Hegels System der Theologie [Reprint 2011 ed.] 3110044633, 9783110044638, 9783110833096

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Hegels System der Theologie [Reprint 2011 ed.]
 3110044633, 9783110044638, 9783110833096

Table of contents :
EINLEITUNG
A. Hegel als Theologe
B. Der Begriff der Wahrheit: Hegels Anspruch
I. TEIL: ERKENNTNISTHEORETISCHE UND METHODOLOGISCHE GRUNDLEGUNG DER THEOLOGIE
1. Kapitel: Erkenntnistheorie
1. Abschnitt: Die Gotteserkenntnis
2. Abschnitt: Glaube und Denken
2. Kapitel: Die Methode
A. Die Dialektik
B. Das wissenschaftliche Erkennen
C. Der wissenschaftliche Beweis
II. TEIL: DAS THEOLOGISCHE SYSTEM
Einleitung
A. Der Anfang des Systems
B. Gottes Einheit und seine Eigenschaften
C. Die Gottesbeweise
1. Kapitel: Gott als die absolute Idee
1. Abschnitt: Die Sphäre des Seins
2. Abschnitt: Die Sphäre des Wesens
3. Abschnitt: Die Sphäre des Begriffs
2. Kapitel: Gott und die Welt
1. Abschnitt: Die Schöpfung
2. Abschnitt: Die Geschichte
3. Abschnitt: Der Mensch und das Böse
3. Kapitel: Die Versöhnung
1. Abschnitt: Die Christologie
2. Abschnitt: Die Kirche
3. Abschnitt: Der absolute Geist

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ERIK SCHMIDT

HEGELS SYSTEM DER THEOLOGIE

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G

HEGELS SYSTEM DER THEOLOGIE

VON

ERIK SCHMIDT

WALTER DE GRUYTER · BERLIN · NEW YORK 1974

THEOLOGISCHE BIBLIOTHEK

TÖPELMANN

HERAUSGEGEBEN VON K.ALAND,

K . G. K Ü H N ,

C.H.RATSCHOW

UND

E.SCHLINK

26. B A N D

ISBN 3 11 004463 3 Library of Congress Catalog Card Number: 73-81703 © 1974 by Walter de Gruyter Co., Berlin 30 (Printed in Germany) Alle Rechte, insbesondere das der Übersetzung in fremde Sprachen, vorbehalten. Ohne ausdrückliche Genehmigung des Verlages ist es auch nicht gestattet, dieses Buch oder Teile daraus auf photomedianisdiem Wege (Photokopie, Mikrokopie) zu vervielfältigen. Satz und Druck: Kupijai & Prochnow, l Berlin 61

VORWORT Die folgende Arbeit möchte die Theologie Hegels, die ein integrierter Bestandteil seines philosophischen Systems ist und selbst ein System der Theologie darbietet, kurz, aber erschöpfend zur Darstellung bringen. Alles, was Hegel in seinen Werken zur Theologie geschrieben und gesagt hat, ist hier verarbeitet und in einen Zusammenhang gebracht, der sich so in seinen Werken nicht findet. Auch die Fassung der Hegeischen Religionsphilosophie in den beiden Ausgaben von H. Glockner und G. Lasson ist nur eine unvollkommene Zusammenfügung der Vorlesungs-Manuskripte und Nachschriften der Hörer, kein systematisch geordnetes Ganzes. Das hat zu mancherlei Mißdeutungen der Lehre Hegels geführt. Die Arbeit beschränkt sich auf die Darstellung der Lehre Hegels, die kritischen Einwände gegen Hegel mußten bis auf einige apologetische Sätze, die die wichtigsten Probleme berühren, unberücksichtigt bleiben. Wer die kritischen Einwände gegen Hegels Theologie im Zusammenhang behandeln wollte, müßte ein großes Werk verfassen; das konnte hier nicht geschehen. Aber die beste Abwehr der kritischen Einwände gegen Hegel scheint uns die klare und objektive Darlegung seiner Gedanken zu sein. Denn Hegels dialektische und spekulative Ausführungen sprechen für sich selbst, wenn der Leser fähig ist, dialektisch-spekulativ zu denken und die „Anstrengung des Begriffs" auf sich zu nehmen. Nicht nur für seine Logik (G. Lasson), sondern auch für seine Theologie erhebt Hegel den Anspruch absoluter Wahrheit, nicht in dem Sinne, als wäre seine Theologie die erschöpfende, die ganze Wahrheit über Gott — Hegel hat sich nicht für allwissend und auch nicht für „unfehlbar" gehalten —, sondern in dem Sinne einer konkreten, dem Begriff Gottes adäquaten Wahrheit aller grundsätzlichen Einsichten seiner Lehre. Und diese konkrete, adäquate Wahrheit muß ihm jeder, der seinen Gedanken zu folgen vermag, muß ihm gerade auch der denkende Christ und Theologe zuerkennen. Für die Ermöglichung der Drucklegung dieser Arbeit spreche ich der Evangelischen Kirche der Union meinen verbindlichen Dank aus. Erik Schmidt

INHALTSVERZEICHNIS EINLEITUNG A. Hegel als Theologe B. Der Begriff der Wahrheit: Hegels Anspruch 1. Die formelle Wahrheit. 2. Die philosophische Wahrheit. 3. Die konkrete Wahrheit. 4. Gott als Wahrheit. I. TEIL: ERKENNTNISTHEORETISCHE UND METHODOLOGISCHE GRUNDLEGUNG DER THEOLOGIE 1. Kapitel: Erkenntnistheorie 1. Abschnitt: Die Gotteserkenntnis A. Das Problem der Gotteserkenntnis B. Gefühl und Denken 1. Das Wesen des Gefühls. 2. Religion und Gefühl. 3. Die Andacht. 4. Wahrheit und Gefühl. C. Das unmittelbare Wissen 1. Unmittelbarkeit und Vermittlung. 2. Glaube und unmittelbares Wissen. D. Der Kritizismus Kants a) Kant und Hegel b) Kants Erkenntniskritik 1. Die synthetischen Urteile. 2. Der Verstand. 3. Die Vernunft. c) Hegels Antikritik 1. Wahrnehmung und Verstand. 2. Die Erfahrung. 3. Die Vernunft in den Kategorien. 4. Verstand und Vernunft. 5. Die Erkenntnis. 6. Hegels Erkenntnistheorie. E. Erkenntnismetaphysik , a) Kritik an der negativen Theologie b) Endlichkeit und Unendlichkeit des menschlichen Geistes 2. Abschnitt: Glaube und Denken A. Der Zwiespalt zwischen Glaube und Denken B. Die Notwendigkeit der Versöhnung C. Die Religion 1. Psychologie der Religion. 2. Geschichte der Religion. 3. Die Religion. D. Die religiöse Vorstellung 1. Das Wesen der Vorstellung. 2. Der Mangel der Vorstellung. 3. Vorstellung und Begriffe. E. Die Glaubensgewißheit 1. Das Wesen der Gewißheit. 2. Gewißheit und Wahrheit.

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Inhalt

F. Theologie und Logik 47 1. Die theologisdie Exegese. 2. Theologie und kategoriales Denken. 3. Spekulative Logik und Theologie. G. Ergebnis 52 1. Religion und Philosophie. 2. Die Aufgabe der Religionsphilosophie. 2. Kapitel: Die Methode 55 A. Die Dialektik 55 1. Das Problem der Dialektik. 2. Identität und Widerspruch. B. Das wissenschaftliche Erkennen 58 1. Der dialektische Prozeß. 2. Die spekulative Synthese. C. Der wissenschaftliche Beweis 61 1. Das Weisen. 2. Die Deduktion. 3. Der spekulative Beweis. II. TEIL: DAS THEOLOGISCHE SYSTEM Einleitung A. Der Anfang des Systems B. Gottes Einheit und seine Eigenschaften C. Die Gottesbeweise a) Die traditionellen Gottesbeweise 1. Das Problem der Gottesbeweise. 2. Die Beweise als Erhebung zu Gott. 3. Der Mangel der alten Gottesbeweise. b) Die Mehrzahl der Beweise 1. Der Ausgangspunk der Beweise. 2. Die Einteilung der Beweise. 3. Der Beweis ex consensu gentium und der moralische Beweis. c) Die Gliederung des Systems 1. Kapitel: Gott als die absolute Idee 1. Abschnitt: Die Sphäre des Seins A. Gott als das absolute Sein 1. Die Kategorie des Seins. 2. Das Nichts. 3. Das Werden. 4. Das Dasein. B. Das ontologische Argument 1. Die zwei ontologischen Gottesbeweise Anselms. 2. Kants Kritik des ontologischen Beweises. 3. Der Mangel des Beweises. C. Die Unendlichkeit Gottes 1. Dasein und Endlichkeit. 2. Der Begriff der Endlichkeit. 3. Die schlechte Unendlichkeit. 4. Die wahre Unendlichkeit. 2. Abschnitt: Die Sphäre des Wesens A. Wesen und Erscheinung 1. Wesen und Schein. 2. Der Schein und die Erscheinung. 3. Gott als das höchste Wesen. B. Grund und Existenz 1. Die Kategorie des Grundes. 2. Grund und Existenz. 3. Gott als der absolute Grund.

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Inhalt C. Substanz und Akzidenz 1. Die Kategorie der Substanz. 2. Gott als die absolute Substanz. 3. Das Problem des Pantheismus. D. Ursache und Wirkung 1. Die Kategorie der Ursache. 2. Das Kausalitätsverhältnis. 3. Gott als die causa sui et omnium rerum. E. Zufälligkeit und Notwendigkeit 1. Die äußere Notwendigkeit. 2. Die absolute Notwendigkeit. F. Der kosmologische Gottesbeweis a) Darstellung des traditionellen Beweises b) Kants Kritik am Beweise 1. Die ontologische Grundlage des Beweises. 2. Der kausale Schluß. 3. Das Unbedingte. 4. Möglichkeit und Realität. c) Hegels Amikritik 1. Keine ontologische Grundlage. 2. Der dialektische Schluß. 3. Notwendigkeit und Unbedingtheit. 4. Der Widerspruch und die Vernunft. d) Der Mangel des Beweises 1. Der Widerspruch im Beweise. 2. Der Gehalt des Beweises.

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3. Abschnitt: Die Sphäre des Begriffs 115 A. Die Kategorie des Begriffs 115 B. Der Übergang zum Zweckbegriff 117 1. Mechanismus. 2. Chemismus. 3. Teleologie. C. Die Kategorie des Zweckes 119 1. Der subjektive Zweck. 2. Die Vermittlung. 3. Der ausgeführte Zweck. D. Die doppelte Teleologie 120 1. Der äußere Zweck. 2. Der innere Zweck. E. Der ideologische Gottesbeweis 122 a) Darstellung des Beweises 122 b) Kants Kritik am Beweise 123 1. Materie und Form. 2. Die ontologische Grundlage. 3. Die Teleologie im Allgemeinen. c) Hegels Antikritik 125 1. Materie und Form. 2. Der Mangel des Beweises. 3. Die objektive Teleologie. 4. Die absolute Teleologie. F. Die Kategorie der Idee 128 a) Übergang zur Idee 128 b) Gott als die absolute Idee 129 c) Personalität der absoluten Idee 130 d) Die Trinität 132 2. Kapitel: Gott und die Welt

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1. Abschnitt: Die Schöpfung 135 A. Die Schöpfung der Welt 135 1. Die Notwendigkeit der Schöpfung. 2. Der Begriff der Schöpfung.

Inhalt B. Die Prädikate des Schöpfers 1. Allmacht. 2. Weisheit. 3. Güte. 4. Gerechtigkeit. 5. Erhabenheit. 6. Liebe. C. Der Begriff der Natur 1. Idee und Natur. 2. Der Prozeß der Natur. 2. Abschnitt: Die Geschichte A. Die Aufgabe der Geschichtsphilosophie 1. Vorsehung und Schicksal. 2. Die Vernunft in der Geschichte. 3. Der Endzweck der Geschichte. B. Das Problem des Wunders

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3. Abschnitt: Der Mensch und das Böse 151 A. Der Mensch 151 a) Der natürliche Mensch 152 b) Die Unsterblichkeit des Menschen 154 1. Geschichte des Unsterblichkeitsglaubens. 2. Endlichkeit des Menschen und seine Ewigkeit. B. Das Böse 158 a) Das Wesen des Bösen 158 b) Der Ursprung des Bösen 160 1. Der biblische Sündenfall. 2. Gott und das Böse. c) Die Erbsünde 164 3. Kapitel: Die Versöhnung

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1. Abschnitt: Die Christologie 167 A. Das Bedürfnis nach Versöhnung 167 B. Die Person Christi 169 1. Profane und religiöse Betrachtung. 2. Die Menschwerdung Gottes. 3. Der Gottmensch. 4. Die Lehre Christi. C. Das Werk Christi 1. Die Entäußerung der Idee. 2. Das Opfer und die Genugtuung. 3. Die Auferstehung Christi. 4. Die Beglaubigung Christi. 2. Abschnitt: Die Kirche A. Entstehung und Wesen der Kirche 1. Ursprung und Bestand der Kirche. 2. Kirche und Welt. 3. Der Katholizismus. 4. Protestantismus und Aufklärung. B. Kirche und Staat 1. Der Staat. 2. Staat und Religion. 3. Staat und Kirche. C. Wesen und Formen des Kultus 1. Das Wesen des Kultus. 2. Die Sakramente. 3. Das Opfer.

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3. Abschnitt: Der absolute Geist A. Der spekulative Begriff der Religion B. Der Begriff Gottes

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EINLEITUNG A. Hegel als Theologe Daß Hegel, der Philosoph, auch Theologe ist und daß sein philosophisches System ein vollständiges System der Theologie, eine ausgeführte „Dogmatik" enthält, ist von der Hegel-Interpretation merkwürdig wenig beaditet worden. Für die sog. „Linkshegelianer" war diese Tatsache von jeher unbequem und wurde daher nadi Möglichkeit geleugnet; die „Rechtshegelianer" aber beschränkten sich meist darauf, die Angriffe der konfessionellen Theologen gegen Hegels Gottesbegriff und den Vorwurf des „Pantheismus" abzuwehren. Und doch ist Hegels System im ganzen und im einzelnen überhaupt nicht zu verstehen und recht zu würdigen, wenn man nicht erkannt hat, daß Fundament und Spitze seiner Philosophie Theologie ist. Das hat Hegel selbst klar und deutlich ausgesprochen. Der theologische Charakter seiner Philosophie geht schon aus seiner Definition der Philosophie hervor. Die Philosophie ist nach Hegel keine „Weltweisheit", kein Wissen vom Endlichen und Weltlichen; sie beschäftigt sich nicht mit äußerlichen Existenzen, ist keine Erkenntnis der äußeren Masse des empirischen Daseins und Lebens, sondern eine Erkenntnis des Nichtweltlichen, dessen, was ewig ist. Der Gegenstand der Philosophie ist Gott; ihr Inhalt, was Gott ist und aus seiner „Natur" fließt (XII, 29). Und zwar ist Gott, sagt Hegel, im Grunde der einzige Gegenstand der Philosophie. Mit ihm sich zu beschäftigen, in ihm alles zu erkennen, auf ihn alles zurückzuführen, aus ihm alles Besondere abzuleiten und damit zu rechtfertigen, insofern es aus ihm entspringt, sich in seinem Zusammenhang mit ihm erhält, ist ihre Aufgabe (XII, 30). Gott ist die ewige Wahrheit, darum ist der Gegenstand der Philosophie das Wahre in seiner höchsten Gestalt, Gott als der absolute Geist. Er ist die ewige Wahrheit, die nicht in die Sphäre der Vergänglichkeit fällt, das Unbedingte, Unveränderliche, Ewige (XII, 236.17, 35. 19, 575). Wie könnte, so fragt Hegel, der Gegenstand der Philosophie auch anders bestimmt werden? Gegen Gott und seine Explikation ist doch zuletzt nichts anderes der Mühe wert (XIV, 225)! Lange genug, so bemerkt Hegel in einer Frühschrift, ist Gott in der Philosophie neben die endlichen Dinge und Begriffe oder ganz am Ende als ein bloßes Postu-

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lat hingestellt worden. Jetzt muß es wieder das Interesse der Philosophie sein, Gott an die Spitze der Betrachtung und des philosophisdien Systems zu stellen, als den alleinigen Grund von Allem, als das einzige principium essendi und cognoscendi (l, 200 f. 1,149). Weil die Philosophie Gott zum Gegenstande hat, ist sie für Hegel ein Gottesdienst, Kultus in der Sphäre des begrifflichen Denkens (XII, 29.236). Philosophen, die Gott zu erkennen trachten, sind Gott, dem Herrn, nahe; sie lesen und schreiben seine Befehle im Original; sie sind Mysten, die im innersten Heiligtum dabei sind (19, 96). Mit der Kraft ihrer ihnen von Gott verliehenen Vernunft dringen sie nicht nur in das Wesen der Dinge, der Natur und des Geistes, sondern auch in das Wesen Gottes ein (17,27). Die zünftige Theologie aber, bemerkt Hegel, tut Unrecht, wenn sie der Philosophie deshalb vorwirft, daß in ihr das menschliche Individuum sich als Gott setze. Das ist nichts als eine üble Verleumdung der Philosophie und keine „gute Frucht" des Glaubens (V, 23 f.). Die Philiosophie ist ganz im Gegenteil tiefste Beugung vor Gott (XII, 236). Sie bildet einen Priesterstand, der in seinem Heiligtum waltet und die ewige Wahrheit hütet (XIV, 231). Die Theologie ist, wie man sie auch definieren mag, auf jeden Fall Wissenschaft von Gott. Ihr wesentlicher Gegenstand ist die „Natur" Gottes. Wer das bestreiten wollte — und es gibt Theologen, die das bestreiten —, würde die Theologie zur bloßen Historic, zur Psychologie oder zur Anthropologie herabsetzen. Die Theologie ist Wissen von Gott, Erkenntnis Gottes. Da ist es nun völlig gleichgültig, in welcher „Fakultät" dies Wissen gepflegt wird, ob dies Wissen auf seilen der Philosophie stehe oder sich im näheren Sinne als Theologie gebe (XII,37.XIII,41.19,151). Ist doch sowieso jede Theologie im engeren Sinne allezeit von der Philosophie nicht nur begrifflich, sondern auch inhaltlich abhängig gewesen. Die konfessionelle Theologie, die Dogmatik, verdankt die Entwicklung ihrer Lehre wesentlich der Philosophie, wie jeder Blick in die Dogmengeschichte zeigt (XII, 45). Zeitweise, wie im Mittelalter, war scholastische Philosophie weithin auch Theologie (XII, 45). Die wissenschaftliche Erkenntnis der christlichen Wahrheiten in der Theologie war wesentlich eine philosophische. Die großen Denker auf der Höhe der Scholastik waren Philosophen und Theologen zugleich (XIV, b. 5 f.). Diese Verbindung von Philosophie und Theologie und diese Abhängigkeit der Theologie von der Philosophie haben einen tiefen Grund. Das Element, das zum religiösen Glauben in der Theologie hinzukommt und sie zur Wissenschaft macht, ist ein begriffliches, also philosophisches (20, 24f.). Die Theologie bedarf, um Wissen-

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Schaft zu sein, der logischen Denkformen, die aber zugleich Seinsformen sind. Will die Theologie nicht nur ein Hersagen der Bibel sein, will sie wirklich denken, so muß sie auch die Formen des Denkens gebrauchen, sonst verfällt sie der Willkür. Die Untersuchung der Denkformen aber ist Sache der Philosophie, speziell der metaphysischen Logik. Die Theologie kann also der Philosophie gar nicht entraten. Wenn sich Theologen, sagt Hegel, gegen die Philosophie wenden, sind sie entweder bewußtlos darüber, daß sie Denkformen gebrauchen und daß es darauf ankommt, diesen Denkformen gemäß zu forschen; oder sie begehen eine Täuschung: Sie wollen das beliebige, zufällige Denken sich vorbehalten (XIV, 25). Viele Theologen, stellt Hegel fest, die Exegese treiben, wissen gar nicht, daß sie dabei reflektieren. Ist aber das theologische Denken ein zufälliges, willkürliches, so überläßt es sich endlichen Denkformen und wird daher unfähig, das Göttliche inhaltlich zu erfassen. Durch solch ein endliches Erfassen des Göttlichen, sagt Hegel, sind Grundlehren des Christentums aus der Dogmatik verschwunden! (XIV, 26). Die Theologie hat also keinen sachlichen Grund, die Philosophie und ihr Bemühen um die Wahrheit des Glaubens verächtlich zu behandeln (XII, 44). Ja, Hegel geht noch weiter. Er fühlt und weiß sich nicht nur als Theologen, sondern zu seiner Zeit auch als Bewahrer des christlichen Glaubensgutes. Die Autorität des Kirchenglaubens, sagt Hegel, ist in neuester Zeit z. T. gesunken, z. T. entfernt worden. Die wichtigsten kirchlichen Dogmen sind von der Theologie selbst in Schatten gestellt worden (XII, 39/40). Die Theologie hat nur sehr wenige Dogmen des früheren konfessionellen Systems übriggelassen, und die bedeutendsten Lehren haben an Wichtigkeit verloren (XII, 46). Damit hat die Philosophie um so mehr freien Spielraum gewonnen und braucht dem Vorwurf nicht zu begegnen, daß sie die Dogmen herabsetze. Vielmehr könnte sie den Vorwurf erleiden, daß sie zu viel von der Kirchenlehre in sich habe, mehr als die herrschende Theologie der Zeit (XII, 48). Jedenfalls fällt jedes Hindernis für das philosophische Begreifen der Dogmen nun weg, die Philosophie kann sich in bezug auf sie unbefangen verhalten (XII, 47). Hegel ist der Überzeugung, daß seine Philosophie mehr Dogmatik enthalte als die zeitgenössische Theologie (XII, 40). Sie ist jetzt wesentlich orthodox, denn die Grundwahrheiten des Christentums, die immer gegolten haben, werden von ihr erhalten und aufbewahrt (XIV, 26/27). Wir fassen zusammen: Für Hegel ist seine Philosophie zugleich Theologie. Er fühlt sich als Theologe, ja als Bewahrer der Grundlehren des Christentums. Eine Trennung von Philosophie und Theologie ist aus for-

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malen und inhaltlichen Gründen nicht möglich. Wir haben also das volle Recht, in Hegels Philosophie die systematische Theologie zu erheben und darzustellen.

B. Der Begriff der Wahrheit: Hegels Anspruch Der Gegenstand der philosophischen Theologie ist nach Hegel Gott oder die ewige Wahrheit, ihre Aufgabe die Erkenntnis der Wahrheit. Ist dem so, dann muß eine systematische Theologie zu allererst den Begriff der Wahrheit klären, zumal über diesen Begriff von jeher die verschiedensten Ansichten verbreitet sind. Für Hegel ist dies Problem von existentieller Bedeutung. Sein ganzes Interesse ist, wie er selbst sagt, auf die Erkenntnis der Wahrheit gerichtet. Denn, so erklärt Hegel: Der Trieb nach der vernünftigen Einsicht in die absolute Wahrheit allein gibt dem Menschen seine Würde (V, 5.8, 7). Ohne diese Einsicht verliert der Mensch sein ihm von Gott schöpfungsmäßig verliehenes Menschsein. Die Wahrheit ist ein hohes Wort und eine noch höhere Sache. Solange Geist und Gemüt des Menschen gesund sind, muß ihm bei dem Wort „Wahrheit" die Brust höher schlagen (8,67). Solange der Mensch noch den Glauben an die Würde des Geistes, noch den Mut zum Forschen hat, ist er unendlich getrieben, die absolute Wahrheit zu suchen (XII, 42). Freilich, die Erkenntnis der Wahrheit ist schwer. Sobald der Mensch sich darauf einläßt, tritt alsbald das „Aber" auf, ob wir Menschen die Wahrheit auch erkennen können. Es scheint, sagt Hegel, eine „Unangemessenheit" zu bestehen zwischen unserem beschränkten Menschsein und der an und für sich seienden Wahrheit; es entsteht die Frage nach der „Brücke" zwischen dem Endlichen und dem Unendlichen (8, 67 f.). Aber mag der Weg der Wahrheit noch so schwer sein, er muß gegangen werden; der menschliche Geist darf in bezug auf die Wahrheit nicht resignieren. Denn nur dieser schwere Weg hat für den menschlichen Geist Interesse und Wert, wenn er sich einmal auf den Weg des Gedankens begeben hat und den Willen wie den Mut der Wahrheit sich bewahrte (V, 7.8, 8). Der Mensch soll sich selbst ehren und des Höchsten würdig achten; er kann von der Größe und der Macht des Geistes nicht hoch genug denken. Dann hat das verschlossene Wesen des Universums keine Kraft m sich, die dem Mute der Erkenntnis Widerstand leisten könnte. Es muß sich vor ihm auftun und seinen Reichtum wie seine Tiefe ihm vor Augen legen und zum Genuß bringen (8, 36.17,22).

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Der Anspruch, den Hegel stellt, ist also so hoch wie nur möglich. Man hat ihn deshalb getadelt und ihm „Hybris" vorgeworfen. Hegel hat diesen Protest gegen sein Anliegen erwartet und sich der modernen Skepsis bewußt entgegengestellt. Eine Voraussetzung der Bildung unserer Zeit, sagt Hegel, ist, daß der Mensch nichts von der absoluten Wahrheit wisse (20,13). Das Streben nach einer solchen Wahrheit wird für eine törichte, ja sündhafte Anmaßung erklärt (VI, 12.7, 31). Was früher als das Schmählichste und Unwürdigste galt, der Erkenntnis der Wahrheit zu entsagen, das gilt heute als höchster Triumph des Geistes (8, 34). Die Hauptschuld daran trägt die Philosophie Kants (19,554). Seine Kritik hat diesen absoluten Zweck des Geistes beseitigt (IV, 434.5, 269). Aber diese Skepsis raubt dem menschlichen Geist allen Wert und alle Würde (VI, 110.7,190). Sie widerspricht auch jeder echten Frömmigkeit, sie ist ein Zeichen des Niedergangs der Religion wie der Philosophie (10, 296.IV, 435). Hinter dieser Skepsis steckt nichts als die Furcht vor dem Denken. Aber der Mensch soll nicht furchtsam sein, auch nicht in seinem Denken; er soll mutig und entschlossen seinen Geist für die Wahrheit ausbilden (8,69)! Wo eine Philosophie diesen Mut nicht mehr aufbringt, da hört sie auf, wahre Philosophie zu sein (19, 609). Was aber heißt Wahrheit? Und in welchem Sinne haben wir von einer „absoluten" Wahrheit zu reden? (IV, 211.5,4) Analysieren wir den Begriff der Wahrheit, mit dem es auch die Theologie zu tun hat, so ergibt sich nach Hegel folgendes: Erstens: Unter der „Wahrheit" verstand die Philosophie viele Jahrhunderte lang die Übereinstimmung eines Objekts, eines Gegenstandes unseres Denkens, mit unserer Vorstellung von diesem Gegenstand oder mit unserem subjektiven Begriff von ihm. So hatte Aristoteles den Begriff der Wahrheit definiert (8, 89). Diese Definition der Wahrheit ist und bleibt richtig (IV, 231.5, 27). Die Wahrheit einer Vorstellung besteht eben darin, daß sie mit der Beschaffenheit und den Bestimmungen des Gegenstandes der Erkenntnis übereinstimmt (XXI, 137.3, 34). Sowohl im täglichen Leben als auch in den Wissenschaften hat der Begriff der Wahrheit diese gnoseologische Bedeutung. Es handelt sich hier um die Wahrheit im Sinne der Richtigkeit, und zwar eines subjektiven Urteils in Beziehung auf ein urteilendes Bewußtsein. Ein Urteil ist entweder richtig, oder es ist falsch (XII, 281.15,151). Hegel nennt diesen Begriff der Richtigkeit die formelle Wahrheit (8, 424). Sie steht dem subjektiven Irrtum gegenüber. Der Irrtum meint etwas nicht an und für sich Seiendes und sucht sich gegen die objektive Wahrheit der „Sache" zu behaupten (IV, 56.4, 543).

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Zweitens: Dieser Begriff der Wahrheit ist einseitig, denn wahre Urteile sind unbeschadet ihrer Richtigkeit noch nicht eigentlich „wahr". Die Wahrheit im Sinne der Richtigkeit betrifft nur die formelle Übereinstimmung unserer Vorstellung mit ihrem Inhalt, gleichgültig wie dieser Inhalt beschaffen sein mag. Wahrheit aber ist mehr als bloße Richtigkeit (8, 372.V, 166). Es geht bei der Wahrheit nicht nur um das subjektive Vorstellen, sondern auch um das objektive Sein. Ein Urteil kann formell richtig sein und doch keine Wahrheit enthalten, wenn Begriff und Realität, Form und Inhalt einander nicht entsprechen (8, 373). Wahrheit ist nicht nur die Übereinstimmung eines Gegenstandes mit unserer Vorstellung von ihm, sondern auch mit seinem eigenen Begriff (XII, 282.15,151.VI, 232). Gegenstände sind dann wahr, wenn ihre Realität ihrem Begriff entspricht. So spricht man von einem wahren Staat, einem wahren Kunstwerk, einem wahren Freunde. Unwahr bedeutet dann soviel wie unvollkommen, unangemessen, schlecht (8,424). Von einem solchen unwahren Gegenstande können wir eine richtige Vorstellung haben, und doch ist der Inhalt unserer Vorstellung ein Unwahres (8,90). Diesen zweiten Wahrheitsbegriff nennt Hegel die philosophische Wahrheit (VI, 292.7, 73). Diese beiden Begriffe der Wahrheit dürfen nicht verwechselt, aber auch nicht voneinander getrennt werden. Die philosophische Wahrheit kann und soll auch in unser subjektives Denken eintreten (IV, 439.5, 275). Der Wahrheitsbegriff des Aristoteles bleibt in Geltung (18, 331)! Wahrheit ist immer auch im Erkennen, im Urteilen. Erst durch das Urteil betreten wir das Gebiet der Wahrheit (XXI, 46.3,148). Aber unser Urteil ist nur dann über die bloße Richtigkeit hinaus wahr, wenn es einen wahren Gegenstand, in dem sich Begriff und Realität decken, erfaßt. Auch damit aber ist der Begriff der Wahrheit noch nicht erschöpfend bestimmt. Wir müssen mit Hegel noch eine wichtige Bestimmung hinzufügen: Drittens: Wahrheit im philosophischen Sinne ist die Übereinstimmung eines Begriffs mit seiner Realität, und ein richtiges Urteil soll diese Übereinstimmung erkennen. Nun ist ein wahrer Begriff nach Hegels Einsicht keine Abstraktion. Das Abstrakte ist, wie schon das Wort besagt, etwas Einseitiges, das Wahre aber muß ein Ganzes sein (11,21.2,24.18,569). Das Wahre ist das Ganze — dieser Satz ist grundlegend für Hegels Denken. Das ist nicht so gemeint, wie es oft mißverstanden worden ist, als ob wir Menschen jemals die ganze Wahrheit, alle Wahrheit erkennen könnten. Vielmehr bedeutet das Ganze die konkrete Fülle im Gegensatz zu einer einseitigen Abstraktion (XII, 42.15, 47.VI, 31.7, 59). Wir Menschen können niemals die ganze Wahrheit erkennen, denn die Erkenntnis der

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Wahrheit ist ein unendlicher Prozeß, der in der Endlichkeit kein Ende findet. Aber der denkende Menschengeist ist sehr wohl imstande, konkrete und insofern wahre Begriffe zu denken. Der konkreteste, absolute Begriff aber erschließt uns die absolute Wahrheit. Viertens: Wo aber ist dieser absolut konkrete Begriff zu finden? Wo befindet sich also die Region der absoluten Wahrheit? In der endlichen Welt finden wir nirgendwo einen Begriff, bei dem sich Begriff und Realität vollkommen decken. Darum sind endliche Dinge und Wesen niemals ganz wahr. Sie haben immer eine Unwahrheit an sich, weil ihre Existenz ihrem Begriff nicht angemessen ist. Eben darum gehen Dinge und Wesen der endlichen Welt zugrunde (8, 90.13,65.18,224). Das absolut Wahre kann nur das absolut Allgemeine sein, das alles Besondere und Einzelne in sich befaßt (XII, 279). Das heißt aber: Der absolut konkrete Begriff der Wahrheit kann nur der Begriff Gottes sein. Nur bei Gott stimmen Begriff und Realität überein (8, 90). Darum dürfen wir sagen: Gott allein ist die absolute Wahrheit (9, 48). Das gilt sowohl ontologisch wie gnoseologisch. Unser menschliches Erkennen ist nur dann absolut richtig, wenn es den Begriff Gottes erfaßt bzw. die ganze Welt und sich selbst sub specie aeternitatis betrachtet. In diesem absolut Einen und Wahren ist alles Endliche und Subjektive aufgezehrt (6, 316). Gott ist die absolute Wahrheit, weil er das in sich Ewige ist, das absolute Subjekt, das sich in seiner unendlichen Geistigkeit selbst weiß (14, 3f.). Oder anders gesagt: Gott ist die absolute Wahrheit, weil er der absolute Geist ist (XII, 42).

2 Schmidt, Hegel

I.TEIL ERKENNTNISTHEORETISCHE UND METHODOLOGISCHE GRUNDLEGUNG DER THEOLOGIE L Kapitel Erkenntnistheorie 1. A b s c h n i t t Die Gotteserkenntnis A. Das Problem der Gotteserkenntnis Gegenstand der systematischen Theologie ist die absolute Wahrheit oder Gott, sein ewiges Sein, sein Wirken und sein Verhältnis zur Welt. Die nächste Frage ist nun, ob eine Erkenntnis Gottes überhaupt möglich ist. Mit der Antwort auf diese Frage steht oder fällt jede theologische Metaphysik. Die sog. negative Theologie hat von jeher diese Frage negativ gelöst, indem sie die Möglichkeit einer Erkenntnis Gottes entweder ganz leugnete oder doch stark einschränkte. In der Neuzeit ist der theologische Agnostizismus auch in der Theologie weit verbreitet. Daher sah sich Hegel genötigt, die Möglichkeit einer Gotteserkenntnis ebenso energisch zu vertreten wie die einer Erkenntnis der Wahrheit. Die Lehre, daß wir von Gott nichts wissen können, daß wir ihn nicht zu erkennen vermögen, sagt Hegel, ist in unserer Zeit zur ganz anerkannten Wahrheit, zur ausgemachten Sache geworden, zu einer Art von Vorurteil. Wer es versucht, sich mit der Erkenntnis Gottes einzulassen, die „Natur" Gottes denkend zu begreifen, kann gewärtig sein, daß man gar nicht darauf achtet. Je mehr sich die Erkenntnis der endlichen Dinge ausgebreitet hat, indem die Ausdehnung der Wissenschaften beinahe ganz grenzenlos geworden ist, um so mehr hat sich der Kreis des Wissens von Gott verengt (XII, 4.15, 52). Es hat eine Zeit gegeben, wo alle Wissenschaft eine Wissenschaft von Gott gewesen ist. Unsere Zeit hat das Ausgezeichnete, von einer unendlichen Menge von Gegenständen zu wissen, nur nichts von Gott. Es hat eine Zeit gegeben, wo man den Drang, das Interesse hatte, von Gott zu wissen, seine „Natur" zu ergründen; wo der Geist keine Ruhe hatte und fand als in dieser Beschäftigung und sich unglücklich fühlte, wenn er dies Bedürfnis

Das Problem der Gotteserkenntnis

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nicht befriedigen konnte; alles andere Interesse seiner Erkenntnis hielt er für geringer. Die geistigen Kämpfe, die das Erkennen Gottes im Innern hervorruft, waren die höchsten, die der Geist kannte und in sich erfuhr. Unsere Zeit hat dies Bedürfnis und diese Mühe aufgegeben, sie ist damit fertig geworden, es macht ihr keinen Kummer mehr, von Gott nichts zu erkennen, vielmehr gilt es für die höchste Einsicht, daß diese Erkenntnis nicht möglich sei. Das Gebot der christlichen Religion wie aller Religion: Ihr sollt Gott erkennen! gilt jetzt als Torheit. Man hat aus Gott ein unendliches Gespenst gemacht, das fern von unserem Bewußtsein ist, und ebenso die menschliche Erkenntnis zu einem eitlen Schemen, einer Einbildung der Erscheinung. Dieser moderne Standpunkt, fährt Hegel fort, ist dem Inhalte nach die letzte Stufe der Erniedrigung des Menschen, bei welcher er zugleich so hochmütig ist (XII, 5.15, 52/53), diese Erniedrigung sich als seine wahre Bestimmung bewiesen zu haben. Zuerst war diese Verzweiflung an der Gotteserkenntnis noch mit Schmerz und Wehmut verknüpft; aber bald haben religiöser Leichtsinn und platte Seichtigkeit des Wissens ihre Ohnmacht frei bekannt und alles höhere Interesse vergessen. Zuletzt hat dann die kritische Philosophie Kants dem Nichtwissen des Göttlichen ein gutes Gewissen gegeben, indem sie versicherte, bewiesen zu haben, daß man vom Göttlichen nichts wissen könne (8, 35). Der Philosoph Jacobi lehrte die Nichtigkeit aller theoretischen Gotteserkenntnis und behauptete, ein Gott, der gewußt würde, wäre kein Gott mehr. Das Wesen Gottes sei unergründlich, weil sonst der Mensch ein übergöttliches Vermögen besäße und Gott vom Menschen erfunden werden könnte — ein Argument, das dann von den Theologen dankbar aufgegriffen worden ist (6, 314. 323. 340). So ist die Unwissenheit für das Ziel und das Resultat alles intellektuellen Strebens ausgegeben worden (8, 35). Das Pathos, mit dem Hegel das Problem der Gotteserkenntnis behandelt, und die Schärfe, mit welcher er gegen den modernen Agnostizismus in Philosophie und Theologie vorgeht, zeigen, daß es ihm hier um das Ganze geht. Und er tut dies im Namen der Frömmigkeit, des Glaubens, der Religion. Die Religion, sagt Hegel, sah es immer als die höchste Pflicht des Menschen an, Gott zu erkennen, ihn im Geist und in der Wahrheit anzubeten. An das Wissen, Fürwahrhalten dieses Inhalts waren Seligkeit und Verdammnis, absoluter Wert und Unwert des Menschen geknüpft. Jetzt ist das Höchste, nichts von der Wahrheit und von Gott zu wissen. Was Gott an und für sich sei, davon findet man im Bewußtsein nichts mehr vor (XII, 140.15, 202). Der moderne Geist ist damit „zur Bescheidenheit des Viehes verkommen" als zu seiner höchsten Bestimmung. Nur daß der

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moderne Mensch noch das Bewußtsein seiner Unwissenheit, während das Vieh in seiner Unwissenheit die bescheidene Unbefangenheit hat (20,15)! Das Ganze aber bedeutet eine ungeheure geistige Revolution (XII, 140.15, 203)! Eine Lehre von Gott, eine Theologie, kann es auf diesem Standpunkt eigentlich nicht mehr geben, sondern nur noch eine Lehre von der Religion als einem menschlichen Phänomen (XIV, b.45f,16, 395). An die Stelle der Lehre tritt die subjektive inhaltslose-Frömmigkeit, Dogmen sind überflüssig. Das objektive Moment in der Religion ist beseitigt (XIV, 16f.l6, 194f.). Es kommt dabei gar nicht darauf an, wie der Gottesglaube bestimmt wird und wie er entsteht, ob durch Autorität, Offenbarung oder Vernunft. Der moderne Agnostizismus macht jede Art von Gotteserkenntnis illusorisch. Hegel kann daher nur mit aller Entschiedenheit erklären: Wir wollen das Gegenteil von dem tun, was der moderne Standpunkt für das Höchste hält, nämlich Gott erkennen (XII, 6.15, 54).

B. Gefühl und Denken Wenn die Theologie an der Möglichkeit, Gott zu erkennen, verzweifelt, flüchtet sie sich in das subjektive religiöse Gefühl. Das ist seit Schleiermacher, der unter Kants Einfluß stand, geschehen. An die Stelle strengen Denkens treten nun Versicherungen von dem, was der gläubige Mensch alles in seinem Bewußtsein vorfindet und fühlt (V, 8.8, 9f.). Religion ist kein Wissen mehr, sondern das Gefühl der schlechthinnigen Abhängigkeit von einem Absoluten, das denkend nicht erfaßt werden kann. Das ist, sagt Hegel, die notwendige Konsequenz des Kritizismus (XII, 123.126.15,188. 191). Eine Theologie ist auf diesem Standpunkt eigentlich nicht möglich; Schleiermacher konnte nur darum eine Glaubenslehre schreiben, die mehr als Psychologie des religiösen Bewußtseins war, sondern auch Metaphysik enthielt, weil er den Begriff des „Gefühls" nicht eindeutig psychologisch faßte, sondern im Sinne eines „geistigen" Gefühls deutete. Hegel hat Schleiermacher, ohne den Namen zu nennen, sehr scharf angegriffen, wobei er aber Schleiermacher darum nicht ganz gerecht wurde, weil sein Begriff des „Gefühls" eindeutig psychologisch war (XII, 103.119). Gegen jede Gefühls-Theologie erklärt Hegel folgendes: Erstens: Was heißt „Gefühl"? Hegel antwortet: Das Gefühl ist die einfache, aber bestimmte Affektion des einzelnen Subjekts (3, 201.XXI, 268). Ich habe etwas im Gefühl, heißt: Ein Inhalt ist der meinige als dieses

Gefühl und Denken

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besonderen Individuums. Es ist Gefühl eines Inhalts und zugleich Selbstgefühl (XII, 97). Ich und mein Gegenstand sind im Gefühl ungetrennt. Die Bestimmtheit des Gegenstandes wird im Gefühl die meinige. Insofern das andere für sich selbständig ist, ist es nicht im Gefühl (XII, 99.15,138). Als die einfache Affektion des Subjekts ist das Gefühl an sich nur eine unbestimmte Form für allen möglichen Inhalt (20,18ff.). Darum kommt es immer auf die Bestimmtheit, den Gehalt des Gefühls an (XIV, b.35.16, 387). Das Gefühl kann den verschiedensten Inhalt in sich aufnehmen. Reelles und Ideelles, Sinnliches und Geistiges, Begriffe und Gedanken, höhere und niedere Bestimmungen des Menschen (XII, 99.103.15,138. 144). Und dasselbe gilt von der Empfindung, wie überhaupt die beiden Begriffe bei Hegel ineinander übergehen (V, 346.350). Zweitens: Weil das Gefühl (bzw. die Empfindung) die unbestimmte Form für allen möglichen Inhalt ist, ist es auch die Form für religiöse Inhalte, für die innere religiöse Erfahrung des Gemüts (XXI, 135.3, 32). Die Religion muß auch gefühlt werden, sonst ist sie nicht Religion. Die Unterstellung, Hegel habe die Religion nur in das Denken versetzt (Schlatter und viele andere Theologen), widerspricht seinen klaren Aussagen. Die Religion, sagt Hegel, fordert die innigste Verbundenheit des Glaubensinhaltes mit dem Subjekt (XIV, b.32.16, 385). Der Glaube an Gott, das Wissen von Gott ist auch Gefühl und im Gefühl (XII, 82 f. 15,128 ff.). Das Gefühl ist für den Menschen das Innerste, der Boden des schlechthin Gewissen (XII, 98.15,137). Die Religion darf nicht nur im „Kopfe", sie muß auch im „Herzen" sein; nur dann ist der religiöse Inhalt mein Eigenstes (V, 347.10,123). Die Religion muß den Menschen durchdringen (XII, 244). Allein — das Gefühl ist trotz allem nur eine Form, auch bei dem religiösen Gefühl. Es kommt auf den Inhalt des Gefühls an, in der Religion also auf die religiösen Vorstellungen. Die Vorstellung betrifft die objektive Seite, den Gehalt der Religion. Darum ist die Religion immer Sache des Gefühls und der Vorstellung (XII, 106.15,145f.). Die Vorstellung gibt dem religiösen Gefühl den objektiven Inhalt (XII, 107.15, 147). Ist die Religion nur Gefühl, so verglimmt sie im Vorstellungslosen und verliert allen bestimmten Inhalt (15,146). Und dasselbe gilt wiederum von der Empfindung (XII, 245f.). Drittens: Nun gehört die Vorstellung zum Denken. Das Vorurteil der Neuzeit, sagt Hegel, trennt Gefühl und Denken und setzt sie einander entgegen, so als ob das religiöse Gefühl durch das Denken geschädigt würde! Aber alle Religion wurzelt auch im Denken (V, 32. 8, 42). Es ist ein törichter Wahn der Neuzeit, daß das Denken der Religion nachteilig

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sei (XII, 155.15, 78). Das Gegenteil ist der Fall. Der Mensch unterscheidet sich vom Tier durch das Denken (VIII, 20.V, 32.8, 42). Nur der Mensch ist ein denkender Geist, nur er hat ein denkendes, ewiges Bewußtsein (XII, 1. 15,19). Das bloße Gefühl teilt der Mensch mit dem Tier (XII, 103.15, 144.XIV, b.34.16, 386). Das Gefühl ist die niederste, unterste Form für den Geist und den geistigen Gehalt des Menschen (8, 70.V, 388.10, 316). Die höhere Form ist sein Denken. Darum sind religiöse Gefühle immer die Gefühle denkender, menschlicher Wesen (19, 546f.). Gott ist zwar auch im Gefühl, aber er ist zugleich der höchste Gedanke des Menschen (XII, 154f. 15, 78). Können wir Gott nicht denken, so ist er auch nicht im Gefühl (XII, 101.15,145f.). Der Gottesbegriff hat seinen innersten Sitz im Denken (XII, 193.15,108). Dem entspricht das Wort Andacht, das von Denken kommt. Der gläubige Mensch erhebt sich in der Andacht zu Gott, indem er Gott denkt (XII, 145.15, 207.XIV, 67.16, 224). Viertens: Aus diesem Verhältnis zwischen dem Gefühl und dem Denken ergibt sich, daß das religiöse Gefühl als solches kein Kriterium der Wahrheit ist und damit kein Ersatz für die Erkenntnis derselben. Einmal sagt das Gefühl noch nicht, ob ein Inhalt überhaupt wirklich ist; auch Eingebildetes kann im Gefühl sein (XII, 100.15,142). Zum ändern gibt es nicht nur gute und wahre, sondern auch böse und unwahre Gefühle (V, 410.10, 368). Nicht nur das Gute und Fromme hat seinen Sitz im Gefühl, sondern auch das Böse und Unfromme (XII, 109). Und endlich entscheidet das Gefühl in keiner Weise, ob etwas wahr ist. Die Wahrheit eines Gefühls hängt nicht vom Gefühl ab, sondern vom Inhalt des Gefühls. Ich mag fühlen, was ich will, ob es auch wahr ist, ist eine andere Frage (XII, 100.15,142). Das Gefühl beglaubigt keinen religiösen Inhalt! Es ist eine Täuschung, sagt Hegel, wenn man das Wahre dem Gefühl zuschreibt (XII, 101). Wir haben die Wahrheit nur im Gedanken, nur in und für den Gedanken (VIII, 21). Darum ist jede Berufung auf das Gefühl in bezug auf die Wahrheit vergeblich. Das Gefühl billigt, mißbilligt, versichert, aber es begründet nicht. Wer sich auf sein Gefühl beruft, will auf keine Gründe eingehen (XXI, 135 f. 3,32). Einen solchen Menschen, sagt Hegel, muß man stehenlassen! Denn er verleugnet die geistige Gemeinschaft zwischen den Menschen — der eine fühlt so, der andere anders, im Gefühl ist jeder in seine zufällige Subjektivität eingesponnen. Erst das Denken ist das Gemeinsame zwischen den Menschen, kann es wenigstens sein (XII, 102.15, 143f.). Das Denken ist der Boden der Humanität (II, 56.2, 63)! Die objektive Sache ist für alle Menschen, unabhängig von ihren subjektiven Gefühlen (XIV, b.36.16, 388).

Das unmittelbare Wissen

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So lehnt Hegel mit überzeugenden Gründen das Gefühl als Ersatz für die Erkenntnis und als Richter der Wahrheit ab (XIV, b.137.16, 437). Die Gefühls-Theologie ist ein Irrweg. Eine solche Theologie bleibt im Historischen, Psychologischen und damit Zufälligen stecken und hat es gar nicht mit wahren Gedanken zu tun (XII, 103. 15, 144). Sie macht das subjektive Gefühl zum Maßstab des Geltenden (17, 41). Der Gottesglaube hat dann seine Quelle in der zufälligen Subjektivität des Menschen (XII, 55.15, 68). Aber der religiöse Gehalt, die objektive „Sache", muß unabhängig vom Gefühl wahr sein (XIV, b. 35.16, 387). Das religiöse Gefühl muß gehaltvoll, von der göttlichen „Sache" erfüllt, und damit wahr sein (XIV, b.42. 16, 392). C. Das unmittelbare Wissen Der moderne Agnostizismus und die religiöse Skepsis aber haben noch einen zweiten Ausweg, um der für unmöglich erachteten Erkenntnis Gottes zu entgehen, und das ist die Lehre vom sog. unmittelbaren Wissen. Diesen Begriff hat zu Hegels Zeit der Philosoph Jacobi aufgestellt, im Gegensatz zu dem sog. vermittelten Wissen oder dem eigentlichen Erkennen. Das unmittelbare Wissen nennt Jacobi Glauben, und er behauptet, dies Wissen sei die einzige Weise, um zum Glauben an Gott zu gelangen (XIV, b.23.16, 377). Der gläubige Mensch weiß unmittelbar von Gott. Alle Überzeugung von Gott beruht auf dem unmittelbaren Geoffenbartsein im Menschen (XII, 48.15, 59). Eine Erkenntnis Gottes aber ist nicht möglich, weil das Erkennen ein vermitteltes Wissen ist. Etwas erkennen heißt, es nach seinen Bestimmungen erfassen, d. h. in einen notwendigen Zusammenhang von Bestimmungen setzen. Das aber ist eben in bezug auf Gott nicht möglich. Wir können zwar wissen, daß Gott ist, nicht aber, was er ist. Daß Gott ist, findet sich unmittelbar in unserem Bewußtsein, mehr aber nicht (XII, 50.15, 61). Das vermittelte Wissen bedeutet Erkenntnis der Notwendigkeit eines Zusammenhanges, Glaube aber ist unmittelbare Gewißheit (XII, 85.15, 130). Was notwendig ist, hat eine Ursache, ist durch ein Anderes (XII, 90. 15, 173). Von einer solchen Notwendigkeit weiß der Glaube nichts, er weiß nur unmittelbar, ohne alle Vermittlung von Gott (V, 92.8, 170). Das ist Jacobis Standpunkt, mit dem Hegel sich auseinandersetzen mußte. Er erscheint heute in anderer Gestalt und verwendet andere Begriffe, aber das Problem des erkenntnislosen Glaubens ist das gleiche. — Hegel bestreitet die erkenntnis-psychologische Tatsache eines unmittelbaren Wissens nicht. Er betont immer wieder, daß unser

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religiöses Bewußtsein auch unmittelbar von Gott weiß. Der menschliche Geist hat im Glauben mit dem Bewußtsein seiner selbst auch unmittelbar das Bewußtsein von Gott (XII, 49.15, 60). Dennoch ist der Standpunkt Jacobis einseitig und wird der erkenntnistheoretischen Sachlage nicht gerecht: Erstens: Schon die Logik, sagt Hegel, zeigt, daß Unmittelbarkeit und Vermittlung des Wissens beide nur Abstraktionen sind. Es gibt weder im Denken noch im Sein ein Unmittelbares, das die Vermittlung ausschließt. Was unmittelbar ist, ist immer auch vermittelt. Unmittelbarkeit ist die abstrakte Beziehung auf sich, aber sie steht nie isoliert für sich da, sondern ist bezogen auf eine Vermittlung. So ist das Wissen als solches zwar etwas ganz Einfaches, aber bei jedem Wissen müssen wir etwas wissen. Wissen und Gegenstand des Wissens gehören zusammen. Im Wissen besteht eine Beziehung Unterschiedener aufeinander, und diese Beziehung enthält eine Vermittlung, weil es sich um das Verhältnis des Wissenden zum Gewußten handelt (XII, 91f.l5,174f.). Wie das Bewußtsein überhaupt, so ist auch der religiöse Glaube die Beziehung des Subjekts auf ein Objekt, und der Glaube ist nur vermittelst des Objekts des Glaubens (V, 95.8,172). Jedes religiöse Wissen ist vermittelt, in jeder Religion muß man erzogen werden. Das religiöse Wissen ist vermittelt durch die Lehre, diese ist vermittelt durch die göttliche Selbsterschließung, die Offenbarung (XII, 93. 15,175). Das unmittelbare Wissen von Gott ist also auf vielfache Weise vermittelt: durch den Gegenstand des Glaubens, durch die religiöse Unterweisung, durch den göttlichen Geist, durch die Entwicklung der Religion usf. (V, 95. 8,173. XIV, b. 28.16,381). Aber das Resultat dieser vielen Vermittlungen ist dann ein unmittelbares Wissen von Gott (XII, 94.15, 177). Es ist darum eine falsche Meinung, das vermittelte Wissen sei unvereinbar mit dem Gottesglauben, im Gegenteil hätte der religiöse Glaube ohne das vermittelte Wissen gar keinen Inhalt (XII, 84.15,172.XIV, b.25. 16, 378f.). Zweitens: Ist der religiöse Glaube sowohl unmittelbares wie vermitteltes Wissen, dann ist es falsch, das unmittelbare Wissen dem Denken entgegenzusetzen. Auch das unmittelbare Wissen ist ein Denken (XII, 86. 15,173). Gewiß ist das unmittelbare Wissen in sich einfach, ohne Unterschiede, während das vermittelte Wissen nicht einfach ist, sondern das Schließen von einem zum ändern. Zum vermittelten Wissen gehört die Form der Reflexion, die Bedingtheit einer Bestimmung von einer anderen (XII, 87.15,172). Aber weil das unmittelbare Wissen das Resultat des vermittelten ist, ist es ebenso ein Denken, das Denken in seiner abstrakten,

Kant und Hegel

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inhaltslosen Allgemeinheit (XII, 87). Der Inhalt des unmittelbaren Wissens ist Gott, aber Gott nur ganz allgemein, nur als die ganz abstrakte Persönlichkeit, das Allgemeine ohne weitere Bestimmung (XII, 88.15, 133). Unbeschadet dieser Allgemeinheit aber bleibt das unmittelbare Wissen ein Denken. Es ist die größte Unwissenheit, bemerkt Hegel, wenn man meint, der Glaube als das unmittelbare Wissen von Gott sei außerhalb der Region des Denkens (XII, 89.15, 134f.). Das Ich weiß von Gott im Allgemeinen. Es weiß noch nicht, was Gott weiterhin ist, was er für Bestimmungen hat, aber es weiß von Gott und verhält sich darum denkend (XII, 90.15,135). Weil das Ich aber nur im Allgemeinen von Gott weiß, kann es nur versichern, daß es Gott im Bewußtsein hat, besitzt aber ebenso wenig wie das religiöse Gefühl ein Kriterium der Wahrheit (8, 177.V, 98). Dies Kriterium kann nur im vermittelten Wissen liegen, in der denkenden Erhebung zu Gott und der Erkenntnis seiner Bestimmungen (XII, 144.V, 96.101.8,175.181). Auch die Lehre vom unmittelbaren Wissen ist nicht dazu geeignet, einen Ersatz für die Erkenntnis Gottes zu bieten.

D. Der Kritizismus Kants a) Kant und Hegel Die Gotteserkenntnis ist von jeher vielfach bestritten worden; besonders die sog. negative Theologie ist seit dem Neuplatonismus auch von christlichen Theologen vertreten worden. Aber der Hauptgegner der Gotteserkenntnis ist in der Neuzeit I. Kant, dessen Erkenntniskritik von vielen evangelischen Theologen als das letzte Wort in der Erkenntnistheorie angesehen wurde und z.T. noch wird. Hegel sah sich deshalb genötigt, die Erkenntniskritik Kants erneut einer Kritik zu unterziehen. Hegels Verhältnis zu Kant ist ein doppeltes: Einerseits ist Hegel ein Schüler Kants gewesen. Er bekennt es selbst: „Ich habe mich an der Kantischen Philosophie erzogen" (Briefe, S. 78). Andererseits geht Hegel über Kant hinaus und steht zu ihm in Gegensatz. „Niemand hat das, was Kant zu tun übrig ließ, so scharf erkannt; niemand hat die Konsequenzen der Kant'schen Denkart so vollständig gezogen." Zu Kant steht Hegel „in der innigsten Beziehung, weil er Kants kritische Fundamente und Resultate zu einem positiven Ausbau zu bringen suchte" (K. Rosenkranz). Ja, „Hegel hat Kant besser verstanden als er sich selbst verstand" (R. Kroner). Während Kant in der Immanenz blieb, wurzelt Hegels Philosophie

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in dem Innewerden des Absoluten, wie es unser Geist in der Durchbrechung der Schranken seiner Endlichkeit erfährt (H. Falkenheim). Hegel überwindet den Kantischen Dualismus, das Aufreißen einer Kluft zwischen dem Endlichen und dem Unendlichen (G. Lassen). Viele Kritiker haben die Ansicht vertreten, daß Hegel die Erkenntnistheorie nicht ernst genommen, jedenfalls vernachlässigt habe, in diesem Sinne also „unkritisch" gewesen sei (Keyserling, I. Iljin u. a.). Diese Behauptung läßt sich nicht aufrechterhalten. Hegel erkennt die Notwendigkeit und das Recht der Kantischen Erkenntnistheorie durchaus an (8, 124). Hegel weiß, daß die vorkantische Metaphysik die Denkbestimmungen noch naiv, unbefangen verwendet hat (III. 25f.4, 39). Diese Metaphysik, sagt Hegel, ging geradezu auf die Gegenstände der Erkenntnis los, ohne ihre Voraussetzungen, den Gehalt der Denkbestimmungen und die Möglichkeit der Erkenntnis des Absoluten zu prüfen (V, 59f.8, 99f.). Es war daher Kants große Tat, daß er die beiden Fragen nach der Erkennbarkeit des Absoluten und nach der Natur der Denkbestimmungen in neuer Weise kritisch gestellt hat (8,125). Es fragt sich nur, wieweit Kant zu richtigen Ergebnissen gelangt ist. Hegel ist genauso ein Erkenntnistheoretiker wie Kant. Seine „Phänomenologie des Geistes" ist selbst eine zum System ausgebaute Erkenntnistheorie. Auch hat Hegel im ersten Teil seiner „Enzyklopädie" seiner Logik eine ausführliche erkenntnistheoretische Einleitung gegeben. Der Schein, als sei Hegel kein Erkenntnistheoretiker wie Kant, entsteht nur dadurch, daß Hegel die Erkenntnistheorie von vornherein als Erkenntnismetaphysik behandelt. Kant wollte, bevor er zu einer Metaphysik kam, zuerst das Erkenntnisvermögen untersuchen (V, 42.8,54). Kant wollte also vor dem wirklichen Erkennen die Natur des Erkennens untersuchen (XII, 57.15, 69). Dieser Gedanke Kants, sagt Hegel, hat viel Bewunderung und Zustimmung gefunden. Das Interesse hat sich nun von den Gegenständen der Erkenntnis auf die Form der Erkenntnis verlagert (V, 42.8, 54.XII, 57.15, 69). Indessen, wenn man sich nicht mit Worten täuschen will, so ist leicht einzusehen, daß man wohl andere Instrumente auf diese Weise untersuchen kann, nicht aber das Erkennen, weil jede solche Untersuchung nur erkennend geschehen kann. Man kann nicht erkennen wollen, bevor man erkennt (8, 54.V, 42). Das Erkenntnisvermögen untersuchen heißt erkennen. Vor der Erkenntnis der Wahrheit erkennt das Erkennen nichts (19, 555). Bezogen auf die Gotteserkenntnis heißt das: Indem wir die Möglichkeit einer Gotteserkenntnis untersuchen, erkennen wir Gott (XII, 57.15, 69f.)! Wir kommen also aus der Tätigkeit des Erkennens nie heraus; das Erkennen des Gegenstandes rechtfertigt

Kants Erkenntniskritik

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auch das Erkennen selbst (XIV, b. 11.16, 367). Die wahre Erkenntnis des Gegenstandes ist eine dem Gegenstand immanente, seine eigene Bewegung, in Form des Gedankens ausgedrückt und in das Bewußtsein aufgenommen (XIV, b. 12 f. 16, 367 f.). Die Kantische Trennung der Erkenntnistheorie von der Metaphysik ist also gar nicht möglich, auch Kant treibt in Wahrheit von Anfang an Metaphysik. Kant vollzieht diese Trennung, weil er das Erkennen wie ein Werkzeug behandelt, das den Gegenstand der Erkenntnis verändert (II, 63.2, 67). Er glaubt, daß ein Erkennen, das von der Wahrheit getrennt ist, noch ein wahres Erkennen sein kann (11,65.2,69)! Indem Hegel diese Voraussetzungen Kants ablehnt, muß es einem Kantianer so scheinen, als habe Hegel keine Erkenntnistheorie. b) Kants Erkenntniskritik Wegen der Bedeutung des Problems müssen wir zuerst mit Hegel Kants Kritik an der Gotteserkenntnis mit einiger Ausführlichkeit darstellen. Dann ergibt sich folgendes: Erstens: Kants Grundproblem war die Frage nach der wissenschaftlichen Erfahrung. Erkennen heißt urteilen, die Erkenntnis besteht in Urteilen. Das Urteil ist eine Verbindung, Synthese zweier oder mehrerer Begriffe. Die einfachste Form des Urteils ist: A ist B (Die Rose ist rot). Nun sind wissenschaftliche Urteile synthetische Urteile a priori. Das heißt, es sind Urteile, deren Stoff zwar aus der Wahrnehmung, aus der empirischen Erfahrung stammt, die aber trotzdem allgemein gültig und notwendig sind. Daß es solche allgemein gültigen synthetischen Urteile gibt, zeigen Mathematik und mathematische Naturwissenschaft (19,555f.). Kant fragt: Wie sind solche synthetischen Urteile a priori möglich? Die Synthesis in diesen Urteilen stammt nicht aus der Erfahrung, obwohl der Stoff der Erkenntnis der Wahrnehmung entstammt (19, 558). Die Quelle der Allgemeingültigkeit und Notwendigkeit der synthetischen Urteile muß also im Subjekt und seinem Verstande liegen (19, 555). Das Denken des Subjekts enthält in sich selbst die notwendige Synthesis (19, 558). Wir müssen also nach Kant zwei „Vermögen" unterscheiden, die „Sinnlichkeit" und den „Verstand". Die Sinnlichkeit ist rezeptiv, in ihr wird uns der Stoff der Erfahrung gegeben. Der Verstand ist spontan, tätiges Denken. Er erhält den Stoff von der Sinnlichkeit und verarbeitet diesen Stoff. Die Begriffe des Verstandes bringen die Mannigfaltigkeit des sinnlichen Stoffes zur Einheit, sie schaffen die Synthesen. Alles, was das Subjekt erkennt,

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geht in diese seine Synthesis ein. Aber es gibt verschiedene Weisen der Synthesis, und die bestimmten Arten der Synthesis sind die Kategorien des Verstandes (19, 565f.). Diese sind die Formen des Verstandes, die Weisen der Beziehung des Mannigfaltigen. Sie stammen nicht aus der Wahrnehmung, sondern haben ihre Quelle im Verstande. An sich sind diese Kategorien leer. Um mit Inhalt erfüllt zu werden, bedürfen sie des sinnlichen Stoffes. Gibt ihnen die Anschauung den Stoff, so setzen sie diesen Stoff in die synthetische Einheit (19, 568). Und so entsteht nach Kant die wissenschaftliche Erfahrung. Sie ist das Wahrgenommene, Empfangene, unter die Kategorien gebracht. Sie ist die Synthesis des Stoffes der Wahrnehmung mit den Kategorien des Verstandes. Darum ist diese Erfahrung allgemeingültig (19, 569). Zweitens: Aus seiner Analyse der wissenschaftlichen Erfahrung, aus der Scheidung zwischen dem Empirischen und dem Rationalen, der Wahrnehmung und der Kategorien, glaubt nun Kant schließen zu dürfen, daß unsere Erfahrungs-Erkenntnis nur Erscheinungen erfaßt, nicht die Dinge an sich. Denn sowohl die der Wahrnehmung zugrunde liegende Empfindung als auch die Bestimmungen des Verstandes sind subjektiver Natur; keins von beiden ist etwas an sich. Trotzdem aber haben die synthetischen Urteile a priori objektive Geltung. Weil die Kategorien des Verstandes eine Synthesis a priori ermöglichen, sind sie, unbeschadet ihrer Subjektivität, in diesem Sinne objektiv. Allein diese Objektivität ist wiederum eine nur subjektive, weil die Kategorien Formen unseres Verstandes und von den Dingen an sich getrennt sind (8,126f.). Die wissenschaftliche Erfahrungs-Erkenntnis ist gültig und darum objektiv, aber sie erkennt das Ding an sich nicht und fällt damit in die Subjektivität zurück (V, 67f.8, 123f.). Die Formen des Verstandes wären dann in vollem Sinne objektiv, wenn sie das Ansich der Dinge erfassen könnten (8,127). Allein sie sind ja als leere Formen auf den sinnlichen Stoff der Wahrnehmung angewiesen, so daß durch sie zwar eine wissenschaftliche Erfahrung möglich wird, diese aber in der Immanenz bleiben muß (V, 69.8,132). So haben wir Menschen es in aller Welterkenntnis immer nur mit Erscheinungen zu tun, niemals mit der Sache an ihr selbst, niemals mit dem Absoluten (19, 573). Drittens: Vom Verstande unterscheidet Kant die Vernunft. Gibt der Verstand der Anschauung, der Wahrnehmung die rationale Form, so bringt die Vernunft den Stoff der Wahrnehmung unter die höchste Einheit des Denkens. Die Vernunft ist das Vermögen, das Unbedingte und Unendliche zu denken. Ihr Produkt ist die „Idee" (19, 574). Die Vernunft ist zwar das Vermögen des Unbedingten und Unendlichen, aber sie kann dies

Kants Erkenntniskritik

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Absolute nicht erkennen. Sie hat zwar den Trieb zum Unbedingten, Unendlichen, aber sie kann diesen Trieb nicht befriedigen. Denn die „Idee" ist in der sinnlichen Erfahrung nicht gegeben, und die Kategorien des Verstandes können nur auf die sinnliche Wahrnehmung angewandt werden, nicht auf das Ding an sich. Werden die Kategorien des Verstandes dazu gebraucht (oder nach Kant mißbraucht), um die „Idee" zu erfassen, so verwickelt sich unser Denken in falsche Schlüsse (Paralogismen) und Widersprüche (Antinomien). Diese Paralogismen und Antinomien sind zwar für unsere Vernunft unausweichlich, aber sie gestatten keine Erkenntnis des Absoluten, sondern machen sie gerade unmöglich (19, 576). Unser Denken schöpft dann die Wahrheit gleichsam aus sich selbst. Sie überfliegt die gegenständliche Erfahrung. Ihr fehlt das andere Bestandstück der Erkenntnis, der Stoff der Wahrnehmung. So erzeugt sie nur Hirngespinste (19, 560). Die Vernunft trägt also zwar die Forderung in sich, die gegenständliche Erfahrung (Wahrnehmung und Verstand), auf das Unbedingte, Unendliche zurückzuführen, die höchste Synthesis des Endlichen und Unendlichen zu denken, aber das Resultat ist kein erkannter Gegenstand, sondern nur eine „Idee", welcher die Vernunft keine Realität zu verschaffen vermag (19, 576f.). Die Vernunft ist demnach nach Kant nicht konstitutiv im Erkennen, sondern nur regulativ (19, 560). Die Konsequenz ist, daß Gott als das Absolute, Unbedingte und Unendliche nicht erkannt werden kann. Er ist nur das „Ideal" der Vernunft (19, 582). Gott ist das Postulat, die Forderung der Ethik, der praktischen Vernunft (19, 607). Die Realität Gottes ist nicht erkennbar, er wird nur hypothetisch angenommen (19, 608). Damit hat Kant faktisch nicht nur die begriffliche, theoretische, sondern jede Gotteserkenntnis unmöglich gemacht. Früher, sagt Hegel, hielt man meist nur die anthropopathischen Vorstellungen für inadäquat, glaubte aber, daß Denkbestimmungen das Absolute erfassen könnten. Nun erklärt Kant auch alle Kategorien des Denkens für endlich und subjektiv (V, 88.8,165). Damit wird Gott zum unerkennbaren, abstrakten, leeren Wesen (6, 315), zu einem bloßen Jenseits ohne Prädikate (20,14), zu einem Vakuum der Abstraktion (XII, 40). Wir dürften, sagt Hegel, nun eigentlich nicht mehr von „Gott" reden, denn die Vorstellung „Gott" hat eine Inhaltsbestimmung, sondern nur noch von einem „Ist" (XIV, b. 47.16, 396). Der nicht erkennbare Gott ist ein bloßes X, das den leeren Namen „Gott" führt (8, 261 f. 19, 508).

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c) Hegels Antikritik Dies ist Kants kritischer Standpunkt. Wie beurteilt Hegel Kants Leugnung der Möglichkeit einer Erkenntnis Gottes? Hegels Antikritik lautet wie folgt: Erstens: Zunächst müssen wir feststellen, in welchen Punkten Hegel mit Kant übereinstimmt. Es handelt sich um die Beurteilung des sog. Empirismus. Kant ist ein Philosoph der Erfahrung, insofern er seine ganze Kritik auf das „Bathos" der Erfahrung gründet und sich die Aufgabe stellt, die wissenschaftliche Erfahrung transzendental zu begründen. Aber Kant wollte nicht nur die alte rationale Metaphysik, sondern auch den Empirismus eines Locke und Hume überwinden. Der Empirismus leitet alle Erkenntnis, alle Vorstellungen oder „Ideen" aus der Wahrnehmung ab. Er ist eine rein psychologische Betrachtung der Erkenntnis. Demgegenüber betont Kant, daß unsere Erfahrung nicht nur den sinnlichen Stoff aus der Wahrnehmung enthält, sondern auch kategoriale Bestimmungen. Diese allgemeinen Beziehungen stammen nicht aus der Wahrnehmung, denn diese enthält nur Einzelnes, nichts Allgemeines. Das kategoriale Element der Erfahrung stammt nicht aus der empirischen Wahrnehmung, sondern aus der „Spontaneität des Denkens" (V, 67. 8, 123). Kant entdeckt also in der Erfahrung das apriorische und rationale Element, das die wissenschaftliche Erfahrung erst möglich macht. Hierin stimmt Hegel Kant zu. Kant hat vollkommen recht: Die Empirie zeigt wohl unendlich viele, auch gleiche Wahrnehmungen, sie zeigt auch aufeinander folgende Veränderungen und nebeneinander liegende Gegenstände; aber die Empirie zeigt weder eine Allgemeinheit noch einen notwendigen Zusammenhang. Es gibt für den empirischen Standpunkt keine gesicherte Erfahrung und kein Naturgesetz, sondern eine bloße „Gewohnheit", bestimmte Vorstellungen miteinander zu verbinden (D.Hume) (V, 66f.8,122). Das Allgemeine, der Gedanke, die Kategorie wird nicht wahrgenommen (19, 288 f.). Die Wahrnehmung hat es immer nur mit Einzelnem und Vorübergehendem zu tun (8,119). Wenn auch zugegeben werden muß, daß alle Erkenntnis mit der Wahrnehmung beginnt, so ist damit die Frage nach der Möglichkeit wissenschaftlicher Erfahrung noch gar nicht gestellt (19, 423 f.). Das kategoriale Element der Erfahrung gewinnen wir nicht aus der bloßen Wahrnehmung, sondern aus dem Denken derselben. Nur aus dem Begriff lernen wir die Gründe eines Gegenstandes kennen (XXI, 135.3, 31.V, 40.8, 52). Erst wenn das Denken das Empirisch-Sinnliche zum Allgemeinen erhoben hat, entsteht Erfahrungserkenntnis (19, 288f.). Der

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empirische Stoff ist notwendig, aber zu ihm müssen die Kategorien des Verstandes hinzukommen. Nur diese Kategorien können etwas begründen (V, 41.8, 53). Indem die Gegenstände gedacht werden, erhalten sie die Form des Denkens, und die kategoriale Form des Denkens hat ihre Quelle nicht in der Empirie, sondern im Denken (XXI, 65f.3, 115). Erst das Denken erfaßt den allgemeinen und notwendigen Zusammenhang zwischen den mannigfaltigen Erscheinungen (XXI, 139. 3, 36). Die Wahrnehmung als solche ist noch nicht Erfahrung, sondern nur ihre Grundlage; erst wenn sie unter allgemeine Kategorien gebracht ist, entsteht Erfahrung (19, 569). Damit hat Hegel Kants Lehre von der Rezeptivität der Sinnlichkeit und der Spontaneität des Verstandes übernommen. Unser Verstand ist spontan und damit auch gesetzgebend (17, 88). Ob etwas gültig und wahr ist, darüber entscheidet nicht die empirische Wahrnehmung, sondern das Denken (V, 32f.8, 43). Zweitens: Allein, sosehr Hegel mit Kant hier übereinstimmt, in einem kann er schon in der Beurteilung des Empirismus mit Kant nicht konform gehen. Der Empirismus, sagt Hegel, entspringt einem doppelten Bedürfnis. Einmal will er einen konkreten Inhalt gegen die abstrakten Theorien des Verstandes gewinnen, er ist ein Gegenschlag gegen den Rationalismus, der aus dem Allgemeinen nicht zur Besonderung und Bestimmung gelangt. Zum ändern sucht der Empirismus einen festen Halt in der Empirie, er sucht in der gegenwärtigen Erfahrung das Wahre statt bloßer Begriffe (V, 64f.8, 116). Was wahr ist, muß auch „wirklich", muß auch für die Wahrnehmung sein, das ist das große und berechtigte Prinzip des Empirismus (V, 65.8,117). Er hat recht, wenn er betont, daß alles erfahren werden muß, daß der Mensch immer von der Erfahrung im engeren Sinne ausgeht, wenn er zu Gedanken, Begriffen kommen will (10, 268). Allein — sowohl der Empirismus als auch Kant haben einen zu engen Begriff der Erfahrung! Nicht nur Sinnliches wird erfahren, sondern auch Geistiges (19, 428). Der reflektierte Empirismus will nur das Sinnliche gelten lassen und verneint die Selbständigkeit der geistigen Welt, die auch erfahren wird. So ist seine Konsequenz der Materialismus oder der Naturalismus (V, 86f.8, 160). Kant dagegen beschränkt die Erfahrung auf die immanente wissenschaftliche Erfahrung. Weil Gott keine empirische Gegebenheit ist, ist nach Kant jede Gotteserkenntnis unmöglich (XII, 81). Indessen sagt Hegel: Man kann Gott nicht wie ein äußeres Objekt wahrnehmen, er ist kein Gegenstand für uns, auch nicht psychologisch im Innern des Menschen (XII, 81). Und doch gibt es eine Erfahrung Gottes im Denken (V, 45.8,57)! Gott wird nicht empirisch erfahren, aber er wird erfahren. Aller Gottes-

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glaube ist Erfahrung, ist Gewißheit des göttlichen Inhalts und zugleich Selbstgewißheit. Das Prinzip der Erfahrung, daß der Mensch bei der Annahme eines Inhalts selbst dabei sein muß, den geglaubten Inhalt mit der Gewißheit seiner selbst verbinden muß, gilt auch vom Gottesglauben (V, 38.8, 50). Der Begriff der Erfahrung darf also nicht so eingeschränkt werden, wie es sowohl der Empirismus als auch Kant tun. Die Erfahrung hat keine Schranke, es kommt nur darauf an, in welchem Sinne der Mensch an die Wirklichkeit herangeht. Ein großer Sinn, sagt Hegel, hat große Erfahrungen (8,91). Und die größte Erfahrung, die der Mensch im Denken machen kann, ist Gott! Gott kann nicht in der Empirie, aber er kann im Denken erfahren werden. Nur der Gedanke vermag das Höchste, Gott, zu erfahren (8, 70). Das göttlich Allgemeine ist nur für den denkenden Geist (V, 56.8, 80). Drittens: Hegel hat damit Kants These, daß zu jeder Erfahrungserkenntnis Wahrnehmung und Denken gehört, gebilligt, aber er dehnt diese Einsicht auf den gesamten Komplex der Erfahrung aus, auch auf die Erfahrung des Gottesglaubens. Dies ist die erste grundsätzliche Abweichung von Kant. Die zweite bezieht sich auf das Problem des kategorialen Denkens. Es geht jetzt um die Frage: Was sind die Kategorien des Denkens? Näher betrachtet sind es drei Teilfragen, die zu beantworten sind: Sind die Kategorien wirklich nur leere Formen des Denkens? Sind sie nur subjektive Formen des Verstandes ohne Geltung für das Ansich des Gegenstandes? Und ist der Begriff des Dinges an sich, das sich hinter der Welt der Erscheinungen verbirgt, haltbar? Hegel antwortet auf diese drei Fragen: Einmal: Die Kategorien sind keineswegs leer, wie Kant behauptet, sondern sind in sich bestimmt, haben einen Gehalt. Gewiß ist ihr bestimmter Inhalt kein empirischer, kein sinnlich-wahrnehmbarer. Aber Gehalt hat nicht nur das, was sinnlich wahrnehmbar ist. Die Kategorien sind insofern Abstraktionen, als sie logischer Natur, Momente des „Logos", der allgemeinen Vernunft sind. Darum kann ein philosophisches System bei ihnen nicht stehen bleiben, sondern muß zu den realen Gebieten der Natur und des Geistes fortschreiten (8,132). Die berühmte These Kants, daß Begriffe ohne Anschauungen leer seien, ist also zweideutig. Es gibt zwar keine Vorstellungen ohne Anschauungen, aber es gibt logische Kategorien, die einen bestimmten Gehalt haben, ohne aus der empirischen Anschauung zu stammen (8, 69). Zum anderen: Die Kategorien sind keineswegs, wie Kant meinte, nur subjektive Denkformen. Gewiß ist das Denken zunächst, psychologisch

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betrachtet, etwas Subjektives, ein Vermögen des Geistes, eine geistige Funktion in uns (V, 53.8, 72). Man kann die Regeln und Gesetze dieses subjektiven Denkens erforschen (8, 75 f.). Die formale Logik, wie sie seit Aristoteles ausgebildet worden ist, betrachtet die Denkformen als bloße Formen des Denkens, abstrahiert von allem Inhalt (III, 24.4, 37). Sie trennt die Form der Erkenntnis vom Inhalt. Darum erscheint hier das Denken als eine äußerliche Form, die zum Stoff der Erkenntnis hinzukommt und erst durch diesen Stoff Objektivität gewinnt (III, 24f.4, 38). Aber das ist eine einseitige Betrachtung der Kategorien. Unser Verstand denkt in Kategorien, aber darum sind diese noch nicht subjektiv. Sie werden nicht von unserem Denken gesetzt, sondern von unserem Nachdenken gefunden (XXI, 140. 3, 37). Kant selbst sah in den Kategorien nicht Bestandteile eines individuellen, sondern eines „reinen" Verstandes. Dennoch hält sie Kant für bloß subjektiv (19, 572). Das ist eine Inkonsequenz! Sind die Kategorien Bestandteile eines reinen, d. h. überindividuellen Verstandes, der den individuellen Verstand bestimmt, dann sind sie nicht nur Denk-, sondern auch Seinsbestimmungen, Momente des Logos. Nur als solche vermögen sie der Erfahrungserkenntnis Allgemeinheit und Notwendigkeit zu geben (10, 359 f.). Nicht nur im Denken, sondern auch in der gegenständlichen Welt ist Verstand (111,32.4,47)! Die Kategorien sind das objektive Gerüst der Welt (8, 83 f.). Endlich: Kants Begriff des Dinges an sich, das hinter der Erscheinung verborgen sein soll, ist unmöglich. Daß wir die Welt als Ganzes nicht erkennen können und daß unsere Erkenntnis der Welt subjektiv „gefärbt" ist, ist selbstverständlich. Aber das Ding an sich bei Kant soll ein „Gegenstand" sein, auf den keine Denkformen anwendbar sind. Was aber, so fragt Hegel, bleibt übrig, wenn alle Denkformen beseitigt sind (111,15.4, 27)? Dann bleibt nur übrig eine Abstraktion, ein undenkbares Jenseits. Ein solches Abstraktum ist nur das Produkt eines ganz abstrakten Denkens. Wenn Kant sagt, das Ding an sich sei unbekannt, so antwortet Hegel: Das Ding an sich ist sehr wohl bekannt, es ist die Abstraktion von allem Denken (V, 69f.8,133). Es ist ein bloßes Gedankending, ohne Realität (III, 15. 4, 27), das unbestimmte „Ding" überhaupt (8, 290 f.). Somit ergibt sich: Die Kategorien sind nicht leer, sondern haben jeweils einen bestimmten Inhalt; sie sind nicht subjektiv, sondern haben auch objektive, gegenständliche Geltung; und sie trennen uns von der an sich seienden Welt nicht, weil sich hinter der Welt kein „Ding an sich" verbirgt. Viertens: Kant lehrt, daß unser Denken, wenn es unter Mißbrauch der Kategorien des Verstandes versucht, das Ding an sich, das Absolute, die 3 Sdimidt, Hegel

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„Idee" zu bestimmen, sich in falsche Schlüsse (Paralogismen) und Widersprüche (Antinomien) verstrickt. Diese Lehre Kants von den Antinomien ist für Hegel der interessanteste Punkt in Kants Erkenntniskritik. Interessant ist diese Lehre besonders darum, weil die Antinomien nach Kant einerseits für die Vernunft unausweichlich, also denknotwendig, andererseits aber die Folge eines Mißbrauchs des Verstandes sind. Dadurch unterscheidet sich Kant von der alten Metaphysik. Diese setzte voraus, daß von zwei Bestimmungen immer nur eine gelten kann, die andere also widerlegt werden kann (19, 581). Sie faßte die Widersprüche im Erkennen als zufällige Verirrungen des Denkens auf, als subjektive Fehler im Schließen. Nach Kant aber liegt es in der „Natur" des Denkens selbst, daß es in Widersprüche gerät, sobald es die „Idee" erkennen will, die es doch erkennen muß (V, 71.8,136). Dieser Gedanke Kants, daß die Widersprüche im Denken für die Vernunft notwendig sind, ist nach Hegel der wichtigste Fortschritt der Kantischen Kritik über die alte Metaphysik hinaus. — Aber — so tief dieser Gedanke ist, so trivial ist die Kantische Lösung des Widerspruchs. Sie besteht, wie Hegel sich ausdrückt, nur in einer „Zärtlichkeit" für die endlichen Dinge. Diese, also die Welt, soll vom Widerspruch befreit werden, und der Widerspruch wird nur in den menschlichen Geist, in die denkende Vernunft verlegt (V, 73.8,140). Woher, so fragt Hegel, diese „Zärtlichkeit" für Dinge der Welt? Sie dürfen sich nicht widersprechen, aber die Vernunft darf sich widersprechen! Heißt das, den Widerspruch auflösen, wenn man ihn in unser Denken verlegt (19, 582)? Wie sonderbar mutet Kants These an, die Vernunft gerate durch die Anwendung der Kategorien auf das Absolute in Widersprüche, obwohl diese Anwendung für die Vernunft zugleich notwendig sein soll! Was ist das für eine sonderbare Vernunft, die das tun muß, was sie nicht tun darf (V, 73 f. 8,140)? Kant bleibt in seiner Antinomienlehre im Negativen stecken, er kommt nicht zu einer positiven Deutung der Antinomien (8,141). Damit reduziert er die Vernunft auf den Verstand, sie ist nicht bei sich selbst (8,152). Sie bleibt als Verstand abhängig von der empirischen Wahrnehmung. Gewiß, man kann das Unbedingte, Unendliche nicht empirisch wahrnehmen. Aber darf man für die Bewahrheitung der „Idee" überhaupt die empirische Wahrnehmung fordern? Sind Begriffe, Gedanken darum zu verwerfen, weil sie im wahrnehmenden Bewußtsein nicht anzutreffen sind (V, 72f.8,138.19, 575)? So hoch Kant zuerst die Vernunft über den Verstand erhoben hat, so tief degradiert er sie gleich darauf. Sie ist bei Kant schließlich nicht mehr als die formale Einheit zur Systematisierung der Verstandeserkenntnisse. Nur der Verstand bringt die

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Ordnung in die Welt der Erscheinungen hinein, die Vernunft ermöglicht keine bestimmte Erkenntnis (19, 586). Fünftens: Wie kommt Kant zu dieser Degradierung der Vernunft? Kants Fehler liegt nicht darin, daß er Verstand und Vernunft trennt, im Gegenteil: gerade diese Trennung ist nach Hegel das bleibende Verdienst Kants. Kant irrt auch nicht, wenn er die Gegenstände unserer Verstandeserkenntnis für Erscheinungen hält. Sie sind Erscheinungen, aber nicht nur für unser Denken, sondern an sich, weil sie ihren Grund im Absoluten haben (8,135). Auch ist es richtig, daß die Kategorien des Verstandes endlich sind (8,161). Aber Kants Irrtum besteht darin, daß er unbesehen die Erkenntnis des endlichen Verstandes zum gültigen Maßstab für die Erkenntnis überhaupt nimmt. Er begeht die große Inkonsequenz, daß er einerseits lehrt, der Verstand erkenne nur Erscheinungen, und andererseits dies Verstandes-Erkennen für das einzig mögliche und wahre erklärt. Der Verstand erkennt nur das Endliche. Also ist es unlogisch, dies endliche Erkennen zum Maßstab für die Beurteilung der Vernunft zu nehmen (V, 84f.8,158f.). Kant verwechselt also den Verstand, der in endlichen Kategorien denkt, mit der Vernunft, die über den endlichen Verstand reflektiert (R. Kroner). Er sieht nicht, daß die Unterscheidung zwischen Verstand und Vernunft diese über den endlichen Verstand erhebt. Die Endlichkeit des Verstandes ist ein Mangel, eine Schranke. Eine Schranke wird nur erkannt, wenn man schon über sie hinaus ist. Erkennt unsere Vernunft die Schranke des Verstandes, dann ist sie über diese Schranke hinaus (V, 85f.8,159). Die Erkenntnis, daß unser Geist als Verstand endlich ist, setzt voraus, daß dieser unser Geist auch Vernunft ist. Damit ist die Vernunft als unendlich erwiesen, als eine Vernunft, die sich selbst ihre Grenze setzt (III, 122f.4,153f.). Das Unendliche ist zwar für die empirische Wahrnehmung und für den Verstand, nicht aber für die Vernunft unerreichbar (R. Kroner). Die Erkenntnis der Vernunft ist nicht, wie Kant meint, eine „übersinnliche" Erfahrung, sondern eine höhere Erkenntnis (8,162). Kants Kritik bleibt im Endlichen stecken und kommt nicht zur konkreten Wahrheit (XII, 55.15,67). Eine Kritik aber, die sich darauf beschränkt, das negative Verhältnis des menschlichen Geistes zum Absoluten zu zeigen, ist ein „eitles Tun" und ein trauriges Geschäft (XIV, b.50.16, 399). Eine solche Lehre dient zuletzt als Polster für die Trägheit des Denkens, das sich dabei beruhigt, daß die Unerkennbarkeit Gottes nun einmal bewiesen sei (III, 44.4, 62). Es gehört zu den merkwürdigsten Erscheinungen im Geistesleben, daß ausgerechnet die Theologie, die doch mit einer objektiv wahren Erkenntnis Gottes steht und fällt,

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geglaubt hat, Kants Vernichtung aller Gotteserkenntnis bejahen zu können! Sechstens: Es kommt somit, wie Hegel erkennt, darauf an, das Wesen des Verstandes und das der Vernunft besser zu bestimmen, als Kant es vermocht hat. Hegel würdigt die Bedeutung des Verstandes voll und ganz. Wenn im Leben und in der Wissenschaft der Verstand erwacht, sagt Hegel, ist das Bewußtsein selbständig geworden. Der Mensch vermag nun die Gesetze der Natur und die Beschaffenheiten, Ordnungen und Besonderheiten der natürlichen Dinge und der Hervorbringungen des Geistes zu erkennen (XII, 13f.). Der Verstand ist also für die Erkenntnis der endlichen Welt von ungeheurer Bedeutung. Er ist die Tätigkeit des Scheidens, die Energie des Denkens, das objektiv Gegebene zu trennen und das Getrennte begrifflich festzuhalten (II, 29.2, 33f.). Er gibt einem Inhalt die Form der Allgemeinheit, die dem Besonderen gegenübersteht (8,185.362). Diese Tätigkeit des Denkens ist notwendig, der Verstand muß abstrahieren, denn ohne Abstraktion gibt es keine bestimmte Erkenntnis. Das Erkennen muß die gegebenen Gegenstände erst einmal in ihren bestimmten Unterschieden auffassen. Das Prinzip des Verstandes ist daher mit Recht die Identität, die einfache Beziehung auf sich (8,186). Aber dies abstrakte Verstandes-Denken ist — das hat Kant verkannt — nicht die einzig mögliche Erkenntnis. Das begriffliche Erkennen ist nicht identisch mit dem Verstande (XII, 299). Der Verstand löst das Konkrete der Erfahrung auf, aber er kann das Getrennte nicht wieder verbinden (17, 348). Er hält die Kategorien als feststehende, außereinander bleibende, selbständig gegeneinander verharrende fest (XIV, 78). Er kennt nur die Identität und bleibt bei ihr. Die abstrakten Unterscheidungen sind ihm das Letzte (18,539). Der Grundsatz des Verstandes ist das principium exclusi tertii: Was wahr ist, darf sich nicht widersprechen (18,135). Eben darum ist er endliches Erkennen und sind seine Kategorien endlich. Konkrete Synthesen vermag er nicht zu denken, das ist seine Einseitigkeit, seine Schranke (XIV, b.83.177.16, 431.552). Weil der Verstand in endlichen Abstraktionen verharrt, ist er gegenüber dem Absoluten, Unendlichen, Göttlichen ein Versager! Er macht die Weltanschauung prosaisch (XIII, 141). Trifft er auf spekulative Vorstellungen, so verkehrt er sie sofort, weil er überall nur Widersprüche sieht (XIV, 58). Der Verstand versagt daher gegenüber der Religion. Er macht die sinnlichen Bestimmungen, die religiösen Symbole, in denen der Glaube den Gedanken des Allgemeinen faßt, zu bestimmten, endlichen Verhältnissen und erklärt dann diese Symbole, diese Bilder für Vorstel-

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Jungen, die dem Absoluten nicht angemessen sind (XII, 299.15,169). So verfälscht der Verstand den spekulativen Gehalt der Religion zu endlichen Gedanken, weil er das Analogische, Bildliche, Symbolische der Religion nicht erkennt (XII, 300). Stößt der Verstand so auf die Idee Gottes, so muß er sie entleeren (XII, 299.15,169.V, 25f.8,28f.). — Der Verstand versagt aber ebenso in der Philosophie. Zwar kann die Philosophie den Verstand nicht entbehren, denn jeder Gedanke muß in seiner Präzision aufgefaßt werden, und das ist die Arbeit des Verstandes. Aber die spekulative Philosophie kann nicht beim Verstande stehen bleiben (8,189), sie führt die Abstraktionen des Verstandes zum Konkreten zurück (17,53). Darum haßt der Verstand die spekulative Philosophie, sie erscheint ihm als eine Verfinsterung des Geistes, er will lieber in der Nacht bleiben, die er Aufklärung nennt (XII, 43.15, 49f.). Kant hatte die Vernunft dem Verstande untergeordnet. Hegel aber erklärt: Wenn sich die Vernunft über den Verstand erhebt — und das tut sie ja auch nach Kant —, dann muß sie nicht weniger, sondern mehr leisten als der Verstand (IV, 252.5, 51). Dann hat sie ja die Aufgabe, die abstrakten, endlichen Kategorien des Verstandes in konkrete, unendliche Begriffe aufzuheben (8, 107). Die spekulative Vernunft steht damit im Gegensatz zum Verstandesdenken auch in der Theologie. Die rationale Theologie, sagt Hegel, ist eine Verstandeswissenschaft von Gott, ihr Denken bewegt sich in abstrakten Kategorien. Sie betrachtet den Begriff Gottes und seine Eigenschaften, und sie will feststellen, welche Prädikate zu der Gottesvorstellung passen. Dabei schreibt sie Gott die All-Realität mit Ausschluß aller Negation zu, denn jede Negation widerspricht nach dieser Auffassung der Absolutheit Gottes (V, 63.8,111). Damit aber wird Gott zu einer leeren Abstraktion, zum unbestimmten höchsten Wesen, zum toten Produkt der Aufklärung. Einen Übergang vom Endlichen zum Unendlichen kennt diese Theologie nicht. Gott ist entweder der Welt immanent — die Theologie wird zum Pantheismus; oder Gott ist jenseits der Welt, und die Theologie wird zum Dualismus (V, 64.8,112). Damit ist Gott das Gegenteil von dem, was die rationale Theologie erstrebte — nicht das höchste, allerrealste Wesen, sondern eine bloße Abstraktion, das Jenseits der Erkenntnis, wie es Kants Kritik entspricht (8,113f.). Hegel lehnt die Theologie der Aufklärung also nicht darum ab, weil sie Bibel- und Dogmenkritik treibt und die Kirchenlehre weithin entmythologisiert hat. Wir werden sehen, daß Hegel selbst die Kritik der Aufklärung in diesem Sinne übernommen und die Kirchenlehre entmythologisiert hat. Sondern Hegel kritisiert die Aufklärung und ihre rationale Theologie ausschließlich

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darum, weil sie eine Metaphysik des Verstandes, nicht der Vernunft ist und den Gottesbegriff zu einer leeren Abstraktion gemacht hat (8, 114f.). — Das Nähere über die Theologie der Vernunft können wir erst bei der Erörterung der Hegeischen Methode darlegen.

E. Erkenntnismetaphysik Nachdem wir mit Hegel, der sich mit Kant auseinandersetzt, die Einwände gegen die Gotteserkenntnis antikritisch beleuchtet haben, gilt es nun, das Problem der Erkenntnis des Absoluten noch positiv zu erörtern. Unsere bisherige Betrachtung war erkenntnistheoretisch bzw. auch erkenntnispsychologisch. Aber der Hintergrund der Erkenntnistheorie ist immer eine Metaphysik. Daher muß unsere Betrachtung erkenntnismetaphysisch ergänzt werden. Die bewußte oder unbewußte Voraussetzung jeder Leugnung der Möglichkeit einer Erkenntnis Gottes, ob sie nun sich in der negativen Theologie oder bei Kant findet, ist der Dualismus zwischen dem Endlichen und dem Unendlichen oder zwischen Gott und dem menschlichen Geist. Diesen Dualismus müssen wir mit Hegel überwinden. Dies geschieht von zwei Seiten aus, von der Seite Gottes und von der Seite des Menschen.

a) Kritik an der negativen Theologie Sowohl die negative Theologie als auch der Kritizismus verleugnen die Selbsterschließung Gottes oder die Offenbarung. Die Offenbarung ist Manifestation, Selbstmitteilung Gottes. Diese Offenbarung Gottes ist keine bloße Behauptung der Religionen und Kirchen, sondern ist eine Tatsache der Geschichte und zugleich eine notwendige Konsequenz aus dem Begriff Gottes. Die Selbstmitteilung, Manifestation seiner selbst gehört zum Wesen des göttlichen Geistes. Es ist für den göttlichen Geist wesentlich, für den menschlichen Geist zu sein (XII, 201) (R. Kroner). Schon die Schöpfung der Welt bedeutet eine Offenbarung Gottes: Gott als Geist ist wesentlich dies, für ein Anderes zu sein, also sich zu offenbaren (XIV, 35). Darum ist die Natur für den Menschen nicht nur diese unmittelbare äußerliche Welt, sondern eine Welt, worin der Mensch Gott erkennen kann. Die Natur wird für den Menschen eine Offenbarung Gottes; das Bewußtsein des endlichen Geistes von Gott wird durch die Natur vermittelt, der Mensch sieht

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durch die Natur Gott (XIV, 89). Aber die höhere Offenbarung Gottes vollzieht sich durch Personen, durch die Religionsstifter, und die höchste durch die Person und die Geschichte Jesu Christi (XIV, 130f.l55f.). Für die Einsicht, daß die Offenbarung zur Natur, zum Wesen des göttlichen Geistes gehört, gebraucht Hegel ein Bild, ein Gleichnis, das er bei Plato und Aristoteles gefunden hat. Diese brauchen das Gleichnis: Die Gottheit ist nicht neidisch, sie gibt sich dem Menschen zu erkennen. Sie widersprechen der heidnischen Vorstellung, daß die Gottheit das Hohe und Große herabsetze und alles gleichmachen wolle (XIV, b.47.16, 397. 18,249). Warum, so fragt Hegel, sollte sich Gott auch nicht mitteilen? Schon das physische Licht teilt sich mit, verbreitet sich und gibt sich Anderem hin, ohne dabei etwas einzubüßen. Noch mehr ist es die Natur des Geistes, selbst ganz im Besitz des Semigen zu sein und zu bleiben, indem er in diesen Besitz Andere setzt. In seiner Güte teilt Gott den Menschen nicht nur die natürlichen Dinge, das Leibliche mit, sondern auch das Geistige, was allein für ihn Wert haben kann (XIV, b.48.16, 397f.). Die Vorstellung vom Neide Gottes widerspricht, wie Hegel betont, ganz besonders der christlichen Religion, die in spezifischer Weise die Religion der Offenbarung ist. Verkündet sie doch, daß Gott sich bis zur Knechtsgestalt herabgelassen habe (XIV, b.47.16, 397.XIV, 32). In der christlichen Religion weiß man, was Gott ist, er ist kein Unbekanntes. Wenn wir die Offenbarung Gottes leugnen, sind wir keine Christen (VIII, 22). Die christliche Gemeinde hat den Geist Gottes, der als Hl. Geist Erkenntnis Gottes ist (20, 26f.). Es wäre ungereimt, zu sagen, durch die christliche Religion sei den Menschen geoffenbart worden, daß Gott nicht offenbar sei (XIV, 6.48.16, 398). Gott offenbart sich nicht den Steinen, Pflanzen und Tieren, sondern als Geist dem denkenden menschlichen Geist. Gottes Offenbarung und der menschliche Geist haben also eine Beziehung zueinander, nur der menschliche Geist kann Gottes Offenbarung erfassen, und er kann es nur, weil Gott sich ihm offenbart (XIV, b.49.16, 398). Als Geist weiß Gott sich im menschlichen Geist, und das Wissen des Menschen von Gott geht fort zum Sichwissen des Menschen in Gott (10,454). Es ist Gottes Geist, der im Menschen die Tiefen der Gottheit erkennt, der Hl. Geist (20, 26f.). So steht der Mensch in Beziehung zu Gott, und Gott steht in Beziehung zum Menschen (XIV, b.46.16, 396). Ein einseitiges Verhältnis wäre gar kein Verhältnis. Wenn die Religion nur ein Verhältnis des Menschen zu Gott wäre, dann wäre die Religion nur etwas Subjektives, von uns gesetzt. Wäre aber die Religion nur ein Verhältnis Gottes zum Menschen, dann wäre er für den menschlichen Geist unfaßbar. So aber

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gehört es zu der Vollkommenheit Gottes als Geist, die in der christlichen Religion erschienen ist, daß Gott für den Geist des Menschen ist, sich dem Menschen mitteilt, sich selbst ein Verhältnis zum Menschen gibt (XIV, b.46.16, 396). So ist Gott kein bloßes Jenseits mehr, sondern strahlt in das Dunkel der zeitlichen Gegenwart als die gegenwärtig wirksame geistige Substanz, als die Wahrheit alles Existierenden (XII, 4.15, 21). Wer die Endlichkeit des menschlichen Geistes festhält und es für unmöglich erklärt, daß der Mensch Gott erkennen könne, erklärt Gott für unfähig, sich dem Menschen zu offenbaren, zum Menschen zu kommen (XII, 148. 15,211). Hat sich also Gott offenbart und offenbart er sich, dann ist es menschliche Willkür, die Endlichkeit aller Erkenntnis zu behaupten und die menschliche Vernunft nur im Gegensatz gegen die göttliche, ihre Schranken als absolut unüberwindbare zu fixieren (XIV, b.49.16, 398). Und damit ist der metaphysische Dualismus zwischen dem Endlichen und Unendlichen, Gott und dem Geist des Menschen von der Seite Gottes aus überwunden. Es heißt nun, diesen Dualismus auch von seiten der Menschen aufzuheben.

b) Endlichkeit und Unendlichkeit des menschlichen Geistes Die Leugnung der Gotteserkenntnis, sagt Hegel, steht auf dem Standpunkt des endlichen Bewußtseins (XII, 127). Man hört populärerweise täglich versichern, daß der menschliche Geist endlich sei. Und sicherlich ist der Mensch als einzelner Dieser, als dies bestimmte Individuum, in seiner zeitlichen und räumlichen Existenz endlich (XII, 129). Auch als denkendes Bewußtsein ist der Mensch zunächst endlich, ebenso wie unsere sinnliche Existenz zur natürlichen Endlichkeit gehört (XII, 130f.). In der Reflexion erscheint das Unendliche als die abstrakte Negation des Endlichen, als das Nichtendliche. Dieses aber ist, weil es das Endliche sich gegenüber hat, selbst noch ein Endliches, weil Begrenztes. Wir haben so ein Doppeltes: Das Endliche als das Begrenzte hat seine Grenze am Unendlichen, es ist dem Unendlichen entgegengesetzt. Aber ebenso ist das Unendliche dem Endlichen entgegengesetzt und damit begrenzt. Beide, das Endliche und das sog. Unendliche, sind somit endlich (XII, 132f.). Nun ist das Endliche in unserem Fall das endliche Ich des Menschen, das Unendliche ist das jenseitige Absolute oder Gott. Indem das endliche Ich das Unendliche jenseits seiner selbst behauptet oder „setzt", behauptet

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und setzt es dies Unendliche oder Gott als ein Endliches und sich selbst als das Unendliche. Das ist nicht die Beugung des Menschen vor dem unendlichen Gott, sondern im Gegenteil die Selbstbehauptung des Menschen Gott gegenüber oder die höchste Spitze der Subjektivität, die sich selbst als unendlich setzt. Der Mangel dieses Standpunktes ist das Fehlen jeder Objektivität. Das Ich aber, diese reine Subjektivität, erweist sich, da ihm der objektive Inhalt fehlt, selbst als etwas Endliches und Beschränktes. Anstatt das Endliche und damit auch die eigene Endlichkeit zu verneinen, wird das Unendliche als ein bloßes Jenseits verneint und damit zum Endlichen gestempelt, ohne daß das endliche Ich damit unendlich würde. Eine konkrete Synthese des göttlichen und des endlichen Geistes kommt nicht zustande. Das endliche Ich ist das Affirmative, Gott ein Jenseits, welches nicht erkannt werden kann. Dieser Standpunkt gilt dann den Frommen und den Theologen als Demut vor Gott, ist aber in Wahrheit Hochmut, weil das endliche Ich sich willkürlich von der absoluten Wahrheit ausschließt (XII, 135f.). Die wahre Demut würde sich selbst als ein Endliches verneinen und das an und für sich Seiende, Unendliche, Gott als das allein Affirmative anerkennen. Diese falsche Demut aber macht das Endliche, indem es sich als das Beschränkte, Negative anerkennt, zugleich zum Affirmativen und Absoluten; es hebt sich nicht auf. Das endliche Ich also heuchelt sich demütig, während es vor Stolz der Eitelkeit und Nichtigkeit sich nicht lassen kann (XII, 138)! Dies, so erklärt Hegel, ist der Standpunkt des rationalen Denkens, des Verstandes, der Gott und Mensch dualistisch trennt und nicht wieder in einer konkreten Synthese zu verbinden weiß. Über diesen Standpunkt des rationalen Denkens erhebt sich die Vernunft, die das „Vernehmen des göttlichen Wortes", also der Offenbarung ist. In ihr wird der Gegensatz des Endlichen und Unendlichen aufgehoben. Das Ich erkennt, daß es endlich ist, also kein Affirmatives, und erkennt das Objektive, Wahre als das allein Affirmative an. Das Wahre ist das Allgemeine, in dessen Anerkennung das Ich auf seine unmittelbare Einzelheit verzichtet. Das Objektive faßt allen Inhalt an und für sich selber in sich zusammen, so wird es für das endliche Subjekt die „Sache selbst". Indem das Ich die objektive „Sache" denkt, ist es subjektiv und objektiv zugleich; es hat nicht nur subjektive Gedanken über „die Sache", wie bei der Reflexion, sondern sein Denken ist die „Sache". Das Ich verzichtet auf seine Partikularität, das Allgemeine ist nun allein sein Gegenstand (XII, 141 f.). Dies Wissen des endlichen Ich vom absolut Allgemeinen als seinem „Wesen", zu dem es nur durch Aufhebung seiner als eines Endlichen gelangt, ist die religiöse An-

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dacht, die ohne Denken, Erkennen nicht möglich ist. Das Wort „Andacht" kommt von Denken, es ist denkende Erhebung zum Absoluten. Das Ich ist nun endlich, aber es ist auf wahrhafte Weise als endlich bestimmt, als die sich aufhebende Endlichkeit. Das Ich hat auf sich verzichtet und ist das in der absoluten Substanz Verschwindende. Das Absolute ist jetzt die Erfüllung, ihm gehört alle Bestimmung an, es ist gegen das endliche Ich das unendlich Übergreifende. So weiß das Ich von sich als Besonderem, schaut sich als Moment des Allgemeinen an, und erhält das Bewußtsein, sein besonderes Sein und Bestehen nur in dieser absoluten Substanz zu haben. Damit erweist sich das Endliche als ein wesentliches Moment des Unendlichen. Gott als das Unendliche kann, um Gott zu sein, das Endliche nicht entbehren (XII, 145f.). Wir müssen uns also, sagt Hegel, in der theologischen Erkenntnistheorie von dem Schreckbild des Gegensatzes des Endlichen und Unendlichen frei machen. Negative Theologie und Kritizismus lassen dies Schreckbild gegen das Erkennenwollen des Göttlichen los und behaupten, es sei eine Anmaßung, Gott erkennen zu wollen. Wer sich dieses Schreckbildes nicht entschlägt, setzt das Göttliche als die Ohnmacht, nicht zu sich selber kommen zu können, während er seine eigene Subjektivität festhält und aus dieser die Möglichkeit der Erkenntnis Gottes leugnet. Das ist die subjektive Unwahrheit, die das Endliche für sich behält, das als endlich und nichtig Zugestandene dennoch festhält und zum Absoluten macht. Wir müssen uns, sagt Hegel, dieser eitlen Subjektivität entschlagen und die göttliche „Sache" walten lassen, indem wir uns in sie versenken (XII, 148). Der geniale Scharfsinn dieser Ausführungen Hegels ist nicht zu übertreffen. Während die Kritiker Hegel immer wieder „Hybris" vorgeworfen haben, weil er das Absolute erkennen will, zeigt Hegel im Gegenteil, daß gerade die Leugnung der Gotteserkenntnis ihre tiefste Wurzel ist einem eitlen Hochmut des Menschen hat!

2. A b s c h n i t t Glaube und Denken A. Der Zwiespalt zwischen Glaube und Denken Möglichkeit, Wirklichkeit und Notwendigkeit der Gotteserkenntnis hat Hegel damit gegen die negative Theologie und den Kritizismus verteidigt. Das nächste Problem ist die spezielle Aufgabe der Religionsphilosophie bzw. der theologischen Metaphysik gegenüber dem religiösen Glauben. Es

Der Zwiespalt zwischen Glaube und Denken

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handelt sich um das alte, so oft behandelte Problem „Glaube und Denken" oder Religion und Metaphysik. Es ist die Frage nach dem Verhältnis des religiösen Glaubens zum vernünftigen Denken überhaupt (XII, 10.15, 23). Der religiöse Glaube und das übrige vernünftige Bewußtsein des Menschen sind zwei Regionen, die sich nicht einfach decken, sondern die neben einander stehen und zwischen denen eine Beziehung stattfindet (XII, 11.15, 24). Die Metaphysik hat die Aufgabe, zwischen diesen beiden Regionen des Bewußtseins zu vermitteln (XII, 11.15, 23f.). Wir müssen das Verhältnis zwischen diesen beiden Regionen des Bewußtseins zunächst näher beleuchten: Wie überall in der Geschichte des Geistes, so ist auch bei dem Problem „Glaube und Denken" die Beziehung der beiden Größen zueinander keine statische, ein für allemal gegeben, sondern eine dynamische Entwicklung, ein gegenseitiges Sichabstoßen und Sichwiedervereinigen: Der Zwiespalt zwischen dem religiösen Glauben und dem übrigen Bewußtsein des Menschen, sagt Hegel, ist weder psychologisch noch historisch gesehen überall vorhanden und unbedingt notwendig. Es sind Entwicklungsstufen des menschlichen Geistes möglich und wirklich, auf denen der Geist noch gegensatzlos ist. Dann sind die beiden Seiten zunächst unbefangen. Der Mensch dient seinen besonderen Zwecken und verlangt zugleich nach Gott, er hat Zutrauen zu Gott und gehorcht Gott. Das gläubige Verhältnis zu Gott ist nicht abgetrennt vom übrigen menschlichen Dasein, sondern der Gläubige bezieht alle Gegenstände und Zwecke auf Gott als die letzte, unendliche Quelle derselben (XII, 12.15, 25). — Dann aber kommt in dies Verhältnis der Unterschied hinein, die Entzweiung, die Entfremdung, das Verderben. Und zwar kommt es von der „weltlichen" Seite herein. Es bildet sich nämlich mit der Zeit das freie Verstandes-Denken mit seinen endlichen Zwecken aus; es erwacht sowohl im täglichen Leben als auch in den Wissenschaften. Das menschliche Bewußtsein wird allmählich selbständig, autonom (XII, 13.15,25f.). Der Verstand erkennt immer besser die Gesetze der Natur und die Schöpfungen des Geistes, er fängt an, selbständig zu produzieren, indem er seine Zwecke verwirklicht, und diese Produktionen sind nun seine Ehre und sein Stolz. So kommt in den menschlichen Geist ein Zwiespalt hinein. Einerseits ist der Mensch sein eigen, ist er selbständig, sich selbst bestimmend, und er weiß das. Andererseits erkennt der Mensch eine höhere Macht an, absolute Pflichten ohne eigentliche Rechte. Was er für seine Pflichterfüllung als Lohn empfängt, ist nur Gnade. In diesem Zwiespalt befangen, schränkt der Mensch das Erkennen auf die „weltliche" Region ein und läßt der Sphäre der Religion nur noch die Empfindung, den erkenntnislosen „Glau-

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ben" übrig. Dort, in der „weltlichen" Region, ergeht er sich in seinem Wissen, hier, in der religiösen Sphäre, ist das eigentliche Wissen ausgeschlossen. Es bleibt höchstens das Eingeständnis, daß „alles von Gott gemacht sei" (XII, 14.26f.). Der Mensch erkennt zwar die Bedingtheit all seines Wissens und Tuns an, er weiß um seine Abhängigkeit von der Welt. Aber das Zugeständnis, daß es eine höhere Macht gibt, ist kalt und tot, weil darin das Selbstbewußtsein fehlt; und es ist unfurchtbar, weil es bei dem ganz Allgemeinen bleibt, daß „alles ein Werk Gottes sei". Alles Bestimmte fällt in die Erkenntnis des Verstandes und ihrer selbstgesetzten Zwecke, und bei den verschiedenen Gegenständen besteht höchstens noch die Beziehung, daß alles von Gott sei. Diese Beteuerung ist auf die Dauer langweilig und ihre Wiederholung lästig! Die Sache ist ein für allemal abgemacht, die These versteht sich von selbst (XII, 15.15, 27f.). Bei alledem aber erhebt der gläubige Mensch seinen Blick zu Gott, indem das fromme Empfinden nur bei der Einzelheit bleibt, bei einzelnen Begebnissen und Geschicken der Individuen, ohne einen Blick für das Allgemeine zu gewinnen (XII, 16.15, 27). Hegel verfolgt den gekennzeichneten Gegensatz zwischen dem religiösen Glauben und dem Verstandes-Bewußtsein weiter. Auf der einen Seite treibt nun der Verstand sein Wesen, auf der anderen Seite steht das Gefühl der Abhängigkeit von Gott. Hat das verständige Denken einmal angefangen, so fordert es auch Konsequenz und Notwendigkeit. Das denkende Bewußtsein will erkennen, was ist (XII, 19.15, 31). Die Erkenntnis geht auf die Notwendigkeit des Seins, auf Ursachen und Wirkungen, auf die Kraft und ihre Äußerungen, auf Gattungen und einzelne Existenzen. Die Wissenschaften setzen den mannigfaltigen empirischen Stoff in immanente Beziehungen zueinander, nehmen den einzelnen Gegenständen ihre Zufälligkeit und schließen so die Welt zu einem System des Universums ab. Was es um eine Sache ist, ergibt sich aus der Wahrnehmung und Beobachtung; was die natürlichen Dinge und die Tätigkeiten des Geistes sind, wird aus der Erfahrung erkannt. Und man fragt ständig nach den besonderen, speziellen Gründen und Ursachen, nicht nach Gott als der hypothetischen allgemeinen Ursache (XII, 20.15,32). Die Gründe und Ursachen können nur im Endlichen gesucht werden. Diese ganze wissenschaftliche Erkenntnis mit allen ihren Bestimmungen kommt also nie aus der Sphäre des Endlichen heraus und will es auch gar nicht. Dies Erkenntnis-Universum braucht keinen Gott und liegt nun völlig außerhalb der religiösen Sphäre. Es ist das Reich der empirischen Wissenschaften und der besonderen technischen Erkenntnisse. Sie haben mit Religion, Gottesglauben

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nichts zu schaffen. — Demgegenüber besitzt die Religion zwar einen absoluten Gehalt, aber sie ist nach diesem wissenschaftlichen Begriff des Erkennens erkenntnislos. Denn erkennen heißt für den wissenschaftlichen Verstand, den Zusammenhang und die Notwendigkeit der endlichen Erscheinungen im denkenden Bewußtsein erfassen. Die Religion ist in diesem Sinne kein Erkennen, sie schrumpft daher in das einfache Gefühl zusammen, denn alles „Erkennen" wäre ja nur das Herabziehen des Ewigen in die Sphäre des Endlichen. So steht also das religiöse Gefühl, das gläubige Gemüt, ohne Konsequenz in Ansehung des Bestimmten, aber erfüllt mit dem Bewußtsein Gottes, dem konsequenten Zusammenhang des Bestimmten in den Wissenschaften und in der Erkenntnis der Welt gegenüber (XII, 21.15, 32f.). Der Zusammenhang der wissenschaftlichen Erkenntnis ist ohne „Gediegenheit", weil ohne Gott. Das wissenschaftliche Erkennen vermag den bestimmten Inhalt wohl als einen notwendigen, nicht aber als einen absoluten Zusammenhang zu erfassen, ihm fehlt der absolute Mittelpunkt; das religiöse Gemüt hingegen hat zwar die absolute Totalität, Gott, und bezieht alles auf ihn, ihm fehlt aber die Erkenntnis des Bestimmten (XII, 22). — Das ist, sagt Hegel, der geistige Zwiespalt, in dem sich die Neuzeit befindet. Die gebildete Reflexion hält es in der Religion gleichsam „nicht aus"; das religiöse Gemüt aber ist mißtrauisch gegen die denkende Reflexion, gegen alle Vernunft, und wirft der Wissenschaft „Eitelkeit" vor. Wiederum ist die denkende Vernunft mißtrauisch gegen die Totalität des religiösen Geistes und Gemütes (XII, 25f.l5, 33f.). Was ist angesichts dieses Gegensatzes zwischen religiösem Glauben und wissenschaftlicher Erkenntnis zu tun? Soll der menschliche Geist im Zwiespalt verharren? Soll er das sacrificium intellectus begehen? Soll er einerseits den religiösen Glauben, andererseits das wissenschaftliche Erkennen verachten? Hegel ist der Überzeugung, daß es bei dem Zwiespalt zwischen dem religiösen Glauben und dem Verstandes-Wissen nicht bleiben kann und darf. Warum nicht?

B. Die Notwendigkeit der Versöhnung Es ist, sagt Hegel, eine Täuschung des Verstandes, wenn man glaubt, daß Verschiedenes im Mittelpunkt des menschlichen Geistes nicht notwendig zur Entgegensetzung und zum Widerspruch fortgehen müsse. Der Trieb des Denkens zur Einheit, der für den Geist unabweisbar ist, führt notwendig zum Vergleich der beiden Sphären und zur Übereinstimmung

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nur jeder mit sich selbst (XIV, b.8.16,364f.). Der Gegensatz aber ist solcher Art, daß der Geist des Menschen sich auf die Dauer von keiner der beiden Seiten abwenden kann. Denn beide wurzeln in seinem innersten Selbstbewußtsein (20, 3). Der Geist ist das Konkrete des Glaubens und des Denkens, beide sind innig miteinander verbunden (XIV, b.9.16,365). Glaube und Denken gehören beide zur Innerlichkeit des Menschen. Widersprechen sie sich, so ist der Geist erschüttert und die unseligste Entzweiung sein Zustand (20, 3). Das ist die qualvollste Entzweiung in den Tiefen des Geistes (XIV, b.5.16, 361). Freilich, es gibt auch einen Frieden der Gleichgültigkeit, des Leichtsinns und der Kahlheit. Aber was man nicht beachtet oder gar verachtet, das ist darum noch nicht beseitigt oder überwunden (20, 3). Ein Frieden, der nur auf der Oberflächlichkeit des Geistes beruht, ist auf die Dauer nicht aufrecht zu erhalten. Denn das Merkmal des göttlichen Ursprungs des Menschen ist sein vernünftiges Denken. Darum kann der Mensch auf die Erkenntnis der Wahrheit nicht verzichten (20, 5). Der Zwiespalt zwischen dem religiösen Geist und der vernünftigen Einsicht führt, wenn er nicht in der Erkenntnis geschlichtet ist, zur Verzweiflung. Diese besteht darin, daß man die eine Seite wegwirft und die andere festhält, entweder den Glauben oder die begriffliche Erkenntnis. Dadurch gewinnt der Mensch aber keinen inneren Frieden. Der in sich selbst entzweite Geist kann die begriffliche Erkenntnis nur wegwerfen und zum unbefangenen religiösen Glauben zurückkehren, indem er sich selbst Gewalt antut. Die Selbständigkeit des denkenden Bewußtseins aber verlangt die Befriedigung. Ein gesunder Geist vermag dem selbständigen Denken nicht zu entsagen. Das religiöse Gefühl aber wird, solange der Zwiespalt andauert, zur Sehnsucht oder zur Heuchelei, und so ist der Mensch gleichfalls unbefriedigt. Zuletzt kann der Mensch gleichgültig gegen jede Religion werden, aber eine solche Gleichgültigkeit gegen das Höchste für den Menschengeist ist nur die Konsequenz seichter Seelen! Von welcher Seite wir die Sache auch betrachten, der menschliche Geist kann in sich nicht einig sein, wenn er der vernünftigen Erkenntnis oder dem Glauben entsagt (XII, 26.15,66f.). Der Widerspruch zwischen dem religiösen Glauben und dem vernünftigen Denken wird zwar behauptet. Es ist aber nicht einzusehen, warum dieser Widerspruch bestehen bleiben soll. Warum sollte unser Denken dem widersprechen, was durch höhere Erleuchtung, durch Offenbarung an den Geist herankommt? Glaube und Denken sind beide Gottes Werk im Menschen. Sollte sich Gott in seinen Werken so widersprechen, daß der Glaube, die positive Religion, die Offenbarung dem vernünftigen Denken not-

Die Notwendigkeit der Versöhnung

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wendig entgegen sein müßten (XIV, b.5.16, 361 f.)? Es hat Zeiten gegeben, sagt Hegel, z.B. im Mittelalter, da große Denker ganz anders gedacht haben. Sie haben den Zwiespalt zwischen Glauben und Denken nicht anerkannt, sondern an die Einigkeit des Geistes mit sich selbst geglaubt. Sie haben versucht, den Gehalt des Glaubens durch vernünftige Überlegungen zu begründen. Der große Anselm v. Canterbury hielt es für eine Nachlässigkeit (neglegentia), wenn Theologen nicht das vernünftig erkennen wollen, was sie glauben. Auch die ältere protestantische Theologie kannte eine vernünftige Gotteserkenntnis, die auf der allgemeinen Offenbarung beruhte. Viele Philosophen und Theologen haben gelehrt, daß die positive Religion über, aber nicht gegen die Vernunft sei (XIV, b.6.16, 362ff.). Viele denkende Christen haben sich also erst dann beruhigt, wenn sie die Wahrheit ihres Glaubens gedanklich begründet hatten (XIV,b.l0.16,366). Und wer kann im Grunde leugnen, daß es jedermann noch immer dazu gedrängt hat, die Religion in eine begreifende Erkenntnis zu erheben (Th. L. Haering, Hegel II.)? Soll es aber zu einer Versöhnung zwischen dem Glauben und dem Denken kommen, erklärt Hegel, so muß die höchste Forderung der Vernunft befriedigt werden. Das begreifende Denken kann nichts nachgeben (XII, 23.15, 34). Das Denken kann sich mit dem religiösen Gehalt nur versöhnen, wenn dieser die Gestalt der begrifflichen Notwendigkeit erhalten hat (V, 21.8,24). Denn das Denken ist die innerste Natur des Geistes, darum ist der Geist erst dann befriedigt, wenn alle Produkte seiner Tätigkeit mit dem Gedanken durchdrungen und so zum Seinigen gemacht worden sind (12, 34f.). Dann erst ist das menschliche Bewußtsein frei. Es beruft sich nicht mehr nur auf äußere Autoritäten, Zeugnisse, Wunder usf., sondern was begriffen ist, ist nun das Seinige. Der Geist hat dann sein eigenes Wesen zum Gegenstande, die Äußerlichkeit des Gegenstandes ist verschwunden (XII, 297f.l5,167). Es ist ein „Eigensinn", der dem Menschen als ein freies und denkendes Wesen Ehre macht, daß er nichts in der Gesinnung anerkennen will, was nicht durch den Gedanken gerechtfertigt ist. Was M. Luther im Glauben und im Zeugnis des Geistes begonnen hat, das setzt der gereifte Geist im begrifflichen Denken fort (VI, 16.7, 36). — Aber ebenso wie dem vernünftigen Denken, so muß auch dem göttlichen Gehalt der Religion voll und ganz entsprochen werden. Gott darf in keiner Weise verendlicht, in die Endlichkeit herabgezogen werden (XII, 23.15, 34). Allein, hier gilt, daß der religiöse Glaube von sich aus diese Versöhnung mit dem begrifflichen, vernünftigen Denken nicht herbeizuführen vermag. „Die Religion als Religion begreift sich nicht; für sie ist

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nicht sie selbst, sondern allein Gott Gegenstand ihres Vorstellens" (R. Kroner). Warum das so ist, zeigt eine genauere Analyse des Wesens der Religion und ihrer psychologischen Formen.

C. Die Religion Erstens: Zuerst verdeutlichen wir uns allgemein psychologisch das Wesen der Religion. Religion, sagt Hegel, ist, auf die einfachste Formel gebracht, die Beziehung des Menschen zu Gott, Bewußtsein von Gott (XII, 237.156.83.15,128). Sie ist Wissen des Menschen von Gott und Wissen seiner in Gott (XII, 303.15, 256f.). Damit will Hegel nicht sagen, daß die Religion nur Wissen sei, nur Gedanke; sie ist auch Erhebung des ganzen Menschen zu Gott (3, 97.XXI, 197). Sie erhebt das Individuum zu Gott, aber eben zum Gedanken Gottes, denn ohne Denken gibt es keine Andacht (3, 225.XXI, 291). Als Erhebung zu Gott ist die Religion nicht nur Gedanke, Bewußtsein Gottes, sondern auch Kultus, Versöhnung des endlichen Geistes mit dem absoluten Geist (XII, 159. 67). Als Andacht ist die Religion, jedenfalls die höhere Religion, unio mystica: der gläubige Mensch weiß und fühlt Gott in sich, hat die Gewißheit der Vereinigung mit Gott, hat das Bewußtsein, von Gott in Gnaden aufgenommen zu sein. Das negative Verhältnis zu Gott, in dem Gott das absolute Subjekt ist, worin der einzelne verschwindet, wird ergänzt durch das positive, Liebe zu Gott, Versöhnung, Wiederherstellung seiner, Wissen des absoluten Geistes als seines Wesens (XII, 158). Der Kultus als solcher bringt nicht erst die Religion hervor, sondern die Religion selbst ist Kultus (XII, 179.15, 239). Sie hat die Bestimmung, daß der Mensch sich mit Gott zusammenschließe, sich in Gott und Gott in ihm wisse (XII, 227f.l5, 221). Das ist das absolute Gefühl der Religion: Ich weiß mich als diese Persönlichkeit mit Gott zusammengeschlossen und weiß mich damit in der absoluten Wahrheit (XII, 228). Der Standpunkt der Trennung, die Furcht vor dem absoluten Subjekt wird überwunden. Das endliche Subjekt weiß das absolute Wesen als sein Wesen, in welchem sein Selbstbewußtsein erhalten ist (XII, 228f.l5, 82f.). Religion und Kultus sind also eins. Der Kultus steht nicht außerhalb der Religion, hat den Gottesglauben nicht erst hervorzubringen, sondern er steht innerhalb der Religion, er bringt die unio mystica hervor, das Bewußtsein der Versöhnung mit Gott (XII, 235). Der Mensch ist damit in der Religion, und nur in der Religion, absolutes Bewußtsein (XII, 150.15, 215). Im Gegensatz zu aller endlichen Realität

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und Wahrheit ist die Religion das Bewußtsein des an und für sich Seienden und Wahren, die Erhebung über alles Sinnliche, ein Fortgehen zum höchsten Gedanken (XII, 187). Indem der Mensch in der Religion sich des Absoluten, Gottes bewußt wird, entsagt er seinen endlichen Interessen (XII, 104.11, 83). Weil die Religion es so mit Gott, dem höchsten Gedanken, zu tun hat, ist sie auch die höchste Sphäre des menschlichen Bewußtseins, die Region der absoluten Wahrheit (XII, 58.15, 71). In ihr sind alle Rätsel, Widersprüche und Schmerzen des menschlichen Daseins gelöst (XII, 1). Alles, was der Mensch als geistiges Wesen fühlt, denkt und will, findet seinen letzten Mittelpunkt in der Religion, im Bewußtsein Gottes (XII, 1.15.15,19f.). In ihr wird der Mensch frei; in ihr findet er, von aller Endlichkeit entladen, die Seligkeit. Die Religion ist sowohl absoluter Genuß als auch als Tätigkeit die Verherrlichung Gottes, die Manifestation seiner Ehre (XII, 2.15,20). Daher haben die Menschen und Völker zu allen Zeiten die Religion als ihr höheres Leben, als ihren wahren Zweck, als ihre höchste Würde, als den Sonntag ihres Lebens angesehen. Der Mensch befriedigt sich in Gott und nur in Gott. Alle Wirklichkeit der Welt wird zum vergänglichen Schein. Es ist dem Menschen nicht mehr um sich und die Welt zu tun, sondern um Gott, den absoluten Endzweck alles Seins (XII, 7). Zweitens: Ist dies psychologisch gesehen das Wesen der Religion, dann gehört sie zum Wesen des Menschen, und alle Menschen haben Religion. Das ist in der Tat Hegels Meinung. Kein Mensch, sagt er, ist so verdorben, so verloren, so elend und schlecht, daß er überhaupt nichts von Religion in sich hätte, mindestens hat er Furcht vor ihr oder Sehnsucht nach ihr oder Feindschaft gegen sie. Weil der Mensch kein Tier, sondern ein geistiges Wesen ist, ist ihm die Religion keine fremde Anschauung oder Empfindung (XII, 10.15,23). Allerdings ist der Mensch als ein geistiges Wesen frei, er kann gegen seine eigene geistige Natur handeln, von seiner Natur abweichen und sich gegen das Göttliche festhalten. Der Mensch kann sich auch dem Irrtum, der Unwahrheit ergeben. Die Planeten, die Pflanzen, die Tiere können von der Notwendigkeit ihrer Natur nicht abweichen, sie sind an die Gesetze ihrer Gattung gebunden, die menschliche Freiheit aber hat die Willkür in sich, sie kann der Bestimmung des Menschen zuwiderhandeln (XII, 9.15, 22 f.). Aber auch in seinem bewußten Widerspruch gegen das Göttliche und gegen seine eigene Bestimmung bleibt der Mensch ein religiöses Wesen. Dies Wesen mag irregeleitet oder mangelhaft entwickelt sein, wie bei den „seichten Seelen" (XII, 26), aber es ist doch immer vorhanden. Freilich nicht so, als ob alle Menschen und Völker schon bewußt sich zur absoluten Wahrheit, zu Gott als dem abso4 Schmidt, Hegel

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luten Geist erheben könnten. Die Religion ist, psychologisch gesehen, ein Phänomen des endlichen Geistes, sie ist daher wie alles Endliche einer Entwicklung unterworfen. Der religiöse Geist hat Stufen der Bildung seines Bewußtseins von Gott. Auf dem Wege seiner geistigen Entfaltung erfährt der menschliche Geist eine Erziehung im Glauben. Auf diese Weise entstehen bestimmte historische Religionen, Stufen des religiösen Weges der Menschheit durch die Jahrtausende. Die Religion hat ihre Geschichte (XII, 72.15, 91f.). Die einzelnen Religionen sind untergeordnete Bestimmungen der Religion bzw. des Geistes. Daß die Religion zu ihrer absoluten Wahrheit komme, der menschliche Geist seine wahrhafte unendliche Bestimmung erfasse, dazu ist der Weg, den der Geist in den Religionen geht, die Bedingung. Die bestimmten Religionen sind bestimmte Stufen des Bewußtseins, des Wissens vom göttlichen Geiste, sind notwendige Bedingungen für das Hervorgehen der wahren Religion oder des wahrhaften Bewußtseins des Geistes (XIII, 8). Es ist der Begriff der Religion selbst, der sich zur Vermittlung forttreibt, der sich im menschlichen Bewußtsein realisiert (XIII, 5.15,272). Was im Begriff der Religion implicite ist, seine Momente, das kommt in der Religionsgeschichte zur Existenz. Die Religionen folgen einander — nicht zeitlich, sondern sachlich —, wie es den Momenten des Religionsbegriffs entspricht (XII, 72.15, 91f.). Und zwar treten die wesentlichen Momente des Religionsbegriffs auf jeder Religionsstufe auf, aber nicht in ihrer Totalität. Das Ziel ist, daß die Religion oder der göttliche Geist in seiner Totalität gewußt werde. Das ist in den bestimmten Religionen noch nicht der Fall, sie nähern sich nur diesem Ziel (XIII, 6.15, 92 f.). Der Begriff der Religion hat sich in ihnen noch nicht zur „Idee" der Religion vollendet (XIII, 7.15, 94). Gott ist in ihnen noch nicht in seiner Wahrheit erkannt (XIII, 7.15, 98). Erst in der christlichen Religion sind alle Momente des Religionsbegriffs enthalten, sind die bestimmten Religionen aufgehoben und in ihrer relativen Wahrheit erkannt. Und diese Erkenntnis ist die Versöhnung der vollendeten Religion mit den bestimmten vorchristlichen Religionen (XIII, 6.15, 92f.). Drittens: Demnach hat die Religion als das sich historisch entwickelnde Bewußtsein von Gott folgende wesentliche Entwicklungsstufen: Sie beginnt 1. mit dem natürlichen, sinnlichen Bewußtsein, wie es der Entwicklung des menschlichen Geistes entspricht (XIII, 6.15, 273). Die erste Stufe der Religion ist danach die natürliche Religion in ihren verschiedenen Formen. In ihr ist das religiöse Bewußtsein noch an das Natürliche, Sinnliche gebunden; Gott erscheint als die Einheit des Natürlichen und Geistigen (XIII, 12.15,273f.). Auf der 2. Stufe der Entwicklung scheidet sich das

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Natürliche vom Wesentlichen, Gott wird als die absolute Macht erkannt, das menschliche Subjekt erscheint als ein bloßes Akzidenz gegenüber der absoluten Substanz, der Mensch weiß sich vor der Gottheit als ein Nichtiges (XIII, 13.15, 274f.). Es folgt 3. die Religion der geistigen Individualität, in der sich das Geistige deutlicher von der bloßen Natürlichkeit scheidet (XIII, 12.15,275). Sie gestaltet sich in drei Formen: a) In der Religion der Erhabenheit: Gott ist der Herr, der Mensch ist sein Knecht. Diese Religionsform ist geschichtlich im Judentum und im Islam verwirklicht worden, b) In der Religion der Schönheit. Das Subjekt weiß sich nun frei, aber es ist noch nicht durch den Gegensatz von Gut und Böse hindurchgegangen (XIII, 14.15, 276f.). Und c) in der Religion der Zweckmäßigkeit, geschichtlich verwirklicht vor allem in der römischen Religion. Hier herrscht der endliche Zweck, die Nützlichkeit, und zwar für den Einzelnen wie vor allem für den Staat. Es ist in besonderer Weise die Religion des Fatums, des Schicksals (XIII, 15.15, 277). Den Abschluß und den Höhepunkt der Entwicklung der Religion bildet die vollendete Religion. In ihr ist der Begriff der Religion voll entfaltet, seine Bestimmungen sind in ihrer Totalität gesetzt, die Religion hat ihren eigenen Begriff sich gegenständlich gemacht (XII, 162). Diese Religion ist der erfüllte Begriff der Religion (XIII, 3f.). Als bloßer Begriff hat die Religion noch kein Dasein in einem endlichen Bewußtsein. Im Dasein ist die Religion als unterschiedlich entwickelte bestimmte Religion ihrem Begriff noch nicht angemessen, mag sie sich ihrem Begriff auch mehr oder wenger annähern. Nun aber, in der vollendeten Religion, entsprechen sich Begriff und Dasein der Religion, das endliche Bewußtsein erkennt den göttlichen Geist, so wie er ist (XII, 65). Damit ist der Begriff der Religion gesetzt, er ist sich vollkommen gegenständlich geworden, ist sich offenbar. Darum ist die vollendete Religion die offenbare (XII, 162). Der Begriff der Religion ist aus seiner Bestimmtheit und Endlichkeit zu sich selbst gekommen, die wahrhafte Religion ist verwirklicht (XII, 64). Im Durchlaufen der verschiedenen Religionen verliert der Begriff der Religion seine Endlichkeit, die Unangemessenheit seiner Existenz; er wird sich, was er ist, kommt zum wahrhaften Bewußtsein seiner selbst. Daß der religiöse Geist, die Religion, diesen Weg in den Religionen gehen muß, ist in dem Begriff der Religion begründet. Die vollendete, offenbare Religion ist nun das Wissen des Geistes von sich, wie er ist; in ihr ist offenbar, was Gott ist (XII, 74). Dies ist die christliche Religion. Sie ist nicht nur die geoffenbarte, sondern die offenbare Religion, weil Gott in ihr ganz offenbar geworden ist (XII, 75.15, 99f.). Es ist die Arbeit der Jahrtausende

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gewesen, diesen Begriff der Religion zu vollenden (XIII, 5.15,272). Als aber die Zeit erfüllt war — keine zufällige, sondern im Ratschluß Gottes begründete Zeit —, da mußte der Geist sein Ziel erreicht haben (XII, 76.15,100). Die Tiefe und Weite des psychologischen und historischen Verständnisses Hegels für das Wesen der Religion und ihre Entwicklung ist nicht zu überbieten. Ob Hegel die Geschichte der Religionen in allen Einzelheiten richtig beschrieben hat, ist eine unwesentliche Frage. Das Wesen der Religion und die Grundzüge ihrer Entwicklung hat er zweifellos richtig erfaßt. D. Die religiöse Vorstellung Wir sagten, daß der Begriff der Religion sich historisch entfaltet, entwickelt. Die nächste Frage ist daher: Was entwickelt sich in den Religionen, worin besteht der Unterschied zwischen den bestimmten Religionen, was unterscheidet sie von der vollendeten Religion? Hegel antwortet: Es gehört zum Wesen der Religion, daß sie in Vorstellungen, wir würden heute sagen in Symbolen denkt. Erstens: Was ist eine Vorstellung? Der Mensch, sagt Hegel, hat zunächst Empfindungen und sinnliche Anschauungen. Die Vorstellung knüpft an die Anschauung und deren Stoff an (10, 329.V, 389). Aus Empfindungen, Anschauungen und Wahrnehmungen bilden wir Vorstellungen (18,483). Diese erheben sich gedanklich über das Sinnliche. Die Bestimmung des Sinnlichen ist die Einzelheit, die in einem Zusammenhang steht; das Sinnliche ist ein Außereinander, Nebeneinander und Nacheinander. Die Vorstellung hat zwar diesen sinnlichen Stoff zu ihrem Inhalt, aber sie versetzt ihn in die Bestimmung der Allgemeinheit (V, 54.8, 73). Indem die Vorstellung auf die unmittelbare Anschauung zurückgeht, gewinnt sie aus ihr Bilder (XII, 110). Ein Bild hat zwar einen sinnlich-konkreten Inhalt, aber es ist allgemeiner als die Anschauung. Bild und bildliche Vorstellung aber sind nicht dasselbe (10, 339.V, 392.10, 336). Das Bild nimmt seinen Inhalt aus der Sphäre des Sinnlichen und stellt ihn in der unmittelbaren Weise seiner Existenz, in seiner Einzelheit dar. Das Bild ist notwendig etwas Beschränktes, weil die unendliche Menge des Einzelnen im unmittelbaren Dasein auch durch die ausführlichste Darstellung in seinem Ganzen nicht wiedergegeben werden kann (XII, 114.15,153f.). Die Vorstellung aber hebt das Bild in die Form des gedanklich Allgemeinen, so daß eine Grundbestimmung festgehalten wird und dem vorstellenden Geist nun

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vorschwebt. Solcher Art ist z. B. die Vorstellung „Welt" (XII, 115.15,154). Das Bild ist also noch sinnlich, die Vorstellung ist das Bild, das in seine Allgemeinheit erhoben ist, ist schon Gedanke (XII, 284). Zweitens: Betrachten wir nun die Form der Vorstellung, so entdecken wir bei ihr einen Mangel. Von diesem Mangel hat gerade das religiöse Bewußtsein, das in religiösen Vorstellungen lebt, eine deutliche Einsicht. Der Fromme, sagt Hegel, der über seinen Glauben etwas nachdenkt, weiß, daß die religiösen Bilder, die er hat, eben nur Bilder sind, daß der religiöse Gehalt eine vom Bilde noch verschiedene Bedeutung hat, daß das Bild also etwas Allegorisches, Symbolisches hat oder ist (XII, 110.15,156). Die religiöse Vorstellung ist nicht imstande, sich vom Sinnlichen ganz zu lösen. Der sinnliche Inhalt ist zwar in die Form des Gedankens gesetzt, aber noch nicht als Gedanke erfaßt. Die Vorstellung verhält sich gegen das Sinnliche und Bildliche zwar negativ, aber sie setzt es noch nicht wahrhaft ideell, sie bleibt immer noch im Sinnlichen stecken. Das Sinnliche ist zwar durch Abstraktion in das Denken erhoben, aber das Denken hat das Sinnliche noch nicht vollständig überwältigt (XII, 115f.l5,155f.). So bleibt die Vorstellung zwischen dem Sinnlichen und dem Gedanken in der Mitte schwebend. Der Gedanke hat sich schon in das Sinnliche hereingewagt, aber er hat den Inhalt noch nicht durchdrungen (XII, 296). Damit entsteht eine unreine Vermischung zwischen dem Sinnlichen und dem Denken. Die religiöse Vorstellung vermag sich vom Raum-Zeitlichen und Natürlichen nicht zu lösen (XII, 296f.). Ebenso bleibt sie im äußerlich Geschichtlichen stecken. Sie lebt noch im Mythos, vor allem aber in der äußerlichen Geschichte, die sie mit dem inneren, ewigen Gehalt oft verwechselt. Das gilt, wie wir sehen werden, auch von der christlichen Religion (XII, 111.112f. 15,157f.). Diese Eigenart der religiösen Vorstellung, die Vermischung des Sinnlichen mit dem Gedanklichen, hat zur Folge, daß die einzelnen Bestimmungen in der Vorstellung isoliert nebeneinander stehen, ohne gedanklich aufeinander bezogen zu sein (XII, 114.15,159). Es fehlt ihnen die Einheit des Unterschiedes und das Band der Notwendigkeit. Der Zusammenhang der Bestimmungen erscheint als etwas Zufälliges, Kontingentes. So ist z. B. die Vorstellung von der Schöpfung ein nicht-sinnlicher Gedanke. Aber der Zusammenhang zwischen dem Begriff des Schöpfers und der geschaffenen Welt ist in der religiösen Vorstellung nicht gesetzt, vielmehr ist die Schöpfung nach Analogie des natürlichen Lebens und Geschehens gedacht, wodurch sie zugleich unbegreiflich wird. Dasselbe gilt von den sog. Eigenschaften Gottes. Jedes Prädikat steht selbständig neben den anderen Prä-

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dikaten, aber der innere Zusammenhang zwischen ihnen fehlt (XII, 113. 15,159). Die religiöse Vorstellung will zwar nicht im Sinnlichen verharren, sie ist gegen das Sinnliche polemisch, sie will gegen das Bildliche den wahren Gehalt erfassen, aber sie kann das, was sie will, nicht vollbringen, sie kann ihr polemisches Werk nicht vollenden (XII, 285.15,154 f. V, 54. 8, 73). Drittens: Wenn dies der offenkundige Mangel der religiösen Vorstellung ist, dann ist es, erklärt Hegel, für den menschlichen Geist eine unaufgebbare Aufgabe, durch die religiöse Vorstellung hindurch und über sie hinaus den begrifflichen, gedanklichen Gehalt der Vorstellung zu suchen und zu finden. Bis heute behaupten Theologen, die religiösen Bilder, Symbole, Vorstellungen seien die einzige Form, in welcher der Glaube das Göttliche zu erfassen vermag. Hegel sieht tiefer. Er erkennt die Notwendigkeit, die Form der religiösen Vorstellung in den Begriff aufzuheben. „Die christliche Metaphysik vor Kant bediente sich bis Leibniz religiös-theologischer oder ästhetischer Sinnbilder, um das Verhältnis von Gott und Welt auszusprechen. Hegel... ist der erste, der die Vorstellungen in Begriffe verwandelt" (R. Kroner). Hegel weiß, daß diese Aufgabe nicht leicht ist (V, 54. 8, 73). Unser Bewußtsein ist so organisiert, daß es sich immer eher Vorstellungen von Gegenständen macht als begriffliche Gedanken. Unser Geist muß immer erst durch die Vorstellung hindurch zum denkenden Begreifen gelangen (V, 31.8, 41). Indem wir Vorstellungen haben, kennen wir noch nicht deren Bedeutung für das begriffliche Denken. Umgekehrt ist es nicht dasselbe, Begriffe zu haben und die ihnen entsprechenden Vorstellungen zu haben (V, 34f.8, 44f.). Aber mag die Aufgabe auch nicht leicht sein, sie muß ergriffen werden. Hat der Mensch nämlich einen Mangel erkannt, so muß er versuchen, ihn zu beseitigen. Und es ist möglich, die Vorstellungen in Begriffe zu erheben und so zwischen den einzelnen Bestimmungen einen notwendigen Zusammenhang herzustellen (XII, 118. 15,171). Der Begriff hebt das bloße Nebeneinander und Nacheinander auf und erfaßt das ewig Seiende. Der Begriff erzählt nicht nur, sondern begreift, wie schon sein Name sagt (XII, 297). Und nur, wenn wir so die religiösen Vorstellungen in Begriffe erheben, können wir die absolute, konkrete Wahrheit erkennen. Auch in der Form der Vorstellung ist der religiöse Gehalt wahr (XII, 285), aber dieser Wahrheit fehlt noch die Form der Wahrheit. Kommt zum wahren Inhalt der Religion noch die Form des Begriffs hinzu, dann erhalten wir die absolute Wahrheit im Gedanken (II, 531f.2, 64.11, 57). Das zu leisten ist die wahre Aufgabe der Metaphysik (V, 34.55.8, 44.74).

Die Glaubensgewißheit

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E. Die Glaubensgewißheit Wir stellten fest, daß die Religion von sich aus die Versöhnung mit dem wissenschaftlichen Denken nicht vollziehen kann. Den einen Grund für diesen Tatbestand haben wir jetzt erkannt: Die Religion denkt in Vorstellungen, Symbolen, die dem Absoluten gegenüber inadäquat sind, und sie kann sich von ihnen nicht befreien. Den anderen Grund für das Versagen der Religion in puncto Versöhnung müssen wir nunmehr darlegen: Erstens: Der religiöse Glaube, sagt Hegel, ist Gewißheit, aber er ist nicht beweisende Erkenntnis. Nicht als ob der Glaube dem Wissen nur entgegengesetzt wäre, er ist auch ein Wissen. Wissen heißt nichts anderes, als etwas als Gegenstand vor seinem Bewußtsein zu haben und dessen gewiß zu sein (VIII, 23). Das, was man im Bewußtsein hat, weiß man auch (V, 89 f. 8.166). Auch der Glaube ist für den denkenden Geist, er hat es mit einem allgemeinen Inhalt zu tun, mit der Person Gottes, ein Gedanke, der nur für das Denken ist (V, 90. 8,167). Der Glaube ist die subjektive Gewißheit von dieser göttlichen Wahrheit. Der menschliche Geist nimmt diese Wahrheit in sich auf, er ist fähig, das Göttliche zu wissen (IX, 880. 11, 522 f.). — Indessen, was ist der Grund der Glaubensgewißheit, was beglaubigt den Inhalt des Glaubens? Der Glaube kann äußerlich an den Menschen herankommen, etwa durch Autorität, Belehrung, Wunder. Aber durch solche äußerliche Vermittlung ist der Glaubensinhalt noch nicht wahrhaft beglaubigt (XII, 248.15,228 f.). Die göttliche Autorität, auf die man sich beruft, gründet sich faktisch auf eine menschliche Autorität, und diese ist immer unsicher. Wir sind nicht dabei gewesen, wir haben Gott nicht gesehen, nicht gehört, als er sich offenbarte; es sind immer nur andere, die es uns erzählen und versichern. Da kommt es darauf an, wie das Medium zwischen uns und dem Inhalt des Glaubens, wie die Wahrnehmung der Anderen beschaffen war. Alle geschichtliche Begründung ist ihrem Wesen nach schwankend und unsicher. Auch die überlieferten Wunder, die den Glauben stützen sollen, sind unsicher, denn sie können jederzeit vom Unglauben bestritten werden (XII, 290.15,163 f.). Zur Glaubensgewißheit gehört daher mehr als alle äußerliche Begründung. Der Gläubige muß sich das, was von außen an ihn kommt, innerlich zu eigen machen, er muß es im Geist erfassen. Der Glaube zeugt vom Geist und für den Geist. Mit geschichtlichen Begebenheiten, Überlieferungen, Wundern usw. kann der Glaube wohl anfangen, aber er kann dabei nicht stehen bleiben, und je höher eine Religion ist, um so weniger. Je geistiger ein Glaube wird, desto

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weniger kann man ihm zumuten, Ungeistiges oder Zufälliges auf Autorität hin zu glauben (XII, 249.15, 229). Der wahre Grund des Glaubens ist also das Zeugnis des eigenen Geistes. Er bezeugt, daß dieser Inhalt meinem Geiste gemäß ist, mein innerstes Bedürfnis befriedigt (XII, 96). Das subjektive Selbstbewußtsein ist nun Bewußtsein der absoluten "Wahrheit als seines Selbst, es weiß vom absoluten Geiste, der sich im Selbstbewußtsein bezeugt und erzeugt (XII, 252.15,232). Das Bewußtsein versenkt sich, sein Fürsichsein, in die „Sache", vergißt sich selbst in der Andacht, ist von seinem Gegenstande erfüllt und ist Wissen seiner als das Wissen Gottes in ihm (XII, 253). Und dies eben ist das Wesen der Glaubensgewißheit: Gott absolut an und für sich, und zugleich das Meinige, im Ich. So sind Glaube und Wissen in der Glaubensgewißheit eins. Ich weiß, was ich glaube, und ich weiß es als das Zeugnis des eigenen Geistes vom absoluten Geist in mir (XII, 95.15,129). Zweitens: Das ist das Wesen der Glaubensgewißheit und der Grund des Glaubens. Allein dieser Glaube besitzt die göttliche Wahrheit auf eine eigentümliche Weise. Er hat zwar den absoluten Inhalt, aber nur unmittelbar in dem Sinne: Es ist so! Dies Zeugnis des Geistes ist ohne begriffliche Notwendigkeit (XII, 288.15,161). Denn, sagt Hegel, habe ich die begriffliche, vernünftige Einsicht in eine Sache, dann sage ich nicht mehr, daß ich glaube (XII, 95 f. 15,129 f.). Dem Glauben fehlt nicht nur die unmittelbare sinnliche Anschauung — das wäre noch kein Mangel —, sondern ihm fehlt die Einsicht in die Notwendigkeit seines Inhalts (XII, 96.15,130 f.). Der subjektive Glaube hat kein objektives Wissen von der Notwendigkeit seines Inhalts. Man glaubt zwar an Gott, aber man kann Gott nicht beweisen (XII, 85.15,130 f.). Eben darum aber ist die Gewißheit noch nicht Wahrheit, denn bei der Wahrheit treten subjektive Gewißheit und objektives Sein auseinander, und beide müssen erst vermittelt werden (XII, 86 f. 15,132). Aber eben diese Vermittlung in der Erkenntnis fehlt der Glaubensgewißheit. Vieles ist den Menschen gewiß, was darum noch lange nicht wahr ist! Denn: Ewig steht der bloßen Gewißheit die Wahrheit entgegen, und über die Wahrheit entscheidet die Glaubensgewißheit noch nicht (XIV, b. 30.16, 383). Darum aber ist die Glaubensgewißheit dem denkenden Menschen nicht genügend, denn er ist nicht nur ein gläubiges Gemüt, sondern auch ein denkendes Wesen, er kann also nicht ablassen zu fragen, ob das, was er glaubt, dessen er im Glauben gewiß ist, auch objektiv wahr ist (K. Rosenkranz). — Der Glaube also kann die Religion mit dem vernünftigen Denken nicht versöhnen, das vermag nur das begriffliche Denken. Und diese Versöhnung des Gemüts mit dem Intellekt, des Glau-

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bens mit der Erkenntnis ist für den denkenden Menschen, der die Grenze der Glaubensgewißheit eingesehen hat, eine Notwendigkeit (XII, 22.15, 34), und zwar gerade auch für den Christen. Bei den vorchristlichen Religionen kehrte sich das Denken auch schon gegen die Religion, aber dort gedieh die Kollision zwischen Glauben und Denken nicht zum innersten Zwiespalt des Geistes in sich selbst. Im Christentum aber haben beide Seiten des Widerspruchs ihre gemeinsame Wurzel in der Tiefe des Geistes, darum können sie den Geist im Innersten zerrütten (XIV, b. 4.16, 361). Zugleich aber ist das Christentum die Religion der Freiheit, das Heil des einzelnen ist wesentlicher Zweck dieser Religion. Aus der freien Subjektivität aber erwächst das Bedürfnis nach Erkenntnis oder nach der Versöhnung im Erkennen (XII, 23 f. 15, 34 f.). Auch ist der Inhalt des christlichen Glaubens ein entwickelter Lehrbegriff oder objektive Wahrheit, also Inhalt der Erkenntnis und für die Erkenntnis. Der christliche Glaube hat die Erkenntnis wesentlich in sich, freilich zunächst in einer Form, die innerlich noch nicht notwendig ist, darum auch noch keine Erkenntnis schenkt, welche die Notwendigkeit des Glaubensinhalts einsieht (XII, 25. 15, 36). Aus allen diesen Gründen aber drängt gerade die christliche Religion zum vernünftigen Erkennen und zum Beweis der Wahrheit des Glaubens; sie entwickelt notwendig aus sich eine Lehre und eine theologische Metaphysik. Die Frage ist nur, wie, d. h. mit welchen begrifflichen Mitteln die Versöhnung zwischen dem religiösen Glauben und dem vernünftigen Erkennen, zwischen der subjektiven Glaubensgewißheit und der objektiven Wahrheit, zwischen der religiösen Vorstellung und dem wissenschaftlichen Begriff hergestellt werden kann. Dieser Frage wenden wir uns jetzt zu.

F. Theologie und Logik Wir kommen jetzt zu der Lehre Hegels, die zu den umstrittensten seiner Philosophie gehört, mit der sein System aber steht und fällt und die zum Verständnis desselben unbedingt notwendig ist. Wir machen zunächst einen kleinen Umweg und stellen die Frage nach der theologischen Exegese. Erstens: Alle Theologie, auch Hegels Systematische Theologie, gründet sich letztlich auf die Bibel. Die Lehren der christlichen Religion, sagt Hegel, sind in der Bibel vorhanden, auf eine positive Weise gegeben. So ist die Bibel für den Christen die Hauptgrundlage, die seinen Überzeugungen Festigkeit gibt. Die Theologen sagen, man solle sich nur an die

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Bibel halten. Das ist einerseits ein ganz richtiger Grundsatz. Viele Christen halten sich nur an die Bibel, sie tun nichts als die Bibel lesen und Sprüche daraus hersagen und haben dabei eine hohe Religiosität. Allein ein solches Verhalten ist noch keine wissenschaftliche Theologie (XIV, 23 f.). Die Worte der Bibel sind ein Vor trag, der nicht systematisch ist; sie sind das Christentum, wie es am Anfang erschienen ist (XII, 39). Nun kommt es auf das Erklären der Bibelworte an, d. h. auf die Exegese. Die Exegese hält am Worte fest, sie übernimmt das geschriebene Wort, interpretiert es und gibt vor, nur den Verstand des Wortes geltend zu machen, ihm getreu bleiben zu wollen (XII, 38). Allein die Bibel sagt selbst, daß der Buchstabe tötet und nur der Geist lebendig macht (XIV, 26). Wenn die Interpretation nicht bloße Worterklärung sein soll, sondern Erläuterung des Sinnes, so muß der Exeget seine eigenen Gedanken in das zugrunde liegende Wort bringen. Die Angabe des Sinnes heißt den Sinn ins Bewußtsein, in die Vorstellung hervorziehen. Hierbei machen sich die Vorstellungen des Zeitbewußtseins in der Darstellung dessen geltend, was der Sinn sein soll. Die Natur des interpretierenden Erklärens bringt es mit sich, daß der Gedanke dabei mitspricht. Der Gedanke enthält Grundsätze, Voraussetzungen, die sich im Geschäft des Interpretierens geltend machen (XII, 38). Zwar sollen die Worte der Bibel der feste Halt sein, aber man nimmt die Worte nicht, wie sie dastehen, man versteht unter dem Bibelwort nicht die Worte, Buchstaben als solche, sondern den Geist, mit dem sie aufgefaßt werden. Da kommt es nun darauf an, wie der Geist beschaffen ist, ob es der wahre, richtige Geist ist, der auffaßt (XII, 39). Sobald also das sog. Erklären, Exegesieren, Schließen anfängt, tritt der Exeget in das Denken, Reflektieren, und da kommt es darauf an, wie er sich in seinem Denken verhält, ob sein Denken richtig ist. Es hilft nichts, zu sagen, diese Gedanken seien auf die Bibel gegründet. Sobald es nicht nur die Worte der Bibel sind, werden Voraussetzungen gemacht (XIV, 24). Sobald die Theologie mehr ist als ein Hersagen der Bibel, sobald sie über die Worte der Bibel hinausgeht, braucht sie Formen des Denkens, tritt sie in das Denken (XIV, 25). Das Fassen ist eben kein passives Verhalten, Aufnehmen, sondern indem unser Geist auffaßt, ist er selbst zugleich tätig. Es gibt Theologen, die das gar nicht merken, die bei der Exegese meinen, daß sie sich passiv aufnehmend verhalten; sie wissen gar nicht, sagt Hegel, daß sie reflektieren (XIV, 26). In Wahrheit hat unser Denken sich seine Ansichten vorher festgesetzt und sieht dann nach, wie sich die Worte der Bibel danach erklären lassen (XII, 37). Die biblischen Kommentare machen uns daher immer mehr mit der Betrachtungsweise der Zeit als mit der

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Bibel selbst bekannt. Aus der Bibel sind exegetisch von den Theologen die entgegengesetztesten Meinungen bewiesen worden, so daß die Hl. Schrift zur wächsernen Nase gemacht wurde. Alle Grundlehren des Christentums sind durch die Exegese erschüttert worden; aus der Bibel sind die entgegengesetztesten Dogmen abgeleitet worden; alle Ketzereien haben sich gemeinsam mit der Kirche auf die Bibel berufen (XII, 38 f.). Zweitens: Der denkende Geist, der die Bibel auslegt und eine Theologie erarbeitet, ist ein logischer Geist. Die Theologen haben das fast durchweg anerkannt und die Denkgesetze der Logik als für die Theologie unentbehrlich erachtet, obwohl es auch Theologen gibt (wie z. B. E. Brunner), welche die Logik nicht für unbedingt bindend halten. Die Theologen haben auch meist zugegeben, daß die Systematische Theologie ohne philosophische Begriffe nicht auskommt. Aber sie faßten diese Begriffe gleichsam als ein technisches Rüstzeug auf, das beliebig ausgewechselt werden kann. Sie haben daher nacheinander platonische, aristotelische, idealistische, positivistische und existentialistische Kategorien verwendet. Demgegenüber erkennt Hegel ein Doppeltes: Einmal genügt die formale Logik für die Theologie nicht. Denn die formale Logik erforscht nur die Gesetze des Denkens und bietet nicht die des objektiven Seins. Die spekulative Logik aber enthält nicht nur die Denk-, sondern auch die Seins-Bestimmungen, sie ist Metaphysik. Und die Formen des Denkens sind zugleich auch die Formen des Seins (V, 57 f. 8, 83). Und zwar bietet diese Logik alle Kategorien, die dem Universum zugrunde liegen, sowohl die des Verstandes als auch die der Vernunft (III, 16.4, 28 f.). Weil die Logik das System der reinen Denk- und Seinsbestimmungen ist, sind alle Wissenschaften angewandte Logik und haben die Aufgabe, die Gestalten der Logik in Natur und Geist zu erkennen (8, 87). In der spekulativen Logik als Metaphysik sind somit die Gesetze der formalen Logik sowohl aufgehoben wie erhalten (V, 41. 8, 53). Die Logik ist die wahre Ontologie, die Wissenschaft von den reinen Wesenheiten (III, 7. 4, 18). Und nicht nur die Gottesbeweise, sondern die ganze Theologie ist eine eigentümliche Gestalt der Grundbestimmungen der Logik (XIV, b. l f. 16, 359 f.). Zum ändern ist es nicht gleichgültig, welche Kategorien eine Theologie verwendet. Die logischen Formen, in denen die Theologie denkt, dürfen nicht zeitgebunden und willkürlich sein, sondern sie müssen dem göttlichen Logos entsprechen. Denn es gibt endliche und unendliche Kategorien (V, 90 f.). Die endlichen Kategorien haben einen beschränkten Inhalt und stehen sowohl zueinander als auch zum Absoluten in Gegenstaz (V, 58. 8, 97). Kants Erkenntnis, daß die Kategorien des Verstandes nur Erscheinungen er-

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kennen können, darf nicht vergessen werden. Ist das theologische Denken nur ein Denken des Verstandes, Rationalismus, dann bleibt es im Endlichen stecken (8,90 f. 101). Ob unser Geist also das Absolute, Gott erkennen kann oder nicht, hängt ausschließlich davon ab, ob wir endliche oder unendliche Kategorien verwenden (XII, 59.15, 72). Eine Theologie, die unkritisch endlichen Kategorien verfällt, wird unfähig, die göttliche Wahrheit zu erkennen (XIV, 26.16, 207). Die formale Logik hilft uns hier gar nichts (XII, 59.15, 72). Denn in der Religion haben wir es mit dem göttlichen Logos zu tun; hier entreißt sich der Geist allen anderen Formen und läßt den ewigen Logos hervortreten (XIII, 41.15, 329). Drittens: Enthält die Logik Hegels nicht nur die endlichen Kategorien des Verstandes, sondern auch die unendlichen Kategorien der Vernunft, so ist sie mehr als Ontologie, mehr als das System der Seinsbestimmungen der Welt, der Natur und des menschlichen Geistes; sondern als die spekulative Logik, die auch die „Ideen" im Sinne Kants, die „Ideale" der Vernunft enthält, ist sie metaphysische Theologie. Sie betrachtet, wie Hegel sagt, die Evolution der göttlichen Idee in dem Äther des reinen Gedankens (XIV, b. 86,16, 434). Sie stellt die allgemeinsten Bestimmungen des Universums, die Noumena dar (XIV, b. 91.16,466). Und sofern die spekulative Logik diese Noumena darstellt, ist sie „die Darstellung Gottes, wie er in seinem ewigen Wesen vor der Erschaffung der Welt, der Natur und des endlichen Geistes ist" (111,31.4,46). Diese Erklärung Hegels hat bei Philosophen und Theologen Entsetzen erregt. Wir führen in extenso die Beurteilung dieses Satzes durch N. Hartmann an, weil sie in geradezu klassischer Weise zeigt, wie Hegel gedeutet und mißdeutet worden ist. N. Hartmann schreibt (Hegel, S. 38 f.): „Weiter kann der Mensch seine Anmaßung, um Gott zu wissen, nicht treiben, als sie hier getrieben ist. Es ist der Anspruch des Menschen, Gott zu durchschauen, seinen Ratschluß zu erlauschen, sein Wesen und Walten in den Logos des eigenen Wissens einzufangen. Wenn die Logik ,Darstellung Gottes' ist, so muß sie, da sie die Form des Wortes hat, das reine Wort Gottes sein ..., das dritte Testament, das... dem Zeugnis der ewigen Vernunft in der endlichen Vernunft abgelauschte Offenbarung ist. Wenn Hegel dem ungeheuren Odium entging, welches sein frevles Tun auf ihn herabschwor, so verdankt er das — ähnlich wie früher kühne Denker der Mystik und Scholastik — nicht seiner Mäßigung, sondern den Grenzen des Verstehens seiner dogmatischen Gegner. Gerade die Ungeheuerlichkeit seines Anspruchs überhob ihn des Streites. Sie hob ihn in eine gedankliche Höhe, in die niemand ihm zu folgen wußte... Die Theologenschaft lebte — trotz manchem erhobenen Widerspruch —

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mit verbundenen Augen an dem großen Lästerer vorbei. Seine Zumutung in ganzer Tragweite auda nur zu begreifen, fehlte ihr das Organ." Also: „Anmaßung", „frevles Tun", „Lästerer" — das sind die Vokabeln, mit denen ein Philosoph einen christlichen Denker meint kritisieren zu dürfen. Es ist sonderbar: Philosophen und Theologen haben nichts dagegen, wenn der religiöse Glaube und die Theologie Gott mit Hilfe von Vorstellungen und Symbolen erkennen wollen, ja die Kirchenlehre hat von Anfang an den Gehalt des Glaubens in rationale Dogmen zu fassen versucht und für diese Dogmen unbedingte Anerkennung verlangt. Wenn nun aber ein Denker kommt, der Gott mit Hilfe ontologischer Denk- und Seinskategorien zu erkennen sich bemüht, dann erfaßt Philosophen und Theologen das Entsetzen! Sind denn die Kategorien der spekulativen Logik weniger als die religiösen Vorstellungen und Symbole, ja haben denn diese mit jenen sachlich nichts zu tun? Die Wahrheit ist eine ganz andere, als N. Hartmann meinte. „Hegel entdeckt den Ursprung der religiös-theologischen oder ästhetischen Sinnbilder in den einfachen Begriffsmomenten der Logik" (R. Kroner, 11,296). Die Kategorien der Logik sind also nicht weniger, sondern formal gesehen mehr als die religiösen Vorstellungen und Symbole, und sie bringen den ewigen Gehalt der letzteren ans Licht. Darum kann weder von „Anmaßung" noch von „Frevel" noch von „Lästerung" die Rede sein, wenn man verstanden hat, was Hegel meint. Dazu kommt, daß Hegels Logik keineswegs alle Kategorien des Gottesbegriffs enthält. Einmal: Die Logik enthält die Prinzipien alles Seins, des endlichen wie des unendlichen. Nicht alle Kategorien der Logik sind Definitionen Gottes. Genauer besehen sind es immer nur die ersten, einfachen Bestimmungen einer Sphäre, und dann die dritte, welche die Rückkehr aus der Differenz zur einfachen Beziehung auf sich bezeichnet, die als Definitionen Gottes dienen können. Die zweiten Bestimmungen dagegen, die in der Sphäre der Differenz sind, geben die endlichen Kategorien der Welt (V, 107. 8, 201). Zum ändern aber stehen in Hegels System neben den Kategorien der Logik die der Naturphilosophie und der Philosophie des Geistes. Auch diese enthalten neben endlichen unendliche Bestimmungen und damit Definitionen Gottes. Es war daher von vornherein falsch, Hegels System als „Panlogismus" zu bezeichnen. „Gegen die Fülle der konkreten Idee in Natur und Geschichte erscheint der Kosmos der logischen Idee mit seinen abstrakten Kategorien" daher „als eine Schattenwelt". Aber „dies Abstrakte ist im Konkreten als seine logische Seele enthalten" (K. Rosenkranz). Das Allumfassende bei Hegel ist der Geist und

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nicht der Logos (R. Kroner)! Aber die logisdien Kategorien sind und bleiben die ewigen Grundlagen des Geistes, die „Darstellung Gottes in seinem ewigen Sein vor der Schöpfung der Welt"! —

G. Ergebnis Wir sind nunmehr in der Lage, das Verhältnis zwischen dem religiösen Glauben und dem wissenschaftlichen Denken oder zwischen der Religion und der Metaphysik, wie Hegel es sieht, eindeutig zu bestimmen: Erstens: Religion und Philosophie haben denselben Gegenstand (XII, 29.15, 37). Der gemeinsame Gegenstand bedingt eine Verwandtschaft zwischen der Religion und der Philosophie, beide stehen auf demselben Boden (17, 92 ff.). Ihr Bedürfnis und ihr Interesse ist dasselbe. Darum sind Religion und Philosophie, was ihren Inhalt betrifft, eins (XII, 35). Die Philosophie expliziert sich, indem sie die Religion expliziert und umgekehrt. Sie durchdringt ihren Gegenstand, findet in dieser Beschäftigung den Genuß der Wahrheit und die Reinigung des subjektiven Bewußtseins. Wie die Religion ist auch die Philosophie ein Gottesdienst, aber freilich ist die Weise des Gottesdienstes in beiden verschieden, und aus dieser Verschiedenheit entsteht der Gegensatz zwischen ihnen und scheint die Philosophie dem Inhalt der Religion verderblich zu sein (XII, 29.15, 37 f.). Die Verschiedenheit kommt aus dem Gegensatz zwischen der religiösen Vorstellung und dem logischen Begriff. Wir haben gesehen: In der Religion haben wir die Wahrheit in der Form der Vorstellung, des Symbols. In der Vorstellung ist der Inhalt nicht in seiner wahren Form gedacht, nicht begriffen, sondern nur bildlich vorgestellt, analogisch, symbolisch aufgefaßt. Daher fehlt der Vorstellung der Zusammenhang ihrer einzelnen Bestimmungen (XII, 293). Wäre der Zusammenhang der Momente in der Vorstellung erkannt, dann wäre er auch als notwendig eingesehen. Aber eben dieser notwendige Zusammenhang fehlt der religiösen Vorstellung (XII, 294). Das ist der Mangel der religiösen Vorstellung. Aber das ist auch ihr Vorzug. Denn die Vorstellung ist die einzige Form, in der die Religion für alle Menschen, für die Menschen aller Bildungsstufen sein kann, für das allgemeine Bewußtsein, das nicht philosophisch reflektiert. Will Gott dem Bewußtsein aller Menschen sich offenbaren, dann kann dies nur in der Form der Vorstellung geschehen (17,93.102). Ja, sofern der Philosoph selbst ein religiöser Mensch ist, lebt auch er in der Welt der Vorstellung. Sie ist nun einmal die Form der göttlichen Wahrheit für den menschlichen

Ergebnis

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Geist, der in dieser Form denken muß, weil er in einer raum-zeitlichen und geschichtlichen Welt lebt. Mag der Gehalt der Religion auch logischspekulativ sein, der Mensch als sinnlich-geistiges Wesen kann die Vorstellungsform doch nicht entbehren (V, 485 f. 10, 459.17,113). Die Philosophie aber ist eine besondere Form des Bewußtseins, sie verlangt eine „Anstrengung des Begriffs", der sich nur wenige Menschen unterziehen können (V, 14. 8,17). Aber auch das ist nur die halbe Wahrheit. Der Mensch ist nicht nur ein vorstellendes, sondern immer auch ein begrifflich denkendes Wesen, ein geborener Metaphysiker. Im Menschen sucht auch der Begriff seine Befriedigung (XII, 292.15,165). Darum strebt jeder religiöse Mensch, sofern er denkt, nach der Begründung seines Glaubens. Geschichtlich betrachtet hat darum die Philosophie, sobald das Denken der Menschen frei wurde, damit angefangen, sich von der volkstümlichen Religion zu scheiden, und hat ihr gegenüber auch eine feindselige Haltung eingenommen (17, 110). Aber das ist ein vorübergehender Zustand. Die Philosophie, die ihr wahres Wesen erkannt hat, muß vielmehr die Religion verstehen und die Form der religiösen Vorstellung in die des logischen Begriffs umwandeln. Zwar wird auch in der Religion immer schon gedacht, die Religion enthält spekulative Gedanken (17, 95), aber ihre Gedanken sind nicht in der Form des Gedankens (XIV, 228.16, 353). Die Religion schwankt immer zwischen dem Bildlichen und dem Gedanklichen hin und her und vermischt beides (17,118). Dem macht erst die Philosophie ein Ende. Sie begreift das, was die Religion vorstellt; sie macht den Gedanken als solchen in der Form des Gedankens zu ihrer Grundlage (17,110,123). Sie durchdringt den Gehalt der religiösen Vorstellung mit dem begrifflichen Denken (XII, 291). Damit begründet sie diesen Gehalt (XII, 294). So bleibt der Inhalt der Religion und der Philosophie derselbe, die göttliche Wahrheit für den menschlichen Geist, aber die Form hat sich gewandelt. Diese Arbeit der Philosophie ist nicht leicht (XII, 295)! Gelingt ihr aber dies Werk, so wird die höchste Form des endlichen Geistes, das begreifende Erkennen, befriedigt (V, 31 f. 15, 42). Zweitens: Aus dem Gesagten geht klar hervor, daß die Philosophie nicht die Aufgabe hat, eine neue Religion zu schaffen. Die Religion wird von der Philosophie vorausgesetzt. Es ist nicht ihr Amt, in den Menschen etwas Neues hineinzubringen, was nicht schon in ihm ist, also den Glauben an Gott hervorzubringen (XII, 8). Wer nichts von Religion in sich fühlt und weiß, und sei es auch nur, daß er Sehnsucht nach dem Glauben hat, der weiß auch nicht, wovon hier die Rede ist. Zwar ist der Fall denkbar, daß die Philosophie in einem denkenden Gemüt den Glauben erweckt,

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aber diese Wirkung der Philosophie ist weder notwendig noch von ihr beabsichtigt. Die Philosophie hat die Aufgabe, die Notwendigkeit der Religion zu entwickeln, zu begreifen, daß und warum der menschliche Geist zur Religion kommen muß. Aber es ist etwas ganz anderes, die Notwendigkeit der Religion zu begreifen und ein einzelnes Individuum zur Höhe der Religion zu erheben. Die Philosophie kann, soll und will nicht „erbaulich" sein (XII, 9.15,22). Sie bewährt sich nicht dadurch, daß sie die Religion in einem Menschen hervorbringt, sondern dadurch, daß sie die vorhandene Religion begreift (XII, 10.15,23). Darum ist es auch nicht die Aufgabe der Philosophie, die Religion zu ersetzen oder irgendwie überflüssig zu machen. Wer dies als die Aufgabe der Philosophie ansieht, hat ihr Wesen nicht begriffen. Die Philosophie ist nur formal, nicht material von der Religion verschieden. Sie ist darum berufen und fähig, der Religion volle Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, ohne ihren Gehalt anzutasten (17,111). Damit stellt sich die Philosophie zwar über die Form der religiösen Vorstellung, nicht aber über deren Gehalt. Sie denkt nur begrifflich-kategorial, was der gläubige Mensch in der Vorstellung glaubt und weiß. Sie gibt der Religion die begriffliche Form der Wahrheit (XIV, 229.16, 353). Die Religion ist damit inhaltlich betrachtet das Umfassende, für alle Menschen verständlich; die Philosophie aber ist das formal Übergreifende (XIV, b. 176 f. 16, 552 f.). Die Religion kann ohne die Philosophie leben, aber die Philosophie kann nicht ohne die Religion sein, wenn sie die ganze Wirklichkeit begrifflich denken will (V, 14 f. 8,18). Die Religion irrt daher, wenn sie sich gegen die spekulative Philosophie kehrt. Der Irrtum entsteht aus der Unkenntnis der Kategorien des Denkens (V, 486 f. 10, 460). Die Religion aber kann beruhigt sein: Die Philosophie tastet sie nicht an und schafft keinen neuen Inhalt. Sie weiß, daß der gläubige Mensch die göttliche Wahrheit schon hat, daß er nicht auf die Philosophie zu warten brauchte, um diese Wahrheit zu erkennen (XII, 299.15,166). Die Philosophie ist ein spätes Produkt des Geistes (XII, 309. 15,264), aber sie allein vermag den Geist wahrhaft zu befreien, indem sie die Notwendigkeit des religiösen Inhalts begreift (V, 485. 10, 458 f.).

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2. Kapitel Die Methode A. Die Dialektik Im zweiten Kapitel wollen wir die Methode des Hegeischen Denkens und den wissenschaftlichen Beweis im Sinne Hegels darlegen. Hegels Methode ist bekanntlich die Dialektik. Ihr Wesen ist zunächst zu bestimmen. Erstens: Der gewöhnliche, sog. gesunde Menschenverstand, sagt Hegel, versteht unter Dialektik eine Manier, Gegenstände zu betrachten, Gründe und Seiten an ihnen aufzuzeigen, um nach Möglichkeit alles, was sonst fest steht, wankend zu machen (17, 327). Die Dialektik erscheint als eine Kunst, Vorstellungen und Begriffe zu verwirren und ihre Nichtigkeit aufzuzeigen, so daß das Resultat der Betrachtung negativ ist (18, 222). In der Tat hat es eine solche Dialektik gegeben, z.B. die Sophistik bei den Griechen, die Plato so scharf bekämpft hat (18, 232). Diese Dialektik ist ein Räsonnieren, ein Behaupten von grundlosen Voraussetzungen aus, die man ohne Kritik gelten läßt (III, 92. 4,118). Es ist ein subjektives Schaukelsystem ohne objektiven Gehalt, eine äußerliche Kunst, scheinbare Widersprüche in den Begriffen aufzuzeigen (V, 105. 8,189). Eine Dialektik dieser Art ist ein negatives Tun, unsachlich, ist nur die Sucht, alles Bestehende aufzulösen (III, 38.4, 53). Die echte Dialektik ist etwas ganz anderes, schon bei Plato (18,225). In der Scholastik war die Dialektik nur ein formales Denken, wurde aber sehr ernst genommen (19,190). Der eigentliche Begründer der neueren Dialektik aber ist Kant. Er hat als erster der Dialektik den Schein der Willkür genommen, indem er erkannte, daß sie für die Vernunft notwendig ist (III, 38. 4, 54). Kant hat gezeigt, daß die Kategorie des Verstandes unmittelbar in ihr Entgegengesetztes umschlägt, er begründete die Antinomienlehre (8,192). Die Kategorien sind zwar zunächst einfache Bestimmungen, aber weil sie konkret sind, verbinden sie entgegengesetzte Momente zur Einheit. Werden sie analysiert, so entstehen antinomische Sätze, von denen jeder gleiche Wahrheit hat (XXI, 86. 3, 129 f.). Kant stieß auf diesen Tatbestand, als er den Versuch machte, mit Hilfe der Kategorien des Verstandes das Absolute zu denken. Hierbei verwickelte sich die Vernunft in Antinomien, d.h. in die Behauptung zweier entgegengesetzter Sätze über denselben Gegenstand, so daß jeder Satz mit gleicher Notwendigkeit behauptet werden kann (V, 73. 8,139). Die vorkantische Metaphysik hat die Notwendigkeit 5 Schmidt, Hegel

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dieses Widerspruchs nicht erkannt, sie nahm als selbstverständlich an, daß bei widersprechenden Behauptungen immer die eine gelten, die andere widerlegt werden müsse (19, 579 f.). Kant dagegen sah, daß es in der Natur des Denkens selbst liegt, wenn es antinomisch wird. Das war, sagt Hegel, eine wichtige Förderung der Philosophie. Sie beseitigte den starren Dogmatismus der rationalen Philosophie und zeigte die dialektische Bewegung des Denkens (8,141). Aber Kants Lösung des Antinomienproblems war, wie schon erwähnt, mangelhaft. Er glaubte die Lösung in der Unterscheidung der Erscheinung vom Ding an sich finden zu können (19, 581). Kämen die Antinomien, so meinte Kant, dem Ding an sich zu, so wäre ein unauflöslicher Widerspruch vorhanden. Er verlegt also den Widerspruch in die Erscheinung und in die Vernunft und befreit von ihm die Welt der Dinge an sich (19, 582). Dabei verwickelt sich aber Kant selbst in einen Widerspruch. Die Vernunft wird nur durch die Anwendung der Kategorien auf das Absolute antinomisch, aber diese Anwendung ist andererseits für die Vernunft notwendig (V, 73 f. 8,140)! Statt also die beiden Seiten der Antinomie in der Einheit eines höheren Begriffs zu verbinden, entfernt Kant den Widerspruch von dem Ansich der Welt und verlegt ihn in die subjektive Vernunft, wo er unaufgelöst bleibt (III, 184. 236. 4, 228. 289). Kant sieht nicht, erklärt Hegel, daß in allen Denk- und Seinsbestimmungen sich Widersprüche finden und daß der Widerspruch überhaupt alles in der Welt beherrscht (IV, 58. 4, 546). Zweitens: Da Hegels logische Kategorie des Widerspruchs vielfach kritisiert worden ist, sei der Weg zu ihr kurz dargelegt. Die formale Logik setzt dem Widerspuch den Satz der Identität entgegen, der besagt: Alles ist mit sich identisch, A=A. Der Satz kann auch als Satz des ausgeschlossenen Dritten formuliert werden: Es ist unmöglich, daß etwas sowohl A als nicht A ist (V, 129.8,268). Man beruft sich dabei auf die Erfahrung: Ein Baum ist ein Baum und kein Haus. Aber das sind, sagt Hegel, leere Tautologien. Die Erfahrung gerade zeigt, daß in ihr die Identität stets verbunden ist mit der Verschiedenheit (IV, 29 f. 4, 512 f.). Auch der Satz vom ausgeschlossenen Dritten ist nur eine Trivialität. Er besagt nur, daß einem Ding von allen Prädikaten entweder dies Prädikat oder sein Nichtsein zukommt (IV, 56 f. 4, 544). In der Tat aber gibt es hier das Dritte, das gegen den Gegensatz gleichgültig ist, nämlich das Etwas, das auf + A und —A gleichermaßen bezogen ist (IV, 57.4, 545). Der Satz der Identität ist also nur eine Tautologie ohne Gehalt, nur ein Denkgesetz des abstrakten Verstandes (IV, 28.4, 510. V, 129. 8,268). Der Verstand erkennt nicht, daß die Identität selbst eine Verschiedenheit ist, daß ihre

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Abstraktion eine unvollständige Wahrheit darstellt. Wahr ist nur die Einheit der Identität und der Verschiedenheit (IV, 28 f. 4, 511). Der unmittelbare Unterschied ist die Verschiedenheit. In ihr sind die Unterschiede jedes für sich (V, 130. 8, 271). Die Verschiedenheit ist ebenfalls in einen logischen Satz gebracht worden: Alles ist verschieden. Es gibt nicht zwei Dinge, die einander vollkommen gleich sind. Dieser Satz von der Verschiedenheit widerspricht logisch dem Satz der Identität: Alles ist sich selbst gleich. Die beiden Denkgesetze widersprechen sich aber nicht, wenn nur gemeint ist, daß etwas für sich selbst mit sich selbst identisch ist. Aber dann darf man nicht sagen, daß die Verschiedenheit dem Etwas oder Allem angehört. Ist das Etwas selbst verschieden, dann ist es dies durch seine eigene Bestimmtheit (V, 131. 8, 272). Wenn also der Satz vom ausgeschlossenen Dritten behauptet, von zwei Prädikaten komme dem Etwas nur das Eine zu, dann soll das Etwas nicht die Beziehung auf sich sein, wie der Satz der Identität, sondern auf ein Anderes. A soll entweder + A oder —A sein. Damit ist aber das A schon selbst ausgesprochen, das weder +A noch —A, darum sowohl +A wie —A ist. Der Widerspruch, der vermieden werden soll, hat sich wieder eingestellt (V, 131 f. 8, 276). Der Satz des Widerspruchs enthält den Widerspruch in sich (IV, 31 f. 4, 514 f.). Der Unterschied vollendet sich dann im Gegensatz. Der äußere Unterschied ist nur Verschiedenheit, aber der innere ist der Gegensatz, weil in ihm das Etwas sich von seinem Anderen, dem Gegenteil, unterscheidet. Der Gegensatz ist die Einheit der Identität und des Unterschieds, seine Momente sind in einer Identität verschieden, also entgegengesetzt (IV, 40 f. 4, 525). In der Entgegensetzung hat das Unterschiedene sein Anderes sich gegenüber. Alles in der Welt ist entgegengesetzt, denn alles ist ein Konkretes, in sich Unterschiedenes und Entgegengesetztes. Im Gegensatz ist jede Seite zur anderen setzend und aufhebend zugleich, jede Seite also sich selbst entgegengesetzt, und dies ist der Widerspruch. Alles in der Welt widerspricht sich, und was die Welt bewegt, ist der Widerspruch. Es ist, sagt Hegel, lächerlich zu sagen, der Widerspruch lasse sich nicht denken. Allerdings muß er aufgehoben werden, ja er hebt sich selbst auf, aber darum ist der Widerspruch nicht aus der Welt geschafft und das Resultat der Aufhebung ist niemals die abstrakte Identität. Diese ist immer nur die eine Seite des Gegensatzes (8, 279 f.). Der Widerspruch, der hier gemeint ist, widerspricht also nicht dem Satz der formalen Logik. Er besteht nicht darin, daß einem Begriff ein widersprechendes Merkmal beigelegt wird, sondern daß ein Etwas sowohl positiv gesetzt als auch negativ verneint 5*

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wird, wodurch erst die Bewegung entsteht. Es handelt sich also nicht um die contradictio in adjecto, sondern in subjecto (K. Fischer, 1.498). Die Identität als solche ist nur eine Verstandes-Identität, die vom Unterschied, vom Gegensatz und vom Widerspruch absieht. Die Abstraktion ist das Setzen der formellen Identität, die Verwandlung eines in sich Konkreten in die Form der Einfachheit, indem ein Teil des konkreten Mannigfaltigen durch Analyse weggelassen wird. Das Absolute ist das mit sich Identische; aber dieser Satz ist zweideutig, weil nicht gesagt ist, ob die abstrakte oder die konkrete Identität gemeint ist (V, 129. 8, 268). Die formale Logik behauptet, es gäbe keinen Widerspruch, obwohl es offenbar ist, daß die Identität den Unterschied voraussetzt und dieser über den Gegensatz zum Widerspruch übergeht; obwohl doch der Widerspruch die Wurzel aller Bewegung und alles Lebens ist. Die abstrakte Identität wäre nie imstande, Leben zu schaffen (IV, 58 f. 4, 546 f.). Die Kategorie der Identität hat eine hohe Bedeutung für die Erkenntnis der Welt und Gottes, aber sie ist noch keine konkrete Wahrheit (8, 269 f.).

B. Das wissenschaftliche Erkennen Die Erkenntnis, daß der Widerspruch die Welt bewegt, hat nun entscheidende Bedeutung für die Methode wissenschaftlichen Erkennens und Beweisens: Erstens: Weil die Welt, also das Denken und das Sein, eine antinomisdie Struktur haben, ist die Dialektik nicht nur eine subjektive Bewegung des Denkens, sondern der Prozeß der objektiven „Sache" selbst, die immanente Bewegung des Gegenstandes der Erkenntnis. Dieser Gegenstand hat entgegengesetzte Bestimmungen, die sich aufheben (l 7, 327). Die Dialektik ist nicht etwas, das von unserer subjektiven Betrachtung an die Kategorien herangetragen wird, sondern sie wohnt ihnen selbst inne (8,125). Als das Prinzip aller Bewegung der Wirklichkeit ist sie auch die Seele der wahrhaft wissenschaftlichen Erkenntnis (8,190). Darum ist die Dialektik keine Sophistik, die gerade die abstrakten Bestimmungen isoliert geltend macht und gegeneinander ausspielt (8, 191). Sie ist auch von der empirischen Erfahrung gar nicht so weit entfernt, wie die formale Logik meint. Alles, was in der Erfahrung gegeben ist, ist auch dialektisch, man muß nur auf diese Dialektik aufmerksam geworden sein (8,192), man muß den guten Willen und eine bestimmte Fähigkeit begrifflichen Denkens mitbringen, um das zu erkennen. Es ist für das gewöhnliche Denken allerdings viel

Das wissenschaftliche Erkennen

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leichter, meint Hegel, das Werden und Vergehen in der Welt zu begreifen, als seine eigenen festen und abstrakten Begriffe zu verflüssigen (II, 30.2, 35). Der sog. gesunde Menschenverstand ist auch in den empirischen Wissenschaften undialektisch (XXI, 238. 3,170). Man kann vielleicht auch sagen, daß die dialektische Betrachtung ein subjektives Talent, eine Begabung des Denkens fordert, die nicht jeder Mensch besitzt (IV, 491 f. 5, 336 f.), wie N. Hartmann meinte. Aber darum ist die Dialektik nicht weniger objektiv. Sie ist weder ein falscher Schein, noch verwickelt sie uns in trügerische Sophismen, sondern sie ist die Grundlage alles Denkens und Seins (IV, 492 f. 5, 337 f.). Überall zeigt sich folgender Tatbestand: Ein Erstes zeigt sich als das Andere seiner selbst und ist auf ein Anderes bezogen. Das Zweite, das dadurch entsteht, ist das Negative des Ersten, ist aber zugleich das Andere des Ersten, enthält also die Bestimmung des Ersten in sich. Das Erste ist im Zweiten aufgehoben und erhalten. Das Zweite ist damit der Widerspruch oder die Dialektik. Dieser Widerspruch wird aufgehoben durch die zweite Negation, wodurch ein Drittes entsteht, welches die ersten beiden Bestimmungen zur Einheit aufhebt. Das Dritte zerfällt dann wieder in zwei Bestimmungen usf. (IV, 494 ff. 5, 340 ff.). Die beiden ersten Momente der Dreiheit sind jeweils die abstrakten Momente, die darum dialektisch sind; das konkrete Dritte ist jeweils der Schlußsatz. So verläuft die dialektische Bewegung. Sie fängt mit einfachen Bestimmungen an und wird immer reicher und konkreter. Keine Bestimmung geht in diesem Prozeß verloren, alles wird erhalten, und das Reichste ist auch das Konkreteste (IV, 502.5,349). Die Dialektik löst keinen Gegenstand nur auf, sondern bringt aus jeder Bestimmung das positive Resultat hervor. Darum bedeutet sie immer einen Fortschritt (VI, 44. 7,81). Der Widerspruch als solcher, die Antinomie, ist nie die Wahrheit, sondern immer nur ein Moment in der Entwicklung zur Wahrheit. Indem die Antinomien dialektisch aufgelöst werden, wird auch das rationale Denken aufgehoben. Die dialektische Betrachtung ist kein Verstandes-Denken mehr, sondern eine intelligible Erfahrung (N. Hartmann). Zweitens: Weil die dialektische Betrachtung das rationale Denken aufhebt und alle Abstraktionen verneint, ist sie ein spekulatives Denken. Das Wort „Spekulation" bedeutet bei Hegel nicht das, was man gewöhnlich darunter versteht. Es geht hier nicht um ein schwärmerisches Überfliegen der Grenzen unseres Erkennens, wie Kant meinte, nicht um subjektive Phantasien, sondern es bedeutet das positive Moment in der dialektischen Betrachtung. Spekulativ denken heißt, die Unterschiede und Gegensätze in den Denk- und Seinsbestimmungen in ihrer Einheit erfassen. Ihre Auf-

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Erkenntnistheorie

gäbe ist, alle Gegenstände des reinen Gedankens, der Natur und des Geistes als Einheit der Untersdiiede zu erfassen (XII, 33 f. 15,39 f.). Die Einheit, die in der Ansdiauung und in der Vorstellung noch vorhanden ist, vom reflektierenden Verstande aber aufgelöst wurde, ist auf höherer Ebene das Spekulative (XII, 153.15,215). Die spekulative Vernunft ist so positiv-vernünftig, sie erfaßt das Positive im Negativen, das Entgegengesetzte in der Einheit (XXI, 238.444. 3,170 f. 313). Die Spekulation hat immer ein positives Resultat, sie ist immer konkret wahr, eine Totalität (V, 105 f. 8,195 ff.). Das spekulative Denken besteht also nur in der Fähigkeit, die Gedanken, die man schon hat, wieder zusammenzubringen. Eine Anforderung, die dem Verstande unmöglich zu erfüllen ist, weil er sich von den Abstraktionen nicht zu lösen vermag (XIV, b. 92.16, 467.18, 237 f.). Dies wird dem Verstande um so schwerer, als das Spekulative in einem Satz nicht ausgedrückt werden kann. Der Verstand will jede Wahrheit in einem Satz, womöglich in einem Grundsatz haben, Sätze sind aber als Erkenntnisse Urteile, und ein einzelnes Urteil kann eine konkrete Wahrheit nicht fassen (IV, 495. 5, 341). Das Urteil ist eine identische Beziehung zwischen Subjekt und Prädikat, wobei davon abstrahiert wird, daß das Subjekt noch mehrere Bestimmungen hat und das Prädikat weiter ist als das Subjekt. Ist nun ein Inhalt spekulativer Natur, so ist die Nicht-Identität des Subjekts und Prädikats ein wesentliches Moment, das im Urteil nicht ausgedrückt wird (III, 76.4,99). Ein einzelner Satz kann nicht zugleich die Einheit und die Verschiedenheit ausdrücken. Jeder einzelne Satz ist wahr und falsch zugleich, weil er immer nur ein Moment der Wahrheit enthält. Für die konkrete Wahrheit sind drei Sätze nötig (II, 39 f. 2, 45 f.). Dies Konkrete zu denken vermag aber nur die Spekulation, für den Verstand bleibt es unbegreiflich (VI, 31. 7, 59). Weil sich die Spekulation über den Verstand erhebt, kann sie als mystisch bezeichnet werden (8,197). Alles Vernünftige ist mystisch und geht über den Verstand hinaus. Darum aber ist es nicht unbegreiflich (8,198). Alle wahre Philosophie und alle Religion sind mystisch, und das heißt spekulativ. Sie sind dem Verstande verborgen, nicht aber der gläubigen Vernunft. Das Mystische ist gerade das Offenbare (XIV, b. 177.16, 553). In der Religion kommt das Mystische zum Bewußtsein, die Philosophie aber, welche die Religion denkend begreift, erfaßt den Tatbestand im Begriff (XII, 154).

Der wissenschaftliche Beweis

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C. Der wissenschaftliche Beweis Die philosophische Erkenntnis ist also dialektisch-spekulativ. Daraus folgt, daß der wissenschaftliche Beweis in der Metaphysik ebenfalls dialektisch-spekulativ sein muß. Über das Beweisverfahren ist nun mit Hegel folgendes zu sagen: Erstens: Die erste, primitivste Art des Beweisens ist das sog. „Weisen". Die Gegenstände werden aus der Erfahrung genommen und „gewiesen", nicht eigentlich „bewiesen". Das geschieht in allen Wissenschaften, die es mit dem empirisch Vorhandenen zu tun haben (12, 47). Das Weisen ist das Aufzeigen einer Vorstellung, eines Gesetzes usw, in der Erfahrung. Es beruht seinem Stoff nach auf der Wahrnehmung (XIV, b. 17 f. 16, 371). Bei der empirischen Erfahrung handelt es sich entweder um Gegenwärtiges oder um Vergangenes, Historisches. Die gegenwärtige Erfahrung bemüht sich um einzelne Wahrnehmungen, Beobachtungen usw., ihr Interesse ist, zu zeigen, daß es solche Gattungen und Arten, solche Gesetze, Kräfte, Vermögen, Tätigkeiten in der Natur und im Geistesleben gibt, wie sie dann in die Wissenschaft aufgestellt werden. Dies Beweisverfahren ist stark subjektiv gefärbt. Schon unser äußerer und unser innerer Sinn sind bei einer solchen Betrachtung des Gegebenen subjektiv. Aber auch der Stoff, der nun in der Wissenschaft eintritt, wird nicht so belassen, wie er in der Wahrnehmung ist, sondern der ganze Inhalt der Wissenschaft, diese Gattungen, Arten, Gesetze, Kräfte usw. werden aus dem Stoff durch Analyse, Weglassen des unwesentlich Scheinenden, Beibehaltung des als wesentlich Behaupteten, ohne ein festes und sicheres Kriterium für das, was wesentlich und unwesentlich ist, ferner durch Zusammenstellung des Gemeinschaftlichen usw. subjektiv gebildet. Dies beweisende Tun ist also zum großen Teil subjektiv. Schon der Ausdruck „Merkmal", der dabei eine Rolle spielt, bezeichnet den subjektiven Zweck, auf Grund dessen einzelne Bestimmungen zum Behufe unseres Merkens herausgezogen werden (XIV, b. 18 f. 16, 372 f.). Die Gattungen, Gesetze, Kräfte usw. sind vom Wirklichen verschieden, auch wenn sie im Gegenständlichen verwurzelt sind (XIV, b. 23.16, 377). — Auch bei der anderen Form des Weisens, dem historischen Beweis, ist der stoffliche Grund die Wahrnehmung, die empirische Erfahrung (XIV b. 17.16, 371). Es macht keinen wesentlichen Unterschied aus, daß es hier fremde Wahrnehmungen und die Zeugnisse von ihnen sind, auf die hingewiesen wird, denn alle historische Beurteilung und Kritik hat jene Daten zur Voraussetzung und zur Grundlage. Und auch

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Erkenntnistheorie

der historische Beweis ist stark subjektiv, sowohl was den Stoff anbelangt als auch in seinem Verbinden und Schließen (XIV, b. 18.16, 372). Es ist ohne weiteres klar, daß auf diese Weise Gott nicht begründet und eine wissenschaftliche Theologie nicht erarbeitet werden kann. Gott kann man nicht „weisen", nicht in der Wahrnehmung oder in der empirischen Erfahrung aufzeigen (XIV, b. 21. 16,374). Ebenso wenig taugt hier ein historischer Beweis. In einer bloß historischen Theologie geht es überhaupt nicht um die Notwendigkeit und Wahrheit der „Sache", nicht um das, was für uns gelten soll, sondern um Dinge, die einmal für andere Wahrheit waren (XII, 27.15, 58). Das historische Erkennen hat es nur scheinbar mit der „Sache" zu tun, während es sich in der Tat nur mit den äußeren Umständen und Meinungen, Vorstellungen anderer Menschen befaßt (XIV, b. 51 f. 16,400). Zweitens: Die zweite Art des Beweisens ist die Deduktion, die Ableitung. Ein Begriff, ein Inhalt, ein Satz werden aufgezeigt als resultierend aus etwas Vorhergehendem (XII, 79.15,103). Der Beweis geht von Axiomen aus, welche die Grundlage bilden, die nicht bewiesen sind, sondern meist nur aus einer anderen Wissenschaft als Lehnsätze entnommen werden (IV, 466. 5, 306 f.). Es folgen Definitionen, deren Material und Begründung mit Hilfe der Analysis herbeigeschafft werden (V, 198. 8, 438). Auch die Definitionen sind wie die Axiome nicht abgeleitet, sondern aufgenommen und vorausgesetzt. Für die Richtigkeit der aufgestellten Definitionen kommt es darauf an, von welchen Wahrnehmungen man ausgegangen ist, was für Gesichtspunkte man im Auge gehabt hat (8, 438). Auf die Definition folgt die Konstruktion. Das Verschiedene soll in einen Zusammenhang gebracht werden (XII, 209. 15, 179). Die Konstruktion schafft das Material herbei, das die Mittelglieder ausmacht. Und die Vermittlung selbst, woraus die Notwendigkeit der Beziehungen hervorgeht, ist dann der Beweis (V, 199. 8, 440). Die vermittelnden Bestimmungen werden als ein vorläufiges Material zum Gerüst des Beweises irgendwoher herbeigebracht. Das Verfahren ist zunächst blind, erst nachher, beim Beweis, sieht man ein, daß es zweckmäßig war, so zu verfahren (IV, 469 f. 5, 310 f.). Die Notwendigkeit der Konstruktion wird nicht eingesehen, sondern es wird nur geboten, so zu verfahren (II, 36 f. 2, 41 f.). — Dieser deduktive Beweis ist besonders in der Mathematik ausgebildet, dann aber auch von der Philosophie, z. B. bei Spinoza, aufgenommen worden. Der Mangel dieses Beweisverfahrens ist nicht nur der, daß von unbewiesenen Axiomen und Definitionen ausgegangen wird, sondern vor allem, daß das Erkennen in dem Beweis der „Sache" äußerlich bleibt

Der wissenschaftliche Beweis

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(8,199). Der Gang des Beweises fällt nur ins Subjekt und ist nicht der eigene Gang der betrachteten „Sache" (XIV, b. 16. 16, 370). Konstruktion und Beweis dienen zum Behuf unserer Einsicht, enthalten aber nicht die objektive Weise, wie die Sache selbst sich vermittelt (XII, 209.15, 180). Der erreichte Zweck rechtfertigt zwar das Verfahren, aber das Resultat hat diese unsere Operation nicht durchlaufen (XIV, b. 16. 16,371). Das Objekt selbst hat sich nicht auf diese Weise erzeugt, wie wir es im Beweise erzeugen (XIV, b. 17.16, 371). Auch dies Be weis verfahren kann den Gottesbegriff nicht begründen. Gott würde nicht nur von Axiomen und Definitionen abhängig, die nicht Gott wären, das ganze Verfahren würde sich außerhalb des göttlichen Logos bewegen (XIV, b. 21 f. 16, 375 f.). Drittens: Wie muß nun ein spekulativer Beweis beschaffen sein, der weder ein „Weisen" noch eine Deduktion mit Axiomen, Definitionen und Konstruktionen ist? Ein solcher Beweis, sagt Hegel, muß zeigen, wie ein Gegenstand, den wir ganz ohne Voraussetzungen, rein „sachlich" betrachten, durch sich selbst sich zu dem macht, was er ist (8, 199). Der Zusammenhang und die Notwendigkeit, die uns zum Bewußtsein gebracht werden, dürfen nicht ein subjektives Sichergehen des Gedankens außerhalb der „Sache" sein, sondern müssen diese selbst exponieren. Eine solche Exposition der objektiven dialektischen Bewegung allein kann ein wahres Erkennen bewirken, das sich in Einheit mit dem Gegenstand der Erkenntnis befindet (XIV, b. 42.16, 392). Der spekulative Beweis muß also vollendete Sachlichkeit sein, in ihm darf unser Denken nichts anderes tun als zusehen, wie sich der objektive Begriff selbst bestimmt, und unser Denken darf nichts von seinem subjektiven Meinen hinzufügen (VI, 294. 7, 83). Das Denken verzichtet auf die Subjektivität und läßt nur die „Sache" walten, indem es sich in sie versenkt (XII, 148. 15, 211). Daher erscheinen die Gedanken, die sich nun wirklich auf die Sache beziehen, in der Ordnung und an der Stelle, wo sie notwendig sind; sie sind keine zufälligen „Gedankenblasen" mehr (XII, 58.15, 70). In seinen Gegenstand vertieft kommt das Erkennen dann in sich selbst zurück, aber nicht eher als bis der Inhalt sich in sich zurücknimmt und selbst in seine Wahrheit übergeht (XXI, 232 f. 3, 167). Jetzt erst kann unser Erkennen die Zuversicht haben, daß unsere Vernunft nicht mehr in Gegensatz zur absoluten Wahrheit, zum göttlichen Geist steht, denn je mehr wir die „Sache", und das heißt hier den göttlichen Logos walten lassen, auf unsere Partikularität verzichten und uns als allgemeines Bewußtsein verhalten, um so mehr wird unsere Vernunft selbst zur „Sache", zum göttlichen Geist (XII, 44.15, 50). Damit ist eine völlig neue, von der alten rationalen abweichende philo-

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Erkenntnistheorie

sophisdie Methode gefunden, die weder nur innere Anschauung noch äußere Reflexion ist, sondern die Entwicklung des Begriffs selbst (III, 6 f. 4,17). Sie verzichtet auf jeden Eingriff in den immanenten Rhythmus des Begriffs, sondern verfolgt ihn selbst (II, 48.2, 54 f.). Diese Methode ist die einzig wahre, weil hier der methodische Weg des Erkennens mit dem zu erkennenden Inhalt identisch ist (V, 3. 8, 5). Diese Methode ist die Bewegung des Begriffs selbst, das subjektive Erkennen und der objektive Begriff in Einem (IV, 485 f. 5, 329 f.)! Der Inhalt empfängt seine Bestimmtheit nicht von einem anderen, sondern gibt sie sich selbst (11,44. 2, 50). Wir sehen der notwendigen Bewegung des Geistes nur zu. Diese Methode ist daher eine »intellektuelle Schau" dessen, was sich notwendig selbst entwickelt (XII, 66.15, 76.20, 342). Obwohl Hegel die intellektuelle Anschauung bei Schelling kritisiert hat, dürfen wir doch sagen, daß auch seine Methode eine intellektuelle Anschauung ist, Anschauung der Bewegung des Logos. Hegel behauptet nicht, daß er selbst diese Methode schon vollkommen beherrsche, wohl aber daß sie prinzipiell die einzig sachliche und wahre sei (III, 36. 4, 51). Und er behauptet, daß mit Hilfe dieser Methode der Gottesglaube denkend begründet werden kann (XIV, b. 42.16, 392). Die Hegel-Kritik bis heute hat gegenüber der dialektisch-spekulativen Methode, mit der das ganze System Hegels steht und fällt, immer wieder versagt. Selbst die neuesten Darstellungen zum Hegel-Jubiläum zeigen, daß manche Kritiker nicht imstande sind, dialektisch-spekulativ zu denken. Viele haben gemeint, daß mit der formalen Kritik, die im vorigen Jahrhundert Trendelenburg und Sigwart an Hegels Dialektik geübt haben, die Sache endgültig entschieden sei (z. B. Martin Werner, Prot. Glaube I). Der Grund für dies Versagen ist allein das Verhaftetsein der Kritiker in der formalen Logik in ihren vier verschiedenen Ausprägungen als Sprachlogik, Sachlogik, reine Logik und Methodologik sowie im rationalen Denken. Die Kritiker sind unfähig, der Bewegung der Begriffe in einer intellektuellen Anschauung zu folgen, weil sie nicht begreifen können, daß es sich hier nicht nur um das Denken handelt, sondern ebenso um das objektive Sein; daß sich hier also objektiv seiende Begriffe bewegen. Daher legen sie an Hegels Dialektik immer wieder formal-logische Maßstäbe an, wodurch die Gedankengänge völlig verändert, ja oft ins Absurde verkehrt werden. Schon bei der ersten und einfachsten Dialektik, der Beziehung der Kategorien Sein — Nichts — Werden — Dasein, versagt dies rationale Denken der Kritiker. Daher ist es notwendig, sich vom Verstandes-Denken freizumachen, um Hegels Theologie zu begreifen.

Der wissensdiaftlidie Beweis

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Die Grundlegung der Systematischen Theologie Hegels ist damit beendet, die wesentlichen Gesichtspunkte, die für das Verständnis Hegels nötig sind, wurden herausgehoben. Es handelte sich um das Problem der Gotteserkenntnis, der Beziehung des religiösen Glaubens und des vernünftigen Erkennens zueinander und um die dialektisch-spekulative Methode. Wir können nunmehr an das theologische System selbst herantreten. Zur Einführung in dasselbe sind einige vorbereitende Betrachtungen notwendig, die das Verständnis des Ganzen erleichtern können. Es handelt sich um das Problem des Anfangs der Metaphysik, um den Begriff der Einheit Gottes in Beziehung auf die Mehrzahl göttlicher Prädikate, um die Einleitung in das Problem der Gottesbeweise und um die Gliederung des theologischen Systems,

II. TEIL DAS THEOLOGISCHE SYSTEM Einleitung A. Der Anfang des Systems Hegels Philosophie stellt ein in sich geschlossenes System dar. Innerhalb dieses Systems, mit ihm sich teilweise deckend und zugleich das System krönend, befindet sich das System der Theologie. Die Frage ist nun, wie wir in das System hineinkommen bzw. bei welchen Begriffen wir anfangen sollen. Ein Anfang scheint ebenso nötig wie schwierig zu sein. Denn jeder Anfang ist etwas Unmittelbares und daher eine unbewiesene Voraussetzung, oder er ist etwas schon Vermitteltes, also kein wirklicher Anfang. Ein Anfang darf weder das eine noch das andere sein (V, 31. 8,42). Wir haben schon bemerkt, daß alles im Denken und im Sein unmittelbar und vermittelt zugleich ist. Es gibt also keinen absoluten Anfang (III, 51 f. 4, 69 f.). Womit sollen wir also anfangen? Ist die Theologie dem ganzen System integriert, so ist dieses deren Voraussetzung. Ohne die Ergebnisse der Logik, der Naturphilosophie und der Philosophie des subjektiven und objektiven Geistes ist die Theologie nicht denkbar (XII, 189). Im Grundriß der Philosophie ist die Religionsphilosophie und damit auch die Theologie nicht die erste, sondern die letzte Wissenschaft, so wie die Religion die Krone der Entwicklung des menschlichen Geistes ist. Sie setzt also die anderen philosophischen Disziplinen voraus und ist deren Resultat (XII, 79.15, 103). Sonst müßte die Religionsphilosophie (und Theologie) das ganze System der Philosophie noch einmal durchmachen (XII, 174.15, 217). Andererseits darf in der Philosophie als Wissenschaft nichts vorkommen, was nicht bewiesen ist. Am Anfang aber ist noch nichts bewiesen! In der Philosophie, sagt Hegel, ist es nicht erlaubt, mit den Worten anzufangen: Es gibt, es sind — wie in den anderen Wissenschaften. Womit sollen wir also beginnen (XII, 80)? Manche Systeme der Philosophie beginnen mit Axiomen und Definitionen, so das Spinozistische System. Aber Axiome und Definitionen setzen Unbewiesenes voraus (1,27. l, 62). Andere Systeme, wie das Fichtesche, beginnen mit angeblich einleuchten-

Der Anfang des Systems

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den Grundsätzen. Aber jeder Grundsatz ist schon etwas Bedingtes und bedarf einer Begründung (I, 26. l, 61). Der Anfang des Systems scheint zunächst die spekulative Logik zu sein, so ist jedenfalls das System in Hegels Enzyklopädie aufgebaut (III, 53. 4, 71). Die Logik wiederum beginnt mit der ganz abstrakten Kategorie des Seins. Allein erstens ist die Kategorie des Seins nur scheinbar etwas Unmittelbares, sie entfaltet sich zu dem ganzen Reichtum logischer Kategorien und wird so zu einem Vermittelten (III, 54 f. 4, 73 f.). Im Resultat der Logik, der absoluten Idee, tritt die absolute Grundlage auch des Seins hervor, welches sich damit als ein Vermitteltes erweist (III 57. 4, 76). Das Resultat, die Idee, ist also im Grunde das Erste und das Sein das Vermittelte. Zweitens aber ist auch die Logik als Ganzes kein absoluter Anfang. Das rein logische Wissen ist in Wirklichkeit eine letzte Wahrheit des menschlichen Bewußtseins, der Logik geht also die Phänomenologie des Geistes voraus (111,53.4,71). Diese betrachtet den Geist in seiner Entwicklung als Bewußtsein bis zum absoluten Standpunkt, dem reinen Wissen der Logik (XII, 170 f. 15,124 f.). Die Phänomenologie aber besitzt auch keinen absoluten Anfang, denn ihre Voraussetzung ist der endliche Geist als unmittelbares Bewußtsein in seiner Trennung vom Absoluten. Das Absolute, Gott, ist hier Resultat der Entwicklung, zugleich aber das Erste und absolut Wahre (XII, 172.15,125). Weder die Logik noch die Phänomenologie sind also ein absoluter Anfang; die Phänomenologie ist zwar im System die Grundlage der Logik, hat aber ebenso wenig wie diese ein festes Fundament. — Neben der Logik und der Phänomenologie steht die Naturphilosophie. Sie folgt in der Enzyklopädie auf die Logik, könnte aber systematisch auch vor die Phänomenologie gesetzt werden, denn diese beginnt mit dem unmittelbaren menschlichen Bewußtsein, dem die unbewußte Natur vorausgeht. Danach erscheint die Natur als das Primäre, denn sie ist noch das rein äußerlich Bewußtlose, Verschlossene (XII, 170.15,123). Allein auch die Natur ist etwas Gesetztes und Vermitteltes, sie ist kein Chaos, sondern ein Kosmos, und diese ihre Ordnung und Gesetzmäßigkeit wurzelt in der logischen Idee (XII, 166). Die logische Grundlage der Natur ist die Idee, ihre Wahrheit aber ist der Geist. Die Natur entfaltet sich zum Geist, aber der Geist nötigt die Natur zur Entfaltung. Auch die Natur ist kein Anfang, sondern eine Setzung der Idee. Auch die Naturphilosophie ist also keine feste Grundlage für das System (XII, 166 f.). So bliebe für den Anfang nur die Philosophie des Geistes, und zwar, da der endliche Geist und der objektive Geist in der Geschichte auch nichts

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Das theologische System

Primäres sind, gleich der Begriff des absoluten Geistes oder Gottes. Dieser absolute Geist liegt ja systematisch den drei Sphären der Natur, der Idee und dem subjektiv-objektiven Geist zugrunde, damit auch der Phänomenologie des Geistes (XII, 167.15, 217). Er ist das Erste, wodurch alles ist, was ist. Er wird in Wahrheit nicht durch anderes vermittelt, sondern als Resultat ist er auch die Grundlage aller Teile des Systems (XII, 174.15, 217). Wir könnten also mit dem Begriff des absoluten Geistes beginnen. Aber einmal hätten wir wieder keinen absolut ersten Begriff, und zum ändern wäre dies methodisch ein schwieriger Weg. Denn der absolute Geist ist der konkreteste, reichste Begriff, den es gibt. Diese begriffliche Unendlichkeit könnten wir am Anfang gar nicht überblicken. Und selbst wenn wir das könnten, hätten wir niemals einen Anfang, sondern immer nur Momente eines Kreislaufs (III, 56.4, 75). Das System als Ganzes ist ein Kreislauf, worin das Erste das Letzte und umgekehrt ist (V, 50. 8,64). Es ist also ganz relativ, wo wir beginnen, da jedes Erste schon Resultat eines Vorhergehenden ist (VI, 285. 7, 39). Aus dem Gesagten geht hervor, daß es für die Metaphysik keinen unmittelbaren Anfang gibt. Weder eine einzelne Kategorie noch ein Grundsatz noch ein Teil des Systems können als ein voraussetzungsloser Anfang gelten, die verschiedenen Teile des Systems bedingen sich wechselseitig (XII, 168.172.15,121.126). Gott ist auf keine Weise zu deduzieren, von etwas anderem abzuleiten, er ist immer das Erste und sein eigenes Resultat. Die Notwendigkeit des absoluten Geistes liegt in ihm selbst (XII, 173.15,126 f.). — Dennoch müssen wir irgendwo anfangen! Aber ein solcher Anfang wird nur ein relativer sein (XII, 183). Wie überall in der Wissenschaft, so kann auch hier der Anfang nur ein provisorischer und hypothetischer sein. Er ist unvollkommen, weil er ein nur relativer Anfang ist, aber er ist zugleich notwendig (IV, 503. 5, 350). Es fragt sich nur, welcher Anfang psychologisch und pädagogisch betrachtet der geeignetste ist. Und da empfiehlt Hegel die einfachste Kategorie, die des reinen Seins (XIV, b. 85. f. 16, 432 f. III, 57 ff. 4, 77 ff.).

B. Gottes Einheit und seine Eigenschaften Gott ist zunächst ein bloßer Name bzw. eine noch unbestimmte Vorstellung (XIV, b. 57). Unter Gott, sagt Hegel, stellen wir uns ein Wesen vor, von dem alles seinen Anfang nimmt und in das alles zurückgeht (XII, 1), das Prinzip und den Endpunkt von allem und jedem Beginnen,

Gottes Einheit und seine Eigenschaften

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Tun und Wollen (XII, 2), von dem alles abhängig ist und außer dem nichts absolute, wahrhafte Selbständigkeit hat (XII, 190); die eine, wahrhafte Wirklichkeit (XII, 194). Er ist das Beseelende aller Gestaltungen in ihrer Existenz, die erhaltende Mitte, die alles belebt, beseelt und begeistet. Er ist allein durch sich selbst und um seiner selbst willen; er ist das sich schlechthin Genügende, Unbedingte, Unabhängige, Freie, der höchste Endzweck für sich, in den alle anderen Zwecke zurücklaufen, vor dem sie verschwinden. Gegen Gott hält kein anderes Interesse aus, sie finden alle ihre wahrhafte Bedeutung und Erledigung in ihm (XII, 2). So ist Gott Einer und nur das Eine (XII, 190). Das ist unsere monotheistische, biblische Vorstellung von Gott, sofern sie noch nicht näher bestimmt ist. Diese Gottesvorstellung soll nun in der Theologie näher bestimmt werden, und zwar begrifflich. Da entsteht das Problem der Einheit Gottes und seiner Prädikate. Erstens: Bei unserem Gottesglauben kommen wir sofort auf die Unterscheidung, daß Gott ist, von dem, was Gott ist. Das Prädikat „Gott ist" enthält nur die Kategorie des Seins. Gott aber ist selbstverständlich ein viel reicherer Begriff als der des Seins. Darum entsteht das Interesse, den Begriff Gottes näher zu bestimmen. Die vorkantische Metaphysik, sagt Hegel, ist dabei folgenden Weg gegangen: Sie untersuchte zuerst, was unsere Vorstellung von Gott enthält, exponierte also den Begriff Gottes. Der Gottesbegriff sollte dann auch logisch wahr sein. Die logische Wahrheit reduzierte diese Metaphysik auf die Identität, die Widerspruchslosigkeit. Es wurde gefordert, daß der Begriff Gottes sich nicht widersprechen oder daß er möglich sein sollte. Die Möglichkeit bedeutete hier nur die Identität einer Vorstellung mit sich selbst. Zweitens wurde dann von diesem möglichen Gottesbegriff gezeigt, daß er nicht nur logisch wahr oder möglich, sondern auch wirklich existierend sei. Das leisteten die sog. Gottesbeweise. Weil aber jeder mögliche Begriff von Gott sich auf die abstrakte Kategorie des Seins reduzierte und dadurch nicht reicher wurde, entsprach das Ergebnis dieser Bemühung nicht der Fülle unserer Gottesvorstellung. Darum handelte die alte Metaphysik drittens von den Eigenschaften Gottes oder seinen Beziehungen zur Welt. — Denken wir über dies ganze Verfahren der alten Metaphysik nach, so scheint sie das Gottesproblem nicht lösen zu können. Der vorausgesetzte Gottesbegriff ist viel zu abstrakt, erst der Übergang dieses Begriffs zum Sein ist ein Eintreten in die Bestimmtheit; aber diese Bestimmtheit ist sehr dürftig. Die Lehre von den göttlichen Eigenschaften aber verwickelt die Metaphysik in Widersprüche (XIV, b. 57 ff. 16, 405 ff.).

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Zweitens: Zunächst nämlich ist schon die Trennung des Begriffs Gottes von seinen Eigenschaften gar nicht möglich. Die alte Metaphysik wollte den Begriff Gottes für sich betrachten und als wahr begründen, um dann erst von Gottes Eigenschaften zu handeln. Aber der Begriff Gottes läßt sich von seinen Eigenschaften nicht trennen. Der Begriff Gottes ist der Inbegriff seiner Realitäten. Die sog. Eigenschaften aber sind nichts anderes als seine Realitäten (XIV, b. 59.16, 406 f.). Man sagte: Die Eigenschaften bezeichnen mehr Gottes Beziehungen zur Welt. Aber Gott ist auch selbstgenügsam, absolut selbständig, tritt nicht aus sich heraus. So sind seine Eigenschaften in seinem Begriff eingeschlossen, in ihm allein bestimmt und nur ein Verhalten zu sich selbst. Diese Eigenschaften sind also die Bestimmungen des göttlichen Begriffs selbst. Auch wenn wir zunächst von Gottes absoluter Selbständigkeit absehen und von der Welt ausgehen, ist die Welt als das Produkt der schöpferischen Kraft Gottes nur durch seinen Begriff bestimmt, in welchem wiederum die Eigenschaften ihre Bestimmung haben, der Begriff Gottes nur durch sie expliziert wird (XIV, b. 60.16,407). Es ist also ein Widerspruch, zu sagen, daß wir nur von der Beziehung Gottes zur Welt wissen, nicht von Gott selbst. Die Eigenschaften Gottes sind das Bestimmte, im Begriff Gottes Gewußte, es sind seine eigenen Bestimmtheiten, die hier in Erscheinung treten. Eben diese Bestimmungen machen seine eigentliche „Natur" aus. Erkennt man die Beziehungen eines Gegenstandes, so erkennt man auch seine „Natur" selbst. Solche Unterscheidungen wie die zwischen dem Begriff und den Eigenschaften Gottes, seinem Wesen und seiner Beziehung zur Welt, sind nur Produkte des Verstandes (XIII, b. 65.16, 55). Freilich sind die Eigenschaften Gottes auch seine Beziehungen zur Welt (XIII, b. 64.16, 64). Wenn man nun weiter mit der alten Metaphysik die Welt als ein bleibendes Sein Gott gegenüberstellt, entstehen verschiedene Verhältnisse Gottes zur Welt. Diese Verhältnisse sollen als Prädikate Gottes unendlich sein, sie sind aber zugleich als Beziehungen zur Welt endlich (V, 64. 8,112). Gott ist als das Subjekt mehrerer Prädikate bestimmt. Diese Mehrheit der Prädikate, die in der Einheit des Subjekts verbunden sind, an sich aber aus lauter unterschiedenen Bestimmungen bestehen, sind im Hinblick auf die Einheit Gottes etwas Unwahres (XIV, b. 72 f. 16, 417 f.). Es ist zwar für uns notwendig, einen Begriff durch Prädikate zu bestimmen, aber das ist nur eine unvollkommene Reflexion. Prädikate sind immer besondere Bestimmungen, Eigenschaften sind als solche immer voneinander unterschieden. So geraten sie miteinander in Widerspruch, und diesen Widerspruch vermochte die alte Metaphysik nicht aufzulösen.

Gottes Einheit und seine Eigenschaften

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Sie half sich damit, daß sie entweder die Eigenschaften Gottes sich gegenseitig temperieren ließ oder aber von ihrer Besonderheit abstrahierte (XIV, 13). Die Mehrzahl der Eigenschaften wurde nur auf wenige und zuletzt nur auf einen Begriff reduziert (XIV, b. 73.16, 419). Es wurde also von den vielen Bestimmungen Gottes auf eine höhere, abstrakte Einheit zurückgegangen. Diese höhere Einheit aber war nichts anderes als der neuplatonische Begriff des reinen Seins. Durch einen solchen Gottesbegriff wird aber die konkrete Gottesvorstellung der Religion keineswegs befriedigt (XIV, b. 74.16, 420). Durch die quantitative Steigerung der Eigenschaften via eminentiae ins Bestimmungslose werden die Prädikate Gottes faktisch zunichte gemacht (V, 64. 8,112)! Dies allerrealste göttliche Wesen, von dem alle Bestimmung, alle Negation ausgeschlossen ist, ist dann das Gegenteil von dem, was es sein soll, es ist leer, das bloße Jenseits, ohne Bestimmung, daher natürlich auch unerkennbar (8,113 f.)! Drittens: Aus dem Gesagten erhellt, daß von Gottes Eigenschaften zu reden die Weise der religiösen Vorstellung und des abstrakten Verstandes ist (XIV, 75.16,229). Populär kann solches Reden gewiß nützlich sein. Dann mag man Gottes Eigenschaften von seiner Wirksamkeit in der Welt unterscheiden, die einzelnen Prädikate voneinander trennen. Die Religion gebraucht sowieso bildliche, symbolische Vorstellungen, und hier sind es die Eigenschaften Gottes, die so vorgestellt werden. Sobald man aber diese Vorstellungen in der Reflexion scharf bestimmt, entstehen Widersprüche zwischen dem Begriff und den Eigenschaften, zwischen der Einheit Gottes und der Mehrzahl seiner Prädikate sowie zwischen den einzelnen Prädikaten selbst. Die religiöse Vorstellung übersieht diese Widersprüche, die Metaphysik aber kann sie nicht übersehen (XIV, 54 f. II, 22 f. 2, 26 f.). Wird Gott von der rationalen Theologie als das abstrakt Unendliche bestimmt, dann sind alle besonderen Prädikate dieser Unendlichkeit nicht angemessen, und damit wird die Gottesvorstellung arm und leer. Die rationale Theologie meinte, Gott recht hoch zu stellen, wenn sie ihn den Unendlichen nannte, für den alle Prädikate unangemessen seien, aber in Wahrheit war das Resultat eine abstrakte Identität, welcher alles Endliche nur äußerlich gegenüberstand. Man weiß dann wohl im allgemeinen, daß Gott ist, aber man kann Gott nicht als den konkreten Geist erkennen (XII, 41.15, 47). — Diesem Dilemma der alten Metaphysik, sagt Hegel, kann man nur entgehen, wenn man mit der Lebendigkeit Gottes ernst macht. Gottes Lebendigkeit besteht darin, daß er sich selbst bestimmt, sich selbst in den Unterschied, in den Widerspruch setzt, aber zugleich diesen Widerspruch aufhebt. In der alten Metaphysik ist es nicht Gott selbst, der 6 Schmidt, Hegel

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den Widerspruch auflöst, sondern wir sind es, die den Widerspruch beseitigen wollen (XIV, 13). Wir versuchen es, die Prädikate Gottes durch die Erhebung ins Unendliche via eminentiae aufzuheben, um die Einheit Gottes zurückzugewinnen (XIV, b. 76.16, 231). Wir glauben damit einen unendlichen Gott zu gewinnen und kommen in Wahrheit nur zu einer abstrakten Identität. Wir übersehen, daß die Prädikate nicht unsere Bestimmungen sind, daß sie nicht Produkte unserer Reflexion sein können, sondern daß sie das Wesen Gottes selbst bezeichnen, also von uns nicht willkürlich beseitigt werden können. Gott selbst hat diese Prädikate in sich, darum kann auch er allein ihren Widerspruch in konkreter Weise auflösen. Und nur so ist Gott der lebendige Gott (XIV, 14). Solange die alte Metaphysik Gott als das höchste Wesen und zugleich seine Prädikate als seine Wesensbestimmungen abstrakt festhielt, waren und blieben die Eigenschaften Gottes seinem Wesen unangemessen. Erst wenn wir erkannt haben, daß Gott nicht das höchste Wesen der alten Metaphysik, sondern lebendige „Idee" ist, kann der Widerspruch gelöst werden. Die lebendige „Idee" ist eine konkrete Einheit von Bestimmungen. Sie ist nicht ein Subjekt, dem mehrere Prädikate zukämen, die gegeneinander sind und für sich stehen, vielmehr sind in diesem Subjekt die Bestimmungen untrennbar voneinander, setzen sich jeweils selbst in die andere Bestimmung über und haben nur im Ganzen einen Sinn (XIV, 76.16, 230. XIV, b. 62,16, 409 f.). Dieser konkrete Gottesbegriff ist zugleich nur Einer, weil die einzelnen Bestimmungen Momente ein und desselben Begriffs sind. Die Einheit des göttlichen Subjekts mit sich selbst wird um so intensiver, in je weitere Unterschiede es sich auseinanderlegt. Jedes Fortbestimmen ist auch ein Insichgehen des Subjekts, ein Vertiefen seiner in sich selbst (XIV, b. 63 f. 16, 410 f.). So ist die Auflösung des Widerspruchs nicht das äußerliche Tun unserer subjektiven Reflexion, sondern Gottes Tun selbst. Der lebendige Begriff Gottes oder die göttliche „Idee" selbst heben den Widerspruch auf (XIV, 77.16, 231). Die Prädikate Gottes erhalten ihren wahren Sinn in der Bewegung der göttlichen „Idee" und sind nur Momente dieser Bewegung. Die „Idee" bewegt, bestimmt, gestaltet sich selbst und ist so Einheit und Vielheit zugleich (XIV, 54 f.).

Die traditionellen Gottesbeweise

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C. Die Gottesbeweise a) Die traditionellen Gottesbeweise Ein integrierter Bestandteil der Theologie sind die sog. Gottesbeweise. Über sie sind einleitend folgende Bemerkungen notwendig: Erstens: Die alte Metaphysik, sagt Hegel, hat immer zuerst bewiesen, daß ein Gott ist. Sie forderte, daß Gott an und für sich, unabhängig von unserer Gottesvorstellung bewiesen werde, denn die Theologie kann nur bestehen, wenn ihr „Gegenstand" gesichert ist (XII, 56.15,68). Damit gewann die alte Metaphysik eine feste begriffliche Basis für die nachfolgende theologische Lehre. Seit Kant aber gerieten die Gottesbeweise in Verfall, meinte man doch, über sie hinaus zu sein; sie galten als etwas Antiquiertes (XIV, b. 2.16, 360). Sie erschienen nur noch als Kunststücke eines scharfsinnigen Verstandes oder als moralische Stützen der Überzeugung von Gott. Nicht dieser oder jener Gottesbeweis, nicht diese oder jene Form der Beweise hatten ihr Gewicht verloren, sondern das Beweisen religiöser Wahrheiten als solches ist um allen Kredit gekommen. Die Unmöglichkeit solcher Beweise, sagt Hegel, wurde zum allgemeinen Vorurteil, ja es galt als irreligiös, auf diesem Wege Gott zu suchen. So waren denn selbst Theologen die Gottesbeweise kaum oder nur noch historisch bekannt (XIV, b. 3.16, 360 f.). Schuld daran war in der Hauptsache die Kritik Kants (XIV, b. 137.16, 437). Sie hat die Wirkung gehabt, daß die Gottesbeweise zunächst aufgegeben wurden. In der Wissenschaft war bald nicht mehr von ihnen die Rede, nur populärerweise, in der Belehrung und Erbauung, wurden ihre Argumente noch verwendet (XIV, b. 136.16, 436). Neben Kant hat auch Jacobi mit Erfolg gegen die Gottesbeweise polemisiert. Er behauptete, Gott könne nicht bewiesen werden, weil beweisen heißt, etwas aus Bedingungen abzuleiten, ein abgeleiteter, bedingter Gott aber nicht mehr Gott sein würde (19, 543). Dies Argument Jacobis wird bis heute immer neu belebt und wiederholt, selbst von P. Tillich, der doch sonst ein philosophischer Theologe sein wollte! — Hegel dagegen brachte den Gottesbeweisen die größte Achtung entgegen. Sie verdienen nach seiner Meinung schon darum näher betrachtet zu werden, weil sie mehr als 1000 Jahre Autorität gehabt haben. Es ist darum nötig, ihren Wahrheitsgehalt zu erkennen (XII, 68 f.). Darum will Hegel die Beweise wieder zu Ehren bringen (XIII, 43). Freilich behauptet Hegel nicht, daß die Beweise erst das Wissen um Gott erzeugen (6, 321). Sie haben nicht die Aufgabe, den Glauben an Gottes Dasein zu bewirken. Wenn das so gemeint wäre,

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dann könnten wir z. B. auch nicht essen, ohne die diemischen, botanischen oder zoologischen Bestimmungen der Nahrungsmittel zu kennen; könnten wir nicht verdauen, ohne Anatomie oder Physiologie studiert zu haben (V, 33. 8,43 f.). So wie die Metaphysik überhaupt, so haben auch die Gottesbeweise nicht die Aufgabe, den Gottesglauben zu erzeugen, sondern ihn begrifflich-vernünftig zu begründen. Zweitens: Wie wir schon sahen, ist die Religion die Erhebung des endlichen Geistes zu Gott. Diese Erhebung vollzieht sich aber nicht nur in der Form der religiösen Vorstellung, sondern auch in der des spekulativen Begriffs. Zu dieser begrifflichen Erhebung drängt die Religion selbst, denn auch sie ist Zeugnis des denkenden Geistes. Der Gegenstand, um den es ihr geht, Gott, ist wesentlich im Denken, sein Gehalt gehört dem Denken (XIV, b. 55.16, 404). Gott ist seinem Wesen nach nicht für die sinnliche Anschauung, aber auch nicht nur für die Einbildungskraft, sondern für den Gedanken (XIV, b. 13.16, 368 f.). Aus diesem Grunde hat der Gottesglaube, sobald der menschliche Geist zum freien Denken gelangt war, damit begonnen, Gott zu beweisen. In die religiöse Erfahrung mischen sich Zufälligkeit und Willkür, daher entsteht das Bedürfnis, die Erhebung zu Gott auseinander zu legen und von aller Zufälligkeit des Denkens zu befreien, zu reinigen. Denn nur dem Nachdenken erschließt sich das substantiell Wahre, nur durch ihre denkende Exposition reinigen wir die Erhebung zu Gott zur Wesentlichkeit und Notwendigkeit und geben damit dem Denken die wahre Befriedigung (XIV, b. 55 f. 16, 404 f.). Aus diesem Bedürfnis, die denkende Vernunft zu befriedigen, sind die Gottesbeweise hervorgegangen (XIV, b. 3.16, 361). Weil die Erhebung des Geistes zu Gott eine Vermittlung ist oder in sich schließt, fordert sie zum Beweisen auf, d. h. zur Auseinanderlegung der einzelnen Momente dieses Prozesses des Geistes in der Form des begrifflichen Denkens (XIV, b. 82. 16, 430). Der Gang der Gottesbeweise ist also unsere eigene religiöse Erhebung in begrifflicher Form; es ist der gläubige Geist selbst, der sich in den Beweisen zu Gott erhebt (XII, 81 f. 15, 81. XII, 211.15,182 f.). Obwohl das religiöse Bewußtsein an sich kein Bewußtsein von seiner Erhebung zu Gott in der Form der Gottesbeweise hat, drücken die Beweise dennoch eben diese Erhebung aus (10,111. V, 346). Die Gottesbeweise sind die im begrifflichen Denken erfaßte Erhebung des menschlichen Geistes zu Gott oder das denkende Auffassen dieser Erhebung (XIV, b. 13.16, 368. XIV, b. 50.16, 399). In den Beweisen erscheint das eigene Anliegen des Glaubens, die endliche Welt zu transzendieren; sie machen logisch einsichtig, was das Bewußtsein tut (K. Domke). Der religiöse Mensch denkt

Die traditionellen Gottesbeweise

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immer so, wie es die Gottesbeweise darstellen, audi wenn er dies als religiös-vorstellender Mensch nicht weiß (XIII, 43). Die Vermittlung in den Gottesbeweisen ist nicht eine Operation der autonomen menschlichen Vernunft, die aus eigener Vollmacht über Gott spekuliert, sondern ist die eigene Vermittlung der Religion selbst (XII, 207.15, 177). Es ist der göttliche Logos selbst, der sich in der Erhebung zu Gott manifestiert (XII, 42. 15, 329). Drittens: Obwohl Hegel die Gottesbeweise wieder zu Ehren bringen möchte, hält auch er die Form der traditionellen Beweise nicht für glücklich. Sie haben die Form von Schlüssen. Ihr Ausgangspunkt ist, allgemein gesprochen, die endliche Welt und der endliche Menschengeist. Dieser Ausgangspunkt wird im Schluß nicht aufgehoben, sondern bleibt als feste empirische Grundlage bestehen. Man schließt von etwas, das ist und bleibt, auf ein anderes, das auch ist (V, 76. 8,146). Weil das Endliche ist, darum ist auch das Unendliche (XIV, b. 152.16, 456 f.). Das Endliche als das Setzende ist, und es bleibt ein Affirmatives (XIII, 54.15, 336). Dieses Verhältnis des Endlichen zum Unendlichen entspricht nicht der religiösen Erhebung des Menschengeistes zu Gott. In dieser Erhebung ist das Endliche nicht ein bleibend Affirmatives, sondern wird im Unendlichen aufgehoben. Das Unendliche ist nicht darum, weil das Endliche ist. Die Welt ist nicht das Wahrhafte, nur Gott ist wahrhaft. Der Ausgangspunkt hebt sich also selbst auf (XIV, b. 153.16,457). Der Obersatz müßte lauten: Das Endliche ist gar nicht, sondern hat sein Sein im Unendlichen, es hat keinen bleibenden Bestand. Damit fiele auch der Untersatz: Das Endliche ist. Die endliche Welt ist nur Erscheinung (XIV, b. 153.16, 457 f.). Das Endliche ist das, was es ist, nur als Negation (XIII, 55.15, 336 f.). Die Gottesbeweise haben also die Art aller rationalen Beweise: Eine Bestimmung wird von einer anderen abhängig gemacht. Man hat ein festes Vorausgesetztes, aus dem das andere folgt. So ist das Dasein Gottes im Beweis von der anderen Bestimmung, dem Endlichen, abhängig (8,114). Der rationale Schluß vermag die Dialektik des Endlichen nicht auszudrücken (XIV, b. 154.16, 458). Er kann das Endliche nur affirmativ, positiv ausdrücken, obwohl es negativ ist, sonst würde dem Schluß die Grundlage fehlen (XIII, 55.15,337). Darum war der Vorwurf Jacobis nicht unberechtigt, daß die Beweise das Unendliche vom Endlichen abhängig machen und durch das Endliche begründen (V, 77. 8,147). Gott ist eben nicht ein Abgeleitetes, sondern die an und für sich bestehende Wirklichkeit (XII, 210.15,181). So meint es der religiöse Glaube nicht, daß Gott um der affirmativen Endlichkeit willen existiert (XIII, 55 f. 15, 337 f.). Zwar er-

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hebt sich der religiöse Geist vom Endlichen zum Unendlichen, aber das Endliche wird zugleich verlassen und in seiner Nichtigkeit erkannt (XXI, 196. 3, 97). Die Erhebung des Geistes zu Gott ist nicht nur Übergang und Vermittlung, sondern zugleich die Aufhebung beider (V, 76 f. 8,146). Diese Erhebung korrigiert selbst den Schein, als ob das Unendliche vom Endlichen abhängig wäre (V, 77. 8, 147). Die traditionellen Gottesbeweise zeigen also wohl den Gang der Erhebung des Menschengeistes zu Gott, aber getrübt durch die Verstandesform der Beweise (XII, 69). Der wahre Gottesbeweis muß dialektischspekulativ sein. Er geht zwar auch vom Endlichen aus, zeigt aber dieses als ein Gesetztes und Vermitteltes (8,114). Das Fortgehen zum Resultat ist zugleich der Rückgang in sich, der Gegenstoß gegen sich. Das kann der Verstand nicht ausdrücken. Aber weil die alten Gottesbeweise diese mangelhafte Form haben, ist die „Sache", um die es ihnen geht, nicht vernichtet, haben sie dennoch einen vernünftigen Gehalt (XII, 73. 208.15,178 f.). Es ist nur nötig, sie in die Vernunftform überzuführen, dann drücken sie das aus, was im Menschengeist geschieht, der sich zu Gott erhebt (XII, 69). Es war wichtig, daß Kant auf die mangelhafte Form der Beweise hingewiesen hat, aber ihren tieferen Grund hat er nicht erkannt (XIV, b. 154.16, 458). Der menschliche Geist aber läßt sich durch keine Kritik davon abhalten, sich zu Gott zu erheben, denn diese Erhebung ist das Zeugnis der Wahrheit (XIV, b. 83.16, 430).

b) Die Mehrzahl der Beweise Noch eine einleitende Frage ist beim Problem der Gottesbeweise zu erörtern, die nach der Mehrzahl der Beweise. Es gibt in der philosophischtheologischen Tradition eine ganze Anzahl von Beweisen für Gottes Dasein. Wenn wir nun bedenken, sagt Hegel, daß es sich bei diesen Beweisen nicht um einen endlichen Gegenstand handelt, erregt die Mehrzahl der Beweise Mißtrauen. Ein geschichtliches Faktum etwa enthält eine Menge von Beziehungen in sich und zahlreiche Verhältnisse nach außen. Da sehen wir die Notwendigkeit vieler „Hinweise" ein. Bei mathematischen Sätzen verstärkt die Mehrheit der Beweise die Beweiskraft. Dasselbe gilt von juristischen Fällen. Die Bestätigung eines Faktums, einer Wahrnehmung durch eine Mehrheit von Beobachtungen bestimmt unser Urteil, nimmt der Subjektivität der Wahrnehmung den Verdacht des Scheins, der Täuschung, der Irrtümer aller Art. Wie steht es aber demgegenüber mit dem Gottes-

Die Mehrzahl der Beweise

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begriff? Gott ist über den Bereich gegenständlicher Zusammenhänge unendlich erhaben. Kann es für einen Gott viele Beweise geben (XIV, b. 66 f. 16, 413 f.)? Auf diese Frage antwortete Hegel folgendes: Erstens: Es gibt eine Menge von Ausgangspunkten, von denen der menschliche Geist zu Gott übergehen kann und muß. Im Innern des Menschen gibt es eine Menge von Empfindungen, Erfahrungen, Vorstellungen, Denkvorgängen usw. Die Innigkeit und die Zuversicht des Gottesglaubens werden verstärkt durch die Wiederholung der Erhebung des Geistes zu Gott, durch die Erfahrung Gottes in allen Dingen und Ereignissen (XIV, b. 68.16, 415). So unerschöpflich die Menge der Beziehungen auf Gott ist, so unerschöpflich ist das Bedürfnis, in dem Versenktsein des Menschen in die Endlichkeit seiner äußeren Umgebung und seiner inneren Zustände sich fortwährend die Erfahrung Gottes zu wiederholen oder das Walten Gottes sich immer neu vor Augen zu bringen. — Diese Art der Erhebung zu Gott ist freilich von der Art der Gottesbeweise verschieden. Hier, bei den Gottesbeweisen, sind wir auf dem Boden des Gedankens, der logischen Kategorien, des Begriffs. Die ewige Wiederholung der Erhebung zu Gott im Glauben, dieses „Allemal", zieht sich hier in ein „Einmal" zusammen, es kommt auf eine Gedankenbestimmung, auf eine logische Kategorie an (XIV, b. 69.16, 415 f.). Allein auch hier ergeben sich unterschiedliche Bestimmungen. Die Ausgangspunkte der logischen Erhebung zu Gott sind verschiedene Kategorien, weil das Endliche unterschiedene Bestimmungen hat. Und dies führt zu verschiedenen Gottesbeweisen (XIV, b. 70. 16, 416 f.). Da aber die Erhebung zu einem Resultat führt, ist dies Resultat jeweils bestimmt durch den Ausgangspunkt. Somit folgen aus den verschiedenen kategorialen Ausgangspunkten verschiedene Gottesbeweise und verschiedene Bestimmungen Gottes. Zweitens: Freilich scheinen die Gottesbeweise nicht die Absicht zu haben, unterschiedene Bestimmungen für Gott zu gewinnen, sie stellen sich nur die Aufgabe, das Dasein Gottes zu begründen. Es fehlt also bei den Beweisen die ausdrückliche Reflexion, daß durch diese Übergänge des Schließens sich verschiedene Inhaltsbestimmungen ergeben (XIV, b. 71 f. 16, 417 f.). Dennoch ist es klar, daß sich solche unterschiedlichen Resultate ergeben. Die spekulative Logik zeigt, daß dies gar nicht anders möglich ist (XIV, b. 74.16, 420). — Wenn dem aber so ist, wie groß ist dann die Zahl der möglichen Gottesbeweise? Die drei Beweise, die z. B. Kant behandelt, erschöpfen sie nicht. Unser Denken ist genötigt, von allen wichtigen Kategorien der Logik, sofern sie das Endliche bezeichnen, zu Gott aufzusteigen (XIV, b. 84.16, 431 f.). Die Zahl der Gottesbeweise scheint sehr groß zu

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sein, weil die spekulative Logik eine Fülle von Kategorien enthält, die vielleicht nie erschöpft werden kann. Allein die Kategorien der Logik sind andererseits Fortbestimmungen des einen Begriffs. Die Entwicklung des Begriffs enthält Stufen. Dieser Fortgang ist nicht grenzenlos, zuletzt erscheint die konkrete Wahrheit, die vollständige Manifestation des göttlichen Begriffs (XIV, b. 85 f. 16,432 f.). So kann zwar die Zahl der Gottesbeweise stark vermehrt werden, weil jede Stufe der Logik dazu dienen kann, jede eine Definition Gottes enthält, aber der Logos selbst setzt dieser Vermehrung der Beweise eine notwendige Grenze (XII, 214. 16, 535). — Dabei zeigt sich aber eine Zweiteilung der Gottesbeweise. Alle Beweise sind eine Erhebung vom Endlichen zum Unendlichen. Allein diese Erhebung kann in zweifacher Weise geschehen. Erstens kann unser Geist von der endlichen Welt zum unendlichen Gott übergehen, und das tun die meisten Gottesbeweise. Zweitens aber kann der Beweis vom subjektiven Begriff Gottes im endlichen Geist zum absoluten Geist Gottes übergehen. Es handelt sich in beiden Fällen um die Begriffe Gott und das Sein (XII, 206.15,177). Da es zwei Bestimmungen sind, können wir entweder vom Sein anfangen und zu Gott übergehen oder umgekehrt von Gott beginnen und zum Sein fortgehen (XII, 207. 211.15,177). So gehen die einen Beweise von der Welt zu Gott, die anderen vom Gedanken Gottes zu seinem absoluten Sein (XIV, b. 75.16,421). Diese Zweiteilung der Gottesbeweise ist somit sachlich berechtigt und geboten. — Drittens: Zwei der traditionellen Gottesbeweise schließt Hegel grundsätzlich aus. Erstens den historischen Beweis ex consensu gentium oder aus der Übereinstimmung der Völker, zweitens den sog. moralischen Beweis Kants. Hegel gibt zwar zu, daß der consensus gentium eine bedeutende Autorität sein kann. Die Annahme, daß ein Inhalt, der sich im Bewußtsein aller Menschen befindet, auch wahr sein muß, liegt nahe (V, 98. 8,177). Der einzelne Mensch widerspricht nicht leicht der Autorität aller Menschen. Daher hat der historische Beweis seit Cicero viel Zustimmung gefunden (XIV, b. 52.16, 401). Freilich ist das, was allgemein angenommen wird, darum noch nicht als notwendig begründet. Die Erfahrungsgrundlage des historischen Beweises ist ganz ungenügend. Es gibt Menschen und Völker, sagt Hegel, bei denen sich ein Gottesglaube in unserem biblischen und christlichen Sinne nicht findet (V, 98. 8,177). Solche Menschen und Völker haben nur ein dumpfes Bewußtsein von etwas Höherem, so daß man von einem Gottesglauben noch gar nicht sprechen kann (XIV, b. 53.16, 401). Auch läßt sich eine Aussage über alle Menschen aller Zeiten und Räume gar nicht machen. Selbst wenn die empirische Grundlage des Beweises aber

Die Gliederung des Systems

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ganz sicher wäre, so könnte man auf ihr doch keinen Gottesbeweis errichten. Denn der Beweis würde nur auf die übereinstimmende Überzeugung anderer hinweisen, also auf etwas Zufälliges, und wäre nicht das Zeugnis des Geistes vom Geiste, der den Einzelnen überzeugt (XIV, b. 54. 16,403). Der sog. moralische Gottesbeweis Kants, den dieser in seiner Ethik aufgestellt hat, den andere weiter ausgebaut haben, fordert die Harmonie zwischen der Natur und der Sittlichkeit einerseits, zwischen der Tugend und der Sittlichkeit des Einzelnen andererseits. Abgesehen davon, daß eine solche Harmonie nach christlicher Überzeugung gar nicht gefordert werden kann, lehnt Kant selbst jeden theoretischen Gottesbeweis ab und anerkennt nur Postulate der praktischen Vernunft. Der moralische Beweis ist also schon im Sinne Kants kein wirklicher Beweis, sondern nur ein Postulat. Er führt nur zu einem subjektiven Glauben, zu einem Fürwahrhalten ohne vernünftige Begründung (19, 594 f.). Von der großen Zahl der traditionellen Gottesbeweise behandelt Hegel im Anschluß an Kant nur drei: Den kosmologischen, den teleologischen und den ontologischen Gottesbeweis. Diese sieht er mit Recht als die wichtigsten Gottesbeweise an, da sich die meisten anderen auf sie zurückführen lassen. c) Die Gliederung des Systems Einleitend haben wir jetzt nur noch die Gliederung des theologischen Systems darzulegen. Diese Gliederung darf nicht auf einer willkürlichen Konstruktion beruhen, sondern muß sach-entsprechend sein. Die „Sache", um die es hier geht, ist aber der Begriff Gottes. Die ganze Theologie ist letztlich die Entfaltung des Gottesbegriffs. Gott aber ist, wie sich zeigen wird, der absolute Geist. Danach muß die Gliederung des Systems der Theologie dem Begriff des absoluten Geistes entsprechen. Nun ist Gott erstens in der Weise der Vorstellung, des Denkens für das Denken aller Menschen die ewige „Idee", Gott in seiner Ewigkeit vor der Erschaffung der Welt, außerhalb der Welt, unmittelbar bei sich selbst. Das ist Gott als „Vater", und wir haben hier das „Reich des Vaters" (XIV, 28.31.16,218. 221). Gott ist aber zweitens für die Anschauung des endlichen Menschen, für die Vorstellung desselben. Das Dasein, das sich Gott für die Vorstellung gibt, ist zunächst die Natur, und der endliche Geist erkennt Gott aus der Natur. Zugleich ist Gott für den endlichen Geist, der im Widerspruch zu Gott als absoluten Geist steht und das Bedürfnis der Versöh-

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nung hat. Das Geschaffene ist also ein anderes, außer Gott; Gott erschafft die Welt, setzt die Trennung (XIV, 28 f. 15,221 f.). Dies ist das „Reich des Sohnes", das Moment der Besonderung überhaupt. Auf diesem zweiten Standpunkt erhält das, was erst das Andere Gottes war, wirklich die Bestimmung des „Anderen". Auf dem ersten Standpunkt ist Gott als der „Sohn" nicht wirklich unterschieden vom „Vater", jetzt hat der „Sohn" die Bestimmung des Anderen Gottes. Wenn nach der ersten Bestimmung Gott nur einen „Sohn" „erzeugt", so bringt er hier die Natur hervor, der Unterschied kommt zu seinem Recht, es ist die Welt überhaupt und der natürliche Geist, der sich darauf bezieht (XIV, 31). Gott aber ist drittens derjenige, der sich mit dem endlichen Geist versöhnt, er wird für den endlichen Geist, dieser kommt zum Wissen, zur Gewißheit des göttlichen Inhalts. Jetzt ist Gott für die Empfindung, für die Subjektivität des Geistes; die Versöhnung wird verwirklicht, und durch den Prozeß der Versöhnung hat der Geist das, was er von sich in seiner Diremption unterschieden hat, wieder mit sich versöhnt, und ist so der Hl. Geist, der Geist in seiner Gemeinde. Dies ist das Tun, die entwickelte Lebendigkeit des absoluten Geistes, sein ewiges Leben; er ist also das „Reich des Geistes": der Mensch ist mit Gott versöhnt, und die Versöhnung ist für den Menschen. Dieser Prozeß der Versöhnung ist der Kultus (XIV, 28 ff.). Danach handelt das System der Theologie erstens von Gott als der ewigen „Idee", zweitens von Gott in seinem Verhältnis zur Welt als Natur und zum natürlichen Menschen, und drittens von Gott in seiner Beziehung zum Menschen als Geist, der sich in der Religion zu Gott erhebt. Alle drei Bestimmungen, Idee, Natur und Geist aber sind Momente Gottes als des absoluten Geistes.

Gott als das absolute Sein

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1. Kapitel Gott als die absolute Idee 1. A b s c h n i t t Die Sphäre des Seins A. Gott als das absolute Sein Gott in seinem ewigen Insichsein ist die absolute „Idee". Was das heißt, können wir am Anfang des Systems nicht wissen. Alle Momente der göttlichen Idee, ihre Bestimmungen, werden in der Logik behandelt. Wir müßten also eigentlich, um die Idee zu bestimmen, die ganze spekulative Logik abhandeln. Das tut aber Hegel in seiner Religionsphilosophie nicht, vielmehr greift er nur die entscheidend wichtigen Kategorien heraus und zeigt ihre theologische Bedeutung. Dasselbe tut er bei der Behandlung der Gottesbeweise. Wir werden dem folgen müssen und uns auf die grundlegenden Kategorien der Logik beschränken. Am Anfang sprechen wir nicht von Gott, sondern vom Absoluten. Das Absolute ist die allgemeinste Bestimmung für Gott. Es ist nicht etwas AbGelöstes, wie der Name zu sagen scheint, sondern im Gegenteil ein Positives, Setzendes (IV, 157 f. 4,663 f.). Die allgemeinste Bestimmung des Absoluten ist nun: Das Absolute ist. Weniger können wir von ihm nicht sagen. Das heißt aber: Das Absolute ist das Sein. Wir beginnen also mit der Kategorie des Seins und fragen: Was ist das Sein? Erstens: Das Sein, sagt Hegel, ist die einfache, inhaltslose Unmittelbarkeit, in der noch nichts Bestimmtes gedacht wird (XXI, 68. 3,117), das völlig Unbestimmte, Reflexionslose, das nur sich selbst gleich ist (III, 66 f. 4, 87 f.). Es ist das absolut Leere, die abstrakteste Allgemeinheit, die reine nach Innen und Außen, die Einheit mit sich vor allem Anderssein, vor und relationslose Beziehung auf sich, die Entfernung aller Verhältnisse aller Vermittlung. Die Kategorie des Seins ist daher die leerste und dürftigste Bestimmung, die es überhaupt geben kann (XII, 89.15,134). Es ist die absolute Indifferenz, die Identität mit sich (V, 108. 8, 203). Und doch ist dies reine Sein nicht nur die Abstraktion von Allem, nicht nur das absolut Leere, sondern zugleich die absolute Quelle aller Bestimmungen, der noch nicht entfaltete Begriff (V, 107. 8, 201). — Diese Kategorie des Seins ist schon früh vom Denken erfaßt worden. In der Geschichte der Philosophie begegnet sie uns zuerst bei den Eleaten, besonders bei Parmenides, welcher lehrte: Nur das Sein ist, nur das Sein ist das Absolute

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und Wahre (III, 68.4, 89). Alles Bestimmte, Endliche, Vergängliche ist in dieser Kategorie verneint (XIII, 43). Auch in der Religionsgeschichte erscheint die Kategorie des Seins als Bestimmung des Göttlichen. Das dumpfe, leere Bewußtsein des Inders — Brahm, Brahma — ist das reine Sein (III, 83.4,107.20,144). In der Philosophie ist dann die Kategorie des Seins von Denkern wie Plato, Philo und Plotin bewußt auf Gott bezogen worden (18, 227 f. 19, 22. 47). Die christliche Theologie ist besonders seit Augustin dem gefolgt, sie bestimmte Gott als das summum esse, als das ens realissimum, als die All-Realität. So dürfen wir denn als die erste Definition des Absoluten oder Gottes dies aussprechen: Gott ist das reine Sein (V, 108 f. 8,204). Diese Definition ist die Grundlage aller Aussagen über Gott. Sie kann nicht abgeleitet werden, denn jede Aussage über das Absolute setzt sie schon voraus (20,115). Freilich ist dies die abstrakteste, dürftigste Definition Gottes, die denkbar ist; Gott ist unendlich viel mehr als das reine Sein. Allein dies „Mehr" muß erst noch hervortreten, entwickelt werden (III, 63.4, 84). Darum, weil Gott mehr ist als das reine Sein, ist diese Kategorie nicht falsch. Sie ist nur die erste Definition Gottes, der viele folgen sollen (XIII, 43). Es ist darum nicht richtig, mit den Neuplatonikern aus der Kategorie des Seins = Gott eine negative Theologie zu folgern und zu behaupten, Gott sei durch keine Kategorie zu erfassen. In der Kategorie des Seins sind noch keine anderen Kategorien explicite vorhanden, wohl aber implicite eingeschlossen. Agnostische Konsequenzen dürfen aus der Kategorie des Seins nicht gezogen werden. Zweitens: Die Kategorie des Seins kann auch der Verstand erfassen. Aber das rationale Denken versagt, wenn die im Sein innewohnende Dialektik erkannt werden soll. Das Sein ist die reine Abstraktion, in welcher noch nichts Bestimmtes gedacht wird, darum ist das reine Sein das Unsagbare oder das Nichts (V, 109. 8,207 f.). Das reine Nichts ist genau dasselbe wie das reine Sein, nämlich die einfache Identität mit sich, die völlige Bestimmungslosigkeit, Inhaltslosigkeit, Ununterschiedenheit (III, 67.4,88). Das Nichts ist soviel wie das reine Sein, und das Sein ist soviel wie das Nichts (XXI, 239.3,172). Das reine Sein ist also in das reine Nichts umgeschlagen (8,206 f.). Diese Behauptung, sagt Hegel, erscheint der Vorstellung und dem Verstande so paradox, daß sie vielleicht zuerst meinen, das sei nicht im Ernst gesagt. Es ist das Härteste, was dem Denken zugemutet werden kann, denn Sein und Nichts sind der Gegensatz in seiner ganzen Unmittelbarkeit. Es wird von keiner der beiden Kategorien eine Bestimmung gesetzt, die deren Beziehung auf die andere Kategorie enthielte (V, 110. 8, 209). Die Bestimmung ist eben in beiden die gleiche,

Gott als das absolute Sein

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nämlich die Bestimmungslosigkeit. Aber wer hier schon am Anfang der Logik versagt und Hegels Dialektik nicht zu folgen vermag, wird überhaupt nicht weiter kommen. Die Feststellung, daß Sein und Nichts dasselbe sind, ist eine analytische Einsicht. Zugleich aber zeigt die Analysis, daß Sein und Nichts schlechthin verschieden sind, sonst könnte die Sprache sie nicht unterscheiden. Aber diese ihre Verschiedenheit ist unsagbar (V, 110.8,210). Sein und Nichts sind identisch und unterschieden, aber sie sind so unterschieden, daß der Unterschied ein solcher ist, der zugleich kein Unterschied ist (III, 75 f. 4, 98 f. 8,208). Das kann der Verstand nicht fassen! Aber die, welche auf dem Unterschied zwischen Sein und Nichts beharren, sagt Hegel, mögen bitte angeben, worin er besteht! Hätten beide eine Bestimmtheit, wodurch sie sich unterscheiden, so wären sie ein bestimmtes Sein und ein bestimmtes Nichts, also nicht mehr das reine Sein und das reine Nichts. Der Unterschied zwischen beiden ist also nicht vorhanden, und doch ist er da, beide sind unterschieden, indem sie nicht unterschieden sind. Und eben dies ist die Dialektik des Seins (III, 67. 77. 4, 88. 101. V, 110. 8,209). — Wenn also das Absolute, Gott, das reine Sein ist, das Sein aber gleich dem Nichts, so ist zu folgern, daß Gott auch das reine Nichts ist. Philosophie und Religion haben es freilich nur selten gewagt, Gott als das reine Nichts zu bezeichnen. Die Eleaten z. B. erklärten, nur das reine Sein sei, das Nichts sei gar nicht. Die spätere rationale Metaphysik legte gerade auf diese These wert, daß Gott das allerrealste Wesen ohne jede Negation sei. Immerhin ist aber in orientalischen Systemen, z. B. im Buddhismus, auch das Nichts zum göttlichen Prinzip gemacht worden (III, 68.4, 89 f.). Aus dem Nichts ist alles hervorgegangen, und ins Nichts kehrt alles zurück. Gott ist die Negation aller Besonderheit, das Nichts (XIII, 124.15, 403). Und in der Tat: Die Definition, daß Gott das reine Nichts ist, ist ebenso berechtigt wie die des reinen Seins (8, 209). Das buddhistische Prinzip des Alls ist auch eine Definition Gottes (V, 109. 8, 207). Selbst der christliche Glaube setzt eine Beziehung Gottes zum Nichts, indem er bekennt, daß Gott die Welt aus Nichts geschaffen habe. Und auf der Höhe der Gotteserkenntnis wird die Kategorie des Nichts wieder erscheinen, indem Gott als Geist sich selbst bis zum Tode entäußert, also das Negative in sich enthält (20, 349). Drittens: Weil Sein und Nichts identisch und unterschieden sind, gehen sie dialektisch ineinander über, jedes ist das Gegenteil seiner selbst. Die Wahrheit beider ist also die Bewegung des Verschwindens des Einen in dem Anderen oder das Werden (III, 67. 4, 89). Das Werden ist zwar eine einheitliche Vorstellung, aber wenn man sie analysiert, findet man in ihr

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die Kategorien Sein und Nichts ungetrennt in einer Vorstellung. Es ist eine Einheit, in welcher die Verschiedenheit mit gesetzt ist, die Unruhe in sich selbst (V, 112 f. 8,212 f.). Im Werden sind Sein und Nichts eins als das Übergehen ineinander (III, 78 f. 4,101. XII, 92.15,174). In dieser Einheit darf der Unterschied nicht fortgelassen werden, weil wir sonst wieder zum reinen Sein zurückgeworfen würden (8,214). Das Werden ist also keine abstrakte Einheit des Seins und des Nichts, sondern ist diese Bewegung, daß der Unterschied beider sich aufhebt (III, 77. 4,100). Das Werden hat die doppelte Bestimmung: Das Nichts unmittelbar und übergehend in das Sein, das Sein unmittelbar und übergehend in das Nichts. Dies Gedoppelte ist das Entstehen und Vergehen. Beide sind ein und dasselbe, nämlich Werden. Die eine Richtung ist das Vergehen: das Sein geht in das Nichts über; die andere Richtung ist das Entstehen: Das Nichts geht in das Sein über. Aber dies Sein geht wieder in das Nichts über, ist Vergehen; und dies Nichts geht wieder in das Sein über, ist Entstehen. Jedes hebt sich an sich selbst auf und ist das Gegenteil seiner (III, 93.4, 119, XXI, 68. 3,117). — Damit haben wir, sagt Hegel, die erste konkrete Kategorie gewonnen. Sein und Nichts sind noch beide abstrakt, daher unwahr, erst das Werden ist eine wahre Bestimmung. Und es ist nicht schwer, diese Kategorie überall zu finden (8, 213 f.). Alles im Universum enthält das Sein und das Nichts, also auch das Werden (III, 69. 4, 91). Gewiß ist auch das Werden noch eine sehr arme Kategorie, die sich vertiefen und erfüllen muß. Solche Vertiefungen und Erfüllungen sind die Begriffe Leben und Geist (8, 215). In der Geschichte der Philosophie ist es Heraklit gewesen, der vom Sein der Eleaten zum Werden fortgeschritten ist (8, 214.17, 344). Nach Heraklit ist weder das Sein noch das Nichts, sondern alles ist Werden, alles fließt (III, 68. 4, 90). Der christliche Glaube aber bekennt Gott als den Lebendigen (III, 70.4, 92). Viertens: Das Werden ist ein Prozeß. Ein Prozeß hat ein Resultat. Das Werden als das wechselseitige Umschlagen des Seins in das Nichts und umgekehrt ist das Rastlose, das sich darin nicht zu erhalten vermag. Indem das Sein und das Nichts im Werden verschwinden, ist das Werden selbst ein Verschwindendes (V, 114. 8, 215 ff.). Das Werden ist die haltlose Unruhe, die in ein ruhiges Resultat zusammensinkt. Es vereinigt das Entgegengesetzte, widerspricht sich damit in sich selbst und zerstört sich in der Vereinigung. Das Resultat dieses Prozesses ist das Verschwundensein, aber dies Resultat ist kein Rückfall in das Nichts, sondern eine ruhige Einheit, die geworden ist, in der das Sein nicht mehr für sich, sondern die Bestimmung des Ganzen ist. Diese Einheit ist das Dasein (III, 93. 4,119 f.). Im

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Dasein ist die Unmittelbarkeit des Seins und Nichts und damit der Widerspruch verschwunden, Sein und Nichts sind nur noch Momente. Das Dasein ist ein Sein mit der Negation oder Bestimmtheit. Sein und Nichts als solche sind aufgehoben (V, 114 f. 8, 215 f.). Das Resultat ist das mit der Negation identische Sein, ein gewordenes und bestimmtes Sein, das eine Beziehung auf sein Nichtsein hat (8,217.3, 118). Die Vermittlung des Daseins, das Werden, liegt hinter ihm, es ist das Gewordene (III, 95 f. 4, 122). Es ist Dasein, das Sein zusammen mit dem Nicht-Sein, das in das Sein aufgenommen ist, ein bestimmtes Sein (III, 96 f. 4,123 f.). Als solches ist das Dasein Qualität. In sich reflektiert aber ist das Dasein ein Daseiendes oder ein Etwas (III, 95. 4,122). Während nun Sein und Nichts Definitionen Gottes sind, kann die Kategorie des Daseins nicht auf Gott angewandt werden. Das Dasein ist eine Definition der Welt. Darum ist der Ausdruck „Beweise für das Dasein Gottes" mißverständlich (8,102). Gott ist das absolute Sein, aber er ist kein Dasein. B. Das ontologische Argument Die Kategorie des Seins Gottes erscheint im sog. ontologischen Gottesbeweise Anselms und seiner Nachfolger. Von diesem Beweis gilt zunächst folgendes: Erstens: Der Beweis hat bei Anselm eine Vorform, die nicht vom Begriff Gottes, sondern vom Dasein der Welt ausgeht. Das Argument lautet: Weil die Welt, diese unendliche Menge von Bestimmtheiten des Daseins, ist, darum muß es auch ein allgemeines Sein geben. Das endliche Dasein setzt ein unendliches Sein voraus. Denn das endliche Dasein ist ein Beschränktes, an ihm ist die Negation. In dem vielen besonderen Sein aber liegt der Gedanke des allgemeinen, reinen Seins; oder das besondere Dasein hat das reine Sein zu seinem Grunde (XIII, 43 f.). Das Dasein begründet sich eben nicht selbst, sondern das Selbständige in allem Dasein ist das absolute Sein. — Bekannter ist die zweite Fassung des ontologischen Arguments bei Anselm. Sie geht aus vom Begriff des vollkommensten Wesens. Gott ist das vollkommenste Wesen. Wäre Gott nur eine subjektive Vorstellung, so wäre er nicht das vollkommenste Wesen, wir könnten uns dann etwas Höheres denken. Einem vollkommenen Wesen muß also das Sein zukommen, es muß Realität besitzen. Also ist Gott als das vollkommenste Wesen nicht nur eine subjektive Vorstellung, sondern er existiert wirklich.

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Gott ist seinem Begriff nach die Einheit des Begriffs und der Realität (XII, 219. XIV, 40 f. 16,214. 547. XIV, b. 173.16, 541). Die spätere theologische Metaphysik hat diesen Gedanken Anselms in einen logischen Schluß gebracht und das vollkommene Wesen als das allerrealste, als den Inbegriff aller Realität bestimmt. Jetzt lautet der Beweis so: Der Begriff Gottes als ein subjektiver Gedanke ist nur ein möglicher Begriff. Möglichkeit ist dort, wo kein Widerspruch aufgezeigt werden kann. Gott aber ist nicht nur möglich, sondern auch wirklich, nämlich affirmativ ohne Negation. Nun ist das Sein eine Realität, also muß Gott auch das Sein haben. Denn ein Wesen, das affirmativ ist und alle Realität besitzt ohne jede Beschränkung, ein solches Wesen existiert notwendig (XII, 219. XIV, 42.16, 541. XIV, b. 173 f. 16, 548). Zwei tens: Diesen ontologischen Beweis hat Kant einer Kritik unterzogen, indem er ihn in seiner, wie Hegel sagt, schlechtesten Form, die ihm Mendelssohn gegeben hat, aufnahm. In dieser Form des Beweises ist die Existenz Gottes zu einer Eigenschaft Gottes gemacht worden (II, 252). Kant faßt also die Kategorien Sein und Existenz als gleichbedeutend auf und bestimmt sie als Prädikate Gottes. Darauf gründet Kant seine Kritik. Er erklärt, Sein = Existenz sei keine Realität, gehöre nicht zur Realität eines Begriffs. Die Realität eines Begriffs sei seine Inhaltsbestimmtheit. Durch die Kategorie des Seins komme also zum Inhalt des Begriffs nichts hinzu. Der Begriff bleibe derselbe, gleichgültig, ob er real sei oder nicht. Das Sein sei keine Realität im Sinne der Begriffsbestimmung (XII, 220.16,541. XIV, b. 174.16, 549). Darum ist es nach Kant falsch, aus dem Begriff Gottes das Sein abzuleiten. Dies erläutert Kant durch sein berühmtes Beispiel von den 100 Talern. Der Inhalt des Begriffs 100 Taler ändert sich nicht, ob ich mir die 100 Taler nur vorstelle oder ob ich sie besitze; 100 wirkliche und 100 mögliche Taler sind dasselbe. Dagegen sind 100 Taler als Vermögen viel mehr als die Vorstellung von 100 Talern (XII, 220.16, 541. XIV, b. 174.16,549). Daraus zieht Kant die Folgerung: Also kann man das Sein nicht aus dem bloßen Begriff „herausklauben". Mit dem Begriff ist das Sein eines „Dinges" noch nicht gegeben (XIV, 41 ff.). Durch dies Beispiel von den 100 Talern, sagt Hegel, hat Kant seine Kritik am ontologischen Beweise sehr populär gemacht, denn das versteht jeder! Nichts ist einleuchtender, als daß unsere Vorstellungen noch nicht wirklich zu sein brauchen (V, 79. 8,150). Jeder weiß, daß man Luftschlösser bauen kann, die darum noch nicht sind (XIV, 49.16,214). Indessen, sagt Hegel: 100 Taler sind kein „Begriff", sondern nur eine empirische Gegebenheit (XII, 220.16,542). Es ist eine Barbarei, 100 Taler

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einen Begriff zu nennen (V, 80. 8,150). Der wahre Begriff ist nicht nur eine Vorstellung in unserem Kopf, und der Begriff Gottes kann nidit mit einer beliebigen empirischen Größe, mit einem „Ding" gleichgesetzt werden (XIV, b. 174.16, 549). Kant bezieht einen endlichen Begriff, die 100 Taler, einfach auf Gott. Davor hätte ihn gerade seine Vernunftkritik bewahren müssen (111,75.4,98)! Kant denkt überhaupt nicht den Begriff Gottes, darum kann er dem ontologischen Argument auch nicht gerecht werden (V, 80. 8,150.19,584 f.). Drittens: Allein, mit der Abwehr der Kritik Kants am Beweise ist dieser noch nicht gerettet. Die erste Fassung des Anselm zeigt, sagt Hegel, den Mangel aller traditionellen Gottesbeweise. Das endliche Dasein begründet das Sein Gottes. Das endliche Dasein ist, von ihm wird ausgegangen und auf das Sein Gottes geschlossen, es erscheint als der Grund Gottes (XIII, 53). Dem beschränkten Dasein der Welt, dem Nichtigen, wird das Bestehen zugeschrieben: es ist, es gibt dies Dasein. Dies Dasein wird also als ein Positives stehen gelassen. Die Erhebung vom endlichen Dasein zum Sein Gottes wird nicht ausgedrückt. Nicht weil das endliche Dasein ist, ist das göttliche Sein, sondern weil es endlich, weil es also nicht wahrhaft ist, darum ist Gottes Sein (XIII, 45 f.). Aber auch die zweite Fassung des Anselm ist mangelhaft. Sie geht vom Begriff der Vollkommenheit aus. Das ist eine unbestimmte Vorstellung. Was heißt „vollkommen"? Will man das ontologische Argument durchführen, so müßte man zuerst den Begriff der Vollkommenheit durchführen bzw. entwickeln (XIV, 50.16, 216). Das tut aber Anselm nicht. Er setzt die Einheit des Begriffs Gottes und des Seins einfach voraus, aber er begründet sie nicht (XIV, 51.16,216). Voraussetzen heißt, etwas unmittelbar als Erstes annehmen, eine Voraussetzung ist nicht bewiesen. Indem wir die Einheit des Begriffs Gottes und der Realität voraussetzen, haben wir ihre Notwendigkeit noch nicht erkannt. Auch Spinoza hat diese Einheit ohne Beweis vorausgesetzt (XII, 223.16, 544 f.). Es fehlt die logische Entfaltung des Begriffs Gottes (19,167). Ja, es fehlt die Einsicht in das Wesen des Begriffs überhaupt (XIV, 51.16, 216). Und das ändert sich nicht, wenn man an die Stelle des Begriffs der Vollkommenheit die Allrealität setzt (XIV, 43. XIV, b. 175.16, 549 f.). Das allerrealste Wesen mit Ausschluß jeder Negation ist nur eine Abstraktion des Verstandes (XIV, b. 173.16, 548). Gott soll der Inbegriff aller Realität sein, der keine Negation, keinen Widerspruch in sich enthält. Es wird also angenommen, daß die Realität bleibt, wenn alle Negation weggedacht wird. Aber das ist ein Irrtum. Mit der Beseitigung der Negation wird auch alle Bestimmt7 Schmidt, Hegel

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heit aufgehoben. Denn, wie Spinoza sagte: Alle Bestimmung ist Verneinung. Wird die Realität via eminentiae ins Unendliche gesteigert, so wird sie bestimmungslos, hört sie auf, Realität zu sein, und wird wieder zum reinen Sein. Der Begriff der All-Realität ist also nicht geeignet, den Begriff der Vollkommenheit zu ersetzen. Und wir stehen nach wie vor vor der dialektischen Aufgabe, den Begriff Gottes nicht nur vorauszusetzen, sondern auch spekulativ zu begründen (III, 99 f. 4,126 f.). Davon aber sind wir in der Sphäre des Seins noch weit entfernt. Der ontologische Gottesbeweis des Anselm gehört überhaupt nicht in diese Sphäre der Logik, ja überhaupt nicht in die spekulative Logik, sondern sein Wahrheitsgehalt kann erst am Schluß des Systems der Theologie, wenn der Begriff Gottes ganz entwickelt ist, in Erscheinung treten. Dagegen gehört in die logische Sphäre des Seins das Verhältnis des Endlichen zum Unendlichen, dem wir uns jetzt zuwenden.

C. Die Unendlichkeit Gottes Wir waren bei der Kategorie des Daseins angelangt. Das Dasein erwies sich als ein Daseiendes oder als ein Etwas. Was besagt die Kategorie des Etwas? Sie scheint so einfach zu sein, und doch zeigt sich auch in ihr eine Dialektik. Das Etwas ist zunächst die einfache Beziehung auf sich, die Vermittlung seiner mit sich selbst. Das Etwas ist, es ist ein Daseiendes. Aber das Etwas steht nicht allein da, sondern neben dem Etwas steht ein anderes Etwas. Das Daseiende als das Negative des Etwas ist ein Anderes (III, 102.4,130). Das Etwas ist also ein Ansichsein und zugleich ein Sein für ein Anderes (III 104 f. 4, 131 f.). Etwas und Anderes sind beide Daseiendes, ein Etwas; jedes ist auch sein Anderes, und es ist gleichgültig, welches zuerst Etwas und welches Anderes genannt wird; beide sind sowohl als Etwas als auch als Anderes dasselbe (III, 104 f. 4, 132 f.). Daraus ergibt sich Erstens: Die Negation ist im Dasein mit dem Sein unmittelbar identisch, d. h. sie ist die Grenze. Das Etwas ist nur in seiner Grenze und durch seine Grenze das, was es ist. Die Grenze ist für das Dasein nicht etwas Äußerliches, sondern sie geht durch das ganze Dasein hindurch (8, 220). In der Grenze erscheint das Nicht-Sein für Anderes, die qualitative Negation des Anderen, welches dadurch von dem in sich reflektierten Etwas abgehalten wird (III, 113.4,143). Etwas hat seine Grenze zunächst gegen Anderes; aber die Grenze ist auch die Grenze des Anderen als eines Etwas,

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also das Nichtsein des Etwas und zugleidi das Nichtsein des Anderen. Das Etwas ist durch die Grenze das, was es ist, und hat an ihr seine Qualität (III, 114. 4, 144). Etwas außer der Grenze ist nur das Dasein überhaupt, die Grenze aber ist die gemeinschaftliche Unterschiedenheit des Etwas und des Anderen, weil beide mit der Bestimmtheit der Grenze gesetzt sind (III, 114 f. 4,145). Die Grenze enthalt demnach einen Widerspruch: Sie ist zugleich die Realität des Daseins und dessen Negation. Die Grenze als Negation des Etwas ist aber nicht ein Nichts, sondern ein seiendes Nichts, eben ein Anderes. Dem Etwas wird im Anderen seine eigene Grenze objektiv (8, 220). Das Andere aber, das dem Etwas gegenübersteht, ist selbst ein Etwas, und das jeweils erste Etwas ist dem Anderen gegenüber ein Anderes (8, 221). Das Etwas ist also an sich das Andere seiner selbst. Das bedeutet aber: Das Etwas weist über seine Grenze hinaus und geht damit selbst in sein Nichtsein über (III, 115. 4,145). Und das heißt in dieser Sphäre des Daseins nichts anderes als: Das Etwas als solches verändert sich. Veränderung bedeutet das Übergehen des Etwas über seine Grenze und in sein Nichtsein. Und in dieser Veränderung offenbart sich nun die durchgehende Endlichkeit alles Daseins überhaupt. Es liegt also im Begriff des Daseins, sich zu verändern. Die Veränderung ist die Manifestation dessen, was das Dasein an sich ist. Das Lebendige stirbt, weil es als solches den Keim des Todes in sich trägt (8, 221). Das Etwas, mit seiner immanenten Grenze gesetzt, ist der Widerspruch seiner selbst und damit das Endliche (III, 116. 4,147). Weil aber das Etwas durch seine Qualität das ist, was es ist, hört es auf, das zu sein, was es ist, wenn es seine Qualität verliert. Das Endliche ist die Qualität des Etwas und ist damit veränderlich (V, 115. 8, 217 ff.). Zweitens: Die Analyse der Kategorie des Daseins, deren Momente das Etwas und Anderes sind, hat uns von selbst zur Kategorie des Endlichen geführt. Diese ist nun näher zu bestimmen. Es liegt im Begriff des Endlichen, daß es nicht an und für sich, sondern von einem Anderen abhängig ist. Zur Existenz des Endlichen gehört immer ein Anderes (XII, 91. 15, 173). Das Endliche ist nicht nur veränderlich, sondern es vergeht. Die Dinge der Welt sind endlich, weil das Nichtsein ihr Sein ausmacht. Die Dinge sind wohl, aber die Wahrheit ihres Seins ist ihr Ende (III, 116 f. 4, 147). Das Etwas ist endlich, es hat eine Grenze. Die eigene Grenze des Etwas ist seine Schranke. Die negative Beziehung auf sich als Schranke aber ist das Sollen. Das Sollen ist hier keine ethische, sondern eine rein logische Kategorie. Beide, die Schranke und das Sollen, sind Momente des Endlichen (III, 119 f. 4,151). Was sein soll, das ist und ist zugleich nicht. Das Sollen hat eine Schranke, und als Sollen geht das Endliche über seine

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Schranke hinaus. Als das Sollen ist auch das endliche Etwas über seine Schranke hinaus und erhaben. Und umgekehrt hat das Etwas nur als Sollen eine Schranke (III, 120 f. 4,152). Das Sollen ist das Hinausgehen über die Schranke als Schranke: Du kannst, weil du sollst! Im Sollen liegt aber auch die Schranke als Schranke: Du kannst nicht, weil du sollst! Das Sollen ist somit der Anfang des Hinausgehens über die Endlichkeit (III, 121.4,153). Es ist die Natur des Endlichen selbst, über sich hinauszugehen, seine Negation zu verneinen und unendlich zu werden (III, 121.4,153). So hat auch der menschliche Geist keine absolute Schranke. Es ist zwar richtig, sagt Hegel, daß unser Geist beschränkt und endlich ist, wie alles Individuelle in der Welt. Jedes Individuum ist als das bestimmte Individuum in seiner raum-zeitlichen Existenz endlich, steht in einem negativen Verhältnis zu den anderen Individuen, ist von allen Seiten abhängig und beschränkt (XII, 129.15,191). Jeder Mensch hat daher ein unmittelbares Gefühl seiner Schranke (XII, 119.15,184). Diese Endlichkeit des Individuums manifestiert sich im Tode (XII, 130.15,192). Auch unsere Erkenntnis, sofern sie nur Reflexion ist, ist endlich (XII, 131.15, 193). Aber ebenso richtig ist, daß alles Endliche über sich hinausweist, keine Wahrheit hat, und unsere Vernunft durchschaut diese Unwahrheit des Endlichen, indem sie über die Schranke hinaussieht (XII, 214). Im Endlichen liegt also die Schranke und das Sollen über sie hinaus. Im Endlichen ist das Sollen, das über die Endlichkeit hinausgeht. Die Frage ist daher, wie der Übergang vom Endlichen zum Unendlichen zu verstehen ist? Drittens: Analysieren wir die Vergänglichkeit des Endlichen, so wird zunächst deutlich, daß in dem Vergehen des Endlichen das Endliche gar nicht vergeht! Es wird in diesem Vergehen des Endlichen nur immer ein anderes Endliche gesetzt, das wieder vergeht, indem ein anderes Endliche entsteht, und so fort ins Unendliche. Das heißt: In seinem Vergehen geht das Endliche nur mit sich selbst zusammen. Das Andere des Endlichen ist zwar das Unendliche (III, 124 f. 4,157). Aber dies Unendliche, in welches das Endliche immerfort übergeht, ist nur die Negation desjenigen Endlichen, das ebenso fortlaufend wieder entsteht, um dann wieder aufgehoben zu werden. Dies sog. Unendliche ist also nur das Sollen des Aufhebens des Endlichen; es drückt dies Sollen aus, hebt aber das Endliche nicht wirklich auf (V, 115. 8, 222). Das Endliche verschwindet zwar im Unendlichen, und das Unendliche ist die Verneinung des Endlichen, aber das Endliche ist nicht wirklich verschwunden, sondern erneuert sich beständig. Damit fällt das sog. Unendliche wieder in die Kategorie des Etwas mit seiner Grenze zurück, und das Endliche steht dieser Unendlichkeit wie-

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der als ein reales Dasein gegenüber (III, 126 f. 4,159). Beide, das Endliche und das Unendliche, sind nur außer einander, sind nur Andere gegen einander. Das Endliche ist das Dasein, das die Bestimmung hat, unendlich zu werden, das Unendliche aber ist nur das Sollen des Endlichen, hat aber noch das Endliche als ein Anderes gegen sich, ist mit dem Gegensatz gegen das Endliche behaftet, das zugleich reales Dasein bleibt, obwohl es im Unendlichen als aufgehoben gesetzt ist (III, 127 f. 4,160). Das Unendliche ist nur die Grenze des Endlichen, also selbst nur ein Endliches. Das Endliche und das Unendliche sind aufeinander bezogen, beide sind begrenzt und endlich, negieren ihre Grenze und setzen sich als das Andere. Jedes ist das Setzen des Anderen, so daß sie untrennbar sind (III. 128 f. 4, 161 f.). Sie sind das Umschlagen, das Übergehen des Einen in das Andere. Über das Endliche wird hinausgegangen in das Unendliche, aber dies Unendliche ist wieder begrenzt, endlich, es verschwindet und tritt wieder in das Endliche ein. Über diese neue Grenze aber muß wieder hinausgegangen werden, und so fort ins Unendliche (III, 129 f. 4,163). Das ist, stellt Hegel fest, der Progreß ins Unendliche, der sowohl im Qualitativen wie im Quantitativen der Welt erscheint und den Charakter alles endlichen Seins bestimmt. Es ist ein Widerspruch, der nicht aufgelöst wird! Über das Hinausgehen wird nicht hinausgegangen! Es ist das perennierende Sollen, die Negation des Endlichen, das sich von der Endlichkeit nicht befreien kann, die langweilige Abwechslung des Endlichen und Unendlichen (III, 130 f. 4,164). Es ist eine unvollendete Reflexion, welche das Endliche und Unendliche nur abwechseln läßt, und die Darstellung dieser Abwechslung als Ausdruck des Widerspruchs ist eben der unendliche Progreß (III, 140. 4,175 f.). Hier waltet die Dialektik des Verstandes, noch nicht die der spekulativen Vernunft. Das Unendliche hat noch die Bestimmung eines Jenseits, das nicht erreicht werden soll und darum auch nicht erreicht werden kann. Es hat das Endliche als ein Diesseits sich gegenüber, das sich nicht wahrhaft ins Unendliche erheben kann, weil es sich in seinem Jenseits immer wieder erzeugt (III, 131 f. 4,165). Viertens: Dies Unendliche, das dem Endlichen nur gegenübersteht und dadurch selbst zum Endlichen wird, nennt Hegel das schlechte Unendliche. Es ist die endlose Wiederholung ein und derselben Bestimmung (XII, 212). So entsteht, obwohl das Endliche ins Unendliche umschlägt, ein unüberwindlicher Dualismus zwischen dem Endlichen und dem Unendlichen, die Wurzel aller dualistischen Systeme in der Welt des Geistes (XIII, 192.15, 425 f.). Das Endliche wird auf der einen, das Unendliche auf der anderen Seite gehalten, und die Beziehung zwischen beiden ist nur eine negative

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(XIV, b. 112.16,490). Das Endlidie hat die gleidie Würde des Bestehens und der Selbständigkeit wie das Unendliche, und zwischen beiden klafft ein Abgrund (V, 116, 8,225). Es ist somit klar, daß hier eine mangelhafte Definition des Unendlichen vorliegen muß. Eine Unendlichkeit, welche die Endlichkeit außer sich hat, durch sie begrenzt wird, so daß sie selbst endlich wird, ist nicht die wahre Unendlichkeit und keine Kategorie, die wir auf das Absolute, Gott beziehen könnten. Mit dieser Unendlichkeit bleiben wir noch in der Immanenz, in der Welt, im Relativen. Es kommt also in der Theologie alles darauf an, den Begriff der wahren Unendlichkeit gegen die falsche zu gewinnen (III, 125 f. 4,157 f.). Diese wahre Unendlichkeit muß so definiert werden, daß das Unendliche sowohl sich selbst als auch die Endlichkeit zugleich in sich befaßt (III, 133.4,167). Beide, das Endliche und das Unendliche, müssen Momente eines Prozesses sein, aber nicht des Prozesses ins Endlose, sondern so, daß sowohl das Endliche wie das Unendliche als Werdende erscheinen (III, 138.4,173). Das Unendliche ist in seinem Anderen, dem Endlichen, bei sich, und kommt im Endlichen zu sich; das Endliche aber erweist sich als ein verschwindendes Moment im Unendlichen, das auch im Endlichen präsent ist. So wird das wahre Unendliche, zu einem in sich geschlossenen Kreis, die Bewegung des Unendlichen zum Endlichen und des Endlichen zum Unendlichen (8, 222). — Diese wahre Unendlichkeit ist eine Definition des Absoluten, Gottes, ein Moment im Gottesbegriff, ein Prädikat Gottes. Wenn das Endliche nur in der Unendlichkeit verschwinden würde, um sich wieder herzustellen, wie dies im unendlichen Progreß geschieht, dann wäre Gott nicht unendlich erhaben über die Welt. Vielmehr muß die Unendlichkeit Gottes das Endliche in sich selbst setzen (XIII, 50.15, 333 f.). Sie ist die Einheit des Endlichen und des schlechten Unendlichen, die Aufhebung des endlosen Progresses (XIII, 51.15, 334 f.). Der unendliche Gott ist die Bewegung zum Endlichen und als Aufhebung des Endlichen die Bewegung in sich (XII, 146 f. 15, 209 f.). Das wahre Unendliche ist nicht nur die Negation des Endlichen, sondern auch affirmatives Sein (XII, 213). Darum setzt das wahrhaft gläubige Subjekt sich aktualiter als endlich (XII, 148.15, 208). Es weiß, daß es endlich ist, so wie die ganze Welt es ist, darum will es nicht sich selbst erhalten, sondern verzichtet auf seine unmittelbare Einzelheit (XII, 142.15,205. XII, 212). Die begriffliche Darstellung dieser gläubigen Erhebung vom Endlichen zum unendlichen Gott ist der Gottesbeweis, den wir bei der Erörterung des Begriffs des Daseins schon genannt haben. Hier ist dieser Gottesbeweis nur näher bestimmt (XII, 213). Weil der unendliche Gott objektiv betrachtet sich zur endlichen Welt bewegt, diese auf-

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hebt und sie in sich bewahrt, erhebt sich subjektiv betrachtet der gläubige Geist von seiner und der Welt Endlichkeit zur wahren Unendlichkeit Gottes, die kein bloßes Jenseits bleibt (XIII, 47.15, 330 f.). Wir verlassen damit die Sphäre des Seins, obwohl in Hegels Logik noch eine Fülle von Kategorien und dialektischen Beziehungen in dieser Sphäre erörtert wird. Für die Theologie aber findet sich kaum etwas Wichtiges darin. Daß z. B. Gott das Maß aller Dinge ist (8,253); oder daß auf Gott als Geist die Kategorie des Fürsichseins angewandt werden muß (11, 415), wird von Hegel in seiner Theologie nur am Rande berührt, etwa wenn er von der chinesischen Religion als der Religion des Maßes spricht (XIII, 108 f. 15, 324 ff.) oder bei dem Begriff des absoluten Geistes implicite immer wieder auch auf die Kategorie des Fürsichseins zurückkommt. Entscheidende Gesichtspunkte für die Theologie ergeben sich hier nicht. Dagegen ist die nächste Sphäre der Logik, die des Wesens, für den Gottesbegriff und die Theologie von höchster Bedeutung. Ihr wenden wir uns daher jetzt zu. 2. A b s c h n i t t Die Sphäre des Wesens A. Wesen und Erscheinung Wir verlassen also die Sphäre des logischen Seins und treten in die Sphäre des Wesens. Damit verändert sich das Verhältnis der logischen Kategorien zueinander. In der Sphäre des Seins gehen die Bestimmungen ineinander über, und sie gelten als qualitativ für sich bestehend. Das Dasein geht aus dem Werden hervor, das Endliche geht in das Unendliche über. Es gibt in dieser Sphäre kein Setzen. Anders wird es in der Sphäre des Wesens. Hier hat keine Bestimmung einen Sinn ohne die andere, eine Kategorie setzt die andere. Darum werden die Kategorien konkreter und wahrer (III, 109.4,138). Die Kategorien des Seins waren noch recht abstrakte Bestimmungen, wohl notwendige Kategorien des Endlichen und des Unendlichen, aber unseren religiösen Vorstellungen von Gott und Welt noch wenig entsprechend. Auch die Kategorien des Wesens werden den religiösen Vorstellungen noch nicht angemessen sein, aber sie werden der konkreten Wahrheit des Gottesbegriffs erheblich näher kommen. — In der Sphäre des Wesens regiert die Reflexion. Der Ausdruck, sagt Hegel, kommt vom Licht, das in einem Spiegel zurückgeworfen wird, so daß wir den Gegenstand doppelt sehen. Diese Bedeutung wird auf das

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Denken übertragen. Wenn wir über einen Gegenstand reflektieren, sehen wir ihn nicht als einen unmittelbaren, sondern als einen vermittelten an. Wenn man daher sagt: Die Dinge haben ein Wesen, so meint man, daß sie in Wahrheit nicht das sind, als was sie sich unmittelbar ausweisen (8, 262). Die Reflexion ist damit nicht nur eine Form unseres Denkens, sondern auch ein objektives Verhältnis der Seins-Kategorien zueinander. Alle Bestimmungen des Wesens sind reflektiert, und alle seine Begriffe sind Reflexionsbegriffe. Das heißt: Der Begriff A zwingt, den Begriff B zu denken und umgekehrt. Die Bestimmungen des Wesens sind durch das Wesen selbst gesetzt und bleiben in ihm aufgehoben (IV, 4 f. 4, 483 f.). Oder: Das Werden des Wesens ist die Bewegung, die zu sich selbst zurückkehrt (IV, 13. 4, 492 f.). Die Reflexion ist eine Bewegung durch unterschiedene Momente, die in sich reflektierte Bestimmungen sind (IV, 23. 4, 505). Die beiden grundlegenden Reflexionsbegriffe sind das Wesen und die Erscheinung. Von diesem Begriffspaar haben wir auszugehen, die folgenden Kategorien gehen aus ihm durch Analyse rein sachlich hervor. Wir fragen zuerst: Was bedeutet der Ausdruck „Wesen"? Die nächste Erläuterung dieses Begriffs ergibt sich aus seinem Verhältnis zum Sein. Betrachten wir die Kategorie des Seins ganz allgemein, so kommt uns die Frage: Was ist denn das Sein an und für sich? Was steckt hinter dem abstrakten Sein? Was ist die Wahrheit des Seins? (IV, 3.4, 481 f.). Die Antwort Hegels lautet: Das Wesen ist das Sein, das (rein logisch!) gewesen ist, es steht „hinter" dem Sein. Das Wesen ist das aufgehobene Sein (IV, 7. 4, 485). Das Sein hat das Wesen zu seiner Grundlage, es ist das in sich gegangene Sein (V, 127. 8, 262. XXI, 66 f. 3,116). Dies ist nun näher zu erläutern. Dann ergibt sich folgendes: Erstens: Das Wesen ist zunächst das Sein, das aufgehoben ist, dessen Momente, Bestimmungen negiert sind. Das Wesen ist das absolute Ansichsein, es ist gegen alle Bestimmungen des Seins gleichgültig und hat alle Beziehung zu anderem aufgehoben (IV, 3 f. 4, 482 f.). Aber das Wesen kann nicht nur das Ansichsein sein, wenn es wirklich das Wesen des Seins ist, sondern es muß ebenso das Fürsichsein sein als die Einheit mit sich in dem Unterschied von sich (IV, 5. 4, 483). Das Sein ist zu einem Negativen herabgesetzt, zu einem bloßen Schein. Der Schein ist nichts Unwirkliches, sondern gehört zum Wesen. Das Wesen scheint, und das Sein ist der Schein des Wesens. Die Reflexion des Wesens ist das Scheinen in sich selbst (V, 126 f. 8, 261 f.). Gegenüber dem Wesen ist das Sein bloßer Schein, aber dieser Schein ist nicht ein Nichts, sondern das Scheinen des Wesens selbst, das vom Wesen aufgehobene Sein (8,262). Das Wesen scheint, aber es

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scheine nicht in etwas völlig Anderes, als es selbst ist, sondern es scheint in sich, denn es ist ja das Wesen. Es bestimmt dabei sich, es setzt seine Bestimmungen als Reflexionsbestimmungen (XXI, 73. 3, 122). So stehen sich nun gegenüber Wesen und Schein. Was dem Wesen gegenüber steht, ist nur Schein, aber dieser Schein ist das eigene Setzen des Wesens. Im Gegensatz zum Wesen ist der Schein das Unwesentliche, denn es ist das aufgehobene Sein; aber das ist nur die eine Seite der Sache. Wäre das alles, so wäre das Wesen nur ein anders bestimmtes Sein (IV, 7 f. 4, 485 f.). Aber Sein und Dasein erhalten sich nicht als ein Anderes, sondern das Wesen ist die Negativität des Seins. Sein und Dasein sind gegenüber dem Wesen das Nichtige, das Un-Wesen, eben der Schein. Das ist alles, was vom Sein gegenüber dem Wesen übriggeblieben ist. Der Schein ist das unmittelbare Nicht-Sein, das Nicht-Dasein (IV, 8 f. 4,487 f.). Aber dieser Schein ist doch wiederum die Bestimmtheit des Wesens selbst, eine Bestimmtheit, die im Wesen aufgehoben ist. Seine Nichtigkeit ist die negative „Natur" des Wesens selbst. Das Sein ist ein Moment des Wesens. Die beiden Momente des Scheins, die Nichtigkeit als Bestehen und das Sein als Moment, sind Momente des Wesens selbst. Es ist der Schein des Wesens und von nichts anderem (IV, 11. 4,490). Der Schein ist das Wesen selbst in einer Bestimmtheit, ist sein Moment, und das Wesen ist das Scheinen seiner in sich selbst. In dieser seiner Selbstbewegung ist das Wesen Reflexion, das Selbständige, das sich mit sich selbst vermittelt (IV, 11 f. 4,491 f.). Zweitens: Dies ist die Kategorie des Wesens in ihrem Verhältnis zum Sein als Schein. Allein bei diesem Verhältnis können wir nicht stehenbleiben. Es ist zu wenig gesagt, daß das Wesen in sich scheint, denn das Wesen scheint nicht nur, sondern es erscheint auch. Weil das Wesen das sich aufhebende Sein ist, muß es erscheinen. Die Erscheinung ist das entwickelte Scheinen des Wesens (IV, 101.4,597). Das Wesen muß erscheinen, eben weil es Wesen ist; es muß das zur Erscheinung bringen, was es ist. Wesen und Erscheinung sind also Reflexionsbegriffe, das Eine setzt notwendig das Andere. Es ist, sagt Hegel, nichts in der Erscheinung, was nicht im Wesen ist, und nichts ist im Wesen, was nicht in die Erscheinung tritt (XXI, 149. 3,124). Die Welt als Erscheinung ist die Offenbarung des göttlichen Wesens, und wenn wir die ganze Erscheinung erfassen könnten, würden wir dies auch im einzelnen erkennen! Gott ist nicht jenseits von Wesen und Erscheinung, sondern Gottes Wesen erscheint in der Erscheinung der Welt (V, 139. 8, 298). — Die Erscheinung ist also das Sein, zu dem sich das Wesen selbst macht. Dies Sein als Erscheinung nennen wir die Existenz. Sie ist eine endliche Kategorie und gehört ganz und gar zur Erscheinung.

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Die Erscheinung ist die Einheit von Schein und Existenz (IV, 123.4, 623). Die Erscheinung ist die Existenz des Wesens. Auch Wesen und Existenz sind Reflexionsbegriffe. Das Wesen fordert die Existenz, und die Existenz fordert logisch das Wesen; die eine Kategorie ist nicht ohne die andere. Die Existenz hat ihren Grund nicht in sich selbst, sondern im Wesen, ist die Erscheinung des Wesens (V, 139. 8,298). Die Erscheinung ist das Existierende, das nicht an und für sich seiend, sondern im Wesen gegründet ist (XXI, 77. 3,124). Die Existenz hat im Wesen ihren Bestand und hat zu ihrer Grundlage ihre eigene Nichtigkeit (IV, 119. 4, 618). Die Existenz ist also etwas Gesetztes, und als gesetzte vom Wesen die Erscheinung (IV, 122.4,622). Das Existierende ist zwar, wie alles endliche Dasein, etwas Selbständiges, aber diese Selbständigkeit ist nur relativ, ist nur, wie Hegel sich ausdrückt, ein „wesentlicher Schein" (IV, 124 f. 4,624 f.). Das Erscheinende existiert so, daß sein Bestehen unmittelbar aufgehoben ist (V, 139. 8, 301). Darum besteht die erscheinende Existenz aus lauter Dingen, die sich auflösen. Die Dinge und ihre Eigenschaften sind das Sich-Auflösende, Nichtige, Veränderliche und Vergängliche, eben Erscheinung (IV, 109 ff. 4, 607 ff.). Drittens: Die Kategorie des Wesens, die wir entwickelt haben, ist eine neue Definition Gottes. Das Absolute ist das Wesen: Diese Definition ist höher als die, daß es das unendliche Sein ist. Aber Gott als das sog. „höchste Wesen" muß nun richtig bestimmt werden. Das höchste Wesen darf nicht als leere Bestimmungslosigkeit, als der leere Inbegriff aller Realitäten aufgefaßt werden. So faßt der Verstand (und die rationale Theologie) Gott als das Wesen auf. So aber wäre Gott nur eine Abstraktion (IV, 3 f. 4, 482 f.). Wir dürfen bei Gott als dem Wesen nicht von allen Prädikaten abstrahieren (V, 126. 8, 261). Von einer solchen Abstraktion weiß die Religion nichts. Es ist nicht richtig, zu sagen: Es gibt ein höchstes Wesen, denn das Wort Geben deutet auf etwas Endliches hin. Das, was es gibt, ist ein Etwas, außer dem und neben dem es auch noch Anderes gibt. Neben und außer Gott aber gibt es kein anderes Wesen. Man spricht zwar auch von endlichen Wesen, aber das ist uneigentlich gesprochen, das Wesen ist über allem Endlichen. Was es außer Gott noch gibt, hat in seiner Trennung von Gott keine Wesentlichkeit, sondern ist nur wesenloser Schein. Auch genügt es nicht, einfach von „höchsten" Wesen zu reden, denn der Ausdruck „höchst" ist ein quantitativer und gehört der Endlichkeit an. Gott ist nicht ein Wesen, das es gibt, und er ist nicht das höchste Wesen, sondern Gott ist das Wesen, die allgemeine Macht, der absolute „Herr" (8,264). So haben es die Bibel und der Islam erkannt (8, 265). Neben dem gött-

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liehen Wesen als Macht ist die existierende Welt bloße Erscheinung, der aber Gott die Freude des Daseins gönnt. Gott ist damit Gerechtigkeit und Güte zugleich (8, 299). Diese Kategorie des Wesens erschöpft den Begriff Gottes nicht, aber sie ist ein notwendiges Moment Gottes als „Idee" und darum eine Definition des Absoluten (8, 264). Dem göttlichen Wesen steht die Welt als Erscheinung gegenüber, eine existierende Welt, eine Totalität der Erscheinung, die unserem Bewußtsein als seiend und selbständig erscheint. Aber sie ist ohne eigenen Halt, vergänglich (V. 140.8,264.299 ff.). Darum weist die existierende Welt als Erscheinung in ihrer Vergänglichkeit und Unselbständigkeit, in ihrem „wesenlosen Schein" auf das göttliche Wesen hin, das als absolute Macht die Gerechtigkeit ist, die Aufhebung der Existenz; das aber in seiner absoluten Güte ihren Schein in die Unmittelbarkeit entläßt, den Momenten des Scheins in sich Existenz verleiht und also die Welt erschafft und erhält (8,299).

B. Grund und Existenz Die Kategorie des Wesens umschließt eine ganze Reihe von Kategorien, die ebenfalls Reflexionsbegriffe sind. Wir betrachten zuerst das nächste Kategorien-Paar, die Begriffe Grund und Existenz. Hier erscheint folgende Dialektik: Erstens: Das Sein hat einen „Hintergrund", es ist in einem Anderen als es selbst gegründet, So ist das Wesen der Grund. Alles hat einen zureichenden Grund, sagte Leibniz (XXI, 74. 3,123). Das bedeutet: Alles ist nicht ein seiendes Unmittelbares, sondern ein Gesetztes (IV, 65.4, 554). Das ist der berühmte Satz des Grundes, eine Denk- und Seinskategorie, die absolut denknotwendig ist. Der Grund ist das in sich seiende Wesen, und das Wesen ist wesentlich Grund von einem Anderen (V, 134. 8, 281). Der Grund ist eine Reflexion in sich und zugleich in Anderes und umgekehrt. Der Grund ist damit der Widerspruch, das Abstoßen seiner von sich selbst. Er ist nur Grund, sofern er etwas begründet, aber das aus dem Grunde Hervorgegangene ist er selbst. Der Grund und das Begründete ist ein und derselbe Inhalt (8, 282). Die Bestimmtheit des Wesens als Grund ist die des Grundes und des Begründeten, des Nichtgesetztseins und des Gesetztseins (IV, 66. 4, 555). — Indessen ist der Begriff des Grundes nicht eindeutig, wir müssen zwischen verschiedenen Arten des Grundes unterscheiden. Zuerst hat der Grund noch keinen bestimmten Inhalt, es lassen sich für ein und denselben Inhalt verschiedene Gründe anführen (8,283 f.).

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Die Entscheidung darüber, welche Gründe gelten sollen, fällt dann ins Subjekt, und das kann zur Sophistik führen. Mit Gründen läßt sich alles verteidigen und alles angreifen (8, 286 f.). Weil für alles ein Grund gefunden werden kann, ist jeder bestimmte Grund nur formell (V, 135. 8, 288). Gründe sind so nur etwas Subjektives, und wir befinden uns noch im Endlichen. Mit dem an und für sich seienden Wesen als Grund hat dies noch nichts zu tun (18, 469). Darum müssen wir die Kategorie des Grundes tiefer fassen. Wir suchen den Grund, der mit dem Wesen in Einheit ist, der sich selbst bestimmt (IV, 72.4, 562). Wir suchen das Unbedingte, weil nur dies dem Wesen entspricht. Das Unbedingte ist der absolute, mit seiner Bedingung identische Grund, die wahrhafte „Sache" (IV, 96 f. 4, 590 ff.). Zweitens: Nun ist auch der Grund ein ReflexionsbegrifF, ihm steht etwas gegenüber, das sein Anderes ist und mit dem er doch identisch ist. Aus dem Grunde geht etwas hervor, und das aus dem Grunde Hervorgegangene ist die Existenz, die wir bereits als mit der Erscheinung identisch erkannt haben. Der Grund setzt sich durch seine innerliche Bestimmung selbst in die Existenz (XXI, 76. 3,124). Der Ausdruck „Existenz" kommt von existere und deutet damit schon auf ein Hervorgegangensein. Die Existenz ist das aus dem Grunde Hervorgegangene. Sie ist die unbestimmte Menge von relativ Existierenden, eine Welt gegenseitiger Abhängigkeiten und eines unendlichen Zusammenhanges von Gründen und Begründetem (V, 135. 8, 288). Der Grund unterscheidet sich von sich selbst, hebt sich selbst auf, und das, wozu er sich aufhebt, das Resultat seiner Negation, ist die Existenz. Sie enthält den Grund in sich, und der Grund ist nur dies, sich in die Existenz zu setzen. Die existierende Welt ist eine unbestimmte Menge von Existierenden, die sich zueinander gegenseitig als Grund und Begründetes verhalten. In diesem bunten Spiel der Welt als Inbegriff des Existierenden zeigt sich nirgends ein fester Halt, alles ist nur relativ, bedingt durch anderes und anderes bedingend (8, 289). Alles, was ist, ist bedingt und hat seinen Grund; und alles, was ist, ist auch unbedingt und hat keinen Grund, weil die Existenz die Unmittelbarkeit ist, die aus der Aufhebung der Vermittlung durch Bedingung und Grund hervorgegangen ist (IV, 102.4, 598 f.). So ist die Existenz kein Prädikat des Wesens, sondern das Wesen als Grund geht in die Existenz über, die Existenz ist seine absolute Entäußerung. Aber eben darum ist das Wesen als Grund von seiner Existenz nicht unterschieden, sondern die Existenz ist die Reflexion des Grundes in sich (IV, 104 f. 4, 602). Grund und Existenz sind Reflexionsbegriffe und stehen sich genauso gegenüber wie Wesen und Erscheinung. Sie stehen sich aber nicht nur gegenüber, sondern

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sie sind nidit ohne einander. Der absolute Grund aber, der das Unbedingte und die Bedingung von allem zugleich ist, setzt den unendlichen Zusammenhang von existierenden Gründen und Begründetem oder die Welt der vermittelten Unmittelbarkeiten, die gesamte Existenz, die wir Welt nennen, und in dieser universalen Existenz erscheint nichts anderes als der absolute Grund (V, 134 f. 8, 287 f.). Drittens: Alles hat einen zureichenden Grund, das war der Satz des Grundes. Verstehen wir unter „alles" die Welt des unmittelbar Existierenden, so können wir sagen, daß alles auch keinen Grund hat und unbedingt ist. Verstehen wir aber unter „alles" die existierende Welt, die aus dem absoluten Grunde hervorgegangen ist, so gibt es nichts Unbedingtes in der Welt, sondern dann ist die ganze Welt absolut bedingt durch den absoluten Grund. Dieser ist dann der allein zureichende Grund der Existenz der Welt, und ohne ihn gäbe es kein weltliches Dasein. Gott als das absolute Wesen ist auch der absolute Grund der Welt. Weil die existierende Welt aus Gott als dem absoluten Grunde hervorgeht, von ihm gesetzt wird, ist sie an sich mit Gott identisch; aber weil diese Welt zugleich endliche Existenz ist, ist sie vom göttlichen Grunde unterschieden. Darum kann man wohl sagen, daß Gott der absolute Grund der existierenden Welt ist, aber man kann Gott nicht einfach mit der Welt in eins setzen, und man kann die Welt nicht aus Gott erkennen (4, 578 f.). Die Kategorie des absoluten Grundes ist eine Definition Gottes, aber sie erschöpft den Begriff Gottes ebensowenig wie die anderen Kategorien des Wesens. Der absolute Grund setzt zwar die existierende Welt, sofern beide Reflexionsbegriffe sind; aber eigentlich ist das Wort „setzen" noch zu früh verwendet, denn der absolute Grund ist weder schon Kausalität noch tätiger Zweck. Von solchen Kategorien sind wir hier noch entfernt. Die existierende Welt geht nur aus dem absoluten Grunde hervor, aber der absolute Grund schafft noch nicht die Welt. Wir befinden uns hier noch in der Sphäre einer pantheistischen Beziehung zwischen Gott und Welt. Aber darum ist die Kategorie des absoluten Grundes in ihrem Verhältnis zur Existenz nicht falsch, sondern sie ist ebenso denknotwendig wie die des Wesens überhaupt (V, 135. 8, 285). Das Verhältnis des absoluten Grundes zur existierenden Welt ist ein notwendiges Reflexions-Verhältnis. Die existierende Welt geht objektiv aus dem absoluten Grunde Gottes hervor; darum vermag sich der menschliche Geist subjektiv von der existierenden Welt und der eigenen endlichen Existenz zu Gott als seinem Wesen im Glauben und im Erkennen zu erheben (V, 135. 8,288 f.). — Der menschliche Geist muß vom Dasein der Welt als endlicher Existenz zum göttlichen Grunde zu-

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rückgehen. Das tut der religiöse Glaube unbewußt, die theologische Metaphysik bewußt, indem sie die Kategorien Grund und Existenz als Reflexionsbegriffe erfaßt (XXI, 74. 3,123).

C. Substanz und Akzidenz Das folgende Begriffs-Paar in der Sphäre des Wesens sind die Kategorien Substanz und Akzidenz. Ihre Analyse ergibt folgendes: Erstens: Das unbedingte Wesen, das wir als den absoluten Grund aller Existenz erkannt haben, muß als die Substanz bestimmt werden (XXI, 81.3,127). Die Substanz ist die Wirklichkeit, die sich selbst als Wirklichkeit setzt (V, 150. 8, 338). Zugleich setzt sie das nur Mögliche in die Wirklichkeit (IV, 187. 4, 700). Der Substanz stehen die Akzidenzen gegenüber. Die Substanz enthält ihre Attribute in sich und setzt sie als ihre Akzidenzen. Werden die Akzidenzen aufgehoben, so verschwindet damit die Substanz nicht, sondern kehrt nur in sich zurück (XXI, 247. 3,179). Die Substanz ist so die Totalität der Akzidenzen, in denen sie sich als die absolute Macht und als der Reichtum allen Inhaltes offenbart. Der Inhalt ist nichts als die Manifestation der Substanz (V, 150. 8, 338). Die Akzidenzen bewegen sich, aber ihre Bewegung ist nur das ruhige Hervorgehen der Substanz selbst. Die Akzidenzen sind daher unselbständig, relativ, sie haben keine Macht über einander, sondern die einzige Macht ist die Substanz (IV, 186 f. 4, 699 f.). So ist die Substanz die ganze, alles in sich befassende Wirklichkeit, außer welcher nichts ist oder besteht. Die existierenden Dinge der Welt sind ihre Manifestation, gehen aus ihr hervor und in sie zurück. Sie ist das Beständige und das Beharrliche, die Dinge sind der unaufhörliche Wechsel, eben Akzidenzen. Als die Macht ist die Substanz also das Sein in allem Sein, das an und für sich seiende Bestehen. Sie hat dabei ein doppeltes Gesicht: Sie ist schaffend und zerstörend zugleich, beides noch implicite, nicht explicite gedacht, weil die Kausalität noch nicht hervorgetreten ist. Als die schaffende Macht setzt die Substanz das Mögliche in die Wirklichkeit; als zerstörende Macht setzt sie das Mögliche wieder in ihr Recht ein, indem sie die Wirklichkeit zur bloßen Möglichkeit zurückführt. Beides, das Schaffen und das Zerstören, ist aber im Grunde ein und dasselbe, denn alles Schaffen ist auch zerstörend, und alle Zerstörung ist auch schaffend (IV, 185 f. 4,698 f.). Zweitens: Aus dem Gesagten ergibt sich, sagt Hegel, daß auch die Kategorie der Substanz eine Definition Gottes ist. So erkennt der religiöse

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Glaube das göttliche Wesen: Gott ist die Wahrheit alles Existierenden, die absolute Substanz aller akzidentellen Existenzen. Das Bild des Absoluten strahlt in das Dunkel der zeitlichen Gegenwart hinein als die konkrete, gegenwärtig wirksame Substanz (XII, 2 ff.). In aller Entwicklung tritt Gott nicht aus seiner Einheit mit sich heraus. Auch wenn er die Welt erschafft, also neben sich ein Anderes setzt, bleibt er die eine substantielle Wirklichkeit (XIII, 192.15,106 f.). Alle Unterschiede bleiben in dieser einen Substanz eingeschlossen. Sie ist der unendliche Quellpunkt, aus dem alles hervorgeht und in den alles zurückgeht und ewig darin behalten ist, der absolute Mutterschoß (XIII, 194.15,108 f.). Alles Besondere ist gegenüber dieser allgemeinen Substanz nur ein Akzidentelles und Nichtiges (XIII, 105.15, 324). Nur Gott ist, nur er ist wahrhaft wirklich, während die akzidentelle Welt ihm gegenüber kein wahrhaftes Sein besitzt. Diese Substantialität Gottes wird in der Religion durch die Vorstellung der Allgegenwart ausgedrückt. Gott ist allgegenwärtig, also wirklich, aber nicht neben den Dingen, sondern in den Dingen. Ist aber Gott in den Dingen wirklich, dann sind die Dinge eben nicht wirklich, sondern Gott allein ist das Bestehen der Dinge (XIII, 128 f. 15,406 f.). Das haben die Religionen früh erkannt. Schon die primitive Naturreligion kennt die Substanz als ein bewußtloses Wirken (XIII, 126.15, 404). In der indischen Religionswelt ist Brahm die eine, einfache, absolute Substanz (XIII, 152). Sie wird als die Wirklichkeit unterschieden von der akzidentellen Welt, als die Macht, die alles schafft und erhält. Überhaupt ist für die orientalische Weltanschauung charakteristisch, daß sie die eine Substanz in allem sucht und sie in alle Pracht des Universums kleidet (XIV, b. 127 f. 16, 507 f.). Auch in der Metaphysik gibt es Systeme der Substantialität, so der Spinozismus (XIII, 129.15, 408). Hegel meint: Zu dem Begriff der Substanz muß jeder Denker kommen, der in die Metaphysik tiefer eindringt. Wenn man anfängt, ernsthaft zu philosophieren, ist man zuerst Spinozist. Die Seele muß sich in diesem Äther der einen Substanz baden, in der alles, was man für wahr gehalten hat, untergegangen ist (19, 376). Freilich ist die Kategorie der absoluten Substanz nicht erschöpfend, sie ist nur ein, wenn auch ein notwendiges Moment im Gottesbegriff. Der absoluten Substanz fehlt noch das Prinzip der Persönlichkeit (IV, 165 f. 4, 672 f.). In allen orientalischen Systemen ist die absolute Substanz noch nicht eigentlich schöpferisch, sondern es geht alles nur in diese ewige Einheit zurück (XIV, b. 129.16,510). In der Substanz ist das Selbstbewußtsein untergegangen (II, 19. 2, 22). Gott ist selbstverständlich viel mehr als die absolute Substanz, er ist Subjekt, Person, Geist (20, 332 f.). Die Substantialität ist nur

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eine Grundlage des Gottesbegriffs (XII, 191.15,105). Aber in der Sphäre des Wesens kann der Begriff der Persönlichkeit ja noch gar nicht erscheinen, darum ist es unbillig, ihn hier zu fordern. Weil aber Gott dennoch die absolute Substanz ist, kann und muß der menschliche Geist sich von der akzidentellen Welt zu Gott als Substanz erheben (XII, 190 f. 15,105 f.). Und dasselbe tut auch die Metaphysik (XIV, b. 129.16, 509 f.). Weil objektiv die göttliche Substanz die Dinge der Welt als Akzidenzen setzt und in sich aufhebt, erhebt sich subjektiv der menschliche Geist vom akzidentellen Dasein der Welt zur absoluten Substanz Gottes. Drittens: Die Theologie hat sich gegen die Anwendung der Kategorie der Substanz gesträubt, weil sie den sog. Pantheismus fürchtete. Nicht nur Spinoza, sondern auch Hegel hat man Pantheismus vorgeworfen und tut dies sogar heute noch. Hegel hat nicht nur Spinoza gegen diesen Vorwurf verteidigt, sondern auch für seine Philosophie die Kennzeichnung „Pantheismus" scharf abgelehnt. Der eigentliche Pantheismus, sagt Hegel, behauptet, daß Alles, dies Universum, diese einzelnen Dinge in ihrer empirischen Existenz Gott seien. Dann sind nicht nur alle Dinge in ihrer unmittelbaren Existenz, sondern auch der Mensch als Dieser göttlich (XII, 254 f.). Aber ein solcher Pantheismus ist streng genommen nirgendwo vertreten worden, weder in der Religion noch in der Philosophie. Es ist nie einem Menschen eingefallen, zu sagen: Alles, d.h. die Dinge in ihrer Einzelheit, Zufälligkeit, sei Gott. Viel weniger ist dies von einer Philosophie behauptet worden (XII, 195.15,109 f.). Eine solche Ungereimtheit findet sich nur in den Köpfen der Ankläger des Pantheismus (XIV, b. 127 f.). Auch Spinoza hat es nicht so gemeint. Er leugnete nicht Gott, denn Gott ist ihm das allein wahrhafte Seiende, sondern er leugnete die Welt als wahre Wirklichkeit (8,339 f.). Gott ist das Allgemeine in Allem, das Wesen der Dinge, aber das endliche All ist nicht wirklich. (XII, 195 f. 15,110 f). Gott ist die Substanz, die endliche Welt ist Akzidenz. Das ist, sagt Hegel, nicht Pantheismus, sondern Akosmismus. So sehr ist nur Gott, daß gar keine Welt wirklich ist (XII, 197). Das begreifen die Gegner nicht, sie werfen Spinoza Allgötterei oder gar Atheismus vor, obwohl bei ihm alles Besondere, Einzelne in der allgemeinen Substanz verschwunden ist (XIII, 128.15, 406). Die Gegner kommen von der bleibenden Realität der endlichen Dinge nicht los (20,118 f.). Die Einheit Gottes mit der Welt, wie sie Spinoza lehrt, wäre nur dann eine Verendlichung Gottes, wenn die Welt eine affirmative Realität wäre, aber gerade das ist bei Spinoza nicht der Fall. Nur Gott ist, er ist die absolute Substanz, und die Welt ist gar nicht (V, 77 f. 8,147 f.). Die Zweideutigkeit, die im Begriff des Pan-

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theismus liegt, hängt mit dem Begriff „Alles" zusammen. Das Wort kann bedeuten Alles und Jedes in seiner empirischen Einzelheit. In diesem Sinne heißt es dann, der Pantheismus mache alles zu Gott. Das ist aber nicht richtig. Das Alles im Pantheismus ist nicht dieses oder jenes Einzelne, sondern das eine Substantielle, das zwar dem Endlichen immanent ist, aber mit Abstraktion von der empirischen Realität des Einzelnen, so daß nur das Allgemeine und Wahre bleibt (12,486). Das Endliche ist Erscheinung, Manifestation des Einen, und die Dinge nach ihrer Endlichkeit sind nicht Gott. Um das zu verstehen, muß man von der Absolutheit des Endlichen losgekommen sein (XIV, b. 129.16, 509 f.). Sieht man die Dinge in ihrer unmittelbaren Existenz als göttlich an, so wird Gott allerdings verendlicht, und das ist dem Begriff Gottes nicht angemessen. Es widerspricht auch dem Gottesbegriff, wenn das einzelne Selbstbewußtsein unmittelbar als göttlich angesehen wird. Dann wäre das Ich eine aktuelle Existenz Gottes. Das ist eine Gottes unwürdige Ansicht. Wer Spinoza und auch Hegel so interpretiert, hat sie gründlich mißverstanden (XII, 254 f. 15, 225 f.). Der wahre Pantheismus, wenn man ihn so nennen will, ist das Wissen um die absolute Substanz Gottes, neben der alles Besondere keine Selbständigkeit hat. Ist Gott das All, so sind die einzelnen Dinge absorbiert (XIII, 127. 15,406 f.). In diesem Sinne ist alle Philosophie pantheistisdi (18,437). Allerdings werfen die Theologen auch der Philosophie des Geistes überhaupt Pantheismus vor, ohne zu bedenken, daß der Begriff des Geistes als das dialektische Unterscheiden und die Aufhebung des Unterschieds über solche Begriffe wie „Pantheismus" hoch erhaben ist. Die Gegner verstehen den geistesphilosophischen Begriff der Einheit nicht (XIII, 53). Sobald man Gott als Geist versteht, ist von Pantheismus keine Rede mehr (XII, 256). Doch diese Einsicht gehört an das Ende des Systems der Theologie!

D. Ursache und Wirkung Wir haben bei den bisherigen Kategorien des Wesens das eigentlich schöpferische Prinzip vermißt, jedenfalls trat es explicite noch nicht hervor. Die Reflexionsbegriffe forderten sich gegenseitig, aber von einem „Schaffen" konnte noch nicht die Rede sein. Wir nähern uns nun dem schöpferischen Prinzip, indem wir das nächste Begriffs-Paar betrachten, die Kategorien Ursache und Wirkung. Hierbei kommen wir zu folgenden Analysen: Erstens: Die absolute Substanz, sagt Hegel, ist für sich seiend und mächtig, sie ist in sich reflektiert, bezieht sich auf sich selbst und bestimmt 8 Schmidt, Hegel

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sich zur Akzidentalität. Damit ist schon die Kategorie der Kausalität ausgesprochen, denn eine Macht, die setzt, bestimmt und bezieht, ist Kausalität (IV, 188.4, 701. V, 151. 8,341). Indem die absolute Substanz sich im Entstehen und Verschwinden der Akzidenzen manifestiert, ist sie tätige Substanz oder die Ursache (XXI, 83. 3,128). Die Substanz bestimmt sich, d. h. sie stößt sich von sich selbst ab und ist dadurch absolute Aktuosität. So setzt sie die Akzidenzen als Wirkungen (IV, 189. 4, 702). Damit ist die Substanz zur Ursache geworden und ihr Inhalt wird zu einem Gesetzten (XXI, 83. 3,128). Anders gesagt: Die absolute Substanz ist die sich selbst aufhebende Vermittlung. Wenn Etwas durch ein Anderes vollständig vermittelt ist, ist dies Andere seine Ursache, und die Ursache ist dann die urspüngliche Sache (XIV, b. 130.16, 510 f.). So wird die absolute Substanz zur absoluten Ursache, indem sie gegen ihr Übergehen in die Akzidentalität in sich reflektiert und so die urspüngliche Sache ist, zugleich aber die Reflexion in sich aufhebt, sich als das Negative ihrer selbst setzt und so eine Wirkung hervorbringt. Dies ist eine Wirklichkeit, die gesetzt und durch den Prozeß des Wirkens notwendig ist. Als die urspüngliche Sache hat die Ursache die absolute Selbständigkeit und das gegen die Wirkung sich erhaltende Bestehen; aber in der Notwendigkeit geht sie in die Wirkung über (V, 151. 8, 341). Auch Ursache und Wirkung sind demnach Reflexionsbegriffe; sie haben beide nur einen Sinn in ihrer Beziehung zueinander. Die Ursache geht nicht darüber hinaus, eine Wirkung zu haben, sie ist vermittelt durch die Wirkung, in und durch die Wirkung ist sie erst Ursache. Sie ist zwar die urspüngliche Sache, aber vor ihrer Wirkung ist sie nicht Ursache (XIV, b. 130 ff. 16, 511 ff.). Es ist nichts in der Wirkung, was nicht in der Ursache ist, und die Ursache ist Ursache nur in der Wirkung (XXI, 83. 3,128). Es ist kein Inhalt in der Wirkung, der nicht in der Ursache wäre. Die Ursprünglichkeit der Ursache wird in der Wirkung aufgehoben, in der sie sich zu einem Gesetztsein macht, aber die Ursache verschwindet nicht, so daß die Wirklichkeit nunmehr nur Wirkung wäre, denn das Gesetztsein ist ebenso unmittelbar aufgehoben. Die Ursache reflektiert in sich selbst, und in der Wirkung erst ist die Ursache wirklich Ursache (V, 151. 8, 342). Die Wirkung ist die Manifestation der Ursache, ist die Notwendigkeit selbst, welche die Ursache ist. Die Ursache ist bewegend, aus sich selbst anfangend, ohne von einem Anderen dazu sollizitiert zu werden; sie ist die selbständige Quelle des Hervorbringens aus sich; sie muß wirken. Und die Wirkung enthält nichts, was nicht in der Ursache ist, und umgekehrt. Die Ursache ist nichts als die Bestimmung, eine Wirkung zu haben, und umgekehrt (IV, 190 f. 4, 703 f.).

Ursache und Wirkung

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Zweitens: Die beiden Begriffe Ursache und Wirkung zeigen noch eine weitere Beziehung. Die Ursache geht in die Wirkung über. Aber die Wirkung ist selbst eine Ursache. Das, was Wirkung ist, ist auch Ursache, und das, was Ursache ist, ist auch Wirkung. Die Wirkung ist also auch Rückwirkung. So entsteht eine doppelte Bewegung: Einmal der Regreß der Reihe von Ursachen und Wirkungen ins Unendliche, zum ändern der Progreß derselben wiederum ins Unendliche (XXI, 83 f. 3,128 f.). Die Ursache erlischt in der Wirkung, aber damit erlischt auch die Wirkung, denn sie ist ja nichts weiter als die Manifestation der Ursache (IV, 191. 194. 4, 704. 708). Aber die Wirkung wird wieder zur Ursache, und diese Ursache geht wieder in die Wirkung über. Der unendliche Regreß und Prozeß der Ursachen und Wirkungen, die ineinander übergehen, erlöschen und wieder entstehen, von Wirkung und Gegenwirkung — das macht, sagt Hegel, das sog. Kausalitätsverhältnis aus (IV, 196 f. 4, 711). Dies Verhältnis ist, wie der Regreß und der Progreß ins schlechte Unendliche zeigen, ein endliches Verhältnis. Der Inhalt ist endlicher Art, und Ursache wie Wirkung erscheinen, obwohl sie Reflexionsbegriffe sind und ineinander übergehen, dennoch auch als selbständige Existenzen (V, 152. 8, 342 f.). Ist das Kausalitätsverhältnis endlich, so ist es nicht das wahre Verhältnis. Die schlechte Unendlichkeit des Kausalitätsverhältnisses hebt sich auf in der Wechselwirkung. In ihr ist das geradlinige Hinausgehen des Regresses und des Progresses in sich umgebogen und zurückgebogen. In ihr ist an jedem Moment, an der Ursache wie an der Wirkung, auch das andere Moment gesetzt. Jede der gesetzten Bestimmungen wird im Wechsel auch wieder aufgehoben und in die entgegengesetzte Bestimmung verkehrt (V, 153 f. 8, 344 f.). Damit erst ist das Kausalitätsverhältnis in seiner vollständigen Entwicklung gesetzt als die Wahrheit des Verhältnisses von Ursache und Wirkung (8, 346). Jedes Moment ist gegen das andere zugleich aktiv und passiv, daher hebt sich der Unterschied zwischen ihnen auf. Die Wechselwirkung ist somit die Kausalität selbst (IV, 202 f. 4, 718 f.). Drittens: Damit ist erwiesen, daß die absolute Substanz im Grunde dynamisch ist, daß sie wirkt. Das Substanzverhältnis ist in Wahrheit ein Kausalitätsverhältnis. In der Ursache wird die Substanz wirksam, geht in die Wirkung über und erlischt in ihr, stellt sich aber sofort wieder her, denn die Wirkung erlischt wieder in der Ursache. So entsteht die schlechtunendliche Kausalreihe vorwärts und rückwärts, und diesen Widerspruch der Kausalität hebt die Wechselwirkung auf, die Kausalität kehrt in ihren Anfang zurück, es entsteht ein Kreislauf. In der Wechselwirkung kehrt

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Das theologische System

die Ursache zu sich selbst zurück. Sie verwirklicht sich in der Wirkung selbst. Dies Wirken der Ursache ist daher Selbstverwirklichung. Damit aber vollendet sich der Kausalbegriff: Die Ursache produziert sich selbst. Und das ist die absolute, unendliche Ursache, in der Ursache und Wirkung identisch sind. Solange die Ursache noch ein Anderes sich gegenüber hat, eine Wirkung, in der sie teils erlischt, teils sich wieder herstellt, ist sie eine endliche Ursache. Nun aber ist das Andere der Ursache die Wirkung, in ihrer Selbständigkeit aufgehoben, die Ursache ist Ursache ihrer selbst oder causa sui (19, 379). Diese Kategorie der causa sui ist eine neue Definition Gottes. Solange wir es nur mit der endlichen Kausalreihe zu tun haben, ist es nicht statthaft, diese Kategorie auf Gott anzuwenden, denn dann stehen sich Gott als Ursache und die Welt als Wirkung gegenüber, und das ist ein endliches Verhältnis (20, 336 f.). Weil Kant nur die endliche Ursache kannte, weigerte er sich, sie auf Gott zu beziehen. Aber die Kategorie der causa sui ist keine immanente Kategorie mehr, in ihr ist das endliche Verhältnis aufgehoben, Ursache und Wirkung sind in Gottes Lebendigkeit eins (6, 343). E. Zufälligkeit und Notwendigkeit Mit der Kategorie der absoluten Ursache, welche die Mitte und den Gipfel aller Kategorien des Wesens darstellt, ist endlich, wie der gleich folgende kosmologische Gottesbeweis zeigt, das Begriffspaar Zufälligkeit und Notwendigkeit eng verbunden: Erstens: Das Zufällige ist das Wirkliche als bloße Möglichkeit — es kann sein, es kann aber auch nicht sein (V, 147. 8, 325 f.). Das Zufällige ist das bloß Mögliche, weil es seinen Grund nicht in sich, sondern in einem Anderen hat (8,326). Das Zufällige ist grundlos. Zugleich aber ist es in einem Anderen gesetzt, hat also doch einen Grund. Es hat keinen Grund, weil es zufällig ist, und es hat doch einen Grund, eben weil es zufällig ist. Das Zufällige ist damit die Unruhe des Werdens dieser beiden Bestimmungen, und ihre Identität ist die Notwendigkeit (IV, 173 f. 4, 683 f.). Die Zufälligkeit geht in die Notwendigkeit über. Sie ist eine unmittelbare Wirklichkeit, ein Gesetztsein, das ebenso auch aufgehoben ist. Als das unmittelbare Dasein ist die Zufälligkeit zugleich Möglichkeit. Wird die Möglichkeit aufgehoben, so geht eine neue Wirklichkeit hervor. Sind alle Bedingungen erfüllt, so muß eine Sache wirklich werden. Die Einheit der Möglichkeit und der Wirklichkeit aber ist die Notwendigkeit (V, 147 f. 8, 329 f.). Etwas ist notwendig, weil es ist, und zwar durch sich selbst.

Zufälligkeit und Notwendigkeit

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Was nur durch Anderes ist, ist zufällig. Die Notwendigkeit aber ist nicht abhängig von Umständen und Bedingungen, aus denen die Sache hervorgeht, sondern die Sache selbst setzt ihre Bedingungen, aus denen die Möglichkeit sich verwirklicht. Sie ist nur durch sich selbst bedingt. Das Notwendige ist das, was es ist, durch sich selbst. Das Notwendige ist die einfache Beziehung auf sich, in der das Bedingtsein durch Anderes wegfällt (8, 331). Das Notwendige ist einfach, und dies Seiende ist selbst das Notwendige (IV, 175.4,684 f.). — Hierbei müssen wir aber, sagt Hegel, unterscheiden zwischen einer äußeren, relativen und einer inneren, absoluten Notwendigkeit. Die äußere Notwendigkeit ist im Grunde noch eine Zufälligkeit. Wenn ein Etwas von einem Anderen abhängig ist, so ist es wohl notwendig, denn wenn diese oder jene Umstände konkurrieren, dann muß eben dies oder jenes herauskommen. Aber diese Umstände selbst sind solche, die sein können oder auch nicht. Diese Notwendigkeit ist also nur eine relative, sie hat noch den Wert einer Zufälligkeit. Man kann wohl beweisen, daß dies oder jenes notwendig ist, so geschehen mußte, aber die Umstände bleiben zufällige (XIII, b. 24 f. 16,21). Was notwendig ist, kann zwar nicht anders sein, aber diese Notwendigkeit hat eine zufällige Voraussetzung, ist irgendeine beschränkte Wirklichkeit (IV, 178 f. 4,689 f.). Von dieser nur äußeren, relativen Notwendigkeit ist die innere, absolute zu unterscheiden. Bei dieser Notwendigkeit sind die Umstände und das Resultat eins. Hier ist eine Voraussetzung nicht zufällig und nur das Resultat notwendig, sondern hier resultiert nur das, was schon gesetzt worden ist. Was vorausgesetzt war, das kommt im Resultat auch hervor, das geht mit sich selbst zusammen (XIII, b. 25.16, 22). Diese Notwendigkeit also setzt ihre Bedingungen selbst voraus, sie werden durch die Einheit gesetzt. Die Einheit wirft sich gleichsam hinaus, zerstreut sich in die Umstände, ihre Bedingungen, diese heben sich auf, und das Resultat tritt hervor als die Sammlung dessen, was die Umstände enthalten (XIII, b. 26. 16, 22). Bei dieser Notwendigkeit ist so die Vermittlung mit Anderem zugleich die Vermittlung mit sich. Eine solche Notwendigkeit ist nicht mehr relativ, sondern absolut (XIV, b. 93 f. 16, 470). Sie enthält den Zusammenhang mit Anderem in sich selbst, ist ideelles Unterscheiden in sich selbst. Sie biegt das Verhalten zu Anderem in ein Verhalten zu sich selbst um und bringt damit die Übereinstimmung mit sich selbst hervor, so daß das Andere kein Seiendes bleibt (XIV, b. 96.16, 417 f.). Diese Notwendigkeit allein ist wirklich nur darum, weil sie ist! Sie hat außer sich keine Bedingung und keinen Grund, sondern sich selbst zur Bedingung und zum Grunde (IV, 182 f. 4, 694).

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Das theologisdie System

Zweitens: Diese absolute Notwendigkeit, die ihre eigene Voraussetzung und ihr eigenes Resultat ist, ist keine endliche Kategorie mehr, keine Kategorie der Welt. Die Kategorien der Welt sind Möglidikeit, Zufälligkeit und relative Notwendigkeit. Sie gehören zum Dasein, zur Existenz, und sind immanente Begriffe. Die absolute Notwendigkeit aber ist ein transzendenter Begriff und gehört in die intelligible Sphäre. Darum ist sie auch eine Definition Gottes. Es ist nach den verschiedenen Definitionen Gottes, die wir schon gehabt haben, die nächst höhere Definition, und wieder keineswegs eine erschöpfende! Sie ist schon darum nicht erschöpfend, weil sie der Sphäre des Wesens angehört und ein unpersönlicher Reflexionsbegriff ist (IV, 183.4, 694). Die absolute Notwendigkeit ist blind, ihr fehlt noch die Subjektivität und die Kategorie des Zweckes, das Bewußtsein (8, 331). Weil sie blind ist, begreift sie noch nicht und wird nicht begriffen. Dennoch ist die absolute Notwendigkeit eine Definition Gottes, denn wenn die Religion von der Allmacht Gottes und von seinen unverbrüchlichen Ratschlüssen redet, denkt sie implicate die Kategorie der absoluten Notwendigkeit. Bei Gott ist kein Zufall, was er tut, ist absolut notwendig. Er ist das Schicksal (8, 332 f.). Es gibt religiöse und philosophische Vorstellungen, die über das Schicksal, also die Kategorie der Notwendigkeit, nicht hinauskommen (XIV, b. 124.16, 504). Mag also die Notwendigkeit noch blind sein, ein Moment im göttlichen Wesen ist sie doch. Gott ist die absolute Notwendigkeit, und das zu erkennen ist ein wesentlicher Standpunkt, wenn auch nicht der höchste (XIII, b. 26 f. 16, 22 f.). F. Der kosmologische Gottesbeweis a) Darstellung des traditionellen Beweises Auf den Kategorien aus der Sphäre des Wesens bauen sich die verschiedenen Formen des kosmologischen Gottesbeweises auf. Es gibt ihrer eine ganze Reihe. Das Altertum, das Mittelalter und die theologische Metaphysik vor Kant haben mehrere kosmologische Argumente formuliert, die aber alle ein und denselben Gedankengang mit Hilfe der Kategorien des Wesens variieren. Kant hat diese Argumente zu einem ganz kurzen Beweis zusammengefaßt, den er dann kritisiert. Hegel geht von der Kantischen Formulierung des Beweises aus, weshalb wir uns hier auf sie beschränken können. Die Kant-Hegelsche Darstellung des kosmologischen Gottesbeweises

Darstellung des traditionellen Beweises

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besagt folgendes: Kant erklärt: Wenn ein Etwas existiert und als ein Zufälliges bestimmt ist, so muß auch ein schlechterdings notwendiges Wesen existieren. Nun existiere zum mindesten ich selbst. Also existiert ein absolut notwendiges Wesen (XIV, b. 138.16, 438). Hegel gibt dazu die Erläuterung: Der Ausgangspunkt des Beweises sind die endlichen Dinge in der Welt, das Aggregat dieser Dinge, der Zusammenhang dieser unendlichen Menge von Existierenden, deren jedes als für sich seiend vorgestellt wird. Die Welt wird als ein Aggregat betrachtet, noch nicht als eine geordnete Natur, als ein Kosmos, als ein systematisches Ganzes. Das kosmologische Argument hat nur mit dieser bunten Welt des Mannigfaltigen, Vielgestalteten und Vielen, dieser unendlichen Menge von Bestimmtheiten des Daseins zu tun (XIV, 80.16, 427). Und diese Welt wird nun als ein zufälliges Sein erkannt und die endlichen Dinge als zufällige Dinge (XIII, 53 f. 15, 335). Die endlichen Dinge sind zufällig, denn sie stehen vereinzelt, und der innere Zusammenhang mit den anderen Dingen fehlt (XIV, b. 92.16,468). Die Welt ist also ein Aggregat zufälliger Erscheinungen. Alles in der Welt ist zufällig (XII, 211). Die einzelnen Dinge entstehen nicht aus sich selbst und vergehen nicht durch sich selbst, sondern sie werden durchweg von Anderem bestimmt, wodurch sie bedingt und unselbständig sind. Und auch der Zusammenhang zwischen den Dingen in der Welt ist zufällig. Gewiß geschieht letztlich nichts ohne einen Grund, auch jeder Zufall hat einen, wenn auch uns nicht bekannten Grund. Aber das folgt nicht aus einem erkannten Zusammenhang der Dinge, sondern aus einem äußeren, scheinbar grundlosen Zusammentreffen der Umstände (XIV, b. 88 f. 16, 463 f.). — Darum hat das ganze Welt-Dasein nur den Wert einer Möglichkeit, es kann sein und es kann auch nicht sein. Zufälligkeit und Möglichkeit sind nur dadurch unterschieden, daß dem Zufälligen doch ein Dasein zukommt, während das Mögliche nur die Möglichkeit zu einem Dasein hat (XIV, b. 95.16, 471). — So steht das Zufällige nicht auf sich selbst, es kann nicht aus sich selbst erklärt werden. Die Welt ist kein notwendiges, sondern ein gesetztes Sein. Die Welt hat in einem Anderen, Notwendigen ihren Grund, sie fordert ein in sich selbst notwendiges Wesen (XIV, b. 79. 88.16,426.463). In der Welt ist ferner eine unendliche Kette von Ursachen und Wirkungen, die alle endlich sind. Die Welt fordert daher auch eine absolut notwendige Ursache, ein Sein, das seinen Grund nicht in einem Anderen, sondern in sich selbst hat, zugleich aber der absolute Grund von allem Anderen ist (XIII, b. 20 f.). Dies absolut notwendige Sein, dieser absolute Grund, die absolute Ursache ist Gott. Er allein ist das wahre, unendliche Wesen, die absolute Notwendigkeit als

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Das theologische System

Ursache und Grund der Welt (XIV, b. 80 f. 16, 427 f.). Das ist, ausführlicher dargelegt als Kant es tut, der kosmologische Gottesbeweis e contingentia mundi.

b) Kants Kritik am Beweise Gegen diesen Gottesbeweis erhebt Kant gewichtige Argumente: Er gibt zwar zu, daß die Folgerung von einer zufälligen Existenz auf die notwendige Existenz Gottes ein ganz natürlicher Schluß sei (XIV, b. 136.16, 436), aber er hält den Beweis dennoch für verfehlt. Erstens: Kant erklärt erstens, daß der kosmologische Beweis in Wahrheit gar kein selbständiger Beweis sei, sondern auf dem ontologischen Argument beruhe. Das absolut notwendige Wesen kann nur auf eine Weise als notwendig bestimmt werden, nämlich als das allerrealste Wesen. Der empirische Grund des Beweises, die zufällige Existenz, kann für sich allein nicht zeigen, was das gesuchte notwendige Wesen für Eigenschaften habe. Darum sieht die Vernunft vom empirischen Grunde ganz ab und forscht hinter lauter Begriffen, was ein notwendiges Wesen wohl für Eigenschaften habe (XIV, b. 138 f. 16,439). Indem die Vernunft so rein begrifflich weiter schließt, gelangt der Beweis zum Begriff des allerrealsten Wesens, welches auch das absolut notwendige Wesen ist. Dies aber ist ein Blendwerk des Schließens. Denn der Begriff des allerrealsten Wesens ist das Subjekt des ontologischen Gottesbeweises. Und ein absolut notwendiges Wesen braucht gar nicht zugleich das allerrealste Wesen zu sein. Wenn man diese Identität behaupten wollte, so ließe sich der Satz auch umkehren: Das allerrealste Wesen ist auch das absolut notwendige Wesen, und das ist eben das ontologische Argument (XIV, b. 141.16, 442). Zweitens: Der zweite Einwand Kants gegen den kosmologischen Gottesbeweis lautet: Der Beweis schließt vom Zufälligen in der Welt auf eine erste Ursache. Ein solcher, so meint Kant, ist nur in der Sinnenwelt möglich, nicht aber im Intelligiblen und Transzendenten. Beim endlichen Sein und bei endlichen Ursachen kann man so schließen, aber es ist nicht möglich, in der Sinnenwelt zu einer absolut ersten Ursache zu gelangen. Der Begriff der Zufälligkeit ist also nicht imstande, den synthetischen Satz der Kausalität hervorzubringen (XIV, b. 143.16, 444 f. XIII, b. 21). Es ist die Grundvoraussetzung der Vernunftkritik, daß unser Denken nicht über die sinnliche Erscheinungswelt mit Hilfe der Verstandeskategorien hinausgehen darf (XIV, b. 143.16, 445).

Hegels Antikritik

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Drittens: Kant wirft weiter dem kosmologischen Beweise vor, daß er bei seinem Schluß alle Bedingungen wegschaffe, um die Reihe der Bedingungen und des Bedingten zu vollenden und zu einem Unbedingten zu gelangen. Ohne Bedingungen aber, meint Kant, gäbe es keine Notwendigkeit. Indem der kosmologische Beweis alle Bedingungen wegschaffe, hebe er faktisch auch die Notwendigkeit auf, denn das eine steht und fällt mit dem anderen (XIV, b. 145.16, 447). Viertens: Schließlich versucht Kant, den sog. dialektischen Schein im kosmologischen Beweise aufzudecken. Er sieht in dem Beweise eine Verwechselung der logischen Möglichkeit des Begriffs eines allerrealsten Wesens mit der transzendentalen. Dabei wiederholt Kant immer wieder das Argument, daß wir ein »Ding an sich" nicht denken können. Als ein denkender Mensch muß ich zwar zu dem zufällig Existierenden etwas Notwendiges annehmen, aber ich kann kein einzelnes Ding als an sich notwendig denken (XIV, b. 148.16, 448 f.). Unsere Vernunft kann das Zurückgehen zu den letzten Bedingungen der Existenz niemals vollenden, ohne ein notwendiges Wesen anzunehmen, aber sie kann von einem solchen Wesen niemals anfangen. Zufälligkeit und Notwendigkeit gehen nicht die Dinge „an sich selbst" an, sonst würde die Vernunft sich in Widersprüche verstricken (XIV, b. 147.16, 449 f.). c) Hegels Antikritik Gegen diese kritischen Argumente Kants stellt Hegel seine Antikritik: Erstens: Zunächst darf man nicht, wie Kant dies unbekümmert tut, Gott ein »Ding" nennen und von „Eigenschaften" in bezug auf Gott als einem „Dinge" reden. Das Ding mit seinen Eigenschaften ist eine endliche Vorstellung. Kant macht es der Vernunft zum Vorwurf, das sie rein begrifflich forsche und die empirische Voraussetzung verlasse, daß sie also nicht mit den Sinnen wahrnehme. Kant behauptet dabei, der Begriff des notwendigen Wesens sei vom Begriff des allerrealsten Wesens verschieden (XIV, b. 139.16, 439 f.). Aber wenn der Beweis zunächst nur bis zum Begriff eines notwendigen Wesens führt, so ist das durchaus kein Fehler. Gewiß schließt unsere religiöse Vorstellung von Gott mehr ein als den Begriff eines notwendigen Wesens. Aber es ist durchaus möglich, daß Menschen und Völker keinen tieferen Begriff von Gott haben, ihnen würde also der kosmologische Beweis genügen. Auf jeden Fall aber ist Gott auch das absolut notwendige Wesen. Und wenn der Beweis dann weiter vom Begriff des absolut notwendigen Wesens auf den Begriff des

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Das theologische System

allerrealsten Wesens schließt, so ist dagegen gar nichts einzuwenden. Der Beweisgrund mag ein empirischer sein. Wenn aber der Beweis ein absolut notwendiges Wesen begründet hat, warum soll dann die Vernunft nicht rein begrifflich weiter schließen? Kant sieht den Gebrauch der Vernunft über die empirische Welt hinaus für ein Unrecht an. Wozu hätten wir aber dann, fragt Hegel, die Vernunft? Dabei ist der Begriff des allerrealsten Wesens sehr leicht aus dem Begriff des absolut notwendigen Wesens abzuleiten (XIV, b. 140,16, 440 ff.). Jede Beschränkung eines Begriffs enthält eine Beziehung auf Anderes. Eine Beschränkung würde also dem Begriff des absolut notwendigen Wesens widersprechen. Darum kann auch der kosmologische Beweis nicht in den ontologischen umgekehrt werden. Man kann wohl von einer schon bewiesenen Bestimmung zu einer anderen übergehen, aber man kann nicht einfach den umgekehrten Weg gehen (XIV, b. 141,16, 442 f.). Der kosmologische Beweis geht zunächst vom Sein des absolut notwendigen Wesens aus. Dann richtet er sein Interesse auf den Inhalt dieses Begriffs und stellt fest: Das ist die All-Realität. So beruht der kosmologische Beweis durchaus nicht auf dem ontologischen (XIV, b. 142.16,443 f. XIII, b. 22). Zweitens: Der zweite Einwand Kants gegen den kosmologischen Beweis beruht auf seiner Voraussetzung, daß unsere Vernunft nicht über die Sinnenwelt hinausgehen dürfe. Daß diese Voraussetzung Kants falsch ist, haben wir schon in der erkenntnistheoretischen Grundlegung gesehen. Gegen Kants Argument stellt Hegel die tiefsinnige Frage: Wenn unser Denken nicht über die Sinnenwelt hinausgehen darf, wie ist es dann eigentlich in die Sinnenwelt hineingekommen? (XIV, b. 143.16, 445). Tatsächlich aber ist unsere Vernunft mit ihren Kategorien immer schon über die Sinnen weit hinaus! In unserem Fall weist die Vernunft mit der Kategorie des Zufälligen auch schon über die Sinnenwelt hinaus. Die Zufälligkeit geht dialektisch in das absolut notwendige Wesen über, die Bestimmung der Zufälligkeit bringt also den synthetischen Satz der Substantialität hervor. Dieser Satz ist schon in der intelligiblen Welt zu Hause. Er darf in einer Sphäre, wo nicht mehr von „Dingen", sondern von Gott geredet wird, im Gedanken aufgefaßt und angewandt werden. Kant wendet ein, man könne weder in der Erfahrung noch über sie hinaus auf eine erste Ursache schließen (XIV, b. 144.16,445 f.). Innerhalb der Welt ist freilich ein solcher Schluß nicht möglich, weil es in der endlichen Welt auch nur endliche, bedingte Ursachen gibt. Gerade darum aber ist unsere Vernunft berechtigt und getrieben, in die intelligible Sphäre überzugehen. Sie braucht gar nicht über die Sinnenwelt hinauszugehen, sondern sie be-

Der Mangel des Beweises

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findet sich mit ihrer Kategorie der ersten Ursache, der causa sui, bereits auf dem Boden, der jenseits der Sinnenwelt ist (XIV, b. 145.16, 447)! Drittens: Kant behauptet, ohne eine Bedingung gäbe es keine Notwendigkeit. Hegel antwortet: Ein absolut notwendiges Wesen kann nur als unbedingt gedacht werden. Eine Notwendigkeit, die auf Bedingungen beruhte, wäre selbst nur eine bedingte, äußere, relative Notwendigkeit. Die absolute Notwendigkeit muß ihre Bedingungen in sich selbst haben. Kant ist weder zum Begriff der wahren Unbedingtheit noch zum Begriff der absoluten Notwendigkeit gelangt, er bleibt in endlichen Kategorien stecken. Darum stellt Kant auch eine so törichte Frage wie diese: Wie kann das höchste Wesen keinen Ursprung haben? Das höchste Wesen kann doch nicht umhin, sich selbst die Frage zu stellen: Woher bin ich (XIV, b. 145. 16,447 f.)?! Hegel bemerkt dazu: Es ist absurd, eine solche Frage dem höchsten Wesen in den Mund zu legen. Wie könnte das höchste Wesen, außer welchem nichts selbständig besteht, nach einem Jenseits seiner selbst fragen?! Kant meint, wo das Bedingen aufhört, sei nichts mehr zu begreifen. Das hieße also: Wo die Vernunft erst anfängt, soll sie schon wieder zu Ende sein (XIV, b. 146.16,448)! Viertens: Kant behauptet, Zufälligkeit und Notwendigkeit gingen nicht die „Dinge an sich" an, sonst müßte sich die Vernunft in Widersprüche verstricken. Hegel erwidert: Die Vernunft ist das Vermögen des Unbedingten, Unendlichen, wie Kant lehrt. Als ein solches Vermögen vermag sie den Widerspruch sehr wohl zu ertragen und ihn aufzulösen (XIV, b. 148.16, 450 f.).

d) Der Mangel des Beweises Obwohl Hegel die Kritik Kants am kosmologischen Gottesbeweis als unzulänglich zurückweist, hält auch er die traditionelle Form des Beweises nicht für glücklich. Die Gründe dafür haben wir schon im allgemeinen erörtert. Speziell zu dem kosmologischen Beweis ist zu sagen: Erstens: In dem Beweis wird erklärt: Die zufälligen Dinge der Welt setzen eine absolut notwendige Ursache voraus. Nun gibt es zufällige Dinge, also gibt es auch eine absolut notwendige Ursache oder Gott. Der Obersatz ist richtig und drückt den Zusammenhang der beiden Kategorien Zufälligkeit und Notwendigkeit aus. Der Satz schneidet den Progreß ins Unendliche von Bedingungen und Bedingtem ab und gelangt zum Begriff einer absoluten Notwendigkeit. Darum ist es auch richtig, daß die zufälli-

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Das theologische System

gen Dinge eine absolute Notwendigkeit voraussetzen (XIII, b. 27.16, 23 f.). Indessen, der Satz: Das Zufällige ist, also ist das absolut Notwendige, widerspricht sich selbst (XIV, b. 100.105.16,476.482 f.). Das Zufällige wird als ein Seiendes bezeichnet, während es doch gerade seine Definition ist, daß es kein wahres, sondern ein fallendes Sein ist (XIV, b. 102.16,478 f.). Der Satz widerspricht auch dem Resultat des Beweises, der absoluten Notwendigkeit. Das absolut Notwendige ist die Vermittlung mit sich durch das Andere, das in ihm aufgehoben, als ein Seiendes negiert wird. Das absolut Notwendige ist also nicht nur die eine Seite, sondern das Ganze. Fängt man also vom zufälligen Sein an, so darf man nicht wie von einem feststehenden Sein ausgehen, das im Fortgehen als ein Seiendes belassen wird, sondern dem Zufälligen kommt auch das Nichtsein zu, es muß im Resultat verschwinden. Nicht weil das Zufällige ist, sondern weil es nicht ist, kein wahres Sein besitzt, ist das absolut Notwendige. Dies Moment der Negation fehlt im rationalen Beweise. Darum ist er formal mangelhaft (XIV, b. 104.16, 479 f.). Das Resultat erscheint als vom Ausgangspunkt abhängig (XIV, b. 100.16, 476). Beide Seiten, die zufällige Welt und das absolut notwendige Wesen, haben ein festes Sein (XIII, b. 27.16, 24). So scheint die Welt Gott zu bedingen. — Zweitens: Gewiß, die eigentliche Meinung des kosmologischen Beweises ist eine andere; er will das absolut notwendige Wesen nicht von der zufälligen Welt abhängig machen. Die formale Bedingtheit des rationalen Schlusses soll keine objektive Bedeutung haben, sondern nur eine subjektive innerhalb des Beweises. Nur unsere Erkenntnis Gottes soll durch die Welt bedingt sein, nicht Gott selbst. Der Inhalt des Beweises korrigiert also die mangelhafte Form. Aber dieser Mangel bleibt eben doch bestehen, Form und Inhalt des Beweises decken sich nicht (XIV, b. 101.16,477 f.). Daß Gott und Welt nicht das gleiche Sein haben, wird nicht ausgesprochen. Es wird nicht gesagt, daß die zufällige Welt sich im notwendigen Wesen Gottes aufhebt (IV, 62.4, 551). Darum erfüllt der traditionelle Beweis die Erwartungen nicht, die man mit ihm verbindet. Das absolut notwendige Wesen ist, weil die Welt eine zufällge ist, weil Gott die Selbstbestimmung in sich selbst ist (XII, 211.214.15, 535). Gott wird nicht von der Welt abgeleitet, sondern der Menschengeist erhebt sich von der Welt zu Gott (XIV, b. 81.16, 428). Der Menschengeist muß sich zum absolut notwendigen Wesen erheben, weil alles Bedingte, die Zufälligkeit und die äußere Notwendigkeit, ungenügend ist. Erst im Gedanken der absoluten Notwendigkeit findet der Menschengeist seine innere Befriedigung (XIV, b. 96.16,472). Denn die Wahrheit der zufälligen Welt ist die

Die Kategorie des Begriffs

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absolute Notwendigkeit (XIV, b. 120.16, 499). Die Erhebung des menschlichen Geistes zu Gott ist das Durchlaufen der Bewegung der absoluten Notwendigkeit selbst (XIV, b. 122.16,502). Sie setzt die zufällige Welt zur Erscheinung herab und ist deren absolute Macht (XIV, b. 126.16,507). Der Mensch erkennt nicht nur die Welt, sondern auch sich selbst als ein zufälliges, vergängliches Sein und erhebt sich eben darum zur absoluten Notwendigkeit Gottes (XIII, 47.15, 330). Daß aber im Mittelpunkt des kosmologischen Arguments gerade die Reflexionsbegriffe Zufälligkeit und Notwendigkeit den Vorrang vor den anderen Kategorien des Wesens haben, ist gleichfalls notwendig. Denn diese beiden Kategorien stellen den am höchsten entwickelten Begriff des Endlichen dar, in ihnen weist die Endlichkeit am deutlichsten auf die absolute Notwendigkeit hin. Schon das Wort „Zufälligkeit" drückt die Bestimmung alles endlichen Weltdaseins aus, zu fallen. Und die Kategorie der absoluten Notwendigkeit ist die höchste, konkreteste Bestimmung in der Sphäre des Wesens, sie faßt alle bisherigen Verhältnisse des endlichen und des unendlichen Seins zusammen (XIV, b. 86 f. 16,434 f.).

3. A b s c h n i t t Die Sphäre des B e g r i f f s A. Die Kategorie des Begriffs Wir verlassen jetzt die Sphäre des Wesens, der Reflexion, und treten in die Sphäre des Begriffs, der dritten Sphäre in der spekulativen Logik, ein. In der Sphäre des Wesens ist der Begriff wohl schon wirksam gewesen, aber noch nicht zum Bewußtsein gekommen. Bisher herrschte der Begriff der Substanz, das Subjekt war noch verborgen. Jetzt ist es unsere Aufgabe, die Kategorie des Begriffs zu entfalten: Hegel versteht unter dem „Begriff" etwas anderes als unsere gewöhnliche Sprache, auch in der Wissenschaft, auch in der bisherigen Philosophie. Selbst im Platonismus ist das Wesen des Begriffs nicht in der Klarheit erfaßt wie bei Hegel. Allgemein wird unter dem Begriff eine allgemeine Vorstellung verstanden, die unser Denken bildet. Der menschliche Geist hat sein Denkvermögen, den Verstand, und dieser bildet aus der Anschauung und Erfahrung die Begriffe (IV, 222. 5,16). Darum sieht die formale Logik in den Begriffen nur Formen des subjektiven Denkens, erscheint der

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Das theologische System

Begriff als etwas Abstraktes und gegenüber der Anschauung mit der Fülle ihres Gehalts etwas Leeres. Selbst wo das Problem der universalia erkannt und diskutiert worden ist, wie im Mittelalter, kam man schließlich über die populäre Vorstellung vom Begriff nicht hinaus. Hegel aber hat als erster klar erkannt, daß unser Denken die subjektiven Begriffe gar nicht denken, gar nicht abstrahieren könnte, wenn es nicht die objektiven Begriffe gäbe. Unser Denken bildet zwar, psychologisch gesehen, die Begriffe, diese sind insofern etwas von unserem Geist Gesetztes. Aber der Begriff ist mehr als ein subjektives Gebilde unseres Denkens, er enthält die objektive „Sache" selbst (XXI, 67.3,116). Darum ist er weder abstrakt noch leer, wie Kant meinte, sondern ist etwas Erfülltes und Konkretes (8, 353). Was unser Denken bildet, sind nicht eigentlich die Begriffe, sondern nur allgemeine Vorstellungen; die Begriffe sind mehr (8, 360). Man muß, erklärt Hegel, bei dem Begriff es aufgeben, zu meinen, der Begriff sei etwas, das nur wir haben oder in uns machen. Der Begriff ist vielmehr die Seele eines jeden Gegenstandes (XII, 220 f. 16, 543). Er ist nicht etwas nachträglich Gebildetes, sondern das wahrhaft Erste, und die Dinge sind das, was sie sind, nur durch die Tätigkeit des ihnen innewohnenden und in ihnen sich manifestierenden Begriffs (8, 361). Der Begriff ist somit das Prinzip alles Lebens. Die logischen Formen des Begriffs sind der lebendige Geist der Wirklichkeit (V, 158. 8, 357). Der Begriff ist also nicht nur etwas im oder an dem menschlichen Subjekt (XIV, 40 ff.). Die Dinge selbst sind Begriff, der Mensch aber hat Begriffe, sie werden in seinem Geist gebildet und wirklich, kommen in seinem Bewußtsein zur freien Existenz (XII, 220.16, 543 f.). Der Begriff ist als Selbstverwirklichung ein Dreifaches: 1. ist er allgemein, die Einheit mit sich selbst, eine Allgemeinheit, welche seine verschiedenen Bestimmungen als Einheit in sich befaßt (XXI, 44. 92. 3,139.145). Diese Allgemeinheit ist die Identität mit sich, die reine Beziehung des Begriff es auf sich. Es ist die Seele in allem Bestimmten, Konkreten (IV, 240 f. 5, 37 f.). 2. ist der Begriff das Besondere, der Unterschied des Allgemeinen oder dessen Beziehung auf Anderes, sein Scheinen nach außen. Das Allgemeine bestimmt sich und wird so das Besondere. Der Begriff ist die absolute Macht, weil er fähig ist, seinen Unterschied frei zur Gestaltung selbständiger Verschiedenheit zu entlassen (IV, 246 ff. 5,43 ff.). Und 3. ist der Begriff die Einzelheit, die negative Reflexion des Begriffs in sich (XXI, 92. 3,138). Diese Einzelheit ist keine unmittelbare, weil sie der als Totalität gesetzte Begriff oder das Subjekt selbst ist (V. 159. 8, 358). Sie ist die Reflexion des Begriffs aus seiner Bestimmtheit in sich selbst, wodurch der Begriff in die Wirklichkeit tritt (IV, 260 ff. 5, 60 ff.). Vergleichen wir den

Der Übergang zum Zweckbegriff

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Begriff mit den bisherigen Kategorien der Logik, so gab es in der Sphäre des Seins jeweils eine Kategorie, welche in eine andere überging; in der Sphäre des Wesens zwei Kategorien, die zueinander im Verhältnis der Reflexion standen; während jetzt der Begriff aus drei Kategorien besteht bzw. aus drei Momenten. Daher ist der Begriff nicht nur Sein, nicht nur ein Scheinen des Wesens in sich, sondern Selbst-Verwirklichung, d. h. ein Selbst, das sich selbst in die Wirklichkeit versetzt, wobei das Selbst das Allgemeine, die Verwirklichung das Besondere und das Sich-Verwirklichen die Einzelheit ist. Damit erweist sich der Begriff als Entelechie, und wir treten mit ihm in die Sphäre des Zweckes ein. Der Weg zur Kategorie des Zweckes, den Hegel zeichnet, ist in aller Kürze folgender:

B. Der Übergang zum Zweckbegriff Wir betrachten die Welt, wie sie sich uns darbietet. Wir, die Betrachter, sind das Subjekt, die Welt ist unser Objekt. Die Vielheit der Dinge in der Welt ist die Objektivität, deren Wesen wir logisch erfassen wollen. Die Objektivität ist eine Allheit von Objekten, die sich in der Einheit, die wir Welt oder Universum nennen, zusammenfassen. Der Zusammenhang der Dinge in der Welt ist nach unserer Beobachtung erstens der, daß sich die Objekte zu einander äußerlich verhalten, einander ausschließen und nur als ein Aggregat zusammengesetzt sind. Dies Verhältnis, in welchem die Objekte einander äußerlich sind, einander Widerstand leisten und somit als selbständig erscheinen, ist der Mechanismus (V, 181. 8, 406). In dem mechanischen Verhältnis der Dinge zueinander ist jede Bestimmtheit eines Objekts eine äußerliche, es fehlt die Selbstbestimmung (IV, 383 f. 5, 209). Hier herrscht also die vollkommene Unfreiheit, der Determinismus, das Versenktsein in die Äußerlichkeit. Die Objekte determinieren sich wechselseitig (IV, 385 f. 5, 210 f.). Hegel versteht hier den Mechanismus nicht im naturwissenschaftlichen, sondern im logischen Sinne. Als logische Kategorie hat der Mechanismus sein Recht und ist er die Grundlage des naturwissenschaftlichen. Er stellt eine Stufe in der Entwicklung der spekulativen Logik dar. Aber der Mechanismus ist eine Kategorie, die sich einer oberflächlichen Betrachtungsweise der gegenständlichen Welt darbietet, sie genügt weder für die Erkenntnis der äußeren Natur noch der inneren Geisteswelt (8, 406 f.). Der Mechanismus ist zwar von universeller, aber doch nur von beschränkter Geltung. Die

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Das theologisdie System

ganze Welt muß so betrachtet werden, aber die ganze Welt wird in einer solchen Betrachtung nicht erfaßt (IV, 384.5,210). Im Mechanismus herrscht die äußere Notwendigkeit, die Zufälligkeit der Dinge. Eine Stufe höher als der Mechanismus steht daher zweitens der Chemismus, ebenfalls als eine logische Kategorie verstanden. Im Mechanismus bleiben die Objekte noch getrennt, sind sie differente Individuen. Diese Differenz ist nicht das wahre Verhältnis der Objekte zueinander, die Objekte müssen sich auch gegenseitig neutralisieren. Diese gegenseitige Neutralisation ist der Chemismus, der chemische Prozeß, der den rein mechanischen Prozeß aufhebt und vertieft. Die chemischen Objekte streben dahin, sich zu vereinigen und sich gegenseitig zu neutralisieren. Schon die mechanischen Objekte streben nach einer mechanischen Einheit, nach einem Zentralobjekt, der Chemismus aber ist die Verinnerlichung dieser Einheitstendenz. Im Mechanismus haben die Objekte noch eine gleichgültige Beziehung auf sich, das chemische Objekt aber bezieht sich auf anderes. Die mechanischen Objekte behalten den Schein der Selbständigkeit, die chemischen Objekte sind der Trieb, sich durch und in einander zu integrieren (8, 411 f.). Das Produkt des chemischen Prozesses ist die Neutralisation. Im neutralen Produkt sind die bestimmten Eigenschaften aufgehoben, der chemische Prozeß ist ein Herüber- und Hinübergehen von einer Form zur anderen, die sich zugleich noch äußerlich bleiben, das Neutrale ist immer noch trennbar (V, 183 f. 8, 412). Auch der chemische Prozeß ist somit ebenso wie der mechanische ein bedingter und endlicher. Im neutralen Produkt ist der Prozeß erloschen, und das Erregende des Prozesses fällt außerhalb desselben (8,413). Es sind im Grunde zwei äußerliche Prozesse: Die Reduktion des Differenten zum Neutralen und die Differenzierung des Neutralen. Darin zeigt sich die Endlichkeit der beiden Prozesse, sie gehen in Produkte über, in denen sie aufgehoben sind. Die Unmittelbarkeit der differenten Objekte erweist sich als nichtig. Dies aber führt drittens zur Kategorie des Zweckes (V, 184. 8, 413). Die beiden Formen des chemischen Prozesses heben sich gegenseitig auf, und dadurch wird der für sich existierende Begriff frei (8, 413). Mechanismus und Chemismus sind Vorstufen der Teleologie. Diese ist der höhere, wahrhafte Begriff gegenüber der äußeren Notwendigkeit, die im Mechanismus und im Chemismus herrscht (IV, 384 f. 5,210). Wenn Materialisten und Naturalisten behaupten, es gäbe keine Zwecke in der Natur, dann bleiben sie bei der äußeren Notwendigkeit und bei der Zufälligkeit der Dinge stehen. Damit verfehlen sie die objektive Wirklichkeit der Welt, wie sie sich dem unbe-

Die Kategorie des Zweckes

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fangen denkenden Beobachter darbietet, und vermögen die Selbsverwirklichung in der Welt, die eine einfache Tatsache ist, nicht zu erklären (XII, b. 31.16,27). Die Teleologie ist die höhere Kategorie gegenüber dem Mechanismus und dem Chemismus. Sie bestimmt die Mannigfaltigkeit der Objekte durch eine an und für sich seiende Einheit, sie setzt Selbstbestimmung voraus (IV, 386 f. 5, 211 f.). Der Zweck ist das Unbewegte, das selbst bewegend ist, in welchem das Resultat dasselbe wie der Anfang ist, weil der Anfang der Zweck ist (II, 22. 2,25). Der Zweck ist Grund und Folge zugleich. Das Hervorbringende ist die Voraussetzung des Hervorgebrachten und geschieht um des Resultates willen (XXI, 100. 226. 3,141. 160 f.). Als die causa finalis ist der Zweck von der bloß wirkenden Ursache zu unterscheiden. Diese gehört der blinden Notwendigkeit an, der Zweck aber ist die Bestimmtheit in ihm selbst, er bewirkt sich, ist am Ende, was er am Anfang war. Durch die Selbsterhaltung ist er das wahrhaft Urspüngliche (V, 185. 8, 414). Damit erweist sich der Zweck als der freie Begriff, der alle äußerlichen Momente seines objektiven Daseins aufgehoben hat und in seine Einheit setzt (IV, 383. 5, 208). Bei ihm kommt nichts anderes heraus, als was vorher schon vorhanden war, er ist das sich Realisierende (XIII, b. 31.16,28). — Nicht alle, aber viele Theologen, (in neuerer Zeit z. B. A. Schlatter), haben mit Hegel erkannt, daß der Zweckbegriff die grundlegende Kategorie für die Theologie ist. Wenn nur Mechanismus und Chemismus gelten sollen, dann ist die Konsequenz der Atheismus!

C. Die Kategorie des Zweckes Bei der Kategorie des Zweckes sind folgende drei Momente zu unterscheiden: Erstens ist der Zweck subjektiv, von dem äußeren Dasein getrennt. So steht er der Objektivität noch gegenüber. Seine Subjektivität ist gegen die Totalität des Begriffs einseitig. Daher ist die Tätigkeit des Begriffs diese, den Gegensatz aufzuheben, die subjektive Form in die Objektivität überzusetzen oder das Objekt als durch den Begriff bestimmt zu setzen. Das ist die Realisierung des subjektiven Zweckes, die Vereinigung des objektiven Seins mit ihm. Der Begriff objektiviert sich, hebt den Unterschied auf, schließt sich mit ihm zusammen und erhält sich. Damit erweist sich der subjektive Zweck als der Trieb seiner Realisierung (V, 184 f. 8, 413 f. IV, 393. 5, 220). Er ist das Streben, der Trieb, sich äußerlich zu 9 Sdimidt, Hegel

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Das theologische System

setzen, und die Kraft, die sich selbst zur Äußerung sollizitiert (IV, 391. 5, 218). Das Objektive wird dem Zweck und seiner Macht unterworfen, ihm gemäß gemacht, und der Zweck erhält sich gegen und im Objektiven (V, 188.8,421). Zweitens: Das andere beim Zweckbegriff ist die Vermittlung. Bei der Vermittlung unterscheiden wir die vermittelnde Tätigkeit oder die Subjektivität, und das Mittel oder die Objektivität. Die nach außen gekehrte Tätigkeit des Begriffs bezieht sich unmittelbar auf das Objekt und bemächtigt sich seiner als eines Mittels. Das Mittel ist das durch den Begriff bestimmte Objekt (V, 187. 8,419. IV, 394.5,221). Drittens haben wir beim Zweckbegriff den daseienden oder ausgeführten Zweck, das gesetzte, vermittelte Dasein der Objektivität. Dieser ausgeführte Zweck hat denselben Inhalt wie der subjektive Zweck (XXI, 227. 3,161). Aber in der Realisierung des Zweckes wird die einseitige Subjektivität und die gegen sie selbständige Objektivität aufgehoben. Im Ergreifen des Mittels setzt sich der Begriff als das an sich seiende Wesen des Objekts. Im ausgeführten Zweck ist das Objekt als ein bloß ideelles gesetzt, das Subjektive und das Objektive sind als Einheit gesetzt (V, 188 f. 8,420 f.). Die Tätigkeit des Zweckes hebt sich auf, der Zweck übt Gewalt über das und an dem Objekt, und das Mittel ist die Ausführung des Zweckes. Der Zweck aber ist der freie Begriff, der die gegen das Objekt und sich selbst bestimmende Tätigkeit ist (IV, 397 f. 5, 225 f.).

D. Die doppelte Teleologie Aus dem Gesagten ergibt sich, daß es eine doppelte Zweckmäßigkeit gibt: Erstens die äußere Zweckmäßigkeit. In ihr fallen die Mittel und das Produkt in der Existenz noch auseinander (XXI, 255. 3,187). Der Zweck ist noch endlich, weil er eine endliche objektive Welt vor sich hat, auf die er seine Tätigkeit als auf ein Vorhandenes bezieht. Ihm steht die Objektivität gegenüber, die als eine mechanisch-chemische nicht vom Zweck bestimmt und durchdrungen ist (IV, 392 f. 5, 219 f.). Das Mittel ist äußerlich gegen den Zweck und hat gegen dessen Ausführung ein gleichgültiges Dasein. Begriff und Objektivität sind also im Mittel nur äußerlich verbunden (IV, 394 f. 5,221 f.). Darum kommt bei dieser äußeren Zweckmäßigkeit nur eine dem vorgefundenen Material äußerlich gesetzte Form zustande, die außerdem wegen des beschränkten Zweckinhalts nur eine

Die doppelte Teleologie

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zufällige Bestimmung hat (V, 188. 8, 421). Die zweckmäßige Tätigkeit mit ihrem Mittel ist nach außen gerichtet, der Zweck ist nicht identisch mit dem Objekt, er muß erst mit ihm vermittelt werden (V, 187 f. 8, 419 f.). Der Zweck ist also hier endlich, weil er am Objekt, dem Material seiner Realisierung, eine äußerliche Bedingung hat, und weil der Inhalt selbst beschränkt, gegeben, zufällig, das Objekt ein Besonderes und Vorgefundenes ist (V, 187. 8, 416). Zweitens: Anders steht es mit dem inneren Zweck, mit der innerlichen Zweckmäßigkeit. Sie ist besonders von Kant hervorgehoben worden, der damit das Wesen des Lebens bestimmen konnte (V, 186. 8, 415). Bei der inneren Zweckmäßigkeit ist das Subjekt mit seinen Zwecken keine endliche Existenz, das die Bestimmungen der Realisation außer sich hätte, und das Material ist nicht mehr von außen gesetzt, um den Zweck zu realisieren; sondern hier hat die Zweckmäßigkeit ihre Mittel an ihr selbst (XIII, b. 32.16,28 ff.). Sie vollbringt ihre Zwecke durch sich selbst, ist Mittel und Material an ihr selbst. Der Zweck realisiert sich durch seine eigene Tätigkeit, schließt sich in der Ausführung mit sich selbst zusammen, das Vermittelnde, das Mittel und die Realität sind mit dem Zweck identisch (XIV, b. 163.16, 524 f.). Diese innere Zweckmäßigkeit ist also die Macht, die den eigenen Zweck in Einheit mit den Mitteln setzt, die Mittel und das Material ihrer freien Macht unterwirft (XIII, b. 33 f. 16, 30 f.). Diese Zweckmäßigkeit ist die Wahrheit der Teleologie, der Begriff in seiner Existenz, das Prinzip der Freiheit (IV, 387. 5, 213). Dies zweckmäßige Tun ist die Eigentümlichkeit des Lebens. Das Lebendige ist ein im Prozeß sich Erhaltendes, und es macht sich selbst zum Mittel. Das Lebendige ist Selbstzweck. Das Subjekt bringt sich selbst hervor, ist Zweck an ihm selber (XIII, b. 32 f. 16, 30 f.). Die Seele vollbringt sich selbst, das Produkt ist dasselbe wie das Produzierende, die Organe sind die Mittel des Lebens, aber in ihnen vollbringt und erhält sich auch das Leben, sie sind auch das Material. So ist das Lebendige die Selbsterhaltung, es erhält sich selbst. Die Organe sind Mittel, aber auch Zweck, und bringen sich in ihrer Tätigkeit selbst hervor (XIV, b. 164.16, 525 f.). Freilich, so betont Hegel, diese innere Zweckmäßigkeit ist im organischen Leben noch nicht vollkommen dargestellt (8,422). Das Lebendige ist noch ein Endliches. Die Organe brauchen auch Material von außen. Das organische Leben verhält sich zur anorganischen Natur, die als ein Selbständiges auch da ist. Das Leben findet darin seine Mittel, durch die es sich erhält, aber diese Mittel existieren auch selbständig. Ohne diese Bedingungen, die das Leben vorfindet, könnte es nicht existieren. So ist

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Das theologische System

auch in der inneren Zweckmäßigkeit des Lebens noch eine Äußerlichkeit (XIII, b. 33.16, 30 f. XIV, b. 164 f. 16, 526 f.). Das organische Leben ist noch bedingt durch das Anorganische, das gegen das Leben selbständig und zufällig ist (XIII, b. 203). Die innere Zweckmäßigkeit wäre nur dann vollendet, wenn der Begriff vollständig mit sich selbst zusammengehen würde, das Andere identisch mit dem Begriff wäre (IV, 398 ff. 5, 227 f.). Dann wäre die innere Zweckmäßigkeit zur absoluten geworden (V, 190. 8,422)!

E. Der ideologische Gottesbeweis Die Kategorie des absoluten Zweckes, der Selbstverwirklichung, als Inhaltsbestimmung der Kategorie des absoluten Begriffs, ist eine neue und höhere Definition Gottes in der Sphäre der Logik. Zu dieser Definition Gottes möchte der sog. physiko-theologische oder teleologische Gottesbeweis gelangen. Ihn gilt es jetzt zu betrachten.

a) Darstellung des Beweises Hegel gibt für diesen Gottesbeweis folgende Darstellung: Der Beweis geht wie der kosmologische vom endlichen Sein der Welt aus, aber von einem tiefer erfaßten, nämlich von der zweckmäßig geordneten Natur. Die Welt ist nicht nur, wie der kosmologische Beweis voraussetzte, ein Aggregat von endlichen und zufälligen Dingen, sondern sie ist ein lebendiger Kosmos, ein System, in welchem alles und jedes wesentliche Beziehung aufeinander hat, in welchem nichts isoliert ist, jedes seine Stelle hat, in das Ganze eingreift, durch das Ganze subsistiert und ebenso zur Hervorbringung, zum Leben des Ganzen tätig und wirksam ist (XII, 215 f. 16, 536 ff.). Zwar scheint der erste Eindruck, den uns die Welt bietet, eher dem kosmologischen Beweis Recht zu geben; die Dinge in der Welt scheinen zunächst gleichgültig gegeneinander zu sein, ohne wesentliche Beziehung zueinander. Aber dieser Schein verschwindet bei näherer Prüfung sofort, es zeigt sich eine Einheit, wodurch die Dinge sich schlechthin angemessen sind (XIV, b. 159.16, 519). Es besteht ein innerer Zusammenhang zwischen den Dingen, der als solcher zwar nicht existiert, dennoch aber notwendig ist. In der Existenz als solcher ist das Übereinstimmen der Dinge miteinander nicht gesetzt, die Harmonie zwischen den Dingen ist keine daseiende.

Kants Kritik am Beweise

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Und doch zeigt die Welt deutlich eine Anordnung nadi bestimmter Absicht, eine weise Einrichtung nach Zwecken, ein durchweg organisiertes natürliches und geistiges Leben (XIII, b. 37.16, 34). Diese Harmonie ist nicht im lebendigen Dasein begründet, und doch besteht ein allgemeiner Zusammenhang zwischen der organischen und der anorganischen Welt, eine zweckmäßige Beziehung der Dinge und Lebewesen zueinander. Dieser Tatbestand setzt den menschlichen Geist, der ihn erkennt, in Verwunderung. Das Wunderbare ist eben dies, daß die Dinge, die zuerst vollkommen gleichgültig nebeneinander erscheinen, doch füreinander wesentlich sind. Daß aber die Dinge der Welt einander zweckmäßig zugeordnet sind, ist nicht durch sie selbst gesetzte Zweckmäßigkeit. Das Leben ist zwar tätig, gebraucht die anorganische Natur, aber daß es eine anorganische Natur gibt, auf der sich das Leben aufbauen kann, und daß es solche Dinge gibt, die von den Subjekten gebraucht werden können, das liegt außerhalb des Lebens und der Subjekte (XIII, b. 38.16, 35 f.). Von diesem empirischen Tatbestand geht nun der ideologische Gottesbeweis aus. Er schließt von dem nach Zweckbeziehungen bestimmten Dasein der Welt auf einen weisen Urheber dieses Daseins (XIV, b. 79.16, 426). Durch das zweckmäßige Dasein der Welt wird Gott, der die Zwecke setzt und betätigt, gedanklich vermittelt. Der ideologische Zusammenhang in der Welt muß das Produkt eines überweltlichen Wesens, das Macht und Weisheit besitzt, sein (XIV, b. 160.16, 520). So zeigt der Beweis die notwendige Existenz eines höchsten, die Welt ordnenden Wesens, einer freien Intelligenz, welche die Welt als Kosmos schafft und erhält (XIII, b. 39.16, 36). Er, Gott, hat der Welt die ideologische Ordnung, die Harmonie, die Zusammenslimmung der Dinge, welche die Welt sich selber nicht geben konnte, verliehen (XIII, b. 202).

b) Kants Kritik am Beweise Kant hat den ideologischen Gottesbeweis mit besonderer Achtung behandelt, er hält ihn irrtümlich für den ältesten Beweis. Dennoch hat er auch diesen Beweis einer Kritik unterzogen, weil er ihn theoretisch nicht für beweiskräftig hielt. Er erhebt gegen den Beweis folgende Einwände (XIV, b. 158.16,518). Erstens: Der erste Einwand Kanis zielt auf den formalen Charakter der Zweckbeziehung überhaupt. Die Zwecfcbeziehung, sagt Kant, ist eine Formbestimmung, die Beschaffenheit, wodurch ein Ding Mittel zum Zweck

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Das theologische System

sein kann, betrifft also nur die Form, nicht die Materie eines Dinges. Der ideologische Beweis zieht also nur die Form der Weltdinge in Betracht. Der Schluß des Beweises geht dementsprechend nur dahin, daß eine formierende Weltursache existiere. Damit ist aber noch kein schöpferisches Prinzip für die Materie der Welt gefunden. Die setzende Weltmacht in dem Beweise ist nur eine Macht, welche die Formen setzt, nicht aber die Substanz erschafft. Der ideologische Gottesbeweis erfüllt schon darum nicht die religiöse Vorstellung von Gott, die in ihm den Schöpfer auch der Materie der Welt erblickt. Gott ist im ideologischen Beweise nur ein Demiurg, ein Baumeister der Welt, ein Bildner der Materie, nicht der Schöpfergott der Bibel (XIII, b. 44.16,36. XIV, b. 160.16, 521. XIV, b. 159.). Zweitens: Der ideologische Beweis, sagt Kant, geht von der Ordnung und Zweckmäßigkeit aus, die in der Welt beobachtei werden. Von der beobachteten Ordnung und Zweckmäßigkeit in der Welt schließt der Beweis auf eine proportionierte Ursache der Welt. Man darf aber in einem Schluß nicht auf mehr schließen, als inhaltlich im Beobachteten oder Gegebenen vorhanden ist und dem Ausgangspunkte angemessen bleibt (XIII, b.45.XIV,b. 159.16, 37. XIV, b. 161.16, 522). Die zweckmäßige Ordnung in der Welt mag sehr groß sein, aber sie isi niemals absolui. Eine sehr große Machi isi noch keine absoluie, eine sehr große Weisheil noch keine vollkommene, ein endlicher Zweck isi noch kein unendlicher. Es isi darum nichi erlaubt, von einem endlichen, relativen Zweck auf einen unendlichen, absoluten, von einer sehr großen Macht auf eine Allmacht, von einer sehr großen Weisheit auf eine Allweisheit zu schließen. Das aber tut der teleologische Beweis. Er springt vom Relativen zum Absoluten, von einer endlichen Zweckmäßigkeil zu einer absolulen Macht und Weisheit hinüber. Das aber ist ein Sprung, zu dem er ohne das heimlich vorausgeseizie onlologische Argumenl nichl berechiigi isi. Die bloße Beobachtung der Well reichi zu einem solchen Schlüsse nichl aus. Auch der leleologische Goliesbeweis benuizi also den ontologischen (XIII, b. 45.16, 37. XIV, b. 162.16, 522). Drillens: Schließlich aber besireiiei Kam ganz allgemein die objeklive Gültigkeit der teleologischen Betrachiung der Well. Zwar versuchi Kam in seiner Kritik der Urteilskraft die Einheit von Verstand und empirischer Besonderheit in der Welt zu denken (19, 598 f.). Er sieht wohl, daß in den organischen Naturprodukten die unmittelbare Einheil von Begriff und Realiläi gegeben ist. Aber das ist für ihn keine objeklive wissenschaftliche Besiimmung der Nalur, sondern nur eine subjektive Beirachiungsweise

Hegels Antikritik

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des Menschen (19, 605). Nur wir Menschen betrachten die Natur unter dem Gesichtspunkt des Zweckes. Der Zweckgedanke ist nur eine subjektive Maxime, die über die objektive Natur des Gegenstandes nichts aussagen kann (19, 600). Auch hier taucht bei Kant wieder der Begriff des „Dinges an sich" auf. Was die Dinge an sich sind, wissen wir nicht (19, 606). Der Zweck als der tätige Begriff existiert nur als etwas Subjektives. Die ideologische Betrachtungsweise der Welt darf nur ein Prinzip der Beurteilung für unseren subjektiven Verstand sein, die Harmonie in der Welt ist nur ein Postulat, eine subjektive Oberzeugung, nicht eine objektive Wahrheit (V, 83 ff. 8,156 ff.).

c) Hegels Antikritik Auf diese Kritik Kants am teleologischen Gottesbeweis erwidert Hegel: Erstens: Man kann mit einem gewissen Recht sagen, daß alle Beziehungen zwischen den Dingen in der Welt nur eine Form sind. Gebraucht man diese Terminologie, so trennt man in Gedanken die Form von der Materie ab, und Gottes Tätigkeit ist dann allerdings nur eine bildende, nicht eine schaffende, also eine endliche. Die Materie, die von Gott nicht geschaffen ist, steht dann neben Gott für sich da und verendlicht Gott. Die Frage ist nur: Kann man die Form so von der Materie der Welt trennen, wie Kant dies tut? Gibt es überhaupt irgendwo eine Form ohne Materie und umgekehrt? Die Logik zeigt, daß eine solche Trennung von Form und Materie nicht möglich ist. Eine formlose Materie ist ein Unding, sie ist nur eine Abstraktion des Verstandes, und ebensowenig gibt es eine Form ohne Materie (XIII, b. 45. XIV, b. 161.16, 521 f.). Alle Materie ist geformt, und alle Form materialisiert sich. Die Form setzt die Materie voraus, auf welche sie sich bezieht, und weder Form noch Materie sind aus sich selbst, selbständig und ewig (IV, 70. 4, 560). Ebenso setzt die Materie die Form voraus, die ihre Selbständigkeit aufgibt und sich zur Materie macht (IV, 71 f. 4, 562 f.). Kants Trennung von Form und Materie ist also unhaltbar. In der Theologie, sagt Hegel, muß man über solche Gegensätze wie Form und Materie hinaus sein. Wenn die göttliche Macht etwas formiert, dann setzt sie zugleich auch die Materie. Das Formieren Gottes kann ohne das Schaffen der Materie gar nicht gedacht werden, der sog. Demiurg ist auch der Schöpfer (XIV, b. 39.16, 36). Zweitens: Bei dem zweiten Einwand Kants gibt Hegel zu, daß der Ausgangspunkt des Beweises einen geringeren Gehalt hat als das Resultat.

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Das theologische System

In der Welt zeigt sich in der Tat nur eine relative, keine absolute Macht und Weisheit. Schließt man also nur von der Beschaffenheit der Welt auf Gott, so kommt man nicht zu dem gewünschten Ergebnis (XIV, b. 162. 16,522). Allein Kant sieht nicht, woher dieser Mangel des Schlusses im ideologischen Beweis eigentlich kommt. Er hat denselben Grund wie der Mangel aller traditionellen Gottesbeweise. Der Beweis schließt: Weil es Zwecke in der Welt gibt, darum ist eine zwecksetzende göttliche Macht und Weisheit (XII, 217). Die Kategorie der Zweckmäßigkeit wird empirisch aufgenommen, sie ist Sache der Erfahrung (XIII, b. 40.16, 37). Von da aus schließt der Verstand auf Gott. Dabei entsteht ein doppelter Mangel: Einmal erscheinen die endlichen zweckmäßig geordneten Dinge der Welt als seiend. Es wird von einem affirmativen Sein der endlichen Dinge ausgegangen (XIII, b. 41.16, 39). Es wird nicht gesagt, daß das Sein der zweckmäßig geordneten Dinge nicht ihr eigenes Sein, sondern vermittelt ist. Vom Sein der zweckmäßig geordneten Dinge kann man nicht auf ein absolutes Wesen schließen (XIII, b. 42.16, 39). Zum ändern beachtet der Beweis nicht, daß wir bei der Beobachtung der Welt in der Erfahrung neben dem Zweckmäßigen in der Welt auch viel Unzweckmäßiges, Zweckwidriges feststellen können. Für unser menschliches Urteil gibt es im unmittelbaren Dasein der Welt nicht nur Nützliches, sondern auch Schädliches, und was dem einen nützt, das schadet dem anderen (XII, 19.15, 30 f.). Man ist, sagt Hegel, geradezu versucht, zu zählen, ob es in der Welt zahlenmäßig, quantitativ mehr Zweckmäßiges oder mehr Zweckwidriges gibt, was natürlich unmöglich ist. Der Fehler liegt darin, daß der rationale Beweis nicht streng zwischen einer endlichen und einer unendlichen Zweckmäßigkeit, zwischen einer äußeren und einer inneren Teleologie unterscheidet (XIII, b. 41.16,38). Die äußere Zweckmäßigkeit in der Welt ist vorhanden, aber sie darf nicht mit der inneren verwechselt werden, und beide sind nicht die absolute Zweckmäßigkeit (XII, 215 f. 16, 536 f.). Auch die innere Zweckmäßigkeit im organischen Leben ist noch eine endliche, denn der Zweck ist hier nur die Erhaltung der einzelnen Lebewesen, die vergänglich sind, es ist also ein beschränkter Zweck, der hier vorliegt (XIV, b. 169.16, 531 f.). Auch die höheren menschlichen Zwecke sind nicht von absoluter Wichtigkeit. Die fromme Betrachtung neigt dazu, bei der ideologischen Wertung der Einzelschicksale in eine „Kleinkrämerei" zu verfallen. Das kann sehr erbaulich sein, ist aber noch keine Erhebung zu Gottes absoluter Weisheit (XIII, b. 40.16, 37 f.). Alle endlichen und menschlichen Zwecke sind untergeordneter Art und gehen in dem absoluten Endzweck unter (XIII, b. 46). Beachtet man dies nicht,

Hegels Antikritik

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so entsteht wieder der Schein, als würde von den endlichen, relativen Zwecken der Welt auf Gott geschlossen. Gott ist dann wiederum etwas Bedingtes und Vermitteltes. Auch der rationale ideologische Gottesbeweis will diese Konsequenz nicht, auch er erklärt das Bedingende als bedingt. Das Resultat des Beweises widerspricht also dem Gang des Beweises. Aber die Negation wird nicht ausgesprochen, der formale Mangel bleibt bestehen (XIV, b. 162 f. 16, 523 f.). Drittens: Wenn aber nun Kant aus der Tatsache, daß es in der Welt eine endliche äußere und innere Zweckmäßigkeit gibt, die Folgerung zieht, die Teleologie sei überhaupt kein objektiv erkannter Tatbestand der Welt, sondern nur eine subjektive Betrachtungsweise der Erscheinungen, so widerspricht dem Hegel entschieden. Kant, sagt Hegel, löst den objektiven Dogmatismus der alten rationalen Metaphysik nur auf, um an die Stelle einen subjektiven Dogmatismus zu setzen. Die Frage nach dem an und für sich Wahren wird nicht mehr gestellt (19, 554). Die Analyse des Weges vom Mechanismus über den Chemismus zur Teleologie hat gezeigt, daß die Teleologie etwas Objektives ist und allein dem Wesen des schöpferischen Begriffes entspricht (IV, 383 f. 5, 209). Wohl findet sich in der Welt kein absoluter Zweck, kein Endzweck. Der Inhalt unserer Erfahrung ist immer beschränkt. Alle in der Erfahrung beobachteten Zwecke sind endlich (XIII, b. 202). Aber eben darum muß sich der menschliche Geist von der endlichen Zweckmäßigkeit in der Welt zu der absoluten Gottes erheben, um Gott nicht zu verendlichen (8,417). Viertens: Auch der ideologische Gotiesbeweis ist in Wahrheit, wenn er richtig durchgeführt wird, eine Erhebung des menschlichen Geistes zu Gott. Die Erhebung beginnt mit der Überwindung des Mechanismus und des Chemismus als letztgültiger Betrachtungsweisen; sie erkennt die äußere und innere Zweckmäßigkeit in der Welt, die zuerst in die Augen fallen. Und von der Einsicht in diese doppelte Teleologie der Welt erhebt sich dann unser Geist denknotwendig zur unendlichen Teleologie Gottes (XIII, b. 196). Erst diese absolute Zweckmäßigkeit ist der letzie Erklärungsgrund aller Teleologie in der Well. Mag die endliche Zweckmäßigkeil auch beschränki sein, sie ist doch vorhanden und fordert eine Erklärung. Die organische Natur paßt zur anorganischen. Wie ist das möglich? Wo liegt der zureichende Grund dafür (XIV, b. 165 f. 16, 526 f.)? Wie ist überhaupt Teleologie möglich? Welche Kraft bringt sie hervor? Was für eine Intelligenz steckt dahinter? Nur eine intelligent Weltseele, nur ein Nus, ein Logos vermögen dafür ein Erklärungsgrund zu sein (XIV, b. 168 f. 16, 530 f.). Nur eine überweltliche Macht vermag die Well zu einem Kosmos

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Das theologische System

zu ordnen. Das ist ein denknotwendiger Gedanke. Daß bloß medianische oder chemische Kräfte diesen Kosmos hervorgebracht haben und bewegen, ist ein unmöglicher, ein absurder Gedanke (XIII, b. 205). Ein denkender Mensch wird daher immer so urteilen müssen, wenn er das Problem durchdenkt: Die Zweckmäßigkeit in der Welt fordert eine überweltliche Weisheit (XII, 210. 15, 182). Die Welt ist eine Manifestation einer göttlichen Macht und Weisheit (XIII, b. 34 f. 16, 31 f.). Gewiß gelangen wir durch diese Erhebung noch nicht zum absoluten, letzten Gottesgedanken. Weltseele, Nus, Logos sind noch nicht Gott als absoluter Geist (XII, 217 f. 16, 538). Aber wir gewinnen hier einen Gottesbegriff, eine Definition Gottes, die tiefer und reicher ist als die des kosmologischen Beweises (XIV, b. 87. 16, 435). Wir gehen über die noch blinde Notwendigkeit hinaus zu dem Begriff, der sich selbst realisiert und damit Endzweck ist (XIV, b. 159.16, 518 f.). Und dieser Begriff führt uns unmittelbar zu der höchsten Definition Gottes in der spekulativen Logik überhaupt, zur Kategorie der Idee.

F. Die Kategorie der Idee a) Übergang zur Idee Das Wesen der Idee erschließt sich logisch aus folgender Überlegung: Der Begriff ist, wie wir sahen, Selbstverwirklichung, er ist der Zweck, der sich verwirklichen will, Entelediie. Der Begriff ist die schöpferische Allgemeinheit, die sich besondert und zur Einzelheit gelangt. Um sich nun zu besondern, muß der Begriff sich teilen, er vollzieht eine ursprüngliche Teilung, eine Ur-Teilung. Dies ist das Urteil des Begriffs, seine gesetzte Besonderung. Im Urteil verwirklicht sich die immanente Unterscheidung des Begriffs, die unterschiedene Beziehung seiner Momente (V, 161 f. 8, 364). Der Begriff ist also tätig, er unterscheidet sich von sich selbst, und diese seine eigene Diremption ist das Urteil. Im Begriff als solchem war das Besondere noch in durchsichtiger Einheit mit dem Allgemeinen. Nun aber tritt die Besonderung ein (8, 366). Das Urteil des Begriffs ist also, was wohl zu beachten ist, ebensowenig wie der Begriff etwas Subjektives. Das Urteil ist nicht nur eine Operation unseres subjektiven Denkens, wie man gewöhnlich meint, ein Urteilen, sondern es ist die objektive Selbstunterscheidung des Begriffs. Darum sagt Hegel, was zuerst überraschen mag, daß alles in der Welt, alle Dinge und Wesen, auf dem Urteil des Begriffs

Gott als die absolute Idee

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beruhen. Ja, alle Dinge sind Urteile, d. h. jeweils ein Allgemeines, das vereinzelt ist, oder ein Einzelnes, das eine Allgemeinheit in sich hat (V, 163. 8, 367). Indessen — beim Begriff und beim Urteil können wir nicht stehenbleiben. Der Begriff ist ja die Selbstverwirklichung, darum müssen Begriff und Urteil sich wieder zusammenschließen. Der Dualismus Begriff — Urteil kann nicht bestehen bleiben. Darum vereinigen sich nun Begriff und Urteil, und ihre konkrete Einheit ist der Schluß (V, 169. 8, 382). Der Schluß ist der gesetzte, reale Begriff, er ist der Grund alles Wahren. Alles in der Welt ist nicht nur Urteil, sondern auch Schluß. In ihm setzt sich das Wirkliche in Eins (V, 170. 8, 383). In ihm schließt das Subjekt sich durch die Vermittlung mit sich selbst zusammen (V, 170 f. 8, 384). So ist der Schluß die Wiederherstellung des Begriffs im Urteil, die Einheit und Wahrheit beider. Der Begriff an sich hält noch seine Momente in der Einheit aufgehoben. Im Urteil sind die Momente des Begriffs zu selbständigen Extremen geworden. Im Schluß ist nun die bestimmte Einheit gesetzt, er ist der vollständig gesetzte Begriff (IV, 308. 5, 118). Dieser Schluß aber ist nichts anderes als die Idee oder der vollendete Begriff (XII, 63). Die Idee ist die Einheit des Begriffs und der Realität, die Wirklichkeit, die so ist, wie sie sein soll (XXI, 101. 3,142). So wenig wie der Begriff und das Urteil ist die Idee als der Schluß nur etwas Subjektives. Im Gegenteil, nichts ist, nichts lebt, was nicht Idee ist, und nichts ist wirklich als die Idee (VI, 14. 7, 33). Alles Wirkliche, sofern es wahr ist, ist Idee, hat seine Wahrheit durch die Idee und Kraft der Idee (V, 190. 8, 423).

b) Gott als die absolute Idee Wie der Begriff, so ist auch die Idee ein Prozeß. Alles Wirkliche ist im Grunde Idee, aber nicht jede Idee ist schon die vollendete oder absolute Idee. Als Prozeß durchläuft die Idee mehrere Stufen, bis sie absolute Idee wird. Wir können hier diese Stufen, das Leben, das Erkennen und das Wollen nicht näher betrachten. Sie sind theologisch nicht von grundlegender Bedeutung. Teilweise haben wir vom Erkennen bereits gesprochen, teilweise werden wir vom Leben noch zu handeln haben. Wichtig für uns ist nur, daß die letzte Stufe der Entwicklung der Idee, die zugleich das Erste und Ursprünglichste ist, die absolute Idee oder Gott in seinem ewigen Insichsein ist (8, 429). Die absolute Idee ist das überzeitliche Anschauen ihrer selbst im Anderen, der Begriff, der in seiner Objektivität sich selbst ganz ausgeführt hat. Sie ist das absolute Urteil, die absolute Negati-

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Das theologisdie System

vität, daß der Begriff sich zum Gegensatz gegen seine Allgemeinheit bestimmt und diese Äußerlichkeit in die Subjektivität zurückführt (V, 192 f. 8, 427 f.). Die absolute Idee ist somit die Dialektik, ja sie ist die Wurzel aller Dialektik in Gott und Welt. Sie ist sowohl die dialektische Trennung der in der Einheit des Begriffs befindlichen Momente, als auch die spekulative Vereinigung aller dialektischen Gegensätze in der absoluten Synthese, die coincidentia oppositorum. Weil die absolute Idee die spekulative Synthese ist, ist sie das Mysterium Gottes, denn alles Spekulative ist mystisch (XIV, 69.16, 227). Wir haben damit die letzte Definition Gottes in der Logik erreicht, die absolute Definition des Absoluten abgesehen von der Welt (V, 170. 8, 383). Eine höhere Definition in der spekulativen Logik ist nicht denkbar. Alle bisherigen Definitionen des Absoluten oder Gottes: Sein, Nichts, Werden, wahre Unendlichkeit, Wesen, Grund, Substanz, causa sui, Endzweck, Begriff — sie alle münden in dieser letzten Definition und werden in ihr als Momente aufgehoben, d. h. aufbewahrt (V, 190. 8,423). So ist die absolute Idee das ewige Leben Gottes in sich selbst, vor der Erschaffung der Welt, der ewige Logos (VIII, 69). Das Leben Gottes als Idee ist das „Spielen" der ewigen Liebe mit sich selbst, aber verbunden mit dem Ernst, der Geduld und dem Schmerz, ja der Arbeit des Negativen (II, 20. 2,23). Gott als Idee ist der ewige Logos in der Sphäre des Allgemeinen, in welchem Alles ist und ewig bleibt (XII, 155.15, 79. XIV, 74). Es ist die ungetrübte Gleichheit und Einheit mit sich selbst, noch ohne den ganzen Ernst der Entfremdung und der Überwindung der Entfremdung gedacht (II, 20.2,23). Die Entfremdung und die Überwindung sind weitere Akte, die in der Idee Gottes zwar angelegt, aber noch nicht verwirklicht sind. Es sind die ewigen schöpferischen Gedanken Gottes, die in der Idee vereinigt sind, durch welche die Welt ist (8, 425). Die Verwirklichung der Idee in der Welt muß eintreten, obwohl Gott als Idee absolut frei ist, weil diese Freiheit zugleich die absolute Notwendigkeit ist (IV, 505. 5, 353). Aber hier sind wir von dieser Verwirklichung noch weit entfernt, wir haben es mit Gott vor der Erschaffung der Welt zu tun, mit dem überzeitlichen Logos (10, 9 f.). c) Personalität der absoluten Idee Gott als die absolute Idee ist Persönlichkeit (IV, 502. 5, 349). Das ist von der Hegel-Kritik oft bestritten worden, obwohl Hegel es expressis verbis immer wieder betont. Hegel definiert Gott als das absolute Ich. Das Ich ist kein „Ding" (IV, 222. 5,16), sondern es ist ein Ich, das denkt. Schon

Personalität der absoluten Idee

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Cartesius ging vom „Ich denke", sum cogitans, cogito ergo sum, aus. Im „Ich denke" liegt die Freiheit (19, 338 f.). Bei Kant begleitet das „Ich denke" alles gegenständliche Erkennen (IV, 221 f. 5,15 f.). Das „Ich denke" aber ist ebenso wie die Idee eine Dreiheit. Erstens ist das Ich dasjenige, das denkt, die reine, sich auf sich beziehende Einheit, die Allgemeinheit. Zweitens denkt das Ich ein Etwas, sonst wäre es kein „Ich denke". Es stellt sich also ein Anderes gegenüber, schließt ein Anderes von sich aus, es besondert sich. Drittens aber ist das Andere das Ich selbst, das von ihm Durchdrungene. Das Ich kehrt aus dem Anderen zu sich zurück und ist erst so das „Ich denke" (IV, 220 f. 5,14). Das Ich ist somit Selbstbewußtsein. Im Selbstbewußtsein unterscheiden wir ebenso das Selbst, das Bewußtsein hat, das Etwas, dessen sich das Selbst bewußt ist, und das Bewußtsein, daß dies Etwas das Selbst ist. Auch im Selbstbewußtsein finden wir also das Allgemeine, das Besondere und das Einzelne. Das Ich oder das Selbstbewußtsein ist der vollendete Begriff, die Idee (XXI, 92. 3, 138. V, 159. 8, 358. IV, 220.5,13). Das Ich ist Selbstentfaltung, Entelechie, genauso wie der vollendete Begriff. Darum ist es Leben. Ohne die Dreiheit wäre das Ich tot, eine Abstraktion. Ist nun Gott das absolute Ich oder das Selbstbewußtsein, so ist er Persönlichkeit (IV, 502. 5, 349). Gott ist Persönlichkeit, weil er die absolute Idee ist, die unendliche Subjektivität der Gewißheit seiner selbst, die Reflexion in sich in dem Unterschiede (XIV, 60). Gott ist Persönlichkeit, weil er die ewige Liebe ist. Wenn wir sagen: Gott ist Liebe, dann sagen wir zugleich, daß er Person ist. Das Verhältnis ist dies, daß sich das Bewußtsein des Einen nur hat im Bewußtsein des Anderen, das Eine nur bewußt ist im Ändern (XIV, 71). Liebe ist das Unterscheiden Zweier, die doch für einander schlechthin nicht unterschieden sind. Ich habe mein Selbstbewußtsein nicht in mir, sondern im Ändern, aber dies Andere hat sein Selbstbewußtsein nur in mir, und beide sind dies Anschauen, Fühlen, Wissen der Einheit. Gott ist die Liebe, d. h. dies Unterscheiden und die Nichtigkeit dieses Unterschiedes, ein Spiel des Unterscheidens, mit dem kein Ernst ist, der Unterschied als aufgehoben gesetzt (XIV, 75). Und eben dies ist das Wahre der Persönlichkeit: Sich durch das Versenken, Versenktsein in das Andere zu gewinnen (XIV, 81). Wie wir also die absolute Idee auch betrachten mögen, ob als das absolute Ich, als das Selbstbewußtsein oder als die ewige Liebe, immer ist Gott in seinem ewigen Insichsein schon Persönlichkeit, niemals unpersönliche Substanz. Die absolute Substanz gehört in die Sphäre des Wesens und führt zum Pantheismus, sie gehört nicht in die Sphäre des vollendeten Begriffs (XIV, b. 126 f.).

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d) Die Trinität Die absolute Idee bezeichnet zweitens die Persönlichkeit Gottes, weil Gott der Dreieinige ist. Die kirchliche Trinitätslehre ist, dogmengeschichtlich betrachtet, aus der Christologie erwachsen. In Hegels Ideenlehre aber geht es nicht um diese historische Genesis der Trinität, sondern um die ontologische Grundlage derselben. Die Kirchenlehre spricht in der Form der religiösen Vorstellung von „Vater", „Sohn" und „Geist". Das sind Bilder, die aus dem organischen Leben genommen sind und daher dem nicht entsprechen, was eigentlich gemeint ist. Es ist ein kindliches Verhältnis, und man muß wissen, daß der Ausdruck nur bildlich ist (XII, 42. XIV, 70 ff. 16, 228). Dem Glauben genügen solche religiösen Bilder. Wenn sich aber der Verstand daran macht, zeigen sich Widersprüche, und es entstehen endlose Streitigkeiten, wie die Dogmengeschichte zeigt (XIV, 80. 16, 237). Es ist von drei Wesen die Rede, Vater, Sohn und Geist, es kommt also, bemerkt Hegel, die unglückliche Form der Zahl herein, und der Verstand fängt an zu zählen: Eins, zwei, drei. Es erscheint als eine unerhörte Forderung, drei Eins als Eins zu fassen (XIV, 60. 71). Für den Verstand ist die Eins eine absolute Selbständigkeit, er hält an dieser Äußerlichkeit fest, und dann haben wir den unlösbaren Widerspruch (XII, 300.15, 170 f.). Das Eins ist eben das Beziehungslose, es zeigt nicht an ihm selbst die Bestimmung, in sein Entgegengesetztes überzugehen, vielmehr schließt es eine solche Beziehung aus (III, 210. 4, 259). Noch schwieriger wird es für den Verstand zu begreifen, daß die Eins als Person bestimmt wird. Daß drei Personen eine Person sein sollen, scheint noch unmöglicher zu sein (XIV, 80.16,238). Aber der Verstand sieht eben nicht, daß alles Konkrete, Lebendige ebenso widerspruchsvoll ist. Die Persönlichkeit aber ist das Konkreteste, Lebendigste. Sie besteht, wie wir gesehen haben, gerade darin, daß das Ich in der Liebe sich aufgibt und dadurch sich zurückgewinnt. Das Wahre an der Persönlichkeit besteht eben darin, sich durch das Versenken in das Andere wiederzugewinnen (XIV, 81. 16, 239). Ich habe mein Selbstbewußtsein im Anderen, aber der Andere hat sein Selbstbewußtsein in mir — das ist persönliche Liebe. So ist Gott Idee, Persönlichkeit, Liebe (XIV, 75.16, 227). Und das ist die eigentliche Meinung der Trinitätslehre, die in der bildlichen Vorstellung und im rationalen Dogma noch nicht klar ans Licht gekommen ist. Hält man die Persönlichkeit abstrakt fest, so erhalten wir drei Götter und sinken damit ins Heidentum zurück. Aber mit dem „Vater" ist das Allgemeine der Idee Gottes, mit dem „Sohn" ihre Besonderung und mit dem „Geist" die Einzelheit ge-

Die Trinität

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meint. Alle Drei aber sind der eine Gott (XIV, 72.16, 239 f.). Die Idee Gottes ist dieser Widerspruch und diese Auflösung desselben (XIV, 61). Die drei Personen sind nicht drei Götter, sondern drei Momente des einen Gottes (XIV, 71). Die Trinitätslehre bietet daher den konkreten, spekulativen VernunftbegrifF Gottes, während Mythus und Dogma nur zu einem supranaturalen Mysterium oder dann zu einem abstrakten Gottesbegriff führen können (8, 386). Was der gewöhnliche Verstand nicht begreift, ist eben der Begriff, die spekulative Einheit dreier Momente (XIV, 79 f. 16, 236). Weil es sich in der Trinitätslehre um die metaphysische Grundlage des wahren Gottesbegriffes handelt, finden sich Anklänge an sie schon in vorchristlichen Religionen, z. B. in Indien, obwohl hier die geistige Subjektivität fehlt (XII, 154.15, 367. XIV, 81. 16, 242). Das Dritte ist dort nicht Geist, nicht die Rückkehr zu sich selber aus der Unterscheidung (III, 338. 4, 407). Der Unterschied verschwindet, aber er wird nicht aufbewahrt, die Einheit ist nicht konkrete Einheit. Trinitarische Anklänge finden sich auch bei antiken Philosophen (XIV, 59.16,243), so bei den Pythagoräern, bei Plato, Philo (XIV, 82). Das ist kein Wunder, denn sowie der Mensch in das Element des Denkens kommt, ergibt sich sogleich die Bestimmung drei. Das Eine ist das Unbestimmte, die erste Abstraktion. Wenn dies bestimmt wird, so ist es die Zwei. Und das Dritte ist die Totalität, die Vollendung der Bestimmtheit (XIII, 117). Aber erst in der christlichen Religion erscheint die Trinität, die ihre Grundbestimmung ist, in ihrer Reinheit. Man hat, sagt Hegel, es der kirchlichen Trinitätslehre zum Vorwurf gemacht, daß sie in der Bibel nicht zu finden sei und unter dem Einfluß der neuplatonischen Philosophie konzipiert wurde (XII, 47.15, 56). Aber das ist kein Einwand gegen die Trinitätslehre. Woher eine Lehre historisch stammt, ist nicht entscheidend; die Frage ist allein die, ob sie wahr ist. Ob die Bibel ausdrücklich die Dreieinigkeit Gottes lehrt, darauf kommt es nicht an, es wäre Buchstabendienst, dies zu fordern. Es ist der Geist der Kirche, welcher der Geist der Wahrheit ist, der diese Lehre erkannt und formuliert hat (IX, 722). Der Mangel der kirchlichen Trinitätslehre ist nicht ihre philosophische Fassung, sondern ihre noch kindliche Form, ihre religiös-rationale Fassung in der Vorstellung (XIV, 70). Die Philosophie aber begreift logisch-dialektisch, daß Gott als Idee der Dreieinige ist. Gott ist die bei sich selbst seiende Tätigkeit, das absolute Urteil; was er aber von sich unterscheidet, hat nicht die Gestalt eines Andersseins, sondern das Unterschiedene ist unmittelbar nur das, von dem es unterschieden worden ist. Gott ist dies ganze Tun selbst, er ist der Anfang, aber auch das Ende,

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die Totalität. Gott ist also nicht nur die ewige Ruhe, sondern er ist der dialektische Prozeß, Thesis, Antithesis und Synthesis (XIII, 160.15, 376) (XIV, 70). Gott macht sich zum Gegenstand seiner selbst und bleibt in diesem Gegenstand er selbst. Er liebt sich im Anderen und geht in dieser Liebe mit sich zusammen (XII, 41. 15, 48). Er weiß, daß das Andere er selbst ist, und ist selig darin (IX, 821). Das ist Gott als die Idee, die ewige Grundlage Gottes als Geist, oder der Logos (XII, 42). Es ist das Mysterium Gottes, das den Menschen in der christlichen Religion vorstellungsmäßig geoffenbart worden ist (XIV, 69.16, 227 f.). Mit dieser'Fassung der Trinitätslehre hat Hegel etwas Einzigartiges geleistet. Während die kirchliche Trinitätslehre in ihrer Mischung von Mythologie und Rationalismus das Problem nicht zu lösen vermochte und daher der Zersetzung verfiel, wie die Dogmengeschichte zeigt, hat Hegel als erster den metaphysischen Gehalt dieser Lehre systematisch formuliert und begründet. Hegels Trinitätslehre ist denknotwendig. Wäre Gott nur als Thesis, so wäre er ein totes Abstraktum, kein lebendiger Gott, kein Schöpfer. Wäre Gott nur Thesis und Antithesis, so hätten wir einen unüberwindlichen Dualismus in Gott selbst hineinverlegt und Gott damit verendlicht. Nur wenn Gott der innere lebendige Prozeß von Thesis, Antithesis und Synthesis ist, ist er das schöpferische Prinzip des Universums und, wie wir sehen werden, Schöpfer, Erhalter und Erlöser zugleich. — Wir haben damit den ersten Teil der systematischen Gotteslehre oder die Lehre von Gott in seinem ewigen Insichsein beendet. Es ist die Grundlage der ganzen Gotteslehre, denn alles, was die Theologie weiter zu entfalten hat, sind Folgerungen aus dieser Grundlegung. Wir wenden uns jetzt dem Verhältnis Gottes zur Welt, speziell zur Natur zu.

2. Kapitel Gott und die Welt 1. A b s c h ni tt Die Schöpfung A. Die Schöpfung der Welt Wir haben den Begriff Gottes in seinem ewigen, ideellen Sein, als Logos, betrachtet, abgesehen von der Welt. Als dies ewige Sein ist Gott Idee, Dreieinigkeit, die ewige Selbstentfaltung, absolute Persönlichkeit, Liebe. Aber neben Gott als Idee ist die Welt eine Tatsache. Wie verhält sich Gott zu der daseienden Welt und sie zu ihm? Das ist die erste Frage. Sie wird in der biblischen Vorstellung zunächst damit beantwortet, daß Gott der Schöpfer der Welt ist. Da ist einerseits Gott, andererseits die Welt. Es wird gesagt: Die Welt ist erschaffen (XII, 146), sie ist Kreatur, durch Gott gesetzt (XII, 175). Es wird dabei vorausgesetzt, daß mit dem „Schaffen" eine ganz andere Tätigkeit gemeint ist als die menschlichen, empirischen Erschaffens. Aber was das für eine Tätigkeit ist, und in welchem Zusammenhang die beiden Seiten, der Schöpfer und die geschaffene Welt stehen, das wird nicht begriffen, die Notwendigkeit der Schöpfung wird nicht erfaßt, sondern nur nach Analogie des natürlichen Lebens und Geschehens ausgedrückt oder als unbegreiflich bezeichnet (XII, 113). Wir müssen darum über die religiöse Vorstellung hinaus nach dem Begriff der Schöpfung fragen. Dann ergeben sich folgende Überlegungen: Erstens: Warum, fragt Hegel, ist Gott der Schöpfer? Warum mußte Gott eine Welt erschaffen? Warum ist die Welt für Gott selbst notwendig? Diese Fragen sind kein müßiges Spiel intellektueller Neugier, keine Anmaßung, sondern theologisch ebenso legitim wie notwendig. Das Problem ist unserem Denken mit der Tatsache Gott — Welt unmittelbar gegeben und dem denkenden Menschen zur Lösung aufgegeben. Auf den ersten Blick freilich scheint es nicht möglich, die Frage gerade im Hinblick auf 10 Sdimidt, Hegel

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den Begriff Gottes als Idee zu beantworten. Denn Gott ist der sich selbst absolut Genügende, Unbedürftige. Er ist das absolute Fürsichsein. Wie kommt nun Gott dazu, seine Allgenügsamkeit aufzugeben und sich zu einem Anderen seiner selbst, einem schlechthin Ungleichen, der raum-zeitlichen Welt zu entschließen? Warum bestimmt Gott sich selbst, eine Welt zu erschaffen (9, 49)? Allein so schwierig die Frage auf den ersten Blick erscheint, die Antwort liegt doch im Begriff Gottes selbst und braucht nur durch Analyse dieses Begriffs ans Licht gebracht zu werden. Die Idee Gottes ist, wie wir sahen, dies, zu urteilen, sich zu bestimmen, sich als Unterschiedenes seiner selbst zu setzen. Der Unterschied, den die göttliche Idee setzt, ist aber ebenso ewig aufgehoben, die Idee ist darin ewig in sich zurückgekehrt, der Unterschied ist wieder verschwunden, so daß das Ganze nur die lebendige Beziehung Gottes zu sich selbst ist, ein „Spiel" der Liebe mit sich selbst. Es kommt also in der Idee noch nicht zum vollen Ernst des Andersseins, der Trennung und Entzweiung. Darum ist die Bestimmung des Unterschieds noch nicht vollendet. Aber so wahr Gott der Lebendige ist, muß es mit seinem Urteil auch Ernst werden, der Unterschied muß wirklicher Unterschied werden (XIV, 93.16, 248 f.). Das zweite Moment in der Trinität, der „Sohn", muß die Bestimmung als ein Anderes Gottes erhalten (XIV, 31). Das Andere muß für sich selbst sein, außen, fern von Gott zur Existenz kommen. Solange dies nicht der Fall ist, ist das Urteil des göttlichen Begriffs noch nicht vollendet und damit der Begriff Gottes selbst einseitig. Es ist also das absolute Urteil der Idee Gottes, der Seite des Andersseins Selbständigkeit zu verleihen, und dieser die ganze Idee, soweit sie dieselbe aufnehmen und repräsentieren kann, mitzuteilen. Der absolute Akt des ersten Urteils in der Idee ist an sich derselbe wie der zweite in der Schöpfung, und doch sind beide auseinanderzuhalten, denn der ewige „Sohn" ist eben nicht die physische und geistige Welt, sondern nur ihre ewige Voraussetzung (XIV, 85 f.). Indem also die göttliche Idee sich in allem Ernst selbst bestimmt, entläßt sie in souveräner Freiheit das Andere als ein ebenfalls Freies, so daß dieses nun ein selbständiges Objekt für Gott wird. Es ist die absolute Freiheit der Idee, daß sie in ihrem Urteil das Andere als ein Freies, Selbständiges entläßt. Damit aber entsteht die Welt (XIV, 94.16, 249 f.). Wir können dasselbe auch noch anders formulieren: Es gehört zur wahren Unendlichkeit der Idee, daß es zur Schöpfung der Welt kommen muß. Wäre nämlich Gott ohne die Welt, die doch empirisch ist, so wäre seine Unendlichkeit eine abstrakte, schlechte Unendlichkeit, Gott würde als das höchste Wesen verendlicht, weil er an der Welt eine Grenze,

Die Schöpfung der Welt

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Schranke hätte. Setzen wir aber die Welt als überhaupt noch nicht gegeben, so wäre Gott die tote Ruhe, ohne Aktivität und Tätigkeit nach außen, also wiederum endlich und abstrakt gedacht. Es gehört daher zur wahren Unendlichkeit Gottes, daß er eine endliche Welt setzt, den Unterschied von sich real macht (9, 47 ff.). Es ist also nicht so, als wäre die Erschaffung der Welt etwas Willkürliches oder Zufälliges, als könnte die Schöpfung sein oder auch nicht sein, vielmehr gehört sie notwendig zum Begriff Gottes (XIV, 35.16,197 f.). Und die Erschaffung der Welt ist nichts anderes als das Wort der religiösen Vorstellung für den Begriff Gottes selbst nach seiner absoluten Bewegung und Lebendigkeit (2, 587). Zweitens: Wir haben die Notwendigkeit der Schöpfung aufgezeigt. Nun muß der Begriff der Schöpfung näher bestimmt werden. Da ist die wichtige Bestimmung hervorzuheben, daß Gott die Welt aus dem Nichts erschafft. Gott allein ist das Positive, er ist das Setzen seiner Macht. Dies ist die Geburtsstätte alles Erschaffenen. Die Notwendigkeit, daß Gott das Setzen seiner Macht ist, ist das Material, woraus Gott schafft. Gott schafft also aus nichts Materiellem (XIII, b. 59). Gott erschafft absolut aus nichts, seine Produktion ist anschauende, unendliche Tätigkeit, nicht gegen ein Anderes, schon Vorhandenes gerichtet, sondern Erzeugung der Welt als ein von ihm Gesetztes (XIII, b. 62). Das Hervorgegangene hat den Charakter des Geschaffenen (XIII, b. 60. 16, 51 f.). Gott ist gegen das Gesetzte das Vorausgesetzte, das Subjekt, welches das absolute Erste ist und bleibt (XIII, b. 61.16, 52 f.). Gott, betont Hegel, ist also kein Weltbildner, kein Demiurg, neben ihm steht kein Chaos, keine ungeordnete Materie, die er erst bilden müßte, ohne sie gesetzt zu haben. In mythischen Auffassungen und auch in philosophischen Systemen erscheint Gott als solcher Demiurg. Dies widerspricht aber der Absolutheit des göttlichen Begriffs. Dieser fordert kategorisch, daß es neben Gott keine ewige, selbständige Materie und kein Chaos gibt, daß also Gott die Welt aus dem Nichts erschafft (8, 296). Gott allein bestimmt, außer ihm ist nichts zu Bestimmendes da. Er allein setzt sich selbst ein Anderes gegenüber. Er hat die endliche Welt gewollt, er hat sie als ein Anderes gesetzt, und dies Andere ist Erscheinung, Gott hat sich selbst darin. Das Andere, die Welt, ist darum der Widerspruch in sich selbst. Es ist das Andere Gottes und zugleich das Andere Gottes. Es hat daher kein Bestehen vor Gott (XII, 147.15, 209 f.). Die Welt ist Erscheinung, sie ist nicht selbständig, sondern Kreatur, ewig von Gott gesetzt (XIV, 87 f. 16, 253 f.). Man kann daher nicht fragen, woher Gott die Materie genommen hat, sie ist ein Moment des göttlichen Wesens selbst (XIII, b. 60. 16, 51). Und darum ist Gott ein ewiger Schöpfer, die Schöp10*

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fung gehört zu seinem ewigen Wesen (XIV, 35 16, 197 f.). Gott erschafft nicht einmal die Welt, sondern die Schöpferkraft der absoluten Idee ist eine perennierende Tätigkeit, die Schöpfung bringt sich ewig hervor (9, 459). Die Welt ist erschaffen, sie wird jetzt erschaffen und ist ewig erschaffen worden. Ewigkeit ist nicht vor oder nach der Weltzeit, sondern ist absolute Gegenwart. Bei der Ewigkeit der Welt ist also die Zeitvorstellung im Sinne einer unendlich langen Zeit auszuschließen (9, 51 f.). Und daß Gott der Schöpfer ist, das ist nicht ein einmaliges Geschehen in der Zeit, sondern es gehört zum Wesen Gottes als absolute Idee, daß er der Schöpfer ist. Wird Gott nicht als Schöpfer verstanden, wie z. B. bei Fichte, so wird er mangelhaft aufgefaßt (XIV, 74). Ebenso folgt daraus, sagt Hegel, daß nur wir in der Zeit lebende Menschen Schöpfung und Erhaltung der Welt unterscheiden. Im Grunde ist beides eins, die Schöpfung ist Erhaltung und die Erhaltung ist Schöpfung (XIV, 88). Aber ebenso deutlich wird nun, daß der Begriff des Schöpfers den Gottesbegriff nicht erschöpft. Gott ist der Schöpfer, aber er ist mehr als dies. Gott ist die freie, sich auf sich beziehende, bei sich bleibende Tätigkeit, Vermittlung seiner mit sich. Wird Gott nur als der Schöpfer bestimmt, so wird seine Tätigkeit nur als hinausgehende, sich aus sich selbst expandierende, als anschauendes Produzieren genommen, ohne Rückkehr zu sich selbst. Als Geschöpf bleibt die Welt in der religiösen Vorstellung außer Gott, steht als ein Anderes ihm gegenüber, so daß er jenseits seiner Welt, ohne sie an und für sich ist. So ist die Schöpfung im Alten Testament aufgefaßt. Im Christentum aber, wo Gott als der Dreieinige erkannt ist, ist Gott wohl auch Schöpfer der Welt und so hinreichend bestimmt, aber er ist zugleich mehr als dies, nämlich Geist, die Vermittlung seiner mit sich selbst (XIV, b. 2 7 f. 16, 380 f.).

B. Die Prädikate des Schöpfers In der Schöpfung manifestieren sich bestimmte Momente der absoluten Idee, die in der religiösen Vorstellung als „Eigenschaften" Gottes aufgefaßt werden. Es sind dies kurz folgende Momente: Erstens ist Gott die Allmacht, ein Prädikat, in welchem die Kategorie der absoluten Notwendigkeit gedacht ist, verbunden mit der Personalität des absoluten Begriffs. Als Macht erscheint dieser Begriff in allen Religionen, auch in der biblischen, geht aber als die freie Macht der Selbstbestimmung in die Kategorie der Weisheit über (XIII, b. 10 f. 16, 6 f.).

Die Prädikate des Sdiöpfers

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Zweitens ist Gott als der Schöpfer die weise Macht. Hier wird die Kategorie der absoluten Notwendigkeit mit dem Begriff des Zweckes verbunden. In der Welt als Erscheinung drückt sich die absolute Idee aus. Das nennt die religiöse Vorstellung die Weisheit Gottes in der Natur, ein sehr tiefer Gedanke, der die göttliche Idee in ihrer Manifestation ausdrückt (XIV, 88.16,254). Die göttliche Weisheit ist zugleich Macht, sie wirkt, sie schafft, und nur darum ist eine geschaffene Welt (XIII, b. 35. 16, 32). Die weise Macht dient durch ihr Tun dem absoluten Endzweck der Welt (XIII, b. 35.16, 33). Drittens ist der Schöpfer die absolute Güte. Es ist die ewige Güte Gottes, daß das Bestimmte überhaupt existiert, ein momentanes Sein bekommt, das zwar gesetzt, aber doch ist. Die Welt ist zwar in der göttlichen Macht absorbiert, aber die Güte läßt sie doch bestehen, obwohl sie endlich ist (XIII, 150 f. 15, 367). Das Sein der endlichen Dinge hat einen Zweck, sie sollen sein, obwohl ihr Sein nur Erscheinung, gegenüber Gott ein Nichtsein ist. Trotz ihrer Nichtigkeit hat die Welt ein Recht, zu sein (XIII, b. 64 f. 16, 54 f.). Weil aber die durch Gottes Güte bestehende Welt doch nur Erscheinung ist, zeigt sich in der Schöpfung viertens die absolute Gerechtigkeit Gottes. Das Moment der Gerechtigkeit ist die Veränderung und das Werden, das Entstehen und Vergehen, das Erzeugt- und Vernichtetwerden, das Sein und das Nichtsein aller endlichen Dinge. Es ist die Gerechtigkeit, daß das Seiende, Bestimmte nicht ist, alles Endliche sein Ende, sein Recht und sein Schicksal erlangt, nämlich dies, veränden zu werden zu einer anderen Bestimmtheit (XIII, 151.15, 367). Die Gerechtigkeit besagt: Die Dinge sollen untergehen, denn sie sind der negative Prozeß und darum die Nichtigkeit (XIII, b. 64 f. 16, 54 f.). Das Sein der Welt ist nicht sein eigenes Sein, sondern ein in sich gebrochenes, ihm kommt keine Substantialität zu. Die Gerechtigkeit Gottes tut den endlichen Dingen ihr Recht an, sie sollen vergehen (XIII, b. 67.16, 56). Und damit hängt fünftens Gottes Erhabenheit zusammen, die vor allem ein Charakteristikum der biblischen Religion Alten Testaments ist (XIII, b. 52 f. 16, 43 f.). Die Erhabenheit ist die Beziehung Gottes, des absoluten Subjekts, auf die geschaffene Welt, die negiert wird. Die absolute Idee manifestiert sich als über die reale Welt der Erscheinungen erhaben (XIII, b. 71.16, 61). Gott ist somit nicht nur der Anfangende, sondern auch das Resultat. Er tritt aber nicht so weit aus sich heraus, daß es zu einem absoluten Dualismus käme (XIII, b. 62.16, 53). Gottes Tätigkeit ist nicht nur eine hinausgehende, ohne Rückkehr zu sich selbst, die Welt ist daher nicht nur ein

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Anderes seiner, sondern er ist die Vermittlung seiner mit sich, die Liebe (XIV, b. 27 f. 16, 380 f.). Also geht die Kategorie der Erhabenheit Gottes in die der Liebe über: Sechstem ist Gott die Liebe, er ist dies schon vor der Menschwerdung, schon als der Dreieinige. Die Welt ist wohl das Andere Gottes, ist außer Gott. Aber weil die Schöpfung seine Tätigkeit und die Beziehung zur Welt sein Verhältnis zu ihr ist, ist das Andere ein Moment seiner selbst. Daß Gott die Welt erschafft, ist eine Bestimmung in ihm selbst. Die Wurzel der Welt ist, daß Gott sich in sich selbst unterscheidet (19,16 f.). Das ist durch den Begriff der Dreieinigkeit Gottes gegeben (XIV, 69. 75.16, 227). Die tiefere Manifestation der Liebe Gott kann freilich erst bei dem Begriff der Menschwerdung Gottes, in der Christologie gegeben werden (XIV, 170 f. 16, 297 f.).

C. Der Begriff der Natur Erstens: Das erste Produkt der schaffenden Tätigkeit Gottes, die erste Schöpfung der absoluten Idee, ist die Natur. Was ist, so fragt Hegel, die Natur? Die Natur ist für uns Menschen zunächst ein Rätsel und ein Problem, aber die Frage nach dem Wesen der Natur ist zu beantworten, wenn wir ihre Prozesse von der Idee aus beleuchten (9, 33). Die Natur ist die absolute Idee in der Gestalt des Andersseins überhaupt, der äußerlichen Gegenständlichkeit und der konkreten, individualisierten Verwirklichung ihrer Momente (3,191). Die Natur kann bildlich als der „Sohn" bezeichnet werden, aber nicht als das zweite Moment der Trinität, als der Logos, sondern als die reale Entäußerung der Idee, das von der absoluten Idee getrennte Andere. Sie ist damit Manifestation der Idee, aber in endlicher und kreatürlicher Weise (9, 49 ff.). Dies bestimmt das Verhältnis der Natur zu Gott als Idee. An sich ist die Natur göttlich, in ihr ist Vernunft, in ihr offenbart sich Gott als die Weisheit in der Natur (10, 21. XIII, b. 112. XIV, 56. 88). Aber in ihrem realen Dasein ist die Natur nicht göttlich, zeigt sie keine Freiheit, sondern Zufälligkeit und äußere Notwendigkeit. Sie ist Gesetzsein und daher der „Abfall" der Idee von sich selbst. In der Natur ist die Idee sich selbst unangemessen, darum ist sie der unaufgelöste Widerspruch. Von ihrer Beziehung zur göttlichen Idee weiß sie nichts, sie hat kein Bewußtsein von Gott. Sie hat die göttliche Idee in sich, ohne es zu wissen (9, 53 f. XII, 170. XIV, 95). Aber in aller ihrer Äußerlichkeit ist die Natur doch die Darstellung der Idee, darum kann der

Der Begriff der Natur

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gläubige Mensch in ihr die Weisheit Gottes bewundern. Der Mensch vermag die vernünftige Idee in der Natur zu erkennen, für ihn als ein denkendes Wesen kann die Natur zur Offenbarung Gottes werden (XIII, b. 118. XIV, 28. 89). Das Bewußtsein Gottes ist für ihn durch die Natur vermittelt (XIV, 95) (9, 54. V, 208). Der Erkenntnis der Natur sind freilich Grenzen gesetzt. In der Natur ist zwar die Idee wirksam und erscheinend (9, 42), aber in ihr als sinnlicher Realität herrscht noch die Begriffslosigkeit (9, 56). Nur wie durch ein Transparent scheint durch sie der Begriff hindurch (9, 58). Ihre Gebilde sind einerseits durch den Begriff notwendig und vernünftig bestimmt, andererseits aber sind sie gleichgültig und zufällig (9, 62. V, 210). Das ist die „Ohnmacht" der Natur, die ihrer spekulativen Erkenntnis Grenzen setzt. Wir können wohl allgemein Gottes Weisheit in ihr bewundern und einzelne Gesetze erkennen, aber es ist uns nicht möglich, alles Zufällige in der Natur begrifflich zu erfassen (9, 63. V, 210). Zweitens: Die Schöpfung der Welt, das ist zu beachten, ist kein Hervorgehen, keine Emanation des Besonderen aus dem Einen, wie in manchen pantheistischen Systemen, sondern sie ist Setzung. Beim Hervorgehen wird das Hervorgegangene selbständig, das Entstehen ist nur etwas Transitorisches. Dies widerspricht dem Verhältnis Gottes zur Welt (XIII, b. 60.16, 51 f.). Anders ist es aber in der Natur selbst. Weil die Natur der Widerspruch ist, ist sie keine ruhende, statische Größe, sondern ist Bewegung, Werden, ein Prozeß. Die Entwicklung in der Natur ist bestimmt von einer Emanation und einer Evolution (3, 191 f. 9, 58 ff.). Beides vollzieht sich in Stufen, in einem System von Stufen, deren eine aus der anderen notwendig hervorgeht (9, 58). Weil der Natur die Idee oder der Begriff innewohnt, ist sie die Bewegung, die äußerliche Selbständigkeit der Unterschiede aufzuheben, damit der Begriff in seinem Dasein die adäquate Weise des Existierens gewinne. Die wahrhafte Weise des Seins, des Begriffs ist die, wo seine Bestimmungen sowohl außereinander als in einer Einheit sind. So wird der Begriff zum Geist. Die Natur ist der Stufengang, wie der Begriff, der in der Natur nur an sich ist, diese seine Rinde durchbricht und in die Erscheinung tritt, für sich zu sein, wie er ist. Im Geist sind die selbständigen Unterschiede der Natur in ihrer Idealität gehalten (XII, 166). Die Natur ist demnach an ihr selbst der Prozeß, dessen letzte Wahrheit der Übergang zum Geist ist, so daß der Geist sich als die Wahrheit der Natur erweist. Es ist die ewige Bestimmung der Natur, daß sie sich aufopfert. Diese Aufopferung der Natur ist ihr Prozeß und hat die Bestimmung, daß sie als Fortgang durch eine Stufenleiter erscheint, wo die Unter-

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schiede in der Form des Außereinanders da sind (XII, 169.15,121 f.). Die Natur ist die Idee an sich und nur an sich. Die Weise ihres Daseins ist, außer sich zu sein in vollkommener Äußerlichkeit. Die Weise ihres Fortgangs aber ist, daß der in ihr verschlossene Begriff durchbricht und in die Erscheinung tritt. Dieser Durchbruch, erklärt Hegel, geschieht zuerst in der Empfindung, der höchsten Spitze und dem Ende der bloßen Natur. In der Empfindung ist schon ein Fürsichsein enthalten, hier fängt die Seele, die Subjektivität an. Das ganze Drängen und Streben der Natur ist das Streben nach der Empfindung, letztlich nach dem Geist. Die Empfindung ist die erste Stufe des Geistes in der natürlichen Welt, noch vor dem erwachenden Bewußtsein. Die Natur muß notwendig zum Geist werden, so daß die göttliche Idee in ihr für sich wird. Die nächste Stufe ist das Bewußtsein. Der Geist erscheint in diesem Fortgang als notwendig durch die Natur vermittelt, also nach der Natur das Zweite. Aber das ist Täuschung, eine Täuschung, der die Materialisten verfallen. Denn die Vermittlung hebt sich wieder auf. Es ist ja die Idee, die in der Natur wirkt. Also ist nicht die Natur das Erste, sondern der göttliche Geist als Idee. Was als das Letzte erscheint, ist in Wahrheit das Erste (XII, 170. 15,123 f. 8, 391). Die höchste Darstellung der Idee in der Natur ist das Leben, und dies Leben hat die Bestimmung, sich aufzuopfern und Geist zu werden (XIV, 89.16,254 f.). Indem die Natur stirbt, geht der Geist hervor (9, 720 f.). Er ist die Wahrheit und der Endzweck der Natur (9, 65. V, 212). Die Natur steht mit alledem noch unter dem Menschlichen (XIV, 89.16,256). Damit hat Hegel das Wesen der Natur theologisch und metaphysisch erkannt und denknotwendig interpretiert. Daß Hegel daneben naturwissenschaftlich gesehen ein Kind seiner Zeit war, seine Kenntnisse daher auf diesem Gebiet beschränkt waren, was zu Fehlern und Irrtümern in seiner Naturphilosophie führte, ist selbstverständlich. Die Wahrheit und Gültigkeit seiner spekulativen Naturdeutung wird dadurch in keiner Weise berührt.

2. A b s c h n i t t Die Geschichte A. Die Aufgabe der Geschichtsphilosophie Die Erhaltung der Welt behandelt Hegel nicht besonders, weil er Schöpfung und Erhaltung in Eins sieht. Dagegen stellt er ausführlich das

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Problem der Weltregierung Gottes dar. Dies Problem zerfällt in zwei Fragen, das Problem der Geschichte und das der Wunder in der Gesdiidite. Was ist, so fragt Hegel, die Aufgabe der Geschiditsphilosophie? Der Prozeß der Natur setzt sich fort in der Geschichte. Die Natur hat eigentlich keine Geschichte, sondern sie ist ein Kreislauf des Werdens und Vergehens. Die eigentliche Geschichte beginnt mit dem menschlichen Geist und seiner Entwicklung. Im menschlichen Geist oder dem menschlichen Bewußtsein expliziert sich der Weltgeist oder der göttliche Geist in der Welt. Wir müssen also unterscheiden den objektiven Geist in der Welt und den subjektiven Geist im Menschen. Der Volksgeist, der allgemeine Geist eines Volkes, ist eine besondere Gestaltung des allgemeinen Weltgeistes, über die er an sich erhaben ist, in der er aber existiert (VIII, 37). Der objektive Geist ist der Geist, der sich in der Geschichte der Menschheit auswirkt, und zwar im Recht, in der Moralität und in der Sittlichkeit, besonders aber in der Familie, in der Gesellschaft und im Staat verkörpert. Dieser Geist hat insofern eine Schranke, als er noch bewußtlos ist und erst im Bewußtsein der Menschen aufleuchtet. Alle Formen des Geistes in der Geschichte wurzeln letztlich im absoluten Geist, in Gott, sind aber besondere Ausprägungen und Wirkungen dieses Geistes. Der absolute Geist, Gott, regiert die Welt. Der Inhalt seiner Regierung, die Vollführung seines Planes ist die Weltgeschichte. Diesen Plan Gottes in der Weltgeschichte in allgemeinen Grundzügen zu erfassen, das ist die Aufgabe der Philosophie der Geschichte. Sie hat die Wirklichkeit der absoluten Idee nicht nur in der Natur, sondern auch in der Geschichte zu erkennen und damit diese Wirklichkeit zu rechtfertigen (VIII, 55). Sie erkennt damit, daß die Weltgeschichte ebenso die Auslegung des absoluten Geistes in der Zeit ist, wie sich die absolute Idee als Natur im Raum auslegt (VIII, 134). So wie die Natur von der absoluten Idee bestimmt ist, so erst recht die Geschichte der Menschheit, in der sich der subjektive Geist des Einzelnen, der Volksgeist und der objektive Geist der Gemeinschaft als Auswirkungen der einen göttlichen Idee entfalten. Wenn schon in der Natur Vernunft waltet, z. B. das Sonnensystem von vernünftigen Gesetzen bestimmt ist, so erst recht in der Geschichte (VIII, 13.11, 37 f.). Und dies zu erkennen, das ist die Aufgabe der Geschichtsphilosophie. Dabei ergeben sich folgende Einsichten: Erstens: Die Geschichte untersteht nicht einem blinden Schicksal, sondern der vernünftigen Idee Gottes (7, 447. VI, 271). Darum bekennt sich der religiöse Mensch zum Glauben an Gottes Vorsehung (VIII, 15.11, 39). Man darf, sagt Hegel, die göttliche Vorsehung nicht nur in der Natur, aber

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auch nicht nur in einzelnen Lebensschicksalen der Menschen suchen, sondern auch in der Geschichte. Denn Gottes Weisheit ist dieselbe im Großen und im Kleinen, und Gott ist nicht so schwach, daß er seine Weisheit nicht auch auf das Große anwenden könnte (VIII, 19. 11, 42). Der gläubige Mensch sieht zwar die göttliche Vorsehung besonders gern in einzelnen Geschicken der Menschen walten, aber bei dieser „Kleinkrämerei" des Glaubens dürfen wir nicht stehen bleiben, sondern müssen die Wege der Vorsehung auch in der Menschheitsgeschichte erfassen (VIII, 15 f. 11, 39 f.). Wenn wir sagen, daß die Welt durch die Vorsehung regiert wird, so liegt darin, daß der göttliche Zweck überhaupt das Wirkende ist, als das vorher an und für sich Bestimmte, so daß das Herauskommende dem, was vorher gewußt und gewollt wurde, entsprechend ist. Notwendigkeit und göttliche Vorsehung schließen sich dabei nicht aus. Der Begriff Gottes ist ja die Wahrheit der Notwendigkeit und erhält sie als aufgehoben in sich. Die Notwendigkeit ist nur blind, insofern sie nicht Begriff ist. Das religiöse Be wußtsein spricht ja auch von Gottes ewigen und unverbrüchlichen Ratschlüssen. Darin liegt die ausdrückliche Anerkennung der absoluten Notwendigkeit als zum Wesen Gottes gehörig. Gott weiß, was er will, er ist in seinem Willen nicht durch den Zufall bestimmt, und das, was er will, vollbringt er auch unwiderstehlich. Daher ist das Wort Schicksal eine ungenügende Vokabel (8, 332 f.). Der Glaube an die Vorsehung enthält also die Überzeugung, daß es in der Welt und damit in der Geschichte vernünftig zugegangen ist. Vernunft ist nicht nur in der Natur, sondern auch im Geistigen. Der Glaube an die Vorsehung schließt allen unvernünftigen Zufall aus (17,65). Die göttliche Vernunft ist die Macht, die sich selbst vollbringt. Keine Macht geht über die Allmacht Gottes, und die Weltgeschichte ist die Ausführung seines Planes (VIII, 55). Die Überzeugung, daß in der Geschichte die göttliche Vernunft waltet, geht aus der Erkenntnis der absoluten Idee unmittelbar hervor und ist deren Ableitung und Anwendung (VIII, 4.11, 34). Wer die Welt, sagt Hegel, vernünftig ansieht, den sieht sie wieder vernünftig an. Und die Welt vernünftig ansehen heißt, sie von der göttlichen Idee abhängig wissen (VIII, 7 f. 11, 37). Die Überzeugung, daß Gott die Welt regiert, muß zu der Einsicht führen: Was vernünftig ist, das ist wirklich, und was wirklich ist, das ist vernünftig (V, 37. 8, 48). Denn Gott ist sowohl Vernunft als auch die wahre Wirklichkeit; er ist schlechthin mächtig und offenbart sich auch in der Geschichte (VIII, 5.11, 35). Gottes Wille ist nicht so ohnmächtig, daß er den großen Inhalt der Weltgeschichte nicht bestimmen könnte (VIII, 8). Keine Gewalt in der Welt geht über die Macht der absoluten Idee, darum

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ist die Geschichte kein verrücktes, törichtes Geschehen. Die absolute Idee ist kein bloßes Ideal. Gott spricht sich aus, er ist die Macht, sich auszusprechen, sich vernehmlich zu machen. Und wir haben dies anzuerkennen, denn „die Vernunft ist das Vernehmen des göttlichen Werkes" (VIII, 55). Zweitens: Gegen Hegels These, daß die Vernunft die Geschichte regiert, hat die Kritik seit jeher leidenschaftlich protestiert, ebenso wie die Kritik die These von Leibniz über die beste aller Welten angegriffen hat. Der tatsächliche Zustand der Welt scheint Hegels These zu widersprechen. Ist nicht in der Welt unendlich viel Jammer, Leid, scheinbar sinnloses Zerstören, Sünde, Schuld? Wie wenig Glück und wieviel Unglück ist in der Menschheit! Geht es nicht oft den Guten und Frommen in der Welt schlecht und den Bösen und Ungerechten gut? Leben wir nicht unter lauter Ruinen vergangener, zerstörter Herrlichkeit? Ist nicht die Welt ein sinnloses Aufbauen und Vernichten, Geboren werden und Sterben? Wie kann man angesichts dieser Tatbestände von Vernunft in der Weltgeschichte reden? Nun, Hegel gibt das alles zu. Hegels Überzeugung von der Vernünftigkeit der Geschichte ist kein oberflächlicher Optimismus, sondern beruht auf seiner Erkenntnis der göttlichen Idee in ihrem Verhältnis zur Menschenwelt. Die Geschichte, sagt Hegel, ist kein Boden des Glückes. Die Zeiten des Glückes sind in ihr leere Blätter. Wohl ist die Geschichte Befriedigung Einzelner und ganzer Völker, aber diese Befriedigung ist nicht das, was man Glück nennt, denn es ist eine Befriedigung solcher Zwecke, die über den partikularen Zwecken stehen (VIII, 71.11, 59 f.). Besonders die großen, weltgeschichtlichen Individuen, welche die Menschheit vorwärts gebracht haben, sind nicht glücklich gewesen. Sie haben sich wohl befriedigt, aber sie waren nicht glücklich und wollten es auch nicht sein (VIII, 71. 78). Uns erfaßt wohl die Trauer über die Vergänglichkeit in der Geschichte, über den Untergang blühender Reiche, über den namenlosen Jammer der Individuen, zumal alle diese Zerstörungen und Grausamkeiten nicht nur das Werk der fühllosen Natur, sondern auch des Willens der Menschen sind. Die Geschichte ist ein Schlachtfeld, auf welchem das Glück der Völker, die Weisheit der Staaten und die Tugend der Individuen zum Opfer gebracht werden (VIII, 57 f. 11,59 f. 69.112 f.). Die Vergänglichkeit der Völker und ihres Volksgeistes erschüttert uns. Unser moralisches Gefühl empört sich über ein solches Schauspiel (VIII, 46. 57). Dennoch widerlegt dies alles nach Hegels Überzeugung die These nicht, daß die göttliche Vernunft die Welt regiert. Und Hegel wehrt sich dagegen, die „Litanei der Klagen" mitzumachen, daß es den Guten und Frommen in der Welt oft oder meistens schlecht, den Bösen und Ungerechten dagegen gut gehe (VIII, 86).

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Was antwortet Hegel auf die Klagen und Anklagen der Pessimisten? Seine Antwort lautet schlicht und klar: Es geht in der Geschichte nicht um die Einzelnen, auch nicht um die einzelnen Völker, sondern um den Weltgeist. Und das Recht des Weltgeistes geht über alle besonderen Berechtigungen (11,69). Alles, was geschieht, ist notwendig im Interesse des absoluten Geistes, der seinen Endzweck vollbringt, über alle Vergänglichkeit hinaus (VIII, 46). Alle Einzelnen, auch und gerade die Heroen in der Geschichte, sind Mittel zum Zweck für den Weltgeist. Oberflächlich betrachtet zeigt uns die Geschichte die Handlungen der Menschen, die von ihren Bedürfnissen, Interessen, Leidenschaften, Vorstellungen und Zwecken, Charakteren und Talenten ausgehen (VIII, 56.11, 69). Die Großen in der Geschichte haben ihre eigenen partikulären Zwecke. Sie sind von ihren Leidenschaften getrieben worden, denn ohne Leidenschaft wird nichts Großes vollbracht (VIII, 63.68). Ihre Leidenschaft ist nichts Unmoralisches, denn sie ist die Bedingung, daß aus dem Menschen etwas Tüchtiges hervorkomme (VIII, 80). Und doch sind sie alle nur Mittel und Werkzeug eines Höheren, von dem sie nichts wissen, Werkzeuge des Weltgeistes, der seinen Zweck vollbringt (VIII, 65.11, 60 f.). Die Heroen der Geschichte begreifen die Geschichte nicht, denn sie sind praktisch, nicht theoretisch eingestellt (VIII, 76). Haben sie aber ihren Zweck erreicht, so gleichen sie leeren Hüllen, die abfallen (VIII, 78). Hegel scheut sich nicht, das Verhalten der absoluten Idee, der Vorsehung oder des Weltgeistes als eine „List" zu bezeichnen, weil damit der Tatbestand treffend gekennzeichnet ist. Die absolute Idee begibt sich nicht selbst in den Gegensatz, in die Gefahr und den Kampf der Einzelnen und der Völker. Sie hält sich unangegriffen und unbeschädigt im Hintergrunde und schickt die Menschen mit ihren Leidenschaften in den Kampf. Es ist die „List der Vernunft", daß sie die Leidenschaften für sich wirken läßt, wobei nur die, welche sich in der Existenz befinden, Schaden leiden. Die absolute Idee bezahlt den Tribut des Daseins und der Vergänglichkeit nicht aus sich, sondern durch die Leidenschaften der Individuen (VIII, 83.11, 63.67 f.). Die Vernunft ist eben ebenso listig wie mächtig. Sie läßt ihre Objekte ihrer eigenen Natur gemäß aufeinander wirken und sich aneinander abreiben, ohne sich unmittelbar in diesen Prozeß einzumischen, und bringt gleichwohl nur ihren Zweck zur Ausführung. Die göttliche Vorsehung verhält sich der Welt und ihrem Prozeß gegenüber als die „absolute List". Gott läßt die Menschen mit ihren besonderen Interessen und Leidenschaften gewähren, was aber dadurch zustande komm t, ist die Vollführung seiner Absichten, die etwas anderes sind als das, worum es den Menschen zu tun ist (8,420).

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Drittens: Was aber nun ist der Zweck, der Endzweck der Weltgeschichte? Wozu werden alle diese Opfer gebracht? Hegel sieht in der Weltgeschichte einen doppelten Endzweck sich verwirklichen. Einmal ist das Ziel der Geschichte, daß der Geist zum Wissen dessen gelangt, was er in Wahrheit ist, und dies Wissen gegenständlich mache, es zu einer vorhandenen Welt verwirkliche, sich als objektiv hervorbringe. Die Geschichte ist die Darstellung des göttlichen Prozesses, des Stufenganges, in dem der Geist sich selbst, seine Wahrheit weiß und verwirklicht. Sie zeigt, wie der Geist allmählich zum Bewußtsein und zum Wollen der Wahrheit kommt. Es dämmert in ihm, er findet Hauptpunkte, am Ende gelangt er zum vollen Bewußtsein (VIII, 50 f.). Was aber ist der Geist an sich? Was ist seine Wahrheit? Der Geist ist an sich frei. Die Weltgeschichte ist darum der Fortschritt im Bewußtsein der Freiheit; ihr Endzweck ist das Bewußtsein des Geistes von seiner Freiheit und damit die Verwirklichung seiner Freiheit. Diesen Fortschritt haben wir in seiner Notwendigkeit zu erkennen (VIII, 40 f. 11,150). Der Fortschritt vollzieht sich langsam, aber sicher. Die Orientalen wissen noch nicht, daß der Geist oder der Mensch als solcher an sich frei ist, und weil sie es nicht wissen, sind sie es auch nicht. Sie wissen nur, daß Einer frei ist, aber eben darum ist solche Freiheit nur Willkür, und dieser Eine ist nur ein Despot. In den Griechen ist das Bewußtsein der Freiheit zuerst aufgegangen, darum sind sie frei gewesen. Aber sie und die Römer wußten nur, daß Einige frei sind, nicht der Mensch als solcher. Erst die germanischen Nationen sind durch das Christentum zum Bewußtsein gekommen, daß der Mensch als solcher frei ist, die Freiheit des Geistes seine eigenste Natur ausmacht. Dies Bewußtsein ist zuerst in der Religion, also in der innersten Region des Geistes, aufgegangen. Dies Prinzip der Freiheit dann auch in das weltliche Leben einzubilden, war die weitere Aufgabe, die zu lösen eine lange, schwere Arbeit der Bildung erfordert (VIII, 39). Diese geistige Freiheit zu erringen ist die eine Aufgabe, der eine Endzweck der Weltgeschichte. Der andere Endzweck der Geschichte ist, daß die absolute Idee sich nach dem Umweg über die bewußtlose Natur im menschlichen Bewußtsein wiederfindet und verwirklicht (VIII, 30.11,47 f.). Gott ist das Höchste, das Vollkommenste, er kann also letztlich nur sich selbst wollen und das, was ihm gleich ist (VIII, 30). Es handelt sich in der Geschichte nach diesem Aspekt darum, daß Gott und der Mensch, das besondere Subjekt, zur Einigkeit, zur wahrhaften Versöhnung gelangen, wobei der Mensch als freies Subjekt nicht untergeht in der objektiven Weise des Geistes, sondern zu seinem selbständigen Rechte kommt, ebenso aber der göttliche Geist

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sein absolutes Recht erhält (VIII, 234). Der Endzweck der Geschichte ist so gesehen die Verherrlichung Gottes, seine Ehre. Und in der Ehre Gottes hat auch der einzelne Mensch, der individuelle Geist, seine Ehre, aber nicht seine besondere, endliche, sondern durch das Wissen, daß sein Tun zur Ehre Gottes das absolute ist (VIII, 164 f.). Sinnvoller als die Klagen, daß es den Guten und Frommen in der Welt so schlecht geht, ist daher die moralische Forderung, daß im Weltzweck die sittlichen Zwecke nicht untergehen, sondern gesichert werden, denn diese geistigen Mächte sind berechtigt. Die Verkümmerung, Verletzung und der Untergang der religiös-sittlichen Zwecke und Zustände sind für unser Gefühl unerträglich. Aber auch bei diesen religiös-sittlichen Zwecken ist zu bedenken, daß ihre Gestaltungen, Inhalte und Entwicklungen in der empirischen Wirklichkeit beschränkter Art sein können; daß sie in äußeren Naturzusammenhängen stehen und den Zufälligkeiten der Existenz unterworfen sind. Darum ist auch diese Seite an ihrer Wirklichkeit vergänglich, der Verkümmerung und Verletzung ausgesetzt. Dennoch bleibt das Allgemeine, Innere derselben, die wahre Religiosität und Sittlichkeit, unendlich und hat unter allen Umständen einen unendlichen Wert. Und dies Innere bleibt in der Weltgeschichte unangetastet und ist nicht nur den äußerlichen und zeitlichen Veränderungen, sondern auch denjenigen, welche die Notwendigkeit des Freiheitsbegriffs mit sich bringt, entzogen. Alles, was in der Welt Edles und Herrliches ist und daher berechtigt erscheint, hat ein Höheres über sich, das Recht des Weltgeistes (VIII, 86 ff.). Eben darum findet der Mensch in der Ehre, Verherrlichung Gottes seine eigene Ehre (VIII, 164 f.). Die Subjektivität des Einzelnen hat einen unendlichen Wert, unsere Besonderheit wird erhalten, weil in Gott selbst das Moment der Besonderheit ist. Das ist die Botschaft und Erkenntnis des Christentums (8, 334). Die einzelnen Individuen sind nicht nur Mittel zum Zweck, sondern dem Inhalt des Zweckes nach auch Selbstzweck. Der Mensch ist Zweck an ihm selbst durch das Göttliche, das in ihm ist, durch den göttlichen Geist, also durch Vernunft und Freiheit (VIII, 85). Diesen Endzweck der Weltgeschichte kann aber nur die Religionsgeschichte und ihre spekulative Wertung erschließen. Die profane Geschichtsbetrachtung bleibt an der Oberfläche und reicht nicht in die Tiefe des Geschichtsprozesses hinein.

Das Problem des Wunders

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B. Das Problem des Wunders Kürzer und leichter zu lösen als das Problem der Geschichte ist die Frage nach dem Wunder in der Geschichte. Was ist, fragt Hegel, ein Wunder? Nach der gewöhnlichen populären Auffassung ist ein Wunder eine Veränderung im Sinnlichen, die wahrgenommen wird (XIV, 21. 16, 200), eine Gewalt über die natürlichen Zusammenhänge (XIV, 186.16, 325). Der Glaube an Wunder und das Bedürfnis nach dem Wunder setzen aber eine bestimmte Geistesverfassung des Menschen voraus. In der Naturreligion gibt es noch keine Wunder, weil es überhaupt noch keine natürlichen Dinge gibt, noch keinen verständigen Verlauf der Dinge, keine Naturgesetze. Wunder werden möglich, wenn das Bewußtsein eines natürlichen Zusammenhangs der Dinge, einer Ordnung und Gesetzlichkeit der Natur erwacht, diese Naturgesetzlichkeit aber nicht als durchgehend und unaufhebbar vorgestellt wird. Dann manifestiert sich Gott sporadisch an einem einzelnen, und das ist ein Wunder. Der Glaube an Wunder verschwindet, sobald die natürlichen Dinge so gefaßt werden, daß sich Gott im System der Naturgesetze allein und notwendig ausdrückt, so daß die Naturgesetze und die Erscheinung Gottes an den existierenden Dingen nicht getrennt sind. Dann ist der Zusammenhang der Dinge ein objektiv verständiger, die göttliche Wirksamkeit ist allgemein und wesentlich. Der Zusammenhang, der das Göttliche darstellt, ist eine ewig in sich notwendige Weise (XIII, b. 70.16, 60 f.). Vorher wirkt Gott in der Welt als eine an sich seiende Macht in der Weise der Subjektivität und „durchbricht" die natürliche Ordnung der Dinge (XIII, 205.15,443). Die Wunder sollen die Wahrheit der Religion bzw. die Lehren eines Individuums beglaubigen. Allein, einmal ist dies eine sehr ungeistige Beglaubigung, wodurch das Geistige gerade nicht beglaubigt werden kann. Für den noch sinnlichen Menschen kann dies allerdings eine Beglaubigung hervorbringen, aber für die Vernunft kann das Geistige nicht äußerlich beglaubigt werden, denn es ist höher als alles Äußerliche (XIV, 21.16, 200). Die Wunder gehören also zur sinnlichen Beglaubigung, sie sind ihrer Natur nach eine äußerliche, geistlose Weise der Beglaubigung (XIV, 191. 16, 322). Obwohl bei primitiven Menschen die Beglaubigung in äußerlicher Weise erscheinen und von Wundern anfangen kann, vermag der fortgeschrittene Glaube dabei nicht stehenzubleiben. In dem wahren Glauben hebt sich das Äußerliche auf. Sonst mutet man dem fortgeschrittenen modernen Geist vieles zu, was er glauben soll, obwohl es ihm sein geistiger Standpunkt verbietet (XIV, 249.15, 229 f.). Das gilt auch von den bibli-

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sehen Wundern. In der jüdischen Religion wird das Wunder als zufällige Manifestation Gottes gefaßt (XIII, b. 71.16, 60 f.). Die ägyptischen Zauberer verrichten Wunder ebenso wie Moses. Christus schmäht die Pharisäer, die dergleichen Beglaubigungen von ihm verlangen, und verwirft selbst die Wunder als wahrhaftes Kriterium der Wahrheit. Die Beglaubigung durch Wunder und das Angreifen der Wunder ist beides eine niedere Sphäre, die uns nichts angeht (XIV, 21 f. 16,200 f.). Zum ändern: Wunder sollen beglaubigen, sie sollen aber wiederum erst beglaubigt werden (XIV, 187.16, 325 f.). Darum sind Wunder, auch wo sie geglaubt werden, nur eine relative Bewährung. Wie viele Wunder werden nicht in der Geschichte erzählt! Der Verstand aber kann immer versuchen, die Wunder natürlich zu erklären, und kann viel Wahrscheinliches gegen sie vorbringen (XIV, 21.16,200). Das gilt auch von den größten Wundern in der Bibel, von den Wundern Christi sowie von der Auferstehung und der Himmelfahrt Christi. Werden sie als sinnliche Erscheinungen verstanden, so sind sie eine Beglaubigung des Sinnlichen und sind daher unendlichen Einwendungen unterworfen. Das Bewußtsein und der Gegenstand des Glaubens sind getrennt, darum sind Irrtum, Täuschung, Mangel an Bildung, ein Faktum richtig aufzufassen, immer möglich, so daß Zweifel unausweichlich sind (XIV, 191.16, 322). Es bleibt immer die Neugierde, Wißbegierde: Wie sind diese Wunder zu erklären, d.h. aber wie sind sie so zu fassen, daß sie keine Wunder, sondern natürliche Erfolge gewesen sind. Solche Neugierde aber setzt schon den Zweifel, den Unglauben voraus (XIV, 186.16, 325). Der wahre Glaube beruht auf dem Zeugnis des Geistes, nicht von Wundern, sondern von der absoluten Wahrheit. Von diesem Standpunkt aus betrachtet haben Wunder ein geringes Interesse. Die Idee bedarf solcher Beglaubigung nicht. Wunder sind Erfolge durch die Macht des Geistes über den natürlichen Zusammenhang, der Geist ist dies absolute Eingreifen. Nur in diesem Sinne kann vom Wunder die Rede sein (XIV, 187 f. 16, 325 f.). Das wahrhafte Wunder ist der Geist (XIV, 191.16, 322). Darum muß die ganze Weise der Beglaubigung zurückgeführt werden auf das Bedürfnis des Geistes. Was für den Geist Wahrheit haben, was er glauben soll, darf nicht sinnlicher Glaube sein (XIV, 193). Das wahrhafte Wunder ist die Erscheinung des Geistes in der Natur, der Geist des Menschen und sein Bewußtsein der Welt. Das Wissen von der Gesetzmäßigkeit der Natur ist relativ ein Wunder (XIII, b. 70.16,60 f.). Gott aber und seine Macht wirken in den ewigen Gesetzen der Natur und nach denselben (XIV, 191. 16, 322). Die wahrhafte Manifestation Gottes in der Welt ist die absolute,

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ewige, und die Art und Weise dieser Manifestation, ihre Form, das absolute Verhältnis Gottes zu den Dingen und der Natur ist, daß sie durch ihn gemacht sind, von ihm getragen werden und er sich in ihnen als ihre Macht manifestiert (XIII, b. 71.16, 60 f.). Damit hat Hegel längst vor der modernen Bibelkritik die Bibel und das alte religiöse Verständnis des Christentums entmythologisiert. Wir werden gleich sehen, daß Hegel das Christentum auch schon enteschatologisiert hat (R. Kroner II, 505).

3. A b s c h n i t t Der M e n s c h und das Böse A. Der Mensch Die zweite Setzung der absoluten Idee nach der Natur ist der Mensch. Es ist nach Hegels Überzeugung keine Einbildung und kein menschlicher Hochmut, wenn gesagt wird, daß der Mensch die Krone der Natur und der Mittelpunkt der Welt ist. Vielmehr bezeichnet dies das Wesen des Menschen. Im Menschen gelangt schon der tierische Organismus zu seiner volkommensten Form (10,99). Dazu aber kommt, daß der Mensch bewußter und selbstbewußter Geist ist. Die Natur kommt in ihrem Prozeß nur bis zur Empfindung und dann bei den Tieren zum Bewußtsein, aber nicht zum Selbstbewußtsein. Erst der Mensch erhebt sich zum Wissen seiner selbst, zum Erfassen seines Ich, damit zur Allgemeinheit des Denkens und zum bewußten Abstand von der Welt. Erst der Mensch ist denkender Geist und unterscheidet sich damit wesentlich von der Natur. Was zur bloßen Natur gehört, liegt nun hinter dem Menschen als Geist (10, 30). Die Bestimmung des Menschen ist die denkende Vernunft. Durch die einfache Bestimmtheit des Denkens ist er vom Tier unterschieden. Er ist Denken an sich, insofern sein Denken von seiner Natürlichkeit und Sinnlichkeit unterschieden ist. Aber das Denken ist auch an ihm, denn er ist selbst Denken, ist als denkendes Wesen, sein Dasein ist im Denken konkret, sein Denken ist denkende Vernunft und so eine Bestimmung, zunächst freilich nur als ein Sollen (4,140). Es ist darum, sagt Hegel, ein ganz richtiges Vorurteil der Menschheit, daß der Mensch sich als ein denkendes Wesen vom Tier unterscheidet. Das Tier lebt in der Empfindung, im Gefühl und in einem noch nicht selbst- und weltbewußten Denken (XII, 193. 15,107 f.). Der Mensch ist also kein bloßes Naturwesen, kein Tier, sondern Geist, Ver11 Schmidt, Hegel

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nunft, und damit an sidi das Wahrhafte (XIII, 27 f. 15, 283). Der Mensch allein erhebt sich im Denken über das Endliche und hat insofern ein ewiges Bewußtsein (XII, 1.15,19). Das aber kommt daher, daß in ihm die absolute Idee die Schale der bloßen Natürlichkeit durchbrochen hat und zum Fürsichsein gekommen ist (XIV, 98). So stellt er sich als Geist dem Natürlichen gegenüber, zieht er sich aus dem Versenktsein in die Natur heraus, entzweit er sich mit der Natur und ist erst durch diese Entzweiung ein Mensch, der zur Freiheit berufen ist (XIII, 29.15, 284). Obwohl also der Mensch die Endlichkeit an ihm hat, teilt er doch den Geist mit Gott (XIII, b. 109.16, 94 f.). Der Mensch ist beides, in seinem Unterschied von Gottes Geist und in seiner Beziehung zur Welt beschränkt und endlich, seinem Begriff nach aber unendlicher Geist (XII, 67). Das drückt die Bibel so aus, daß der Mensch „Fleisch", ein natürliches Wesen, zugleich aber das Ebenbild Gottes ist (XIV, 106). Das ist ein hoher und wahrer Glaube, daß der Mensch nach Gottes Bild erschaffen ist, daß dies sein wahrhaftes Ansichsein und seine ursprüngliche Bestimmung ist (XIV, 102). Hegel läßt sich durch alle theologischen Versuche, die Gottebenbildlichkeit des Menschen in Genesis l anders zu interpretieren, nicht beirren. Was der Verfasser damit eigentlich gemeint hat, ist zweifellos die Geistigkeit des Menschen.

a) Der natürliche Mensch Weil der Mensch Geist an sich ist, liegt die Wahrheit in ihm, und sie muß ihm zum Bewußtsein gebracht werden (XII, 94.15,176 f.). Aber der Mensch ist nicht nur ein denkendes Wesen, sondern auch ein unmittelbar natürliches. Es besteht also eine Disharmonie zwischen dem, was der Mensch an sich und was er in der Wirklichkeit ist (XIII, b. 121). Der Mensch ist zunächst nur potentiell Geist. Die Wahrheit, die in ihm liegt, kommt ihm am Anfang noch nicht zum Bewußtsein (XII, 94.15,176). Weil die Bibel an den Anfang die Gottebenbildlichkeit des Menschen gestellt hat, hat die Theologie aus dieser Bestimmung und aus der Vorstellung vom Paradies falsche Folgerungen gezogen. Man stellte es sich so vor, daß der Mensch im Paradies ein vollkommenes Wissen gehabt hätte, sowohl in bezug auf die Welt wie in bezug auf Gott (XIII, 23.15,281 f.). Der menschliche Geist sei im Besitz aller Kunst und Wissenschaft gewesen, habe Gott unmittelbar geschaut, wie er ist, und die Welt in Gott. Das ist eine Vorstellung vom Zustand im Paradies, die sich ähnlich bei vielen Völkern findet. Der Mensch sei gut gewesen, seinem Begriff gemäß, in

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Einheit mit der Natur und mit Gott, im Besitz der wahren Religion und einer absoluten Wissenschaft (XIII, 24 f. 15, 282 f.). Der Gehalt dieser Vorstellung, sagt Hegel, ist allerdings wahr. Sie bezeichnet das Ansich, den Begriff des Menschen. Etwas anderes aber ist, diesen Begriff des Menschen als real existierend, diese Einheit mit Gott und Welt als einen Zustand in der Zeit vorzustellen, als ein natürliches Sein des Urmenschen. Da liegt eine Verwechselung vor zwischen dem Ersten dem Begriff nach und dem Ersten der Realität nach. Ursprünglich bedeutet zunächst das, was im Begriff ist, das Substantielle, dann aber das Erste in der Zeit. Daß diese Vorstellung von einem ursprünglichen Paradies falsch ist, zeigt schon der Umstand, daß das Paradies als ein verlorenes gedacht wird. Das wahrhaft Göttliche aber geht nicht verloren, es ist ewig, an und für sich bleibend. Daß der Mensch kein bloßes Naturwesen, kein Tier ist, sondern Geist; daß er daher die Allgemeinheit der Vernünftigkeit, die Tätigkeit des vernünftigen, konkreten Denkens, den Instinkt, das Allgemeine zu wissen, an sich hat; daß er als ein vernünftiges Wesen Gott erkennen kann — das alles ist richtig, das ist die Grundbestimmung des Menschen. Aber das ist nicht als Zustand vorzustellen. Der Begriff des Menschen muß sich freilich realisieren, aber das ist nicht am Anfang, im Paradies, schon geschehen. Da ist der Begriff noch nicht in die Existenz getreten. Der Geist ist erst das, wozu er sich macht. Das Hervorbringen dessen, was an sich ist, ist das Setzen des Begriffs in die Existenz (XIII, 25 ff. 15, 283 .). — Die theologischen Vorstellungen vom Urstande des Menschen sind also bloße Erdichtungen (10, 428). Der wahre Naturzustand des Menschen ist ein ganz anderer gewesen. Er war erstens ein Zustand der natürlichen Roheit. Er war ein Zustand der Gewalt und des Unrechts (3, 71). Daß der Naturzustand ein Zustand des absoluten Unrechts ist, zeigt schon die Tatsache der Sklaverei (VIII, 216). Aber er ist auch ein Zustand des ungebändlgten Naturtriebes, unmenschlicher Empfindungen und Taten (VIII, 96). Gewiß kann der Mensch in dieser ursprünglichen Abhängigkeit von der Natur milder und roher sein, es gibt da recht idyllische Schilderungen primitiver Zustände. Aber teils, sagt Hegel, sind diese milden Sitten mit barbarischen, greulichen Gebräuchen, mit einem völligen Verviehen verknüpft, teils hängen die primitiven Zustände mit von zufälligen Umständen wie Klima, insulare Lage usw. ab. Auf jeden Fall sind diese Zustände ohne ein allgemeines Selbstbewußtsein und dessen Folgen, die allein die Ehre des Geistes ausmachen. Zu solcher Natürlichkeit ist der Mensch nicht bestimmt (XIII, 30 ff. 15, 284 ff.). — Der ursprüngliche Zustand war zweitens ein Zustand der Unfreiheit. Freiheit ist nur möglich durch die Unterscheidung von dem n*

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bloß Natürlichen (7, 275). In der unmittelbaren Einheit mit der Natur ist der Mensch noch nicht frei, er muß erst den Weg durch die Entzweiung hindurchgehen, um freier Geist zu werden ( , 23.15, 280 f.). Erst der Geist ist für sich, also frei; er stellt das Natürliche sich gegenüber, zieht sich aus dem Versenktsein in die Natur heraus, entzweit sich mit ihr, um sich auf einer höheren Ebene wieder mit ihr zu versöhnen (XIII, 29. 15, 284). Der natürliche Mensch ist nicht der freie, sondern der abhängige, der Mensch der Begierden, der Furcht und der Selbstsucht (XIV, 96 f.). Es kann darum auch keine Rede davon sein, daß der Mensch in diesem Urzustände schon ein Bewußtsein von Gott gehabt hätte. Der Geist ist nur für den Geist, der göttliche Geist nur für den freien menschlichen Geist. Um Gott, das Zentrum aller Wahrheit, erkennen zu können, muß der Mensch seine Natürlichkeit im Wissen und Wollen abgearbeitet haben (XIII, 35 f. 15,290 f.). b) Die Unsterblichkeit des Menschen Zu der Frage nach dem Wesen des Menschen gehört auch das Problem der Unsterblichkeit. Die Bibel denkt den Menschen im Paradies als ein unsterbliches Wesen. Wie steht es mit dieser Vorstellung? Die theologischen Kritiker des vorigen Jahrhunderts haben Hegel oft vorgeworfen, daß er die Unsterblichkeit des Menschen leugne. Wir müssen prüfen, wie Hegel zu dieser Frage steht. Erstens: Hegel streift zunächst kurz die historische Frage: In der Naturreligion gibt es zwar Geister und Ahnen, aber noch keine eigentliche Vorstellung von einer Unsterblichkeit der Seele. Ebenso wenig ist dies in der Religion der Erhabenheit oder in der jüdischen Religion der Fall (XIV, 110.16,264 f.). Die ersten, die ausdrücklich die Seele des Menschen unsterblich genannt haben, waren die Ägypter. So sagt es jedenfalls Herodot. Hat er recht? Wir müssen uns, sagt Hegel, klarmachen, was der Glaube an die Unsterblichkeit der Seele bedeutet. Irgendwelche Vorstellungen davon haben alle Völker gehabt, aber dieser Glaube läßt viele verschiedene Bestimmungen zu. Daß die Seele unsterblich ist, soll heißen, daß sie ein anderes ist als die Natur, daß der Geist für sich selbständig ist, in sich unendlich. Diese Vorstellung findet sich nach Hegel in der Tat zuerst bei den Ägyptern. Im Orient hatte das Individuum noch keine Freiheit, hier konnte daher das Subjekt noch kein unendlich freies, für sich bestehendes Wesen sein. Unsterblichkeit der Seele ist dies, daß das Innere des Menschen für sich unendlich ist. Im Alten Testament ist noch

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kein Bewußtsein von der Unendlichkeit des Subjekts, darum finden sich vom Unsterblichkeitsglauben nur schwache Spuren (IX, 493 ff.). Das hängt mit dem Mangel an innerer Freiheit zusammen (XIII, b. 97). Die Juden wußten noch nichts von einer ewigen Seligkeit, sie hatten noch nichts Ewiges. Ein Knecht verlangt nicht danach, sondern nach Zeitlichem, nach Land z.B. (XIII, b. 102.16, 85 f.). Aber auch die Ägypter haben noch nicht erkannt, daß bei der Unsterblichkeit im höheren Sinne der Körper das Überflüssige ist. Die Unsterblichkeit hatte bei ihnen noch nicht den Begriff des konkreten Geistes, sondern nur eines konkret Partikularisierten. Das Leben war für sie mit dem animalischen Körper verbunden, sie wußten noch nichts von der Seele als Geist. Bei der wahren Unsterblichkeit aber ist die Erhaltung des Körpers unwesentlich (IX, 495 f.). — Anders wieder ist es bei der orientalischen Vorstellung von der Seelenwanderung. Sie gründet sich darauf, daß der Geist des Menschen ein Dauerndes ist, ein Unsterbliches, daß er aber zu seiner Existenz in der Dauer einer Leiblichkeit bedarf, und insofern diese nun nicht menschlich ist, einer anderen bedürftig ist. Die nächstverwandte Leiblichkeit ist dann das Tier (XIII, 95.15, 316). Die Voraussetzung dabei ist, daß die Seele des Menschen und die Organisation seiner Leiblichkeit zufällig gegeneinander sind. Das ist der Mangel dieser Vorstellung. Denn die Organisation des Menschen allein ist die Gestalt des Geistigen (XIII, b. 148). Der Geist kann nur eine Gestalt haben, und diese ist der Mensch, die sinnliche Erscheinung des Geistes. Sobald freilich das Innere nicht als Geist bestimmt ist, ist auch die Gestalt zufällig und gleichgültig. Die Seele beharrt zwar nach dem Tode, aber sie wird noch in einer anderen sinnlichen Weise gewußt. Die Seele ist nur abstrakt ein Insichsein, der Geist ist noch nicht als konkreter Geist gewußt, darum ist die Gestalt gleichgültig (XIII, 135 f. 15, 414 f.). Erst im Christentum hat der Unsterblichkeitsglaube eine wesentliche Bestimmung in dem Sinne, daß die Seele einen ewigen Zweck und darum einen unendlichen Wert in sich hat (IX, 494). Der Mensch als solcher erhält hier einen unendlichen Wert, die Seele, die einzelne Subjektivität hat eine unendliche, ewige Bestimmung, Bürger im „Reiche Gottes" zu sein. Die unendliche Forderung, Gott zu schauen, ist für das sinnlich anschauende Bewußtsein nicht in der zeitlichen Gegenwart realisierbar. In diesem unendlichen Wert des Subjekts verschwinden alle äußeren Unterschiede des Standes, des Geschlechts, des Reichtums, der Macht, vor Gott sind alle Menschen gleich (XIV, 178 f. 16, 312 f.). In der Bibel ist also die Ewigkeitshoffnung der Entwicklung unterwor-

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fen: Im Alten Testament ist noch kein Bewußtsein der Unsterblichkeit des Geistes, der Tod wird als trostlos vorgestellt (XIII, b. 88); im Neuen Testament dagegen ist das ewige Leben des Christen der Geist Gottes selbst (XIII, 135.15, 414 f.). — Es ist bemerkenswert, daß Hegel die biblisch-kirchliche Vorstellung von einer Auferstehung des Fleisches (so die kirchliche Lehre) oder eines verklärten Leibes (so Paulus) ganz beiseite stellt und kaum erwähnt. (Nur XIII, b. 174 f. 16,153.) Offenbar gehört für ihn diese Vorstellung zu dem bildlich-sinnlichen Element aller religiösen Vorstellungen, die vor dem spekulativen Begriff nicht standhalten können. Auch fehlt bei Hegel die endzeitliche Eschatologie im Sinne der Apokalyptik völlig. Hegels Eschatologie beschränkt sich auf folgende Lehre: Zweitens: Der Mensch ist ein endliches, in jeder Hinsicht abhängiges Wesen. Er ist physisch abhängig, er braucht eine äußerliche Natur, äußerliche Dinge zu seiner Existenz (XII, 91). Wir wissen uns endlich nach vielen Seiten: Unser Leben ist nach seiner physischen Existenz endlich, wir sind auf Äußeres bezogen, von anderem äußerlich abhängig, haben Bedürfnisse und das Bewußtsein unserer Schranke. Dies Bewußtsein haben wir mit den Tieren gemein, während die Pflanze und das Mineral kein Gefühl ihrer Schranke haben. Es ist der Vorzug des Animalischen, noch mehr des Geistigen, seine Schranke zu wissen. Auf dem Standpunkt des Bewußtseins sind wir also endlich. Wir sind es schon deshalb, weil wir ein Objekt außer uns haben. So finden wir überall ein Ende (XII, 118 ff. 15, 183). Wir sind so und so bestimmte Individuen in einer raum-zeitlichen Existenz und daher von allen Seiten in ununterbrochener Beschränkung. So hören wir denn, sagt Hegel, täglich versichern, daß der menschliche Geist endlich ist, und wer könnte das bezweifeln (XII, 129 f. 15,191 f.)? Weil so die Realität des Menschen seine endliche Leiblichkeit ist, ist er sterblich (XII, 223). Die sinnliche Lebendigkeit des Individuums hat ihr Ende im Tode. Das Sinnliche setzt sich realiter als das, was es ist, in seinem Untergange. Im Tode wird realiter, aktualiter gesetzt, was das natürliche Leben an sich ist. Im Tode wird dies Leben als ein aufgehobenes gesetzt (XII, 131.15,191 f.). Der natürliche Mensch vergeht, der Tod macht Ernst mit ihm, das Schicksal verzehrt ihn, und zwar trostlos. Der Tod des Natürlichen ist die Wirklichkeit, es muß sterben. Das ist allerdings trostlos, solange die natürliche Existenz nicht als ein an sich Negatives gewußt wird, sondern das Affirmative, Wesentliche für uns ist, denn dies Affirmative zerstört der Tod (XII, 274.15,252). Der Tod nimmt dem Menschen, was an ihm zeitlich und vergänglich ist (XIII, 97.15, 318). Aber — und

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damit kommt Hegel zu seinem entscheidenden Gedanken — das Endliche ist das sich selber Nichtige und daher sich selbst Aufhebende. Wir müssen selbst unmittelbar zugeben, daß das endliche Ich nichtig sei (XII, 141.15, 203 f.). Ist dem so, dann ist der Tod die natürliche, unbefangene Sichbefreiung des Endlichen von seiner Endlichkeit. Er ist nur die abstrakte Negation des an sich Nichtigen, selbst ein Nichtiges, die offenbare Nichtigkeit (XII, 130 f, 15,191 f.). Weiß aber der Mensch, daß er nicht nur ein endliches Individuum ist, weiß er von einem ruhenden Insichsein, einem wahrhaft Wesentlichen als solchem; weiß er sich als Denkenden, sein Selbstbewußtsein als ein Dauerndes, Substantielles, dann hat er das Bewußtsein seiner Ewigkeit und erfaßt er den Gedanken der Unsterblichkeit. Dieser Gedanke liegt eben darin, daß der Mensch denkend ist, in seiner Freiheit bei sich selbst ist. Dann fühlt er sich schlechthin unabhängig, er bezieht sich nur auf sich selbst, ein Anderes kann sich in ihm nicht geltend machen. Diese Gleichheit mit sich selbst, das Ich, dies bei sich selbst Seiende, ist keiner Veränderung unterworfen und ist also unsterblich, das Unveränderliche, in sich Seiende (XIII, 134.15, 414 f.). Das einzelne Subjekt wird als ein dauerndes gewußt, dem Vergänglichen entnommen, vom Sinnlichen unterschieden. Das Selbstbewußtsein weiß sich als Subjekt, als Totalität und wahrhafte Selbständigkeit und damit als unsterblich (XIII, 219.15,452 f.). Dann ist die Tatsache, daß der Mensch sterben muß, kein trauriger Gedanke mehr, diese natürliche Trauer ist nicht mehr das Letzte, denn die hohe Bestimmung des Geistes ist, daß er ewig und unsterblich ist (XIII, b. 87 f. 16, 74 f.). Das Ich kann von allem Äußerlichen abstrahieren, das Selbstbewußtsein ist absolut, ist absolutes Moment in dem ewigen Leben (XII, 234). Der Mensch ist also unsterblich nur durch das Erkennen, denn nur als ein denkendes Wesen ist er keine tierische, sterbliche, sondern eine reine und freie Seele. Das Erkennen, das Denken ist die Wurzel seines Lebens, seiner Unsterblichkeit als Totalität in sich selbst. Die tierische Seele ist noch in die Körperlichkeit versenkt, dagegen ist der Geist Totalität in sich selbst (XIV, 129.16, 269). Diese Unsterblichkeit wird zwar als eine Fortdauer in der Zeit vorgestellt, ist aber in Wahrheit als ein ewiges, absolutes Moment über die Zeit erhaben (XII, 162). Die Unsterblichkeit des Geistes darf nicht so vorgestellt werden, daß sie erst später in die Wirklichkeit trete, sondern sie ist eine gegenwärtige Qualität. Der Geist ist in seiner Freiheit nicht beschränkt, für ihn als denkend ist das Allgemeine Gegenstand, und dies ist die Ewigkeit, die nicht bloß zeitliche Dauer, sondern Wissen ist (XIV, 111.16, 268 f.). Entscheidend ist nun, erklärt Hegel, daß diese Erkenntnis der Unsterb-

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lichkeit des Geistes mit der Erkenntnis Gottes als Geist unlöslich verbunden ist. Denn die Vorstellung, welche der Mensch von Gott hat, entspricht der, welche er von sich selbst und von seiner Freiheit hat. Die Vorstellung von Gott und von der Unsterblichkeit haben eine notwendige Beziehung aufeinander: Wenn der Mensch wahrhaft von Gott weiß, so weiß er auch wahrhaft von sich (XIII, 7 f.). Beide Bestimmungen, die des subjektiven endlichen Fürsichseins und die der absoluten Macht, zunächst des absoluten Geistes, hängen aufs engste zusammen (XIII, 104.15, 322 f.). Je mehr die Macht des Geistigen nach ihrem Gehalt auf ewige Weise aufgefaßt wird, desto würdiger ist die Vorstellung von Gott und vom Geist des menschlichen Individuums (XIII, 99.15, 319). Indem sich also der Mensch in Gott weiß, weiß er damit sein unvergängliches Leben in Gott und weiß er von der Wahrheit seines Seins, weiß er von seiner Unsterblichkeit (XIII, 7). Das Insichsein, Beisichsein wird gewußt als die Natur des Subjekts, als die wahrhafte Bestimmung desselben, das geistig in sich ist. Es wird gewußt, daß das Subjekt unsterblich ist (XIII, 135.15, 414 f.). Indessen, mit dieser Bestimmung, daß der Mensch Geist und, sofern er zur Erkenntnis Gottes gekommen ist, als Geist unsterblich ist, haben wir vorgegriffen. Zunächst ist der Mensch weder schon reiner Geist, noch hat er die Erkenntnis Gottes als Geist. Der Mensch ist zuerst ein Naturwesen und befindet sich in dem Naturzustand der Unfreiheit und der natürlichen Roheit. Er ist ein zwiespältiges Wesen: einerseits an sich Geist, andererseits ein Naturwesen. Als solches ist der Mensch nicht so, wie er sein soll. Es erscheint also das Problem der Sünde und des Bösen, die Hamartiologie als ein Teil der Anthropologie. Es sind drei Fragen, die zu beantworten sind: 1. die Frage nach dem Wesen des Bösen, 2. die Frage nach dem Ursprung des Bösen, und zwar einmal im Hinblick auf den Menschen, zum ändern im Hinblick auf Gott, und 3. die Frage nach der Natur des Menschen, wie er in der Welt ist, oder nach der Erbsünde.

B. Das Böse a) Das Wesen des Bösen Das Wesen des Bösen bestimmt Hegel im biblisch-reformatorischen Sinne als den Willen der Trennung, der Setzung seiner Einzelheit gegen Anderes. Es ist die Selbstsucht des Menschen (XIV, 104). Der böse oder sündige Einzelne trennt sich von dem Allgemeinen und strebt in der Aus-

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Schließung von demselben absolut für sich zu sein. Es ist das Beruhen auf sich, positive Negativität (3,98.4, 543). Oder: Böse sein heißt, nicht das Allgemeine des Begriffs, sondern einen besonderen Inhalt zum Prinzip zu machen. Zum Bösen gehört die Abstraktion der Gewißheit seiner selbst. Das ist in Hegels Sprache die Definition der Selbstsucht (7, 202). Da aber das Allgemeine überhaupt oder das Allgemeine des Prinzips das Gute, Vernünftige oder Göttliche ist, so ist das Böse das Negative gegen Gott, gegen das Gute und Wahrhafte (XIV, 140.16,280 f.). Es ist der Gegensatz gegen Gott (XIV, 117. 16, 261). So ist es das Endliche, welches sich zum Unendlichen steigern will, die höchste Form der Unwahrheit und der Lüge (XII, 141. 15, 203 f.), das Negative Gottes (XII, 162). Das Endliche will sich als endlich dem Unendlichen, Allgemeinen gegenüber selbständig behaupten und ist ihm dadurch zuwider (XIII, 192.15, 425 f.). Der böse Mensch beharrt auf seinem Unterschied und Gegensatz gegen Gott, und er steigert diesen Gegensatz zum offenen Widerspruch (XII, 198. 276. 15, 112). Die Selbstsucht aber ist der natürliche Zustand des Menschen. Wir sahen, daß der Naturzustand ein Zustand der Begierden, der Unfreiheit, der Roheit und der Wildheit ist. Dieser Zustand ist böse, sündig. Der unmittelbare, natürliche Mensch ist nicht so, wie er sein soll, ist nicht gut, sondern böse, eben weil er nur der natürliche Mensch ist (XIV, 106. 16, 90 f.). Das Böse ist seine Natürlichkeit, und dies ist seine Schuld. Der böse Mensch wird schuldig, denn er ist von seiner Bestimmung, von seiner allgemeinen geistigen Natur abgewichen. Die Natur an sich ist nicht böse, weil sie auch nicht gut ist. Sie steht noch diesseits des Unterschieds zwischen Gut und Böse. Die Natur ist religiös-sittlich betrachtet indifferent. Darum kann sie von ihrer Bestimmung nicht abweichen, sie kann nicht schuldig werden. Die Planeten, die Pflanzen, die Tiere bleiben in der Notwendigkeit ihrer Natur, in den Gesetzen ihrer Gattung, ihrer Wahrheit. Sie werden, was sie sein sollen. Sein und Sollen ist bei ihnen ungetrennt. Darum ist das Natürliche als solches nicht böse. Böse wird die Natürlichkeit nur für den Menschen, weil er allein als ein freies geistiges Wesen gegen seine Bestimmung sich auflehnen kann. Sein Wille kann auf seinem Eigensinn beharren, kann sich von seiner Notwendigkeit und Wahrheit entfernen und ihr entgegenhandeln, sich davon absondern (XII, 9 f. 15, 22 f.). Die Natur ist unschuldig. Der Mensch als ein geistiges Wesen aber kann und soll in diesem natürlichen Sinne nicht unschuldig sein, denn sie ist keine Unschuld, die aus der geistigen Freiheit kommt (XII, 275). Die Natur ist unschuldig, weil in ihr der Geist noch nicht in sich reflektiert ist, sich noch nicht von ihr getrennt hat. Schuld entsteht erst, wenn das Subjekt sich selbst in seinem

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freien Fürsidisein gesetzt hat. Der Mensdi kann also nicht im Sinne der Natur unschuldig sein. Das Geistige ist nicht in unmittelbarer Einheit mit der Natur, sondern es muß den Weg durch seine Entzweiung hindurch gehen, um freier Geist zu sein (XIII, 22 f. 15, 280 f.). Der Zustand der natürlichen Unschuld ist ein tierischer Zustand. Der Zustand der Schuld dagegen ist der Zustand der Zurechnungsfähigkeit. Schuld heißt Zurechnung. Weil der böse Mensch also im Naturzustand böse ist, ist er auch schuldig. b) Der Ursprung des Bösen Das Problem des Ursprungs des Bösen zerfällt in die beiden Fragen, wie die Entstehung des Menschlich-Bösen zu erklären ist, und in welcher Beziehung das Böse zu Gott steht. Zuerst also die Entstehung des Bösen im Menschen: Erstens: In der Bibel findet sich die Geschichte vom Sündenfall im Paradiese. Das erste Menschenpaar, so heißt es, habe sich verleiten lassen, zur Erkenntnis des Guten und des Bösen zu kommen. Die Vorstellung vom Sündenfall ist in der Form eines Mythus, einer Parabel gefaßt. Wenn das Spekulative in sinnlicher Gestaltung, in der Weise des Geschehens dargestellt wird, so müssen unpassende Züge vorkommen (XIII, b. 85) (16, 72 f.). Und doch, sagt Hegel, liegt im Ganzen dieser Erzählung ein tief spekulativer Sinn. Obwohl in einer solchen Geschichte Inkonsequenzen unvermeidlich sind und Disparates herauskommt, sind doch die wesentlichen Grundzüge der Idee darin enthalten (XIII, 30.15, 285 f.). Es wird zwar das, was innerlich ist, als äußerlich, und was notwendig ist, als zufällig ausgesprochen, aber die Grundbestimmungen sind dennoch richtig (XIII, b. 87. 16, 74 f.). Übrigens, bemerkt Hegel, hat diese alte Geschichte im jüdischen Volk geschlafen und hat in den Büchern des Alten Testaments keine Ausbildung erfahren. Der Kampf des Menschen in sich selbst war zwar im jüdischen Volk vorhanden, aber er ist nicht in seiner spekulativen Bedeutung aufgefaßt worden. Erst im Christentum sollte die alte Erzählung zu ihrer wahren theologischen Bedeutung gelangen (XIII, b. 88).— Der Mensch hat sich also verleiten lassen, vom Baum der Erkenntnis des Guten und des Bösen zu essen. Das Böse wird in den Akt der Erkenntnis, in das Bewußtsein des Bösen gelegt (XIII, 31.15,286 f. XIV, 127.16, 266). Das Erkennen ist die Entzweiung, die Trennung, in der für den Menschen erst das Gute wie das Böse wird. Die Erkenntnis ist das Prinzip der Geistigkeit. Das ist sehr tief. In der Tat ist das Erkennen die Quelle des

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Bösen, und das bestätigt Gott selbst. Das Erkennen gehört zum Göttlichen im Menschen (XIV, 125 f. 16,265 f.). Aber nun wird das Aufleuchten der Erkenntnis als Sündenfall bezeichnet, so als ob der Mensch nur zur Erkenntnis des Bösen gekommen, nur böse geworden wäre. Aber er ist ja ebensogut zur Erkenntnis des Guten gekommen! Es liegt im Begriff des Geistes, daß der Mensch zur Erkenntnis des Guten und des Bösen kommt. Weiß der Mensch nichts vom Bösen, so weiß er auch nichts vom Guten, und dies Wissen ist wesentlich: der Mensch ist nur vernünftiger Mensch, sofern er dies Bewußtsein, diese Erkenntnis des Guten und Bösen hat. In dieser Erkenntnis aber ist die Entzweiung des Bewußtseins, die Reflexion enthalten. Es ist die Entzweiung gesetzt, die Freiheit ist. Insofern der Mensch frei ist, für sich ist, ist das Gute und Böse für ihn, und er hat die Wahl zwischen beiden. Und dieser Standpunkt der formalen Freiheit ist ein solcher, der nicht sein soll. Nicht, daß er gar nicht hervortreten sollte, das ist vielmehr wegen der Freiheit notwendig, sonst wäre der Mensch nicht freier Geist; aber es ist ein Standpunkt, der aufgehoben werden, in der Vereinigung mit dem Guten enden soll (XIII, 31.15, 286 f.). In der Tat haben wir es hier mit der ewigen Geschichte des Menschen, Bewußtsein zu sein, zu tun, mit der Geschichte der menschlichen Freiheit und ihrer Kollision (XIV, 123.125). Es ist die ewige Geschichte der menschlichen Freiheit, daß der Mensch aus dieser Dumpfheit herausgehen, zum Bewußtsein kommen soll, so daß für ihn das Gute und das Böse ist. Dieser Standpunkt enthält die Entzweiung, das Böse. Aber damit der Mensch seine Bestimmung erfüllen kann, ist diese Entzweiung nötig (XIII, 32.15, 286 f.). Es ist der Geist, der zur Erkenntnis des Bösen gekommen ist, d. h. zum Bewußtsein der unendlichen Trennung, der Entzweiung des Innerlichen, denn die natürliche Unmittelbarkeit ist nicht die wahrhafte Existenz der Idee (XIII, 36.15, 291 f.). — In der biblischen Erzählung ist das alles enthalten, aber nicht konsequent durchgeführt. Es wird wohl ausgesprochen, daß das Erkennen des Wahren erst durch das Zerreißen der urspünglichen paradiesischen Einheit des Menschen mit der Natur zu diesem geworden ist (10,163), daß also das Denken, Erkennen den Sündenfall hervorgebracht hat (17, 338.18, 121). Aber der erste Ungehorsam des Menschen erscheint als zufällig, die Entstehung der Sünde wird nicht begriffen (XIV, 122). Und daß die Erkenntnis des Guten und des Bösen, die doch das Göttliche im Menschen ausmacht, bestraft wird, ist der Widerspruch in der Erzählung. Ein tief spekulativer Inhalt kann eben in Bildern und Vorstellungen nicht adäquat dargestellt werden, denn er verlangt das Auffassen des Begriffs der Sache.

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Freilich ist das Böse ein Zustand, der nicht sein soll, aber er ist nicht ein solcher, der nicht hätte eintreten sollen. Er ist eingetreten, indem der Mensch Bewußtsein ist, und er mußte eintreten, weil dies die ewige Geschichte des menschlichen Bewußtseins ist (XIV, 123). Das Böse gründet sich nicht in einem zufälligen Tun der ersten Menschen, sondern es liegt im Begriff des Geistes, daß der Mensch aus seinem natürlichen Zustand der Unschuld heraus muß, um erst freier Geist zu werden (8, 95 f.). Was der Mensch an sich ist, Ebenbild Gottes, das soll er wirklich werden, indem die erste Natürlichkeit aufgehoben wird (19,101). Es ist also der Mensch überhaupt, der in der biblischen Erzählung erscheint, es betrifft die Natur des Menschen überhaupt. Der Mensch kommt zur Erkenntnis des Guten und Bösen, und diese Erkenntnis macht den Charakter des Geistes aus. Der Geist ist nur Geist durch das Bewußtsein, und das höchste Bewußtsein liegt in dieser Erkenntnis. Die Erkenntnis ist also ein doppelseitiges, gefährliches Geschenk: Der Geist ist nun frei, dieser Freiheit ist das Gute wie das Böse anheimgestellt. Darin liegt die Willkür, das Böse zu tun. Das ist die negative Seite der affirmativen der Freiheit. Das ist die ewige Geschichte des Menschen. Er muß aus der natürlichen Unschuld heraus, aber seine Bestimmung ist, wieder zur Unschuld zu gelangen (XIII, b. 86 f. 16, 72 ff.). Im Denken liegt die Quelle des Bösen, aber auch die Heilung vom Bösen (19,105). So betrachtet ist der Ursprung des Bösen allerdings ein Mysterium, aber nicht in dem Sinne, daß er unverständlich wäre. Das Mystische ist, wie wir sahen, das Spekulative. Der Ursprung des Bösen liegt im Spekulativen der menschlichen Freiheit, in der Notwendigkeit, aus der Natürlichkeit des Willens herauszugehen und gegen sie innerlich zu werden. Das Selbstbewußtsein hat diese Möglichkeit, die Willkür, die eigene Besonderheit über das Allgemeine zum Prinzip zu machen und sie durch das Handeln zu realisieren, d. h. böse zu sein. Es ist die Besonderheit des Willens selbst, der sich als das Böse bestimmt (7, 200). Mit der Notwendigkeit des Bösen aber ist verbunden, daß es nicht sein soll, d. h., daß es aufgehoben werden soll, nicht daß die Entzweiung nicht hätte eintreten sollen, sondern daß auf diesem Standpunkt nicht stehengeblieben sein soll (7, 201). Das Böse hat also im freien Willen seinen Ursprung. Der natürliche Wille ist an sich der Widerspruch, sich von sich selbst zu unterscheiden, für sich und innerlich zu sein. Das Natürliche ist weder gut noch böse, aber bezogen auf den Willen als Freiheit, als Wissen derselben, ist der Wille nicht frei, sondern böse. Wenn der Mensch das Natürliche will, ist es nicht mehr das Natürliche, sondern das Negative

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gegen das Gute, des Menschen eigenes Tun und seine Schuld. Der Mensch kann das Böse wollen, er muß es aber nicht notwendig wollen (7, 203 f.). Zweitens: Der Ursprung des Bösen im Menschen ist zwar ein Mysterium, aber spekulativ von der Vernunft zu begreifen. Noch schwieriger aber ist die Beziehung des Bösen zu Gott. Hegel gibt auf diese Frage keine so eindeutige Antwort, sondern weist nur bestimmte Antworten als ungenügend zurück. Das Verhältnis des Bösen zu Gott, sagt Hegel, macht in allen dualistischen Systemen keine Schwierigkeit, weil neben Gott als ein zweites gleichrangiges Prinzip das Böse steht. Im Parsismus z.B. steht das Gute dem Negativen, dem Reich des Bösen gegenüber, es erscheinen zwei Prinzipien, das Gute ist das Wahrhafte, das Böse ist das wesentlich Andere, außerhalb des Guten. Das Gute soll das Böse überwinden, aber das ist zunächst in dieser Weltzeit noch lange nicht geschehen. Dies ist der orientalische Dualismus, der dann in der Vorstellung vom Satan auch in der Bibel noch nachwirkt, wenn auch gemildert. Das Gute ist wohl das Wahrhafte, das Mächtige, aber es ist im Kampf mit dem Bösen, so daß das Böse auch als ein absolutes Prinzip gegenüber steht und stehen bleibt. Der Mensch aber ist in diesen ewigen Kampf zwischen dem Guten und dem Bösen hineingestellt (XIII, 191 f. 15,424 f.). — Das Problem desUrspungs des Bösen in bezug auf Gott wird erst akut im Monotheismus, wo Gott das einzige absolute Prinzip ist. So kommt in der jüdischen Religion die Frage auf: Wie ist das Böse in die Welt gekommen? Gott ist doch das eine allmächtige Subjekt, alles ist durch ihn gesetzt, und Gott ist das absolut Gute, das Böse ist der Widerspruch gegen Gott (XIII, b. 85.16, 72 f.). Die Frage ist also: Wie kommt in das Positive, das Göttliche, das Negative, das Böse hinein? Ist Gott, der die Welt geschaffen hat, das absolut Positive, Gute, dann ist das Negative, das Böse doch einfach noch nicht gegeben. Wenn gesagt wird, Gott habe die Entstehung des Bösen nur zugelassen, so ist dies, meint Hegel, eine ungenügende und nichtssagende Vorstellung, weil sie ein passives Verhältnis Gottes zur Menschenwelt ausdrückt, Gott aber absolute Aktivität ist. Die mythologisch-religiöse Vorstellung vom Ursprung des Bösen in der Bibel begreift diesen Ursprung nicht, weil in der Erzählung des Alten Testaments das Negative, Böse nur von außen an die positive, gute Welt Gottes in der Gestalt der Schlange herankommt. Dies kann aber dem nachdenkenden Menschen nicht genügen, er verlangt nach einem Grunde, einer Notwendigkeit für die Entstehung des Bösen (7,202 f.). Hegel wehrt nun den Gedanken ab, daß das böse Prinzip in Gott selbst verlegt wird, wie dies einige spekulative Denker (Jakob Böhme, Schelling in seiner 3. Periode u. a.) getan haben. Danach ist von Ewigkeit

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her in Gott selbst der Dualismus von Licht und Finsternis, vom Positiven und Negativen, des Guten und des Bösen. Und was in Gott ist, erscheint dann in der Welt als der Konflikt zwischen beiden Prinzipien. Hegel erklärt demgegenüber: In Gott, der einzig wahren Wirklichkeit, ist der Unterschied von Gut und Böse aufgehoben, in Gott ist kein Böses, das Böse ist kein Affirmatives in Gott. Gott ist gut und allein gut. Der Unterschied von Gut und Böse ist in diesem Einen, in dieser göttlichen „Substanz" nicht vorhanden, er tritt erst mit der Unterscheidung zwischen Gott als Idee und der Menschenwelt auf. Erst im Menschen kann das Böse entstehen, und zwar als das Nichtige, das der Mensch nicht gelten lassen soll. Das Böse ist das Nichtige, nicht weil es keine Realität hätte, sondern weil es vom Menschen verneint werden muß. Es ist nichtig vor Gott. Der Mensch kann auf dem Unterschied beharren, ihn bis zur Entgegensetzung gegen Gott, das an und für sich Allgemeine, treiben, so ist er böse. Aber er kann auch seinen Unterschied für nichtig achten, seine Wesenheit nur in Gott und in seine Richtung auf Gott setzen, so ist er gut (XII, 198. 15,112). Das Böse ist das Böse des Willens (XII, 233). Das Böse kommt nicht von außen an den menschlichen Geist wie in der biblischen Erzählung, sondern es ist der auf die Spitze seiner Einzelheit sich stellende Geist, die höchste Vertiefung in seine Subjektivität und innerster Widerspruch (10, 32. 43). Hat Hegel damit das Problem der Beziehung des Bösen zu Gott gelöst? Man könnte sagen: Mindestens hat doch Gott die Entstehung des Bösen ermöglicht, indem er die Menschenwelt so geschaffen hat, daß sie fallen konnte. Ist damit Gott nicht indirekt an dem Ursprung des Bösen beteiligt? Und wenn Gott als der absolute Geist, wie wir sehen werden, der Allumfassende ist, ist dann nicht auch das Böse als empirische Realität in diesem göttlichen Universum integriert? Auf solche Fragen gibt Hegel keine Antwort, er beschränkt sich darauf, das Böse von Gott zu scheiden und seinen Ursprung in den menschlichen freien Willen zu verlegen. D.h., er tut dasselbe, was die Kirchenlehre von jeher auch getan hat!

c) Die Erbsünde Die Einsicht in das Wesen des Bösen gibt Hegel aber nun die Möglichkeit, die alte Frage zu beantworten, ob der Mensch von Natur gut oder böse ist. Es handelt sich um das Problem der Erbsünde, oder, wie Kant es formuliert hat, des radikalen Bösen. Die christliche Religion, sagt Hegel,

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beginnt mit der absoluten Entzweiung, sie ist nicht gleich so heiter versöhnt wie die Religion besonders des griechischen Heidentums. Das Christentum zerreißt die natürliche Einheit des Geistes, des Menschen mit der Natur; sie zerstört den natürlichen Frieden. Das Christentum lehrt die Erbsünde, der Mensch ist von Natur, von Haus aus böse, also im Innersten ein Negatives mit sich selbst (XII, 123.15,188). Die kirchliche Theologie vertrat daher die Lehre von der ewigen Verdammnis, indem sie den menschlichen Willen als schlechthin frei und damit verantwortlich für das Seelenheil voraussetzte. Es kommt auf den selbstbewußten Willen an, welches Schicksal der Mensch zuletzt erleidet (XII, 124.15, 188 f.). Demgegenüber ist es eine moderne Lehre, daß der Mensch von Natur gut sei (XIV, 102). Das ist die überwiegende Meinung der neueren Zeit (XIV, 113). Aber die christliche Lehre von der Erbsünde, sagt Hegel, steht höher als die moderne Lehre von der Güte des Menschen (7, 70). Die moderne Auffassung hebt die christliche Religion faktisch auf, denn sie macht eine Versöhnung unnötig (XIV, 113). Der Mensch soll gut, also unmittelbar das sein, was er sein soll. Er hat zwar die Möglichkeit, Fehler zu machen, zu sündigen, aber das ist nur etwas Akzidentelles, Zufälliges und Nichtiges, was seine eigentliche Natur nicht berührt. Diese Natur des Menschen ist ursprünglich gut. Die Sündhaftigkeit ist nicht seine wahre Natur. Ist er von Natur gut, so ist der Fehler das Nichtige, das, was er nicht ist (XII, 123.15,188 f.). Freilich, auch die kirchliche Formulierung der Erbsünde ist mangelhaft. Die Erbsünde wird wie ein Erbübel, wie eine Erbkrankheit behandelt. Dadurch entsteht ein Widerspruch zwischen der menschlichen Freiheit und dem, was auf natürliche Weise unbewußt und äußerlich an ihn gekommen sein soll (XII, 300). Die bisherigen Erörterungen über das Wesen des Bösen und seinen Ursprung im freien menschlichen Willen bieten aber bereits alle Momente zum Verständnis auch der Erbsünde. Abstrakt gesehen ist der Mensch weder gut noch böse, d.h. er ist überhaupt noch nicht ein wirklicher Mensch (XIV, 104). An sich, als Ebenbild Gottes, als Geist ist der Mensch gut. Der Mensch ist als Geist der Spiegel Gottes, der das schlechthin Gute ist. Aber eben diese Bestimmung des „Ansich" ist das Einseitige. Denn der Mensch ist ein natürliches Wesen, seine Vernünftigkeit ist noch nicht entwickelt. Daß der Mensch an sich Vernunft, Geist ist, genügt nicht, er soll auch für sich Geist werden, d. h. seine bloße Natürlichkeit muß aufgehoben werden. Daß der Mensch an sich Geist ist, bleibt bestehen, und so ist er von Natur gut. Aber die Form des Ansichseins muß aufgehoben werden. Das von Natur Gutsein ist für ihn noch nicht gut, diese Unmittelbarkeit muß

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aufgehoben werden, er soll nicht in der natürlichen Unschuld verharren (XIV, 106 f. 16, 90 f.). Von Natur gut, heißt unmittelbar gut, aber der Geist ist eben dies, nicht ein Natürliches, Unmittelbares zu bleiben. Als Geist soll der Mensch aus seiner Natürlichkeit heraustreten. Die bloße Natur bleibt im Ansich ihren Gesetzen treu. Der Mensch aber setzt seinem Ansich, seiner allgemeinen Natur sich gegenüber und tritt in die Trennung ein. Gerade daß er nur an sich gut ist, ist der Mangel, er soll über seine Unmittelbarkeit hinausgehen, das ist der Begriff des Geistes. Das Hinausgehen begründet zunächst die Entzweiung im Menschen. Aber weil der Mensch an sich Geist ist, ist dies Hinaustreten schon in seiner Natürlichkeit selbst begründet (XIV, 113 f. 16,257 f.). Der Mensch ist also unmittelbar nicht so, wie er sein soll, und er selbst soll sich so betrachten (XIV, 108). Er soll zu der Erkenntnis kommen, daß er nicht so ist, wie er sein soll. Darum ist auch in der Bibel die Erkenntnis die Quelle des Bösen. Das Wissen ist der Akt, durch den die Trennung gesetzt ist (XIV, 109). Dabei ist nicht aufgehoben, daß der Mensch an sich, seinem Begriff nach gut ist. Es kommt nur darauf an, daß der Mensch sich als natürliches Wesen böse weiß, sich dieses Gegensatzes bewußt wird. Er soll erkennen, daß er nicht nur dieses oder jenes Gebot übertreten hat, sondern daß er von Natur böse ist (XIV, 116 f. 16,99). Er soll wissen, daß er von Natur böse ist, solange er den natürlichen, tierischen Zustand nicht überwunden hat. Der Begriff der Erbsünde ist also die populäre Vorstellung für die Tatsache, daß der natürliche Mensch böse, seinem Begriff nicht gemäß ist (XIII, 29.15, 284 f.). Die Lösung des Problems der Erbsünde ist demnach dies, daß der Mensch sowohl gut als auch böse ist. Er ist gut, sofern er an sich Geist, Vernunft, Ebenbild Gottes ist; er ist böse, sofern sein natürlicher Wille nicht so ist, wie er sein soll, sofern er noch nicht frei ist, sondern in der Natürlichkeit gebunden. Erst die Freiheit macht den Menschen zum wirklichen Geist. Im Zustand der natürlichen Unschuld ist der Mensch unfrei, selbstsüchtig. Er soll aber zur Freiheit, damit zur Sittlichkeit erzogen werden (XII, 275 f. 15, 253 f.). Weil aber der wirkliche Mensch nicht so ist, wie er sein soll, entsteht in ihm das Bedürfnis nach Erlösung und Versöhnung. Das Problem der Versöhnung ist systematisch die Überleitung zur Christologie oder zur Lehre von der Menschwerdung.

3. Kapitel Die Versöhnung 1. A b s c h n i t t Die Christologie A. Das Bedürfnis nach Versöhnung Wenn der Gegensatz zwischen Mensch und Gott, dem natürlichen Wesen des Menschen und seiner ewigen Bestimmung, das Innerste des Menschen erfaßt hat, wenn also der Mensch in seinem Innersten zu der Erkenntnis, zum Wissen dieses Widerspruchs gekommen ist, dann erwacht in ihm der unendliche Schmerz über sich selbst und damit das Bedürfnis nach der Versöhnung mit Gott. Der Schmerz führt zur inneren Zerknirschung. Der Mensch ist in der Welt nicht mehr zufrieden, er ist unglücklich und verlangt nach der Erlösung (XIV, 117 f. 16, 269 f.). Das Bewußtsein der eigenen Sündhaftigkeit, die Zerknirschung ist vor allem im jüdischen Volk, also im Alten Testament, lebendig gewesen. Das Gefühl der Unbefriedigtheit, des Unglücks, war in der römischen Welt herrschend geworden. Die Zerknirschung ist negativ, ohne Affirmation in sich. Das Gefühl des Unglücks suchte in sich selbst die Befriedigung, als Stoizismus, war aber faktisch nur eine Flucht aus der Wirklichkeit (XIV, 120 f. 16, 273 f.). Wird nämlich der Mensch als von Natur gut angesehen, fehlt ihm die alttestamentliche Sündenerkenntnis, so kann es nur eine Versöhnung mit sich selbst aus einer Entzweiung geben, die nur oberflächlich war. Die Versöhnung berührt und verändert dann das Innere selbst nicht, denn sie schafft nur etwas Äußerliches, Akzidentelles fort. Das Innere des Menschen ist dann nur an der Oberfläche getrübt, die Trübung reicht aber nicht bis in den Boden. Das Endliche versöhnt sich nur mit sich selbst, es ist nur eine Versöhnung mit sich aus einer oberflächlichen Entzweiung. Nicht Gott versöhnte sich mit der Menschenwelt, sondern die Versöhnung geht im Menschen als einem endlichen Wesen vor. Das Innere des menschlichen 12 Schmidt, Hegel

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Geistes bleibt aus der Negativität heraus, weil es das ursprünglich Gute ist. Das Negative ist nicht innerhalb des menschlichen Geistes selbst (XII, 124 f. 15,189 f.). Darum ist die Versöhnung in der stoischen Philosophie ungenügend, nur abstrakt und partiell. Es fehlt das Bewußtsein, daß die Trennung ein unendlicher Widerspruch ist, es fehlt der unendliche Schmerz, das Leiden der Welt (XIV, 112. 16, 274 f.). — Andererseits aber gründet sich die Möglichkeit einer Versöhnung darauf, daß der Mensch das Ebenbild Gottes, an sich gut, Geist ist. Wäre das nicht der Fall, wäre der Mensch nur ein Negatives, so gäbe es weder das Bedürfnis der Versöhnung noch die Möglichkeit einer Befriedigung dieses Bedürfnisses (XIV, 114.16, 258 f.). In den älteren Religionen ist eine eigentliche Versöhnung mit Gott nicht vorhanden. Das Göttliche ist noch vereint mit dem Natürlichen, Menschlichen, und zwar auf eine natürliche Weise, trotz aller Opfer und Sühnungen (19,100). In der jüdischen Religion erwacht zwar der unendliche Schmerz über die eigene Sünde, aber was das Individuum betrifft, so wird eine Versöhnung mit Gott, eine objektive Befriedigung des Geistes, der Seele, weder gewußt noch gefordert, die Versöhnung ist nur partiell, es bleibt der Unterschied, Gegensatz zwischen Gott und Mensch (XIII, b. 102). Die wahre Versöhnung ist das Bewußtsein, daß im Innern des Geistes diese Umkehrung geschehen kann, wodurch das Geschehene ungeschehen gemacht werden kann (XIII, b. 157.16,135). Die wahre Versöhnung ist die Aufhebung der Trennung, daß Gott als Geist in seiner Gemeinde sei und die Gemeinde das Bewußtsein, die Gewißheit ihrer Freiheit in Gott habe. Gott ist dann wesentlich dies, das von ihm getrennt Gesetzte, Fremde sich zu versöhnen, diesen Abfall zu seiner Wahrheit zurückzuführen. Das ist der Prozeß der wahren Versöhnung (XIV, 29 f. 16, 218 f.). Die Entzweiung des Subjekts, des Ich gegen sein unendliches, absolutes Wesen treibt den Geist in sich zurück und bewirkt die Versöhnung (XII, 23.15, 34 f.). Die Trennung von Gott ist ein Standpunkt, der mit der Versöhnung, der Vereinigung mit dem Guten endigen muß. Der Mensch als Geist muß zur Versöhnung kommen, seine Bestimmung erfüllen. Dazu ist die vorherige Entzweiung nötig (XIII, 31 f. 15, 286 f.), denn ohne eine vorhergehende Entzweiung kann es keine Versöhnung geben (XIII, 71). — Wie aber, wodurch kann das Bedürfnis nach der Versöhnung befriedigt werden? Kann das Subjekt diese Versöhnung aus sich selbst, aus „eigener Vernunft und Kraft", hervorbringen? Kann das Subjekt durch sein Setzen die Versöhnung zustande bringen? Die oberflächliche Meinung, sagt Hegel, ist, daß der Mensch dies vermag. Indessen, die Versöhnung kann nur da-

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durch geschehen, daß für die religiöse Vorstellung des Menschen die Trennung aufgehoben wird, so daß Gott und das menschliche Ich keine Gegensätze mehr sind. Das kann der Mensch aber von sich aus nicht bewerkstelligen, denn die Setzung der Versöhnung hat zur Voraussetzung, daß das Gesetzte auch an sich wahr und wirklich ist. Das heißt, die göttliche Einheit, die Einheit zwischen Gott und Mensch, muß für das Setzen des Subjekts als Voraussetzung gegeben sein. Dem Subjekt muß die Wahrheit als die Voraussetzung erscheinen, anschaulich werden. Nur dann kann für den unendlichen Schmerz die Auflösung des Widerspruchs erfolgen. Die Frage ist daher, wie diese Wahrheit dem Subjekt erscheinen kann (XIV, 134 f. 16, 279 ff.). Wie kann es gewußt werden, daß Gott sich mit der Welt versöhnt hat? (19,100). Diese Versöhnung ist erst in der christlichen Religion Wirklichkeit geworden. Sie ist die Religion der Versöhnung der Welt mit Gott. Diese Versöhnung fängt damit an, daß die Unterschiede gegeneinander sind: Gott, der eine ihm entfremdete Welt sich gegenüber hat, und eine Menschenwelt, die ihrem wahren Wesen entfremdet ist. Die Versöhnung ist die Verneinung, die Negation dieser Trennung, ist dies, sich in einander zu erkennen, sich und sein Wesen zu finden. Die Versöhnung ist damit die Befreiung des menschlichen Geistes, die wahre Freiheit (XIV, 36.16.208). — Wie diese Versöhnung in der christlichen Religion verwirklicht wird, das darzulegen ist die Aufgabe der Christologie.

B. Die Person Christi Erstens: Die Christologie handelt zuerst von der Person Jesu Christi. Hegel wendet sich entschieden gegen die profane Betrachtung des Menschen Jesus und seines menschlichen Schicksals. Diese profane, bloß historische Betrachtung ist natürlich möglich und auch im Rahmen einer historischen Wissenschaft nötig, aber sie ist nicht der geistige, religiöse Standpunkt des Glaubens. In der neueren Theologie, sagt Hegel, steht Christus zwar noch als Erlöser und Versöhner im Mittelpunkt, aber das ganze Werk der Erlösung hat eine stark psychologische und sehr prosaische Bedeutung erhalten, so daß die alte Kirchenlehre fast ausgelöscht ist. „Große Energie des Charakters, Standhaftigkeit der Überzeugung" usw., das sind die allgemeinen Kategorien, mit denen die Gestalt Christi erfaßt werden soll. Christus wird so herabgezogen auf den Boden des menschlichen Handelns, 12*

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einer Handlungsweise, deren auch Helden wie Sokrates fähig gewesen sind. Die Gottheit Christi dagegen, das eigentlich Dogmatische, das der christlichen Religion Eigene, wird beiseite gesetzt (XII, 46.15, 55). Man kann nämlich Christus auf zweierlei Weise betrachten: Erstens als Mensch nach seinem äußerlichen Zustande, wie er als gewöhnlicher Mensch erscheint; das ist die irreligiöse Betrachtung; zweitens die Betrachtung im Geist, mit dem Geiste, der zu seiner Wahrheit dringt, weil er die unendliche Entzweiung, diesen Schmerz in sich hat; dies ist das eigentliche Religiöse. Betrachtet man Christus wie Sokrates als einen gewöhnlichen Menschen, als einen Gesandten Gottes, als einen Lehrer der Menschheit, als einen Märtyrer der Wahrheit, so steht man noch nicht auf dem religiösen Standpunkt. Christus ist freilich ein unmittelbarer Mensch in aller äußerlichen Zufälligkeit, in allen zeitlichen Verhältnissen und Bindungen. Er war auch ein Lehrer der Wahrheit (XIV, 154.16, 286 f.). Im Hinblick auf seine Lehre erwarten wir ohne weiteres, daß das Leben des Lehrers ihr angemessen sei und daß er durch seinen Tod seine Lehre, seinen Glauben besiegele. Das hat er aber mit einer Menge anderer Lehrer und Propheten gemein. Dies ist noch nichts Spekulatives, sondern nur die Angemessenheit (XIV, 155.16, 288 ff.). Daß Christus die Wahrheit seiner Lehre mit dem Tode besiegelt hat, soweit geht auch der Unglaube in dieser Geschichte Jesu mit, und sie ähnelt dem Sokrates, der auch für die Wahrheit gestorben ist. Das ist eine bloß äußerliche Geschichte, die auch für den Unglauben ist (XIV, 169.16,311). Diese äußere Geschichte muß von der religiösen unterschieden werden (3,226). Wenn man auf dem bloß historischen Standpunkt bleibt, Christus als Lehrer, Messias, als einen sinnlich gegenwärtigen Menschen für seine Freunde, die Apostel, ansieht, so heißt dies, daß man den Geist verwirft (17, 103. 106 19, 111). Hegel fühlt sich hier ganz besonders als Hüter der kirchlichen Tradition. Gewiß, die Geschichte Christi gilt in der christlichen Religion als etwas vollkommen Geschichtliches, nicht als ein Mythus. Die christliche Religion fängt mit einer äußerlichen Geschichte an. Aber diese Geschichte ist zugleich eine göttliche Geschichte, die Göttliches zu ihrem Inhalt hat. Es ist nicht nur diese gewöhnliche, äußerliche Geschichte eines Menschen, sondern ein göttliches Geschehen, ein göttliches Tun, eine absolut göttliche Handlung. Diese ist das Innere, Wahrhafte, Substantielle dieser Geschichte, das, was Gegenstand der Vernunft ist (XII, 111 f. 15,157 f.). Diese Geschichte ist zugleich die Explikation der Natur Gottes (XII, 263.15, 236). Es ist die ewige Geschichte Gottes und der Menschheit, die Bewegung Gottes zum Menschen und des Menschen zu Gott, vom menschlichen Bewußtsein in der

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Geschichte angeschaut (XII, 278.15, 256). Es ist nicht nur die Geschichte eines einzelnen Individuums, sondern zugleich die göttliche Idee, welche diese Geschichte durchlauf);, und des Menschen, der sich zum Dasein des Geistes macht (XIV, 156.16, 288 ff.). Es ist nicht die Geschichte eines einzelnen, sondern Gottes, der sie vollbringt (XIV, 160.16, 303 f.). Der aus dem Schmerz der Welt erzeugte und auf dem Zeugnis des Geistes beruhende Glaube hat sich das Leben Christi expliziert. Diese Geschichte Christi ist von Menschen erzählt worden, über die der Geist ausgegossen war (XIV, 165. 16, 297 f.). Sie haben in dieser Geschichte für die Gemeinde die Natur Gottes expliziert als die Geschichte Gottes (XIV, 166. 16, 304. 298). Darum ist es keine äußerliche Geschichte für den Unglauben (XIV, 167. 16, 300 f.). Zweitens: Was ist nun der Grundgedanke, der in der Geschichte Christi zur Darstellung kommt? Es ist als ein wesentliches Moment der christlichen Religion die Menschwerdung Gottes (XII, 161). Diese Idee der Menschwerdung Gottes geht durch alle Religionen hindurch (XIII, 6). Sie kommt auch in den niederen Religionen vor (XII, 232). In der indischen Religion findet sich auch die Inkarnation der Gottheit, aber hier und in allen Religionen, in denen sich Analogien für die Menschwerdung Gottes finden, ist diese Inkarnation eine sehr oberflächliche (XIII, 66. 209.15, 449 f.). In der christlichen Religion dagegen ist sie nicht nur ein wesentliches Moment, sondern auch vollkommen ausgebildet (XII, 232). Die Menschwerdung Gottes im Christentum bedeutet, daß in dem Menschen Jesus Gott selbst offenbar geworden ist. Gott wird nicht unter dem Bilde eines Menschen vorgestellt und verehrt, sondern der Christ erkennt in diesem Menschen den wirklichen Gott (XIII, 61). Das göttliche Wesen wird angeschaut in dem Menschen, der gelebt, gelitten hat, gestorben, auferstanden und gen Himmel gefahren ist. Das ist nicht mehr der Mensch im sinnlichen, unmittelbaren Dasein, sondern der Mensch, der die Gestalt des Geistes an sich trägt. So entsteht der ungeheuerste Kontrast, wenn in der unmittelbaren Endlichkeit des Menschen das Absolute verehrt wird (XIII, 126.15, 404). Gott ist Mensch geworden nach einer ganz wirklichen, zeitlichen Weise, in welcher alle partikuläre Einzelheit eingeschlossen ist (XIII, b. 185.16,142 f.). Gott ist Mensch geworden — das ist die Offenbarung (XIV, 36.16, 208). Die göttliche Idee erscheint in sinnlicher Unmittelbarkeit und Gegenwart. Wenn Gott erscheinen soll, dann kann er keine andere Gestalt annehmen als die der sinnlichen Weise des Geistes, und das ist die eines einzelnen Menschen. Also erscheint Gott in menschlicher Gestalt (XIV, 137.16, 286). Auf keine andere Weise kann das Gott-

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liehe wahrhaft erscheinen. In der anorganischen Natur, im Tierischen kann Gott nicht wahrhaft offenbar werden, sondern nur in einer einzelnen Person, welche alle physischen Bedürfnisse eines Menschen hat. Gott kann auch nur einmal, in einer Person erscheinen, nicht wie im indischen Pantheismus, wo unzählig viele Inkarnationen vorkommen. Da ist das menschliche Sein, die Subjektivität nur eine akzidentelle Form und in Gott nur eine Maske, welche die Substanz in zufälliger Weise wechselt. Nicht so in der wahren Menschwerdung. Gott als Geist enthält das Moment der Subjektivität, der Einzigkeit an ihm; seine Erscheinung kann daher nur eine einzige sein, nur einmal vorkommen (XIV, 138.16, 285 f.). So ist Christus in der Kirche der Gottmensch genannt worden. Das ist eine ungeheure Zusammensetzung, die der Vorstellung und dem Verstande schlechthin widerspricht. Aber Gott in der sinnlichen Gegenwart konnte eben keine andere Gestalt haben als die Gestalt des Menschen. In der sinnlichen Welt ist der Mensch allein das Geistige. Soll das Geistige in sinnlicher Gestalt sein, so muß es in menschlicher Gestalt sein (XIV, 142.16, 283). Man wendet ein, bemerkt Hegel, daß Jesus in seinem Leben sich nicht als Gott hat anbeten lassen (XIII, 61). Das ist richtig. Die Lehre von Christus ist erst von der Kirche hervorgebracht worden, sie ist im Gedanken geschehen und hat die Dogmatik hervorgebracht. Aber dies war eine Forderung des Denkens, der Innerlichkeit (XII, 263.15, 236). Die Bestimmung, daß Gott Mensch wurde, der Mensch also das Bewußtsein Gottes im Endlichen habe, ist das schwerste Moment der christlichen Religion und konnte daher nicht gleich am Anfang erfaßt werden (XIV, 137.16, 286). Aber es ist die Bestimmung des Geistes, zu diesem Moment fortzugehen, denn dies war die einzige Form, in welcher der göttliche Geist sich offenbaren konnte (XIV, 138.16, 285 f.). Auf diese Weise ist ein neues Bewußtsein des Geistes, eine neue Religion entstanden, die am Anfang noch nicht vorhanden war (XIV, 155.16,288 f.). Das Verhältnis des bloßen Menschen verwandelt sich in ein Verhältnis, das vom Geist verändert ist, so daß sich darin die Natur Gottes aufschließt, die Wahrheit unmittelbare Gewißheit nach der Weise der Erscheinung erhält. Dadurch erhält Christus, der Lehrer, Freund und Märtyrer der Wahrheit, eine ganz andere Stellung (XIV, 171.16, 297. 305 f.). Drittens: Welche Gewißheit erhält der Christ, indem er im Menschen Christus Gott erfährt oder zum Glauben an den Gottmenschen gelangt? Die Versöhnung kann nur dadurch zustande kommen, daß für die religiöse Vorstellung das Unendliche, Gott, und das Endliche, der Mensch, was sich zu fliehen scheint, kein Gegensatz ist, sondern daß das Absolute, die

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Wahrheit, die Einheit des Unendlichen und des Endlichen ist. Die an sich seiende Einheit der göttlichen und der menschlichen Natur muß zum Bewußtsein kommen. Der Mensch muß wissen, daß er in Gott aufgenommen ist, insofern Gott ihm nicht mehr ein Fremdes ist; daß er nach seinem Wesen, seiner Freiheit und Subjektivität in Gott aufgenommen ist. Das aber ist nur möglich, insofern in Gott selbst diese Subjektivität der menschlichen Natur ist. Und dies Ansichsein muß dem unendlichen Schmerz zum Bewußtsein kommen als die an sich seiende Einheit der göttlichen und menschlichen Natur, so daß das Anderssein, die Endlichkeit, dieser substantiellen Einheit beider keinen Eintrag tut (XIV, 134. 16, 278). Die göttliche und die menschliche Natur haben also ihre Abstraktion gegeneinander abgelegt, diese Extreme sind keine mehr, sondern die Wahrheit ist ihre Identität oder der Prozeß ihrer Identität als das Konkrete. Die menschliche Subjektivität ist nun in der göttlichen Idee und weiß sich auch darin. Gott erscheint in der Gestalt der Subjektivität, des unmittelbaren Besonderen für das subjektive Bedürfnis. In dieser Einheit ist alles verschwunden, was zur äußeren Partikularisation gehört, alles Endliche (XIV, 135.16,283). Es ist erschienen die Einheit, der konkrete Gott (XIV, 137.16, 286). So beweist sich das Subjekt als die unendliche Kraft der Einheit, es kann den Widerspruch ertragen, und es entsteht das Bewußtsein der Versöhnung, des Aufhebens, der Nichtigkeit des Gegensatzes. Die Wahrheit ist, durch die Negation des Gegensatzes die Einheit zu erreichen, den Frieden, die Versöhnung, die das Bedürfnis fordert. So kann das Subjekt in seinem Fürsichsein durch das Aufheben des Gegensatzes den Frieden, die Versöhnung erlangen. Denn erst wenn der Gegensatz an sich aufgehoben ist, hat das Subjekt die Möglichkeit, ihn auch für sich aufzuheben. Der Gegensatz entsteht ewig und hebt ebenso ewig sich auf. Daß dies die Wahrheit ist, sehen wir an der göttlichen Idee, daß Gott sich von sich unterscheidet, ein Anderes setzt und in diesem Anderen mit sich identisch ist, in ihm die Identität seiner mit sich selbst hat. Diese Wahrheit, das an sich Seiende, Substantielle, kommt nun dem Menschen zum Bewußtsein. Der Gegensatz ist das Unangemessene überhaupt (XIV, 139.16, 279 f.). Das Endliche, Natürliche, Unmittelbare, Böse ist der Allgemeinheit Gottes nicht angemessen, denn Gott ist die freie, bei sich seiende unendliche Idee. Die Unangemessenheit verschwindet nicht einfach, aber die Endlichkeit der menschlichen Natur tut jener Einheit keinen Eintrag. Dies Ansichsein, diese an sich seiende Einheit der göttlichen und menschlichen Natur ist dem unendlichen Schmerz zum Bewußtsein gekommen, und zwar so, daß der Mensch ihm als Gott und Gott ihm als Mensch

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erscheint (XIV, 140 f. 16,280 f.). Es wird ihm dies gewiß in der Form der unmittelbaren sinnlidien Anschauung. Gott ist „im Fleisch0 in der Welt erschienen, in einem Menschen. In dem einen Menschen wird diese Einheit angeschaut, als in einem ausschließenden Menschen für die anderen Menschen (XIV, 141.16,282). Der Gottmensch manifestiert sich so, daß er die Idee, ihren absoluten Inhalt, ihre Bestimmung repräsentiert (XIV, 156). Er zeigt, daß der Mensch an sich die göttliche Idee in sich trägt, so daß dies seine substantielle Natur und seine Bestimmung ist (XIV, 130.16, 282 f.). Aber es ist nicht nur die Bestimmung der menschlichen, sondern auch der göttlichen Natur. Alle Endlichkeit ist als ein vorübergehendes Moment auch Moment des Prozesses der göttlichen Natur. Diese Erkenntnis kommt nach der Weise des religiösen Bewußtseins an den Menschen, und zwar in der für ihn einzig möglichen Weise, daß sich diese Einheit in ganz zeitlicher, gewöhnlicher Erscheinung der Wirklichkeit in einem, diesem Menschen zeige, in einem Menschen, der zugleich gewußt wird als die göttliche Idee, als Gottes Sohn, nicht nur als ein Lehrer der Menschheit (XIV, 131. 16, 283 f.). Um diese Anschauung und unmittelbare Gewißheit der Gegenwart des Göttlichen war es ja zu tun, darum, daß die göttliche Idee als unmittelbar dieselbe Natur wie die der anderen Menschen vorhanden erscheint (XIV, 132 f. 16,283 f.). Das ist der schönste Punkt der christlichen Religion, die absolute Verklärung des Endlichen, die zur Anschauung gebracht ist (XIV, 134.16, 278)! Viertens: Wodurch beglaubigt sich aber dies Individuum, Jesus Christus, daß es für die Menschen die göttliche Idee ist (XIV, 142)? Hegel kennt die Unterscheidung zwischen dem Evangelium Jesu und dem Evangelium von Jesus. Er entscheidet sich aber für das Zweite! Das Evangelium Jesu oder die Lehre Jesu ist ihm nicht der eigentliche Inhalt des ChristusGlaubens. Die Lehre Jesu, sagt Hegel, kann für sich allein die Beglaubigung für die göttliche Sendung Christi nicht geben, denn sie enthält für sich nur das Allgemeine. Ihr allgemeiner Boden als Zustand ist das Reich Gottes, eine substantielle intelligible Welt mit Hinwegwerfung des Wertes aller irdischen, weltlichen Dinge, das Ewige als die Heimat des Geistes (XIV, 143). Ohne auf den apokalyptischen Charakter des Reiches Gottes in Jesu Predigt einzugehen, betont Hegel doch entschieden den weitabgewandten Charakter dieser Predigt. Jesu Worte in der Bergpredigt, sagt Hegel, gehören zu dem Größten, was je ausgesprochen ist, und sie heben allen Aberglauben, alle Unfreiheit des Menschen auf. Es ist darin eine Sprache der Begeisterung, die alle anderen Interessen der Menschen beseitigt, die Menschen ganz rein daraus herausreißt (XIV, 144.16, 290).

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Nur die Gesinnung im Tun gibt dem Menschen den unendlichen Wert. Es ist eine völlige Abstraktion von allem, was in der Welt als Großes gilt, eine Erhebung in den inneren Himmel, zu dem der Zutritt jedem offen steht und vor dem alles andere keine Gültigkeit hat. Die ausgezeichnete und umfassende Lehre Christi ist die Liebe (XIV, 145. 16, 291). Es ist eine Liebe ohne Objektivität des Zweckes, ein Losreißen gegen alles Bestehende, und sie schließt die Feindesliebe mit ein (XIV, 146.16, 292). Diese Lehre hat, insofern sie die Bestimmung der Negation gegen alles Vorhandene hat, einen revolutionären Charakter. In dieser Energie ist die neue Religion lebendig, die das einzige Interesse der Menschen ausmacht (XIV, 150.16, 288 f.). Es ist darum zu tun, die Versöhnten aus der vorhandenen Wirklichkeit herauszuziehen, von ihnen die Abstraktion davon zu verlangen. Diese Lehre Christi konnte aber nicht die spätere Lehre der Kirche, der Gemeinde sein; sie ist nicht christliche Dogmatik (XIV, 149. 16,287). Die einzelnen Gebote heben sich praktisch auf. Das alles sind Bestimmungen, Lehren, die dem ersten Anfang angehören, wo die neue Religion das einzige Interesse ausmacht. In der Folge, wenn die Wahrheit ihre sichere Existenz hat, verliert dies Aufgeben alles wesentlichen Interesses und der sittlichen Bande von ihrer Wichtigkeit (XIV, 151 f. 16, 289 f.) Diese vollkommene Unabhängigkeit ist nur der erste, abstrakte Boden der Geistigkeit. Die Gebote Christi stehen größtenteils schon im Alten Testament, nur ist die Liebe zum Hauptgebot gemacht, und zwar nicht nur die lahme Liebe zu allen Menschen, sondern die der Gemeinde untereinander (XIV, 152). Der Inhalt der neuen Religion wird aber nicht durch diese Lehre, sondern durch die sinnliche Anschauung der Person Christi und seiner Geschichte gegeben (XIV, 153.16, 290 f.). Die Lehre als solche ist nur das Allgemeine des Inhalts, das Reich Gottes, die erste ewige Idee selbst als konkrete. Sie läßt die Bestimmung der Subjektivität als wirklicher unmittelbar erscheinen. Aber das Reich Gottes ist von Anfang an verknüpft mit diesem Individuum, die Christen gelangen zu demselben durch dies Individuum, und das Reich Gottes tritt durch dies Individuum in die Wirklichkeit herein, und an dieser göttlichen Wirklichkeit stellt sich der konkrete Inhalt des Reiches Gottes dar (XIV, 156). Das Reich Gottes hat seinen Repräsentanten in diesem existierenden Menschen (XIV, 157). So zeigt sich hier unmittelbar der Übergang von der Lehre Jesu oder vom Evangelium Jesu zum Evangelium von Jesus, zur Lehre der Kirche von seiner Person. — Prüfen wir diese Lehre Hegels von der Person Christi, so wird deutlich, daß sie mit der orthodoxen Christologie keineswegs übereinstimmt. Hegel

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scheidet alle legendarischen und mythologischen Elemente der Lehre aus. Er spricht weder von einer Präexistenz Christi noch von einer Jungfrauengeburt. Zwar spricht Hegel von der göttlichen und der menschlichen Natur, aber das hat mit der dogmatischen Zweinaturenlehre nichts zu tun. Bei Hegel wird nicht ein präexistentes göttliches Wesen durch eine übernatürliche Geburt zum Menschen, und in Christus sind nicht auf übernatürliche Weise zwei „Naturen" verbunden, sondern im Menschen Jesus offenbart sich Gott. Die Frage, wie in Christus göttliche und menschliche Natur verbunden sind, wird gegenstandslos, weil es sich nicht um zwei Personen handelt, eine präexistente göttliche und eine menschliche, Jesus der Nazarener, die zusammengedacht werden sollen. Hegels Lehre von der Person Christi baut sich streng sachlich auf der urchristlichen religiösen Erfahrung auf, daß die Christen im Menschen Jesus Gott selbst erlebt haben. Wie überall, so geht Hegel auch hier von der Erfahrung, vom Gegebenen aus, und deutet diese Erfahrung nach ihrem Wahrheitsgehalt spekulativ. Wie in der Trinitätslehre, so hat Hegel auch in der Lehre von der Person Christi die bisher reinste und tiefste Fassung der Kirchenlehre geliefert. Dasselbe gilt nun von der Lehre vom Werk Christi, der wir uns jetzt zuwenden.

C. Das Werk Christi Erstens: Das Werk Christi konzentriert sich in seinem Tode. Auch der Tod Christi, sagt Hegel, kann zunächst rein historisch, psychologisch und profan verstanden und gewertet, d.h. moralisch formal (XIV, 157) als Besiegelung seiner Lehre gefaßt werden. Nun ist aber in Christus Gott selbst erfahren worden. Dadurch gewinnt auch sein Tod eine ganz andere Bedeutung. Ist in Christus Gott offenbar geworden, dann ist Gott selbst gestorben! Das ist eine ungeheure, fürchterliche Vorstellung. Dieser Tod ist außerdem noch der Tod eines Missetäters, der entehrendste Tod am Kreuz (XIV, 161). Christus, der Gottmensch, ist gestorben den gesteigerten Tod des Missetäters, die Menschlichkeit ist an ihm bis auf den äußersten Punkt erschienen (XIV, 165). Alles Große und Geltende der Welt ist ins Grab des Geistes versenkt (XIV, 166 16, 297 f.). Wenn Gott gestorben, tot ist, dieser fürchterliche Gedanke wahr ist, dann ist alles Ewige und Wahre nicht, dann ist die Negation selbst in Gott. Das erregt den höchsten Schmerz, das Gefühl der vollkommenen Ratlosigkeit und Rettungslosigkeit, das Aufgeben alles Höheren (XIV, 167.16,300 f.). Aber — was ist mit diesem Tode

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des Gottmensdien offenbar geworden? Der Tod ist die höchste Spitze der Endlichkeit, denn diese Spitze ist nicht das wirkliche zeitliche Leben, sondern die höchste Negation, der Schmerz des Todes. Im Tode Christi wird also das zeitliche Dasein der göttlichen Idee in der endlichen Gegenwart angeschaut, nämlich die höchste und letzte Entäußerung der absoluten Idee (XIV, 157). In diesem Tode ist vollbracht, daß die göttliche Idee sich bis zum bitteren Schmerz des Todes und der Schmach des Missetäters entäußert hat (XIV, 162 f. 16,299 f.). Es bedeutet den Fortgang der göttlichen Idee, die sich schon durch die Schöpfung der Welt entäußert hat, zur höchsten Entzweiung (XIV, 163). Damit wird offenbar, daß das Endliche, Menschliche nicht außer Gott ist, sondern Gott selbst, ein göttliches Moment. Das Negative ist Moment der göttlichen Natur selbst. Dadurch sind die Menschen zur Wahrheit, zur Idee Gottes gelangt, zur Gewißheit der Einheit mit Gott, wie vorher schon durch das Erscheinen des Gottmenschen, nur jetzt noch tiefer und reiner. Zugleich ist dieser Tod die Darstellung der Idee des Menschen überhaupt, des Menschen als Geist: Das Menschliche wird abgestreift, und das Ansichsein kehrt zu sich selbst zurück und wird so erst konkreter Geist (XIV, 172.16, 304 f.). Die Schranke des Geistes, die bis zum Bösen fortgeht, ist für den unendlichen Geist ein Nichtiges. Der Geist vermag das Geschehen ungeschehen machen. Im Tode Christi ist die Endlichkeit des Menschen getötet, das Endliche, Böse ist vernichtet, das Böse ist der Welt abgenommen (XIV, 173.16, 307 f.). Indem aber im Tode Christi die Entäußerung der göttlichen Idee zur Darstellung kommt, offenbart dieser Tod zugleich die höchste Liebe. Denn die Liebe ist die Identität des Göttlichen und des Menschlichen. Hat sich die absolute Idee bis zum Extrem des Todes verendlicht, so ist die Anschauung der göttlichen Einheit die höchste Anschauung der Liebe, die Göttlichkeit in der allgemeinen Identität mit dem Anderssein, das Aufgeben seiner Persönlichkeit. Die Liebe ist die ungeheure Vereinigung dieser absoluten Extreme (XIV, 158.16, 302 f.). Damit ist die Endlichkeit des Menschen aufs Höchste verklärt durch die höchste Liebe. Es ist die absolute Versöhnung, das Aufheben des Gegensatzes der Menschen gegen Gott, das Ende als Auflösung in der Herrlichkeit, und zwar durch die göttliche Idee selbst (XIV, 163). Zweitens: Dieser Tod Christi, sagt Hegel, wird in den Evangelien so aufgefaßt und gedeutet, daß Christus für uns dahingegeben worden ist. Sein Tod wird vorgestellt als ein Opfertod und als ein Akt der allgemeinen Genugtuung (XIV, 158.16, 302 f.). Wie ist das aufzufassen? Der Tod Christi ist die höchste Verendlichung, ebenso aber die Aufhebung der

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natürlichen Endlichkeit, der Entäußerung, das Moment des Geistes, sich in sich zu fassen, dem Natürlichen abzusterben. Dieser Tod ist also die Versöhnung des Geistes mit sich, seine innere Konversion, Umwandlung. Dieser Tod ist darum für uns Menschen genugtuend, weil er die absolute Geschichte der göttlichen Idee darstellt, das, was an sich geschehen ist und ewig geschieht. Man darf den Opfertod Christi also nicht so auffassen, als würde ein fremdes Opfer gebracht, ein Anderer gestraft, nur damit Strafe sei. Solche juristischen Kategorien sind nicht imstande, den Tod Christi richtig zu deuten. Wenn gesagt wird: Der Gläubige ergreift das „Verdienst" Christi, so bedeutet das: Wenn der Gläubige die Umkehrung und das Aufgeben des natürlichen Willens vollbringt und in der unendlichen Liebe ist, so ist er in der Wahrheit, so ist dies die Sache an und für sich. Seine subjektive Gewißheit ist dann die Wahrheit, die wahre Natur des Geistes, worin er seinem Begriff gemäß ist. Der Grund der Erlösung ist also diese Geschichte, die im Tode Christi sich vollendet, das Absterben des Natürlichen, Bösen; nicht nur die Geschichte eines Einzelnen, sondern auch Gottes, der sie vollbringt (XIV, 160.16, 303 f.). Dadurch ist der Tod, ist das Kreuz verklärt, das Niedrigste wird zum Höchsten verkehrt — eine vollkommene Revolution des Bestehenden, in der Meinung der Menschen Geltenden. Das Symbol der Entehrung wird zum Panier, dessen positiver Inhalt das Reich Gottes ist (XIV, 161.16,298 f.). Dieser Tod des einen Individuums, Christi, für alle Menschen ist die Natur Gottes selbst, die göttliche Geschichte. Die absolute Subjektivität setzt die Negation seiner. Das kommt im Tode Christi zur Anschauung als ein wesentliches Moment des Geistes. Es ist nicht nur der Tod dieses einzelnen Individuums, sondern es liegt darin, daß Gott selbst tot ist, gestorben, und diese Negation ist Moment des göttlichen Geistes selbst. Damit ist in diesem Tode Gott selbst genug getan, denn Gott kann nur durch sich selbst befriedigt werden, nicht durch etwas anderes, weder durch Menschen noch durch Dinge. Gott selbst kommt zum Frieden mit sich selbst, die Geistigkeit ist gesetzt. Und darin ist alles, ist die ganze Welt versöhnt. So und nicht anders haben die Apostel den Tod Christi verstanden: In Christus ist Gott offenbar geworden. Dieser Tod ist der höchste Beweis der Menschlichkeit Gottes (XIV, 164 f. 16, 297 f.)! Alles Große und Geltende ist zwar damit ins Grab des Geistes versenkt, aber im Aufgeben des natürlichen Willens ist zugleich das Endliche verklärt. Das Endliche, der Mensch ist im Tode selbst als Moment Gottes gesetzt. Der Tod Christi ist das Versöhnende, er ist die Liebe selbst, es wird darin die absolute Liebe angeschaut. Gott ist im Endlichen, Menschlichen bei sich selbst, und

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das Endliche ist im Tode die Bestimmung Gottes. Durch diesen Tod hat Gott die Welt versöhnt und versöhnt sich ewig mit sich selbst (XIV, 166. 16,298. 304). Der Tod Christi, geistig aufgefaßt, wird zum Mittelpunkt der Versöhnung (XIV, 171.16,297). Gott ist mit der Welt versöhnt, er zeigt sich als mit der Welt versöhnt zu sein. Das Menschliche ist Gott nicht ein Fremdes, sondern das Endliche ist ein verschwindendes Moment in ihm selbst (XIV, 173.16, 307 f.). Der Geist ist die Rückkehr der Liebe zu sich selbst. Christus ist für alle gestorben, das ist die ewige göttliche Geschichte. Darum ist Christus die Versöhnung für alle. Das ist die Geschichte Gottes selbst, das Leben, das Gott selbst ist (XIV, 174.16, 308). Drittens: Eins fehlt aber noch, um die göttliche Idee den Menschen ganz zu erschließen: Die Rückkehr der absoluten Idee aus ihrer absoluten Entäußerung zu sich selbst, die Vollendung Gottes als Geist. Die Negation im Tode muß überwunden werden, die Negation der Negation muß als ein Moment der göttlichen Natur erscheinen. Darum muß Christus auferstehen, der Sohn zur Rechten Gottes erhoben werden (XIV, 166.16, 304). Die Umkehrung muß eintreten, weil Gott sich in diesem Prozeß erhält und dieser Prozeß auch der Tod des Todes ist. Gott muß wieder zum Leben auferstehen. Diese Auferstehung Christi, betont Hegel, ist freilich nur eine geistige Auffassung für den Glauben, keine äußerliche Geschichte für den Unglauben, kein Mirakel und kein Geschehen in Raum und Zeit. Christus ist ja nur seinen Freunden erschienen (XIV, 167.16, 300 f.). Der Tod Christi wird daher zum Übergang in die Herrlichkeit, die nur die Wiederherstellung der urspünglichen Herrlichkeit ist. Die Geschichte der Auferstehung Christi und seiner Erhebung zur Rechten Gottes ist eine religiöse Geschichte, die Geschichte geistig aufgefaßt (XIV, 171.16, 305 f.). Das gegenwärtige, unmittelbare Individuum ist nun den Sinnen entrückt, erhoben zur Rechten Gottes. Damit ist den Gläubigen die Vorstellung der absoluten Einheit des Göttlichen und des Menschlichen, die unendliche Liebe als die absolute Wahrheit oder als die göttliche Idee gegeben (XIV, 178.16, 312 f.). Die Einheit der göttlichen und der menschlichen Natur in Christus ist damit vollendet (VIII, 106), den Gläubigen ist diese Vereinigung gegeben (IX, 821). Viertens: Noch einmal muß nun gefragt werden: Was beglaubigt dies Individuum, Christus, daß in ihm, in seiner Geschichte, in seiner Person und seinem Leben, Sterben und Auferstehen die Entäußerung der göttlichen Idee offenbar geworden ist? Wodurch wird diese ganze Geschichte für das religiöse Bewußtsein zur Explikation der göttlichen Natur selbst? (XIV, 167.16, 300 f). Warum vollzieht sich an diesem Tode der Übergang

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von der prosaischen Betrachtung in das Religiöse? Augenscheinlich geht es doch hier um eine Deutung, um eine besondere Art der Auffassung dieses Todes und der ganzen Geschichte Christi (XIV, 169.16, 311 f.). Es liegt ein Unterschied vor zwischen einer äußerlichen Betrachtung und der Betrachtung des Glaubens, d. h., der Betrachtung im Geist. Der Glaube sieht etwas anderes als der „weltliche" Sinn, er ist das Bewußtsein der absoluten Wahrheit, die in Christus offenbar geworden ist. Wo die weltliche Betrachtung nichts als den Tod eines edlen Märtyrers erblickt, schaut der Glaube die Gegenwart Gottes, das unendliche Verhältnis zu Gott, das Reich Gottes, die ewige Liebe (XIV, 170.16, 296 f.). Es ist eine durch und durch geistige Auffassung der Geschichte Christi (XIV, 171.16, 305 f.). Die Evangelien, das ganze Neue Testament sind eben nach der Ausgießung des Hl. Geistes geschrieben worden. Erst die christliche Gemeinde hat diese Gewißheit gewonnen, daß Gott in Christus als Mensch auf Erden erschienen ist und die Versöhnung vollbracht hat (XIV, 172.16, 304 f.). — Die Frage also ist, wie die Christen dazu gekommen sind, in Christus die göttliche Idee zu erkennen, ihn als den Sohn Gottes, den Gottmenschen anzuerkennen? Diese Frage nach der göttlichen Sendung Christi zerfällt in zwei Fragen: 1. Ist es überhaupt wahr, daß Gott einen „Sohn" hat? und 2.: Ist dieser Jesus von Nazareth der Christus gewesen? Die erste Frage haben wir bereits ausführlich beantwortet, indem wir nachgewiesen haben, daß Gott als Idee sich entäußert bis zur Endlichkeit und Menschlichkeit. Die zweite Frage aber muß dahin beantwortet werden, daß nur die Geschichte Christi, seines Lehrens, Lebens und Sterbens, der göttlichen Idee und ihrem Prozeß schlechthin gemäß ist. Dies aber wird nicht etwa durch die Wunder Christi beglaubigt, wie der naive Glaube anzunehmen geneigt ist. Die Wunder Christi sind eine relative Bewährung, sie sind nur eine Gewalt über natürliche Zusammenhänge, wie wir schon gesehen haben, und also nur über ein beschränktes Bewußtsein. Wunder können immer bezweifelt und natürlich erklärt werden, auch die Wunder Christi. Nein, es ist der Geist, der Hl. Geist, der die Sendung Christi beglaubigt hat und beglaubigt. Der Glaube an Christus beruht auf dem Zeugnis des Geistes (XIV, 183 ff. 16, 318 ff.). Der Glaube allein ist geistig, er hat die Wahrheit der Idee zu seinem Grunde. Die Idee ist zunächst auf endliche Weise für die Vorstellung an diesem Individuum. Sie kann darum nur wirklich erscheinen nach seinem Tode. Erst dann ist der Verlauf dieser Anschauung zur geistigen Totalität vollendet, und die sinnliche Geschichte ist aufgehoben für den Geist zur Rechten Gottes (XIV, 188 f. 16, 326 f.). Das ist die Verwandlung der sinnlichen Erscheinung in das Wissen von

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Gott und damit die Beglaubigung dieses Individuums durch das Zeugnis des Geistes. Alle äußeren Beglaubigungen fallen dahin, alle sinnliche Beglaubigung ist für den zur Rechten Gottes erhobenen „Sohn" untergeordneter Art, geistlos. Das wahre Wunder ist der Geist (XIV, 190 f. 16, 321 f.). Das gilt vor allem auch von der Auferstehung und Himmelfahrt Christi. Hegel hat auch hier konsequent entmythologisiert. Als sinnliche Erscheinungen betrachtet sind Auferstehung und Himmelfahrt Christi unendlichen Einwänden unterworfen (XIV, 192.16, 324). Sie sind nur für den Glauben und gründen sich auf Visionen der Apostel (3, 226). Es geht allein um das Bedürfnis des Geistes. Was für den Geist Wahrheit haben soll, was er glauben soll, muß nicht sinnlicher Glaube sein. Alle Untersuchungen, welche Bewandtnis es mit den Erscheinungen Christi nach seinem Tode habe, gehen davon aus, als ob es auf das Sinnliche der Erscheinungen ankomme, auf das Historische. Dies ist aber eine ungeistige Betrachtung (XIV, 196.16, 317 f.). Auch diese Lehre Hegels vom Werk Christi unterscheidet sich wesentlich von der orthodoxen Kirchenlehre. Hegel scheidet nicht nur alles Mythologische, wie die leibliche Auferstehung und Himmelfahrt Christi, aus, sondern er beseitigt auch in seiner Lehre vom Kreuz Christi alle juristischen und sakralen Kategorien, mit deren Hilfe die Kirchenlehre den Tod Christi zu deuten versuchte. Hegels Deutung des Kreuzes geht streng von der Idee der ewigen Liebe Gottes aus, die sich auch und gerade im Tode Christi entäußert und damit geoffenbart hat. Damit hat er auch hier den Kern der urchristlichen Christuserfahrung erfaßt, tiefer selbst als die Christen im Neuen Testament sie in Bildern und Gleichnissen auszudrücken vermochten, und hat sie spekulativ wiedergegeben. Die Christologie beruhte von Anfang an auf der Deutung der Person und der Geschichte Christi. Sagt man, Hegel habe die Christus-Tatsache spekulativ umgedeutet, so muß gesagt werden, daß das, was einem Paulus oder Johannes zugebilligt wird, nämlich eine eigene Deutung der Christuserscheinung, auch einem christlichen Denker wie Hegel zugebilligt werden kann, zumal wenn dieser die Überzeugung hat, daß seine Deutung die spekulative Wahrheit des Christenglaubens adäquat, wenn auch begrifflich wiedergibt.

2. A b s c h n i t t Die Kirche A. Entstehung und Wesen der Kirche Die Erscheinung Gottes „im Fleisch" ist zu einer bestimmten Zeit und in diesem einzelnen Menschen Jesus Christus erfolgt. Als Erscheinung wird sie zur vergangenen Geschichte und steigt in den Raum der Vorstellung hinauf (XIV, 168.16, 301). Indem nun die sinnliche Form in ein geistiges Element übergeht, bildet sich die christliche Gemeinde oder die Kirche. Sie ist nun ein wirkliches, gegenwärtiges Leben im Geiste Christi (IX, 741). Von der Kirche sagt Hegel folgendes: Erstens: Nachdem Christus entrückt ist, die sinnliche Gegenwart aufgehört hat, kommt der Geist hervor. Die Ausgießung des Hl. Geistes, sagt Hegel, ist die Entstehung der Gemeinde. Der Geist faßt die in der Erscheinung vergehende Geschichte geistig auf, erkennt darin die göttliche Idee, das Leben Gottes (XIV, 194.16, 316 f.). Zuerst entsteht noch die sinnliche Vorstellung von einer Wiederkehr Christi, aber bald kommt die Wendung aus der Äußerlichkeit in das Innere: Es kommt der Tröster, der Hl. Geist (XIV, 168.16, 301). Ist die sinnliche Geschichte auch in der Vorstellung endgültig vorbei, so bildet sich die Gemeinde (XIV, 169.16, 295 f.). Sie ist der existierende Geist, Gott als Gemeinde existierend (XIV, 198.16, 316 f.). Durch den Hl. Geist entsteht die Gemeinschaft der Heiligen, die allgemeine christliche Kirche. Der Hl. Geist ist die unendliche Subjektivität, die wirkliche Göttlichkeit, Gott als gegenwärtig in der Gemeinde. Seitdem der Hl. Geist über die Jünger ausgegossen ist, sind sie eine Gemeinde, die freudig zur Mission in die Welt hinausgeht (XIV, 181.16, 315 f.). Die Gemeinde aber realisiert die göttliche Idee, indem in ihr der Inhalt der Lehre vom Geist erzeugt wird. Die Entstehung der Gemeinde ist zugleich die Erzeugung des Inhalts für die Gemeinde. Der Weg vollzieht sich nun in umgekehrter Ordnung: Der Anfang war die sinnliche Erscheinung, der Fortgang ist das Hervorgehen der Lehre von diesem Inhalt. Die Wahrheit kam an sie zuerst in sinnlicher Weise, sie aber erhebt sich zur Gemeinde, indem sie von der sinnlichen Weise zur ewigen Wahrheit gelangt (XIV, 190.16, 321 f.). Die Lehre der Kirche wird in der Gemeinde nicht geschaffen, sondern durch den gegenwärtigen Geist nur ausgebildet. Die Gemeinde hat nämlich die unendliche Vollmacht zu der Fortbildung der Lehre (XIV, 202.16, 332). Eine Lehre ist für die Kirche notwendig, denn der Inhalt des Glaubens muß vorstellig gemacht

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werden (XIV, 202). Die Lehre ist die göttliche Idee, der göttliche Inhalt, die vorgestellt werden. Auf diese Weise tritt die objektive göttliche Idee dem Bewußtsein der Gemeinde und der einzelnen Gläubigen als ein Anderes gegenüber, das teils durch Autorität gegeben, teils in der Andacht angeeignet wird (XIV, 215.16, 339 f.). Diese Lehre und damit die christliche Religion müssen durchaus nicht bloß auf die Aussprüche Christi selbst zurückgeführt werden, in den Aposteln stellt sich erst die gesetzte, entwickelte Wahrheit dar. Dieser Inhalt hat sich also erst in der christlichen Gemeinde entwickelt (IX, 741). Die kirchlichen Dogmen entstanden schon in der alten Kirche, in der römischen Welt. Zwar haben die Kirchenväter und die Konzilien das Dogma festgesetzt, aber eine Voraussetzung dafür war die Philosophie. Darum darf man nicht behaupten, diese Dogmen seien dem Christentume fremd und gingen es nichts an. Wo etwas hergekommen ist, das ist vollkommen gleichgültig; die Frage ist nur: Ist es wahr an und für sich? Ob eine christliche Lehre gerade in der Bibel steht, darauf allein kommt es nicht an (IX, 742). Es ist die Kirche, welche jene Lehren erkannt und festgestellt hat, der Geist der Gemeinde. Das kirchliche Glaubensbekenntnis hat zwar keine spekulative Gestalt, aber das tief Spekulative ist aufs innigste verwebt mit der Erscheinung Christi selbst. Das ist eben das Große der christlichen Religion, daß sie bei aller dieser Tiefe leicht vom Bewußtsein in äußerlicher Hinsicht aufzufassen ist und zugleich zum tieferen Eindringen auffordert. Sie ist so für jede Stufe der Bildung und befriedigt zugleich die höchsten Anforderungen (IX, 743). Die gebildete Gemeinde ist als die Kirche das Reich Gottes auf Erden, als die errungene Gegenwart des Geistes (XIV, 201.16, 332). Die Kirche ist das Dasein der absoluten Wahrheit, das Bewußtsein dieser Wahrheit, und zugleich die Wirksamkeit, daß das einzelne Subjekt ihr gemäß werde (IX, 759). Es ist die Aufgabe der Kirche, die Erziehung im Geist immer innerlicher zu machen, daß die göttliche Wahrheit mit dem Selbst und dem Willen des Menschen immer identischer werde (XIV, 206.16, 335 f.). Da die Kirche nicht mehr die entstehende, sondern die bestehende Gemeinde ist, sollen die einzelnen Subjekte erst zur Wahrheit kommen, wodurch der Hl. Geist in ihnen wirklich, gegenwärtig wird (XIV, 207). Zugleich hat die Kirche den Geist Gottes gegenwärtig in sich und sagt dem einzelnen Individuum: Deine Sünden sind dir vergeben. So hat der Einzelne den Genuß der Versöhnung und lebt auf Erden wie im Himmel. Die Versöhnung Gottes mit den Menschen als an und für sich geschehen wird in der Kirche gewußt (3, 226. IX, 762). So ist die Kirche nun das gegenwärtige Himmelreich und die christliche Welt prinzipiell die Welt der Vollendung. 13 A Sdimidt, Hege!

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Das Prinzip ist erfüllt und das Ende der Tage voll geworden (IX, 762). Aber das Reich Gottes ist nur die unsichtbare Kirche, und daneben entwikkelt sich die sichtbare Kirche, die äußerliche Kirche. Als solche organisiert sich die Kirche, breitet sie sich aus und geht damit selbst zum weltlichen Dasein fort (3, 226. 19, 143). Damit aber entstehen ganz neue Probleme für die Kirche. Zweitens: Die Gemeinde ist zwar das Reich Gottes oder Christi, deren wirklicher gegenwärtiger Geist Christus ist; dies Reich hat eine wirkliche Gegenwart, keine bloß zukünftige. Aber eben deshalb hat diese geistige Gegenwart auch eine äußerliche Existenz neben der weltlichen Existenz. Die Kirche hat dieses äußerliche Dasein nicht nur als Religion einer anderen Religion gegenüber, sondern ist zugleich weltliches Dasein neben weltlichem Dasein. Das religiöse Dasein wird von Christus, das weltliche Reich aber von der Willkür der Individuen regiert. Das Reich Gottes muß nun eine Organisation erhalten (IX, 743.19,143). Zunächst wissen alle Individuen sich vom Geiste erfüllt; die ganze Gemeinde erkennt die Wahrheit und spricht sie aus. Aber neben diesem Gemeinschaftlichen tritt die Notwendigkeit einer Vorherrschaft des Leitens und Lehrens ein, die unterschieden von der Menge der Gemeinde ist (IX, 743/44). Diese Vorsteher unterscheiden sich von der Gemeinde wie die Wissenden und Regierenden von den Regierten, ihnen kommt der Geist als solcher zu, in der Gemeinde ist der Geist nur als Ansichsein. Diese Vorsteher werden zu Autoritäten sowohl für das Geistige wie für das Weltliche. So entsteht im Reich Gottes ein geistliches Reich. Dieser Unterschied ist wohl notwendig, aber daß für das Geistige ein Regiment der Autorität besteht, hat darin seinen Grund, daß sich die menschliche Subjektivität als solche noch nicht ausgebildet hat. Der menschliche Wille ist noch nicht von der Göttlichkeit durchgebildet, er ist nur abstrakt frei, nicht in seiner konkreten Wirklichkeit. Die ganze folgende Geschichte ist somit erst Realisation dieser konkreten Freiheit. Zunächst ist die subjektive Freiheit noch nicht vorhanden, die Einsicht besteht nur im Geiste einer fremden Autorität. Dazu kommt, daß die Gemeinde jetzt eine bestimmte Äußerlichkeit und einen eigenen weltlichen Besitz erhält (IX, 744). Die Kirche wirkt zwar auch befreiend auf die Welt. Die erste Folge ist der Kampf gegen die Sklaverei und ihre allmähliche Verbannung (IX, 745). Denn ganz ohne Partikularität, an und für sich hat der Mensch nun als Mensch unendlichen Wert, und das hebt alle Partikularität der Geburt und des Vaterlandes auf. Wo Christentum wirklich ist, kann Sklaverei nicht vorkommen. Es tritt das Prinzip der absoluten Freiheit

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in Gott auf. Der Mensch ist jetzt nicht mehr im Verhältnis der Abhängigkeit, sondern der Liebe, in dem Bewußtsein, daß er dem göttlichen Wesen angehört. Dadurch ist prinzipiell aller Aberglaube überwunden (IX, 746). Aber der Grundsatz der geistigen Freiheit ist zunächst noch durchaus nicht verwirklicht. Die geschichtliche Aufgabe ist, den Begriff der wahrhaften Freiheit nicht nur zur religiösen Substanz zu haben, sondern sich auch durch ihn zu gestalten (IX, 763). Davon ist die Kirche in den ersten Jahrhunderten noch weit entfernt. Im Gegenteil, das Prinzip der christlichen Freiheit wurde zur unrechtlichen und unsittlichen Knechtschaft der Gemüter verkehrt (IX, 851). Die Kirchengeschichte des byzantinischen Reiches z. B. ist eine tausendjährige Reihe von fortwährenden Verbrechen, Schwächen, Niederträchtigkeiten und Charakterlosigkeit. Es zeigt sich darin, daß die christliche Religion auch abstrakt sein kann und als solche schwach ist, eben weil sie so rein und in sich geistig ist (IX, 770/71). Die Kirche als weltliche Organisation wird reich und weltlich mit allen Leidenschaften der Roheit. Nur erst das Prinzip ist das Geistige, der Mensch ist noch von den Leidenschaften bestimmt. Die Kirche hat in sich alle Leidenschaften, Herrschsucht, Habsucht, Betrug, Gewalttätigkeit, Raub, Mord, Neid, Haß, alle diese Laster der Roheit (19,143). In diesem Zusammenhang aber ist über die Konfessionen ein Wort zu sagen: Drittens: Die Kirche hat also zwar das geistige Prinzip in sich, aber es ist zunächst noch nicht real; die Kirche hat alle Laster der Menschen in sich (3, 226). Sie kommt zur Herrschaft über die Welt, nimmt die Weltlichkeit in sich auf und wird selbst eine geistlose Weltlichkeit. Es entsteht das Verhältnis der Unfreiheit (XIV, 218. 16, 342 f.). Woher kommt dies Verderben der Kirche? Die Unfreiheit, erklärt Hegel, hat ihre tiefste Wurzel in der Veräußerlichung der christlichen Religion. Damit kommt Hegel auf die katholische Kirche und ihre Frömmigkeit zu sprechen. Obwohl Hegel für die Gesetze der kirchlichen Entwicklung volles Verständnis hat, ist sein Urteil über den Katholizismus doch überaus kritisch und scharf. In der katholischen Kirche, sagt Hegel, ist das Äußerliche das Bestimmende und bringt in das Gebiet der absoluten Freiheit all das Geistlose und Unfreie, dem wir auf Schritt und Tritt begegnen (IX, 823). Das christliche Prinzip der Freiheit wird zum Gesetz der absoluten Unfreiheit (IX, 826). Diese Kirche ist das Reich der Knechtschaft des Geistes, eine vollkommene Verrückung alles dessen, was in der christlichen Kirche gut und sittlich ist (IX, 827). Das Verderben ist in den Katholizismus eingedrungen, weil in ihm das Geistige sinnlich veräußerlicht wurde (IX, 872). Die Kirche, welche die Seelen aus dem Verderben retten will, 13 B Schmidt, Hegel

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ist selbst verdorben und befriedigt die Sehnsucht der Seelen nur in äußerlicher Weise (IX, 874). Die Quelle dieser Veräußerlidiung ist aber die Auffassung vom Hl. Abendmahl. In der Hostie ist Gott sinnlich gegenwärtig. Das Heilige als Ding hat den Charakter der Äußerlichkeit und ist insofern fähig, in Besitz genommen zu werden von einem Anderen gegen mich. Der Prozeß geht nicht im Geiste vor, sondern wird durch die Dingheit selbst vermittelt. Das höchste Gut des Menschen ist in anderen Händen. Daraus ergeben sich folgende Veräußerlichungen, die zur geistigen Knechtschaft führen: a) Es tritt eine Trennung zwischen den Geistlichen und den Laien ein. Die Laien sind dem Göttlichen fremd, sie empfangen das Heilige unter bestimmten Bedingungen. Die Geistlichen allein sind im Besitz des Wissens (IX, 823/24). Sie sind die Bevollmächtigten und üben Gewalt aus (3, 226). So entsteht der Laienstand, der das Wissen der göttlichen Wahrheit und die Direktion des Willens und Gewissens von außen her, von einem anderen Stande empfängt (10, 437). Der Priester aber erhält seine Vollmacht durch die Priesterweihe. Er gelangt zum Besitz seines Wissens nicht auf geistige Weise, sondern durch eine äußerliche Konsekration, durch Handauflegung. Das widerspricht völlig dem Geist der Religion, denn der wahrhafte Geist existiert im Menschen, ist sein Geist. Diese Priesterweihe ist irreligiös, unmoralisch, unwissend in jeder Hinsicht! Die äußerliche Bekräftigung entsteht durch ein Mirakel, nicht durch das Zeugnis des Geistes (IX, 825.10, 437). b) Die Folge dieser Auffassung vom Priestertum ist, daß die Kirchenlehre für den Katholiken nicht das Zeugnis des Geistes hat, sondern im blinden Gehorsam angenommen werden muß. Gehorsam des Glaubens ohne Einsicht ist Pflicht (IX, 824/25). Die katholische Kirche verlangt konsequent in allem unbedingte Unterwerfung (XII, 308.15, 264). Das vom Priestertum verwaltete Dogma aber ist unantastbar und kann höchstens durch das Denken und die Philosophie begründet werden. Ein solches Denken ist aber nicht frei. Die Vernunft hat eine gegebene Lehre vorauszusetzen, der Inhalt der Philosophie ist also nicht notwendig Vernunft. Dies Denken ist kein freies, sondern ein formelles (IX, 858/59). c) Die Herrschaft des Priesters richtet sich nicht nur auf das Denken der Laien, sondern auch auf ihren Willen und ihr Gewissen. Der Priester ist der Beichtvater, die Religiosität ist also an einen Priester verdingt. Eine solche Religiosität, bei welcher der eine Teil in die Hand des ändern gelegt wird, ist keine Religiosität, denn der Geist ist nur Einer, und er soll in mir wohnen: mir soll die Vereinigung des An- und Fürsichseins

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angehören (7,123). Hier aber vertritt die Kirche die Stelle des Gewissens und leitet die Individuen wie Kinder (IX, 827). d) Mittler zwischen dem Menschen und Christus/Gott sind dann die Heiligen. Der Mensch ist zu niedrig, um m einer direkten Beziehung zu Gott zu stehen, er bedarf einer Mittelsperson. Die an sich seiende Einheit des Göttlichen und Menschlichen wird geleugnet, der Mensch ist unfähig, das Göttliche zu erkennen und sich ihm zu nähern. So kommt im Katholizismus die Verehrung der Heiligen auf und zugleich eine Unmasse von Fabeln und Lügen (IX, 825). Die höchste Verehrung aber genießt die Mutter Maria. Sie ist zwar das schöne Bild der reinen Mutterliebe, aber darüber geht die Anbetung Gottes im Geist verloren, und selbst Christus wird auf die Seite gestellt. Hinzu kommen das Messelesen und Messehören, die Büßungen, das Paternosterbeten, das Pilgern — alles geistlose Handlungen, die nur den Geist stumpf machen. Das Heilige kann sogar mit Geld erkauft werden (IX, 827). Das Gebet wird geistlos, das Subjekt verzichtet auf die direkte Richtung auf Gott; die Andacht richtet sich auf wundertätige Bilder und Reliquien. Das alles bindet den Geist unter ein Außersichsein, wodurch der Begriff im Innersten verkannt und verkehrt wird und alles: Recht, Gerechtigkeit, Sittlichkeit, Gewissen, Zurechnungsfähigkeit und Pflicht, ihrer Wurzel beraubt sind (10, 437). e) Gegenüber dem allgemeinen Verderben in der Kirche ist die Tugend der Kirche nur die Weltentsagung, die Flucht vor der Wirklichkeit (IX, 873). Das geistige und das weltliche Prinzip werden absolut getrennt. Durch den Zölibat der Priester wird die Ehe faktisch degradiert, obwohl sie das Vorzüglichere, das eigentlich Sittliche und daher auch religiöser ist als die Ehelosigkeit. Der Zölibat ist nicht gegen die Natur, sondern gegen die Sittlichkeit. Auch die Arbeit wurde degradiert, indem die Armut und das Almosengeben hoher gestellt werden. Dazu kommt die Forderung des absoluten Gehorsams. Durch diese drei Gelübde der Keuschheit, der Armut und des Gehorsams wird alle Sittlichkeit degradiert (IX, 827 f.). Das alles ist die Folge der Verdinglichung des Hl. Abendmahls, der Anbetung der Hostie als eines äußerlichen Dinges. Aus diesem ersten und höchsten Verhältnis der Äußerlichkeit fließen alle die anderen äußerlichen, damit unfreien, ungeistigen und abergläubischen Verhältnisse (10,436). Viertens: Alles das, was Hegel mit solcher Schärfe gegen den Katholizismus vorbringt, bezieht sich zum großen Teil auf den mittelalterlichen Katholizismus. Hegel weiß, daß Luther auch die katholische Kirche reformiert hat und die Reformation nicht nur eine Trennung von der katholischen Kirche bedeutet (19, 266). Allein soweit die römische Kirche ihre 13 B*

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mittelalterlichen Grundlagen konserviert und sich vom Protestantismus geschieden hat (IX, 884), gilt Hegels Kritik auch für die Neuzeit. Demgegenüber bekennt sich Hegel zu seinem Luthertum: Ich bin Lutheraner, sagt er, und will es bleiben (17,105). Die Reformation ist die große Tat der Befreiung des christlichen Geistes. Die Reformation erkannte, sagt Hegel, daß das Religiöse im Geist des Menschen seine Stelle haben muß und in seinem Geiste der ganze Prozeß der Heilsordnung durchgemacht werden muß: seine Heiligung ist seine eigene Sache, und er tritt in Verhältnis zu seinem Gewissen und unmittelbar zu Gott. So begann erst mit Luther die Freiheit des Geistes im Kern (19,254). Der Geist ist nur unter der Bedingung der freien Geistigkeit des Subjekts, denn nur diese ist es, die sich zum Geiste verhalten kann. Das unfreie Subjekt verhält sich nicht geistig und verehrt Gott nicht im Geist (19, 258). Das Prinzip des Protestantismus ist, den Menschen in sich selbst zurückzuführen, das Fremde für ihn aufzuheben (19,218). Sein Prinzip ist, nichts in der Gesinnung anerkennen zu wollen, was nicht durch den Gedanken gerechtfertigt ist (7, 36). Der Protestantismus fordert, daß der Mensch nur glaube, was er wisse, und sein Gewissen als ein Heiliges unantastbar sein soll. In der göttlichen Gnade ist der Mensch mit seiner subjektiven Freiheit wesentlich dabei (XII, 307.15,262). Im protestantischen Gewissen ist daher das Prinzip des religiösen und des sittlichen Gewissens eins, der freie Geist weiß sich in seiner Vernünftigkeit und Wahrheit (10, 445). Die Lehre Luthers ist also im Grunde etwas ganz Einfaches: Es ist die Lehre der Freiheit, der wahren christlichen Freiheit, zu der schon Paulus die Christen aufgerufen hat. Das Vermittelnde zwischen dem Menschen und Gott kann kein sinnliches Diesseits sein. So muß sich denn auch das Zentrum des Gottesdienstes, die Auffassung vom Hl. Abendmahl, im Katholizismus die Quelle aller Veräußerlichung der Religion, im Protestantismus wandeln: Christus ist nur im Glauben und im Genuß gegenwärtig (IX, 878). Luther hat zwar den mystischen Punkt im Hl. Abendmahl beibehalten, daß nämlich das Subjekt in sich das Göttliche empfängt; aber das geschieht nur, wenn die Hostie im Glauben genossen wird, sie hört auf, ein äußerliches Ding zu sein (19,146). In diesem absoluten Verhältnis zu Gott verschwindet alle Äußerlichkeit, und damit ist auch alle Knechtschaft verschwunden (19,257). Freilich weiß Hegel, daß dies alles in der Reformation nur erst im Ansatz und im Prinzip vorhanden ist. Von Anfang an kam etwas noch Ungeistiges hinein: der alte Glaube der Kirche, das Credo der altkirchlichen Konzilien, blieb bestehen. Dieser Kirchenglaube, im alten Dogma

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formuliert, hat zwar einen tief spekulativen Inhalt, aber er hat audi eine geschichtliche Seite, und in dieser von der historischen Tradition überlieferten Form sollte er auch in der Kirche der Reformation geglaubt werden. Dieser Lehrbegriff war nicht in seiner spekulativen Gestalt, sondern in der Gestalt der Vorstellung aufgefaßt, und das Spekulative, Philosophische wurde gerade in der protestantischen Theologie mehr und mehr beiseite gestellt (19,258 f.). Die Freiheit der Erkenntnis war zwar gewonnen, die Geistigkeit des Menschen konnte nun zum Bewußtsein der Wahrheit kommen, der Glaube war erkannt als die subjektive Gewißheit der göttlichen Wahrheit (IX, 879 f.); aber zum freien Begriff war dies reformatorische Christentum noch nicht gelangt. Darum mußte die Entwicklung weitergehen. Was Luther als Glauben im Gefühl und im Zeugnis des Geistes begonnen hatte, mußte dann der gereifte Geist im Begriff zu fassen bestrebt sein (7, 36). Der Geist hat nun die Versöhnung in sich selbst zu vollbringen, und zu dieser Versöhnung in der Religion tritt notwendig auch die sittliche Seite hinzu (IX, 888). Dazu kommt das neue Zutrauen zur Natur. Der Mensch macht sich daran, die Natur zu erkennen. Er sucht darin nicht nur das Göttliche, sondern läßt die Außenwelt als das Äußerliche gelten und hat die Zuversicht, daß er solches Bewußtsein auch vor Gott bringen darf. Im lutherischen Glauben ist der Geist im Unterschied vom Katholizismus wirksam im wirklichen Leben, und als solcher gilt er nun in der neuen Zeit als berechtigt. Die Reformation entbindet auch die freie Wissenschaft, vor allem auch die Naturwissenschaften (IX, 910 f.). Der Geist erkennt, daß die Natur, die Welt auch eine Vernunft an ihr haben müsse, denn Gott hat sie vernünftig geschaffen. Er sucht die Gesetze der Natur zu erkennen, und seine Wissenschaft macht ihm und Gott Ehre. Die Menschen erkennen in jener Vernunft ihre Vernunft wieder, sie entdecken das Allgemeine in der Natur und im Verstande. Die Einsicht in die Naturgesetze tritt dann dem ungeheuren Aberglauben und der Magie entgegen (IX, 912). Der Wunderglaube wird erschüttert, denn die Natur ist ein System bekannter Gesetze, der Mensch wird frei durch die Erkenntnis der Natur. Freilich droht hier die Gefahr des Materialismus und Atheismus, für den die Gesetze der Natur ein Letztes bedeuten. Die Wissenschaften zeigen keine Brücke vom Zusammenhang der Natur zu Gott als dem Schöpfer (IX, 913). Aber im Ganzen triumphiert eben das Denken, es ist die letzte Spitze der Innerlichkeit, in sich frei, indem es das Allgemeine zum Inhalt hat. Die Vernunft erscheint als die substantielle Grundlage sowohl des Bewußtseins als auch der Außenwelt (IX, 914). Die Welt hat dieselbe Vernunft wie das Subjekt (IX, 915). Das alles ist,

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wie gesagt, eine Konsequenz der Reformation. Die katholische Kirche macht da nicht mit, sie sieht darin eine Verletzung der Ehre Gottes (IX, 910.913). Damit aber ist der Geist auf die Stufe gelangt, wo der Menschengeist gegen alle Autorität den wahrhaften Inhalt in sich selbst findet. Der Grundsatz der Aufklärung ist die Herrschaft der „Vernunft" unter Ausschluß aller Autorität. Jeder Inhalt muß vom Geist selbst in freier Gegenwart eingesehen werden (IX, 915/16). Luther hatte die geistige Freiheit und die konkrete Versöhnung erworben, aber der Inhalt des Glaubens blieb ein durch die Religion Offenbartes. Nun soll dieser Inhalt ein gegenwärtiger sein, wovon man sich überzeugen kann. Alles Spekulative aber wird von diesem aufgeklärten Denken zugleich verbannt und vertilgt. Der Verstand wendet sich gegen die Religion, indem er beim Natürlichen als dem absolut Wahren stehenbleibt. Die Religion aber hat einen spekulativen Inhalt, sie ist vernünftig und daher gegen den Verstand (IX, 916). Wie Hegel die einseitige Verstandes-Aufklärung in seiner Theologie zu überwinden versucht, zeigte alles bisher Erörterte. Aber Hegel will auch als Theologe nicht hinter die Aufklärung zurück, die eine notwendige Frucht der Reformation war, sondern über sie hinaus zu einem höheren Standpunkt der Freiheit des Geistes.

B. Kirche und Staat Indem die Reflexion, der Verstand der Menschen, die Aufklärung erwachen, entsteht die Kritik an der Kirche und ein feindseliges Verhältnis zu ihr (XIV, 219). Dies führt aber zum Problem des Verhältnisses von Staat und Kirche. Erstens: Hegel hat bekanntlich vom Staat sehr hoch gedacht. Der Staat ist, erklärt Hegel, eine aus Individuen bestehende Gesellschaft und zugleich ein einiger, individueller Volksgeist. Er ist ein geistiges Individuum, das Volk, sofern es in sich gegliedert, also ein Organismus ist (VI, 206, 353). Der Inhalt des Allgemeinen im Staat ist der Geist des Volkes, und dieser Volksgeist bindet die einzelnen im Staat zusammen (VIII, 93 f.). Die Verwirklichung des vernünftigen Gesamtbewußtseins ist die Sittlichkeit. Dieser sittliche Gesamtwille wird im Staat verwirklicht (XII, 302). Darum ist der Staat die Wirklichkeit der sittlichen Idee, der sittliche Geist als der sich offenbare subjektive Wille (7, 328). Damit ist der Staat die

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Verwirklichung der konkreten Freiheit (7, 333). Seine Hauptaufgabe besteht in der Verwirklichung des Rechts, und das einzelne Individuum kommt zu seinem Recht, wenn es Bürger eines Staates ist, der seiner Idee entspricht (7, 235). Der Staat hat, wie alles Wahre und Vernünftige in der Welt, einen doppelten Ursprung: Der endliche, relative Ursprung des Staates ist der objektive Volksgeist, der vor und über den einzelnen Individuen steht, und der Staat ist die Realisation dieses objektiven Geistes (10, 41. 7,334 f.). Der Staat hat aber zweitens auch einen unendlichen, absoluten Ursprung, denn der objektive Geist wurzelt ja im absoluten Geist, in Gott. Die Existenz des Staates beruht daher letztlich auf der göttlichen Vorsehung (7, 336). Weil der wahre Staat die Verwirklichung des Rechts und der konkreten Freiheit ist, erfüllt er den Willen Gottes, denn Gott ist ein Gott der Ordnung und der Freiheit (7, 370). Durch diese Feststellung wird der Staat keineswegs vergotzt, wie man es Hegel oft vorgeworfen hat, sondern er wird nur auf die absolute Idee zurückgeführt, sofern er der Idee entspricht. Dem Staat gebührt daher Verehrung (7,370). Zweitens: Nun gründet sich ein Staat auf die Gesinnung der Staatsbürger. Zwar hat der Staat das Zwangsrecht und die Gewalt nötig, um bestehen zu können, aber darum beruht der Staat noch nicht auf der Gewalt, sondern die Grundlage des Staates ist die Gesinnung der Bürger (10, 284. 3, 89). Das Fundament der Gesinnung aber ist die Religion; erst durch sie erhält die Gesinnung ihre Vergewisserung (7, 352 f.). Also ist die Religion für den Staat von entscheidender Bedeutung. Mit der Gesinnung hängt auch die Sittlichkeit zusammen, und diese setzt ja die Religion voraus. Es kann auf die Dauer nicht zweierlei Gewissen geben, ein religiöses und ein davon verschiedenes sittliches Gewissen. Die Religion als die höchste Wahrheit sanktioniert auch die Sittlichkeit (10, 435). Man kann darum, erklärt Hegel, keine Staatsverfassung und keine Gesetzgebung verändern ohne Veränderung der Religion (10,440). Der Staat geht aus der religiösen Gesinnung hervor, und wie die Religion eines Volkes beschaffen ist, so ist auch der Staat und seine Verfassung (VIII, 108). Der Staat ist im göttlichen Willen begründet, und dieselbe göttliche Idee wirkt auch in der Religion (7, 350. 364). Diese positive Beziehung zwischen dem Staat und der Religion kann freilich verkannt werden, und zwar von einer extremen Religion, die sich nur auf das Jenseits, das Reich Gottes richtet. Ihr erscheint der Staat nur als etwas Irdisches und Vergängliches. Eine solche Frömmigkeit verachtet den Staat und fügt sich nur passiv seiner Ordnung (7, 349 f.). Aber die echte und wahre Religion erkennt den Staat an und bestätigt ihn mit ihrer Autorität (7, 353). Der

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Staat seinerseits jedoch darf nicht versuchen, die Autorität der Kirche für seine Zwecke zu mißbrauchen. Die Religion ist kein Ersatz für schlechte staatliche Zustände (7, 348 f.)! Ferner kann ein Konflikt zwischen Staat und Religion auch beim Problem der Freiheit entstehen. An sich macht die Religion, und vor allem die christliche Religion, den Menschen frei, indem sie ihn an Gott bindet (XII, 303.10, 436). Und der Staat soll die bürgerliche Freiheit realisieren (IX, 748). Aber die Freiheit ist ja in der Religion verschieden entwickelt, die Religion kann auch die Form der Unfreiheit annehmen (10,436). Wir haben gesehen, daß der Katholizismus eine Religion der Unfreiheit ist. Die katholische Religion wird zwar von vielen gepriesen, daß sie die Festigkeit der Regierungen sichere, aber das gilt nur bei unfreien Regierungen und Institutionen. Der Unfreiheit des Geistes im Religiösen entspricht ein Zustand der Ungerechtigkeit und Unsittlichkeit im wirklichen Staat, Und der religiöse Fanatismus ist eine furchtbare Macht, die nur solange gegen die Regierungen nicht feindlich auftritt, solange diese Regierungen unter der Knechtschaft des Unrechts und der Immoralität bleiben (10,437/38). Vernünftige Staatsordnungen und Rechtsorganisationen sind eben mit dem Prinzip der Unfreiheit in der Religion nicht vereinbar (10, 439). Darum besteht ein Widerspruch zwischen der katholischen Religion und einem freien Staat (XII, 308.15, 264). Mit der katholischen Religion, erklärt Hegel, ist keine vernünftige Verfassung möglich (IX, 928)! Völker, die in einer unfreien Religion leben, leben auch in einer staatlichen Knechtschaft, und umgekehrt. Ein Volk, das einen schlechten Begriff von Gott hat, hat auch einen schlechten Staat (XII, 303)! Es kann daher so kommen, daß ein vernünftiger Staat sich der Freiheit gegen eine unfreie Religion annehmen muß (7, 349). In keinem Fall aber, sagt Hegel, darf der Staat sich mit einer unfreien Religion verbinden, um den freien Geist der Bürger zu unterdrücken (7, 364). Drittens: Daraus ergibt sich das Verhältnis des Staates zur Kirche. Dies Verhältnis schwankt in der Geschichte zwischen den beiden Extremen der Verwerfung des Staates als Teufelswerk bei Augustin und der Absolutsetzung des Staates bei Hobbes. Hegel fordert ein harmonisches Verhältnis zwischen den beiden, wobei sich keiner in die Rechte des anderen mischen soll. Der Staat muß wegen der Bedeutung der Kirche für ihn diese schützen, ja er muß nach Hegels Meinung von seinen Bürgern sogar fordern, daß sie einer Religionsgemeinschaft angehören (7, 353). Und weil die Kirche auch eine äußere Organisation ist, untersteht sie als solche den Gesetzen des Staates. Aber die Lehre der Kirche geht den Staat nichts an (7, 355 f.). Jedoch sowenig den Staat die Lehre der Kirche angeht, so

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wichtig sind für ihn die geistige Haltung, die Gesinnung und die sittlichen Grundsätze seiner Bürger. Und die Kirchenlehre kann auch unter Umständen diese Grundsätze und damit die staatlichen Gesetze berühren. Dann können Staat und Kirche entweder zusammengehen oder feindlich aufeinanderstroßen. Es kann geschehen, daß die Kirche, wie dies im Mittelalter der Fall war, alles Geistige für sich allein in Anspruch nimmt und den Staat nur als Mittel zum Zweck betrachtet. Er gilt ihr dann nur als einer Veranstaltung der Not, zum Schutz des Lebens und des Eigentums der Bürger — alles Höhere ist Sache der Kirche und ihrer Hierarchie. Eine solche Vormachtstellung der Kirche mag zeitweise in der Kirchengeschichte notwendig gewesen sein, aber der Idee ist sie nicht gemäß. Der Geist ist an sich frei und vernünftig, die wahre Idee ist die verwirklichte Vernunft, und diese Idee existiert auch im Staat. Die Kirche hat den Geist nicht für sich allein, und die Religion besitzt zwar die geoffenbarte Wahrheit, aber nicht in der Form bes begrifflichen Denkens. Staat und Kirche haben beide objektive Grundsätze, Gedanken des Sittlichen und Vernünftigen. Und gegenüber einer Kirche wie der katholischen, die noch im autoritären Glauben verharrt, ist der vernünftige, wahre Staat der Wissende, er behauptet gegenüber der subjektiven Religion die objektive Vernünftigkeit. Daher ist denn auch die Freiheit des Denkens und der Wissenschaft in der Neuzeit nicht von der Kirche, sondern vom Staat ausgegangen und durchgesetzt worden. Der wahre Staat hat somit die Aufgabe, die objektive Wahrheit, die sittlichen Grundsätze und die Denkfreiheit zu schützen. Zum vollkommenen Staat gehört das bewußte, freiheitliche Denken. Sind Staat und Kirche in ihren Grundsätzen eins, dann können sie rechtlich getrennt sein und kann jeder seine Eigenart bewahren und zum Wohle des Ganzen ausbilden (7, 356 f. 359 f.). Was, so fragt Hegel zum Schluß seiner Betrachtung der Kirche, ist ihre Zukunft? Die Prophetic ist nach Hegel nicht die Aufgabe der Philosophie. Darum enthält sie sich eines Urteils in dieser Frage. Aber von einem Vergehen der Kirche will Hegel nicht sprechen, denn das hieße mit einem Mißklang endigen. Der Hl. Geist lebt ewig in seiner Gemeinde (XIV, 231. 16, 355 f.). C. Wesen und Formen des Kultus Die Versöhnung durch Christus hat die Einheit des Göttlichen und Menschlichen offenbart. Sie ist die Voraussetzung des praktischen Handelns der Gemeinde oder des Kultus.

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Erstens: Der Kultus, sagt Hegel, ist ein praktisches Verhältnis und vollzieht sich im Denken und im Willen. Er führt die Einheit zwischen Gott und Mensch herbei und ist die Tätigkeit, den Widerspruch zwischen beiden für den einzelnen aufzuheben. Im Kultus ist Gott auf der einen, der Mensch auf der anderen Seite, und die Bestimmung ist, daß der Mensch mit Gott sich in sich zusammenschließt (XII, 227.15, 220 f.). Der menschliche Geist macht sich von seiner Endlichkeit los, fühlt und weiß sich in Gott (XII, 230). So ist der Kultus der Prozeß des Subjekts, sich mit seinem wahren Wesen identisch zu setzen (XII, 232), diesen Gegensatz, die Trennung, die Entfernung von Gott aufzuheben, so daß der Mensch Gott in sich, in seiner Subjektivität fühlt und weiß, sich zu Gott erhebt, sich die Gewißheit, die Freudigkeit gibt, Gott in seinem Herzen zu haben, mit Gott vereint, von Gott in Gnaden aufgenommen zu sein (XII, 69). Darin ist auch Gefühl, denn der Mensch ist mit seiner subjektiven Persönlichkeit dabei und weiß sich in der Wahrheit (XII, 228). Diese Versöhnung, das positive Gefühl des Teilhabens am Absoluten, ist die Sphäre des Kultus. Gewöhnlich, sagt Hegel, faßt man den Ausdruck „Kultus" in einer engeren Bedeutung. Aber er ist das gesamte innerliche und äußerliche Tun, das die Wiederherstellung der Einheit zwischen Gott und Mensch zum Zwecke hat; er ist dieses die Innerlichkeit und die äußerliche Erscheinung umspannende Tun, die innere Umkehr des Geistes und Gemütes (XII, 229). Der Kultus hat also nicht die Aufgabe, den Glauben an Gott erst hervorzubringen. Eine solche Aufgabe stünde außerhalb der Religion, der Kultus aber ist durchaus innerhalb der Religion (XII, 235). Das ewige Gerede der heutigen Zeit, bemerkt Hegel, ob Gott sei; das Bemühen, den Glauben, daß Gott sei, hervorzubringen, das ist nicht Kultus. Im Kultus weiß der Mensch, daß Gott ist und daß er die Wirklichkeit ist. Unglückselige Zeiten, so ruft Hegel aus, die sich damit begnügen müssen, daß ihnen immer nur vorgesagt wird, es sei ein Gott (XII, 179.15, 239 f.)! Der Kultus hat den Zweck, den Gottesglauben, der schon vorhanden ist, zu verwirklichen. Die Versöhnung ist schon vollbracht, nun soll das Ich sich Gott gemäß machen, das ist seine Aufgabe. Die Gnade macht den Menschen nicht passiv, er muß etwas tun. Im Kultus ist also auch ein negatives Moment, die praktische Tätigkeit des Subjekts an sich selbst, seine Subjektivität aufzuheben, den natürlichen Willen zu überwinden (XII, 258 f. 15,238 f.). Das Innerste des Kultus ist die Andacht. Sie ist dann vorhanden, wenn das Subjekt betet (XII, 235). Andacht ist noch nicht förmliches Denken, nicht eine selbständige Fortbewegung des Gedankens (XII, 238. 15,221), sondern sie ist das ganz allgemeine, unentwickelte subjektive Denken als

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Erhebung in dies allgemeine Element. Ihr Gegenstand ist das Allgemeine und Allumfassende, und sie ist die reine Erhebung über alles Endliche. Aber sie ist dennoch Denken, denn nur im und für das Denken ist Gott. Aber es ist noch kein objektiv sich entwickelndes Denken (XII, 239 f.). Ihr Ziel ist das Mystische, die unio mystica, daß das Subjekt mit dem absoluten Wesen identisch wird, es als sein Wesen erfaßt. Das Ziel ist das positive Verhältnis des Subjekts zu Gott oder die Gottesliebe (XII, 158 f.). Aber die Liebe zu Gott muß, wenn sie rein sein soll und sich aller Selbstsucht begeben hat, Gott als das Höhere anschauen, sich gegen Gott als die absolute Macht verhalten, in diesem außer sich kommen und damit sich von sich befreien. Das heißt, daß die Voraussetzung der Gottesliebe die Gottesfurcht ist als der Anfang und das bleibende Moment aller wahren Religion (XII, 261. 287). Es soll keine knechtische Furcht sein, wie im Judentum und im Islam, sondern die wahre Gottesfurcht des Christen, der als Gotteskind frei geworden ist (XIII, b. 74.16, 78 f.). Es ist nicht die Furcht vor einem Verlust, sondern das Aufgeben von allem im Anschauen der absoluten Macht, die Abstraktion von allem Irdischen (XIII, b. 94.16, 79 f.). Es ist auch eine andere Furcht als die vor Naturgewalten. Sie ist das Bewußtsein der eigenen Ohnmacht und damit die Erhebung zum wahrhaft Seienden (XIII, 65.15, 298 f.). Der endliche Mensch weiß sich als das Nichtige, als Akzidenz, als Verschwindendes, und Gott als das Absolute; zugleich aber weiß er sich positiv als zum Absoluten gehörig, das absolute Wesen als sein Wesen, worin sein Selbstbewußtsein auch erhalten ist. Im Kultus ist somit beides, die Gottesfurcht und die Versöhnung als unio mystica und Gottesliebe, verbunden (XII, 228 f. 15, 82 f.). Zweitens: Zum Kultus als äußerer Form gehören die Sakramente. Das Gefühl der Versöhnung wird auf äußerliche, sinnliche Weise hervorgebracht (XII, 235). Den Grund der Sakramente bildet die mystische Union, die Einheit der göttlichen und menschlichen Natur. Das Sakrament gibt den Genuß, die Gewißheit dieser Einheit. Jedes Glied der Gemeinde ist in Gott und Gott in ihm. Im Sakrament ist so die Einheit des Subjekts und seines absoluten Objekts dargestellt (XIV, 209). Die wichtigsten Sakramente sind Taufe und Abendmahl. Indem das Individuum in der Kirche geboren ist, ist es sogleich, wenn auch noch nicht bewußt, doch bestimmt, an dieser Wahrheit teilzunehmen, derselben teilhaftig zu werden; seine Bestimmung ist diese Wahrheit. Die Kirche spricht dies aus im Sakrament der Taufe: der Mensch ist in der Gemeinschaft der Kirche, worin das Böse an und für sich überwunden, Gott an und für sich versöhnt ist. Die Taufe zeigt also an, daß das Kind in der Gemeinschaft 14 Schmidt, Hegel

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der Kirche und nicht im Elend geboren wird, nicht eine feindliche Welt antreffen werde, sondern eine Welt, die Kirche ist, und sich nur der Gemeinde anzubilden habe, die schon als Weltzustand vorhanden ist (XIV, 202 ff. 16, 333). Das Hauptsakrament aber ist doch das Hl. Abendmahl. Die unmittelbare sinnliche Seite, der Genuß, ist die Weise des Essens und Trinkens, und das ist in der Tat die einzig mögliche Form. Denn Essen und Trinken, sagt Hegel, ist eben dies, sich mit Bewußtsein, und zwar im individualisierten Bewußtsein, das sinnliche, einzelne Anderssein anzueignen. In der Weise des äußerlichen, sinnlichen Objekts, daß das Göttliche gegessen und getrunken wird, ist es nicht nur ein Symbol, sondern sinnlicher Grund als solcher, unmittelbare Gewißheit (XIV, 210). Dies Sakrament ist der Genuß Gottes durch das Subjekt. Dem Menschen wird auf eine sinnliche, anschauliche Weise das Bewußtsein seiner Versöhnung mit Gott gegeben, das Innewohnen und Einkehren des Geistes in ihm. Es wird vorgestellt, in dem Sakrament werde Christus ewig geopfert und im Herzen sei er auferstehend. Das Sakrament ist die ewige Wiederholung des Lebens, Leidens und Auferstehens Christi, die Einheit des Subjekts und des absoluten Objekts dem einzelnen zum unmittelbaren Genuß dargeboten (XIV, 213). Denn Christus darf nicht als ein gewesener und das Leben der Versöhnung nicht als eine Erinnerung an den Vergangenen sein, sondern Christus soll auf Erden ein Gegenstand sein, der geschaut werden kann. Und der Prozeß soll so vorhanden sein, daß das Individuum mit diesem ihm Gegenständlichen vereint, dieses mit ihm identisch wird. Das Vermittelnde wird im Kultus vollbracht am Individuum in dem höchsten Punkt, der Messe (19, 145). Das ist die Grundlage des Hl. Abendmahls überhaupt. Aber nun spaltet sich die Kirche in die drei Konfessionen, die eine verschiedene Auffassung vom Hl. Abendmahl ausgebildet haben: a) In der katholischen Lehre herrscht, wie schon erwähnt, eine harte Objektivität; die Hostie wird als solche verehrt, auch wenn sie nicht genossen wird. Christus ist in der Hostie gegenwärtig auf eine sinnliche, leibliche, ungeistige Weise durch die Konsekration des Priesters. Das Göttliche wird empirisch vom Menschen gegessen. b) Nach der lutherischen Lehre gilt die Hostie nur im Glauben und im Genuß; der Geistliche tut nichts Besonderes; nicht er konsekriert und die anderen sind nur die Empfangenden, sondern ihre Konsekration ist im Glauben und im Geist eines jeden selbst. Gott ist nur im Geist, im Glauben, auf geistige Weise gegenwärtig. Die Transsubstantiation geht nur im Genuß und im Glauben vor, also auf geistige Weise.

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c) Die dritte Auffassung des Hl. Abendmahls ist die reformierte. Hier, meint Hegel, ist keine Mystik mehr, d. h. keine unio mystica, sondern nur Andenken, ein gemein psychologisches Verständnis, alles Spekulative ist verschwunden. Das Göttliche ist in die Prosa der Aufklärung und des bloßen Verstandes heruntergefallen, in die Zufälligkeit der subjektiven Besonderheit. Hier ist der Geist nicht mehr gegenwärtig, sondern nur in der Erinnerung, Vorstellung. Es ist nur die lebhafte Erinnerung der Vergangenheit, kein göttliches Präsens, keine wirkliche Geistigkeit. Hegel bekennt sich nun eindeutig zur lutherischen Abendmahlslehre, die er aber entschieden geistiger deutet als Luther und seine Nachfolger, wobei er bei der reformierten Lehre nur die Gedanken Zwingiis und nicht die Calvins berücksichtigt. Luther, erklärt Hegel, hat ganz recht gehabt, daß er gegenüber den Reformierten nicht nachgab. Der Gegenstand ist allein im Glauben; außer dem Genuß und Glauben ist die Hostie ein gemeines sinnliches Ding (XIV, 210 ff. 16, 338 ff.). Der Prozeß des Heils geht nur im Herzen und im Geist vor. Die Versöhnung kann nicht durch ein bloß äußerliches Ding, die Hostie, vollbracht werden, sondern nur im Glauben und im Genuß. Aber Christus ist im Glauben, im Geist gegenwärtig; der Geist Christi erfüllt wirklich das menschliche Herz. Die Idee der Gegenwart Christi ist nicht mehr in sinnlicher Weise, sondern allein im Geist erfaßt. Luther konnte aber ebensowenig zugeben, daß Christus nur eine Erinnerung sei, auch er forderte die Gegenwart Christi im Sakrament (IX, 878 f.). Drittens: Zum Kultus gehört drittens das Opfer. Hegel kommt zuerst auf das heidnische Opfer zu sprechen. Bei ihm ist die Gottheit die Einheit der Naturbestimmtheit und des Geistigen, aber das Natürliche bleibt in seiner Existenz bestehen, die Einheit beider ist keine wahrhaft geistige, sondern eine unmittelbar natürliche. Daher ist hier der Kultus eine Versöhnung von Haus aus, eine eigentliche Versöhnung ist nicht nötig, Kultus und Leben sind noch eins, das Endliche und Unendliche nicht geschieden. Der Kultus ist lediglich der Genuß der Einheit gegen das gewöhnliche Leben. So bleibt das Opfer formell, es ist nur eine formelle Hingabe eines äußerlichen Besitzes, und Gott ist als der Gott des Volkes ihm nahe. Der Kultus ist Anbetung und Preis der Gottheit, und auch im gewöhnlichen Leben herrsdien Feierlichkeit und Würde (XII, 264 if. 15, 237. 241 f.). Das Opfer enthält also nur das Aufgeben einer unmittelbaren Endlichkeit und bezeugt, daß diese dem Menschen nicht eigentümlich sein soll; es besteht noch keine Umkehrung des Gemütes, der natürlichen Neigungen. Es ist ein Opfer der Verehrung und des Preises, ein freudiges Tun, dann aber auch 14*

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eine Reinigung, ohne daß eine Sünde im eigentlichen Sinne gewußt würde. Die Verunreinigung wird durch das Opfer symbolisch beseitigt, es geschieht eine Vertauschung, und der allgemeine Charakter des Gottesdienstes ist zeremoniell (XII, 267 f. 15, 244 f.). Der Kultus erhält eine höhere, ja die höchste Form, wenn der Mensch sich seiner Subjektivität entledigt und sein Herz opfert, also in seinem Innersten Reue und Buße empfindet, sich seiner Natürlichkeit bewußt wird und sich ihrer entschlägt. Dies führt zur Wiedergeburt des Menschen (XIV, 205.16, 333) und verwirklicht sich in der Sittlichkeit. Diese ist insofern der wahrhafte Kultus, verbunden mit dem Bewußtsein der wahrhaften Gottheit (XII, 236). Die Vorstufe dieses Kultus ist, wie wir sahen, die Trennung des Göttlichen und Menschlichen, und der Kultus will diese Entzweiung aufheben. Er nimmt daher die Gestalt einer Sühnung an (XII, 272 f. 15, 249 f.). Das führt erst zum wahrhaft geistigen Kultus. Das Subjekt ist jetzt zum Bewußtsein seiner Unendlichkeit gekommen, die Entzweiung gegen die Natur und gegen sich selbst ist gesetzt, und es entsteht damit die wahre Freiheit. Das Endliche ist böse, der Mensch hat wirkliche Sünden zu bereuen, und durch den Kultus soll dies Böse aufgehoben werden. Der Mensch soll frei, d. h. ein sittlicher Mensch werden. Die Aneignung der Versöhnung geschieht daher durch die Entsagung. Das kann dann (wie im Katholizismus und im Pietismus) im Sinne einer einseitigen Askese verstanden werden. Aber die wahre Entsagung sind allein Buße und Reue. Indem der Mensch seiner Selbstsucht entsagt, wird er der Versöhnung, die objektiv geschehen ist, subjektiv teilhaftig. Damit tritt der Kultus in das Gebiet der wahren Freiheit und der absoluten Versöhnung. Der Natürlichkeit wird entsagt, und das freie Subjekt erkennt im Geist sein Wesen. Der Geist ist nicht mehr nur ein jenseitiger, sondern erscheint im Subjekt, wie er wahrhaft an und für sich ist (XII, 275 ff. 15, 252 ff.). 3. A b s c h n i t t Der absolute Geist A. Der spekulative Begriff der Religion Die Einsicht in das Wesen des wahrhaften Kultus hat uns unmittelbar vor die Schwelle des Begriffs des absoluten Geistes geführt. Wir überschreiten diese Schwelle, indem wir noch einmal das Problem der Religion ins Auge fassen und jetzt nach ihrem nicht nur psychologischen, sondern spekulativen oder metaphysischen Wesen fragen.

Der spekulative Begriff der Religion

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Im wahren Kultus gibt der endliche Geist sich selbst auf, so daß durch ihn das Göttliche in ihm wird. Der Mensch macht sich Gott gemäß, und Gott ist durch Aufhebung des Menschen. Was als das Tun des Menschen erscheint, ist das Tun Gottes, und umgekehrt ist das Tun Gottes das Tun des Menschen (XII, 258.15,237 f.). Damit wird das endliche Verhältnis zwischen Gott und Mensch aufgehoben. Dies endliche Verhältnis bestand darin, daß das Bewußtsein Gottes und das des Menschen sich gegenüber standen, getrennt und daher beide endlich waren. Gott war nur der Gegenstand für das endliche, religiöse Bewußtsein. Nun weiß aber das endliche Bewußtsein Gott als sein Wesen und verhält sich in der Religion, im Kultus als zu seinem Wesen. Gott als der alles umfassende Geist wird jetzt Gegenstand des religiösen Bewußtseins. Der Mensch mit seinem Bewußtsein ist also ein Moment des göttlichen Geistes. Der Gott, der nur Gegenstand des endlichen Bewußtseins ist, ist noch ein Abstraktum, Gott als Geist aber ist das konkrete Ganze, das absolut Allgemeine. Darum manifestiert sich Gott als Geist jetzt auch im religiösen Bewußtsein des Menschen und ist erst so der Eine in Allem (XIV, 4 f. 16,191 f). Das bedeutet aber mit anderen Worten: Die Religion in ihrem tiefsten Wesen ist nichts anderes als das Selbstbewußtsein Gottes im endlichen Geist. Gott hat einen Gegenstand, das endliche Bewußtsein, das von ihm unterschieden ist und unterschieden bleibt. Aber Gott ist zugleich in diesem von ihm unterschiedenen menschlichen Bewußtsein sich seiner selbst bewußt. Nur das entspricht der wahren Unendlichkeit Gottes. Das menschliche Bewußtsein muß zwar von Gott unterschieden sein, aber dieser Unterschied wird von Gott aufgehoben, indem Gott auch das menschliche Bewußtsein umschließt und in ihm wirkt. Also weiß das menschliche Bewußtsein nur insofern von Gott, als Gott sich in ihm weiß (XIV, 5 f. 16,191 f.). Damit kommt Hegel zu der These, die bei Philosophen und Theologen solches Entsetzen hervorgerufen hat, und die doch logisch begründet ist und die begriffliche Fassung der christlichen Vorstellung vom Hl. Geist ist: „Die Religion ist das Wissen des göttlichen Geistes von sich durch Vermittlung des menschlichen Geistes" (XII, 151). Oder anders gesagt: Die Religion ist die Idee des Geistes, der sich seiner selbst bewußt ist (XII, 66.150 f.). Gott offenbart sich, setzt das Andere seiner, den endlichen Geist, ist für den Menschen, und hebt seine eigene Beschränkung durch den endlichen Geist wieder auf, indem er in ihm zu sich zurückkehrt (XIV, 14. 32 f.). Tiefer kann man das Wesen der Religion schlechterdings nicht erfassen!

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Die Theologen haben aus Hegels These die Folgerung gezogen: Also kommt Gott nach Hegel erst im Menschen zum Bewußtsein seiner selbst! Also ist Gott an sich ein bewußtloser Geist oder besser eine unpersönliche Substanz, die den Menschen nötig hat, um zum Bewußtsein ihrer selbst zu gelangen; also ist Hegels System doch ein, wenn auch geistiger, nicht naturhafter Pantheismus. Indessen: Das Wörtchen „erst", das die Gegner hier einfügen, kommt in diesem Zusammenhang bei Hegel nicht vor und kann auch gar nicht vorkommen. Wir haben gesehen, daß schon Gott als die absolute Idee Liebe und Persönlichkeit und daher der Dreieinige ist. Gott kommt also nach Hegels Lehre nicht erst im Menschen zum Bewußtsein seiner selbst, sondern er ist ein ewiges Bewußtsein. Aber — zwischen Gott als der absoluten Idee und dem menschlichen Geist steht die Natur, steht der natürliche Mensch, die beide nichts von Gott wissen. In ihnen ist die absolute Idee sich selbst entfremdet. Darum überbrückt nun die göttliche Idee das Natürliche in der Welt, indem sie im Menschen die Rückkehr zu sich selbst vollzieht (XII, 256. XII, a. 39 f. 64 f.). Die Religion ist also in ihrem Wesen nichts Menschliches und Subjektives (XII, 159). Sie ist nicht von Menschen gemacht und nicht von Herrschern oder Priestern erfunden worden, wie ein oberflächlicher Rationalismus gemeint hat. Gewiß kann die Religion von Menschen, Herrschern und Priestern, mißbraucht werden zu irdischen Zwecken. Aber darum kann die Religion noch nicht gemacht werden. Dieses ihr „Machen", sagt Hegel, liegt viel tiefer. Kein Volk hat sich seine Religion aufzwingen lassen! Die Religion ist in ihrem Wesen wahr, weil sie in Gott ihren Ursprung hat und Gott die Wahrheit ist. Die Religion ist in ihrem Wesen das Selbstbewußtsein der göttlichen Idee im menschlichen Geiste (VIII, 108. XII, 182 f.). Subjektiv betrachtet ist die Religion die Erhebung des Menschen zu Gott, objektiv aber ist sie der göttliche Geist, der sich zu sich selbst verhält oder die Idee des Geistes (XII, 68.150.15,215 f.). Mit dieser spekulativen Bestimmung der Religion haben wir den Gipfel des Systems der Theologie erreicht und die wahre konkrete und höchste Definition Gottes gewonnen.

B. Der Begriff Gottes Hegel erklärt: „Das Absolute ist der Geist." Das ist die höchste Definition des Absoluten oder Gottes. Eine höhere Definition Gottes kann es nicht geben (V, 335.10, 35).

Der Begriff Gottes

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Hegel unterscheidet den subjektiven Geist, der im Menschen ist (V, 338 ff.); den objektiven Geist als den Geist der menschlichen Gemeinschaft, der im Recht, in der Moralität und in der Sittlichkeit (Staat) sich auswirkt; und den absoluten Geist (V, 419 ff. 474 ff.). Dieser absolute Geist waltet in der Kunst, in der Religion und in der Philosophie (V, 475 f. .480 f.. 485 f.). In diesen drei Formen kehrt die göttliche Idee im Menschen zu sich selbst zurück, aber die Grundlage ist die Religion, indem Kunst und Philosophie nur andere Formen des Religiösen sind (V, 446). Wie ist also der Begriff des absoluten Geistes zu bestimmen? Wir geben zuerst einige allgemeine Definitionen des absoluten Geistes, wie Hegel sie formuliert hat: a) Der absolute Geist ist das ewige sich selbst gleiche Wesen, das sich ein Anderes wird, und dieses als sich selbst erkennt: das Unwandelbare, welches so das Unwandelbare ist, daß es aus seinem Anderssein beständig in sich zurückkehrt (19, 8). b) Die höchste Definition des Absoluten ist, daß es nicht nur überhaupt der Geist, sondern der sich absolut offenbare, der selbstbewußte, unendlich schöpferische Geist ist. Der absolute Geist erfaßt sich selber das Sein setzend als ein Anderes, die Natur und den endlichen Geist, hervorbringend, so daß dies Andere jeden Schein der Selbständigkeit gegen ihn verliert, vollkommen aufhört, eine Schranke für ihn zu sein, und nur als das Mittel erscheint, durch welches der Geist zum absoluten Fürsichsein, zur absoluten Einheit seines Ansichseins und seines Fürsichseins, seines Begriffs und seiner Wirklichkeit gelangt (10, 38). c) Solange der Geist in der Beziehung auf sich als ein Anderes steht, ist er nur der subjektive, der von der Natur herkommende Geist und zunächst selbst Naturgeist (10, 40). Hat er sich zum Fürsichsein gebracht, so ist er nicht mehr bloß subjektiver, sondern objektiver Geist. Wird nun aber das vom Geist Gesetzte zugleich als ein unmittelbar Seiendes gefaßt und die Welt vom Geist wieder frei entlassen, so ist die dritte Stufe des Geistes erreicht, der Standpunkt des absoluten Geistes in der Kunst, in der Religion und in der Philosophie (10, 41). d) Der Geist ist sowohl unendlich wie endlich, und weder das eine noch das andere. Er bleibt in seiner Verendlichung unendlich, denn er hebt die Endlichkeit in sich auf. Nichts ist ihm ein Festes, ein Seiendes, Alles vielmehr ein Ideelles, ein nur Erscheinendes. So muß Gott, weil er Geist ist, sich bestimmen, Endlichkeit in sich setzen. Da aber die Realität, die er sich durch sein Selbstbestimmen gibt, eine ihm vollkommen gemäße ist, wird Gott durch dieselbe nicht zu einem Endlichen. Die Schranke ist also nicht in Gott, sondern wird vom Geiste nur gesetzt, um aufgehoben zu werden (10, 45).

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Das theologische System

Der Begriff des absoluten Geistes umschließt alles, was im System der Theologie von Gott erkannt worden ist. Gott ist also 1. die absolute Idee, Gott in seiner Ewigkeit, vor der Erschaffung der Welt, außerhalb der Welt (XIV, 30.16, 218). So ist Gott im Gedanken, in der metaphysischen Reinheit als Gedanke, die ganze Fülle der onto-logischen Kategorien (XII, 32.15, 43). Das ist sein ewiges in und bei sich Sein, die Form der Allgemeinheit, Gott in seinem ewigen Wesen bei sich selbst, der noch nicht zur Erscheinung gekommen ist (XIV, 65. 16,221). In Ansehung des Raumes ist diese Form außerhalb der Welt, raumlos. In Ansehung der Zeit ist es Gott außer der Zeit als die ewige Idee. Dies ist das Reich des „Vaters« (XIV, 30 f. 16, 221). So als die Idee ist Gott der Dreieinige, weil die absolute Idee sich in sich selbst aufschließt, sich bestimmt, sich als Unterschiedenes setzt, aber den Unterschied ebenso ewig aufgehoben hat. Es ist das Verhältnis der ewigen Idee nur zu sich selbst, darum verschwindet aller Unterschied wieder in ihr, das Unterscheiden ist nur ein „Spiel" der Liebe mit sich selbst, wobei es nicht zum Ernst der Entzweiung kommt (XIV, 93.16,248). 2. Die absolute Idee wird schöpferisch und muß es werden, sonst wäre sie nicht Leben, sondern eine tote Abstraktion. Darum kann das Sichunterscheiden der Idee nicht im Allgemeinen bleiben, sondern muß sich real besondern. Das Andere der Idee muß wirklich die Bestimmung eines Anderen erhalten (XIV, 93. 16, 249). Da die Idee absolut frei, keiner äußeren Notwendigkeit unterworfen ist, hat sie die innerste Notwendigkeit, das Andere als ein Freies und relativ Selbständiges zu entlassen. So erschafft sie die Welt (XIV, 94.16, 249 f.). Der Akt der Erschaffung der Welt ist an sich derselbe wie das Urteil der Idee in sich selbst, und doch etwas anderes, denn der ewige „Sohn" wird jetzt die reale Welt. Diese Welt ist nicht Gott, sie ist vor Gott nur Erscheinung, aber sie hat eine empirische Existenz (XIV, 85 f. 16, 251 f.). Die Welt ist Natur und endlicher Geist, und in beiden wirkt die Idee in verschiedener Weise (XII, 32.15, 44). Die Natur ist zwar auch vernünftig, aber in ihr ist die Idee im Element des Außereinander, in ihr regiert die äußere Notwendigkeit (V, 334.10, 19 f.). Die Wahrheit der Natur ist ihre Idealität, darum strebt sie zum Geiste hin, um sich in ihm aufzuheben (XIV, 94.16, 250). 3. Für uns hat der Geist zu seiner Voraussetzung die Welt/Natur. In Wahrheit aber ist der Geist das absolut Erste. Vor ihm verschwindet die Natur, und der Geist erweist sich als die zu ihrem Fürsichsein gelangte Idee. Damit ist der Begriff Gottes mit sich identisch geworden, und diese Identität ist absolute Negativität, weil der Geist als das Zurückkommen

Der Begriff Gottes

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aus der Natur ist (V, 334). Als die absolute Entelediie ist der absolute Geist die konkrete Synthese von Idee und Welt, das Resultat seiner selbst, die aus der Welt wieder zu sich zurückgekehrte Idee (XII, 32.15, 43 f.). Wie diese Rückkehr sich im endlichen Geist vollzieht, hat die Betrachtung des Kultus und der Religion gezeigt. Dieser Begriff des absoluten Geistes ist denknotwendig. Gäbe es nur die ewige Idee Gottes, so wäre das Dasein der Welt samt dem endlichen Geist unerklärlich. Die absolute Idee muß daher schöpferisch sein. Gäbe es nur die absolute Idee + reale Welt, so bestünde ein Dualismus, und Gott hätte sein Anderes nur außer sich, wodurch er selbst verendlicht würde (XII, 65.15, 99). Das Prinzip des Dualismus gehört zwar zum Begriff Gottes, weil Gott ohne den Gegensatz kein lebendiger Geist wäre (IX, 425. 11,240). Aber der Dualismus muß wieder aufgehoben werden, und das kann nur so geschehen, daß Gott aus der Menschenwelt wieder zu sich zurückkehrt (XII, 32.15, 43 f.). — Ist dieser Begriff des absoluten Geistes denknotwendig, so ist er der gesuchte Gottesbegriff, der dem ontologischen Gottesbeweis Anselms und seiner Nachfolger vorgeschwebt hat, wenn sie die Begriffe des Vollkommenen und der All-Realität konzipierten. Als denknotwendig beweist der Begriff des absoluten Geistes sich selbst, er ist im strengsten Sinne ein a priorischer, das All begründender, absolut gültiger Begriff. Wer darum diesen Gottesbegriff wirklich denkt, hat damit den höchsten Beweis für Gottes absolutes Sein. „Und hier, wo es sich um die vollendete Gottesoffenbarung handelt und der Begriff des absoluten Geistes das erste Prinzip ist, hat der ontologische Beweis seinen Platz, der den Übergang vom Begriff zur Realität darstellt. Hegel faßt diesen Beweis in seiner allgemeinsten Form so, daß er einfach die Wahrheit ausspricht, der Begriff sei die Realität, hebt aber nachdrücklich hervor, daß diese Wahrheit solange noch nicht befriedigend erkannt worden ist, solange das Denken nicht in der Idee des absoluten Geistes die konkrete Einheit von Begriff und Sein vor Augen habe, den wahrhaften Begriff, der als lebendiges Selbstbewußtsein sich selbst und das von ihm Verschiedene setzt und so die ganze Fülle der Realität in sich selbst enthält, aus sich entläßt und in sich selbst zurücknimmt" (G. Lasson, XII, a. 134 f). Dieser Begriff des absoluten Geistes ist zuerst in der christlichen Religion geoffenbart worden, freilich in der Gestalt der Vorstellung. Die Philosophie erhebt diese Vorstellung in die Form des Begriffs (10, 38 f.). Daher ist Hegels Begriff des absoluten Geistes die adäquate begriffliche Fassung des biblischen Bekenntnisses: Gott ist Geist. Von ihm und durch ihn und zu ihm sind alle Dinge.

PERSONEN- UND SACHREGISTER Abendmahl, Hl. 186, 187, 196 Abstraktion 6, 14, 23, 26, 71 Agnostizismus 9, 10, 82 Akosmismus 102 Akzidenz 41, 100, 101, 102 Allrealität 27, 82, 86-88, 96, 110, 112 Andacht 12, 33, 38, 194-195 Anderes 88, 89 Anfang (des Systems) 66 — 68 Anschauung -, intellektuelle 64, 79 -, sinnliche 17-19, 21-22, 42, 46, 60,74 Anselm37, 85-88, 203 Anthropologie 2 Antinomie 19, 24, 55, 56, 57 Apokalyptik 156, 174 Arbeit 187 Aristoteles 5, 23, 29 Askese 187 Atheismus 189 Auferstehung 150, 156, 179, 181 Aufklärung 27, 190 Augustin 82 Autorität 10, 37, 45 Axiom 62, 63, 66 Begriff -, allgemein 2, 6, 19, 21, 44, 46-47,64, 77,86-87 Gottes 7, 27, 77, 79, 85 - 86, 86-87, 92, 128-129, 200-203 —, spekulativer 115 — 118 Beichte 186 Beweis -, allgemein 45, 46, 48, 52, 66 — , historischer 61, 62 — , mathematischer 62 — 63

—, spekulativer 61, 63 —64, 76 Bewußtsein von Gott 8-10, 28, 39 - 40, 45-48 -, menschliches 11 —12, 13 —14, 45-46,53 Bibel -, allgemein 3, 27, 47-49, 69, 96, 133, 149-150, 152, 154-156, 158, 160-163, 183 -, Altes Testament 138, 154, 155, 156, 167 — , Neues Testament 156 Bild 26, 27, 42, 52 Böse, das 12, 39, 145, 146, 158-166, 177-178, 198 Brahm 82, 101 Böhme, J. 163 Brunner, E. 49 Buddhismus 83 Cartesius, R. 131 Chemismus 118, 127, 128 Christus -, Auferstehung 150, 179, 181 -, Christologie 167, 169-181 — , Gottmensch 173, 174 -, Himmelfahrt 181 — , Jungfrauengeburt, Maria 175, 176, 187 -, Kreuz 83, 170, 176-180, 183 -, Lehre 170, 172, 174 -175, 182-183 -, Mensch 150, 170-171, 174-175 -, Menschwerdung 29, 138, 140, 169-174 -, Person 29, 167-172 — , Präexistenz 145, 176 -, Wiederkehr 182

Personen- und Sachregister Cicero 78

205

-, psychologisch 11, 42, 142,151 — , religiös 33, 34 Empirismus 20, 21 Dasein 84, 85, 87, 88, 89, 146 Deduktion 62, 63 Endlichkeit Definition 62, 63 -, allgemein 89-92, 103, 157, Demiurg 124, 137 177-179 Demut 31 — und christlicher Glaube 173 — 174, Denken 177-179 -, allgemein 3, 14, 15, 21 des Menschen 30-32, 156-157 — und Dialektik 58 — und Unendlichkeit 3-4, 27, 32, und Gefühl 10, 11, 12 75-78,90-93 und Logik 3, 23, 63-64 Entelechie 115-117, 128, 131 und Menschsein 151, 152, 157 Enzyklopädie 16, 67 — , psychologisch 115 — 116, 131, Erfahrung 151-152 -, empirische 17 — 22, 26 — 27, —, rationales 30 —31, 62 —64, 61-62, 126,176 189-190 -, geistig-religiöse 21 - 22, 58, 77, und Religion 11 -12, 21 - 22, 176 32-37,45-47,52-54,74, — , übersinnliche 25 79-80 — wissenschaftliche 18, 20, 21 und Vorstellung 42-44, 79 Erhaltung (der Welt) 134, 138, 142 — und (unmittelbares) Wissen 14,15 und Wissenschaft 20-21, 44, 189 Erkenntnis -, allgemein 8 -10, 13 - 25, 29 - 35, Dialektik 55-58, 82, 83, 130 45-47, 90, 129, 158, 160-166 Ding an sidi 17-24, 55, 110-113, — und Christentum 47 124 Gottes 2, 8 - 32, 51 - 52, 62, Dogma 3, 10, 27, 49, 132, 134, 112-115, 158 182-183,186,188,192 und Metaphysik 17-18,28-30 Dogmatik l, 3 — -theorie 15, 16 Domke, K. 74 der Wahrheit 1-13,34-35, Dualismus 27, 30, 91, 163 49-52 der Welt 17-18, 34-35 Ehre Gottes 148 —, wissenschaftliche 35, 58 —60 Eigenschaften Gottes Erlösung 134, 167, 169 -, allgemein 19,27,43 - 44, 68 - 72, Erscheinung 86,93,96, 110-111, 138-140 und das Absolute 24, 25, 97 — , Allgegenwart 101 — im Kritizismus 9, 17—18, 19, -, Allmacht 108, 139, 144 24-25,50,55-56 -, Einheit 68-72, 102-103 und Schein 94, 95 —, Erhabenheit 139 und die Welt 75, 97, 103, 137 -, Gerechtigkeit 97, 139 und das Wesen 93, 95, 96 -, Güte 29, 97, 139 -, Liebe 131, 136, 140, 178-179, Eschatologie 156 180, 200, 202 Etwas 88, 89 -, Weisheit 123-128, 139, 144 Ewigkeit l, 138 Eleaten 81, 84 Exegese 3, 48 Empfindung Existenz 7, 96, 97, 98

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Personen- und Sachregister

Falkenheim, H. 16 Fichte, J. G. 66, 138 Fischer, K. 58 Form 5, 11, 12, 20, 21, 23 Freiheit — und Christentum 47 — und Denken 130 — und Erkenntnis 162 des Geistes 188 und Geschichte 147 und Gottesglaube 157, 184, 185, 191 — und Idee 136 und der Mensch 39, 147, 154-166 und die Natur 140, 152-154 und Staat 192, 193 Furcht Gottes 38, 195 Fürsichsein 46, 93, 94, 136

und Wissen 13-15 und Wunder 149-150 Glockner, H. V Gnade 33 Gott -, seine Definition 51, 82-83, 84, 92,96,99,101-103,106, 108, 122, 130, 202 -, dreieinig 79-80, 138, 201-203 Gottesbeweis -, allgemein 9, 45 - 46, 50, 54, 69, 73-79,85-88,92 — , historischer 78, 79 —, kosmologischer 108 — 115 —, moralischer l, 19, 78, 79 — , ontologischer 85 — 88 -, ideologischer 122 -128, 132-134 Grund 2, 97-100, 106

Gefühl — und Denken 10, 11, 12 —, psychologisch 10 — 12 und Religion 11-13, 35, 38 — und Theologie 13 Gegensatz 57 Gehorsam 189 Geist -, absoluter l, 7, 38, 39, 45, 68, 79, 143, 198-203 -, Gottes 14, 28 -, Heiliger 29, 80, 171, 182-183, 199 -, menschlicher 30, 36, 45-46, 47, 67, 76,90, 142, 151-153,201 -, objektiver 67, 143, 190, 201 Genugtuung 178 Geschichte 67, 68, 78, 142-148 Glaube und Hl. Abendmahl 196 -, allgemein l, 2, 10, 13 an Christus 179-181 und Denken 32 - 35, 52, 53 als Erhebung zu Gott 43, 45, 76, 194 als Gewißheit 13 -15, 45 - 47 — , heidnischer 78

Haering, Th. L. 37 Hartmann, N. 50, 59 Heilige 187 Herodot 154 Heroen der Geschichte 145, 146 Hierarchie 186, 193 Historic (Historismus) 2, 13, 43, 45, 61-62,76,78-79, 170-171 Hume, D. 20 Hybris 5, 32 Idee -, absolute 67, 72, 79, 128-131, 137-138, 183,202 und Christus 171-175 — und die Dreieinigkeit 132 — 134 und Geschichte 143 -148 im Kritizismus 18, 19, 24, 50 und die Logik 49-51, 128 und die Natur 140-142, 151 — , personal 130 — 131 — und Religion 40 Identität 28, 56, 58, 71, 81 Iljin, I. 16 Jacobi, Fr. 9, 13-14,73

Personen- und Sachregister Kant, L 5, 17-28, 32, 49, 55-56, 59, 73,76,79,86-87, 106, 108-113, 123-127 Kategorie -, allgemein 17 - 27, 49 - 52, 55-58 — als Kategorie des Seins 3, 49 —51 der Vernunft 27, 50 des Verstandes 17-18, 24-27, 49-50 Katholizismus 185-188,192,196,198 Kausalität -, allgemein 99, 103 -106 — als causa finalis 119 — als causa prima 110, 112 — als causa sui 106, 113 -, Ursache 13, 34, 103-106 —, Wechselwirkung 105 -, Wirkung 104-l06 Keyserling, H. 16 Kirche 80, 172, 182-193 Konstruktion 62, 63 Kroner, R. 15, 25, 28, 38, 44, 51, 151 Kultus 2, 38, 52, 193-198 Kunst 6, 201 Lasson, G. V, 16, 203 Leben —, biologisch-organisch 58, 89, 90, 121-122, 123,126, 129, 142 -, Gottes 72, 84, 131-132, 137 Lehre (Kirchenlehre) 2, 3, 14, 27, 45, 47,49,50, 182-183,192 Leibniz, G. W. 97, 145 Liebe — zum Nächsten 175 zu Gott 38, 195 Linkshegelianer l Locke, J. 20 Logik -, allgemein 14, 47-52, 67, 125 -, formale 49-50, 64 —, spekulative 50 — 52, 67 und Theologie 3, 47-52 Logos 23, 50, 64, 75, 128, 130, 134, 140 Luther 37, 188, 190, 196

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Maß 93 Materialismus 21, 118, 142, 189 Materie 124, 125 Mathematik 17, 62, 76 Mechanismus 117, 127, 128 Mendelssohn, M. 86 Mensch — , allgemein 54 -, Ebenbildlichkeit 151, 168 -, seine Endlichkeit 4, 30-32, 90, 156-157 -, sein Ich 30-32, 131 — als Naturwesen 80, 152 — 154 und Religion 4, 12, 32, 39, 53, 78, 148 -, sein Wert 9 Metaphysik -, allgemein 8-10, 16-17, 28, 32, 45-51 -, vorkantische 17-19, 24, 69, 71 —, theologische 86, 101 Methode 2, 55, 58-60, 64 Möglichkeit 106, 109 Monotheismus 68 — 72, 163 Moralität 143 Moses 150 Mystik 50, 60, 162 Mythos 43, 134

Natur -, allgemein 21, 51, 61, 67, 79, 140-142, 149, 151-152, 153-154,202 und Geist 152-154, 162-163 -Gesetz 20, 26, 33, 149, 189 und Gott l, 8 - 9, 28 - 29, 79, 124-125, 140-142 — -philosophic 51, 67 und Sittlichkeit 79, 159-162, 187 -wissenchaft 17, 33, 189 Naturalismus 21, 118 Neid (der Gottheit) 29 Neuplatonismus 15, 71, 82, 133 Nichts, das 82-85, 89, 137 Notwendigkeit -, absolute 108-110, 111-115

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Personen- und Sachregister

-, allgemein 20, 46, 52 als Kategorie 13, 17, 106-107 -, relative 107, 118 Offenbarung -, allgemein 10, 15, 28-30, 32, 37, 60 in Christus 29, 41, 170-176 — in der Natur 95, 141 — in der Schöpfung 28, 95 Opfer 197 Optimismus 145 Organismus 121 Panlogismus 51 Pantheismus l, 27, 101-103, 131, 141, 200 Paradies 152, 153, 154 Paralogismus 19, 24 Parmenides 81 Parsismus 163 Pflanze 29, 159 Phänomenologie des Geistes 16, 67 Philo 82, 133 Philosophie -, allgemein VI, l - 2, 3 - 4, 28, 52-54 des Geistes 51, 67-68 und Religion 1-2, 33, 37, 47, 52-54 und Theologie 1-4, 37, 47, 49-52 Pietismus 198 Plato 29, 55, 82, 115, 133 Platonismus 115 Plotin 82 Prophetic 193 Protestantismus 188 Pythagoräer 133 Rationalismus 21, 31, 50, 63, 75, 133, 200 Recht 143, 191 Reditshegelianer VI Reflexion 14-15, 30, 93-94 Reformation 188 Reformierte 197

Reich Gottes 155, 174, 183 Religion 9, 11, 14, 27, 29, 33-35, 38-42,47,65, 74,191-192, 198-200 Religionen 40-41, 47, 168 — , ägyptische 150, 154 —, chinesische 93 -, christliche 9, 29, 41, 47, 133, 147, 165, 168, 170, 182-183,185 — , griechische 41 -, indische 101, 133, 171 —, islamische 41, 97 -, jüdische 41, 150, 155, 163, 166, 167 -, natürliche 40, 101, 149, 154 -, römische 41, 167—168 Religionsphilosophie 66 Rosenkranz, K. 15, 46, 51 Sache, Sachlichkeit —, allgemein 5, 31 — 32, 58, 60, 63-64 und Religion 13, 46, 79, 98 Sakrament 195 Schein 94-98 Sdielling, J. W. F. 64, 163 Schicksal 41, 108, 143 Schlatter, A. 11, 119 Schleiermacher, F. 10 Schluß 129 Scholastik 2, 37, 55 Schöpfung -, allgemein 100, 101, 130, 141 und Begriff 128, 202 und Gott 34, 43, 79-80, 123, 125,135-138, 189 — aus Nichts 83 — als Vorstellung 43 Schuld 159 Seele -, allgemein 141-142, 154-158 -, Unsterblichkeit 154-158 —, Wanderung 155 Sein 67, 68, 78, 81-82,94 —,

allgemein 8, 49

-

und Denken 49-50, 58, 64 und Gott 71, 81, 82, 85-87

Personen- und Sachregister und Welt 70, 84 Selbstverwirklichung 106 Seligkeit 9, 39 Sigwart, Chr. 64 Sinnlichkeit —, erkenntnistheoretische 17 — 23, 42 —, natürliche 152-154 Sittlichkeit 79, 143, 148, 166, 187-188, 190-193, 198 Skeptizismus 5, 13 Sklaverei 184 Sokrates 170 Sollen 89, 90 Sophistik 55, 58 Spekulation — , allgemein 59 — 60 — und Beweis 63 — 64 — und Erkenntnis 59 —60 — und Idee 130 und Logik 50-51, 67 und Religion 52-54, 162, 183, 189,190 und Verstand 27, 190 Spinoza, B. 62, 66, 88, 101, 102 Staat 6, 41, 190-193 Stoa 167 Substanz 100-103, 115, 131, 200 -, absolute 30, 32, 41, 100-106, 131, 200 — und Philosophie 101 Sünde 168, 198 als Erbsünde 164 -166 — und Erkenntnis 167 -, -Fall 160-162 —, -Vergebung 183 Symbol 26-27, 42-44, 51, 52 System VI, l, 4, 16, 22, 50, 64, 66-68,79-80 Taufe 195, 196 Theodicee 145, 146 Theologie -, allgemein l - 3, 8 - 9, 25 - 26, 47-51, 79, 93 des Gefühls 13 -, negative 8-9, 15, 28-30, 32, 82

209

— , prostestantische 37 -, rationale 27, 49 - 50, 71 - 72, 96 Tier 9, 12, 29, 39, 151, 155, 159, 171 Tillich, P. 73 Tod 7, 90, 156-157, 177-178 Trendelenburg, Fr. A. 64 Übel 144, 145, 167 Unbedingtes l, 18-19, 24, 99, 111, 113 Unendlichkeit 19, 24-25, 105, 113 — des menschlichen Geistes 4, 30 — 32 Gottes 27, 75 - 76, 88 - 92, 136-138, 159 Unio mystica 38, 193 Unmittelbarkeit 14, 66 Unsterblichkeit 154-158 Unterschied 57, 136 Urständ 152-154, 159-164, 165-166 Urteil 5-6, 17-19, 60, 128-129, 136-137 Verdammnis 9, 165 Vermittlung 14, 66 Vernunft -, Gottes 21-22, 143-146, 191 -, menschlichel8-19,24-27,37, 50, 56,74, 111-112,151, 191 -, praktische 19, 79 — , spekulative 27, 60 Verschiedenheit 57 Versöhnung — des Glaubens und Denkens 35-37,46-47 — , Mensch und Gott 80, 147 167-169, 173-174,178, 183-184,194 Verstand 22-27, 33-35, 60, 82, 149 -, endlicher 30, 71, 96, 132, 190 — , kategorialer 17—19, 50 im Kritizismus 17—24, 26 — 27 Vollkommenheit 6, 29-30, 85, 87 Vorsehung 143, 144, 146 Vorstellung —, psychologisch 5, 21, 42 —44, 48, 60

210

Personen- und Sachregister

-, religiös 11, 20, 42 - 44, 49 - 50, 71, 75, 79, 137 —, spekulative 26 — 27 Wahrheit l, 4, 5-7, 12, 15, 17, 21, 47, 53, 60 und Gewißheit 45 - 47 = Gott l, 4, 5-7, 37, 39,44, 46, 54, 182 = Richtigkeit 6, 49 - 50, 64 Wahrnehmung 17-24, 42, 61-62, 76 Welt 58, 85, 92, 97, 115, 117 -, dialektisch 58 und Gott 68, 77-78, 79-80, 95,109, 135-138 -, kategorial 23, 50, 108 als Kosmos 34, 122 -123 —, vergänglich 7 — als Vorstellung 43, 102 Werden 83, 84 Werner, M. 64 Wesen 93-97, 108 = Gott l, 27, 39, 96-97,

99-103, 109 Widerspruch 24-27, 57-58, 70-71 Wissen 45

-

Gottes 8-10, 13-15, 38-39, 45-47, 74,81 — , unmittelbares 13 — 15, 66 —, vermitteltes 13 —15, 66 Wissenschaft -, empirische 17, 33-35, 58, 61, 152,189 und Gott 8-10 — , philosophische 66, 71 —73 — , spekulative 5 8 — 60 -, theologische l - 2, 3, 73 - 75 Zölibat 187

Zufälligkeit 12, 106-115, 143-144 Zweck 41, 63, 108, 117-128, 139, 144-145 -, Endzweck 146-148 -, Zweckmäßigkeit 120 — 127