüllte Prophet des Exils, der mit

10 . Zusammenfassung und Schluß

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den erwarteten politischen Veränderungen eine Erneuerung der gesamten Schöpfung verband, wobei das erwählte Volk in verschiedenerlei Weise Jahwes Werkzeug in der Welt zu sein hatte. Schließlich findet in späterer Zeit eine durch die Notwendigkeit der Erhaltung des Volkes bedingte Erstarrung und eine gewaltige Steigerung des Separatismus statt, andrerseits aber schlägt sich der beginnende Kosmopolitismus jener Zeit in literarischen Protesten gegen diese partikularistische Haltung in Form völkerfreundlicher Gedanken nieder, wie dies im Buche Jona etwa der Fall ist. Die alttestamentüche Erwählungstheologie ist wohl organisch verwachsen mit der gesamten Theologie des Alten Testaments, aber doch deutlich gegen andere Vorstellungen abzugrenzen. Ein ständiges Fragen und Ringen um Sinn und Bedeutung der Erwählung zieht sich durchs Alte Testament; hieraus ergibt sich die Bedeutung des Erwählungsgedankens für das Alte Testament. Aber diese Bedeutung hat ihre Grenzen: dort nämlich, wo religiöser Universalismus die Erwählungstheologie vollständig überwunden hat. Dort ist die Religion des Alten Testaments zur wahren Weltreligion geworden.

JULIUS W E L L H A U S E N

Die Composition des Hexateuchs und der historischen Bücher des Alten Testaments 4., unveränderte Auflage. Oktav. VI, 374 Seiten. Unveränd. Nachdruck 1963. Ganzleinen DM 36,—

Die kleinen Propheten Ubersetzt und erklärt 4., unveränderte Auflage. Oktav. VII, 222 Seiten. Unveränd. Nachdruck 1963. Ganzleinen DM 28 —

Das Arabische Reich und sein Sturz 2., unveränderte Auflage. Groß-Oktav. X V I , 352 Seiten. 1960. Ganzleinen D M 34,—

Muhammed in Medina. Das ist Vakidis Kitab al Maghazi in verkürzter deutscher Wiedergabe. Oktav. 472 Seiten. 1882. Brosch. DM 15,—

Prolegomena zur ältesten Geschichte des Islams Verschiedenes. Oktav. VIII, 260 Seiten. 1899. Brosch. DM 10,50 (Skizzen und Vorarbeiten Heft 6)

Prolegomena zur Geschichte Israels 6. Ausgabe. Neudruck. Oktav. VIII, 424 Seiten. 1927. DM 13,50

Israelitische und Jüdische Geschichte 9. Auflage. Groß-Oktav. VIII, 371 Seiten. 1958. Ganzleinen DM 19,80

Erweiterungen und Änderungen im vierten Evangelium Oktav. 38 Seiten. 1907. DM 1,50

Das Evangelium Marci Ubersetzt und erklärt. 2. Auflage. Oktav. 137 Seiten. 1909. DM 6,—

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