Doping für Deutschland: Die »Evaluierungskommission Freiburger Sportmedizin«: Geschichte, Ergebnisse und sportpolitische Forderungen 9783839460528

Welche Rolle haben Joseph Keul, Armin Klümper und andere Mediziner der Universität Freiburg jahrzehntelang bei der Organ

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Doping für Deutschland: Die »Evaluierungskommission Freiburger Sportmedizin«: Geschichte, Ergebnisse und sportpolitische Forderungen
 9783839460528

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Letizia Paoli, Hans Hoppeler, Hellmut Mahler, Perikles Simon, Fritz Sörgel, Gerhard Treutlein Doping für Deutschland

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Letizia Paoli, Hans Hoppeler, Hellmut Mahler, Perikles Simon, Fritz Sörgel, Gerhard Treutlein

Doping für Deutschland Die »Evaluierungskommission Freiburger Sportmedizin«: Geschichte, Ergebnisse und sportpolitische Forderungen

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © 2022 transcript Verlag, Bielefeld Alle Rechte vorbehalten. Die Verwertung der Texte und Bilder ist ohne Zustimmung des Verlages urheberrechtswidrig und strafbar. Das gilt auch für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Verarbeitung mit elektronischen Systemen. Umschlaggestaltung: Kordula Röckenhaus, Bielefeld Korrektorat: Laura Matthews Druck: Majuskel Medienproduktion GmbH, Wetzlar Print-ISBN 978-3-8376-6052-4 PDF-ISBN 978-3-8394-6052-8 https://doi.org/10.14361/9783839460528 Buchreihen-ISSN: 2702-9891 Buchreihen-eISSN: 2702-9905 Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier mit chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Besuchen Sie uns im Internet: https://www.transcript-verlag.de Unsere aktuelle Vorschau finden Sie unter www.transcript-verlag.de/vorschaudownload

Inhalt

VORWORT von Letizia Paoli ......................................................... 11 Meine persönlichen Erkenntnisse .................................................... 12 Danksagung ........................................................................ 15 Widmung .......................................................................... 20 KAPITEL 1: Einleitung .............................................................. 23 1. Die Ziele des Buches.......................................................... 24 2. Sportregeln, medizinische Ethik und strafrechtliche Bestimmungen ............ 26 3. Der Auftrag, die Aktivitäten und die Ergebnisse der Evaluierungskommission: ein Überblick ................................... 30 4. Struktur des Buches .......................................................... 35 KAPITEL 2: Joseph Keul Der Doyen der (west-)deutschen Sportmedizin und rücksichtsloser Befürworter sportlicher Leistung um jeden Preis ... ..... .......... .......... .......... .......... 37 1. Einleitung .................................................................... 37 2. Keuls Beteiligung am aktiven Doping ......................................... 39 3. Dopingduldung und -förderung bei Mitarbeitern ............................... 42 4. Politische Erwartungen und staatliche Finanzierung .......................... 47 5. Keuls Duldung, Verschleierung und Förderung des Dopinggebrauchs bei Athleten und Patienten..................................................... 51 6. Keuls Verharmlosung von Anabolika und deren politische Wirkung ............. 56 7. Keuls persistente Ambivalenz zum Antidoping und die Kampagne für die Legalisierung des Testosterons im Sport ............................... 61 8. Die multizentrische Testosteronstudie und deren politischer Missbrauch ....... 65 9. Keuls Verharmlosung anderer Mittel zur Leistungsbeeinflussung und Bagatellisierung des Dopingproblems .......................................... 71 10. Die sportmedizinische Betreuung von Team Telekom/T-Mobile ................. 75

11. 12.

Keuls zunehmende Abhängigkeit von der Telekom-Finanzierung und rechtswidriger Umgang mit Drittmitteln ....................................... 85 Fazit ......................................................................... 90

KAPITEL 3: Armin Klümper Top-Doper des westdeutschen Spitzensports und Profiteur des Beschweigens von Doping ...... ................................................................... 93 1. Einleitung .................................................................... 93 2. Klümpers Werdegang in Freiburg .............................................. 95 3. Klümpers Grundeinstellung zum Doping und sein Umgang mit Athleten ......... 99 4. Zwischen wissenschaftlichem Anspruch und »kreativem« Handeln ........... 104 5. Kritik von Kollegen und Klümpers Reaktionen.................................. 112 6. Betrug ....................................................................... 115 7. Die Klümper-Akten ........................................................... 118 8. Klümper – ein Einzeltäter? .................................................... 121 9. Ermittlungen des LKA gegen Klümper 1984 – 1988: Strukturen demaskieren sich ................................................ 122 10. Verantwortungslosigkeit am Beispiel des Todes der Siebenkämpferin Birgit Dressel ............................................................... 125 11. Organisierte Unterstützung und ihre Grenzen .................................. 127 12. Die Abschiedsjahre Klümpers ................................................ 132 13. Fazit ........................................................................ 134 KAPITEL 4: Forschung und Doping ................................................ 139 1. Einleitung ................................................................... 139 2. Die Abteilung Sportmedizin im medizin- und sportethischen Umfeld .......... 142 3. Inhaltliche und bibliometrische Beurteilung der Forschungstätigkeit der Sportmedizin Freiburg ................................................... 145 4. Ergebnisse der ersten Analysen der Habilitationen und Dissertationen ........ 150 5. Plagiatsverdacht und Plagiatsfälle bei Habilitationen und Dissertationen ...... 155 6. Eine Insider-Perspektive..................................................... 158 7. Vergleichende Beurteilung von Publikationen ................................. 162 8. Die späte Reaktion der Universität Freiburg ................................... 171 9. Fazit ........................................................................ 173 KAPITEL 5: Widerstände und Verantwortung ......................................175 1. Ausgangslage ................................................................175 2. Akteure und Institutionen, die Mitverantwortung tragen ...................... 180

3. 4. 5.

Die Aufklärung in Freiburg ................................................... 198 Verschwundene Akten ...................................................... 209 Das Ende der Aufklärungsarbeit .............................................. 217

KAPITEL 6: Fazit .................................................................. 227 Literaturverzeichnis.............................................................. 235 Autor*innenverzeichnis .......................................................... 257

Für Gerhard Treutlein

VORWORT von Letizia Paoli

Als ich im Dezember 2009 der Bitte von Prof. Britta Bannenberg nachkam, Vorsitzende der Evaluierungskommission Freiburger Sportmedizin zu werden, hätte ich nie davon geträumt, mich auf ein mehr als zehnjähriges herausforderndes Abenteuer einzulassen. Britta Bannenberg, die damalige stellvertretende Vorsitzende der Kommission, teilte mir mit, dass die Kommission ihre Arbeit in einigen Monaten abschließen würde. Diese Einschätzung wurde von Prof. Schiewer, dem damaligen Rektor der Universität Freiburg, bestätigt, als er mir formell diesen Vorsitz antrug. Damals wusste ich jedoch noch nicht, dass ich mit der Aufklärung eines der größten Skandale im deutschen Universitätssystem und gleichzeitig des Dopings im westdeutschen Spitzensport beauftragt wurde, ohne dafür die notwendigen Mittel und die institutionelle Unterstützung zu erhalten. Über einen langen Zeitraum fehlte selbst der offizielle Auftrag für den größten Teil der Kommissionsarbeit. Sicherlich hatte ich auch nicht erwartet, dass ich selbst durch Mitglieder der Institution, die mir den Vorsitz der Evaluierungskommission angetragen hatte, den heftigsten Angriffen meiner gesamten beruflichen Karriere ausgesetzt werden würde. Mit dem vorliegenden Buch, das ich zusammen mit den Mitgliedern der Evaluierungskommission in ihrer letzten Besetzung geschrieben habe, hoffe ich zuallererst, dieses Kapitel in meinem Leben abschließen zu können. Auch wenn die Leitung der Evaluierungskommission Freiburger Sportmedizin sich unerwartet in die Länge zog und schwierig gestaltete, habe ich einige wichtige Lektionen gelernt und zahlreiche Menschen kennengelernt, von denen ich viele sehr schätze und einige heute als meine Freunde betrachte. Allein schon dafür hat sich die Kommissionsarbeit gelohnt!

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Meine persönlichen Erkenntnisse Meine Co-Autoren und ich werden auf den nächsten Seiten unsere gemeinsamen Untersuchungsergebnisse und Schlussfolgerungen vorstellen. Mir persönlich hat die Kommissionsarbeit die Gelegenheit gegeben, unerwartete Facetten der deutschen Gesellschaft und Politik kennenzulernen. Augenzwinkernd möchte ich diese persönlichen Erkenntnisse hier kurz zusammenfassen und einen Vergleich mit meiner Heimat Italien ziehen, obwohl der Rest des Buches ausschließlich deutsche Ereignisse bespricht. Wie viele Italiener1 (vgl. Bolaffi, 2014) blicke ich mit großem Respekt und auch etwas Neid auf das politische und sozioökonomische System, das die (West-)Deutschen seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs aufgebaut haben, und ich empfinde große Bewunderung für einige deutsche Politiker verschiedener Parteien, von Dr. Angela Merkel bis Winfried Kretschmann. Die Arbeit für die Kommission führte mir jedoch vor Augen, dass ich diese etwas idealisierte Einschätzung meiner zweiten Heimat Deutschland überdenken musste: •





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Auch in der Bundesrepublik Deutschland haben öffentlich finanzierte Sportinstitutionen die Einhaltung der Sportprinzipien, der medizinischen Ethik und der damit verbundenen Sportregeln und staatlichen Gesetze sowie die Gesundheit von hunderten Spitzenathleten und die Karrierechancen von tausenden anderer Athleten dem nationalsportlichen Erfolg geopfert. Auch in Deutschland haben Universitäten zu lange toleriert, dass Gurus mit ihrer medizinischen Expertise die Gesundheit von Athleten missachteten und ihnen erlaubt, wiederholt gegen Regeln der medizinischen Ethik und der wissenschaftlichen und finanziellen Integrität zu verstoßen. Zudem wurden damit schlechte Rollenmodelle an neue Generationen von Forschenden weitergegeben. Auch in Deutschland haben Staatsanwaltschaften schwerwiegende Verbrechen von hochrangigen Personen nachsichtig behandelt und auch hier

Ein ungetrübter Blick in die Vergangenheit und Zukunft der Sportmedizin benötigt eine klare Sprache. Dieser Klarheit und Lesbarkeit geschuldet wird in unserem Buch auf die Verwendung gendergerechter Sprachformen verzichtet. Selbstverständlich sind jedoch immer alle Geschlechteridentitäten gemeint.

VORWORT



wurde der Polizeiapparat gelegentlich daran gehindert, die damit verbundenen Verdachtsmomente gründlich zu untersuchen. Auch im heutigen Deutschland haben die betroffenen Sporteinrichtungen und akademischen Institutionen keinen echten Mut gezeigt, sich ihrer Vergangenheit zu stellen, oder haben dies nur halbherzig getan, als sie von einem Medienskandal wie dem Telekom-Team-Skandal 2007 unter Druck gesetzt wurden.

Ich bin nicht die Einzige oder die Erste, die zu diesen Erkenntnissen gelangt ist. Einige deutsche Kommentatoren sprachen in diesem Zusammenhang selbst von »mafiösen Strukturen« (vgl. Wiesbadener Kurier, 2009). Als Mafia-Expertin halte ich es jedoch für besser, das Wort »Mafia« auf die kriminellen Vereinigungen Süditaliens und wenige andere Kontexte zu beschränken (Paoli, 2020). Fest steht, dass die Kommissionsuntersuchungen zu den Hauptfiguren der Freiburger Sportmedizin, Prof. Joseph Keul und Prof. Armin Klümper, überraschende Parallelen zum Karriereweg von Prof. Francesco Conconi, Italiens berühmtestem Doping-Universitätsarzt, zu Tage gebracht haben. Wie Klümper dopte Conconi von den 1970er bis 1990er Jahren Dutzende von Spitzensportlern mit stillschweigender Unterstützung der entsprechenden Sportverbände und sogar des italienischen Olympischen Komitees (CONI) offen. Wie Keul erweiterte Conconi seine Dienste in den 1990er Jahren auf EliteFahrer, die in privaten Teams arbeiteten, und behandelte eine große Anzahl von »Stars« wie Marco Pantani und Gianni Bugno. Wie Keul war Conconi Mitglied vieler nationaler und internationaler Sportverbände, genoss große Aufmerksamkeit in den Medien und war als Top-Arzt olympischer Athleten einer breiten Öffentlichkeit bekannt. Weder Keul noch Klümper ist es allerdings jemals gelungen, Rektor ihrer eigenen Universität zu werden, Conconi hingegen wurde 1998 Rektor an der Universität von Ferrara. Dieser Unterschied könnte auf den ersten Blick auf ein höheres Maß an institutioneller Integrität der Universität Freiburg hindeuten. Gegen eine solche positive Einschätzung der Verhältnisse spricht jedoch, dass Keul mehreren Quellen zufolge in den 1990er Jahren neben Prof. Dr. Roland Mertelsmann und Dr. Torsten Hünke von Podewils zu den drei mächtigsten Personen der Universitätsklinik Freiburg gehörte, und diese Clique war sicherlich kein Musterbeispiel für akademische und berufliche Integrität. Prof. Dr. Roland Mertelsmann wurde später des wissenschaftlichen Betrugs beschuldigt (Koch, 2001 und Eser-Kommission, 2001). Von Podewils,

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der mehr als 20 Jahre Kaufmännischer Direktor des Freiburger Universitätsklinikums war, verhinderte nach Keuls Tod die Prüfung der Konten der nach dem verstorbenen Sohn Keuls benannten Nenad-Keul-Stiftung, obwohl Keul wiederholt diese Stiftung für gesetzwidrige Transaktionen benutzt hatte. Die berüchtigten »italienischen Verhältnisse« waren also nicht gar so weit entfernt: Tutto il mondo è paese (frei übersetzt »auf der ganzen Welt passiert das Gleiche«) könnte man fast sagen! In keinem der beiden Länder kam es zu dopingbezogenen Verurteilungen der Dopingärzte der ersten Generation. Keul war nie Ziel einer strafrechtlichen Untersuchung. Nach langem Zögern und mit beträchtlicher Milde wurde Klümper nur wegen Finanzbetrugs verurteilt. Conconi wurde zwar mit zwei seiner Assistenten des Sportbetrugs beschuldigt, aber die Anklage wurde im Jahr 2003 aufgrund der Verjährungsfrist trotz »der Ernsthaftigkeit und Konvergenz aller Beweise« fallen gelassen (Tribunale di Ferrara, 2003: 46). Zudem stand Conconi unter Verdacht, mit drei CONI-Präsidenten, eine »kriminelle Vereinigung« gegründet zu haben, um Medikamente zu verteilen, die die öffentliche Gesundheit gefährdeten (Procura della Repubblica presso il Tribunale di Ferrara, 2000: 42). Die Schlussfolgerung ist daher für beide Länder ähnlich: Hochrangige Sportverbände und Politiker haben Sportdoping in der Vergangenheit lange Zeit toleriert und manchmal sogar mehr oder weniger offen gefördert, selbst wenn es offiziell durch Sportregeln verboten war und es die Kriterien spezifischer oder allgemeiner Straftaten, wie Sportbetrug in Italien oder Körperverletzung und Betrug in beiden Ländern erfüllte. Diese Erkenntnisse untergraben sowohl die überaus kritische Haltung deutscher Sportfunktionäre und Politiker gegenüber Doping und sportbezogenen Finanzskandalen in anderen Ländern und internationalen Sportverbänden als auch ihre wichtigen und nötigen Bemühungen, diese Verbände zu reformieren. Einige Skandale, wie die von den russischen Behörden aufgestellten staatlichen Dopingprogramme oder die weitgehende Korruption bei der FIFA, wiegen sehr schwer. Sie sind moralisch zu verurteilen und sollten konsequent sport- und strafrechtlich untersucht und sanktioniert werden, um eine Wiederholung ähnlicher Ereignisse zu verhindern. Angesichts der umfangreichen Dopingpraktiken in Ost- und Westdeutschland und der mangelhaften Auseinandersetzung mit solchen Praxen in der BRD ist aber das (im Ausland häufig empfundene) moralische Überlegenheitsgebaren der deutschen Sport- und Antidopingbehörden fehl am Platz. Um es mit einem anderen Sprichwort zusammenzufassen: Ein jeder kehre vor seiner eigenen Tür!

VORWORT

Diese und weitere in diesem Buch präsentierten Erkenntnisse sind das Ergebnis langer und gründlicher Arbeit, die bis März 2016 innerhalb der Evaluierungskommission und ab 2018 von den Mitautoren dieses Buches geleistet wurde.

Danksagung Die hier zusammengefassten Erkenntnisse wären ohne die vielfältige Unterstützung, die mir zuteilwurde, nicht möglich gewesen. Ich möchte hier ausdrücklich diejenigen erwähnen, die mir und der Kommission am meisten geholfen haben. Zunächst möchte ich mehreren Kommissionsmitgliedern für ihre jeweiligen Beiträge zur Kommissionsarbeit und der späteren gemeinsamen Arbeit danken: •







Prof. Britta Bannenberg (Gießen) half mir bis zu ihrem Abschied 2011 dabei, die ersten unerwarteten Schwierigkeiten bei der Durchführung des Kommissionsauftrags für einen Auftraggeber zu bewältigen, der die Kommission nur teilweise und bedingt unterstützte. Der verstorbene Prof. Bengt Saltin (Kopenhagen) unterstützte mich während seiner gesamten Mitgliedschaft in der Kommission mit seiner umfassenden Expertise in der Physiologie und Sportmedizin, seiner jahrzehntelangen Erfahrung in Kommissionsarbeit, seinem Vertrauen in mich und seinen kurzen, alles auf den Punkt bringenden (für mich sehr skandinavischen) Bemerkungen und klugen Ratschlägen. Prof. Wolfgang Jelkmann (Lübeck) erarbeitete in kurzer Zeit eine gründliche bibliometrische Beurteilung der Veröffentlichungen der Ableitung Sportmedizin und brachte mir jahrelang viel Vertrauen und Geduld entgegen, als ich entschied, die Veröffentlichung seines Gutachtens zu verschieben, um die anderen Gutachten abzuwarten (was sich im Nachhinein als eine Fehlentscheidung von mir erwies). Mit dem Kampf gegen Doping als seiner Lebensmission erinnerte Prof. Werner Franke (Heidelberg) mich und die anderen Kommissionsmitglieder immer wieder an den eigentlichen Grund für die Einrichtung der Kommission, den es trotz der anschließenden Manipulation des Arbeitsauftrags im Blick zu behalten galt. Von Werner habe ich auch ein groß-

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artiges Motto gelernt, das ich versuche, nie aus den Augen zu verlieren: »Wir sind Wissenschaftler, und das heißt, wir schaffen Wissen!« Dank Prof. Gerhard Treutlein (Heidelberg), seinem Ruf und seinen weit verzweigten Netzwerken von Freunden und Kontakten in der Sportwelt konnte ich viele Zeitzeugen davon überzeugen, sich von der Kommission interviewen zu lassen und ihre Erfahrungen und Erkenntnisse mit uns zu teilen. Von 2011 bis 2015 besuchte Gerhard überdies unermüdlich und mehrfach zahlreiche Archive in Südwestdeutschland und sammelte dort Tausende von Datenseiten. Seine Unterstützung und sein Vertrauen waren für mich seit 2010 von unschätzbarem Wert! Dr. Hellmut Mahler (Düsseldorf) verdient sowieso einen Preis, weil er das einzige Kommissionsmitglied war, das von August 2007 bis zum Kommissionsende im März 2016 trotz eines lebensbedrohlichen Unfalls dabei blieb. Hellmut war zudem ein sehr loyaler, unterstützender stellvertretender Kommissionsvorsitzender und trug innerhalb der Kommission wiederholt dazu bei, die Arbeit effizient zu organisieren und Konflikte beizulegen. Zusammen mit mir war er stets darum bemüht, eine gründliche, aber gleichzeitig für alle Betroffenen auch respektvolle Untersuchung durchzuführen. Ich bin ihm auch außerordentlich dankbar, weil er in den entscheidenden Phasen des Konflikts mit der Freiburger Universität stets mit klugen Ratschlägen und viel Empathie an meiner Seite stand und unsere Verteidigungsstrategie mitentschied. Ab Anfang 2015 brachten Prof. Hans Hoppeler (Bern) und Prof. Perikles Simon (Mainz) sportmedizinisches Fachwissen in die Kommission zurück. Sie analysierten mit viel Zeitaufwand vergleichend die Veröffentlichungen, Habilitations- und Doktorarbeiten der Abteilung für Sportmedizin. Das Resultat war die Aufdeckung bis dahin unbekannter zum Teil schwerwiegender Verstöße gegen die wissenschaftliche Integrität. Prof. Fritz Sörgel (Nürnberg), der ebenfalls Anfang 2015 als Kommissionsmitglied ernannt wurde, verstärkte das pharmakologische Fachwissen der Kommission. Mit seinen guten Ratschlägen, freundlichen Witzen und exquisiten Nürnberger Lebkuchen unterstützte und erleichterte er immer wieder die Kommissionsarbeit und die spätere Arbeit an diesem Buch.

Ich möchte mich auch ausdrücklich bei Hans Hoppeler und Hellmut Mahler dafür bedanken, dass sie mir bei der Zusammenstellung und harmonischen Zusammenführung der verschiedenen Kapitel dieses Buches behilflich waren.

VORWORT

Mein Dank gilt auch Dr. Andreas Singler. Zuerst als mein Assistent und dann als Vollmitglied der Kommission transkribierte Andreas alle Interviews, analysierte tausende Seiten historischer Dokumente und war Hauptautor der historischen Gutachten über die drei Hauptfiguren der Sportmedizin an der Universität Freiburg. Dass Singler sich im Konflikt zwischen dem Rektorat und der Kommission später auf die Seite des Rektorats schlug und seinen Vertraulichkeitsverpflichtungen als Kommissionsmitglied nicht nachkam, steht auf einem anderen Blatt. Ich möchte mich auch bei den drei Leiterinnen und dem Leiter der Geschäftsstelle der Kommission bedanken: Dr. Britta Wellnitz, Arthur Stickel, Lisa Heitner und Johanna Bichlmaier. Sie alle arbeiteten sehr hart daran, die von uns angeforderten Dokumente bereit zu stellen und viele andere Aufgaben zu erfüllen, während sie sich in der schwierigen Lage befanden, »Diener zweier Herren« (oder präzisier ausgedrückt, Mitarbeiter einer Frau und einer Institution) zu sein. An der Universität Freiburg danken Gerhard Treutlein und ich ganz besonders Prof. Dr. Dieter Speck, dem Leiter des Archivs der Universität Freiburg: Herr Speck tat stets sein Bestes, um uns einen schnellen Zugang zu alten und neu gefundenen Dokumenten zu ermöglichen. Gerhard Treutlein und ich sind auch dankbar, dass wir mit der Erlaubnis Kopien anzufertigen Zugang zu folgenden Archiven erhielten: Öffentliche Archive: • • • • • • • • •

Archiv Bundesinstitut für Sportwissenschaft Bonn Bundesarchiv Koblenz Hauptstaatsarchiv Stuttgart Staatsarchiv Freiburg (u.a. seit 2015 Akten der StA Freiburg zum Betrugsverfahren gegen Armin Klümper) Landesarchiv von Rheinland-Pfalz in Speyer Archiv der Stadt Freiburg Universitätsarchiv Freiburg Universitätsarchiv Tübingen Nachlass August Kirsch im Carl und Lieselott Diem-Archiv, Deutsche Sporthochschule Köln

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Archive von Sportorganisationen/Sportverbänden bzw. sportmedizinischen Vereinigungen: • • • •

Archiv des Deutschen Leichtathletik-Verbandes (DLV) in Darmstadt Archiv des Deutschen Olympischen Sportbundes (Aktenbestände DSB, DSB/BA-L, NOK) in Frankfurt a.M. Archiv Willi Daume beim Deutschen Olympischen Sportbund (DOSB) in Frankfurt a.M. Archiv des Sportärztebundes Baden in Heidelberg.

Unser Dank gilt auch Werner Franke und seiner Frau Brigitte Berendonk sowie Dr. Karlheinz Graff (Essen) für den Zugang, den sie uns zu ihren eigenen Archiven und Unterlagen gewährten. In diesem Zusammenhang möchte ich auch bemerken, dass Frau Berendonk für mich während und nach der Kommissionsarbeit ein Vorbild gewesen ist, auch wenn wir nur sehr begrenzt direkten Kontakt miteinander hatten. Damals wie heute bewundere ich sie für ihre Geradlinigkeit, ihre scharfen und innovativen Analysen, ihre mutigen Anklagen und Warnungen, ihre freundliche Hartnäckigkeit und ihr Widerstandsvermögen auch bei wiederholten Angriffen und Gerichtsverfahren. Ihre jüngste Entscheidung, sich aus der öffentlichen Debatte zurückzuziehen, nachdem sie ihre Botschaft verbreitet hat, imponiert mir ebenfalls. Im Namen aller Kommissionsmitglieder möchte ich mich herzlich bei den fast 100 Zeitzeugen bedanken, die sich die Zeit nahmen, mit der Kommission zu sprechen. Unser besonderer Dank gilt denjenigen, die uns vertrauten und unsere Fragen offen beantworteten. Ohne ihre Geschichten und Einsichten hätten wir ein viel begrenzteres Verständnis der Dynamiken innerhalb der Abteilung Freiburger Sportmedizin und ihres universitären, sportlichen und politischen Kontextes gewonnen, und wir hätten viele weitere Datenquellen nicht entdeckt. Des Weiteren sind Hellmut Mahler, Gerhard Treutlein und ich auch einer Person sehr dankbar, die es immer noch vorzieht, anonym zu bleiben, und uns auf dem Höhepunkt des offenen Konflikts mit der Universität Freiburg einen Crashkurs in Medienwirksamkeit gab. Diese unerwartete Hilfe befähigte uns, den von uns als »David-gegen-Goliath-Kampf« wahrgenommen Konflikt zu bewältigen. In einer zur Personalisierung geneigten öffentlichen Debatte standen nicht nur unsere Entscheidungen und Handlungen, sondern auch unser eigener Ruf auf dem Spiel.

VORWORT

In diesen Jahren des Konflikts mussten wir auch den Einfluss der Medien aus erster Hand erleben. Wir sind allen Journalisten dankbar, die sich aufrichtig bemüht haben, die Problematik rund um ein komplexes Thema zu verstehen, allen Parteien kritische Fragen zu stellen und unvoreingenommen über die Auseinandersetzung zu berichten. Insbesondere empfinden wir Dankbarkeit und Bewunderung für jene Journalisten, die unser Aufklärungsziel unterstützten und ihren Beitrag dazu leisteten. Wir wissen, dass einige von ihnen manchmal erheblichen Druck von mächtigen Personen und Institutionen ertragen mussten und trotzdem die Freiheit ihrer Berichterstattung gewährleisteten. Meine Kollegen und ich danken auch den verschiedenen Mitgliedern der Universität Freiburg und Personen der Freiburger Öffentlichkeit, die uns auf privatem oder öffentlichem Wege ihre Unterstützung unserer Aufklärungsarbeit versicherten. Diese Zeichen der Ermutigung und Unterstützung haben uns allen in jenen schwierigen Zeiten viel bedeutet! Besonders freute es mich damals wie heute, dass die meisten meiner ehemaligen Kollegen des Freiburger Max-Planck-Instituts für ausländisches und internationales Strafrecht (seit kurzem umbenannt in Max Planck Institute for the Study of Crime, Security and Law) meine Untersuchungsarbeit stets unterstützten, auch wenn ihre (und meine) alte geliebte Stadt Freiburg in diesem Zusammenhang negativ in die Schlagzeilen geriet. Dr. Michael Kilchling verdient eine besondere Anerkennung, da er der mir bei sehr zeitraubenden bibliographischen Prüfungen geholfen hat. Ohne den Rückhalt vieler Kollegen an der KU Leuven, wo ich seit 2006 arbeite, hätte ich meine Arbeit als Vorsitzende der Evaluierungskommission Freiburger Sportmedizin nicht sechs zum Teil schwierige Jahre lang ausüben können. Ich möchte zuallererst meinem Mentor und Kollegen, Prof. Dr. Dr. h.c. Cyrille Fijnaut (Universität Tilburg und KU Leuven) sehr herzlich danken. Während der Kommissionsarbeit gab Cyrille mir immer wieder weise Ratschläge, die auf seiner Erfahrung als Vorsitzender mehrerer wichtiger Kommissionen in Belgien und den Niederlanden beruhten. In kritischen Momenten setzte er auch seinen Ruf und sein »social capital« ein, um den Leitern meiner Fakultät und der Universität die Brisanz meiner Aufgabe und die Gründe für den Konflikt mit der Universität Freiburg zu erklären. Ich schätze sehr, dass sowohl der damalige Dekan der rechtswissenschaftlichen Fakultät, Prof. Dr. Bernard Tilleman, als auch die Rektoren Profs. Drs. Rik Torfs und Luc Sels, und Paul Van Dun, der General Manager von KU Leuven Research and Development (LRD), mir bei der Erledigung der Kommissionsarbeit stets umfassende Autonomie gewährten. Großen Dank schulde ich Bruno Lam-

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brecht, der mir zuerst als Rechtsberater beim LRD und später als Generaldirektor des Rektorats der KU Leuven nicht nur kluge, juristische Ratschläge gab, sondern auch stets Vertrauen und Verständnis entgegengebrachte. Weiterhin bin ich meiner Kollegin Prof. Dr. Marie-Christine Janssens überaus dankbar dafür, dass sie mich in Kontakt mit einem ihrer deutschen Kollegen der European Copyright Society gebracht hat. Zusammen mit Hans Hoppeler und Perikles Simon möchte ich Prof. Dr. Axel Metzger (Humboldt Universität Berlin) für seine Prüfung unseres vierten Kapitels im Hinblick auf das deutsche Urheberrechtsgesetz ganz herzlich danken. Last but not least bin ich meinen Familienmitgliedern und einigen engen Freunden sehr dankbar. Mein (ehemaliger) Ehemann Michel Hofmann half mir, die Arbeit der Kommission zu organisieren und viele schwierige Entscheidungen zu treffen, war unermüdlich bei der Verbesserung der Sprache und des Inhalts vieler Briefe und Berichte und gab mir während der gesamten Arbeit der Kommission sehr wertvolle moralische und praktische Unterstützung. Dr. Anja Hänsch und Wolfgang Hofmann (und in Teilen auch die Studentin Antonia König) haben in jüngerer Zeit hart daran gearbeitet, mein immer wieder vom Italienischen her gedachtes Deutsch zu überarbeiten. Meine Kinder haben sich während des Höhepunkts der Kommissionsarbeit mit einer überarbeiteten und gelegentlich gestressten Mutter sehr gut geschlagen und damals wie heute mit ihren Umarmungen, ihrem Lächeln, ihren freundlichen Worten und ihrer bedingungslosen Liebe meine Tage aufgehellt. Grazie Euch und Ihnen allen!

Widmung Im Namen von Hans, Hellmut, Fritz und Peri widme ich dieses Buch unserem Mitautor, Gerhard Treutlein. In den vielen Jahrzehnten seines Berufslebens (er feierte Anfang 2021 seinen 80. Geburtstag) hat Gerhard nie das Vertrauen in die Kraft der Aufklärung und Erziehung insbesondere junger Menschen zur Verhinderung von Doping und anderen schädlichen Praktiken im Sport verloren. Dieses Buch ist vom gleichen Glauben inspiriert und soll ähnlichen Zwecken dienen. In Deutschland und anderswo scheinen sich viele Menschen im Sportsektor und in der Politik immer noch in einem »Zustand der Verleugnung« (Cohen, 2001) zu befinden. Sie leugnen weiterhin die körperlichen Schäden, die Hunderte von Dopingsportlern auch in der BRD erlitten haben,

VORWORT

die zerbrochenen Karrieren tausender weiterer Menschen sowie die zweifelhaften und teilweise falschen Botschaften, die das Elitesportsystem bei Millionen von Sportlern und Zuschauern damals wie heute verbreitet. Sie bestreiten auch die Verantwortung von Sportärzten (in Freiburg und anderswo), Sportfunktionären, Sportverbänden und -vereinen sowie Politikern und den Missbrauch von Milliarden Euro öffentlicher Mittel. Wir schöpfen jedoch Hoffnung, dass mit einer neuen Generation junger Menschen, die selbstbewusst Verantwortung für sich und andere reklamieren, Druck auf die Verbände ausgeübt wird, damit es zu einer echten, inneren Vergangenheitsbewältigung kommen kann. Und wir wünschen uns, dass die nationalen und internationalen Sportsysteme und die Sportpolitik diesem Druck nachgeben und angesichts der noch bestehenden Missstände endlich echte Reformen auf den Weg bringen.   Letizia Paoli (Leuven)

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KAPITEL 1: Einleitung

»Wir müssten eigentlich nach der Tradition in beiden deutschen Staaten und nach unserer Wirtschaftskraft, mit der wir den Spitzensport fördern, mindestens ein Drittel mehr Medaillen bekommen, vielleicht mehr.« (FAZ, 2015) Diese Worte des ehemaligen Bundesinnenministers Thomas de Maizière – wohlgemerkt aus dem Jahr 2015 – verweisen unmissverständlich auf den politischen Ansatz, der seit den 1960er Jahren häufiges und zum Teil systematisches Doping im Spitzensport in beiden Teilen Deutschlands und in vielen anderen Ländern ermöglicht bzw. dazu ermutigt hat. »Wir erwarten Medaillen«, äußern Politiker und Beamte, und es liegt in der Verantwortung von Sportverbänden, Trainern und vor allem von Athleten, uns Medaillen zu liefern. Notfalls koste es, was es wolle. Wie wir auf den nächsten Seiten sehen werden, wurden solche Erwartungen während des Kalten Krieges, d.h. in Zeiten, in denen sportliche Erfolge als Zeichen der Überlegenheit ganzer politischer Systeme verstanden wurden, noch offener und eindringlicher zum Ausdruck gebracht. Solche Erwartungen implizierten, dass die Anwendung schädlicher bzw. verbotener Substanzen und Methoden zur Leistungssteigerung toleriert, erlaubt oder sogar gefördert wurde. Da es sich nur um geäußerte Erwartungen und nicht um konkrete Anweisungen zum Betrug handelte, konnten dieselben Politiker und Beamten im Falle eines Skandals behaupten, ihre Aufforderungen seien falsch interpretiert worden und angeben, dass ihnen keine Verstöße gegen die Sportregeln bekannt seien und sie solche auch nicht billigten. Diese Erwartungen führten in der DDR zu einem geheimen und umfassenden System des staatlich organisierten Dopings bei etwa 12.000 Leistungssportlern, genannt Staatsplanthema 14.25. Viele der betroffenen Sportler haben dabei schwere körperliche oder psychische Spätfolgen erlitten, mehrere Sportler sind in Folge der Schädigungen sogar verstorben. Es ist erstaunlich, dass ein erfahrener Politiker wie Thomas de Maizière, der seit der Wie-

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dervereinigung ostdeutsche Bezirke vertreten hat, das DDR-Doping-Erbe immer noch leugnet, obwohl in mehreren Prozessen die Schäden, die es anrichtete, unumstritten nachgewiesen wurden. In der Bundesrepublik (BRD) wurde zwar kein Staatsdoping-Programm entwickelt, aber die Ziele und Erwartungen waren die gleichen wie in der DDR: (west-)deutsche Politiker und Beamte wollten (wollen?) Medaillen als Gegenleistung für ihre großzügige Finanzierung des Spitzensports. Die Aufgabe, (west-)deutsche Athleten international wettbewerbsfähig zu machen, wurde mehrere Jahrzehnte lang wesentlich von Sportmedizinern der Universität Freiburg wahrgenommen (vgl. Ahrens, 2015 und Strepenick, 2015a).

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Die Ziele des Buches

In diesem Buch rekonstruieren wir die Rolle der Freiburger Sportmediziner, die gegen Sportregeln, Prinzipien und Normen der medizinischen Ethik und womöglich auch gegen strafrechtliche Bestimmungen verstoßen haben, um sportpolitische Erfolge für ihre Geldgeber zu sichern. Hauptakteure des Buches sind dabei zweifellos Prof. Joseph Keul und Prof. Armin Klümper. Keul war von 1974 bis zu seinem Tod im Jahr 2000 als Leiter der Freiburger Abteilung Sportmedizin der einflussreichste Sportmediziner Deutschlands. Direktes Doping kann ihm zwar nur selten nachgewiesen werden, aber Keul trug erheblich zur Legitimierung des Gebrauchs und der Vergabe von Dopingmitteln und anderer Pharmaka zum Zweck der Leistungssteigerung im westdeutschen und nach 1989 im gesamt deutschen Sport bei. Unter anderem als Leitender Arzt verschiedener (west-)deutscher Olympia-Teams unterwarf Keul immer wieder die Gesundheit der von ihm betreuten Athleten dem nationalen Sporterfolg. Aus Gier nach Geld und Ruhm beauftragte Keul zudem Ende der 90er Jahre einige seiner jüngeren Mitarbeiter mit der Betreuung der Radfahrer des Telekom/T-Mobile Teams, obwohl die Dopingnähe des professionellen Radsports schon damals weithin bekannt war. Die enge Zusammenarbeit mit diesem Team sowie die mangelnde Leitung/Beaufsichtigung der jüngeren in das Team eingebetteten Sportärzte durch Keul und seine Nachfolger führten letztendlich zum größten Dopingskandal der BRD. 2007 wurden zwei Ärzte der Universität Freiburg, Prof. Dr. Andreas Schmid und Dr. Lothar Heinrich, beschuldigt, die Fahrer des Telekom/T-Mobile Teams mit dem Dopingmittel EPO und weiteren leistungssteigernden Mitteln versorgt und bei ihnen leistungssteigernde Methoden, einschließlich Eigenbluttransfusionen,

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dervereinigung ostdeutsche Bezirke vertreten hat, das DDR-Doping-Erbe immer noch leugnet, obwohl in mehreren Prozessen die Schäden, die es anrichtete, unumstritten nachgewiesen wurden. In der Bundesrepublik (BRD) wurde zwar kein Staatsdoping-Programm entwickelt, aber die Ziele und Erwartungen waren die gleichen wie in der DDR: (west-)deutsche Politiker und Beamte wollten (wollen?) Medaillen als Gegenleistung für ihre großzügige Finanzierung des Spitzensports. Die Aufgabe, (west-)deutsche Athleten international wettbewerbsfähig zu machen, wurde mehrere Jahrzehnte lang wesentlich von Sportmedizinern der Universität Freiburg wahrgenommen (vgl. Ahrens, 2015 und Strepenick, 2015a).

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Die Ziele des Buches

In diesem Buch rekonstruieren wir die Rolle der Freiburger Sportmediziner, die gegen Sportregeln, Prinzipien und Normen der medizinischen Ethik und womöglich auch gegen strafrechtliche Bestimmungen verstoßen haben, um sportpolitische Erfolge für ihre Geldgeber zu sichern. Hauptakteure des Buches sind dabei zweifellos Prof. Joseph Keul und Prof. Armin Klümper. Keul war von 1974 bis zu seinem Tod im Jahr 2000 als Leiter der Freiburger Abteilung Sportmedizin der einflussreichste Sportmediziner Deutschlands. Direktes Doping kann ihm zwar nur selten nachgewiesen werden, aber Keul trug erheblich zur Legitimierung des Gebrauchs und der Vergabe von Dopingmitteln und anderer Pharmaka zum Zweck der Leistungssteigerung im westdeutschen und nach 1989 im gesamt deutschen Sport bei. Unter anderem als Leitender Arzt verschiedener (west-)deutscher Olympia-Teams unterwarf Keul immer wieder die Gesundheit der von ihm betreuten Athleten dem nationalen Sporterfolg. Aus Gier nach Geld und Ruhm beauftragte Keul zudem Ende der 90er Jahre einige seiner jüngeren Mitarbeiter mit der Betreuung der Radfahrer des Telekom/T-Mobile Teams, obwohl die Dopingnähe des professionellen Radsports schon damals weithin bekannt war. Die enge Zusammenarbeit mit diesem Team sowie die mangelnde Leitung/Beaufsichtigung der jüngeren in das Team eingebetteten Sportärzte durch Keul und seine Nachfolger führten letztendlich zum größten Dopingskandal der BRD. 2007 wurden zwei Ärzte der Universität Freiburg, Prof. Dr. Andreas Schmid und Dr. Lothar Heinrich, beschuldigt, die Fahrer des Telekom/T-Mobile Teams mit dem Dopingmittel EPO und weiteren leistungssteigernden Mitteln versorgt und bei ihnen leistungssteigernde Methoden, einschließlich Eigenbluttransfusionen,

KAPITEL 1: Einleitung

angewendet zu haben. Unter den auf diese Weise »medizinisch versorgten« Fahrern befanden sich auch zwei Gewinner der Tour de France, Bjarne Riis und der damalige Liebling der deutschen Medien, Jan Ullrich sowie mehrere andere berühmte Radrennfahrer. Klümper übernahm ab 1976 als Leiter der Sporttraumatologischen Spezialambulanz der Freiburger Universitätsklinik, zwischen 1977 und 1989 als außerplanmäßiger Professor der gleichen Universität und danach als Leiter einer für ihn errichteten privaten Klinik am Rande der Stadt jahrzehntelang die »schmutzige Arbeit« für westdeutsche Sportverbände. Mit seinen unverantwortbaren Medikamentencocktails, unbestreitbarer diagnostischer Intuition und der engagierten Betreuung seiner Patienten ohne Rücksicht auf mögliche gesundheitliche Spätfolgen brachte er viele Athleten zum sportlichen Erfolg und erlangte die Dankbarkeit sowohl zahlreicher Athleten als auch seiner vielen anderen, zum Teil prominenten Patienten. In diesem Buch rekonstruieren wir nicht nur die zahlreichen Verstöße der Freiburger Sportmediziner sondern analysieren auch die Faktoren, die diese Verstöße ermöglicht und Freiburg zum Hauptzentrum des Dopings in der Bundesrepublik gemacht haben. Die Gier vieler Politiker und Beamter nach Medaillen hat Praktiken im Leistungssport ermöglicht und gefördert, die nicht nur für die Gesundheit der betroffenen Sportler schädlich waren, sondern auch für die Integrität des Sports mit seiner Vorbild- und Erziehungsfunktion. Allerdings wären diese Entwicklungen nicht möglich gewesen, wenn nicht viele andere Akteure im Leistungssport die gleichen Ziele verfolgt und dabei unbeabsichtigte Folgen in Kauf genommen oder ignoriert hätten. Institutionen außerhalb des organisierten Sportes – in erster Linie die Universität Freiburg und die lokale Staatsanwaltschaft – haben ihre Kontrollfunktionen verfehlt, sich häufig unter dem Druck von Politikern und hochrangigen Staatsbeamten gebeugt und weggeschaut. Aus der Freiburger Erfahrung ziehen wir auch Lehren für die Gegenwart. Thomas de Maizières Worte zeigen, dass, trotz scharfer Verurteilung von Doping in anderen Ländern durch viele deutsche Politiker und Sportfunktionäre, die deutsche Dopingvergangenheit noch nicht umfassend bewältigt wurde. Es scheint, dass dopingfördernde Erwartungen hochrangiger Politiker, wie die des für den Sport zuständigen ehemaligen Innenministers, fortbestehen. Hier sind dringende Änderungen notwendig, um sowohl weitere Dopingskandale zu vermeiden als auch die Gesundheit der Athleten und die Integrität des Sportes zu schützen.

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Doping für Deutschland

Diese Ziele wollen wir fördern, indem wir – die sechs Mitglieder der Evaluierungskommission der Freiburger Sportmedizin in ihrer letzten Besetzung – die zentralen Ergebnisse unserer ursprünglich im Auftrag der Universität Freiburg geleisteten Arbeit, auswerten, zusammenfassen und öffentlich zugänglich machen. Durch den unausweichlichen Rücktritt von fünf Mitgliedern der Kommission am 1. März 2016 und durch die Auflösung der Kommission wurden wir daran gehindert, dies im Rahmen der Kommissionsarbeit zu tun. Im Einklang mit dem Kommissionsauftrag beleuchten wir nicht nur die Dopingvergangenheit der Freiburger Sportmedizin und deren fördernde Faktoren, sondern wir bewerten auch im Sinne des Untersuchungsauftrags der Kommission die Forschungstätigkeit und die Veröffentlichungen der Freiburger Abteilung für Sportmedizin bis zum Jahr 2007. Auch in diesem Bereich lassen sich viele Verstöße gegen die medizinische und wissenschaftliche Ethik nachweisen. Keul, der von 1974 bis zu seinem Tod im Jahr 2000 Abteilungsleiter war, kann hier als Hauptverantwortlicher identifiziert werden: er suchte offensichtlich um jeden Preis nicht nur den sportlichen, sondern auch den wissenschaftlichen Erfolg.

2.

Sportregeln, medizinische Ethik und strafrechtliche Bestimmungen

Bevor wir mit unseren Analysen beginnen bzw. den Auftrag, die Aktivitäten und die Hauptergebnisse der Evaluierungskommission kurz erläutern, skizzieren wir hier die ab den 1970er Jahren geltenden Sportregeln, die relevanten Prinzipien und Normen der medizinischen Ethik und die anwendbaren strafrechtlichen Bestimmungen, welche die Basis für die Einschätzung des Wirkens der Freiburger Sportmediziner gebildet haben. Dieses Wirken muss zunächst in den Kontext des zunehmenden, wenn auch nicht immer konsequenten Verbots von Amphetaminen, anabolen Steroiden und anderen leistungssteigernden Medikamenten im internationalen Sportsystem gestellt werden. Nach der Gründung der Medizinischen Kommission des Internationalen Olympischen Komitees (IOC) 1960 fanden die ersten Dopingtests bei den Olympischen Spielen 1968 in Grenoble und Mexico statt. Dabei wurden vorerst nur Amphetamintests durchgeführt, obwohl der weitverbreitete Gebrauch von Anabolika zu diesem Zeitpunkt durchaus schon bekannt war. Auch im ersten olympischen Dopinglabor führte Manfred Donike 1972 bei den Olympischen Spielen in München lediglich Amphetamin-

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Diese Ziele wollen wir fördern, indem wir – die sechs Mitglieder der Evaluierungskommission der Freiburger Sportmedizin in ihrer letzten Besetzung – die zentralen Ergebnisse unserer ursprünglich im Auftrag der Universität Freiburg geleisteten Arbeit, auswerten, zusammenfassen und öffentlich zugänglich machen. Durch den unausweichlichen Rücktritt von fünf Mitgliedern der Kommission am 1. März 2016 und durch die Auflösung der Kommission wurden wir daran gehindert, dies im Rahmen der Kommissionsarbeit zu tun. Im Einklang mit dem Kommissionsauftrag beleuchten wir nicht nur die Dopingvergangenheit der Freiburger Sportmedizin und deren fördernde Faktoren, sondern wir bewerten auch im Sinne des Untersuchungsauftrags der Kommission die Forschungstätigkeit und die Veröffentlichungen der Freiburger Abteilung für Sportmedizin bis zum Jahr 2007. Auch in diesem Bereich lassen sich viele Verstöße gegen die medizinische und wissenschaftliche Ethik nachweisen. Keul, der von 1974 bis zu seinem Tod im Jahr 2000 Abteilungsleiter war, kann hier als Hauptverantwortlicher identifiziert werden: er suchte offensichtlich um jeden Preis nicht nur den sportlichen, sondern auch den wissenschaftlichen Erfolg.

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Sportregeln, medizinische Ethik und strafrechtliche Bestimmungen

Bevor wir mit unseren Analysen beginnen bzw. den Auftrag, die Aktivitäten und die Hauptergebnisse der Evaluierungskommission kurz erläutern, skizzieren wir hier die ab den 1970er Jahren geltenden Sportregeln, die relevanten Prinzipien und Normen der medizinischen Ethik und die anwendbaren strafrechtlichen Bestimmungen, welche die Basis für die Einschätzung des Wirkens der Freiburger Sportmediziner gebildet haben. Dieses Wirken muss zunächst in den Kontext des zunehmenden, wenn auch nicht immer konsequenten Verbots von Amphetaminen, anabolen Steroiden und anderen leistungssteigernden Medikamenten im internationalen Sportsystem gestellt werden. Nach der Gründung der Medizinischen Kommission des Internationalen Olympischen Komitees (IOC) 1960 fanden die ersten Dopingtests bei den Olympischen Spielen 1968 in Grenoble und Mexico statt. Dabei wurden vorerst nur Amphetamintests durchgeführt, obwohl der weitverbreitete Gebrauch von Anabolika zu diesem Zeitpunkt durchaus schon bekannt war. Auch im ersten olympischen Dopinglabor führte Manfred Donike 1972 bei den Olympischen Spielen in München lediglich Amphetamin-

KAPITEL 1: Einleitung

Untersuchungen durch. Anabole androgene Steroide wurden zuerst von einzelnen Verbänden –insbesondere 1970 vom Leichtathletik-Weltverband IAAF (vor kurzem umbenannt in World Athletics) – 1974 vom Olympischen Komitee und 1977 vom Deutschen Sportbund auf die Dopingliste gesetzt. Mit der Verbesserung der Dopinganalytik wurde 1976 zum ersten Mal bei den Olympischen Spielen auf Anabolika getestet. Erst ab Mitte der 80er Jahre fanden vorerst nur in Skandinavien auch beim Training Kontrollen in Bezug auf Anabolika statt. Nach dem Festina-Skandal bei der Tour de France gründete das IOC 1999 eine semi-unabhängige Behörde, die World Antidoping Agency (WADA) und konnte damit erfolgreich die Verantwortung für unerlaubte Praktiken im Hochleistungssport abgeben. Die WADA (2021) legt bis heute mit einem verbindlichen Kodex die Liste der verbotenen Substanzen und Prozeduren fest und macht Vorgaben für Wettkampf- und Trainingskontrollen. Wie wir in den folgenden Kapiteln zeigen werden, hat Klümper trotz der stets restriktiver werdenden Dopingvorschriften unbeeindruckt zahlreiche Athleten weiter gedopt. Ab 1977 unterwarf sich Keul den offiziellen Sportregeln, aber er versuchte immer wieder, die Rechtfertigung und Effektivität derselben Regeln in Frage zu stellen und das Verbot neuer Substanzen zu vermeiden. Mit ihren Handlungen haben Keul und Klümper nicht nur gegen die Sportregeln verstoßen, sondern auch ein Kernprinzip, und die darauf basierenden Normen der medizinischen Ethik verletzt. Diese verbietet es nämlich, gesunden Menschen potentiell gefährliche Medikamente zu verschreiben und/oder ihnen diese zu verabreichen. Mit anderen Worten, es muss die Diagnose einer Erkrankung vorliegen, um den Einsatz eines solchen Stoffes zu rechtfertigen. Die Deklaration des Weltärztebundes von Lissabon aus dem Jahr 1981, die im gleichen Jahr auch im Deutschen Ärzteblatt (1981) unter dem Titel »Grundsätze für die Gesundheitsfürsorge in der Sportmedizin« publiziert wurde, konkretisierte dieses allgemeine Prinzip in Form von »ethischen Richtlinien« für den Sportmediziner weiter und schrieb u.a. vor: »Der Arzt sollte sich allen Methoden widersetzen, die nicht in Einklang mit der ärztlichen Ethik stehen oder die für den Sportler, der sie anwendet, schädliche Folgen haben können, insbesondere: 4.1 Verfahren, die die Zusammensetzung des Blutes oder die biochemischen Vorgänge künstlich verändern. 4.2 Die Anwendung von Medikamenten oder anderen Substanzen (…) die auf das zentrale Nervensystem einwirken und Verfahren, die künstlich die

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Reflexe verändern. 4.3 Induzierte Veränderungen des Willens oder der allgemeinen Geisteshaltung. 4.4 Verfahren, die den Schmerz oder andere Schutzsymptome aussetzen, damit der Sportler an Wettkämpfen teilnehmen kann, auch wenn Verletzungen oder andere Störungen vorhanden sind, die eine Teilnahme nicht geraten erscheinen lassen. 4.5 Maßnahmen, die eine künstliche Änderung alters- und geschlechtsbedingter Merkmale herbeiführen. 4.6 Die Teilnahme am Training oder an Wettkämpfen, die mit der Erhaltung des Wohlbefindens, der Gesundheit oder der Sicherheit des Betreuten nicht in Einklang zu bringen ist. […] 7. Bei sportlichen Wettkämpfen oder berufssportlichen Veranstaltungen hat der Arzt die Pflicht zu entscheiden, ob der Sportler auf der Sportstätte bleiben oder wieder an den Spielen teilnehmen kann. Diese Entscheidung kann nicht an andere Personen delegiert werden. In Abwesenheit des Arztes haben diese Personen sich ganz strikt an die von ihm gegebenen Anweisungen zu halten. Dabei haben Gesundheit und Sicherheit des Sportlers immer den Vorrang vor dem Ergebnis des Kampfes oder dem Ausgang des Spiels. 8. Zur Erfüllung seiner ethischen Verpflichtungen muß der Sportarzt dafür Sorge tragen, daß seine Autorität anerkannt und gewahrt wird, insbesondere wenn die Gesundheit, Sicherheit und die berechtigten Interessen des Sportlers unmittelbar betroffen sind, denn sie haben den absoluten Vorrang vor den Interessen Dritter[…].« (Vgl. WMA, 2010 und 2017) Zusätzlich zu den offensichtlichen Verstößen gegen diese ethischen Richtlinien waren einige Handlungen der Freiburger Ärzte, insbesondere diejenigen von Klümper und der medizinischen Betreuer des Team Telekom, auch strafrechtlich relevant – selbst vor der Einführung des Antidopinggesetzes in 2015 (vgl. Chrobok, 2017). In einem für die Evaluierungskommission der Freiburger Sportmedizin erarbeiteten Gutachten konkludierte der emeritierte Professor für Strafrecht und Kriminologie an der Ludwig-MaximilianUniversität München, Heinz Schöch (2016: 33), dass »es einige Strafnormen [gibt], die im Kampf gegen Doping relevant werden und deren Reichweite möglicherweise bei der Freiburger Sportmedizin nicht voll ausgeschöpft worden sind«. Möglich anwendbare Tatstrafbestände waren seit 1978 die verbotene Anwendung oder Weitergabe »bedenklicher Arzneimittel« (§§ 5,

KAPITEL 1: Einleitung

95 I Nr. 1 des Arzneimittelgesetzes oder AMG)1 und seit 1998 der Straftatbestand des Inverkehrbringens, der Verschreibung und der Anwendung von Arzneimitteln zu Dopingzwecken im Sport bei anderen (§§ 6a Abs. 1, 95 Abs. 1 Nr. 2a AMG). Im Bezug darauf argumentiert Schöch (2016: 34): »Hätte es diese Strafbestimmung schon in den 80er Jahren gegeben, so hätte sich Klümper bei der Verschreibung oder direkten Abgabe von Dopingmitteln sowie der Anwendung all seiner injizierten ›Cocktails‹, in denen verbotene Dopingsubstanzen enthalten waren, auch bei Einwilligung der Sportler strafbar gemacht, ebenso die Ärzte der Freiburger Abteilung Sportmedizin bei der Versorgung der Radrennfahrer mit EPO, soweit diese nach dem 11.09.1998 im Einzelnen nachweisbar gewesen wären.« In der 70er Jahren wäre auch der noch heute geltende Straftatbestand der Körperverletzung in Form einer Gesundheitsschädigung anwendbar gewesen. Dieser Straftatbestand liegt immer vor, wenn der Arzt oder jemand anders die Dopingsubstanz injiziert oder in anderer Weise in den Körper des Sportlers einführt und dieser Sportler minderjährig und deshalb nicht einwilligungsfähig ist oder nicht über die Anwendung und die Risiken der Dopingsubstanz aufgeklärt ist. Es ist stark zu bezweifeln, dass Keul und Klümper die von ihnen oder anderen gedopten Athleten über die bewiesenen Risiken des Anabolika-Gebrauchs gut aufklärten. Inzwischen hat sich herausgestellt, dass Klümper vom Ende der 70er Jahre bis 1983 viele Fahrer des Bundes Deutscher Radfahrer (BDR), unter anderem auch Minderjährige, mit einem Anabolikum belieferte. In einigen Fällen hätte sogar schwere Körperverletzung gem. § 226 StGB angenommen werden können, auf die eine Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren steht. Dieser Straftatbestand liegt dann vor, wenn sich bleibende Schäden ergeben, wie der Verlust der Fortpflanzungsfähigkeit oder, wie im Fall des von Keul und Klümper gedopten Sportlers Alwin Wagner, eine Krebserkrankung.

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Nach der Definition in § 5 II AMG »sind bedenkliche Arzneimittel, bei denen nach dem jeweiligen Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse der begründete Verdacht besteht, dass sie bei bestimmungsgemäßem Gebrauch schädliche Wirkungen haben, die über ein nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft vertretbares Maß hinausgehen.«. Obwohl dieser Straftatbestand nicht speziell im Hinblick auf Doping geschaffen wurde, stellte der Bundesgerichtshof mit einem Urteil vom 10.06.1998 klar, dass z.B. das anabole Stereoid Metandienon als schädliches Mittel in diesem Sinne anzusehen sei.

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Schöch (2016) und viele andere Kommentatoren (z.B. Strepenick, 2012c) standen der Entscheidung der Staatsanwaltschaft Freiburg (2012) vom 17.07.2012, das Verfahren gegen Schmid und Heinrich einzustellen, sehr kritisch gegenüber. Die Staatsanwaltschaft rechtfertigte ihre Entscheidung mit der Begründung, dass die Freiburger Ärzte die Fahrer des Team Telekom im Wesentlichen über die Risiken des EPO Dopings aufgeklärt hatten und deshalb keine strafbare Körperverletzung der Fahrer angenommen werden könne. Gerade im Fall der missglückten und im Detail bekannten Bluttransfusion, die Patrik Sinkewitz während der Tour de France am 02.07.2006 im Freiburger Universitätsklinikum verabreicht wurde, ist die Beurteilung der Staatsanwaltschaft Freiburg wegen der hohen Risiken dieser Transfusion kaum nachvollziehbar. Die sogenannte Doping- oder »kleine« Expertenkommission, die 2007 zusammen mit der Evaluierungskommission von der Universität Freiburg zur Aufklärung von Dopingvorwürfen gegenüber Ärzten der Abteilung Sportmedizin gegründet wurde, beschrieb diese Transfusion wie folgt: »Besonders verantwortungslos war das Verhalten von Professor Schmid bei den Zwischenfällen während der Bluttransfusion am 02. Juli 2006, nachdem das Blut des ersten Beutels bei Patrik Sinkewitz »geklumpt« hatte und nur etwa die Hälfte des Blutes infundiert werden konnte. Nach diesem Zwischenfall hat er nicht etwa die Transfusion abgebrochen und die erforderlichen Konsequenzen gezogen, sondern einfach den zweiten Beutel infundiert. Nachdem auch der Inhalt dieses Beutels nur etwa zur Hälfte zugeführt werden konnte, hat Professor Schmid auch diese Infusion abgebrochen und Patrik Sinkewitz mit den beiden anderen Fahrern, deren Infusionen zur gleichen Zeit beendet waren, nach Straßburg zurückfahren lassen. Die Vorgehensweise des Arztes bei diesen beiden Transfusionszwischenfällen war ein grober Verstoß gegen seine ärztlichen Pflichten […].« (Expertenkommission, 2009: 32)

3.

Der Auftrag, die Aktivitäten und die Ergebnisse der Evaluierungskommission: ein Überblick

Die Evaluierungskommission der Freiburger Sportmedizin wurde im Juni 2007 auf die Initiative des CDU-Wissenschaftsministers Prof. Dr. Peter Frankenberg hin, vom Rektor der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg, Prof. Dr.

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Schöch (2016) und viele andere Kommentatoren (z.B. Strepenick, 2012c) standen der Entscheidung der Staatsanwaltschaft Freiburg (2012) vom 17.07.2012, das Verfahren gegen Schmid und Heinrich einzustellen, sehr kritisch gegenüber. Die Staatsanwaltschaft rechtfertigte ihre Entscheidung mit der Begründung, dass die Freiburger Ärzte die Fahrer des Team Telekom im Wesentlichen über die Risiken des EPO Dopings aufgeklärt hatten und deshalb keine strafbare Körperverletzung der Fahrer angenommen werden könne. Gerade im Fall der missglückten und im Detail bekannten Bluttransfusion, die Patrik Sinkewitz während der Tour de France am 02.07.2006 im Freiburger Universitätsklinikum verabreicht wurde, ist die Beurteilung der Staatsanwaltschaft Freiburg wegen der hohen Risiken dieser Transfusion kaum nachvollziehbar. Die sogenannte Doping- oder »kleine« Expertenkommission, die 2007 zusammen mit der Evaluierungskommission von der Universität Freiburg zur Aufklärung von Dopingvorwürfen gegenüber Ärzten der Abteilung Sportmedizin gegründet wurde, beschrieb diese Transfusion wie folgt: »Besonders verantwortungslos war das Verhalten von Professor Schmid bei den Zwischenfällen während der Bluttransfusion am 02. Juli 2006, nachdem das Blut des ersten Beutels bei Patrik Sinkewitz »geklumpt« hatte und nur etwa die Hälfte des Blutes infundiert werden konnte. Nach diesem Zwischenfall hat er nicht etwa die Transfusion abgebrochen und die erforderlichen Konsequenzen gezogen, sondern einfach den zweiten Beutel infundiert. Nachdem auch der Inhalt dieses Beutels nur etwa zur Hälfte zugeführt werden konnte, hat Professor Schmid auch diese Infusion abgebrochen und Patrik Sinkewitz mit den beiden anderen Fahrern, deren Infusionen zur gleichen Zeit beendet waren, nach Straßburg zurückfahren lassen. Die Vorgehensweise des Arztes bei diesen beiden Transfusionszwischenfällen war ein grober Verstoß gegen seine ärztlichen Pflichten […].« (Expertenkommission, 2009: 32)

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Der Auftrag, die Aktivitäten und die Ergebnisse der Evaluierungskommission: ein Überblick

Die Evaluierungskommission der Freiburger Sportmedizin wurde im Juni 2007 auf die Initiative des CDU-Wissenschaftsministers Prof. Dr. Peter Frankenberg hin, vom Rektor der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg, Prof. Dr.

KAPITEL 1: Einleitung

Wolfgang Jäger, unter der Leitung des pensionierten Präsidenten des Sozialgerichtes Reutlingen, Dr. Hans Joachim Schäfer, gegründet. In Vollbesetzung gehörten der Kommission acht international angesehene Experten aus allen maßgeblichen Bereichen an (Medizin, Dopinganalytik, Pharmakologie, Zell- und Molekularbiologie, Toxikologie, Kriminologie, Sport- und Dopinggeschichte, Rechtswissenschaft). Konkreter Anlass für die Kommissionseinsetzung war 2007 der Dopingskandal im Team Telekom/T-Mobile, der große Wellen in der Öffentlichkeit schlug. Der Arbeitsauftrag der Kommission umfasste – nach Beschluss des Klinikums, des medizinischen Fakultätsvorstands sowie des Rektorats – »die Freiburger Sportmedizin in ihren gesamten Aktivitäten während der vergangenen 50 Jahre auf den Prüfstand« zu stellen. Mit dieser Formulierung war sichergestellt, dass nicht nur Teile, sondern tatsächlich die gesamte Freiburger Sportmedizin in ihrer personellen und institutionellen Ausprägung seit den 1950er Jahren (1955 Extraordinariat Sportmedizin für Prof. Dr. Herbert Reindell, 1974 Abteilung Sportmedizin für Prof. Dr. Joseph Keul, 1976 Sportmedizinische Spezialambulanz für Prof. Dr. Armin Klümper), einschließlich der Doping-Problematik Untersuchungsgegenstand waren. Dennoch beschränkte Rektor Jäger in seiner Pressemitteilung vom 22. Juni 2007 den Arbeitsauftrag unter Ausschluss des Dopingthemas auf die Evaluierung der Patientenversorgung und der Forschung der 1974 für Prof. Keul eingerichteten Abteilung Sportmedizin. Der tatsächliche Umfang des ursprünglichen Arbeitsauftrags konnte durch die Kommission erst 2012 aufgedeckt werden. Unter der Leitung der Ende 2009 ernannten Vorsitzenden Prof. Dr. Letizia Paoli (KU Leuven) und insbesondere nach dem Bekanntwerden des ursprünglichen Arbeitsauftrags hat die Kommission ein umfangreiches Forschungsprogramm lanciert. Nachdem Paoli am Anfang ihrer Arbeit eine leere Geschäftsstelle vorgefunden hatte, wurden zwischen Ende 2010 und 2017 rund 100 Zeitzeugen aus allen relevanten Bereichen interviewt sowie mehrere 10000 Seiten Unterlagen zur Freiburger Sportmedizin aus rund einem Dutzend einschlägiger Archive ausgewertet. Die Aufklärungsarbeit der Kommission ähnelte in Teilen der Arbeit eines Detektivbüros und brachte dementsprechend zahlreiche überraschende Entdeckungen und Wendungen mit sich. So konnte die Kommission zum Beispiel Mitte 2012 aufdecken, dass die erste Geschäftsstellenleiterin der Kommission, die spätere Abteilungsleiterin des Rektorats, ohne Wissen der Kommission, von Prof. Dr. Hans-Hermann Dickhuth, dem Ärztlichen Direktor der Abteilung Sportmedizin, tausende Seiten Dienstunterlagen und -korrespon-

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denz von Keul erhalten hatte und diese zum Erstaunen aller in ihrer Wohnung aufbewahrte. Weiterhin dauerte es überaus lange, bis die Kommission Zugang zu Material bekam, das die zweite Leitfigur der Freiburger Sportmedizin, Prof. Armin Klümper, belastete. Erst nach zweijährigem Drängen der Kommission fand die Staatsanwaltschaft Freiburg »doch noch« in einem »Außenlager« die angeblich nicht mehr vorhandenen Unterlagen aus den 80er Jahren zu dem Betrugsverfahren gegen Prof. Armin Klümper, welche erstmals systematisches Doping im Radsport und Doping im Fußball belegen. Die Aufklärungsarbeit der Evaluierungskommission wurde auch durch zahlreiche schwerwiegende Konflikte mit dem Auftraggeber belastet, obwohl dieser der Kommission uneingeschränkte Unabhängigkeit und zeitliche Unbeschränktheit zugesichert hatte, worauf auch der offizielle Name der Kommission, »Unabhängige Gutachterkommission zur Evaluierung der Abteilung Rehabilitative und Präventive Sportmedizin des Universitätsklinikums Freiburg«, verweist. Diese Konflikte eskalierten Anfang 2016, als Rektor Schiewer der Kommission die uneingeschränkte Unabhängigkeit entzog und die Kommissionsmitglieder ohne ersichtliche Grundlage des vertrags- und rechtswidrigen Handelns beschuldigte. Es war eben dieser Kurswechsel des Rektors, der am 1. März 2016 zum Austritt von fünf der sechs letzten Kommissionsmitglieder und somit zur Auflösung der Kommission führte. Trotz der zahlreichen Hindernisse und Konflikte sind die Hauptergebnisse der Kommissionsarbeit in Form von sechs Gutachten im Umfang von insgesamt 1474 Seiten auf der Homepage »Sportmedizin und Doping: Aufklärungsarbeit der Universität Freiburg« (https://www.uni-freiburg.de/universi taet/einzelgutachten) veröffentlicht worden. Die drei größten »historischen« Gutachten betreffen die drei Hauptfiguren der Freiburger Sportmedizin (die Professoren Reindell, Klümper und Keul) und wurden vom ehemaligen Kommissionsmitglied Dr. Andreas Singler (Mainz) zusammen mit Prof. Gerhard Treutlein (PH Heidelberg), verfasst. Dr. Singler verfasste auch ein weiteres Gutachten zu Doping im Team Telekom/T-Mobile im Anschluss an den Abschlussbericht der sogenannten Dopingkommission oder »kleinen« Expertenkommission, die von Dr. Schäfer geleitet wurde. Dazu kamen zwei kürzere Gutachten: Prof. Dr. Heinz Schöch (LMU München) beschäftigte sich mit den finanziellen und strafrechtlichen Aspekten im Zusammenhang mit der Freiburger Dopingproblematik und Prof. Dr. Wolfgang Jelkmann (Universität Lübeck) evaluierte die Veröffentlichungen aus der Abteilung Sportmedizin der Universität Freiburg im Zeitraum 1973 bis 2006. Ein weiterer Text über Doping durch Prof. Klümper im Radsport und im Fußball wurde von Dr. Singler ohne

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Kommissionsauftrag und gegen die Absprachen mit dem Co-Autor Gerhard Treutlein erarbeitet und eine Synthese davon an die Öffentlichkeit gebracht. Diesen Text im Umfang von 84 Seiten hat die Universität Freiburg nicht publiziert; das ehemalige Kommissionsmitglied Dr. Singler hat ihn auf seiner eigenen Webpage veröffentlicht. Die Kommissionsleiterin hat die Aktivitäten der Kommission und die Schwierigkeiten, die sie zu bewältigen hatte, ab 2010 detailliert in drei umfangreichen Rechenschaftsberichten zusammengefasst: Rechenschaftsbericht I. Entwicklung und Stand der Arbeiten der Evaluierungskommission (31. Januar 2013, 186 Seiten), Rechenschaftsbericht II. Behinderungen und Verzögerungen der Abschlussarbeiten der Evaluierungskommission (1. Oktober 2014, 106 Seiten) und ein »Activities Report« auf Englisch für ihre flämische Universität, die KU Leuven (Juli 2015). Die Kommission hat beschlossen, die beiden Rechenschaftsberichte dem Auftraggeber der Kommission zusammen mit allen anderen Ergebnissen und Einzelgutachten als Abschlussbericht ihrer Arbeiten zu übergeben. Bedauerlicherweise wurden diese Rechenschaftsberichte jedoch nicht von der Universität Freiburg veröffentlicht. Paoli kann die ursprüngliche Fassung der Rechenschaftsberichte aus Datenschutzgründen nicht publizieren, weil sie ausführlich Briefe des Rektors und anderer Vertreter der Universität Freiburg zitieren. Die Evaluierungskommission hat auch zur Aufdeckung zahlreicher Plagiate und anderer wissenschaftlicher Unredlichkeiten in den Veröffentlichungen und Arbeiten der Abteilung Sportmedizin der Universität Freiburg beigetragen. Schon 2011 informierten Paoli und der stellvertretende Kommissionsvorsitzende Dr. Hellmut Mahler (Landeskriminalamt Düsseldorf) den Freiburger Rektor Schiewer über verdächtige Übereinstimmungen zwischen der Habilitationsschrift von Prof. Dickhuth, dem damaligen Leiter der Abteilung Sportmedizin, und einer Dissertation aus der gleichen Zeit. Darauf folgte ein Abgleich von 13 anderen an der Abteilung Sportmedizin verfassten Habilitationsschriften mit zahlreichen zeitgleich entstandenen Dissertationen, der weitere verdächtige Übereinstimmungen aufdeckte. Obwohl die Dokumente selbst vertraulich geblieben sind, wurden aus ihnen zum Teil bereits öffentlich sichtbare Konsequenzen gezogen. Der Habilitationsausschuss der Medizinischen Fakultät der Universität Freiburg hat zwei Mitgliedern der Abteilung Sportmedizin die Habilitation aberkannt, unter anderem Prof. Dickhuth. Eine dritte Habilitation wurde von einem ehemaligen Mitglied der Abteilung freiwillig zurückgegeben.

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Mit der Erweiterung der Kommission durch zwei Sportmediziner, Prof. Dr. Hans Hoppeler (Universität Bern) und Prof. Dr. Dr. Perikles Simon (Universität Mainz) im Februar 2015 konnte eine umfangreichere Gesamtbewertung der Veröffentlichungen und wissenschaftlichen Arbeiten der Abteilung Sportmedizin durchgeführt werden, die weitere Hinweise auf wissenschaftliches Fehlverhalten zu Tage förderte. Der Bericht dazu wurde der Universität Freiburg zuhanden der Untersuchungskommission zur Sicherung der Redlichkeit in der Wissenschaft der Universität Freiburg Ende 2015 übergeben. Erst angesichts der bevorstehenden Veröffentlichung dieses Buches ließ das Rektorat am 4.10.2021, also knapp sechs Jahre nach Eingabe des kritischen Berichts, in einer Pressemitteilung verlauten, dass: »– [b]ei drei Beschuldigten […] die Untersuchungskommission kein wissenschaftlich unredliches Verhalten feststellen [konnte]. – [b]ei einem Beschuldigten […] die Untersuchungskommission wissenschaftliches Fehlverhalten minderen Gewichts festgestellt [hat]« (Universität Freiburg 2021). Eine frühere Information der Mitglieder der Evaluierungskommission hatte trotz mehrmaliger Anmahnung, nie stattgefunden. Vor diesem Hintergrund wollen wir unsere Aufklärungsarbeit nun endgültig abschließen, eine Zusammenfassung und Auswertung der Arbeitsergebnisse einer breiten Öffentlichkeit zur Verfügung stellen und Schlussfolgerungen für die Universität Freiburg und andere universitäre Einrichtungen, die Sportmedizin, die Politik und das organisierte Sportsystem ziehen. Viele Leser dieses Buches werden sich fragen, wieso wir erst fünf Jahre nach Kommissionsende dieses Buch veröffentlichen. Nach dem jahrelangen Ringen, der Hinhaltetaktik der Universitätsleitung und den wiederholten Versuchen, die Kommissionsarbeit zu bremsen, zu verhindern und unseren persönlichen Ruf zu schädigen, hatten die meisten Mitglieder der Kommission keine Lust mehr, sich mit diesem, inzwischen für uns schmerzhaften Thema auseinanderzusetzen. Enttäuschung sowie Desillusionierung waren die vorherrschenden Gefühle. Beim Rücktritt der Kommission wiederholte der damalige Freiburger Rektor Prof. Schiewer, sein Versprechen eine »Forschungsstelle zu Sportmedizin und Doping« für die Bearbeitung der Dopingvergangenheit einzurichten. Wir hätten es gerne gesehen, wenn diese Forschungsstelle die Kommissionsarbeit fortgesetzt hätte, aber wie in anderen Fällen hat Rektor Schiewer auch dieses Versprechen nicht gehalten. Anno 2022, sechs Jahre

KAPITEL 1: Einleitung

nach dem Rucktritt der Kommission, gibt es diese Forschungsstelle noch immer nicht und das Thema wird weiterhin totgeschwiegen. Wie schon das leider verstorbene Kommissionsmitglied, der schwedische Mediziner, Physiologe und Antidopingexperte Prof. Bengt Saltin 2013 einigen von uns schrieb: »Zusammen mit der Universität werden wir niemals in der Lage sein, alle Fragen zu lösen und die volle Wahrheit zu präsentieren. Selbst wenn wir es könnten, würden die Fakten die Öffentlichkeit niemals in einem zufriedenstellenden Umfang erreichen. Der Weg in die Zukunft besteht darin, ein Buch zum Thema ›40 Jahre Dopingvergehen: Sportmedizin in Freiburg‹ vorzubereiten.« Mit einigen Jahren Verspätung folgen wir jetzt Saltins Ratschlag und stellen dieses Buch der Öffentlichkeit vor. Mit unserer Zusammenfassung der mühsamen Aufklärungsarbeit der Evaluierungskommission Freiburger Sportmedizin wollen wir keineswegs eine rückwärtsgewandte Debatte fördern, was in Freiburg und anderswo in der Vergangenheit falsch gelaufen ist. Statt Schuldzuweisungen möchten wir vielmehr eine zukunftsorientierte Debatte um eine moderne Sportpolitik anstoßen. Die zentrale Frage dieser Debatte lautet: Was gemacht werden kann und muss, um wenigstens die Gesundheit der mit staatlichen Mitteln geförderten Athleten, das Fairplay im olympischen und öffentlich finanzierten Sport und die Integrität universitärer sportmedizinischer Einrichtungen zu gewährleisten?

4.

Struktur des Buches

Kapitel 2 und 3 des Buches sind den beiden Hauptfiguren der Freiburger Sportmedizin gewidmet: Prof. Joseph Keul und Prof. Armin Klümper. In diesen beiden Hauptkapiteln untersuchen wir die Rolle, die Keul und Klümper bei der Organisation und Legitimierung des Dopings von Athleten sowohl in West-Deutschland als auch dem vereinigten Deutschland spielten. Kapitel 4 ist eine Zusammenfassung der Arbeit verschiedener Kommissionsmitglieder, die die Forschungs- und Publikationstätigkeit der Abteilung Sportmedizin der Universität Freiburg bewertet haben. Hier rekonstruieren wir auch die Entdeckung von Plagiatsfällen und Plagiatsverdachten in den Habilitationen / Dissertationen und besprechen auch eine ganze Reihe akademische Unredlichkeiten verschiedenen Schweregrades in Dissertationen, Habilitationen und ›peer-reviewed‹ Publikationen.

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KAPITEL 1: Einleitung

nach dem Rucktritt der Kommission, gibt es diese Forschungsstelle noch immer nicht und das Thema wird weiterhin totgeschwiegen. Wie schon das leider verstorbene Kommissionsmitglied, der schwedische Mediziner, Physiologe und Antidopingexperte Prof. Bengt Saltin 2013 einigen von uns schrieb: »Zusammen mit der Universität werden wir niemals in der Lage sein, alle Fragen zu lösen und die volle Wahrheit zu präsentieren. Selbst wenn wir es könnten, würden die Fakten die Öffentlichkeit niemals in einem zufriedenstellenden Umfang erreichen. Der Weg in die Zukunft besteht darin, ein Buch zum Thema ›40 Jahre Dopingvergehen: Sportmedizin in Freiburg‹ vorzubereiten.« Mit einigen Jahren Verspätung folgen wir jetzt Saltins Ratschlag und stellen dieses Buch der Öffentlichkeit vor. Mit unserer Zusammenfassung der mühsamen Aufklärungsarbeit der Evaluierungskommission Freiburger Sportmedizin wollen wir keineswegs eine rückwärtsgewandte Debatte fördern, was in Freiburg und anderswo in der Vergangenheit falsch gelaufen ist. Statt Schuldzuweisungen möchten wir vielmehr eine zukunftsorientierte Debatte um eine moderne Sportpolitik anstoßen. Die zentrale Frage dieser Debatte lautet: Was gemacht werden kann und muss, um wenigstens die Gesundheit der mit staatlichen Mitteln geförderten Athleten, das Fairplay im olympischen und öffentlich finanzierten Sport und die Integrität universitärer sportmedizinischer Einrichtungen zu gewährleisten?

4.

Struktur des Buches

Kapitel 2 und 3 des Buches sind den beiden Hauptfiguren der Freiburger Sportmedizin gewidmet: Prof. Joseph Keul und Prof. Armin Klümper. In diesen beiden Hauptkapiteln untersuchen wir die Rolle, die Keul und Klümper bei der Organisation und Legitimierung des Dopings von Athleten sowohl in West-Deutschland als auch dem vereinigten Deutschland spielten. Kapitel 4 ist eine Zusammenfassung der Arbeit verschiedener Kommissionsmitglieder, die die Forschungs- und Publikationstätigkeit der Abteilung Sportmedizin der Universität Freiburg bewertet haben. Hier rekonstruieren wir auch die Entdeckung von Plagiatsfällen und Plagiatsverdachten in den Habilitationen / Dissertationen und besprechen auch eine ganze Reihe akademische Unredlichkeiten verschiedenen Schweregrades in Dissertationen, Habilitationen und ›peer-reviewed‹ Publikationen.

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Doping für Deutschland

Kapitel 5 rekonstruiert die verworrene Geschichte der Evaluierungskommission: Mit ihren überraschenden Wendungen, Entdeckungen, Konflikten und »Dolchstößen« erinnert diese Geschichte die Kommissionsvorsitzende wiederholt an die Schwierigkeiten und Risiken der Aufklärungsarbeit der Mafiaverwicklungen mit der Politik in ihrem Heimatland Italien. Dieses Kapitel beschäftigt sich auch mit der Frage der Verantwortung: Wie konnte es passieren, dass an einer der renommiertesten Universitäten Deutschlands fast 40 Jahre lang Praktiken unentdeckt bzw. verdeckt blieben, die aus medizinethischer Sicht hochproblematisch sind, Sportregeln verletzen und sich zum Teil schlichtweg als illegal und kriminell bezeichnen lassen? Im abschließenden Kapitel fassen wir die Hauptergebnisse zusammen und erweitern unsere Perspektive: der Blick wird nicht nur auf die Verantwortlichkeiten der Universität Freiburg, die deutschen Sportinstitutionen und öffentlichen Institutionen, sondern auch auf das IOC gerichtet, das mit seinem Motto altius-citius-fortius weltweit das Ziel bedingungsloser Höchstleistung immer noch propagiert. Je nach unseren Kompetenzen und Aufgaben innerhalb der Kommission haben wir unter uns die Federführung der verschiedenen Kapitel aufgeteilt. Letizia Paoli ist in erster Linie für das Kapitel über Keul verantwortlich. Gerhard Treutlein hat die Federführung sowohl für das Kapitel über Klümper als auch für das Kapitel übernommen, in dem es um die Widerstände geht, die der Kommission entgegengebracht wurden und in dem die Frage nach der Verantwortung gestellt wird. Hans Hoppeler und Perikles Simon sind die Hauptautoren des Kapitels über die Wissenschaft, doch auch Letizia Paoli und Hellmut Mahler haben Teile davon geschrieben. Wir übernehmen allesamt in gleichem Maße die Verantwortung für dieses Buch.   Prof. Dr. Letizia Paoli (ehemalige Kommissionsvorsitzende, Leuven) Dr. Hellmut Mahler (ehemaliger stellv. Kommissionsvorsitzender, Düsseldorf) Prof. Dr. Hans Hoppeler (Bern) Prof. Dr. Dr. Perikles Simon (Mainz) Prof. Dr. Fritz Sörgel (Nürnberg) Prof. Dr. Gerhard Treutlein (Heidelberg)

KAPITEL 2: Joseph Keul Der Doyen der (west-)deutschen Sportmedizin und rücksichtsloser Befürworter sportlicher Leistung um jeden Preis

1.

Einleitung

»Wo steht denn geschrieben, dass wir Schaden verhüten sollen?«, fragte Prof. Joseph Keul in der ZDF-Sendung »Kontrovers« am 19.08.1976. »Das ist eine allgemeinärztliche Aufgabe, die hat aber doch mit der Sportmedizin nichts zu tun« (Singler/Treutlein, 2015b: 161).1 Für Keul war die Steigerung von sportlichen Leistungen der Hauptauftrag der Sportmedizin. Nicht von ungefähr waren Sport- und Leistungsmedizin auch im Namen der Abteilung vereint, die 1973 für ihn an der Universität Freiburg gegründet wurde und die er von 1974 bis zu seinem Tod im Jahr 2000 leitete: »Abteilung Sport- und Leistungsmedizin.«2 Keuls Verständnis der Sportmedizin hat sein Werk und Wirken inspiriert und aufgrund günstiger politischer und institutioneller Voraussetzungen schwerwiegende Auswirkungen gehabt. Wie kein anderer Wissenschaftler hat Keul zur Legitimierung des Gebrauchs und der Vergabe von Dopingmitteln und anderer Pharmaka zum Zweck der Leistungssteigerung im westdeutschen und nach 1989 im gesamten deutschen Sport beigetragen. Seine Mitverantwortung für die Verbrei1

2

Wir zitieren alle Archivquellen und die von der Evaluierungskommission durchgeführten Zeitzeugeninterviews aus den Gutachten, die von ehemaligen Kommissionmitgliedern im Auftrag der Kommission erstellt wurden. Dies dient nicht nur der Transparenz und Zuverlässigkeit unserer Analysen, sondern gibt uns auch die Sicherheit, dass alle unsere Angaben und Zitate aus diesen Originalquellen datenschutzkonform sind. Die Abteilung wurde 1994 in »Präventive und Rehabilitative Sportmedizin« umbenannt.

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Doping für Deutschland

tung von Doping- und anderen schädigenden leistungssteigernden Praktiken wird nicht durch die Tatsache geschmälert, dass er Dopingmittel nur selten selbst verabreichte oder rezeptierte. Das Hauptziel dieses Kapitels ist es, Keuls Verantwortung für das Doping von zahlreichen BRD-Athleten – und damit auch indirekt für ihre gesundheitlichen Schäden und die Korruption des deutschen Sportsystems – zu belegen. Daneben rekonstruieren wir die günstigen politischen Voraussetzungen, die Keuls Einfluss verstärkten, vor allem der Missbrauch des Sports zum Nachweis der Überlegenheit des marktdemokratischen bzw. sozialistischen Regimes und die Gier bundesdeutscher Politiker und Sportfunktionäre nach sportlichem Erfolg im Medaillen-Wettkampf gegen die staatlich-gedopten Athleten der DDR und anderer sozialistischer Länder. Keul leitete von ihrer Einrichtung 1974 bis zu seinem Tod im Jahr 2000 die Abteilung Sport- und Leistungsmedizin der Universität Freiburg, die seiner Zeit die größte sportmedizinische Einrichtung der BRD war und eine große Anzahl (west-)deutscher Athleten betreute. Mit dieser Funktion in dieser Einrichtung war Keul der Doyen der gesamten Sportmedizin Westdeutschlands. Unter anderem wurde er 1998 zum Präsidenten des Deutschen Sportärztebundes, der späteren Deutschen Gesellschaft für Sportmedizin und Prävention e.V., gewählt. Zusammen mit Prof. Wildor Hollmann und anderen Kollegen der Deutschen Sporthochschule Köln hatte er bis 1992 großen Einfluss auf die Vergabe von Forschungsmitteln seitens des Bundesinstituts für Sportwissenschaft (BISp), das die Hauptquelle der Finanzierung sportmedizinischer Forschungsaktivitäten in der Bundesrepublik war. Keul wurde bereits 1964 in das »Zentralkomitee für sportwissenschaftliche Forschung« berufen, das 1970 zum BISp wurde. Er war von 1973 bis zur Neustrukturierung des BISp im Jahr 1992 ohne Unterbrechung Mitglied des Fachausschusses Medizin des BISp. Von 1983 bis 1993 hatte Keul auch die Funktion des Vorsitzenden der »Kleinen Arbeitsgruppe Dopingfragen beim Bundesinstitut für Sportwissenschaft« inne (siehe Keul/König/Scharnagl, 1999, Berg/Dickhuth, 2000 und Singler/Treutlein, 2015b: 15-17). Neben Armin Klümper war Keul auch der aktivste und bekanntesten Sportarzt seiner Generation im westdeutschen und nach 1989 im gesamtdeutschen Sportsystem. Er arbeitete jahrelang als leitender Verbandsarzt bei wichtigen Sportvereinen, unter anderem beim Bund Deutscher Radfahrer (BDR), beim Deutschen Skiverband (DSV), beim Deutschen LeichtathletikVerband (DLV) und beim Deutschen Tennis-Bund e.V. (DTB). Von 1976 an bis zum seinem Tod wirkte Keul auch als Chefarzt der deutschen Olym-

KAPITEL 2: Joseph Keul

piamannschaft und trug deshalb für fast ein Vierteljahrhundert erhebliche Verantwortung für die Gesundheit aller Athleten der Bundesrepublik mindestens während deren Teilnahme an den Olympischen Spielen. Keul wirkte auch häufig als Mitglied von internationalen Sportverbänden. 1974 wurde er zum Beispiel zum bundesdeutschen Vertreter der Medizinischen Kommission des Internationalen Leichtathletik Verbands (IAAF)3 ernannt und 1985 wurde er Mitglied der Medizinischen Kommission des Internationalen Tennis-Verbandes (Singler/Treutlein, 2015b: 15-17). Keuls Verantwortung für das Doping zahlreicher BRD-Athleten wird anhand der folgenden Punkte nachgewiesen.

2.

Keuls Beteiligung am aktiven Doping

Es gibt Belege, dass Keul persönlich einige Athleten dopte. Wir wissen mit Sicherheit, dass er in der ersten Hälfte der 1970er Jahre Anabolika an zwei Hammerwerfer verabreichte. Die Beweise betreffen die Jahre vor dem Verbot von Anabolika seitens des Deutschen Sportbundes 1977. In einem dieser Fälle ist jedoch Anabolikadoping mit Keuls Unterstützung bereits zu Zeiten des Anabolikaverbotes im DLV bzw. im Leichtathletik-Weltverband IAAF (seit 1970) nachgewiesen (siehe Eggers, 2013a). Zweifelsfrei beteiligte Keul sich am Anabolikadoping des früheren Weltrekordhalters im Hammerwerfen Walter Schmidt sowie Uwe Beyers, des Olympiadritten von 1964 und -vierten von 1972. Aus Schmidts Zeugenaussage vor dem Landgericht Darmstadt geht hervor, dass dieser aus der unweit von Freiburg gelegenen Stadt Lahr stammende Leichtathlet, Anabolika sowohl von Keul als auch von Klümper verabreicht bekam (siehe z.B. Der Spiegel, 1999a: 154). Dieser Tatbestand wird auch durch ein Urteil des Rechtsausschusses des Hessischen Leichtathletik-Verbandes vom 17.06.1977 indirekt bestätigt, das über Schmidt nach seinem Dopinggeständnis wegen der Mittäterschaft von DLV-Ärzten eine Bewährungsstrafe verhängte. Für Singler und Treutlein handelte es sich bei diesen Ärzten um Klümper und Keul, da kein anderer Arzt in diesem Kontext diskutiert wurde (Singler/Treutlein, 2012: 214).

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Der ursprüngliche Name des IAAF war International Amateur Athletic Federation. 2001 wurde er in International Association of Athletics Federations umgeändert und 2020 in World Athletics.

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piamannschaft und trug deshalb für fast ein Vierteljahrhundert erhebliche Verantwortung für die Gesundheit aller Athleten der Bundesrepublik mindestens während deren Teilnahme an den Olympischen Spielen. Keul wirkte auch häufig als Mitglied von internationalen Sportverbänden. 1974 wurde er zum Beispiel zum bundesdeutschen Vertreter der Medizinischen Kommission des Internationalen Leichtathletik Verbands (IAAF)3 ernannt und 1985 wurde er Mitglied der Medizinischen Kommission des Internationalen Tennis-Verbandes (Singler/Treutlein, 2015b: 15-17). Keuls Verantwortung für das Doping zahlreicher BRD-Athleten wird anhand der folgenden Punkte nachgewiesen.

2.

Keuls Beteiligung am aktiven Doping

Es gibt Belege, dass Keul persönlich einige Athleten dopte. Wir wissen mit Sicherheit, dass er in der ersten Hälfte der 1970er Jahre Anabolika an zwei Hammerwerfer verabreichte. Die Beweise betreffen die Jahre vor dem Verbot von Anabolika seitens des Deutschen Sportbundes 1977. In einem dieser Fälle ist jedoch Anabolikadoping mit Keuls Unterstützung bereits zu Zeiten des Anabolikaverbotes im DLV bzw. im Leichtathletik-Weltverband IAAF (seit 1970) nachgewiesen (siehe Eggers, 2013a). Zweifelsfrei beteiligte Keul sich am Anabolikadoping des früheren Weltrekordhalters im Hammerwerfen Walter Schmidt sowie Uwe Beyers, des Olympiadritten von 1964 und -vierten von 1972. Aus Schmidts Zeugenaussage vor dem Landgericht Darmstadt geht hervor, dass dieser aus der unweit von Freiburg gelegenen Stadt Lahr stammende Leichtathlet, Anabolika sowohl von Keul als auch von Klümper verabreicht bekam (siehe z.B. Der Spiegel, 1999a: 154). Dieser Tatbestand wird auch durch ein Urteil des Rechtsausschusses des Hessischen Leichtathletik-Verbandes vom 17.06.1977 indirekt bestätigt, das über Schmidt nach seinem Dopinggeständnis wegen der Mittäterschaft von DLV-Ärzten eine Bewährungsstrafe verhängte. Für Singler und Treutlein handelte es sich bei diesen Ärzten um Klümper und Keul, da kein anderer Arzt in diesem Kontext diskutiert wurde (Singler/Treutlein, 2012: 214).

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Der ursprüngliche Name des IAAF war International Amateur Athletic Federation. 2001 wurde er in International Association of Athletics Federations umgeändert und 2020 in World Athletics.

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Beyer selber gab in einer Sendung des ZDF zu, dass Keul ihm das Präparat Deca-Durabolin rezeptiert habe. Beyer legte das Rezept dem Moderator des Aktuellen Sportstudios, Harry Valerien, als Beleg vor (Berendonk, 1992: 277). In einem Schreiben an Uwe Beyer bestätigte Keul seine Mitverantwortung: »Ich möchte feststellen, dass es meine Absicht war, Sie auf anabole Steroide hinzuweisen, von denen keine Nebenwirkungen bekannt sind, da es bei Ihrer festen Entschiedenheit, anabole Steroide einzunehmen, zwecklos gewesen wäre, Sie davon abzubringen. Ich habe Ihnen damals sogar das Manuskript einer noch nicht veröffentlichten Arbeit über Nandrolondecanoat überreicht.« (Keul an Beyer, 01.07.1977; Universitätsarchiv Freiburg, B0360/0127 zitiert nach Singler/Treutlein, 2015b: 196) Keul und sogar Beyer selbst versuchten jedoch, nach der Veröffentlichung des kämpferischen Buches »Doping Dokumente: Von der Forschung zum Betrug« von Brigitte Berendonk 1992, die Wahrheit zu vertuschen (vgl. Singler/ Treutlein, 2015b: 196-203). Angesichts der Schäden, die Aufputschmittel in den 1960er Jahren bis hin zu Todesfällen (insbesondere im Radsport) hervorriefen, und der Verbreitung von Anabolika ab dem Ende desselben Jahrzehnts, kann man die Hypothese aufstellen, dass es Keul vor allem um Schadensbegrenzung ging. Keuls Aussagen 1972 in der Zusammenfassung des Sportinformationsdienstes (sid) können in diese Richtung weisen: »Keul verneinte, dass alle Kraftsportler Anabolica einnehmen. ›Nach meinen Erfahrungen sind es vorsichtig geschätzt die Hälfte‹, erklärte Keul. ›Ich persönlich bin gegen Anabolica, bin aber grundsätzlich bereit, Athleten zu informieren, welche Mittel weniger schädlich sind‹« (Sportinformationsdienst, 26. November 1972, 30 zitiert nach Singler/Treutlein, 2015b: 158). Seine eigenen Erfahrungen mit Amphetaminen und anderen psychoaktiven Medikamenten trugen vielleicht auch zu seiner lässigen Attitude und der Bereitschaft bei, leistungssteigernde Medikamente zu verschreiben. Ein deutscher Sportmediziner teilte mit der Evaluierungskommission die folgende Anekdote: »Eine Geschichte, an die ich mich erinnern kann: Er [Keul] hat erzählt, dass man mit einem gewissen Quantum Wodka, Betablocker und Amphetaminen hervorragend schnell Autofahren könne. […] Er sagte, wenn man wirklich schnell fahren wollte, dann müsste man das in dieser Weise zu sich nehmen, weil dann hätte man erstens die Aufputschwirkung, die man mit Betablo-

KAPITEL 2: Joseph Keul

ckern runterziehen würde. Jetzt, wo wir darüber reden: Ich habe ihn auch gefragt, ob er da Captagon nehmen würde, und er hat gesagt, ja, das wäre mit das Beste, was man zum Wachbleiben nehmen könnte.« (Zeitzeugeninterview 78 zitiert nach Singler/Treutlein, 2015b: 157) Auch für spätere Jahrzehnte gibt es Hinweise auf einen Medikamentenmissbrauch von Keul. Ein früherer Hilfswissenschaftler der Abteilung Keuls berichtete Dem Sonntag, dass er und andere Hilfswissenschaftler regelmäßig für Keul Medikamente besorgen mussten: »›Für Professor Keul waren wir regelmäßig in der Apotheke‹ – offenbar für den Eigengebrauch. ›Wahnsinn, wie fit der war‹« (Huber/Riexinger, 2007). Diese Angaben wurden von diesen Zeugen in einem Gespräch mit Dr. Singler erneut bestätigt (Singler/Treutlein, 2015b: 184-185). Nach der öffentlichen Polemik über die »Kolbe-Spritze« bei den Olympischen Spielen von Montreal 1976 (siehe unten Abs. 4) wurde Keul auf jeden Fall sowohl bei seinen öffentlichen Auftritten als auch in der Praxis vorsichtiger und hörte wahrscheinlich gänzlich damit auf, Dopingmittel persönlich zu rezeptieren und zu verabreichen. In ihren Gutachten zu Keul fassen Singler und Treutlein die Meinung der gesamten Evaluierungskommission zusammen, wenn sie schreiben, dass sich in Sachen Doping zwischen Keul und Klümper spätestens ab 1976 – wenn nicht schon früher – eine gewisse Arbeitsteilung entwickelte: »Dabei kam Klümper wohl überwiegend die Rolle des Rezepteurs zu, während Keul vermutlich eher die Funktion ausübte, Athleten über mögliche Nebenwirkungen zu beraten bzw. ihnen teils überhaupt erst die Angst vor möglichen Nebenwirkungen zu nehmen« (Singler/Treutlein, 2015b: 203; siehe auch Spitzer et al., 2013: 39-64). Die Arbeitsteilung zwischen Keul und Klümper in Sachen Anabolikadoping wurde detailliert von dem mehrfachen deutschen Diskuswurf-Meister Alwin Wagner in einem Interview mit der Evaluierungskommission beschrieben: »Zeitzeuge: Das war so: Ich hatte ein- oder zweimal im Jahr eine sportmedizinische Untersuchung in Freiburg. Da wurden wir zunächst auf orthopädischem Sektor von Prof. Klümper untersucht. Anschließend fuhren wir zu Prof. Keul, der für die internistische Seite zuständig war. U.a. wurde da auch der Leberwert festgestellt. Ich weiß nicht, was man dabei erkennen kann. Auf jeden Fall hat Prof. Keul uns immer gefragt, wie viel nimmst du jetzt oder wie viel nehmt ihr jetzt? Es war ja immer der ganze Kader im Diskuswerfen da. Da hieß es dann, du kannst auf jeden Fall noch ein oder zwei Tabletten mehr

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Doping für Deutschland

davon nehmen. Frage: Hat er gesagt? Zeitzeuge: Ja. Frage: Herr Keul? Zeitzeuge: Der hat uns auch untersucht, und das war so. Frage: Professor Keul wusste das also genau, was Sie genommen hatten? Zeitzeuge: Natürlich wusste er es, genau wie Bundestrainer Karlheinz Steinmetz, weil Professor Klümper einen Brief geschrieben hatte, indem zu lesen war, was ich von ihm verordnet bekam. Diesen Brief sollte ich nicht lesen. Ich habe erst später davon erfahren. Damit hat Klümper auch gegen das Strafgesetz (Schweigepflicht des Arztes) verstoßen. […] [zitiert aus dem Gedächtnis aus dem Brief Klümper an Steinmetz, wonach man überlegt habe, bei Wagner ohne sein Wissen Kontrollen durchzuführen, weil er unzuverlässig sei]. Sie wussten es also beide. Frage: Was wusste der Professor Keul? Wusste der Professor Keul, welche Medikamente Sie bekommen haben? Zeitzeuge: Ja. Frage: Hat er Ihnen auch die Namen gesagt? Zeitzeuge: Nein, die habe ich ihm gesagt. Er wusste es auch, weil er gefragt hat bei der Aufnahme, was nehmen Sie, wie viel Milligramm, das musste ich ihm alles sagen. Wie bereits erwähnt, wurden dann meine Leberwerte untersucht, die aber immer in Ordnung waren. Während Prof. Keul mir den Hinweis gab, dass ich noch eine höhere Dosis einnehmen könnte, sagte er bei anderen Diskuswerfern, dass sie schlechte Werte hätten und weniger Tabletten nehmen oder gar Anabolika absetzen sollten.« (Zeitzeugeninterview Alwin Wagner zitiert nach Singler/Treutlein 2015a: 275-276) Diese Arbeitsteilung dauerte wahrscheinlich bis 1984, als der von Klümper verursachte Skandal um die Anabolikabehandlung des Bahnradfahrers Gerhard Strittmatter zu einem Bruch in der Zusammenarbeit zwischen Keul und Klümper führte.

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Dopingduldung und -förderung bei Mitarbeitern

Auch wenn Keul nach 1976 Dopingmedikamente selten persönlich verabreichte, berichten mehrere seiner ehemaligen Mitarbeiter, dass er lange die Be-

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Doping für Deutschland

davon nehmen. Frage: Hat er gesagt? Zeitzeuge: Ja. Frage: Herr Keul? Zeitzeuge: Der hat uns auch untersucht, und das war so. Frage: Professor Keul wusste das also genau, was Sie genommen hatten? Zeitzeuge: Natürlich wusste er es, genau wie Bundestrainer Karlheinz Steinmetz, weil Professor Klümper einen Brief geschrieben hatte, indem zu lesen war, was ich von ihm verordnet bekam. Diesen Brief sollte ich nicht lesen. Ich habe erst später davon erfahren. Damit hat Klümper auch gegen das Strafgesetz (Schweigepflicht des Arztes) verstoßen. […] [zitiert aus dem Gedächtnis aus dem Brief Klümper an Steinmetz, wonach man überlegt habe, bei Wagner ohne sein Wissen Kontrollen durchzuführen, weil er unzuverlässig sei]. Sie wussten es also beide. Frage: Was wusste der Professor Keul? Wusste der Professor Keul, welche Medikamente Sie bekommen haben? Zeitzeuge: Ja. Frage: Hat er Ihnen auch die Namen gesagt? Zeitzeuge: Nein, die habe ich ihm gesagt. Er wusste es auch, weil er gefragt hat bei der Aufnahme, was nehmen Sie, wie viel Milligramm, das musste ich ihm alles sagen. Wie bereits erwähnt, wurden dann meine Leberwerte untersucht, die aber immer in Ordnung waren. Während Prof. Keul mir den Hinweis gab, dass ich noch eine höhere Dosis einnehmen könnte, sagte er bei anderen Diskuswerfern, dass sie schlechte Werte hätten und weniger Tabletten nehmen oder gar Anabolika absetzen sollten.« (Zeitzeugeninterview Alwin Wagner zitiert nach Singler/Treutlein 2015a: 275-276) Diese Arbeitsteilung dauerte wahrscheinlich bis 1984, als der von Klümper verursachte Skandal um die Anabolikabehandlung des Bahnradfahrers Gerhard Strittmatter zu einem Bruch in der Zusammenarbeit zwischen Keul und Klümper führte.

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Dopingduldung und -förderung bei Mitarbeitern

Auch wenn Keul nach 1976 Dopingmedikamente selten persönlich verabreichte, berichten mehrere seiner ehemaligen Mitarbeiter, dass er lange die Be-

KAPITEL 2: Joseph Keul

teiligung seiner Mitarbeiter an Dopingpraktiken geduldet, und laut einiger Zeugen sogar gefördert hat. In einem Gespräch mit dem damaligen Leitenden Ärztlichen Direktor des Universitätsklinikums Freiburg, Professor Dr. Matthias Brandis, gab ein langjähriger Mitarbeiter der Abteilung gleich nach dem Ausbruch des Team Telekom/T-Mobile Skandals (in Mai 2007) zu, dass »Anabolikamedikamente in den Arzneimittelschränken des Instituts vorhanden gewesen seien.« Der Mitarbeiter fügte noch hinzu: »Er selbst habe diese nie verabreicht, habe aber Sportler betreut, die solche Medikamente eingenommen hätten, er sei nach den Nebenwirkungen befragt worden. Nach 1984 seien diese Medikamente nicht mehr verwendet worden. Er habe die durch ihn betreuten Sportler nicht gefragt, woher die Medikamente kommen« (»Gespräch mit […], 30.05.07, 11 Uhr« zitiert nach Singler/Treutlein, 2015b: 187). Ein anderer Mitarbeiter, der Anfang der 1980er Jahre bei Keul arbeitete, schilderte die gleiche Praxis in einem Interview mit der Stuttgarter Zeitung vom 31. Mai 2007, in dem er anonym blieb: »Wenn sie in dem einen Zimmer nichts gekriegt haben, haben sie es im nächsten bekommen … Man hat das dann halb kontrolliert gemacht in Freiburg« (zitiert nach Singler/Treutlein, 2015b: 192). Bei einer Zeitzeugenbefragung der Evaluierungskommission fasste ein weiterer Mitarbeiter Keuls »Philosophie« in Sachen Doping gegen Ende der 1980er Jahre mit dieser Formulierung zusammen: »Lassen Sie sich nicht erwischen.« Und er fügte hinzu: »Das war alles. Nur ›Lassen Sie sich nicht erwischen‹, nicht ›machen Sie nicht‹, sondern ›Lassen Sie sich nicht erwischen‹. Punkt« (Zeitzeugeninterview 8 zitiert nach Singler/Treutlein, 2015b: 122). Andere Mitarbeiter, insbesondere die, welche nur in den 1990er Jahren in der Abteilung tätig waren, haben jedoch keine Erinnerungen an Keuls offene ProDoping-Aussagen oder erzählten der Evaluierungskommission, dass Keul auf gezieltes Nachfragen des Assistenzarztes hin, Direktiven gegen Doping gab (Singler/Treutlein, 2015b: 121-123). Was auch immer Keul gesagt haben mag, viele Fakten und Indizien legen nahe, dass er bis zu seinem Tod Dopingpraktiken seiner Mitarbeiter tolerierte und von ihnen profitierte. Ein langjähriger Mitarbeiter der Abteilung, Georg Huber, wird verdächtigt, in den 1980er Jahren Athleten, insbesondere Radfahrern, Dopingmittel verabreicht zu haben, da er als Verbandsarzt des BDR tätig war. Im Fall von Robert Lechner, Olympia-Dritter 1988 im Bahnradfahren, ist dies belegt. In einem Gespräch mit der Evaluierungskommission, das gegen die Vertraulichkeitsverpflichtungen der Kommission vom damaligem Kommissionsmitglied Prof. Werner Franke veröffentlicht wurde, gab

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Doping für Deutschland

Lechner selber zu, dass er Anabolika, inklusive des starken und besonders schädlichen Stromba, von Huber erhalten hatte (Strepenick, 2012a). Laut der Aussagen von Lechner hielten nicht einmal Lechners grenzwertige Blutdruckwerte Huber davon ab, Lechner Stromba zu verabreichen. Lechners Erfolg bei den Olympischen Spielen 1988 ist zumindest in Teilen dem gleichen Wirkstoff (Stanozolon) geschuldet, mit dem der kanadische Sprinter Ben Johnson bei derselben Olympiade erwischt wurde (siehe auch Lechner, 2011: 200). Laut mehrerer Zeitzeugen war Huber damals in der Radfahrszene bekannt als »Dr. Smarties«, weil »er immer dort, wo er aufgetaucht ist, sehr freizügig entsprechende Medikationen in Tablettenform an die Rennfahrer weitergegeben hat und zum Teil keiner wusste, was das überhaupt für Medikamente gewesen sind« (Zeitzeugeninterview 4 zitiert nach Singler, 2015a: 116). Ein ehemaliger Mitarbeiter der Abteilung Sport- und Leistungsmedizin erzählte im Interview mit Singler, dass Huber auch die von ihm ebenfalls betreuten Autorennfahrer mit möglicherweise leistungssteigernden Pharmaka versorgt hatte (Singler, 2015a: 116). Unter dem Vorsitz von Dr. Schäfer kam die Dopingkommission zu dem Schluss, dass Huber bis ins neue Jahrhundert möglicherweise an weiteren Dopingpraktiken beteiligt war: »Die vom Bundesinnenministerium eingerichtete Projektgruppe ›Sonderprüfung Doping‹ hat der Kommission Unterlagen über Arzneimittel zur Verfügung gestellt, die Dr. Huber in seiner Funktion als BDR-Verbandsarzt bestellt hatte und die im Rahmen der Sonderprüfung der Verbände beanstandet wurden. Die Auswertung der Arzneimittellieferung einer Apotheke vom Juli 2006 an Dr. Huber hat ergeben, dass unter 41 Arzneimitteln vier dopingrelevante Arzneimittel (Salbutamol Dosieraerosol Stada®, Furosemid Stada®, Beloc® Zok 95 mg, Dexamethason Creme) waren, die aber bei Vorliegen von Ausnahmegenehmigungen für bestimmte Krankheiten (z.B. Asthma bronchiale) bei Leistungssportlern verordnungsfähig sind.« (Expertenkommission, 2009: 37) Laut des Kardiologen Dr. Lothar Rokitzki, eines ehemaligen Abteilungsmitarbeiters, der auf eine Anonymisierung im Zusammenhang mit den nachfolgend zitierten Aussagen verzichtet hat, hatte Huber in Sachen Doping »eher den Klümper-Stil draufgehabt.« Rokitzki fügte jedoch gleich hinzu, dass Huber mit seinen Medikamentencocktails, einschließlich der Medikamente, die auf den Doping-Listen standen »aber den Athleten zu den Olympischen Spielen wirklich geholfen [hat]. Es hätte keine Radfahrermedaille gegeben, wenn

KAPITEL 2: Joseph Keul

der Huber da nicht mitgemacht hätte« (Singler/Treutlein, 2015b: 262). Ein weiterer ehemaliger Mitarbeiter der Abteilung berichtete, dass »bei Dr. Huber z.T. Dopingmittel (Andriol) im Arztzimmer für Patienten offen sichtbar herumlagen« (Singler/Treutlein, 2015b: 120-121). Es ist nicht plausibel, dass Keul nichts von Hubers Handlungen gewusst hatte. Wie der letztgenannte Zeuge selber hinzufügte, ist es »nicht sehr überzeugend […] anzunehmen, dass der früher so anabolikafreundliche Prof. Keul davon [d.h. von der Verlagerung von Dopingmitteln in Hubers Zimmer] nichts mitbekommen habe« (Singler/Treutlein, 2015b: 120-121). Die Affäre um die sogenannte »Kolbe-Spritze« zeigt, dass Keul bereit war, sehr problematische, ungetestete, wenn auch nicht gleich rechtswidrige Praktiken zu tolerieren und selbst zu fördern, um die Leistung der westdeutschen Athleten zu verbessern. Bei den Olympischen Spielen 1976 in Montreal sollen rund 1200 deutsche Athleten die Spritze erhalten haben, um die Übersäuerung der Muskeln zu verzögern. Sie bestand aus einer Kombination von Berolase und Thioctacid, die nicht verboten waren (oder sind) aber deren Einsatz aus ärztlich-ethischer Sicht eine nicht vertretbare leistungssteigernde Maßnahme war. Dieses Präparat ist heute bekannt als Kolbe-Spritze, weil es unter anderem dem Weltmeister im Einer-Rudern, Peter-Michael Kolbe, verabreicht worden war, der beim Finale zunächst führte, doch dann am Ende von Pertti Karppinen überholt wurde. Dies erklärte man sich später mit der Spritze, die Kolbe erhalten hatte (Krüger et al., 2014, und Eggers, 2013b). Den Erinnerungen des Schweizer Sportmediziners Professor Dr. Hans Howald zufolge übte Keul auf Kolbe Druck aus, sich die Spritze geben zu lassen: »Dass mit Keul und der Freiburger Sportmedizin etwas nicht stimmen konnte, wurde ihm bei den Olympischen Spielen in Montreal 1976 bewusst. Dort tauchte Keul (Chefarzt der westdeutschen Olympiamannschaft) überraschend beim Rudern auf. Keul vermittelte dem Ruderer Kolbe, wenn er die von ihm empfohlenen Medikamente nehmen würde (Kolbe-Spritze, Geheimmischung nach Mader), dann würde keine Milchsäure entstehen und er könne sich grenzenlos belasten.« (Autorisiertes Gedächtnisprotokoll G. Treutlein zum Zeitzeugeninterview Hans Howald, zitiert nach Singler/Treutlein, 2015b: 210) Ein früherer Spitzenschwimmer, Dirk Braunleder, behauptete 1992 in einem Brief an Keul, dass dieser ihm in Montreal die Spritze empfohlen habe: »Sie lobten damals die Spritze mir gegenüber als das Wundermittel gegen Übersäuerung in den höchsten Tönen. Und so gab ich klein bei, obwohl ich nicht dahinterstand.« (Braunleder an Keul, 22.05.1992; Universitätsarchiv Freiburg B0360/0128 zitiert nach Singler/Treutlein, 2015b: 213)

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Doping für Deutschland

Vor und während der Olympischen Spiele in Montreal setzte sich Keul auch für eine andere kontroverse leistungssteigernde Maßnahme, bekannt als »Aktion Luftklistier«, ein. Durch das Einführen eines Gas-Luft-Gemischs in den Darm von bundesdeutschen Schwimmern wollte man ihre Wasserlage verbessern. Ein Schreiben des Ministerialrates im Bundesinnenministerium, Detlev Flotho, an den Deutschen Schwimmverband zeigt, dass das Ministerium im Vorfeld von Montreal nur unter der Bedingung bereit war, diesem Eingriff zuzustimmen, dass Keul für seine Unschädlichkeit garantierte. Keul erfüllte diese Bedingung, obwohl die erwähnte Prozedur unausweichlich eine Verletzung der körperlichen Integrität von Sportlern beinhaltete. Zu einem späteren Zeitpunkt erklärte Keul, dass er gegen den oben erwähnten Eingriff bei Schwimmern sei (Singler/Treutlein, 2015b: 225-227). Als auch »Aktion Luftklistier« nach den Spielen in Montreal bekannt wurde, erhoben sich die ersten kritischen Stimmen gegen Keuls Position als Chefarzt der deutschen Olympiamannschaft. Der Präsident des NOK, Willi Daume, setzte eine Gemeinsame Kommission von DSB und NOK ein, um die westdeutschen Manipulationspraktiken bei den Olympischen Spielen 1976 aufzuklären. Neben den zunehmend kritischen Kommentaren in der Presse wurde Keul, wenn auch nicht namentlich genannt, von einem Zeugen der Gemeinsamen Kommission belastet. Dieser: »[…] klagt dabei vor allem das verantwortungslose und unpädagogische Verhalten verschiedener Trainer und Sportmediziner an. Die Kinder und jugendlichen Sportler wurden in Montreal weder über Risiken aufgeklärt noch wurden deren Eltern informiert. Kinder wurden zum Teil in einen Gewissenskonflikt mit ihren Eltern gebracht, da es ihnen verboten war, über ihre medikamentöse Behandlung mit ihren Eltern zu sprechen. Pädagogisch nicht zu verantworten ist nach […] auch, dass Sportler (Kinder) vor Entscheidungen gestellt werden, zu denen sie nicht entschlussfähig sind. Darüber hinaus sieht […] moralisch-ethische Probleme, wenn Verlobte, Eltern und – wie in Montreal geschehen – auch Trainer hintergangen werden, von einer medikamentösen Behandlung nichts wussten bzw. nichts wissen durften« (Gesprächsprotokoll der ersten Sitzung der gemeinsamen Kommission am Freitag, den 26.11.1976 in Frankfurt; Archiv DOSB, DSB-Bestand, zitiert nach Singler/Treutlein, 2015b: 216).

KAPITEL 2: Joseph Keul

4.

Politische Erwartungen und staatliche Finanzierung

Keuls Förderung und Duldung von Doping und anderen leistungssteigernden Praktiken wurde nicht nur von seinem Verständnis der Sportmedizin als Leistungsmedizin getragen. Sie war de facto auch Teil des »Missionsauftrags,« den seine Abteilung seit ihrer Gründung 1973 von ihrem öffentlichen Stifter bekam. Die Erwartungen der Politik und des Sportsystems wurden im Herbst 1976, anlässlich der Eröffnung eines neuen sportmedizinischen Gebäudekomplexes an der Universitätsklinik Freiburg, von Ministerialdirektor Dr. Gerhard Groß aus dem Bonner Innenministerium deutlich ausgesprochen. In seinem an Prof. Keul im Auftrag des Innenministers Werner Maihofer (FDP) gerichteten Gruß erklärte Groß: »Das Stichwort medikamentöse Leistungsbeeinflussung veranlasst mich, einen Augenblick bei diesem Thema zu verweilen, ist dies doch ein Fragenkomplex, der seit Montreal die Öffentlichkeit und die zuständigen Gremien des Sports immer wieder beschäftigt. Mir ist bekannt, dass sich auch Freiburg, wenn ich einmal Ihre Person, lieber Herr Professor Keul, mit Freiburg identifizieren darf, hierzu mehrfach geäußert hat. Wenn keine Gefährdung oder Schädigung der Gesundheit herbeigeführt wird, halten Sie leistungsfördernde Mittel für vertretbar. Der Bundesminister des Inneren teilt grundsätzlich diese Auffassung. Was in anderen Staaten erfolgreich als Trainings- und Wettkampfhilfe erprobt worden ist und sich in jahrelanger Praxis ohne Gefährdung der Gesundheit der Athleten bewährt hat, kann auch unseren Athleten nicht vorenthalten werden. Diese Einschätzung ergibt sich zwangsläufig, wenn wir mit der Weltspitze der Sportbewegung Schritt halten wollen, und dies wollen wir.« (Ministerialdirektor Dr. Gerhard Groß, Ausstrahlung in ARD-Sportschau, 24.10.1976, zitiert nach Singler/ Treutlein, 2015b: 160) Das Abteilungsgebäude selber war ein Symbol und gleichzeitig Produkt der damaligen Bundes- und Landespolitik, die den Leistungssport auch aufgrund außenpolitischer Interessen fördern wollte. Nachdem das Land Baden-Württemberg 1973 entschieden hatte, in öffentlichem Interesse am Universitätsklinikum Freiburg eine Untersuchungsstelle zur sportärztlichen Betreuung der Leistungssportler zu schaffen und das Baugelände kostenlos zur Verfügung zu stellen, übernahm der Bund 847.000 DM der Gesamtbaukosten in Höhe von 1.332.000 DM, das Land 216.400 DM, der Badische Sportbund Freiburg e.V. und die Stadt Freiburg 160.000 DM (Ex-

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Doping für Deutschland

pertenkommission, 2009: 39; siehe auch Singler/Treutlein, 2014: 121-124). Der verbleibende Betrag von 108.200 DM wurde durch Spenden finanziert, die an einen eigens im Jahr 1973 dafür gegründeten Verein »Bundesleistungszentrum Herzogenhorn – Freiburg e.V.« gingen (Singler/Treutlein, 2014: 137-139). Dieser Verein übernahm auch die Bauträgerschaft des gesamten Gebäudes sowie des Erweiterungsbaus der Abteilung Sport- und Leistungsmedizin, der Ende der 1980er Jahre gebaut wurde und über 4,4 Million DM kostete. Von dieser zweiten Summe bezahlte wiederum der Bundesminister des Innern 62 Prozent und das Land Baden-Württemberg 30 Prozent. Um die endgültigen Förderzusagen von Bund und Land zu erhalten, wurde 1986 vereinbart, dass der Restbetrag von 8 Prozent durch Eigenmittel oder Spenden aufzubringen sei. Keul sprang kurzerhand für diesen offenen Posten als Bürge ein, aber letztendlich bekam er von verschiedenen mit dem Deutschen Tennisbund verbundenen Firmen großzügige Spenden in Höhe von etwa 320,000 DM, die in etwa der Summe entsprachen, für die er persönlich gebürgt hatte (Singler/ Treutlein, 2015b: 91). (Keul war damals unter anderem der begleitende Arzt von Stefanie Graf und Boris Becker; siehe Der Spiegel, 1999a). Ab 1975/76 zahlte das Land der Abteilung auch Personal- und Sachkosten für die sportärztliche Betreuung der Leistungssportler des Landes. Dank dieser Förderungen wuchs Keuls Abteilung innerhalb von wenigen Jahren spektakulär. Wie auch der Expertenkommission berichtet wurde: »So waren 1979 neben dem Ärztlichen Direktor bereits sechs Ärzte und ein Chemiker, fünf Medizinisch-Technische Assistentinnen sowie drei Sekretärinnen in der Abteilung tätig. Bleibe-Verhandlungen des Ärztlichen Direktors führten 1980 zu einer Aufstockung des Personalbestandes der Abteilung um zusätzliche Stellen, im Einzelnen eine Oberarztstelle, eine Assistentenstelle, eine Sekretärinnenstelle und zwei Stellen für Medizinisch-Technische Assistentinnen.« (Expertenkommission, 2009: 40) Wie Keul selbst während einer weiteren Runde von Bleibeverhandlungen 1984 angab, war bis dahin die Abteilung um 20 Mitarbeiter gewachsen, die zu 75 Prozent über Drittmittel finanziert wurden (Nutzungsanforderung von Keul, o.D. mit Posteingangsstempel der Verwaltung des Klinikums vom 04.06.1984; Universitätsarchiv Freiburg B0164/3203 zitiert nach Singler/Treutlein, 2015b: 67). Nicht nur vom Bund und vom Land Baden-Württemberg erhielt Keuls Abteilung jedes Jahr bis 1992 großzügig bemessene Finanzmittel, sondern auch

KAPITEL 2: Joseph Keul

vom Bundesinstitut für Sportwissenschaft (BISp). Als diese Finanzierung 1992 abrupt unterbrochen wurde, erstellte das BiSp selber eine Übersicht der von ihm in der Zeit zwischen 1971 und 1992 finanziell geförderten sportmedizinischen Forschungsprojekte. Hier ist zu sehen, dass Keuls (und vor ihm Reindells) Abteilung insgesamt 26,7 Prozent des Gesamtetats von ca. 22 Mio. DM bekam, d.h. ein Gesamtbetrag von 5,875 Mio. DM, während in etwa ein Fünftel (20,4 Prozent oder 4,5 Mio. DM) an die Sporthochschule unter der Leitung von Wildor Hollmann (und ab 1990 Rost) ging (siehe Tabelle 1). Aufstellung der Forschungsmittel im Bereich Medizin für die Jahre 1971 bis 1992 Haushaltsjahr

Gesamt

Reindell (bis 1973) und Keul

Hollmann (ab 1990 Rost)

1971

700.000,00

180.000,00

35.596,70

1972

816.433,76

234.180,00

166.658,97

1973

883.933,95

218.775,17

130.000,00

1974

995.815,68

247.981,26

150.000,00

1975

1.268.895,52

338.149,09

268.278,30

1976

1.063.395,36

267.254,03

189.639,36

1977

1.373.592,87

333.223,07

221.012,30

1978

1.230.055,70

235.755,70

236.250,00

1979

1.052.413,10

314.912,90

221.222,40

1980

958.035,50

259.500,00

205.000,00

1981

673.207,60

242.257,60

175.000,00

1982

825.000,00

253.000,00

200.000,00

1983

826.300,00

280.000,00

225.000,00

1984

911.250,00

262.500,00

218.000,00

1985

910.200,00

257.000,00

254.000,00

1986

1.004.200,00

255.000,00

235.000,00

1987

1.084.700,00

260.000,00

260.000,00

1988

1.022.900,00

258.000,00

229.000,00

1989

993.500,00

273.500,00

230.000,00

1990

1.172.500,00

290.000,00

250.000,00

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Doping für Deutschland

  1991

1.172.500,00

290.000,00

250.000,00

1992

1.019.800,00

300.000,00

176.000,00

Gesamt

22.014.329,04

5.875.488,82

4.496.158,03

Quelle: Bundesinstitut für Sportwissenschaft, zitiert nach Singler/Treutlein, 2015b: 286-287.

Keul erhielt nicht nur in großem Umfang Finanzmittel vom BISp, sondern bekam zudem auch von diesem einen Freibrief für die Ausgestaltung seiner Forschung. Ein Mitarbeiter des BISp, der sich 1991 mit der Geschichte der pharmakologischen Forschung in Westdeutschland beschäftigte, kam zu dem Schluss, dass Projekten in Keuls Abteilung häufig keine Anträge vorausgegangen waren und dass zudem oft keine Zwischenberichte bzw. Abschlussberichte vorhanden waren. Stattdessen wurden meistens Publikationen als Abschlussberichte eingereicht. Ein ehemaliger Mitarbeiter von Keuls Abteilung erinnerte sich in einem Zeitzeugeninterview mit der Evaluierungskommission, dass Keul seine Mitarbeiter bei vielen Publikationen ersuchte »mit Förderung des BISp« hinzuzufügen, auch wenn diese Publikationen nicht mit den Themen in Verband standen, für welche die Abteilung Finanzierung vom BISp bekommen hatte (Zeitzeugeninterview 8, siehe auch Singler/Treutlein, 2015b: 287). Diese extrem hohe Finanzierung und die fehlenden Kontrollen waren nicht im Einklang mit den Bestimmungen des BISPs, wie der neue Direktor Horst de Marées höchstpersönlich 1992 in einem Brief an Keul feststellte (de Marées an Keul, 29.09.1992; Bundesinstitut für Sportwissenschaft, AO »Forschung 0400…«, zitiert nach Singler/Treutlein, 2015b: 350). De Marées’ Vorgänger August Kirsch hatte trotzdem diese rechtswidrige Praxis über viele Jahre erlaubt, wahrscheinlich, weil er nicht nur das BISp leitete, sondern daneben auch ein wichtiger Sportfunktionär war. Unter anderem hatte er fünfzehn Jahre lang das Amt des Präsidenten des Deutschen Leichtathletik-Verbandes inne (1970-1985) und war Vizepräsident des Nationalen Olympischen Komitees.

KAPITEL 2: Joseph Keul

5.

Keuls Duldung, Verschleierung und Förderung des Dopinggebrauchs bei Athleten und Patienten

In Übereinstimmung mit seinem Verständnis von Sportmedizin und in Erfüllung der Erwartungen westdeutscher Politiker und Sportfunktionäre ist Keul in seiner gesamten Karriere untätig geblieben, wenn er Beweise für oder Vermutungen von Dopinggebrauch bei Athleten und anderen Patienten hatte, für deren ärztliche Versorgung er in verschiedenen Konstellationen verantwortlich war. Bei mehreren Gelegenheiten hat er auch aktiv dazu beigetragen, den Dopinggebrauch von Athleten zu verschleiern. Keul war zum Beispiel über den Konsum von Anabolika und anderer leistungssteigernder Pharmaka bei den Athleten genau informiert, da diese in der Regel ein oder zwei Mal jährlich zur Kaderuntersuchung in die Abteilung kamen. Bei dieser Gelegenheit gaben die Sportlerinnen und Sportler im Zusammenhang mit der Medikamentenanamnese Auskunft über die Einnahme von Dopingmitteln. Auch trat effizient dosierter Anabolikakonsum zumeist über die Blut- und Leberwerte zutage. Nach Angaben früherer Mitarbeiter Keuls wurden diese Werte über Jahre ungeschminkt an die Sportvereine der Athleten und an den Bundesausschuss Leistungssport beim Deutschen Sportbund weitergeleitet. Ab einem nicht genau festzulegenden Zeitpunkt ergriff Keul aktiv Maßnahmen, um den offensichtlichen Dopingkonsum zu verschleiern. Im Gespräch mit Prof. Brandis beschrieb ein langjähriger Mitarbeiter Keuls Kursänderung so: »Bei Untersuchungen von Sportlern, bei denen die Laborwerte auffällig waren, wurde zunächst in Briefen darauf hingewiesen, dass ein Medikamentenmissbrauch vorzuliegen scheine. Diese Äußerungen in den Arztbriefen, die zum Teil auch an den Sportbund und die Sportvereine gingen, durften auf Anordnung des Institutsdirektors nicht mehr getätigt werden.« (»Gespräch mit […], 30.05.07, 11 Uhr« zitiert nach Singler/Treutlein, 2015b: 187-188) Dr. Lothar Rokitzki gab seinerseits an, in seiner Zeit als Abteilungsmitarbeiter zeitweilig 50 bis 70 Bodybuilder betreut zu haben, die größtenteils aus anderen Quellen erhaltene Anabolika konsumierten. Laut seiner Aussagen habe Keul Bodybuilder auch privat liquidiert und es war ihm schon klar, was die Bodybuilder konsumiert hatten (Singler/Treutlein, 2015b: 261-264). Auch außerhalb seiner Abteilung hat Keul Doping bei Athleten geduldet bzw. verschleiert. Mehrere Quellen berichten unabhängig voneinander, dass Keul als Verbandsarzt des Deutschen Leichtathletik-Verbandes die Mitglieder der Nationalmannschaft vor Anabolikakontrollen warnte, als diese Kontrollen

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Doping für Deutschland

1974 erstmals für die Leichtathletik-Europameisterschaft angekündigt worden waren. Wie der Sprinter Ommer dem Stern (Nr. 28/1977) berichtete, nahm Keul an einem vorbereitenden Treffen der Leichtathleten teil und »sagte: ›Also, bei den Europameisterschaften in Rom sind Anabolika-Kontrollen. Setzt das Zeug rechtzeitig ab!‹« (zitiert nach Singler/Treutlein, 2015b: 208). Laut einer Aktennotiz Keuls aus dem Jahr 1984, die die Evaluierungskommission im Universitätsarchiv Freiburg fand, beobachtete Keul intensiv einen Leichtathleten, der nicht nur mit Testosteron als Überbrückung, sondern bei den Weltmeisterschaften 1983 in Helsinki auch zusätzlich mit Dianabol (Metandienon) gedopt war und für die Olympiavorbereitung 1984 ebenfalls das damals noch nicht per Dopingkontrolle sicher nachweisbare Stromba (Stanozolol) eingenommen hatte: »Die Urinproben vom 27.5., 28.5., 29.5.84, nachdem 15 mg Stromba bis zum 13.5.84 täglich eingenommen worden war, ergaben keine Hinweise für anabole Steroide im Blut, jedoch war das Testosteron-Epitestosteron-Verhältnis auf 5,4, 14 bzw. 7,5 erhöht. Nach Auffassung von Prof. Donike führen Gaben von Testosteron nach einigen Tagen zu einer völligen Normalisierung des Testosteron-Epitestosteron-Verhältnisses. Daher ist es erklärbar, dass in Helsinki [1983] nach Absetzung von Dianabol 10 Tage vor dem Wettkampf und nach Absetzen von Testosteron ca. 3-4 Tage vor dem Wettkampf kein erhöhtes Verhältnis von Testosteron zu Epitestosteron bestanden hatte. Für das weitere Vorgehen wird empfohlen, dass eine unmittelbare Kontrolle der Harnwerte in Köln erfolgt.« (Aktennotiz Keul, 29.06.1984; Universitätsarchiv Freiburg, B0360/0151, zitiert nach Singler/Treutlein, 2015b: 250) Trotz dieser Erkenntnisse und Beweise ließ Keul in seiner Funktion als Chefarzt der bundesdeutschen Olympiamannschaft den Leichtathleten an internationalen Wettbewerben teilnehmen; mit dem Erfolg, dass dieser in Helsinki der beste Sportler aus einem Nicht-Ostblockstaat in seiner Disziplin wurde. Der DLV verfügte nur eine einmonatige Wettkampfsperre gegen den Athleten, als er von der WM in Helsinki zurückkam (Singler/Treutlein, 2015b: 251). Bei seiner Tätigkeit als Verbandsarzt des DLV und leitender westdeutscher Olympia-Arzt bemerkte Keul sicher sehr früh die Verbreitung von AnabolikaAnwendungen im DDR-Sport, die 1966 anfing. Er beobachtete mit Sicherheit auch die gravierenden äußerlichen physischen Veränderungen, die spätestens Anfang der 1970er Jahre insbesondere bei Ostblockathletinnen sichtbar wurden und die zu plötzlichen Leistungsverbesserungen führten (vgl. Berendonk, 1992). Gemäß den Erinnerungen eines ehemaligen ärztlichen Mitarbei-

KAPITEL 2: Joseph Keul

ters Keuls, der auch bundesdeutsche Athleten bei internationalen Wettkämpfen begleitete, »war nicht zu übersehen, dass, vor allem in bestimmten Ländern, Tschechoslowakei, Rumänien, dass dort ganz offensichtlich die Frauen unter Medikamenten standen. Das habe ich auch damals schon vermutet oder gesehen. Bei Bulgarinnen etwa, da konnte man das schon als Laie vermuten, das war extrem unangenehm« (Zeitzeugeninterview 67, zitiert nach Singler/ Treutlein, 2015b: 277). Viele westdeutsche Athletinnen, die bei internationalen Wettkämpfen mitmachen wollten, sahen sich gezwungen, Anabolika zu verwenden – und wurden wahrscheinlich in dieser Meinung von ihren Trainern, Ärzten und/oder den Sportfunktionären ihrer Sportvereine bestärkt. Nur wenige von ihnen hatten das Glück von integren Trainern wie Hansjörg Kofink betreut zu werden, die ihnen vom Anabolikagebrauch abrieten, auch wenn die Entscheidung »clean« zu bleiben einem Verzicht auf die Teilnahme an internationalen Wettkämpfen gleichkam. 1972 wurden die von Kofink trainierten bundesdeutschen Kugelstoßerinnen schon nicht mehr für die Olympischen Spiele in München nominiert, weil sie im Vergleich mit gedopten Ostblock Athletinnen nicht mehr konkurrenzfähig waren (siehe Singler/Treutlein 2012: 197-200). Kofink informierte schriftlich sowohl das NOK als auch den DLV, dass die Normen für Frauen im Kugelstoßen, die für die Teilnahme an den Olympischen Spielen erfüllt werden mussten, nur mit der Hilfe von Anabolika erreichbar waren. Doch seine Briefe blieben unbeantwortet – und er trat zurück. Ein neuer Trainer, Christian Gehrmann, wurde berufen. Er stand seit Mitte der 1970er Jahre in dem immer wieder auch öffentlich erhobenen Verdacht, Athletinnen mit Anabolika gedopt zu haben; denn die unter Kofink ausgebliebenen Erfolge wurden schnell nachgeholt. »Eva Wilms,« erinnerte sich Kofink, »war in meiner B-Gruppe als 15-Meter-Stoßerin … und sie hat dann sieben Jahre später [in 1977] 21,43 Meter gestoßen unter Trainer Gehrmann, das war mein Nachfolger.« Sie erreichte den dritten Platz bei den LeichtathletikHalleneuropameisterschaften 1977 und 1978 und den zweiten Platz 1980. Von 1974 bis 1981 wurde sie achtmal hintereinander Deutsche Meisterin im Kugelstoßen. 1977 wurde sie in der Bundesrepublik zur Sportlerin des Jahres gewählt, nachdem sie den 21,43 Meter Hallenweltrekord und zwei Freiluftweltrekorde im Fünfkampf aufgestellt hatte. Kofinks Fazit: »Der Sündenfall war, dass man 1972 die Herausforderung der DDR – hier wird über das System entschieden – angenommen hat, und das mit allen Konsequenzen, mit Anabolika. Die Trainer drüben haben sich so gerechtfertigt, wir waren dienst-

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Doping für Deutschland

verpflichtet, das waren unsere Befehle. Wir waren hier frei, und alle haben es gemacht und haben darüber geschwiegen. Der deutsche Sport, der DLV haben ihre Freiheit gründlichst missbraucht.« (Zeitzeugeninterview 5) Die Rolle Keuls bei diesem sportethischen Versagen des bundesdeutschen Sportsystems wird von einer anderen Zeugin der Evaluierungskommission, Brigitte Berendonk, verdeutlicht. Berendonk ist eine ehemalige deutsche Diskuswerferin und Kugelstoßerin sowie zweimalige Olympiateilnehmerin. Mit ihrem Artikel »Züchten wir Monstren?« der im Dezember 1969 für Die Zeit veröffentlicht wurde (Berendonk, [1969] 1977), machte sie als eine der ersten auf ein schwerwiegendes Dopingproblem im Leistungssport in Ost und West aufmerksam. 1991 veröffentlichte sie ihr Buch Doping. Von der Forschung zum Betrug, in dem sie u.a. das staatlich verordnete Doping im DDR-Leistungssport erstmals umfassend öffentlich darstellte: »Dass Herr Keul wusste, dass auch die Frauen, die Sprinterinnen, männliche Hormone kriegen, das hat er mir selber gesagt in einem Gespräch außerhalb der Sendung, bei der wir uns gemeinsam getroffen haben. Und dass, [sic!] ihn das schockiert hat, das hat er auch gesagt, dass er das also ganz schlimm findet. Also er war entsetzt oder betroffen, wie man das heute sagen würde, also er war entsetzt. Und er fand es nicht gut. Aber das war es dann auch. Frage: Hat er Namen genannt? Zeitzeuge: Ja, ja. Das war die spätere Olympiasiegerin Annegret Richter, der Trainer war Wolfgang Thiele, Annegret Kroniger, das waren die jungen Mädchen, die Frauen der Sprintstaffel. Er hat es, als ich ihn später bei einer Gesprächsrunde für Bild der Wissenschaft darauf angesprochen habe, und das liegt auch vor hier [im Buch der Zeitzeugin: Berendonk 1992], deshalb muss ich das gar nicht weiter ausdehnen. ›Ach, das waren ja nur Einzelfälle, so gerüchtemäßig habe ich das gehört.‹ Er hat also sofort wieder einen Rückzieher gemacht, und wollte das jetzt gar nicht mehr gesagt haben. Und so war sein Verhalten ganz häufig. Eigentlich wusste er, und vielleicht hat er sogar ja auch, das kann ich jetzt nicht beurteilen, so eine Art Verantwortung in gewisser Weise [verspürt] – aber er hat keine übernommen. Er hat nicht irgendwelche Schritte eingeleitet. Das ist das, was ich als am schlimmsten empfand und was ich auch medizinisch als Skandal empfunden habe.« (Zeitzeugeninterview Berendonk) Dieser Beurteilung haben wir nichts hinzuzufügen. Schon damals waren die Risiken und Schäden von Anabolikagebrauch gerade bei Frauen und Kindern vielen deutschen und ausländischen Sportmedizinern bekannt (siehe Bierich,

KAPITEL 2: Joseph Keul

1962, Franke, [1977] 2017, Freed et al., 1975 und Wade, 1972). Schon damals gab es auch Mediziner, die auf die immateriellen Schäden des Dopings für die Integrität des Sports hinwiesen. Mit großer Voraussicht nahm der Britische Sportmediziner Payne (1975: 83) schon 1968 folgendermaßen Stellung: »Vielleicht hätten wir von Anfang an die Ethik der Situation betonen sollen, dass Drogenkonsum Betrug ist, anstatt auf den schädlichen Nebenwirkungen herumzureiten. Wir hätten uns um unseren Sport als Ganzes kümmern sollen und nicht um den Schaden, den sich ein dummer Sportler in seiner Gier nach Ruhm zufügt. Wir haben den Gebrauch des Arguments »medizinischer Schaden« wegen verbesserter, nebenwirkungsarmer Medikamente verloren. Wir hätten darauf hinweisen und versuchen sollen, die Menschen aufzuklären, dass es im Sport darauf ankommt, ehrenhaft zu wetteifern, dass Siegen um jeden Preis ein Widerspruch in der Bedeutung des Sports ist. Ich fürchte, jetzt ist es zu spät.« Doch Keul, der für die Gesundheit aller olympischen Athleten und die Integrität des Sports als Olympia Chefarzt Verantwortung trug, ergriff keine öffentliche Initiative gegen das seit Anfang der 1970er Jahre kaum zu übersehende Doping in der westdeutschen Frauen-Leichtathletik. Inoffizielle Initiativen seinerseits, um die Athletinnen in Schutz zu nehmen, sind ebenfalls nicht bekannt. Mit seiner Untätigkeit ließ Keul nicht nur die Athleten selber, sondern auch deren Eltern im Stich, die dem bundesdeutschen Sportsystem und dessen Sportärzten ihre Kinder anvertraut hatten. Die Verzweiflung, welche Keuls Einstellung und Untätigkeit verursachen konnten, wird besonders im Fall von Ingra Manecke, einer der von Gehrmann betreuten Diskuswerferinnen, deutlich. »Gehrmann durfte sich bisher des Schweigens der Athletinnen ebenso sicher sein wie des Stillhaltens der Mediziner und Funktionäre«, berichtete Der Spiegel 1990: »Als Ingra Maneckes Mutter durch die Republik reiste, um Unterstützung zu finden im Kampf gegen den Anabolika-Trainer, hatte sie keinen Erfolg. Ilse Bechthold, Vizepräsidentin des DLV, erklärte ihr zwar, man wisse um Gehrmanns Methoden, könne aber, nichts beweisen und deshalb auch nichts unternehmen. Gehrmann selbst riet ihr, sie solle besser den Mund halten, um den Namen Manecke nicht in den Schmutz zu ziehen. Als durch den Fall Johnson die Dopingdiskussion wieder angefacht wurde, begann Ingra Manecke zu reden. Sie schilderte, daß selbst Klümper bei ihrem Anblick entsetzt

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Doping für Deutschland

gefragt habe: ›Mein Gott, warum nehmen Sie all dieses Zeugs?‹.« (Der Spiegel, 1990: 245)4 Ist es möglich, dass Keul die gravierenden körperlichen Veränderungen Maneckes und anderer Athletinnen nicht bemerkt hatte? Wohl kaum. Das Schweigen und die Untätigkeit von Keul und des größten Teils der westdeutschen Sportmedizin sind nicht nur sportethisch verwerflich. Sie sind auch deutliche Verstöße gegen die medizinische Ethik und medizinische Normen, wie zum Beispiel die Deklaration des Weltärztebundes von Lissabon aus dem Jahr 1981, die im gleichen Jahr auch im Deutschen Ärzteblatt (1981) unter dem Titel »Grundsätze für die Gesundheitsfürsorge in der Sportmedizin« publiziert wurde (siehe auch De Marées/Jeschke/Weicker, 1988).5 Diese Deklaration fordert von einem Sportmediziner nicht nur die Nichtanwendung als unethisch eingestufter Therapie- bzw. Medikationsformen, sondern es wird auch als die Pflicht der Ärzte gesehen, Sportler aktiv vor solchen Therapiebzw. Medikationsformen zu schützen. Auch sollen Ärzte sich dem oftmals massiven sozialen Druck, für eine Leistungssteigerung unethisch eingestufte Mittel zu verwenden, aktiv entgegenstellen. In Art. 5 der Deklaration steht: »Der Arzt soll den Sportler und die für ihn Verantwortlichen und andere betroffene Personen über die Folgen der von ihm abgelehnten Methoden aufklären, vor ihrer Anwendung warnen und die Unterstützung anderer Ärzte und Organisationen suchen, die dem gleichen Ziel dienen. Er soll den Sportler vor allem Druck von außen schützen, mit dem dieser zu solchen Methoden gezwungen wird, und er soll bei der Beobachtung zur Vermeidung ihrer Anwendung mitwirken.« (Deutscher Ärzteblatt, 1981)

6.

Keuls Verharmlosung von Anabolika und deren politische Wirkung

Prof. Keul hat immer wieder während seiner ganzen Karriere die Einnahme und Vergabe von verschiedenen Dopingmitteln – insbesondere von Anabolika – verharmlost und sie auf diese Weise legitimiert. Für seine Pro-Anabolika-Kampagne Anfang der 1970er gebrauchte und missbrauchte 4

5

Nachdem Manecke anfing, als Ärztin in einem Olympiastützpunkt zu arbeiten und dort Topathleten zu betreuen, nahm sie ihre Anschuldigungen gegen Gehrmann zurück, wie der Spiegel (1990: 245) im gleichen Artikel berichtete. Vgl. WMA (2010) für die neueste, revidierte Fassung der Deklaration.

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Doping für Deutschland

gefragt habe: ›Mein Gott, warum nehmen Sie all dieses Zeugs?‹.« (Der Spiegel, 1990: 245)4 Ist es möglich, dass Keul die gravierenden körperlichen Veränderungen Maneckes und anderer Athletinnen nicht bemerkt hatte? Wohl kaum. Das Schweigen und die Untätigkeit von Keul und des größten Teils der westdeutschen Sportmedizin sind nicht nur sportethisch verwerflich. Sie sind auch deutliche Verstöße gegen die medizinische Ethik und medizinische Normen, wie zum Beispiel die Deklaration des Weltärztebundes von Lissabon aus dem Jahr 1981, die im gleichen Jahr auch im Deutschen Ärzteblatt (1981) unter dem Titel »Grundsätze für die Gesundheitsfürsorge in der Sportmedizin« publiziert wurde (siehe auch De Marées/Jeschke/Weicker, 1988).5 Diese Deklaration fordert von einem Sportmediziner nicht nur die Nichtanwendung als unethisch eingestufter Therapie- bzw. Medikationsformen, sondern es wird auch als die Pflicht der Ärzte gesehen, Sportler aktiv vor solchen Therapiebzw. Medikationsformen zu schützen. Auch sollen Ärzte sich dem oftmals massiven sozialen Druck, für eine Leistungssteigerung unethisch eingestufte Mittel zu verwenden, aktiv entgegenstellen. In Art. 5 der Deklaration steht: »Der Arzt soll den Sportler und die für ihn Verantwortlichen und andere betroffene Personen über die Folgen der von ihm abgelehnten Methoden aufklären, vor ihrer Anwendung warnen und die Unterstützung anderer Ärzte und Organisationen suchen, die dem gleichen Ziel dienen. Er soll den Sportler vor allem Druck von außen schützen, mit dem dieser zu solchen Methoden gezwungen wird, und er soll bei der Beobachtung zur Vermeidung ihrer Anwendung mitwirken.« (Deutscher Ärzteblatt, 1981)

6.

Keuls Verharmlosung von Anabolika und deren politische Wirkung

Prof. Keul hat immer wieder während seiner ganzen Karriere die Einnahme und Vergabe von verschiedenen Dopingmitteln – insbesondere von Anabolika – verharmlost und sie auf diese Weise legitimiert. Für seine Pro-Anabolika-Kampagne Anfang der 1970er gebrauchte und missbrauchte 4

5

Nachdem Manecke anfing, als Ärztin in einem Olympiastützpunkt zu arbeiten und dort Topathleten zu betreuen, nahm sie ihre Anschuldigungen gegen Gehrmann zurück, wie der Spiegel (1990: 245) im gleichen Artikel berichtete. Vgl. WMA (2010) für die neueste, revidierte Fassung der Deklaration.

KAPITEL 2: Joseph Keul

Keul die Ergebnisse zweier empirischer Studien zu dem starken Anabolikum Deca-Durabolin, die er ab Ende der 1960er Jahre mit seinen Mitarbeitern durchführte. In einer wissenschaftlichen Publikation aus dem Jahr 1973 (Keul, 1973) fasste Keul die zwei Untersuchungen zusammen und berichtete, dass »10 Studenten und 15 Gewichtheber über 2 bzw. 3 Monate untersucht und im Abstand von 10 bis 14 Tagen 50 mg Nandrolondecanoat (Deca-Durabolin) intramuskulös gespritzt« bekamen und dass zusätzlich vier Gewichtheber (in einer anderen Publikation war die Rede von sechs Gewichtheber) »seit 2 Jahren intermittierend Nandrolondecanoat erhalten« hatten und ständig überwacht worden seien. Obwohl einige der diesem Artikel zugrunde liegenden Dissertationen trotz relativierender Argumentationen die schädliche Wirkung von Anabolika zeigten (Mahler, 2008), erwähnte Keul dies bei seinen öffentlichen Aufritten mit keinem Wort. Schäden seien weder bei der Gruppe in der Kurzzeitstudie noch bei den langfristig mit Anabolika behandelten Gewichthebern beobachtet worden. Er informierte auch seine Leser nicht darüber, dass die Freiburger Studien sich nur auf biochemische Untersuchungen bezogen und andere bekannte Nebenwirkungen wie die Beeinträchtigung der Spermiogenese und traumatologische Nebenfolgen durch vermehrt auftretende Sehnenrisse, oder negative Wirkungen auf das Herz-Kreislaufsystem, wie Blutdruckanstiege, die seinerzeit bereits bekannt waren, komplett außer Acht gelassen hatten. Noch vor dem Abschluss der Untersuchungen gab Keul seine Interpretation der Ergebnisse in der Öffentlichkeit bekannt. In einem Artikel der Westdeutschen Allgemeinen Zeitung vom 21. Februar 1970 wird er so zitiert: »Jeder, der einen muskulösen Körper haben und einfach männlicher wirken möchte, kann Anabolika einnehmen.« (zitiert nach Singler/Treutlein, 2015b: 157) Obgleich sowohl die Untersuchungen seiner eigenen Mitarbeiter als auch die Entwicklungen im Elitesport, die er sicher gut kannte, die Leistungssteigerung durch Anabolika deutlich bewiesen, bestritt Keul 1971 vor der FAZ sogar, dass Anabolika als Dopingmittel zu betrachten seien: »durch diese Hormone«, argumentierte Keul, sei »keine kurzfristige und rasch vorübergehende Leistungssteigerung zu erzielen, während ja Dopingmittel in der Absicht genommen werden, die Leistung kurzfristig für den Wettkampf zu verbessern« (Keul laut Frankfurter Allgemeinen Zeitung, 03.04.1971, zitiert nach Singler/ Treutlein, 2015b: 157). In einer wissenschaftlichen Publikation von 1976 führten Keul und seine Mitarbeiter die Schlussfolgerungen der beiden Untersuchungen noch weiter aus: »Aus medizinischen Gründen gibt es derzeit für den Mann keine gesicherten Einwände gegen die Einnahme von anabolen Hormo-

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Doping für Deutschland

nen, falls therapeutische Dosen verwendet werden. […] Ein Verbot von anabolen Hormonen mit dem Hinweis auf eine Schädigung, die nicht bewiesen ist, lässt die ärztliche Beratung bzw. den Arzt selbst fragwürdig erscheinen und ist daher nicht empfehlenswert.« (Keul/Deus/Kindermann, 1976: 502) Keul bemühte sich auch, seine Auffassungen von der Unschädlichkeit und der medizinischen Unbedenklichkeit von Anabolika unter Spitzenfunktionären und Politikern zu verbreiten. Zusammen mit seinem Doktorvater und Vorgänger Herbert Reindell schrieb Keul 1976 dem NOK-Präsident Willi Daume, dass »bis heute Erkrankungen oder Schäden nicht bekannt sind« (Reindell und Keul an Daume vom 15.11.1976, zitiert nach Singler/Treutlein, 2015b: 162). Auch die Annahme, dass Anabolika der Grund für eine Krebserkrankung sein könnten – heute eine unbestrittene Tatsache – lehnten die beiden Mediziner nicht nur ab, sondern behaupteten sogar, dass durch die Verabreichung von Testosteron »ein protektiver Effekt gegenüber Krebs erzielt« werden könne (Reindell und Keul an Daume vom 15.11.1976, zitiert nach Singler/Treutlein, 2015b: 196). Reindell, der damals Präsident des Deutschen Sportärztebundes war und Keul, der Reindell-Nachfolger als Chefarzt der deutschen Olympiamannschaft, behaupteten selbst, dass das Anabolikaverbot »von ärztlicher Seite her, zumindest auf Männer bezogen« fragwürdig sei (ebenda). Bei der Anhörung vor dem Sportausschuss des Deutschen Bundestages 1977 vertrat Keul dann die Meinung, dass die Vergabe von Anabolika und Testosteron als »Substitution« von natürlichem Testosteron für Athleten notwendig sei, »die maximal trainieren, d.h. pro Tag sechs Stunden oder mehr«: »Durch die Gabe von anabolen Steroiden wird dann bei dem, der maximal trainiert, eine Wiederherstellung herbeigeführt. Man könnte hier von einer Substitution sprechen, weil damit der Testosteronspiegel mit künstlichen Mitteln, mit anabolen Steroiden – man könnte das auch mit körpereigenem Testosteron machen – erhöht wird.« (Deutscher Bundestag, 1977: 50) Es ist kaum anzunehmen, dass sich Keul der Gesundheitsschäden nicht bewusst war, die seine Mitarbeiter in seiner einigen Abteilung bei den Gesundheitsüberprüfungen von Leistungssportlern feststellten; denn erstens hatte Keul selber seinen Mitarbeitern verboten, diese Gesundheitsschäden den Sportvereinen der Athleten und dem Bundesausschuss Leistungssport beim Deutschen Sportbund mitzuteilen und zweitens hatte er sie selbst bei seiner Tätigkeit als Olympia-Arzt beobachtet. Die Dissertation einer seiner Doktoranden, G. Ringwald, aus dem Jahr 1980 fasste die durch Anabolika verursachten Schäden im Klartext zusammen und unterschied sich damit von den Dissertationen aus den frühen 1970er Jahren, die die Schädigung

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der Gesundheit durch Anabolika bei den Gewichtshebern häufig relativierten und das Wort »Doping« in der Regel vermieden. Ringwald schrieb unter anderem: »Bei den untersuchten Sportlern aus den Nationalkadern für Kugelstoßen, Speer- und Diskuswurf wurden neben extrem reduziertem HDL-Cholesterinkonzentrationen auch gegenüber der Vergleichsgruppe signifikante Erhöhungen im LDL- und VLDL-Cholesterin gemessen. Hier muss einer intensiven Suche nach den Ursachen dieser pathologischen Situation ein konsequentes Eingreifen mit dem Ziel der Reduktion eines möglichen koronaren Risikos nachfolgen.« (Ringwald, 1980, zitiert nach Mahler, 2008: 12) In seinem Gutachten zu den Dissertationen der Abteilung schreibt Kommissionsmitglied Hellmut Mahler hierzu: »Bemerkenswert ist noch seine Aussage, dass ›viele‹ der Sportler von damals bereits verstorben seien – eine wahrscheinliche Folge ihrer Medikation (›wir alle kennen doch die schädlichen Effekte‹).« (Mahler, 2008: 13) Mit seinen verharmlosenden Stellungnahmen zu Anabolika und der Ermutigung der Vergabe von Anabolika widersprach Keul auch dem offiziellen Standpunkt der deutschen Sportmedizin, den Herbert Reindell als Präsident des Deutschen Sportärztebundes schon 1966 festgeschrieben hatte: »Medikamente dürfen nur aus medizinischer Indikation eingenommen oder verabreicht werden.« (Der Sportarzt, 2/1966: 44, zitiert nach Singler/Treutlein, 2015b: 45) Wenn Reindell seinen Worten auch nicht immer Taten folgen ließ und im Verein mit Keul in privaten Briefen an Sportfunktionäre den Gebrauch von Anabolika verharmloste, wandte er sich doch in offiziellen Stellungnahmen grundsätzlich dagegen, Medikamente zur Steigerung von Leistung bzw. zum Doping einzusetzen. Keuls lang andauernde Verharmlosung des Anabolikagebrauchs hatte folgenschwere Auswirkungen, da er schon Anfang der 70er Jahre einer der einflussreichsten bundesdeutschen Sportmediziner war und wichtige Funktionen im bundesdeutschen Sport ausübte. Die Wirkung seiner Pro-Anabolika-Kampagne zeigte sich in den Äußerungen anderer Sportmediziner, Politiker und Sportfunktionäre, die Keuls These der gefahrlos möglichen Anabolikaanwendung übernahmen. Vom 22. bis 24. Oktober 1976 fanden in Freiburg gleichzeitig eine Tagung des wissenschaftlichen Arbeitskreises des Deutschen Sportärztebundes und ein Symposium der Arbeitsgemeinschaft deutscher Verbandsärzte statt. Bei Letzterem setzten sich die Verbandsärzte für eine »praktische Toleranz« von Anabolika bzw. von Substanzen ein, »die nicht einmal unbedingt schaden« (Die Zeit und Welt Nr. 17, 22.01.1977 zitiert nach Singler/Treutlein, 2015b: 163). Im An-

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schluss an die Freiburger Tagungen kam der SPD-Bundestagesabgeordnete Manfred Wende (Waiblingen) zu dem Schluss, dass »die grundsätzliche Bejahung von nicht gesundheitsschädlichen Muskelpillen und anderen leistungssteigernden Mitteln […] nicht nur eine Kapitulation vor der Macht des Faktischen, sondern auch Ausdruck ärztlicher Verantwortung gegenüber unseren Spitzensportlern« sei (SPD-Pressedienst, Oktober 1976, o.D., zitiert nach Singler/Treutlein, 2015b: 164). Ein Jahr später, d.h. 1977, fand im Sportausschuss des Bundestags eine Anhörung statt. In diesem Zusammenhang erwog Wolfgang Schäuble – der später in seiner Funktion als Innenminister für den Spitzensport zuständig werden sollte – im Hinblick auf die Frage eines Anabolika-Verbots die Haltung zu vertreten: »Wir wollen solche Mittel nur sehr eingeschränkt und unter der absolut verantwortlichen Kontrolle der Sportmediziner.« (Deutscher Bundestag, 1977: 102) Es gab noch mehr Politiker, so zum Beispiel den CDU-Abgeordneten Dr. Hans-Joachim Jentsch und den früheren Innenminister von Rheinland-Pfalz, Heinz Schwarz, die sich die Idee von der Harmlosigkeit von Anabolika auf die Fahnen geschrieben hatten oder auch offen dafür plädierten, die durch Anabolika angerichteten Gesundheitsschäden in einem gewissen Umfang zu tolerieren. Schwarz verstieg sich sogar dazu, im Sportausschuss des Bundestags vorzuschlagen, bis zu einer internationalen Regelung der Anabolikafrage und der Dopingkontrollen verschreibungspflichtige Medikamente wie Anabolika zu liberalisieren: »Finden wir eine Übergangslösung, indem wir sagen: solange wir international nicht allgemein die Anti-Anabolika-Diskussion beendet haben, können unsere Athleten Anabolika nehmen? Oder sagen wir, wir brauchen keine Medaillen. Hauptsache, wir sind gesund und deutsch?« (Deutscher Bundestag, 1977: 51; siehe auch Singler/Treutlein, 2015b: 164-165) Mit seinen Stellungsnahmen zu Anabolika sabotierte und unterlief Keul das im Internationalen Leichtathletik Verband (IAAF, jetzt World Athletics) seit 1970 gültige Verbot von Anabolika, obwohl er Verbandsarzt des deutschen Zweigs dieses Verbands, des DLV, war. Auf der Basis von Keuls Behauptungen, dass es aus wissenschaftlicher Sicht möglich sei, Anabolika ohne nennenswerte Gesundheitsschädigungen zu sich zu nehmen, versuchten führende Persönlichkeiten in der westdeutschen Sportlandschaft wie zum Beispiel der frühere Präsident des DLV, Dr. Max Danz, Einfluss auf den Leichtathletik-Weltverband IAAF auszuüben, um die Streichung von Anabolika von der schwarzen Liste der Dopingsubstanzen zu erreichen. In einem Stasi-Bericht fasste der DDR-Sportmediziner Dr. Manfred Höppner die Diskussion der Medizinischen Kommission des Leichtathletik-Weltverbandes

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IAAF am 12. November 1976 in Amsterdam wie folgt zusammen: »In der Diskussion wurde speziell von den Vertretern der BRD [….] die Forderung erhoben, Anabolika aus der Dopingliste zu streichen und [sie] legten in diesem Zusammenhang Materialien von Prof. Dr. Keul vor, nach welchen die Anwendung anaboler Steroide nicht gesundheitsschädigend ist.« (Süddeutsche Zeitung, 21.03.1994, zitiert nach Singler/Treutlein, 2015b: 165) Keuls (und Reindells) Aussagen gingen so weit, dass sich ab Anfang 1977 sogar der NOK-Präsident Willi Daume in Briefen an Keul und andere Sportfunktionäre von ihnen distanzierte (Singler/Treutlein, 2015b: 166-168). Keul und seine Mitarbeiter genossen aber noch viel Unterstützung in einzelnen Sportverbänden, insbesondere dem DLV. Als der Mainzer Apotheker Horst Klehr im Mai 1977 Keul, Klümper und Keuls Schüler Kindermann vorwarf, Athleten zum Schutz vor Selbstmedikation Anabolika verordnet zu haben und Keul zusammen mit seinen Kollegen von August Kirsch, dem Direktor des BISp und Präsidenten des DLV zur Klärung dieser Beschuldigungen aufgefordert wurden, akzeptierte der DLV Keuls Rechtfertigung, dass von ihm »anabole Steroide auch an Sportler nur aus therapeutischen oder wissenschaftlichen Gründen verabreicht worden sind.« Obwohl dieses »Therapie-Fenster« in den DLV-Regeln gar nicht bestand, entgingen die drei Sportmediziner damit einem Verbandsgerichtsverfahren (Westermann, 1977: 141 und Singler/ Treutlein, 2015b: 170-171).

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Keuls persistente Ambivalenz zum Antidoping und die Kampagne für die Legalisierung des Testosterons im Sport

Im Juni 1977 publizierten der DSB und das NOK eine Grundsatzerklärung für den Leistungssport, die zum ersten Mal der medikamentös-pharmakologischen Leistungssteigerung eine deutliche Absage erteilte. Nach dieser Veröffentlichung stellte sich Keul offiziell hinter die neuen Leitlinien, so dass Andreas Singler und Gerhard Treutlein im für die Evaluierungskommission erstellten Keul-Gutachten von einer »klare[n] Kurskorrektur« sprechen (Singler/ Treutlein, 2015b: 171). In ihrem Gutachten beschreiben sie auch mehrere Aktionen »mit denen sich Keul als Anti-Doping-Mediziner gegenüber Institutionen des Sports und der Politik, gegenüber Sponsoren oder den Medien zu inszenieren können glaubte (sic!)« (Singler/Treutlein, 2015b: 152, kursiv im Original). Um nur eine davon zu erwähnen: Bei der Sportministerkonferenz der Bundesländer 1988 forderte Keul die Bundesregierung, sogar auf »in die Ver-

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IAAF am 12. November 1976 in Amsterdam wie folgt zusammen: »In der Diskussion wurde speziell von den Vertretern der BRD [….] die Forderung erhoben, Anabolika aus der Dopingliste zu streichen und [sie] legten in diesem Zusammenhang Materialien von Prof. Dr. Keul vor, nach welchen die Anwendung anaboler Steroide nicht gesundheitsschädigend ist.« (Süddeutsche Zeitung, 21.03.1994, zitiert nach Singler/Treutlein, 2015b: 165) Keuls (und Reindells) Aussagen gingen so weit, dass sich ab Anfang 1977 sogar der NOK-Präsident Willi Daume in Briefen an Keul und andere Sportfunktionäre von ihnen distanzierte (Singler/Treutlein, 2015b: 166-168). Keul und seine Mitarbeiter genossen aber noch viel Unterstützung in einzelnen Sportverbänden, insbesondere dem DLV. Als der Mainzer Apotheker Horst Klehr im Mai 1977 Keul, Klümper und Keuls Schüler Kindermann vorwarf, Athleten zum Schutz vor Selbstmedikation Anabolika verordnet zu haben und Keul zusammen mit seinen Kollegen von August Kirsch, dem Direktor des BISp und Präsidenten des DLV zur Klärung dieser Beschuldigungen aufgefordert wurden, akzeptierte der DLV Keuls Rechtfertigung, dass von ihm »anabole Steroide auch an Sportler nur aus therapeutischen oder wissenschaftlichen Gründen verabreicht worden sind.« Obwohl dieses »Therapie-Fenster« in den DLV-Regeln gar nicht bestand, entgingen die drei Sportmediziner damit einem Verbandsgerichtsverfahren (Westermann, 1977: 141 und Singler/ Treutlein, 2015b: 170-171).

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Keuls persistente Ambivalenz zum Antidoping und die Kampagne für die Legalisierung des Testosterons im Sport

Im Juni 1977 publizierten der DSB und das NOK eine Grundsatzerklärung für den Leistungssport, die zum ersten Mal der medikamentös-pharmakologischen Leistungssteigerung eine deutliche Absage erteilte. Nach dieser Veröffentlichung stellte sich Keul offiziell hinter die neuen Leitlinien, so dass Andreas Singler und Gerhard Treutlein im für die Evaluierungskommission erstellten Keul-Gutachten von einer »klare[n] Kurskorrektur« sprechen (Singler/ Treutlein, 2015b: 171). In ihrem Gutachten beschreiben sie auch mehrere Aktionen »mit denen sich Keul als Anti-Doping-Mediziner gegenüber Institutionen des Sports und der Politik, gegenüber Sponsoren oder den Medien zu inszenieren können glaubte (sic!)« (Singler/Treutlein, 2015b: 152, kursiv im Original). Um nur eine davon zu erwähnen: Bei der Sportministerkonferenz der Bundesländer 1988 forderte Keul die Bundesregierung, sogar auf »in die Ver-

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träge mit den Ärzten für die Olympia-Stützpunkte den Passus einer fristlosen Kündigung bei Verstoß gegen die Doping-Bestimmungen aufzunehmen« (Protokoll-Notizen der 11. Sportministerkonferenz, 09.12.1988; Universitätsarchiv Freiburg B0360/0143 zitiert nach Singler/Treutlein, 2015b: 152). 1991, nach der Veröffentlichung des Buches Doping in Deutschland von Brigitte Berendonk, das mehrere Beschuldigungen gegen Keul erhob und seinen Ruf schwer schädigte, schlug Keul sogar Sportpolitikern vor, Anabolika unter das Betäubungsmittelgesetz fallen zu lassen. Er tat dies unter anderem in Briefen an Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble (14.10.1991) und den baden-württembergischen Kultusminister Gerhard Mayer-Vorfelder (05.11.1991; jeweils Universitätsarchiv Freiburg, B0360/0129) und mit öffentlichen Auftritten (vgl. »Keul: Anabolika in das Betäubungsmittelgesetz«, NOK Report Nr. 11/91, 1. November 1991, zitiert nach Singler/Treutlein, 2015b: 154). Trotz dieser eindeutigen Aussagen zeigen andere Äußerungen und vor allem Handlungsweisen Keuls seine persistente Ambiguität gegenüber der offiziellen Anti-Doping-Politik, so dass man seine Glaubwürdigkeit und sein Anti-Doping Engagement zumindest bezweifeln kann. Beispielsweise stellte er bei mehreren Gelegenheiten das sportliche Verbot von leistungssteigernden Mitteln in Frage. Der Südkurier aus Konstanz zitierte 1979 folgende Aussagen von Keul: »Doping unterbinden müsse man nur insofern, als der Sport nach seinen eigenen Regeln lebe, welche besagen, dass Leistung ohne künstliche Hilfe erbracht werden soll. Die dementsprechende Unzulässigkeit von Aufputschmitteln bedeute jedoch nicht, dass nicht Medikamente zur natürlichen Leistungssteigerung verabreicht werden dürfen.« (Südkurier Konstanz, 03.05.1979, zitiert nach Singler/Treutlein, 2015b: 171) Noch Anfang der 1990er Jahre verharmloste Keul in der öffentlichen Debatte den Gebrauch von Anabolika: »Mir ist kein Athlet bekannt, der einen Leberschaden auf Grund von Anabolika hat.« (Sports 2/1992, zitiert nach Singler/Treutlein, 2015b: 174) Keul versuchte immer wieder, den Ernst der Dopingproblematik kleinzureden. Bei der 11. Sportministerkonferenz am 9. Dezember 1988 in Würzburg behauptete er zum Beispiel: »Bei der Diskussion über diese Fragen dürfe nicht übersehen werden, dass das Doping in vielen Sportarten keine Rolle spiele; deshalb dürfe man nicht den gesamten Leistungssport ›verteufeln‹. Für die Kontrollen außerhalb der Wettbewerbe sollten nur die Sportarten herangezogen werden, von denen man wisse, dass anabole Steroide eine Rolle spielten.« (Protokoll-Notizen 11.

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Sportministerkonferenz am 9. Dezember 1988 in Würzburg; Universitätsarchiv Freiburg, B0360/0149, zitiert nach Singler/Treutlein, 2015b: 180-181) Obwohl der Deutsche Sportärztebund unter Vorsitz seines Doktorvaters Reindell 1977 die Einführung von Dopingkontrollen außerhalb des Wettkampfes gefordert hatte, stellte er diese in der zweiten Hälfte der 1980er Jahre immer wieder in Frage, auch wenn er mit Sicherheit wusste, dass Trainingskontrollen notwendig waren, um Anabolika-Doping zu bekämpfen und die Gabe von Testosteron zu Zwecken des Überbrückungsdopings vor großen Wettkämpfen zu verhindern. Das Offenburger Tageblatt fasste am 11. November 1988 Keuls Äußerungen zum Thema zusammen: »Sehr kritisch äußert sich Keul über die Bestrebungen, Dopingkontrollen schon im Trainingsbereich anzusetzen. Neben dem enormen personellen und verwaltungstechnischen Aufwand wäre eine solche Überwachung überhaupt erst sinnvoll, wenn es einen internationalen Konsens gebe. ›Ohne die Russen oder die DDR geht’s halt nicht‹, zeigte sich der Professor überzeugt. Zudem müsse man Trainingskontrollen auch auf bestimmte Sportarten, in denen ein hohes Maß an Kraft und Schnellkraft gefordert werde, beschränken. ›Bei Tennis, Golf, Handball oder Schießen macht eine Dopingpolizei einfach keinen Sinn‹.« (Offenburger Tageblatt, 11.11.1988; Universitätsarchiv Freiburg B0360/0143, zitiert nach Singler/Treutlein, 2015b: 153) Nicht nur durch seine öffentlichen Auftritte, sondern auch durch seine kritische Meinung zur Trainingskontrolle beeinflusste Keul hochrangige Sportfunktionäre wie den Direktor des BISp und Präsidenten des DLV Kirsch: »Unangemeldete Kontrollen im Training sind äußerst schwierig, beinhalten eine Fülle von Organisationsaufgaben und sind für meine Begriffe rechtlich gar nicht abzusichern. Darüber hinaus erscheint es mir völlig fragwürdig, wie dies vorgenommen werden soll, da häufig die Trainingsstätten nicht bekannt sind, zumal eine Reihe von Athleten ihr Training im Ausland absolvieren. Zudem ist mir auch unklar, wer die nicht gering anzusetzenden Kosten bezahlen soll.« (Keul an Kirsch, 25.11.1985; Nachlass August Kirsch, DiemArchiv Köln, zitiert nach Singler/Treutlein, 2015b: 230) Mit der Hilfe von Kirsch und dem Endokrinologen Hans Kuno Kley aus Singen setzte sich Keul für »die Streichung des genuinen (natürlichen) Testosterons aus der Liste der für männliche Erwachsene verbotenen Substanzen« ein. Keul und Kirsch machten diesen Vorschlag sogar zum Thema der Sit-

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zung der Arbeitsgruppe ›Dopingfragen‹ beim BISp am 11. März 1988, deren Vorsitzender Keul war. Das Protokoll der Sitzung fasst die Argumente Keuls zusammen: »Für die Streichung des Testosteron setzt sich Keul ein. Seine Argumentation beinhaltet, dass eigentlich nur Substanzen auf die Liste gesetzt werden sollten, die eine gesundheitliche Gefährdung des Athleten bewirken können. Für Testosteron ist dieses bei erwachsenen Männern nicht der Fall, so Kley. Selbst die Anwendung von Testosteron bei Patienten mit Leberzirrhose hat bisher zu keiner gesundheitlichen Gefährdung geführt. Ferner ist Keul der Auffassung, daß der Testosteron/Epitestosteron Quotient der ausgeschiedenen urinären Glucuronide nicht als Maßgröße verwendbar ist, da keine genau Aussage getroffen werden kann, welche Kenngrößen den Quotienten verfälschen können.« (Archiv Bundesinstitut für Sportwissenschaft, AO 0415/05 Kleine Arbeitsgruppe Dopingfragen, 1. bis 14. Sitzung, zitiert nach Singler/Treutlein, 2015b: 234) Trotz der Unterstützung von Kley, der auch Mitglied der Arbeitsgruppe war, konnte sich Keul innerhalb der Arbeitsgruppe nicht durchsetzen: drei Mitglieder stimmten für seinen Vorschlag und drei dagegen (ebenda, 234-236). Um die Legalisierung von Testosteron im Spitzensport zu erreichen, setzte Keul dann auf die Diskreditierung und die Aussetzung des indirekten Nachweisverfahrens für Testosteron über den Quotienten Testosteron/ Epitestosteron (T/E Quotient) das von Manfred Donike von der Sporthochschule Köln entwickelt worden war. Die Aussetzung dieses Verfahrens kam einer de facto Freigabe von Testosterondoping gleich, da Testosteron damals nicht direkt nachweisbar war; sie konnte auch den Einsatz von synthetischen Anabolika erleichtern. So publizierte Keul zusammen mit Kley in der FAZ einen Artikel mit dem programmatischen Titel »Bedenken gegen den Testosteron-Epitestosteron-Quotienten« (Frankfurter Allgemeine Zeitung, 05.07.1991, zitiert nach Singler/Treutlein, 2015b: 235), der schon im Untertitel erklärte: »Mehr als 15 Sportler müssen einen falschen Verdacht fürchten.« In einem weiteren Artikel in der gleichen Zeitung zwei Wochen später zogen Keul und Kley das Donike-Verfahren dadurch in Zweifel, dass sie die Testosteronfrage mit genetischen und anthropologischen Überlegungen verknüpften. Auf dieser »Grundlage« verstiegen sie sich selbst dazu, sich die Frage der Gerechtigkeit beim internationalen sportlichen Wettbewerb zu stellen. Keul und Kley griffen auch in die Diskussion um die partielle und sporadische Anwendung von Donikes Testosterontest ein, um etwa

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nach einem Anfangsverdacht aufgrund dieses Verfahrens weitere gezielte Kontrollen bzw. Analysen vorzunehmen. Den Gedanken, dass man bei verdächtigen Athleten das Donike-Verfahren anwenden könne, lehnten sie mit dem Argument ab, dass auch bei äußerster Diskretion allein ein solcher Verdacht schon rufschädigende Wirkung haben könnte: »sein Leben lang müsste er mit dem Vorwurf des Dopings leben« (»Soll die Abstammung über die Teilnahme an Olympia entscheiden?«, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 13.07.1991, zitiert nach Singler/Treutlein, 2015b: 235). Die Bemühungen von Keul und Kley, die Anwendung von Donikes Verfahren in der Praxis zu verhindern, waren zeitweise von Erfolg gekrönt. Die gemeinsame Kommission des Deutschen Sportbunds und des Nationalen Olympischen Komitees, die Anfang 1991 zur Beschäftigung mit dem Thema Doping eingesetzt und nach dem Namen ihres Vorsitzenden unter »ReiterKommission« bekannt wurde, übernahm Keuls und Kleys Haltung zum T/E Quotienten. Wahrscheinlich aufgrund des Einflusses von Kley, der Kommissionsmitglied war, wurde das T/E-Quotient-Verfahren zusammen mit anderen »indirekten Nachweisverfahren […] wie das Steroidprofil« in dem im Juni 1991 publizierten Endbericht der Reiter-Kommission als unzuverlässig bezeichnet. Die Empfehlung der Kommission war dann die Folgende: »Die ›indirekten Nachweisverfahren‹ für Dopingsubstanzen […] sollten zum Schutz des Sportlers ausgesetzt werden, bis ihre Zuverlässigkeit ausreichend dargestellt worden ist. Diese indirekten Verfahren können zur Zeit noch nicht als Basis einer Sanktion wegen Doping herangezogen werden.« (Reiter et al. 1991, 44) Die Sportverbände beeilten sich, um diese Empfehlung zu implementieren und schon am 5. August 1991 beschlossen sie auf einer außerordentlichen Vollversammlung, »dass indirekte Nachweisverfahren, wie Testosteron/ Epitestosteron-Quotient […], vorläufig ausgesetzt werden« (zitiert nach Berendonk, 1992: 304). Damit hatte sich im wiedervereinigten Sport eine QuasiLegalisierung des Testosterondopings durchgesetzt.

8.

Die multizentrische Testosteronstudie und deren politischer Missbrauch

Die Rehabilitierung des Testosterons und wahrscheinlich auch die Fortführung des Testosterondopings im Westen waren auch wichtige Ziele der multizentrischen Studie zu Wirkungen von Testosteron, die Keul in der zwei-

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nach einem Anfangsverdacht aufgrund dieses Verfahrens weitere gezielte Kontrollen bzw. Analysen vorzunehmen. Den Gedanken, dass man bei verdächtigen Athleten das Donike-Verfahren anwenden könne, lehnten sie mit dem Argument ab, dass auch bei äußerster Diskretion allein ein solcher Verdacht schon rufschädigende Wirkung haben könnte: »sein Leben lang müsste er mit dem Vorwurf des Dopings leben« (»Soll die Abstammung über die Teilnahme an Olympia entscheiden?«, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 13.07.1991, zitiert nach Singler/Treutlein, 2015b: 235). Die Bemühungen von Keul und Kley, die Anwendung von Donikes Verfahren in der Praxis zu verhindern, waren zeitweise von Erfolg gekrönt. Die gemeinsame Kommission des Deutschen Sportbunds und des Nationalen Olympischen Komitees, die Anfang 1991 zur Beschäftigung mit dem Thema Doping eingesetzt und nach dem Namen ihres Vorsitzenden unter »ReiterKommission« bekannt wurde, übernahm Keuls und Kleys Haltung zum T/E Quotienten. Wahrscheinlich aufgrund des Einflusses von Kley, der Kommissionsmitglied war, wurde das T/E-Quotient-Verfahren zusammen mit anderen »indirekten Nachweisverfahren […] wie das Steroidprofil« in dem im Juni 1991 publizierten Endbericht der Reiter-Kommission als unzuverlässig bezeichnet. Die Empfehlung der Kommission war dann die Folgende: »Die ›indirekten Nachweisverfahren‹ für Dopingsubstanzen […] sollten zum Schutz des Sportlers ausgesetzt werden, bis ihre Zuverlässigkeit ausreichend dargestellt worden ist. Diese indirekten Verfahren können zur Zeit noch nicht als Basis einer Sanktion wegen Doping herangezogen werden.« (Reiter et al. 1991, 44) Die Sportverbände beeilten sich, um diese Empfehlung zu implementieren und schon am 5. August 1991 beschlossen sie auf einer außerordentlichen Vollversammlung, »dass indirekte Nachweisverfahren, wie Testosteron/ Epitestosteron-Quotient […], vorläufig ausgesetzt werden« (zitiert nach Berendonk, 1992: 304). Damit hatte sich im wiedervereinigten Sport eine QuasiLegalisierung des Testosterondopings durchgesetzt.

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Die multizentrische Testosteronstudie und deren politischer Missbrauch

Die Rehabilitierung des Testosterons und wahrscheinlich auch die Fortführung des Testosterondopings im Westen waren auch wichtige Ziele der multizentrischen Studie zu Wirkungen von Testosteron, die Keul in der zwei-

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ten Hälfte der 1980er Jahre koordinierte. Unter dem offiziellen Titel »Regeneration im Hochleistungssport« wurde diese Studie vom BISp finanziert und ab Anfang 1986 von drei wissenschaftlichen Teams durchgeführt. Neben der Freiburger Abteilung Sportmedizin waren auch Keuls Schüler Prof. Kindermann und Prof. Liesen und ihre Mitarbeiter respektive aus Saarbrücken und Köln (später Paderborn) an dieser Studie beteiligt. Diese Studie erstreckte sich über einen Zeitraum von drei Jahren und gliederte sich in drei miteinander verknüpfte Teilstudien, von denen sich die ersten beiden mit dem Thema der Regeneration unter Testosteroneinfluss und die dritte mit dem Thema der Immunologie unter Testosteroneinfluss beschäftigten: • • •

1986 Teilstudie 1 (Keul/Kindermann) 1987/88 Teilstudie 2 (Kindermann/Liesen) 1989/90 Teilstudie 3 (Keul/Kindermann/Liesen).

In der ersten und der dritten Teilstudie wurde in der Freiburger Verumgruppe mit dem Medikament Testoviron gearbeitet (Bundesregierung, 1991, siehe auch Spitzer et al., 2013: 155-254). Anders als Eggers und Spitzer (2013: 244) betrachten wir eine ordnungsgemäße Durchführung solcher Studien an sich nicht als problematisch. Ähnliche Studien hoher methodischer Qualität bei Verblindung und in einem cross-over Design hatten bereits für Kraftdisziplinen in den 70er Jahren einen leistungssteigernden Effekt von Anabolika auf die Kraft ergeben (z.B. Freed et al., 1975). Grundlagenforschung zu Dopingmitteln muss unserer Meinung nach aus grundsätzlichen Überlegungen erlaubt sein, auch wenn diese entsprechend den aktuellen Bestimmungen der WADA nicht an Sportlern durchgeführt werden dürfen. Auf jeden Fall muss man ausschließen, dass die Forschungsergebnisse zu Dopingzwecken missbraucht werden, die Studie selber dem Dopingzweck dient, oder mittels der Studie Leistungssportler zum Dopen gebracht werden können. Im Fall von Keul und seinen Forschungspartnern gab es nicht die notwendige Distanz zum Leistungssport, um den möglichen Missbrauch der Ergebnisse des Projekts auszuschließen. Sowohl einige Probanden als auch ihre Trainer sahen dieses Problem und die daraus resultierenden Gefahren deutlich, Keul und seine Kollegen nicht. Ein damaliger Kaderathlet, Peter Schlickenrieder, erklärte 2009 der Frankfurter Allgemeinen Zeitung: »Wir haben nicht teilgenommen, weil wir nicht ausschließen konnten, dass verbotene Substanzen eingesetzt wurden, deren ›Nichtwirksamkeit‹ man zwar in der Studie beweisen wollte. Aber aus meiner Sicht stellte das ein inakzeptables Unterfangen

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dar.« (Hecker, 2009) Auch Georg Zipfel, der damalige C-Kader-Trainer des Deutschen Skiverbandes, ließ trotz einer engen Freundschaft zu Keuls Mitarbeiter und Co-Leiter der Gesamtstudie Ernst Jakob wissen: »kein Sportler von mir macht da mit, […] das kommt überhaupt nicht in Frage, an der Nationalmannschaft wird das nicht gemacht.« (Zeitzeugeninterview Georg Zipfel, zitiert nach Singler/Treutlein, 2015b: 339) Keul und Jakob nahmen angeblich die aus der mangelnden Distanz zum Leistungssport resultierenden Risiken der Studie nicht wahr, die dann in der dritten Teilstudie offen zutage treten sollten. Die vorgesehene und der Ethikkommission der Universitätsklinik Freiburg zugesagte Doppelverblindung musste laut eines Zeitzeugen aufgehoben werden, weil »die Trainer, oder jemand hat gesagt, wir müssen wissen, wer das ist, ihr könnt das nicht doppelblind machen letztendlich« (Zeitzeugeninterview 17, zitiert nach Singler/Treutlein, 2015b: 338). Der amtierende Vorsitzende der Deutschen Gesellschaft für Sportmedizin und Prävention, Bernd Wolfarth, welcher zugleich seit 2010 leitender Olympiaarzt und zwischen 2003 und 2015 zudem innerhalb der Nationalen Anti-Doping Agentur Deutschland Mitglied der Arbeitsgemeinschaft »Medizin und Analytik« war, schrieb dazu in seiner Dissertation, die sich mit den Immunologischen Effekten der Anwendung von Testosteron bei Leistungssportlern befasste: »Die ursprünglich im DoppelBlind-Design geplante Studie konnte aufgrund von Einwänden der den Sportlern vorgesetzten Dienstbehörden in dieser Form nicht durchgeführt werden.« Aus der Antwort der Bundesregierung (1991: 5) auf eine Anfrage der SPD-Fraktion ergab sich zudem, dass von einer Anwendung des Verfahrens der Randomisierung bei der Studie in Wirklichkeit nicht die Rede sein konnte (vgl. auch Eggers und Spitzer, 2013: 209). Es ist deshalb nicht auszuschließen, dass Keul mit dieser kontroversen Studie die Abbauzeiten des Testosterons zum Zweck der Sportlerbetreuung messen wollte. Damit vertrat er sehr wahrscheinlich auch andere nicht-wissenschaftliche Ziele. Wie sich aus neuen von der Evaluierungskommission entdeckten Dokumenten ergibt, wollte Keul mit diesem Projekt die Substitutionsthese bei Testosteron zurückzuweisen, die Keul selber in den 1970er Jahren lanciert hatte und die in den 1980er Jahren von Liesen vertreten wurde. Keuls Motivation hierfür ist wahrscheinlich in seiner persönlichen Rivalität zu seinem Kollegen Liesen zu suchen, der als Betreuer der FußballNationalmannschaft z.B. bei der Fußball-WM in Mexiko 1986 populär geworden war. Aber es ging nicht nur um Substitution oder persönliche Eifersucht. Mit dem Projekt wollte Keul sowohl die Unschädlichkeit als auch die Unwirk-

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samkeit von Testosteron beweisen – und um seine Ziele zu erreichen war er auch bereit, in der Öffentlichkeit die Projektergebnisse falsch darzustellen (Singler/Treutlein, 2015b: 346-349). Trotz schwerer methodologischer Probleme zeigten diese Ergebnisse, dass die Testosterongabe einen positiven Einfluss auf die Erythropoese hat und deshalb zur Regeneration der Sportler beiträgt. Wie in der Abteilung üblich, wurde die Durchführung der Studie größtenteils Doktoranden überlassen und die Dissertation von Volker Fuchs von 1989 brachte hier die entscheidenden Ergebnisse. Laut der Zusammenfassung wird der Hämatokrit durch die Testosterongabe um 7 Prozent, Hb um 4,5 Prozent und MCV um 8,6 Prozent erhöht. Auch wird eine Reduzierung lipolytischer Vorgänge zugunsten eines glykogenolytischen Stoffwechselpfades angenommen, was für den Athleten »einen entscheidenden Vorteil bringen« würde (Fuchs, 1989 zitiert nach Mahler, 2008: 5). Fuchs selbst stellt in seiner Dissertation die zentrale Frage: »›Testosterongabe als Blutdoping? a) Bringen die beobachteten Veränderungen in den hämatologischen Parametern einen Vorteil für den Athleten?« Diese Frage beantwortet er positiv und bestätigt auch »den regenerativen Charakter von Testosterongabe«. Dann fragt Fuchs, ob die »beobachteten Veränderungen in den hämatologischen Parametern einen Vorteil für den Athleten« bedeuten und ob sie als Leistungsverbesserung nachweisbar seien. Auf diese Frage gibt er auch eine deutliche Antwort: »Da im Spitzensport geringfügige Veränderungen in der Leistungs- und Regenerationsfähigkeit über Sieg oder Niederlage entscheiden können, erscheint es aus der Sicht der vorliegenden Ergebnisse sinnvoll, die angeführten zum Teil geringen Veränderungen mit verbesserten Messmethoden an einem größeren Probandenkreis erneut zu studieren.« (Fuchs, 1989 zitiert nach Mahler, 2008: 6-7) Ohne Fuchs Dissertation zu zitieren, übernahmen Keul und Jakob große Teile davon für die Zusammenfassung der ersten Teilstudie im Abschlussbericht, den sie 1992 dem BISp auf Anfrage dessen neuen Direktors, Prof. Dr. Horst de Marées, vorlegen mussten. Unter anderem schrieben sie: »Die Studie zeigt, dass Testosteron bei den untersuchten Sportlern einen positiven Einfluss auf die Hämatopoese hat. Abhängig vom Zeitpunkt wurden signifikante Erhöhungen im Hämatokrit bis zu 7 Prozent, im Hämoglobin bis zu 4,5 Prozent und im mittleren korpuskulären Erythrozytenvolumen bis zu 8,6 Prozent beobachtet.« (Keul/Jakob, 1992: 39) Wie Keul und Jakob weiter berichteten, maß die erste Teilstudie nur einen geringen Zuwachs in der maximalen Sauerstoffaufnahme (VO2max), die

KAPITEL 2: Joseph Keul

als entscheidendes Kriterium für die Beurteilung der Leistungsfähigkeit im Ausdauersport gilt. Mitarbeiter der Studie, die die Evaluierungskommission befragte, gaben verschiedene Gründe an, die dieses überraschende Resultat erklären konnten. Einer erzählte, dass die Probanden einen Belastungstest gemacht hätten, nachdem sie in der Nacht zuvor an einem Fest teilgenommen und in hohem Maße Alkohol konsumiert hatten (Zeitzeugeninterview 23, in Singler/Treutlein, 2015b: 337). Ein anderer Zeuge berichtete, dass die Spiroergometrie, mit der die VO2 max gemessen wurde, nur sehr unzuverlässig funktionierte und hatte grundsätzliche Zweifel an dem ordnungsgemäßen Versuchsablauf der ersten Teilstudie: »Das ist auch vom gesamten Ablauf her nicht gut gelaufen. Das muss man schon sagen. Also teilweise war es ja so, dass die wahrscheinlich die Injektionen gar nicht bekommen haben. Ich muss ehrlich sagen, ich habe bei einem Probanden daneben gespritzt. Da sind ja immer nur die zwei oder drei gleichen Leute hingefahren, das war in der Nähe von Villingen-Schwenningen, das war ja ein bisschen aufwändig, und da sind eben die Assistenzärzte hingefahren und haben die Injektionen gemacht. Ich bin zwei Mal dabei gewesen, als die Injektionen gemacht worden sind. Und auch das ist nicht gut gelaufen. Also die Studie an sich war wirklich umsonst, die kann man insofern vergessen, weil sie keinen korrekten Ablauf hatte. Innerhalb dieser Studie sind viele Fehler, Fehlerquellen aufgetreten, Unwägbarkeiten, mit denen man nicht gerechnet hatte – siehe beispielsweise Spiroergometrie. Da sind also mit Sicherheit viele Flops drin, die das Ergebnis verfälscht haben, so dass nichts dabei herausgekommen ist.« (Zeitzeugeninterview 65, Singler/ Treutlein, 2015b: 337) Noch weniger seriös wurde in der dritten Teilstudie mit der Untersuchung der maximalen Sauerstoffaufnahme umgegangen, die nach Angaben eines involvierten Zeitzeugen nur zu Beginn des Untersuchungszeitraumes und nicht mehr am Ende getestet wurde (Singler/Treutlein, 2015b: 338). Trotz der deutlichen Beweise für die positive Wirkung von Testosteron auf die Erythropoese, machten Keul und Jakob immer wieder öffentliche Aussagen über die Wirkungslosigkeit von Testosteron im Ausdauersport. In seiner Verteidigungsschrift »Tätigkeiten von J. Keul im Zusammenhang mit Antidopingmaßnahmen« (Keul, 1991) heißt es, »dass weder die Regeneration noch der Immunstatus noch die Dauerleistungsfähigkeit durch Testosteron verbessert wird«. In einem Artikel in die Welt aus 1991 behauptete er fälschlicherweise:

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»Die von uns erarbeiteten Befunde, dass Testosteron keine Verbesserung der Regeneration oder des Immunstatus bewirkt und als Nebenprodukt erneut keine Zunahme der Ausdauerleistungsfähigkeit belegt wird, können und müssen als eine echte Antidopingmaßnahme angesehen werden. Schließlich ist bei Athleten und Trainern im Ausdauerbereich eine Beruhigung eingetreten, Rückfragen über eine eventuell erforderliche Substitution mit Testosteron sind völlig verstummt.« (»Schluss mit Verunsicherungen. Ein bisschen Testo geht nicht«; Keul in Die Welt, 29.11.1991, zitiert nach Singler/Treutlein, 2015b: 347-348) Wegen der behaupteten Wirkungslosigkeit und Unschädlichkeit von Testosteron legte er zudem nahe, dass Testosteron von der Dopingliste entfernt werden sollte (ebenda). Keul und Jakob, der Co-Leiter der Gesamtstudie, benutzten die Messresultate der Regenerationsstudie auch dazu, das Nachweisverfahren anhand des T/E-Quotienten in Misskredit zu bringen, indem sie das fadenscheinige Argument anführten, dass diese Methode für die meisten Athleten, die in der ersten Teilstudie Testosteron erhalten hatten, keinen positiven Dopingbefund lieferte. 1987, nach Beginn der Freiburger ersten Teilstudie, schrieb Keul an Donike und nachrichtlich auch an BISp-Direktor Kirsch: »Im Übrigen finde ich es höchst bemerkenswert, dass nur in einem Falle eine Überschreitung des Testosteron-Epitestosteron-Quotienten über sechs erfolgte, was erneut belegt, wie unzuverlässig und variabel dieser Faktor ist, und mich erneut darin bestätigt, dass er kein geeignetes Mittel innerhalb der Dopinganalytik ist, worauf ich zu einem späteren Zeitpunkt noch einmal erneut eingehen werde.« (Keul an Donike, 02.07.1987; Universitätsarchiv Freiburg, B0360/0149, zitiert nach Singler/Treutlein, 2015b: 348) Zusammen mit Kley hatte Keul sich bemüht, Donikes Verfahren mit dem Argument zu diskreditieren, dass es fälschlicherweise zu positiven Testosteronergebnissen führen würde und somit eine schlechte Spezifität habe. Nun gebrauchten Keul und Jakob die Ergebnisse des Testosteronprojektes, um zusätzlich auch die Sensitivität in Frage zu stellen, indem er geltend machte, dass das Verfahren »falsch negative« Resultate ergab, da es Testosteron nicht einmal zwei Wochen nach dessen Verabreichung nachweisen könnte. Keul hatte so – wie bereits erwähnt – mit seiner Kampagne vorübergehend Erfolg und erst nach einigen Jahren wurde Donikes indirektes Verfahren wieder bei offiziellen Anti-Doping Tests eingesetzt.

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9.

Keuls Verharmlosung anderer Mittel zur Leistungsbeeinflussung und Bagatellisierung des Dopingproblems

Keul verharmloste nicht nur die leistungssteigernden bzw. schädlichen Wirkungen von Testosteron und synthetischen Anabolika, sondern auch eine Reihe neuer zum Doping geeigneter Substanzen bzw. Techniken, um zu vermeiden, dass diese auf die Dopingliste gesetzt wurden bzw. auch, um eine Kontrolle derselben abzuschwächen. Zu vielen dieser Substanzen führte er auch Studien im Auftrag des BISp durch, um ihre leistungssteigernde Wirkung testen zu lassen respektive herauszufinden, wie ihre Anwendung am besten bei einer Kontrolle kaschiert werden könnte. 1992 schätzten die BISpGutachter, dass 10 bis 20 Prozent der ab 1970 von Keuls Abteilung erhaltenen Gesamtfördersumme in Höhe von 5,8 Mio. DM pharmakologische Leistungsbeeinflussung zum Thema hatten (Singler/Treutlein, 2015b: 285-286). 1973 behauptete Keul zum Beispiel in einem Leserbrief an die FAZ entgegen der Argumentation eines dort zuvor erschienenen Artikels, dass das Wachstumshormon (Somatotropin) nicht leistungsfördernd sei. Seiner Meinung nach gab es »keine Beweise, dass dem Somatotropin eine den anabolen Steroiden oder dem Testosteron vergleichbare positive Beeinflussung der Leistungsfähigkeit zukommt. Es ist daher völlig unverständlich, worauf die Angaben beruhen, dass Somatotropin die Leistungsfähigkeit fördere und im Spitzensport die anabolen Steroide ersetzt hätte […] Es kann derzeit nicht gesagt werden, dass die Zufuhr von Somatotropin den Leistungssport fördert. Wie so oft wird wieder einmal eine falsche Mär verbreitet, die auf falschen Voraussetzungen beruht und dazu geeignet ist, Verwirrung und Fehleinschätzungen hervorzurufen.« (»Somatotropin und Leistungssport«, FAZ, 07.12.1983, zitiert nach Singler/Treutlein, 2015b: 178) Drei Jahre später wiederholte er diese These in einem Schreiben an Willi Daume: Das Wachstumshormon habe »auf der Dopingliste überhaupt nichts zu suchen, da es im Urin nicht nachgewiesen werden kann und Leistungssteigerungen damit nicht zu erzielen sind.« (23.08.1976; Daume-Archiv Frankfurt a.M.) Im gleichen Brief bezweifelte er auch die leistungssteigernde Wirkung von Blutdoping: »Zu prüfen gilt«, schrieb er, »inwieweit Eigenbluttransfusionen, obwohl durch die keine Leistungssteigerung zu erwarten ist, als unlaute-

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re Maßnahmen genannt werden« (23.08.1976; Daume-Archiv Frankfurt a.M., zitiert nach Singler/Treutlein, 2015b: 178). In den 1970er Jahren führte er im Auftrag des BISp Forschungsprojekte in Bezug auf Beta-Blocker durch (Singler/Treutlein, 2015b: 299-300). Wie im Fall von Anabolika zeigten die Ergebnisse seiner Studien die Unschädlichkeit von Beta-Blockern. Aus seinen Studien leitete Keul konkrete Empfehlungen für mehrere Sportlergruppen, im einzelnen Bobfahren, Autorennsport, Fallschirmspringen, und sogar Piloten der Luftwaffe ab. Medienberichten zufolge präsentierte er 1977 bei einer Fortbildungsveranstaltung für Ärzte in Frankfurt seine Ergebnisse und Schlussfolgerungen: »Autofahrer, deren Herzfrequenz in Stresssituationen bis zu 200 Schläge pro Minute erreichen kann, lenken ihr Fahrzeug nach Einnahme sogenannter Betablocker entspannter und gleichmäßiger. Die Reaktionsfähigkeit wird jedoch nicht beeinträchtigt. Zu diesem Ergebnis führten Versuche an Formel-1-Rennfahrern, über die Professor Dr. med. Josef [sic!] Keul, Direktor der Abteilung Leistungsmedizin der Medizinischen Universitäts-Klinik Freiburg, auf einer ärztlichen Fortbildungsveranstaltung in Frankfurt berichtete. Professor Keul, der auch die deutschen Olympiasportler betreute, hatte u.a. die beiden deutschen Rennfahrer […] und […] auf dem Nürburgring ›getestet‹ – mit und ohne Betablocker. […] Die Fahrweise der Rennfahrer wurde ausgeglichener. Sie selbst fühlten sich subjektiv besser. Gleiche Ergebnisse beobachtete Professor Keul auch an Bobfahrern und Fallschirmspringern. Nebenwirkungen wurden nicht diagnostiziert.« (»Betablocker entspannen gestresste Autofahrer«, Augsburger Allgemeine, 02.06.1977, zitiert nach Singler/Treutlein, 2015b: 228-229) Um seinen Empfehlungen mehr Gewicht zu verleihen, argumentierte Keul auch, dass Beta-Blocker prophylaktisch die Risiken von Rhythmusstörungen bei Sportlern mit kardiologischen Prädispositionen reduzieren könnten – ohne auf die einzig zulässige Therapie zu setzen: Behandlung der Prädispositionen und Vermeidung der Schadfaktoren, was in einigen Fällen sicher ein Pausieren vom Leistungssport bedeutet hätte. In den 1970er Jahren hatte man Betablocker noch nicht auf die Liste verbotener Substanzen gesetzt. Jedoch war auch damals ihre Anwendung zu nicht indizierten Zwecken, nämlich zum Zweck der Leistungssteigerung im Sport, abzulehnen. Erst 1984 wurden Betablocker bei den Olympischen Spielen von Los Angeles für Schützen verboten. Ab 1988 folgte für alle Sportar-

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ten ein lückenloses Verbot von Betablockern vonseiten des Internationalen Olympischen Komitees. Schon in der Sitzung der Arbeitsgruppe ›Dopingfragen‹ beim BISp vom 11. März 1988 beantragten Keul und Kirsch mit Ausnahme für die Schießwettbewerbe die Streichung von Beta-Blockern sowie die Streichung »(natürlichen) Testosterons für männliche Erwachsene […] ferner Coffein und Diuretika (außer Gewichtheben, Ringen, Boxen, Judo)« von der Dopingliste (Archiv Bundesinstitut für Sportwissenschaft, AO 0415/05 Kleine Arbeitsgruppe Dopingfragen, 1. bis 14. Sitzung, zitiert nach Singler/Treutlein, 2015b: 232). Da Keul in Bezug auf keine dieser Substanzen seine Meinung durchsetzen konnte, appellierte er im Fall von Coffein an die Öffentlichkeit und publizierte 1990 einen Artikel in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung dessen Titel lautete: »Wieviel Tassen Kaffee dürfen es denn eigentlich sein?« (01.08.1990, zitiert nach Singler/Treutlein, 2015b: 239). Keuls Alleingang in den Medien und seine Umgehung der für solche Fragen in Deutschland mitzuständigen Gremien führten zu einer empörten Reaktion von Professor Dr. Dieter Palm, dem Geschäftsführenden Direktor des Zentrums der Pharmakologie am Klinikum der Goethe-Universität Frankfurt, der zusammen mit Keul in der Kleinen Arbeitsgruppe Dopingfragen beim BISp saß. Palm schrieb über Keuls Vorstoß an den Direktor des BISp, August Kirsch, und durchschriftlich auch unter anderem an Manfred Donike und den Endokrinologen Kley: »Lieber Herr Kirsch, mein Brief bezieht sich auf den Artikel von Herrn Keul in der FAZ vom 01.08.90. ›Wieviel Tassen Kaffee dürfen es denn eigentlich sein?' Meine erste Reaktion: Ungläubigkeit. Ich hatte den Eindruck, ich habe nicht alle Tassen im Schrank. Meine zweite Reaktion: Ärger über den Verfasser, ich hatte wenige Tage zuvor mit ihm telefoniert über eine Sitzung der ›Kleinen Kommission‹, ohne dass er mir vorher eine Andeutung gemacht hätte. Meine dritte Reaktion: Leserbrief an die FAZ. Meine vierte Reaktion: Unverständnis für die Handlungsweise des Verfassers! Letztendlich: Betroffenheit! Wer kontrolliert den Kontrolleur? Wer kontrolliert den Biochemiker und den Pharmakologen, die Herrschaften, die solche Vorschriften erlassen? Ich

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bin z.B. Pharmakologe, ich habe zwar die Vorschriften nicht erlassen, ich bin aber mit den Vorschriften einverstanden! Was soll ein solcher Artikel eines Mannes, der als Funktionär im Deutschen Sport und in der Öffentlichkeit etwas gilt? Warum tritt Herr Keul solche Dinge in der Öffentlichkeit breit? Soll ich z.B. meine zu Herrn Keuls unterschiedliche Meinung (die er kennt), z.B. in Sachen Coffein, in der FAZ ebenfalls in der Form eines Leserbriefes breittreten? Herr Keul tut es, ich würde es nicht tun; der Sache kommt dies nicht zugute. Wir haben in Berlin mit den Fechtern speziell aus gegebenem Anlass das Problem Coffein diskutiert, über die Konzentrationen im Harn, über die Coffeinmengen, die oral appliziert werden müssen, um 12 μg/ml zu erreichen (und dies bei der diuretischen Wirkung des Coffeins!). Ich bin heute noch mehr der Meinung, dass Herr Keul damals in der Diskussion, der wissenschaftlich geführten und im Antlitz der Fechter und Funktionäre geführten Diskussion ausgewichen ist. Auch die Funktionäre haben auf unsere, Herrn Donikes und meine Einwände nichts erwidert. Und die Betroffenen waren außerordentlich aufgeschlossen, kritisch und willens, wissenschaftlichen Argumenten und Empfehlungen zu folgen. Wir haben eine gemeinsame kleine Diskussion, in der solche Dinge zur Diskussion gestellt werden. Wenn Herr Keul, ich halte seine Gründe für ehrenwert, für die Freigabe von Coffein, Probenecid, Diuretika u.a. plädiert, so ist das seine Sache. Das wird, sollte und wurde in der Kommission diskutiert. Herr Keul fand mit seiner Meinung keine allgemeine Zustimmung; ich kann dies nur so auslegen, dass er aufgrund dessen in die Öffentlichkeit gegangen ist. Ich persönlich fühle mich auf diese Art und Weise umgangen, hintergangen – ›gelackmeiert‹ – und das ist das Schlimmste.« (Palm an Kirsch, 09.08.1990; Universitätsarchiv Freiburg (B0360/0146) zitiert nach Singler/Treutlein, 2015b: 239-240) In dem FAZ-Artikel vom 1. August 1990 polemisierte Keul zum einen gegen die Einstufung von Coffein als Dopingmittel und zum anderen diskutierte er die Frage sogenannter »maskierender Substanzen«, die dazu dienen können, den Nachweis von Anabolika zu behindern oder unmöglich zu machen. Keul setzte sich mit dem Argument für die Streichung solcher »maskierender Substanzen« von der Liste der Dopingmittel ein, dass diese Substanzen

KAPITEL 2: Joseph Keul

dann auch nicht mehr als Medikamente bei einer Therapie eingesetzt werden könnten (vgl. Singler/Treutlein, 2015b: 239). 1988 am Rande der Olympischen Winterspiele in Calgary verharmloste Keul die Wirkungen des Blutdopingmittels Erythropoeitin (EPO). Gegenüber dem Sportinformationsdienst (sid) behauptete er, dass EPO zwar bereits verboten, »aber bei richtiger Anwendung ungefährlich« sei und machte die Aussage: »Nebenwirkungen sind bisher nicht bekannt.« Bei seinen Erläuterungen spezifizierte Keul: »Den Ärzten ist der Stoff bereits seit 30 Jahren bekannt, aber erst seit kurzer Zeit kann er mit Hilfe der Gen-Technologie auch hergestellt werden.« (»Prof. Keul bestätigt EPO-Effekt«, sid-Olympia-Dienst, 18. Februar 1988, 24) Laut dem sid-Olympia-Dienst behauptete er: »Mit seiner Wirkung auf Ausdauersportler könne EPO das Höhentraining durchaus ersetzen, zumindest bedeutend ergänzen.« (zitiert nach Singler/Treutlein, 2015b: 179)

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Die sportmedizinische Betreuung von Team Telekom/T-Mobile

Angesichts dieser Aussagen und seiner allgemeinen Expertise und Erfahrung ist es sehr unwahrscheinlich, dass Keul nicht gewusst haben soll, wie verbreitet Doping im Profiradsport der 1980er und 1990er Jahre war, und worauf er sich mit seiner Abteilung einließ, als er 1991 entschied, das neue Team der Telekom (damals noch Teil der Deutschen Bundespost) von seinen Mitarbeitern betreuen zu lassen. Obwohl Dr. Andreas Schmid seit 1989 das Vorgängerteam von Team Telekom, das Team Stuttgart, betreut hatte, berichtete ein ehemaliger Abteilungsmitarbeiter im Rahmen eines Zeitzeugeninterviews der Evaluierungskommission, dass er zuerst von Keul gefragt wurde, die Betreuung zu übernehmen und dass er wegen der im Profiradsport verbreiteten Dopingpraktiken das Angebot abgelehnt habe: »Keul hat mich herzitiert: ›Die wollen jetzt hier betreut werden, Sie sollen das machen‹, weil […] er hat gemerkt, das klappt. Da habe ich gesagt: ›Erstens, das interessiert mich nicht, zweitens dopen die, ich kenne die Fahrer‹. Da war Ende. Ab dem. […] sagt: ›Ab da standest du auf der Abschussliste‹.« (Zeitzeugeninterview […] zitiert nach Singler 2015a: 135) Ist es vorstellbar, dass der Doyen der deutschen Sportmedizin nichts von der Verbreitung des Dopings im Profiradsport wusste, wenn diese schon für einen jüngeren Sportarzt ganz offensichtlich war? Unter dem Schutzschirm von Keul wurde Schmid ab 1993 verantwortlich für die Dosierung und häufig auch die Beschaffung von EPO sowie seine Ver-

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dann auch nicht mehr als Medikamente bei einer Therapie eingesetzt werden könnten (vgl. Singler/Treutlein, 2015b: 239). 1988 am Rande der Olympischen Winterspiele in Calgary verharmloste Keul die Wirkungen des Blutdopingmittels Erythropoeitin (EPO). Gegenüber dem Sportinformationsdienst (sid) behauptete er, dass EPO zwar bereits verboten, »aber bei richtiger Anwendung ungefährlich« sei und machte die Aussage: »Nebenwirkungen sind bisher nicht bekannt.« Bei seinen Erläuterungen spezifizierte Keul: »Den Ärzten ist der Stoff bereits seit 30 Jahren bekannt, aber erst seit kurzer Zeit kann er mit Hilfe der Gen-Technologie auch hergestellt werden.« (»Prof. Keul bestätigt EPO-Effekt«, sid-Olympia-Dienst, 18. Februar 1988, 24) Laut dem sid-Olympia-Dienst behauptete er: »Mit seiner Wirkung auf Ausdauersportler könne EPO das Höhentraining durchaus ersetzen, zumindest bedeutend ergänzen.« (zitiert nach Singler/Treutlein, 2015b: 179)

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Die sportmedizinische Betreuung von Team Telekom/T-Mobile

Angesichts dieser Aussagen und seiner allgemeinen Expertise und Erfahrung ist es sehr unwahrscheinlich, dass Keul nicht gewusst haben soll, wie verbreitet Doping im Profiradsport der 1980er und 1990er Jahre war, und worauf er sich mit seiner Abteilung einließ, als er 1991 entschied, das neue Team der Telekom (damals noch Teil der Deutschen Bundespost) von seinen Mitarbeitern betreuen zu lassen. Obwohl Dr. Andreas Schmid seit 1989 das Vorgängerteam von Team Telekom, das Team Stuttgart, betreut hatte, berichtete ein ehemaliger Abteilungsmitarbeiter im Rahmen eines Zeitzeugeninterviews der Evaluierungskommission, dass er zuerst von Keul gefragt wurde, die Betreuung zu übernehmen und dass er wegen der im Profiradsport verbreiteten Dopingpraktiken das Angebot abgelehnt habe: »Keul hat mich herzitiert: ›Die wollen jetzt hier betreut werden, Sie sollen das machen‹, weil […] er hat gemerkt, das klappt. Da habe ich gesagt: ›Erstens, das interessiert mich nicht, zweitens dopen die, ich kenne die Fahrer‹. Da war Ende. Ab dem. […] sagt: ›Ab da standest du auf der Abschussliste‹.« (Zeitzeugeninterview […] zitiert nach Singler 2015a: 135) Ist es vorstellbar, dass der Doyen der deutschen Sportmedizin nichts von der Verbreitung des Dopings im Profiradsport wusste, wenn diese schon für einen jüngeren Sportarzt ganz offensichtlich war? Unter dem Schutzschirm von Keul wurde Schmid ab 1993 verantwortlich für die Dosierung und häufig auch die Beschaffung von EPO sowie seine Ver-

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abreichung an eine stets wachsende Anzahl von Team Telekom Fahrern. Die Entstehung des systematischen Dopings beim Team Telekom unter ärztlicher Beteiligung von Mitgliedern der Universität bzw. des Universitätsklinikums Freiburg wird im Abschlussbericht der von Dr. Hans-Joachim Schäfer geleiteten Expertenkommission detailliert beschrieben: »Die Radrennfahrer wollten 1993 das ›Wundermittel‹, das die ausländischen Rennställe bereits einsetzten, ebenfalls anwenden. So unterzog sich Uwe Ampler 1993 einer ›Dopingkur‹ mit selbst beschafftem EPO, was nach Zeugenaussage bereits mit Wissen von Professor Schmid geschah. Bei der dreiwöchigen EPO-Kur eines weiteren Spitzenfahrers mit 1.000 Einheiten EPO jeden dritten Tag kombiniert mit Vitamin B12 und Folsäure sowie morgens und abends je 100 mg Aspirin zur Verdünnung des Blutes, war Professor Schmid für die Dosierung verantwortlich. Nach Angaben von Jef D’hont handelte es sich hierbei um Olaf Ludwig. Zudem beschaffte Professor Schmid das entsprechende EPO-Präparat Recormon® (Wirkstoff Epoetin beta) und ließ es über DHL Jef D’hont und möglicherweise einem weiteren Pfleger zukommen. Jef D’hont und seine Ehefrau gaben es an den Radprofi weiter, der es sich selbst spritzte. Damit hatte das ärztlich kontrollierte EPO-Doping im Team Telekom Einzug gehalten. Anhaltspunkte, die Aussagen von Jef D’hont und seiner Ehefrau in Zweifel zu ziehen, gibt es für die Kommission nicht. Für die Glaubwürdigkeit spricht auch folgender Umstand: Nach Aussage von Jef D’hont vom 28. August 2007, die hinsichtlich der verwandten Substanzen nicht weiter konkretisiert wurde, hatte er persönlich Kenntnis, dass von den 17 Fahrern des Team Telekom 1993/1994 acht Fahrer über die Einnahme seines ›Zaubertranks‹ hinaus dopten. Dabei soll es sich um Bert Dietz, Christian Henn, Brian Holm, Olaf Ludwig, Steffen Wesemann, Rolf Aldag, Udo Bölts und Jens Heppner gehandelt haben. Diese Fahrer wurden von Jef D’hont auf einem Mannschaftsfoto markiert. Bert Dietz, Christian Henn, Brian Holm, Rolf Aldag und Udo Bölts haben 2007 Doping eingeräumt. Nach und nach forderten weitere Teammitglieder EPO, das dann von Professor Schmid geliefert – anders nur bei Christian Henn und später bei Bjarne Riis – und entweder vom Pfleger oder vom Radrennfahrer selbst gespritzt wurde.« (Expertenkommission, 2009: 15) Die Schilderungen der Expertenkommission basieren zum Teil auf den Aussagen des belgischen Pflegers Jef D’hont (2007), der April 2007 mit seinem Buch Memoires van een wielerverzorger (Erinnerungen eines Radfahrer-Pflegers) und einem Interview im Spiegel, den Skandal um das Team Telekom/T-Mobile aus-

KAPITEL 2: Joseph Keul

löste (Geyer/Gorris/Ludwig, 2007a und 2007b; vgl. Spiegel Online, 2007a). Bei einer polizeilichen Vernehmung im April 2007 ließ D’hont keine Zweifel an einer Beteiligung Schmids und für die Zeit ab 1994 auch eines anderen, jüngeren Mitarbeiters von Keuls Abteilung, Dr. Lothar Heinrich, an den Dopingpraktiken des Team Telekom: »In der Folgezeit verlangten immer mehr Radfahrer nach dem neuen Mittel EPO. Dies waren u.a. Olaf Ludwig, Udo Bölts, Rolf Aldag, Bert Dietz, Christian Henn, Jens Heppner, Bjarne Riis, Jan Ullrich, Steffen Wesemann und Erik Zabel. Daraufhin wurde das EPO von den Teamärzten (zu Beginn Dr. Schmid, soweit ich mich erinnere ab 1994 auch Dr. Heinrich) zu den Radrennen mitgebracht und direkt den jeweiligen Rennfahrern ausgehändigt. Von ihnen stammten auch die Dosierungsanleitungen. Die Spritzen wurden von den Ärzten gesetzt, einige setzten sie sich selbst und in speziellen Fällen habe auch ich gespritzt. […] In 1994 erfuhr ich durch Rennfahrer (ich glaube Udo Bölts und Bert Dietz), dass es eine Besprechung mit den Ärzten gab, in der der grundsätzliche Einsatz von EPO für alle Radrennfahrer im Team Telekom beschlossen wurde. An der habe ich jedoch selbst nicht teilgenommen.« (BKA Zeugenvernehmung Jef D’hont, 04.06.2007; Staatsanwaltschaft Freiburg, Az. 610 Js 12568/07, Ordner Vernehmungen A-K., zitiert nach Singler, 2015a: 36) D’honts Aussagen deuten darauf hin, dass auch Bjarne Riis und Jan Ullrich, die Tour-de-France Gewinner von 1996 und 1997, von der Dopingexpertise von Keuls Mitarbeitern profitierten. In Bezug auf den damaligen Helden des deutschen Radsports, Ullrich, fügte D’hont noch hinzu: »Jan Ullrich wurde durch die Teamärzte der UNI-Freiburg mit EPO versorgt. Dieser ließ sich ausschließlich durch die Ärzte spritzen. Einmal jedoch bat Ullrich mich, ihm eine EPO-Spritze zu setzen, da die Ärzte nicht da waren. Soweit ich mich erinnere, war dies kurz vor der Tour de France 1996.« (BKA-Zeugenvernehmung Jef D’hont, 07.06.2007; Staatsanwaltschaft Freiburg, Az. 610 Js 12568/07, Ordner Vernehmungen A-K, zitiert nach Singler, 2015a: 40) Riis hat inzwischen selber EPO-Doping zugegeben (vgl. Riis/Petersen, 2010). Ullrich hat zwar Doping zur Zeit seines Tour-de-France Siegs stets bestritten und die Staatsanwaltschaft Bonn hat 2008 gegen die Zahlung »eines Gesamtbetrages in sechsstelliger Höhe an gemeinnützige Institutionen und die Staatskasse« ihre Ermittlungen gegen ihn wegen der Betrugsvorwürfe seines ehemaligen Arbeitgebers Team T-Mobile eingestellt, aber der zuständige Staatsanwalt Fred Apostel machte auch deutlich: »Unsere Ermittlungen

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über 21 Monate haben ergeben: Ullrich hat gedopt.« (z.B. FAZ, 2008) Nicht zuletzt beruhte die Entscheidung der Staatsanwaltschaft auf Ullrichs subjektiver Einstellung, nichts Unrechtes getan zu haben, da »zu Ullrichs aktiver Zeit eine weithin verbreitete Doping-Mentalität vorherrschte«.6 Auch wenn Keuls aktive Beteiligung an systematischem Doping von Radfahrern des Teams Telekom/T-Mobile nicht zu beweisen war, stellt sich die Frage ob Schmid und Heinrich wahrscheinlich ab 1995 (Expertenkommission, 2009: 5) als Einzeltäter ohne Wissen und Rückendeckung ihres Vorgesetzten Keul (der im Juli 2000 starb) systematisch EPO-Doping im Team Telekom praktizierten. Diese These wurde lange von der Universität Freiburg propagiert und zum großen Teil auch von Schäfers Expertenkommission (Expertenkommission, 2009) bestätigt. Gerade wenn man berücksichtigt, dass Heinrich erst ab 1. Juli 1994 in der Abteilung beschäftigt war, zunächst als Arzt im Praktikum (Expertenkommission, 2009: 13), muss man zumindest zu dem Schluss kommen, dass Keul und seine Nachfolger als Abteilungsleiter ihrer Aufsichtspflicht nicht nachgekommen sind. Es ist auch kaum vorstellbar, dass der Doyen der deutschen Sportmedizin Hinweise auf Blutdoping nicht hätte erkennen können. In einer gutachterlichen Stellungnahme, die von den Ermittlungsbehörden im Zusammenhang mit dem Strafverfahren gegen Andreas Schmid und Lothar Heinrich vom 3. Oktober 2008 in Auftrag gegeben wurde, kritisiert der Hamburger Sportmediziner Professor Dr. Klaus-Michael Braumann die Leitung der Abteilung Rehabilitative und Präventive Sportmedizin des Freiburger Universitätsklinikums, das heißt Keul und seine Nachfolger Prof. Dr. Aloys Berg und Prof. Dr. Hans-Hermann Dickhuth, scharf: »In der Tat fällt es nicht leicht zu akzeptieren, dass niemand aus dem ärztlichen Umfeld oder auch der Leitung der sportmedizinischen Abteilung […] aus den seit Jahren erhobenen Blutwerten keinen Verdacht auf unerlaubte Manipulationen geschöpft hat.« (Gutachterliche Stellungnahme Prof. Braumann, Klaus-Michael, 03.10.2008; Staatsanwaltschaft Freiburg, Az. 610 Js 12568/07; Ordner XII, zitiert nach Singler, 2015a: 48) Laut der Freiburger Zeitung Der Sonntag vom 6. Mai 2007 gab sogar ein damaliger Hilfswissenschaftler an, dass er

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Außerdem wurde Ullrich 2012 vom Internationalen Sportgerichtshof (CAS, 2012) zusammen mit dem spanischen Arzt Fuentes wegen Doping verurteilt und alle seine Erfolge seit dem 1. Mai 2005, darunter der dritte Platz bei der Tour de France 2005 und der Sieg bei der Tour de Suisse 2006, wurden annulliert.

KAPITEL 2: Joseph Keul

»bereits Mitte der 90er-Jahre […] geahnt [hatte], was sich hinter den Kulissen abspielt. ›Vermutet haben es viele von denen, die dort tätig waren.‹ Merkwürdig erschien dem damaligen Hiwi zum Beispiel, dass bei den Radsportlern häufig mit Kochsalz-Lösungen hantiert wurde. Damit, so die Vermutung, konnte das Blut verdünnt und wieder auf einen unkritischen Hämatokritwert – der Hinweise auf Epo-Doping geben kann – gesenkt werden. Verwunderlich war auch, dass sich damals gleich zwei Ärzte um die rund zehn Radprofis kümmerten. ›Wir gingen nicht davon aus, dass sich die Athleten über kleine Wehwehchen mit den Ärzten austauschten‹« (Huber/Riexinger, 2007). Auch Keuls früherer Mitarbeiter Professor Dr. Wilfried Kindermann (Saarbrücken) habe in der zweiten Hälfte der 1990er Jahre nach eigenen Angaben Keul gewarnt. In »Doping und die Freiburger Sportmedizin« einem Film des Südwestrundfunks (2008) aus dem Jahr 2008 teilt Kindermann dem Wissenschafts-Journalisten Dr. Patrick Hünerfeld (SWR Baden-Baden) mit, dass der Radsport wegen des verbreiteten Dopings für ihn »Tabu gewesen« war und dass er seinen Mitarbeitern verboten hatte, »Radsportler [zu] betreuen, abgesehen von den jährlichen Gesundheitsuntersuchungen im Rahmen der Landeskader«. In Bezug auf Keul fügt Kindermann hinzu: »Kindermann: In dem Gespräch, auf das Sie ansprechen, meine ich, dass es so gewesen ist, dass ich auch gemutmaßt habe, dass dieser plötzliche Aufstieg von Telekom allein durch sportliches Training meines Erachtens nicht möglich ist. Frage: Was hat er darauf geantwortet? Wissen Sie das noch? Kindermann: […] Also das weiß ich noch relativ genau, er hat gesagt, das Team Telekom sei sauber. Also diesen Satz kann ich so unterstreichen, das weiß ich.« (SWR, 2008) Wie Dr. Singler (2015a) im Gutachten zum Doping beim Team Telekom/TMobile ausführlich rekonstruiert, gab es mehrere Verdachtsmomente noch vor Keuls Tod im Jahr 2000, durch die ihm das Ausmaß des Dopings in dem von seinen Mitarbeitern betreuten Team hätte bewusstwerden müssen. 1994 wurde der Sprinter Erik Zabel positiv getestet, weil er angeblich ohne sein Wissen eine verbotene Cortison-Creme benutzt hatte (Burkert, 2013). Als im gleichen Jahr auch bei Ampler, einem anderen Team Telekom Fahrer, ein erhöhter Hämoglobinwert festgestellt wurde, nahm Schmid ihn öffentlich in Schutz, obwohl Schmid wusste, dass Ampler EPO erhalten bzw. eingenom-

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Doping für Deutschland

men hatte. Mehrere Monate lang war Ullrich 1996 unauffindbar, wenn es um Dopingkontrollen außerhalb der Wettkämpfe ging, obwohl er 1996 bei der Tour de France zum besten Nachwuchsfahrer und zum Zweiten der Gesamtwertung hinter seinem Telekom-Kollegen Bjarne Riis aufstieg (FAZ, 1997). Im gleichen Jahr verließ Jef D’hont (2007) das Team Telekom. Er war der seelischen Belastung nicht mehr gewachsen, die damit einherging, dass das Doping jeder Zeit auffliegen konnte, wenn er beispielsweise Dopingmittel transportierte. Auch an der Universität Freiburg ereignete sich Verdächtiges. In einem Interview mit der Evaluierungskommission machte ein Arzt, der in den 1990er Jahren in der Abteilung Sportmedizin gearbeitet hatte, die Aussage, dass er in Andreas Schmids Büro eine Schachtel mit anabolen Steroiden gesehen hatte. Ein weiteres Beispiel für Hinweise auf Doping findet sich in dem bereits angesprochenen SWR-Film. Ein anonym bleibender Zeuge, der in der Transfusionsmedizin arbeitete, beschreibt hier, wie Andreas Schmid ihn gefragt habe, »ob die Möglichkeit bestünde, dass ich ihm aus einem abgenommenen Vollblut ein Erythrozythenkonzentrat herstellte. Es handele sich um einen Versuch, den er unternehmen möchte. Weiter hat er sich dazu nicht geäußert. Ich habe ihm das Erythrozythenkonzentrat hergestellt, und er hat es dann abends abgeholt. Es war nicht mit irgendwelchen Namen gekennzeichnet, sondern lediglich eine Nummer auf dem Etikett. Das war Beginn ›96« (SWR, 2008). 2008 berichtete ein weiterer Mitarbeiter der Transfusionsmedizin der Expertenkommission, dass ein anderer verdächtiger Vorfall 1998 stattfand, der diesmal Heinrich betraf: »Wie ich schon in meiner E-Mail vom 08.03.2008 geschrieben habe, wurde ich etwa 1998 von einem Arzt angerufen. […] Ich meine, der Name war Dr. Heinrich. Er fragte, ob (er) von uns leere Blutbeutel bekommen könne. Ich habe ihm erklärt, dass solche Beutel überall zu bekommen sind, wenn es zum Beispiel darum geht, einfach einen Aderlass zu machen. Wenn es sich aber um (eine) Blutspende für eine Operation handelt, ginge das so auf diese Weise nicht. Das Blut müsste dann auf jeden Fall fachgerecht von der Transfusionsmedizin entnommen werden. Dieses Gespräch war dann zu Ende. Es blieb alles irgendwie eigenartig.  

KAPITEL 2: Joseph Keul

Nicht viel später, vielleicht zwei bis drei Wochen danach, kam Dr. […] an einem Sonntagvormittag in die Transfusionsmedizin, ich hatte Dienst, und brachte einen halbvoll gefüllten Blutbeutel mit. Dieser war unsachgemäß zugeknotet. Er fragte, ob er diesen Blutbeutel zentrifugieren könne. Ich habe ihm davon dringend abgeraten, weil, wie er auch schon gesehen hatte, doch sehr viel Luft in dem Beutel war und die Gefahr der Kontamination groß war. Er sagte, er habe den Beutel von Dr. Heinrich erhalten. Irgendwie kam es dann dazu, dass er schmunzelnd sagte, der Beutel sei möglicherweise von Jan Ullrich. Als ich dann ihm sagte, man müsse das ja wohl melden, wich er irgendwie aus. Demnach war die Sache für mich erledigt. […] Von Dr. […] wusste ich, dass er einen intensiven Meinungsaustausch mit den Sportmedizinern hatte.« (Protokoll »12. Sitzung der Kommission, 16. April 2008, Anhörung […]«; Staatsanwaltschaft Freiburg, Az. 610 Js 12568/07, Ordner XIV, zitiert nach Singler, 2015a: 64) Auch falls Keul über viele dieser illegalen Handlungen seiner Mitarbeiter nicht direkt informiert war, bot ihm der Festina-Skandal aus dem Jahr 1998 eine weitere Gelegenheit, das Ausmaß des Dopings im Profiradsport zu erkennen. Der Skandal brach aus, nachdem große Mengen an Dopingmitteln wie EPO, Wachstumshormone und Anabolika kurz vor dem Start der Tour de France am 11. Juli 1998 bei einer Grenzkontrolle bei Willy Voet, einem Pfleger des Radsportteams Festina gefunden worden waren. Die französischen Behörden erließen daraufhin einen Durchsuchungsbefehl für die Hotels, in denen die Sportler des Festina-Teams untergebracht waren. Die französischen Ermittler konnten der Mannschaft umfassende Dopingpraktiken nachweisen, wodurch auch die Unzulänglichkeit der Verfahren zur Dopingkontrolle zutage trat; denn die offiziellen Tests hatten bei keinem Mitglied der Mannschaft zu einem Dopingnachweis geführt. Im Anschluss an die siebte Etappe der Tour de France wurden das Festina-Team und auch das Team TVM-FarmFrites disqualifiziert. Die spanischen Mannschaften brachen die Tour de France als ein Zeichen des Protests gegen das Vorgehen der französischen Behörden ab. Schließlich gewann Marco Pantani die Tour de France (vgl. Fotheringham, 2016). Dieser wurde selbst jedoch im Jahr darauf vom Giro d’Italia ausgeschlossen, weil bei ihm eine Erhöhung des Hämatokrit-Werts festgestellt worden war (vgl. Wilcockson/Zobel, 2005). Wie reagierte Keul auf diese Enthüllungen? Startete er Maßnahmen, um seine Mitarbeiter vor einer möglichen Verwicklung in Dopingpraktiken von Team Telekom zu schützen? Schließlich hatten zwei Fahrer des Teams die zwei

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Doping für Deutschland

vorhergehenden Touren gewonnen. Weit gefehlt! Auf seine guten Kontakte zu den Medien gestützt, bürgte er mit seinem Ruf für die angebliche Sauberkeit des Teams und seiner Mitarbeiter und deshalb auch für die SponsoringInvestition der Telekom. Auch initiierte er eine regelrechte Kommunikationskampagne. In einem Brief vom 29. Juli 1998 an den Telekom-Presseleiter Jürgen Kindervater beschreibt Keul seine Bemühungen darum, in den ersten zwei Wochen nach dem Ausbruch des Festina-Skandals ein gutes Image von Team Telekom in der Öffentlichkeit zu kreieren: »Ich kann Ihnen die erfreuliche Mitteilung machen, dass ich seit unserem letzten Telefongespräch 5 Fernseh- und 9 Rundfunkinterviews gegeben habe, in denen ich darlegen konnte, dass unsere Telekom-Mannschaft unter unserer Kontrolle steht und keine Dopingmittel nimmt und dass auch die vertraglichen Bedingungen der Deutschen Telekom AG dies nicht zulassen. Ferner habe ich auch eine Reihe von mir befreundeter Journalisten angesprochen, die entsprechende Kommentare geschrieben haben, die Ihnen wahrscheinlich zur Kenntnis gebracht worden sind. Dennoch kann man nicht verhindern, dass auch vereinzelt das Gegenteil geschrieben wird.« (Keul an Kindervater, 29.07.1998; Unterlagen Evaluierungskommission Freiburger Sportmedizin, zitiert nach Singler, 2015a: 55) Im gleichen Brief vom 29. 07. 1998 machte Keul auch klar irreführende Angaben zu den Hämatokrit-Werten der Telekom-Rennfahrer. Er behauptete: diese Hämatokrit-Werte »haben sich heute gegenüber den früheren Untersuchungsbefunden von 1980-1990, als noch kein EPO verfügbar war, nicht verändert. Eine Zunahme der roten Blutkörperchen durch EPO kann bei unseren Radrennfahrern nicht eingetreten sein, da die jetzigen Werte gegenüber der Zeit, als es noch kein EPO gab, nicht verschieden sind« (Keul an Kindervater, 29.07.1998; Unterlagen Evaluierungskommission Freiburger Sportmedizin, zitiert nach Singler, 2015a: 46-47). Hierbei verschwieg Keul, dass die meisten Elitefahrer in den 1980er und 1990er Jahren Anabolika eingenommen hatten und dass Anabolikadoping eine ähnliche Wirkung auf Erythropoese hat wie EPO (siehe Fried and Gurney, 1968). Im selben Brief machte Keul Kindervater auch einen detaillierten Vorschlag, um ein Übergreifen der negativen Folgen des Skandals auf das Team Telekom zu vermeiden. Unter anderem schlug Keul die Einführung von Kontrollen in den Trainingsphasen, die Weiterentwicklung von Kontrollverfahren zum Nachweis von EPO und Wachstumshormon sowie die Aufklärung der Profiradsportler, Trainer, Betreuer und der Öffentlichkeit vor. Die Krönung

KAPITEL 2: Joseph Keul

seines Plans war die Einrichtung eines sogenannten Arbeitskreises »Dopingfreier Sport«. Mit der großzügigen Finanzierung der Telekom (400.000 DM im Jahr) sollte dieser Arbeitskreis die wichtigsten Sportmediziner, Sportwissenschaftler sowie Dopinganalytiker Deutschlands einbeziehen und mit ihrer Unterstützung sowohl Anti-Dopingforschung als auch Aufklärung betreiben. Tatsächlich gebrauchte Heinrich diese Mittel selbst, um die Versandkosten für einige per Post an Radrennfahrer verschickte Arzneimittelsendungen mit Dopingpräparaten zu bezahlen (Expertenkommission, 2009: 5 und 18). Keul benutzte die von der Telekom zur Verfügung gestellten Mittel nicht nur um die Abteilung zu finanzieren, sondern (siehe unten) laut eines von der Evaluierungskommission interviewten Sportmediziners auch, um seine Wahl zum Präsidenten des Deutschen Sportärztebundes zu begünstigen (Zeitzeugeninterview 43, zitiert nach Singler, 2015a: 46); denn Keul versprach dem Verband, dass sich durch die Einrichtung des Arbeitskreises finanzielle Zuwendungen im siebenstelligen Zahlenbereich erwarten ließen (siehe Singler, 2015a: 52-53). Im Juni 1999 berichtete zum ersten Mal Der Spiegel, dass auch »im Team Telekom genauso systematisch und umfassend gedopt [wird] wie bei der gesamten Konkurrenz – bloß ist bisher noch keiner erwischt worden« (Geyer/ Ludwig, 1999). Auch dieser Artikel diente nicht als Weckruf für Keul, der letztendlich für die sportmedizinische Betreuung der Radsportler verantwortlich war. Im Gegenteil: zusammen mit dem Team Telekom und der Telekom selbst wehrte sich Keul vehement gegen die Darstellungen des Spiegel und untermauerte sogar mit einer eidesstattlichen Erklärung seine Beteuerungen. Da der Hauptzeuge des Spiegel, der frühere Pfleger des Teams, seine Aussagen schriftlich nicht bestätigen wollte, hatte das Team Telekom bzw. die Telekom AG beim Landgericht Frankfurt a.M. Erfolg mit einer Unterlassungsklage, wodurch es dem Spiegel verboten wurde, die in dem Artikel vom 12. Juni 1999 getroffenen Aussagen zum Doping im Team Telekom zu wiederholen (Spiegel, 1999b). In Gesprächen mit Medienvertretern und Kollegen wurde Keul gezwungen, einen stets größeren Spagat zu bewältigen. Bei den einen bestritt Keul die leistungssteigernde Wirkung von EPO, bei den anderen gab er sie zu. In einem Interview mit der Evaluierungskommission berichtete der Physiologe Professor Dr. Walter Schmidt (Universität Bayreuth): »Ich kann mich an eine Pressekonferenz erinnern, die im Schwarzwald stattfand im Rahmen des Projekts ›Dopingfreier Sport‹, wo Herr Keul auf Journalistenanfragen geantwortet hat, dass Erythropoietin gar nichts bringen

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Doping für Deutschland

würde, dass es abwegig wäre zu glauben, dass dort im Team Erythropoietin genommen würde. Das ganze EPO-Problem wurde heruntergespielt. Auf der anderen Seite hat er uns gesagt, dass er glaubt, dass Erythropoietin noch anders wirkt als jetzt nur über den Sauerstofftransport. Sondern dass er Informationen hätte, dass, sobald das Erythropoietin gespritzt worden wäre, die Leistungsbereitschaft noch viel größer wäre. Das heißt, dass es im Gehirn den Ermüdungsmechanismus noch mehr heruntersetzt. Frage: Wann war das etwa? Zeitzeuge: Das muss kurz vor seinem Tod gewesen sein. So 1999. Ich hatte schon das Gefühl, dass er Bescheid wusste, dass Erythropoietin auf jeden Fall eine Wirkung hat und die Leistung auf mehrere Arten verändert.« (Zeitzeugeninterview Walter Schmidt, zitiert nach Singler/Treutlein 2015b: 141-142) Wie Keul mussten Schmid und Heinrich die Kollegen in Freiburg und anderswo in Bezug auf die wahren Zustände im Team Telekom/T-Mobile konstant anlügen. Angesichts ihres Alters beim Einstieg in die Betreuung des Team Telekom können sie nicht nur als Täter, sondern auch als Opfer von Keuls Gier nach Macht und Geld betrachten werden. Insbesondere Andreas Schmid hatte zunehmend Schwierigkeiten, den Schein zu wahren. Walter Schmidt erinnerte sich auch, dass Schmid 1999 »nach der Veröffentlichung des Artikels [im Spiegel] gesagt hatte, dass jetzt eine Bombe platzen würde und dass jetzt alles vorbei wäre« (Zeitzeugeninterview Walter Schmidt, zitiert nach Singler, 2015a: 67-68). Im gleichen Interview teilte Schmidt mit, dass die Blutwerte der Telekom-Fahrer ihm schon um die Jahreswende »sehr verdächtig« waren und dass er für einen zum Thema geplanten Artikel Schmid »mehrfach über mehrere Jahre« um Hilfe gebeten hatte, aber nie eine positive Antwort bekommen hatte (vgl. Schmidt und Heinicke 2008: 146ff.). Ein ehemaliger Mitarbeiter der Abteilung habe mit Keul, Schmid und Heinrich noch deutlicher gesprochen: »Also Leute, Jungs [….] ihr seid ja verrückt. Und ich habe damals nur gedacht, dass sie das decken und nicht dopen. Ich habe nur gedacht, die decken das. Und das geht für mich schon nicht an so einem Institut. Jeder weiß in der Szene, vollkommen offen, es wird gedopt. Jeder weiß das. Es gibt keinen, der das nicht weiß, und die rennen da rum und sagen, die dopen nicht. Und als Institut Freiburg geht das nicht, als Universität in Deutschland geht das nicht, und das war meine Meinung.« (Protokoll 2. Sitzung der [Experten-]Kommission, 11.07.2007; Befragung von […]; Universitätsarchiv Freiburg, B0365/0007, Ordner »Protokolle noch nicht redigiert vom Stick« zitiert nach Singler, 2015a: 137)

KAPITEL 2: Joseph Keul

Bei diesen Aussagen habe Heinrich »von Godefroot ausrichten lassen, dass die mich verklagen wollen«, während Keul das Gespräch angeblich gleich unterbrach und antwortete: »Machen Sie sich mal keine Gedanken. Außerdem muss man erst mal beweisen, dass das überhaupt was macht.« (ebenda)

11.

Keuls zunehmende Abhängigkeit von der Telekom-Finanzierung und rechtswidriger Umgang mit Drittmitteln

Als der neue Direktor des BISp Horst de Marées Ende 1992 plötzlich die großzügige Finanzierung der Freiburger Abteilung Sportmedizin unterbrach, musste Keul innerhalb von wenigen Wochen alternative Geldquellen finden. Viele in den BISp-Projekten angestellte Mitarbeiter waren über einjährige Kettenverträge beschäftigt und durften arbeitsrechtlich nicht von einem auf den anderen Tag entlassen werden (vgl. Singler/Treutlein, 2015b: 222 und 351). Sowohl die Entscheidung des BISp als auch die ab 1991 von de Marées gestellten kritischen Fragen zur kontroversen vom BISp finanzierten Testosteronstudie Keuls, haben wahrscheinlich eine Rolle bei Keuls Entscheidung gespielt, 1991 in die Betreuung der Profi-Radsportler von Team Telekom einzusteigen bzw. diese Aufgabe im Laufe der 1990er Jahre zu behalten und auszuweiten. Schon ab den 1980er Jahren nahm Keul für seine Abteilung immer wieder Forschungsaufträge an, die in den 1990er Jahren in eine Reihe Trivialstudien zur vermeintlich leistungsfördernden oder gesundheitsbildenden Wirkung aller nur erdenklichen Supplemente und Genussmittel mündeten. Dies führte zu einer erheblichen Senkung der Qualität der wissenschaftlichen Publikationen. Der Vertrag mit dem Team Telekom diente auch einer ähnlichen Ersatzfunktion für die Finanzierung der Abteilung. Die Zahlen in Tabelle 1 verdeutlichen diese Verschiebung bei der Finanzierung. Machte die Finanzierung von Bund und Land 1992 noch 97 Prozent der Drittmitteleinnahmen der Abteilung aus, so war sie 1999, ein Jahr vor Keuls Tod, auf 38,6 Prozent gesunken und erreichte 2006, dem Jahr vor dem Ausbruch des Team-Telekom/T-Mobile Dopingskandals, mit 35,6 Prozent einen absoluten Tiefpunkt. Die Einnahmen vom Bund reduzierten sich besonders dramatisch: 1992 bekam die Abteilung vom Bund, inklusiv BISp noch Finanzierungen in Höhe von 269.200 €; 1999 waren diese Drittmittel auf 35.600 € geschrumpft. In den Jahren 1992-1995 erhielt die Abteilung noch keine direkten Mittel von den Sportverbänden und

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KAPITEL 2: Joseph Keul

Bei diesen Aussagen habe Heinrich »von Godefroot ausrichten lassen, dass die mich verklagen wollen«, während Keul das Gespräch angeblich gleich unterbrach und antwortete: »Machen Sie sich mal keine Gedanken. Außerdem muss man erst mal beweisen, dass das überhaupt was macht.« (ebenda)

11.

Keuls zunehmende Abhängigkeit von der Telekom-Finanzierung und rechtswidriger Umgang mit Drittmitteln

Als der neue Direktor des BISp Horst de Marées Ende 1992 plötzlich die großzügige Finanzierung der Freiburger Abteilung Sportmedizin unterbrach, musste Keul innerhalb von wenigen Wochen alternative Geldquellen finden. Viele in den BISp-Projekten angestellte Mitarbeiter waren über einjährige Kettenverträge beschäftigt und durften arbeitsrechtlich nicht von einem auf den anderen Tag entlassen werden (vgl. Singler/Treutlein, 2015b: 222 und 351). Sowohl die Entscheidung des BISp als auch die ab 1991 von de Marées gestellten kritischen Fragen zur kontroversen vom BISp finanzierten Testosteronstudie Keuls, haben wahrscheinlich eine Rolle bei Keuls Entscheidung gespielt, 1991 in die Betreuung der Profi-Radsportler von Team Telekom einzusteigen bzw. diese Aufgabe im Laufe der 1990er Jahre zu behalten und auszuweiten. Schon ab den 1980er Jahren nahm Keul für seine Abteilung immer wieder Forschungsaufträge an, die in den 1990er Jahren in eine Reihe Trivialstudien zur vermeintlich leistungsfördernden oder gesundheitsbildenden Wirkung aller nur erdenklichen Supplemente und Genussmittel mündeten. Dies führte zu einer erheblichen Senkung der Qualität der wissenschaftlichen Publikationen. Der Vertrag mit dem Team Telekom diente auch einer ähnlichen Ersatzfunktion für die Finanzierung der Abteilung. Die Zahlen in Tabelle 1 verdeutlichen diese Verschiebung bei der Finanzierung. Machte die Finanzierung von Bund und Land 1992 noch 97 Prozent der Drittmitteleinnahmen der Abteilung aus, so war sie 1999, ein Jahr vor Keuls Tod, auf 38,6 Prozent gesunken und erreichte 2006, dem Jahr vor dem Ausbruch des Team-Telekom/T-Mobile Dopingskandals, mit 35,6 Prozent einen absoluten Tiefpunkt. Die Einnahmen vom Bund reduzierten sich besonders dramatisch: 1992 bekam die Abteilung vom Bund, inklusiv BISp noch Finanzierungen in Höhe von 269.200 €; 1999 waren diese Drittmittel auf 35.600 € geschrumpft. In den Jahren 1992-1995 erhielt die Abteilung noch keine direkten Mittel von den Sportverbänden und

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Doping für Deutschland

Firmen. Ab 1995 wuchsen diese Mittel rapide an, und sie erreichten 661.783 € im Jahr 1999, 746.465 € im Jahr 2000 und ein Maximum von 783.997 € im Jahr 2005. Kurz vor seinem Tod 1999 gab Keul noch einmal an, dass die Abteilung weiterhin stark abhängig von Drittmitteln war. Von 49 Mitarbeitern, die damals der Abteilung angehörten, waren 60 Prozent über Drittmittel finanziert. Nach Keuls Schätzungen beliefen sich die Drittmittel zu dieser Zeit auf ca. 3,2 Millionen DM pro Jahr (Singler/Treutlein, 2015b: 66-67). Diese Summe ist weit höher als die offiziellen Drittmitteleinnahmen in Tabelle 1 (1.082.727 € im Jahr 1999, umgerechnet 2.117.630 DM) – und der Unterschied ist sicher nicht auf öffentliche Geldquellen zurückzuführen. Die wahren Fakten sind jedoch schwer zu rekonstruieren, weil Zuwendungen von Firmen und Sportvereinen viele Jahre lang über Keuls Privatkonten liefen. Diese Praktiken werden in einem Aktenvermerk des Leitenden Ärztlichen Direktors des Universitätsklinikums Freiburg Prof. Matthias Brandis vom 30. Mai 2007 geschildert – sechs Tage nach dem Dopingeingeständnis der Abteilungsärzte Prof. Schmid und Dr. Heinrich. Der Aktenvermerk fasst die wichtigsten Aussagen zum Thema von Prof. Aloys Berg zusammen, der nach Keuls Tod im Juli 2000 zum kommissarischen Leiter der Abteilung ernannt wurde: »Bei gewissen Einträgen, mehrere Male 100.000 DM, war nur ein Scheck abgegeben worden, von dem er nicht wusste, auf welches Konto dieser gutgeschrieben wurde. Er habe hierüber den damaligen Kaufmännischen Direktor Dr. von Podewils informiert und mit ihm zusammen die Kontenführung neu geordnet und in Verwaltungskonten überführt. So ist ein letzter Scheck der Firma Telekom noch im Frühjahr 2000 an ihn gegangen, als Professor Keul bereits schwer erkrankt war. Da der Scheck auf Keul ausgestellt war, funktionierte die Einreichung bei der Verwaltung nicht, der Scheck musste zurückgeschickt werden. Vieles sei über die sog. Nenad-Keul-Stiftung gelaufen, in die eingezahlt wurde. Er weiß nicht, wie die Zahlungen aus diesem Konto abgelaufen sind. Professor Berg äußerte sein Erstaunen darüber, dass die Geldzuwendungen des Deutschen Sportbundes Frankfurt, vom Bund der Leichtathletik Frankfurt, vom SC Freiburg und vom Team Telekom auf Privatkonten gegangen seien. Immerhin seien es in den Jahren 1995 bis 1999 fast 1 Millionen DM gewesen, die der deutsche Sportbund auf Konten von Professor Keul eingezahlt hat.« (zitiert nach Schöch, 2016: 12-13) Zur dieser Zeit war ein Privatkontenverfahren bei der Drittmittelverwaltung für Professoren noch zugelassen, wobei Keul die Universitätsverwaltung

KAPITEL 2: Joseph Keul

überhaupt nicht oder nicht korrekt über seine Drittmitteleinnahmen informierte, wie die Innere Revision der Universitätsklinik 2001 feststellte.7 Viel Geld lief auch über die Konten der Nenad-Keul-Stiftung Präventivmedizin, die Keul 1992 in memoriam seines verstorbenen Sohns gegründet hatte. »Die unkorrekte Drittmittelbewirtschaftung außerhalb des legalen Privatkontenverfahrens durch Keul«, stellt Prof. Schöch (2016: 6) in seinem Gutachten fest, »wurde unzweifelhaft durch mangelnde Kontrolle der Klinikverwaltung begünstigt«. Der Kaufmännische Direktor des Universitätsklinikums Freiburg war damals Dr. von Podewils, der mit Keul eng befreundet und zusammen mit Keuls zweitem Sohn, Dr. Radovan Keul, Mitglied im zweiköpfigen Stiftungsbeirat der Nenad-Keul-Stiftung war. Außerdem war von Podewils auch im biotechnischen Unternehmen CellGenix involviert, das Keul 1996 zusammen mit Prof. Dr. Dres. h.c. Roland Mertelsmann von der Onkologie gegründet hatte (siehe Schöch, 2016: 10). Obwohl von Podewils 2001 die eigenen Interessenkonflikte seinen untergeordneten Kollegen der Innenrevision mitteilte, schrieb er mit der Hand auf der zweiten Seite des Innenrevisionsberichts vom 15. Januar 2001: »Überprüfung des Privatkontenverfahrens ist nicht Aufgabe des Klinikums«, und die vom Innenrevisor vorgeschlagene Einsichtnahme in die Kontoauszüge der Nenad-Keul-Stiftung strich er durch (zitiert nach Schöch, 2016: 8). Nach dem Tod von Keul konnten auch die privaten Kontodaten von Keul und der NenadKeul-Stiftung nicht mehr beschlagnahmt werden, da ein strafrechtliches Verfahren nach dem Tod eines potenziell Beschuldigten nicht mehr eingeleitet werden darf. Trotz dieser gravierenden Einschränkungen berechnete die Innenrevision im Bericht vom 29. März 2001 für die nicht verjährte Zeit, also ab 1994, einen aus den Drittmittelbereichen zustande gekommenen Einnahmen-/Ausgaben-Saldo der Nenad-Keul-Stiftung in Höhe von 288.148,49 DM. Diese Summe wurde vom Universitätsklinikum rückgefordert und von der Nenad-Keul-Stiftung zurückbezahlt (Expertenkommission, 2009: 43).

7

Im Abschlussbericht der Dopingkommission ist darüber zu lesen: »Wie sich aus dem Bericht der Innenrevision des Universitätsklinikums Freiburg vom 29.03.2001 ergibt, hat Professor Keul bis zu seinem Tode weder die zweckgebundenen und nicht zweckgebundenen Drittmittel noch die Privatliquidationseinnahmen aus den ambulanten sportmedizinischen Untersuchungen bei Sportverbänden und Einzelpersonen und der stationären Behandlung korrekt angezeigt bzw. abgerechnet.« (Expertenkommission, 2009: 43)

87

Bund

269.229,89

157.310,30

184.020,65

209.731,21

-1.870,11

45.962,36

40.903,36

35.635,72

141.835,71

155.260,71

256.291,63

279.077,44

160.784,69

150.520,47

91.949,37

268.051,16

2.444.694,56

Jahr

1992

1993

1994

1995

1996

1997

1998

1999

2000

2001

2002

2003

2004

2005

2006

2007

Gesamt

16,0

31,3

7,9

12,0

14,4

21,6

22,7

14,2

11,3

3,3

5,4

6,4

-0,4

27,6

23,2

23,7

32,5

%

6.341.383,83

244.717,00

322.000,00

322.500,00

326.000,00

354.000,00

348.551,45

377.844,70

370.175,33

382.395,19

393.030,07

431.530,35

370.686,62

465.779,04

606.828,11

485.933,05

539.412,9

Land

41,5

28,5

27,7

25,7

29,1

27,4

30,9

34,6

29,4

35,3

52,1

60,0

74,2

61,3

76,6

73,2

65,1

%

57,5

59,8

35,6

37,6

43,5

49,1

53,6

48,8

40,7

38,6

57,6

66,4

73,8

88,8

99,9

96,8

97,5

Bund & Land %

200.107,34

76.300,00

78.400,00

0

0

0

0

0

0

2.914,36

0

0

0

0

1.049,59

20.991,71

20.451,68

DFG

1,3

8,9

6,7

0,0

0,0

0,0

0,0

0,0

0,0

0,3

0,0

0,0

0,0

0,0

0,1

3,2

2,5

%

6.429.385,12

415.481,00

671.744,00

783.997,39

633.086,96

656.989,16

524.452,40

558.241,74

746.464,51

661.782,52

319.836,13

241.774,78

130.614,12

84.920,41

0

0

0

Sportverbände – Firmen

42,1

48,5

57,7

62,4

56,5

50,9

46,4

51,2

59,3

61,1

42,4

33,6

26,2

11,2

0,0

0,0

0,0

%

15.268.563,85

857.542,16

1.164.093,37

1.257.017,86

1.119.871,65

1.290.066,60

1.129.295,48

1.091.347,15

1.258.475,55

1.082.727,79

753.769,56

719.267,49

499.430,63

760.430,66

791.898,35

664.235,06

829.094,49

Gesamt

Drittmitteleinnahmen der Abteilung Sportmedizin nach Zuwendungsgebern von 1992 – 2007 (Angaben in €). Quelle: Bron: Schöch (2016: 4-5).

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KAPITEL 2: Joseph Keul

Die Innenrevision stellte auch fest, dass Keul Einnahmen aus den ambulanten sportmedizinischen Untersuchungen bei Sportverbänden und Einzelpersonen auf dem Wege der Privatliquidation abgerechnet hatte, ohne für diese Untersuchungen Sachkosten oder Nutzungsentgelte an das Universitätsklinikum zurückzubezahlen. Für stationäre wahlärztliche Leistungen nahm Professor Keul in der Zeit von 1994 bis 2000 insgesamt 61.253,50 DM ein, die er beim Universitätsklinikum ebenfalls nicht deklarierte. An Keuls Erben erging 2001 die Nachforderung, 16.886,81 DM für Nutzungsentgelt und Kostenerstattung nach der Bundespflegesatzverordnung zurückzubezahlen (Expertenkommission, 2009: 43-45). Mehrere Zeugen äußerten gegenüber der Evaluierungskommission den Verdacht, dass Keul sich mit diesen illegalen Praxen auch persönlich bereichern wollte. Wegen der fehlenden Unterlagen konnte dieser Verdacht weder bestätigt noch widerlegt werden. In seinem im Auftrag der Evaluierungskommission geschriebenen Gutachten schrieb Prof. Schöch (2016: 9), dass die Entdeckung dieser nicht angezeigten Privatliquidationen zu Lebzeiten Keuls – wie bei Klümper – zur Bestrafung wegen Betrugs zum Nachteil des Universitätsklinikums hätte führen müssen. Keul legte dem Universitätsklinikum auch nicht den Vertrag vor, den er mit der Telekom für den Arbeitskreis dopingfreier Sport abgeschlossen hatte und der mit jährlich 450.000 DM dotiert war. Eine weitere Ungereimtheit ist, dass bis Ende 2000 nicht die zu erwartenden 900.000 DM, sondern 1.144.000 DM überwiesen wurden. Es war nicht möglich, Licht in das Zustandekommen dieses Zusatzbetrags von 244.000 DM zu bringen (Schöch, 2016: 9). Da Keul zwar die Mehrwertsteuer von 144.000 DM in Rechnung gestellt, diese aber nicht abgeführt hatte, holte die Verwaltung des Universitätsklinikums dieses auf der Basis des Innenrevisionsberichts vom 29. März 2001 nach. Erst nach Keuls Tod wurden die Folgeverträge mit der Deutschen Telekom AG für die Jahre 2000 und 2001 mit dem Universitätsklinikum Freiburg für die Abteilung Rehabilitative und Präventive Sportmedizin abgeschlossen. Auch wenn der Kommissarische Leiter Berg und ab 2002 Keuls Nachfolger Prof. Hans-Hermann Dickhuth Zweifel an der Opportunität der Involvierung der Abteilung in die Betreuung von Profiradsportlern hegten, fasste keiner von ihnen den Beschluss, den Vertrag für die Betreuung des Team Telekom/ T-Mobile zu kündigen. Vor der Neubesetzung des Lehrstuhls im Jahr 2002 war das Abteilungspersonal mit 42 Mitarbeitern im Vergleich mit dem Ende der 1990er Jahre leicht gesunken, aber mehr als 60 Prozent der Abteilungskosten waren noch über Drittmittel finanziert (Expertenkommission, 2009, 46).

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Doping für Deutschland

Wie wichtig die Drittmittelfinanzierung der Telekom geworden war, verdeutlicht eine Geschichte, die mehr als ein Informant der Kommission erzählt hat: »Dickhuth habe nach seiner Übernahme der Leitung in Freiburg vor der versammelten Abteilung die Frage gestellt, ob man aus der Betreuung von Radsportlern nicht aussteigen müsse. Darauf sei Prof. Berg aufgestanden bzw. habe sich dieser zu Wort gemeldet und gesagt, dass dann zwei Drittel der Mitarbeiter entlassen werden müssten!« (zitiert nach Singler, 2015a: 142)

12.

Fazit

Zusammenfassend halten wir fest, dass Prof. Josef Keul sich einer bedingungslosen Unterstützung des Spitzensports verschrieben hatte. Davon ist er Zeit seines Wirkens nur soweit abgewichen als es die politische Opportunität erforderte. Er war getragen von der Überzeugung, dass für das Zustandekommen sportlicher Höchstleistungen medizinische und sportliche ethische Prinzipien hintanzustehen hätten. So widersetzte er sich systematisch und solange irgendwie möglich allen Bemühungen, pharmakologische Hilfestellungen bei Spitzensportlern einzuschränken. Seine Stellung als akademischer Leiter, hoher Sportfunktionär und jahrzehntelanger persönlicher Betreuer des deutschen Olympiateams und von berühmten deutschen Athleten half ihm dabei ein effizientes Netzwerk von politischen Supportern aufzubauen, welche ihn als Garant für deutsche sportliche Erfolge sahen. Dies brachte ihn an seiner Universität in eine Machtposition, die es ihm erlaubte, praktisch ohne administrative Aufsicht in finanziellen Bereichen zu operieren. So begab er sich letztlich mit seiner gesamten Institution in die finanzielle Abhängigkeit eines dopenden Radsportteams. Keul hatte nicht nur ein vom Kalten Krieg geprägtes Verständnis der Sportmedizin, sondern deckte und förderte jahrzehntelang auch eine nonchalante und teils betrügerische Forschungskultur. Er erlebte das unrühmliche Verhängnis seiner sportmedizinischen Einrichtung nicht mehr, welche bei ihrer Gründung zu den prominentesten Einrichtungen Europas gehört hatte.

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Doping für Deutschland

Wie wichtig die Drittmittelfinanzierung der Telekom geworden war, verdeutlicht eine Geschichte, die mehr als ein Informant der Kommission erzählt hat: »Dickhuth habe nach seiner Übernahme der Leitung in Freiburg vor der versammelten Abteilung die Frage gestellt, ob man aus der Betreuung von Radsportlern nicht aussteigen müsse. Darauf sei Prof. Berg aufgestanden bzw. habe sich dieser zu Wort gemeldet und gesagt, dass dann zwei Drittel der Mitarbeiter entlassen werden müssten!« (zitiert nach Singler, 2015a: 142)

12.

Fazit

Zusammenfassend halten wir fest, dass Prof. Josef Keul sich einer bedingungslosen Unterstützung des Spitzensports verschrieben hatte. Davon ist er Zeit seines Wirkens nur soweit abgewichen als es die politische Opportunität erforderte. Er war getragen von der Überzeugung, dass für das Zustandekommen sportlicher Höchstleistungen medizinische und sportliche ethische Prinzipien hintanzustehen hätten. So widersetzte er sich systematisch und solange irgendwie möglich allen Bemühungen, pharmakologische Hilfestellungen bei Spitzensportlern einzuschränken. Seine Stellung als akademischer Leiter, hoher Sportfunktionär und jahrzehntelanger persönlicher Betreuer des deutschen Olympiateams und von berühmten deutschen Athleten half ihm dabei ein effizientes Netzwerk von politischen Supportern aufzubauen, welche ihn als Garant für deutsche sportliche Erfolge sahen. Dies brachte ihn an seiner Universität in eine Machtposition, die es ihm erlaubte, praktisch ohne administrative Aufsicht in finanziellen Bereichen zu operieren. So begab er sich letztlich mit seiner gesamten Institution in die finanzielle Abhängigkeit eines dopenden Radsportteams. Keul hatte nicht nur ein vom Kalten Krieg geprägtes Verständnis der Sportmedizin, sondern deckte und förderte jahrzehntelang auch eine nonchalante und teils betrügerische Forschungskultur. Er erlebte das unrühmliche Verhängnis seiner sportmedizinischen Einrichtung nicht mehr, welche bei ihrer Gründung zu den prominentesten Einrichtungen Europas gehört hatte.

KAPITEL 2: Joseph Keul

Appendix: Keuls Biographie, Studium und Funktionen in Wissenschaft und Sport8 • Geboren am 21. August 1932 in Euskirchen • 1954: Abitur • Leichtathletik-Karriere (SC Euskirchen; Post-SV München); 1500-Bestleistung: 3:51,8 (1957); 6. Platz über 1500m bei den deutschen Juniorenmeisterschaften 1954 • Vorklinische Semester in Bonn und Freiburg • 1956: Physikum in Freiburg • Zwei klinische Semester in München • 1958: Einreichung der Dissertation »Herzvolumen, Pulsfrequenz, Sauerstoffaufnahme und Sauerstoffpuls als Grundlage einer klinischen Funktionsprobe des Herzens« • 1959: Promotion in Freiburg • 1959: Staatsexamen in Freiburg • 1960: erster Einsatz als Olympia-Arzt in Rom; seit 1976 Chefarzt der deutschen Olympiamannschaft • 1964: Habilitation für Innere Medizin mit der Arbeit »Stoffwechsel und Durchblutung des menschlichen Herzens« • 1962: Berufung in den »Bundesausschuss Leistungssport« durch Willi Daume; seit 1980 Vorsitzender des wissenschaftlich-medizinischen Beirates • 1964: Berufung in das »Zentralkomitee für sportwissenschaftliche Forschung«, seit 1970 »Bundesinstitut für Sportwissenschaft« (BISp) • 1973: Ordinarius für Innere Medizin der Universität Freiburg; seit 1974 Ärztlicher Direktor der Abteilung für Sport- und Leistungsmedizin (umbenannt in 1994 in Abteilung für Präventive und Rehabilitative Sportmedizin) • 1973-1992: Mitglied im Fachausschuss Medizin des BISp; • seit 1979: Vorsitzender oder Stellvertretender Vorsitzender im Fachbeirat »Angewandte Wissenschaften auf dem Gebiet des Sports« gemeinsam mit Prof. Ommo Grupe • 1978-1985: Leitender Verbandsarzt u.a. beim DTB (Deutscher Tennis Bund), DSV (Deutscher Skiverband), BDR (Bund Deutscher Radfahrer) und beim DLV (Deutscher Leichtathletik-Verband)

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Siehe Keul (1958), Amrhein (1999: 222), Keul/König/Scharnagl (1999), Berg/Dickhuth (2000) und Singler (2016a).

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• • • •

Tätigkeit in Internationalen Verbänden: z.B. seit 1974 bundesdeutscher Vertreter in der Medizinischen Kommission der International Association of Athletics Federations (IAAF) 1974 und seit 1985 Mitglied der Medizinischen Kommission des Internationalen Tennis-Verbandes 1980er Jahre: Vorsitzender der »Kleinen Arbeitsgruppe Dopingfragen beim Bundesinstitut für Sportwissenschaft« 1985: persönliches Mitglied im Nationalen Olympischen Komitee (NOK) 1998: Präsident des Deutschen Sportärztebundes, später Deutsche Gesellschaft für Sportmedizin und Prävention e. V. Gestorben am 22. Juli 2000 in Freiburg an den Folgen eines Krebsleidens.

KAPITEL 3: Armin Klümper1 Top-Doper des westdeutschen Spitzensports und Profiteur des Beschweigens von Doping

1.

Einleitung

Das Wirken des Freiburger Sportmediziners Prof. Dr. Armin Klümper über fast vier Jahrzehnte hinweg aktiviert bis in die Gegenwart die ganze Bandbreite zwischen extremen Bewunderern und heftigen Gegnern. Selbst Letztere haben ihn oft zunächst sehr positiv eingeschätzt, so z.B. die Olympiateilnehmerin, erste Aktiven Sprecherin des Deutschen Leichtathletik Verbands (DLV) und Autorin Brigitte Berendonk: »Prof. Dr. Klümper hat viele Sportler behandelt, viele geheilt und eine Reihe von ihnen gedopt. Seinem ungewöhnlich intensiven Einsatz für jeden einzelnen Athleten gebührt Anerkennung […] Aber gerade dieser Verlust der professionellen Distanz des Arztes zum Patienten scheint Ursache seiner zunehmend aktiven Rolle auch beim Anabolikadoping vieler Athleten zu sein.« (Berendonk, 1991: 278) Seine Nähe zum Patienten war Klümpers Markenzeichen. Der Paderborner Sportmediziner Prof. Dr. Heinz Liesen bezeichnete Klümper als einen »Mann von unerklärlicher Anziehungskraft auf Spitzensportler und Magier der Psychosomatik« (Süddeutsche Zeitung, 19.07.1989).

1

Grundlagen für diesen Artikel sind die Erkenntnisse der Evaluierungskommission, insbesondere die zwei Gutachten zu Armin Klümper (Singler/Treutlein, 2015a und Singler 2015a, der Vortrag von Gerhard Treutlein (2011) beim Freiburger International Symposium »Sportmedizin und Doping«,), sowie die Analysen und Materialsammlung auf der Webseite der ehrenamtlich arbeitenden Monika Mischke »www.cycling4fans.de«.

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Doping für Deutschland

Klümper war bereit, auf den Sportplatz zu gehen, kompetent zu beobachten und zu analysieren, um fehlerhafte, verletzungsträchtige Bewegungsabläufe herauszufinden. Er intervenierte nicht nur mit Medikamenten und Injektionen, sondern z. B auch durch den Einsatz von Krankengymnastik. Personen, die Klümper als erfolgreichen Arzt erlebt und gekannt haben, sind teils gespalten in ihrer Beurteilung Klümpers. Über medizinische – zumindest kurzfristige – Erfolge (z.B. »Abschmieren« der Gelenke von Hochspringern) und persönlichen Kontakte entstanden für Klümper effektive Netzwerke von Anhängern. Für den Zehnkampfweltrekordler Kurt Bendlin z.B. war er »die Vaterfigur des deutschen Sports« (Halter, 1984: 194). Klümper hatte wenig Respekt vor dem Können seiner Berufskollegen. Schon in jungen Jahren, mit gerade einmal 25 Jahren, qualifizierte er die westdeutsche Sportmedizin des Jahres 1960 als völlig unzulänglich ab, da sie den Bewegungsapparat kaum berücksichtigen würde. Er selbst widmete sich schon ab 1963 dem Aufbau der Sporttraumatologie sowie der Diagnostik und Therapie des Bewegungsapparats – er sah sich als Vater der Sporttraumatologie in Deutschland. Den Werdegang Klümpers zum Dopingtäter muss man aus seiner Zeit heraus verstehen; Klümper wuchs im Lauf der 1960er und 1970er Jahre in ein Doping begünstigendes Umfeld hinein. Dopingtäter wie er und einige seine Mitarbeiter und Schüler, sind nicht als unabhängige Einzeltäter zu betrachten. Sie sind als Akteure im Schnittpunkt »diverser sozialer Beziehungen […], die sein Handeln ermöglichen und kanalisieren« zu verstehen (Bette/ Schimank, 1995: 15ff). Klümper erfüllte bestens die Erwartungen von organisiertem Sport, Öffentlichkeit und vieler Athleten nach möglichst vielen Medaillen. So waren während zwei Jahrzehnten fast 90 Prozent der Leichtathletiknationalmannschaft der Bundesrepublik Deutschland Klümpers Patienten (persönliche Mitteilung von Mannschaftsärzten an Treutlein, etwa 1990). Weder der Staat noch die Verbände bremsten sein Dopinghandeln. Zumindest manche Verbände förderten und forderten es sogar. Fast alle Entscheidungsträger in Sport und Politik beschwiegen es, die Mauer des Schweigens war und ist stabil. Klümper wurde nach und nach Verbandsarzt in verschiedenen Sportverbänden, z.B. im Deutschen Leichtathletikverband (DLV), dem Bund Deutscher Radfahrer (BDR) und dem Deutschen Sportbund (DSB). Seine Bedeutung für den Spitzensport nahm spätestens mit dem Beginn der 70er Jahre enorm zu, und das gleich gilt für mehrere Sportarten, vor allem aber für die Leichtathletik und das Radfahren. Die steigende Patientenzahl hing neben

KAPITEL 3: Armin Klümper

seinen unbestrittenen diagnostischen Erfolgen wohl auch damit zusammen, dass er offensiv für den Anabolika-Konsum eintrat. Für Klümper waren Anabolika, zumindest für Männer, ungefährliche Medikamente. Klümper vertrat eine eigenartige, aber zeittypische Definition von Doping: »Wenn ein Athlet, der sich ein halbes Jahr lang auf den großen Einsatz vorbereitet hat und nun durch eine Krankheit um die Früchte seiner Arbeit gebracht zu werden droht, Anabolika nimmt, dann ist das kein Doping.« (Stuttgarter Zeitung, 21.5.1977) Für seine Kollegen an der Universität war es besser, sich nicht mit ihm anzulegen. Er gefiel sich in der Rolle als ärztlicher Außenseiter und war sich dabei der Unterstützung vieler Journalisten und Sportler sicher. Selbst Vorgesetzte scheuten die Auseinandersetzung mit ihm. Seine unbestrittenen Erfolge vor allem in der Schmerztherapie führten dazu, dass seine oft prominenten Patienten – auch aus der Universität und Landesregierung – »großzügig« über illegale Handlungen hinwegsahen. Keiner wollte zudem etwas gegen Klümpers Selbstüberschätzung sagen. Diesem Guru traute man alles zu, ihn wollte man sich nicht zum Feind machen. Dass er für fast alle Patienten alle sechs Wochen in seinem Labor ein großes Blutbild machen ließ, eine diagnostisch in dieser Art nicht zu rechtfertigende Prozedur, wurde einfach akzeptiert.

2.

Klümpers Werdegang in Freiburg

Armin Klümper wurde 1935 in Münster geboren und kam 1955 zum Studium der Medizin nach Freiburg. Er reichte 1958 seine Dissertation »Struktur und Funktion der linken Herzkammer« ein. Nach seinen eigenen Angaben begann seine Beschäftigung mit der Sporttraumatologie 1960. 1963 wurde er Facharzt für Radiologie und Strahlenheilkunde. Klümper entwickelte sich damit außerhalb der Sportmedizin bzw. der späteren Abteilung Sportmedizin der Universität Freiburg. Ein Kennzeichen für ihn war, dass der für einen Universitätsangehörigen vorgeschriebene Dienstweg ihn selten interessierte. Oft suchte er den direkten Weg zu den obersten Verantwortlichen z.B. in der Landesregierung Baden-Württembergs oder zu politischen Entscheidungsträgern wie z.B. der CDU-Fraktion im baden-württembergischen Landtag. Wenn direkte Vorgesetzte wie z.B. der Kanzler der Universität oder Entscheidungsträger wie Fakultät und Senat dagegen protestierten, dass Klümper sie überging, dann behauptete er, sie seien einfach nur beleidigt.

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seinen unbestrittenen diagnostischen Erfolgen wohl auch damit zusammen, dass er offensiv für den Anabolika-Konsum eintrat. Für Klümper waren Anabolika, zumindest für Männer, ungefährliche Medikamente. Klümper vertrat eine eigenartige, aber zeittypische Definition von Doping: »Wenn ein Athlet, der sich ein halbes Jahr lang auf den großen Einsatz vorbereitet hat und nun durch eine Krankheit um die Früchte seiner Arbeit gebracht zu werden droht, Anabolika nimmt, dann ist das kein Doping.« (Stuttgarter Zeitung, 21.5.1977) Für seine Kollegen an der Universität war es besser, sich nicht mit ihm anzulegen. Er gefiel sich in der Rolle als ärztlicher Außenseiter und war sich dabei der Unterstützung vieler Journalisten und Sportler sicher. Selbst Vorgesetzte scheuten die Auseinandersetzung mit ihm. Seine unbestrittenen Erfolge vor allem in der Schmerztherapie führten dazu, dass seine oft prominenten Patienten – auch aus der Universität und Landesregierung – »großzügig« über illegale Handlungen hinwegsahen. Keiner wollte zudem etwas gegen Klümpers Selbstüberschätzung sagen. Diesem Guru traute man alles zu, ihn wollte man sich nicht zum Feind machen. Dass er für fast alle Patienten alle sechs Wochen in seinem Labor ein großes Blutbild machen ließ, eine diagnostisch in dieser Art nicht zu rechtfertigende Prozedur, wurde einfach akzeptiert.

2.

Klümpers Werdegang in Freiburg

Armin Klümper wurde 1935 in Münster geboren und kam 1955 zum Studium der Medizin nach Freiburg. Er reichte 1958 seine Dissertation »Struktur und Funktion der linken Herzkammer« ein. Nach seinen eigenen Angaben begann seine Beschäftigung mit der Sporttraumatologie 1960. 1963 wurde er Facharzt für Radiologie und Strahlenheilkunde. Klümper entwickelte sich damit außerhalb der Sportmedizin bzw. der späteren Abteilung Sportmedizin der Universität Freiburg. Ein Kennzeichen für ihn war, dass der für einen Universitätsangehörigen vorgeschriebene Dienstweg ihn selten interessierte. Oft suchte er den direkten Weg zu den obersten Verantwortlichen z.B. in der Landesregierung Baden-Württembergs oder zu politischen Entscheidungsträgern wie z.B. der CDU-Fraktion im baden-württembergischen Landtag. Wenn direkte Vorgesetzte wie z.B. der Kanzler der Universität oder Entscheidungsträger wie Fakultät und Senat dagegen protestierten, dass Klümper sie überging, dann behauptete er, sie seien einfach nur beleidigt.

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Für seine Habilitation »Intraossäre Angiographie. Topographische und morphologische Untersuchungen zur Darstellung intraossärer Gefäße in vivo« erhielt Klümper (1969a) 1970 nicht nur die Lehrerlaubnis in Radiologie, sondern auch für Sportmedizin. 1976 wurde er zum Leiter der ersten »Sporttraumatologischen Spezialambulanz«, eine Wortschöpfung Klümpers, an einer deutschen Universität ernannt. Im gleichen Jahr wurde ihm durch Erlass des Ministeriums für Kultus und Sport Baden-Württemberg (1976) vom 31. Mai 1976 die eigenverantwortliche sporttraumatologische Betreuung der Spitzen- und Leistungssportler des Landes Baden-Württemberg ermöglicht. Dabei sollte er diese Dienstaufgabe »in enger Zusammenarbeit mit der Abteilung 1.1.8 Sport- und Leistungsmedizin des Zentrums Innere Medizin« erfüllen (Vereinbarung des Klinikvorstands, 07.10.1976). Auf die Notwendigkeit einer ordnungsgemäßen Abrechnung der erbrachten Leistungen wurde er hingewiesen. 1977 wurde er nach anfänglichem Widerstand der Fakultät zum außerplanmäßigen Professor und Oberarzt in der Abteilung Röntgendiagnostik bei Prof. Dr. Wenz ernannt. Dabei spielte die Hilfe von Minister Gerhard Mayer-Vorfelder eine Rolle (LKA-Aktenvermerk, 21.09.1984, zu »Vorsprache bei Herrn Minister Mayer-Vorfelder«; Staatsarchiv Freiburg, F 176/25 Nr. 1, StA Freiburg, Ordner VfB Arzneimittellieferungen 5.1; zitiert nach Singler/ Treutlein, 2015a: 39). Seit dem Beginn der 1970er Jahre sind Bestrebungen Klümpers feststellbar, zu größeren räumlichen, apparativen und personellen Möglichkeiten zu kommen. Nachdem die Integration der Sporttraumatologischen Spezialambulanz in die neuen Räume der Abteilung Sportmedizin am Widerstand seines großen Gegners und Rivalen, Prof. Dr. Joseph Keul, gescheitert war, suchte er andere Lösungen. Zunächst plante er 1978 eine »Klinik für den Bewegungsapparat« in Bad Krozingen, wozu es trotz der ablehnenden Haltung von Keul für dieses Projekt in einem Schreiben Klümpers vom 18. Mai 1978 heißt: »Die fruchtbare und kooperative Arbeit mit dem Lehrstuhl für Sportmedizin der Universität Freiburg unter Leitung von Prof. Dr. Keul bleibt mit Sicherheit erhalten.« (Klümper, 1978; vgl. Singler/Treutlein, 2015a: 201-202) 1979 bestand der Mitarbeiterstab Klümpers aus vier Stellen (darunter eine BAT1b-Stelle für Dr. Heinz Birnesser). Die Bauplanung (vom 17.07.1980) umfasste auf der Grundlage eines Ministerialbeschlusses vom 12. Februar 1980 eine Fläche von 1300m2 . Klümper meldete einen Stellenbedarf von 13 Stellen an, darunter drei Arztstellen. 3,5 Stellen sollte das Ministerium für Wissenschaft und Kunst finanzieren, 1,5 Stellen das Bundesinstitut für Sportwissenschaft. Die Universität Freiburg hatte keine Einwände gegen die Bauplanung,

KAPITEL 3: Armin Klümper

distanzierte sich aber trotzdem von dem Vorhaben, da sie keine Verantwortung übernehmen wollte. 1982 wurde dann in einer Gemeinschaftsaktion des Bundesministeriums des Innern, des Landes Baden-Württemberg und der Stadt Freiburg für Klümper der Bau der Sporttraumatologie im Freiburger Mooswald fertig gestellt. Damit sollte verhindert werden, dass Klümper Stellenangebote aus dem Ausland annehmen würde. Die Gründung erfolgte als eigenständige »Abteilung« des Universitätsklinikums. 1986 wurde sie der Radiologischen Universitätsklinik zugeordnet; Besitzerin des Gebäudes war die Stadt Freiburg. Die Stadt vermietete das Gebäude an die Universität Freiburg. 1988 waren in Klümpers Sporttraumatologischer Spezialambulanz 23 Beschäftigte angestellt, darunter fünf Ärzte. Bei seinem Übergang in die Mooswald-Klinik 1990 und dem damit verbundenen Ausscheiden aus der Universität stellte Klümper einen Antrag auf Entlassung aus dem Beamtenverhältnis (31.03.1990). Die medizinische Fakultät wollte ihm deswegen den Professorentitel entziehen. Dieses Hindernis räumte das Wissenschaftsministerium in Stuttgart durch seine Ernennung zum außerplanmäßigen Professor aus dem Weg. Klümper hatte mit dem Ausscheiden aus der Universität 1990 den Titel verloren, ihn aber trotzdem weitergeführt. An der Entscheidung, ihm den Titel eines außerplanmäßigen Professors zu verleihen, waren gegen alle Regeln weder die Medizinische Fakultät noch der Senat der Universität beteiligt. Das Wissenschaftsministerium verwies hingegen darauf, aus der Universität habe ein Antrag vorgelegen. Nach Kollegenaussagen hatte Klümper seit der Eröffnung der Sporttraumatologischen Spezialambulanz im Mooswald praktisch keine Lehrveranstaltungen mehr abgehalten und auch fast nichts veröffentlicht, d.h. er hatte damit die normalerweise notwendigen Voraussetzungen für einen solchen Titel nicht mehr erfüllt (Stuttgarter Zeitung, 17.08.1991). Zu seinen Freunden und Förderern gehörten u.a. der Ministerpräsident Lothar Späth, der Kultus- und Finanzminister Minister des Landes Baden-Württemberg Gerhard Mayer-Vorfelder, der Landesjustizminister und Freiburger Landtagsabgeordnete Heinz Eyrich ebenso wie der Leiter der Sportabteilung des Bundesinnenministeriums Erich Schaible (Der Spiegel 1993, 198). Klümpers Antrag auf Entlassung aus dem Beamtenverhältnis und sein Ersuchen, den Professorentitel weiter führen zu dürfen, ging am 27. Dezember 1989 beim Wissenschaftsministerium ein. Klümper wollte mit einer Entlassung aus dem Beamtenverhältnis offensichtlich disziplinarrechtlichen Konsequenzen seiner Verurteilung in verschiedenen Prozessen zuvorkom-

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Doping für Deutschland

men. Trotz einiger Widerstände in der Fakultät und trotz nicht vorhandener Lehrleistungen durfte Klümper erstaunlicherweise den Professorentitel weiterführen. Entsprechend der in inneruniversitären Kreisen vorherrschenden Tendenz zur Konfliktvermeidung wurden Klümpers Dopingaktivitäten nicht angesprochen. Wegen seines Ausscheidens aus der Universität wurde Klümper ab dem 1. April 1990 – parallel zu seiner Tätigkeit in der Mooswald-Klinik – Mieter des Gebäudes der Sporttraumatologischen Spezialambulanz, in dem der größere Teil seiner Mitarbeiter wie bisher weiterarbeitete. Die Tätigkeit als Direktor der Mooswald-Klinik (1990 – 1992) war nur vorübergehend. Bei der Planung der Klinik war man von Klümpers Aussage ausgegangen, er betreue im Jahr 40.000 Patienten; in Wahrheit waren es 3600 Patienten an insgesamt 40.000 Patiententagen. Auf der Grundlage von Klümpers völlig überzogenen Patientenzahlen war die Klinik total überdimensioniert gebaut worden, sie musste 1993 Insolvenz anmelden. Klümper fiel weich, denn er konnte sich erneut voll und ganz der Leitung der Gemeinschaftspraxis seiner Sporttraumatologischen Spezialambulanz widmen. Das Gebäude wurde ihm zudem von der Stadt Freiburg mietfrei überlassen. Schuld für das Scheitern war nach Klümpers Meinung aber erneut nicht er selbst, sondern Verträge mit nicht realisierten Versprechungen und inkompetente Partner. Nach Enthüllungen (z.B. zur Behandlung der Hürdenläuferin Birgit Hamann-Wolf) und wegen seiner Abrechnungspraktiken kündigte der Deutsche Sport Bund (DSB) 1998 den Vertrag mit Klümper über sportmedizinische Untersuchungen, auch das Bundesministerium des Innern rückte von ihm ab (FAZ, 17.08.1998). Dies aber erst mehr als zweieinhalb Jahrzehnte nach den ersten öffentlichen Dopingvorwürfen. Aus dem Sporttraumatologischen Zentrum schied Klümper eher unfreiwillig im Jahr 2000 aus, vermutlich zum Teil aus gesundheitlichen Gründen. Klümper war Diabetiker und bekannt dafür, dass er sich vorwiegend von Kaffee, Nikotin und Alkohol »ernährte«. Das Praxiszentrum wurde in der Folge von einer Ärztegruppe um Dr. Dieter Heinold, Dr. Walter Hubmann, und Dr. Helmut Schreiber weitergeführt. Klümper zog sich verbittert nach Südafrika zurück, wo er 2019 starb.

KAPITEL 3: Armin Klümper

3.

Klümpers Grundeinstellung zum Doping und sein Umgang mit Athleten

Klümper war spätestens seit 1963 im Radsport tätig, zeitweise anscheinend auch als Doping-Kontrolleur. Nach seinen eigenen Angaben entwickelte er zusammen mit Prof. Dr. Manfred Donike die ersten Dopingregeln für die Union Cycliste Internationale (UCI). Damit sollte der Konsum von Stimulantien verhindert werden, Anabolika sah Klümper als weitaus weniger gefährlich an: »Wir haben die Radfahrer überzeugt, daß sich über eine gezielte eiweißreiche Ernährung und über ein verbessertes technisches Training auch eine Leistungssteigerung erreichen läßt, die noch den Vorzug hat, völlig ungefährlich zu sein.« (Stuttgarter Zeitung, 21.05.1977) Die Gefährdung durch Stimulantienkonsum versuchte Klümper durch eine Stärkung der Rolle der Sportärzte und eine intensivere Betreuung von Sportlern abzustellen. Anabolika sah er trotz des Verbots durch die International Association of Athletics Federation (IAAF) 1970 und das International Olympic Committee (IOC) 1974 noch 1977 nicht als verboten an. Seine Rolle als Arzt verstand er so, dass er Sportler davor bewahren müsse, sich unkontrolliert und in beliebiger Menge zu dopen. Das sei schließlich viel zu riskant. Als Mediziner sei er vielmehr berechtigt, einen Athleten zu beraten und ihm zu geben, »ohne was er nicht auszukommen glaubt. Dabei habe ich wenigstens die Dosierung der Muskelpille unter Kontrolle, was ein geringeres Risiko für negative Wirkungen bedeutet« (Stuttgarter Zeitung, 21.05.1977). Der Molekularbiologe und Krebsforscher Prof. Dr. Werner Franke warf Klümper schon in den 1970er Jahren vor, mit der Gabe von anabolen Steroiden das Risiko schwerer Erkrankungen billigend in Kauf zu nehmen. Schließlich war damals schon bekannt, dass anabole Steroide Krebs begünstigen und das Wachstum von Tumoren beschleunigen können. Besserwissend wies Klümper die Kritik des Krebsforschers Franke scharf zurück. Obwohl er kein Hehl daraus machte, dass er bereit sei, Sportler zu dopen, hielten DLV und BDR an ihm fest; er blieb Verbandsarzt u.a. des BDR und des DLV. Athleten der 60er bis 80er Jahre, die beim Dopen nicht mitmachen wollten und sich ihren Trainern und Funktionären anvertrauten oder protestierten, mussten erleben, dass sie nicht ernst genommen oder sogar weggemobbt wurden. Sie erlebten, wie heuchlerisch und verlogen der Spitzensport in Deutschland war. Klümper, der Mann an der Front des Sports, wusste genau, was passierte und dass die Verantwortlichen den Mantel des Schweigens

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darüber hüllten. Dass Medaillen praktisch nur mit Doping zu holen waren, wussten Sportpolitiker und Funktionäre, aber gerade diese Tatsache wurde konsequent geleugnet. Klümper konstatierte, dass die Athleten völlig zurecht das Vertrauen in Betreuer und Institutionen verloren hatten. Ihm bleibe als Arzt gar keine andere Wahl, als sich schuldig zu machen. Natürlich verbot es die ärztliche Ethik, gesunden Athleten Medikamente zu verabreichen, die für Schwerkranke entwickelt worden waren und schwere Nebenwirkungen haben konnten. Dies war Klümper bewusst, aber er sah sich als allmächtig und über den Gesetzen stehend. Er berief sich dabei auf seine Therapiefreiheit als Arzt. Das Ehepaar Werner Franke und Brigitte Berendonk gehörten seit 1970 zu den lautstärksten Kritikern von Klümper. Brigitte Berendonk nahm als Diskuswerferin zweimal an Olympischen Spielen teil (1968 und 1972). Der Heidelberger Krebsforscher Werner Franke war in jungen Jahren deutscher Juniorenmeister über die 3x1000m Langstaffel. Klümper schoss scharf auf Berendonk und Franke und versuchte, seine Kritiker nach Kräften zu diskreditieren. Sie seien »emotionale« Glaubensgestalten«. Zugleich warf Klümper ihnen vor, die Leistungsgesellschaft insgesamt abzulehnen und damit auch das Leistungsstreben im Spitzensport. Wer auch immer es wagte, Klümper zu kritisieren, war selbst kritikwürdig oder einfach nur neidisch auf seine fantastischen Erfolge als Arzt. Konnte ihm ein Fehler nachgewiesen werden, führte er das darauf zurück, dass er – der als Leiter einer Sektion innerhalb der Universität Vorgesetzte hatte –nicht ausreichend Zugang zu notwendigen Informationen hatte. Gegner wie der leitende DLV-Arzt Dr. Karl Heinz Graff waren »Fanatiker«, Vorgehensweisen gegen ihn »Hetzkampagnen« und »Vorverurteilungen« (u.a. Singler/Treutlein 2015a: 186), hierzu in einem Interview der Stuttgarter Zeitung mit der Überschrift »Über Doping reden nur Fanatiker, Pharisäer und Bürokraten«: »Wer diskutiert denn seit 15 Jahren? Unwissende, Fanatiker, pharisäerhafte Funktionäre und bürokratische Regulatoren. Zu den Athleten haben diese Leute doch nahezu jeglichen Kontakt verloren.« (Stuttgarter Zeitung, 14.03.1991) Klümper hatte offensichtlich ein gutes Gespür dafür, wem er zu Doping zuraten konnte; längst nicht jeden Athleten sprach er darauf an. Die Empfehlung zum Konsum von Anabolika beinhaltete Risiken. Zum Beispiel informierte der Diskuswerfer Alwin Wagner am 18. Februar 1991 den DLV-Rechtswart Norbert Laurens, Klümper habe ihm mit Wissen seines Diskus-Bundestrainers

KAPITEL 3: Armin Klümper

Karlheinz Steinmetz Anabolika verordnet und ihm nie von der Einnahme abgeraten. Für Verbandsfunktionäre und Politiker waren Erfolgs- und Medaillenerwartungen, im Zweifelsfall unter Einsatz aller Mittel, vorrangig. Diese Heuchelei bereitete Klümper Probleme, die er mit Verweis auf seine Aufgabe als Arzt und die damit verbundene Therapiefreiheit zu lösen versuchte, Therapiefreiheit als Ausweg aus der Dilemmasituation. Zudem brachte er immer wieder die Argumentation vor, Athleten vor Selbstmedikation schützen zu wollen, aber auch vor der Betreuung und Behandlung durch dubiose Betreuer: »Dann habe ich wenigstens die Dosierung der Muskelpille unter Kontrolle, was ein geringeres Risiko für negative Wirkungen bedeutet.« (Stuttgarter Zeitung, 21.05.1977) Dieser Weg verführte ihn zu seiner Lösung einer »kreativen Sportmedizin«. Auf seinem Weg zur Selbstüberschätzung wirkten viele durch Schulterklopfen und öffentliches Lob mit. Der Gerichtsreporter Gerhard Mauz (Der Spiegel) analysierte so: »Der kreative Mediziner Klümper […] konnte nur kreativ ärztlich und erfolgreich tätig sein, weil er alles, was ihn behinderte, ignorierte. […] Armin Klümper ist weiterhin davon überzeugt, daß Gesetze und Regeln mißachtet werden müssen, wenn sie, nach seiner Meinung, den Weg zur Gesundheit behindern.« (Mauz 1989: 199) Angeblich hat Klümper (1997) die Verschreibung von Anabolika nie aus anderen als aus therapeutischen Gründen befürwortet. Bei seiner Vernehmung nach dem Tod seiner Patientin, der Siebenkämpferin Birgit Dressel, äußerte er, dass Anabolika durchaus zum Therapiespektrum seines Instituts gehörten: »z.B. in Regenerationsphasen, nach Operationen usw. […], ferner nach Knochenverletzungen. Im Fall von Birgit Dressel sah der Arzt auch im Fall eines Trainingsausfalls nach einer Kieferhöhlenentzündung ›im weiteren Sinne' eine Indikation für den Anabolikaeinsatz gegeben.« (Singler/Treutlein 201:, 288) So gesehen wurde sogar das Absetzen von anabolen Steroiden, mit der häufigen Folge von Gewichts- und Leistungsverlust, zu einem medizinisch vertretbaren Grund für deren Verschreibung. Der DSB und Sportärztekongress positionierten sich zumindest offiziell ab 1977 gegen Anabolika-Doping. Dies brachte Ärzte wie Klümper in eine schwierige Situation. Positive Rückmeldungen von Athleten und die schüt-

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Doping für Deutschland

zende Hand mächtiger Personen und Institutionen bestärkten ihn trotzdem beim Weiterverfolgen seines Wegs. Klümper beklagte das offizielle Verbot der anabolen Steroide durch den DSB und NOK 1977, da deswegen die Zahl derjenigen, die sie verwendeten, in die Höhe gegangen sei: »Wir kämpfen heute noch mit dem durch die unwürdige Diskussion von 1977 entstandenen Vertrauensschwund der Athleten, denn dadurch würden jetzt viele anabole Steroide heimlich verwenden, die Einnahme sei damit nicht mehr kontrollierbar.« (Südkurier, 25.10.1978) Wegen des verbotsbedingten steigenden Drucks benutzte Klümper eine Parallelsprache: Während in der DDR-Sportmedizin für anabolen Steroide der Begriff »unterstützende Mittel« verwendet wurde (Bauersfeld et al., 1973), versteckte Klümper seine Anabolika-Verwendung, wie auch andere westdeutsche Sportmediziner auch, hinter Begriffen wie Substitution, Prophylaxe, Regeneration, Therapie (z.B. Singler/Treutlein 2015a: 317, 357 und 368). Es ist Klümper zuzugestehen, dass er an der zunehmenden Diskrepanz zwischen den ohne Doping nicht mehr erreichbaren Leistungsanforderungen und der öffentlichen Verdammung von Doping sowie der damit verbundenen Doppelmoral litt. Als Freund der Athleten versuchte er, die Situation für Spitzenathleten zu »erleichtern«. Er stellte Ressourcen zur Verfügung, die dazu beitrugen, Trainingsumfänge und -intensitäten zu erhöhen. Dies um dem eskalierenden Erfolgsdruck Stand halten zu können. Die damit verbundene Risikosteigerung war ihm wohl so nicht in letzter Konsequenz bewusst (Bette, 2011: 154). Klümper bediente die Leistungsspirale und nahm Unglücksfälle wie den Tod seiner Patientin Birgit Dressels 1987 billigend hin, er unterwarf sich dem »illegitimen Erwartungssog« (Bette, 2011: 158), zumal er Doping im Bereich der Weltspitze als notwendig und unverzichtbar ansah. Seinen Ansatz erklärte er ganz offen in einem Artikel in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (1977): »Auch bei einem Anabolikaverbot fühle ich mich weiter verpflichtet, den Sportlern zu helfen und anabole Steroide zu verabreichen, wenn es der Athlet unbedingt will. […] Da wir in einer Demokratie leben, werde ich es einem mündigen Athleten nach wie vor überlassen, ob er Anabolika nehmen möchte oder nicht.« (FAZ, 20.5.1977) Diese Äußerungen wurden von den damaligen Sportmedizinern zwar wahrgenommen, aber die meisten kritisieren ihn, wenn überhaupt, nur privat. Klümpers früherer Betreuer, der Freiburger Kardiologe und Sportmediziner

KAPITEL 3: Armin Klümper

Prof. Dr. Herbert Reindell reagierte auf die zitierte Äußerung Klümpers mit einem Schreiben an den Direktor des Bundesinstituts für Sportwissenschaft und DLV-Präsident Prof. Dr. August Kirsch: »[…] aus der ebenfalls hervorgeht, daß Herr Klümper nach wie vor weiter ANABOLIKA verordnen will. Hast Du in dieser Angelegenheit auch etwas unternommen? Meiner Meinung nach können wir die Dinge so nicht laufen lassen, sonst machen wir uns ja lächerlich.« (Reindell, 1977) Aus dem Schreiben Reindells geht allerdings nicht hervor, ob er Klümper wirklich bremsen oder ihn nur zum Stillschweigen verpflichten wollte. Da Klümper seinen Ansatz mit aller Konsequenz vertrat und Erfolge zu garantieren schien, galt er über mehr als zwei Jahrzehnte als das Gesicht der Freiburger Sportmedizin. Wie der holländische Manager Jos Hermens in einem FAZ-Interview (FAZ, 2008) unterstrich, wurde Klümper zur Antwort des westdeutschen Sports auf das Staatsdoping der DDR. Mit dem zunehmenden Druck durch eine zumindest offiziell verschärfte Dopingbekämpfung und wachsende Nachweismöglichkeiten von Dopingsubstanzen wurde Tricksen und Täuschen zu Klümpers Überlebensstrategie. Im Jahr 1997 verneinte er die Frage, ob er jemals Sportler gedopt habe. Er wollte nur einst den Hammerwurfweltrekordler Walter Schmidt beim Dopen beraten haben: »Schmidt schluckte raue Mengen von Anabolika. Um ihn vor größerem Schaden zu bewahren, habe ich ihm einen Dosierungsplan aufgestellt.« (Stern, 11.12.1997) Was Klümper nicht zugab, war, dass er Medikamente und auch Rezepte an andere Ärzte, aber auch an Athleten verschickte, so auch z.B. an den BDR und den VfB Stuttgart. Die Medikamente für den BDR gingen z.B. an Prof. Dr. Dirk Clasing (Münster), der vor allem für die Betreuung junger Athleten – auch Minderjähriger – zuständig und der ebenfalls der Meinung war, Anabolika seien nicht schädlich (WDR, 2015). Da Klümper die Gabe und den Konsum von Anabolika für unschädlich hielt, sofern seine Dosierungsempfehlungen und eine medizinische Überwachung eingehalten wurden, war aus seiner Sicht eine Aufklärung über mögliche Nebenwirkungen wohl nicht notwendig. Irritierend vor diesem Hintergrund der Behauptung der fehlenden Nebenwirkungen ist allerdings, dass zu seinen Empfehlungen stets auch der Konsum von Leberschutzpräparaten dazu gehörte. Wollte er trotz der Behauptung der fehlenden Schädlichkeit auf Nummer sichergehen?

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4.

Zwischen wissenschaftlichem Anspruch und »kreativem« Handeln

Klümper sah sich selbst als Wissenschaftler mit ausgeprägtem wissenschaftlichen Anspruch. Diesen formulierte er sehr deutlich in einem Schreiben an Treutlein: »Sie wissen, dass ich nun inzwischen seit fast eineinhalb Jahrzehnten ständig wissenschaftlich arbeite […] Diese ständige wissenschaftliche Tätigkeit und eine […] außerordentlich disziplinierte Erziehung in der Schweiz hat mich gelehrt, an alle wissenschaftlichen Dinge strengste Kriterien sowohl hinsichtlich der Analyse als auch der Synthese zu stellen.« (Klümper, 1973) Hätte Klümper diese Position strikt umgesetzt, dann hätte er sich kaum an Neues am Rande und außerhalb der Schulmedizin wagen können. Er hatte den Mut, in Ergänzung zur Schulmedizin Neues zu versuchen. So integrierte er krankengymnastische Behandlungen in seine Therapie und scheute auch nicht vor Mitteln und Methoden der Naturheilkunde zurück, was ihm besonders viele Feinde schuf. Er schlug eine Bresche für den Einsatz mancher homöopathischen Mittel, die eine ganze Reihe renommierter Ärzte heute verwenden, ohne dafür angegriffen zu werden. Als Wissenschaftler war Klümper in Kollegenkreisen nicht anerkannt. Die Stuttgarter Zeitung (02.10.1984, »Harte Vorwürfe gegen bekannten Sportarzt«) berichtete, Klümper habe Auflagen seiner Fakultät, seine Therapien mit wissenschaftlich anerkannten Methoden zu validieren, auch nach zwei Jahren nicht erfüllt. Der fehlende Nachweis von Wissenschaftlichkeit hinderte das Bundesinstitut für Sportwissenschaft nicht daran, Klümper-Anträge immer wieder positiv zu bescheiden. Einen besonderen Förderer hatte Klümper im BISp-Direktor Prof. Dr. August Kirsch, der sich im Zweifelsfall auch über das Votum seines Fachbeirats Medizin hinwegsetzte (BISp, 1979). Nach einer Antragsablehnung wandte sich Klümper direkt an den Sachbearbeiter, den ehemaligen Spitzenschwimmer Dr. Lutz Stoklasa: »Für uns im Rahmen der Sporttraumatologie stellt sich natürlich jetzt eine grundsätzliche Frage, ob und in wieweit überhaupt noch in den kommenden Jahren und zukünftig wissenschaftliche Arbeit betrieben werden kann oder soll. Dabei handelt es sich nicht um Forschungsarbeit in extremen Randgebieten, sondern um die Erstellung nicht existierenden Grundlagenwissens im Rahmen der Sporttraumatologie schlechthin.« (Klümper, 1980)

KAPITEL 3: Armin Klümper

Nicht alles, was Klümper unter »Therapie« einordnete, ist bekannt geworden. Was an die Öffentlichkeit gelangte, war auf jeden Fall nur die Spitze eines Eisbergs. Im Folgenden soll ein Bild von Klümpers Ansichten und Handeln vermittelt werden.

4.1.

Beurteilung der Gefährlichkeit der Anabolika

Nicht nur Klümper, sondern auch die meisten anderen führenden Sportmediziner waren bis Ende der 1970er Jahre erstaunlich vorsichtig, wenn nicht ambivalent, in der Beantwortung der Frage, wie riskant die Gabe von Anabolika wirklich war. Eine Zusammenstellung diesbezüglicher Forschungsergebnisse wurde z.B. 1977 in der FAZ veröffentlicht. Auch die Deutsche Gesellschaft für Endokrinologie hatte sich 1977 sehr deutlich zur Gefährlichkeit von Anabolika geäußert, vor allem zu Nebenwirkungen wie Störungen der Leberfunktion, Bluthochdruck und psychischen Veränderungen: »Ihre Anwendung zur Leistungssteigerung im Sport ist medizinisch nicht vertretbar.« (Stuttgarter Nachrichten, 20.06.1977) Diese Einschätzung der Gefährlichkeit wurde im Lauf der Jahre immer wieder bestätigt (vgl. Kistler, 2006) – all dies interessierte Klümper wenig; bis über 1990 hinaus fuhr er damit fort, Anabolika zu verschreiben. Immerhin ließ er im eigenen Labor Leberwerte analysieren; ein Zeitzeuge bestätigte, dass Klümper auf die Gefährdung der Leber hinwies (Singler/Treutlein 2015a, 328).

4.2.

Verabreichung von Anabolika und anderen Dopingmitteln an Athleten

Seit Berendonks Buch beweisen mehrere Dokumente und Skandale, dass Klümper Anabolika auch nach ihrem Verbot 1977 an verschiedene Athleten verabreichte. Nur wenige Athleten haben dies offen zugegeben. Einer der ersten war der Diskuswerfer Alwin Wagner. In der BILD Zeitung wurde er im November 1981 zitiert: »Wir müssen immer mehr Pillen schlucken, um die Norm für die internationalen Meisterschaften zu erfüllen.« Für seine eigenen »Pillen« erhielt Wagner über viele Jahre hinweg Rezepte vom Klinikum der Universität Freiburg. Sie trugen die Unterschriften Armin Klümpers und in einem Fall auch die von Walter Hubmann, einem langjährigen Assistenten Klümpers. Berendonk dokumentiert in ihrem Buch Rezepte aus den Jahren 1978 bis 1987. Danach bekam Wagner unter anderem folgende Anabolikapräparate (Wirkstoffe) verschrieben: Megagrisevit (Clostebol), Fortabol

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(Methenolon und Vitamine), Dianabol (Metandienon), Stromba (Stanozolol) und Testoviron (Testosteron) (Berendonk, 1992: 421). Andere Fälle sind durch positive Ergebnisse bei Antidoping-Kontrollen bekannt geworden. Einer von ihnen ist der des damaligen Weltmeisters im Radsport Gerhard Strittmatter, der wegen einem von Klümper erhaltenen Anabolika-Präparat bei einer Testkontrolle positiv getestet wurde und dadurch nicht mehr an den Olympischen Spielen 1984 in Los Angeles teilnehmen konnte (Singler/Treutlein, 2015a: 330-345). Immerhin kam es ab und zu vor, dass Klümper Athleten etwas bremste. Im Deutschlandfunk (Sendung »Alte Kameraden«, 22.02.2009) sagte ein Olympiasieger von 1984, der anonym bleiben wollte: »Natürlich haben sie es alle gewusst, die Trainer und die Funktionäre. Bei der sportärztlichen Untersuchung wurde doch geschaut, ob die Leberwerte in Ordnung waren. Manchmal wurde ich vom Doc (Klümper) aufgefordert, etwas Gas raus zu nehmen.«

4.3.

Medikation ohne Indikation

Ein gutes Beispiel dafür, wie großzügig Klümper mit seinen TherapieMöglichkeiten umging, sind die bei der Münchner Mathias-Apotheke am 20. Dezember 1976 vorgelegten sieben Rezepte für drei Athleten (über 1.153,35 DM), sechs davon von Armin Klümper unterzeichnet. Jeweils drei der Rezepte waren völlig identisch. Es erscheint außerordentlich unwahrscheinlich, dass diese drei bundesdeutschen Spitzensportler, am gleichen Tag einer identischen Medikation bedurften. In Klümpers Praxis lagen zudem unterschriebene Blanko-Rezepte aus, so dass Athleten jeweils einfach selbst die »benötigten« Medikamente eintragen und den Rezeptkopf ausfüllen konnten. Dies ist durch verschiedene Beispiele von Blanko-Rezepten belegt (Berendonk, 1992: 262f.; Singler/Treutlein, 2015a: 275). Ein unter Ärzten nicht nur heute völlig unübliches Vorgehen. Nach der Reichsversicherungsordnung hat ein Versicherter Anspruch auf Kassenleistungen, wenn es darum geht, Krankheiten zu heilen oder zu lindern. Das Ausstellen von Rezepten, die nicht der Heilung von Krankheiten dienen sollen, ist auch strafrechtlich von Belang, weil damit der Tatbestand des Betrugs erfüllt wird. Brigitte Berendonk (1977) hatte in der Süddeutschen Zeitung »Der Sport geht über den Rubikon« 1977 geschrieben, dass solche Vorgänge Ärztekammern und Staatsanwälte interessieren müssten, was aber nicht der Fall war.

KAPITEL 3: Armin Klümper

4.4.

Aufklärung von Patienten

Klümper wies des Öfteren auf die Wichtigkeit der Aufklärung von Patienten hin, damit diese als mündige Athleten selbständig entscheiden können. Diesem Anspruch wurde er in mehreren Fällen selbst nicht gerecht. Im Fall von Diskuswerfer Alwin Wagner lieferte Klümper selbst den Beweis mit einem Schreiben an den Bundestrainer Karlheinz Steinmetz vom 31. Januar 1981: »Einen Durchschlag dieses Briefes erhält Alwin Wagner nicht […] Bei der Unzuverlässigkeit von Alwin möchte ich ganz dringend davor warnen, zu intramuskulären Injektionen zu raten.« (Klümper, 1981) Laut den Stuttgarter Nachrichten versicherte auch der Radfahrer Strittmatter, dass Klümper ihn in keiner Weise über die mögliche lange Dauer des Abbaus von Decadurabolin unterrichtet habe (Stuttgarter Nachrichten, 01.08.1984). Dabei ist bemerkenswert, dass nicht die Anabolikaverwendung an sich das Problem war, sondern die Information, dass die gewählte Dosierung, nicht rechtzeitig vor den Olympischen Spielen 1984 abgebaut werden könne. Im Jahr 1997 machte die Hürdenläuferin Birgit Hamann-Wolf öffentlich, dass sie zwischen 1994 und 1996 ohne ihr Wissen fünfmal das Wachstumshormon Genotropin und das Cortisonpräparat Delphimix von Klümper intramuskulär erhalten habe (Singler/Treutlein, 2015a: 353). Als Hamann-Wolf 1997 Anzeige erstattete, ermittelte die Staatsanwaltschaft Freiburg wegen vorsätzlicher Körperverletzung gegen Klümper. Dieser behauptete, er habe ihr eine Kochsalzinjektion gegeben. Die Klümper-Akten enthalten den Beweis, dass es laut der Patientenkartei Genotropin war, welches bei Dopingkontrollen damals nicht nachweisbar war. Die Staatsanwaltschaft stellte das Verfahren schließlich ein, obwohl sie beweisen konnte, dass Klümper mit Mitteln des Bundesinnenministeriums Genotropin beschafft hatte. Kritisieren muss man allerdings auch, dass kaum einer der Patienten danach fragte, was Klümper an »Cocktails« injizierte. So ließ sich der Schalker Fußball-Profi Wolfgang Patzke in 20 Tagen siebzigmal die Nadel in den Rücken stechen, obwohl ihm, wie er hinterher bekannte, vor jeder Spritze zum Kotzen übel war (Spiegel 1987b, 245). Aus der Sicht vieler Athleten war Klümper ein Guru, Wunderheiler, Wunderdoktor, »er ist einer von uns« (Hammerwurf-Weltrekordler Karl-Heinz Riehm; vgl. Spiegel, 1987a).

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Doping für Deutschland

4.5.

Polypragmasie – Behandlung mit zahlreichen Arznei- und Heilmitteln

Polypragmasie war bei den (Sport-)Medizinern in den 1980er Jahren nicht ungewöhnlich (Süddeutsche Zeitung, 24.05.1988). Allerdings erstaunt nicht nur aus heutiger Sicht sowohl Zahl als auch Indikationsstellung der verordneten Medikamente. Beispiele für Klümpers Polypragmasie gibt es in großer Zahl. In welchem Ausmaß Klümper Medikamente verschrieb, ist in einem Mitgliederrundschreiben des Berufsverbands Deutscher Internisten festgehalten: »Lokal wurden in die Muskeln injiziert: Neurotopanthy, Myomelcain, lokal Cebion forte i.v., außerdem Echinacin und Esberitox. Zusätzlich Megagrisevit, Delphimix, Infiltration wegen Hartspann von Myomelcain, Impletol, Traumeel, Zettaviran, Neurotopan-Hy. Dem weiterbehandelnden Arzt wurde vorgeschlagen: 3x 1 Genotropa masc, 3x 1 Anabologes, 3 x 20 Tropfen Cefarheumin. 3x 1 Karigeba, 3x 1 Benfophen, 2x wöchentlich Sitzbäder. Wegen des Hüftgelenks Injektionen mit Knorpelsubstanzen, 1- bis zweimal wöchentlich ein Gemisch aus je einer Ampulle Implacen, Cartilago wala, Disci lumbales comp, Dona 200 S, Arumalon + Zahnsanierung.« (Mitgliederrundschreiben des Berufsverbands dt. Internisten, Nachlass Kirsch, o.J.) Ein weiterer Beweis für Klümpers Polypragmasie liefert zweifellos der Tod der Siebenkämpferin Birgit Dressel, die bei Klümper in Behandlung war. Sie starb am 10. April 1987 an einem toxisch-allergischen Schock. Ausgangspunkt der zum Tode führenden Entwicklung war ein sogenannter Muskelhartspann. Gemäß DDR-Forscher Dr. Harmut Riedel eine typische Nebenwirkung des Anabolikadopings (Berendonk, 1992: 207). Dressel hatte in den letzten Monaten ihres Lebens über 100 Medikamente verwendet und rund 400 Injektionen erhalten. Dies gab sie und ihr Freund und Trainer Thomas Kohlbacher bei der Einlieferung ins Krankenhaus nicht an. Bei der Einlieferung war Dressel trotz großer Schmerzen noch bei Bewusstsein. Damit konnten die Ärzte bei der Behandlung nur Fehler machen. Sie setzten gegen die wahnsinnigen Schmerzen Metamizol (starkes Nichtopioid-Schmerzmittel) in hoher Dosierung ein, was in Verbindung mit der Vielzahl zuvor erhaltener Medikamente, so z.B. Stromba (Stanozolol) und Megagrisevit (Clostebol, androgenes Steroid), zum tödlichen anaphylaktischen Schock geführt haben dürfte (Berendonk, 1992: 255ff.)

KAPITEL 3: Armin Klümper

Dass Klümper über viele Jahre hinweg sehr »großzügig« mit der Verordnung von Medikamenten an seine Patienten umging, zeigt ein weiteres Beispiel für seine Polypragmasie in Form eines Hektographiertes Rundschreibens an die Bahnradfahrer, undatiert (wahrscheinlich 1975). Dieses Zeitdokument wurde dem Autor von einem ehemaligen Marathonläufer überlassen. Klümper wurde mit solchen Verordnungen zum Vorbild für andere Mediziner. So dürften sich die Verordnungen des BDR-Radarztes Prof. Dr. Georg Huber an den Klümperschen Verordnungen und Erfahrungen orientiert haben (vgl. Lechner 2011, 199ff.). Auch der dem Arzt wohlgesonnene ehemalige Kugelstoßer und Journalist Gerhard Steines konstatiert, dass Klümper Anabolika verschrieb und ein Anhänger der Multi-Medikamentierung war (12 und mehr Produkte pro Tag; Internetauftritt Gerd Steines). Die schriftlichen Anweisungen Klümpers für Bahnradfahrer empfahlen für die Aufbauphase, Vorbereitungsphase und eigentliche Wettkampfperiode neben anderen Medikamenten: »Für die Aufbauzeit (Januar – März) die tägliche Einnahme von einem Dragee Megagrisevit. Im Grundplan wurden neben anderen Medikamenten und Nahrungsergänzungsmitteln folgende Anabolika aufgeführt: 1. – 14.2. täglich 1 Fortabol (Anabolikum – Vitamin Kombination) ca. 1. und 14.2. je 1 Ampulle Decadurabolin 50 mg. i.m. (Anabolikum) ca. 28.2. und ca. 15.3. je 1 Amp. Primobolan Depot 100mg (synthetisches Androgen) am 12.4., 20.4., 26.4., 3.5., 10.5. je 1 Amp. Megagrisevit Im Rennplan hieß es dann: Vor dem Rennen: »Mindestens 4, besser 6 Tage vorher 1 Amp. Megagrisevit i.m.« (Klümper, 1975; vgl. Hecker/Meutgens, 2009) Immerhin verordnete er für den 28. Mai, 11. Juni, 18. Juni, 2. Juli und 9. Juli sowie für zwei Tage vor einem Rennen Hepagrisevit (unspezifisches Lebertherapeutikum u.a. mit Vitamin B12 , B3 und Folsäure). Für die Vielzahl an empfohlenen Medikamenten, Vitaminen und Nahrungsergänzungsmitteln führte Klümper schon damals als Argument für deren Notwendigkeit den Hinweis auf »Umweltveränderung, Umweltverschmutzung, Verarmung der regionalen Böden« auf, Argumente, die heutzutage bei der Empfehlung von Nahrungsergänzungsmitteln häufig zu hören sind. Zu Megagrisevit schrieb Klümper:

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»Megagrisevit ist ein Anabolicum – es bleibt Ihnen selbstverständlich selbst überlassen, dieses Anabolicum einzunehmen oder nicht – in der von uns vorgeschlagenen Form und angegebenen Dosierung kommt es auf keinen Fall zu irgendwelchen Nebenwirkungen; gewünscht ist hier lediglich eine milde Unterstützung zum Anbau von Muskelsubstanz.« (Klümper, 1975; vgl. Singler/Treutlein, 2015a: 255-261) Aber das Anabolikum, ursprünglich in der Krebstherapie eingesetzt, ist keinesfalls so harmlos, wie Klümper zu vermitteln suchte. Die Risiken sind vielfältig und gravierend. Der Mainzer Sportmediziner Prof. Dr. Dr. Simon meint dazu: »Megagrisevit kann die Schnellkraft erhöhen, die Regenerationsfähigkeit verbessern und bei einer regelmäßig wiederkehrenden Belastung die Leistung steigern. Es können aber Leberschäden auftreten, auch andere Organe können in schwere Mitleidenschaft gezogen werden. Hormonsensible Tumorarten können in Entstehung und Wachstum gefördert werden. Um es klar zu sagen: Das Tumor-Risiko wird erhöht.« (Aumüller et al., 2015) Obwohl Klümper zu seiner Polypragmasie keine Forschungsergebnisse veröffentlichte, behauptete er, in seiner Therapie mit Sorgfalt und Wissenschaftlichkeit vorzugehen: »Er sitze ja nicht in der Küche und ›misch was zusammen und schau‹, was dabei rauskommt. Wir nehmen den Beipackzetteln ihre Aussagen nicht ab, sondern testen jedes Medikament durch, prüfen seine Verträglichkeit einzeln und in Kombination.« (Süddeutsche Zeitung, 19.7.1988) Den vorgenannten Anspruch konnten jedoch weder Klümper noch sein Institut wirklich leisten. Auch die Empfehlung Klümpers für den Kugelstoßer Gerhard Steines war äußerst umfangreich. Es handelt sich dabei mit Ausnahme von Arlef 200 allesamt um »Therapeutika« mit unspezifischem Wirkungsspektrum oder ohne Evidenz für therapeutische Wirksamkeit. »Ich möchte Sie bitten, folgenden Plan einzuhalten: Morgens und abends 1 Dragee DH 112-Holzinger (Procain, als Geriatricum eingesetzt), täglich 3x1 Kapsel Spondylonal (Vitamin E Kombination), täglich 2x1 Kapsel Xobaline (Folsäure und Vitamin B12 ), täglich 3x1 Dragee Dona 200 S retard (Glucosaminsulfat, Arthrosemittel) und täglich 3x 15 Tropfen Lymphdiaral (homöopathisches Mittel gegen Atemwegserkrankung); bei Beschwerden

KAPITEL 3: Armin Klümper

bis zu 3x 1 Tablette Arlef 200 (Flufenaminsäure, nichtsteroidales Antirheumatikum) zu den Mahlzeiten. Als begleitende Maßnahmen sollten jetzt durchgeführt werden: Täglich 3x 1 Kapsel Inzelloval (Eisen, Zink, Mangan und Kupfer Präparat), täglich 2x1 Trinkampulle Frubiase calc (Calciumpräparat), 1 Stunde vor dem Training 1 Dragee Inosin comp (Purin-Base Hypoxanthin und D-Ribose, Immuntherapeutikum) morgens 2 Dragees Phoselit (Natrium-α-hydroxybenzylphosphinat, Roborans), täglich 2x einen halben Meßbecher Ferlix triplex (unauffindbares Therapeutikum), täglich 3x Dragees B 15 Kattwiga (Homöopathikum) und nach dem Frühstück und nach dem Mittagessen 1 Dragee Inosin cardiacum. Mit herzlichen Grüßen und allen guten Wünschen, Ihr Prof. Dr. med. A. Klümper.« (Kluemper n.d.) Auch ein Artikel im Spiegel (1990) aus dem Jahr 1990 zeigt, wie die großzügige Rezeptur von Vitaminen, Spurenelementen, Homöopathika and Nahrungsmittelergänzungsstoffen durch Klümper auch zum Bezug von Anabolika genutzt werden konnte und wurde: »Die Beschaffung der benötigten Mengen war kein Problem. Stromba gab es bei einem Apotheker in einem Hammer Vorort. Dafür lieferten die Mädchen die umfangreichen Rezepte ab, die ihnen der Freiburger Sportarzt Professor Klümper ausgestellt hatte. Die Mengen an Vitaminen und Medikamenten waren so groß, daß die Athletinnen leicht auf ein paar Schachteln verzichteten. Im Gegenwert schob der Apotheker das benötigte, aber nicht verschriebene Stromba über den Tisch.« (Der Spiegel, 1990: 224; hierzu auch Singler/ Treutlein, 2012: 257-263) Ein anderes Mal teilte der Verband der Angestellten-Krankenkassen (vdak) Freiburg der Staatsanwaltschaft Freiburg mit: »Die Verordnungen wurden recht schematisch vorgenommen. Von 3.600 verordneten Ampullen (unsere Erhebung umfasste 3 Ordner) entfallen 972 allein auf Neychondrin N (Arthrosemittel), 610 auf Actovegin (eiweissfreies Kälberblutextarkt), 570 auf Causat B 12 (Vitaminpräparat), 425 auf Dona S und 400 auf Arteparon (Arthrosemittel, 1993 aus dem Verkehr gezogen). Diese ›Standardmedikation‹ wurde (soweit wir dies an den wenigen beigefügten Kranken- und Überweisungsscheinen ersehen konnten) bei fast jeder Indikation vorgenommen.« (vdak, 1984)

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Doping für Deutschland

Es ist unklar was Klümper zu dieser Verordnungsvielfalt trieb, wissenschaftlich abgesichert war seine Verordnungspraktik mit Sicherheit nicht. Außer den Anabolika hatten die vielen verschriebenen »Medikamente« zwar nichts mit Doping zu tun. Die folgende Bemerkung Klümpers seine therapeutische Praxis betreffend war trotzdem wohl kaum angemessen, zeigt aber sein schizoid-ambivalentes Verhalten. In einem Brief an den DSB-Präsidenten Willi Weyer vom 9. Oktober 1984 schrieb er: »Mit welchem Engagement und Vehemenz ich im Radsport speziell das Anti-Doping vertreten habe, ist bekannt.« (Klümper, 1984)

5.

Kritik von Kollegen und Klümpers Reaktionen

Ganz anders als Klümper selbst ordneten einige sachkundige Beobachter schon damals sein Wirken ein. Der Kanzler der Universität, FriedrichWilhelm Siburg bezeichnete Klümper als »Köhnlechner des Klinikums«, der Geschäftsführer der Bezirksärztekammer Freiburg, Klaus Zimmermann, als »Guru, ein Scharlatan«, sein Ziehvater Reindell als »Hackethal der Sportmedizin«, die Gutachter im Fall Birgit Dressel als »Stümper« (Halter, 1984). Ab den 1980er Jahren distanzierte sich eine wachsende Anzahl von Klümpers Sportmedizinerkollegen von ihm und seine Äußerungen sowie Handlungen wurden negativ beurteilt. 1984 hatten Klümper immerhin noch 24 von 6000 Sportärzten der Bundesrepublik Deutschland Kompetenz zugestanden (Halter, 1984). Klümper hatte so viele Kontakte zu Ministern und anderen hochgestellten Personen, dass er sich selbst überschätzte und sich anscheinend außerhalb von Regeln und Gesetzen sah. Seine Kritiker und Gegner schmetterte Klümper ab. Er sah sich in allen Bereichen anderen überlegen. Wie sehr er sich zunehmend selbst überschätzte, lassen oft auftauchende Bemerkungen erkennen, was er als Erster in Deutschland oder sogar als Erster in der Welt geleistet habe. In seinem Größenwahn meinte er sogar: »Ich bin der einzige Arzt in Europa, der Multiple Sklerose heilen kann.« (Der Spiegel 1993: 198) Klümper fühlte sich verkannt. In Klümpers Augen waren Kritiker, wie vorgenannt, schließlich nur »unwissende Fanatiker, pharisäerhafte Funktionäre und bürokratische Regulatoren«. Im Vertrauen auf die Vielzahl von Unterstützern verurteilte er seine Kritiker hart:

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Es ist unklar was Klümper zu dieser Verordnungsvielfalt trieb, wissenschaftlich abgesichert war seine Verordnungspraktik mit Sicherheit nicht. Außer den Anabolika hatten die vielen verschriebenen »Medikamente« zwar nichts mit Doping zu tun. Die folgende Bemerkung Klümpers seine therapeutische Praxis betreffend war trotzdem wohl kaum angemessen, zeigt aber sein schizoid-ambivalentes Verhalten. In einem Brief an den DSB-Präsidenten Willi Weyer vom 9. Oktober 1984 schrieb er: »Mit welchem Engagement und Vehemenz ich im Radsport speziell das Anti-Doping vertreten habe, ist bekannt.« (Klümper, 1984)

5.

Kritik von Kollegen und Klümpers Reaktionen

Ganz anders als Klümper selbst ordneten einige sachkundige Beobachter schon damals sein Wirken ein. Der Kanzler der Universität, FriedrichWilhelm Siburg bezeichnete Klümper als »Köhnlechner des Klinikums«, der Geschäftsführer der Bezirksärztekammer Freiburg, Klaus Zimmermann, als »Guru, ein Scharlatan«, sein Ziehvater Reindell als »Hackethal der Sportmedizin«, die Gutachter im Fall Birgit Dressel als »Stümper« (Halter, 1984). Ab den 1980er Jahren distanzierte sich eine wachsende Anzahl von Klümpers Sportmedizinerkollegen von ihm und seine Äußerungen sowie Handlungen wurden negativ beurteilt. 1984 hatten Klümper immerhin noch 24 von 6000 Sportärzten der Bundesrepublik Deutschland Kompetenz zugestanden (Halter, 1984). Klümper hatte so viele Kontakte zu Ministern und anderen hochgestellten Personen, dass er sich selbst überschätzte und sich anscheinend außerhalb von Regeln und Gesetzen sah. Seine Kritiker und Gegner schmetterte Klümper ab. Er sah sich in allen Bereichen anderen überlegen. Wie sehr er sich zunehmend selbst überschätzte, lassen oft auftauchende Bemerkungen erkennen, was er als Erster in Deutschland oder sogar als Erster in der Welt geleistet habe. In seinem Größenwahn meinte er sogar: »Ich bin der einzige Arzt in Europa, der Multiple Sklerose heilen kann.« (Der Spiegel 1993: 198) Klümper fühlte sich verkannt. In Klümpers Augen waren Kritiker, wie vorgenannt, schließlich nur »unwissende Fanatiker, pharisäerhafte Funktionäre und bürokratische Regulatoren«. Im Vertrauen auf die Vielzahl von Unterstützern verurteilte er seine Kritiker hart:

KAPITEL 3: Armin Klümper

»Den Moralisten jedoch, denen im Rahmen der Diskussion jedes Mittel recht war und recht ist, einschließlich der üblen Nachrede, Verleumdung, Unterstellung und unwahren Behauptungen, sei gesagt, daß jemand, der so verfährt, jede Glaubwürdigkeit in die Ernsthaftigkeit der Sache verliert, denn mit dem Umhängen des Mäntelchens der Moral ist es nicht getan; man muß sie besitzen und praktizieren.« (Stuttgarter Zeitung, 14.03.1991) Es bleibt die Frage: War Klümper Wissenschaftler, Wunderheiler und/oder Scharlatan? Er selbst hätte sich gerne als »Wissenschaftler« eingeordnet und hat von diesem Standpunkt aus auch Kollegen kritisiert. 1975 wurde Klümper im Auftrag des Direktors des Bundesinstituts für Sportwissenschaft und DLV-Präsidenten Prof. Dr. August Kirsch darum gebeten, das Manuskript »Leistungssport und Gesellschaftssystem« der Autoren Pfetsch, Beutel, Stork und Treutlein (1975) zu begutachten. Die Autoren hatten zu den Gründen von Leistungssteigerungen geschrieben, dass die Einnahme von anabolen Steroiden zu einem Wettbewerbsvorteil und zu Leistungssteigerungen führen würde. Sie sagten auch, dass in der DDR geheime Mittel angewendet würden, die außerhalb nicht bekannt seien (Singler/Treutlein, 2012: 360ff). Letzteres war offensichtlich falsch: Klümper, Keul und andere wussten seit den Dopinganalysen bei den Olympischen Spielen 1972, dass Anabolika verwendet wurden. Es gab keine geheimen Mittel! Klümper war bei den Olympischen Spielen 1972 in München mit der Leitung der Medizinischen Kontrollorganisation beauftragt. In seinem Gutachten zum Manuskript von Pfetsch et al. wies er darauf hin, es seien in München weitergehende Untersuchungen als vorgeschrieben durchgeführt worden: »Eigentlich waren wir zu diesen Untersuchungen im Auftrag des IOC gar nicht befugt.« (Singler/Treutlein, 2012: 376) Und er wusste damit auch, warum die DDR-Athleten sich höhere Trainingseinheiten erlauben konnten. Mit dem Konsum von anabolen Steroiden konnten Kraftentwicklung sowie Muskelzuwachs erleichtert und Regenerationsfähigkeit verbessert werden. Anabolika waren die Grundlage vieler DDRErfolge, was Klümper dann folgerichtig in Empfehlungen für Athleten umsetzte und außerdem die entsprechende Rezepte ausstellte. Verräterisch ist dann im gleichen Gutachten zu Pfetsch et al. folgende Bemerkung zum Bemühen der DDR, Klümper bei den Olympischen Spielen in München 1972 von der Leitung der Dopingkontrollen fernzuhalten: »Man weiß in der DDR ganz genau, daß meine Erfahrungen und meine Erkenntnisse, gerade was die medikamentöse Unterstützung des Athleten anbetrifft, nicht nur den Möglichkeiten der DDR gleichwertig sind, sondern eindeutig überlegen.« (Singler/

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Doping für Deutschland

Treutlein, 2012: 377) Geradezu widersinnig erscheint in diesem Zusammenhang eine weitere Aussage Klümpers in diesem Gutachten: »Ihre nachfolgenden Ausführungen über Leistungssteigerungen unter der Annahme, daß sie durch Anabolika verursacht sind, sind völlig unhaltbar.« (Singler/Treutlein, 2012: 378) Bei einer anderen Gelegenheit kritisierte er scharf die Äußerung des Mainzer Sportmediziners Steinbach, Sportler bräuchten höhere Dosierungen als vom Hersteller angegeben: »Herr Steinbach muß erst einmal den Beweis antreten, daß ein Sportler tatsächlich höhere Dosen braucht als vom Hersteller angegeben, und außerdem muß er nachweisen, daß ein Anabolikum wie z.B. Dianabol schädlich sei […] Nennen Sie mir doch bitte eine einzige wissenschaftliche Arbeit, in der nachgewiesen worden ist, daß Anabolika in pharmakologischer oder physiologischer Dosis genommen, zu Schädigungen geführt haben.« (Singler/Treutlein, 2012: 380) Diese Äußerungen Klümpers können nur im Sinne einer Täuschung der Öffentlichkeit eingeordnet werden – zum einen, weil sie durch zahlreiche Publikationen, die bereits in Gerichtsverfahren Erwähnung fanden (Mahler, 2000), in vielfacher Hinsicht widerlegt waren, zum anderen weil er aus eigener Anwendung heraus wusste, dass über die »pharmakologische Dosis« hinaus Anwendungen stattfanden. Kopien von Rezepten von Klümper belegen nämlich, dass sich Klümper gerade eben nicht mit den von den Herstellern empfohlenen Dosierungen begnügte (Berendonk, 1992: 262 und 280). Beliebtes Angriffsziel Klümpers war sein Konkurrent Keul. Über Keuls Einsätze bei Olympischen Spielen urteilte Klümper: »Ich weiß nur, dass die Athleten dem leitenden Olympiaarzt 1984 und 1988 nicht vertraut haben und dies 1992 auch nicht tun werden.« (Stuttgarter Zeitung, 14.03.1991) Anderthalb Jahre später wurde diese Attacke des verhinderten Olympiaarztes Klümper gegen Olympiachefarzt Keul Gegenstand eines Rechtsstreits. Klümper attackierte 1991 aber nicht nur seinen Rivalen an der Universitätsklinik. Nebenbei griff er auch die die gesamte bundesdeutsche Funktionärselite an. Nach dem Beschluss im Jahr 1977, künftig ohne Doping mit Anabolika und anderen Medikamenten auskommen zu wollen, sei in Wahrheit »nichts« passiert: »Die Moralisten haben sich ein weißes Mäntelchen umgehängt.« (Stuttgarter Zeitung, 14.03.1991)

KAPITEL 3: Armin Klümper

6.

Betrug

Klümper hatte nicht nur generell einen laxen Umgang mit der Wahrheit. Mehrere Episoden und die zwei Prozesse gegen ihn zeigen, dass er wiederholt Betrug zum Nachteil der Universität, von Krankenkassen und anderen Interessengruppen beging. Schon vor dem Bau seiner sporttraumatologischen Spezialambulanz im Mooswald hatte Klümper mit Regressforderungen verschiedener Kassen zu tun (Universitätsarchiv Freiburg, B 20/1647). Die Betrugsvorwürfe betrafen folgende Punkte: »a) Verdachts des Betrugs zum Nachteil von RVO- und Ersatzkrankenkassen (§ 263 StGB), b) Verdachts des Betrugs zum Nachteil des Landes Baden-Württemberg (§ 263 StGB), c) Verdachts der Untreue bzw. Unterschlagung zum Nachteil der Universität Freiburg (§§ 266 bzw. 246 StGB), d) Verdachts der Steuerhinterziehung.« (Huber-Stentrup, 1986) Klümpers Betrugshandlungen erfolgten in verschiedenen Bereichen, wie folgende Beispiele zeigen: Klümper HGH-Rechnungen 1991: In einer Gegendarstellung zu einem Bericht der Badischen Zeitung zu den Wachstumshormonrechnungen von 1991 behauptete Klümper, die 50 Ampullen Genotropin seien zur Behandlung von Sport-Invaliden (nach dem Ende ihrer Laufbahn) eingesetzt worden (Badische Zeitung, 17.08.1991). Die Rechnungen (vom Verein Bundesleistungszentrum Freiburg-Herzogenhorn bezahlt) seien dem Deutschen Sportbund ohne Deklaration eingereicht worden (Badische Zeitung, 11.12.1997). Zum einen war die Bezahlung der Behandlung von Sportinvaliden nicht Aufgabe des DSB, zumal wenn – wie im Fall des Handballers Jo Deckarm – die Verletzung z.B. während eines Vereinsspiels passiert war. Zum anderen war und ist die Verwendung von Wachstumshormon bei Sportinvaliden medizinisch nicht indiziert. Illegale Privatliquidation: Prof. Dr. Max Schwaiger (Vorsitzender des Klinikumsvorstands und Direktor der Chirurgischen Klinik) berichtete 1988 als Zeuge, er habe sich persönlich bei Klümper gegen dessen illegale Privatliquidation an der Klinikverwaltung vorbei ausgesprochen. Er habe Klümper aufgefordert, sich auf seine radiologische Arbeit zu beschränken. Bei solchen Ver-

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suchen, Klümper zu bremsen, erhielt Klümper stets Unterstützung. Hierzu Schwaiger: »Am nächsten Tag riefen fünf bis sechs bekannte Persönlichkeiten an und fragten, warum ich Klümpers Arbeit behindern würde.« (Süddeutscher Zeitung, 19.12.1988) Entsprechendes ereignete sich bei der Auseinandersetzung zwischen Keul und Klümper 1991, wo sich u.a. der Reckweltmeister und spätere Bundestagsabgeordnete Eberhard Gienger, der Bronzemedaillengewinner Uwe Beyer und der Goldmedaillengewinner Rolf Milser für Klümper stark machten und Geld zu seiner Unterstützung sammelten (Focus, 15.12.1997, Heft 51). Da auch Minister der Stuttgarter Landesregierung zu Klümpers Patienten zählten, ebenso der DSB-Präsident Willy Daume, darf angenommen werden, dass auch von solchen Seiten Druck auf Universität und Fakultät ausgeübt wurde. Abrechnungen: Klümper nahm es mit Abrechnungen nicht so genau. Klümper selbst sagte: »Wenn die Kassen an diese Ordner rankommen, machen sie mich fertig.« Dazu der Kugelstoßer Gerhard Steines auf seinem Blog: »Der Doc macht, was er will und er will in jedem Fall seinen Patienten helfen.« (persönliche Mitteilung an Gerhard Treutlein) Mehrere juristische Auseinandersetzungen waren die Folge seines »großzügigen« Umgangs mit Regeln, wobei die Verschreibung von Dopingmitteln an Gesunde nie geahndet wurde. 1984 führte das Landeskriminalamt ein Ermittlungsverfahren gegen Klümper wegen des Verdachts des »Betrugs zum Nachteil von Krankenkassen durch Rezeptmanipulation« durch. Dieses hatte zur Folge, dass mehr als 1000 Sportler sich öffentlich für ihn stark machten und schützend vor ihn stellten. Nach einer Selbstanzeige Klümpers wegen nicht angegebener Nebeneinnahmen sammelten Spenden für den »Doc« u.a. der Reckweltmeister und spätere sportpolitische Sprecher der CDU im Bundestag, Eberhard Gienger, die Fußballprofis Karl-Heinz Rummenigge, Paul Breitner, Dieter und Uli Hoeneß. 250.000 DM kamen so zusammen. Trotz der Unterstützung von vielen prominenten Athleten warf die Staatsanwaltschaft Armin Klümper 1989 vor, »das Vermögen verschiedener Krankenkassen um nicht weniger als 3,4 Millionen DM gefährdet zu haben« (Landgericht Freiburg, 1989; vgl. Schöch, 2016: 25-28). Klümper wurde 1989 zu 157.500 DM Geldstrafe wegen Betrugs in zwei Fällen verurteilt. Klümper musste auch zugeben, dass er Einnahmen aus seiner privatärztlichen Nebentätigkeit nicht an die Universität abgeführt hatte (Der Spiegel 1993: 198). Diese Nebeneinnahmen in Höhe von 1,5 Millionen Mark hatte Klümper zuvor stets bestritten. In der Folge musste

KAPITEL 3: Armin Klümper

er fast 700.000 Mark an das Land Baden-Württemberg abführen (Mauz, 1989: 200). Im gleichen Jahr bekam er zudem Probleme mit dem Finanzamt Freiburg. 1997 wurde er erneut zu einer Geldstrafe über 162.000 DM wegen falscher Abrechnungen verurteilt. Immer wieder setzten sich prominente Athleten und Patienten für Klümper ein. Die erfolgreiche Lobbyarbeit machte Ermittlungen und Verfahren gegen Klümper schwierig. Die Akten der beiden Prozesse, die in den 1980er Jahren von der Staatsanwaltschaft Freiburg gegen Klümper geführten wurden und die 2014 dank des intensiven Nachsetzens der Kommissionsvorsitzenden Paoli wieder aufgetaucht sind, beweisen, dass es sich mindestens im Fall des bundesdeutschen Radfahrer Kaders um systematisches Doping handelte. Finanzmittel erhielt Klümper auch im Rahmen der Spitzensportförderung durch das Bundesministerium des Innern auf dem Weg über den DSB und den Verein Bundesleistungszentrum Freiburg-Herzogenhorn. Vermutlich sind auch Gelder direkt geflossen zur Finanzierung von Personalkosten. Dies geschah offenbar durgehend an den Bestimmungen der Universität zu Drittmitteln vorbei. Vom DSB kam Geld für obligatorische Sportleruntersuchungen. Der Kanzler der Universität, Dr. Friedrich-Wilhelm Siburg, behauptete, davon nichts gewusst zu haben (LKA, 1984b). Klümper war nicht nur selbstlos aktiv, er hatte auch erhebliche finanzielle Eigeninteressen. Er nahm große Summen über Barschecks für illegale Privatliquidationen ein (Der Spiegel, 1988: 157). Angeblich fühlte er sich zur illegalen Privatliquidation gezwungen, da er sein Behandlungssystem ansonsten nicht hätte aufrechterhalten können: »Zu einem späteren Zeitpunkt (nachmittags) äußerte Prof. Dr. K. mir gegenüber (unter 4 Augen), er habe in den Jahren vor 1982 privat liquidieren müssen, um den Betrieb aufrecht zu erhalten und damit die anfallenden Überstunden seiner Mitarbeiter begleichen zu können.« (LKA, 1984a) Dass Klümper damit gelogen hatte, zeigen seine Privatentnahmen vom Konto seines Zentrums, vor allem zugunsten seiner Ehefrau, zum Beispiel (Aufzeichnungen der LKA-Ermittlungsgruppe, Staatsarchiv Freiburg, F 176/25 Nr. 2, Ordner Bew A 1): »Mobiliar und Haushaltswaren 46.000 Schulgeld […] 34.000 Flug Südafrika 25.000

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Leasing Mercedes 15.000 Miete Tochter 15.000 Unterhalt […] 14.000 Telefon, Benzin, Versicherungen, Steuer Eurocard 24.000 Gewährung eines Darlehens »[…]« 10.000 Entnahme Einkommenssteuererstattung 1989 5000 DM.« Durch Selbstanzeigen konnte Klümper erreichen, dass sein Betrug nicht in vollem Umfang zur Verhandlung kam. Er wurde Anfang 1989 wegen Betruges in zwei Fällen zu einer Geldstrafe in Höhe von 157.500 DM verurteilt. Inwieweit Klümper durch Personen innerhalb der Universität (z.B. durch den kaufmännischen Direktor des Klinikums Dr. Thorsten Hünke von Podewils, zugleich Mitglied des Stiftungsbeirats der Nenad-Keul-Stiftung) und außerhalb (Angestellte bei der Finanzbehörde und der Staatsanwaltschaft, zum Teil Klümper-Patienten) geschützt wurde, ist nicht ausreichend belegbar (siehe dazu Schöch, 2016).

7.

Die Klümper-Akten

Warum wurde gegen einen Arzt, von dem seit langem bekannt war, dass er ein intensiver Doper war und damit nicht nur gegen die Regeln des Leistungssports verstieß, über lange Zeit nichts unternommen? Die spät, aber nicht zu spät zur Verfügung gestellten Klümperakten ermöglichen Blicke hinter die Kulissen. Sie zeigen Muster auf, wie das Streben nach Erfolgen um jeden Preis im Spitzensport funktioniert. Doping im Spitzensport war über lange Zeit ein Thema, bei dem es angebracht schien, nicht darüber zu reden. Ein Thema zu dem bis 1977 eine allgemein akzeptierte Positionierung der Verantwortlichen in Sport und Medizin fast völlig fehlte und in der Zeit danach Realitätsverleugnung vorherrschte. Die Klümperakten boten im begrenzten Umfange die Möglichkeit, die Methoden der Vertuschung und der Heuchelei aufzuzeigen. Angeblich waren bei der Staatsanwaltschaft Freiburg zu den Ermittlungen des LKA gegen Klümper (Sonderkommission Ärzte/Apotheker) zwischen 1984 und 1989 keine Akten mehr auffindbar. Im Jahr 2012 fragt Paoli zum ersten Mal nach dem Verbleib der Ermittlungs- und Prozessakten zu Klümper bei der Staatsanwaltschaft Freiburg nach, doch die 60 Ordner – darunter brisante Dokumente aus Hausdurchsuchungen – blieben bis Dezember 2014 ver-

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Leasing Mercedes 15.000 Miete Tochter 15.000 Unterhalt […] 14.000 Telefon, Benzin, Versicherungen, Steuer Eurocard 24.000 Gewährung eines Darlehens »[…]« 10.000 Entnahme Einkommenssteuererstattung 1989 5000 DM.« Durch Selbstanzeigen konnte Klümper erreichen, dass sein Betrug nicht in vollem Umfang zur Verhandlung kam. Er wurde Anfang 1989 wegen Betruges in zwei Fällen zu einer Geldstrafe in Höhe von 157.500 DM verurteilt. Inwieweit Klümper durch Personen innerhalb der Universität (z.B. durch den kaufmännischen Direktor des Klinikums Dr. Thorsten Hünke von Podewils, zugleich Mitglied des Stiftungsbeirats der Nenad-Keul-Stiftung) und außerhalb (Angestellte bei der Finanzbehörde und der Staatsanwaltschaft, zum Teil Klümper-Patienten) geschützt wurde, ist nicht ausreichend belegbar (siehe dazu Schöch, 2016).

7.

Die Klümper-Akten

Warum wurde gegen einen Arzt, von dem seit langem bekannt war, dass er ein intensiver Doper war und damit nicht nur gegen die Regeln des Leistungssports verstieß, über lange Zeit nichts unternommen? Die spät, aber nicht zu spät zur Verfügung gestellten Klümperakten ermöglichen Blicke hinter die Kulissen. Sie zeigen Muster auf, wie das Streben nach Erfolgen um jeden Preis im Spitzensport funktioniert. Doping im Spitzensport war über lange Zeit ein Thema, bei dem es angebracht schien, nicht darüber zu reden. Ein Thema zu dem bis 1977 eine allgemein akzeptierte Positionierung der Verantwortlichen in Sport und Medizin fast völlig fehlte und in der Zeit danach Realitätsverleugnung vorherrschte. Die Klümperakten boten im begrenzten Umfange die Möglichkeit, die Methoden der Vertuschung und der Heuchelei aufzuzeigen. Angeblich waren bei der Staatsanwaltschaft Freiburg zu den Ermittlungen des LKA gegen Klümper (Sonderkommission Ärzte/Apotheker) zwischen 1984 und 1989 keine Akten mehr auffindbar. Im Jahr 2012 fragt Paoli zum ersten Mal nach dem Verbleib der Ermittlungs- und Prozessakten zu Klümper bei der Staatsanwaltschaft Freiburg nach, doch die 60 Ordner – darunter brisante Dokumente aus Hausdurchsuchungen – blieben bis Dezember 2014 ver-

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schollen. Nach einem Wechsel an der Behördenspitze wurden sie in einem Außenlager (Nebengebäude der Staatsanwaltschaft Freiburg) entdeckt. Die Inhalte der Akten waren vor allem deshalb von Interesse für die Kommission, weil in ihnen Informationen zum systematischen Doping Klümpers zu finden sind. Über sie ist beweisbar, dass es Klümper im Verlauf von mehreren Jahrzehnten gelang, ein vom BDR finanziertes Netzwerk für diesen aufzubauen und fast alle Radsport-Kader mit Dopingsubstanzen zu versorgen (Badische Zeitung 02.03.2016). Zwar gab es in den Akten auch Hinweise auf Anabolika-Doping vor allem des VfB Stuttgart mit seinem Präsidenten, dem Minister Mayer-Vorfelder, und im minimalen Umfang auch des SC Freiburg. Eine von Singler vorgenommene Überinterpretation des Dopings im Fußball wird von der Aktenlage nicht gestützt, war aber als Thema für die Medien überaus interessant. Zu Klümpers Patienten gehörten auch mehrere prominente Fußballer wie die Gebrüder Dieter und Uli Höness oder Karl-Heinz Förster. Die Akten belegen aber nicht, dass sie gedopt wurden. Doping ist der Versuch, sich in Wettkämpfen mit legalen und/oder illegalen Mitteln einen Vorteil zu verschaffen und/oder in der Vorbereitung von Wettkämpfen belastbarer zu sein. Doping ist im Prinzip alles, was jenseits der natürlichen Anpassungsfähigkeit des Menschen liegt (Loland und Hoppeler 2011). Doping ist eine Begleiterscheinung von Wettkämpfen, hat aber auch in leistungsorientierten Gesellschaften eine Bedeutung. In einer engen Auslegung des Dopingbegriffs ist Doping alles, was auf den Verbotslisten der WADA steht oder sich in entsprechenden Gesetzen findet. Doping im engeren Sinne gilt deswegen für den gesamten, das IOC anerkennenden, organisierten Sport. In einer weiten Auslegung des Begriffs gehören dazu auch legale Mittel wie Nahrungsergänzungs- und Schmerzmittel, von denen sich Sportler (oder auch der Bürger allgemein) eine Steigerung des Leistungsvermögens und/oder eine bessere Bewältigung von Belastungssituationen erhofft. Klümper war sowohl im Bereich des illegalen als auch des legalen Dopings aktiv. Konnte er sich in seiner Anfangszeit als Arzt noch darauf berufen, dass es keine Verbotslisten gab, war dies mit dem Verbot von Anabolika durch die IAAF 1970, durch das IOC 1974 und durch DSB und Sportärztebund 1977 nicht mehr möglich. Doping erreichte anfangs durch die Verwendung von Stimulantien, vor allem in den 1950er Jahren, und anschließend von anabolen Steroiden eine zunehmende Bedeutung. Klümper wuchs als junger Arzt in diese Entwicklung hinein. Er versuchte zunächst sogar, die als sehr gefährlichen angesehenen Stimulantien durch die als unschädlich betrachteten anabolen Steroide

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zu ersetzen. Er hatte also seine Anfänge im Leistungssport und in der Sportmedizin im Zeichen einer zunehmenden Medikalisierung (Krüger et al., 2014: 43) von Gesellschaft und Sport. Die Ermittlungsakten (ab 1984) enthalten klare Hinweise auf das systematische Doping Klümpers, das er zum Teil (vor allem für den BDR) bundesweit organisierte. Die Namen von zwei Ärzten fallen in diesem Zusammenhang besonders auf. Der erste ist Prof. Dr. Dirk Clasing (Münster). Clasing war in das bundesweite System »Klümper« integriert. Er war für die Betreuung von Jugendlichen und Junioren im BDR zuständig, Autor mehrerer Monographien zum Thema Doping, Mitglied mehrerer Anti-Doping-Kommissionen im DSB und ab 2002 stellvertretender Vorsitzender der neu gegründeten Nationalen Anti-Doping-Agentur. Auch Clasing vertrat die These der Unschädlichkeit von anabolen Steroiden, auch bei männlichen Jugendlichen (ab 18 Jahren: vgl. WDR, 2015). Der zweite war Dr. Gustav Raken, ein ehemaliger Arzt im Radsportverband Nordrhein-Westfalen. Raken gab zu, im Auftrag von Klümper zwischen 1974 und 1977 das Anabolikum Deca-Durabolin gespritzt zu haben. In einem Interview mit dem Bayerischen Rundfunk gab Raken zu: »Ich war sozusagen der lange Arm von Klümper. Ich habe die Anabolika paketeweise von ihm zugeschickt bekommen und habe das Deca-Durabolin auf seine Anweisung den Radsportlern im Frühjahr gespritzt. Die standen dann einmal die Woche vor der Praxis und haben sich die Spritze abgeholt.« (BR, 2013) Der Kontakt zu Klümper entstand durch den Landestrainer Willi Belgo, gespritzt wurde nach Anweisungen Klümpers. Obwohl Verfahren wegen Körperverletzung durch Doping möglich gewesen wären, sind solche nicht erfolgt. Offiziell ermittelt wurde nur wegen Abrechnungsbetrugs. Unterstützt wurde Klümper auch durch kostenlose Medikamentenlieferungen von zahlreichen Firmen. Klümper war als Verbandsarzt des BDR für die Radweltmeisterschaft in Deutschland 1978 auch für die ausländischen teilnehmenden Mannschaften zuständig. In dieser Funktion erbat er vom Konzern Montedison, folgende Medikamente: »10 OP Hepagrisevit Depot Ampullen-Paare, 5 OP Hepagrisevit Forte Dragees, 10 OP Longum Tabletten, 10 OP Megagrisevit Amp.- Paare, 5 OP Megagrisevit Dragees, 10 OP Neurogrisevit Emp.-Paare,

KAPITEL 3: Armin Klümper

5 OP Neurogrisevit Forte Ampullen-Paare, 5 OP Neurogrisevit Tabl[etten].« (Klümper, 1978) Es ist in Sportverbänden üblich, aus Anlass von Großveranstaltungen von den verschiedensten Firmen kostenlose Medikamente zu erbitten. Weniger üblich dürfte dabei aber sein, dass sich bei einer solchen Anfrage auch Dopingmittel befinden.

8.

Klümper – ein Einzeltäter?

War Klümper ein Einzeltäter? Die Einzeltäterhypothese postuliert, dass Mediziner wie Klümper, Huber, Schmid, Heinrich und andere, allein für Doping in Freiburg und über Freiburg hinaus verantwortlich gewesen seien sowie, dass nur einzelne Sportler von Doping betroffen waren. In diesem Sinne äußerte sich der frühere Staatssekretär in der Stuttgarter Landesregierung und Präsident des südbadischen Sportbunds, Gundolf Fleischer: »Gewiss«, räumt Fleischer im Verbandsblatt Sport in BW ein, »habe es speziell in Freiburg auch eine ›Dopingproblematik im Radsport« gegeben. Es handle sich aber ausschließlich um Vergehen einiger weniger Ärzte im Bereich des Profiradsports. Fleischer sieht in dem Dopingskandal um das Radsportteam Telekom/T-Mobile offenbar nur das Werk einiger weniger irregeleiteter, charakterschwacher Individuen. Einzeltäter. Deshalb gleich von einem »Dopingsumpf Freiburg zu reden, ist völlig daneben« (Badische Zeitung, 26.01.2012). Die Einzeltäterhypothese entlastet die handelnden Personen in den Strukturen (Ministerien, Verbände usw.) und schiebt die Schuld ausschließlich einzelnen Akteuren zu. Solche Aussagen werden wider besseres Wissen gemacht. Die »systematische Verleugnung der eigenen Mitbeteiligung« und der personalisierende Umgang mit der Problematik (Bette, 2011: 112) ermöglicht es Schlüsselpersonen wie Fleischer, die Dopingproblematik in Freiburg auf individuelles Fehlverhalten einiger weniger Ärzte zu reduzieren. Dabei wird gerne sogar die Nennung von Hauptverantwortlichen wie Keul und Klümper vergessen. Durch das »Abschieben der Schuld auf individuelle Akteure« (Bette, 2011: 115), durch Fleischer eingeschränkt auf die geständigen Ärzte des Jahres 2007, wird das Verhältnis des organisierten Sports zu Landes-, Bundesregierung und DOSB vor Irritationen geschützt. Die »Haupttäter«, Klümper, Hu-

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5 OP Neurogrisevit Forte Ampullen-Paare, 5 OP Neurogrisevit Tabl[etten].« (Klümper, 1978) Es ist in Sportverbänden üblich, aus Anlass von Großveranstaltungen von den verschiedensten Firmen kostenlose Medikamente zu erbitten. Weniger üblich dürfte dabei aber sein, dass sich bei einer solchen Anfrage auch Dopingmittel befinden.

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Klümper – ein Einzeltäter?

War Klümper ein Einzeltäter? Die Einzeltäterhypothese postuliert, dass Mediziner wie Klümper, Huber, Schmid, Heinrich und andere, allein für Doping in Freiburg und über Freiburg hinaus verantwortlich gewesen seien sowie, dass nur einzelne Sportler von Doping betroffen waren. In diesem Sinne äußerte sich der frühere Staatssekretär in der Stuttgarter Landesregierung und Präsident des südbadischen Sportbunds, Gundolf Fleischer: »Gewiss«, räumt Fleischer im Verbandsblatt Sport in BW ein, »habe es speziell in Freiburg auch eine ›Dopingproblematik im Radsport« gegeben. Es handle sich aber ausschließlich um Vergehen einiger weniger Ärzte im Bereich des Profiradsports. Fleischer sieht in dem Dopingskandal um das Radsportteam Telekom/T-Mobile offenbar nur das Werk einiger weniger irregeleiteter, charakterschwacher Individuen. Einzeltäter. Deshalb gleich von einem »Dopingsumpf Freiburg zu reden, ist völlig daneben« (Badische Zeitung, 26.01.2012). Die Einzeltäterhypothese entlastet die handelnden Personen in den Strukturen (Ministerien, Verbände usw.) und schiebt die Schuld ausschließlich einzelnen Akteuren zu. Solche Aussagen werden wider besseres Wissen gemacht. Die »systematische Verleugnung der eigenen Mitbeteiligung« und der personalisierende Umgang mit der Problematik (Bette, 2011: 112) ermöglicht es Schlüsselpersonen wie Fleischer, die Dopingproblematik in Freiburg auf individuelles Fehlverhalten einiger weniger Ärzte zu reduzieren. Dabei wird gerne sogar die Nennung von Hauptverantwortlichen wie Keul und Klümper vergessen. Durch das »Abschieben der Schuld auf individuelle Akteure« (Bette, 2011: 115), durch Fleischer eingeschränkt auf die geständigen Ärzte des Jahres 2007, wird das Verhältnis des organisierten Sports zu Landes-, Bundesregierung und DOSB vor Irritationen geschützt. Die »Haupttäter«, Klümper, Hu-

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ber, Schmid und Heinrich, mussten nach und nach das Feld verlassen. Damit wurde aus der Perspektive der Verbände das Problem gelöst. Wegsehen und Nichthandeln waren weiterhin möglich. Personen wie Fleischer personalisieren Doping, weisen einzelnen Akteuren die ganze Schuld zu und können auf diese Weise ungeniert weiter dafür kämpfen, den sportmedizinischen Standort Freiburg zu erhalten. Sie können sicherstellen, dass der Geldfluss nicht versiegt und sie lenken zugleich davon ab, welche Verantwortung den Verbänden des Sports und den handelnden Sportpolitikern und Ministerialbeamten in Stuttgart, Bonn (und später Berlin) zukommt. Zumindest in früheren Jahrzehnten wiesen handelnde Akteure sogar explizit darauf hin, dass Ärzte wie Klümper systemrelevant seien. 1989 etwa reagierte Staatssekretär KarlDietrich Spranger ungehalten auf kritische Fragen von Journalisten, »denn den Professor brauche der Sport schließlich noch« (Sport-Bild, 10.5.1989). Gegen die Einzeltäterhypothese spricht die Versorgung des BDR mit Medikamentenkoffern, die neben vielen anderen Medikamenten auch Anabolika – vorwiegend Megagrisevit – enthielten. In den Klümper-Akten sind hierfür zahlreiche Belege zu finden. Neben dieser über den Verband organisierten Versorgung gab es natürlich auch noch die individuelle, da viele Sportler der jeweiligen Vereine und Verbände auch als Patienten direkt zu Klümper nach Freiburg kamen.

9.

Ermittlungen des LKA gegen Klümper 1984 – 1988: Strukturen demaskieren sich

Schon vor den Strafanzeigen von Kassen wegen Abrechnungsbetrugs hatte Klümper immer wieder Schwierigkeiten wegen seiner ausufernden Verschreibung von Medikamenten und Nahrungsergänzungsmitteln. Allerdings waren darunter keine Verschreibung von anabolen Steroiden, Klümper war da offensichtlich nach dem Verbot von DSB und NOK 1977 vorsichtig geworden. In kooperationsbereiten Apotheken erhielten Sportler statt der rezeptierten, oft hochpreisigen Medikamente über Verrechnung der Kosten dann die gewünschten Anabolika. Krankenkassen erstatteten 1984 Strafanzeigen gegen Klümper wegen Abrechnungsbetrugs (illegale Abrechnungspraktiken). Das LKA setzte eine Ermittlungsgruppe ein. Was ungewöhnlich war, der Leiter der Ermittlungsgruppe Rolf Schlotterer wurde nach Beginn der Ermittlungen aufgefordert, sich nicht mit dem zuständigen Staatsanwalt in Freiburg, sondern mit dem

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ber, Schmid und Heinrich, mussten nach und nach das Feld verlassen. Damit wurde aus der Perspektive der Verbände das Problem gelöst. Wegsehen und Nichthandeln waren weiterhin möglich. Personen wie Fleischer personalisieren Doping, weisen einzelnen Akteuren die ganze Schuld zu und können auf diese Weise ungeniert weiter dafür kämpfen, den sportmedizinischen Standort Freiburg zu erhalten. Sie können sicherstellen, dass der Geldfluss nicht versiegt und sie lenken zugleich davon ab, welche Verantwortung den Verbänden des Sports und den handelnden Sportpolitikern und Ministerialbeamten in Stuttgart, Bonn (und später Berlin) zukommt. Zumindest in früheren Jahrzehnten wiesen handelnde Akteure sogar explizit darauf hin, dass Ärzte wie Klümper systemrelevant seien. 1989 etwa reagierte Staatssekretär KarlDietrich Spranger ungehalten auf kritische Fragen von Journalisten, »denn den Professor brauche der Sport schließlich noch« (Sport-Bild, 10.5.1989). Gegen die Einzeltäterhypothese spricht die Versorgung des BDR mit Medikamentenkoffern, die neben vielen anderen Medikamenten auch Anabolika – vorwiegend Megagrisevit – enthielten. In den Klümper-Akten sind hierfür zahlreiche Belege zu finden. Neben dieser über den Verband organisierten Versorgung gab es natürlich auch noch die individuelle, da viele Sportler der jeweiligen Vereine und Verbände auch als Patienten direkt zu Klümper nach Freiburg kamen.

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Ermittlungen des LKA gegen Klümper 1984 – 1988: Strukturen demaskieren sich

Schon vor den Strafanzeigen von Kassen wegen Abrechnungsbetrugs hatte Klümper immer wieder Schwierigkeiten wegen seiner ausufernden Verschreibung von Medikamenten und Nahrungsergänzungsmitteln. Allerdings waren darunter keine Verschreibung von anabolen Steroiden, Klümper war da offensichtlich nach dem Verbot von DSB und NOK 1977 vorsichtig geworden. In kooperationsbereiten Apotheken erhielten Sportler statt der rezeptierten, oft hochpreisigen Medikamente über Verrechnung der Kosten dann die gewünschten Anabolika. Krankenkassen erstatteten 1984 Strafanzeigen gegen Klümper wegen Abrechnungsbetrugs (illegale Abrechnungspraktiken). Das LKA setzte eine Ermittlungsgruppe ein. Was ungewöhnlich war, der Leiter der Ermittlungsgruppe Rolf Schlotterer wurde nach Beginn der Ermittlungen aufgefordert, sich nicht mit dem zuständigen Staatsanwalt in Freiburg, sondern mit dem

KAPITEL 3: Armin Klümper

Leitenden Oberstaatsanwalt Dr. Heinz Jordan in Verbindung zu setzen. Dieser hatte kein Interesse an Ermittlungen gegen den renommierten Arzt; er sagte: »Ermitteln Sie mal ein bisschen, dann stellen wir das Verfahren ein.« Schlotterer, der Zugang zur Privatpatientenkartei und einen Hausdurchsuchungsbeschluss erhalten wollte, erhielt sogar für den Fall, dass er sich nicht konform verhalte, ungeheuerlicherweise die Drohung, dann könne er versetzt werden. Die vorhandenen Verdachtsmomente hätten einen Untersuchungsausschuss des Landtags gerechtfertigt, und damit einen Einblick in die Freiburger Netzwerke ermöglicht. Der Vorgesetzte Schlotterers, Generalstaatsanwalt Ernst Bauer, hatte ein solches Verhalten der Staatsanwaltschaft bis dahin noch nie erlebt. Er stärkte Schlotterer den Rücken aber der Versuch den Einschüchterungen zu begegnen, erwies sich als zwecklos. Selbst der damalige Kanzler der Universität, Siburg, war sich nicht zu schade, Schlotterer zu drohen: »wenn er so weitermache, könne das das Ende seiner Karriere bedeuten«. Siburg selbst war aber wegen seiner Duldung der Privatabrechnungen Klümpers unter Druck. Er deutete dem Ermittler an, dass Klümper unter höchstem Schutz stehe und er nicht eingreifen solle. Informationen eines Zeitzeugen weisen darauf hin, dass die Schutzanstrengungen aus höchsten Ministeriumskreisen stammten. Ab einem gewissen Zeitpunkt beantwortete Siburg Fragen nicht mehr, später auch nicht vor dem Oberstaatsanwalt. Er war nicht zu einer Aussage, die ihn selbst belasten konnte, verpflichtet. Schlotterer hatte nach eigenen Aussagen in anderen Fällen normalerweise einen guten, sehr sachlichen Kontakt mit Staatsanwälten. Dies war nicht der Fall bei den Ermittlungen gegen Klümper. Für ihn war von Anfang an erkennbar, dass die Staatanwaltschaft gründliche Ermittlungen eigentlich nicht wollte. Der Leitende Oberstaatsanwalt Jordan machte von Anfang an knallharte Vorgaben. Und er wollte um jeden Preis einen zweiten Durchsuchungsbefehl verhindern: »nur über meine Leiche«. Dies kann als Versuch der Strafvereitelung im Amt gesehen werden. Erst nachdem Jordan versetzt worden war, wurde die Genehmigung zu einer zweiten Hausdurchsuchung erteilt. In der Zwischenzeit war genügend Zeit zur Beseitigung von Beweisstücken. Immer waren die Rechtsanwälte von Klümper im Spiel wobei die Rechtsanwaltskosten von Armin Dassler (Firma PUMA) bezahlt wurden. Ungewöhnlich war im Fall Klümper, wie sich der Leitende Oberstaatsanwalt eingemischt hatte. Normalerweise lässt sich ein Leitender Oberstaatsanwalt von seinen Staatsanwälten berichten, mischt sich aber nicht in das Verfahren ein. Das Eingreifen des Leitenden Oberstaatsanwalts Dr. Jordan

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Doping für Deutschland

erschüttert den Glauben an die Geradlinigkeit und Korrektheit des Justizsystems. Dafür spricht auch die Art und Weise, wie mit dem Versuch des leitenden Ermittlers Schlotterer, Körperverletzungen durch Doping zu thematisieren, umgegangen wurde: »Den Hinweis auf den Verdacht der Körperverletzung habe ich gegenüber dem Staatsanwalt mehrfach vorgebracht. Die Staatsanwaltschaft hat jede Erweiterung des Tatvorwurfs gegen Prof. Klümper entschieden abgelehnt. Diese Ablehnung erfolgte in einer Art und Weise, die die Vermutung schon damals nahelegte, dass der Beschuldigte möglichst geschont werden sollte. Soweit ich dies in Erinnerung habe, wurde ich gebeten, Aktenvermerke mit entsprechenden Hinweisen und Verdachtsäußerungen zu unterlassen. Solche Aktenvermerke habe ich dann zu den Handakten genommen, die nicht zur Vorlage an die Staatsanwaltschaft bestimmt waren.« (Singler, 2015a: 8) Klümpers Unterstützer kamen vorwiegend aus dem Leistungssport und dessen Förderern. Insofern hätte es nahegelegen, auch wegen Dopings und Körperverletzung zu ermitteln, was die Staatsanwaltschaft aber nicht zuließ. Staatsanwalt Edgar Kuri hat regelrecht verboten, in diese Richtung zu ermitteln. Immer wenn Schlotterer Hinweise in Richtung Körperverletzung gab, blockte Kuri mit Verweis auf den Leitenden Oberstaatsanwalt Jordan ab. Auch eine Reihe von Juristen, namentlich Angehörige einer schlagenden Verbindung, sollen versucht haben, Einfluss zu nehmen. Über alle Ermittlungsergebnisse fertigte Schlotterer Aktenvermerke an; die Handakten mit diesen Vermerken wurden im besonders gesicherten Asservatenraum des Landeskriminalamts gelagert. Aus diesem verschwanden sie spurlos. Wer sie entwendet hat, ist bis heute ungeklärt. Klümper hatte kein Unrechtsbewusstsein. Freiburger Staatsanwälte und seine Beschützer bestärkten ihn in seinem Unverletzlichkeitswahn. Die Klümperakten zeigen deutlich das Beziehungsgeflecht zwischen Klümper, Politikern, Funktionären und der Wirtschaft (Singler, 2015c). Aber nicht immer fiel die Unterstützung so aus, wie Klümper sie erhofft hatte: »Die Universität habe seine Arbeit finanziell und personell zu wenig unterstützt. Insbesondere auf wissenschaftlichem Gebiet fehle es an räumlichen, personellen und wissenschaftlichen Voraussetzungen […] Klümper vertrat weiter die Auffassung, dass er während der Ermittlungen gegen ihn wegen Betrugs und während des Prozesses vom Klinikum ›in einem traurigen Maß

KAPITEL 3: Armin Klümper

im Stich gelassen worden ist‹. Das sei aber nicht der Hauptgrund für die Bitte um Entlassung.« (Badische Zeitung, 12.09.1989) Bei seinem Weggang aus der Universität ließ Klümper jedes Maß an vernünftiger Selbsteinschätzung vermissen. Klümper verschwieg in seinen Äußerungen gegenüber den Medien. dass er wohl wegen des drohenden Disziplinarverfahrens seine Entlassung aus dem Beamtenverhältnis beantragt hatte und nicht wegen einer angeblich fehlenden Unterstützung, durch die sich das Klinikum nur selbst disqualifiziert hätte.

10.

Verantwortungslosigkeit am Beispiel des Todes der Siebenkämpferin Birgit Dressel

Im Namen des DLV sprach dessen Präsident Prof. Dr. Eberhard Munzert 1987 bei der Trauerfeier für Birgit Dressel Klartext zur Dopingproblematik. Zur Überraschung vieler, die das Primat von Scheinheiligkeit und Heuchelei hochhielten, versuchte Munzert in den nachfolgenden Wochen und Monaten seinen bei der Trauerfeier angekündigten Kampf gegen Doping auch umzusetzen; u.a. verhinderte er gegen vielfältigen Widerstand die Nominierung Klümpers zu den Olympischen Spielen 1988. Selbst der Einsatz des DSBPräsidenten Willy Daume konnte Munzert nicht umstimmen. Munzert gab ein Jahr später das Amt als DLV-Präsident ab, nachdem er durch Personen wie den später als Doper verurteilten Bundestrainer Jochen Spilker und den Polizeipräsidenten von Stuttgart, Hans-Peter Sturm, gemobbt worden war. 1989 wurde Klümper wieder als DLV-Arzt geführt (Bild, 10.05.1989). Es wurde alles versucht, damit Dressels Tod nicht mit Doping in Verbindung gebracht wurde. Prof. Dr. Wilfried Kindermann warnte Munzert Ende 1990 auf einer Verbandsratssitzung »den Fall Birgit Dressel im Zusammenhang mit Doping zu nennen, da völlig andere Gründe für den tragischen Tod der Siebenkämpferin verantwortlich waren« (zitiert nach Singler, 2007). Munzerts Nachfolger als DLV-Präsident, Helmut Meyer (1991), zuvor Direktor des Bundesausschusses Leistungssport (BAL), schrieb an Treutlein noch 1991: »Wir sollten uns doch darauf verständigen, dass der Tod von Birgit Dressel nichts mit Doping zu tun hatte« – dies, obwohl die Zeugenvernehmungen, z.B. die Zeugenaussage des Dressel-Freunds und -Trainers Thomas Kohlbacher bei der Vernehmung durch die Staatsanwaltschaft Mainz am 14. April 1987 etwas ganz anderes nahelegte. Das Beispiel dessen, was nach

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im Stich gelassen worden ist‹. Das sei aber nicht der Hauptgrund für die Bitte um Entlassung.« (Badische Zeitung, 12.09.1989) Bei seinem Weggang aus der Universität ließ Klümper jedes Maß an vernünftiger Selbsteinschätzung vermissen. Klümper verschwieg in seinen Äußerungen gegenüber den Medien. dass er wohl wegen des drohenden Disziplinarverfahrens seine Entlassung aus dem Beamtenverhältnis beantragt hatte und nicht wegen einer angeblich fehlenden Unterstützung, durch die sich das Klinikum nur selbst disqualifiziert hätte.

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Verantwortungslosigkeit am Beispiel des Todes der Siebenkämpferin Birgit Dressel

Im Namen des DLV sprach dessen Präsident Prof. Dr. Eberhard Munzert 1987 bei der Trauerfeier für Birgit Dressel Klartext zur Dopingproblematik. Zur Überraschung vieler, die das Primat von Scheinheiligkeit und Heuchelei hochhielten, versuchte Munzert in den nachfolgenden Wochen und Monaten seinen bei der Trauerfeier angekündigten Kampf gegen Doping auch umzusetzen; u.a. verhinderte er gegen vielfältigen Widerstand die Nominierung Klümpers zu den Olympischen Spielen 1988. Selbst der Einsatz des DSBPräsidenten Willy Daume konnte Munzert nicht umstimmen. Munzert gab ein Jahr später das Amt als DLV-Präsident ab, nachdem er durch Personen wie den später als Doper verurteilten Bundestrainer Jochen Spilker und den Polizeipräsidenten von Stuttgart, Hans-Peter Sturm, gemobbt worden war. 1989 wurde Klümper wieder als DLV-Arzt geführt (Bild, 10.05.1989). Es wurde alles versucht, damit Dressels Tod nicht mit Doping in Verbindung gebracht wurde. Prof. Dr. Wilfried Kindermann warnte Munzert Ende 1990 auf einer Verbandsratssitzung »den Fall Birgit Dressel im Zusammenhang mit Doping zu nennen, da völlig andere Gründe für den tragischen Tod der Siebenkämpferin verantwortlich waren« (zitiert nach Singler, 2007). Munzerts Nachfolger als DLV-Präsident, Helmut Meyer (1991), zuvor Direktor des Bundesausschusses Leistungssport (BAL), schrieb an Treutlein noch 1991: »Wir sollten uns doch darauf verständigen, dass der Tod von Birgit Dressel nichts mit Doping zu tun hatte« – dies, obwohl die Zeugenvernehmungen, z.B. die Zeugenaussage des Dressel-Freunds und -Trainers Thomas Kohlbacher bei der Vernehmung durch die Staatsanwaltschaft Mainz am 14. April 1987 etwas ganz anderes nahelegte. Das Beispiel dessen, was nach

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dem Tod Dressels folgte, macht deutlich, dass die Selbstreinigungskraft des Sports fehlte und dass selbst derart vielfaches Doping durch die Passivität außersportlicher Institutionen begünstigt wurde. Ein als Folge des Todes von Birgit Dressel am 10. April 1987 eröffnetes Ermittlungsverfahren gegen Unbekannt wegen fahrlässiger Tötung wurde durch die Mainzer Staatsanwaltschaft am 4. August 1987 eingestellt: »Der Oberstaatsanwalt hat keinen Verantwortlichen gefunden, seine Gutachter auch nicht. Mehreren behandelnden Ärzten erteilten sie schlechte Noten. Den schärfsten Tadel erhielt Professor Klümper: ›Klümper ist ein Stümper‹.« Einige Monate nach der Einstellung des Ermittlungsverfahrens erstattete der Mainzer Dopingrechtsexperte Dr. Linck Strafanzeige »wegen fahrlässiger Körperverletzung und wegen Betrugs im Dopingfall Birgit Dressel« (Linck, 1987: 2551, vgl. Spiegel, 1987b: 252). Sowohl der Jurist, der leitende Ministerialrat Dr. Joachim Linck als auch der Sportphysiologe Prof. Dr. Hans-Volkhart Ulmer (Universität Mainz) forderten ein energisches Handeln der zuständigen Behörden. Linck begründete seine Anzeige u.a. damit, dass Doping als sittenwidrig zu bewerten sei, wenn es schwerwiegende Gesundheitsschädigungen zur Folge haben könne (Linck, 1987). Die Mainzer Staatsanwaltschaft folgte Lincks Argumentation nicht. Die Einstellungsverfügung vom 8. März 1989 behauptete, ärztlich verordnetes Doping sei zumindest bis zum Zeitpunkt des Todes von Birgit Dressel, wenn zwar nicht erlaubt, dann doch wenigstens strafrechtlich nicht relevant gewesen. Linck war mit dieser Auffassung der Staatsanwaltschaft nicht einverstanden. In einem weiteren Schreiben wies er erneut und ohne Erfolg auf die Tatsache der Körperverletzung, die Sittenwidrigkeit von Doping sowie die unklaren Wirkungen der Vielzahl der eingesetzten Medikamente hin. Die Reaktion der Staatsanwaltschaft zeigt, dass schon damals bestehende Gesetze nicht ausreichend angewendet wurden, und belegte auf ernüchternde Weise das Desinteresse außersportlicher Institutionen an der Verfolgung gesetzeswidriger Handlungen im Zusammenhang mit Doping im Sport. Prof. Dr. Ulmer machte am 23. März 1988 die damalige rheinland-pfälzische Sozial- und Familienministerin Ursula Hansen auf den möglichen Abrechnungsmissbrauch durch Ärzte und Athleten gegenüber Krankenkassen aufmerksam (Abrechnungsbetrug bei der Erstattung von Dopingmitteln und nicht der Heilung von Krankheiten dienenden Mitteln). Mit einem Schreiben vom 21. Juni 1988 lehnte die Ministerin Hansen diese Sicht »einer rechtswidrigen Mitfinanzierung von Medikamentenmissbrauch und Doping bei Spit-

KAPITEL 3: Armin Klümper

zensportlern zu Lasten der Solidargemeinschaft der gesetzlichen KrankenVersicherung« ab. »Die Allgemeine Ortskrankenkasse Mainz-Bingen (habe) weder gegen Gesetz noch sonstiges für sie maßgebendes Recht verstoßen.« (Mainzer Rhein-Zeitung, 10.04.1992) Aus der Behandlung der Umstände des Tods von Birgit Dressel lässt sich ableiten: Unzureichende staatliche Kontrolle des Sports, unzureichende staatsanwaltschaftliche Einschätzung von Dopingsachverhalten, völlig fehlende standesrechtliche Konsequenzen für den dopenden – bzw. medizinisch nicht indizierte Behandlungen vornehmenden Arzt. Der Staat wagte sich nicht an die im Grundgesetz selbst einem dopingwilligen Sport zugestandene Autonomie heran. Der Staat überließ dem Sport die Bearbeitung der Dopingfrage weitgehend selbst. Staatliches Eingreifen wurde vom Sport immer wieder mit dem Hinweis auf die »Selbstreinigungskräfte« des bundesdeutschen Sports abgelehnt.

11.

Organisierte Unterstützung und ihre Grenzen

Wenn Klümper angegriffen wurde, erfolgte meist eine öffentliche Unterstützung durch Olympiasieger, Weltmeister, Nationalmannschaftsfußballer. Aber auch ohne dass es die Öffentlichkeit sehen konnte, dürfte umfangreiche Unterstützung im Hintergrund erfolgt sein, so gehörten zu Klümpers Patienten doch Landesminister oder auch der DSB-Präsident Willi Daume. Vor allem lassen dies drei Episoden vermuten: a) die Bewilligung des Baus von Klümpers Sporttraumatologischer Spezialambulanz 1982; b) das Bemühen von Daume für einen Einsatz Klümpers bei den Olympischen Spielen 1988, verhindert durch den DLV-Präsidenten und Vorsitzenden des Landesrechnungshofs Nordrhein-Westfalen Eberhard Munzert; c) die Vergabe des Professorentitels 1990 durch das Wissenschaftsministerium in Stuttgart.

Klümper hatte einflussreiche Patienten, die sich für den »Doc« einsetzten, ohne sich für die Hintergründe seiner medizinischen Erfolge oder auch seiner Misserfolge zu interessieren. Wo diese Unterstützung aus seiner Sicht nicht

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zensportlern zu Lasten der Solidargemeinschaft der gesetzlichen KrankenVersicherung« ab. »Die Allgemeine Ortskrankenkasse Mainz-Bingen (habe) weder gegen Gesetz noch sonstiges für sie maßgebendes Recht verstoßen.« (Mainzer Rhein-Zeitung, 10.04.1992) Aus der Behandlung der Umstände des Tods von Birgit Dressel lässt sich ableiten: Unzureichende staatliche Kontrolle des Sports, unzureichende staatsanwaltschaftliche Einschätzung von Dopingsachverhalten, völlig fehlende standesrechtliche Konsequenzen für den dopenden – bzw. medizinisch nicht indizierte Behandlungen vornehmenden Arzt. Der Staat wagte sich nicht an die im Grundgesetz selbst einem dopingwilligen Sport zugestandene Autonomie heran. Der Staat überließ dem Sport die Bearbeitung der Dopingfrage weitgehend selbst. Staatliches Eingreifen wurde vom Sport immer wieder mit dem Hinweis auf die »Selbstreinigungskräfte« des bundesdeutschen Sports abgelehnt.

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Organisierte Unterstützung und ihre Grenzen

Wenn Klümper angegriffen wurde, erfolgte meist eine öffentliche Unterstützung durch Olympiasieger, Weltmeister, Nationalmannschaftsfußballer. Aber auch ohne dass es die Öffentlichkeit sehen konnte, dürfte umfangreiche Unterstützung im Hintergrund erfolgt sein, so gehörten zu Klümpers Patienten doch Landesminister oder auch der DSB-Präsident Willi Daume. Vor allem lassen dies drei Episoden vermuten: a) die Bewilligung des Baus von Klümpers Sporttraumatologischer Spezialambulanz 1982; b) das Bemühen von Daume für einen Einsatz Klümpers bei den Olympischen Spielen 1988, verhindert durch den DLV-Präsidenten und Vorsitzenden des Landesrechnungshofs Nordrhein-Westfalen Eberhard Munzert; c) die Vergabe des Professorentitels 1990 durch das Wissenschaftsministerium in Stuttgart.

Klümper hatte einflussreiche Patienten, die sich für den »Doc« einsetzten, ohne sich für die Hintergründe seiner medizinischen Erfolge oder auch seiner Misserfolge zu interessieren. Wo diese Unterstützung aus seiner Sicht nicht

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ausreichte, griff er immer wieder zur Drohung mit angeblich vorliegenden Angeboten aus dem Ausland, z.B. aus den USA, Südkorea oder Kuweit. Nach der ersten Verurteilung wegen Abrechnungsbetrug bemerkte aber die Stuttgarter Zeitung (16.12.1988) am 16. Dezember 1988 eine »seltsame Häufung von Gedächtnisschwund«. Der Vorwurf der »unkorrekten Medikamentenabrechnung zum Nachteil der Krankenkassen« ließ sich nicht mehr hinter den Kulissen vom Tisch bringen. Selbst seine »einflussreichen Freunde aus der Landespolitik« hätten Klümper diesmal nicht helfen können, hieß es dazu im Spiegel (1988). Speziell Mayer-Vorfelder, Minister für Kultur und Sport, VfB- und später DFB-Präsident, sollte Klümper im Verlauf des Prozesses in Freiburg menschlich schwer enttäuschen. In der Notsituation Abrechnungsbetrug stand er nicht zu Klümper. Er war nicht bereit, vor Gericht zu dessen Gunsten auszusagen. Klümper selbst sprach später gar von der »größten menschlichen Enttäuschung, die ich je erlebt habe« (Mauz, 1989: 200). Viel Geld hatte der VfB an den Freiburger Sportarzt überwiesen – allerdings nicht für ärztliche Leistungen, sondern nach Mayer-Vorfelders Worten ausdrücklich für gelieferte Arzneimittel. Klümper widersprach der im Gericht verlesenen Aussage des VfB-Bosses vehement. Die Rechnungen lauteten nur pro forma auf Arzneimittel. In Wahrheit sei das Geld die »Aufwandsentschädigung« für medizinische Behandlungen gewesen. Aus diesem Grunde habe er auf den Lieferungen auch jeweils vermerkt: »Nach Rücksprache mit Herrn Mayer-Vorfelder«. Dieser wollte davon nichts wissen. Die Transaktionen seien durch den Geschäftsführer des VfB erledigt worden, sie lägen »unterhalb seiner Ebene«. Ein Honorar sei mit Klümper jedenfalls nicht vereinbart worden (Badische Zeitung, 10.01.1989). Während der Spiegel sich regelrecht auf Klümper eingeschossen hatte, versuchten andere Journalisten, Klümper gegen Vorwürfe immer wieder zu verteidigen. Sie unternahmen den Versuch, das Urteil des Gerichts vorweg zu nehmen. Einer der LKA-Ermittler erklärte später: »Es war sehr schwierig für uns, gegen diese Stimmungsmache überhaupt anzukommen.« (Zeitzeuge Nr. 92) Auf Vorschlag von Lothar Späth überreichte Minister Mayer-Vorfelder 1990 Klümpers schärfstem Rivalen Keul das Bundesverdienstkreuz Erster Klasse. Klümper hingegen wurde von der Dritten Großen Strafkammer des Landgerichts wegen Betrugs in zwei Fällen zu einer Geldstrafe in Höhe von 157.500 Mark verurteilt (Landgericht Freiburg, 1989). Das Gericht befand ihn für schuldig, die Krankenkassen durch Rezeptmanipulationen betrogen

KAPITEL 3: Armin Klümper

und der Staatskasse Gelder aus einer privaten Nebentätigkeit vorenthalten zu haben. Klümper war damit vorbestraft, aber er verließ den Gerichtssaal als freier Mann. Der Spiegel-Reporter Mauz fand, Klümper sei gut weggekommen angesichts all dessen, was im Verlauf des Prozesses ans Licht kam. Klümper sei »davon überzeugt, dass Gesetze und Regeln missachtet werden müssen, wenn sie nach seiner Meinung den Weg zur Gesundheit behindern«. Warum Klümper so dachte, beschrieb Mauz im Spiegel so: »Man ist zu wichtig, zu bedeutend, zu groß, um sich blöden Schemata zu unterwerfen. Die anderen haben sich auf das einzustellen, wer und was man ist in seiner unüberbietbaren segensreichen Tätigkeit für die Patienten.« (Mauz, 1989) Klümper ist aus dem Prozess gut weggekommen, weil er auch innerhalb der Freiburger Justiz prominente Unterstützer hatte. Ohne die manchen Widerständen trotzende Intervention des damaligen Generalstaatsanwalts Ernst Bauer hätte es überhaupt keinen Prozess und keine Verurteilung gegeben. Der Prozess und seine Vorgeschichte liefen jedoch nicht ganz so glatt ab, wie es nach außen hin den Anschein hatte. Fast zweieinhalb Jahre nach dem Urteil berichtete der Spiegel, im Vorfeld der Verhandlung sei »offenbar getrickst und geschont worden«. Die Meldung war knapp, aber brisant: »Ein Dezernatsleiter des baden-württembergischen Landeskriminalamts (LKA) nennt die Vorgänge nachträglich ›eine große Sauerei‹. Dem LKAPräsidium liegen Vermerke darüber vor, wie die Freiburger Staatsanwaltschaft Ermittlungen abblockte. Die von den Fahndern vorgebrachten Haftgründe gegen Klümper konterten sie mit der Drohung, die Ermittler durch das Innenministerium ablösen zu lassen. Zudem versuchte die Justiz, das Verfahren geräuschlos einzustellen. Im Stuttgarter Justizministerium scheiterte dieser Plan am massiven Einspruch des damaligen Karlsruher Generalstaatsanwalts Ernst Bauer.« (Spiegel, 1991) In Freiburg sorgte das für Wirbel. Generalstaatsanwalt Bauer bestätigte der Badischen Zeitung, am 14. September 1987 habe eine Art Verhandlung über die Verhandlung stattgefunden. Dabei habe die Staatsanwaltschaft vorgeschlagen, das Verfahren gegen Klümper gegen die Zahlung eines Bußgelds einzustellen. Bauer habe sich diesem Ansinnen widersetzt: »Diese Sache muss durchgestanden werden« (Badische Zeitung, 15.05.1991). Einen Tag später äußerte auch Prof. Eugen Huber-Stentrup, der ehemalige Freiburger Leitende Oberstaatsanwalt, dass die Strafkammer das Verfahren gegen Klümper gegen

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Zahlung einer Geldstrafe tatsächlich habe einstellen wollen. Dies sei freilich kein Versuch gewesen, das Verfahren gegen den Prominentenarzt »geräuschlos« abzuwenden. Vielmehr habe die Justiz korrekt gehandelt (Badische Zeitung, 16.05.1991). Am 5. Mai 1986 hatte die Staatsanwaltschaft Freiburg Anklage gegen Klümper erhoben. Aber erst im Juni 1988 ließ die Strafkammer die Anklage zur Verhandlung zu, nachdem sie zwischenzeitlich eine Verfahrenseinstellung vorgeschlagen hatte. Sie kam zu dem Schluss, dass es mit einer hohen Geldbuße getan sei. 1991 schrieb die Badische Zeitung: »Weil der Fall Klümper ein überaus kontrovers diskutiertes Thema in der Öffentlichkeit war – Sportler kündigten Demonstrationen für ihren Leibarzt an, Patienten deckten die Justiz mit Briefen ein – wurden die Generalstaatsanwaltschaft und das Justizministerium von dem Freiburger Ansinnen unterrichtet. Das Ministerium habe keine Entscheidung getroffen, der Generalstaatsanwalt hingegen habe gefordert, die Verhandlung zu führen: Also habe sie am Ende doch noch stattgefunden. Klümper bekam eine Geldstrafe aufgebrummt. Nicht alle Beteiligten von damals wollen übrigens von Mauschelei sprechen: ›Immerhin ist es gelungen, Klümper zu verurteilen‹, sagt einer der Ermittler heute.« Auch der CDU-Politiker und BSB-Präsident Gundolf Fleischer machte Front gegen Staatsanwälte und Ermittler, die sich nach seiner Auffassung allzu sehr für das Gebaren Klümpers interessierten. Er unterstützte den ›Doc‹ öffentlich, aber ohne die Hintergründe offen zu legen – ganz typisch für seine Art der Argumentation. Nach der Verurteilung Klümpers 1997 zu einer Geldstrafe von 162.000 DM wegen falscher Abrechnungen erlaubte Fleischer sich, die Freiburger Staatsanwaltschaft zu kritisieren. Er verstieg sich zu der Äußerung: »Es muss wirklich die Frage erlaubt sein, ob mit in der Öffentlichkeit stehenden Personen, und dies betrifft nicht nur den Sport, seitens der Staatsanwaltschaft so umgegangen werden kann.« (BSB-Info Nr. 1/1999: 4, zitiert nach Singler/Treutlein 2015a: 405) Offen bleibt, ob Fleischer damit nur die Dauer der Untersuchung kritisieren wollte oder auch ihren Anlass: Immerhin ging es bei dem Prozess um vorsätzliche Körperverletzung. Verlangte er Sonderrechte für Prominente? Welches Verständnis unseres Rechtsstaats kann hinter einer solchen Kritik erahnt werden? Der schon damals umstrittene CDU-Politiker kann von Glück sagen,

KAPITEL 3: Armin Klümper

dass seine Ermittler-Schelte in der Öffentlichkeit unbemerkt blieb. Er gab sie im Januar 1999 nur in seinem Verbandsblatt von sich, immerhin wohl auch eine der Grundlagen für seine Wiederwahl als BSB-Präsident mit 100 Prozent der Stimmen. Trotz der immer neuen Enthüllungen strömten Spitzensportler wie auch andere Prominente nach wie vor zu Klümper. Nach den Auseinandersetzungen um Birgit Hamann 1997 beschlossen Athleten eine Anzeige in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung zu schalten, um Klümper darin zu verteidigen. Zu den Athleten, die Partei für den Freiburger Arzt nahmen, gehörten Hammerwerfer Heinz Weis, Kugelstoßerin Astrid Kumbernuss und Diskuswerfer Lars Riedel sowie die Olympiasieger Annegret Richter, Udo Beyer, Rolf Milser, Georg Thoma und Rudi Altig (FAZ, 02.12.1997). Einige Athleten waren sogar bereit, über Doping-Praktiken des Rivalen Keul auszupacken, um auf diese Weise ihren Lieblings-Doc Klümper zu schützen. Josef-Otto Freudenreich von der Stuttgarter Zeitung schrieb am 19. September 1992: »Für ihren ›Doc‹ Klümper gingen unter anderen Eberhard Gienger, Uwe Beyer und Rolf Milser in die Bütt, und erinnerten sich an ihre jüngeren Jahre. Hammerwerfer Beyer berichtete von einem Anabolika-Rezept, das er 1972 von Keul erhalten und wieder zurückgeschickt habe. Gewichtheber Milser von Anabolikaspritzen im Jahr 1972. Turner Gienger wurde 1974 nach einer Knie-Operation mit dem Anabolikum Fortabol behandelt und danach mit der Empfehlung entlassen, er solle mit Keul über die Folgen reden. Kollegenschnack der 70er Jahre laut Gienger: ›Wenn du Fragen zum Doping hast, dann ist Keul der Richtige.‹ Der ehemalige Reck-Weltmeister und jetzige Bundeskunstturnwart des Deutschen Turnerbundes (›ich kannte Keul nur im Zusammenhang mit Doping‹) hat sich bis heute nicht darangehalten. ›Meine Turner‹, sagt er, ›gehen nicht zu Keul. Und ich sowieso nicht.« (Stuttgarter Zeitung, 19.09.1992) Journalisten wie Freudenreich lieferten einigen Stoff, der den Kurs des »Tankers« DSB hätte beeinflussen müssen. Aber die Funktionäre drückten die Augen fest zu. Kritik an den Verhältnissen in Freiburg blieb folgenlos. Gelder von Bundesinnenministerium und des Landes Baden-Württemberg flossen weiter. Ein parlamentarischer Untersuchungsausschuss der Licht ins Dunkel der Freiburger Netzwerke hätte bringen können, wurde nicht eingerichtet. Keul und Klümper konnten weiter ihre Rollen im bundesdeutschen Spitzensport spielen.

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Doping für Deutschland

Unterstützt wurde Klümper nicht nur von seinen Patienten, sondern auch durch einflussreiche Kreise auf verschiedenen Ebenen. Für Regierungsinteresse an der »segensreichen« Tätigkeit spricht auch, dass Klümper von 1980 bis 1996 1,23 Millionen Mark ohne Zweckbindung erhalten hatte (Sport Inside, 01.12.2014). Unterstützung erfuhr Klümper durch manche Kollegen und Athleten in der ganzen Bundesrepublik, denen er entweder Rezepte oder auch ganze Medikamentenpackungen zuschickte (Staatsarchiv Freiburg, Sachakte StA Freiburg Az: 40 a Js 175/84, Ordner BDR-Arzneimittellieferung; siehe auch Singler, 2015a). Klümper wurde nicht nur von einzelnen Sportlern als Quelle für die Versorgung vor allem mit anabolen Steroiden, sondern auch von ganzen Sportverbänden geschätzt, an allererster Stelle dem Bund Deutscher Radfahrer (Singler/Treutlein 2015a und Singler 2015a).

12.

Die Abschiedsjahre Klümpers

Nach seiner ersten Verurteilung nahm Klümper seine Arbeit wieder auf, aber nicht mehr innerhalb der Universität. Noch im Jahr 1989 kehrte er ihr den Rücken. Er beantragte seine Entlassung aus dem Beamtenverhältnis. Er wollte den Posten des Ärztlichen Direktors einer privaten Klinik im Mooswald übernehmen. Diese Postenübernahme war angeblich der Hauptgrund für seinen Abschied von der Universität, schuld an seinem Ausscheiden waren andere. Er erwähnte, während der Ermittlungen und während des Prozesses gegen ihn sei er vom Klinikum »in einem traurigen Maß im Stich gelassen worden« (Badische Zeitung 12.09.1989). Sein Ausscheiden könnte aber auch als Flucht vor einem drohenden Disziplinarverfahren von Universität und Land gesehen werden. Durch die Beendigung des Beamtenverhältnisses kam Klümper ungeschoren davon. Nach der Insolvenz der Mooswald-Klinik und den Skandalen und Prozessen der 1990er Jahre begann die Anzahl seiner Verteidiger kleiner zu werden und die öffentlichen Kritiken gegen ihn zuzunehmen. Eine besondere Rolle im Kampf um Sauberkeit spielte der Leitende Verbandsarzt des DLV, Dr. Karlheinz Graff (Essen), unterstützt durch den DLV-Präsidenten Prof. Dr. Helmut Digel. Im Juni 1997 erhob Graff im Fachorgan Der Leichtathlet (14.06.1997) schwere Vorwürfe gegen Klümper. Er habe vor Olympia 1996 in Atlanta zweimal massiv gegen die Anti-Doping-Bestimmungen verstoßen (in den oben genannten Fällen von Strittmatter und Hamann-Wolf; FAZ, 05.06.1997). Noch nie zuvor war ein deutscher Sportmediziner so direkt angegriffen worden.

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Unterstützt wurde Klümper nicht nur von seinen Patienten, sondern auch durch einflussreiche Kreise auf verschiedenen Ebenen. Für Regierungsinteresse an der »segensreichen« Tätigkeit spricht auch, dass Klümper von 1980 bis 1996 1,23 Millionen Mark ohne Zweckbindung erhalten hatte (Sport Inside, 01.12.2014). Unterstützung erfuhr Klümper durch manche Kollegen und Athleten in der ganzen Bundesrepublik, denen er entweder Rezepte oder auch ganze Medikamentenpackungen zuschickte (Staatsarchiv Freiburg, Sachakte StA Freiburg Az: 40 a Js 175/84, Ordner BDR-Arzneimittellieferung; siehe auch Singler, 2015a). Klümper wurde nicht nur von einzelnen Sportlern als Quelle für die Versorgung vor allem mit anabolen Steroiden, sondern auch von ganzen Sportverbänden geschätzt, an allererster Stelle dem Bund Deutscher Radfahrer (Singler/Treutlein 2015a und Singler 2015a).

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Die Abschiedsjahre Klümpers

Nach seiner ersten Verurteilung nahm Klümper seine Arbeit wieder auf, aber nicht mehr innerhalb der Universität. Noch im Jahr 1989 kehrte er ihr den Rücken. Er beantragte seine Entlassung aus dem Beamtenverhältnis. Er wollte den Posten des Ärztlichen Direktors einer privaten Klinik im Mooswald übernehmen. Diese Postenübernahme war angeblich der Hauptgrund für seinen Abschied von der Universität, schuld an seinem Ausscheiden waren andere. Er erwähnte, während der Ermittlungen und während des Prozesses gegen ihn sei er vom Klinikum »in einem traurigen Maß im Stich gelassen worden« (Badische Zeitung 12.09.1989). Sein Ausscheiden könnte aber auch als Flucht vor einem drohenden Disziplinarverfahren von Universität und Land gesehen werden. Durch die Beendigung des Beamtenverhältnisses kam Klümper ungeschoren davon. Nach der Insolvenz der Mooswald-Klinik und den Skandalen und Prozessen der 1990er Jahre begann die Anzahl seiner Verteidiger kleiner zu werden und die öffentlichen Kritiken gegen ihn zuzunehmen. Eine besondere Rolle im Kampf um Sauberkeit spielte der Leitende Verbandsarzt des DLV, Dr. Karlheinz Graff (Essen), unterstützt durch den DLV-Präsidenten Prof. Dr. Helmut Digel. Im Juni 1997 erhob Graff im Fachorgan Der Leichtathlet (14.06.1997) schwere Vorwürfe gegen Klümper. Er habe vor Olympia 1996 in Atlanta zweimal massiv gegen die Anti-Doping-Bestimmungen verstoßen (in den oben genannten Fällen von Strittmatter und Hamann-Wolf; FAZ, 05.06.1997). Noch nie zuvor war ein deutscher Sportmediziner so direkt angegriffen worden.

KAPITEL 3: Armin Klümper

Der DLV attackierte Klümper frontal und warnte seine Athleten ausdrücklich davor, sich von ihm behandeln zu lassen (Leichtathlet, 14.06.1997). Es bestünden erhebliche Zweifel, dass die Athleten bei Klümper mit jenen Medikamenten behandelt würden, die gemäß den Anti-Doping-Bestimmungen erlaubt seien (FOCUS, 1997, Nr. 51). Es war der Anfang von Klümpers Ende in Freiburg. Der Freiburger Sportjournalist Strepenick veröffentlichte am 15. Juni 1999 in der Badischen Zeitung einen Artikel mit der Überschrift: »Kein ehrenvoller Abschied für Armin Klümper.« Er handelte davon, wie Ministerien, Sportbünde und Stadt den früher gefeierten und nun verfemten verdienten Sportarzt aus der Einrichtung ausschließen wollten, die einst eigens für ihn erbaut worden war. Er beschrieb zudem die Schwierigkeiten der Nachfolgeärzte, einen neuen Vertrag mit der Stadt, der Besitzerin des Gebäudes der Sporttraumatologischen Spezialambulanz, auszuhandeln. Noch am Tag der Veröffentlichung begannen Proteste. Wie immer, wenn einer der ›hoch verdienten‹ Sportärzte nicht in das ihm gebührende gleißende Licht getaucht wurde, beschwerten sich Patienten und einflussreiche Freunde umgehend. Schon die Überschrift sei eine Unverschämtheit, erklärte ein Anrufer: »Selbstverständlich wird Armin Klümper einen ehrenvollen Abschied bekommen.« Die Front der Kritiker war das eine. Schlimmer war, dass Klümper selbst beleidigt zu sein schien, weil der junge Journalist Strepenick sich geweigert hatte, eine ›Lobeshymne‹ auf ihn zu verfassen. Genau das, eine ›Lobeshymne‹, forderte Klümper später auch noch explizit in einem Brief an seine Freiburger Heimatzeitung. Diese hatte ihm diese Forderung allerdings schon seit Mitte der 1990er Jahre verwehrt. Die Journalisten der Badischen Zeitung hatten Klümpers Lügen satt. Klümper war ein glänzender Diagnostiker, ein kreativer Heiler, ein Workaholic in Weiß, aber auch ein Anwender und Experimentator von umstrittenen Methoden, ein König der Nadel und ein Medikamentenfreak. Klümper bot seinen Feinden die Stirn, er beleidigte und provozierte sie auch noch. Sich vor ihnen zu ducken war keine Option. Sie prügelten ihn und waren am Ende stärker als er. Keul war geschickter, er wich Attacken aus, pflegte sein Netzwerk und versteckte sich häufig auch einfach nur hinter Klümpers Rücken. Keul wurde dafür noch belohnt, er bekam das Bundesverdienstkreuz Erster Klasse. Klümper bekam nichts. Diejenigen, die versuchten, Klümper als Teil des Untersuchungsauftrags der Evaluierungskommission zu verhindern oder später eine möglichst umgehende Beendigung der Kommissionsarbeit verlangten, konnten also wis-

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Doping für Deutschland

sen, wie die Rolle Klümpers aussah – sie waren Mitbeteiligte. Klümper war über Jahrzehnte das Gesicht der Freiburger Sportmedizin. Als zu viel über seine Eigenwilligkeiten und Regelbrüche bekannt wurde, wurde er gnadenlos fallengelassen. Es gibt an der Universität, im Land, im Bund und im organisierten Sport immer noch Mitwisser und Mittäter, die bis heute schweigen.

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Fazit

Wenn es um Erfolg geht, wenn es um die Erfolge eines Vereins, eines Verbands oder einer ganzen Nation geht und um deren gutes Bild in der Öffentlichkeit, dann können bei maßgeblichen Personen die Sicherungen durchbrennen. Innerhalb seines Weltbildes, seiner Vorstellung von der Entwicklung des Spitzensports und von seiner eigenen Bedeutung handelte Klümper völlig rational. Damit erfüllte er auch die Erwartungen seines Umfeldes. Angesichts des großen Zuspruchs auf allen Ebenen, konnte er sich lange Zeit sicher sein, nicht nur im eigenen, sondern auch im lokalen, regionalen und sogar nationalen Interesse zu handeln. Wenn Logik-Subsysteme aufeinandertreffen, auf der einen Seite die Sieg-Niederlage-Logik des Spitzensports auf der anderen Seite die Logik von Politik oder Wissenschaft, dann setzt sich bei den handelnden Personen meist die Logik des Spitzensports durch (Bette/Schimank, 1995). Klümper und sein Umfeld sind hierfür ein gutes Beispiel. Ohne eine umfangreiche unterstützende Umgebung auf allen Ebenen hätte Klümper nie eine so wichtige Rolle spielen können. Es ist letztlich ebenso faszinierend wie erschreckend, dass sich innerhalb der Struktur einer Universität mit ihren Freiräumen, die für Forschung wichtig sind, ein Arzt, der sich zunächst als Wissenschaftler verstand, zunehmend unkontrolliert und aufgabenfremd entwickeln konnte. Der Direktor der Radiologie-Abteilung Prof. Dr. Wenz, der ab 1977 formell Klümpers Vorgesetzter war, traute sich nicht, Klümpers Aktivitäten zu überprüfen und seine Exzesse zu begrenzen. Sein Freiburger Kollege Keul war neidischer Konkurrent, aber nicht Verhinderer. Klümper wurde weder Approbation noch Professorentitel entzogen, und auch in seiner mit öffentlichem Geld erbauten Spezialambulanz durfte er bis zu seinem 65. Geburtstag unbehelligt residieren. Nur Einzelne wie Brigitte Berendonk, Werner Franke, Eberhard Munzert, Karlheinz Graff aber auch der Generalstaatsanwalt Ernst Bauer versuchten ihn zu bremsen. Im Großen und Ganzen aber wurde er als Medaillengarant gesehen. Er erfüllte die Erwartungen seiner Förderer in Politik und Sport-

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sen, wie die Rolle Klümpers aussah – sie waren Mitbeteiligte. Klümper war über Jahrzehnte das Gesicht der Freiburger Sportmedizin. Als zu viel über seine Eigenwilligkeiten und Regelbrüche bekannt wurde, wurde er gnadenlos fallengelassen. Es gibt an der Universität, im Land, im Bund und im organisierten Sport immer noch Mitwisser und Mittäter, die bis heute schweigen.

13.

Fazit

Wenn es um Erfolg geht, wenn es um die Erfolge eines Vereins, eines Verbands oder einer ganzen Nation geht und um deren gutes Bild in der Öffentlichkeit, dann können bei maßgeblichen Personen die Sicherungen durchbrennen. Innerhalb seines Weltbildes, seiner Vorstellung von der Entwicklung des Spitzensports und von seiner eigenen Bedeutung handelte Klümper völlig rational. Damit erfüllte er auch die Erwartungen seines Umfeldes. Angesichts des großen Zuspruchs auf allen Ebenen, konnte er sich lange Zeit sicher sein, nicht nur im eigenen, sondern auch im lokalen, regionalen und sogar nationalen Interesse zu handeln. Wenn Logik-Subsysteme aufeinandertreffen, auf der einen Seite die Sieg-Niederlage-Logik des Spitzensports auf der anderen Seite die Logik von Politik oder Wissenschaft, dann setzt sich bei den handelnden Personen meist die Logik des Spitzensports durch (Bette/Schimank, 1995). Klümper und sein Umfeld sind hierfür ein gutes Beispiel. Ohne eine umfangreiche unterstützende Umgebung auf allen Ebenen hätte Klümper nie eine so wichtige Rolle spielen können. Es ist letztlich ebenso faszinierend wie erschreckend, dass sich innerhalb der Struktur einer Universität mit ihren Freiräumen, die für Forschung wichtig sind, ein Arzt, der sich zunächst als Wissenschaftler verstand, zunehmend unkontrolliert und aufgabenfremd entwickeln konnte. Der Direktor der Radiologie-Abteilung Prof. Dr. Wenz, der ab 1977 formell Klümpers Vorgesetzter war, traute sich nicht, Klümpers Aktivitäten zu überprüfen und seine Exzesse zu begrenzen. Sein Freiburger Kollege Keul war neidischer Konkurrent, aber nicht Verhinderer. Klümper wurde weder Approbation noch Professorentitel entzogen, und auch in seiner mit öffentlichem Geld erbauten Spezialambulanz durfte er bis zu seinem 65. Geburtstag unbehelligt residieren. Nur Einzelne wie Brigitte Berendonk, Werner Franke, Eberhard Munzert, Karlheinz Graff aber auch der Generalstaatsanwalt Ernst Bauer versuchten ihn zu bremsen. Im Großen und Ganzen aber wurde er als Medaillengarant gesehen. Er erfüllte die Erwartungen seiner Förderer in Politik und Sport-

KAPITEL 3: Armin Klümper

politik. Beschweigen war Trumpf, man ließ Klümper gewähren. Der Kampf für sauberen Sport war etwas für die öffentliche Projektion, die Realität sah anders aus. Wie groß diese Heuchelei war, zeigen die Ergebnisse der Dissertation von Simon Krivec (2017). 31 frühere Spitzenleichtathleten – die meisten von ihnen ehemalige Klümper-Patienten, gaben gegenüber Krivec ihr Doping zu. Diese Doper fühlten sich oft unwohl in ihrer Rolle als Verletzter der Regeln. Im Gegensatz zu den Förderern und Beschweigern von Doping und Medikamentenmissbrauch riskierten die Sportler aber ihre Gesundheit oder sogar ihr Leben (wie z.B. Birgit Dressel oder Ralf Reichenbach und – ohne ihr Wissen – Christel Justen). Sie zahlten mit dem Leben für ihre Risikobereitschaft. Da sich Dopingfolgen oft erst eine ganze Reihe von Jahren später einstellen (Mahler, 2000), waren diese Sportler meist nicht sofort in der Lage, ihre gesundheitlichen Probleme mit dem früheren Doping und Medikamentenmissbrauch in Verbindung zu bringen. Klümpers diagnostischen Fähigkeiten kombiniert mit seinen Kurzzeitbehandlungserfolgen sowie sein unbestrittenes Charisma sorgten für höchst zufriedene Patienten, die ihm alle Wege öffneten. Seine Behandlungsmethoden zusammen mit dem Einsatz illegaler Mittel und Methoden bei einem Teil seiner Kunden waren an überragenden sportlichen Erfolgen beteiligt. Damit entsprachen er und seine Kunden voll und ganz den Erwartungen der Unterstützer. Nicht nur in totalitären Regimes scheint zu gelten: Je höher das Interesse des Staats an Erfolgen, desto geringer fällt die Bereitschaft zur Einhaltung von Regeln aus. Auch deswegen hörten Doping-Manipulationen nicht mit dem Fall der Mauer 1989 und der Wiedervereinigung 1990 auf. Wenn nur der Ost-West-Konflikt die Dopingursache und die DDR allein für die Dopingentwicklung verantwortlich gewesen wäre, dann hätte die Dopingproblematik mit der Wiedervereinigung erledigt sein müssen. Dies war aber nicht der Fall. Nicht eine hohe wissenschaftliche Kompetenz, die durch qualitativ hochstehende Veröffentlichungen nachzuweisen gewesen wäre, waren Grundlage für Klümpers Entwicklung innerhalb und dann außerhalb der Universität. Er befriedigte die Erwartungen der Strukturen (DLV, BDR, BMI, LSV, DSB, Öffentlichkeit): »Strukturen sind generalisierte Verhaltenserwartungen« (Bette 2011: 122), Klümper war ein Vollstrecker. Sponsoren (an Gold, Silber und Bronze orientiert), »profilneurotische Funktionäre, erfolgsabhängige Sportler und Trainer sowie an Medaillen bemessene Förderung durch den Staat verlangen nach Erfolgen um jeden Preis« (Der Spiegel, 1990: 219). Das waren das Um-

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feld und das Klima, in dem Klümper sogar in einer Universität groß werden konnte. Ohne seine Förderer und Beschweiger von Doping hätte Armin Klümper nie das werden können, was er war: Ein Guru in Weiß – ein »Geschenk« für den westdeutschen Spitzensport. Deutschland brauchte Helden und Medaillen. Klümper war an deren Produktion wesentlich beteiligt. Brigitte Berendonk (1977) hatte 1969 in der Zeit weitsichtig geschrieben »Züchten wir Monster?« – Klümper war ein wichtiger »Unterstützer« auf diesem Weg. Obwohl die wesentlichen Fakten der Geschichte Klümpers im Lauf der Jahrzehnte über Presse- und Medienberichte bereits an die Öffentlichkeit gelangten, war die Arbeit der Evaluierungskommission sinn- und wertvoll. Sie hat viele Details weitergehend aufgeklärt und Beweise von systematischem Doping Klümpers in zumindest einem ganzen Sportverband (BDR) offengelegt. Mit der Entdeckung und Auswertung vieler neuer Dokumente hat sie vor allem auch das fragwürdige und problematische Fördern und Beschweigen der Tätigkeiten Klümpers belegt. Somit wird das Versagen auf Gemeinde-, Landes- und Bundesebene im Kampf gegen Doping dokumentiert und das Versagen in der Sicherung eines sauberen Sports wird detailliert aufgezeigt. Was über die Förderung und den Schutz des »Gurus in Weiß« durch Politik, Sportpolitik, Patienten und Funktionäre spätestens seit den 1980er Jahren bekannt war, führte kaum zu Maßnahmen, die Ärzte wie Klümper gebremst oder behindert hätten. Klümper sorgte dafür, dass sich die von Politik, Sportpolitik und Öffentlichkeit erhofften Erfolge einstellten, wie in der DDR, um jeden Preis. Die Spitzenathleten ihrerseits wollten international konkurrenzfähig sein oder werden, auch um jeden Preis. Klümper erfüllte die Erwartungen der medizinischen Hilfestellung. Er und seine Mitarbeiter schrieben Rezepte, verschickten Medikamente; Ärzte und Apotheker halfen bundesweit bei der Umsetzung. Es handelte sich um eine »erwünschte Illegalität« (Bette/Schimank, 1995: 225), um ein System organisierter Unverantwortlichkeit. Für den Leistungssport Verantwortliche waren zufrieden, die über Doping erzielten Gewinne wurden privatisiert und die Kosten von Wirkung und Nebenwirkung durch Krankenkassen und mit Steuergeldern sozialisiert. Im Hochleistungssport entstand der von Hautefeuille (2009) benannte »homo syntheticus«. Dass damit gleichzeitig eine negative Vorbildwirkung für andere Leistungsniveaus und auch für das Alltagsdoping produziert wurde, interessierte nicht. Aus etwas, was einst nur von wenigen Athleten praktiziert wurde, wurde nach und nach Alltag auch außerhalb des Sports (Hautefeuille, 2009: 219ff.). Nach dem Vorbild des olympischen Mottos »citius, alti-

KAPITEL 3: Armin Klümper

us, fortius« wurden immer größere Schnelligkeit, immer größere Reichweite, immer höhere Leistungsfähigkeit und immer besseres Aussehen deklarierte gesellschaftliche Ziele. Schwarzmarkt, Sucht und Abhängigkeit sind der zu bezahlende Preis. Klümper hat wohl daran nie einen Gedanken verschwendet, kritische Geister wie Brigitte Berendonk und Werner Franke allerdings schon. Viele haben von Klümpers deviantem Handeln profitiert. Die Täter und Wissenden – Politiker, Sportpolitiker, Verbandsfunktionäre, Trainer dagegen sitzen bei Meisterschaften und anderen Großveranstaltungen auf der Ehrentribüne. Widerstand leisten gegen diese Entwicklung des Spitzensports bleibt eine Angelegenheit von wenigen. Diese gelten als »Nestbeschmutzer«, die den »guten Ruf« ihres Verbands und ihrer Sportart beschädigen. Verbände wie der Bund Deutscher Radfahrer besitzen (angeblich) kein Archiv, das als Ergänzung zu den Klümper-Akten dienen könnte. Die meisten Täter und Wissenden schweigen bis heute und stabilisieren damit die »Mauer des Schweigens«. Im Gegensatz dazu hat ein Teil der von Simon Krivec Befragten (2017) den Mut aufgebracht, ihr früheres Doping zu beschreiben und Verantwortliche zu benennen. Athleten hatten diesen Mut, im Gegensatz zum damals unterstützenden und fordernden Umfeld. Wir sehen Klümper als charismatischen Guru mit unbestreitbaren Qualitäten als Diagnostiker von Sportverletzungen und Überlastungsschäden. Er behandelte seine Patienten mit einer stupenden Polypragmasie, in dem er die von ihm betreuten Sportler noch lange nach dem durch die Sportinstanzen verhängten Verbot mit Anabolika und Steroiden versorgte. Die damit verbundenen Kurz- und Langzeitschäden nahm er dabei billigend in Kauf. Die durch Doping ermöglichten sportlichen Erfolge garantierten ihm eine de facto Immunität als Arzt, soziale und akademische Anerkennung sowie jahrelange Duldung an der Universität Freiburg. Klümper scheiterte an seiner kompromisslosen Selbstüberschätzung. Seine gesetzeswidrige Abrechnungspraxis brachte ihn schließlich zu Fall. Politiker, Sportfunktionäre und akademische Instanzen, welche Klümpers Wirken jahrzehntelang gestützt hatten, blieben unangetastet.

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Grundplan

KAPITEL 4: Forschung und Doping1

1.

Einleitung

Die Bewertung der wissenschaftlichen Aktivitäten und der Veröffentlichungen der Abteilung Sportmedizin war eine zentrale Aufgabe der Evaluierungskommission. Sowohl der lange, offizielle Name der Kommission (»Unabhängige Gutachterkommission für Evaluierung der Abteilung Rehabilitative und Präventive Sportmedizin des Universitätsklinikums Freiburg«) als auch die kurze Benennung »Evaluierungskommission« spiegeln die große Bedeutung dieser Aufgabe wider. Der manipulierte, reduzierte Auftrag, der den Kommissionsmitgliedern bei der ersten Sitzung im August 2007 mitgeteilt wurde, lautete: »Aufgabe der Kommission ist es, die Arbeit der Abteilung Rehabilitative und Präventive Sportmedizin des Universitätsklinikums Freiburg zu untersuchen und für deren Auswirkungen in der Patientenversorgung und in der Forschung eine Bewertung vorzunehmen.« Wie bereits in der Einleitung erwähnt, war den Kommissionsmitgliedern und ihrer zweiten Vorsitzenden Prof. Paoli bis 2012 nicht bewusst, dass die ursprüngliche Aufgabe der Kommission, die das Rektorat und die medizinische Fakultät im Juni 2007 vereinbart hatten, viel umfassender war. In Übereinstimmung mit dem bekannten reduzierten Auftrag hat die Evaluierungskommission der Bewertung der wissenschaftlichen Aktivitäten und Veröffentlichungen der Abteilung Sportmedizin einen erheblichen Stellenwert eingeräumt. Diese Wahl wurde auch durch die Entdeckung begünstigt,

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Die ursprüngliche Fassung dieses Kapitels enthielt weitere Passagen. Um jedoch einen drohenden Rechtsstreit mit der Universität Freiburg vorzubeugen, haben sich die Autoren dazu entschieden, Kapitel 4 an einigen Stellen zu entschärfen, zu kürzen und umzuschreiben.

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dass kaum Informationen über die »Auswirkungen in der Patientenversorgung« verfügbar waren, die gemäß dem reduzierten Auftrag den zweiten Schwerpunkt der Kommissionsarbeit darstellten. Bereits unter dem Vorsitz von Dr. Schäfer, dem Vorgänger von Prof. Paoli, erklärte sich Prof. Bengt Saltin (Universität Kopenhagen) bereit, inhaltlich die wissenschaftlichen Aktivitäten und Veröffentlichungen der Abteilung zu bewerten. Saltin, ein weltbekannter schwedisch-dänischer Physiologe und Antidopingexperte, war ein Zeitgenosse von Keul und hatte seit den 1970er Jahren die Arbeit der Freiburger Abteilung aus der Ferne verfolgt, da sein Doktorvater einen regen Austausch mit Prof. Keuls Doktorvater, dem Gründer der Freiburger Sportmedizin Prof. Herbert Reindell, pflegte. Aufgrund seiner internationalen Perspektive und seines Dienstalters war Saltin daher bestens in der Lage, die Veröffentlichungen der Abteilung für Sportmedizin seit der Gründung der Abteilung im Jahr 1974 qualitativ zu bewerten. Er konnte tatsächlich gut beurteilen, was diese Veröffentlichungen in der jeweiligen Periode zum internationalen »state-of-the-art« beigetragen hatten. Ein weiteres Kommissionsmitglied, Prof. Wolfgang Jelkmann (Universität Lübeck), wurde mit einer bibliometrischen Auswertung der sportmedizinischen Publikationen beauftragt und verfasste bereits 2008 ein 15-seitiges Gutachten, das 2016 von der Universität Freiburg auf ihrer Website »Sportmedizin und Doping« veröffentlicht wurde. Zwei andere Kommissionsmitglieder wurden 2007 separat damit beauftragt, die an der Abteilung seit ihrer Gründung (1974) abgeschlossenen Habilitationen und Doktorarbeiten zu bewerten. Prof. Wilhelm Schänzer (Deutsche Sporthochschule Köln) erstellte 2008 einen dreieinhalbseitigen Entwurf eines Gutachtens zu den an der Abteilung Sportmedizin erstellten Habilitationen. Dr. Hellmut Mahler (LKA Düsseldorf) übernahm die Analyse der über 350 zwischen 1970 und 2007 verteidigten Doktorarbeiten. Aufgrund der beträchtlichen Anzahl der Doktorarbeiten konzentrierte er sich auf jene Arbeiten, die sich mit Doping und anderen leistungssteigernden Substanzen oder Methoden befassten. Der Entwurf zu seinem Gutachten bestand aus über 20 Seiten. Weder der Text von Schänzer noch der von Mahler wurden von der Universität Freiburg veröffentlicht. Als Paoli im Dezember 2009 den Vorsitz der Kommission übernahm, bestand sie darauf, dass die Analyse von Veröffentlichungen und anderen Dokumenten durch Interviews mit gegenwärtigen und ehemaligen Mitarbeitern der Abteilung und anderen Zeitzeugen ergänzt werden müsse. Ein ehemaliger Forscher der Abteilung sprach 2010 offen mit der Kommission über die

KAPITEL 4: Forschung und Doping

fragwürdigen Forschungseinstellungen und -praktiken von Keul und mehreren anderen Abteilungsmitgliedern. Dank eines Interviews mit einem ehemaligen Doktoranden der Abteilung wurden Anfang 2011 Übereinstimmungen zwischen der Doktorarbeit von Dr. Marzenna Orlowska und der Habilitation von Prof. Hans-Hermann Dickhuth festgestellt (Spiegel, 2011). Dickhuth war ein ehemaliger Habilitand von Prof. Keul und der damalige Direktor der Abteilung. Ende Februar 2011 informierte die Kommission Rektor Schiewer über inhaltliche Überschneidungen zwischen einer Habilitation und einer Dissertation aus der Abteilung Sportmedizin. Schon am 1. März 2011 wurde der Plagiatsverdacht gegen Dickhuth öffentlich. Ein paar Tage danach fand die Presse Übereinstimmungen mit einer zweiten Dissertation, derjenigen von Dickhuths Frau (Hecker, 2011 und Rüsskamp, 2012). Diese unerwarteten Entdeckungen führten seitens der Kommission zu einer systematischen vergleichenden Analyse der 15 Habilitationen, die zwischen 1974 und 2007 in der Abteilung abgeschlossen wurden, und der dazugehörigen Doktorarbeiten. Diese vergleichende Analyse förderte verdächtige Übereinstimmungen bei fünf anderen Habilitationen zutage. Als Prof. Dr. Hans Hoppeler (Universität Bern) und Prof. Dr. Dr. Perikles Simon (Universität Mainz) als zusätzliche Kommissionsmitglieder ernannt wurden, hatte die Kommission die Expertise, die Kraft und den Willen, um eine umfangreiche vergleichende Bewertung der Veröffentlichungen, Habilitationen und wissenschaftlichen Arbeiten der Abteilung Sportmedizin durchführen zu können. Die von Simon und Hoppeler durchgeführte Analyse stützt sich ausschließlich auf Arbeiten, welche von der Abteilung Sportmedizin der Universität Freiburg veröffentlicht oder öffentlich zugänglich gemacht wurden. Die Resultate der Analyse ergab eine Reihe von Hinweisen für die Richtigkeit der Aussagen der Zeitzeugen. Dies bedeutet, dass an der Sportmedizin Freiburg nicht nur Sportler mit unerlaubten Methoden manipuliert wurden, sondern dass dies auch in einer Mehrzahl von Fällen mit wissenschaftlichen Publikationen passierte. Dieses Kapitel fasst die Hauptergebnisse der Analysen und Bewertungen zusammen. Der folgende Abschnitt enthält einige wichtige Hintergrundinformationen zur Entwicklung der Abteilung Sportmedizin unter Keul, stellt die für die Bewertung nötigen ethischen Standards vor und enthält eine kurze Zusammenfassung unserer Bewertung. Der Rest des Kapitels kann in zwei Teile unterteilt werden. Der erste Teil (Abschnitte 3 und 4) fasst die wichtigsten Ergebnisse der Analysen zusammen, die größtenteils 2008 bis 2009 durchgeführt wurden, als Schäfer noch Vorsitzender der Kommission war.

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Abschnitt 3 synthetisiert die von Saltin bzw. Jelkmann durchgeführten inhaltlichen und bibliometrischen Bewertungen der Abteilungspublikationen mit einigen Anmerkungen der letzten Kommissionsmitglieder. Abschnitt 4 fasst die wichtigsten Ergebnisse der Bewertung der Habilitationen und Doktorarbeiten zusammen. Der zweite Teil des Kapitels beschäftigt sich mit den Daten, die von der Kommission unter Paolis Leitung gesammelt und analysiert wurden. Abschnitt 5 konzentriert sich auf das Thema Habilitation und beschreibt die Entdeckung von verdächtigen Übereinstimmungen in sieben von 15 an der Abteilung angefertigten Habilitationen und Konsequenzen, welche die Universität Freiburg aus dieser Entdeckung gezogen hat. Abschnitt 6 stellt die Schlüsselaussagen des einzigen ehemaligen Abteilungsmitarbeiters vor, der offen über Keuls nachlässige Haltung zur Forschung und die wissenschaftlichen Praxen mit der Kommission gesprochen hat. Die besorgniserregenden Aussagen dieses Arztes konnten durch eine von Simon und Hoppeler durchgeführte vergleichende Beurteilung der gesamten Publikationen nicht widerlegt werden. Abschnitt 7 bespricht im Allgemein unsere Befunde, gefolgt vom Abschnitt 8, der den Umgang der Universität Freiburg mit unseren Befunden einschließlich der Pressemitteilung vom 04. Oktober 2021 zusammenfasst. Mit dieser Pressemitteilung hat die Universität bekannt gemacht, dass »kein wissenschaftlich unredliches Verhalten« bei drei Beschuldigten und nur »wissenschaftliches Fehlverhalten minderen Gewichts« bei einem weiteren Beschuldigten festgestellt werden konnte (Universität Freiburg, 2021). Aufgrund dieser Pressemitteilung und aufgrund des Persönlichkeitsschutzes verzichtet Abschnitt 7 auf die Besprechung von konkreten Beispielen, die unsere schwerwiegendsten Vorwürfe der Datenauswahl und -manipulation untermauern könnten. Das Kapitel schließt mit einem Fazit ab, das die wiederholten Verstöße gegen die wissenschaftliche Ethik innerhalb der Abteilung Sportmedizin Keuls Streben nach Erfolg in Sport und Wissenschaft um jeden Preis zuschreibt.

2.

Die Abteilung Sportmedizin im medizin- und sportethischen Umfeld

Die Abteilung Sportmedizin der Universität Freiburg entstand 1974 aus der Ausgliederung der Sportmedizin aus dem Lehrstuhl Kreislaufforschung und Leistungsmedizin der Abteilung Innere Medizin II. Dabei wurde ein Ordina-

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Abschnitt 3 synthetisiert die von Saltin bzw. Jelkmann durchgeführten inhaltlichen und bibliometrischen Bewertungen der Abteilungspublikationen mit einigen Anmerkungen der letzten Kommissionsmitglieder. Abschnitt 4 fasst die wichtigsten Ergebnisse der Bewertung der Habilitationen und Doktorarbeiten zusammen. Der zweite Teil des Kapitels beschäftigt sich mit den Daten, die von der Kommission unter Paolis Leitung gesammelt und analysiert wurden. Abschnitt 5 konzentriert sich auf das Thema Habilitation und beschreibt die Entdeckung von verdächtigen Übereinstimmungen in sieben von 15 an der Abteilung angefertigten Habilitationen und Konsequenzen, welche die Universität Freiburg aus dieser Entdeckung gezogen hat. Abschnitt 6 stellt die Schlüsselaussagen des einzigen ehemaligen Abteilungsmitarbeiters vor, der offen über Keuls nachlässige Haltung zur Forschung und die wissenschaftlichen Praxen mit der Kommission gesprochen hat. Die besorgniserregenden Aussagen dieses Arztes konnten durch eine von Simon und Hoppeler durchgeführte vergleichende Beurteilung der gesamten Publikationen nicht widerlegt werden. Abschnitt 7 bespricht im Allgemein unsere Befunde, gefolgt vom Abschnitt 8, der den Umgang der Universität Freiburg mit unseren Befunden einschließlich der Pressemitteilung vom 04. Oktober 2021 zusammenfasst. Mit dieser Pressemitteilung hat die Universität bekannt gemacht, dass »kein wissenschaftlich unredliches Verhalten« bei drei Beschuldigten und nur »wissenschaftliches Fehlverhalten minderen Gewichts« bei einem weiteren Beschuldigten festgestellt werden konnte (Universität Freiburg, 2021). Aufgrund dieser Pressemitteilung und aufgrund des Persönlichkeitsschutzes verzichtet Abschnitt 7 auf die Besprechung von konkreten Beispielen, die unsere schwerwiegendsten Vorwürfe der Datenauswahl und -manipulation untermauern könnten. Das Kapitel schließt mit einem Fazit ab, das die wiederholten Verstöße gegen die wissenschaftliche Ethik innerhalb der Abteilung Sportmedizin Keuls Streben nach Erfolg in Sport und Wissenschaft um jeden Preis zuschreibt.

2.

Die Abteilung Sportmedizin im medizin- und sportethischen Umfeld

Die Abteilung Sportmedizin der Universität Freiburg entstand 1974 aus der Ausgliederung der Sportmedizin aus dem Lehrstuhl Kreislaufforschung und Leistungsmedizin der Abteilung Innere Medizin II. Dabei wurde ein Ordina-

KAPITEL 4: Forschung und Doping

riat für Sport- und Leistungsmedizin geschaffen, welches Professor Dr. med. Josef Keul übertagen wurde. In der ursprünglichen Konfiguration verfügte diese neue Abteilung über die Stelle eines Ärztlichen Direktors, eines medizinischen Assistenten und einer medizinisch-technischen Assistentin. An Infrastruktur standen vier Arbeits- und Laborräume zur Verfügung. Die Schaffung einer eigenständigen Abteilung für Sportmedizin muss in der damaligen Sportpolitik des Landes Baden-Württemberg gesehen werden, welche auf eine verbesserte Betreuung von Leistungssportlern zielte. So erfolgten der Bau und die Einrichtung eines Gebäudes für die Abteilung Sportmedizin in den Jahren 75/76 im Wesentlichen mit Mitteln des Bundes und des Landes, unter Beteiligung der Stadt Freiburg und von Sportverbänden. Die staatliche Förderung des Leistungssports ermöglichte einen raschen Ausbau des Personalbestandes, welcher 1980 neben dem Ärztlichen Direktor, einen Oberarzt, einen Chemiker, sieben medizinischen Assistenten, vier Sekretärinnen und sieben medizinisch-technische Assistentinnen umfasste. Es kann davon ausgegangen werden, dass mehr als die Hälfte der Aufwendungen durch eingeworbene Drittmittel finanziert wurden. Die Tätigkeit der Abteilung für Sportmedizin erweiterte sich im Laufe der Zeit über die Betreuung von Leistungssportlern im Sinne einer Ambulanztätigkeit in der sportmedizinischen Rehabilitation und ganz allgemein in Richtung Prävention. Auch die Forschungstätigkeit verlagerte sich weg vom reinen Hochleistungssport. Es fand eine Profilierung in den Bereichen Herzsport, Adipositas, Diabetes Mellitus, metaboles Syndrom und Lipidmetabolismus statt. Auf Antrag der Abteilung fand deswegen 1995 eine Umbenennung in Abteilung für Rehabilitative und Präventive Sportmedizin statt. Professor Josef Keul war ein charismatischer Spiritus Rector der Abteilung für Sportmedizin der Universität Freiburg bis zu seinem krebsbedingten Dahinscheiden im Jahre 2000. Prof. Keul gehörte zu den einflussreichsten deutschen Sportmedizinern seiner Zeit. Er war leitender Arzt des deutschen Olympiateams zwischen 1972 und 2000. Keul war politisch sehr gut vernetzt und bekleidete Schlüsselfunktionen im Sport, in der Sportförderung und in der Sportwissenschaft wie im Kapitel 2 detailliert belegt. Als ehemaliger Leistungssportler sah er die Leistungsförderung als wesentliche Aufgabe der Sportmedizin. Er befürwortete grundsätzlich den kontrollierten Einsatz leistungssteigernder Pharmaka bei Männern und wies bei jeder Gelegenheit auf die »Harmlosigkeit« des »fachgerechten« Konsums von Testosteron, Nandrolon und generell Anabolika hin. Diese Überzeugung untermauerte er mit Resultaten aus eigener Forschung. Keul war damit im Einklang mit dem Zeit-

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geist der 70er Jahre, welcher der medikamentösen Beeinflussung der Leistung unkritisch gegenüberstand. Keul pflegte einen wenig zimperlichen Umgang mit eingeworbenen Geldern (vgl. Kapitel 2). Die Bewirtschaftung von zweckgebundenen, und nicht zweckgebundenen Drittmitteln sowie die Privatliquidation erfolgten in Verletzung der Dienstpflicht über ein Privatkontensystem an der Universitätsverwaltung vorbei. Erst nach Keuls Tod brachte der kommissarische Leiter, Prof. Berg, Ordnung in die Drittmittelverwaltung der Abteilung Sportmedizin und unterstellte diese den universitären Kontrollmechanismen. Für Keul hatte sein intransparentes Finanzgebaren nie Konsequenzen (Expertenkommission, 2009). Wie auch in Kapitel 2 gezeigt wird, darf davon ausgegangen werden, dass die Ära Keul an der Abteilung für Sportmedizin der Universität Freiburg durch eine verharmlosende Sorglosigkeit im Umgang mit ethischen Fragestellungen verbunden war. Im Zusammenhang mit der gut belegten Verharmlosung der Dopingproblematik muss besonders darauf hingewiesen werden, dass sich bei der Verabreichung von Pharmaka an gesunde Sportler ein medizinethischer Konflikt ergibt. Grundsätzlich ist der Einsatz von Pharmaka bei gesunden Personen medizinisch nicht vertretbar. Die medizinische Ethik schreibt vor, dass der Einsatz von Pharmaka an eine Indikationsstellung gebunden ist. Das heißt, es muss die Diagnose einer Erkrankung vorliegen, welche den Einsatz dieses Medikaments rechtfertigt. Dabei muss eine Güterabwägung stattfinden, damit die erwartete Wirkung des Medikaments dessen Nebenwirkungen rechtfertigt. Da bei einem gesunden Sportler keine »Erkrankung« vorliegt – kann auch keine Güterabwägung stattfinden und eine Medikation ist auf jedem Fall abzulehnen. Ganz sicher stellt Leistungssteigerung bei einem Gesunden keine vertretbare medizinische Indikation dar, welche einen Pharmaeinsatz rechtfertigen könnte. Keuls Verharmlosung der Nebenwirkungen verschiedenster Dopingsubstanzen ist deswegen aus medizinethischer Sicht nicht akzeptabel. Zusätzlich muss im Rahmen der Dopingproblematik auch sportethisch argumentiert werden. Der international von der WADA (World Anti-Doping Agency) durchgesetzte WADA Code definiert seit 2000 weltweit, welche Substanzen und Manipulationen von Sportlern in Einflussbereich des olympischen Sportes (IOC) nicht eingesetzt werden dürfen. Der WADA Code gibt auch vor, unter welchen Bedingungen Kontrollen durchgeführt werden können, wie sich Athleten zur Verfügung zu halten haben und welche Strafen vorgesehen sind. Die WADA und ihr komplexes Regelwerk sollen garantie-

KAPITEL 4: Forschung und Doping

ren, dass im Sport faire Verhältnisse und Chancengleichheit bestehen (level playing-field). Dabei geht es nicht allein um das Gebot der Fairness – es geht auch darum, dass nicht dopingbereite Sportler, aufgrund der Wettbewerbssituation, gezwungen sein können, verbotene und potentiell gesundheitsgefährdende Substanzen zu konsumieren. Die WADA besteht seit 1999, die Dopingproblematik ist aber viel älter. Aufgrund eines amphetaminbedingten Todesfalles an den Olympischen Spielen von Rom (Knud Jensen) fanden ab 1968 an allen Olympischen Spielen Dopingkontrollen statt. Vor der Einrichtung der WADA war es das Internationale Olympische Komitee (IOC) und die Sportverbände, welche Listen von verbotenen Medikamenten publizierten. Es ist deswegen nicht nachvollziehbar, dass Keul als Mediziner, als unbestrittene sportmedizinische Kapazität, als hochrangiger Akademiker der Universität Freiburg und nicht zuletzt als Sportfunktionär, während seiner gesamten Tätigkeit als Direktor der Sportmedizin in Freiburg, in Bezug auf Doping eine derart permissive Haltung einnahm (s. auch Kapitel 2). Wir gehen davon aus, dass sich Keul aufgrund seiner unbestrittenen Leistungen und seiner politischen sowie sportlichen Vernetzung als »unantastbar« sah. Bis zu seinem Lebensende setzte er sich ungehindert über die Regeln der Medizin- und Sportethik hinweg sowie auch über alle Regeln getreuer Geschäftsführung gegenüber seiner eigenen Universität. Es liegt deswegen nicht fern, dass Keul auch in seinem Institut den wissenschaftlichen Erfolg mit allen Mitteln suchte. Aus Zeitzeugeninterviews und unseren eigenen Analysen wissen wir, dass an der Abteilung für Sportmedizin »getrickst und gefäscht« wurde, um erwünschte Resultate zu erzeugen. Es gab, mit anderen Worten, nicht nur problematische Forschung zum Doping an Athleten durch Wissenschaftler die Topathleten betreuten; es gab auch gedopte Forschung.

3.

Inhaltliche und bibliometrische Beurteilung der Forschungstätigkeit der Sportmedizin Freiburg

Es gibt sehr unterschiedliche Möglichkeiten, wissenschaftliche Tätigkeit zu beurteilen. Eine inhaltliche Beurteilung von Forschungstätigkeit setzt eine umfassende eigene Kenntnis über den aktuellen Wissensstand des Forschungsgegenstands voraus. Eine solche inhaltliche Beurteilung ist außerordentlich anspruchsvoll und es ist selbstredend, dass dabei die Subjektivität des Untersuchers eine Rolle spielt.

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KAPITEL 4: Forschung und Doping

ren, dass im Sport faire Verhältnisse und Chancengleichheit bestehen (level playing-field). Dabei geht es nicht allein um das Gebot der Fairness – es geht auch darum, dass nicht dopingbereite Sportler, aufgrund der Wettbewerbssituation, gezwungen sein können, verbotene und potentiell gesundheitsgefährdende Substanzen zu konsumieren. Die WADA besteht seit 1999, die Dopingproblematik ist aber viel älter. Aufgrund eines amphetaminbedingten Todesfalles an den Olympischen Spielen von Rom (Knud Jensen) fanden ab 1968 an allen Olympischen Spielen Dopingkontrollen statt. Vor der Einrichtung der WADA war es das Internationale Olympische Komitee (IOC) und die Sportverbände, welche Listen von verbotenen Medikamenten publizierten. Es ist deswegen nicht nachvollziehbar, dass Keul als Mediziner, als unbestrittene sportmedizinische Kapazität, als hochrangiger Akademiker der Universität Freiburg und nicht zuletzt als Sportfunktionär, während seiner gesamten Tätigkeit als Direktor der Sportmedizin in Freiburg, in Bezug auf Doping eine derart permissive Haltung einnahm (s. auch Kapitel 2). Wir gehen davon aus, dass sich Keul aufgrund seiner unbestrittenen Leistungen und seiner politischen sowie sportlichen Vernetzung als »unantastbar« sah. Bis zu seinem Lebensende setzte er sich ungehindert über die Regeln der Medizin- und Sportethik hinweg sowie auch über alle Regeln getreuer Geschäftsführung gegenüber seiner eigenen Universität. Es liegt deswegen nicht fern, dass Keul auch in seinem Institut den wissenschaftlichen Erfolg mit allen Mitteln suchte. Aus Zeitzeugeninterviews und unseren eigenen Analysen wissen wir, dass an der Abteilung für Sportmedizin »getrickst und gefäscht« wurde, um erwünschte Resultate zu erzeugen. Es gab, mit anderen Worten, nicht nur problematische Forschung zum Doping an Athleten durch Wissenschaftler die Topathleten betreuten; es gab auch gedopte Forschung.

3.

Inhaltliche und bibliometrische Beurteilung der Forschungstätigkeit der Sportmedizin Freiburg

Es gibt sehr unterschiedliche Möglichkeiten, wissenschaftliche Tätigkeit zu beurteilen. Eine inhaltliche Beurteilung von Forschungstätigkeit setzt eine umfassende eigene Kenntnis über den aktuellen Wissensstand des Forschungsgegenstands voraus. Eine solche inhaltliche Beurteilung ist außerordentlich anspruchsvoll und es ist selbstredend, dass dabei die Subjektivität des Untersuchers eine Rolle spielt.

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Doping für Deutschland

Aufgrund der inhärenten Subjektivität einer rein inhaltlichen Beurteilung ist es heute üblich, eine bibliometrische Beurteilung einer Forschungstätigkeit durchzuführen. Dies ist in der Medizin und den Naturwissenschaften allgemein gut möglich, da alle (international) publizierten Forschungsarbeiten elektronisch erfasst werden. Diese Forschungsarbeiten werden in PubMed (US National Library of Medicine2 ), im Web of Science (Clarviate analytics3 ) oder auch in anderen elektronischen Repositorien erfasst. Die Erfassung wissenschaftlicher Arbeiten in elektronischen Repositorien dient in erster Linie dazu, diese Arbeiten bei elektronischen Suchen zugänglich zu machen. Da aber auch die Referenzlisten aller Publikationen erfasst werden, lassen sich verschiedene bibliometrisch Interessante Verbindungen erstellen. Web of Science gestattet es einfach die Zahl der Arbeiten eines Wissenschaftlers zu bestimmen (kumulativ oder gelistet nach dem Jahrgang der Publikation). Es kann aber auch angezeigt werden wie oft ein bestimmter Autor kumulativ, oder pro Jahr, von andern oder von eigenen Arbeiten zitiert wurde. Auch die Zitathäufigkeit einer Einzelarbeit lässt sich leicht ermitteln. Die Gesamtzahl der Publikationen gilt im Wesentlichen als ein Maß für die Produktivität eines Wissenschaftlers oder einer Institution. Die Zitathäufigkeit wird als Maß für die Relevanz der publizierten Forschung gesehen. Sie zeigt an, wie oft eine bestimmte Arbeit von einer fremden (oder der eigenen) Arbeitsgruppe als Grundlage für wissenschaftliche Aussagen oder für die Hypothesenbildung genutzt wurde. Die Bedeutung wissenschaftlicher Zeitschriften wird häufig mit dem sogenannten Impact Factor gemessen. Der Impact Factor wird gemessen über den Zeitraum von zwei Jahren und ist ein Maß dafür, wie häufig Arbeiten aus dieser Zeitschrift zitiert werden. Sportwissenschaftliche Zeitschriften haben typischerweise einen Impact Factor zwischen eins und etwa zehn. Die bekanntesten (multidisziplinären) Zeitschriften wie NATURE oder SCIENCE haben einen Impact Factor um 40. Es ist häufig das Bestreben eines Forschers, seine Arbeiten möglichst in Zeitschriften mit einem hohen Impact Factor zu publizieren. Zur Beurteilung der »Qualität« eines Forschers werden deswegen häufig einfach die Impact Factor-Punkte der Zeitschriften addiert, in denen dieser Forscher publiziert hat (kumulativer Impact Factor). Für eine alternative bibliometrische Beurteilung eines Einzelwissenschaftlers (allenfalls auch einer Institution) wird häufig der 2005 vom 2 3

https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/ http://apps.webofknowledge.com

KAPITEL 4: Forschung und Doping

Physiker Jorge E. Hirsch eingeführt Hirsch Index (h-Index) verwendet. Der h-Index kombiniert Publikations- und Zitathäufigkeit und gibt die Zahl der Publikationen (h) eines Autors an, welche mindestens h-mal zitiert wurden. Demzufolge besagt ein h-Index von 50, dass der betreffende Autor 50 Publikationen hat die mindestens 50mal zitiert wurden. Ein h-Index zwischen zehn und 20 ist typisch für einen Habilitanden an einer medizinischen Einrichtung einer deutschen Universität während ein h-Index zwischen 40 und 60 für einen international erfolgreichen Forscher spricht. Wie eingangs erwähnt, wurde eine kurze, hauptsächlich inhaltliche Beurteilung der Sportmedizin Freiburg 2006 von Professor Bengt Saltin (verstorben 2014) von der Universität Kopenhagen verfasst. Er erachtete die Forschung zu den Faktoren mit Bedeutung für das aerobe Leistungsvermögen bis Ende der 70er Jahre als internationales Top-Niveau. Ebenfalls als innovativ beurteilte er die Forschung zur Herzdiagnostik mit nicht-invasiven Technologien, die Trainingsforschung bei jungen und alten Menschen und die Forschung zu den Lipoproteinen bei Lebensstilveränderungen. Als von allenfalls nationaler Bedeutung sah er die Leistungsanalyse bei verschiedenen Sportarten, Arbeiten zur Rehabilitation von Herzkranken und die Forschung bei Paraplegikern. Seine zusammenfassende Beurteilung bei sieben verschiedenen Forschungsthemen der Abteilung war wie folgt: »1. Faktoren für die Bedeutung des aeroben Leistungsvermögens: Bis Ende der 70er Jahre war diese Forschung bei der SMK von internationalen Top Niveau, danach von nationalem Niveau. 2. Leistungsanalyse von verschiedenen Sportarten: deskriptive Forschung, die außerhalb Deutschland nur von geringerer Bedeutung ist. 3. Rehabilitation von Herzkranken: deskriptive Forschung, die außerhalb Deutschland nur von geringerer Bedeutung ist. 4. Der Einfluss von Training auf junge und alte Menschen: Anfangs innovativ und wichtig, mit internationaler Anerkennung. 5. Herzdiagnostik mit non-invasiven Methoden: insbesondere für den Gebrauch der Echokardiografie hat diese Forschung große Bedeutung [gehabt], allerdings ohne den früheren internationalen Standard. 6. Lipoproteine und Interaktion mit Lebensstilveränderung: gute Übereinstimmung mit internationalen Literatur ohne innovative Bedeutung. 7. Physiologie und Leistungsfähigkeit bei Paraplegikern: gute Übereinstimmung mit internationalen Literatur ohne innovative Bedeutung.«

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Saltin hielt auch fest, dass die Publikation des größeren Teils der Arbeiten der Sportmedizin Freiburg in Deutsch erfolgte, häufig als Kongressartikel oder in Zeitschriften für Lehrer und Trainer, nicht in akademischen Zeitschriften vom höheren Rang. Eine umfassendere Beurteilung der Sportmedizin Freiburg, sowohl inhaltlich als auch bibliometrisch, wurde vom Physiologen Prof. Wolfgang Jelkmann (Universität Lübeck) 2008 vorgenommen. Der Bericht von Jelkmann wurde von der Kommission 2008 und in redaktionell veränderter Form 2012 zur Kenntnis genommen. Er wurde von der Universität Freiburg 2016 auf ihrer Webpage »Sportmedizin und Doping: Aufklärungsarbeit der Universität Freiburg« veröffentlicht. Jelkmanns detaillierter Bericht, welcher die Jahre 1973 bis 2006 umfasst, basierte auf einer Publikationsliste, welche von der Abteilung für Sportmedizin zur Verfügung gestellt wurde und etwa 1.000 Publikationen umfasste. Davon waren ca. 300 Arbeiten auf PubMed gelistet und damit bibliometrisch erfassbar, da international publiziert. Jelkmann billigt der Sportmedizin Freiburg einen oberen Rang unter den universitären sportmedizinischen Einrichtungen Deutschlands zu. Er hält fest, dass die Publikationstätigkeit von 1973 bis 1994 vor allem auf Deutsch erfolgte und stark auf sportpraktische Aspekte ausgerichtet war. Der kumulative Impact Factor dieser Arbeiten war demgemäß bescheiden. Ab 1994 erfolgten die Publikationen vermehrt in internationalen in PubMed gelisteten Zeitschriften. Jelkmann hält zudem fest, dass der h-Index von Prof. Keul im Jahre 2010 bei 40 lag – was er als hoch einstufte. Prof. Jelkmann verfasste in seinem Bericht eine detaillierte Auseinandersetzung mit allen Forschungsschwerpunkten der Sportmedizin Freiburg. Diese erfolgte aufgrund von bibliometrischen Daten sowie einer sorgfältigen inhaltlichen Evaluation. Einen großen Raum nimmt dabei eine Auseinandersetzung mit den Arbeiten zur pharmakologischen Beeinflussung der körperlichen Leistungsfähigkeit ein. Jelkmann hält dabei fest, dass die Sportmedizin Freiburg eine große Anzahl an Studien zur pharmakologischen Beeinflussung der körperlichen Leistungsfähigkeit an gesunden Personen aber auch an Kaderathleten durchführte. Dabei wurden Substanzen geprüft, welche nicht auf der Dopingliste standen wie Echinacea Purpurea Presssaft (Echinacin®) oder ein Selen-Hefe-Enzym Präparat (Sanuzella®). Für diese Substanzen gibt es keine Evidenz, dass sie überhaupt eine Wirkung entfalten. Untersucht wurden auch etablierte Pharmaka wie Benzodiazepine (welche nicht auf der Dopingliste figurieren) im Rahmen der Jet-Lag Problematik an Tennisspielern, Skiläufern und Leichtathleten sowie an begleitenden Be-

KAPITEL 4: Forschung und Doping

treuern im Hinblick auf Wachheit, Reaktionsvermögen und Leistungsbreite. Diese Studien wurden unter anderem durch das Bundesinstitut für Sport (BISp), den Bund Deutscher Radfahrer und den Bundesausschuss für Leistungssport unterstützt. Eine ganze Reihe von Untersuchungen an gesunden Probanden und an Sportlern setzte sich mit der Wirkung von Beta-Blockern auseinander; eine kardioprotektive Substanzklasse, welche in verschiedenen Sportarten im Wettkampf und bei einigen wenigen Sportarten (Schießen und Bogenschießen) auch außerhalb des Wettkampfs verboten sind. Anabole androgene Steroide wurden auch mit dem Hinweis auf verbesserte Regeneration und Prävention von Schäden am Bewegungsapparat an gesunden Probanden und Sportlern eingesetzt. In einer 1976 veröffentlichten Arbeit (Keul et al. Med Klin 71: 497-503, 1976) untersucht Keul die Wirkung einer Nandrolondecanoat-Gabe über zwei Monate an zehn Normalpersonen, 15 Gewichthebern und sieben Kontrollen. Nandrolondecanoat ist ein nicht alkyliertes Steroid mit anaboler Wirkung. Es konnte eine Verbesserung der Leistungsfähigkeit bei der Fahrradergometrie um sieben Prozent bei Nandrolongabe gefunden werden. Die Erhebung von 26 biochemischen Messgrößen zeigte keine Hinweise auf pathologische Veränderungen. Auch bei einer Gruppe von sechs Gewichthebern, welche Nandrolon über drei Jahre einnahmen, wurden keine pathologischen Laborwerte festgestellt. In einer weiteren Gruppe von 52 Sportlern, welche anabole Steroide einnahmen, wurden allerdings in 31 Fällen bei oralem Konsum von alkylierten Anabolika Schädigungen und Funktionsstörungen festgestellt. Die Studie berichtet, dass sich die beobachteten Veränderungen nach Absetzen der alkylierten Steroide zurückbildeten. Zusammenfassend hält Keul 1976 in dieser vom BISp unterstützten Studie fest: »Aus medizinischer Sicht gibt es derzeit im Moment für den Mann keine gesicherten Einwände gegen die Einnahme von anabolen Hormonen.« und »Ein Verbot von anabolen Hormonen […] ist daher nicht empfehlenswert.« 1986, kurz bevor anabole androgene Steroide nicht nur im Wettkampf, sondern auch im Training verboten wurden, organisierte Keul eine multizentrische, randomisierte, plazebokontrollierte Doppelblindstudie im cross-over Design zur Wirksamkeit von Testosteronenantat (Testoviron-Depot®). Diese Studie an 14 Skilangläufern der B-Nationalmannschaft wurde durch das BISp finanziell unterstützt. Aus dieser Studie, welche keine direkt leistungssteigernden Effekte der Testosterongabe zeigte, ergaben sich eine Reihe von Dissertationsthemen und einige deutschsprachige Publikationen. Soweit die

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von Jelkmann speziell im Kontext mit Doping beschriebenen Studien aus der Sportmedizin Freiburg. Nach der Meinung der Kommission zeigen diese Studien besonders deutlich das Spannungsfeld auf, in dem sich sportmedizinische Einrichtungen befinden. Wie oben erwähnt, ist es medizinethisch nicht vertretbar hochwirksame Pharmaka an gesunden Sportlern mit dem Ziel einer möglichen Leistungssteigerung einzusetzen. Aus heutiger Sicht wären Studien, bei denen Anabolika zum Einsatz kommen, jedenfalls völlig ausgeschlossen. Die WADA verbietet bei registrierten Athleten jeglichen Einsatz von Substanzen, welche auf der Dopingliste stehen. Dies gilt auch für wissenschaftliche Untersuchungen. Anderseits beruhen viele Dopingnachweismethoden darauf, dass das Verhalten von Dopingsubstanzen im Körper von gesunden Personen bekannt ist. Robuste Kenntnisse von Urin- oder Blutkonzentrationen, Ausscheidungsverhalten und Metabolismus von Dopingsubstanzen und Dopingmethoden sind grundlegende Voraussetzungen für eine korrekte Dopingbekämpfung. Diese Informationen können nur experimentell mit gesunden Probanden generiert werden. Es bleibt dabei allerdings offen, inwieweit die so gewonnenen Erkenntnisse auch auf die Zielpopulation wettkampftauglicher Athleten anwendbar sind. Damit scheint klar, dass Forschung an Gesunden im Umfelde des Dopings immer medizin-ethisch bedenklich ist und grundsätzlich die Relevanz der Resultate bezüglich der Dopingproblematik bestreitbar bleibt. In Bezug auf die Sportmedizin Freiburg unter Keul gibt es keinen Hinweis darauf, dass eine kritische Auseinandersetzung mit den angesprochenen Fragekomplexen stattgefunden hätte.

4.

Ergebnisse der ersten Analysen der Habilitationen und Dissertationen

Laut den Angaben, die die Kommission von der Universität bekam, wurden insgesamt 15 Habilitationen in der Zeit zwischen der Gründung der Abteilung 1974 und 2007, dem Ende der Untersuchungsperiode, abgeschlossen. Diese 15 Habilitationen fallen in zwei verschiedene Zeitabschnitte. In den Jahren 1977 bis 1984 wurden sechs Habilitationen angefertigt. Zwischen 1985 und 1998 wurde keine Habilitation abgeschlossen. Von 1999 (ein Jahr vor Keuls Tod) bis 2007 wurden neun weitere Habilitationsarbeiten erfolgreich abgeschlossen.

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von Jelkmann speziell im Kontext mit Doping beschriebenen Studien aus der Sportmedizin Freiburg. Nach der Meinung der Kommission zeigen diese Studien besonders deutlich das Spannungsfeld auf, in dem sich sportmedizinische Einrichtungen befinden. Wie oben erwähnt, ist es medizinethisch nicht vertretbar hochwirksame Pharmaka an gesunden Sportlern mit dem Ziel einer möglichen Leistungssteigerung einzusetzen. Aus heutiger Sicht wären Studien, bei denen Anabolika zum Einsatz kommen, jedenfalls völlig ausgeschlossen. Die WADA verbietet bei registrierten Athleten jeglichen Einsatz von Substanzen, welche auf der Dopingliste stehen. Dies gilt auch für wissenschaftliche Untersuchungen. Anderseits beruhen viele Dopingnachweismethoden darauf, dass das Verhalten von Dopingsubstanzen im Körper von gesunden Personen bekannt ist. Robuste Kenntnisse von Urin- oder Blutkonzentrationen, Ausscheidungsverhalten und Metabolismus von Dopingsubstanzen und Dopingmethoden sind grundlegende Voraussetzungen für eine korrekte Dopingbekämpfung. Diese Informationen können nur experimentell mit gesunden Probanden generiert werden. Es bleibt dabei allerdings offen, inwieweit die so gewonnenen Erkenntnisse auch auf die Zielpopulation wettkampftauglicher Athleten anwendbar sind. Damit scheint klar, dass Forschung an Gesunden im Umfelde des Dopings immer medizin-ethisch bedenklich ist und grundsätzlich die Relevanz der Resultate bezüglich der Dopingproblematik bestreitbar bleibt. In Bezug auf die Sportmedizin Freiburg unter Keul gibt es keinen Hinweis darauf, dass eine kritische Auseinandersetzung mit den angesprochenen Fragekomplexen stattgefunden hätte.

4.

Ergebnisse der ersten Analysen der Habilitationen und Dissertationen

Laut den Angaben, die die Kommission von der Universität bekam, wurden insgesamt 15 Habilitationen in der Zeit zwischen der Gründung der Abteilung 1974 und 2007, dem Ende der Untersuchungsperiode, abgeschlossen. Diese 15 Habilitationen fallen in zwei verschiedene Zeitabschnitte. In den Jahren 1977 bis 1984 wurden sechs Habilitationen angefertigt. Zwischen 1985 und 1998 wurde keine Habilitation abgeschlossen. Von 1999 (ein Jahr vor Keuls Tod) bis 2007 wurden neun weitere Habilitationsarbeiten erfolgreich abgeschlossen.

KAPITEL 4: Forschung und Doping

Im Gutachten von Prof. Schänzer (2008) werden die Habilitationen wie folgt aufgelistet: Zeitraum 1977 bis 1984: • • •



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Dr. Wilfried Kindermann (1977): Metabolische Azidose – Ihre Bedeutung unter physiologischen und pathologischen Bedingungen Dr. Gerrit Simon (1979): Echokardiographie zur Funktionsbeurteilung des Herzens Dr. Joachim Staiger (1981): Echokardiographische Untersuchung zur Struktur und Funktion des Hypertrophieherzens bei Sportlern und Patienten mit Kardiomyopathie sowie koronarer Herzerkrankung Dr. Manfred Lehmann (1981): Plasmakatecholamine in Beziehung zu verschiedenen metabolischen und kardiozirkulatorischen Größen bei Gesunden und Kranken in Ruhe und bei körperlicher Belastung Dr. Aloys Berg (1982): Lipoproteincholesterin und körperliche Aktivität Dr. Hans-Hermann Dickhuth (1983): Ein- und zweidimensionale Echokardiographie zur Beurteilung der physiologischen und pathologischen Herzhypertrophie

Zeitraum 1999 bis 2007: •

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Dr. Martin Halle (1999): Einfluss von körperlicher Aktivität, körperlicher Fitness und Körperkomposition auf Lipoproteine und assoziierte Entzündungsmediatoren Dr. Martin Huonker (1999): Physiologische und pathologische Interaktionen zwischen dem Herzen und dem arteriellen Gefäßsystem Dr. Andreas Schmid (2001): Kardiozirkulatorische, metabolische und hormonelle Parameter von querschnittsgelähmten Menschen unterschiedlicher Läsionshöhe in Ruhe und unter Belastung Dr. Arno Schmidt-Trucksäss (2002): Physiologische und pathologische Eigenschaften arterieller Leitgefäße – Erfassung und Beschreibung mit nicht-invasivem Ultraschall Dr. Manfred Baumstark (2004): Struktur und Funktionsbeziehung des polydispersen Systems der Low-density-Lipoproteine Dr. Daniel König (2005): Plasmatische Fettsäurezusammensetzung und metabolische Risikokonstellation

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Dr. Yorck Olaf Schumacher (2005): Hämatologisches Profiling im Spitzensport – ein neuer Ansatz in der Doping-Bekämpfung Dr. Ulrike Korsten-Reck (2006): Ergebnisse eines ambulanten Interventionsprogramms (FITOC) zur Therapie der Adipositas im Kindes- und Jugendalter Dr. Peter Deibert (2007): Aktuelle Konzepte zur Therapie der portalen Hypertonie und assoziierter Komplikationen.

Schänzer bewertete nicht die Qualität der Habilitationen. Die fachliche Bewertung wurde auch später nicht möglich. Trotz wiederholter Anfragen Paolis ab 2012 und wiederholten Versprechungen des Rektors Schiewer, lieferte die Universität nie die Fachgutachten der an der Abteilung Sportmedizin vorgelegten Habilitationen (Paoli, 2014: 40-41). Bei der Habilitation von Dr. Schumacher machte Schänzer allerdings eine wichtige Anmerkung: »Problematisch ist natürlich, dass gerade Kenntnisse von analytischen Methoden zur Aufdeckung von Dopingpraktiken von denen, die Sportler betreuen und die Anwendung nicht erlaubter Praktiken verschleiern wollen, benutzt werden können, um durch gezielte Manipulationen wie Infusionen und Hämodilatationen Blutwerte so zu manipulieren, dass sie innerhalb der möglichen physiologischen Schwankungen bleiben. Eine deutliche Trennung von Forschungen zum Nachweis bzw. Aufdecken von Dopingmaßnahmen und der Betreuung von Spitzensportlern wäre deshalb erforderlich und dringend einzuhalten.« Diese Bedenken waren nicht hypothetisch, sondern sehr brisant, da Dr. Schumacher in dieser Zeit Arzt der Deutschen Radsport-Nationalmannschaft war. Dr. Mahlers Analyse der an der Abteilung angefertigten Dissertationen wurde von ähnlichen Sorgen inspiriert. Wie er in seinem Entwurfsgutachten schrieb: »Die Evaluation erfolgte vor allem unter dem Gesichtspunkt der Fragestellung, ob die Gutachter bei der Prüfung der durchgeführten Arbeiten Tendenzen für ein Versagen der Leitung des Instituts für Sportmedizin aus wissenschafts-ethischer Sicht bzw. eine nicht tolerierbare Nähe der Arbeiten zu Doping oder entsprechend geächteten Praktiken im Sport hätten erkennen können.«

KAPITEL 4: Forschung und Doping

2008 sichtete Mahler an fünf Tagen etwa 360 Dissertationen. Davon wurden 50 Dissertationen vollständig durchgesehen. 30 der Titel, welche angesichts des Titels bzw. einer einsehbaren Zusammenfassung als nicht prüfungsrelevant/nicht entscheidend für das abschließende Urteil des Evaluierenden erschienen, wurden aus Zeitgründen von der Evaluation ausgenommen. Somit wurden insgesamt 330 Dissertationen evaluiert. Aufgrund diverser Ungereimtheiten und Auffälligkeiten bei manchen Dissertationen bei noch unbeantworteten Fragestellungen hatte er sein Gutachten gegenüber der Universität weder freigegeben noch liquidiert. Bei dieser Evaluation stellte Mahler (2008) eine häufige und problematische Konzentration auf Dopingmittel gerade bei vielen von Keul betreuten Dissertationen fest: »Zusammenfassend ist festzuhalten, dass Forschungsarbeiten, die von Prof. Keul geleitet wurden, überdurchschnittlich häufig kritikwürdige Inhalte und Ziele aufweisen, die zumindest in Teilen durch eine Kontrollinstanz hätten gesehen und kontrolliert werden können. Der Tenor der Arbeiten ist nicht selten durch eine Verharmlosung von Dopingpraktiken gekennzeichnet und könnte als Indiz für eine unangemessen unkritische Betrachtungsweise durch die Institutsleitung gesehen werden.« Mahler (2008) beschreibt aber Verbesserungen seit Keuls Tod: »Seit dem Übergang von Prof. Keul zu Prof. Berg als Erstgutachter ist die deutliche Tendenz zu Dissertationen erkennbar, welche weder im Titel noch bei eingehender Prüfung eine Eignung zu Dopingzwecken erkennen lassen bzw. eine Tendenz zur Verharmlosung von Dopingverhalten und Dopingwirkungen bzw. -schäden widerspiegeln. Vielfach dienen sie, selbst wenn medikamentös orientiert, offenbar vermehrt gezielt der Erforschung von REHAMaßnahmen in der Sport- und Unfallmedizin […], so dass sich hier für diese späteren Arbeiten der erste Eindruck einer wissenschaftlich begründbaren und vorbehaltlos dopingfernen Vorgehensweise ergibt. Sollten Studien mit eventuell leistungssteigernden Substanzen vorgenommen werden, wurde seit den letzten Jahren auch sehr genau geschildert, ob die Substanzen […] in eine Dopingkategorie (nicht in der Liste verbotener Wirkstoffgruppen) gehören. Derartige Substanzen waren/sind in der rehabilitativen Medizin weit verbreitet und in Wert und Anwendung weitestgehend unstrittig.  

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Häufig ist Prävention und Vorsorge […] Gegenstand der Dissertationen, wobei Nahrungsergänzungsmittel […] nicht ausgelassen werden und die Ergebnisse nicht nur hochleistungsorientierten Sportlern, sondern auch einer breiten Öffentlichkeit zugutekommen dürften.« Laut diesem Entwurfsgutachten zeichneten sich auch die Arbeiten unter Prof. Klümper häufiger als die unter Keul durch ein differenzierteres Bild von Medikamenten mit ausführlicher Nennung von unerwünschten Wirkungen aus (u.a. Cortison und NSA). Der Fokus lag auch häufiger auf traumatologischen und konservativen Verfahren. Deshalb konkludierte Mahler: »Hier ist nach einer ersten Inaugenscheinnahme ein Bezug zu Doping bzw. dopingfreundlicher Einstellung nicht offensichtlich, weshalb ein offensichtliches Versagen universitärer Kontrollorgane für Arbeiten unter Prof. Klümper nicht gesehen werden kann.« Mahler (2008) fügte hinzu, dass die festgestellten Tendenzen allerdings durchaus auch in den jeweiligen geschichtlichen und somit gesellschaftlichen Kontext gesetzt werden sollten. »Dies«, schrieb er, »relativiert nicht so sehr die Feststellung des Berichts, sondern eher die daraus folgende Bewertung.« Bei vielen Arbeiten führte er aber weiter, dass die Probleme nicht nur auf die Wahl von Doping-relevante Themen zu reduzieren waren und forderte deshalb die Prüfung der vollständigen Unterlagen der Ethikkommission. Verschiedene Auffälligkeiten nährten seine Zweifel an einem einwandfreien Vorgehen. Unter anderem bemerkte er: »– Teilweise deutliche Unterschiede zwischen Titel und Inhalt bestimmter Doktorarbeiten; – Teilweise Arbeiten mit Zielsetzungen, welche dem damaligen Wissensstand nicht ausreichend Rechnung getragen haben (z.B. Gegenstand der Forschung ist längst bekannt bzw. widerlegt) – ohne Nennung entsprechender Begründungen, weshalb solche Arbeiten dennoch durchgeführt werden sollten; – Teilweise Arbeiten, bei denen ein zum damaligen Zeitpunkt bekanntermaßen hohes Risiko für die Gesundheit der Probanden eingegangen wurde, wobei der zu erwartende Erkenntnisgewinn in keiner ausreichenden Relation zur tatsächlichen Gefährdung gestanden haben könnte. – Teilweise Arbeiten, bei denen identische Probandenkollektive verwendet wurden, ohne dass Querverweise auf die verwandte Arbeit gemacht wurden, selbst dann wenn die Ergebnisse nicht im Einklang mit denen der anderen Arbeit standen.« (Mahler, 2008)

KAPITEL 4: Forschung und Doping

5.

Plagiatsverdacht und Plagiatsfälle bei Habilitationen und Dissertationen

Wie oben erwähnt, führte eine der von Paoli organisierten Zeitzeugeninterviews eher zufällig zu der Entdeckung verdächtiger Übereinstimmungen zwischen der Doktorarbeit von Dr. Marzenna Orlowska und der Habilitation von Prof. Hans-Hermann Dickhuth. Nachdem zuerst die Presse und dann die Universität Freiburg weitere Plagiatsverdachte in Dickhuths Habilitation entdeckten, begannen diverse universitäre Gremien (die Untersuchungskommission zur Sicherung der Redlichkeit in der Wissenschaft, der Beauftragte für die Selbstkontrolle in der Wissenschaft sowie der Promotions- und Habilitationsausschuss der Medizinischen Fakultät der Universität Freiburg) ihre Nachforschungen; zur gleichen Zeit leitete das Rektorat ein Disziplinarverfahren gegen Dickhuth ein. Die Evaluierungskommission wurde bei diesen Nachuntersuchungen nicht involviert. Nach langen und aufwändigen Prüfungen stellten diese Gremien Übereinstimmungen zwischen der Habilitation von Prof. Dickhuth und sechs der von ihm betreuten Dissertationen fest. Die Evaluierungskommission wurde offiziell über diese Ergebnisse nie informiert. Laut der Presse waren 65 der 75 Seiten von Dickhuths Habilitation betroffen. Der Habilitationsausschuss der Universität Freiburg entzog ihm im Oktober 2013 die Habilitation, weil er diese »mit unlauteren Mitteln« erlangt habe. Der ehemalige Leiter der Freiburger Abteilung Sportmedizin ging daraufhin gerichtlich gegen die Universität Freiburg vor. Im September 2014 wurde der Konflikt so gelöst, dass Dickhuth seinen Einspruch zurücknahm, während die Universität Freiburg von der Fortsetzung des Disziplinarverfahrens absah. Dickhuth war damit »Ruhestandsbeamter« und – trotz Habilitationsentzug – weiterhin berechtigt, den Titel »Professor« zu führen. Bei der Ankündigung dieser »Abmachung« erklärte Rektor Schiewer, dass kein »schweres Dienstvergehen« »trotz der im Habilitationsverfahren festgestellten Verstöße« im Fall Dickhuth vorlag. Er führte dann weiter aus, dass Hans-Hermann Dickhuth »seit seiner Berufung an die Universität Freiburg im Jahr 2002 seine Dienstpflichten als Professor einwandfrei erfüllt hat« (Himmelrath und Horstkotte, 2014). Die Entdeckung eines Plagiatsverdachts in Dickhuths Habilitation veranlasste Paoli im Laufe der Jahre 2011 und 2012 zu einer systematischen und vergleichenden Analyse der 15 Habilitationen und der dazugehörigen Doktorarbeiten. Bei dieser Analyse fand sie verdächtige Übereinstimmungen bei fünf

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weiteren Habilitationen, die sie umgehend 2011 und 2012 an den Rektor und an die zuständigen Gremien der Universität Freiburg meldete. Trotz mehrerer Anfragen an Rektor Schiewer, dem Beauftragten für die Selbstkontrolle in der Wissenschaft, Prof. Wahl, und dem Vorsitzenden der Untersuchungskommission zur Sicherung der Redlichkeit in der Wissenschaft, Prof. Lernhart, konnte Paoli nur erfahren, dass die Verfahren zu drei der fünf weiteren Habilitationen vor dem Habilitationsausschuss anhängig waren. Zwei andere ihrer Verdachtsfälle wurden in der Korrespondenz nicht mehr erwähnt. Paoli wurde auch nicht mehr über das seit Mai 2013 anhängige Verfahren zur Habilitation von Prof. Dr. Ulrike Korsten-Reck informiert (Paoli, 2014: 41-46). Diese zusätzlichen Verdachtsfälle wurden dank eines anonymen Hinweises bekannt. Paoli hatte diese Fälle nicht entdeckt, weil die später festgestellten Übereinstimmungen zum großen Teil die Dissertation der Tochter von Korsten-Reck betrafen, die an der Deutschen Sporthochschule Köln eingereicht worden war. Erst im Herbst 2014 wurden laut dem Spiegel vier der betroffenen Professoren darüber informiert, dass ihre Arbeiten unter Plagiatsverdacht standen. Die Universität erklärte Mitte Oktober 2014 gegenüber dem Spiegel (Ludwig, 2014), dass alle bekannt gewordenen Verfahren in den entsprechenden Gremien behandelt würden und dass die Mehrzahl der Fälle wegen des »als maßstabsbildend betrachteten Verfahrens Prof. Dr. Dickhuth zurückgestellt bzw. ausgesetzt und mittlerweile wieder aufgegriffen« worden seien. Am 11. Dezember 2014 beriet der Habilitationsausschuss der Medizinischen Fakultät der Universität Freiburg bei diesen vier Habilitationen über Vorwürfe von Verstößen gegen die Redlichkeit in der Wissenschaft und gab die folgenden Entscheidungen bekannt: 1. Bei der Habilitation von Prof. Dr. Arno Schmidt-Trucksäss und Prof. Dr. Joachim Staiger konnte der Ausschuss kein Fehlverhalten erkennen. 2. Die Habilitation von Prof. Dr. Ulrike Korsten-Reck wurde durch die Fakultät zurückgenommen, weil sie »mit unlauteren Methoden erlangt wurde«. Der Habilitationsausschuss begründete die Entscheidung folgendermaßen: »Der Vergleich der Habilitationsschrift von Prof. Dr. Korsten-Reck mit zwei Dissertationen ergab erhebliche quantitative und qualitative textliche Übereinstimmungen. Neben wörtlichen Übereinstimmungen in den Einleitungen mit beiden Dissertationen sowie in den Material- und Methodenteilen (bei einer Dissertation), findet sich so gut wie das gesamte in einer der beiden Dissertationen enthaltene Kapitel

KAPITEL 4: Forschung und Doping

über Langzeituntersuchungen text-, tabellen- und abbildungsidentisch in der Habilitationsschrift von Prof. Dr. Korsten-Reck. Die festgestellten Übereinstimmungen sind, insbesondere aufgrund der Übereinstimmung im Ergebnisteil und in der Diskussion, als erheblich einzustufen.« 3. Die Fakultät untersuchte die Habilitation von Prof. Dr. Yorck Olaf Schumacher nicht, weil er im Vorfeld der Überprüfung seine Habilitation selbst zurückgegeben hatte. 4. Sie überprüfte auch nicht die gegen Prof. Dr. Gerrit Simon erhobenen Vorwürfe, da dieser bereits im Jahr 2001 gestorben war. Zu zwei weiteren Habilitationen, bei denen die Evaluierungskommission Übereinstimmungen mit Dissertationen gefunden hatte, äußerte sich der Habilitationsausschuss der Medizinischen Fakultät der Universität Freiburg nicht und es ist unklar, ob eine Überprüfung überhaupt stattgefunden hat. Alle Doktoranden behielten ihren Doktorgrad. Die Entdeckung von Unregelmäßigkeiten in der Habilitation Dickhuths durch die Kommission löste unbeabsichtigt eine hitzige Debatte über Habilitationen in der Freiburger universitären Medizin aus. Laut Köppelle (2014) und anderen war es bis in die 1980er Jahre hinein in Medizinerkreisen Usus, ein Thema durch mehrere Personen bearbeiten zu lassen, die die Forschungsergebnisse dann in Dissertationen und einer Habilitationsschrift mehrfach ohne Quellenangabe verwerteten. In der Tat wurden in diesen Jahren durch VroniPlag, eine Software zur Ermittlung von Plagiaten, mehrere Plagiatsfälle an deutschen medizinischen Fakultäten dokumentiert (z.B. Oestmann, 2015). Für andere Beobachter war es nicht mehr zu rekonstruieren, wer von wem Textteile und Daten übernommen hatte (Himmelrath und Horstkotte, 2014). Obwohl nicht alle Beobachter einschließlich der Deutschen Forschungsgemeinschaft mit dieser letzten These einverstanden waren (Brendler 2012), benutzen einige diese, um zu argumentieren, dass Dickhuth einem »Schauprozess« unterworfen war. Laut diesen Stimmen brauchte die Universitätsleitung ein »Bauernopfer« für das im Dopingsumpf steckende Freiburger Klinikum und sie wollte mit dem Verfahren das baden-württembergische Wissenschaftsministerium von ihrem Aufklärungswillen überzeugen (Scharnagl, 2014). Um Dickhuths Ruf zu verteidigen, begann der pensionierte Publizist Hermann Scharnagl Habilitationen bekannter Freiburger Mediziner zu überprüfen. Er erstellte eine Liste von 19 medizinischen Habilitationsschriften und 33 medizinischen Dissertationen, in denen »Professoren teils Texte und Ab-

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bildungen von Doktoranden »unzitiert« übernommen haben, und umgekehrt 33 Doktoranden aus den entsprechenden Habilitationsschriften abgeschrieben haben« (Köppelle, 2014 und Scharnagl, 2014). Diese Liste legte er auch dem baden-württembergischen Wissenschaftsministerium vor. Unter anderem wurde hier Jörg-Rüdiger Siewert aufgeführt, der Leitende Ärztliche Direktor des Uniklinikums Freiburg, der Anfang der 1970er Jahre seine Habilitationsschrift an der Universität Göttingen eingereicht hatte. Laut Scharnagl ergaben sich bei Siewert »vollständige Textidentitäten« und zwar »im Methodenteil, Ergebnisteil und in der Diskussion« mit der Dissertation des damaligen Doktoranden, Hans-Fred Weiser, der inzwischen Präsident des Verbands der Leitenden Krankenhausärzte geworden war. Ein vom Rektor der Universität Freiburg auf Bitten Siewerts eingesetztes Dreiergremium befand nach Überprüfung der Habilitationsschrift, es bestehe »kein Anfangsverdacht wissenschaftlichen Fehlverhaltens«. Allerdings wurden Zweifel an der Neutralität des Dreiergremiums geäußert, da ein Mitglied Siewert dienstrechtlich direkt unterstellt war und ein weiteres Mitglied Siewert nahestand. Im Januar 2015 äußerte das Ombudsgremium der Universität Göttingen »einen Anfangsverdacht wissenschaftlichen Fehlverhaltens«, dem jedoch letztlich nicht weiter nachgegangen wurde, da im Juni 2015 von weiteren Untersuchungen abgesehen wurde. Diese Vorgehensweise führte in der Presse zu Kritik. Gemäß Recherchen des Handelsblatts beruhte der Freispruch angeblich auf einer fragwürdigen Beweislage. Obgleich der damalige Dekan der Medizinischen Fakultät Göttingen die Bedeutung von Transparenz in dem Verfahren betont hatte, wurde das Gutachten der Universität Göttingen nicht veröffentlicht (Keuchel, 2015).

6.

Eine Insider-Perspektive

Die von Paoli bei der Universitätsleitung durchgesetzten Befragungen gaben nicht nur den Anstoß zur Entdeckung der Plagiatsverdächtigungen, sondern sie gaben auch Einblick in Keuls problematische Herangehensweise an wissenschaftliche Forschung und die daraus resultierenden Forschungspraktiken der Freiburger Abteilung Sportmedizin. Ein ehemaliger Mitarbeiter der Freiburger Abteilung Sportmedizin, der dort als Arzt von 1986 bis 1996 tätig war, sprach offen mit der Evaluierungskommission darüber. Der Zeitzeuge betonte zuerst die praktische Hochleistungssport-Orientierung der Forschungsaktivitäten unter der Leitung von Prof. Keul und

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bildungen von Doktoranden »unzitiert« übernommen haben, und umgekehrt 33 Doktoranden aus den entsprechenden Habilitationsschriften abgeschrieben haben« (Köppelle, 2014 und Scharnagl, 2014). Diese Liste legte er auch dem baden-württembergischen Wissenschaftsministerium vor. Unter anderem wurde hier Jörg-Rüdiger Siewert aufgeführt, der Leitende Ärztliche Direktor des Uniklinikums Freiburg, der Anfang der 1970er Jahre seine Habilitationsschrift an der Universität Göttingen eingereicht hatte. Laut Scharnagl ergaben sich bei Siewert »vollständige Textidentitäten« und zwar »im Methodenteil, Ergebnisteil und in der Diskussion« mit der Dissertation des damaligen Doktoranden, Hans-Fred Weiser, der inzwischen Präsident des Verbands der Leitenden Krankenhausärzte geworden war. Ein vom Rektor der Universität Freiburg auf Bitten Siewerts eingesetztes Dreiergremium befand nach Überprüfung der Habilitationsschrift, es bestehe »kein Anfangsverdacht wissenschaftlichen Fehlverhaltens«. Allerdings wurden Zweifel an der Neutralität des Dreiergremiums geäußert, da ein Mitglied Siewert dienstrechtlich direkt unterstellt war und ein weiteres Mitglied Siewert nahestand. Im Januar 2015 äußerte das Ombudsgremium der Universität Göttingen »einen Anfangsverdacht wissenschaftlichen Fehlverhaltens«, dem jedoch letztlich nicht weiter nachgegangen wurde, da im Juni 2015 von weiteren Untersuchungen abgesehen wurde. Diese Vorgehensweise führte in der Presse zu Kritik. Gemäß Recherchen des Handelsblatts beruhte der Freispruch angeblich auf einer fragwürdigen Beweislage. Obgleich der damalige Dekan der Medizinischen Fakultät Göttingen die Bedeutung von Transparenz in dem Verfahren betont hatte, wurde das Gutachten der Universität Göttingen nicht veröffentlicht (Keuchel, 2015).

6.

Eine Insider-Perspektive

Die von Paoli bei der Universitätsleitung durchgesetzten Befragungen gaben nicht nur den Anstoß zur Entdeckung der Plagiatsverdächtigungen, sondern sie gaben auch Einblick in Keuls problematische Herangehensweise an wissenschaftliche Forschung und die daraus resultierenden Forschungspraktiken der Freiburger Abteilung Sportmedizin. Ein ehemaliger Mitarbeiter der Freiburger Abteilung Sportmedizin, der dort als Arzt von 1986 bis 1996 tätig war, sprach offen mit der Evaluierungskommission darüber. Der Zeitzeuge betonte zuerst die praktische Hochleistungssport-Orientierung der Forschungsaktivitäten unter der Leitung von Prof. Keul und

KAPITEL 4: Forschung und Doping

Keuls Versuche, solche Aktivitäten als Grundlagenforschung zu »verkaufen«. Als dieser ihn aufforderte mehr zu publizieren, antwortete der Zeitzeuge: »Herr Keul, mit dem, was ich mache, ich werd’ jetzt hier grad Internist, und mit dem was ich hier mache für Sie kann ich nicht publizieren. Das ist Spitzensport, das ist keine Grundlagenforschung. Und das ist Mumpitz, das ist unwissenschaftlich.« (Zeitzeugeninterview 8) Keuls Antwort ließ keine Zweifel über seine Haltung: »›Man muss auch mal Dinge publizieren, zu denen man nicht so steht‹, d.h. eine Aufforderung zum Pfuschen.« (Zeitzeugeninterview 8) Der Zeitzeuge gab dann weiter an, dass »Daten getürkt wurden. Das waren Datensätze, die waren gar nicht verwertbar, und die wurden dann getürkt, das wurde so gemacht. Das Ergebnis stand fest. Das war die Regel!« Zum Beweis erzählt er eine Episode, die seine eigene Doktorarbeit betrifft: »Ich weiß noch, ich war relativ jung, ich war im Urlaub, dann kommt der ZZ in meiner Abwesenheit, geht in mein Zimmer, holt die Doktorarbeit raus, legt mir ein Paper vor und sagt: ›Das hab ich publiziert, und du trägst beim Kardiologenkongress vor‹. Da sehe ich: n=50. Meine Arbeit hatte n=43. Da sagt er: ›Ja, 25 passen da rein, die hab ich mir rausgesucht, aus 43 such ich mir 25 raus und das mal zwei sind 50. Damit fälsche ich das Ergebnis nicht, aber ich gewichte es‹.« (Zeitzeugeninterview 8) Die Reaktion von Keul ließ keinen Zweifel daran, dass diese doppelte Datenmanipulation – Datenselektion und Verdoppelung – in seinem Sinne war: »dann bin ich damit zu Keul und hab gesagt: ›Herr Keul, was mach ich jetzt hier, ich kann mich doch da nicht hinstellen und sagen ›n=50‹«. Und da ist er, ›da gibt’s ja nichts, und außerdem, da machen Sie sich mal nicht so viele Gedanken‹ und was weiß ich. Da bin ich da angetreten. […] Ich hab da so eine Grafik damals gemacht, um also so, so Untergruppen zu bilden. Und man sieht, das sind immer grade Zahlen. Da ist keine ungrade Zahl (da)bei, nicht. […] egal, wie man das macht, es ist einfach alles verdoppelt worden.« (Zeitzeugeninterview 8) Der Zeitzeuge gab auch an, dass die Praxis von XX besonders nachlässig war: »XX ist habilitiert. Der ist Professor, hat in Katecholaminen habilitiert. Soviel ich weiß, n=25, seine Arbeit, und aufgrund dieser Geschichten werden inzwischen Katecholaminen-, oder wurden Katecholaminenbestimmungen in der ganzen Klinik gemacht. […] er hat eine Messmethode wohl entwickelt, und

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hat auch publiziert und hat auch irgendwelche Normbereiche publiziert, wo wir uns nur immer gewundert haben, dass die so eine große Streubreite hatten, und wo die doppelte Standardabweichung genommen wurde, die, wo dann Minuswerte standen, also Minus-Katecholaminenkonzentrationen waren da mit dabei, das hat aber keinen interessiert. […] Und über einen anderen Habilitanden: Als er nach Ulm ging, hat man in seinem Büro einen Datensatz von fünf Patienten gefunden. Von fünf. […] Von dem weiß ich das, weil der das Labor übernommen hat. Und der hat’s mir gesagt. Dass der XX pfuscht, wussten wir alle, das war Alltag. Das war Alltag. Das war, das war, was weiß ich, so wie da die Bäume stehen, hat der XX gepfuscht, so selbstverständlich war das.« (Zeitzeugeninterview 8) Bei der privaten Drittmittelforschung war der Standard besonders niedrig. Und um die Abteilung in ihrer Größe zu behalten, machten die Abteilungsmitarbeiter unter Keuls Leitung »sehr viel Drittmittel-Studien, sehr, sehr viele. Und, also, für Unterhosen, für Bananen, für Müsli (Lachen), kein Witz« (Zeitzeugeninterview 8). Als eines von zahlreichen Beispielen führt der Zeitzeuge die sogenannte Weißweinstudie an. Diese Studie wurde im Auftrag des Weinwirtschaftsverbands von Baden durchgeführt, nachdem die angeblich gesundheitsfördernde Wirkung von Rotwein in der Öffentlichkeit besprochen wurde. »Dann waren die Weißweinhersteller beleidigt und haben bei Keul eine Studie aufgesetzt, damit Weißwein auch gesund ist.« (Zeitzeugeninterview 8) Die Abteilungsmitarbeiter mussten beweisen, dass Weißwein mindestens so gesund ist wie Rotwein. Bei dieser Studie fungierte das Personal der Abteilung auch als Versuchspersonen. Der Zeitzeuge erinnerte sich »dann musste jeder der Versuchspersonen aus dem Mitarbeiterkreis da-, der Versuchsleiter war zugleich auch Versuchsperson, eh, ein gewisses Quantum an Weißwein trinken, pro Tag […] und ich musst von einer Literpackung so viel austrinken, pro Tag« (Zeitzeugeninterview 8). Seiner Meinung nach wurden die Messungen nicht gemäß wissenschaftlicher Standards ausgeführt; die Rohdaten waren entsprechend unzuverlässig, aber die Endpublikation machte einen guten Eindruck und war völlig im Sinne der Auftraggeber: »wir mussten Fahrrad fahren, in regelmäßigen Abständen, immer wieder Ergometer […] Und dann haben die ja, eh, irgendwelche Blutfette und irgendsoein Zeug da gemessen, aber das, das Ding, so viel Alkohol geht gar nicht, geht gar nicht. Und andere hatten weniger, und das war körpergewichtsbezogen, das heißt, wir waren alle sturzbesoffen, regelmäßig. Wenn

KAPITEL 4: Forschung und Doping

sie irgendwo unterwegs waren, ging gar nicht, sie konnten den Wein nicht mehr-, also keiner hat das gemacht, keiner, einschließlich des Versuchsleiters selber. Ich hab die Rohwerte gesehen, die Rohwerte streuten in alle Himmelsrichtungen, also es gab keine erkennbare Tendenz von Fett und LDL und HDL und was da alles war, keine erkennbare Dis-, und dann hab ich die Publikation gelesen – wunderbar. War alles gut. […] Macht gesund, Weißwein macht gesund.« (Zeitzeugeninterview 8) Dank zahlreicher Erwähnungen auf Websites oder in Werbebroschüren von Winzern und Weinwirtschaftsverbänden wurde die Weißweinstudie eine der am häufigsten zitierten Studien, die jemals in der Abteilung Sport- und Leistungsmedizin ausgeführt worden sind (vgl. Keul und König, 1997). Diese kaum ernstzunehmende Studie war keine Ausnahme. Die Abteilung übernahm zum Beispiel auch eine Studie für eine Firma, bei der es um die freiwillige Einnahme von Eisen ging, obwohl man zu dieser Zeit schon wusste, dass das Eisen bei Probanden mit normwertigen Bluteisenwerten praktisch nicht in dem Maße zusätzlich resorbiert wird, dass es leistungssteigernd wirken könnte. Laut unseres Zeitzeugens wurde bei dieser »per se gepfuscht. Also die Ergebnisse standen vorher fest« (Zeitzeugeninterview 8). Wer nicht bereit war, bei Drittmittelstudien oder bei der Betreuung von gedopten Athleten mitzumachen, wurde marginalisiert. Der Zeitzeuge wurde zum Beispiel einmal beauftragt, eine Studie bei Herzpatienten zu machen. Als er keine geeigneten Patienten fand und sich weigerte, die Studie durchzuführen, beauftragte Keul einen anderen jungen Arzt und »die Studie wurde fertig, der hatte die Patienten« (Zeitzeugeninterview 8). Keul bestand regelmäßig auf einer Sache, nämlich, dass alle Veröffentlichungen der Abteilung mit dem allgemeinen Satz »gefördert durch das BISp« (Zeitzeugeninterview 8) endeten. Als ein Kommissionsmitglied den Zeitzeugen fragte, warum dieser Satz bei vielen Veröffentlichungen ohne weitere Angaben zu finden war, antwortete er: »Das mussten wir immer dazu schreiben, egal, […] egal, was war. Ob’s gefördert war, oder nicht, war Anweisung, das war Dienstanweisung, es muss da drunter.« (Zeitzeugeninterview 8)

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7.

Vergleichende Beurteilung von Publikationen

Aufgrund dieser schockierenden Aussagen unterzogen wir die Dissertationen und Veröffentlichungen der Sportmedizin Freiburg zwischen 1987 und 2006 einer vergleichenden Analyse. Prof. Hoppeler und Simon haben dazu die Publikationstätigkeit der Sportmedizin Freiburg weder aus einer inhaltlichen – noch aus einer bibliometrischen Perspektive beurteilt. Dies ist, wie oben beschrieben, bereits kompetent geschehen. Wie festgehalten, attestieren Prof. Saltin und Prof. Jelkmann der Sportmedizin Freiburg einen vorderen Rang unter den sportwissenschaftlichen Einrichtungen der Zeit in Deutschland, mit kleinerer Bedeutung in der internationalen Debatte. Diese Beurteilung stützt sich wesentlich auf die summarische inhaltliche und bibliometrische Beurteilung der Publikationen. Die Publikationen der Sportmedizin wurden unter einem anderen Gesichtspunkt untersucht. Es wurde die Art und Weise des Zustandekommens der Publikationen hinterfragt. Es gibt dazu Regeln, welche Vorgaben einzuhalten sind und welches Vorgehen wissenschaftlich statthaft ist. Diese Vorgaben sind zum Beispiel in der Ordnung zur Sicherung der Redlichkeit in der Wissenschaft der Universität Freiburg (ORed) festgehalten. Die ORed stammt aus dem Jahr 2011. Dabei gilt es anzumerken, dass der in der ORed festgehaltene Verhaltenskodex nichts Anderes als die generell für wissenschaftliches Arbeiten gültigen Regeln in Worte fasst. Diese international anerkannten Regeln oder auch, Kodex korrekten wissenschaftlichen Arbeitens und Publizierens, galt es auch in der Zeit vor 2011 zu beachten. Es geht dabei vor allem um die Integrität des wissenschaftlichen Korpus (integrity of the scientific record). Der Kodex definiert, welche Anforderungen erfüllt sein müssen, damit Forschungsresultate publiziert werden dürfen, um damit Eingang in das kollektive Wissen der Menschheit zu finden. Publizierte Arbeiten finden so einen bleibenden Platz im akademischen Wissensgebäude. Es gibt auf publizierte Arbeiten kein Verfallsdatum oder eine Verjährung des wissenschaftlichen Inhalts. Natürlich schreitet die Forschung voran. Entwicklungen in der Technologie zum Beispiel können dazu führen, dass frühere Arbeiten überholt werden oder ihren Wert verlieren. Dies ist der Lauf der Entwicklung der Wissenschaft. Anders ist die Situation, wenn Resultate manipuliert wurden oder mit unerlaubten Mitteln zu Stande kamen. Wenn wissenschaftlich unkorrektes Vorgehen bekannt wird, werden solche Arbeiten gekennzeichnet und zurückgezogen. Unwissenschaftliches Vorgehen macht eine Arbeit wert-

KAPITEL 4: Forschung und Doping

los, solche Arbeiten dürfen in Folgearbeiten nicht mehr verwendet werden. Ein Rückzug wird einer publizierten Arbeit elektronisch angemerkt. Wir fanden eine Vielzahl von Hinweisen dafür, dass mit unterschiedlichen, zum Teil fragwürdigen und zum Teil unerlaubten Methoden, versucht wurde, die wissenschaftliche Gesamtleistung der Sportmedizin zu maximieren und bibliometrisch in möglichst gutem Licht erscheinen zu lassen. Wir haben insbesondere festgestellt, dass häufig eine Zuordnung der Verantwortlichkeiten für Datenerhebung, Analyse und Publikation nicht möglich ist. Es gibt auch Indizien dafür, dass Daten mehrfach publiziert wurden, und dass allenfalls auch Datenselektion betrieben wurde. Unsere vergleichende Analyse der wissenschaftlichen Publikationen deckt sich damit grundsätzlich mit den Angaben des zitierten Zeitzeugen und nährt damit Zweifel an der Integrität der in der Sportmedizin Freiburg publizierten Forschung. Für die Beurteilung der Tatbestände ist es wichtig zu wissen, welche Vorgaben oder Randbedingungen für wissenschaftliche Publikationstätigkeit gelten und wie diese idealtypisch eingehalten werden oder umgangen werden können.

7.1.

Beeinflussung bibliometrischer Daten

Wir dürfen davon ausgehen, dass es das legitime Bestreben eines jeden Autors ist, möglichst viele Arbeiten in Zeitschriften mit einer hohen Visibilität also mit einem hohen Impact Factor zu publizieren. Solche Zeitschriften verfügen über ein peer-review System. Dies bedeutet, dass jede zur Publikation eingereichte Arbeit von mindestens zwei Gutachtern beurteilt wird. Diese Gutachter müssen unabhängig sein und in der Lage, aufgrund der eigenen wissenschaftlichen Tätigkeit, die zu begutachtende Arbeit kompetent zu beurteilen. Die Gutachter verfassen einen wertenden Bericht, welcher im Allgemeinen Hinweise enthält, was allenfalls zusätzlich gemacht werden muss, damit eine Arbeit zur Publikation akzeptiert werden kann, oder allenfalls auch warum sie abgelehnt werden sollte. Die Entscheidung über die Publikation und über allfällig nötige Veränderungen liegt dann beim verantwortlichen Herausgeber der Zeitschrift. Die Gutachter sind speziell gehalten zu beurteilen, ob die Arbeit technisch korrekt durchgeführt wurde, ob die statistischen Analysen angemessen ausgeführt wurden und ob gesamthaft die Arbeit dem aktuellen Stand der Wissenschaft entspricht. Gutachter gehen grundsätzlich davon aus, dass alle verwendeten Prozeduren der Realität entsprechen und die Daten,

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wie beschrieben, erhoben wurden. Es besteht also ein Vertrauensverhältnis zwischen Gutachter und Autor; der Gutachter handelt in Treu und Glauben. Gutachter können damit im Prinzip lediglich die Plausibilität einer Arbeit prüfen. Sie sind darauf angewiesen, dass die ihnen vorliegenden Angaben und Daten korrekt und vollständig sind. Besonders heikel sind in diesem Zusammenhang die Angaben zu Selektionskriterien. Im Methodenteil der Arbeit muss angegeben sein, wie eine untersuchte Population ausgewählt wurde (Einschluss und Ausschlusskriterien) und wie die Daten statistisch verarbeitet wurden. Im Zweifelsfall kann ein Gutachter die Originaldaten verlangen. Die Anforderungen an Daten und Auswertung ist im Allgemeinen höher in Zeitschriften mit einem hohen Impact Factor. Es ist also anspruchsvoller, in Zeitschriften mit einem hohen Impact Factor zu publizieren. Ein Datensatz kann grundsätzlich nur einmal publiziert werden. Werden Daten mehrfach publiziert, spricht man von Selbstplagiaten. Dies trifft auch dann zu, wenn dieselben Daten in Publikationen in unterschiedlichen Sprachen publiziert werden. Eine Mehrfachverwendung eines bestimmten Datensatzes ist nur dann statthaft, wenn damit wesentliche neue Aussagen gemacht werden können. Dies ist z.B. dann möglich, wenn zusätzliche Messwerte berücksichtigt werden, welche in der ursprünglichen Publikation nicht verwendet wurden. Dies ist eine grundsätzlich legitime Möglichkeit die Zahl der Arbeiten, welche sich aus einem Datensatz publizieren lassen, zu vermehren. Man spricht in diesem Zusammenhang gelegentlich von der »kleinsten publizierbaren Einheit«. Es ist an den Gutachtern zu beurteilen, ob dieses Vorgehen sinnvoll und statthaft ist – dazu sind Gutachter (und letztlich der Herausgeber) zwingend darauf angewiesen, dass in Arbeiten, welche auf vorher publiziertes Material zurückgreifen, Umfang und Grund der Vorverwendung von Zahlenmaterial klar deklariert wird. Eine weitere einfache Möglichkeit, die Anzahl der Publikationen eines Autors zu vermehren, ist Personen in die Autorenliste aufzunehmen, welche keinen oder keinen wesentlichen Anteil am Zustandekommen einer Arbeit hatten. Man spricht in diesem Zusammenhang von Gefälligkeitsautorenschaften. Dieses Vorgehen ist verpönt, aber nicht direkt verboten, außer wenn »Gefälligkeitsautoren« Publikationen als Qualifikationsarbeiten verwenden.

KAPITEL 4: Forschung und Doping

7.2.

Autorenschaft

Die Aufzählung der Autoren, welche eine Arbeit signieren, folgt einer Reihe von Konventionen. Die Person, welche als erste genannt ist, wird auch »Erstautor« genannt. Der Erstautor ist im Allgemeinen verantwortlich für die Abfassung der Arbeit; er muss auch einen substantiellen intellektuellen Beitrag zum Entstehen der Arbeit beigetragen haben. Der Letztautor »auch senior author« ist häufig der Labor- oder Institutsleiter. Er ist in vielen Fällen verantwortlich für die Grundidee zur Studie und für deren Finanzierung. Die Einreichung der Arbeit und der Verkehr mit Herausgeber und Beurteilern erfolgt über den Erstautor. Gelegentlich wird auch ein »corresponding author« genannt. Dies geschieht besonders in der Situation, wenn zwei Personen einen gleich großen Beitrag an einer Arbeit geleistet haben, aber nicht gleichzeitig Erstautor sein können. Besonders wichtig ist die Erwähnung von Personen, die ebenfalls einen wichtigen Beitrag geleistet haben, aber nicht in die Autorenliste aufgenommen wurden. Diese Personen werden in der Danksagung (acknowledgments) erwähnt. Dabei handelt es sich oft um technisches Personal, welches zur Durchführung einer Studie notwendig war. An dieser Stelle können auch Dissertanten erwähnt werden, welche zwar einen Beitrag bei der Erhebung der Daten geleistet haben – aber an deren Verarbeitung und Publikation nicht mehr oder nicht bedeutend mitgewirkt haben. Gewisse Zeitschriften verlangen heute, dass in der Danksagung genau festgehalten wird, wer welchen Beitrag an einer Publikation geleistet hat. Wichtig ist zu wissen, dass nur die Personen auf der Autorenliste – nicht diejenigen in der Danksagung – bibliometrisch erfasst werden. Am folgenden Einzelbeispiel soll gezeigt werden, dass der Umgang mit der Autorenschaft an der Sportmedizin Freiburg »locker« gehandhabt wurde. Dieses Beispiel behandelt eine Reihe von Arbeiten, welche zur Wirkung von Probucol an Normalpersonen und Patienten mit Hypercholesterinämie veröffentlicht wurden. Der Probucol-Studiencluster: Probucol ist ein Phenol-Antioxidans mit lipidsenkender Wirkung. Probucol erniedrigt den Cholesterinspiegel im Blut durch vermehrte Ausscheidung der Low-Density Lipoproteine (LDL). Bei der Beurteilung dieses Publikationsclusters fällt auf, dass die genaue Zusammensetzung der Studienpopulation im Nachhinein schwierig zu eruieren ist. Das Kollektiv bestand vermutlich, wie die Dissertation von Jörg Klaus Frank von 1993 ausweist, aus 30 Normalprobanden, die Anhand des Low Density Lipoproteins (LDLs) in 16 Probanden mit einem LDL innerhalb des 90 Prozent Perzentils und in 14 Probanden mit einem LDL oberhalb dieses Bereichs ein-

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geteilt wurden. Die n= 16 Personen mit normwertigen LDL wurden zu zwei Zeitpunkten direkt vor und vier Wochen vor und in einem Abstand von vier und zwölf Wochen nach der Probucoleinnahme und zu Woche vier und acht während der Einnahme von täglich 2x500mg untersucht. Vermutlich wurde diese Arbeit 1985 mit mehreren Dissertanten durchgeführt und erstmalig dann 1986 auf Konferenzen publiziert. 1987 wurden dann erstmalig auch Konferenzbeiträge publiziert zu n=14 jungen Personen mit Hypercholesterinämie, bei denen mit Probucol interveniert wurde und von denen vier als non-responder charakterisiert wurden. Später dann erfolgten Publikationen mit unterschiedlichen Stichprobengrößen für normo-lipämische und hypercholesterinämische Probanden nach derselben Probucol-Intervention. Zu diesen Populationen wurden von verschiedenen Dissertanten unterschiedliche Studienaspekte untersucht. Der exakte Beitrag der Dissertanten zur Gesamtstudie lässt sich dabei nicht mehr genau feststellen. Es ist unklar, wer Probanden rekrutierte, wer allenfalls welche Messungen machte und wer lediglich vorhandenes Datenmaterial analysierte. Die Dissertationen: •









Brucker, Klaus (Dr. med. dent): Einfluss von Probucol auf die Phospholipidkonzentration in den HDL-Subfraktionen männlicher Normalpersonen; Doktorvater: Berg 29.01.1987; Schwerpunkt auf den Lipidveränderungen bei den gleichen Normalprobanden wie bei Brucker (n=16) Zäuner (geb. Lang), Ingeborg: Wirkweise von Probucol auf die HerzKreislauf-Regulation unter Belastung bei männlichen Normalpersonen; Doktorvater: Berg 11.01.1989; Schwerpunkt auf der Herz-KreislaufRegulation bei Normalprobanden (n=16) Sprich, Rudolf: Einfluss von Probucol auf die induzierte Thrombozytenaggregation bei männlichen Patienten mit Hypercholesterinämie; Doktorvater: Berg 28.11.1990; Schwerpunkt auf Laborparametern bei Hypercholesterinämikern (n=14) Jäger, Christine MK 92/2679: Einfluss von Probucol auf die Aktivität der Lecitin-Cholesterin-Alkyl-Transferase bei Normalpersonen; Doktorvater: Berg 03.12.1992; Schwerpunkt auf Laborwerten und Enzymatischer Aktivität bei den gleichen Normalprobanden wie bei Brucker und Zäuner (n=16) Halle, Johannes Martin: Komposition und Verteilung von LDL- Partikeln bei Normo- und Hypercholesterinämikern sowie Beeinflussung durch Probucol als Antioxidans; Doktorvater: Berg 20.02.1992;

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Frank, Jörg Klaus MK 93/2277: Einfluss von Probucol auf die Apolipoproteinkonzentration von Apo A1 und Apo A2 in HDL-Fraktion unterschiedlicher Dichtebereiche bei gesunden männlichen Probanden und Hypercholesterinämikern; Doktorvater: Berg 13.08.1993; n = 30

Zu diesen sechs Dissertationen findet sich ein umfangreicher Korpus an Publikationen, welche in Form von Abstracts, Kongresspublikationen, Buchkapiteln und Originalpublikationen die verschiedensten Aspekte der ProbucolStudie(n) darstellen. •















Berg, A., Frey, I., Baumstark, M. W., and Keul, J.: Influence of Probucol administration on serum concentrations of apolipoproteins and high density lipoprotein (HDL) cholesterol. IX.Int.Symposium of drugs affecting lipid metabolism Florence October 22-25. 1986. Berg, A., Späth, M., Rokitzki, L., Lang, I., and Keul, J.: Influence of probucol on cardiovascular performance in healthy males. Myocardial Ischemia and Exercise: International Symposium. Tutzing-Munich: Nov. 6th -8th 1986. Baumstark, M. W., Berg, A., Frey, I., and Keul, J.: A typical LDL subfraction profile in probucol non-responsers. 2nd Europ. Workshop on Lipid Metabolism. München: 1987. Berg, A., Frey, I., Baumstark, M. W., and Keul, J.: Influence of Probucol administration on lipoprotein cholesterol and apolipoproteins in normolipemic males. Atherosclerosis 1988; 72:49-54. Berg, A., Baumstark, M. W., Sprich, R., Halle, M., and Keul, J.: Influence of Probucol on cardiovascular performance in hypercholesterolemic males. 8th international Symposion on Atherosclerosis, Roma, Abstract Book. 1988: 63. Berg, A., Baumstark, M. W., Sprich, R., Lehmann, M., and Keul, J.: Influence of Probucol on induced platelet aggregation in hypercholesterolemic males. 8th international Symposion on Atherosclerosis, Roma, Abstract Book. 1988: 64. Berg, A., Baumstark, M. W., Sprich, R., Halle, M., and Keul, J.: Influence of probucol on cardiovascular performance in hypercholesterolemic males. Proceedings of 6th Dresden Lipid Symposium 1988. 1989. Berg, A., Baumstark, M. W., Sprich, R., Lehmann, M., and Keul, J.: Influence of probucol on induced platelet aggregation in hypercholesterolemic males. Proceedings of 6th Dresden Lipid Symposion 1988. 1989.

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• •





Berg, A., Baumstark, M. W., Frey, I., and Keul, J.: Influence of probucol on cardiovascular performance in normolipemic (NL) and hypercholesterolemic (HL) males. Atherosclerosis Congress Vienna, 7. 1989. Berg, A., Baumstark, M. W., Frey, I., and Keul, J.: Influence of Probucol on serum apolipoproteins in hypercholesterolemic males. International Symposium on Biotechnology of Dyslipoproteinemias. Clinical Applications in Diagnosis and Control Mailand 1989. Berg, A., Baumstark, M. W., Frey, I., und Keul, J.: Einfluß von Probucol auf die in-vitro-Thrombozytenaggregationsneigung und die Herz-KreislaufRegulation bei männlichen Hypercholesterinämikern. Perfusion 1990; 5:196-204. Berg, A., Baumstark, M. W., Frey, I., Halle, M., and Keul, J.: Clinical and therapeutic use of probucol. Eur J Clin Pharmacol 1991; 40:44-48. Baumstark, M. W., Aristegui, R., Zöller, T., Frey, I., Berg, A., and Keul, J.: Probucol, incorporated into LDL particles in vivo, inhibits generation of lipid peroxides more effectively than endogenous antioxidants alone. Clin Biochem 1992; 25:395-397. Halle, M., Baumstark, M. W., Frey, I., Berg, A., and Keul, J.: Influence of probucol administration on composition and distribution of LDL subfractions in hypercholesterolaemic men. In: Halpern, M. J. Molecular Biology of Atherosclerosis. John Libbey & Company Ltd, 1992: 105-106. Baumstark, M. W., Aristegui, R., Zöllner, G., Frey, I., Berg, A., and Keul, J.: Probucol, in vivo incorporated into LDL particles, effectively inhibits generation of lipid peroxides. In: Halpern, M. J. Molecular Biology of Atherosclerosis. London: John Libbey&Co, 1992: 101-103.

Bei der Durchsicht der Probucol Publikationen fällt auf, dass bei den frühen Publikationen zum Thema keiner der involvierten Doktoranden als Coautor firmiert. Im weiteren Verlauf werden sowohl Frau Lang (spätere Zäuner), als auch Herr Sprich als Coautoren von Konferenzbeiträgen gelistet. Gar nicht gelistet werden die drei Doktoranden Jäger, Brucker, und Frank. Es fällt ferner auf, dass mit Herrn Späth und Herrn Rokitzki zwei Autoren gelistet sind, deren Arbeitsbereich der eigenen Dissertationen in einem ganz anderen Bereich lag. Die Gegenüberstellung von Dissertationen und Folgepublikationen zeigt, dass die Handhabung der Autorenschaften in den Folgepublikationen recht willkürlich oder zufällig erfolgte und Gefälligkeitsautorenschaften nicht ausgeschlossen werden können. Auch lässt sich feststellen, dass beteiligte Disser-

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tanten auch in den Danksagungen nicht erwähnt werden. Die hier gepflegte Praxis entspricht also in keiner Weise der Ordnung zur Sicherung der Redlichkeit in der Wissenschaft der Universität Freiburg (ORed), welche diese Belange korrekt regelt. Zur Entschuldigung lässt sich anführen, dass zum Zeitpunkt der Veröffentlichung dieser Arbeiten die ORed noch nicht in Kraft war und gesamthaft gesehen, und dies nicht nur an der Universität Freiburg, ein Mangel an Sensibilität für die Belange wissenschaftlicher Publikationstätigkeit herrschte.

7.3.

Plagiarismus und Datenselektion

Bei der der genaueren Evaluation der Publikationen der Sportmedizin Freiburg haben wir, wie oben gezeigt, immer wieder festgestellt, dass identische oder weitgehend überlappende Datensätze derselben Grundpopulation mehrmals publiziert wurden. Auch aus den Datensätzen aggregierter Dissertationen wurde meistens eine Vielzahl von Kongressbeiträgen mit ähnlichem Inhalt veröffentlicht. Diese Kongressbeiträge liegen meistens als Zusammenfassungen (abstracts) oder erweiterte Zusammenfassungen resp. Kurzbeiträge vor. Solange es sich in diesem Zusammenhang um Kurzbeiträge an Kongressen handelt, ist dagegen grundsätzlich nichts einzuwenden. Dieses Vorgehen findet sich, wie oben beschrieben, im Beispiel der Veröffentlichungen zur Probucol-Studie. Wie oben festgehalten, stellt sich hier die Frage, ob nicht in diesen Kongressbeiträgen die Mitarbeit der Dissertanten hätte erwähnt werden müssen – entweder im Sinne einer Co-Autorenschaft oder in einer Erwähnung in der Danksagung. Aus heutiger Sicht würde man erwarten, dass bei Publikationen, welche allgemein zugänglich gemacht werden, welche also zitierbar sind, auch ein Querverweis auf Vorpublikationen desselben Datenmaterials vorhanden ist. Bei der gesamthaft enorm großen und ständig wechselnden Co-Autorenschaft muss auch die Frage gestellt werden, ob es sich dabei nicht verschiedentlich um Gefälligkeitsautorenschaften handelt. Im Gegensatz zu einem Kongressbeitrag geht es in einer Originalarbeit um die (erstmalige) vollständige Darstellung einer eigenständigen Forschungstätigkeit. Die Unterscheidung zwischen Kongressbeitrag und Originalarbeit ist wichtig, weil nur bei einer Originalarbeit davon ausgegangen werden kann, dass eine Begutachtung durch zwei unabhängige Beurteiler stattgefunden hat (peer-review); eine Voraussetzung für eine Publikation in einem PubMed gelisteten Journal. Originalarbeiten in reputierten, in PubMed gelisteten Journals machten eine Publikation für eine bibliometri-

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sche Erfassung zugänglich, was bei Kongressbeiträgen üblicherweise nicht der Fall ist. Originalarbeiten sind strukturiert aufgebaut. Sie enthalten eine Angabe zur Arbeitshypothese oder zum Forschungszweck, eine Beschreibung der Methodik, eine Präsentation der Resultate und eine Diskussion der Resultate im Licht des Standes der Wissenschaft. Aus diesem Sachverhalt ergeben sich verschiedene Konsequenzen. Man muss erwarten, dass alle Personen, welche am Zustandekommen einer Originalarbeit einen wesentlichen Anteil hatten, entweder eine CoAutorenschaft oder eine Erwähnung in der Danksagung finden. Basiert eine Originalarbeit auf den aggregierten Daten von mehreren Dissertationen – müssen diese Doktoranden als Co-Autoren oder in der Danksagung auftreten. Dies auch dann, wenn die Dissertationen erst nach dem Erscheinen der Originalarbeit eingereicht wurden. Andernfalls würde sich die Frage stellen, inwiefern ein Doktorand tatsächlich einen aktiven Beitrag zur Originalarbeit geliefert hat. Im erwähnten Dissertationscluster der Probucol-Studie hat dies nicht stattgefunden. Eine Originalarbeit definiert sich dadurch, dass es sich um eine erstmalige Publikation erhobener Daten handelt. Dies gilt unabhängig davon, in welcher Sprache die Originalarbeit publiziert wurde. Bei einer in Deutsch erfolgten Erstpublikation (Originalarbeit) ist eine englische Übersetzung davon nicht mehr als Originalarbeit zu betrachten. Es ist selbstverständlich wissenschaftlich redlich, eine Originalarbeit in eine andere Sprache zu übertragen. Allerdings verliert die Übersetzung den Status der Originalarbeit. Um dies kenntlich zu machen, ist es zwingend notwendig, dass die Originalarbeit in der Übersetzung durch Referenzierung deutlich gemacht wird. Selbstredend gilt dies auch für gleichsprachige Mehrfachpublikationen. Da davon ausgegangen werden muss, dass wissenschaftlich relevante Beiträge in peer-reviewed Zeitschriften erscheinen, ist die Referenzierung des Originaldatensatzes von ausschlaggebender Bedeutung. Nur eine Referenzierung der Originaldaten gestattet es einem Beurteiler zu entscheiden, ob es sich um eine Originalarbeit oder um ein (teilweises) Selbstplagiat handelt. Es ist klar, dass speziell hochrangige Zeitschriften mit hohem Impact Factor darauf achten, tatsächlich Originaldaten und nicht (teilweise) Selbstplagiate zu veröffentlichen. In unserer Analyse haben wir mehrere Indizien von Selbstplagiaten und Datenselektion in Originalarbeiten gefunden. Wir konnten allerdings nicht feststellen, ob die beobachteten Ungereimtheiten auf absichtlicher Manipu-

KAPITEL 4: Forschung und Doping

lation oder lediglich auf Unachtsamkeit beruhen. Dass Publikationen in reputierten Zeitschriften möglich waren, weist darauf hin, dass diese Arbeiten von den Gutachtern von der Fragestellung und Methodik her als sehr gut eingestuft wurden. Inwieweit eine Publikation bei wissenschaftlich korrekter, vollständiger und transparenter Darstellung der Methodik hätte publiziert werden können, bleibt dahingestellt.

8.

Die späte Reaktion der Universität Freiburg

Ein vertraulicher Bericht mit den beobachteten Indizien für unredliches Verhalten verschiedensten Schweregrades wurde der Universität Freiburg noch vor Beendigung der Tätigkeit der Evaluationskommission am 22.12.2015 übergeben. In Missachtung des vertraulichen Charakters des Berichts wurde dieser bereits anfangs Januar 2016 an eine der im Bericht erwähnten Personen weitergegeben. Deren Anwalt drohte sogleich den Kommissionsmitgliedern mit einer Verleumdungsklage. In Korrespondenz mit Frau Prof. Dr. Gisela Riescher, Prorektorin für Redlichkeit in der Wissenschaft, Gleichstellung und Vielfalt, konnte Paoli die Verantwortlichkeit für diesen Vertrauensbruch nicht etablieren. Eine Überprüfung der im Bericht vorgebrachten Hinweise durch die Untersuchungskommission zur Sicherung der Redlichkeit in der Wissenschaft der Universität Freiburg fand allerdings nicht statt – und zwar mit dem Hinweis auf die Vorläufigkeit des Berichts. Um die Prüfung zu befördern, wurde dem Vorsitzenden der Untersuchungskommission, Prof. Klaus Lernhart, ein inhaltlich im Wesentlichen identischer Bericht am 12. September 2017 von Hoppeler persönlich übergeben. Es wurde dabei seitens der ehemaligen Kommissionsmitglieder Simon und Hoppeler mehrmals darauf hingewiesen, dass es sich bei den im Bericht zusammengetragenen Hinweisen nur um eine zufällige Auswahl handle und dass es geboten wäre, eine umfassendere Analyse der Publikationen der Sportwissenschaft Freiburg vorzunehmen. Eine solche hat unseres Wissens niemals stattgefunden. Auf Nachfrage teilte Prof. Lernhart im Juni 2018 mit, dass eine Bearbeitung des Berichtes stattfinde und dass Befragungen der Beteiligten vorgesehen wären. Eine weitere Nachfrage fand im Juni 2019 statt. Darauf wurde uns mitgeteilt, dass ein Abschluss der Arbeit der Untersuchungskommission vor Ende 2019 stattfinden würde und dass eine Benachrichtigung der ehemaligen Evaluationskommissionsmitglieder Hoppeler und Simon vorgesehen sei.

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KAPITEL 4: Forschung und Doping

lation oder lediglich auf Unachtsamkeit beruhen. Dass Publikationen in reputierten Zeitschriften möglich waren, weist darauf hin, dass diese Arbeiten von den Gutachtern von der Fragestellung und Methodik her als sehr gut eingestuft wurden. Inwieweit eine Publikation bei wissenschaftlich korrekter, vollständiger und transparenter Darstellung der Methodik hätte publiziert werden können, bleibt dahingestellt.

8.

Die späte Reaktion der Universität Freiburg

Ein vertraulicher Bericht mit den beobachteten Indizien für unredliches Verhalten verschiedensten Schweregrades wurde der Universität Freiburg noch vor Beendigung der Tätigkeit der Evaluationskommission am 22.12.2015 übergeben. In Missachtung des vertraulichen Charakters des Berichts wurde dieser bereits anfangs Januar 2016 an eine der im Bericht erwähnten Personen weitergegeben. Deren Anwalt drohte sogleich den Kommissionsmitgliedern mit einer Verleumdungsklage. In Korrespondenz mit Frau Prof. Dr. Gisela Riescher, Prorektorin für Redlichkeit in der Wissenschaft, Gleichstellung und Vielfalt, konnte Paoli die Verantwortlichkeit für diesen Vertrauensbruch nicht etablieren. Eine Überprüfung der im Bericht vorgebrachten Hinweise durch die Untersuchungskommission zur Sicherung der Redlichkeit in der Wissenschaft der Universität Freiburg fand allerdings nicht statt – und zwar mit dem Hinweis auf die Vorläufigkeit des Berichts. Um die Prüfung zu befördern, wurde dem Vorsitzenden der Untersuchungskommission, Prof. Klaus Lernhart, ein inhaltlich im Wesentlichen identischer Bericht am 12. September 2017 von Hoppeler persönlich übergeben. Es wurde dabei seitens der ehemaligen Kommissionsmitglieder Simon und Hoppeler mehrmals darauf hingewiesen, dass es sich bei den im Bericht zusammengetragenen Hinweisen nur um eine zufällige Auswahl handle und dass es geboten wäre, eine umfassendere Analyse der Publikationen der Sportwissenschaft Freiburg vorzunehmen. Eine solche hat unseres Wissens niemals stattgefunden. Auf Nachfrage teilte Prof. Lernhart im Juni 2018 mit, dass eine Bearbeitung des Berichtes stattfinde und dass Befragungen der Beteiligten vorgesehen wären. Eine weitere Nachfrage fand im Juni 2019 statt. Darauf wurde uns mitgeteilt, dass ein Abschluss der Arbeit der Untersuchungskommission vor Ende 2019 stattfinden würde und dass eine Benachrichtigung der ehemaligen Evaluationskommissionsmitglieder Hoppeler und Simon vorgesehen sei.

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Doping für Deutschland

Am 21. September 2021 informierte Paoli die Rektorin der Universität Freiburg, Frau Prof. Dr. Kerstin Krieglstein, dass dieses Buch in den nächsten Monaten veröffentlicht werden würde und bot der Universität Freiburg die Chance an, das Manuskript im Voraus nach der Unterschreiburg eines Non-Disclosure Agreement zu lesen. Dies geschah in Erfüllung des Vertrages zwischen der Universität Freiburg und der Universität KU Leuven von 2011 Art.7, der vorsah, dass die Universität Freiburg im Falle einer Publikation die Möglichkeit hätte »proposals for changes and modifications« zu machen, welche den wissenschaftlichen Gehalt der Publikation nicht beeinträchtigen. Die Vertraulichkeitsvereinbarung wurde von Paoli in Absprache mit der Leitung ihrer Universität erbeten, um weitere Leaks zu vermeiden. Als Reaktion auf die Zusendung des Briefs Paolis publizierte die Universität Freiburg, wie oben erwähnt, am 04. Oktober 2021 eine Pressemitteilung, welche über eine stattgefundene Überprüfung der von Simon und Hoppeler vorgebrachten Hinweise auf wissenschaftliches Fehlverhalten berichtete (Universität Freiburg 2021). Darin wurde festgehalten: »… bei drei Beschuldigten konnte die Untersuchungskommission kein wissenschaftlich unredliches Verhalten feststellen, bei einem Beschuldigten hat die Untersuchungskommission wissenschaftliches Fehlverhalten minderen Gewichts festgestellt: in Form einer nicht gekennzeichneten Übernahme wenigstens einer Abbildung aus der Dissertation eines von der Person betreuten Doktoranden und durch die in ihrer Habilitationsschrift nicht gekennzeichnete Übernahme einzelner Gedanken und Formulierungen aus einer weiteren von ihr betreuten Dissertation. Diese Übernahmen betreffen drei Seiten der Habilitationsschrift.« Da außer dieser Pressemitteilung keine Informationen zum Verfahren der Untersuchungskommission vorliegen, müssen wir davon ausgehen, dass letztere fast alle Hinweise auf Verstöße gegen die Ordnung zur Sicherung der wissenschaftlichen Redlichkeit (ORed) der Universität Freiburg als Bagatellfälle oder »ehrliche Fehler« eingestuft hat. Befremdend in diesem Zusammenhang wirkt das einmal mehr intransparente Verhalten der Universitätsleitung, welche erst auf Druck von Außen relevante Informationen publik machte. Honi soit qui mal y pense (wörtlich: »Beschämt sei, wer schlecht darüber denkt«). Oder ermutigender, wie der erfolgreiche, aber umstrittene italienische Politiker Giulio Andreotti zu sagen pflegte: »A pensare male degli altri si fa peccato, ma spesso si indovina.« (wörtlich »Es ist eine Sünde, schlecht über andere zu denken, aber oft trifft man dabei ins Schwarze«)

KAPITEL 4: Forschung und Doping

9.

Fazit

Ein Teilauftrag der Evaluierungskommission Freiburger Sportmedizin bestand in einer Beurteilung der Forschungstätigkeit und wissenschaftlichen Bedeutung der Freiburger Sportmedizin. Wie anfangs dieses Kapitels erwähnt, hat dazu Prof. Bengt Saltin inhaltlich und in detaillierterer Form Prof. Wolfgang Jelkmann inhaltlich und bibliometrisch Stellung genommen. Gemessen an der wissenschaftlichen Publikationstätigkeit gestehen beide Beurteiler der Freiburger Sportmedizin internationales Format und einen vorderen Rang unter den deutschen sportmedizinischen Einrichtungen zu. Vor allem in der Zeit nach 1990 wurde oft in reputierten internationalen Zeitschriften mit gutem bis sehr gutem Impact Factor publiziert. Die so publizierten Arbeiten waren von der Fragestellung und von der Methodik her am Puls der Zeit. Dieser Beurteilung können wir uns anschließen. Die Massierung von Unregelmäßigkeiten bei Habilitationsarbeiten und die Hinweise des Zeitzeugen auf wissenschaftlich unredliches Verhalten der Institutsleitung hat uns aber stutzig gemacht. Wir hatten uns gefragt, ob sich anhand öffentlich zugänglicher oder international publizierter Arbeiten Indizien für wissenschaftliche Unredlichkeit finden lassen. Dies hat uns schließlich dazu bewogen, die Studienanlage und speziell den Methodik-Teil einer Reihe von publizierten Studien genauer und vergleichend unter die Lupe zu nehmen. Die vergleichende Analyse von Dissertationen, Habilitationsarbeiten und Originalpublikationen zeigt, dass Datensätze mit wechselnden Probandenzahlen publiziert wurden, ohne dass dabei auf vorher publizierte Daten verwiesen wurde oder ohne, dass Selektionskriterien transparent gemacht wurden. Es ist damit nicht auszuschließen, dass Datenselektion betrieben wurde. Wir finden widersprüchliche Angaben zu Interventionsart, Alter, Geschlecht, Messwerten und Medikationen in Publikationen, welche offensichtlich die gleichen oder teilweise die gleichen Probanden betreffen. Viele dieser Ungereimtheiten werden nur im direkten Vergleich relevanter Aspekte von Studien sichtbar, nicht bei der Betrachtung einer jeweiligen Einzelpublikation oder bei der Beurteilung der bibliometrischen Kennzahlen. Wir müssen davon ausgehen, dass die von uns erhobenen Hinweise auf wissenschaftliche Unredlichkeit von der Untersuchungskommission für wissenschaftliche Redlichkeit der Universität Freiburg als Bagatellen oder als »ehrliche Fehler« beurteilt wurden und verzichten deswegen, auch aus Gründen des Persönlichkeitsschutzes, auf eine Listung der untersuchten Arbeiten.

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Doping für Deutschland

Die Beurteilung einer wissenschaftlichen Publikation ist immer eine »bona fide« Beurteilung. Man geht davon aus, dass die Daten, wie beschrieben, erhoben wurden und dass die zur Beurteilung notwendigen Voraussetzungen korrekt und vollständig rapportiert sind. Dies setzt der wissenschaftliche Kodex voraus, der auch in der Ordnung zur Sicherung der wissenschaftlichen Redlichkeit der Universität Freiburg festgehalten ist. Die beschriebenen Sachverhalte widersprechen der ORed in mannigfachster Weise. Damit wären auch der wissenschaftliche Gehalt der betroffenen Arbeiten und damit ihre Wertigkeit in Frage gestellt. Wie in der Pressemitteilung der Universität festgehalten, ist diesbezüglich die Untersuchungskommission der Universität Freiburg zu einem anderen Schluss gekommen. Man kann sich fragen, warum es an der Sportmedizin Freiburg zu einer Häufung von Promotionen aufgrund wissenschaftlich unlauterer Publikationen hatte kommen können. Wir sind der Ansicht, dass der ausschlaggebende Faktor in der Person des verantwortlichen Institutsleiters zu suchen ist. Prof. Keul war ein kompromissloser Vertreter der Leistung im Sport. Er war über Jahrzehnte die unbestrittene Nummer eins der Sportmedizin in Deutschland und verfügte über den Rückhalt der Universität, der Sportverbände und der Politik. Es sind Parallelen zu sehen zwischen der Bejahung des Dopings im Hochleistungssport, zu einem Zeitpunkt als Doping bereits weltweit bekämpft wurde, und der Suche nach wissenschaftlichem Erfolg um jeden Preis. In beiden Haltungen sieht man die Versuchung, das Ergebnis unter Inkaufnahme von marginalen oder sogar unerlaubten Methoden zu maximieren. Es muss für die in der Sportmedizin tätigen Ärzte und Wissenschaftler außerordentlich schwierig gewesen sein, sich wissenschaftlich korrekt zu verhalten. Dies sowohl aufgrund mangelnder Anleitung und Vorbilder als auch aufgrund des damaligen Fehlens einer unabhängigen Ombudsstelle.

KAPITEL 5: Widerstände und Verantwortung

1.

Ausgangslage

2007 wurde das Doping im Radsportteam Telekom/T-Mobile publik. Als Reaktion auf die weit verbreitete Empörung wegen der Beteiligung von Freiburger Universitätsmedizinern sah sich die Universität Freiburg veranlasst, zwei Untersuchungskommissionen einzusetzen; die Universität bekundete ihr Interesse an einer gründlichen Aufklärung dieses innerhalb der Universität unterstützten bis organisierten Sportbetrugs. Sie wollte damit dokumentieren, dass es sich bei diesem Sportbetrug um einen innerhalb einer Universität unerhörten Vorgang handelte und rückhaltlose Aufklärung die beste Chance sei, um den Ruf der Universität zu schützen. Die Aufgabe der ersten Kommission (Leiter: Der pensionierte Nürtinger Sozialrichter Joachim Schäfer, Mitglieder: Der damalige Leiter des Kölner Dopinglabors, Prof. Dr. Wilhelm Schänzer und der 2021 verstorbene Heidelberger Pharmakologe Prof. Dr. Ulrich Schwabe) war die Aufklärung des Dopings im Radsport; sie wurde einigermaßen erfolgreich bewältigt, zumal es im Wesentlichen lediglich um individuelle Verfehlungen der untergeordneten, anscheinend skrupellosen Sportmediziner Dr. Andreas Schmid und Dr. Lothar Heinrich zu gehen schien – also nur um »Einzelfälle« nicht aber um Netzwerke und Strukturen. Das Problem, ob das Handeln von Schmid und Heinrich nur die Spitze eines Eisbergs gewesen sein könnte, wurde nicht bearbeitet. Die zweite Kommission (ab Ende 2009) unter Leitung der Kriminologin Prof. Dr. Letizia Paoli von der Universität Leuven, zuletzt in der Besetzung mit Dr. Hellmut Mahler (Landeskriminalamt Düsseldorf), Prof. Dr. Dr. Perikles Simon (Leiter der Sportmedizin der Universität Mainz), Prof. Dr. Fritz Sörgel (Chef des Instituts für Biomedizinische und Pharmazeutische Forschung, Nürnberg), Prof. Dr. Hans Hoppeler (Universität Bern), Prof. Dr. Gerhard Treutlein (PH Heidelberg), erhielt die umfassendere Aufgabe einer Ge-

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Doping für Deutschland

samtevaluation der Freiburger Sportmedizin. Diese Aufgabe erlaubte angesichts der unklaren Informationslage bei ihrer Bewältigung keine zeitliche Beschränkung. Aufgrund der undurchsichtigen Informationslage war nicht abzusehen, wie viel Zeit eine gründliche Aufarbeitung in Anspruch nehmen würde. Der Druck von Seiten der Universität, des Klinikums und des Wissenschaftsministeriums zur baldigen Beendigung der Kommissionsarbeit wurde zum ständigen Begleiter der Kommissionsarbeit. Leider konnte die Kommission aufgrund der in diesem Kapitel beschriebenen Umstände ihre Aufgabe nie vollständig erledigen. Der Hauptgrund lag hauptsächlich in der mangelnden Unterstützung durch die Universität, durch die Sportverbände und, mit wenigen Ausnahmen, des gesamten deutschen Sportsystems.

1.1.

Rahmenbedingungen und offene Fragen

Wie konnte es dazu kommen, dass sich die Evaluierungskommission an Freiburg fast ein Jahrzehnt lang die Zähne ausbiss? Ist es denkbar, dass sich am Rande des Schwarzwalds über vier Jahrzehnte hinweg eine der größten und »fortschrittlichsten« Doping-Zentralen des Leistungssports in Europa verborgen bleiben musste oder konnte? Heute wissen wir, dass Freiburg das wesentliche Zentrum des Dopings in Westdeutschland war. Die Angst vor allem vor einer Rufschädigung für die Universität und Stadt verhinderte letztlich die gründliche und vollständige Aufarbeitung eines großen Dopingskandals. Im Wesentlichen geht es im Folgenden um die Fragen: • •

• •



Warum verdrängt der organisierte deutsche Sport bis heute einen dunklen Teil seiner Geschichte? Warum waren neben der Universität auch Sport- und Politikakteure daran interessiert, dass die Arbeit der Evaluierungskommission ohne Ergebnisse bleiben würde? Welche Rolle spielten Journalisten? Welche Widerstände behinderten die Kommissionsarbeit und warum gab die Kommission zur Evaluierung der Freiburger Sportmedizin 2016 frustriert auf? Welche Ergebnisse brachte die Kommissionsarbeit und sind allenfalls Konsequenzen zu ziehen?

KAPITEL 5: Widerstände und Verantwortung

Angesichts der jahrzehntelangen DDR-Überlegenheit im Spitzensport waren westdeutsche Sportfunktionäre aber auch Politiker frustriert. Die Problemlage des deutschen Spitzensports angesichts der Wiedervereinigung der beiden deutschen Staaten beschrieb der Wetzlarer Sportjournalist und frühere erfolgreiche Kugelstoßer Gerhard Steines (1990) in einem kritischen Kommentar: »Bitte keine Wiederbelebungsversuche.« Die DDR hatte im Medaillenranking bei den Olympischen Spielen 1988 den zweiten, die Bundesrepublik Deutschland den vierten Platz belegt. Eine gemeinsame Mannschaft müsste folglich zur Gleichung 2 + 4 = 1 führen. Westdeutsche Funktionäre und Politiker sahen mit dem Ende der DDR und der Wiedervereinigung die Chance gekommen, weltweit den ersten Platz im Spitzensport einzunehmen. Bei dieser Zielsetzung konnte eine Aufklärung zu Sportbetrug nur störend wirken. Deshalb wurde das verdienstvolle Buch der Heidelberger Oberstudienrätin und Olympiateilnehmerin Brigitte Berendonk »Doping Dokumente« (1991; vgl. auch 1992) zum Sportbetrug entweder verteufelt oder aber negiert. Dies mit der Folge von fast 30 Prozessen gegen Berendonk und ihren Ehemann Prof. Dr. Werner Franke. Es ist dem hartnäckigen Nachsetzen von Werner Franke zu verdanken, dass es zu den Berliner Prozessen (2000/2001) mit der Verurteilung von einigen Doping-Organisatoren und -Tätern der ehemaligen DDR und somit zu einer breiteren öffentlichen Wahrnehmung des DDRStaatsdopings kam (vgl. Franke, 1995, Mahler, 2000 und Spitzer, 1998). War der Spitzensport in der alten Bundesrepublik hingegen etwa dopingfrei? Es ging und geht um Erfolge. Selbst überführte Täter fielen weich wie z.B. der international renommierte Eiskunstlauftrainer Karel Fajfr, welchem sexuelle Verfehlungen mit jugendlichen Leistungssportlerinnen und Gewaltanwendung im Training vorgeworfen wurde. Er wurde nach seiner Verurteilung in Stuttgart als Bundestrainer entlassen, später aber als Landestrainer in Bayern angestellt. Der Erfinder des Hammer Modells, Bundestrainer und verurteilter Doper Jochen Spilker wurde später Rechtswart und Vizepräsident des Landessportbunds (LSB) Thüringen (vgl. Purschke, 2012). Der Minderjährigen-Doper Claus Vandenhirtz (Schwimmtrainer in Aachen) war später lange Jahre Vizepräsident der deutschen Schwimmtrainervereinigung. Der mehrmalige Staatssekretär in der Stuttgarter Landesregierung und langjährige Präsident des Badischen Sportbunds (BSB) Gundolf Fleischer – ein Hauptunterstützer der führenden Freiburger Sportmediziner – wurde bei seiner letzten Wahl 2019 mit 100 Prozent der Stimmen als BSB-Präsident wiedergewählt (BSB, 2019). Alle genannten Personen durften im »Kameradenland Sport« verbleiben, zumal sie die Mauer des Schweigens nicht beschädigt hat-

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Doping für Deutschland

ten. Erfolgreiche, gedopte ehemalige Spitzensportler, wie z.B. die vielfache Schwimm-Olympiasiegerin Kristin Otto und die Staffelolympiasiegerin Bärbel Wöckel wurden integriert, unter der Bedingung: »Wer den Mund nicht aufmacht, wird akzeptiert.« Otto kam beim ZDF unter und Wöckel wurde schon am 1. März 1990 durch den DLV angestellt. Bei der Jagd nach internationalen Erfolgen lief dopingseits bis zum Fall der Mauer 1989 offensichtlich alles »gut«, warum sollte man also nach der Wende und der Wiedervereinigung etwas an den Verhältnissen ändern? Dies belegen auch die Dopinggeständnisse der Radprofis 2007 und beleuchten die vorherrschende Mentalität (vgl. Singler/Treutlein, 2012). DDR wie BRD arbeiteten am Ziel eines möglichst hohen sportlichen Ertrags, als Rechtfertigungsnachweis für die erheblichen staatlichen Investitionen in den Spitzensport. Für den geleisteten Aufwand mussten zählbare sportliche Erfolge nachgewiesen werden. Die BRD hatte allerdings keinen, den Spitzensport strukturierenden und fördernden Staatsplan (Staatsplan 14.25) wie die DDR (Spitzer, 1998). Doping wurde nicht von oben herab angeordnet. Es gab also keinen Staatsauftrag, auch wenn Freiburger Mediziner dies hinter vorgehaltener Hand gern behaupteten, um sich selbst das Gewissen zu erleichtern und ihr Tun nach außen hin zu rechtfertigen. Medaillenerwartungen reichten aus – sie kamen als Botschaft in vergleichbarer Weise an: Alles für Erfolge Mögliche sollte gemacht werden. D.h. die Ziele von BRD und DDR waren weitgehend identisch, die angewandten Methoden und Geheimhaltungsmöglichkeiten aber unterschiedlich. In einer offenen Gesellschaft, wie jener der BRD, konnte illegales Handeln nicht schriftlich vom Staat verordnet werden. Ähnlich wie Radprofis bei der Tour de France glaubten sie, sich außerhalb von Gesetzen bewegen zu dürfen, weil nur so die Wünsche und Erwartungen von Staat und Gesellschaft erfüllbar waren. Alles sollte nach dem Motto Keuls ablaufen: »Lassen Sie sich nicht erwischen.« (vgl. Kapitel 2) Der führende Freiburger Sportmediziner Keul inszenierte sich sogar als Dopinggegner, während sein Intimfeind Klümper sich teilweise sogar öffentlich zu seinen Doping-Methoden bekannte. Natürlich gab es Politiker und Spitzenfunktionäre, die Bescheid wussten, sich aber im Wegsehen übten.

1.2.

Das Ende der Kommissionsarbeit und die zentrale Frage der Verantwortung für das Doping in Freiburg

Die Evaluierungskommission, welche ihre Aufgabe im Durchlöchern der Mauer des Schweigens sah, warf im März 2016 nach neunjähriger Arbeit das

KAPITEL 5: Widerstände und Verantwortung

Handtuch, die Forscher traten unter Protest zurück. Ihr Auftraggeber, die Freiburger Universität, musste sich gegen den Vorwurf wehren, sie habe im Gegensatz zu öffentlichen Statements die Arbeit der Evaluierungskommission (Hoppeler et al., 2016) behindert. Nach dem Rücktritt der Evaluierungskommission veröffentlichte die Universität Freiburg die rechtlich geprüften Fassungen von sechs Gutachten ehemaliger Mitglieder der Evaluierungskommission Freiburger Sportmedizin auf ihrer Website, die wir in der Einleitung aufgelistet haben. Ein weiteres Gutachten zum Thema Klümper hat das ehemalige Kommissionsmitglied Andreas Singler auf seiner persönlichen Website veröffentlicht. Es ist ruhig geworden um die Frage, wie die sportmedizinischen Einrichtungen der Stadt und ihrer Universität sich einst zu einem Zentrum des Dopings in Westdeutschland hatten entwickeln können. Statt sich auf die zentrale Aufgabe der Aufklärung zu konzentrieren, berichteten die meisten Medien jahrelang fast nur noch über den Streit zwischen Kommissionsmitgliedern und der Universität. Die Evaluierungskommission beklagte Täuschungen. So seien wichtige Akten gleich kistenweise vor ihr versteckt worden. Die Universität Freiburg, das Universitätsklinikum sowie das zuständige Wissenschaftsministerium des Landes Baden-Württemberg dagegen beschwerten sich über – aus ihrer Sicht – immer neue Verzögerungen der Aufklärungsarbeit. Fest steht, dass Freiburger Sportmediziner über mehr als vier Jahrzehnte Leistungssportler in zahlreichen Sportarten und Disziplinen gedopt hatten. Die Systematik endete erst im Frühjahr 2007, als das Nachrichtenmagazin Der Spiegel (Geyer/Gorris/Ludwig, 2007a und 2007b; siehe auch Spiegel Sport, 2007a und 2007b) das durch Ärzte der Sportmedizin an der Universität unterstützte und gesteuerte Doping beim früheren Radsportteam Telekom/ T-Mobile enthüllte. Unklar ist bis heute das ganze Ausmaß dessen, was in Freiburg geschah. Wie viele Sportärzte machten mit? Welche Sportarten waren betroffen? Wie viele deutsche und ausländische Spitzenathleten wurden gedopt? Was wussten die Verantwortlichen von Universität, Klinikum, Ministerien, Politik und organisiertem Sport darüber? Welche Netzwerke waren am Werk? Wer hielt und hält die Hand schützend über dieses sportmedizinische Konstrukt, vor allem in der Stadt Freiburg? Und: War der innerhalb einer Universität organisierte und unterstützte Betrug deutschlandweit ein Einzelfall? Es gibt noch andere Gründe dafür, dass die Aufklärung sich bis heute so zäh gestaltet. Für diese Entwicklung verantwortlich sind auch nicht allein die

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Doping für Deutschland

Universität und ihr Klinikum. So haben sich auch der deutsche organisierte Sport und die gesamte deutsche Sportpolitik seit dem Jahr 2007 passiv »abwartend« verhalten. Sie haben mit dem Finger auf Freiburg gezeigt und wollten auf die Ergebnisse der Arbeit der Freiburger Kommissionen warten. Aber genau diese Zurückhaltung, genau dieses Abwarten, genau diese Passivität war mitverantwortlich dafür, dass die Aufklärung am Ende auf halbem Weg stecken blieb. Angesichts der vorgefundenen Widerstände war die Aufgabe der Kommission ohne Unterstützung von außen, ohne klare Positionierung der Verbände und das sich daraus ergebende Signal allenfalls unvollkommen und unbefriedigend realisierbar. Die meisten Medien beschränkten sich auf ein Schwarze-Peter-Spiel. Die einen gaben die Schuld an all den Verzögerungen der Evaluierungskommission um Letizia Paoli, die anderen der Universität unter ihrem Rektor Prof. Dr. Hans-Jochen Schiewer und Klinikchef Prof. Dr. Hans-Rüdiger Siewert.

2.

Akteure und Institutionen, die Mitverantwortung tragen

Eine Reihe von einzelnen Akteuren und Institutionen tragen Mitverantwortung, sowohl für die außerordentliche Rolle der Freiburger Sportmedizin im Doping, als auch für die Schwierigkeiten der Evaluierungskommission in ihrer Aufklärungsarbeit. Die Rolle einiger Dopingunterstützer hat sich im Rahmen der Evaluierungskommission ergeben. Diese sollen in der Folge vorgestellt werden.

2.1.

Ärzte

Ärzte waren die Hauptakteure des Dopingbetrugs, sie schwiegen und schweigen, vorgeblich gedeckt auch durch die ärztliche Schweigepflicht. Mit der Ausnahme eines Einzigen, der ehemalige Mitarbeiter der Sportmedizin Freiburg Dr. Wolfgang Stockhausen, hat kein einziger Mediziner vorbehaltlos ausgesagt, was in Freiburg wirklich geschah. Drei Ärzte kündigten an, Bücher schreiben zu wollen. Veröffentlicht wurden sie nie – auch nicht das Manuskript – eine Art Autobiographie – von Prof. Dr. Klümper. Der inzwischen verstorbene einstige Spitzensportmediziner wanderte im Jahr 2001 nach Südafrika aus. Heute wissen wir, dass er der Top-Doper des westdeutschen Leistungssports war.

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Doping für Deutschland

Universität und ihr Klinikum. So haben sich auch der deutsche organisierte Sport und die gesamte deutsche Sportpolitik seit dem Jahr 2007 passiv »abwartend« verhalten. Sie haben mit dem Finger auf Freiburg gezeigt und wollten auf die Ergebnisse der Arbeit der Freiburger Kommissionen warten. Aber genau diese Zurückhaltung, genau dieses Abwarten, genau diese Passivität war mitverantwortlich dafür, dass die Aufklärung am Ende auf halbem Weg stecken blieb. Angesichts der vorgefundenen Widerstände war die Aufgabe der Kommission ohne Unterstützung von außen, ohne klare Positionierung der Verbände und das sich daraus ergebende Signal allenfalls unvollkommen und unbefriedigend realisierbar. Die meisten Medien beschränkten sich auf ein Schwarze-Peter-Spiel. Die einen gaben die Schuld an all den Verzögerungen der Evaluierungskommission um Letizia Paoli, die anderen der Universität unter ihrem Rektor Prof. Dr. Hans-Jochen Schiewer und Klinikchef Prof. Dr. Hans-Rüdiger Siewert.

2.

Akteure und Institutionen, die Mitverantwortung tragen

Eine Reihe von einzelnen Akteuren und Institutionen tragen Mitverantwortung, sowohl für die außerordentliche Rolle der Freiburger Sportmedizin im Doping, als auch für die Schwierigkeiten der Evaluierungskommission in ihrer Aufklärungsarbeit. Die Rolle einiger Dopingunterstützer hat sich im Rahmen der Evaluierungskommission ergeben. Diese sollen in der Folge vorgestellt werden.

2.1.

Ärzte

Ärzte waren die Hauptakteure des Dopingbetrugs, sie schwiegen und schweigen, vorgeblich gedeckt auch durch die ärztliche Schweigepflicht. Mit der Ausnahme eines Einzigen, der ehemalige Mitarbeiter der Sportmedizin Freiburg Dr. Wolfgang Stockhausen, hat kein einziger Mediziner vorbehaltlos ausgesagt, was in Freiburg wirklich geschah. Drei Ärzte kündigten an, Bücher schreiben zu wollen. Veröffentlicht wurden sie nie – auch nicht das Manuskript – eine Art Autobiographie – von Prof. Dr. Klümper. Der inzwischen verstorbene einstige Spitzensportmediziner wanderte im Jahr 2001 nach Südafrika aus. Heute wissen wir, dass er der Top-Doper des westdeutschen Leistungssports war.

KAPITEL 5: Widerstände und Verantwortung

Professor Dr. Joseph Keul, bis zu seinem Tod im Jahr 2000 der langjährige deutsche Chef-Olympiamediziner, leugnete Doping in Freiburg bis zuletzt. Dies obwohl er Chef einer Abteilung war, in der zum Spritzen und Schlucken ebenso akribisch wie kompetent angeleitet wurde. Die früheren Radsport-Mediziner Dr. Andreas Schmid, Dr. Lothar Heinrich und Prof. Dr. Georg Huber (der »Schorsch«) beschränken sich auf ausweichende und belanglose Schein-Geständnisse und schwiegen in allen wesentlichen Fragen – besonders dort, wo es strafrechtlich relevant wäre. Huber behauptet gar, überhaupt nie gedopt zu haben, obwohl Sportler, die er betreute, Gegenteiliges bezeugen. Alle anderen deutschen und ausländischen Spitzensportmediziner, die in der »Freiburger Schule« groß wurden und zum Teil bis heute weltweit im Sport tätig sind, verhalten sich ruhig. Sie müssen schweigen, denn wenn sie auspacken würden, hätten sie vermutlich im organisierten Sport keine Zukunft mehr. Ihr Schweigen erschwert nicht nur die Aufklärung. Es schadet auch dem Ruf all derjenigen, die sich korrekt verhalten und verhalten haben, ihr Schweigen ermöglicht das Äußern von Generalverdacht. Es schadet auch den 11.000 Beschäftigten der Freiburger Universitätsklinik, einer der größten Kliniken in Deutschland. Viele leiden unter dem Vorwurf, im Freiburger Klinikum sei die Dopingzentrale des deutschen Sports angesiedelt gewesen. Das Schweigen der Doper schadet nicht zuletzt auch der Stadt Freiburg i.Br., die zwar Ort der Handlung war und in ihrem Renommee vom Ergebnis des Betrugs profitierte, die aber nicht Auftraggeberin des Dopingsystems war.

2.2.

Der Organisierte Sport: DOSB und Sport-Fachverbände

Wenn es um Doping in anderen Staaten geht, legen deutsche Sportfunktionäre hohe moralische Maßstäbe an. Nach dem Dopingfall des kanadischen 100m-Olympiasiegers Ben Johnson bei den Olympischen Spielen 1988 in Seoul schimpften besonders westdeutsche Funktionäre laut über den Betrug am fairen Sport. Aber was war zur gleichen Zeit? Ein Beispiel: Freiburger Sportmediziner hatten westdeutsche Olympia-Athleten ebenfalls mit dem von Johnson verwendeten Mittel (Stanozolol) gedopt. Kurz vor dem Start wurde ein Zehnkampf-Mitfavorit von seinem Betreuer informiert, dass Dopingkontrollen schon während des Wettkampfs durchgeführt werden würden. Im Wissen um seine Dopingbelastung produzierte der Klümper-Patient in der ersten Zehnkampfdisziplin (100m) drei Fehlstarts, um einer Disqualifikation durch

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Doping für Deutschland

die drohende Dopingkontrolle aus dem Weg gehen zu können (von Moltke, 2017). Doping planen, dosieren, anleiten – und stets auch dafür sorgen, dass niemand positiv getestet wird – dies war eine wesentliche Aufgabe einiger westdeutscher Sportmediziner. Gerade mal ein Jahr nach dem tragischen Tod der 26-jährigen Mainzer Siebenkämpferin Birgit Dressel im April 1987 war dieser »Kollateralschaden« schon fast vergessen. Birgit Dressel war, nach Aussage ihres Trainers Thomas Kohlbacher u.a. auch mit dem von Klümper verabreichten Anabolikum Stanozolol gedopt worden (vgl. Singler/Treutlein, 2015a: 305-307). Im Vergessen machten manche Mediziner einen »hervorragenden Job«. Für die Öffentlichkeit gab sich der westdeutsche Sport immer als Vorkämpfer für Sauberkeit und Fairness. Kein Geringerer als Klümper behauptete, er habe schon Anfang der 1960er Jahre das weltweit erste Doping-Reglement für den Radsport verfasst. Auch Keul brüstete sich mit seinem angeblichen Kampf gegen Doping (siehe Kapitel 2 und 3). Die Auffassung, Deutschland sei bei der Bekämpfung von Doping stets Vorreiter gewesen, hält sich bis heute hartnäckig (vgl. Digel, 2007). Viele gehen davon aus, dass Deutsche nicht dopen, wohl aber die Anderen, die Russen zum Beispiel… Die Haltung der Spitzenorganisationen gegenüber dem Betrug in Russland ist bemerkenswert konsequent. Bei der Aufklärung der DopingVergangenheit im eigenen Land hingegen verhielten sich deutsche Fachverbände seit jeher zurückhaltend. Auch das vom DOSB angestoßene und vom Bundesinstitut für Sportwissenschaft finanzierte Forschungsprojekt zur Aufklärung der Dopingvergangenheit Deutschlands kam nie ans Ziel. Die Projektnehmer um Prof. Dr. Giselher Spitzer und den Sporthistoriker Erik Eggers konnten ihre Arbeit nur zum Teil fertigstellen. Sie untersuchten zunächst die Doping-Vergangenheit der Bundesrepublik Deutschland bis zum Jahr 1989 (Spitzer et al., 2013). Um die Fortführung über die Zeit nach 1989 gab es Streit, es kam zum Abbruch des Forschungsvorhabens. Die Gruppe um Spitzer und Eggers beschloss, wenigstens ihre Ergebnisse bis 1989 zu veröffentlichen – auf eigene Faust und auf eigenes Risiko. Die Ergebnisse sind brisant genug. Allein der Name Keul taucht in dieser Untersuchung mehr als 500mal auf. Besonders augenfällig ist das allgemeine Desinteresse an ernsthafter Aufklärung beim Bund Deutscher Radfahrer (BDR), der angeblich kein Archiv hat. Für den Straßen- und Bahnradsport der Männer und der Frauen liegen

KAPITEL 5: Widerstände und Verantwortung

besonders viele Beweise für eine Doping-Systematik vor – gesteuert von Freiburger Ärzten (siehe Meutgens, 2007: Expertenkommission, 2009; Singler, 2015b). Haupttäter waren Klümper, Huber, Schmid und Heinrich. Weitere Beweise liefern die sogenannten Klümper-Akten, die nach jahrelangem intensivem Nachsetzen der Kommissionsvorsitzenden Letizia Paoli Ende 2015 wiederaufgetaucht sind. Sie beweisen das systematische Doping im bundesdeutschen Radsport. Der BDR zieht und zog es vor, nach vorn zu schauen und behauptet, sich mehr als alle anderen Verbände, für einen sauberen Sport zu engagieren. Klümper versorgte als Leitender Verbandsarzt des BDR in den 1970er und 1980er Jahren ganze Kader des BDR mit Anabolika und anderen Dopingsubstanzen – kofferweise und in großen Mengen. Er gab den Bahnradfahrern Anfang 1976 sogar einen detaillierten Plan, in welcher Woche und an welchem Tag sie in welchem Umfang Medikamente und Nahrungsergänzungsmittel konsumieren sollten. Dies schaffte Klümper sicherlich nicht allein. Es ist davon auszugehen, dass Freiburger Assistenzärzte und auch solche aus anderen sportmedizinischen Einrichtungen in Deutschland ihm dabei halfen. Sie wurden dafür nie angeklagt oder belangt. Auch Prof. Dr. Huber (2000 für die Olympiaapotheke der deutschen Mannschaft zuständig; 2006 Olympiachefarzt), Klümpers Nachfolger als Leitender Verbandsarzt des BDR, sah und sieht sich Doping-Vorwürfen ausgesetzt. Zum Beispiel schildert der ehemalige Bahnradfahrer Robert Lechner (Bronzemedaillengewinner der Olympischen Spiele 1988) umfassend, wie Huber ihn zu den Spielen hin gedopt habe (vgl. Lechner, 2011). Dies bestreitet Prof. Dr. Huber. Im Prozess Huber – Franke gelang es der ermittelnden Staatsanwaltschaft in Freiburg leider nicht, die Adresse eines weiteren Zeitzeugen zu ermitteln. Obwohl 2013 im Mannheimer Morgen ein großer Artikel über dessen Karriere und Tätigkeit an einer Realschule in seinem Heimatort Linkenheim erschienen war. Auch die Vorwürfe anderer Sportler wies Huber stets zurück. Neben Klümper und Huber gerieten weitere Freiburger Ärzte in der an Dopingfällen reichen Geschichte des Radsports in den Fokus. Aber auch sie leugneten oder schwiegen. Einige sind noch immer im Sport tätig, auch in verschiedenen anderen Ländern. Die früheren Freiburger Universitätsärzte Andreas Schmid und Lothar Heinrich dopten rund anderthalb Jahrzehnte lang systematisch das ehemalige Radsport-Team Telekom/T-Mobile. Telekom-Profis radelten nicht nur im Dress des Rennstalls, sondern auch in den Farben Deutschlands bei Weltmeisterschaften und Olympischen Spielen. In einer Powerpoint-Präsentation bei

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Doping für Deutschland

einem nationalen Kongress zeigten Schmid und Heinrich – »gut anonymisiert«, dass der Gewinner der Tour de France 1997 am Ende der dreiwöchigen Tour einen Hämatokritwert von 49,5 (Grenzwert 50) hatte (vgl. Zeitzeugeninterview 73), ein Indikator für das Herandopen an den Grenzwert. Bemühungen des BDR parallel zu den Freiburger Aufklärungsbemühungen die eigene Geschichte zu erhellen, waren für Außenstehende nicht erkennbar. Die Institutionen des Sports – auf nationaler wie auf internationaler Ebene – tun sich schwer, ihren Blick auf die dunklen Seiten ihrer Geschichte und Gegenwart zu lenken. Der Sportjournalist Jens Weinrich beschrieb das am Rande der 10. Konferenz von »Play the Game« (einer Organisation für fairen, transparenten und sauberen Sport) im Dezember 2017 im niederländischen Eindhoven so: »In der olympischen Bewegung ist ständig von unabhängigen Kommissionen die Rede, von Ethik-Komitees, von Selbstreinigungskräften. Das alles ist aber eine große Lüge. Ständig behaupten die Verbände des Sports, sie würden untersuchen und aufklären. Aber genau das tun sie nicht.« (persönliche Mitteilung von Strepenick an Treutlein, 2018; vgl. Strepenick, 2017b). Freiburg ist dafür ein Lehrbeispiel.

2.3.

Ministerien und Ärztliche Vereinigungen

Verschiedene Institutionen und Verbände sehen bis heute keinen Anlass, eigene – und vor allem unabhängig geführte – Untersuchungen zur Dopingvergangenheit anzustrengen. Dies gilt für das für den Spitzensport auf Bundesebene zuständige Bundesinnenministerium in Berlin ebenso wie für Ministerien des Landes Baden-Württemberg. Letzteres war für die Freiburger Sportmedizin zuständig und hat Zuschüsse in Millionenhöhe an diese überwiesen. Keul etwa beantragte zu Beginn der 1970er Jahre ganz offiziell Steuergelder für Anabolika-Experimente an Athleten. Er rühmte sich anschließend selbst, dass durch sein Wirken die Ringer von Freiburg-St. Georgen in die nächst höhere Liga aufgestiegen waren (Strepenick, 2013b). Wie viel Geld von Land Baden-Württemberg und Bund insgesamt nach Freiburg floss – und vor allem zu welchem Zweck – ist bis heute unklar. Nicht nur deutsche Steuerzahler, sondern auch die Solidargemeinschaft der Mitglieder von Krankenkassen haben das Doping in Freiburg mitfinanziert. Sie mussten für die Bezahlung von Dopingrezepten ebenso aufkommen wie für die Behandlung von Dopingfolgen. Das ganze Ausmaß kennt niemand bzw. hat noch niemand zusammenfassend berechnet.

KAPITEL 5: Widerstände und Verantwortung

Auch die Geschichte von Verbänden wie der Deutschen Gesellschaft für Sportmedizin und Prävention (DGSP) wirft Fragen auf. Der frühere Sportärztebund ist die Dachorganisation von Sportmedizinern in ganz Deutschland. Gleich drei ehemalige Präsidenten der DGSP waren aus Freiburg, Prof. Dr. Herbert Reindell, Prof. Dr. Joseph Keul (zugleich Direktor des Instituts für Sportmedizin der Universität) und sein Nachfolger Prof. Dr. Hans-Hermann Dickhuth. Bis heute wurde von keiner unabhängigen Seite untersucht, wie die Freiburger Dominanz sich auf die Anti-Doping-Politik der DGSP auswirkte. Bei Ärztekongressen ist das Dopingthema kein Schwerpunktthema, ebenso wenig bei der Deutschen Vereinigung für Sportwissenschaft.

2.4.

Andere Personen und Institutionen des Sports

Sport hat in Deutschland eine lange Tradition. Die ersten Turnvereine wurden schon vor rund 200 Jahren gegründet, die ersten Sportverbände in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Verantwortliche des Sports sind stolz auf diese Tradition und fördern Institutionen wie das Deutsche Sportmuseum in Köln. An die Geschichte des Dopings hingegen will sich kaum jemand erinnern. Der Staat, die Sportverbände und Museen halten sich dabei lieber raus. Es gibt keine staatliche Institution in Deutschland mit dem Auftrag, DopingDokumente, Hinweise, Zeugenaussagen, Angaben über positiv getestete Athleten, Prozessakten, Berichte von Kommissionen, Medienberichte und andere Belege für Hintergründe des Dopings in Deutschland zu sammeln, zu ordnen und zu archivieren. Eine solche Institution wäre in der Lage, Dopingstrukturen und das Ausmaß der Anwendung sowie die Folgen zu dokumentieren. Berendonk und Franke haben das »Verdienst, in der Bundesrepublik Deutschland die öffentliche Debatte um Anabolika in Gang gesetzt zu haben« (Spitzer, 2017: 88). Berendonk ([1969] 1977) schlug schon 1969 mit einem Artikel mit der Überschrift »Züchten wir Monstren?« in der Wochenzeitung die Zeit Alarm. Sie veröffentlichte 1991 ihr Buch »Doping Dokumente« (Berendonk, 1991), in dem sie das staatlich geplante Doping im DDR-Leistungssport erstmals umfassend öffentlich darstellte, aber auch erste Belege für Doping in der Bundesrepublik Deutschland lieferte. Das Buch basierte auf Recherchen zu geheimen Dissertationen und Stasiakten, die sie gemeinsam mit ihrem Ehemann Werner Franke vornahm. Dieses Buch und seine erweiterte Fassung »Doping« (Berendonk, 1992) liefern glänzende Analysen. Es ist völlig unverständlich, wie der sportmedizinische Standort Freiburg diesen Analysen zum Trotz ungehindert weiter existieren und mit den Telekom-Ärzten

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Doping für Deutschland

Prof. Dr. Andreas Schmid und Dr. Lothar Heinrich sogar aufblühen konnte. Der bundesdeutsche Spitzensport war mit seinen Medaillenhoffnungen offensichtlich zu sehr von der »Kompetenz« Freiburgs abhängig, hatte viel zu verschweigen und glänzte im Wegsehen. Aufklärungsversuche wie von Berendonk oder das im Jahr 2000 erschienene Buch »Doping im Spitzensport« von Singler/Treutlein (2000/2012) wurden negiert oder abgeblockt. Berendonks Buch und die damit verbundenen Strafanzeigen Werner Frankes führten nicht zu erhofften Aufklärungsbemühungen oder Konsequenzen für die Gestaltung eines dopingfreien Spitzensports. Vielmehr wurden 30 Prozesse gegen Äußerungen des Buchs und dessen Autorin angestrengt. Das Ehepaar Franke-Berendonk hat ein privates Doping-Archiv aufgebaut. Dieses wird im Archiv des Deutschen Krebsforschungszentrums in Heidelberg der Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Außerdem sind viele Dokumente auf der Website »www.cycling4fans.de« zu finden, auf der Monika Mischke in privater Initiative eine Fülle von Belegen für Doping systematisiert und veröffentlicht. Die Genannten sind aus eigenem Antrieb, ehrenamtlich und auf eigene Kosten aktiv. Wie wichtig es ist, Belege für Doping systematisch zu archivieren, beweist z.B. ein Beispiel aus dem Freiburger Raum. Während Rudi Renz, der langjährige Organisator der ehemaligen Regio-Tour, in der Badischen Zeitung behauptete, es sei bei seinem Mehretappenrennen »nie zu einem Dopingfall gekommen«, listet »www.cycling4fans.de« gleich drei positive Tests auf – allein beidiesem vergleichsweise kleinen Rennen (Dörfler, 2013).

2.5.

Universitäten

Die Verantwortlichen der Albert-Ludwigs-Universität in Freiburg schienen ähnliche Verdrängungsmechanismen entwickelt zu haben. Als die von Letizia Paoli geleitete Kommission zur Freiburger Doping-Vergangenheit am 1. März 2016 ihren Rücktritt erklärte, versprach die Universität als Auftraggeber, sie werde die Aufklärung aus eigenem Antrieb in einer eigenen Institution fortsetzen und kündigte die Einrichtung einer »Forschungsstelle für Sportmedizin und Doping« an (Universität Freiburg (2016; vgl. Aumüller/Kistner, 2016a). Eine entsprechende Ankündigung hatte die Universität auch schon im Jahr 2014 gemacht – sie wollte damit nach außen hin das Gesicht wahren (Dörfler, 2014). Die Aufklärung der Paoli-Gruppe war am hinhaltenden Widerstand vieler gescheitert, nun behauptete die Universität auf eigene Faust weitermachen zu wollen. »Die wissenschaftliche Aufklärungsarbeit muss wei-

KAPITEL 5: Widerstände und Verantwortung

tergehen«, bekräftigte sie in ihrer Pressemitteilung vom 1. März 2016 (Universität Freiburg, 2016). Sie machte auch präzise Angaben zur Zeitschiene. Die Forschungseinrichtung solle noch im gleichen Monat gegründet werden, also im März 2016, sie existiert auch Jahre später noch nicht; dies trägt wohl kaum zur Glaubwürdigkeit des Rektorats und der Universität bei. Es gibt in Deutschland mehr als 100 Universitäten und Hochschulen. Es gibt Dutzende von sportmedizinischen Abteilungen und Institute für Sport und Sportwissenschaft, an denen Sportärzte, Sportlehrer und Sportwissenschaftler ausgebildet werden. Es gibt aber keine einzige Forschungseinrichtung, die sich ausdrücklich und gezielt mit Geschichte, Gegenwart und Zukunft des Dopings in Deutschland beschäftigt. Dies ist ein Armutszeugnis für eine Nation, die sich zu den führenden Sportnationen der Welt zählt.

2.6.

Politik

Sportmediziner und Sportpolitiker der Bundesrepublik Deutschland pflegten untereinander zum Teil enge Kontakte. Allerdings wissen wir bis heute noch immer wenig darüber, wie eng die Beziehungen wirklich waren. Vor allem CDU und FDP sind dem Sport seit jeher verbunden. Sie gaben der Aufklärung in Freiburg, aus unserer Sicht, keine maßgeblichen Impulse – mit Ausnahme des früheren Stuttgarter Wissenschaftsministers Prof. Dr. Peter Frankenberg (CDU) und der zeitweiligen Amtschefin im Ministerium für Kultus, Jugend und Sport, Frau Dr. Margret Ruep. Frankenberg sorgte nach Bekanntwerden des Telekomskandals im Jahr 2007 dafür, dass der in Freiburg besonders gefürchtete Doping-Bekämpfer, Werner Franke, beratend tätig werden konnte und in die Evaluierungskommission aufgenommen wurde. Die SPD leistete ebenfalls einige Beiträge zur Aufklärung – namentlich die frühere Freiburger Landtagsabgeordnete Margot Queitsch. Auch die Grünen unterstützten die Aufklärer in Freiburg anfangs nach Kräften, ließen dann aber einige Zeit nach ihrem Regierungseintritt nach 2011 in ihren Bemühungen deutlich nach. Alle etablierten Parteien bis auf die Grünen hätten Anlass, ihre eigene Geschichte einmal genauer zu erforschen, denn die Verbindungslinien zwischen der Politik und der Freiburger Sportmedizin reichen mindestens bis zum Anfang der 1970er Jahre zurück. Hans-Dietrich Genscher: Der wichtigste FDP-Politiker der Nachkriegszeit war von 1969 bis 1974 Bundesminister des Innern und von 1974 bis 1992 fast ununterbrochen Bundesminister des Auswärtigen Amts sowie Vizekanzler der Bundesrepublik Deutschland. Er soll im Jahr 1971 einen Verantwortlichen des

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Doping für Deutschland

Sports informiert haben: »Wir brauchen Medaillen um jeden Preis.« Einem Arzt sagte er angeblich: »Von Ihnen als Sportmediziner will ich nur eins: Medaillen.« Ein weiterer Zeitzeuge will aus dem Mund des FDP-Politikers gehört haben, man brauche Medaillen, »koste es was es wolle« (Spitzer et al., 2013: 86). Genscher war damals Bundesinnenminister und damit in der Regierung für den Spitzensport verantwortlich. Im Konkurrenzkampf mit der sozialistischen DDR wollte er nicht ins Hintertreffen geraten, schon gar nicht bei den Olympischen Heimspielen in München 1972. Der FDP-Spitzenpolitiker wusste wohl, dass eine signifikante Steigerung der sportlichen Leistung ein Jahr vor den Spielen nur noch mit Medikamenten zu erzielen war. Für die gezielte Suche nach Talenten war es jedenfalls ebenso zu spät wie für den Ausbau von Sportanlagen (Bundesleistungszentren) und der Leistungssportförderung. Der Sportmediziner soll ihm nach einem Bericht der Süddeutschen Zeitung damals entgegnet haben, die Zeit bis zu den Spielen sei knapp. Genschers Antwort angeblich: »Das ist mir egal.« Der spätere Bundesaußenminister bestritt allerdings Zeit seines Lebens, dass er jemals »Medaillen um jeden Preis« gefordert habe. Fest steht, dass die Doping-Forschung des Freiburger Sportmediziners und Reindell-Schülers Keul zu Beginn der 1970er Jahre ins Rollen kam und er sich dafür Steuergelder beim Innenministerium besorgte. Über die Ergebnisse der Analyse von Dopingtests der Athleten des Ostblocks während der Spiele 1972 in München erhielt Keul ebenso wie Klümper wertvolle Informationen darüber, welche Medikamente/Substanzen die Athleten eingenommen hatten. Klümper schwärmte sogar davon, welche Möglichkeiten sich da für die Zukunft des westdeutschen Sports böten (vgl. Gutachten des Prof. Dr. Armin Klümper vom 24. Januar 1975, zitiert in Singler/Treutlein, 2012: 366-84). Gerhard Groß: 1976 Ministerialrat im FDP-geführten Bundesinnenministerium, lieferte den bis heute wichtigsten Beleg dafür, dass die Wünsche der Sportpolitik mit der Arbeit der Freiburger Sportmediziner korrespondierten. Zur Eröffnung des Instituts für Sportmedizin der Universität Freiburg am 21. Oktober 1976 forderte er vor laufender Kamera den Einsatz von Medikamenten im Sport. Groß behauptete, sich in diesem Wunsch einig zu sein mit Genschers Nachfolger im Bundesinnenministerium Werner Maihofer (FDP: vgl. Kapitel 1). In einem Interview sagte Keul dem Südwestfunk noch am gleichen Tag unzweideutig: »Im Besonderen wollen wir dabei in den nächsten Jahren unser Hauptaugenmerk auf die Möglichkeiten einer medikamentösen Beeinflussung der Leistungsfähigkeit beim Menschen richten.« (Keul am 21.10.1976 im SWF, zitiert nach Strepenick, 2009)

KAPITEL 5: Widerstände und Verantwortung

Die Warnungen des Heidelberger Krebsforschers Werner Franke, Anabolika könnten Spätfolgen bis hin zum Krebs auslösen, wurden als inkompetente Äußerung eines Sportmedizinlaien1 abgetan. Frankes Fazit: »Freiburg und Keul wurden geschützt, um ein westdeutsches Dopingsystem zu etablieren.« (Spiegel Sport, 2009) Wolfgang Schäuble: Er wuchs in Freiburg auf; er unterhielt lange Zeit enge Verbindungen mit seiner Heimatstadt. 1977 fungierte er als sportpolitischer Sprecher der CDU/CSU-Fraktion im Bonner Bundestag. Bei einer Anhörung des Sportausschusses am 28. September 1977 zum Leistungssport sprach er sich offen dafür aus, auch im Westen »unter der absolut verantwortlichen Kontrolle der Sportmediziner« Medikamente einzusetzen. Welche Beziehung damals zwischen Keul und Schäuble bestand, ist nicht bekannt. Konfrontiert mit der damaligen Äußerung berief sich Schäuble auf Erinnerungslücken (Singler/Treutlein, 2012: 229, 231-32). Der Heidelberger Werner Franke (persönliche Mitteilung an Treutlein, 2016) urteilte: »Schäuble war damals der Ehrlichste. Er fasste zusammen, was viele dachten: Es ist zwar Sch…, aber wir müssen es tun.« Schäuble war offensichtlich »sichtlich beeinflusst« von Sportmedizinern, die Anabolika verharmlosten. Die Frage, ob Schäuble im Lauf seiner politischen Karriere aktiv ins Freiburger Geschehen eingriff oder aber die Dinge einfach nur laufen ließ, bleibt offen. Klar ist nur: So ahnungslos, wie er sich heute gibt, kann er nicht gewesen sein. Klar ist auch, dass Schäuble die Macht und den Einfluss gehabt hätte, die Aufklärung in Freiburg zwischen 2007 und 2017 in jeder Weise zu unterstützen. Er war in dieser Zeit einer der wichtigsten CDU-Politiker Deutschlands. Lothar Späth: Mitglied der CDU. Er war von 1978 bis 1991 Ministerpräsident des Landes Baden-Württemberg. Er sorgte dafür, dass Keul 1990 das Bundesverdienstkreuz erster Klasse überreicht wurde. Späth selbst hatte Keul für diese hohe staatliche Ehrung vorgeschlagen (Strepenick, 2013d). Gerhard Mayer-Vorfelder: Abgeordneter für die CDU im Landtag von BadenWürttemberg. Er war von 1980 bis 1991 Kultus- sowie von 1991 bis 1998 Finanzminister des Landes Baden-Württemberg. Von 1975 bis 2000 bekleidete er das Amt des Präsidenten beim VfB Stuttgart und von 2001 bis 2006 fungierte es als Präsident des Deutschen Fußball-Bundes. Mayer-Vorfelder überreichte Keul 1990 im Rahmen einer Feierstunde das Bundesverdienstkreuz. 1

Franke wurde von Keul und von Klümper des öfteren als inkompetent eingeordnet, da er kein Sportmediziner ist, so auch durch Keul bei einer Podiumsdiskussion des SWR (u.a. mit Treutlein) am 15.01.1992 in Freiburg.

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In seiner Festrede rühmte er Keuls Wirken: »Es ist wesentlich Ihr Verdienst, dass die Freiburger Sportmedizin über die Landesgrenzen hinaus bekannt ist und heute Weltruf genießt.« (Strepenick, 2009) Der CDU-Politiker unterhielt auch enge Kontakte zu Klümper (vgl. die sogenannten »Klümper-Akten« und Singler, 2017b). Dieser versorgte den VfB Stuttgart mit Medikamenten und betreute in Freiburg zahlreiche Fußballprofis – auch Nationalspieler –, insbesondere nach Verletzungen. Rechnungen, die Klümper dem VfB Stuttgart stellte, waren an Mayer-Vorfelder adressiert. Ermittlungsakten belegen, dass der CDU-Politiker sich 1977 dafür einsetzte, Klümper den Titel eines Professors zu verleihen. In einer Befragung vom 9. September 1984 gab er darüber hinaus zu Protokoll, er habe sich dafür stark gemacht, dass Klümper »Chef einer eigenen Abteilung« wird. Als Klümper-Patient hatte Mayer-Vorfelder auch ein privates Interesse an der Unterstützung Klümpers. Mayer-Vorfelder starb im Jahr 2015 (vgl. Herceg, 2015). Horst Eyrich: Er war Freiburger Landtagsabgeordneter für die CDU, Landesjustizminister in Stuttgart und Klümper-Patient. Ein ehemaliger Fahnder der Ermittlungsgruppe des Landeskriminalamts Karlsruhe, der die Anzeigen gegen Klümper wegen Abrechnungsbetrugs verfolgte, berichtete, die Stuttgarter Landesregierung habe massiv Einfluss auf seine Arbeit genommen (Singler/Treutlein, 2015a: 196-197). Eyrich starb 2015. Hans Filbinger: Landtagsabgeordneter für die CDU, Ministerpräsident des Landes Baden-Württemberg von 1966 bis 1978, soll Klümper ebenfalls eng verbunden gewesen sein. Er verbrachte seinen Lebensabend in Freiburg und starb dort im Jahr 2007. Filbinger gilt als politischer Ziehvater des mehrmaligen CDU-Staatssekretärs Gundolf Fleischer. Gundolf Fleischer: Er spielte in den Beziehungen zwischen der Sportpolitik und der Sportmedizin in Freiburg zweifellos eine Schlüsselrolle. Fleischers politische Karriere begann in Südbaden. Der mehrmalige Staatssekretär in CDU-geführten Stuttgarter Landesregierungen war Lothar Späth und Gerhard Mayer-Vorfelder eng verbunden. Er galt über Jahrzehnte als führender CDU-Politiker in Südbaden. Im Jahr 1995 wurde er erstmals zum Präsidenten des Badischen Sportbunds Freiburg gewählt. Fleischer war von diesem Moment an der führende Sportfunktionär der Region. Er könnte sicherlich wesentliche Beiträge zur Aufklärung der Freiburger Dopinggeschichte leisten. Belegbar ist, dass er die sportmedizinischen Einrichtungen in Freiburg stets aktiv förderte, ihre Protagonisten verteidigte und gegen DopingAnschuldigungen in Schutz nahm. Allen Enthüllungen zum Trotz betonte er,

KAPITEL 5: Widerstände und Verantwortung

dass es sich bei den dopenden Sportmedizinern höchstens um Einzelfälle handeln könne (vgl. Müller, 2015b). Wie genau Fleischer die politische Debatte zu beeinflussen versuchte, dokumentieren Protokolle des Landtags in Stuttgart. Nach dem 30. April 2007 stand das Thema Doping in Freiburg zweimal hintereinander auf der Tagesordnung des Landtags. Fleischer versuchte, Redner der SPD und der Grünen systematisch zu stören. Das Protokoll vom 24. Mai 2007 verzeichnet 13 Zwischenrufe und Zurufe des CDU-Politikers, während die Redner Doping und die aktuellen Vorwürfe thematisierten: »So ein Blödsinn«; »Sie haben keine Ahnung« (vgl. Landtag von Baden-Württemberg, 2007a: 1562 und 1563). Das Protokoll vom 26. Juli 2007 listet anlässlich der Doping-Debatten des Landtags zwölf Zwischenrufe und Zurufe des Abgeordneten Fleischer auf: »So ein dummes Gerede«; »Ihnen geht es nur um Ihre Eitelkeit, nicht um den Sport« (Landtag von Baden-Württemberg, 2007b: 1909 und 1910). Nur die damalige Freiburger SPD-Abgeordnete Margot Queitsch wagte es schließlich, sich gegen die Störungen zu wehren und Fleischer offen anzugreifen. Nach dem zwölften Zwischenruf sagte Queitsch: »Sie wissen ganz genau, Herr Fleischer, dass es in Freiburg immer die Diskussion gab. Sie wissen, wo Sie immer standen, und Sie wissen, wer es war, der beim Auftreten von Dopingverdachtsmomenten immer wieder geschützt hat.« (Landtag von Baden-Württemberg, 2007b: 1913) In diesem Augenblick verstummte Fleischer. Er sagte laut Protokoll lange Zeit gar nichts mehr. Bei anderen öffentlichen Auftritten im Jahr 2007 betonte Fleischer stets, er wolle nichts unter den Teppich kehren. Die Vorwürfe gegen die Ärzte Schmid und Heinrich müssten sorgfältig aufgeklärt werden. Fleischer wehrte sich aber gegen einen Generalverdacht gegen die Freiburger Einrichtungen, Schmid und Heinrich seien Einzelfälle. Nach einem Bericht der Stuttgarter Zeitung versuchte Fleischer auch, seine politischen Kontakte zu nutzen. In einem Brief an den damaligen Bundesinnenminister Schäuble bat er ihn, sein ganzes politisches Gewicht in die Waagschale zu legen, um die »bundesweit renommierten Freiburger Institute« zu schützen und einer »pauschalen Verurteilung der Freiburger Sportmediziner« angemessen entgegenzutreten (Müller, 2015b). Was wusste Fleischer über die Freiburger Doping-Historie? Nichts, glaubt man seinen in der Öffentlichkeit gehaltenen Reden im Verlauf der Jahrzehnte. Ganz so ahnungslos kann der CDU-Politiker aber nicht gewesen sein. Schon am 21. Oktober 1976 bei der Grußbotschaft von Ministerialrat Groß bei der Eröffnung der »neuen« Freiburger Sportmedizin saß Fleischer

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dabei, die Aufnahmen des Südwestfunks zeigen den damals noch jungen CDU-Landtagsabgeordneten in einer der vorderen Reihen. Fleischer selbst erklärte dazu mehr als drei Jahrzehnte später, seines Wissens habe die Freiburger Sportmedizin zu jener Zeit nicht »unzulässiges Doping« erforscht, sondern lediglich »legale Leistungssteigerungsmöglichkeiten« (Strepenick, 2009). Wie eng Fleischer Keul verbunden war, zeigte sich nach Keuls Tod im Jahr 2000. Der CDU-Staatssekretär würdigte den Sportarzt als »herausragende Persönlichkeit«, als »Vater unzähliger Erfolge im deutschen und internationalen Spitzensport« sowie »maßgeblichen Gründer des Olympiastützpunkts Freiburg/Schwarzwald«. Fleischer schloss ganz persönlich mit den Worten: »Jupp war ein Freund.« (Strepenick, 2009 und Hartmann, 2011) Auch für Klümper setzte sich Fleischer häufig ein, zum Beispiel im Jahr 1998, als die Freiburger Staatsanwaltschaft einmal mehr im Zusammenhang mit Dopingvorwürfen gegen den »Doc« ermittelte. Nach der Einstellung der Ermittlungen kritisierte Fleischer die Staatsanwälte öffentlich. Im Info-Heft des Badischen Sportbunds äußerte er zunächst seine Genugtuung darüber, dass die Untersuchung gegen Klümper beendet war. Fleischer erklärte, er fühle sich in seiner »Einschätzung bestätigt, dass man mit einem verdienten Mann wie Professor Klümper so nicht umspringen darf«. Fleischer kämpfte nach dem Telekomskandal 2007 mit allen Mitteln für den Erhalt der Einrichtungen in Freiburg. So verwerflich das Tun der Radsportärzte Schmid und Heinrich auch gewesen sei: Deshalb »von einem Dopingsumpf Freiburg zu reden, ist völlig daneben« (Spägele, 2009: 12 und Strepenick, 2012b). Obwohl immer neue Erkenntnisse über die Freiburger Doping-Historie ans Licht kamen, machte der Präsident des Badischen Sportbunds (und Vizepräsident des Landessportverbands Baden-Württemberg) sich unverdrossen dafür stark, die sportmedizinische Arbeit fortzusetzen. Die sportmedizinische Abteilung der Freiburger Universitätsklinik sei ebenso wie die anderen sportmedizinischen Institute in Baden-Württemberg unverzichtbar »für den Nachwuchsleistungssport ebenso wie für die große Anzahl von Bundeskaderathleten« (Spägele, 2012: 13 und Strepenick, 2012b). Die Einrichtungen, darunter ausdrücklich auch die in Freiburg, hätten »einen hervorragenden nationalen und zum Teil sogar internationalen Ruf zu verlieren«, so Fleischer (Spägele, 2012: 13 und Strepenick, 2012b). Bei den Versuchen, Freiburgs Doping-Vergangenheit klein zu reden und als »angebliche Affäre« herunterzuspielen, assistierte ihm sein langjähriger Sprecher und Vertrauter Joachim Spägele (z.B. 2009). Im Juli 2013 konnte auch Spägele

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(2013: 13) in den Aufklärungsbemühungen nicht mehr erkennen als eine »seit Jahren wabernde Dopingdiskussion«. Mehrmals versuchte Fleischer, öffentlich Druck auf die Arbeit der Kommissionen unter Hans Joachim Schäfer und Letizia Paoli auszuüben. Kurz nachdem Schäfer mit der Befragung von Radsportlern begonnen hatte, erklärte Fleischer schon im November 2007 (in der Badischen Zeitung), der Bericht der Untersuchungskommission müsse »unverzüglich fertig gestellt« werden (Frey, 2007). Als Schäfer 2009 seinen Abschlussbericht vorgelegt hatte, kommentierte Fleischer lapidar, dieser habe »keine Neuigkeiten ans Tageslicht gebracht« (Spägele, 2007: 12). Nach einem Bericht der Zeitschrift Sport in Baden-Württemberg (Spägele, 2013: 13) griff er im Juli 2013 auch Schäfers Nachfolgerin Letizia Paoli und ihre Wissenschaftlergruppe explizit an: »Die seit längerem installierte PaoliKommission der Universität habe nichts Weiteres als das längst Bekannte zu Tage befördert.« (vgl. Müller, 2015b) Ganz gleich, was über Klümper, Keul und Co. ans Licht kam: Fleischer ignorierte es, spielte es herunter oder tat so, als sei schon immer »Alles klar« gewesen. Im Jahr 2017 holte er im Rahmen seiner alljährlich geführten »Interviews« zur Lage des Sports in Südbaden abermals zu einer Breitseite aus. Er betonte, wie wichtig es sei, dass die Ärzte der Uniklinik auch weiterhin Athleten »in Training und Wettkampf« betreuen dürften. Er hoffe, »dass sich die Zusammenarbeit zwischen Universität und Klinikum mit dem Sport in dieser Frage verbessert. Gewiss: Es sei notwendig, ›die Doping-Problematik‹ aufzuarbeiten und Schutzmaßnahmen zu entwickeln, um neue Dopingfälle zu verhindern«. Dies werde allerdings nur gelingen »wenn die Strategie der Universität und deren Umsetzung künftig faktenorientierter sein wird. Freiburg ist in Sachen Doping in den letzten Jahren weit schlechter dargestellt worden, als es den bekannten Fakten entspricht« (Spägele, 2017: 13). Fleischers Argumentationsweise war immer dieselbe: Er ging auf die »bekannten Fakten« nicht ein. Er vermied jede konkrete Aussage darüber, wo genau Universität und Klinikum sich nicht »faktenorientiert« verhalten hätten. Ebenso nebulös und unkonkret waren seine Ausführungen zur »DopingProblematik«. Das Interview verfolgte augenscheinlich nur einen einzigen Zweck: Fleischer sollte die Plattform bekommen, seine angeblich so überlegene Sicht der Dinge im Stil des weisen, sachorientierten Sportführers an Frau und Mann zu bringen. Der im Verbandsblatt zelebrierte Pseudo-Journalismus aus Frage-und-Antwort-Spiel ist allerdings sehr erhellend, wenn man jeweils danebenlegt, wie weit die Kommissionen mit ihrer Aufklärung gekommen

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waren und was heute zweifelsfrei feststeht. Freiburg war das Zentrum des Dopings im Westen Deutschlands. Zugleich versuchten Fleischer und Spägele in scheinbar sachlichem Stil, sich an der Diffamierungskampagne gegen die Aufklärer Schäfer, Paoli und Co. zu beteiligen – sie hatten offensichtlich das Gegenteil von Aufklärung im Sinn. Anfang 2021 ist Gundolf Fleischer noch immer Präsident des Badischen Sportbunds Freiburg (BSB, 2021), Vizepräsident des Landessportverbands Baden-Württemberg (LSV-BW, 2021) und Vorsitzender des Trägervereins für den Olympiastützpunkt Freiburg/Schwarzwald (OSP, 2021). Er spielt beim Schutz der sportmedizinischen Einrichtungen in Freiburg bis heute eine Schlüsselrolle. Er war und ist ohne Zweifel eine schützende Hand über Freiburg. Der Deutsche Olympische Sportbund lässt dies zu und lässt ihn, trotz der oben geschilderten Sachverhalte, gewähren.

2.7.

Staatliche Ermittler

Freiburger Sportmediziner wurden spätestens seit den Olympischen Sommerspielen 1976 in Montreal auch öffentlich mit Doping in Verbindung gebracht. Sie bekannten sich in der Anfangsphase auch noch ganz offen dazu, Athleten mit Anabolika zu versorgen und ihre Wirkung wissenschaftlich zu erforschen. Diese Offenheit kam in der Bevölkerung nicht gut an. Als die Verbände des Sports 1977 feierlich erklärten, dass Doping generell abzulehnen sei, machten die Freiburger Ärzte einfach weiter. Allerdings sprachen sie nicht mehr öffentlich darüber. Staatlichen Ermittlern fiel das natürlich auf. Aber sie gingen nur äußerst zögerlich gegen dopende Spitzensportmediziner vor. Sobald sie es dennoch versuchten, sahen sie sich mit massiven Widerständen konfrontiert. Ein Fahnder des Landeskriminalamts Baden-Württemberg (LKA) zum Beispiel versuchte in den 1980er Jahren gegen Klümper auch wegen seiner Doping-Praktiken zu ermitteln. Dies wurde ihm von höherer Stelle verboten. Unbekannte entwendeten zudem seine Notizen aus der besonders geschützten Asservatenkammer des LKA. Klümper wurde geschützt – von seinen prominenten Patienten, aber auch von staatlicher Seite (siehe Anhang I: Zeitzeugeninterview 92 in Singler/Treutlein, 2015a: 439-496). Die Politik in Baden-Württemberg sieht bis heute keinen Anlass, im Landtag einen Untersuchungsausschuss einzusetzen. Das ehemalige Mitglied der Evaluierungskommission, Dr. Andreas Singler, forderte einen solchen Ausschuss (Singler, 2016b). Seine Forderung wurde ignoriert.

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Klümpers Kollege Keul sah sich bis zu seinem Tod (2000) noch weit besser behütet; er war einer der mächtigsten Männer der Universitätsklinik und exzellent vernetzt in Sport und Politik. Der damalige Institutschef, Olympiachefarzt und Präsident der Deutschen Gesellschaft für Sportmedizin und Prävention musste keine Angst vor staatlichen Ermittlern haben. Sie trauten sich gar nicht erst ins Institut. »Keul wusste ganz genau, dass Staatsanwälte und Fahnder bei ihm nicht reinkommen würden«, sagt der Heidelberger DopingBekämpfer Werner Franke. Das änderte sich erst lange nach Keuls Tod, als Beamte des deutschen Bundeskriminalamtes (BKA) die Räume der Sportmedizin durchsuchten. Sie taten das allerdings nur wegen des massiven Drucks der Öffentlichkeit, nachdem das systematische Doping beim Radsportteam Telekom/T-Mobile ans Licht gekommen war. Da nach dem Erscheinen der Spiegel-Story von April bis Oktober 2007 bis zur Durchsuchung viel Zeit verstrich, meinte ein Beamter in kleinem Kreis: »es gab genügend Zeit zum Säubern der Räume. Die ganze Durchsuchung ist sinnlos, keiner der Ärzte wird am Ende wirklich bestraft.« (persönliche Mitteilung von Andreas Strepenick an Treutlein, 2017) Genauso kam es. Oberstaatsanwalt Christoph Frank von der Freiburger Staatsanwaltschaft, zugleich Vorsitzender des Deutschen Richterbunds, ermittelte fünf Jahre lang gegen die »Einzelfälle« (vgl. Hartmann, 2011 und Müller, 2015b), die Dopingärzte Schmid und Heinrich. Er tat dies nur, weil Werner Franke entsprechende Anzeigen gestellt hatte. Die Ermittlungen wurden nie systematisch und gründlich geführt. Der Eindruck eines Journalisten, der ihn nach drei Jahren interviewte: »Der will nichts finden.« Beweise für Handlungen in strafrechtlich relevanten Zeiträumen ließen sich angeblich nicht finden. Strafrechtlich relevant war damals der Zeitraum zwischen 2002 und 2007 – eine Periode, in der das Team Telekom/T-Mobile weiterhin große Erfolge im Sport erzielte und in der seine Protagonisten allem Anschein nach weiterhin gedopt an den Start gingen. Die Staatsanwaltschaft (2012) fand dafür aber keinen Beleg, der zu einer Verurteilung der Ärzte hätte führen können (vgl. Zeitzeugeninterview 61; contra, vgl. Schöch, 2016). Die Freiburger Behörde ignorierte darüber hinaus nach Angaben des Sportredakteurs Andreas Strepenick klare Hinweise der Badischen Zeitung (BZ) auf eine mögliche Querverbindung zur Politik. Es gibt einige Indizien dafür, dass der führende Sportfunktionär Fleischer zusammen mit seinem Bruder, einem niedergelassenen Arzt, in den 1990er Jahren eine Verbindung zwischen der Sportmedizinischen Abteilung unter

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Keul und einer privaten Apotheke hergestellt hatte. Diese versorgte Schmid und Heinrich – an der Uniklinik vorbei – mit Medikamenten (vgl. Müller, 2015b). Mit diesen Medikamenten sollen in der Folge die Radrennfahrer des Teams Telekom/T-Mobile »bedient« worden sein. Diese Versorgung funktionierte aus sicherer, privater Quelle, ohne lästige Nachfragen beispielsweise von Verantwortlichen der Klinikapotheke. Diese Verbindung existierte. Sie sei aber lediglich »Zufall«, erklärte ein Staatsanwalt in einem Sechs-AugenGespräch damals lapidar der BZ (persönliche Mitteilung von Andreas Strepenick an Treutlein, 2017). Mehrere Jahre später, im Sommer 2012, stellte die Staatsanwaltschaft Freiburg die Ermittlungen gegen Heinrich schließlich ein. Schmid kam mit einer geringen Geldstrafe davon. Beide behielten ihre Approbation. Eine neue berufliche Perspektive wurde ihnen schon kurz nach ihrer Entlassung durch die Uniklinik von privater Seite eröffnet. Der in einschlägigen Freiburger Kreisen häufig geäußerte Vorwurf, die Journalisten hätten mit ihren Veröffentlichungen über Schmids und Heinrichs Doping-Praktiken deren »Existenz zerstört«, entspricht ganz und gar nicht der Realität. Die Existenz der beiden Ärzte stand nie auf dem Spiel. Sie erfüllen die einzige Voraussetzung hierfür, sie schweigen. Bis 2020 musste kein westdeutscher Sportmediziner wegen Doping ins Gefängnis – obwohl der Staat in den vergangenen Jahrzehnten die Gesetze gegen Doping kontinuierlich verschärft hat. Eine Verhandlung des Falls Telekom/T-Mobile vor Gericht hätte die Aufklärung in Freiburg maßgeblich vorantreiben können – vor allem in dem Moment, in dem die Ärzte gezwungen gewesen wären, öffentlich und unter Eid auszusagen. Sie hätten sich dann vielleicht auch dazu äußern müssen, wer außer ihnen Bescheid wusste. Die Kollegen in der Abteilung? Die Vorgesetzten in der Klinik? Die Vertreter des Sponsors Telekom/T-Mobile? Genau dazu sollte es aber offenbar nicht kommen.

2.8.

Sportjournalisten

Wir wissen heute einiges über Freiburg. Wir verdanken das mutigen Athleten und Betreuern, die ausgepackt haben. Wir verdanken dies aber auch investigativen Journalisten, von denen es in Deutschland nur wenige gibt. Sie setzen sich intensiv mit den dunklen Seiten des Sports auseinander. Die meisten Journalisten wurden nur dazu ausgebildet, Wettkämpfe möglichst packend zu erzählen und ihre Attraktivität in den Vordergrund zu rücken. Um an Informationen zu gelangen, entscheiden sie sich auf dem Kontinuum

KAPITEL 5: Widerstände und Verantwortung

zwischen Nähe und Distanz – die ideale Journalisten-Position wäre die Mitte – für die Nähe; wegen ihrer Liebe zum Sport und der Nähe zu Akteuren sind sie selten in der Lage, Distanz zu wahren – anders als etwa im Politikoder Wirtschaftsjournalismus, in dem Emotionen eine weit geringere Rolle spielen. Der Aufklärungsjournalist der Süddeutschen Zeitung und Autor von Enthüllungsbüchern über den Fußball-Weltverband FIFA sowie Doping im Fußball, Thomas Kistner, schrieb einmal, die meisten Sportreporter seien im Grunde genommen »Fans, die es über die Absperrung geschafft haben«. Kistner, und nicht nur er, beobachtet »eine klebrige Nähe« zwischen Sport und Journalismus. Kritische Distanz wäre hilfreich, kommt in der Praxis aber nur selten vor. Fünf Journalisten seien beispielhaft genannt. Andreas Strepenick (2015b) hat in seiner Serie »Die Klümper-Akten« aus dem Jahr 2015 in der Badischen Zeitung kurze Statements von ihnen eingeholt. Er bat sie im zehnten und letzten Teil der Serie, Stellung zu nehmen zum Doping in Freiburg und zu der Frage, wie ernsthaft Universität und Klinik die Aufklärer ihrer Auffassung nach bis zu diesem Zeitpunkt unterstützt hatten (Strepenick 2015b). Alle fünf Journalisten kritisierten Uni und Klinik in ihren Statements scharf. Thomas Kistner von der Süddeutschen Zeitung schrieb: »Aus Sicht des langjährigen Beobachters lässt sich hier kein Wille zur Aufklärung, sondern nur ein Wille zur Vertuschung erkennen.« Der Doping-Experte der ARD, Hajo Seppelt, urteilte, Freiburg sei mittlerweile »ein Synonym für Doping, Betrug und Vertuschung«. Der Sportchef der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, Anno Hecker, äußerte den Verdacht, die Universität habe die von ihr selbst ins Leben gerufene Aufklärungskommission »für dumm verkauft und als Feigenblatt instrumentalisiert«. Der stellvertretende Sportchef der Stuttgarter Zeitung und der Stuttgarter Nachrichten, Tobias Schall, schrieb: »Freiburg steht stellvertretend für eine bis heute nicht befriedigend aufgearbeitete Schande des deutschen Sports.« Der Sporthistoriker und Autor der Studie »Doping im Spitzensport«, Erik Eggers, erinnerte daran, dass die Doping-Offensive der Freiburger Ärzte um Keul und Klümper nur deshalb möglich war, »weil sie protegiert wurden vom Bundesinnenministerium, von anderen Institutionen, von Sportfunktionären wie Willi Daume und Sportverbänden, die bei der Jagd nach Medaillen keinerlei Skrupel zeigten«. Eggers zeigte sich damals allen Schwierigkeiten zum Trotz zuversichtlich, dass die Aufklärungskommission unter Letizia Paoli »die brutalen Widerstände« gegen ihre Arbeit überwinden und erfolgreich abschließen könne (Strepenick, 2015b).

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Doping für Deutschland

Der Sportjournalist der Badischen Zeitung, Andreas Strepenick, der für seine Zeitung über Doping und die Aufklärungsarbeit der Kommission immer wieder berichtete, ist ein Musterbeispiel für die von Kistner geforderte kritische Distanz. Für Strepenick war es besonders schwierig, diese kritische Distanz allen Seiten gegenüber zu bewahren, da Druck auf ihn nicht nur vom organisierten Sport, sondern wahrscheinlich auch von anderen mächtigen lokalen Personen und Institutionen ausgeübt wurde. In den zehn Jahren Aufklärungsarbeit der Evaluierungskommission in Freiburg interessierten sich zwar alle großen deutschen Medien immer wieder für den aktuellen Stand der Aufklärung. Nur wenige machten sich aber die Mühe, kontinuierlich, sachkundig und engagiert zu berichten – ein Aufwand, den sich vermutlich nur wenige große Medien leisten können.

3.

Die Aufklärung in Freiburg

Die Arbeit der Evaluierungskommission ist leider ohne offiziellen Schlussbericht und vorzeitig zu Ende gegangen. Es waren nicht die insgesamt 16 Mitglieder der Evaluierungskommission, die versagt haben. Es waren die Universität und ihr Klinikum – und darüber hinaus der ganze deutsche Sport mit seinem Desinteresse an der Aufarbeitung der Vergangenheit. Es waren Sportpolitiker, die ihre angebliche Ahnungslosigkeit in Sonntagsreden kaschieren – obwohl viele wissen, dass Freiburg der Nabel der westdeutschen Doping-Welt war. Politiker, die um jeden Preis verhindern wollen, dass das ganze Ausmaß der Dopingverstrickungen ans Licht kommt. Es sind auch Journalisten, die den Blick in die Dunkelkammer des deutschen Sports scheuen und lieber seine glanzvolle Oberfläche bejubeln. Es sind ganze Institutionen, die versagt haben: Die Universität, Ministerien, Verbände und nicht zuletzt die Staatsanwaltschaft. Die Gründe dafür, dass die beiden Kommissionen zwischen 2007 und 2016 nur einen Teil des Puzzles zusammenfügen konnten, sind auch in der Geschichte der Kommissionen und in ihren Beziehungen zur Universität Freiburg selbst zu suchen.

3.1.

Die Gründung der Kommissionen

Die große Tragik der Freiburger Ereignisse liegt darin, dass die Aufklärer erst ganz zum Schluss, als das Verhältnis mit der Universität und dem Klinikum

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Doping für Deutschland

Der Sportjournalist der Badischen Zeitung, Andreas Strepenick, der für seine Zeitung über Doping und die Aufklärungsarbeit der Kommission immer wieder berichtete, ist ein Musterbeispiel für die von Kistner geforderte kritische Distanz. Für Strepenick war es besonders schwierig, diese kritische Distanz allen Seiten gegenüber zu bewahren, da Druck auf ihn nicht nur vom organisierten Sport, sondern wahrscheinlich auch von anderen mächtigen lokalen Personen und Institutionen ausgeübt wurde. In den zehn Jahren Aufklärungsarbeit der Evaluierungskommission in Freiburg interessierten sich zwar alle großen deutschen Medien immer wieder für den aktuellen Stand der Aufklärung. Nur wenige machten sich aber die Mühe, kontinuierlich, sachkundig und engagiert zu berichten – ein Aufwand, den sich vermutlich nur wenige große Medien leisten können.

3.

Die Aufklärung in Freiburg

Die Arbeit der Evaluierungskommission ist leider ohne offiziellen Schlussbericht und vorzeitig zu Ende gegangen. Es waren nicht die insgesamt 16 Mitglieder der Evaluierungskommission, die versagt haben. Es waren die Universität und ihr Klinikum – und darüber hinaus der ganze deutsche Sport mit seinem Desinteresse an der Aufarbeitung der Vergangenheit. Es waren Sportpolitiker, die ihre angebliche Ahnungslosigkeit in Sonntagsreden kaschieren – obwohl viele wissen, dass Freiburg der Nabel der westdeutschen Doping-Welt war. Politiker, die um jeden Preis verhindern wollen, dass das ganze Ausmaß der Dopingverstrickungen ans Licht kommt. Es sind auch Journalisten, die den Blick in die Dunkelkammer des deutschen Sports scheuen und lieber seine glanzvolle Oberfläche bejubeln. Es sind ganze Institutionen, die versagt haben: Die Universität, Ministerien, Verbände und nicht zuletzt die Staatsanwaltschaft. Die Gründe dafür, dass die beiden Kommissionen zwischen 2007 und 2016 nur einen Teil des Puzzles zusammenfügen konnten, sind auch in der Geschichte der Kommissionen und in ihren Beziehungen zur Universität Freiburg selbst zu suchen.

3.1.

Die Gründung der Kommissionen

Die große Tragik der Freiburger Ereignisse liegt darin, dass die Aufklärer erst ganz zum Schluss, als das Verhältnis mit der Universität und dem Klinikum

KAPITEL 5: Widerstände und Verantwortung

bereits heillos zerrüttet war, in der schlagkräftigsten Besetzung beisammen waren. Im Frühjahr 2015 konnte Letizia Paoli den Mainzer Sportmediziner Professor Dr. Dr. Perikles Simon, den Nürnberger Pharmakologen Prof. Dr. Fritz Sörgel und den Berner Anti-Doping-Experten Prof. Dr. Hans Hoppeler für die Mitarbeit in der Evaluierungskommission gewinnen. Zusammen mit den verbliebenen Unterstützern Prof. Dr. Gerhard Treutlein und Dr. Hellmut Mahler waren nun endlich sechs Personen zusammen, die sich nicht mehr in Grabenkämpfen zerrieben, ein echtes Interesse an Aufklärung zeigten, sich beim Thema Doping hervorragend auskannten und aufgrund ihrer beruflichen Positionen tatsächlich unabhängig waren. »Unabhängigkeit« ist ein zentraler Aspekt der ganzen Aufklärungsgeschichte. Die Universität und ihre Klinik nannten ihre beiden Kommissionen im Jahr 2007 »unabhängig«. Die Wortwahl sollte ihnen zusätzliche Legitimation verschaffen und auf die Öffentlichkeit wirken. Wirklich unabhängig waren die anfangs ausgewählten Wissenschaftler aber nicht. Das zeigte sich bereits in der Gründungsphase. Schon die Konstruktion des ganzen Projekts schuf eine Reihe von Abhängigkeiten organisatorischer und im Fall von Andreas Singler auch finanzieller Natur. Universität und Klinikum waren auch die falschen Auftraggeber, da sie für die Doping-Vergangenheit der Bundesrepublik Deutschland nicht verantwortlich sind. Freiburg war aber der Ort der Handlung. In Freiburg hatten die Dopingärzte und die Konstrukteure der sportmedizinischen Bastion ihre stärksten Unterstützer und dankbare Patienten bis hinauf in die höchsten Kreise. Patienten der Einrichtungen an der Uniklinik und im Mooswald liefen vom ersten Tag der Aufklärungsarbeit an Sturm gegen jeden, der sich genauer mit der Vergangenheit der Ärzte befasste. Im Gemeinderat, im Rathaus, in den universitären Gremien, bei der Staatsanwaltschaft, ja selbst im Erzbischöflichen Ordinariat und den wichtigsten Sportvereinen hatten die Ärzte sich Loyalitäten geschaffen. Andreas Schmid sei ein wunderbarer Arzt, schwärmte etwa der damalige Präsident des Fußball-Erstligisten SC Freiburg, Achim Stocker, noch im Mai 2007, also nach den ersten Doping-Enthüllungen. Die Fürsprecher der sportmedizinischen Einrichtungen saßen in der ganzen Stadt und übten ihren Einfluss aus. Die Kommissionen hätten – rückblickend betrachtet – deshalb gar nicht erst in Freiburg angesiedelt werden dürfen. Die Universität und ihr Klinikum waren tief verankert im Geflecht Freiburger Beziehungen. Auch sie handelten nicht »unabhängig«. Es ging um ihren Ruf und im Fall der Klinik auch um mögliche Verstrickungen anderer Abteilungen, womöglich gar der Führungsetage. Unglücklicherweise war aber

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Doping für Deutschland

außer der Universität niemand bereit, im Jahr 2007 eine breit angelegte Untersuchung überhaupt erst in Gang zu bringen. Am 30. April 2007 hatte der Spiegel in einer Titelgeschichte das systematische Doping beim Radsportteam Telekom/T-Mobile enthüllt (Geyer et al., 2007a und 2007b). Aber nicht das Doping selbst war die eigentliche Sensation, sondern die Tatsache, dass mindestens zwei Sportmediziner einer renommierten deutschen Universitätsklinik Dopingprogramme angeleitet, überwacht und auch selbst leistungssteigernde Medikamente verabreicht hatten. Die deutsche Medienmaschinerie lief an und entwickelte im Mai 2007 den nötigen Druck, der die sportmedizinische Bastion Freiburg ins Wanken brachte. Telekom-Profis wie Erik Zabel heuchelten Scheingeständnisse live in die Kameras – zumindest für einen verjährten Zeitraum – und taten so, als zeigten sie Reue. ARD, ZDF, Süddeutsche Zeitung, Frankfurter Allgemeine Zeitung und Deutschlandfunk sondierten ihre Archive. Sie begannen schnell, sich mit all den Dopinggerüchten zu befassen, die die Freiburger Klinik und ihre Spitzensportmediziner jahrzehntelang angreifbar gemacht hatten. Unklar war zunächst, ob neben den Dopingärzten Schmid und Heinrich andere Ärzte in Dopingpraktiken verwickelt waren sowie, welche Rolle Freiburg für westdeutsches Doping spielte. Und was wussten Politiker im Verlauf der Jahrzehnte, was die Verantwortlichen von Universität und Klinikum? Der damalige Klinikums-Chef Matthias Brandis und Alt-Rektor Wolfgang Jäger schienen im Mai 2007 aus allen Wolken zu fallen, als sie mit den Enthüllungen der Medien konfrontiert wurden. Namentlich Jäger schien aber auch bereit zu harten Schritten. Er versprach eine »Politik der rigorosen Aufklärung«, stoppte die medizinische Betreuung aller deutschen Athleten im Klinikum und sorgte für die Entlassung der beiden Universitätsärzte Schmid und Heinrich (Universität Freiburg, 2007). Es hatte den Anschein, als seien Universität und Klinikum bereit, sich ihrer DopingGeschichte zu stellen. Das Klinikum machte den Anfang. Es installierte noch im Mai 2007 eine dreiköpfige Kommission, im Folgenden »kleine Kommission« genannt. Unter der Leitung des früheren Sozialrichters Hans Joachim Schäfer aus Nürtingen sollte sie sich mit der Doping-Vergangenheit der Radrennfahrer bei Telekom/T-Mobile befassen. Sie sollte die Spiegel-Geschichte unter die Lupe nehmen und schauen, ob sie stimmte. Zwei Jahre später legten Schäfer und Co. ihren Abschlussbericht vor (Expertenkommission, 2009). Ergebnis: Die Geschichte stimmte.

KAPITEL 5: Widerstände und Verantwortung

Kurz nach dem Klinikum berief die Universität im Sommer 2007 eine weitere Kommission, im Folgenden »große« Kommission oder »Evaluierungskommission« genannt. Über die Frage, was genau ihre Aufgabe war, sollte es fünfeinhalb Jahre später zu einem erbittert geführten Streit kommen. Die Journalisten, die die Ereignisse im Jahr 2007 verfolgten, bekamen den Eindruck, die Forschergruppe werde sich ganz generell mit der Geschichte der Freiburger Sportmedizin befassen, namentlich mit deren Protagonisten Keul und Klümper. Genauso hatten es die medizinische Fakultät und der Senat der Universität schließlich beschlossen, und genau diesen Eindruck vermittelte das Rektorat der Universität zunächst auch nach außen. In den internen Protokollen kann man nachlesen, was in einer »Sondersitzung des Fakultätsvorstands« am 4. Juni 2007 beschlossen worden war. In einem einstimmigen Beschluss wollten die Verantwortlichen eine »Evaluierungskommission Sportmedizin« einsetzen. Die Kommission solle die »Freiburger Sportmedizin in ihren gesamten Aktivitäten während der vergangenen 50 Jahre auf den Prüfstand« stellen. Das Rektorat der Universität tagte nur zwei Tage später. Am 6. Juni 2007 billigte es das Konzept der Klinik. Es votierte einstimmig dafür, »die Freiburger Sportmedizin in den vergangenen 50 Jahren« zu untersuchen (Unabhängige Gutachterkommission, 2013a). Die Aufgabenstellung wurde allerdings schon vor dem 14. August 2007, dem Tag der Gründungssitzung der »großen« Kommission, merkwürdigerweise verkürzt. Nach Rücksprache mit Rektor Jäger schrieb der Universitätssprecher Rudolf-Werner Dreier in seiner Pressemitteilung vom 22. Juni 2007 nicht von der »gesamten Sportmedizin«, sondern nur noch von der »Abteilung Sportmedizin« – also der von Keul geführten Abteilung. Klümper, der 1976 seine eigene »Sportmedizinische Spezialambulanz« in den Räumen der Klinik eröffnet und sechs Jahre später in den Mooswald ausgelagert hatte, hätte damit nicht zum Untersuchungsauftrag gehört. Kein anderer Sportmediziner in Freiburg war so häufig mit Doping in Verbindung gebracht worden wie Klümper. Wussten die Verantwortlichen von Universität und Klinikum mehr, als sie im Frühjahr und Sommer 2007 öffentlich zugaben und war möglicherweise der Druck von außen so groß? Was genau war eigentlich unter dem Begriff »Evaluierung« zu verstehen? Sollte es nur noch um eine Analyse der wissenschaftlichen Leistungen gehen, nicht aber um die Doping-Vergangenheit? Genau über diese Fragen sollte später zunächst im Briefwechsel zwischen der Kommissionsvorsitzenden Paoli und Rektor Schiewer zu Beginn des Jahres 2013 dann auch öffentlich erbittert gestritten werden.

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Doping für Deutschland

3.2.

Die Zusammensetzung der Kommissionen

Die Schlüsselrolle bei der Aufklärung spielte von 2007 bis 2009 der frühere Sozialrichter Hans Joachim Schäfer aus Nürtingen. Das Klinikum hatte ihn berufen, obwohl er schon damals 71 Jahre alt und gesundheitlich angeschlagen war. Schäfer stürzte sich mit Feuereifer in die Arbeit und entwickelte mehr Engagement, als manchem lieb war. Die Doping-Historie Freiburgs interessierte ihn nicht. Er hatte auch keine Ahnung davon, mit welchen Medikamenten und anderen verbotenen Maßnahmen die Leistung von Athleten allenfalls gesteigert werden konnte. Diesen Sachverstand sollten seine beiden Kommissionskollegen Professor Dr. Wilhelm Schänzer (Institut für Biochemie der Deutschen Sporthochschule Köln) und Professor Dr. Ulrich Schwabe (Professor für Pharmakologie und Toxikologie am Pharmakologischen Institut der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg) mitbringen. Schäfer ging es auch nicht um Strukturen und Verbindungen – etwa zur Sportpolitik. Er wollte akribisch nachweisen, wie genau, mit welchen Mitteln und in welchem Zeitraum die Universitätsärzte Schmid und Heinrich – wie im Spiegel behauptet – Radrennfahrer gedopt hatten. Je länger Schäfer sich mit der Materie beschäftigte, desto mehr wunderte er sich darüber, dass insbesondere Schmid in Freiburg allen Enthüllungen zum Trotz nach wie vor einen glänzenden Ruf als wunderbarer, selbstloser Arzt genoss. Patienten kämpften für ihn, Briefe stapelten sich, nicht zuletzt Protestschreiben des SC-Präsidenten Stocker, der sich auch bei Schäfer für Schmid einsetzte. Dies obwohl dieser doch für ein Dopingprogramm verantwortlich gezeichnet hatte. Schäfer legte im März 2008 zunächst einen Aufsehen erregenden Zwischenbericht vor. Die Zahl der verdächtigen Ärzte am Universitätsklinikum hatte sich durch die Untersuchungen dieser Kommission von zwei auf fünf erhöht. Die SchäferKommission wies nach, dass diese Sportmediziner systematisch Patientenakten gefälscht hatten – geschah solches vielleicht, um die wahren Blutwerte von Telekom-Ass Jan Ullrich zu tarnen? Bei einer Bluttransfusion, zu der er gar nicht befugt war, soll Schmid darüber hinaus dem Radrennfahrer Patrik Sinkewitz verklumptes Blut zugeführt haben – eine lebensbedrohliche ärztliche Handlung. Schäfer versuchte alles, um insbesondere Schmid, der seinem Lehrmeister Keul bis zu dessen Tod im Jahr 2000 aufs Engste verbunden gewesen war, zu demaskieren (Expertenkommission, 2009). Der Abschlussbericht der Expertenkommission im Mai 2009 konzentrierte sich dann auch ganz auf die angeblichen »Einzeltäter« Schmid und Heinrich. Die anderen Ärzte hingegen wurden ausdrücklich von jedem Verdacht

KAPITEL 5: Widerstände und Verantwortung

freigesprochen. Die sportmedizinischen Kollegen, der damalige Abteilungschef Prof. Dr. Hans-Hermann Dickhuth, andere Abteilungen des Universitätsklinikums, die Klinikums-Spitze, die Vertreter des Sponsors Telekom/TMobile: Sie alle hatten angeblich von nichts gewusst. Schäfer stellte die für den Sport so typische Einzelfall-These auf, sein Auftraggeber Universitätsklinikum war damit höchst zufrieden (Expertenkommission, 2009). Der Stuttgarter Wissenschaftsminister Prof. Dr. Peter Frankenberg geißelte zwar das »skrupellose ärztliche Fehlverhalten«, ihre Approbationen behielten Schmid und Heinrich aber trotzdem, sie konnten weiterhin als Ärzte wirken. Es bleibt Schäfers Verdienst, dass die Rolle des Top-Dopers Schmid in zentralen Punkten ans Licht kam. Sein Abschlussbericht war in allen anderen Aspekten aber ernüchternd für all diejenigen, die bis dahin auf eine »rückhaltlose Aufklärung« in Freiburg vertraut hatten. Schäfer selbst wollte spätestens im Frühjahr 2009 einen Schlussstrich ziehen. Sein gesundheitlicher Zustand hatte sich weiter verschlechtert. Hinzu kam auch der Druck der KlinikumsVerantwortlichen. Sie drängten auf einen Abschluss – was sich mit dem Versprechen der »Unabhängigkeit« eigentlich nicht vereinbaren ließ. In den letzten Monaten seiner Tätigkeit wuchs auch Schäfers Misstrauen gegenüber seinem Auftraggeber. Öffentlich wollte er sich dazu freilich nicht äußern. Er wechselte den Sitz der Geschäftsstelle der kleinen Kommission von der Universität Freiburg zur Sporthochschule Köln, wo ein anderes Mitglied, Prof. Schänzer, tätig war (Expertenkommission, 2009). Die drei Kommissionsmitglieder verwarfen angeblich auch den Entwurf des Abschlussberichtes, den die Leiterin der Geschäftsstelle, Dr. Ursula Seelhorst, für sie vorbereitet hatte, und schrieben einen neuen Text. Schäfer war zu viel aufgeladen worden; er hatte bis 2009 nicht nur den Vorsitz der »kleinen« Kommission inne, sondern auch den der »großen« Kommission. Seine ganze Energie konzentrierte er auf die »kleine« Kommission. Für die »große« interessierte er sich nicht sonderlich. Entsprechend schleppend ging es in der »großen« Gruppe voran. Der gegen massiven Widerstand aus Freiburg von Wissenschaftsminister Frankenberg ins Boot der Aufklärer geholte Anti-Doping-Kämpfer Prof. Dr. Werner Franke drängte und schimpfte über die Untätigkeit. Er war aber angesichts des Fehlens von Akten, Unterlagen und eines wirklich effizienten Auftrags sowie insbesondere der fehlenden Möglichkeit Zeugenbefragung genauso machtlos wie die anderen Mitglieder, selbst wenn diese eine Beschleunigung angestrebt haben. Warum zog sich die Arbeit der »großen« Kommission über quälende zehn Jahre lang hin? Mal verließen Wissenschaftler und Fachleute die Kommissi-

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on, mal kamen neue hinzu. Nicht alle Namen sollen an dieser Stelle genannt werden. Fest steht: Erst die in der Schlusszusammensetzung der Jahre 2015 und 2016 mit Paoli, Mahler, Treutlein, Simon, Sörgel und Hoppeler zogen alle Kommissionsmitglieder wirklich an einem Strang. Von anderen vorhergehenden Kommissionsmitgliedern ließ sich das nicht in jedem Fall behaupten. Die renommierte Kriminologin Prof. Dr. Britta Bannenberg, die zunächst als Schäfer-Nachfolgerin vorgesehen war, verabschiedete sich mit der im Nachhinein berechtigten Begründung, sie wolle ihre Zeit für Nützlicheres verwenden. Im Herbst 2009 legte Schäfer aus gesundheitlichen Gründen den Vorsitz der »großen« Kommission nieder. Die Universität berief Prof. Dr. Letizia Paoli zur neuen Vorsitzenden. In einer Pressemitteilung würdigte sie ausdrücklich die Fähigkeiten und den Ruf der Kriminologin und DopingExpertin der Universität Leuven (Belgien), aber erwähnte nicht ihre langjährige Forschung zum Thema Mafia und organisierte Kriminalität. Der damals neue Universitäts-Rektor Prof. Dr. Hans-Jochen Schiewer schien geradezu stolz, die Berufung der neuen Aufklärerin zu sein. Dies sollte allerdings nicht lange anhalten.

3.3.

Die ersten Jahre der Evaluierungskommission unter der Leitung von Letizia Paoli

Paoli machte sich ab Frühjahr 2010 an die Arbeit. Für die Zeit vor 2010 fanden sich keine Unterlagen. Bis auf ein paar Ordner war die Geschäftsstelle der Evaluierungskommission leer. Wichtige Akten, wie z.B. die Korrespondenz ihres Vorgängers Schäfer, musste sie sich mühsam zusammensuchen. Die Kriminologin erkannte auch bald, dass sie es niemandem recht machen konnte – die Widerstände gegen eine effektive Aufklärung wurden zunehmend offensichtlicher. Kaum hatte sie begonnen, bekam sie schon Post von Rektor Schiewer. Er bat sie, sie möge doch langsam zum Abschluss kommen. Entweder wusste er nichts von den Schwierigkeiten der Bearbeitung einer so komplexen Fragestellung, oder er hatte Angst vor der Gründlichkeit Paolis. Was könnte erfolgreiche Kommissionsarbeit für den Ruf der Universität bedeuten, die sich das zweite Mal seit 2007 als Exzellenz-Universität beworben hatte? Schiewer erklärte Paoli auch, das Thema Doping dürfe nicht den Schwerpunkt des Kommissionsberichts bilden. Das irritierte Paoli, da sie doch eigens als Doping-Expertin und Kriminologin in die Kommission berufen worden war und ihr die Universität ausdrücklich »Unabhängigkeit«

KAPITEL 5: Widerstände und Verantwortung

zugesichert hatte. Paoli musste darüber hinaus erkennen, dass die »große« Kommission seit ihrer Gründung im August 2007 praktisch untätig geblieben war. Die international renommierte gebürtige Italienerin gab aber nicht klein bei, sondern sah sich in ihrer Ehre gepackt. Sie strukturierte die Arbeit neu, machte sich auf die Suche nach verschwundenen Akten und nach achtmonatigen Verhandlungen setzte sie bei der Universität durch, dass sie auch Zeitzeugen befragen durfte. Doch nicht nur die Tatsache, dass zahlreiche Unterlagen wie vom Erdboden verschluckt waren, irritierte sie, sondern auch die Frage, warum ihr Arbeitsauftrag so merkwürdig eingegrenzt war. Warum durfte sie sich nur mit Keul, nicht aber auch mit Klümper beschäftigen? Warum sollte das Thema Doping nicht im Mittelpunkt ihrer Arbeit stehen? Anfangs marschierten Universität und Kommission noch Hand in Hand. Im September 2011 organisierte Rektor Schiewer zusammen mit Paoli und mit der Unterstützung des Wissenschaftsministeriums in Stuttgart sogar eigens einen Kongress über »Sportmedizin und Doping in Europa«. Zum ersten Mal überhaupt durften Wissenschaftler in Freiburg öffentlich über Doping diskutieren, und das im Epizentrum des Betrugs. Den Vortrag zu Klümper hielt Treutlein. Der Vorstand des Landessportverbands Baden-Württemberg war vollständig anwesend. Er hatte in einer Vorstandssitzung am Vorabend diskutiert, wie man gegen Treutlein vorgehen könne (persönliche Mitteilung von einem Zeugen an Treutlein, 2016). Es kam jedenfalls nach dem Vortrag zu heftigen Diskussionen. Dann schwanden die Gemeinsamkeiten. Paolis Selbstbewusstsein wuchs zusammen mit ihren Zweifeln. Sie holte ausgewiesene Anti-Doping-Experten ins Boot, zunächst den Heidelberger Professor Dr. Gerhard Treutlein und den Mainzer Sportwissenschaftler Andreas Singler. Dann führte sie den ersten großen Schlag gegen die Universität. Sie warf ihr und namentlich Alt-Rektor Wolfgang Jäger vor, den Untersuchungsauftrag der Kommission von Anfang an manipuliert zu haben. Paolis Attacke im Winter 2012/2013 schlug hohe Wellen (vgl. Kistner, 2013). Zusammen mit den übrigen sieben Kommissionsmitgliedern unterzeichnete sie eine Erklärung, die ihren Vorwurf bekräftigen sollte, und legte dem Ganzen eine 88 Seiten umfassende Dokumentation bei (Unabhängige Gutachterkommission, 2013a). Mangels Medienerfahrung machte Paoli dabei den Fehler, ihre Erklärung wenig journalistentauglich, komplex und umfangreich abzufassen. Die meisten Journalisten verstanden deswegen nicht, um was es hauptsächlich ging. Nur Insider konnten ihre delikate Beweisführung nachvollziehen. Konkret beschuldigte die Kommission Altrektor Jäger, den »Arbeitsauftrag«

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an die Kommission verkürzt zu haben. Sie zitierte aus den Beschlüssen des Vorstands des Universitätsklinikums Freiburg, des Fakultätsvorstands der Medizinischen Fakultät und des Rektorats Anfang Juni 2007. Danach sei es die Aufgabe der Kommission, die »Freiburger Sportmedizin in ihren gesamten Aktivitäten während der vergangenen 50 Jahre auf den Prüfstand« zu stellen. Die Kommission erhob den Vorwurf, der damalige Rektor Jäger habe schon in einer Pressemitteilung vom 22. Juni 2007 den Auftrag der Evaluierungskommission personell, institutionell, zeitlich und inhaltlich auf die 1974 für Prof. Keul gegründete Abteilung Sportmedizin, der Prof. Klümper niemals angehörte, unter Einschränkung auf die Evaluierung von Forschung und Patientenversorgung bei gleichzeitigem Ausschluss der Doping-Thematik eingeengt und somit manipuliert. In der Pressemitteilung vom 22. Juni 2007 wurde der folgende Auftrag angekündigt: »Der Rektor der Universität, Prof. Dr. Wolfgang Jäger, hat eine Evaluierungskommission eingerichtet und ihr den Auftrag gegeben, die Arbeit der Abteilung für Sportmedizin zu untersuchen und für deren Auswirkungen in der Patientenversorgung und in der Forschung eine Bewertung vorzunehmen.« (Universität Freiburg, 2007) In der Gründungssitzung am 14. August 2007 wurde dieser Auftrag dann zum offiziellen Auftrag der Kommission in ihrer Geschäftsordnung. Auf der Basis dieses manipulierten Auftrags insistierte Rektor Schiewer im März 2010 kurz nach der Ernennung von Paoli als Kommissionsvorsitzende, dass es »nicht die Aufgabe der Kommission war, sich auf das Doping-Thema zu konzentrieren«. Gegen die geltende Geschäftsordnung argumentierte er weiter, dass der Kommissionsauftrag keine Zeugenbefragung und keine Zeugensuche vorsah und informierte Paoli, dass keine Mittel für die Einladung von Zeugen und Interviewpartnern vorgesehen seien. Die ursprünglichen Beschlüsse von Klinikumsvorstand, Medizinischer Fakultät und Rektorat wurden erst nach expliziter Anfrage von Frau Paoli 2012 der Kommission mitgeteilt. Nach der Entdeckung dieser bindenden Beschlüsse und eigenen Recherchen argumentierten einstimmig die sieben damaligen Kommissionsmitglieder 2013, dass Klümper niemals aus dem Evaluierungsauftrag hätte ausgeschlossen werden dürfen. Schließlich war Klümper bis 1982 in den Räumen des Universitätsklinikums angesiedelt, also zweifelsfrei Teil des Klinikums und damit der »gesamten Sportmedizin«. Aber auch das später eigens für Klümper errichtete Institut im Freiburger Mooswald war zumindest nach seiner Eröffnung im Jahr 1982 bis zum Jahr 1990 noch organisatorisch mit dem

KAPITEL 5: Widerstände und Verantwortung

Klinikum vernetzt. In Dokumenten ist von einem »An-Institut« die Rede. Darüber hinaus firmierte Klümper bis zum Jahr 1990 als außerplanmäßiger Professor der Universität Freiburg. Es gab also genügend Verbindungen, die es zwingend erforderlich gemacht hätten, die Person Klümper in die Untersuchung der Sportmedizingeschichte am Universitätsklinikum miteinzubeziehen (vgl. Unabhängige Gutachterkommission, 2013a). Alt-Rektor Jäger verwahrte sich entschieden gegen die Behauptungen der Kommission unter Paoli, er habe den Arbeitsauftrag für die Evaluierungskommission manipuliert. Auch sein Nachfolger Hans-Jochen Schiewer widersprach dem. Die »Sachlage« sei »eindeutig« (Universität Freiburg, 2013): Die Uni habe nichts manipuliert. Schiewer sah nicht einmal Anlass, den schwerwiegenden Vorwurf der acht Kommissionsmitglieder überhaupt einer Prüfung zu unterziehen (vgl. Strepenick, 2013e). Alt-Rektor Jäger und Rektor Schiewer erklärten vielmehr, die Kommission habe sich unter ihrem ersten Leiter Schäfer aus freien Stücken auf die »Abteilung Sportmedizin« unter Keul beschränkt und den Zeitraum der Untersuchung freiwillig auf das Jahr 1970 bis zur Gegenwart begrenzt. Wie der damaligen Rektor Jäger in einem Brief (22. Juni 2007) an den damaligen Kommissionsvorsitzenden Hans-Joachim Schäfer schrieb, sei der Arbeitsauftrag »ausdrücklich keinerlei zeitlichen und personellen Limitierungen unterworfen« gewesen (Unabhängige Gutachterkommission, 2013a). Nach der Veröffentlichung der Pressemittteilung der Kommission in 2013 erklärte Alt-Rektor Jäger »jede inhaltliche, zeitliche oder personelle Konkretisierung ist von der autonomen Evaluierungskommission zu verantworten« (Strepenick, 2013b). Er selbst habe den Arbeitsauftrag niemals modifiziert: »weder mündlich noch schriftlich« (Strepenick, 2013a, vgl. Jäger, 2013). Die Kommission um Paoli konnte damit einen Etappensieg verbuchen. Spätestens jetzt war es ihr ausdrücklich erlaubt, sich auch mit Klümpers Vergangenheit zu befassen. Im Widerspruch zur Äußerung Jägers – keine zeitliche Beschränkung der Kommissionsarbeit – setzte Uni-Rektor Schiewer die Kommissionäre erneut unter Zeitdruck. Noch immer gebe es keinen Abschlussbericht, kritisierte er und setzte in der Folge eine Frist nach der anderen. Paoli und Co. dachten allerdings nicht an eine übereilte Fertigstellung. Sie wollten tiefer in die Materie eindringen. Was genau in der Gründungssitzung im Jahr 2007 geschah, wird bis heute höchst unterschiedlich dargestellt. Das damals anwesende Kommissionsmitglied Dr. Hellmut Mahler erklärte über den Ablauf der Sitzung, die Universitätsjustiziarin Ursula Seelhorst habe Argumente gegen den Versuch, Klüm-

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per in die Untersuchung miteinzubeziehen, eingebracht. Dieser sei schließlich Röntgenarzt und »nie Mitarbeiter der Abteilung Sportmedizin« gewesen (Unabhängige Gutachterkommission, 2013b: 36). In dem Streit während der Gründungssitzung soll namentlich der Heidelberger Doping-Bekämpfer Werner Franke vehement dafür plädiert haben, Klümper miteinzubeziehen. Franke sei aber überstimmt worden. Heute sagt Franke: »Die Arbeit der Kommission wurde von Anfang an behindert und manipuliert.« (Strepenick, 2015c) Obwohl während der Sitzung heftig gestritten worden sein muss, findet sich im Protokoll darüber kein Wort. Das Protokoll erstellte ausgerechnet Ursula Seelhorst. Warum verschwieg sie den Streit, in den sie selbst nach Aussage von damals Anwesenden eingegriffen haben soll? Und welche Rolle spielte die Universitätsjustiziarin ganz generell in der Zusammenarbeit mit den Kommissionen? Sollte sie den Wissenschaftlern nur helfend zur Seite stehen und ihnen die Arbeit erleichtern oder war sie möglicherweise der juristische Verteidiger der Universität? Wie viel von den Erkenntnissen der Kommission hat das Rektorat eigentlich erfahren können? Ursula Seelhorst hat sich selbst zu diesen Fragen niemals öffentlich geäußert. Auch die Universität selbst hat konkrete Aussagen dazu sorgfältig vermieden. Universitätssprecher Rudolf-Werner Dreier blockte alle Anfragen von Journalisten, nach der Rolle von Seelhorst in Zusammenarbeit mit der Kommission, konsequent ab. Die Begründung der Universität war dabei: Seelhorst habe sich gegenüber dem ersten Kommissionsvorsitzenden Schäfer zur Verschwiegenheit verpflichtet, sie sei von diesem Versprechen nie entbunden worden und könne und dürfe daher keine Auskunft erteilen. Heute steht fest: Seelhorst spielte in mehr als einem Fall eine fragwürdige Rolle. Die Kommissionsvorsitzende der Evaluierungskommission Paoli hat in ihren Rechenschaftsberichten Seelhorsts Verhalten ausführlich dokumentiert, z.B. dass von einer »Unabhängigkeit« der Kommissionsarbeit von Anfang an keine Rede sein konnte. Mithin dürfte es sich bei der Auswahl einer Justiziarin der Universität als Geschäftsstellenleiterin der Kommission um, wenn vielleicht auch ungewollt, einen gravierenden Geburtsfehler der Kommission gehandelt haben. Zweifellos ist eine juristische Expertise wünschenswert, insbesondere wenn es um Fragen des Patientenrechts, der Verschwiegenheit und der Machtbefugnisse innerhalb einer teils hausinternen Angelegenheit geht, aber diese hätte sicher auch ein neutraler versierter Jurist einbringen können. Die Aufgabe eines Justiziars steht zumindest in Teilen einer »rückhaltlosen Aufklärung« entgegen. »Das Justiziariat ist […] organisatorischer Bestandteil eines Unter-

KAPITEL 5: Widerstände und Verantwortung

nehmens. Zu seinen Aufgaben zählt die vorbeugende rechtliche Beratung der Unternehmensführung wie deren rechtliche Vertretung im Streitfall gegenüber Dritten.« (Wikipedia, n.d., Abruf 20.03.2021) Da eine Justiziarin somit verpflichtet ist, ihrem Unternehmen »vorbeugende« rechtliche Unterstützung zu geben, kann es im Fall einer Kommission, die Versagen oder gar Rechtsbeugung in diesem Unternehmen und insbesondere deren Führung feststellen möchte, zu einem Interessenskonflikt kommen. Der Winter 2012/2013 war der Wendepunkt in den Beziehungen zwischen der Paoli-Gruppe und der Universität. Indem die Kommission die Integrität der Forschungseinrichtung infrage stellte, nährte sie auch in der Öffentlichkeit den Verdacht, dass das Versprechen aus dem Jahr 2007, »rigoros aufzuklären« (Universität Freiburg, 2007), spätestens zu diesem Zeitpunkt allenfalls noch von Teilen von Universität und Klinikum getragen wurde. Paoli musste sich von nun an selbst einer Reihe von Angriffen erwehren, deren Ziel es war, ihre eigene Integrität infrage zu stellen. Es wurde eine Schmutzkampagne gegen sie eröffnet. Der Tenor lautete schon bald: »Paoli muss weg.« Paoli wehrte sich mit insgesamt drei sogenannten Rechenschaftsberichten, in denen sie ihre Arbeit und die Widerstände gegen die Kommissionsarbeit dokumentierte (vgl. Paoli, 2013 und 2014). Die Kriminologin hatte sich von Anfang an für ein zweigleisiges Vorgehen entschieden. Erstens versuchte sie, das zu tun, was sie als ihre Aufgabe ansah; das wahre Gesicht der Freiburger Sportmedizin zu rekonstruieren. Zweitens aber notierte sie akribisch, wer ihr das Vorgehen erschwerte. Besonders eindrücklich lässt sich der Widerstand gegen ihre Aufklärungsarbeit am Beispiel von verschwundenen Akten und Dokumenten beschreiben. Es lohnt sich, hier ins Detail zu gehen. Das Beispiel der verschwundenen Akten legt nahe, dass an Paolis Darstellung in den Rechenschaftsberichten nicht zu zweifeln ist.

4.

Verschwundene Akten

Versteckt, verschollen, vorenthalten, nichts wurde der Evaluierungskommission vorbehaltlos zur Verfügung gestellt. Als Paoli Ende 2009 Vorsitzende der Evaluierungskommission wurde, musste sie überraschend feststellen, dass der Auftraggeber doch nicht bereit war, die Zusicherung des damaligen Rektors Jäger, die dieser bei der konstituierenden Sitzung der Evaluierungskommission am 14. August 2007 gab, nachzukommen. Die Zusage bezog sich darauf, dass man »den Mitgliedern der Kommission Zugang zu allen existieren-

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KAPITEL 5: Widerstände und Verantwortung

nehmens. Zu seinen Aufgaben zählt die vorbeugende rechtliche Beratung der Unternehmensführung wie deren rechtliche Vertretung im Streitfall gegenüber Dritten.« (Wikipedia, n.d., Abruf 20.03.2021) Da eine Justiziarin somit verpflichtet ist, ihrem Unternehmen »vorbeugende« rechtliche Unterstützung zu geben, kann es im Fall einer Kommission, die Versagen oder gar Rechtsbeugung in diesem Unternehmen und insbesondere deren Führung feststellen möchte, zu einem Interessenskonflikt kommen. Der Winter 2012/2013 war der Wendepunkt in den Beziehungen zwischen der Paoli-Gruppe und der Universität. Indem die Kommission die Integrität der Forschungseinrichtung infrage stellte, nährte sie auch in der Öffentlichkeit den Verdacht, dass das Versprechen aus dem Jahr 2007, »rigoros aufzuklären« (Universität Freiburg, 2007), spätestens zu diesem Zeitpunkt allenfalls noch von Teilen von Universität und Klinikum getragen wurde. Paoli musste sich von nun an selbst einer Reihe von Angriffen erwehren, deren Ziel es war, ihre eigene Integrität infrage zu stellen. Es wurde eine Schmutzkampagne gegen sie eröffnet. Der Tenor lautete schon bald: »Paoli muss weg.« Paoli wehrte sich mit insgesamt drei sogenannten Rechenschaftsberichten, in denen sie ihre Arbeit und die Widerstände gegen die Kommissionsarbeit dokumentierte (vgl. Paoli, 2013 und 2014). Die Kriminologin hatte sich von Anfang an für ein zweigleisiges Vorgehen entschieden. Erstens versuchte sie, das zu tun, was sie als ihre Aufgabe ansah; das wahre Gesicht der Freiburger Sportmedizin zu rekonstruieren. Zweitens aber notierte sie akribisch, wer ihr das Vorgehen erschwerte. Besonders eindrücklich lässt sich der Widerstand gegen ihre Aufklärungsarbeit am Beispiel von verschwundenen Akten und Dokumenten beschreiben. Es lohnt sich, hier ins Detail zu gehen. Das Beispiel der verschwundenen Akten legt nahe, dass an Paolis Darstellung in den Rechenschaftsberichten nicht zu zweifeln ist.

4.

Verschwundene Akten

Versteckt, verschollen, vorenthalten, nichts wurde der Evaluierungskommission vorbehaltlos zur Verfügung gestellt. Als Paoli Ende 2009 Vorsitzende der Evaluierungskommission wurde, musste sie überraschend feststellen, dass der Auftraggeber doch nicht bereit war, die Zusicherung des damaligen Rektors Jäger, die dieser bei der konstituierenden Sitzung der Evaluierungskommission am 14. August 2007 gab, nachzukommen. Die Zusage bezog sich darauf, dass man »den Mitgliedern der Kommission Zugang zu allen existieren-

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Doping für Deutschland

den Unterlagen und den Kontakt zu allen Personen ermöglichen wolle, die zur Aufklärung beitragen können« (Universität Freiburg, 2007; vgl. Strepenick, 2007). In Dezember 2009 fand die erste Geschäftsstellenleiterin Paolis, Frau Dr. Wellnitz, wörtlich, eine »leere Geschäftsstelle« vor (Paoli, 2013: 84). Erst Anfang 2011 wurden dann nur einige wenige Emails und Schreiben der Geschäftsstelle an Paoli überlassen, d.h., nur ein Teil der gesamten Korrespondenz unter Dr. Schäfer (vgl. Paoli, 2013). 2010 weigerte sich Rektor Schiewer, die Protokolle der 77 Zeugenbefragungen der Doping-Kommission an die Evaluierungskommission freizugeben und dies, obwohl Dr. Schäfer bis November 2009 der Vorsitzende beider Kommissionen gewesen war und die zwei anderen Mitglieder der Doping-Kommission noch in der Evaluierungskommission saßen. Als Hauptgrund für die Nichtüberlassung der Protokolle wurde stets das von Dr. Schäfer den Zeugen gegenüber gegebene Versprechen nach Vertraulichkeit angeführt. Im Frühjahr 2010 ließ Rektor Schiewer zwei aufwändige Gutachten erstellen, um diese Position zu bekräftigen. Da die Identität der Zeugen der Vertraulichkeit nicht unterlag, fragte Paoli nach, um die Namensliste der befragten Personen zu bekommen, aber dieser Vorschlag wurde nicht akzeptiert. Paoli schlug dann vor, dass die Geschäftsstellenleiterin der Doping-Kommission, Frau Seelhorst, diese Personen kontaktiert oder ein Schreiben Paolis an diese Personen weiterleitet, um deren Zustimmung zur Überlassung des eigenen Protokolls zu erhalten. Aber auch diese Vorschläge wurden ignoriert. Selbst die Übergabe der Protokolle der Befragungen von Angestellten der Universität Freiburg dauerte mehr als ein Jahr. Damit gingen viel Zeit und Energie verloren. Auch Paolis Anfragen nach vielen anderen Akten wie zum Beispiel die Fachgutachten für die an der Abteilung Sportmedizin vorgelegten Habilitationen (Paoli, 2014: 40-41) wurde nicht nachgekommen. Rektor Schiewer ließ viele Briefe Paolis unbeantwortet oder beantwortete sie nur ausweichend und unbefriedigend. Nach dem ersten Treffen mit Paoli und der Wissenschaftsministerin für das Land Baden-Württemberg, Theresia Bauer, im September 2013 hörte er sogar auf, mit Paoli zu kommunizieren und ließ ihre Fragen und Anfragen nach Informationen und Daten systematisch unbeantwortet. Bei einem zweiten Treffen mit Frau Bauer und Paoli Anfang 2015 versprach Rektor Schiewer dann, alle noch unbeantwortete Anfragen von Paoli innerhalb von zehn Tagen zu bearbeiten. An dieses Versprechen hat er sich jedoch auch nicht gehalten (Paoli, 2015).

KAPITEL 5: Widerstände und Verantwortung

Trotz der mangelnden Kooperation des Auftraggebers kämpften Paoli und einige Kommissionsmitglieder weiter, sie forschten nach, gruben tiefer und ließen sich nicht abwimmeln. So gelang erst 2012 und 2014, also fünf und sieben Jahre nach Einsetzung der Kommission, der Zugang zu den größeren Aktenbeständen.

4.1

Die Keul-Akten

Eigentlich besteht eine Abgabepflicht für Akten des Universitätsbetriebs nach Ende der Dienstzeit oder Ende einer Kommissionstätigkeit an das Universitätsarchiv. Dies wird oft nicht eingehalten. Trotz Abgabepflicht fand die Kommission nichts vor. Die gesamte Korrespondenz der damals achtköpfigen, schon im August 2007 eingesetzten Kommission schien nicht mehr zu existieren. Die Unterlagen des früheren Chefs der Abteilung Sportmedizin, Joseph Keul, waren angeblich verschwunden. Verschollen waren auch Aktenordner weiterer Sportärzte. Paoli wandte sich mit der Bitte um Hilfe an die Rektoratsjustiziarin Ursula Seelhorst, die unter Schäfer die Geschäftsstelle beider Kommissionen geleitet hatte. Drei Jahre später dokumentierte Paoli (2013) in ihrem internen »Rechenschaftsbericht, Teil 1« ihre quälend unergiebige Korrespondenz mit Seelhorst und anderen Stellen der Universität. Seelhorst habe ihre Anfragen in der Regel ausweichend, mit monatelanger Verzögerung oder gar nicht beantwortet. Es ist nicht bekannt, dass Seelhorst dafür von der Universitätsspitze je zur Rechenschaft gezogen wurde. Es ist aber kaum denkbar, dass ihr Handeln ohne Kenntnis der Rektoratsspitze erfolgte. Auch ist nicht auszuschließen, dass Frau Seelhorst bei den Anfragen, was sie der Kommission überlassen könne, ebenso ausgebremst wurde wie Paoli und die Kommission selbst – wartete sie ähnlich lange auf grünes Licht? (vgl. Strepenick/Frey, 2015) Paoli versuchte zunächst, die Schriftwechsel der Kommission unter Vorgänger Schäfer zwischen 2007 und 2009 zu rekonstruieren. Bei der Suche nach den Keul-Akten gelang es ihr mit Hilfe von Keuls Nachfolger als Abteilungschef, Prof. Dr. Hans-Hermann Dickhuth, nach Dutzenden von Briefwechseln nachzuweisen, dass die drei Regalmeter Keul-Akten noch existieren mussten. Sie lagerten pikanterweise in der Obhut der Universitätsjustiziarin Seelhorst und zwar in deren Privaträumen. Diese Akten wurden schließlich mit zweieinhalb Jahren Verspätung dem Universitätsarchiv übergeben und konnten anschließend von der Kommission gesichtet werden.

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Doping für Deutschland

Auch der nach Jäger ab 2008 amtierende Rektor Prof. Dr. Hans-Jochen Schiewer wich der Frage aus, warum die, später zur Abteilungsleiterin im Rektorat aufgestiegene Justiziarin, fünf Kisten Akten von 2007 bis 2012 in ihren Privaträumen gelagert hatte. In einem Interview mit der Badischen Zeitung (22. Oktober 2014) sagte Schiewer lediglich, »dass die Unterlagen der Kommission zur Verfügung stehen« (Strepenick, 2014). Warum Paoli zweieinhalb Jahre lang um sie kämpfen musste, erklärte Schiewer nicht. Dass die Justiziarin Seelhorst drei Regalmeter Akten in ihren Privaträumen »vergessen« oder aber aus fremdem respektive eigenem Antrieb vor der Kommission verborgen haben könnte, schließen Mitarbeiter und Kenner der Szene im Rektorat der Albert-Ludwigs-Universität kategorisch aus. Seelhorst wird von allen als exzellente, akribische und loyale Top-Juristin beschrieben.

4.2.

Die Jakob-Akten

Das Privatdepot der Justiziarin umfasste nach Paolis Darstellung noch mehr Dokumente. In ihrem internen »Rechenschaftsbericht, Teil 1«, beschrieb Paoli unter Punkt fünf, wie sie um Einsicht in drei Aktenordner des früheren Freiburger Sportmediziners Ernst Jakob gerungen hatte (Paoli, 2013: 101-121; vgl. Strepenick/Frey 2015). Jakob war Ende der 1980er Jahre an der sogenannten Testosteron-Studie westdeutscher Sportärzte beteiligt. Unter der Federführung von Keul sollte damals die Wirkung des körpereigenen Hormons Testosteron auf Leistungssportler untersucht werden. Das Bundesinnenministerium unterstützte die Forschungen mit rund 300.000 Mark. Die Ärzte erklärten, sie wollten sich mit der Regeneration von Athleten beschäftigen. Die Berliner Forschergruppe um Giselher Spitzer und Erik Eggers kam allerdings zu dem Ergebnis, dass es sich bei der Testosteron-Studie um verdeckte, gezielte Doping-Forschung gehandelt haben musste. Keul und Jakob haben dies stets bestritten (Spitzer et al., 2013). Jakob stellte der Kommission gleich nach deren Gründung 2007 drei seiner Aktenordner, die Unterlagen zur Testosteron-Studie enthielten, zur Verfügung. Sie wanderten in die Obhut der Justiziarin Seelhorst. Dort sollen sie bis Ende 2011 geblieben sein. Seelhorst habe sich geweigert, die Akten der Kommission zu übergeben beziehungsweise an Jakob zurückzuführen. Der Kampf um die Freigabe der Akten habe sich fast zwei Jahre lang hingezogen. Im Winter 2011/2012 schließlich habe Jakob seine drei Aktenordner zurückerhalten. Die Evaluierungskommission durfte sie zu keinem Zeitpunkt einsehen. Die Badische Zeitung befragte Jakob (ehemals Mitarbeiter Keuls, seit

KAPITEL 5: Widerstände und Verantwortung

1997 Ärztlicher Direktor des Sportkrankenhauses Hellersen bei Lüdenscheid) zu diesen Vorgängen. Der Mediziner bestätigte, dass er seine Akten im Jahr 2007 übergeben und erst rund fünf Jahre später, »vermutlich 2012«, zurückerhalten hatte. Wieso und warum sie in Freiburg so lange Zeit eingelagert worden seien, wisse er nicht, schrieb Jakob der Badischen Zeitung.

4.3.

Die Stober-Ordner

Der Mediziner Dr. Carl Friedrich (Fredy für die Freunde) Stober war nach dem Zweiten Weltkrieg der Mitbegründer des Badischen Sportbunds und langjähriger Präsident des Skiverbands Schwarzwald. Er starb 2010 im Alter von 100 Jahren. Stober war der Patriarch des Sports in der Region. Er kannte dessen Geschichte wie kein Zweiter, inklusive der Doping-Vergangenheit seiner Heimatstadt Freiburg. Er hatte dazu sein eigenes, privates Archiv angelegt. Neben dutzenden von Aktenordnern verfügte Stober auch über drei Ordner mit der Aufschrift »Doping«. Der Freiburger Sportjournalist Andreas Strepenick hatte diese bei einem Interview mit Stober in dessen Büro gesehen. Stober wollte nach eigenen Angaben noch ein Buch zum Thema Doping schreiben (Strepenick/Frey, 2015 und persönliche Mitteilung von Strepenick an Treutlein, 2017). Einige Monate vor seinem Tod regelte der Ehrenpräsident des Badischen Sportbunds seinen Nachlass. Er vereinbarte mit dem Staatsarchiv Freiburg (für Südbaden zuständiges Teilarchiv des Landesarchivs BadenWürttemberg), dass seine wichtigsten Unterlagen in das Archiv überführt werden sollten. Insgesamt ging es um rund 40 Ordner. Nach Informationen von Kommissionsmitgliedern wurde der Geschäftsführer des Landessportbunds und Untergebener von BSB-Präsident Gundolf Fleischer, Mathias Krause damit beauftragt, die 40 Ordner ins Staatsarchiv zu transportieren, um sie dort zu übergeben. Drei dieser Ordner, ausgerechnet diejenigen mit der Aufschrift »Doping«, verschwanden aber entweder auf dem Weg ins Staatsarchiv – oder aber im Archiv selbst, was allerdings angesichts der akribischen und sauberen Aktenführung des Archivs eher unwahrscheinlich ist (vgl. Strepenick/Frey, 2015). Jedenfalls sind sie unter dem Namen »Stober« nicht eingeordnet und bleiben bis heute verschollen (persönliche Beobachtung Treutleins).

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Doping für Deutschland

4.4.

Die Akten der Stadt Freiburg

Als Paoli im Jahr 2012 für die Evaluierungskommission das Recht erkämpfte, sich auch mit Klümper beschäftigen zu dürfen, begann sie damit, die Akten über den »Doc« und »Guru« früherer Jahrzehnte freizuschaufeln. Sie bat die Freiburger Stadtverwaltung, Unterlagen freizugeben, die die Geschichte der Sportmedizinischen Spezialambulanz im Mooswald erhellen konnten – jener legendären Anlaufstelle für Top-Sportler, die Klümper zunächst 1976 in den Räumen der Universitätsklinik errichtet hatte und dann von 1982 an in einem Neubau im Freiburger Mooswald weiterführte. Auch hier musste lange insistiert werden; erst Ende 2014, mit zweieinhalb Jahren Verspätung, durfte die Kommission die 53 angefragten Aktenbände schließlich einsehen. Die Stadtverwaltung machte datenschutzrechtliche und verwaltungsrechtliche Gründe für die Verzögerungen geltend – und verwies dabei auch auf Versäumnisse der Kommission selbst. Der damalige Oberbürgermeister Dieter Salomon sorgte schließlich mit einem rechtlichen Kniff für die Freigabe. Er ließ die Akten vorzeitig zum Archivgut erklären (Paoli, 2013: 101-121; vgl. Strepenick/ Frey, 2015).

4.5.

Ministeriumsakten in Stuttgart

Im August 2015 warf Paoli dem ehemaligen Spitzenbeamten Karl Weinmann vom Ministerium für Kultus und Sport in Baden-Württemberg vor, die Doping-Aufklärung in Freiburg zweieinhalb Jahre lang behindert zu haben. Weinmann war im Ministerium seit 1991 Referatsleiter für Schulsport, ab 2005 Referatsleiter für die ganze Abteilung »Sport und Sportentwicklung«. Er wurde 2015 pensioniert. Die Kommission unter Paoli erklärte, der Stuttgarter Spitzenbeamte habe sie getäuscht und ihre Akten zur Vergangenheit des Sportarztes Klümper vorenthalten. Diesen Vorgang dokumentierte Paoli in einem 33 Seiten langen Schreiben. Erst als der Leiter des Sportreferats in Pension ging, seien die Dokumente aufgefunden worden. Mit ihrer Hilfe ließ sich ein Teil der Geldflüsse aus Stuttgart an die Freiburger Sportmedizin rekonstruieren. In den Aktenbündeln enthalten, war auch eine »Korrespondenz zwischen Klümper und einem ehemaligen CDU-Ministerpräsidenten« des Landes Baden-Württemberg. Einen weiteren Ordner mit der Aufschrift »Doping« hatte man nur noch leer aufgefunden. Der Spitzenbeamte habe der Kommission sogar gegen den erklärten Willen der Ministeriumsspitze die Existenz der Akten vorenthalten, so die Kommission. Während die aktuelle

KAPITEL 5: Widerstände und Verantwortung

politische Führung des Landes in Stuttgart durchaus zur Zusammenarbeit mit den Aufklärern bereit war, bremsten die alten Seilschaften zwischen Sport und Politik noch immer nach Kräften (vgl. Müller, 2015a). Das Kultusministerium versprach zwar, den Vorwurf der Evaluierungskommission zu prüfen. Es blieb dann aber bei einer diskreten Prüfung. Im Dezember 2015 teilte das Ministerium mit, es habe »keine belastbaren Anhaltspunkte dafür« gefunden, dass ihr früherer Referatsleiter Unterlagen vorenthalten habe. Der Spitzenbeamte habe die Vorwürfe in einer internen Stellungnahme in wesentlichen Punkten entkräftet. Die Bitte der Badischen Zeitung auf Einsicht in diese Stellungnahme lehnte das Ministerium allerdings ab. Bei dieser handele es sich um ein »dienstrechtliches Internum«. Der frühere Referatsleiter selbst taucht bis heute regelmäßig auf Sportveranstaltungen in Baden-Württemberg auf. Er wird dazu eingeladen und genießt die Privilegien eines Ehrengastes.

4.6.

Die Klümper-Akten

Als es der Evaluierungskommission endlich erlaubt war, sich auch mit der Person Klümper zu beschäftigen, machte sie sich sofort auf die Suche nach den Ermittlungs- und Prozessakten aus den 1980er Jahren. Letizia Paoli hatte auf der Suche nach Akten bereits fünf Jahre gekämpft, als ihr im Dezember 2014 der Durchbruch gelang. Die Staatsanwaltschaft Freiburg, die diese Akten lange nicht finden konnte, bekam 2014 eine neue Leitung. Der neue Leitende Oberstaatsanwalt machte sich auf die Suche, und fand den Aktenberg. Bei der Begehung eines »Außenlagers« (es war ein Nebengebäude der Staatsanwaltschaft) wurde anfangs Dezember 2014 zunächst ein Ordner gefunden, zwei Wochen später noch 60 weitere Ordner (Mueller, 2014). Diese wurden dem Staatsarchiv Freiburg übergeben und konnten von der Kommission gesichtet werden. Die Unterlagen stammen aus den 1980er Jahren. Eine Ermittlungsgruppe des Landeskriminalamts Baden-Württemberg hatte sie im Jahr 1984 in den Privaträumen Klümpers und in seiner Sporttraumatologischen Spezialambulanz im Freiburger Mooswald beschlagnahmt. Die Landeskriminalamtsgruppe ermittelte damals wegen des Vorwurfs verschiedener Krankenkassen des »Abrechnungsbetrugs«. Klümper habe mit Rezepten betrogen und Krankenkassen um insgesamt 3,5 Millionen Mark geprellt. Schnell wurde den Ermittlern klar, dass Klümper ganze Berge von leistungssteigernden Medikamenten auf dubiosem Weg bezogen hatte, um Leistungssportler zu dopen. Als die

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Doping für Deutschland

Fahnder an diesem Punkt angelangt waren, wurde der Widerstand gegen ihre Arbeit allerdings massiv. Vorgesetzte bremsten sie. Die Ermittlungen zogen sich quälend lange hin. Die Staatsanwaltschaft Freiburg hätte die Ermittlungen am liebsten ganz eingestellt. Doch der Generalstaatsanwalt in Karlsruhe vereitelte den Plan, die ganze Geschichte unter den Teppich zu kehren. Er wies die Freiburger Behörde an, ihre Arbeit fortzusetzen. So wurde Klümper im Jahr 1989 wenigstens wegen Rezeptbetrugs angeklagt und verurteilt. Er kam mit einer relativ geringen Geldstrafe davon. Er wurde beim Verlassen des Gerichtssaals von Weggefährten und Patienten umjubelt und gefeiert. Zu seinen größten Unterstützern gehörte der ehemalige Reck-Weltmeister und Klümper-Patient Eberhard Gienger (vgl. Hartmann 2014). Dieser wurde 2006 Vizepräsident des DOSB (Präsident war damals der heutige IOC-Präsident Dr. Thomas Bach). Gienger sitzt bis heute als sportpolitischer Sprecher für die CDU im Sportausschuss des Deutschen Bundestags. Die Akten belegen, was Klümper in Wahrheit war. Er war sowohl ein Spitzenmann für die Diagnose und Behandlung von Sportverletzungen, als auch der Top-Doper des westdeutschen Sports.

4.7.

Das verschwundene Verfahren

Mit Vollendung seines 65. Lebensjahres am 31. Dezember 2000 musste Klümper seine Sportmedizinische Spezialambulanz räumen. Trotz seines Rentenalters und seiner Probleme als Diabetiker wollte er weiterhin in seinen bisherigen Räumen praktizieren. Das Bundesinnenministerium in Berlin ließ das aber nicht zu. Der Druck war zu groß geworden. Die Öffentlichkeit wusste inzwischen zu viel über Klümpers Nähe zu Doping und seine unheilvollen Verstrickungen in den Spitzensport der Bundesrepublik Deutschland. Klümpers Nachfolgergruppe mit ihrem Sprecher Dr. Dieter Heinold übernahm die von Klümper gegründete sporttraumatologische Spezialambulanz. Irgendwann in dieser Zeit – entweder noch im Jahr 2000 oder sogar erst im Jahr 2001, als Klümper schon nicht mehr im Mooswald hätte praktizieren dürfen, ereignete sich ein Vorfall, der sich nur noch in Fragmenten rekonstruieren lässt. Die Süddeutsche Zeitung berichtete darüber anderthalb Jahrzehnte später unter der Überschrift »Das verschwundene Verfahren« (Aumüller/ Kistner, 2015). Fest steht, dass die Staatsanwaltschaft Freiburg im Jahr 2001 abermals Ermittlungen gegen Klümper aufnahm – diesmal »wegen des Verdachts auf fahrlässige Tötung«. Nach Informationen von SZ und BZ soll damals eine Herzpatientin während einer Behandlung oder im Anschluss dar-

KAPITEL 5: Widerstände und Verantwortung

an gestorben sein. Es soll sich nicht um eine Leistungssportlerin gehandelt haben. »Im Jahr 2003 kam die Sache vor Gericht, eine Verurteilung erfolgte nicht«, berichteten Aumüller und Kistner (2015) von der Süddeutschen Zeitung. Trotz intensiver Recherchen ist es bis heute nicht gelungen, die Identität der Patientin herauszufinden. Die Staatsanwaltschaft sah zwischen 2001 und 2003 keinen Grund, die Öffentlichkeit über den Vorgang zu informieren. Akten, die über das damalige Verfahren hätten Aufschluss geben können, wurden vernichtet. Es sei in dem Fall keine Archivwürdigkeit festgestellt worden, teilte die Behörde der SZ mit. Das überrascht, denn die Ermittlungen wegen des Verdachts auf fahrlässige Tötung waren nicht die ersten, mit denen sich Klümper konfrontiert gesehen hatte. Im Jahr 1987 hatte die Staatsanwaltschaft Mainz gegen Klümper wegen des qualvollen Sterbens der Weltklassesiebenkämpferin Birgit Dressel ermittelt. Auch dieser Fall kam nie zur Anklage. Doch während die Ermittlungsakten hierzu noch eingesehen werden können (Landesarchiv Rheinland-Pfalz in Speyer) wurden jene in Freiburg nach Ablauf einer zehnjährigen Frist vernichtet, laut Recherchen der Süddeutschen Zeitung (Strepenick/Willmann, 2016). Der Zeitpunkt ist bemerkenswert. Wenn die Angaben der Freiburger Behörde zum Ablauf des Geschehens korrekt sind, dann wäre die Vernichtung just zu dem Zeitpunkt erfolgt, als die Evaluierungskommission unter Paoli von der Universität endgültig auch offiziell Grünes Licht bekam, sich mit Klümpers Vergangenheit und Handeln befassen zu dürfen. Bereits im April 2012 hatte Paoli erstmals bei der Staatsanwaltschaft Freiburg angefragt, welche Ermittlungsunterlagen zu Klümper noch vorhanden seien. Dass die Akten zu einem dieser Verfahren dann etwa ein Dreivierteljahr später vernichtet wurden, ist ein Vorgang, der einer eigenen Untersuchung bedürfte. Wer war die Herzpatientin? Wie starb sie? Warum wurden die Ermittlungen gegen Klümper, soweit sich das von außen rekonstruieren lässt, am Ende eingestellt? Warum wurden alle Unterlagen dazu vernichtet? Und warum wurde die Öffentlichkeit nicht über den Vorgang informiert? Alle diese Fragen bleiben bis heute ungeklärt.

5.

Das Ende der Aufklärungsarbeit

Statt ihre Arbeit endlich abzuschließen, wie die Universität und ihre Klinik es von Paoli in regelmäßigen Abständen forderten, stürzte sich die Evaluierungskommission auf immer neue Akten. Sie drangen tiefer und tiefer vor. In

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KAPITEL 5: Widerstände und Verantwortung

an gestorben sein. Es soll sich nicht um eine Leistungssportlerin gehandelt haben. »Im Jahr 2003 kam die Sache vor Gericht, eine Verurteilung erfolgte nicht«, berichteten Aumüller und Kistner (2015) von der Süddeutschen Zeitung. Trotz intensiver Recherchen ist es bis heute nicht gelungen, die Identität der Patientin herauszufinden. Die Staatsanwaltschaft sah zwischen 2001 und 2003 keinen Grund, die Öffentlichkeit über den Vorgang zu informieren. Akten, die über das damalige Verfahren hätten Aufschluss geben können, wurden vernichtet. Es sei in dem Fall keine Archivwürdigkeit festgestellt worden, teilte die Behörde der SZ mit. Das überrascht, denn die Ermittlungen wegen des Verdachts auf fahrlässige Tötung waren nicht die ersten, mit denen sich Klümper konfrontiert gesehen hatte. Im Jahr 1987 hatte die Staatsanwaltschaft Mainz gegen Klümper wegen des qualvollen Sterbens der Weltklassesiebenkämpferin Birgit Dressel ermittelt. Auch dieser Fall kam nie zur Anklage. Doch während die Ermittlungsakten hierzu noch eingesehen werden können (Landesarchiv Rheinland-Pfalz in Speyer) wurden jene in Freiburg nach Ablauf einer zehnjährigen Frist vernichtet, laut Recherchen der Süddeutschen Zeitung (Strepenick/Willmann, 2016). Der Zeitpunkt ist bemerkenswert. Wenn die Angaben der Freiburger Behörde zum Ablauf des Geschehens korrekt sind, dann wäre die Vernichtung just zu dem Zeitpunkt erfolgt, als die Evaluierungskommission unter Paoli von der Universität endgültig auch offiziell Grünes Licht bekam, sich mit Klümpers Vergangenheit und Handeln befassen zu dürfen. Bereits im April 2012 hatte Paoli erstmals bei der Staatsanwaltschaft Freiburg angefragt, welche Ermittlungsunterlagen zu Klümper noch vorhanden seien. Dass die Akten zu einem dieser Verfahren dann etwa ein Dreivierteljahr später vernichtet wurden, ist ein Vorgang, der einer eigenen Untersuchung bedürfte. Wer war die Herzpatientin? Wie starb sie? Warum wurden die Ermittlungen gegen Klümper, soweit sich das von außen rekonstruieren lässt, am Ende eingestellt? Warum wurden alle Unterlagen dazu vernichtet? Und warum wurde die Öffentlichkeit nicht über den Vorgang informiert? Alle diese Fragen bleiben bis heute ungeklärt.

5.

Das Ende der Aufklärungsarbeit

Statt ihre Arbeit endlich abzuschließen, wie die Universität und ihre Klinik es von Paoli in regelmäßigen Abständen forderten, stürzte sich die Evaluierungskommission auf immer neue Akten. Sie drangen tiefer und tiefer vor. In

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Doping für Deutschland

Freiburg, aber auch andernorts wuchs das Unbehagen. Auch das baden-württembergische Wissenschaftsministerium in Stuttgart justierte seinen Kurs neu. Zu Beginn ihrer Amtszeit im Jahr 2011 war die Wissenschaftsministerin Theresia Bauer (Grüne) noch eine engagierte Unterstützerin der Aufklärungsarbeit, dann aber vollzog sie einen Richtungswechsel. Als der Streit zwischen Universität und Kommission in Freiburg immer größere Ausmaße annahm, bot Bauer an, zwischen den Kontrahenten zu »vermitteln«. Von außen und innerhalb der Kommission entstand aber der Eindruck, dass die Ministerin nicht »vermittelte«, sondern sich von Anfang an auf die Seite der Universität schlug. Damit brach der Evaluierungskommission eine wichtige Unterstützerin weg.

5.1.

Neue Untersuchungsspuren, Verzettelungen und Attacken

Aber auch innerhalb der Kommission wuchs die Unruhe. Die Aktenberge wuchsen und wuchsen, immer neue Fragen taten sich auf. Paoli versuchte, überall gleichzeitig voranzukommen und verzettelte sich dabei. Es ging längst nicht mehr nur um Doping. Je intensiver sich einzelne Mitglieder der Kommission mit der »Evaluation« der wissenschaftlichen Leistungen der Abteilung Sportmedizin an der Uni-Klinik beschäftigten, desto mehr Abgründe taten sich auf. Zuerst ging es um Plagiate in sportmedizinischen Arbeiten, später auch um andere Formen von Wissenschaftsbetrug. Zugleich musste sich Paoli gegenüber der Universitätsleitung immer wieder rechtfertigen. Zeitweilig war sie beim Versuch, sich gegen die Angriffe zu wehren, mehr mit dem Schreiben von Pressemitteilungen und Rechenschaftsberichten als mit der eigentlichen Aufklärungsarbeit beschäftigt. Neben ihrer fordernden Berufstätigkeit an der Universität Leuven schrieb sie seitenweise Mails, um ihre Position gegenüber der Universität Freiburg und gegenüber ihrer eigenen Universität zu erklären, während sie gleichzeitig die Aufklärungsarbeit vorantrieb. In dieser Zeit wurde ihr auch ein Hinweis in Form eines anonymen Fax zugespielt, der einen endgültigen Durchbruch zu bedeuten schien. Ein Tippgeber hatte einen Bericht der Badischen Zeitung mit handschriftlichen Anmerkungen versehen. Diese bezogen sich auf ein Hotel östlich von Freiburg. Bekannt war, dass Kader des Bundes Deutscher Radfahrer dieses Hotel über viele Jahre hinweg als Trainingsstandort genutzt hatten. Der Tippgeber behauptete, dass dort auch systematisch gedopt und zu Doping angeleitet worden sei und zwar nicht nur durch einen einzelnen Arzt. Vielmehr seien die

KAPITEL 5: Widerstände und Verantwortung

Top-Mediziner der Freiburger Sportmedizin dort gemeinsam tätig gewesen insbesondere Keul und Klümper. Paoli stürzte sich sofort auf diesen Hinweis. Wenn der Nachweis gelänge, dass sowohl Keul mit seiner Abteilung an der Universitätsklinik als auch Klümper mit seiner Sporttraumatologischen Spezialambulanz im Mooswald zusammen mit anderen Medizinern gemeinsam Hand an ganze Radsportkader gelegt hatten, wäre das eine Sensation gewesen. Paoli investierte fast ein halbes Jahr allein in diese Recherche. Sie fand die Identität des Fax-Absenders. Am Ende blieben aber nur Schilderungen über Beobachtungen aus zweiter Hand. Die Angaben waren nicht konkret genug, und sie ließen sich nicht durch weitere Augenzeugen erhärten. Die Recherchen über das Hotel und die BDR-Kader verliefen letztlich im Sand. Das alles wurde nie öffentlich. Stattdessen schürten interessierte Kreise in der Öffentlichkeit den Eindruck, Paoli sei untätig und inkompetent, sie schaffe es nicht, die Aufklärungsarbeit zu Ende zu führen. Nach und nach wurde klar, dass die Spitzen von Universität und Klinik über Jahre hinweg nicht nur mit der Vorsitzenden selbst, sondern auch mit einigen anderen Kommissionsmitgliedern eifrig korrespondiert hatten. Dies war geeignet, die Position Paolis innerhalb der Evaluierungskommission zu schwächen. Innerhalb der Kommissionsmitglieder tat sich nach und nach ein Graben auf. Mahler und Treutlein standen dabei unerschütterlich an der Seite der Kriminologin Paoli. Beide verteidigten Paoli gegen Angriffe. Vor allem Mahler kam in dieser Funktion hohe Glaubwürdigkeit zu. Er war das einzige Kommissionsmitglied, das von der Gründungssitzung am 14. August 2007 bis zum Rücktritt am 1. März 2016, also fast neun Jahre, durchhielt und dies trotz massiver unfallbedingter Verletzungen. Seine Meinung zu Paolis Engagement: »Paoli wurde übel mitgespielt, sie hat hervorragende Arbeit geleistet.«

5.2.

Von der Kooperation zur Konfrontation: Das Ausscheiden der Kommissionsmitglieder Singler und Schöch

Zwei andere Kommissionsmitglieder, Andreas Singler sowie der Münchner Rechtsprofessor Dr. Heinz Schöch wandten sich von Paoli ab. Schöch war von 2008 bis 2016 Vorsitzender des Fachbeirats des Max-Planck-Instituts für ausländisches und internationales Strafrecht in Freiburg, er war damit in Freiburg gut vernetzt. Schöch hatte zunächst den Eindruck erweckt, ein glühender Verehrer Paolis und ihrer Aufklärungsarbeit zu sein. Er änderte plötzlich seinen Kurs und erklärte in einer Pressemitteilung, Paoli sei uninspiriert und nicht in der Lage, eine Kommission zu leiten. Der Mainzer Sportwissen-

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Doping für Deutschland

schaftler und Sportjournalist Singler brach ebenfalls mit seinen Mitstreitern. Erst überwarf er sich mit Paoli, deren von der Universität bezahlter Assistent er war, und dann auch mit seinem langjährigen Mentor Treutlein (vgl. z.B. Singler/Treutlein, 2000 und 2001). Singler hatte sich im Verlauf seiner sechsjährigen Tätigkeit für die Kommission von einer Rand- zu einer Schlüsselfigur in der Aufklärungsarbeit entwickelt. Anfänglich war er lediglich Kommissions-Sekretär. Dann wurde er zum vollwertigen Mitglied bestellt und war damit der Einzige, der hauptberuflich für die Kommission arbeitete und entsprechend entlohnt wurde. Paoli und die Evaluierungskommission beauftragten ihn, zusammen mit Treutlein Individualgutachten zu Reindell, Keul und Klümper zu schreiben. Diese sollten der Universität am Ende der Kommissionsarbeit übergeben werden. In Absprache mit Singler übernahm Treutlein die Archivrecherchen, Singler das Schreiben der Gutachten. So kam Singler in den Besitz einer Vielzahl von Akten, den über hundert Protokollen der Zeitzeugengespräche aber auch zu Einzelstücken aus dem Privatarchiv Treutlein. Letztere betrafen jahrzehntelange Kontakte und Auseinandersetzungen mit Keul und Klümper. So kam es, dass Singler bald über ein ebenso einzigartiges wie heikles Archiv verfügte. Die Beweise für die Freiburger Doping-Historie stapelten sich bei ihm. Diese Machtfülle ließ das Selbstbewusstsein des mittlerweile promovierten Mainzer Sportjournalisten und Sportwissenschaftlers weiterwachsen. Er entwickelte sich von einem schweigsamen, zurückhaltenden Mitarbeiter zu einem radikalen und unerbittlichen Kämpfer. Das Kommissionsmitglied der ersten Stunde, Werner Franke, wurde 2012 zum Verlassen der Kommission aufgefordert, weil er trotz Anonymisierungszusage der Kommissionsvorsitzenden, das Zeitzeugenprotokoll des ehemaligen Bahnradfahrers und Bronzemedaillengewinners der Olympischen Spiele 1988, Robert Lechner, für seinen Prozess gegen den Sportarzt Huber nutzte und damit öffentlich gemacht hatte. Lechner hatte präzise geschildert, wie der frühere BDR-Arzt und Freiburger Spitzensportmediziner Georg Huber ihn zu den Olympischen Sommerspielen 1988 in Seoul hin gedopt hatte. Franke nutzte das Protokoll für eine Beschuldigung Hubers, dieser sei ein Dopingarzt. Franke darf seitdem Huber als Doper bezeichnen. Wenn aber der Bruch der Anonymisierungszusage durch den Kommissionsvorsitzenden ohne Reaktion durch die Kommission hingenommen worden wäre, hätte dies deren Rolle bei Zeitzeugengesprächen erschwert und/oder unmöglich gemacht. Franke kam seinem Ausschluss durch eigenen Rücktritt am 1. März 2012 zuvor.

KAPITEL 5: Widerstände und Verantwortung

Ebenso kompromisslos wie stur wie Franke ging auch Singler seinen Weg. Der bis dahin nahezu unbekannte Sportjournalist machte sich auf einen Schlag bundesweit einen Namen. Im Januar 2015 wertete er im Namen der Kommission die Mitte Dezember 2014 aufgetauchten Klümper-Akten aus. Um die Ergebnisse so schnell wie möglich bekannt zu machen, ging er im März 2015 mit einer eigenen Pressemitteilung an die Öffentlichkeit (Singler, 2015b). Dies geschah ohne Rücksprache mit der Vorsitzenden oder mit anderen Kommissionsmitgliedern. Damit hatte auch Singler die Kommissions- und Archivregeln verletzt. Seine Pressemitteilung, bei den Fußballklubs VfB Stuttgart und SC Freiburg sei in den 80er Jahren systematisch gedopt worden, schlug hohe Wellen. Die Medien waren elektrisiert (vgl. Keppler, 2015 und Zimmermann, 2015). Während die Universität im Fall der Verletzung der Anonymisierungszusage durch Franke umgehend Konsequenzen von Paoli verlangt hatte, applaudierte sie nun dem Alleingang des Kommissionsmitglieds Singler (Universität Freiburg 2015), allenfalls ein Hinweis darauf, wie eng die Beziehung zwischen Singler und Uni-Rektor Schiewer zu diesem Zeitpunkt war. In der Zwischenzeit hatte die Universität angedeutet, dass nach Ende der Kommissionsarbeit eine Forschungsstelle zur Dopinggeschichte eingerichtet werden sollte (Dörfler, 2014). Es war vorgesehen, dass Singler, der keine Festanstellung oder akademische Vollzeitstelle innehatte, die Leitung dieser Einrichtung übernehmen sollte. Damit hätte die Universität erfolgreich eine Spaltung der Kommission erreicht. Auch die einst erfolgreiche Kooperation von Treutlein und Singler (z.B. das Forschungsprojekt der PH Heidelberg zur Dopinggeschichte 1996 – 2001, vgl. Singler/Treutlein, 2000 und 2012) und Singlers Förderung durch Treutlein wurden damit beendet. Eine Recherchegruppe der Badischen Zeitung analysierte die KlümperAkten ebenfalls. Im Fall des SC Freiburg fand sie lediglich einen Beleg für eine einzige Medikamentenlieferung: ein Päckchen sehr gering dosierter Anabolika-Tabletten im Wert von 24,50 Mark. Wie man damit »systematisch« dopen sollte, bleibt bis heute Singlers Geheimnis. Zwei Pharmakologen erklärten der Badischen Zeitung unabhängig voneinander, die Dosis sei so gering, dass damit kein Effekt zu erzielen war (Gulde, 2015). Aus anderen Quellen gibt es zwar Hinweise darauf, dass beim SC Freiburg mehr geschehen ist, diese Hinweise ließen sich aber nicht erhärten (vgl. Singler, 2015c). Singler verteidigte seinen Alleingang mit dem, rückwirkend durchaus schlüssigem Argument, die Kommission müsse Ergebnisse auch nach außen

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Doping für Deutschland

präsentieren, statt nur zu sammeln und intern zu analysieren. Paolis Plan war es gewesen, die Aufklärungsarbeit am Ende und auf einen Schlag zu veröffentlichen. Aus heutiger Sicht war das ein Fehler. Es wäre vermutlich klüger gewesen, regelmäßig Zwischenberichte zu präsentieren, damit der Vorwurf, sie sei untätig, ins Leere gelaufen wäre. Der Graben zwischen Singler und seinen Kommissionskollegen wurde unterdessen tiefer und tiefer. Auf der Grundlage von Kommissionsergebnissen und von Treutleins Archivarbeit verfasste er Gutachten zu Reindell, Keul und Klümper (ca. 2000 Seiten) und leitete diese an Paoli und der Kommission vorbei der Universität und dem Stuttgarter Wissenschaftsministerium zu. Er stellte sich damit offen und von Prof. Dr. Schöch unterstützt gegen die Kommissionsvorsitzende Paoli, ihren Stellvertreter Mahler und gegen die Kommission. Singler verbündete sich damit mit Rektor Schiewer. Versuchte die Universität, nachdem alle Frontalangriffe auf Paoli gescheitert waren, die Kommission nun von innen heraus zu sprengen und auf diese Weise eine Beendigung der Kommissionsarbeit zu erzwingen?

5.3

Der Rücktritt der Kommission

Die Liaison zwischen Singler und der Universitätsspitze überdauerte auch die letzte Phase der Kommissionsarbeit. Singler trat im Frühjahr 2015 aus der Kommission aus, zeitgleich mit dem Kommissionsmitglied Schöch. Singler kam damit seinem Ausschluss zuvor. Paoli, Treutlein und Mahler kämpften zusammen mit ihren neuen Mitstreitern Simon, Sörgel und Hoppeler, gegen deren Berufung sich Singler ausgesprochen hatte, noch ein knappes Jahr weiter, bevor die Kommission im Februar 2016 zum Schluss kam, dass ein Abschluss der Arbeit mit der Universität Freiburg nicht mehr zu verwirklichen war. Am 1. März 2016 trat das Gremium zurück. Dabei wurden nochmals schwere Vorwürfe an die Adresse der Universität gerichtet. Diese habe die »Unabhängigkeit« der Kommissionsarbeit nicht gewährleistet. Wörtlich erklärten Treutlein, Mahler, Simon, Sörgel und Hoppeler: »Im Sinne einer wahrhaftigen Aufklärung können wir keine Kompromisse bei der uns garantierten uneingeschränkten Unabhängigkeit der Kommission eingehen.« (Hoppeler et al., 2016) Die Universität wies diesen Vorwurf umgehend zurück. Sie sprach von einem »Rücktritt ohne Grund«. Die Universität habe die Unabhängigkeit der Kommission »zu keinem Zeitpunkt eingeschränkt oder auch nur in Frage gestellt«. Letizia Paoli konnte sich in der Schlussphase der Auseinanderset-

KAPITEL 5: Widerstände und Verantwortung

zung nicht mehr einbringen, weil sie durch den Vertrag, der zwischen der Universität Leuven und der Universität Freiburg bestand, gebunden war. Die fünf verbleibenden Kommissionsmitglieder warfen Rektor Schiewer in einem Schreiben vor, persönlich für das Scheitern der Aufklärung in Freiburg verantwortlich zu sein. Sie erklärten: »Sie tragen zudem die Verantwortung für das Scheitern der historischen Aufgabe, Licht ins Dunkel der Freiburger und der deutschen Dopingvergangenheit zu bringen.« (Hoppeler et al., 2016) Zu diesem persönlichen Angriff äußerte sich Schiewer nicht mehr. Auch Paoli war des jahrelangen Ringens um Aufklärung gegen Widerstände, das ihr weder wissenschaftliches Renommee noch persönlichen Gewinn eintrug, überdrüssig geworden. Die Zahlungen der Universität Freiburg für die Arbeit von Letizia Paoli flossen nämlich in einen Forschungsfonds des Vertragspartners Universität Leuven und sie wurde für ihre Arbeit ab Juli 2012 bis zum Kommissionsende im März 2016 von der Universität Freiburg nicht mehr bezahlt. Paoli drängte damit ebenfalls auf Auflösung der Kommission. Von seinen einstigen Mitstreitern hatte sich der Mainzer Singler mittlerweile vollständig isoliert. Doch auch die gute Beziehung mit der Universität erwies sich schon bald als brüchig. Es ist sein Verdienst, dass er diese Brüche schonungslos öffentlich machte. Praktisch zeitgleich mit dem Rücktritt der Kommission entdeckte er etwas, was er skandalös fand. Rektor Schiewer hatte 2015 den Freiburger Anwalt Wolfgang Schmid damit beauftragt, das Gutachten über Klümper juristisch zu überprüfen. Ausgerechnet den Anwalt Schmid, der den »Doc« und Top-Doper des deutschen Sports in den 1990er Jahren anwaltlich beraten und so manches Gefecht für ihn gekämpft hatte (Aumüller/ Kistner, 2016b). Schmid sollte also das Gutachten und damit die dahinterstehende Kommissionstätigkeit juristisch durchleuchten. Singler machte diesen Vorgang unmittelbar nach dem Rücktritt der Evaluierungskommission öffentlich und setzte Uni-Rektor Schiewer damit so sehr unter Druck, dass dieser sich für die Wahl des Anwalts entschuldigen und Schmid von seiner Mission entbinden musste (Homann, 2016). Doch Singler genügte die Entschuldigung nicht. Er saß nun zwischen allen Fronten. Unterstützung von den früheren Kommissionskollegen hatte er nicht mehr zu erwarten und Rektor Schiewer wurde sein neuer Feind. In einer Pressemitteilung vom 22. April 2016 attackierte er die Universität erneut und schob schwere Angriffe nach. Er attestierte dem Uni-Rektor »dilettantisches Verhalten bei der Auswahl des früheren Anwalts von Prof. Armin Klümper«. Darüber hinaus warf er Schiewer vor, »die Öffentlichkeit bewusst falsch und irreführend« zu informieren über Probleme bei der Veröffentlichung sei-

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Doping für Deutschland

ner Gutachten (Strepenick, 2016). Die Universität wies diese Anschuldigungen zurück. Singler und Rektor Schiewer stritten sogar um die Veröffentlichung der Hauptgutachten über Keul und Klümper. Für die Übergabe dieser Gutachten forderte Singler ein zusätzliches Honorar von angeblich fast 100.000 Euro. Die Uni war nicht gewillt, auf Singlers Geldforderungen einzugehen – jedenfalls nicht in voller Höhe. Sie sah den Aufklärer bereits ausreichend entlohnt. Singler weigerte sich, die Gutachten zu Keul und Klümper zur Veröffentlichung freizugeben, solange die finanzielle Seite nicht geklärt war. Wie sehr sich der Ton zwischen Singler und dem Rektor mittlerweile verschärft hatte, belegen Singlers Pressemitteilungen von diesen Monaten. Im März 2017 erklärte er, dass die Zusammenarbeit zwischen ihm und der Uni »ab sofort beendet« sei und bezichtigt den Freiburger Uni-Rektor der Lüge (DPA, 2017, Schwarzwälder Bote, 2017a und Strepenick, 2017a). Im Frühjahr 2017 publizierte Singler die zwei Hauptgutachten zu Keul und Klümper auf seiner Internetseite, wie ursprünglich vereinbart und aus Urheberrechtsgründen nicht anders möglich mit Treutlein als Co-Autor. Am Ende publizierte auch die Universität – mit einer Ausnahme – die Gutachten gegen Singlers erklärten Willen. Singler versuchte noch, sich mit mehreren Strafanträgen zu wehren – erfolglos (Singler, 2017a und c). Nur der von Singler ohne Kommissionauftrag und gegen die Absprachen mit Co-Autor Gerhard Treutlein erarbeitete Text zum Thema Doping im Profi-Fußball und Radsport wurde von der Universität nicht veröffentlicht. Für die Universität war dieser Text nicht veröffentlichungsfähig, weil Singler die erheblichen, von der externen Rechtsprüfung empfohlenen Änderungen nicht komplett berücksichtigen wollte (Schwarzwälder Bote, 2017b). Singler brachte im Laufe des Jahres 2017 diesen Text über seine eigene Internetseite an die Öffentlichkeit. Seither ist es um ihn ruhig geworden.

5.4

Fazit

Die Kommissionen machten Fehler, die Universität und ihr Klinikum machten Fehler, die Journalisten machten Fehler. Das alles ist aber nur ein Teil der Geschichte. Der deutsche Sport und die Sportöffentlichkeit hatten gar kein Interesse an einer Aufklärung. Viele Sportpolitiker vergnügen sich lieber in der VIP-Lounge eines Champions-League-Spiels oder einer Weltmeisterschaft, als dass sie ihrer Verantwortung, für einen sauberen und ehrlichen Sport zu kämpfen, gerecht werden.

KAPITEL 5: Widerstände und Verantwortung

Die Aufklärung blieb stecken, weil die meisten Fans in Deutschland ebenso wie die meisten Journalisten es vorziehen, sich einer naiven Liebe zum Sport und einer unkritischen Begeisterung hinzugeben, statt einen kritischen Blick hinter die Kulissen zu werfen. Sie blieb auch stecken, weil Doping-Ärzte besser fahren, wenn sie weiterhin schweigen. Sie blieb stecken, weil die Zahl der Doping-Aufklärer klein ist, die Zahl der Doping-Profiteure aber groß. Sie blieb stecken, weil man mit Doping viel Geld verdienen kann. Man sich aber mit der Aufklärung von Doping-Netzwerken und Doping-Strukturen lediglich Ärger einhandeln kann. Viele Kenner unsauberer Aspekte der Freiburger Sportgeschichte bekleiden noch immer verantwortliche Positionen im deutschen Sport, in deutschen Behörden und Ministerien und an sportmedizinischen Schlüsselstellen. Interesse an einer Aufklärung wird bestenfalls wortreich deklariert. Vor allem die Vorsitzende der Evaluierungskommission, Letizia Paoli, musste viel ertragen. Sie wurde das Opfer einer Schmutzkampagne. Maßgeblich an dieser Kampagne beteiligt waren die beiden ehemaligen Kommissionsmitglieder Singler und Schöch. Beteiligt waren aber auch Teile der Universität und des Rektorats sowie Spitzenvertreter des Universitätsklinikums, vor allem der Leitende Ärztliche Direktor Prof. Dr. Siewert. Beteiligt waren interessierte Kreise der Stadt und des organisierten Sports in Freiburg und in Deutschland. Beteiligt waren nicht zuletzt auch Journalisten, die häufig, wider besseren Wissens und ungeprüft, Unwahrheiten in die Welt trugen. Sie führten die Öffentlichkeit irre, indem sie einen komplexen und vielschichtigen Prozess, an dem hunderte von Personen mit unterschiedlichen Interessen beteiligt waren, grotesk vereinfachten. Es gelang zwar, die Kommission um Paoli zu bremsen. Es gelang aber nicht, sie völlig zu sprengen und mundtot zu machen. Das Ende der Kommissionsarbeit ist nicht das Ende der Aufklärung in Freiburg. Weitere Athleten werden sich zu ihrer Doping-Vergangenheit bekennen (vgl. Krivec, 2017). Dies passiert spätestens unter der Last des Gewissens, wenn sie älter geworden sind. Viele nehmen ihr Wissen auch mit ins Grab. Neue Wissenschaftler werden den Querverbindungen zwischen Sport und Politik nachspüren und sich z.B. mit der Frage befassen, wie tief der Sumpf in den sportmedizinischen Einrichtungen der Stadt wirklich war – Freiburg als Einzelfall oder eher symptomatisch für einen auf absolute Erfolge ausgerichteten Spitzensport. Neue Journalisten werden darüber berichten. Neue Akten, neue Ermittlungsergebnisse und neue Zeitzeugen werden auftauchen. Die Mauer des Schweigens wird brüchiger werden. Die jüngsten Affären um die Erfurter Ärzte Dr. An-

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Doping für Deutschland

dreas Franke oder Dr. Mark Schmidt, beide aus dem Umfeld des verurteilten Dopers und Erfinders des Hammer Modells, Dr. Jochen Spilker, der sich nach der Wende 1989 als Rechtsanwalt in Erfurt niedergelassen hatte, legen nahe, dass Freiburg kein Einzelfall war (vgl. Purschke/Mustroph, 2019). Längst nicht alles ist bisher aufgeklärt worden. An vielen Stellen stecken hinter angeblichen »Einzelfällen« und Einzeltätern lokale, regionale und nationale Interessen und Netzwerke. Auch wenn die Arbeit der Evaluierungskommission formell nicht abgeschlossen werden konnte, haben die Kommissionsmitglieder einen bedeutsamen Beitrag zur Aufklärung und Sichtbarmachung eben dieser Netzwerke geleistet.

KAPITEL 6: Fazit

Mit dem vorliegenden Buch kommt die Arbeit der Evaluierungskommission Freiburger Sportmedizin zu ihrem Abschluss. Die Evaluierungskommission wurde 2007 nach dem größten Dopingskandal des wiedervereinigten Deutschlands von der Universität Freiburg eingerichtet: zwei Ärzte der Universität Freiburg hatten jahrelang die Elitefahrer des Team Telekom/T-Mobile mit EPO und anderen Dopingmitteln versorgt und bei ihnen gegen ärztliche Richtlinien gefährliche Bluttransfusionen durchgeführt. Die Evaluierungskommission wurde ins Leben gerufen, um »die Freiburger Sportmedizin in ihren gesamten Aktivitäten während der vergangenen 50 Jahre auf den Prüfstand« zu stellen, auch wenn dieser Auftrag den Kommissionsmitgliedern 2007 so nicht kommuniziert und erst 2012 von ihren Mitgliedern entdeckt wurde. Trotz langjähriger, intensiver Arbeit und der Fertigstellung mehrerer, zum Teil sehr ausführlicher Gutachten konnte die Kommission aufgrund vieler Widerstände und mangelnder Unterstützung vonseiten des Auftraggebers ihre Arbeit nicht formell abschließen. Deswegen haben wir, die sechs Mitglieder der Kommission in ihrer letzten Besetzung, beschlossen, die wichtigsten Resultate der Kommissionsarbeit in diesem Buch zu veröffentlichen. »Doping für Deutschland« rekonstruiert die Rolle, welche die beiden prominentesten Freiburger Sportmediziner, Prof. Joseph Keul und Prof. Armin Klümper, bei dem systematischen Doping von Sportlern spielten. Zudem werden in diesem Buch die Faktoren analysiert, welche die Verteilung von verbotenen leistungssteigernden Mitteln an Generationen von Sportlern ermöglichten und zur Vertuschung bzw. Verharmlosung dieses Sachverhalts über Jahrzehnte führten. Darüber hinausgehend werden auch im Einklang mit dem Kommissionsauftrag die Forschungstätigkeit und die Veröffentlichungen der Freiburger Abteilung für Sportmedizin bewertet.

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Doping für Deutschland

In diesem Kapitel wird das unheilvolle Zusammenwirken von Personen und Umständen dargestellt, welches letztlich für den schwerwiegenden Bruch mit dem akademischen, sportethischen und medizinischen Verhaltenskodex an der größten universitären sportmedizinischen Einrichtung Deutschlands verantwortlich war. Es geht dabei um eine möglichst objektive Darstellung von Mechanismen und nicht um Schuldzuweisungen. Sportmedizin: Die Sportmedizin an der Universität Freiburg gehörte über 40 Jahre zu den besten deutschen sportmedizinischen Einrichtungen mit großer internationaler Ausstrahlung. Ein Schwerpunkt der wissenschaftlichen Arbeit lag bei der Erforschung der kardiovaskulären Voraussetzungen für die Dauerleistungsfähigkeit. Dabei wurde Grundlagenforschung im Bereich der Spiroergometrie (d.h. die Messung von Atemgasen unter körperlicher Belastung) und der Messung der Herzgröße, eine der wichtigen Determinanten der maximalen Sauerstoffaufnahme, geleistet. Auch die Erforschung des Fettstoffwechsels mit den Erkenntnissen zu Lipidprofilveränderungen bei Lebensstilveränderungen gehört zu den international anerkannten Beiträgen der Sportmedizin Freiburg. Die problematischen Entwicklungen in der Sportmedizin Freiburg müssen im Zusammenhang mit dem staatlichen Auftrag der sportmedizinischen Versorgung von Spitzenkadern gesehen werden. Staatlich geförderte Forschung zu den Grenzen menschlicher Leistungsfähigkeit und deren Beeinflussung wurde von wissenschaftlichen und ärztlichen Kadern in unheilvoller Nähe und mit gleichzeitiger, medizinischer Verantwortung für die Leistung von deutschen Spitzenathleten durchgeführt. Leistungsmessung: Die wissenschaftliche Erfassung menschlicher Leistungsfähigkeit ist eine Kernkompetenz der akademischen Sportmedizin. Die damit verbundene Frage nach den Mechanismen, welche diese Leistungsfähigkeit begrenzen, sind legitime wissenschaftliche Fragestellungen. Dass dieser Fragestellung im Sport nachgegangen wird, ist somit naheliegend. So lassen sich menschliche Höchstleistungen in ihren ursächlichen Faktoren erfassen und Unterschiede zur »Normalpopulation« darstellen und verstehen. Das Verständnis für Mechanismen macht es zudem auch möglich, mit gezielten Interventionen unter Beeinflussung der als kritisch erkannten Parameter, die Leistungsfähigkeit zu steigern. Für die wissenschaftliche Überprüfung von Hypothesen zu leistungslimitierenden Faktoren spielt es dabei im Prinzip keine Rolle, ob die verwendeten experimentellen Interventionen trainingsbedingt, d.h. legitim, oder durch »Doping« induziert sind. In diesem Sinne sind

KAPITEL 6: Fazit

die frühen wissenschaftlichen Arbeiten von Reindell und Keul zu verstehen, welche in den 60er Jahren die Grundlagen für das Verständnis der menschlichen Dauerleistungsfähigkeit und deren Limitierung lieferten. Es war naheliegend, die gewonnenen wissenschaftlichen Erkenntnisse auch zum Vorteil der eigenen und vom Institut betreuten Athleten zu nutzen. Die Leistungsmessung wurde aber nicht nur für die Beurteilung der Leistungsfähigkeit von Athleten anhand von Laborwerten eingesetzt. Ab Mitte der 70er Jahre fand die routinemäßige Spiroergometrie Eingang in die Kardiologie, da in zunehmenden Maße Infarktpatienten mit körperlichem Training rehabilitiert wurden. Bis heute leistet die Sportmedizin weiterhin einen wesentlichen Schrittmacherdienst der Rehabilitationsmedizin durch die Selektion von Belastungsprotokollen bis hin zu der Wahl von geeigneteren Trainingsmodellen. An dieser Entwicklung war die Sportmedizin Freiburg mit Reindell, Keul und später Halle für Deutschland maßgeblich beteiligt. Die Freiburger Sportmedizin hatte zusammen mit der Sporthochschule Köln unter Wildor Hollmann einen wesentlichen Anteil am Paradigmenwechsel der kardialen Rehabilitation und generell am gezielten Einsatz körperlicher Aktivität in der klinischen Therapie. Keul: Prof. Josef Keul war der charismatische akademische Leiter der für ihn 1973 gegründeten »Abteilung Sport- und Leistungsmedizin« der Universität Freiburg, die er bis zu seinem Tode im Jahr 2000 leitete. Für ihn war fraglos die Steigerung der sportlichen Leistungsfähigkeit die Hauptaufgabe sportmedizinischer Tätigkeit. Er war während der gesamten Zeit seiner Tätigkeit darum bemüht, sportethische Bedenken im Zusammenhang mit der pharmakologischen Beeinflussung sportlicher Leistungsfähigkeit zu widerlegen oder zu diskreditieren, obwohl er selbst diese Substanzen selten verabreichte und rezeptierte. Seine jahrzehntelange Stellung als Chefarzt des Deutschen Olympiateams (bis 2000) belegt den Nimbus, den Keul als Doyen der deutschen Sportärzte genoss. Seine Mitgliedschaft in verschiedenen Gremien des BISp (Bundesinstituts für Sportwissenschaft) garantierte ihm und seinem Institut eine bevorzugte Behandlung, vor allem bei der Vergabe von Forschungsmitteln. Mit seiner kompromisslosen Unterstützung des Spitzensports war er der Politik und dem organisierten Sport ein Garant für die erwünschten Erfolge bei sportlichen Großveranstaltungen. Gegen Ende seiner Tätigkeit wurden kritische Stimmen lauter und damit die Fremdfinanzierungen seines umfangreichen Mitarbeiterstabes schwieriger. Mit der Übernahme der Betreuung des Teams Telekom im Rahmen des »Arbeitskreises dopingfreier Sport«

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Doping für Deutschland

konnte Keul die sich anbahnenden finanziellen Probleme vorerst lösen. Aufgrund der Dopingkultur im professionellen Radsport wurde damit aber auch die Verwicklung in einen Dopingskandal nur noch zu einer Frage der Zeit. Da Keul im Jahr 2000 verstarb, erlebte er den Skandal (und den Zusammenbruch seines Dopingsystems) nicht mehr mit. Klümper: Die dopingpermissive Haltung von Prof. Keul muss als Voraussetzung für die langjährige Tätigkeit von Prof. Armin Klümper an der Universität Freiburg gesehen werden. Wie umfassend belegt, hat Klümper in eigenmächtiger Selbstüberschätzung und gegen alle Regeln des Sportes und der medizinischen Ethik Scharen von Sportlern beraten und mit Dopingmitteln versorgt. Von 1977 bis 1990 bekleidete Klümper dabei eine Professur an der Universität Freiburg, und betrieb ab 1982 als Radiologe an der MooswaldKlinik in Freiburg eine sporttraumatologische Sportambulanz. Trotz seines unfreiwilligen Ausscheidens aus dem Universitätsbetrieb im Jahre 1990 blieb Klümper ärztlicher Leiter derselben Klinik. Prof. Klümper wurde vom Landgericht Freiburg 1989 wegen Abrechnungsbetrugs zu einer Geldstrafe verurteilt. Klümper musste sich dann 1998 nach Südafrika zurückziehen, nachdem er in Freiburg wegen verschiedenster Dopingvorwürfe öffentlich unter massiven Druck gekommen war. Es wäre Keul und damit letztlich der Universität jederzeit möglich gewesen, der medizinisch und ethisch unverantwortbaren Tätigkeit von Klümper frühzeitig ein Ende zu setzen. Beides scheint aus opportunistischen Gründen nie stattgefunden zu haben. Doping: Über die gesamte Zeit der weltweit stattfindenden Sensibilisierung für Dopingpraktiken im Sport setzte sich vorerst Reindell – und später Keul dezidiert – für den kontrollierten Einsatz von Anabolika im Hochleistungssport ein. Die öffentliche Gutheißung und Verharmlosung des Gebrauchs von Anabolika und androgenen Steroiden im Leistungssport war begleitet von Studienarbeiten, welche diese Substanzen auch an Athletenpopulationen systematisch untersuchten. Diese Studien wurden zum Teil durch öffentliche und kompetitiv vergebene Mittel des BISp finanziert, zu denen Keul aufgrund seiner Stellung und Vernetzung in Wissenschaft, Sport und Politik einen privilegierten Zugang hatte. Die erwähnten Studien fanden dabei zu einem Zeitpunkt statt, als anabole Steroide bereits auf der Dopingliste des IOC standen. In Freiburg war es lange Zeit Klümper, der die Rolle des sportmedizinischen Gurus innehatte und die Versorgung der betreuten Sportler mit Dopingmitteln sicherstellte.

KAPITEL 6: Fazit

Blutdoping: Die aktiv permissive Haltung von Keul gegenüber anabolen Steroiden und damit generell auch gegenüber unkritischer Leistungsförderung im Leistungssport ist der Hauptgrund für die über Jahre dauernde förderliche Haltung der Freiburger Sportmedizin in Dopingbelangen. Der Dopingskandal des Teams Telekom von 2007 muss dabei als unrühmlicher Endpunkt einer Fehlentwicklung gesehen werden, die von der Universität Freiburg viel früher und dezidiert hätte bekämpft werden können. Es sind die in diesem Buch dargestellten Umstände, die selbst zu solchen Absurditäten wie Blutdoping an einer universitären Einrichtung geführt haben. Sportfunktionäre: Prof. Keul war ein international anerkannter und ausgewiesener Forscher. Gleichzeitig bekleidete er als Sportfunktionär und mehrfacher Olympiaarzt eine Schlüsselstellung in der Betreuung deutscher Spitzenathleten und hatte damit die Unterstützung des öffentlichen Sports mit entsprechender Nähe und Akzeptanz zur politischen Führung. Prof. Keul lieferte damit allen denjenigen eine Legitimation, welche sportliche Erfolge zum Eigennutz oder im Sinne politischer Opportunität nutzten. Es sind zum Beispiel die Sportfunktionäre jeden Ranges, welche sich durch sportliche Erfolge »ihrer« Athleten legitimieren und handfeste Vorteile als Betreuer bei Großanlässen entgegennehmen. Ohne Rücksicht auf Verluste zählt für diese Betreuer nur die Leistung und nicht ihr Zustandekommen. Das Risiko beim Doping entdeckt zu werden, muss dabei von den Sportlern getragen werden. Diese Geisteshaltung ist keinesfalls verschwunden. Politik: Wir finden dieses Verhalten auch bei Politikern, die sich direkt und indirekt durch den Sport profilieren. Solange die Vorbereitung und möglichst erfolgreiche Teilnahme an Olympischen Spielen ein legitim deklariertes Ziel zur finanziellen Unterstützung des Sports ist, wird sich daran auch nichts ändern. Wir werden auch in Zukunft immer wieder unsere hochrangigen Politiker dabei beobachten, wie sie sich die Popularität erfolgreicher Sportler zu Nutze machen. Ob diese gedopt sind oder nicht, ist dabei von untergeordneter Bedeutung. Wird zu einem späteren Zeitpunkt ein Dopingvergehen öffentlich, kann auch dies zur medienwirksamen Entrüstung genutzt werden. Eine unmoralische Win-win-Situation. Altius-citius-fortius: Seit dem Gründungskongress des Internationalen Olympischen Komitees in 1894 ist altius-citius-fortius das Motto der olympischen Bewegung. Zusammen mit den fünf Ringen bildet dieses Motto seit 1946 das

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Emblem und exklusive, geschützte Eigentum des IOC. Altius-citius-fortius ist eine bedingungslose Forderung nach maximaler Leistung. Auch wenn alle Länder nur alle vier Jahre aufgefordert sind, an den Olympischen Spielen teilzunehmen, besteht trotzdem das Primat bedingungsloser Höchstleistung. Der Anspruch des IOC, die absoluten Höchstleistungen in jeder Sportart im Rahmen von gigantischen Events öffentlich zu erbringen, ist die Plattform für die kommerzielle Nutzung der gebotenen sportlichen Leistungen in allen teilnehmenden Disziplinen. Aus der Sicht aller Sportler ist ein Gewinn bei den Olympischen Spielen die höchstmögliche erreichbare Anerkennung. Es ist damit auch naheliegend, dass nahezu alle Mittel, allenfalls auch unerlaubte, zum Erreichen eines olympischen Titels eingesetzt werden. Die Gründung der WADA hat es dem IOC erlaubt, die unangenehmen Seiten des Sportes zu delegieren. Seit 1999 kann sich das IOC um den »reinen« Sport kümmern, die WADA hat die undankbare Aufgabe übernommen, Doping zu verhindern (J. Rogge 2005). Dies erlaubt es dem IOC weiterhin mit Regierungen zu verhandeln, die eine staatliche Förderung der Sportler auch mit Mitteln des Dopings betreiben, solange Doping nicht allzu offensichtlich praktiziert wird. Das IOC erlaubt auch Sportverbänden an olympischen Disziplinen teilzunehmen, selbst wenn diese es versäumt haben, ihre Strukturen und ihre Führung geeignet zu reformieren. Die Fiktion eines reinen Sports ist nicht zuletzt deswegen so wichtig, weil sie nötig ist, die politische Unterstützung für olympischen Sport und für Sport ganz allgemein zu erhalten. Dies gilt für die Bereitstellung von monströsen Summen von Steuergeldern, die notwendig sind, Olympische Spiele im Winter oder im Sommer durchzuführen und von den kleineren aber regelmäßig wiederholten Zahlungen an Sportverbände in den meisten Ländern. Dies gilt aber auch für die Bereitstellung öffentlicher Gelder zum Bau und Unterhalt aufwändiger Sportanlagen und Stadien. Auch wenn fast alle der dort tätigen Sportler keine olympischen Ambitionen haben, so untersteht ihre sportliche Tätigkeit doch dem olympischen Motto. Die WADA hat Zugriff auf alle Sportler aller Verbände, die über ein nationales olympisches Komitee an das IOC angebunden sind. Altius-citius-fortius, und damit das IOC, steht für ein einseitig leistungsorientiertes Verständnis sportlicher Tätigkeit. Das IOC selbst ist damit ein Haupttreiber der verbotenen leistungssteigernden Maßnahmen. Akademische Verfehlungen: Das unkritische leistungsorientierte Selbstverständnis, welches an der Sportmedizin Freiburg unter Keul praktiziert

KAPITEL 6: Fazit

wurde, hatte, wie wir im Kapitel 4 darstellten, auch mittelbar Folgen für den akademischen Betrieb, die Forschung und für Promotionen. Sowohl die Aussagen von Zeitzeugen als auch die Datenlage weisen darauf hin, dass eine Maximierung des Publikationsvolumens betrieben wurde, wobei wenig Rücksicht auf das Urheberrecht der an der Forschung Beteiligten genommen wurde. Davon ist sicher Einiges einem unkritischen Zeitgeist im Umgang mit akademischer Urheberschaft und Publikationstätigkeit zuzuschreiben. Die der Universität im Dezember 2015 vorgelegten Hinweise auf mannigfache Verstöße gegen die ORed wurden offensichtlich von der zuständigen Untersuchungskommission geprüft, aber von dieser als fast vollständig irrelevant beurteilt, wie einer Pressemitteilung vom 4. Oktober 2021 entnommen werden kann (Universität Freiburg, 2021). Da keine Begründung oder Erläuterung dieses Entscheids vorliegt, ist dessen Rechtfertigung nicht nachvollziehbar. Einmal mehr hat sich die Universitätsleitung einer transparenten Aufarbeitung ihrer Vergangenheit entzogen. Rolle der Universität: In Kapitel 5 wird das Verhalten der Universitätsleitung und ihrer Organe detailliert dargestellt. Es ist offensichtlich, dass seitens der Universität nie ein aufrichtiges Interesse an der Aufarbeitung des Verhaltens und der Tätigkeit der Sportmedizin Freiburg bestanden hat. Im Gegenteil, die Kommissionsarbeit unter Letizia Paoli wurde passiv und aktiv immer wieder behindert. Dies betrifft sowohl die Aufklärung der Dopingvergehen, die in der Sportmedizin oder im Umfeld der Sportmedizin begangen wurden, als auch die Zögerlichkeit und Blindheit der Universität in Bezug auf die möglichen Verfehlungen im Rahmen der wissenschaftlichen Tätigkeit der Sportmedizin. Wir bedauern, dass eine international anerkannte akademische Institution im Range einer staatlichen Universität nicht nur ethisch unhaltbare Tätigkeiten ihrer eigenen Organe schützt, sondern auch, dass dieselbe Universität eine Aufklärung und Hinterfragung der Umstände über Jahre hintertreibt. Dies hat dazu geführt, dass die Kommission in ihrer Arbeit aufs Schwerste behindert und hintergangen wurde und ihre Mitglieder vor Beendigung ihrer Arbeit zum Rücktritt gezwungen wurden. Das vorliegende Buch versucht, die in der Kommissionsarbeit erhobenen Befunde so objektiv wie möglich zusammenzufassen und darzustellen. Es wird damit der Versuch gemacht, ein zwielichtiges Kapitel der Geschichte der Universität Freiburg zu rekonstruieren und vor dem Vergessen zu bewahren. Wir hoffen, dass die dafür mitverantwortlichen Institutionen – die Universität

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Doping für Deutschland

Freiburg sowie die regionalen, nationalen und internationalen öffentlichen Sport- und Antidoping-Organisationen – aus dem Aufstieg und Rückgang der Freiburger Sportmedizin Schlussfolgerungen ziehen und auf dieser Grundlage notwendige Reformen implementieren.

Literaturverzeichnis

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rufbar auf: https://www.pr.uni-freiburg.de/pm/2016/2rektorat-evaluieru ngskommission-01.03.2016.pdf. Universität Freiburg (2017): Andreas Singler ist von Forderung nicht abgerückt: Sportwissenschaftler hat Angebote der Universität abgelehnt – Gutachten müssen an die Öffentlichkeit. Pressemitteilung vom 15. März. Abrufbar auf: https://www.pr.uni-freiburg.de/pm/2017/andreas-singlerist-von-forderung-nicht-abgerueckt. Universität Freiburg (2021): Universität Freiburg hat bereits bekannte Verdachtsfälle auf wissenschaftliches Fehlverhalten geprüft. Pressemitteilung vom 04. Oktober. Abrufbar auf: https://www.pr.uni-freiburg.de/ pm/2021/universitaet-freiburg-hat-bereits-bekannte-verdachtsfaelle-auf -wissenschaftliches-fehlverhalten-geprueft. Vdak, Verband der Angestellten-Krankenkassen (1984): Brief an Staatsanwaltschaft Freiburg vom 04. April 1984. Landesarchiv Freiburg, StA Freiburg, Az: 40a Js 175/84, Ordner Ermittlungskomplex St. Georgs-Apotheke. von Moltke, W. (2017): Äußerung des Trainers und Zeitzeugen Werner von Moltke bei einer Veranstaltung in Heidelberg anlässlich des 50. Jahrestags des Zehnkampfweltrekords von Kurt Bendlin. WADA, World Anti-Doping Agency (2021): World Anti-Doping Code. Abrufbar auf: https://www.wada-ama.org/en/what-we-do/the-code. Wade, N. (1972): Anabolic Steroids: Doctors Denounce Them, but Athletes Aren’t Listening. Science 176(4042): 1399-1403. Westermann, L. (1977): Es kann nicht immer Lorbeer sein. Wien: Molden. Wiesbadener Kurier (2009). Doping-Bericht liest sich wie Drehbuch aus Hollywood; RAD Telekom-Erfolgsgeschichte basiert auf mafiösen Strukturen. 27. April. Abrufbar auf: https://advance-lexis-com.kuleuven.e-bro nnen.be/api/document?collection=news&id=urn:contentItem:7VJD-1SG 0-YC00-449D-00000-00&context=1516831. Wikipedia (n.d.). Justiziar. Abruf 20.03.2021. Abrufbar auf: https://de.wikipe dia.org/wiki/Justiziar. Wilcockson, J./T. Zobel (2005), Marco Pantani. Die Geschichte eines tragischen Champions. Bielefeld: Covadonga. WMA, World Medical Association (2010): Declaration on Principles of Health Care For Sports Medicine. Abrufbar auf: https://www.wma.net/policiespost/wma-declaration-on-principles-of-health-care-for-sports-medicin e/.

Literaturverzeichnis

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Autor*innenverzeichnis

Letizia Paoli ist Professorin für Kriminologie und Vorsitzende der Abteilung für Strafrecht und Kriminologie an der Fakultät Recht und Kriminologie der KU Leuven sowie Life Member an der Clare Hall, University of Cambridge. Sie hat umfangreich zu organisierter Kriminalität, illegalen Drogen, Doping und der damit verbundenen Kontrollpolitik sowie der Bewertung der Kriminalitätsschäden geforscht. 2016 wurde sie mit dem Thorsten Sellin & Sheldon and Eleanor Glueck Award der American Society of Criminology und dem Distinguished Scholar Award der International Association for the Study of Organized Crime ausgezeichnet. Von 2009 bis 2016 leitete sie die »Evaluierungskommission Freiburger Sportmedizin«. Hans Hoppeler ist emeritierter Professor für Anatomie an der Universität Bern und Mitglied der Leopoldina und der Schweizerischen Akademie der Medizinischen Wissenschaften. Seine Forschung beschäftigte sich hauptsächlich mit den Grundlagen der Limitierung der maximalen Sauerstoffaufnahmekapazität beim Menschen. Er hat unter anderem die schweizerische Antidopingkommission geleitet, war Präsident der Schweizerischen Gesellschaft für Sportmedizin und des European College for Sport Science. Hellmut Mahler (Dr. rer. nat.) ist seit 2002 Sachverständiger für Betäubungsmitteluntersuchungen und Toxikologie im Landeskriminalamt NRW in Düsseldorf. Seine Forschungen beschäftigten sich mit stereoselektiven Synthesen, den molekularen Grundlagen der Sucht, natürlichen Toxinen und Drogen sowie Cannabis. Er ist Mitglied der Gesellschaft für Toxikologische und Forensische Chemie und war forensischer Gutachter im Prozess gegen Manfred Ewald und Manfred Höppner.

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Doping für Deutschland

Perikles Simon (Dr. med. Dr. rer. nat.) ist seit 2009 Leiter der Abteilung für Sportmedizin, Rehabilitation und Prävention an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz. Sein Forschungsschwerpunkt ist die molekulare Leistungsphysiologie und Belastungsimmunologie. 2008 wurde er mit dem »Ludolf-Krehl-Preis« für Innere Medizin ausgezeichnet und von 2009 bis 2014 war er Mitglied des Gene Doping Panel der World Anti-Doping Agency. Fritz Sörgel (Prof.) ist Pharmakologe und leitet das Institut für Biomedizinische und Pharmazeutische Forschung (IBMP) in Nürnberg. Seine Forschungsschwerpunkte beschäftigen sich mit dem Schicksal von Arzneimitteln und Drogen im menschlichen oder tierischen Körper. Diese Arbeiten basieren auf einer breiten Erfahrung in der Analytik, speziell der Massenspektroskopie. Darüber hinaus befasste er sich mit der Geschichte der Medizin und Pharmazie. Er war Gutachter in Dopingprozessen, Mitglied der Evaluierungskommission Freiburger Sportmediziner (2015-2016), zuvor Mitglied der AntiDoping-Kommission des Bundes Deutscher Radfahrer (BDR) sowie Präsident der International Society for Anti-Infective Pharmacology (ISAP) (2004-2006). Im Jahr 2007 wurde ihm das Bundesverdienstkreuz verliehen. Gerhard Treutlein (Dr. phil.), geb. 1940, war Professor für Sportpädagogik an der Pädagogischen Hochschule Heidelberg. Parallel dazu entwickelte er sich zum Spezialisten für Dopinggeschichte und -prävention. Für seine Forschungen, Arbeiten und ehrenamtliches Engagement wurde er 2007 zum Ehrenmitglied im Allgemeinen Deutschen Hochschulsportverband ernannt. 2009 erhielt er das Bundesverdienstkreuz am Bande der Bundesrepublik Deutschland und wurde 2016 mit dem Ethikpreis des Deutschen Olympischen Sportbundes ausgezeichnet.

Geschichtswissenschaft Thomas Etzemüller

Henning von Rittersdorf: Das Deutsche Schicksal Erinnerungen eines Rassenanthropologen. Eine Doku-Fiktion September 2021, 294 S., kart., Dispersionsbindung 35,00 € (DE), 978-3-8376-5936-8 E-Book: PDF: 34,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-5936-2

Thilo Neidhöfer

Arbeit an der Kultur Margaret Mead, Gregory Bateson und die amerikanische Anthropologie, 1930-1950 Juni 2021, 440 S., kart., Dispersionsbindung, 5 SW-Abbildungen 49,00 € (DE), 978-3-8376-5693-0 E-Book: kostenlos erhältlich als Open-Access-Publikation PDF: ISBN 978-3-8394-5693-4

Norbert Finzsch

Der Widerspenstigen Verstümmelung Eine Geschichte der Kliteridektomie im »Westen«, 1500-2000 Mai 2021, 528 S., kart., Dispersionsbindung, 30 SW-Abbildungen 49,50 € (DE), 978-3-8376-5717-3 E-Book: PDF: 48,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-5717-7

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Geschichtswissenschaft Frank Jacob

Freiheit wagen! Ein Essay zur Revolution im 21. Jahrhundert April 2021, 88 S., kart., Dispersionsbindung 9,90 € (DE), 978-3-8376-5761-6 E-Book: kostenlos erhältlich als Open-Access-Publikation PDF: ISBN 978-3-8394-5761-0

Sebastian Haumann, Martin Knoll, Detlev Mares (eds.)

Concepts of Urban-Environmental History 2020, 294 p., pb., ill. 29,99 € (DE), 978-3-8376-4375-6 E-Book: PDF: 26,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-4375-0

Verein für kritische Geschichtsschreibung e.V. (Hg.)

WerkstattGeschichte 2021/2, Heft 84: Monogamie September 2021, 182 S., kart., Dispersionsbindung, 4 Farbabbildungen 22,00 € (DE), 978-3-8376-5344-1 E-Book: PDF: 21,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-5344-5

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