Die Stellung der praktischen Theologie im System der Wissenschaften [Reprint 2019 ed.] 9783111697611, 9783111309408

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Die Stellung der praktischen Theologie im System der Wissenschaften [Reprint 2019 ed.]
 9783111697611, 9783111309408

Table of contents :
Inhaltsverzeichnis
Einleitung
I. Die praktische Theologie als psychologische und soziologische Technik?
II. Die praktische Theologie als theologische Formsystematik
III. Die Eingliederung historischer, psychologischer und soziologischer Untersuchungen in die praktische Theologie
IV. Die Methode der praktischen Theologie
V. Die praktische Theologie im System der Wissenschaften

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Studien zur praktischen Theologie Zur Reform der praktische« Theologie. Von Prof. D. Dr. Carl Clemen. (I, 1)

M. 1.30

Die Vorbildung zum Pfarramt der Volkskirche. Don Prof. D. Karl Caer. M. 1*30

(I, 2) Von Pastor Hans Haupt M. —.90 (I, 3) Die evangelische Kirchgemeinde. Don Prof. D. Dr. Martin Schian. M. 2.— (I, 4) Kirche und Sozialdemokratie. Don Pastor Georg Liebster. M. 2.60 (H, 1) Probleme der Gefangenenseelsorae und Entlaffenenfürsorge. Don Kons.Nat Pastor Dr. G. von Rohden. M. 2.70 (II, 2) Die Evangelisationsarbeit in der belgischen Misfionskirche. Don Pastor Georg Fritze. M. 1.20 (II, 3)

Die Eigenart der amerikanischen Predigt.

Ausfichten und Aufgaben der evangelischen Landeskirchen in der Gegenwart. Don Prof. D. Heinrich Matthes. M. 1.90 (III, 1) Der Religions- und Moralunterricht in den Ver. St. v. Nordamerika. Von Prof. 1). Dr. Carl Clemen.

M. 1.30

(III, 2)

Staat und Kirche in den Vereinigten Staaten von Nordamerika. Von Pastor Hans Haupt.

(in, 3) Von Pfarrer D. Dr. Julius B0ehmer. M. 3.90 (III, 4) Unsere Predigt vom auferstandenen Heiland. Von Pastor D. Dr. Ernst Schubert. M. 1.80 (IV, 1) Kirchenkunde der reformierten Schweiz. Von Pfarrer Lic. Carl Stuckert. (Kirchenkunde des ev. Auslandes I.) M. 3.70 (IV, 2) Norwegische Kirchenkunde. Don Pfarrer Marcus Gjessing. (Kirchenkunde des ev. Auslandes II.) M. 1.20 (IV, 3) Taufe und Abendmahl im kirchlichen Unterricht der Gegenwart. Von Prof. D. Karl Eger. 2. Auflage. M. 2.50; geb. 4.— (V, 1) Das kirchliche Leben Schottlands. Don Pfarrer Lic. Dr. Otto Dibelius. (Kirchenkunde des ev. Auslandes III.) M. 5.20 (V, 2) Lebendige Gemeinden. Festschrift, Emil Sülze zum 80. Geb. dargebr. von Clemen, Eger, Grünberg, Kirmß, Kötzschke, Lammers, Matthes, Müller, Niebergall, Schian, Schoell, Siegmund-Schultze, Spitta, Stock. M. 3.70 (VI, 1) Schwedische Kirchenkunde. Von Prof. D. Edvard Nodhe. (Kirchenkunde des ev. Auslands IV.) M. 2.20 (VI, 2) M. 1.60

Dorfpfarrer und Dorfpredigt.

Neue Beiträge zur Reform unsrer Agenden, insbesondere der preußi­ schen. Von Prof. D. Julius Smend. M. 2.50 (VI, 3) Die Geschichte des christlichen Gottesdienstes unter dem Gesichtspunkt der liturgischen Erbfolge. Don Prof. Dr. Franz Rendtorff. M. 1.50 (VII, 1) Don Pfarrer D. Franz Koehler. M. 1.80 (VII, 2) Die Frömmigkeit der deutschen Kriegslyrik. Von Pfarrer Lic. Otto Herpel. M. 3.60 (VII, 3) Grundfragen der praktischen Theologie. Das kirchliche Leben in seinen elementaren Funktionen und Gemeinschaftsformen. Don Prof. D. Eduard Frei­ herrn v. d. Goltz. M. 4.50 (VIII, 1)

Die deutsch-protestantische Kriegspredigt der Gegenwart.

Die Stellung der praktischen Theologie im System der Wiffenschaften. Don Priv.-Doz. Pfarrer Adolph Allwohn. (VI1I, 2) Das kirchliche Leben Finnlands. Don Pastor Lic. G. Sentzke. (Kirchen­ kunde des ev. Auslandes V.) Im Druck. (VIII, 3)

Studien zur praktischen Theologie gegründet von Carl Clcmen, gemeinsam mit D. Eduard Fehrn, v. d. Goltz D. Franz Rendtorff D. Dr. Martin Schian

herausgegebcn von D. Karl Eger o. Profeffor in Hall«

8. Band Heft 2

'

Die Stellung der praktischen Theologie im System der s88 von

Adolf Allwohn Privatdozent für praktische Theologie an der Universität Gießen Lic. theoL, Dr. phil., Pfarrer in Walldorf (Heffen)

Verlag

von Alfred

Töpelmann 1931

in

Gießen

Inhaltsverzeichnis. Seite Einleitung...................................................................................................... 3 I. Die praktische Theologie als psychologische und soziologische Technik? . . 5 II. Die praktische Theologie als theologische Formsystematik.......................... 14 III. Die Eingliederung historischer, Psychologischer und soziologischer Unter­ suchungen in die praktische Theologie................................................ 22 IV. Die Methode der praktischen Theologie.................................................... 25 V. Die praktische Theologie im System der Wissenschaften.............................. 32

Einleitung. Die Beantwortung der Frage nach der Stellung der praktischen Theologie im System der Wissenschaften hat in der Gegenwart mit zwei Schwierigkeiten zu kämpfen. Auf der einen Seite ist die Untersuchung der Aufgabe der Theologie im Allgemeinen und der praktischen Theologie im Besonderen heute mehr denn je im Fluß, und auf der anderen kann man nicht sagen, daß die philosophische Wifsenschaftslehre zu einem Systemaufbau gekommen wäre, welcher der Eigenart der Theologie genügend Rechnung trägt. Die aufge­ worfene Frage kann demnach nicht so beantwortet werden, daß man sich darauf beschränkt, für die praktische Theologie den paffendsten Platz im System der Wissenschaften aufzusuchen. Weder ist ja diese Disziplin nach Forschungsgegenstand und -Methode eindeutig festgelegt, noch besteht ein anerkanntes System der Wissenschaften, in das die praktische Theologie ohne Weiteres eingefügt werden könnte. Die beiden miteinander in Beziehung zu setzenden Größen sind also völlig unbestimmt, weshalb auch nicht mit ihnen als Gegebenheiten operiert werden kann. Angesichts dieser Lage wird man nur so verfahren können, daß man von dem konkreten Zu st and der praktischen Theologie ausgeht. Es werden zunächst die Fragen zu beantworten sein, welche Gegenstände die Disziplin bisher behandelt hat und wie sie dabei verfahren ist. Im Zusammenhang damit werden die Forde­ rungen anzuführen sein, die von der neueren Theologie aus hinsichtlich der Aufgabe der praktischen Theologie geltend gemacht worden sind. Dabei wird sich dann die Möglichkeit ergeben, in kri­ tischer Auseinandersetzung sowohl mit dem bestehenden Zustand wie mit den aufgestellten Forderungen die Sonderausgabe unserer Disziplin zu umreißen und systematisch zu begründen. In diesen Bemühungen um Forschungsgegenstand und Methode der praktischen Theologie wird gleichzeitig schon eine Abgrenzung von den übrigen theologischen Disziplinen und eine Aufweisung der gegenseitigen Beziehungen inner­ halb der Gesamttheologie vorgenommen werden müssen. Erst wenn so die Aufgabe und das Verfahren der praktischen Theologie umrissen 1*

4 und ihr Platz innerhalb der Theologie bestimmt ist, wird der Versuch unternommen werden können, ihre Stellung im System der Wissenschaften aufzuweisen. Es kann sich dabei allerdings nur um einen Versuch handeln, weil das Verhältnis der Theologie zur Wissenschaft heute mehr denn je völlig ungeklärt ist und weil eine Be­ mühung um diese grundlegende Frage nicht von einer einzelnen Disziplin der Theologie aus unternommen werden kann. Über ein tastendes Vorfühlen wird man bei diesem Problem erst dann hinauskommen können, wenn von Seiten der philosophischen Wifsenschaftssystematik aus ein Aufbau vorgenommen wird, in den die Theologie ohne Ver­ leugnung ihres eigentlichen Anliegens eingefügt werden kann.

i. Die praktische Theologie als psychologische und soziologische Technik? Im Jahre 1910 hat Paul Drews in seiner Schrift: „Das Problem der praktischen Theologie" (S. 13 f) darüber Klage geführt, daß diese Disziplin so gering geschätzt und nur als das „Aschen­ brödel der Theologie als Wissenschaft" angesehen werde. Damals stand die Wissenschaftlichkeit der praktischen Theologie in Frage, und es gab nicht wenige Theologen, die sie ihr absprachen. Heute, in einer völlig veränderten Lage der Theologie, wird der Wissenschafts­ charakter der gesamten Theologie in Zweifel gezogen (vgl. Karl Barth, „Die Theologie und der heutige Mensch" in „Zwischen den Zeiten" 1930, Heft 5, S- 374 ff und Heinrich Scholz, „Wie ist eine evangelische Theologie als Wissenschaft möglich?" ebenda 1931, Heft 1, S. 8), weshalb man annehmen sollte, daß die praktische Disziplin innerhalb der Theologie nicht mehr einer besonderen Abwertung unterworfen wird. Und doch wird man nicht behaupten können, daß sie inzwischen aus ihrer Aschenbrödelstellung erlöst worden ist. Der praktische Theologe kann zwar mit Befriedigung feststellen, daß das Objekt seiner Forschung, nämlich das gegenwärtige Handeln der Kirche, nicht mehr so beiseite gesetzt und der Lehre und der Kirchengeschichte untergeordnet wird, wie das früher der Fall war. Ja man kann sogar feststellen, daß Leben und Betätigung der Kirche weithin im Mittelpunkt der theologischen Diskussion stehen. Wird nicht in unserer Zeit Wesen und Bedeutung der Kirche fast in allen theologischen Disziplinen mit großer Eindringlichkeit behandelt? Ist nicht von Karl Barths Römerbriefkommentar an die sogenannte praktische Auslegung der heiligen Schrift aufs stärkste in den Vorder­ grund getreten? Haben nicht in der jüngsten Vergangenheit hervor­ ragende Systematiker, Religions« und Kirchengeschichtler wie etwa Otto, Heiler, Althaus, Frick, Linderholm, Reinhold Seeberg, Karl Holl, Lütgert, Heim und andere, sich intensiv mit den aktuellen Fragen des Kultus, der Kirchengestaltung, der Äußeren und Inneren Mission be-

ß schäftigt? Und schließlich: hat nicht der Gegenstand der Homiletik, die Predigt der Kirche, eine ganz überragende Bedeutung dadurch ge­ wonnen, daß Karl Barth in seiner Dogmatik sie zur Grundlage und zum eigentlichen Objekt der Glaubenslehre gemacht hat? „Die kirchliche Predigt ist der methodische Ausgangspunkt und das praktische Ziel der Dogmatik", so definiert er in seiner 3. These (Karl Barth, „Die Lehre vom Worte Gottes", Prolegomena zur christlichen Dog­ matik, 1927, S. 18). Wenn so die Gegenstände der praktischen Theologie eine neue Hochschätzung erfahren haben, dann sollte man eigentlich auch annehmen, daß dieser Disziplin selbst nunmehr eine größere Bedeutung zuge­ sprochen würde. Dem ist nun nicht so. Vielmehr wird nach wie vor die praktische Theologie zur Seite geschoben, wie aus folgenden Ein­ leitungsbemerkungen in Karl Barths Dogmatik deutlich zu ersehen ist: „Dogmatik ist eine bestimmte Bemühung um die christliche Rede. . . . Nicht etwa wie die Homiletik die Bemühung um ihre rhetorische Wirksamkeit, . . . sondern einzig und allein: die Bemühung um die Rechtmäßigkeit . . . ihres Inhalts . . .". In dieser Abgrenzung der Dogmatik von der praktischen Theologie wird der letzteren nur die Bemühung um die Rhetorik, also um etwas Nichttheologisches, zugewiesen. Und das ist nun die Frage, die sich in der gegen­ wärtigen Situation erhebt: „Kann die praktische Theologie mit einer derartigen Bestimmung ihrer Aufgabe einverstanden sein, kann sie sich mit einer Bemühung um die äußere Form begnügen, oder muß sie der Systematik, vor allem der Dogmatik Karl Barths, den Borwurf einer unzulässigen Grenzüberschreitung machen, wenn von dieser Seite aus eine inhaltliche Bestimmung von Kirche, Kultus und Predigt vorge­ nommen wird?" Es mag gewiß zu verstehen sein, wenn der Vertreter einer Disziplin sein Arbeitsgebiet vor dem Eindringen Unberufener schützen will. Er kann darauf Hinweisen, daß ein Nicht-Fachmann gar nicht die Möglichkeit hat, mit der einschlägigen Literatur und mit der be­ sonderen Problemlage des ihm fremden Gebiets völlig vertraut zu sein. In der Tat kann man manchen praktisch-theologischen Schriften aus der Feder von Systematikern und Historikern den Borwurf der Literaturunkenntnis nicht ersparen. Und doch sollte es der praktische Theologe begrüßen, wenn von dem besonderen Forschungsgebiet des betreffenden Gelehrten aus ein vielleicht sehr förderlicher, jedenfalls aber mancherlei Anregungen bringender, Beitrag zur Lösung vor­ handener Probleme seines Gebiets beigesteuert wird. Er sollte es begrüßen, wenn z. B. Rudolf Otto eine Schrift „Zur Erneuerung und Ausgestaltung des Gottesdienstes" (Gießen 1925) schreibt und

darin liturgische Entwürfe darbietet, oder wenn der schwedische Neutestamentler Linderholm ein Lektionar mit Gebeten herausgibt und dabei eine Neuordnung des Kirchenjahres vornimmt, oder wenn Karl Holl einen Vortrag hält, der die Frage beantwortet: „Was können wir für die Neugestaltung des evangelischen Gottesdienstes von Luther lernen?" (Jahrbuch der Luthergesellschaft VI, 1924). Ebenso begrüßenswert ist es doch, wenn einzelne Dogmatiker sich noch besonders um die systematische Grundlegung der praktisch­ theologischen Arbeit bemühen und eine inhaltliche Bestimmung von Kirche, Gottesdienst und Predigt vornehmen. Ich denke dabei etwa an den Vortrag von Paul Althaus: „Das Wesendes evangelischen Gottesdienstes" (Gütersloh 1926) und vor allen: an die Dogmatik und an verschiedene Aufsätze Karl Barths, wie „Not und Verheißung der christlichen Verkündigung" („Das Wort Gottes und die Theologie", München 1925) und „Menschenwort und Gotteswort in der christ­ lichen Predigt", („Zwischen den Zeiten" 1925, S. 119). Man wird doch keinesfalls die einzelnen theologischen Disziplinen mit einer Mauer umgeben dürfen, sondern wird es begrüßen müssen, daß in der Gegenwart eine Öffnung der Grenzen vor allem nach der Seite der kirchlichen Praxis hin erfolgt ist. Wenn Schleiermacher Recht hat, daß die praktische Theologie die Krone des theologischen Studiums ist, dann muß doch die Hinordnung der einzelnen Disziplinen nach dieser Spitze ständig erfolgen, und dann ist es wohl auch gerechtfertigt, wenn verschiedentlich die Krönung nicht der Bemühung des Praktikers überlasten wird, sondern wenn der im Einzelfach vollzogene Aufbau bis hin zur Spitze geführt wird. Aber wir müssen noch weiter gehen und nicht bloß die Ausrichtung der einzelnen Disziplinen nach dem Abschluß des theologischen Studiums ins Auge fassen. Wir müssen vielmehr beachten, daß der Raum der gesamten theologischen Bemühungen doch nicht ein isoliertes Gebäude darstellt, sondern daß dieser Raum etwa mit dem Konstruk­ tionsbüro einer großen Fabrik zu vergleichen ist. So wie ein solcher Arbeitsraum samt der in ihm betriebenen Tätigkeit nicht seinen Sinn in sich hat, sondern auf der Grundlage des Fabrikzweckes beruht und die Fabrikation zum Ziel hat, ja als überprüfende Instanz ihr ständig beigeordnet ist, so ist es auch bei der Theologie. Theologie ist nur sinnvoll, ja überhaupt nur möglich auf dem Boden der Kirche, unter Hinwendung zur Kirche. Diese Einordnung in die Kirche hat sich in der jüngsten Vergangenheit wesentlich unter Besinnung auf die eigentliche Aufgabe der Theologie vollzogen. Wenn die Theologie von Gott reden soll, dann kann sie das nur auf Grund einer geschehenen und geschehenden Offenbarung. Nur wenn die vergangene Heils«

8 geschichte zu einem gegenwärtigen Ansprechen wird, nur dann kann Theologie mehr sein als Religionsgeschichte und -Wissenschaft. Nur wenn Gott durch den heiligen Geist den Menschen beruft, erleuchtet, heiligt und erhält, nur dann ist Glaube, Glaubensaussage und Theo­ logie möglich. Dann muß aber auch das Werk des heiligen Geistes und seine Offenbarungsstätte, nämlich die christliche Kirche, ständig im Mittelpunkt aller theologischen Bemühungen stehen. Bon hier aus werden wir sagen dürfen, daß die Beschäftigung mit dem gegenwärtigen Handeln der Kirche, also mit Gottesdienst, Predigt, Lehre, Unterricht, Äußerer und Innerer Mission keinem Theo­ logen verwehrt werden darf. Im Gegenteil: diese Bemühung um das kirchliche Handeln oder zum mindesten die innere Hinwendung aller theologischen Arbeit auf das Leben der Kirche ist von allen Theologen zu fordern, und es ist nur zu bedauern, daß man Jahrzehnte hindurch glaubte, die Einfügung der Theologie in die Kirche getrost dem Praktiker überlassen zu dürfen, der dann seine ihm zugedachte Aufgabe oft in der Weise löste, daß er bestimmte: die Theologie kann nicht in die Kirche eingefügt werden. Nicht Theo­ logie, sondern Religion ist in Predigt, Unterricht und Seelsorge den Menschen zu bringen, so ist immer wieder von praktischen Theologen betont worden, als ob nicht jedes christlich-religiöse Reden zum mindesten ein Anheben der Theologie wäre. Weshalb unter diesen Umständen überhaupt noch Theologie studiert werden mußte, ist nicht einzusehen, und es ist wirklich zu begrüßen, daß dieser unmögliche Zustand all­ mählich sein Ende findet. Unter den früheren Umständen konnte man es dem ins praktische Amt eintretenden Kandidaten wirklich nicht ver­ denken, daß er sich alle Mühe gab, die mühsam erworbenen theologi­ schen Kenntnisse so schnell wie möglich als unnützen Ballast wieder über Bord zu werfen. Schon um diesem widersinnigen Zustand ein Ende zu bereiten, muß die Einfügung der Theologie in die Kirche gefordert werden, muß das Reden von Gott ganz von der Grundlage der durch die Kirche vermittelten und zu vermittelnden Anrede Gottes ausgehen und darauf hinzielen. Wenn aber nun, wie es sich in der Gegenwart deutlich anbahnt, in den einzelnen Disziplinen die Linien bis zum gegenwärtigen Handeln der Kirche ausgezogen werden, wenn Kirche, Kultus, Predigt und Mission in der historischen und systematischen Theologie weitgehend behandelt werden, dann ist doch wohl die praktische Theologie über­ flüssig getoorden. Allein es ist beachtenswert, daß diese Konsequenz aus dem sich jetzt anbahnenden Zustand noch nicht gezogen worden ist. Man möchte also die praktische Theologie nicht missen. Die Monopol­ stellung hinsichtlich der Gegenstände: Kirche, Kultus, Predigt usw. kann

man ihr allerdings nicht mehr überlassen, aber man hält sie noch für notwendig zum Erteilen praktischer Anweisungen, wie ja aus der erwähnten Bestimmung von Karl Barth, die Homiletik soll sich um die rhetorische Wirksamkeit der Predigt bemühen, unschwer zu ersehen ist. Die praktische Theologie soll also „der Posten sein, durch welchen die Landeskirche ihrem „Nachwuchs" zum Übergang in die

Praxis behilflich ist", so heißt es gelegentlich in „Zwischen den Zeiten" 1927, Heft 1, S. 82 anläßlich einer Besprechung von Karl Fezer „Das Wort Gottes und die Predigt". Um dieser Aufgabe willen glaubt man, die Disziplin der praktischen Theologie nicht entbehren zu können. Im Hinblick darauf ist nun die schon aufgeworfene Frage zu be­ handeln, ob sich die praktische Theologie mit dieser Bestimmung ihrer Aufgabe einverstanden erklären und ob sie sich mit der Bemühung um die äußere Form begnügen kann. Wenn man sich zunächst einmal an die im Pfarramt stehenden Theologen mit der Aufforderung, diese Frage zu beantworten, wendet, dann kann man wohl vielfach ein starkes „Ja" hören. Wirklich praktische Anweisungen sind das Wichtigste, was ein Kandidat mit auf den Weg bekommen kann, so wird weithin behauptet (vgl. Wilhelm Bornemann, „Unzulänglichkeit des theo­ logischen Studiums der Gegenwart" 1886). Je mehr also der praktische Theologe seinen Hörern sagt: „Es war mit der grauen Theorie gar nicht so ernst gemeint" (a. a. O.), um so besser ist es. Was nützen alle schönen Erörterungen, so sagt man etwa, was nützt das Eindringen in die Tiefen der Gottesgelehrtheit, wenn dem an­ gehenden Pfarrer nicht ganz deutlich gesagt wird, wie er das alles an den Mann bringen soll? Die Unbeholfenheit der Anfänger ist ja riesengroß, und es werden in Unmenge Fehler begangen, die nicht wieder gut zu machen sind, und das alles nur deshalb, weil noch viel zu wenig zu wirklich praktischem Verfahren erzogen wird. Und nicht nur die Anfänger benötigen solche praktischen Anweisungen, auch die in der Praxis stehenden Pfarrer, die schon einen reichen Schatz von Amtserfahrungen gesammelt haben, sehen sich doch immer wieder in Lagen versetzt, in denen ihnen die Frage kommt: „wie mache ich es nun?" und in denen sie nach brauchbaren Vorschlägen der gelehrten und erfahrenen Sachverständigen Ausschau halten. Wir können in der Tat feststellen, daß weithin ein starkes Be­ dürfnis nach praktischen Anweisungen vorhanden ist, und da diese von keiner anderen Disziplin gegeben werden, so besteht darin die Recht­ fertigung des Daseins der praktischen Theologie. So ist ja diese Disziplin auch von Schleiermacher begründet worden, nämlich „als die Technik zur Erhaltung und Vervollkommnung der Kirche"

10 (vgl. Schleiermacher „Praktische Theologie" S. 25). Und so ordnet auch Paul Tillich in seinem „System der Wissenschaften" (Göttingen, 1923, S. 152) „das eigentlich praktische Material", das in unserer Disziplin zu bieten ist, in „die psychologische und soziologische Technik" ein. Dieser technische Charakter der praktischen Theologie hat auch in den letzten Jahrzehnten eine ganz besondere Verstärkung erfahren, und zwar insofern, als man ihr eine Reihe von Fächern angegliedert hat, die eine genaue Kenntnis der zu bearbeitenden empirischen Wirklichkeit vermitteln sollen. Man hat die praktischen Anweisungen an den Ge­ setzmäßigkeiten und Tatbeständen im Seelenleben der Einzelnen und der Gemeinschaft orientiert und so Kirchenkunde, Volkskunde, Religions­ psychologie und -soziologie dem Aufgabenkreis unserer Disziplin hinzugefügt. Aber, obwohl so vieles für eine Beschränkung der praktischen Theologie auf das Geben technischer Anweisungen zu sprechen scheint, so besteht doch eine Reihe schwerwiegender Bedenken gegen diese Einengung. Die praktische Theologie als Universitätsdisziplin ist gar nicht in der Lage, eine Einführung ins Pfarramt zu bieten. So wie man sicher nicht dadurch schwimmen lernt, daß man einige Vorlesungen über das Schwimmen hört, so wird man auch nicht dadurch ein Prediger, daß man die homiletischen Kunstregeln seinem Gedächtnis einverleibt. Die moderne Pädagogik mit ihrer Be­ tonung des, Arbeitsschulprinzips hat uns doch deutlich gezeigt, daß nur solche Kenntnisse wirklich gewonnen werden, die selbsttätig er­ arbeitet und im eignen Schaffen erprobt wurden. Praktische An­ weisungen können deshalb nur Hand in Hand mit einem wirklichen Hineinwachsen der „Lehrlinge" in die Tätigkeit gegeben werden. Diese Einführung kann aber die praktische Theologie an den Universitäten nicht bieten, da sie nicht unmittelbar in der kirchlichen Arbeit steht, so daß auf den von ihr geschaffenen Übungsfeldern, den Seminaren, nur ein Üben am Phantom möglich ist. Ja selbst in den kirchlichen Lehrwerkstätten der Predigerseminare ist ein wirkliches Hineinwachsen in die Praxis nur teilweise gegeben, denn die in den Seminargottes­ diensten anwesende Schar der kritischen Kollegen ist nicht im geringsten eine Gemeinde. Praktische Anweisungen können deshalb eigentlich nur int Lehrvikariat gegeben werden, und nur im Sammeln eigener Erfahrungen lernt der angehende Pfarrer. Es ist weiterhin zu beachten, daß nichts langweiliger wirkt als das Aufzählen abstrakter Regeln. Der Student, der noch keine eigene Anschauung von der Wirklichkeit der Pfarramtsführung, von den hier vorliegenden Notwendigkeiten und Schwierigkeiten hat, kann die Bedeutung der gegebenen Regeln nur in ganz geringem Maße

würdigen. Er hat deshalb oft den Eindruck, daß ihm Selbstverständ­ lichkeiten vordoziert werden. Infolgedessen braucht man sich wirklich nicht zu wundern, daß die praktische Theologie bei den meisten Studenten so unbeliebt war und daß ihre Unerheblichkeit völlig außer Frage stand. Die Beschränkung auf das Geben praktischer Anweisungen ist ferner deshalb bedenklich, weil dabei der Anschein erweckt wird, als wäre ein evangelisches Pfarramt nach festen Regeln zu führen. Die katholische Kirche kann auf Grund ihrer Voraussetzungen kasuistische Gesetze auch für das Handeln des Pfarrers geben. Ju der evangelischen Kirche aber gilt das, was Luther in der Vorrede seiner Deutschen Messe hinsichtlich seiner Gottesdienstordnung geschrieben hat, auch für die Gestaltung der pfarramtlichen Tätigkeit überhaupt: „Bor allen dingen will ich gar freundlich gebeten haben, auch umb Göttis willen alle die ienigen, so diese unser ordnunge ym Göttis dienst sehen odder nach folgen wollen, das sie ia keyn nöttig gesetz draus machen, noch yemands gewissen damit verstricken odder sahen, sondern der Christ­ lichen freyheyt nach yhres gefallens brauchen, wie, wo, wenn und wie lange es die fachen schicken und foddern" (W A 19, 72). Es ist klar, daß Anweisungen, die von autoritativer Seite aus gegeben werden, leicht in unzulässiger Weise als nötige Gesetze verstanden werden. Eine Beschränkung auf praktische Anweisungen würde ferner die Wirksamkeit der Pfarrer noch unlebendiger machen, als sie ohne­ hin schon ist. Mit Bedauern muß man ja immer wieder feststellen, daß beim Eintritt ins praktische Amt die lebendige Geisteskraft gar zu bald nachläßt und schließlich ganz verschwindet. Gewiß ist e- für den Anfänger nicht leicht, den vorhandenen Gang der Dinge zu durchbrechen, da er noch viel zu sehr mit rein technischen Schwierigkeiten und Hemmungen zu ringen hat, als daß er die Kraft zu Neugestal­ tungen aufbringen könnte, und gewiß ist zunächst einmal eine Ein­ fügung in das Hergebrachte und in Übung Befindliche zu fordern.

Aber daß auch nach dieser Eingewöhnung das schaffende Gestalten und vor allem das freudige Erfüllen der vorhandenen Formen mit lebendigem Gehalt so vielfach vor einer schablonenmäßigen Erledigung zurücktritt, ist sehr zu beklagen. Dieser Zustand wird natürlich nur noch ver­ schlimmert, wenn das Hineinführen in die herrschende Form schon auf der Universität vorgenommen wird. Allerdings ist das Berfinken in Routine und Schablone nicht etwa deshalb zu verwerfen, weil die freie Entfaltung der Persönlichkeit des Pfarrers so überaus wichtig wäre. Im Gegenteil — für die sich breit machenden Besonderheiten und Eigentümlichkeiten Einzelner ist in der Kirche kein Raum. Wenn das Hineinzwängen in starre Regeln verworfen wird, dann handelt es sich

12 vielmehr darum, daß dem lebendigen und ständig erneuernden Wirken des heiligen Geistes nicht durch das träge Beharren eine Hemmung bereitet wird. Wenn sich die praktische Theologie schon auf technische Anweisungen beschränken will, dann kann sie diese doch nicht ohne grundsätz­ liche Erörterungen geben. Dabei genügt durchaus nicht das Aufstellen bloß-technischer Prinzipien, aus denen man dann Einzel­ regeln ableiten könnte, denn es kann ja sein, daß gewisse technische Gesichtspunkte aufs stärkste der inneren Wesenstendenz der Kirche Wider­ streiten. Man kann sehr wohl für die rhetorische Wirksamkeit der Predigt Grundregeln aufstellen; aber es fragt sich, ob bei ihrer An­ wendung die erzielte, rhetorisch wirksame Rede noch eine Predigt ist. Die Anwendung der rein technischen Formvorschriften wird also nur so weit gehen dürfen, als das Wesen der zu gestaltenden Sache nicht angetastet wird. Es wird also eine Umreißung der technischen Prin­ zipien in einer grundlegenden Wesensbesinnung vorgenommen werden müssen, wodurch aber der Rahmen der Technik überschritten wird. Dieser Sachverhalt läßt sich auch durch den Hinweis auf Tillichs „System der Wissenschaften" beleuchten. Obwohl in diesem Werke die praktische Theologie in der Hauptsache den Seins- oder Realwissen­ schaften, nämlich der psychologischen und soziologischen Technik, zugewiesen wird, muß Tillich doch betonen, daß die Zwecksetzung der psychologischen Technik von den Normen des kulturellen Handelns über­ haupt und damit von den Norm- oder Geisteswissenschaften abhängig ist (a. a. O. S. 70). Die Frage, wozu erzogen werden soll, kann nicht von einer Beachtung des realen Seins, sondern nur von einer Normierung des geistig-kulturellen Lebens aus beantwortet werden. Und so stellt Tillich denn fest, „daß die entfaltende Technik, nament­ lich in der soziologischen Sphäre (gedacht ist an Gemeinschastsgestaltung und -führung) selbst schon unter normativer Zwecksetzung steht" und „daß das technische Handeln hier nicht mehr bloß einem pragmatischen, sondern dem unbedingten Zweck dient. Die Sozialfunktionen stehen unter den Normen der praktischen Reihe der Geisteswissenschaften" (a. a. O. S. 67). Die Sozialfunktion des Pfarramts, d. h. die Leitung einer Kirchengemeinde, darf also nicht nach bloßen Nützlich­ keitsgesichtspunkten ausgeübt werden, sie muß vielmehr immer ein letztes Ziel im Auge haben. Die psychologische und soziologische Technik, wie sie im Pfarramt angewendet wird, bedarf also einer Zwecksetzung, die nur in einer normativen Geisteswissenschaft, in einem deduktiven und systematischen Verfahren, gegeben werden kann. — Es ist also schon auf dem rein kulturellen Gebiet nicht möglich, Regeln für die Menschen- und Gemeinschaftsführung aufzustellen, wenn

man völlig im Gebiet der psychologischen und soziologischen Technik bleibt. Die Frage, wozu erzogen werden soll» kann nicht von der Pädagogik selbst beantwortet werden. Die Werte, zu denen der einzelne Mensch oder auch eine Gemeinschaft von Menschen hingeführt werden soll, müssen vielmehr in einer philosophischen Wertlehre, also in einer normativen Geisteswissenschaft, festgestellt werden. Nur von einer bestimmten Weltanschauung aus können Erziehungsziele gewonnen werden und es ist wohl einleuchtend, daß pädagogische Regeln in erster Linie durch das Erziehungsziel bestimmt sein müssen. So müssen auch die Regeln für das kirchliche Handeln, für diesen besonderen Fall der Menschen« und Gemeinschaftssührung, von dem in einer grundsätzlichen Besinnung zu erhebenden Ziel der kirchlichen Tätigkeit aus bestimmt werden. In der Zeit vor dem Kriege hatte man zuweilen alles Systematisieren, Deduzieren und Theoretisieren in der praktischen Theologie aufs heftigste bekämpft. Aber man mußte doch einsehen, daß ohne grundsätzliche Erörterungen gar keine technischen Regeln, die Anspruch auf Gültigkeit erheben, gegeben werden können, und so gehen denn auch alle Lehrbücher der praktischen Theologie mehr oder weniger von einer Prinzipienlehre aus. Der Haupteinwand gegen eine Beschränkung der praktischen Theo­ logie auf das Erteilen technischer Anweisungen ist aber der, daß sie damit aufgehört hätte, Theologie zu sein. Man müßte sie dann etwa Pfarramtskunde nennen und ihr das Heimatrecht in der theo­ logischen Fakultät nehmen. Diese Konsequenzen aber werden von niemand gezogen, und sie dürfen auch nicht gezogen werden, weil dann etwas Wichtiges nicht theologisch behandelt würde. Was ist aber nun dieses Wichtige, das einer theologischen Behandlung bedarf und das der praktischen Theologie als Objekt zuzuweisen wäre? Mit dieser Frage wird die Aufgabe in Angriff genommen, die den Ver­ tretern sämtlicher Disziplinen von der theologischen Situation unserer Zeit zugewiesen worden ist, nämlich ihre Arbeit in neuer Weise als theologische Bemühung zu orientieren. So weit ich sehe, ist wohl in den systematischen und historischen Fächern die Auseinandersetzung über die dadurch gegebene neue Haltung im Gange; in der praktischen Theologie aber scheint man die Aufgabe, den theologischen Charakter dieser Disziplin herauszuarbeiten noch nicht recht erkannt, geschweige denn gelöst zu haben.

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ii. Die praktische Theologie als theologische Formsystematik. Nach dem schon Ausgeführten ist es wohl klar, daß die Frage nach dem, was die praktische Theologie theologisch zu behandeln hat, nicht in der Weise von Karl Barths Dogmatik beantwortet werden darf, nämlich so, daß man ihr die Bemühung um die rhetorische Wirksamkeit der Predigt und um die äußere Wirksamkeit des gegenwärtigen Handelns der Kirche zuweist. Wenn es nur um diese Dinge ginge, dann wäre fürwahr ein moderner Organisator und Reklamefachmann eher am Platze als ein Theologe. Das hat ja neuerdings auch Karl Barth selbst mit einer nicht zu überbietenden Schärfe in dem Artikel Quousque tandem (Zwischen den Zeiten 1930, Heft 1) hervor­ gehoben. Wir dürfen also annehmen, daß die Bemerkung: die Homi­ letik hat sich nur um die rhetorische Wirksamkeit der Predigt zu be­ mühen, nicht das letzte Wort Karl Barths ist. Und in der Tat hat er auch schon in seinem Vortrag „Menschenwort und Gotteswort in der christlichen Predigt" (Zwischen den Zeiten 1925, Heft 2) auf die theologische Aufgabe unserer Disziplin hingewiesen. Er definiert hier die Homiletik als „die Kunstlehre einer Rede, die wirklich den Menschen vor Gott stellen soll", (S. 137) und führt das in folgender Weise näher aus: „Sie (die Theologie) müßte als Homiletik eine „Kunstlehre" sein wollen, die den zukünftigen Prediger auf das Ge­ dränge zwischen Gott und den Menschen, das seiner wartet, vorbereitet, nicht um ihm Anweisungen zu geben, sich daraus zu befreien, sondern um ihm klar zu machen, daß dort eben, in der Folge von Niederlagen, die seiner dort warten, die allenfalls „gut" zu nennenden Predigten geboren werden" (S. 139). Diese kurze Bemerkung hat wenigstens die Bedeutung, daß sie eine Begründung der Homiletik und damit auch der praktischen Theologie überhaupt als Theologie anbahnt. Es soll in ihr von dem Gedränge zwischen Gott und denMenschen anläßlich der Predigtgestaltung geredet werden. Der allge­ meinen Aufgabe der Theologie soll hier nach einer besonderen Seite hin und hinsichtlich besonderer Situationen nachgekommen werden.

Allerdings wird man nicht sagen können, daß Karl Barth in dieser Bemerkung den Gegenstand, den die praktische Theologie theo­ logisch zu behandeln hat, genügend umreißt und abgrenzt. In dieser Richtung müssen also noch weitere Überlegungen angestellt werden. Es

sei dabei von einer kritischen Bemerkung ausgegangen, zu der die eben angeführten Worte Karl Barths die Veranlassung bieten. Die prak­ tische Theologie darf doch nicht auf die Vorbereitung des zukünftigen Pfarrers beschränkt werden, wie es Karl Barth scheinbar tun will, wenn er davon spricht, daß die Homiletik den angehenden Prediger auf das Gedränge zwischen Gott und den Menschen Hinweisen soll. Gewiß ist die theologische Fakultät eine Lehranstalt, die künftige Pfarrer und Religionslehrer mit dem für ihren Beruf erforderlichen Fachwissen auszustatten und sie auf diese Weise heranzubilden hat, aber sie ist auch Forschungsinstitut, in dem theologische Bemühungen, abgesehen von ihrer unmittelbaren Verwendbarkeit für den sich hier vorbereitenden künftigen Kirchenbeamten, eine berechtigte Stätte haben (vgl. hierzu Karl Völker: „Die Stellung der praktischen Theologie in der theologischen Wissenschaft", Tübingen 1911). Und wenn wir noch bedenken, daß Theologie eine wesentliche Funktion der Kirche ist und daß so ihre Bemühungen von großer Bedeutung für alle Glieder der Kirche sind, dann wird es deutlich, daß eine Beschränkung auf die Vorbereitung der pfarramtlichen Tätigkeit unstatt­ haft ist. Das, was die praktische Theologie herkömmlich zu bearbeiten hat, das Handeln der Kirche, ist ja auch nach evangelischen Grund­ sätzen nicht nur den Pfarrern, sondern allen Getauften anheimgegeben. Verkündigen und Bezeugen ist Aufgabe eines jeden Christen, und selbst bei der Predigt ist nicht nur der Prediger in Tätigkeit, vielmehr ist das rechte Hören auch ein wichtiges kirchliches Handeln. Es ist also eine theologische Beleuchtung des gesamten kirchlichen Handelns in unserer Disziplin vorzunehmen. Praktische Theologie ist demnach mehr und etwas anderes als Pastoraltheologie, d. h. als theologische Be­ mühung um die besondere Situation der pastoralen Tätigkeit. An der angeführten Bemerkung ist aber auch der Ausdruck „Kunst­ lehre" zu beanstanden. Barth hat dieses Wort zwar mit den bei ihm so bedeutungsvollen Anführungszeichen versehen; er hat aber die damit verbundene Meinung nicht mitgeteilt, so daß wir uns eine Zurück­ weisung nicht ersparen können. Gewiß ist der Ausdruck „Kunstlehre" nicht als Anweisung zu einer künstlerischen oder kunstvollen Gestaltung aufzufassen. Das Wort „Kunst" ist hier nicht im ästhetischen, sondern im wirklichkeitsgestaltenden und produktiven Sinne zu verstehen. Aber selbst in dieser Bedeutung widerstreitet die Bezeichnung „Kunstlehre" der theologischen Aufgabe unserer Disziplin, da, wie wir ge-

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sehen haben, die Beschränkung auf technische Anweisungen an dieser vorübergeht. Nun kann allerdings nicht das gesamte kirchliche Handeln der prak­ tischen Theologie zugewiesen werden, da es ja auch den Gegenstand der historischen nnd der dogmatischen Disziplin bildet. Man hat zwar früher geglaubt, die Lehre der Kirche von ihrem Handeln unterscheiden zu können. In der theologischen Besinnung der Gegenwart hat man aber erkannt, daß die christliche Lehre nur in der aktuellen Ver­ kündigung der Kirche, also in einem Handeln, recht zu erfassen ist, da ein Ansprechen des Menschen zu ihren wesentlichsten Merkmalen gehört (vgl. den Vortrag von Friedrich Karl Schumann: „Kirche und Lehre" in Zwischen den Zeiten 1929, Heft 1). Die gesamte Theologie hat also das Handeln der Kirche zum Gegenstand, denn bei der historischen Theologie ist es unmittelbar deutlich, daß sie die Lebensäußerungen der Kirche in der Vergangenheit zu erforschen hat. Wenn man nun die verschiedenen Disziplinen innerhalb der Theologie unterscheiden will, dann kann man das vielleicht so machen, wie es Thurneysen in einer Besprechung des Buches von Karl Fezer, „Das Wort Gottes und die Predigt" gelegentlich getan hat. Thurneysen schreibt (Theologische Blätter 1926, Nr. 8, Sp. 197): „Die christliche Predigt ist das Kernproblem der Theologie. An der Tatsache der Predigt, dem christlichen Reden von Gott, nimmt sie ihren Ausgang. Daran, daß dieses christliche Reden von Gott zurückweist auf die Predigt der Kirche hinter uns, diese auf die sie begründende Predigt der Apostel, entsteht die historische Theologie im weitesten Sinne; daran, daß die Predigt in sich selber einen originalen Sinnzusammenhang verrät, entsteht die systematische, und daran daß diese Predigt weiter­ gehen will und soll, die sogenannte praktische Theologie mit ihrem Kern, der Homiletik". In diesen Ausführungen Thurneysens wird der Unterschied zwischen der historischen und der systematischen Theologie recht deutlich. Dagegen wird man nicht sagen können, daß ihm die Abgrenzung der praktischen von der systematischen Theologie über­ zeugend gelungen wäre. Denn, wenn die Dogmatik den Sinn der Predigt herausstellt, dann ist doch damit schon gegeben, daß diese weitergehen will und soll. Wer auf die Barthschen Prolegomena zur christlichen Dogmatik: „Die Lehre vom Worte Gottes", hinschaut und dabei besonders das letzte Kapitel: „Die Verkündigung der Kirche" ins Auge faßt, hat doch unmittelbar den Eindruck, daß hier von einem Weitergehenwollen und -sollen der Predigt die Rede ist. Wir werden also eine andere Unterscheidung der prakti­ schen Theologie von der Dogmatik vornehmen müssen, und zwar werden wir zu beachten haben, daß für das Weitergehenwollen und -sollen der Predigt doch auch ihre rechte Art und Gestaltung von

ausschlaggebender Bedeutung ist. Auch Thurneysen hat am Schlüsse seiner Ausführungen auf diesen Sachverhalt hingewiesen, indem er schreibt: es wird „vom Gestaltetsein, und von Form und Gehalt dieses Redens etwas gesagt werden müssen" und „es werden sich Formgesetze der Predigt finden lassen, Kriterien, an denen die guten von den weniger guten geschieden werden können" (a. a. O. Sp. 203). Wenn wir diese Erkenntnis auf die gesamte praktische Theologie ausdehnen, dann können wir sagen: im Unterschied von der Dogmatik, die sich um den Sinn des Predigtinhalts oder der christlichen Glaubensaus­ sagen zu bemühen hat, ist es die Aufgabe der praktischen Theologie, die Formgestaltung der christlichen Verkündigung und des kirchlichen Handelns überhaupt nach der Seite ihrer Rechtmäßigkeit hin zu untersuchen. Und das ist nun das Wichtige, das von den anderen theologischen Disziplinen nicht behandelt wird, nämlich die Art und Weise der Konkretisierung der Kirche. Wie soll das kirchliche Handeln in der Gegenwart gestaltet werden? Das ist die Hauptfrage der praktischen Theologie. Nur in der Behandlung dieser Frage bearbeitet unsere Disziplin ein selbständiges Gebiet. Was die Kirche ist und was sie zu tun hat, was christliche Verkündigung ist und daß sie geschehen soll, das wird von der Dogmatik und der Ethik zu sagen sein, aber die Formung der Kirche und das Wie ihres Handelns wird von der praktischen Theologie bestimmt werden müssen. Dabei ist zu beachten, daß sie diese Aufgabe in theologischer Erörterung in Angriff nehmen muß. Mit dieser Forderung wird nun nicht eine heterogene Betrachtungs­ weise an das zu untersuchende Objekt herangetragen, vielmehr ergibt sich die Notwendigkeit einer theologischen Behandlung unmittelbar aus der Tatsache, daß es sich eben um die Gestaltung der Kirche handelt. Von der christlichen Kirche aber kann rechtmäßig nur gesprochen werden im Hinblick auf das sie begründende Faktum der göttlichen Offenbarung, also nur im Reden von Gott, in der Theologie. Es kann sein, daß diese Betonung der Form des kirchlichen Handelns mannigfachen Bedenken begegnet; zum mindesten wird man, zumal auf protestantischem Boden, geneigt sein, sie als eine höchst unwichtige Sache anzusehen. Es ist gewiß Tatsache, daß man in der evangelischen Kirche der Vergangenheit nur höchst selten Er­ wägungen über die rechte Form der kirchlichen Betätigung angestellt hat. Man verhielt sich größtenteils gleichgültig ihr gegenüber und konnte das auch so lange sein, als die der evangelischen Kirche in ihrer geschichtlichen Entwicklung zuteil gewordenen Formen in Kraft und fern aller Fragwürdigkeit standen. Das Gewohnte und Bewährte fordert ja keine Besinnungen und kritischen Erwägungen heraus. In der gegenwärtigen Krisis der evangelischen Kirche aber ist die Auf-

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merksamkeit auch auf die Formgestaltung des Gottesdienstes, des Religionsunterrichtes usw. gelenkt worden. Formerwägungen werden ja meistens nur in Zeiten des Umbruchs, wenn alte Formen kraftlos werden und neue anheben wollen, stärker zutage treten. Aber die Beachtung der kirchlichen Formen in der Gegenwart ist doch nichts völlig Neues; wir können vielmehr feststellen, daß z. B. Luther in seinen gottesdienstlichen Schriften und in seinen Abhand­ lungen zur Kirchenfrage eine ganze Fülle von echt-theologischen Formerwägungen angestellt hat. Man muß sich allerdings von dem Mißverständnis frei halten, daß unter Form etwas Äußerliches, von außen Herangebrachtes, wie etwa Umkleidung, Einrahmung oder Dekoration, verstanden werden muß. Das äußere Rankenwerk hat Luther gewiß gering geachtet, nicht aber die rechte Art der Predigt, des Sakramentsvollzugs, des Gottesdienstes, der Gemeindegestaltung usw. Und das ist es, was hier unter Form verstanden werden soll, nämlich die verschiedene Art und Weise des kirchlichen Handelns. Das der Kirche aufgetragene Handeln ist die Verkündigung. Diese aber ge­ schieht in der Form der Predigt, des Unterrichts, der Seelsorge, der Liebestätigkeit usw., und jede einzelne dieser Handlungen hat wieder die verschiedensten Formmöglichkeiten. Diese Formen sollen einer theo­ logischen Erwägung unterzogen werden. Im neutestamentlichen Zeit­ alter sind solche theologischen Formerwägungen vor allem von Paulus angestellt worden. Seinen ersten Brief an die Korinther kann man, wenigstens in den vom Gemeindeleben handelnden Teilen, als den Prototyp der praktischen Theologie bezeichnen. Mit dem Hinweis auf diesen Brief, vor allem auf die Kapitel 12—14, läßt sich auch am besten die rechte Methode der theologischen Formerörte­ rungen kennzeichnen. Wir können bei Beachtung des hier geübten Verfahrens feststellen, daß Paulus nicht nur den Inhalt der kirchlichen Verkündigung, sondern auch die Art und Weise des Vollzugs dieser Verkündigung im Handeln der Gemeinde, also im Zungenreden, im Weissagen, in den Abendmahlsfeiern usw., auf die Offenbarung Gottes in Jesus Christus begründet. Die Bezeugung des Glaubens muß nach Inhalt und Form ihre Rechtmäßigkeit vor Christus erweisen. Wenn so auch die Formerwägungen und -entscheidungen auf dem einen Grunde, der gelegt ist, aufgebaut werden, dann ergibt sich daraus, daß die praktische Theologie ebenso wie die Dogmatik eine syste­ matische Disziplin ist. Es ist nämlich das Kennzeichen der Systematik, daß in ihr die theoretischen Einzelbemühungen streng an das grundlegende Prinzip angeschlossen werden, so daß dann alle Teile in einem inneren Zusammenhang stehen. Es wird wohl nicht bestritten werden, daß das neue Testament mehrfach die Art und Weise der christlichen Verkündigung und des

kirchlichen Handelns bespricht (vgl. auch die Aussendungsreden Jesu, seine Worte über das rechte Almosengeben, Beten und Fasten (Mtth. 6), die Regeln über das Verfahren bei Streitfällen in der Gemeinde (Mtth. 18) u. a. m.). Aber es können Bedenken hinsichtlich der Ver­ wendung des Ausdrucks „Form" zur Bezeichnung der Art und Weise der Verkündigung geltend gemacht werden. Es kann eingeworfen werden, daß „Form" kein theologischer Begriff ist. Man wird gewiß zugeben müssen, daß der Formbegriff in der Gegenwart nicht unbelastet ist. Die Form wird vom Idealismus und vor allem von der Romantik her als das Korrelat zum Inhalt und somit als Offenbarerm der in einer gestalteten Wirklichkeit schlummernden Tiefe angesehen. Bei der Anwendung des Formbegriffs auf das Gebiet des kirchlichen Handelns besteht deshalb die Gefahr, daß die Gestaltung der Verkündigung insofern eine unzulässige Betonung erfährt, als sie zur direkten Enthüllung des Wortes Gottes erhoben wird. Damit wäre dann auch das Wort Gottes zu einer endlichen Größe herab­ gedrückt worden, zu einer Größe, die man auf dem Wege der Form­ betrachtung und -deutung erfassen könnte. Die Gefahr der Säkulari­ sierung besteht durchaus, wenn von dem Worte Gottes als dem In­ halt und von der Gestaltung der Predigt als der Form der christlichen Verkündigung geredet wird. Aber es ist doch zu beachten, daß ebenso wie die kirchliche Ver­ kündigung immer nur unter den Bedingungen menschlichen Redens geschieht, so auch die theologische Begriffsbildung immer nur unter den Bedingungen menschlichen Denkens möglich ist. Da der Gegen­ stand der Theologie, nämlich Gott selbst, immer in seiner Unverfüg­ barkeit verbleibt, kann es keine Begriffe geben, die an sich theologisch wären. Es ist deshalb so, wie es Karl Barth in „Die Theologie und der heutige Mensch" (Zwischen den Zeiten 1930, Heft 5, S. 379) feststellt: „Theologie muß ja fortwährend werden, was sie ist: Indem ein an sich und als solches nicht theologisches Wissen um gewisse lite­ rarische und geschichtliche, psychologische, soziologische, logische und ontologische Sachverhalte kritisch in Beziehung gesetzt wird zum Wort Gottes. Ein Satz wird theologisch, sofern als er Frage oder als Antwort in dieser Beziehung steht." Es kann sich also in der theo­ logischen Begriffsbildung immer nur darum handeln, daß nicht-theo­ logische Begriffe so verwendet werden, daß die Gefahr der Verendlichung ihres Inhalts und ihrer Bedeutung durch die Jn-BeziehungSetzung zum Worte Gottes abgewehrt wird. Wenn das bei dem Gebrauch des Formbegriffs in der Theologie nicht vergessen wird, so ist nicht einzusehen, warum er nicht ebenso verwendet werden dürfte, wie es Karl Barth mit dem Begriff „Inhalt" tut, wenn er im ersten Satz seiner Dogmatik schreibt: „Dogmatik nennen wir die Bemühung 2*

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um die Erkenntnis des rechtmäßigen Inhalts christlicher Rede von Gott und vom Menschen". Man wird also sehr wohl in Abwandlung dieser Bestimmung sagen dürfen: „Praktische Theologie ist die Be­ mühung um die Erkenntnis der rechtmäßigen Form christlicher Rede von Gott und vom Menschen". Wenn ferner der Einwurf gemacht werden sollte, daß der Form­ begriff sich nicht im Neuen Testament vorfindet, so läßt sich darauf Hinweisen, daß der verwandte Ausdruck oyrjfia — Haltung, Gestalt, Form, Beschaffenheit (gleichbedeutend ist noQqrf) von Paulus gerade in seinen praktisch-theologischen Erörterungen im 14. Kapitel des 1. Korintherbriefes abschließend gebraucht wird: „nävta de euayi]/i6vti)g Kai xara tcx^lv yrveo&at". Das rechte fordert Paulus von dem Leib Christi und seinen Gliedern (1. Kor. 12, 27), d. h. von der Kirche. ist gewiß kein theologischer Begriff und die „gute Form" nicht das Letzte, das hinsichtlich des Handelns der Kirche zu verlangen wäre. Aber der genannte Ausdruck kann theologisch werden, wenn er in das Licht der Offenbarung Gottes gerückt wird. Was dann bei seiner Verwendung gesagt werden muß, lesen wir 1. Kor. 7, 31: „itaqdyei ydq t'o oyf^ia tov v.oouov tovtov" und Phil. 3, 21 „og (Jesus Christus) tieTaayr^iaTiaei t'o aüjfta ifjg vaneiviboewg fjfiGnt avfifioQqtov iw oihuari ifjg 86§iqg avrov“. An beiden Stellen wird die „Aufhebung" des oy^ia in der Offenbarung bezeugt und damit die „Form" der Welt, des Menschen und doch auch des Leibes Christi, der Kirche, unter das Gericht und die Gnade Gottes gestellt. Die „Aufhebung" durch die Offenbarung kann natürlich nicht eine Beseitigung bedeuten, da ja alles davon abhängt, daß das Wort Gottes in dieser unserer Wirklichkeit Fleisch wird und Gestalt annimmt. Unbeschadet der „Aufhebung" muß deshalb von Christus und der Kirche unter Verwendung des Formbegriffs gesagt werden: „iioQv yevofievog’ Kai oyr^taxi evqe&eig

Die Form der Kirche steht in der Krisis und ist der kommenden Umformung unterworfen, aber sie ist doch in diesem Zwischenzustand der Niedrigkeit Aufweisung der Offenbarung Gottes. Sie ist menschliche Form und doch noch etwas anderes, ebenso wie Christus nur „gleichwie ein anderer Mensch und an Gebärden als ein Mensch erfunden wurde". Die theologische Formenlehre wird sich demnach ganz zentral um die „Gleichnisfähigkeit" des Natürlichen und der kirchlichen Gestaltungen bemühen müssen (vgl. Emil Brunner, „Theologie und Kirche" in Zwischen den Zeiten, 1930, Heft 5, S. 398). Oder es wird, wie es Tillich ausdrückt (Religiöse Verwirklichung S. 161), als „eine grundlegende Aufgabe wissenschaftlicher Liturgik" erkannt werden müssen, „die Naturdinge, natürliche Situationen und das Wort systematisch auf ihre Mächtigkeit hin zu untersuchen."

Wenn die theologische Formsystematik in dieser Weise gefaßt wird, dann kann man gewiß geltend machen, daß sie eigentlich ein Teilgebiet der Dogmatik und Ethik sei. Das Generalthema der systematischen Theologie, nämlich die Offenbarung Gottes in Jesus Christus oder die Kirche, die unter den Bedingungen menschlichen Redens das Wort Gottes verkündigt, ist gewiß auch das Thema der praktischen Theologie. Aber es braucht daraus nicht der Schluß gezogen zu werden, daß die praktische Theologie nunmehr mit der Systematik verschmolzen werden müsse und in ihr aufzugehen habe. Eine Unterscheidung zwischen zwei Disziplinen ist nämlich auch dann möglich, wenn nur eine verschie­ dene Intention der Erkenntnisbemühungen vorliegt. Das aber wird man von der Systematik und der praktischen Theologie feststellen müssen, daß sie zwei verschiedene Richtungen innerhalb desselben Stoff­ gebietes einzuschlagen haben. Die Dogmatik muß von den Bedingungen menschlichen Redens aus auf das Wort Gottes Hinblicken, während die Intention der Praktischen Theologie umgekehrt vom Worte Gottes her auf die Offenbarungsformen geht. Die praktische Theologie hat der „vornehmsten Aufgabe der Kirche" zu dienen, nämlich „das Wort zu suchen, das Gott als Gefäß seines Wortes gebrauchen kann" (Brunner a. a. O. S. 403), während der Dogmatiker die „Frage nach der Rechtmäßigkeit des Inhalts der kirchlichen Verkündigung" zu er­ heben und die christliche Rede am Worte Gottes kritisch zu überprüfen hat (vgl. Karl Barth, „Die Lehre vom Worte Gottes", S. l f). Trotz dieser Unterscheidung wird allerdings zu beachten sein, daß die prak­ tische Theologie ein Teilgebiet der theologischen Systematik bleiben muß; denn sie wird das Wie der Verkündigung und des kirchlichen Handelns nie abgesehen von dem Grundprinzip sowohl der Theologie wie der Kirche, nämlich dem Worte Gottes, erwägen dürfen. Leider macht nun der Name „praktische Theologie" nicht im geringsten deutlich, daß es sich bei ihr um eine systematische Disziplin handelt. Immer wieder legt der Name das Mißverständnis nahe, daß es sich bei ihr lediglich um das Geben praktischer Anweisungen oder gar um eine praktische Tätigkeit im Gegensatz zu theoretischem Erkennen zu handeln hat. Gewiß kann eine nähere Betrachtung des Wortes „praktisch" ergeben, daß unsere Disziplin sich auf die Praxis, auf das Handeln, beziehen will. Aber 1. ist diese Beziehung nicht unmittelbar deutlich und 2. geht es gar nicht um die Praxis überhaupt, sondern um die Form des kirchlichen Handelns. Man müßte deshalb eigentlich nur von der „sogenannten" praktischen Theologie reden, oder diese Bezeichnung überhaupt vermeiden und dafür von kirchlicher oder theologischer Formenlehre sprechen.

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III. Die Eingliederung historischer, psychologischer und soziologischer Untersuchungen in die praktische Theologie. Es ist schon erwähnt worden, daß die praktische Theologie neben der Bestimmung des kirchlichen Handelns der Gegenwart herkömmlich auch noch andere Gebiete bearbeitet, nämlich Kirchenkunde, Volkskunde, Religionspsychologie und -soziologie. Es wäre weiter noch die historische Erforschung der Liturgie, des Kirchenliedes, des Religionsunterrichtes, der Kirchenverfassung, wie überhaupt des kirchlichen Handelns der Ver­ gangenheit, zu erwähnen. Da erhebt sich nun die Frage, ob eine Zusammenfassung dieser einzelnen Arbeitsgebiete zu einem geschlossenen Ganzen möglich ist. Diese Frage ist seither durchweg verneint worden. So schreibt Paul Althaus in seinem Grundriß der Dogmatik I (1929): „Die sogenannte „praktische Theologie" ist kein in sich ge­ schlossener und einheitlicher Teil der Theologie. Sie faßt traditionell Teile der historischen Theologie mit angewandter systematischer Theo­ logie, nämlich der Theorie des „Handelns der Kirche zu ihrer SelbstErbauung" (Harnack; E. Chr. Achelis), und technischen Anweisungen zusammen." Das, was Paul Althaus hier „angewandte systematische Theologie" nennt, ist schon behandelt worden. Wir konnten feststellen, daß in der kirchlichen Formenlehre das Verfahren der systematischen Theologie auf die gegenwärtige Gestaltung des kirchlichen Handelns anzuwenden ist. Es fragt sich nun, ob sich mit diesen Bemühungen Teile der historischen Theologie organisch verbinden lassen. Es ist wohl klar, daß der Vertreter der praktischen Theologie nichts weiter als Kirchenhistoriker ist, wenn er z. B. die Geschichte der Predigt oder des Gottesdienstes bearbeitet. Ebenso ist es aber auch der systematische Theologe, wenn er die Geschichte des Dogmas oder der protestantischen Theologie oder der Beziehungen zwischen Theologie und Philosophie erforscht. Gegen eine derartige Verbindung ist wohl so lange nichts einzuwenden, als die historische Arbeit von dem Systematiker und dem

Praktikeo sozusagen im Nebenamt betrieben wird. Und doch handelt es sich dabei nicht nur um ein Nebenamt; es wird vielmehr in der geschichtlichen Erforschung der kirchlichen Vergangenheit ein Material verar eitet, das von unmittelbarer Bedeutung für die Entscheidungen in der Gegenwart ist. Und zwar besteht der Wert der historischen Erfassung der Vergangenheit für die dogmatische und die „praktische" Systematik erstens darin, daß in ihr sowohl die Fülle möglicher Ent­ scheidungen als auch die entscheidenden Grundsätze, die in der jeweiligen Problemlage geltend gemacht worden sind, aufgezeigt werden, und zweitens darin, daß diejenigen Momente ins Bewußtsein erhoben werden, von denen ein Bestimmt- und Verpflichtetsein für die gegen­ wärtige Entscheidung ausgeht. So ist es z. B. für die dogmatische und praktische Systematik nicht gleichgültig, welche Grundlegung der evangelischen Kirche in der Reformationszeit erfolgt ist, denn dieses Faktum der Vergangenheit gibt auch der evangelischen Kirche der Gegenwart eine bestimmte Richtung. Entscheidungen können ja jeweils nur im Erschließen der den Menschen der Gegenwart in Anspruch nehmenden Geschehnisse getroffen werden. Gewiß kann unter dieser Voraussetzung nicht alles, was etwa eine Erforschung der Geschichte der Predigt zutage fördert, von unmittel­ barer, positiver Bedeutung für die Gegenwart sein. Aber auch das, was wirklich vergangen ist, kann als Negation des Rechtmäßigen begriffen und somit doch der systematischen Konstruktion vom Grund­ prinzip aus eingefügt werden. Und das ist nun allerdings zu betonen, daß das historische Material nur in einer ganz besonderen Beleuchtung in die theologische Systematik eingehen kann. Es muß nämlich das für die theologisch-systematische Bemühung wesentliche Verstehen von der grundlegenden Offenbarung in Jesus Christus aus auch auf die konkreten Verwirklichungen in der Geschichte angewendet worden. Nur in der theologischen Konstruktion ist die Geschichte des kirch­ lichen Handelns für die systematische Formenlehre von Bedeutung. Auf diese Weise ist Verbindung von historischer und praktischer Theo­ logie entgegen der Auffassung von Althaus sehr wohl möglich. Die rein historische Gestalterfassung, die eventuell von dem Systematiker als Kirchenhistoriker im Nebenamt erst noch vorgenommen werden muß, hat das Material zu liefern, das dann in der Systematik vom Sinn­ prinzip her zu verstehen und für die Entscheidung fruchtbar zu machen ist. Eine Verbindung ist aber auch zwischen systematischer Theologie und technischen Anweisungen möglich. Jede Bemühung um Rechtmäßigkeit weckt doch die Entschlußkraft und führt zu Entscheidungen. So führt auch die Lehre von der rechten Gestaltung des kirchlichen

24 Handelns in der Gegenwart unmittelbar in die praktische Tätigkeit hinein. Ebenso gibt die Dogmatik, wenn sie sich um den rechten Inhalt der christlichen Verkündigung bemüht, damit Anweisungen für das, was in der Predigt zu sagen ist. Allerdings kann christliche Theologie keine allgemeinen Richtlinien aufstellen, da sie ja auf den Herrn hinzu­ weisen hat, der in der konkreten Situation Gehorsam fordert. Aber eben dieser Hinweis ist auch eine Richtlinie. Bon der systematischen Besinnung aus ist geltend zu machen, daß auch das rein Technische eben in diesem Gehorsam zu stehen hat. Die Verbindung schließlich der praktischen Theologie mit den empirischen Wissenschaften der Kirchenkunde, Volkskunde, Religionspsychologie und -soziologie ist insofern möglich, als durch diese wissenschaftlichen Bemühungen eine Kenntnis des Materials ver­ mittelt wird, aus dem sich Kirche gestaltet. So kennt auch Paulus die Sitten und Gebräuche seiner Gemeinden (die Abendmahlssitten bezw. -Unsitten, das Götzenopferfleischesien, die Frauentracht in der Versammlung usw.) und er kennt die psychischen Tatbestände und Mög­ lichkeiten der Menschen seiner Zeit (das Zungenreden, Weissagen, Ge­ sundmachen usw.). Es ist allerdings darauf zu achten, was wir auch von Paulus lernen können, daß das Bestehende nicht mit dem Recht­ mäßigen verwechselt werden darf. Der Erfassung der Tatbestände muß die theologische Orientierung übergeordnet werden. Diese Erwägungen lassen uns erkennen, daß auch die praktische Theologie ein in sich geschlossener und einheitlicher Teil der Theologie sein kann, wenn nur der systematische Charakter der kirchlichen Formen­ lehre in den Vordergrund geschoben und alles andere darauf bezogen wird.

iv. Die Methode der praktischen Theologie. Bei der Besinnung auf das Verfahren der kirchlichen Formenlehre werden wir davon auszugehen haben, daß die Theologie die Offen­ barung Gottes in Jesus Christus geltend zu machen hat. Die Ge­ staltung des kirchlichen Handelns darf nur von Formprinzipien aus bestimmt werden, die in der grundlegenden Offenbarung gegeben sind. Vielleicht könnte man von hier aus etwa so verfahren, wie es Martin Schian in seinem Grundriß der praktischen Theologie (2. Ausl., 1927, S. 3) getan hat. Schian stellt die richtige Erkenntnis in den Vordergrund, daß durch die Offenbarung in Jesus Christus das gesamte kirchliche Handeln auf das Reich Gottes, als letztes Ziel, be­ zogen ist, und definiert dann das Verfahren der praktischen Theologie folgendermaßen: „sie zeigt, wie das kirchliche Handeln zweckmäßig eingerichtet werden soll; nämlich so, daß es in der nach Ort, Zeit und Lage geeignetsten Weise der Aufgabe, Gottes Reich auf Erden bauen zu helfen, entspricht". Schian läßt also die Formen von der Aufgabe, dem Zweck der Kirche, bestimmt sein. Wenn wir entscheiden wollen, ob dieses Verfahren und vor allem die Bestimmung, daß die Kirche das Reich Gottes auf Erden zu bauen hat, berechtigt ist, dann müssen wir näher untersuchen, was die Kirche nach dem christlichen Glaubensverständnis ist. Wir werden dabei fest­ zustellen haben, daß die Kirche primär nicht bloßes Werkzeug zur Verwirklichung einer Aufgabe ist. Sie kann vielmehr das Reich Gottes auf Erden, das Reich Gottes mitten unter uns (Luk. 17, 20), nur insofern bauen, als sie selbst Offenbarungsstätte ist und das Wirken Gottes in seinem Wort in ihr lebendig ist. Nur als von Gott gesetzt und gebaut ist die Kirche wirklich Kirche. Die Formen des kirch­ lichen Handelns dürfen also nicht an einem Ziel orientiert werden, das der Mensch ins Auge fassen und vielleicht auch in der von ihm getragenen Betätigung verwirklichen kann, vielmehr müssen sie ausschließlich auf Gott und sein Wort als ihren Ursprung bezogen werden. Mit dieser Bestimmung durch den Ursprung ist dann aller­ dings auch die Ausrichtung auf das Ziel hin gegeben, aber es wird

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bei der Besinnung auf das alle menschlichen Möglichkeiten übersteigende Wort Gottes deutlich, daß die Erreichung des von ihm verheißenen und geschenkten Zieles nicht Aufgabe menschlicher Betätigung sein kann. Ein Ziel, das in der unbedingten Transzendenz liegt und allein durch Gott gesetzt wird, kann nicht in menschlichen Gestaltungen angestrebt werden, auch können von ihm aus keine Formungsgrundsätze aufgestellt werden. Das Reich Gottes sowohl bei Jesus Christus wie in der Parusie ist unserem Zugriff entzogen, so daß es nicht als Zweck ins Auge gefaßt werden kann. Das Verfahren Schians ist demnach nicht aufrechtzuerhalten. Vielmehr wird es sich darum zu handeln haben, daß die Formen des kirchlichen Handelns eben an dem orientiert werden, was durch Gottes Offenbarung in seinem Wort gesetzt ist. Bei diesem Verfahren ergeben sich vier Formprinzipien, von denen die theologische Bestimmung der Gestaltung des kirchlichen Handelns auszugehen hat. I. Das Wort Gottes setzt die kirchliche Formgebung in Freiheit. Christus, das Wort Gottes, das Fleisch geworden ist, ist des Gesetzes Ende. In ihm sind alle kultisch-kirchlichen Formgesetze der Aufhebung verfallen. Und so haben ja die Reformatoren die evangelische Freiheit von jeder Bindung an verpflichtende Kirchengebote und Gestaltungsvorschriften aufs stärkste betont. Im Artikel VII der Confessio Augustana heißt es: „Nec necesse est ubique esse similes traditiones humanas, seu ritus aut ceremonias ab hominibus institutas,“ ferner in Artikel 28: „Necesse est .... in ecclesiis retineri doctrinam de libertate christiana, quod non sit necessaria servitus legis ad iustificationem, sicut in Galatie (5, 1) scriptum est: Nolite iterum iugo servitutis subiici. Necesse est retineri praecipuum evangelii locum, quod gratiam per fidem in Christum gratis consequamur, non propter certas observationes aut propter Cultus ab hominibus institutos“ (Müller, „Die symbolischen Bücher", 1886, S. 66 f.). Danach ist als das Gültige int theologischen Sinne die Nichtgültigkeit von Menschensatzungen und die Alleingültigkeit der Offenbarung samt der in ihr eröffneten Freiheit anzusehen. Nur eine derartige Anweisung, oder richtiger gesagt, nur eine derartige Hinweisung kann von der kirchlichen Formenlehre gegeben werden, und es kann dann von hier aus etwa noch auf die menschlichen und göttlichen Möglichtäten hingewiesen werden. Damit wird der im Namen der Kirche Handelnde ganz dem schon erwähnten Gedränge zwischen Gott und den Menschen anheimgegeben. Dieses Gedränge findet gerade in dem Freiheitsbegriff seinen Ausdruck, denn dieser besagt, daß alle Menschen und alle Dinge dem „Freisein" anheimgegeben sind, insofern als es keine eindeutige Ausprägung Gottes auf Erden gibt, von der her

gesetzliche Bestimmungen gewonnen werden könnten. Dieser Sachverhalt läßt sich im Hinblick auf die Offenbarungsformen auch so ausdrücken, wie es Paulus getan hat: „Unser Wissen ist Stückwerk und unser Weissagen ist Stückwerk. Wenn aber kommen wird das Vollkommene, so wird das Stückwerk aufhören." Auch die Offenbarungsformen und damit die kirchlichen Formen stehen im Gericht Gottes, das seinen zeitlichen Ausdruck im Vergehen findet. Gott, der in ihnen kund wird, ist doch nicht in ihnen beschlossen. Er ist in seiner Freiheit und befreit deshalb den im Glauben mit ihm verbundenen Menschen von der Bindung an die Offenbarungsumstände. In dieser Befreiung von dem Material seiner Manifestation hat Gott die Menschen und alle Dinge dem geschichtlichen Werden und Vergehen anheimgegeben, wes­ halb die Behauptung der besonderen Autorität bestimmter Form­ ausprägungen der Aufrichtung eines Götzenbildes gleichkommt. Aus diesen theologischen Erwägungen ergibt sich also, daß weder die kirch­ lichen Formen des Urchristentums, einschließlich der Verkündigungs­ formen Jesu, noch die irgendeiner anderen Epoche verbindlichen Charakter haben, und daß der Mensch mit seinem Handeln nie die Offenbarung in Gestaltungen festhalten kann. Ferner ergibt sich, daß die vom Worte Gottes gegebene Formbestimmung eben in diesem Setzen in Gericht und Vergehen besteht. Wir haben solchen Schatz in irdenen Gefäßen (2. Kor. 4, 7). II. Das Wort Gottes wirkt Glaubensgehorsam in der konkreten Situation und damit ein Ernstnehmen der jeweiligen Kulturformen. Das grundlegende Prinzip der Freiheit darf nicht dahin mißverstanden werden, daß man in ihm einen Freibrief für das subjektive Belieben des Einzelnen in der Form­ gestaltung des kirchlichen Handelns findet. Es ist vielmehr zu be­ achten, daß das ergangene und ergehende Gerichtswort, in dem dieses „Freisein" gesetzt ist, ein Wort ist, das den Menschen unbedingt fordert. Der Mensch mit seinem Handeln ist gerade für diese Lage des Nichtbestimmtseins durch eindeutige Offenbarungstatsachen, für diese Lage des Werdens und Vergehens, für diese Lage der Gottesferne in Ansprach genommen. Indem Gott ihn in die gerichtete Welt hineinstellt, erfaßt er ihn mit seiner Gnade. Diesem Aufruf gegenüber kann es weder Gleichgültigkeit, noch Untätigkeit, noch Willkür, sondern nur Glaubensgehorsam geben. Denn, wenn das Wort Gottes, dieses Gerichts- und Gnadenwort, den Menschen trifft, dann fordert es seine ganze Hingabe, also auch sein Reden, Gestalten und Handeln, und dann stellt es ihn ganz in seine jeweilige, von Gott so bestimmte und deshalb zu tragende Lage hinein. In der Formung des durch Gottes Offenbarung aufgetragenen Redens und Handelns ist demnach der

28 Mensch an die besonderen Erfordernisse und Einstellungen seiner Gegen­ wart gewiesen. Er hat die Formen, in denen er in seiner Zeit existiert, ernst zu nehmen. Zu diesen Formen gehören natürlich auch die der kirchlichen Überlieferung. Daß Gegenwart nie ohne eine sie

begründende Vergangenheit ist, gilt ja ganz besonders für die Kirche. Kirche ist doch nur da, wo die durch die Tradition vermittelte Kunde von der geschehenen Offenbarung den Menschen trifft und wo die von Christus eingesetzten Sakramente als „signa et testimonia vohmtatis Dei erga nos“ (Art. 13 der Confessio Augustana) „laut des Evangelii gereicht werden". Kirche kann also nicht ohne Ernstnehmen des in diesen Formen uns treffenden Anspruchs Gottes sein. Aber es darf nicht übersehen werden, daß diese Formen als solche (z. B- Predigt und Sakrament) nicht etwa wegen ihres Herrührens aus der Ver­ gangenheit Offenbarungsträger sind. Es ist nicht möglich, ihnen wegen ihres Alters eine besondere Würde zu verleihen. Es ist ferner zu beachten, daß sie trotz ihres kirchlichen Charakters nicht der sonstigen Kulturentwicklung entzogen sind. Man kann ja feststellen, daß die kirchlichen Formen jeder Zeit (z. B. Liturgie, Kirchenbau, Verfassung usw.) die Formen der betreffenden Kultur gewesen sind. Selbst die Berkündigungsformen Jesu sind durchaus als zeitbedingt zu erkennen. Mit dem Gebrauch „zeitgemäßer" Formen wird nicht der jeweiligen Kultur eine besondere Würde verliehen, vielmehr ist zur Begründung dieses Sachverhalts aller Nachdruck darauf zu legen, daß das Wort Gottes in den Worten der Kirche ein ganz gegenwärtiges An­ sprechen sein muß. Da die Verkündigung nur unter den Bedingungen menschlichen Redens und menschlichen Verstehens geschieht, so können nur solche Worte und Formen Verwendung finden, die in der jeweiligen Lage einem „Borverständnis" (Bultmann) begegnen. Über das Alter dieser Formen wird damit nichts ausgemacht, denn weder eine alte noch eine moderne Form ist als solche Offenbarungsträger. Aber nur das kann Mittel der kirchlichen Verkündigung werden, was jeweilig aufmerksame Beachtung hervorruft. Wir sind also im Glaubens­ gehorsam an die jeweilige Lage gebunden und haben die Gestaltungen des kirchlichen Handelns dem Umkreis der jeweiligen Kulturformen zu entnehmen. — Gewiß sucht der auf Sicherheiten bedachte Mensch immer wieder im Bewahren kirchlicher Formen der Vergangenheit einen Halt zu finden. Aber das allmähliche Leerwerden dieser Ge­ staltungen, auch wenn sie noch so sehr als göttlich und allen Wechsel überdauernd behauptet werden, läßt sich doch auf die Dauer nicht

übersehen. JU. Das Wort Gottes macht die der Kultur entnommenen kirchlichen Formen

jeweiligen zu Offen-

barungsträgern. Die Kulturformen sind natürlich nicht an sich, als Ausdruck autonomer Sinngebungen, um mit Tillich zu reden, kirchliche Formen. Sie sind es vielmehr nur dann, wenn eine Rück­ beziehung auf den Ursprung und ein Hinweisen auf das letzte Ziel in ihnen aufleuchtet, oder, um wieder die Ausdrucksweise Tillichs heranzuziehen, wenn sie in der theonomen Haltung stehen. Bei dieser Charakterisierung ist allerdings aufs stärkste zu beachten, daß diese Haltung weder in den Formen selbst, etwa als eine zu enthüllende Verborgenheit, vorliegt, noch irgendwie vom Menschen aus bewerk­ stelligt werden kann. Durch keine menschenmögliche Betrachtung und Umgestaltung werden Kulturformen zu kirchlichen Formen, und zwar deshalb nicht, weil diese nur dann wirklich kirchliche Formen sind, wenn Gott in ihnen zu uns spricht. Das Werden der Kulturformen zu kirchlichen Formen geschieht also allein durch das Wort Gottes, und zwar ist es durchaus vom freien Wirken seiner Gnade abhängig, ob unser kirchliches Handeln und Gestalten von ihm mit Offen­ barungsgehalt gefüllt wird. — Kirchliche Formen sind also nicht solche Kulturformen, die etwa um ihres Symbolcharakters willen vom Menschen ausgewählt worden sind oder auszuwählen wären. Der tiefe Sinn des Symbols, etwa des Brotes im Abendmahl als einer Seelenspeise, ist etwas ganz anderes als der Offenbarungsgehalt; denn dieser letztere ist nur im Geschehen von Gott her da und gehört nicht zur Wesens­ grundlage, die etwa in einer tiefschürfenden oder frommen Deutung ans Tageslicht zu fördern wäre. Die Kraft der kirchlichen Formen liegt also allein im Worte Gottes, in seiner Offenbarung. Der Satz „accedit verbum et fit sacramentum“ gilt sinngemäß auch für alle anderen kirchlichen Gestaltungen. — Es ist weiter zu beachten, daß die kirchlich gewordenen Kulturformen in diesem Werden keine Wesens­ änderung erfahren. Sie bleiben irdische Formen und die Offenbarung geschieht nur an ihnen und durch sie hindurch. Es darf also weder von einer Erhebung auf eine höhere Seinsstufe noch von einer Ver­ klärung noch von einem Transparentwerden geredet werden (vgl. meine Aussätze in den Theologischen Blättern: „Der Symbolbegriff in der Theologie", März 1927 und „Rechtfertigungsglaube und kultische Form", Dezember 1927). IV. Das Wort Gottes bestimmt die Liebe zum Nächsten als entscheidenden Gesichtspunkt für die Aus­ wahl der kulturellen Formen in der Gestaltung des kirchlichen Handelns. Die Hauptfrage, welche von verkirchlichen Formenlehre zu beantworten ist, ist ja die: „In welchen Formen soll das kirchliche Handeln der Gegenwart verlaufen?" Diese Frage ist, wie wir gesehen haben, nicht durch den Hinweis auf die Ursprungszeit

30 oder eine andere wichtige Epoche der Kirche, auch nicht durch das Aufzeigen symbolkräftiger Formen und auch nicht ohne weiteres durch das Aufmerksammachen auf die kulturelle Einstellung der Gegenwart zu beantworten. Das Einzige, was gesagt werden kann und muß, ist das: die kirchlichen Formen müssen Offenbarungsträger sein. Wenn dieses Kriterium der Rechtmäßigkeit geltend gemacht wird, dann kann das gewiß die kirchlich Handelnden zu der besinnlichen Frage führen, ob nicht die Formen ihrer Betätigung leer geworden sind, und es kann daraus eine Ablehnung und Verwerfung des Überkommenen er­

folgen. Aber von dem Grundsatz aus, daß die kirchlichen Formen Offenbarungsträger sein müssen, kann nicht auf direktem Wege eine Neugestaltung vorgenommen werden, denn es läßt sich ja vorher nie sagen, welche Form Gott zu seinem Werk gebrauchen will. Angesichts dieser Sachlage scheint nur Resignation übrigzubleiben. Und doch dürfen wir nicht übersehen, daß ein solcher Ausweg für uns in dem Falle, daß wir wirklich einen Auftrag bekommen haben und damit in Anspruch genommen sind, ungangbar ist. Denn wie Gottes Offen­ barung uns vor die Entscheidung des Glaubens stellt, so sind wir auch zur Entscheidung der Form unseres Handelns gefordert, wenn Gottes Auftrag an uns ergeht. Und da Gottes Auftrag uns an den Nächsten weist, so ist die Liebe zu ihm der Gesichtspunkt, von dem unsere Ent­ scheidung über das Wie des ihn betreffenden Verkündigungshandelns bestimmt sein muß. Diese Erkenntnis hat uns Paulus 1. Kor. 13 und 14 vermittelt. Zungenrede und vernünftige Rede sind beides berechtigte kirchliche Formen, aber die vernünftige Rede ist vorzuziehen, da nur durch sie der andere erbaut wird. Daraus können wir ent­ nehmen, daß in jeder Gestaltung des kirchlichen Handelns jeweils die­ jenigen kulturellen Formen den Vorzug verdienen, die geeignet sind, den Nächsten wirklich anzusprechen. Gewiß lassen sich für diese Aus­ wahl auf Grund kulturgeschichtlicher, volkskundlicher, psychologischer und soziologischer Erörterungen einige Erwägungen anstellen, aber im Grunde genommen kann es auch hier keine Rezepte geben, da ja — und das gilt es auf Grund theologischer Erkenntnisse zu sagen — unser Verhalten zum Bruder immer nur im konkreten Verpflichtetsein und nicht auf Grund allgemeiner Regeln entschieden werden darf. Nur bei einem letzten Verbundensein, das im Zeichen gemeinsamer existentieller Aufgeschlossenheit steht, kann die Frage und die Antwort, die mich angerührt hat, durch die Art und Weise meines Redens und Handelns auch dem Bruder zuteil werden. Nur in der großen, allein im Glauben möglichen aydinq von 1. Kor. 13 kann die Entscheidung über die gegenwärtige Gestaltung des kirchlichen Handelns getroffen werden.

Wie schon erwähnt wurde, können die Kapitel 12—14 im ersten Korintherbrief uns das rechte Verfahren der kirchlichen Formenlehre deutlich machen. Paulus nimmt hier die Formen, in denen das der Gemeinde aufgetragene Zeugnis zum Ausdruck gekommen ist, durchweg ernst, obwohl er um ihre Zweideutigkeit und um die heidnischen Ana­ logien zu dem allen weiß. Es gibt eben, so dürfen wir schließen, keine an sich heiligen kirchlichen Formen, sondern es besteht durchaus bei jeder die Möglichkeit, daß in ihr Christus verflucht wird. Und doch sind diese menschlichen Äußerungsformen Gnadengaben Gottes, wenn sein Geist und sein Wort in ihnen kund wird. Gott offenbart sich in seiner Gemeinde, d. h. überall da, wo Menschen auf den einen Herrn Jesus Christus ausgerichtet sind, in einer Fülle von Zeugnis­ formen. Unter diesen ist eine Unterscheidung nicht so ohne weiteres möglich, denn „jedem ist das Offenbarmachen des heiligen Geistes zum Dienst gegeben" (izdcrrw de ölöonai H