Die Weltlichkeit Des Glaubens in Der Alten Kirche: Festschrift Fur Ulrich Wickert Zum Siebzigsten Geburtstag 3110154412, 9783110154412

Die Reihe Beihefte zur Zeitschrift für die neutestamentliche Wissenschaft (BZNW) ist eine der renommiertesten internatio

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Die Weltlichkeit Des Glaubens in Der Alten Kirche: Festschrift Fur Ulrich Wickert Zum Siebzigsten Geburtstag
 3110154412, 9783110154412

Table of contents :
Widmung
Grußwort Joseph Cardinal Ratzinger
Die frühe Gnosis zwischen platonischem und christlichem Glauben. Kosmosfrömmigkeit versus Erlösungstheologie
Glaube, Wahrheit, Liebe, Hoffnung bei Porphyrios
,An fidelis ad militiam converti possit‘? [Tertullian, de idolatria 19,1] Frühchristliches Bekenntnis und Militärdienst im Widerspruch?
Das Verständnis von Gesetz im Galaterbriefkommentar des Ambrosiaster
Vergöttlichung des Menschen. Von der platonischen Philosophie zur Soteriologie der griechischen Kirchenväter
Wann endet das ,Konstantinische Zeitalter‘? Eine Jenaer Antrittsvorlesung
Marcions Genesisauslegung und die „Antithesen“
Himmelsbürger auf Erden. Anmerkungen zum Weltverhältnis und zum „Paulinismus“ des Auctor ad Diognetum
Tertullian as Philosopher and Roman
Der ΘΕΟΣ ΑΦΘΟΝΟΣ von Acta Iohannis 55 und sein historischer Kontext
Ulrich Wickert, Wolfhart Pannenberg und das Problem der „Hellenisierung des Christentums“
Der Hebräerbrief als Paulusbrief. Beobachtungen zur Kanonbildung
Augustine, the Meno and the subconscious mind
Logos und Hypostasis
Menschwerdung. Von der wahren Gestalt des Göttlichen
Kosmos und Heilsgeschichte bei Irenäus von Lyon

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Die Weltlichkeit des Glaubens in der Alten Kirche Festschrift für Ulrich Wickert

W G DE

Beihefte zur Zeitschrift für die neutestamentliche Wissenschaft und die Kunde der älteren Kirche

Herausgegeben von Erich Gräßer

Band 85

Walter de Gruyter · Berlin · New York 1997

Die Weltlichkeit des Glaubens in der Alten Kirche Festschrift für Ulrich Wickert zum siebzigsten Geburtstag In Verbindung mit Barbara Aland und Christoph Schäublin herausgegeben von Dietmar Wyrwa

Walter de Gruyter · Berlin · New York 1997

© Gedruckt auf säurefreiem Papier, das die US-ANSI-Norm über Haltbarkeit erfüllt.

Die Deutsche Bibliothek — CIP-Einheitsaufnahme [Zeitschrift für die neutestamentliche Wissenschaft und die Kunde der älteren Kirche / Beihefte] Beihefte zur Zeitschrift für die neutestamentliche Wissenschaft und die Kunde der älteren Kirche. - Berlin ; New York : de Gruyter. Früher Schriftenreihe Reihe Beihefte zu: Zeitschrift fur die neutestamentliche Wissenschaft und die Kunde der älteren Kirche NE: HST Bd. 85. Die Weltlichkeit des Glaubens in der Alten Kirche. - 1997 Die Weltlichkeit des Glaubens in der Alten Kirche : Festschrift für Ulrich Wickert zum siebzigsten Geburtstag / in Verbindung mit ... hrsg. von Dietmar Wyrwa. - Berlin ; New York : de Gruyter, 1997 (Beihefte zur Zeitschrift für die neutestamentliche Wissenschaft und die Kunde der älteren Kirche ; Bd. 85) ISBN 3-11-015441-2 NE: Wyrwa, Dietmar [Hrsg.]

ISSN 0171-6441 © Copyright 1997 by Walter de Gruyter & Co., D-10785 Berlin Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Printed in Germany Druck: Werner Hildebrand, Berlin Buchbinderische Verarbeitung: Lüderitz & Bauer-GmbH, Berlin

Hochverehrter Jubilar, lieber Herr Wickert ! Zu Ihrem 70. Geburtstag, den Sie am 4. Februar 1997 begehen, möchten Kollegen, Freunde und Schüler mit dieser Festschrift stellvertretend für viele andere - Ihnen ihre persönliche Verbundenheit, ihren herzlichen Dank und ihre aufrichtige Hochachtung bezeugen. Es möchte dies ein Reflex dessen sein, daß Sie in Ihrem akademischen Wirken und in Ihren Veröffentlichungen, in vielfältigen Kontakten und Gesprächen Anstöße und Wegweisungen gegeben haben, die frei von gängigen Konventionen oder Moden im Wissen um die geschichtlichen Konkretionen des theologischen Erbes weit über die Tagesarbeit des Universitätsbetriebes hinausreichen. Sie haben Ihre historische Arbeit, die in ihrer großzügigen Weiträumigkeit ebenso von methodischer Unbestechlichkeit und philologischer Subtilität wie von echter Paideia geprägt ist, stets eingebunden gewußt in den ökumenischen Dialog und in die lebendige Verpflichtung gegenüber dem Dienst an der Kirche, und Sie haben dieser Überzeugung in unbeirrbarer geistlicher Verantwortung für die kirchlichen Belange engagiert stattgegeben. Von solcher Spannbreite werden sich hier wohl nur Spuren finden. Aus verlegerischen Rücksichten schien es geboten, einen Schwerpunkt zu setzen, und so versammeln sich die Ihnen hier dargebrachten Gaben unter dem Titel: „Die Weltlichkeit des Glaubens in der Alten Kirche". Sie selbst haben den hier dankbar aufgenommenen Begriff der „Weltlichkeit des Glaubens" in die Diskussion eingebracht, um die geschichtlichen Bedingungen, unter denen sich der Gang der Kirchengeschichte seit dem Ende des ersten Jahrhunderts im Grunde bis zum heutigen Tag vollzieht, zu markieren. Gemeint ist damit jener geschichtliche Vorgang, daß im Zuge der theologischen Aufwertung des Kosmos an der Schwelle zur Großkirche zugleich der in der geistigen Verschmelzung des biblischen Glaubens mit der griechisch-römischen Lebenswelt festumrissene Daseinshorizont der hellenistischen Synagoge diejenigen Grundgegebenheiten konstituiert, zu denen die eschatologisch qualifizierende urchristliche Botschaft von Christus hinzutritt, von denen sie Besitz ergreift und unter denen sie sich auslegt. Innerhalb bestimmter, geschichtlich vorgegebener Welthorizonte, ausgreifend in den kosmologischen und

VI

Widmung

metaphysischen Bereich und sich erstreckend in die Dimension der sich dehnenden Zeit der Geschichte, realisiert sich das theologische Denken der Großkirche, insofern es jeweils nach Maßgabe des geschichtlichen Standortes die urchristliche Botschaft wiederholt und vergegenwärtigt. In diesem Sinn läßt sich paradigmatisch in der Kirchengeschichte des Altertums (wenngleich nicht nur in ihr) eine Abfolge von denkerischen Grundschritten wahrnehmen, in denen sich der Glaube fortschreitend neu artikuliert und dabei gleichsam in einem Treten auf der Stelle doch immer dasselbe sich kundgibt. Diese großen Horizonte zu öffnen, haben Sie als vordringliche Aufgabe Ihrer patristischen Forschung angesehen, und es bestätigte sich dabei immer wieder von neuem, was Sie als Leitsatz über die Arbeit des Patristikers gestellt haben: „Die alte Kirche ist die alte Welt, insofern diese ihre christliche Stunde begriffen hat". Es sind diese Grundgedanken zur christlichen Welt, denen sich die hier versammelten Beiträge von verschiedenen Ausgangspunkten und in jeweils eigengeprägter Art und Weise als Echo der von Ihnen ausgegangenen Impulse zuordnen. Daß die Ihnen nun überreichte Jubiläumsgabe verwirklicht werden konnte, ist neben der spontanen Zustimmung, die der Plan sogleich bei allen, die davon erfuhren, fand, der tatkräftigen Unterstützung und aktiven Mitarbeit vieler Beteiligter zu danken, allen voran den Autoren, die Sie mit einem persönlichen opus ehren wollten, sowie Erich Gräßer, der in lebhafter Erinnerung an die gemeinsame Marburger Zeit freudig der Aufnahme des Bandes in die Reihe der BZNW zugestimmt hat. Zu danken ist darüber hinaus für das Entgegenkommen des Verlages, der in selbstloser Weise die Publikation gewagt hat, besonderer Dank gebührt namentlich Herrn Dr. Hasko von Bassi, der dem Unternehmen von Anfang an mit Rat und Tat zur Seite stand. Die Redaktionsarbeit wurde von den Mitarbeiterinnen und dem Mitarbeiter am Lehrstuhl für Kirchengeschichte (Patristik) in Bochum, Katja Fickert, Jeannette Kamps, Dr. Thomas Graumann und last not least Dorothe Killisch getragen, auch ihnen sei herzlich gedankt. Wir wünschen Ihnen, lieber Herr Wickert, Gottes Segen auf Ihrem weiteren Lebensweg, und daß Ihnen Gesundheit und Arbeitskraft noch lange erhalten bleiben mögen. Im Namen aller Mitwirkenden

Dietmar Wyrwa Barbara Aland Christoph Schäublin

Inhalt

Widmung Grußwort Joseph Cardinal Ratzinger

V IX

BARBARA ALAND

Die frühe Gnosis zwischen platonischem und christlichem Glauben. Kosmosfrömmigkeit versus Erlösungstheologie

ι

KARIN ALT

Glaube, Wahrheit, Liebe, Hoffnung bei Porphyrios

25

HANNS CHRISTOF BRENNECKE

,Αη fidelis ad militiam converti possit'? [Tertullian, de idolatria 19,1] Frühchristliches Bekenntnis und Militärdienst im Widerspruch?

45

WILHELM GEERLINGS

Das Verständnis von Gesetz im Galaterbriefkommentar des Ambrosiaster

101

MARTIN GEORGE

Vergöttlichung des Menschen. Von der platonischen Philosophie zur Soteriologie der griechischen Kirchenväter

115

CHRISTOPH MARKSCHIES

Wann endet das .Konstantinische Zeitalter'? Eine Jenaer Antrittsvorlesung

157

GERHARD MAY

Marcions Genesisauslegung und die „Antithesen"

189

Vili

Inhalt

ROLF NOORMANN

Himmelsbürger auf Erden. Anmerkungen zum Weltverhältnis und zum „Raulinismus" des Auetor ad Diognetum

199

ERIC OSBORN

Tertullian as Philosopher and Roman

231

ECKHARD PLÜMACHER

Der ΘΕΟΣ ΑΦΘΟΝΟΣ von Acta Iohannis 55 und sein historischer Kontext

249

ADOLF MARTIN RITTER

Ulrich Wickert, Wolfhart Pannenberg und das Problem der „Hellenisierung des Christentums"

303

WALTER SCHMITHALS

Der Hebräerbrief als Paulusbrief. Beobachtungen zur Kanonbildung . . 319 CHRISTOPHER STEAD

Augustine, the Meno and the subconscious mind

339

HANS GEORG THÜMMEL

Logos und Hypostasis

347

JOHANNES WIRSCHING

Menschwerdung. Von der wahren Gestalt des Göttlichen

399

DIETMAR WYKWA

Kosmos und Heilsgeschichte bei Irenäus von Lyon

443

Vatikanstadt 4. 10. 1996

Sehr geehrter, Beim

lieber Herr Kollege

Herannahen

Tübinger

Jahre

gewachsen mir nicht

uns

Studenten

vor Ihrer Haltung

geschaffen

ökumenischen

Aufbruchs

Sinn

der beiden

verloren.

daß

ein

Studiengänge

hat.

Es

war

völliger

möglich

Fakultäten Austausch

und

gedenke.

uns

Wege nicht

im Gedächtnis

und der darin grundgelegten

Fakultäten,

tief berührt hat. Sie sagten Vätertheologie

geblieben, damals,

ein katholischer eigenen

sich dabei die Frage seiner kenne,

in der

unserer

eine

völlige

Sie könnten

der

Theologe

an seinem

katholischen

Glauben

Berufung

und seines

Glauben

kennen

so in eine fiktive akademische

vor dem

Nivellierung

kirchlichen Neutralität

anderer

zu Gott

lernen

nicht

und

Erst wenn er das

vom Anfang des

entrücke,

der

leide. Er solle

zu hören und zu

Zusammenhangs

durch

Aspekte

Schaden

stellen.

von

Gewissen

wenn

und verstehen

Auftrags

sei dann auch die Zeit, um das andere eines lebendigen

Sitzung

Mir ist vor allem

Glaubensbeziehung

oder auch

dem

beiden

werden solle, wo er

es nicht verantworten,

Cyprians

habe

lag auf

Äquivalenz

zu beraten.

besonderen

bei ließ,

"Theologien"

Studenten

überlassen

des

besonders

aufkommen

zweier

Teiles

die Nähe

Hochgefühl

Konzil

in der mich Ihre Ehrfurcht

könnten Sie einer konfessionellen

an, die sich außerhalb

das

den Gedanken

um über diese Sache

etwa der Primatslehre

seinen

Zeit,

sofort innere

Es kam zu einer gemeinsamen

Ihre Antwort

Glauben

gemeinsamen zwischen

äußeren

sondern

sei und daß jedem einzelnen

des anderen

Deswegen

unsere

unserer

und die Trennung eines

beider

Eigene

mir

Gemeinschaft

Vatikanischen

Fakultät

Professoren

Ihre Darstellung

die

nach dem Zweiten

Die Forderung

Fach zu studieren

zunächst

eine

abgenötigt,

der Katholisch-Theologischen

die Trennung

welches

kommen

in denen

werden konnte. Als erstes denke ich da an eine kleine Begebenheit, nur Respekt

zwischen

Tisch,

70. Geburtstags

in den Sinn,

ist, die auch durch das Auseinandergehen

aufgehoben

ihren

Ihres wieder

Wickert!

bedenken. Studiums

stelle und den zustimmen.

2 Bald

darauf

sahen

ausgesetzt.

und Käsemann gegen

die

brach

ja, gerade

gestellt,

Moralismus

als

Weggang

spärlich

und frühere Gespräche

Sie haben spielen.

- die Frage

Vision nach

die

ist gewiß

Gelegenheit,

1995 in Südtirol

und

ich

zu

gering

zu

einem

geworden hatten. äußeren

Ich

denke

wieder einmal

sehen

Wir hatten ja in der Tat nicht nur

Bewegungen

miteinander

geredet.

Weg zum und im Glauben mitgeteilt,

und nach

Maria

Sie

gewährt.

in der Petrozentrik

und

- eine bedeutende

Rolle

her wie auch von Luther aus

haben

in der beide Ideen ihren Ort finden; all dies ist worden.

nicht der Ort, diese meiner

Sie

den wir nun zu fuhren

konnten.

Petrus

politischen

der Welt in die Hand

Gott sei Dank nicht abgebrochen:

Ausgangspunkt

Diskussion

bleibenden

versichern

und Ihnen noch viele gesegnete

vermittelte

Einsicht

zu wünschen.

selbst in

und Ihren nach Berlin sind die

der Geschichte

diskutiert

Sie

Glaubens

in dem das Trennende

der Ferien

entwickelt,

noch lange nicht genügend

von

Theologischen

wurde in einen

Beyerhaus,

Wesentliche,

obgleich

Von Ihrem patristischen

Der Geburtstag

Hen·

in Ihren persönlichen

Sie eine Geschichtsvision

bietet

des christlichen

die Erlösung

der damaligen

mir Ihre große

"Metrozentrik"

wurden mitten in den

Das Christentum

neu aufnehmen

mir tiefe Einblicke

Verständnis

des

nach Regensburg

über die Herausforderungen

ihr

Kritik

um das

geworden,

Revolte

gegen

des Herrn selbst blieb von dieser radikalen

haben

etwa daran, daß wir uns während

Bultmann

Vergewaltigung

zusammengefunden,

dem Kampf

von

die marxistische

sadomasochistische

der nun selbst

Damals

Einsatz

Durch meinen

Universität,

nicht ausgenommen.

gedachte.

war gegenüber

der

Herausforderung

der Exegese

als sich

erhob. Alsbald

Die Gestalt

viel radikaleren

Herrschaft

zusammen,

Christentum

umgewandelt,

gemeinsamen

haben

einer

in ihnen die Grundlagen

das

des Christentums

Kontakte

Nacht

Gestalt

denunziert.

nehmen

Fakultäten

und Gesellschaft

Fakultäten, Menschen

über

bestehende

Wissenschaft Frage

sich beide

Die vorher fast unumschränkte

aufzunehmen.

dankbaren

Jahre, uns aber noch manche

So verbleibe

Aber

Verbundenheit

ich mit herzlichen

durch

er zu Sie

Grüßen

im Herrn Ihr

Joseph

Cardinal

Ratzinger

BARBARA A L A N D

Die frühe Gnosis zwischen platonischem und christlichem Glauben Kosmosfrömmigkeit versus Erlösungstheologie

Es gibt gelingende und scheiternde Versuche, die christliche Botschaft im Horizont der alten Welt auszusagen und dabei die denkerischen Schritte zu vollziehen, die für eine angemessene Darstellung der „Weltlichkeit des Glaubens" notwendig sind. Der Versuch, von dem hier die Rede sein soll, die christlich-gnostische Verkündigung und ihre Stellung zu ihrem platonischen Gegenüber, gehört eher zur zweiten Kategorie dieser Versuche. Er ist kaum gelungen, ganz gewiß nicht auf längere Sicht. Gleichwohl ist er aus der frühen Theologiegeschichte in der alten Welt nicht hinwegzudenken. Auch hier begegnen wir, besonders in der Frühzeit, ernsthaftem Bemühen um eine angemessene Verschmelzung urchristlichen, biblisch-eschatologischen Denkens mit den entsprechenden Voraussetzungen der alten Welt. Der Jubilar wird möglicherweise in der Klarheit seines Denkens und seiner Interpretation der Alten Kirche der potentiellen Exuberanz der gnostischen Versuche skeptisch gegenüberstehen. Er möge es dennoch gestatten, daß hier versucht wird - durchaus auch in seinem Sinne - auf die partícula veri des letztlich nicht gelingenden Versuches der christlichen Gnostiker hinzuweisen. Die These, die hier vertreten werden soll, ist kurz zusammengefaßt die: die Valentinianer sind frühe christliche Apologeten oder besser Protreptiker, die mit Hilfe platonischer Philosophumena christliche Zentralthemen griechischen gebildeten Hörerkreisen erklären und dafür werben wollten. Sie sind sogar möglicherweise die ersten, die in der christlichen Kirchengeschichte daran gingen, sich auf diese Weise unter Benutzung gängiger Philosophumena ihrer Umwelt verständlich zu machen. Mindestens aber arbeiteten sie neben den Apologeten. Allerdings lernten diese dann auch aus den Fehlern jener. Denn nahezu von den Anfängen gnostischer christlicher Ar-

2

Barbara Aland

beit an, entfremdeten jene sich auch von christlichen Zentraltopoi wie Kreuz und Auferstehung, wurden damit für die christliche Kirche untragbar und gefielen sich andererseits immer stärker in abstrakten Spekulationen, auf deren Grund die Vergeistigung des Christusereignisses lag, die - einmal vollzogen - zu Spekulationen geradezu drängen mußte.

1. D i e g n o s t i s c h e E n t l e h n u n g gegen den Sinn des E n t l e h n t e n D a ß die Valentinianer platonisches Gut entliehen haben, ist in den letzten Jahren mehrfach, allerdings meist an sehr speziellen Einzelthemen der valentinianischen Theologie aufgezeigt worden. Am umfassendsten hat vor vielen Jahren schon Hans Joachim Krämer 1 versucht, in frühen gnostischen Systemen ein vorneuplatonisches ontologisches Gerüst herauszuheben, das eine sonst kaum faßbare Stufe altakademischer Tradition enthält, die unmittelbar vor und neben Plotin anzusiedeln ist. Krämer war weit davon entfernt, platonische Philosophen und schon gar nicht Plotin in irgendeiner Weise von Gnostikern abhängig machen zu wollen - zu Recht. Er weist lediglich überzeugend darauf hin, daß sie Material aus einer sonst nicht bekannten Variante platonischer Tradition entlehnten. Sie ist charakterisiert durch die Unterscheidung von Ursprung und Denken, wobei in der Transzendenz der Ursprung über Denken und Weltmodell hinausgehoben wird und diese erst aus sich hervorgehen läßt. Ein ähnlicher Systemtypos ist vor allem für Moderatos bezeugt (εν über vous), läßt sich aber auch sonst in Ansätzen verifizieren und weist als solcher auf Plotin voraus 2 . Unabhängig davon zeigt Krämer auf, daß die Struktur des valentinianischen Pleroma als intelligiblem Kosmos auf den gewöhnlichen mittleren Piatonismus durch eine Reihe von identischen Lehrstücken (Urbild-, Ideen-, Zahlenlehre) zurückweist, so daß es kaum noch bezweifelt werden kann, daß sich die Valentinianer die Struktur (nicht mehr) der mittelplatonischen/ frühneuplatonischen Ontologie adaptierten. Krämers Ergebnisse sind zwar im folgenden hier und da aufgenommen und durch Spezialuntersuchungen bestätigt worden. Im

2

H. J. Krämer, Der Ursprung der Geistmetaphysik. Untersuchungen zur Geschichte des Piatonismus zwischen Piaton und Plotin, Amsterdam, 2 1 9 6 7 . Krämer, S. 261ff.

Die frühe Gnosis zwischen platonischem und christlichem Glauben

3

wesentlichen geschah das aber durch Philosophiehistoriker, nicht durch Theologen und Gnosisforscher, so daß die Bedeutung dieser Adaption für die Valentinianer selbst noch nicht ausreichend bestimmt worden ist. Sich der platonischen Tradition als Erklärungsmodell für das eigene Anliegen zu bedienen, scheint auf den ersten Blick nahezuliegen. Denn diese philosophische Schule war im 2. Jahrhundert, besonders dessen zweiter Hälfte, schon die angesehenste überhaupt und bei vielen Gebildeten mehr oder weniger in Umrissen bekannt. Wenn man sich ihrer Sprache bediente, konnte man also hoffen, verständlich zu sein. Jedoch ist die Sache ja keineswegs so einfach. Denn die Valentinianer bedienten sich des platonischen Modells nur, um anderes, der philosophischen Tradition durchaus Fremdes damit zu erläutern. Präziser: Sie entlehnten in einer Weise, die dem Sinn des Entlehnten geradezu widerspricht. Diesen Sinn des platonischen Modells kann man, grob zusammenfassend, als den Versuch verstehen, die harmonische Entfaltung der gestuften Transzendenz aus Gott zu erläutern und dadurch die Schaffung der Welt, des schönen, geordneten Kosmos, der auf Gott zurückzuweisen vermag, durch die untere Stufe des Göttlichen vor aller Zeit zu ermöglichen. Bei den Valentinianern dagegen wird nicht nur diese Entfaltung noch im Bereich der Transzendenz jäh unterbrochen, sondern dieser Bruch, der sog. Fall der Sophia, macht auch das gesamte weitere, komplizierte Geschehen des Mythos überhaupt erst notwendig. Krämer hat sehr wohl erkannt, daß dieser Einbruch in der Transzendenz grundlegende Bedeutung für den Mythos hat, aber er faßt diese nicht ausreichend, wenn er von einer „dem gnostisch-valentinianischen Mythos eigentümlichen Ätiologie" spricht und diese näher in „einer inneren Zersetzung des metaphysischen Denkvorgangs, einer in Stufen konsequent fortschreitenden Depravation und Selbstentfremdung der göttlichen Ur-Gnosis beschreibt (S. 257f). Handelte es sich nur darum, so könnte man immer noch, wie Krämer auch tut, von einer „Ableitung der Wirklichkeit" aus der Transzendenz sprechen, von einer „graduellen Selbstentäußerung" der intellektuellen Substanz in Stadien von wachsender Defizienz . Man könnte dann auch durchaus entferntere Parallelen zu einzelnen platonisch-pythagoreischen Systemen finden, wie etwa zu dem des Moderatos aus dem ausgehenden 1. Jahrhundert n. Chr. Nach ihm ließ gemäß dem Referat

3

Vgl. Krämer, S. 257; 259.

4

Barbara Aland

des Simplikios, in phys. 230,34ff, Gott, das erste εν, als er das Werden der Dinge aus sich heraus schaffen wollte, in einem Akt der Selbstentäußerung (κατά στέρησιν) die Vielheit aus sich hervorgehen 4 . Aber um Ähnliches handelt es sich im valentinianischen Mythos gerade nicht. Eine solche Interpretation wäre eine platonisierende Verfälschung des im Mythos Gemeinten. Vielmehr wird der Fall der Sophia als jäh aufbrechende, persönliche Schuld eines Individuums verstanden, als Ur-Sündenfall also, und das gesamte weitere Geschehen des Mythos ist die Geschichte seiner Aufhebung und Vergebung sowie der weiteren Rettung, Bewahrung und Erlösung des Gefallenen. Im Verlauf dieser Geschichte wird auch die Weltschöpfung notwendig nicht als ein Selbstzweck begriffen, sondern als ein Mittel zu bestimmtem Zweck und daher auch nur mit begrenzter Dauer. Wenn das aber so ist, hat offenbar die Intention der Valentinianer mit der der Platoniker nicht nur nichts zu tun, sondern steht ihr konträr entgegen: Statt harmonischer Entfaltung selbstverschuldete Entfremdung und Entzweiung mit Gott; statt Schaffung der Welt, weil Gott, gut seiend, „wollte, daß alles ihm möglichst ähnlich sei" (Tim 29e,l-3), Schöpfung der Welt aus den zu den Elementen verdichteten πάθη der άγνοια zur Erlösung der Gefallenen (vgl. Hippolyt, Refutatio 6,31-34). Was sollten die Gnostiker dann aber mit einer Adaption an platonische Modelle bezwecken? Wäre nicht die Entlehnung einzelner platonischer Lehrstücke gegen den offensichtlichen Sinn des Entlehnten nur der Gefahr des Mißverständnisses ausgesetzt? Handelt es sich daher im valentinianischen Mythos, da das Faktum der Entlehnung offensichtlich nicht zu leugnen ist, also doch nicht, wie wir behaupteten, um Schuld und Erlösung, sondern um einen depravierten, mit soteriologischen Zügen durchsetzten Piatonismus? Daß es sich nicht darum handelt, läßt sich beweisen. Wir gehen dafür von den frühesten, in Griechisch erhaltenen Zeugnissen aus. Denn es leuchtet unmittelbar ein, daß sie für unser Unternehmen einen erheblichen heuristischen Vorteil gegenüber den koptischen Übersetzungen aus dem Nag Hammadi-Fund haben. Wenn man nicht nur nach Entlehnungen einzelner Lehrstücke, sondern auch charakteristischer Formulierungen fragt und ihre möglicherweise neue Verwendung in anderem Zusammenhang bedenken will, muß

4

Mit Zeller lese ich έχώρισε in 231,9.

Die frühe Gnosis zwischen platonischem und christlichem Glauben

5

man selbstverständlich sehr genau auf Sprache und Stil achten. Das entfällt bei den koptischen Übersetzungen, weil sie sprachlich noch zu wenig erschlossen sind, ein Rückschluß auf den ihnen zugrunde liegenden griechischen Originaltext daher noch auf längere Zeit hinaus nicht möglich ist. Wir beschränken uns im folgenden auf den Fall der Sophia, seine Gründe und die sich daraus ergebende Art der Erlösung. In allen Ausprägungen des valentinianischen Mythos ist der Fall der Sophia deutlich als Schuld, genauer Selbstüberhebung und Anmaßung charakterisiert, die entscheidende, alles Weitere bestimmende Folgen hat: Bei Ptolemäus 5 ist davon die Rede, Sophia habe den Vater erkennen wollen wie der Nous, angeblich aus irregeleiteter Liebe, in Wahrheit aus „Tollkühnheit" (τόλμα), weil sie mit dem vollkommenen Vater nicht dieselbe Gemeinschaft hatte wie der Nous. Daher wollte sie es erzwingen, „seine Größe zu erfassen" (p. 39,162). Im valentinianischen System, das Hippolyt bietet (6,30,7), kommt die Anmaßung der Sophia eher noch deutlicher heraus: Sie will nicht, wie es ihr als einem Äon zusteht, κατά συζυγίαν hervorbringen, sondern den Vater „nachahmen" (μιμήσασθαι), der allein ohne σύζυγος zeugt, „ίνα μηδέν f¡ έργον ΰποδεέστερον τοϋ Πατρός είργασμένη 6 (ρ. 240,27f). Zwar weiß sie nicht (άγνοουσα), daß allein der Vater, weil er „ungezeugt" und das Prinzip von allem ist, deshalb auch einzig allein hervorbringen kann (30,7f), aber das mindert nicht ihre Schuld. Denn alle übrigen Äonen hatten jeweils durch „Anschauung" der Äonen das Gesetz, nach dem sie, paarweise, hervorbringen sollten, erkannt (6,29,7 und 30,1; p. 238,35f und 2 3 9 , l f ) und durch entsprechende Zeugung den Vater verherrlicht. Auch die Sophia erfaßte das wohl (6,30,6), wollte also, indem sie den Vater selbst nachzuahmen suchte, nicht ihn verherrlichen wie die anderen, sondern sich selbst zu Ehren bringen. Auf einer unteren Stufe des Mythos, die dem Pieromageschehen entspricht 7 , begegnet das Motiv der Selbstüberhebung noch einmal:

5 6

7

Irenäus, Adv. haer. I, 2,2. Vgl. Piaton, Tim 30b6: Der göttliche Baumeister fügt das All zusammen, ότι κάλλιστον είη κατά φύσιν άριστον τε έργον άττειργασμένος. Die Stufen des Mythos entsprechen sich sachlich insofern, als in ihnen die gleichen Motive von Schuld, Umkehr und Errettung wieder vorkommen, das Geschehen im wesentlichen also in Wiederholungen abläuft. Wir sind daher berechtigt, das Geschehen auf den einzelnen Stufen sich gegenseitig erhellen zu lassen.

6

B a r b a r a Aland

Der Demiurg, entstanden aus der „Fehlgeburt" 8 der Sophia, dem Substrat ihres Fehltritts, aus psychischer Substanz, schafft die Welt, weiß aber nicht, daß er im Verborgenen von seiner Mutter, der (geheilten) Sophia (außerhalb des Pieromas), angeleitet wird (Iren. I 5,1; p. 78,488ff). Denn nur sie vermag die Urbilder (ιδέας) zu schauen, nach denen er schafft (Iren. I 5,3; p. 82,517). Er aber, in der Meinung, selbst alles geschaffen zu haben (I 5,3), überhebt sich und kommt zu dem berühmten, in sehr vielen, auch nicht-valentinianischen Systemen begegnenden Ausspruch: „Ich bin Gott und außer mir ist keiner" 9 . Clemens wiederholt in den Exzerpta zwar dieses Zitat nicht, bezieht sich aber auf denselben Sachverhalt, wenn er von dem unwissenden Demiurgen sagt: „er glaubte aus eigener Kraft (ιδία δυνάμει) zu schaffen" s. 49,1. Clemens fügt das veränderte, auf den Demiurgen bezogene Zitat aus Rom 8,20f hinzu: „Er (sie) wurde der Eitelkeit der Welt unterworfen, nicht freiwillig, sondern um dessentwillen, der ihn unterworfen hat, in der Hoffnung, daß auch er (sie) befreit würde", und ordnet damit zutreffend das schöpferische Tun des Demiurgen in den großen Zusammenhang der Erlösung ein, den der ganze Mythos nach dem Fall beschreibt. Der Demiurg besteht aus psychischer Substanz, die wiederum aus dem Fall der Sophia herstammt. Damit wird durch mythisches Bild der Zusammenhang mit der Ursünde der Sophia hergestellt. Keineswegs wird die demiurgische Anmaßung aber damit entschuldigt, so etwa, als ergebe sich seine Überhebung zwangsläufig aus seiner defizienten, psychischen Substanz. Der Psychiker ist durchaus der Umkehr und Einsicht fähig, wenn er unterrichtet wird. Vorher ist er in auswegloser άγνοια befangen, aus der sich seine Überhebung zwar erklärt, nicht aber gerechtfertigt wird. Sie bleibt seine individuelle Schuld 10 . In den wenigen erhaltenen Fragmenten von Valentin selbst wird auf unser Thema nicht unmittelbar Bezug genommen. Es läßt sich aber erkennen, daß er die Deutung seiner „Schüler" zumindest vorbereitete 11 . 8

ϋκτρωμα s. Hippolyt, Ref. 6 , 3 1 , 2 ; p. 2 4 1 , 5 und 17. Vgl. 1. Kor 1 5 , 8 . Als von den Valentinianern angeführtes Zitat ausdrücklich genannt bei Irenaus Adv. Haer. 1,8,2.

9

Jes 4 5 , 5 u. 4 6 , 9 : bei Iren. 1 5 , 4 ; p. 8 4 , 5 3 6 . So auch bei Hippolyt 6 , 3 3 ; p. 245,9ff. Vgl. dazu Basilides und Valentin bei Clemens, Strom. 2 , 3 6 , l f ; Basilides bei Hippolyt 7 , 2 6 , l f ; Ptolemäus bei Irenäus 1,7,4 bzw. bei Hippolyt 6 , 3 6 , 2 . Eine für die Gnosis charakteristische Motivumdeutung s. bei Hippolyt 6 , 3 2 , 7 . Vgl. dazu C. Markschieß, Valentinus Gnosticus? Untersuchungen zur valentinianischen Gnosis mit einem Kommentar zu den Fragmenten Valentins, W U N T

10

11

Die frühe Gnosis zwischen platonischem und christlichem Glauben

7

Bei Basilides, dem frühesten Gnostiker 12 , über den wir einigermaßen genau Bescheid wissen, und der mit Valentin und seinen Schülern in mancherlei Verbindungen steht, finden wir mit aller erwünschten Deutlichkeit, die von den Valentinschülern her bekannte Qualifizierung des Demiurgen. Der große Archon und Weltschöpfer entsteht aus der ungeordneten 13 Samenfülle, in der die dritte sog. „reinigungsbedürftige Sohnschaft" verblieben ist (Hippolyt 7,22,16 und 23,3), steigt zum Firmament (στερέωμα) auf, das die obere Welt begrenzt, glaubt, er sei der Höchste, weil hinter dem στερέωμα nichts mehr sei, weiß nicht (ήγνόει 23,4 p. 293,20), daß die in der Samenfülle verbliebene Sohnschaft, die von Gott stammt, „größer, weiser und mächtiger" ist als er. Er meint, er sei der „Herr und Meister und weise Baumeister" (κύριος καί δεσπότης καί σοφός άρχιτέκτων, ρ. 293,6) und wendet sich daher zur Weltschöpfung. Diese Einbildung und Selbstüberhebung des Weltschöpfers charakterisiert Basilides eindeutig als αμαρτία (Hippolyt 7,25,2-3, p. 295,12-16). Der Archon gibt ihr wieder mit dem - leicht variierten - Jesaia-Zitat Ausdruck, er allein sei Gott und über ihm sei nichts (p. 295,14f). Später, als er vom „Evangelium" belehrt wird, fürchtet sich der große Archon. „Er bekannte seine Sünde, die er begangen hatte, als er sich überhob" (... έξωμολογήσατο περί άμαρτίας, ής έποίησε μεγαλύνων έαυτόν

12

13

65, Tübingen 1992, vgl. bes. zu frg 1 (Markschieß S. 11-53) und frg 5 (Markschieß S. 152-185). Zu Basilides s. W.A. Lohr, Basilides und seine Schule. Eine Studie zur Theologie- und Geistesgeschichte des zweiten Jahrhunderts, WUNT 83, Tübingen 1996. Ich nenne ihn trotz der genannten Arbeit von Lohr (s. Anm. 11) zumindest in einem vorbereitenden Sinne weiterhin so, zumal ich das Referat bei Hippolyt, Ref. 7,20-27 und 10,14 als sehr wohl vereinbar mit den bei Clemens erhaltenen Fragmenten ansehe. ... της πανσπερμίας σωρός für σωρός in der Bedeutung „ungeordnete Masse" s. Porphyrios bei Stobaios, eel. I p. 822,6. Die Deutung von σωρός als ungeordnete Masse wird bestätigt durch Basilides bei Hippolyt 7,26,7 und 10 (p. 298,35 und 36; 299,50f), wo die Samenfülle αμορφία genannt wird. Die in ihr verbliebene dritte Sohnschaft muß „gestaltet" (cf. διαμεμορφωμέυη), d.h. erlöst werden. Bevor sie diese Gestaltung erfährt, wird sie mit einer Fehlgeburt (Ικτρωμα) verglichen (p. 298,37), damit auf das Ergebnis des Sündenfalls der Sophia in valentinianischen Systemen vorausweisend. Vgl. σωρός in dieser Bedeutung auch in dem (von Basilides gefärbten) Aristoteles-Referat bei Hippolyt 7,15,2, p. 2 81,4f. Hier wird der aristotelische Begriff γένος durch σωρός erläutert und weist direkt auf die πανσπερμία des Basilides voraus. So vor allem auch bei Plotin III 8 [30] 8,44, in der ersten Enneade des vierteiligen Zyklus, der mit der Schrift gegen die Gnostiker schließt (II 9[33]).

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Hippolyt 7 , 2 6 , 3 , p. 2 9 7 , 1 4 f ) und zitiert Psalm 3 1 , 5 f : „την άμαρτίαν μου έγνώρισα..." 4 . Wenn damit erwiesen ist, daß ein „Sündenfall", άμαρτία, die dem valentinianischen Mythos „eigentümliche Ätiologie" und „Peripetie" (Krämer) darstellt, haben sich die so lehrenden Gnostiker vom Sinn platonischer Weltentstehungsmodelle, denen sie so weitgehend folgten, entfernt. Sie benutzen das den platonischen Modellen entlehnte Material in einer Weise, die dessen Sinn strikt zuwiderläuft. Nicht der „schönste und beste" Kosmos (vgl. Tim 30b), der in seiner Schönheit auf die Güte seines Schöpfers verweist, ist die Aussageabsicht der frühen gnostischen Mythen, sondern die allem menschlichen Tun noch vorausliegende Schuld, an der der einzelne durch eigenes Verschulden immer wieder teilhat, wollen sie verdeutlichen. Von dieser vorausliegenden Sünde ist auch die Weltschöpfung affiziert, denn der Demiurg schafft ja in seiner Überhebung. Der Kosmos trägt die Merkmale dieser Schöpfung an sich und alles Hylische an ihm geht daher am Ende folgerichtig zugrunde. Weltschöpfung ist dennoch ein bedeutender Schritt auf dem Weg zur Erlösung. Denn diese wird im Mythos dargestellt als stufenweise Formung (μόρφωσις) der amorphen Masse aus pneumatischen, psychischen und hylischen Bestandteilen, die das im mythischen Bild sichtbar gemachte Ergebnis des Falls der Sophia ist, in einzelnen Quellen ihre „Fehlgeburt" genannt. Erst die Entmischung der einzelnen Bestandteile durch ihre Gestaltung ermöglicht die Rettung und Erlösung des Erlösungsfähigen in jenem amorphen έκτρωμα. Schon die Entstehung des Demiurgen wie dann seine Weltschöpfung gehören also zu dem, was Ptolemäus die μόρφωσις κατ' ούσίαν nennt, die für die endgültige μόρφωσις κατά γνώσιν aufnahmebereit macht 1 5 . Erlösung wird also im mythischen Bild als Gestaltung des Ungestalten und Ungeordneten dargestellt. Man kann nicht umhin, dabei wieder an platonische Weltentstehungsmodelle, insbesondere

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Vgl. dazu auch das entsprechende Referat bei Clemens, Strom. 2 , 3 6 , 1 , über Basilides.

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Beide Begriffe begegnen so zwar nur im mittleren Bereich des Mythos, dem der Achamoth. Da sich aber die Stufen des Mythos gegenseitig interpretieren, sind wir berechtigt, diese doppelte μόρφωση als Begriff auch für die anderen Bereiche zu übernehmen. In der Sache lassen sie sich ohnehin nachweisen. Vgl. zum gesamten Themenkomplex Hippolyt, Refutado 6 , 3 I f .

Die frühe Gnosis zwischen platonischem und christlichem Glauben

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an den Mythos im Timaios Piatons selbst erinnert zu werden 1 6 . Die Übernahme der Begrifflichkeit von dort 1 7 ist nicht zu übersehen. Wenn aber Erlösung, wie hier nur angedeutet werden kann, unter dem platonischen Terminus der Gestaltung und Ordnung im valentinianischen Mythos dargestellt wird, so ist wiederum offensichtlich, daß diese platonischen Elemente im gnostischen Mythos ihrer ursprünglichen Bedeutung beraubt sind. Wieder wird nicht nur gegen den Sinn des Entlehnten entlehnt, sondern die übernommenen Formelemente werden in einem neuen soteriologischen Kontext mit neuem Sinn erfüllt. Keinesfalls könnte also etwa der gnostische Mythos ursächlich aus „heruntergekommenem" Piatonismus entstanden sein. Dazu ist die Übernahme viel zu künstlich. Allzu deutlich erkennt man die bewußte Absicht, nämlich den Begriff „Erlösung", der Griechen in der jüdisch-christlichen Form unverständlich war, unter einem ihnen geläufigen Begriff einzuführen. Dazu aber war nichts besser geeignet als der Begriff der „Gestaltung", weil er mit der Güte Gottes durch die bekannte Timaios-Stelle fest verknüpft war. Das alles geschieht offensichtlich, so merkwürdig es sich darstellt, nicht ohne Wirkung. Denn es regt sich der Protest der Platoniker gegen eine solche Deutung, einen derartigen Mißbrauch ihrer Philosophie. Wir gehen zunächst diesem Protest nach und prüfen daran zugleich die Tragfähigkeit unserer These. Denn wenn irgendwo, so müßten eben dabei die Themen zur Sprache kommen, bei deren Behandlung die Gnostiker platonisches Gut entlehnten und verfremdeten, bei denen sich daher die Platoniker mit Recht ungebührlich mißverstanden fühlten. Es müßten also die Themen, die wir als wichtig für die Gnostiker erkannten, der Komplex Schuld und Erlösung, berührt werden.

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Vgl. Tim 29d7-30cl; 50c7ff; 51al-b6; 51e6-52bl; 53af etc. Diese bekannten Stellen begegnen in der mittelplatonischen Literatur immer wieder, besonders in den Handbüchern, vgl. Albinos, Didaskalikos (Epitome), ed. P. Louis 8,Iff, bes. 8,2 p. 49; 9,1. 10,1, bes. 10,3, p. 59; 12,lf, p. 67ff; 14,1.4, p. 79.81. Plutarch, De an. procr. in Tim 1014 B-Cff; Plat, quaest. 1001B; 1003 Af. Numenius, ed. de Places, frg. 4; 15; 16. Ob direkte Übernahme vorliegt oder indirekte durch die Kommentare und Handbücher, ist hier nicht zu entscheiden. Letzteres ist wahrscheinlicher.

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2. Der Protest der Pia toniker gegen gnostischen Mißbrauch ihrer Theologie D a ß platonische Philosophen je ernsthaft von gnostischen Autoren beeinflußt worden sein sollten, bezweifle ich 1 8 . Daß sie sich jedoch umgekehrt gegen gnostischen Mißbrauch ihrer Philosophie verwahrten, war nur allzu verständlich. Uns ist ihr Protest ausführlich erst in dem bekannten Traktat Plotins, der letzten Schrift eines vierteiligen Zyklus, erhalten 1 9 . Darüber, ob es vor ihm ähnliches gab, enthalten wir uns angesichts der Quellenlage aller Spekulationen. Nach ihm nahmen seine Schüler das Thema der gnostischen Widerlegung, offenbar auf Plotins Anregungen hin, auf . Einen gewissen Schlüssel zum Verständnis dieser Polemik hat J . Igal und jetzt vor allem K. Alt geboten 2 1 . Sie haben gezeigt, daß Plotin in 119 nicht nur Theologumena aus verschiedenen gnostischen Schulen bekämpft, ohne die verschiedene Herkunft zu markieren, so daß eine Identifizierung nicht immer gelingt, sondern daß er vor allem nur Auszüge aus gnostischen Systemen bespricht und diese eher noch platonischer darstellt, als sie sich selbst geben 2 2 . Plotin schafft sich damit eine eher noch breitere Angriffsfläche gegen die Gnostiker, als sie es durch ihr Umgehen mit der Philosophie des Piaton und ihrer Tradition ohnehin schon bieten. Porphyrios folgt dieser Tendenz, wenn er behauptet, daß die christliche Sekte der Gnostiker „aus der antiken Philosophie hervorgegangen" sei 2 3 . D a ß

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S. dazu überzeugend Α. H. Armstrong, Gnosis and Greek Philosophy, in: Gnosis. Festschrift für Hans Jonas, Göttingen, 1 9 7 8 , hrsg. von B. Aland, 8 7 - 1 2 4 , bes. 99ff und 109ff. Z u Numenius vgl. ebenfalls Armstrong, 106ff. Neuerdings s. vor allem die schöne Studie von K. Alt, Philosophie gegen Gnosis. Plotins Polemik in seiner Schrift II 9, 1 9 9 0 . Hier werden auch die zahlreichen Brüche in Plotins Schrift aufgezeigt.

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Der Zyklus umfaßt die Schriften III 8, V 8, V 5 und II 9, s. dazu Härders Edition Bd. III b, p. 3 6 3 u.ö.

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Vgl. dazu Porphyrios' Vita Plotini, Kap. 16.

21

J. Igal, The Gnostics and „the ancient Philosophy" in Porphyry and Plotinus, in: Neoplatonism and Early Christian Thought, Essays in honour of A.H. Armstrong, 1 9 8 1 , hrsg. von H.J. Blumenthal und R.A. Markus, 138ff, bes. 1 4 2 , 1 4 5 . Vorsicht ist allerdings geboten, wenn Igal in Parallele zu der These, Plotin platonisiere die Gnostiker, behauptet, er reduziere diese ebenso nur auf wenige „biblical-sounding catchwords", S. 1 4 2 . Die „catchwords" sind aber tatsächlich als gnostische (valentinianische) Zentralbegriffe nachzuweisen. So etwa μετάνοια bei Irenaus 1 , 3 , 1 ; Hippolyt 6 , 3 2 , 6 mit verschiedenen Synonyma.

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Vita Plotini 16. Z u dieser Übersetzung vgl. Igal (oben Anm. 2 1 ) , 1 3 9 .

Die frühe Gnosis zwischen platonischem und christlichem Glauben

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er es besser wußte, war dem Christenkenner und -hasser Porphyrios wohl zuzutrauen 2 4 . Indem er aber absichtlich ihre Benutzung von Material aus klassischer oder persischer Tradition mißverstand, schuf er sich, wie teilweise auch Plotin, erst die Basis, von der aus er gegen die gnostische Allegorese fremden Materials polemisieren konnte. Denn die Allegorese an sich war ja schwer anzugreifen, wenn man auch meinte, sie selbst auf platonische Texte nicht anzuwenden. Man wird den schwierigen Traktat II 9 gegen die Gnostiker immer auch unter diesem Gesichtspunkt lesen müssen, um ihn verstehen zu können. Dann treten bei Plotin sehr deutlich jene Hauptthemen hervor, um die es den Gnostikern bzw. den Valentinianern geht, die er gut kennt und zumindest weitgehend, wenn wohl auch nicht allein, bekämpft. Um Plotins schwierige Schrift zu verstehen, können wir uns allerdings nicht darauf beschränken, nur nach Wortparallelen zwischen Plotins Polemik und gnostischen Termini zu suchen. Denn Plotin ändert durchaus die Begrifflichkeit der Gnostiker 25 . Zu einem genaueren Verständnis seiner Invektiven kann man daher nur gelangen, wenn man den gnostischen Mythos und seine Bedeutung als ganzes hinter Plotins Polemik annimmt. Daß das mit Schwierigkeiten vielfältiger Art behaftet ist, muß nicht eigens verdeutlicht werden. Der Sinn des gnostischen Mythos in wesentlichen Topoi scheint mir aber, wie oben entwickelt, deutlich. Ihn und seine „Beweisführung" greift Plotin an. Wir verdeutlichen das am 4. Kapitel von Plotins Schrift „Gegen die Gnostiker" mit seiner Parallele im 10. und 11. Kapitel, das den Fall der Sophia, seine valentinianische Begründung und seine Folgen zum Gegenstand hat. Plotin hat die zentrale Bedeutung des Falls im valentinianischen Mythos durchaus verstanden. Er spielt mehrfach, nicht nur im 4. Kapitel, darauf an, freilich aus den genannten Gründen nicht immer in der uns bekannten Terminologie, wahrscheinlich teilweise überhaupt nicht in einer aus gnostischen Schriften übernommenen Begrifflichkeit, sondern, antiker Zitierweise gemäß, so paraphrasierend und umformulierend, daß das Bekämpfte

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25

Porphyrios wußte wohl, daß sie weder aus klassischer Philosophie noch von Zoroaster herkamen. Seine Widerlegungsweise entspricht aber antikem Stil. S. dazu K. Alt (s. o. Anm. 18): „Plotin (ist) geneigt, bestimmte Phänomene der fremden Lehre mit Begriffen aus der eigenen Philosophie zu bezeichnen, sie mit deren Inhalten zu identifizieren und von der damit erzielten Basis aus seine Kritik oder Widerlegung durchzuführen". S. 44, vgl. auch S. 53 u.ö.

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zu den platonischen Argumenten, mit denen er argumentierte, paßte 26 . Die Seele habe die Welt geschaffen, so wird es den Gnostikern schon in 4,Iff in den Mund gelegt, als sie „entfiedert" worden sei auf den Phaidros-Mythos (246c) anspielend 27 . Aber, so wird argumentiert, die Allseele könne dieses ja gar nicht erleiden, was platonisch gedacht natürlich richtig ist. Dann in einer Terminologie, die auch gelegentlich bei Valentinianern begegnet: „Wenn sie sagen, sie sei zu Fall gekommen (σφαλεΐσαν), mögen sie die Ursache des Falls 28 nennen. Und wann fiel sie (έσφάλη)? Wenn von Ewigkeit her, dann bleibt sie nach der ihnen eigenen Logik (κατά τόν αυτών λόγον) Gefallene". Wenn sie aber irgendwann gefallen sei, warum dann nicht vorher? Plotin lehnt mit Nachdruck ab, daß die schöpferische Seele hinabsinken könne 2 9 . Denn dann müsse sie ja das Obere gänzlich vergessen haben, was undenkbar ist. Sie hätte dann auch keine Vorbilder gehabt, nach denen sie schaffen konnte, so daß eine herabgesunkene Seele, die dennoch Schöpfer sein soll, einen Widerspruch in sich darstellt. Denn schaffen zu können, setzt ja voraus, einen Plan zu haben, den man nur der oberen Welt entnehmen kann (4,2-12). Das ist von Plotins Standpunkt aus eine völlig überzeugende

26 27

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S. dazu auch K. Alt (s.o. Anm. 18), S. 61 mit Anm. 190. Plotin spricht im folgenden immer von der Allseele und nicht von der Sophia; das entspricht seinem Denken. Es ist zwar nicht exakt, aber verständlich und erträglich, da im Mythos aus dem Fall der Sophia das Psychische entsteht und mit ihr auf vielfache Weise verknüpft ist. Erwähnt wird die Sophia in 10,19ff. O b sie mit der Seele identisch ist, kann hier offenbleiben. σφάλμα 4,3 vgl. Hippolyt 6,36,1, p. 250,3 und 7,52,4, p. 273,16 ein ungenannter Valentinianer und Markus aus derselben Schule. 4,6ff. Plotin benutzt jetzt in seiner Argumentation veúco, statt des vorher für den Fall verwandten σφάλλω, mit Absicht: denn daß die Allseele fallen könnte, ist ein so unsinniger Gedanke für ihn, daß er ihn auch nicht durch die Terminologie bei der Darstellung seiner Auffassung provozieren möchte. Aus eben dem Grunde entfällt ganz das Verbum ττίτττω. Denn Plotin spricht ja zuweilen selbst vom „Fall" der Seele oder der Zeit, wenn er das „Existent-Werden" einer niedrigeren Seinsstufe aus der höheren ansprechen will, s. III 7, 11,7; IV 8,1,18, bes. III 8,4,10, in der ersten Schrift des Zyklus, der mit dem Traktat „gegen die Gnostiker" endet. Dieses „Fallen" unterscheidet sich grundlegend vom gnostischen, weil es gleichsam selbstverständlich vor sich geht (s. III 8,4,10), weil es dem, aus dem etwas herausfällt, nicht schadet, keinesfalls Schuld ist, und weil die Seele immer auch „oben" bleibt; vgl. dazu W. Beierwaltes, Plotin, Über Ewigkeit und Zeit, Frankfurt 1981 3 , 244ff und 250f. Dazu, daß die υεΟσις der Seele nicht αμαρτία ist, s. Plotin I 1,12,24.

Die frühe G n o s i s zwischen platonischem und christlichem G l a u b e n

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Widerlegung, die aber dem Gegner nicht gerecht wird, weil sie die mythische Bedeutung des Falles, der für die Schuld an sich steht, verkennt bzw. verkennen will 3 0 . D a ß Plotin diese sehr genau kannte, zeigt sich im unmittelbar folgenden T e x t . Er fragt, w a s die Seele wohl für sich von der Welts c h ö p f u n g erhofft habe. „Lächerlich" sei die Behauptung, daß sie „ z u Ehren k o m m e n " wollte; das sei nur von menschlichen Bildhauern übertragen 3 1 . Zunächst: in der T a t hat alles im M y t h o s Gesagte „ ü b e r t r a g e n e " Bedeutung. Dann: das „ Z u Ehren kommen-Wollen" bezieht sich natürlich auf die Selbstüberhebung der Sophia bzw. ihres Abbildes, den Demiurgen. Plotin kennt also diese Begründung des Falls, die wir bei den Valentinianern und Basilides fanden, sehr wohl. D a ß er behauptet, sie wolle sich mit der Schaffung der Welt zu Ehren bringen, entspricht zwar nicht wörtlich den Gnostikern, die - wie oben entwickelt - v o m Schaffen wie der Vater etc. aber doch sinngemäß reden. Die Variation der Ausdrucksweise geht wohl auf Plotin selbst z u r ü c k 3 2 bzw. sie erklärt sich aus valentinianischen Passagen wie etwa der bei Hippolyt 6 , 3 0 , 7 , p. 2 4 0 , 2 6 - 2 8 : Die Sophia wollte den Vater nachahmen „καί γεννήσαι καθ' Ιαυτήν, ohne ihren Paargenossen, damit sie ein Werk (έργον) erstellte, das auf

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Weiter unten in II 9[33], 10,17-26, kommt Plotin noch einmal abschließend auf den Fall der Allseele zu sprechen und bemerkt hier, das Unsinnigste von allem sei, daß die Seele sich einerseits zwar hinabneige und die anderen Seelen mit ihr, andererseits aber auch wieder nicht, sondern die Finsternis erleuchte (vgl. auch 11,1 Iff und 12,30ff). Ob Plotin hier, wie als Lösung verschiedener Interpretationsschwierigkeiten seines Traktats vorgeschlagen wurde, mehrere gnostische Vorstellungen miteinander vermengt (s. dazu Igal, a.a.O., oben Anm. 21), kann hier nicht endgültig entschieden werden, vgl. die gleiche Vorstellung des Hinableuchtens in die Finsternis in I 1[53] 12,25. Wahrscheinlich ist es mir eher, daß er auch hier vom valentinianischen System spricht und zuerst vom Seelenfall und dessen Folgen, dann aber von der geheilten Achamoth handelt, der „ M u t t e r " , die tatsächlich durch den Demiurgen hindurch wirkt und ein „Abbild" (Plotin sagt ίΐδωλον statt ÉÎKCOV, 10,28ff) in der Finsternis/Materie o.a. schafft, vgl. dazu Irenaus I 5,3 bzw. Clemens, Exc. 49,1. K. Alt (s.o. Anm. 18) nimmt für Kap. 5 und 10/11 eine verschiedene Bedeutung des Begriffs veúeiv an, möglicherweise zutreffend, s. S. 53f.

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4,12-15. Vgl. die Parallele l l , 2 1 f . Dort heißt es ebenfalls, die „Seele" (was immer das sei; Plotin gibt an, es nicht zu verstehen) habe geschaffen, um sich zu ehren (ίνα τιμώτο) und aus Prahlerei (αλαζονεία) und Überhebung (τόλμα). Vgl. dazu auch K. Alt (s. o. Anm. 18) S. 46 mit Anm. 143.

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S. dazu Anm. 25.

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keine Weise schlechter sei als das des V a t e r s " 3 3 . Wichtiger ist aber noch die Begründung für das Tun der Sophia/Seele, die Plotin richtig im „Ehre-Suchen" angibt, dabei antik griechisch formulierend, was die Gnostiker biblischem Denken gemäß als Selbstüberhebung charakterisieren. Das bestätigt das Folgende. Plotin meint, wenn die Seele mit bestimmter Absicht 3 4 (διανοία) schuf, d.h. eben aus dem Wunsch nach „Ehre" heraus, und das Schaffen nicht in ihrer „Natur" lag, was zweifellos auf die Sophia zutrifft, dann hätte sie den Kosmos gar nicht zustande bringen können (4,15-17). Daß die Sophia mit bestimmter - eigensüchtiger - Absicht handelt, wird in den valentinianischen Referaten klar gesagt 3 5 . Plotin muß sich beim Thema des Abstiegs der Seele sehr deutlich von den Gnostikern absetzen, daher auch die relative Ausführlichkeit und Schärfe (γελοΐον) seiner Stellungnahme, die er sonst ausdrücklich vermeidet 3 6 . Aber er selbst hatte sich ja hier zuweilen einer Ausdrucksweise bedient, die durchaus im gnostischen Sinne mißzuverstehen war 3 7 . Daß sie nicht so gemeint war, soll hier nicht erneut bezweifelt werden. Plotin liegt aller gnostische Einfluß ganz fern 3 8 . Aber seine Begrifflichkeit zeigt umgekehrt, wie nahe es für christliche Gnostiker lag, sich ihrer, bzw. der mittelplatonischen vor ihm, für ihre Zwecke umdeutend zu bedienen. Das gilt um so mehr, als wichtige Termini, wie z.B. der der τόλμα der Seele, schon vor Plotin eine längere philosophiegeschicht-

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Das hier benutzte biblische γενναν statt Plotins ποιείν bzw. δημιουργεί ν entspricht der Begriffsänderung von der gnostischen „Überhebung" o.a. zum plotinischen „Ehre Suchen". Im übrigen arbeitet der Mythos ja ohnehin mit zahlreichen Bildern und verschiedenen Begriffen für gleiche oder vergleichbare Sachverhalte.

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Wegen des Kontextes und Sinnzusammenhanges übersetze ich so trotz der von Theiler angegebenen Parallelstellen 2 , 1 4 und 8 , 1 9 f , die nicht genau dasselbe meinen.

35

Vgl. Irenaus 1 , 2 , 2 p. 3 9 , 2 ήθελε ...; Hippolyt 6 , 3 0 , 7 ; p. 2 4 0 , 2 6 ηθέλησε ... oder Clemens Exc. 3 1 , 3 ό δέ βουληθείς αιών ... (=Sophia). Möglicherweise auch parallel, dann noch näher an Plotin: Exc. 3 2 , 2 ... έξ έννοιας ...



Vgl. II 9 , 1 0 , 1 - 5 .

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Vgl. Plotin III 7 , 1 1 , 1 5 - 1 7 : „Es war aber dort eine N a t u r , geschäftig und danach strebend, Herr ihrer selbst zu sein (άρχειν αυτής βουλομένης) und sich selbst zu gehören; sie war gewillt, mehr zu suchen (ζητεΐν) als bei ihr war . . . " (Übersetzung Beierwaltes, a . a . O . , s. oben Anm. 2 9 , S. 2 4 9 f f ) .

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Vgl. so überzeugend Beierwaltes, a . a . O . , S. 1 1 3 f f , K. Alt, S. 6 4 u.a.

Die frühe Gnosis zwischen platonischem und christlichem Glauben

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liehe Tradition haben 3 9 . Wenn uns die mittelplatonischen Quellen besser überliefert wären, könnten wir wahrscheinlich die gnostischen Entlehnungen noch zahlreicher nachweisen 4 0 . Plotin fährt in der polemischen Paraphrase und Widerlegung der Valentinianer fort: Wann wird sie den Kosmos denn zerstören (φθερεΐ)? so fragt er und spielt damit auf den Weltuntergang an, der nach valentinianischer Auffassung stattfinden wird, wenn alles Pneumatische gerettet ist 4 1 . Plotin antwortet dagegen auf die sich selbst gestellte Frage nach dem Zeitpunkt der Zerstörung der Welt: „Wenn sie bereut (μετέγνω)? Warum wartet sie dann?" (4,17f). Damit wird auf die Umkehr und Reue der Sophia bzw. des Demiurgen angespielt, bei den Valentinianern meist επιστροφή genannt 4 2 , gelegentlich aber auch μετάνοια 43 , womit wir wieder die gleiche Änderung der Terminologie bei Aufrechterhaltung des gemeinten Sinnes beobachten 4 4 . Sachlich hat Plotin mit seiner Kritik hier recht. Denn die Sophia „wartet" ja tatsächlich unmotiviert auf den Zeitpunkt für die Zerstörung ihres Werkes, obwohl sie die richtige Einsicht schon gewonnen hat, und das allein zählt. Der lineare Weltverlauf der Valentinianer, der nur mit der Einsammlung alles Pneumatischen erklärt wird, ist tatsächlich ein schwieriges Moment ihres Mythos, weil sie ja andererseits stets betonen, daß mit der Erkenntnis für den einzelnen Pneumatiker die Welt nichts mehr gilt, er vielmehr Chri-

39

S. Armstrong, a.a.O. (s. oben Anm. 18), S. l l é f f , Anm. 6 5 , mit Hinweis auf die Arbeiten von N. Baladi und J . M . Rist, die das ausführlich nachweisen, dazu s. Ptolemäus bei Irenaus 1 , 2 , 2 , 1 5 9 - 1 6 0 , w o es vom Gott-erkennen-Wollen der Sophia heißt: ... προφάσει μεν αγάπης, τόλμη δέ ...

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So etwa das bei Basilides und den Valentinianern vielfach begegnende Bild des Samens (σπέρμα, s. Hippolyt 7 , 2 1 , 2 f ; 6 , 4 3 , 2 ; vgl. auch Irenaus 1 , 5 , 6 ; 1 , 7 , 5 , Clemens 4 9 , 2 ) . Dazu s. mit weiteren Nachweisen Beierwaltes, a.a.O. (s. oben Anm. 2 9 ) , S. 2 5 1 und 2 5 6 f . Dieser Begriff ist also keineswegs nur unter den Christen von Justin aufgenommen und gedeutet worden, sondern vor bzw. neben ihm von den Gnostikern.

41

Irenaus, Adv. haer. 1 , 6 , 1 bzw. 1,7,1 und 5.

42

Irenaus 1 , 2 , 2 , p. 4 0 , 4 ; 1,5,1 et passim.

43

Hippolyt 6 , 3 2 , 6 , p. 2 4 3 , 3 2 . So auch von der Reue (μετάνοια) der Seele in II 1[40], 4,30f.

44

An anderer Stelle zitiert Plotin sogar den Terminus μετάνοια neben anderen gnostischen Begriffen für die πάθη der Seele und beschwert sich über das gnostische καινολογεΐν (6,1-6). Ebenso kennt er selbstverständlich den christlichen Begriff der αμαρτία ( 9 , 1 3 ) , benutzt ihn aber nur nebenbei, ausdrücklich nicht bei der zentralen Widerlegung des Sophia-Mythos. Vgl. aber 6 , 5 9 f .

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stus und den Äonen gleich ist 45 . Der scheinbar lineare Weltverlauf, den der Mythos zeichnet, ist daher zwar aus äußerlichen Gründen notwendig (die Erfahrung lehrt, daß das Ende noch nicht da ist), widerspricht aber dem inneren Sinn des Sophia-Mythos. Plotin weist daher auf diesen Widerspruch hin und bezweifelt ironisch, daß die Sophia/Seele je noch bereuen und dann die Welt als Ausdruck ihres Falls vernichten könne, da sie es doch bisher offensichtlich nicht getan habe. Denn die Welt besteht ja noch und durch die lange Zeit habe sie sich wohl eher schon an sie gewöhnt (4,18f). „Wenn sie (die Seele) aber die Einzelseelen abwartet" (4,19f), nämlich zur Einsammlung und Errettung (seil, bevor sie die Welt, d.h. die Materie zerstört) - wieder zeigt sich, daß Plotin den Mythos und den dort angegebenen Grund und Zeitpunkt für den Weltuntergang genau kennt - „dann sollten diese doch besser gar nicht mehr ins Werden kommen, da sie doch die Übel hier schon in ihrem früheren Stand ausprobiert haben, so daß sie jetzt also aufhören sollten herabzukommen" (4,20-22). Hier geht es keinesfalls etwa um eine Lehre von Wiedereinkörperung der Seelen nach dem Tod, sondern angespielt wird darauf, daß die Achamoth, die errettete Sophia, „von einstmals bis jetzt" (εκτοτε ëooç του νυν) ihren Samen in die gerechten Seelen einsät (Irenäus 1,7,5,760). Einstmals, bei der Weltschöpfung, war das berechtigt, weil der unwissende Demiurg die Welt und den Menschen nicht zu bilden vermochte (Irenäus l,5,5f). Daß dieses Einsäen auch jetzt noch fortgesetzt wird, ist eine mythische Konzession an die Realität, in der offensichtlich immer wieder neue erwählte Pneumatiker geboren werden. In sich stimmig ist es nicht, Plotin hat recht. Schließlich verwahrt er sich dagegen, daß die Gnostiker den Kosmos als schlecht betrachten, weil es viel Widriges darin gibt (4,22-32). Damit kommt er auf die Folgen des Falls konsequent zu sprechen. Denn diese Welt entsteht nach den Valentinianern aus den niederen πάθη der gefallenen Sophia, die zu den Bauelementen der Welt verdichtet und damit von ihren höheren, rettungsfähigen Affekten (φόβος und επιστροφή) geschieden werden, die in psychische Substanz übergehen. Der irdische Kosmos ist damit nichts als eine Art „Abfallprodukt", das zwar in gewissem Sinne kunstfertig und notwendig ist, dessen Elemente aus „Erschrecken, Ratlosigkeit, niederer Furcht, Trauer, Tod und Verderben" ihn aber eindeutig nega-

45

Irenaus, Adv. haer. 1,21,4; 13,6 u.ö.

Die frühe Gnosis zwischen platonischem und christlichem Glauben

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tiv qualifizieren 4 6 . Aus θάνατος und φθορά soll das Feuer entstanden sein, das allem Materiellen, sein Ende bestimmend innewohnt 4 7 . Wohl nicht zufällig fügt Plotin daher seiner Argumentation gegen einen angeblich schlechten Kosmos einen Preis des irdischen Feuers an, das ein vollkommen angemessen schönes Abbild des oberen Feuers sei (4,27f), wie das auch auf den gesamten Kosmos zutreffe 4 8 . Damit ergibt sich: Plotin kennt den valentinianischen Mythos bzw. seinen Grundtyp genau. Er weiß vom Fall der Sophia/Seele, von seiner Begründung in Selbstüberhebung, von seinen Konsequenzen in unserem schlechten Kosmos (und uns) und von der Rettung der Sophia durch die ihr von einem Erlöser mitgeteilte Erkenntnis sowie ihrem dadurch bewirkten „Umdenken", ihrer Reue, und damit der Voraussetzung ihrer endgültigen Erlösung. Plotin kennt diese Fakten des Mythos nicht nur, sondern er weiß auch, was sie ausdrücken sollen, nämlich die gänzliche Verfallenheit des Menschen in Sünde und Schuld sowie seine Errettung daraus, die nach gnostischem Verständnis ausschließlich auf das Wirken Gottes zurückzuführen ist, in keiner Weise auf die „Mühe" des Menschen 4 9 . D.h. nicht, daß das Mühen des Menschen in dieser Welt ethisch irrelevant oder gar überflüssig wäre 5 0 . Es ist aber nicht heilsbezogen 46 47 48

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Vgl. Irenaus 1,5,4 bzw. Clemens, Exc. 48; s. auch Hippolyt 6,32,6. Irenaus 1,5,4,553-556; vgl. Clemens, Exc. 48,4. Daß die Gnostiker den Kosmos schelten, ist einer der stärksten Anstöße, den Plotin an ihren Lehren nimmt. Er kommt in den verschiedensten Zusammenhängen darauf immer wieder zu sprechen, s. II 9,8 bzw. 17f u.ö. S. dazu K. Alt (s. o. Anm. 18), 47 u.ö. Vgl. dazu Plotin II 9,9,59 ... οΟδέν πονήσας ..., vom Pneumatiker gesagt, der „mehr als der Himmel" sein soll. Die Valentinianer oder auch nur gewisse Gruppen unter ihnen, was hier nicht zu entscheiden ist, versuchen die Mühe vornehmlich auf das sog. Psychische zu reduzieren, das sich zu Glaube oder Unglaube frei entscheiden können soll (Irenaus I,6,lf und Clemens, Exc. 56,3-57,1). Jedoch ist die Vorstellung nicht ganz klar bzw. wieder nicht ganz stimmig. Eindeutig ist, daß das Pneumatische durch ihm zugesprochene Gnosis „gestaltet", d.h. errettet wird (Irenäus 1,6,1, p. 90,10 und Clemens, Exc. 57,lf). Aber auch das Psychische scheint nach dieser Vorstellung kaum aufgrund seiner eigenen Entscheidung gerettet zu werden oder nicht, wie immer angenommen wird und wie auch Irenäus interpretiert (1,6,2). Vielmehr ist das Psychische mit dem Pneumatischen in dieser Welt (ένόάδε) in einer Syzygie vereint, stellt also, in Parallele zu den Äonen, das weibliche Materialprinzip gegenüber dem männlichen Gestaltungsprinzip dar. Nur beide zusammen können errettet werden, so wie, nach dem Zitat aus Rom 11,16-26, das Clemens hier anführt, Israel zusammen mit den Heiden. Die „Verwandlung", die das Psychische erfährt, „von der Knechtschaft zur Freiheit" ist eher auch eine geschenkte als eine erworbene.

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bzw. eher selbstverständlich und ist keinesfalls eine Voraussetzung für den „Heilsweg", wie das für Plotin in bestimmtem Sinne der Fall war 5 1 . Er muß sich an dieser Stelle besonders präzise von valentinianisch-christlichem Erlösungsverständnis absetzen, denn selbstverständlich ermöglicht auch für ihn Gott selbst die Erkenntnis 52 : „Wenn man denn eine Gnosis (γνώσις) und Wahrheit ansetzen und am Seienden festhalten muß, ... so muß man das alles dem wahren Geist zuschreiben" (V 5 [32], 2,4-9). Plotin entwickelt daher nicht zufällig in den drei zeitlich vor der Schrift II 9, die Porphyrius „Gegen die Gnostiker" nannte, entstandenen Traktaten seine Erkenntnislehre „in großartiger Vertiefung" 5 3 . Danach liegt die Idee nicht „außerhalb des Geistes" 54 , sondern im „Strom" des menschlichen Denkens, „indem es seine Kraft vom Seienden erhält, indem es nicht nur auf das Seiende gerichtet ist, sondern mit ihm zusammenfällt. Der Mensch, wenn er die Ideen denkt, denkt sich selbst und denkt Gott" 5 5 . Eine Erkenntnis dagegen, die dem Menschen, wie die Valentinianer lehren, ausdrücklich „von außen" zukommt und zugesprochen werden soll, ist für Plotin nicht nur blasphemisch, wie oben gezeigt, sondern ein Hirngespinst. Was er in der Schrift 32 (V 5), direkt vor 33 (II 9), ausführt, ist weit mehr als eine Widerlegung der Gnostiker und nicht um ihretwillen geschrieben, aber es widerlegt auch ihre Erlösungsverkündigung und zeigt den unüberbrückbaren Graben zwischen ihrer und seiner Theologie auf. „Am bedeutsamsten von allem ist aber Folgendes. Mag man bereitwillig zugestehen, daß die geistigen Gegenstände draußen sind und der Geist sie in ihrer dortigen Lage anschaut, so kann unmöglich der Geist ihr Wahrsein in sich haben und muß betrogen sein in all dem, was er anschaut. Denn sie wären das Wahre; und er müßte sie anschauen und besäße sie nicht, sondern erfaßte in einer derartigen Erkenntnis nur ihre Abbilder. Da er also das Wahre nicht hätte, sondern nur die Abbilder des Wahren zu sich nähme, so würde er den Trug bekommen und nichts Wahres..."

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52 53 54 55

Dazu s. II 9,15, bes. 22ff. Der Ausdruck „Heilsweg" ist übernommen von Harder/Theiler, s. Bd. Illb, S. 381. Vgl. dazu u.a. V 8[31], 9,7-14. So Harder/Theiler in der Einleitung der Edition der Schrift, Bd. III b, S. 399. So in Porphyrios Überschrift zu V 5 [32]. Bd. III b, S. 399.

Die frühe Gnosis zwischen platonischem und christlichem Glauben

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„Ist nun aber im Geiste keine Wahrheit, so ist ein derartiger Geist weder Wahrheit noch in Wahrheit Geist, und also überhaupt nicht Geist. Es kann dann aber die Wahrheit auch nirgendwo anders sein. Man darf also die geistigen Gegenstände weder außerhalb des Geistes suchen noch annehmen, daß im Geist Abdrücke der seienden Dinge vorhanden sind, noch darf man ihm die Wahrheit absprechen und damit die geistigen Gegenstände unerkennbar, ja nichtexistent machen und überdies den Geist selber aufheben". (Übersetzung Harder) 56

Merkwürdig ist allenfalls, daß Plotin bei seiner Argumentation gegen die Gnostiker scheinbar niemals auf deren Erlösungsmodus zu sprechen kommt 5 7 ; ich meine das Faktum, daß eine Soter-Gestalt dem zu Errettenden die befreiende Erkenntnis „von außen" mitteilt. Wäre das nicht einer Widerlegung wert gewesen? Oder ist anzunehmen, daß er auch auf diese für ihn extrem unsinnige Sache nur indirekt in platonischer Verkleidung zu sprechen kommt, weil er seinen neuplatonischen Freunden eine Polemik gegen von vornherein Unsinniges nicht zumuten kann? Es scheint so zu sein. In II 9 , 1 6 , l l f f folgert Plotin aus der gnostischen Mißachtung der Welt, daß die Gnostiker auch das Jenseitige nicht kennen könnten. Entsprechend leugneten sie, daß die Vorsehung (πρόνοια) von dort bis in diese Welt hineinreiche, und fährt fort: „Sie behaupten nämlich, daß die Vorsehung für sie allein Vorsorge" (... αυτών προνοεΐν αύ μόνων), nicht für den Kosmos (16,17). Plotin behandelt die gnostische, von außen zugesprochene Erlösung unter dem Thema der πρόνοια, wie das auch Valentin selbst gelegentlich schon getan hat . Denn das ist der eigentliche Punkt, der ihn an den abstrusen Vorstellungen der Gnostiker interessiert und empört: daß die Vorsehung nur zu einzelnen Menschen, nicht zum Gesamten des Kosmos kommen soll. Der gleiche Widerspruch findet sich in 9,65ff im bezeichnenden Anschluß an Plotins Protest gegen gnostische Anmaßung 5 9 . Auch die mittelmäßigsten und bescheidensten Leute dürfen sich ja nach gnostischer Ansicht

56 57

58 59

V 5,1,50-58 und 1,65-2,5. Wohl spricht er mehrfach von den Folgen der Erlösung (vgl. II 9,9,43-65. 5,Ιδ. 18,17ff u.ö.), die ohne eigene Mühe des zu Erlösenden erreicht werden (9,59). Vgl. bei Clemens, Strom. 2,114,6. II 9,9,52ff.

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einbilden, Gottes Söhne zu sein 6 0 . Wir müssen hinzufügen: aufgrund der ihnen geschenkten, erlösenden Erkenntnis, bzw. eben: der Pronoia Gottes, die für sie gesorgt hat. Es ist also nicht die gnostische Annahme einer Erlösung durch Erkenntnis an sich, die Plotin mit Abscheu erfüllt, er kennt sie ja selbst. Wohl aber erregt ihn, daß diese Pronoia nicht auf dem geordneten und allein angemessenen Weg von der oberen Welt in die hiesige hinabkommen soll, und daß entsprechend auch nicht der „Heilsweg" für den Menschen über die Tugend hier zur Einsicht und Erkenntnis der gestuften Gottheit führen soll 6 1 ; es erregt auch Celsus, daß Erlösung den nicht erzogenen Menschen zukommen soll. D a ß erlösende Erkenntnis nach valentinianisch-christlicher Auffassung allein auf dem Weg der gnädigen Gabe zum Menschen kommen kann, zum Menschen, der „sich nicht gemüht hat" (ουδέν πονήσας 9 , 5 9 ) , hat Plotin also wohl als Zentraltopos der Gnostiker sehr gut verstanden. Es ist für ihn Blasphemie gegen die von Gott geordnete jenseitige und hiesige Welt, gegen den damit von Gott gewiesenen „Heilsweg" im Aufstieg von unten nach oben, und d.h. Blasphemie gegen Gott und seine πρόνοια selbst. Als Ergebnis des Bisherigen stellt sich folgendes heraus: Ein methodisch zuverlässiger Zugang zu gnostischer Piatonbenutzung und platonischem Protest dagegen läßt sich nur gewinnen, wenn man den Mythos als Ganzes betrachtet und die Bilder, unter denen er bestimmte theologische Aussagen verdeutlicht, als Bilder erkennt und sie dann als ganze, nicht in jedem einzelnen Bezug zu philosophischen Systemen, zu deuten versucht 6 2 . Hinweise für eine Deutung 60

Und zwar „plötzlich" (εξαίφνης 9 , 5 3 ) , nachdem sie „gehört" haben: „Du wirst nicht nur über allen Menschen, sondern auch über Göttern sein". - Hier wird das gnostische Zusprechen der Erkenntnis durch einen Erlöser karikiert, ebenso die „plötzliche" Wirkung der in der Seele blitzartig aufgehenden Erleuchtung, die die Valentinianer lehren. Plotins Karikatur ist sehr genau.

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Vgl. II 9 , 1 5 , 3 2 - 4 0 .

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Eines bleibt nachzutragen. Wir haben im Vorstehenden immer von dem valentinianischen Mythos gesprochen. Das ist natürlich inkorrekt. Die Vielfalt der valentinianischen Umprägungen ihres Mythos ist bekannt. Von Valentin selbst über Ptolemäus zu dem anonymen Autor der Quelle Hippolyts läßt sich auch ein immer stärkeres Bemühen aufzeigen, Parallelen zur platonischen Philosophie herauszuarbeiten. Der Mythos wird „philosophischer". Das unterstreicht aber eher die hier vorgetragene These. Denn „philosophische" Elemente sind selbst in den spärlichen Fragmenten des Valentin und sehr viel stärker noch bei dem älteren und besser bezeugten Basilides zu erkennen. Andererseits bleibt bei allen, auch dem Valentinianer bei Hippolyt, die gleiche Botschaft, die sie über den Mythos mitteilen wollen.

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gibt die Darstellung selbst wie die darin angeführten Schriftzitate. Detailforschung dagegen, die nur das einzelne Motiv sieht und es mit Akribie seiner platonischen, pythagoreischen, stoischen, auch jüdischen Herkunft zuordnet, hat zwar einen philosophiegeschichtlichen Wert, hilft aber nichts für das Verständnis dessen, was die Gnostiker mit der òesamtheit der Motive und Bilder aussagen wollten. Erst wenn das zuverlässig erkannt ist, kann - vielleicht durch Detailforschung eine weitere Bestätigung der Gesamtdeutung erfolgen. Aber nicht jedes Detail des Mythos muß eine bestimmte, rational aussagbare Bedeutung haben und vor allem muß es nicht in jedem Mythos denselben Sinngehalt haben. Vielmehr variieren und paraphrasieren die Gnostiker gern ihre Bild- und Sprachwelt, wie schon die Variationen des valentinianischen Mythos aus der zweiten Hälfte des 2. Jahrhunderts zeigen, ohne den Kern ihrer Verkündigung anzutasten. Die hier vorgeschlagene und durchgeführte Methode der Interpretation gnostischer Mythen geht allerdings davon aus, daß es einen solchen Kern der gnostischen Mythen gibt: einen präzisen theologischen Aussagewillen, der sehr wohl in rationaler Terminologie zu fassen wäre, dann aber, wie gezeigt, den griechischen Adressaten nicht verständlich gewesen wäre. Für den, der das bezweifelt, führt selbstverständlich auch diese Methode zu nichts. Mir scheint allerdings, daß man den präzisen theologischen Aussagewillen zumindest für die frühen Gnostiker nicht bezweifeln kann . W o liegen aber die Gründe für die platonischen Entlehnungen? W o liegt die wirkliche theologische Nahtstelle zwischen Piatonismus und Christentum nach Auffassung unserer Gnostiker, die sie sachlich berechtigte, mit einem Weltentstehungsmythos platonisierender Art Christusverkündigung zu betreiben? W o liegt also die Voraussetzung für die Entlehnung bei platonischer Philosophie? Die wirkliche sachliche Nähe zum Piatonismus ergibt sich für die Gnostiker m.E. aus der berühmten Einleitung des Timaios-Mythos

63

Gesteht man das zu, so kann man sogar in aller gebotenen Vorsicht nach platonischen Quellen für die Gnostiker suchen. Durchweg wird man dabei finden, daß der relativ hohen formalen Übereinstimmung eine andere Interpretation der Formalia gegenübersteht. Das gilt z.B. für Numenios und gnostische Ausdeutungen, die mit denselben Termini Entgegengesetztes meinen (vgl. z.B. die μίμησις des ersten Gottes als notwendigen Lebensquell im System des Numenios gegenüber der μίμησις als der das „Leben" des Pieromas zerstörenden Sünde bei den Valentinianern).

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selbst. Dort heißt es ( 2 9 c 7 - 3 0 c l ) , die Ursache für die Bildung der Welt sei die Güte Gottes (αγαθός fjv, άγαθω δε ουδείς περί ούδενός ούδέποτε έγγίγνεται φθόνος, 29tlt). Daher wollte er, daß alles ihm selbst so ähnlich wie möglich werde, d.h. alles gut und soviel wie möglich nichts schlecht. Da er das Sichtbare (d.h. die Materie) aber nicht in ησυχία, sondern in maßloser und ungeordneter (ατάκτως) Bewegung vorfand, überführte er es aus der άταξία in die τάξις, da ihm diese auf jede Weise besser schien als jene. Um das Schönste zu gestalten, was ihm allein angemessen war, verlieh er dabei der Seele Vernunft und dem Körper die Seele, um so das seiner Natur nach schönste und beste Werk zu vollbringen. Der berühmte Passus, von dem wir annehmen können, daß ihn auch unsere Gnostiker kannten, schließt mit dem Hinweis, daß so κατά λόγον τόν εικότα die Welt als beseeltes und mit Vernunft begabtes Lebendes entstanden sei durch Gottes vorhersehende Fürsorge (πρόνοια). Hier sind alle Elemente versammelt, die für die Gnostiker akzeptierbar und nutzbar waren: das Gut-Sein Gottes ohne jeden vorenthaltenden φθόνος, verstanden als πρόνοια gegenüber der Welt und aktualisiert in der Gestaltung und Ordnung der ohne M a ß und Form existierenden Materie. Piaton beschrieb Weltschaffung als einen heilvollen Prozeß der Formung des Gestalt- und Ordnungslosen, einen Prozeß, durch den die Materie zu qualifiziertem Sein allererst befreit und erlöst wurde. Indem wir so formulieren, in Anlehnung an mittelplatonische Interpretation 6 4 , wird unmittelbar deutlich, wo die Valentinianer an platonische Philosophie direkt anknüpfen konnten: Gestaltung, Formung, verstehen auch die Valentinianer als Befreiung und Erlösung, allerdings Erlösung von der Urschuld, die, wie oben beschrieben, das Geschehen des Mythos so jäh und gänzlich unplatonisch auslöste. Den Begriff der Formung, aus platonischer Kosmologie übertragen sie daher auf die Zusammenhänge, um die es ihnen ging. Denn wenn irgendwo in der antiken philosophischen Literatur, so erschien ihnen hier, in der paradigmatischen Schilderung von Gottes Zuwendung zur Welt bei der Weltschaffung, etwas ausgedrückt, das dem nahe kam, was sie aussagen wollten: gnädige,

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Vgl. dazu u.a. Numenios, frg 1 5 , w o es heißt, von der στάσις des ersten Gottes komme die Ordnung (τάξις) der Welt και ή μονή ή aîSios καί ή σωτηρία (= Erhaltung) άναχεΐται eis τά όλα. Z u m gesamten Zusammenhang bei Philon vgl. R. Berchman, From Philo to Origen. Middle Platonism in Transition, Brown Judaic Studies 6 9 , Chico/California 1 9 8 4 , 25f.

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geschenkte Erlösung von Schuld 6 5 . Die Valentinianer stellten in ihrem Mythos deshalb Erlösung unter dem Bild der „Formung" dar. D a s Bild wurde variiert. Von der buchstäblichen Formung des έκτρωμα αμορφον der Sophia bis zur Formung durch Gabe von Erkenntnis sind verschiedene Interpretationen und Variationen dieser Formung möglich. Der Begriff selbst wird auch vielfältig variiert als „Gestaltung", „Prägung", „Festigung", „Ordnung" u.ä. 6 6 Immer aber, in allen Stufen eines und desselben Mythos wie auch in literarischen Variationen der Mythen von anderen valentinianischen Verfassern, begegnet dasselbe Grundelement der Formung. Und man versteht auch, warum: die Valentinianer lesen platonische Kosmologie, nicht ganz unberechtigt, als Soteriologie. Sie stellen daher die Heilung der schuldig gewordenen Sophia als einen Prozeß ihrer Gestaltung dar. Sie müssen daher auch die Folgen ihres Falls als eine „ungestalte Fehlgeburt", bzw. als „formlose, des Erkennens unfähige Frucht" beschreiben, damit sich daran die Gestaltung dieser Frucht als notwendig anschließen kann. Denn in der Frucht sind noch Teile der gefallenen Sophia selbst verblieben, aber derart ver-

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Philon ist hier, wie so oft, in gewissem Sinne ein Wegbereiter. Zwar bleibt er mit seinem Denken zum Thema „Gestaltung" ganz im Rahmen der Weltschöpfung (insofern ist der Unterschied groß), aber er bringt doch deutlich zum Ausdruck, daß der Schöpfer „reiche Gnadengaben" an die Materie gewandt habe, da er erkannte, „daß sie ohne göttliche Gabe nichts Gutes aus sich selbst zu erlangen imstande sei" (De op. mundi 23). Das Moment der aus sich selbst hilflosen Materie ist hier als tertium comparationis wichtig. Vgl. dazu außerdem, De fuga et inventione 172f; De aeternitate mundi 39-42; De Providentia I 22ff et passim. Vgl. Irenäus 1,2,2, 171 ... έπεσχήσθαι καί έστηρίχθαι ...; 1,2,5, 211 ττήξις und στηριγμόξ; 1,2,5, 212 καταρτισθήναι; 1,2,5, 220 γέυεσίξ und μόρφωση; 1,8,5, 917 μορφόω; 1,8,5, 947: Hier heißt es in Ptolemäus' Auslegung des Johannesprologs zu Joh 1,4, der Evangelist habe die Zoe als „Licht der Menschen" bezeichnet. Denn durch sie seien die Menschen erleuchtet worden, δ δή έστι μεμορφώσθαι καί πεφανερώσθαι. - Wie hier ist häufig der dem μορφοΟσθαι parallel gebrauchte Begriff aufschlußreich. Um den Terminus der Formung o.ä. im valentinianischen Mythos zu verstehen, muß man nicht nur sämtliche Begriffe dafür nebeneinander sehen, sondern auch die verschiedenen Vorgänge der Formung sachlich zueinander in Beziehung setzen. Es führt m.E. nicht weiter, wenn man wie z.B. G. May in einem exakten Referat nur die μόρφωσις κατ' ούσίαυ mit der „kosmologischen Vorstellung von der Gestaltung der ungeformten Materie" in Verbindung bringt (Schöpfung aus dem Nichts. Die Entstehung der Lehre von der creado ex nihilo, Berlin 1978,100), nicht aber die darauf folgende μόρφωσις κατά γνώσιν. Vielmehr muß das Bild der „Formung" als ganzes begriffen und verstanden werden, warum die Valentinianer es so auffällig häufig in ihren Mythos einbrachten.

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mischt mit niederen Substanzen, daß sie sich aus eigener Kraft nicht wieder befreien können, sondern der eingreifenden Hand des Erlöser-Gottes bedürfen. Schuld und die hoffnungslose Verstrickung in Schuld ist in diesem Bilde nicht unangemessen beschrieben. Das kann hier nur angedeutet werden. Die Gnostiker sind kühn und klug. Sie tun vor (das gilt zumindest von Basilides) und neben den Apologeten, was gemeinhin nur diesen als Großtat angerechnet wird: sie machen sich als Christen ihrer Umwelt verständlich, sie knüpfen an deren Denkvorstellungen an, kurz: sie wirken apologetisch und protreptisch und bedenken die christliche Botschaft in den Gegebenheiten der griechisch-römischen Welt des 2. Jahrhunderts. Wenn Justin Christus als Logos vorstellt, so ist das im Prinzip nichts anderes, als wenn frühe Gnostiker Erlösung in Anlehnung an die Formung der Welt in platonischer Sicht darstellten. Der erhebliche Unterschied zwischen beiden - das muß nun sogleich hinzugefügt werden - liegt allerdings darin, daß Justin bei seinem Bemühen um Anknüpfung erheblich bedachtsamer vorgeht als jene, daß er zumindest versucht, dabei im sachlichen Rahmen altchristlicher Verkündigung von Tod und Auferstehung zu bleiben. Ob ihm das gelungen ist, braucht hier nicht erörtert zu werden. Jedenfalls hat er die Theologiegeschichte bestimmt, während der gnostische Versuch der Anknüpfung letztlich doch als ein nicht gelingender bezeichnet werden muß und mit Recht aus der Kirche ausgeschieden (Irenäus) bzw. von Clemens und Orígenes transformierend zurückgeholt wurde. Im Prozeß, der mit dem Begriff der „Weltlichkeit des Glaubens in der Alten Kirche" hier bezeichnet wird, haben die christlichen Gnostiker gleichwohl ihre Spur hinterlassen.

KARIN A L T

Glaube, Wahrheit, Liebe, Hoffnung bei Porphyrios

Für viele Philosophen der späteren Antike, insbesondere die Platoniker, war ihr Bemühen um Erkenntnis und ihr philosophischer Weg zugleich Ausdruck einer religiösen Lebenshaltung. Denn die Philosophie schloß die Theologie, neben anderen Problembereichen, in sich ein. Nicht nur stand die Frage nach Gott, nach einer höchsten Instanz und Ursache allen Seins, Werdens, Geschehens im Zentrum des Spektrums philosophischer Thematik, auch für die Suche nach dem persönlichen Heil, nach σωτηρία, in dieser schwierigen und bedrängenden Welt sollte die Philosophie Hilfe gewähren und dem einzelnen Menschen den Weg empor zum Göttlichen weisen. Analogien zu christlichem Seinsverständnis und Streben nach einem ersehnten Ziel sind erkennbar. Von Porphyrios freilich, dem erbitterten Christengegner, dessen polemische Schrift „Gegen die Christen" noch mehr als anderthalb Jahrhunderte nach ihrem Erscheinen als derart brisant und gefährlich galt, daß sie dem Verdikt und der Vernichtung anheimfiel 1 , wird man kaum erwarten, daß er eine philosophisch-religiöse Ausrichtung seines Lebens bekundet, die eine Nähe zu christlichen Vorstellungen aufweist und zu deren Grundelementen Glaube, Liebe, Hoffnung zählen. Und doch ist uns ein Zeugnis dafür überliefert in Gestalt einer Schrift, die Porphyrios in vorgerücktem Alter verfaßt hat; es handelt sich um den „Brief an M a r k e l l a " , ein persönliches, aber zur Veröffentlichung bestimmtes

Porphyrios schrieb dieses Werk während seines Aufenthalts in Sizilien in den Jahren um 2 7 0 . Die Zeugnisse und Fragmente wurden ediert von A. v. Harnack, Porphyrius, „Gegen die Christen". Abhandl. königl. preuß. Akademie d. Wissensch. Berlin 1 9 1 6 und 1 9 2 1 . Zur Haltung der Kirche vgl. Harnack 1 9 1 6 , 5: „Das Werk ist bereits von Constantin vor dem Nicänum unterdrückt worden; doch erhielten sich noch Exemplare, so daß die Kaiser Theodosius II. und Valentinian im Jahre 4 4 8 das Gebot, welches die Bücher vernichten sollte, wiederholen mußten. Seitdem gibt es keine sichere Spur mehr von ihnen."

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Karin Alt

Schreiben, das Porphyrios von einer Reise an seine Frau richtete und das als ein philosophischer Protreptikos gelten kann 2 . Bedeutende Gelehrte haben dieses Werk gewürdigt; Festugière spricht vom „testament spirituel du paganisme" 3 , Harnack meint, daß die Frömmigkeit dieses großen Feindes des Christentums sich hier kaum unterscheide von jener der griechischen christlichen Theologen des dritten Jahrhunderts 4 , und Bidez schreibt sogar von Porphyrios, „qu'il a fini sa vie dans les sentiments d'un vrai Chrétien" 5 . Wie läßt sich dieser Befund erklären? Zunächst sei in Kürze einiges zur Biographie und zur Einordnung der beiden genannten Schriften in das Leben des Porphyrios gesagt, von dem wir freilich nur wenige Daten wissen. Porphyrios wurde 2 3 4 in Tyros geboren. Dort mag er mit Christen in Berührung gekommen sein; ob er aber selber in seiner Jugend Christ gewesen ist und sich später losgelöst hat, wie der Kirchenhistoriker Sokrates, der in der ersten Hälfte des fünften Jahrhunderts schrieb, überliefert, wird man nicht als sichere Nachricht akzeptieren 6 und vor allem nicht als psychologischen Hintergrund der Christenfeindschaft be-

2

Ausgaben (zumeist mit Kommentar oder Anmerkungen): Porphyre. Vie de Pythagore. Lettre à Marcella. Texte établi et traduit par E. des Places, Paris 1982 (nach dieser Ausgabe wird im folgenden zitiert). - Porphyrius, Philosophus Platonicus, Opuscula selecta ed. Nauck, Leipzig 2 1 8 8 6 (repr. 1 9 6 3 , 1977). — Porphyrios Προς Μαρκέλλαν. Hg., übers., eingeleitet u. erklärt von W. Pötscher, Philosophie antiqua X V , Leiden 1969. - K. O'Brien Wicker, Porphyry the Philosopher. T o Marcella. The Society of Biblical Literature 1 9 8 7 . - Porfirio, Vangelo di un pagano. Lettera a Marcella, Contra Boeto (etc.), a cura di A.R. Sodano, Milano 1993.

3

A.J. Festugière, Trois dévots paiens II: Porphyre, Lettre à Marcella. Paris 1 9 4 4 , 17. A. v. Harnack, Greek and Christian Piety at the End of the third Century. The Hibbert Journal 10, 1911/1912, 78: „His piety is hardly to be distinguished from that of the Greek Christian theologians of the third century". 79: „The piety of Porphyry is not only similar to that of the Christians of his day - it accords with theirs just in its deepest elements." J . Bidez, Vie de Porphyre, le philosophe néo-platonicien, Gent 1913 (repr. Hildesheim 1964), 116. Socrates Eccles. hist. II 23,38. Vgl. dazu Beutler R E X X I I Sp. 2 7 6 : „Zweifellos eine Erfindung, um P.'s christenfeindliche Haltung zu motivieren." Anders Harnack 1 9 1 6 , 4: er nimmt diese Überlieferung ernst und schreibt, Porphyrios habe „der Kirche, die er jetzt bekämpfte, so nahe gestanden, daß er durch einen Bruch sich von ihr lösen mußte ... Das große Werk gegen die Christen ist also von einem Manne geschrieben, der zeitweise im Vorhof der Kirche gestanden hat."

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werten wollen. - Zum Studium der Philosophie ging Porphyrios zunächst nach Athen zu dem Platoniker Longin; zugleich interessierte er sich lebhaft für die Frage nach der Wahrheit und philosophischen Bedeutung der Orakel und nach den verschiedenen möglichen Wegen, die den Menschen zu Gott führen können, sowie nach der Existenz von Dämonen, Göttern, dem höchsten Gott. Davon zeugen die beiden Schriften „Über die Philosophie der Orakel" und „Brief an A n e b o " , die vor seiner Schülerschaft bei Plotin entstanden sein dürften und für uns nur durch Zitate bei anderen Autoren kenntlich sind. Erhalten ist die (einst anonym publizierte) Antwort-Schrift Jamblichs auf den „Brief an Anebo", die heute den Titel „Über die Mysterien der Ägypter" trägt 7 und einigen Aufschluß über die Fragen gibt, die Porphyrios stellte. - Im Jahre 2 6 3 kam Porphyrios zu Plotin nach R o m , wurde - nachdem er sich zu dessen philosophischen Grundlehren bekannt hatte - sein enger Schüler, dem der Lehrer die Herausgabe seiner Schriften anvertraute. Er geriet indes nach einigen Jahren in eine persönliche Lebenskrise, über die er offen in seiner Plotin-Biographie berichtet 8 ; Plotin empfahl ihm eine Reise zur Entfernung von Rom. So ging Porphyrios um 2 6 8 nach Sizilien, wohin Plotin ihm auch weiterhin seine Manuskripte zusandte. Eine Rückkehr zu Plotin konnte nicht mehr erfolgen, da dieser bald danach erkrankte und starb (270). Daß Porphyrios später wiederum nach Rom übersiedelte und die Nachfolge Plotins antrat, ist wahrscheinlich, doch wissen wir darüber gar nichts Sicheres, weder über den Zeitpunkt noch über den Modus, in welchem die Schule Plotins fortbestand 9 . Auch über den weiteren Lebensverlauf des Porphyrios haben wir fast keine Kenntnis, außer daß er in der Plotin-Biographie sein damals 68. Lebensjahr erwähnt 1 0 (er hat sie demnach um 3 0 2 verfaßt) und im Markella-Brief schreibt, er

7

Der antike Titel ist sehr kompliziert. - Der Text ist zugänglich in der Ausgabe: Jamblique. Les Mystères d'Égypte. Texte établi et traduit par É. des Places. Paris 1966.

8

Porphyrios, Vita Plotini (ediert innerhalb aller Plotin-Ausgaben) Kap. 1 1 , U f f . ; auch die Daten und verschiedene Fakten seines Aufenthalts bei Plotin sind aus dieser Biographie bekannt, ebenso die Chronologie der Werke Plotins.

9

Vgl. Beutler R E X X I I Sp. 2 7 8 : „Im Alter (wann, ist ungewiß) kehrte P. nach R o m zurück und übernahm die Leitung der Schule ... Doch bleibt seine Tätigkeit in diesem Amt ebenso wie der Verlauf seines weiteren Lebens für uns ganz im Dunkel."

10

Vita Plotini Kap. 2 3 , 1 3 f .

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habe als „alternder M a n n " , eis τό γήρας αποκλίνων, nach dem T o d eines Freundes Markella, dessen mit sieben Kindern zurückgebliebene Witwe, geheiratet 11 . Sein Tod wird im Jahr 3 0 3 oder 3 0 5 angenommen. Während seines sizilischen Aufenthalts 1 2 , nach der Trennung von Plotin, aber bei bleibender Verbindung mit ihm hat Porphyrios sein umfangreiches, fünfzehn Bücher umfassendes Werk „Gegen die Christen" geschrieben. Über den Anlaß zu dieser polemischen Auseinandersetzung wissen wir nichts. Es ist möglich, daß der Anstoß dazu von Plotin herrührte und Porphyrios bereits in R o m sein Vorhaben durch reiche Materialsammlungen vorbereitete, wie Harnack vermutet 1 3 ; sicher ist es nicht. In einem wichtigen Kapitel der PlotinVita (16) berichtet Porphyrios, daß sich damals in Rom (und offenbar auch im Kreis um Plotin) zahlreiche Christen befanden, darunter Anhänger verschiedener häretischer Richtungen sowie auch Leute, die sich auf Offenbarungsschriften des Zoroaster und Zostrianos stützten. Plotin selber habe in seinen Vorlesungen vielfache Widerlegungen vorgetragen und seine Schrift „Gegen die Gnostiker" verfaßt 1 4 , habe aber das übrige zu widerlegen seinen Schülern überlassen. So habe Amelios eine Schrift gegen das Werk des Zostrianos geschrieben, er, Porphyrios, aber habe mit vielen Argumenten aufgezeigt, daß das Buch des Zoroaster eine späte Fälschung, eine Fiktion der Sektengründer sei. - Porphyrios weist hier nicht ohne Stolz auf seine kritischen Fähigkeiten beim Urteil über religiöse Schriften und deren Schwächen hin. Es ist bemerkenswert, daß er

11

Ad M a r c . Kap. I , l f f . l 2 f f .

12

Dies bezeugt Eusebios, vgl. Harnack 1 9 1 6 , 3 1 . - Erwähnt sei, daß eine These, die Harnack 1 8 9 3 (Geschichte der altchristlichen Literatur bis Eusebius I 2 , 8 7 3 ) vorgetragen, später aber verworfen hat, neuerdings nachdrücklich vertreten wird: die Schriften „Philosophie der Orakel" (sonst als Frühwerk eingestuft) und „Gegen die Christen" seien identisch; so P.F. Beatrice, Towards a new Edition of Porphyry's Fragments Against the Christians. In: „Chercheurs de sagesse"; H o m m a g e à Jean Pépin, Paris 1 9 9 2 , 3 4 7 - 3 5 5 . Er datiert die Schrift in die siebziger Jahre des dritten Jahrhunderts ( 3 5 4 ) .

13

Harnack 1 9 1 6 , 3.

14

Plotin II 9 [33]. Während Porphyrios in R o m war, entstanden die Traktate Nr. 2 2 - 4 5 (s. Vita PI. Kap. 5), demnach fiel die Auseinandersetzung mit den Gnostikern etwa in die Mitte der römischen Jahre des Porphyrios. - Über Plotins antignostische Schrift habe ich an anderer Stelle geschrieben: Philosophie gegen Gnosis. Plotins Polemik in seiner Schrift II 9. (Abhandl. Akademie d. Wissensch, u. d. Lit. Mainz, Geistesw. u. sozialw. Klasse 1 9 9 0 , 7 ) , Stuttgart 1 9 9 0 .

Glaube, Wahrheit, Liebe, Hoffnung bei Porphyrios

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hier kein Wort über sein antichristliches Werk verliert oder etwa dessen Vorbereitung im Umfeld Plotins andeutet. Im Kontext dieses Referats werden zwar die Christen kurz erwähnt (Kap. 16,1), aber die Kritik scheint allein den häretischen Strömungen zu gelten. Daher dürfte es ungewiß bleiben, ob Porphyrios die Vorarbeiten für sein umfängliches Werk schon in Rom und auf Anregung Plotins hin unternommen hat 1 5 . Zum Charakter der Schrift, die sich kritisch mit Texten des Alten und Neuen Testaments auseinandersetzt, in ihnen Widersprüche und Widersinnigkeiten aufzuzeigen sucht und besonders den „vernunftlosen" und „nicht überprüften Glauben", die άλογος und άνεξέταστος πίστις 1 6 , anprangert, sei auf eine Bemerkung von Bidez verwiesen, der betont, daß es für Porphyrios kaum um ein Wirken auf die Öffentlichkeit als vielmehr um das Bloßlegen irriger Ansichten gegangen sei; es handle sich um ein Werk nicht der reinen Polemik, sondern der hohen Philosophie 17 . Pophyrios war ein leidenschaftlich kritischer Denker und ein engagierter Bekenner seiner Philosophie, aber kein religiöser Agitator. - Da im „Brief an Markella" in der Aussage über Glaube, Wahrheit, Liebe, Hoffnung eine Reminiszenz an Paulus vorliegen dürfte, sei noch hervorgehoben, daß unter den erhaltenen Texten der Schrift „Gegen die Christen" zahlreiche Abschnitte sich auf Passagen aus dem ersten Korintherbrief beziehen 18 , hinzukommen Zitate aus anderen Paulus-Briefen. Daß also Porphyrios, der in seinem großen Werk viele weitere Texte und Probleme behandelte, sich eingehend mit Paulus beschäftigt hat, ist evident. Hatte Porphyrios seine antichristliche Schrift um 270 als Mittdreißiger verfaßt, so ist der Markella-Brief ein Alterswerk. Veran15

16 17

18

Daß er sich bereits früher, bevor er nach Rom kam, mit den Christen befaßt hatte, zeigen erhaltene Reste seiner Schrift „Über die Philosophie der Orakel", vgl. z.B. Porphyrius Fragmenta ed. A. Smith 1993, Frg. 344a (er wirft den Christen maxima stultitia vor), Frg. 345a (Z. 14ff. Christianos vero pollutos ... et errore implicates esse, Ζ. 39 Christianos ignorantes), Frg. 345c und 346 (er äußert sich positiv über Christus, sane Christum laudans vel Porphyrius vel Hecate, aber wiederum negativ über die Christen). Vgl. Harnack 1916, Text Nr. 1, 45 Z. 17f., Nr. 73, 91. Bidez a.a.O. (s. Anm. 5) 78: „En général, il semble s'occuper beaucoup moins de l'effect à produire sur le public que de l'erreur même qu'il s'agit de démontrer ... C'est une oeuvre de haute philosophie qu'il a conçue et non de pure polémique". Bei Harnack sind es die Texte Nr. 26, 27, 29, 31, 32, 33, 34, 36, 37, 78, 88.

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laßt wurde er durch eine Reise, zu der Porphyrios genötigt war; sie führte ihn nach nur zehnmonatiger Ehe fort von seiner Frau, mit der ihn eine enge geistige Gemeinsamkeit im philosophischen Streben verband, wobei er ihr Leiter und Helfer war. Markellas Wunsch, ihn auf der Reise zu begleiten, war wegen der Kinder unerfüllbar 1 9 . D a r u m sucht Porphyrios seiner Frau Trost und inneren Beistand und einige Ratschläge praktischen Verhaltens 2 0 für die Zeit des Alleinbleibens durch seinen Brief zu vermitteln. - Über den Grund und das Ziel dieser Reise sagt Porphyrios nichts Deutliches aus, nur daß eine „Notlage der Griechen" ihn riefe und auch die Götter ihn dazu drängten 2 1 . M a n hat wiederholt die Vermutung geäußert, die Reise stehe in Zusammenhang mit der Christenverfolgung Diocletians um 3 0 3 , zu deren (quasi ideologischer) Vorbereitung Porphyrios nach Nikomedeia gerufen worden sei 2 2 . M i r erscheint diese Annahme aus mehreren Gründen abwegig 2 3 . Hatte Porphyrios schon einst seinen Kampf gegen die Christenlehre auf rein philosophischer Ebene geführt, so ist es schwer vorstellbar, daß er als nahezu Siebzigjähriger sich in den Dienst kaiserlicher Propaganda hätte einspannen lassen. Auch würde ein M a n n solchen Alters nach antiker Auffassung wohl kaum von sich sagen, er „neige sich dem Alter z u " 2 4 ; Porphyrios wird also zur Zeit dieser Reise einige Jahre jünger gewesen sein, und man wird die Schrift entsprechend früher zu datieren haben (in die J a h r e vor 3 0 0 ) . V o r allem aber zeigt der Inhalt dieses Briefes keinerlei Spuren einer Polemik gegen die Christen; wären die kaiserlichen Aktionen Anlaß und Ziel der Reise, so sollte man erwarten, daß der T e x t einiges aus diesem Problemfeld andeutet oder spiegelt. Statt dessen wendet sich Porphyrios hier an Menschen, die wie Markella in der Philosophie ihre Lebenserfüllung erstreben, er möchte sie in

19

Z u allen diesen persönlichen Angaben vgl. Ad M a r c . Kap. 1-4.

20

Die praktischen Hinweise finden sich am Ende des Schreibens in Kap. 3 5 ; wichtig ist die φιλανθρωπία, der freundliche Umgang mit dem Hausgesinde.

21

Kap. 4 ( 1 0 6 , 1 5 f . ) καλούσης δετής των Ελλήνων χρείας και των θεών σννεττειγόντων.

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Vgl. z.B. Pötscher (s. Anm. 2) 66f., der die Tätigkeit des Porphyrios „Beratung durch einen Fachmann" nennt; ferner Sodano (s. Anm. 2 ) 112ff.

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Die Argumente habe ich an anderer Stelle ausführlicher dargelegt, auch eine neue Hypothese für den Reise-Anlaß vorgeschlagen: Porphyrios als Helfer in griechischen Nöten. Brief an Markella Kap. 4. In: Worte, Bilder Töne. Festschrift für Bernhard Kytzler, hg. R. Faber und B. Seidensticker, Würzburg 1 9 9 6 ,

201-210.

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Kap. 1 ( 1 0 4 , 1 2 ) . - Der Begriff sene* gilt in Rom für Männer vom 6 0 . Lebensjahr ab; das griechische W o r t γήρας dürfte Ähnliches ausdrücken.

G l a u b e , W a h r h e i t , Liebe, H o f f n u n g bei Porphyrios

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diesem Bemühen bestärken, setzt Einverständnis bei den Lesern voraus. Eine Abgrenzung geschieht nicht etwa gegenüber den Christen und ihrer religiösen Lehre, sondern allgemein gegenüber der Menge, den πολλοί, die, getrieben von ihren Emotionen, nicht zum wahren Erkennen des Göttlichen gelangen. Die Frage, ob Porphyrios vielleicht im Alter seine Haltung zu den Christen und ihrem Glauben geändert habe, kann man stellen; darauf wird später zurückzukommen sein. Zunächst aber sollen einige Grundgedanken der Schrift dargelegt und ihre mögliche Analogie wie ihr Abstand zu christlichen Vorstellungen erörtert werden 2 5 . Danach sind jene Aussagen näher zu betrachten, die eine überraschende Nähe zu christlichen Gedanken zu bekunden scheinen. Für die Platoniker ist der Mensch ein Fremdling in dieser Welt, denn sein wahres Ich, die geistige Seele, stammt aus einem höheren, göttlichen Bereich. So ist sein Hiersein zu erklären als die Folge eines Sturzes hinab in die Welt des Werdens und des Vergehens; dessen Ursachen können unterschiedlich angegeben und gewertet werden, sie sind individueller Natur und entsprechen zugleich einer allgemeinen Gesetzlichkeit 26 . Porphyrios geht auf diese Problematik hier nicht ein, doch spricht er zu Markella von dem „Sturz in die Geburt" und der Existenz in dieser „fremden Herberge" 2 7 . Aufgabe und Ziel des Menschen ist es, sich aus den Fesseln des hiesigen Daseins zu befreien, den Weg hinauf zum Göttlichen zu vollziehen 28 . Darin findet die Seele ihr Heil, die σωτηρία, die Bewahrung oder Wiedergewinnung ihres eigentlichen Seins , das durch alles Körperliche, aber auch durch die Emotionen, die πάθη, eingeschränkt und

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Auf den Aufbau der Schrift gehe ich dabei nicht ein, vgl. dazu vor allem Pötscher (s. Anm. 2) 103ff. Hinzuweisen ist aber auf den Tatbestand, daß Porphyrios im Markella-Brief zahlreiche Sentenzen übernimmt und seiner Argumentation eingliedert, die auch bei anderen Autoren, vor allem Sextus, überliefert sind. Ediert hat diese Texte H. Chadwick, The Sentences of Sextus, Cambridge 1959 (zu Porphyrios s. 14Iff.).

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Ausführlich hat Plotin dieses Thema behandelt in der Schrift IV 8 [6] „Über den Abstieg der Seele in die Körperwelt". Diese platonische Lehre ist von der des „Sündenfalls" durchaus verschieden.

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Kap. 5 (107,7) TÒ eis γένεσιν πτώμα, vgl. Kap. 6 (108,16-19); Kap. 6 (108,8) έκ της ενταυΘοΤ ξέυης καταγωγής. Kap. 6 (108,12) τη προς θεούς άνόδω, Kap. 7 (109,14) eis θεούς άναδρομαί und öfter. Zur σωτηρία der Seele vgl. Kap. 8 (109,18); Kap. 9 (110,11); Kap. 2 4 (120,1); Kap. 2 5 (120,15); Kap. 34 (126,6).

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behindert wird. Alleinige Retterin und Geleiterin zu diesem höheren Sein, zum Heil, ist die wahre Philosophie: nur sie führt zu Gott. Wichtig ist dabei die Einsicht des Menschen ins Göttliche, das Erkennen, γνώναι, doch wird zugleich eine vertrauende Grundüberzeugung, ein Glaube, die ττίστις, vorausgesetzt; Erkennen und fester Glaube gehören zueinander 30 . Allerdings darf dies kein vernunftwidriger oder unbegründbarer Glaube, keine άλογος πίστις sein, auch darf der Glaube nicht isoliert und ohne Auswirkung auf das Leben bleiben, sonst hilft er nicht dazu, daß man Gott erreiche 31 . Man soll gemäß seinem Glauben leben, im eigenen Leben für ihn Zeuge sein 32 , und für das Ziel, um dessentwillen man lebt, soll man auch den Tod nicht scheuen 33 . - Hier wird die Forderung nach einer Bezeugung des Glaubens in der Wirklichkeit des Lebens erhoben, die christlichen Lebens-Maximen analog ist. Allerdings darf der Glaube nicht „vernunftwidrig" sein; ein credo quia absurdum wäre für einen Platoniker Wahnwitz. Es sei darauf hingewiesen, daß Porphyrios den Vorwurf des „vernunftwidrigen Glaubens" in seiner antichristlichen Schrift deutlich gegen die Christen richtet 34 , doch erhebt er ihn in anderem Kontext ebenfalls gegen die Stoiker 35 ; man wird daher von der Anwendung dieses Begriffes in der Markella-Schrift nicht einfach auf eine hier vorliegende (vielleicht untergründige) christenfeindliche Tendenz schließen dürfen. Die Betonung des Erkennens und der Vernunftbezogenheit auch des Glaubens impliziert, daß dem Weisen, dem σοφός, ein besonderer Vorrang zukommt: nur der Weise erkennt Gott, nur er ehrt Gott, er versteht, in der richtigen Weise zu beten, ist dem Gott nah verbunden; er allein ist der wahre Priester 36 . Eine irrige Vorstellung von Gott, wie die Menge sie hegt, ist nicht Ausdruck von Frömmigkeit, sondern bedeutet eine Befleckung Gottes und eine Blendung der eigenen Möglichkeit des Erkennens höchster Wesenheiten 37 . Der törichte 30 31 32

33 34 35 3é 37

Kap. 21 (118,18f.) δια της γνώσεως και της βεβαίας πίστεως. Kap. 2 3 (119,12ff.) ούτε γ α ρ άλογος ττίστις δίχα του όρθώς ζην έτπτυχής Θεού ... Kap. 8 (109,25f.) δεΤ ούτως βιουν όστις έπίστευσεν, ίνα και αϋτός πιστός ή μάρτυς περί ών λέγει (vgl. ibid. 109,22ff.). Kap. 34 (126,7f.) ών γ α ρ ένεκα ζην εθέλεις, και άποθανεΐν μή κατόκνει. Vgl. oben Anm. 16. Vgl. Frg. 2 5 0 , 1 1 Smith. Vgl. Kap. 11 ( l l l , 2 5 f f . ) , Kap. 16 (115,15ff.,22ff.), Kap. 17 (116,Iff.). Kap. 17 ( 1 1 6 , l l f . ) , Kap. 19 (116,24ff.) μή τοίνυν μίαινε τό Θείον άνθρωπίναις ψευδοδοξίαις ..., σεαυτήν δε τυφλώσεις πρός την των μεγίστων και κυριωτάτων διάγνωσιν.

Glaube, Wahrheit, Liebe, Hoffnung bei Porphyrios

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Mensch (άμαθης) befleckt den Gott, auch wenn er betet und opfert 3 8 . - Von einem Eingeständnis menschlichen Unwissens von Gott und gegenüber Gott, gar von der „Torheit" des Paulus, ist Porphyrios hier denkbar weit entfernt; in anderem Zusammenhang hat er durchaus von der Unerkennbarkeit der primären göttlichen Instanz gesprochen 3 9 . Wenn er nun aber allein dem Weisen den Weg zu Gott und damit zur σωτηρία zuerkennt, so entspricht seine Unterteilung der Menschen in Wissende und Unwissende nicht jener Trennung in festgelegte Menschenklassen, die manche gnostische Konzeptionen auszeichnet. Denn für Porphyrios liegt es an jedem einzelnen Menschen, ob er den Weg zu Gott einschlägt; ein jeder besitzt die Fähigkeit dazu 4 0 . Freilich ist es ein Weg immer erneuter Anstrengung und Bewährung; wiederholt werden die notwendigen πόνοι und die άρετή hervorgehoben 41 . Auch darf man nicht nur gelegentlich, gleichsam ephemer 42 , dem hohen Ziel nachstreben, sondern eine radikale Hinwendung zu Gott ist erforderlich. Unmöglich ist es, zugleich Gott und den Körper, die Lust, das Geld zu lieben 43 ; man kann also „nicht zweien Herren dienen". Nur wenn man immer an Gottes Präsenz gedenkt, wird man den Gott selbst in sich haben als σύυοικος44. Wenn man darin aber nachläßt und Gott vergißt, wird sich rasch ein böser Geist, der πονηρός δαίμων, in der Seele einnisten 45 . Denn die Seele kann entweder den Gott oder den bösen Dämon beherbergen 46 . Gott ist der Urheber alles Guten; die Ursache für das Böse aber liegt im Menschen, nicht etwa primär im bösen Dämon, denn dieser kann nur dann in uns Raum ergreifen, wenn wir uns von Gott abwenden, 38

40 41 42 43 44 45 46

Kap. 16 (115,21f.). Auch sind die Opfergaben der Vernunftlosen nutzlos, nämlich nichts als πυρός τροφή oder Beute für Tempelräuber Kap. 19 (117,12ff.). Vgl. Frg. 427 Smith περί του πρώτου αιτίου ουδέν ίσμεν .... άλλ' εστίν αύτοϋ γνώσις ή άγνωσία. Zum Problem der Unerkennbarkeit Gottes und den dennoch möglichen Wegen der Erkenntnis (via negationis, via analogiae, via eminentiae) vgl. den Didaskalikos des Mittelplatonikers Alkinoos Kap. 10. Vgl. z.B. Kap. 23 (119,19f.). Vgl. z.B. Kap. 6 (109,4ff.). Kap. 19 (117,17) εφήμερος. Kap. 14 (114,3ff.) Kap. 20 (117,20ff.). Kap. 21 (118,9-17), vgl. Kap. 11 (112,9f.), Kap. 19 (117,23f.). Zu vergleichen ist, was Hippolytos Refut. VI 34,6 als Lehre Valentins referiert: im Menschen könne sich, wie in einem Wirtshaus, Verschiedenes befinden, allein die Seele, die Seele und Dämonen oder aber die Seele und geistige Logoi. Vgl. Valentin Frg. 2 = Clemens Strom. II 114,5-6.

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ihn leugnen 4 7 . So ist der Mensch allein verantwortlich für sich und vor allem für das Unheilvolle. In Reminiszenz an Piatons Mythos von der Lebenswahl der Seelen im Jenseits 4 8 nimmt Porphyrios das Motiv des Wählens auf, konzentriert es aber auf die Begründung des Bösen und primär auf Vorgänge im irdischen Dasein: Wir sind aufgrund unserer Wahl αίτιοι κακών . Dabei kann nicht das Fleisch, sondern nur die Seele als αίτια κακών gelten 5 0 (denn verantwortlich dürfte nur eine entscheidungsfähige Instanz sein); insofern kann Porphyrios geradezu den (individuellen) Geist als denjenigen benennen, der durch sein Wählen zum Urheber des Bösen wird 5 1 . Der Geist als αίτιος κακών mag in platonischem Sinn problematisch scheinen - generell ist für die Platoniker alles Geistige immer das Gute - , doch ist diese Formulierung nur die Konsequenz des Ernstnehmens der Verantwortlichkeit: eine Wahl und Entscheidung ist ein geistiger Akt. Auch wenn der Mensch den bedeutsamen Schritt auf Gott hin wie auch die Abwendung von Gott eigenständig vollzieht, so besteht doch für Porphyrios eine merkwürdige Kohärenz oder Überschneidung von eigener Leistung und dem göttlichen Schenken wie andererseits Strafen. Er schreibt: „Diejenigen, die glauben, daß Gott existiert und alles lenkt, erhielten wegen ihrer Erkenntnis und ihres festen Glaubens (γνώσις, βεβαία πίστις) dies als Geschenk (γέρας): zu wissen, daß Gottes Vorsehung sich auf alles erstreckt und daß es göttliche Boten (άγγελοι θείοι) und gute Dämonen gibt, die unser Handeln beobachten" 5 2 . Entsprechendes gilt für die Ungläubigen: 47

Kap. 1 2 ( 1 1 2 , 1 4 f f . ) , K a p . 2 1 ( 1 1 8 , 1 3 f f . ) .

48

Piaton Staat X 6 1 7 e: αιτία έλομέυου, θεός αναίτιος.

49

Kap. 1 2 ( 1 1 2 , 1 5 f . ) .

50

Kap. 2 9 ( 1 2 3 , I f f . ) . Dagegen ist für Plotin die Materie die Ursache des Bösen, vgl. vor allem I 8 [51] 3 , 3 5 f f . , 5,5ff.

51

Kap. 2 4 έλόμενος. anstößig Pötscher

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Kap. 2 1 ( 1 1 8 , 1 7 f f . ). άγγελοι und sogar αρχάγγελοι gehören neben den θεοί und δαίμονες zu den Wesen der „höheren Arten" bei Jamblich De mysteriis II 3 - 9 , vgl. III 1 8 , V 2 5 . Dabei geht Jamblich auf die Fragen ein, die Porphyrios in seinem „Brief an A n e b o " gestellt hatte, vgl. II 3 ( 7 0 , 1 0 f f . ) επιζητείς γάρ ... So wird wohl schon Porphyrios von „Engeln" gesprochen haben, doch scheint Jamblichs Buch die erste Bezeugung von „Engeln" in paganem Schrifttum (soweit uns überliefert) zu enthalten. Allerdings werden άγγελοι καί δαίμονες auch an drei Stellen des Corpus Hermeticum erwähnt, doch sind diese T e x t e chronologisch nicht sicher einzuordnen: Exc. X X I V 5 u. 6 (Bd. IV, 5 3 , 2 1 u. 2 5 N.-F.) sowie Frg. 2 3 (Bd. III, 1 2 6 , 8 ) oO θεός ουκ άγγελος ou δαίμων.

(119,23ff.) κακών άνθρώττω ουδείς θεός αίτιος, άλλα νους έαυτώ ό M a n sollte den (sic) überlieferten T e x t nicht ändern trotz des vielleicht erscheinenden νοϋς. Des Places druckt ihn gemäß den Handschriften, korrigiert (nach M a i ) νοΰς zu αύτός, Nauck zu μόνος.

Glaube, Wahrheit, Liebe, Hoffnung bei Porphyrios

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„Diejenigen aber, die weder glauben, daß die Götter existieren noch daß das All durch Gottes Vorsehung geleitet wird, erleiden dies als gerechte Strafe, daß sie weder sich selbst noch anderen glauben, es existierten die Götter und es sei nicht ein vernunftloser Bewegungsdrang, der das Universum lenke" 5 3 . - Waren zuvor Glauben und Wissen sowohl vorgegebene Voraussetzung der göttlichen Gabe wie deren Inhalt, so ist hier der Unglauben Voraussetzung wie Strafe. Wie soll man diese Verquickung verstehen, die logisch nicht entwirrbar ist? Vielleicht als eine Andeutung des Rätselvollen, das dem Phänomen des Glaubens innewohnt: es geht nicht um die Alternative von Gnade oder Verdienst, sondern um das Zugleich von eigenem Verhalten oder Tun und göttlichem Beschenktsein. Jedenfalls hebt im Weltbild des Porphyrios das umsichtige und gerechte göttliche Wirken die menschliche Eigenständigkeit nicht auf; beides verhält sich komplementär zueinander. Höchstes Ziel des Menschen in diesem Leben (an die jenseitige Seelen-Existenz wird im Markella-Brief kaum gedacht) ist der innere Aufstieg zum Göttlichen und die „Angleichung an G o t t " , die όμοίωσις θεώ, die gemäß einer Formulierung Piatons für alle späteren Platoniker als Maxime des menschlichen Daseins gilt 5 4 . Der Aufstieg kann bezeichnet werden als ein Weg zu Gott oder einfach als das „Hinaufeilen, wohin man s o l l " 5 5 . Aber dies bedeutet zugleich eine Wendung ins eigene Innere: auch zu sich selbst, zum eigenen göttlichen Wesenskern kann man „aufsteigen" 5 6 . Entscheidend für das Erreichen des Göttlichen ist die Reinheit der Gesinnung und des Verhaltens, die Bewährung in einem höchsten Grad des Menschseins (in der άρετή: dieser vielfach gebrauchte Begriff ist schwer ins Deutsche zu übersetzen). Hat der Mensch diese Stufe erreicht, so ist er nicht nur Gottes würdig, er kann auch selber Gott sein: ό δέ άξιος άνθρωπος θεού θεός άν είη 57 . Er selbst ist es, der sich vergöttlicht:

53 54

55 56 57

Kap. 2 2 (118,26ff.). Piaton Theaet. 176 b όμοίωσις θεώ κατά τό δυνατόν. Im Markella-Brief s. Kap. 16 (115,7ff.), vgl. Kap. 13 (113,18f.), Kap. 17 (116,7), Kap. 19 (117,12). Kap. 7 (109,14) ai eis θεόν άναδρομαί; Kap. 32 (125,9f.) άνατρέχειν ε!ζ ά δει. Kap. 10 (111,11) ει; έαυτήν άναβαίνειν. Kap. 15 (115,6). Auch diesen Satz hat Porphyrios, wie viele andere, aus einer Sentenzen-Sammlung übernommen (vgl. zu den Sentenzen oben Anm. 25). Interessant ist, daß er die Vorlage (Sextus Sententiae Nr. 376 a ed. Chadwick) abgewandelt hat; sie lautet άξιος άνθρωπος θεού θεός êv άνθρωποι;. Porphyrios hat die Aussage absoluter formuliert, indem er έν άνθρώποις ausließ.

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ούτος δέ εαυτόν ... έκθεοΐ58. - Die Aussage, daß der Mensch ein Gott werde, scheint den krassesten Abstand zu dem für Christen Denkbaren zu bekunden. Jedoch ist hier auf Hippolytos zu verweisen, der zum Abschluß seiner „Widerlegung aller Häresien" die wahre Lehre des christlichen Glaubens darlegt und dabei betont, der Mensch, der die Wahrheit Gottes erkennt - und dies bedeute das γνώθι σεαυτόν - , werde dereinst keine Höllenstrafen erleiden, sondern selber Gott sein: yéyovas θεός59. Der Unterschied aber ist gravierend. Der gläubige Christ bei Hippolytos wird am Ende der Zeiten durch Gott vergöttlicht werden; bei Porphyrios dagegen vermag der Mensch im jetzigen Leben seinen wundersamen Aufstieg zum Göttlichsein aus eigener Kraft zu vollziehen. Zwar wird allgemein die Existenz helfender göttlicher Wesen angenommen 6 0 , doch ist für den Höhenweg zu Gott kein Mittler, kein Erlöser, auch kein Offenbarer vonnöten. Nicht eine göttliche Person erscheint als Retter, σωτήρ, sondern eine generelle Instanz, der göttliche Geist, der voOç. Er ist der Lehrer und Retter, und er geleitet die Seelen empor; unter Schweigen kündet er die Wahrheit 6 1 . Der bisherige Überblick über den Inhalt des „Briefes an Markella" dürfte gezeigt haben, daß dieses Alterswerk ein Dokument intensiven religiösen Erlebens und Strebens darstellt, aber keinen unmittelbaren Bezug zu christlichen Vorstellungen aufweist; weder wendet es sich polemisch gegen christliche Lehren noch zeigt es eine derartige Nähe zum christlichen Glauben, daß man den Autor an die Seite christlicher Theologen jener Zeit stellen dürfte 6 2 . Gemeinsam ist für Porphyrios wie die Christen die primäre Hinwendung zum Göttlichen und eine betonte Verinnerlichung des Glaubens. Dennoch wird immer wieder der Abstand erkennbar, der die philosophische Relgiosität vom Christentum trennt, obwohl die Haupteinwände der Platoniker gegen die christliche Lehre, die die Endlichkeit der Welt und die körperliche Auferstehung betreffen, im Markella-Brief gar nicht zur Sprache kommen. Wenn es auch für beide Seiten um

58

Kap. 1 7 ( 1 1 6 , 5 f . ) .

59

Hippol. Refut. X 3 4 , 4 ; vgl. ibid. . . . όταν θεοττοιηθής, άθάνατοζ γενηθείς. TOUT' εστί τό „γνώθι σεαυτόν, Ιτπγυούς τόν πεποιηκότα θεόν. 3 4 , 5 (Θεός) σε Θεόν ποιήσει εις δόξαν αύτοΟ.

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Vgl. z.B. Kap. 5 ( 1 0 7 , 8 ) οϋ των θεών ημάς Οπεριδόντων.

61

Kap. 2 6 ( 1 2 1 , 8 und l l f f . ) ό νοΟς ... διδάσκαλος αύτός γινόμενος και σωτήρ . . . καί άναγωγός, μετά σιγής . . . φθεγγόμενος τήν άλήθειαν.

62

Vgl. dazu die Zitate oben Anm. 4 und 5.

Glaube, Wahrheit, Liebe, Hoffnung bei Porphyrios

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das Heil, die σωτήριος der Seele geht, so werden doch die Ursachen der Heilsbedürftigkeit wie die Wege zu diesem Ziel und der erhoffte Heilszustand allzu verschieden vorgestellt und geglaubt. - Es soll nun noch auf zwei Passagen dieser Schrift eingegangen werden, bei denen eine Parallelität zu Formulierungen des Paulus vorzuliegen scheint; es handelt sich um das Bild vom Tempel Gottes in uns und um das Hervorheben von Glaube, Liebe, Hoffnung, bei Porphyrios ergänzt um die Wahrheit oder das Wissen. Wenn Porphyrios auch die Tradition der alten kultischen Religion nicht einfach ausschließen mag und der Verehrung des Göttlichen (er sagt hier: το θείον, nicht „Götter") im Rahmen des Kultes einen gewissen Wert beimißt 63 , es dabei offenläßt, ob vielleicht das Göttliche sich auch über eine solche Verehrung freue, freilich betont, daß es sich davon nicht beeinflussen lasse 64 - , so steht doch für ihn im Zentrum die innere Verfassung des Menschen, die Reinheit des Herzens, die gotterfüllte Gesinnung 65 : durch sie wird Gott am vollkommensten verehrt 66 . Von dieser Haltung einer Nähe zu Gott sind auch die Gebete geprägt; bitten soll man nicht um das, was der Körper braucht oder wünscht 67 , sondern nur um jenes, was der Gott selber will und ist (hier hat Porphyrios den aus einer Vorlage übernommenen Satz durch καί εστίν ergänzt und insofern den Sinn auf eine Identität mit Gott hin gesteigert 68 ). In diesem gedanklichen Umfeld spricht Porphyrios nun auch vom Tempel Gottes in unserem Inneren; dieser solle in der reinen Gesinnung, διάνοια 69 , oder - mit etymologischer Anspielung auf νούς/νεώς formuliert - in unserem Geist begründet sein: νεώς μεν εστω τοΟ θεού ò εν σοι vous, und dort solle er zur Aufnahme des Gottes bereitet und geschmückt werden 7 0 . - Für die Vorstellung eines Götter-Heiligtums im Menschen gibt es einen frühen Beleg aus klassischer Zeit: in der euripideischen Tragödie „Helena" (aufgeführt 412 v.Chr.) sagt die Seherin Theonoe von sich, sie besitze ein mächtiges Heiligtum der Dike, der Gerechtigkeit,

63 64 65

67 68 69 70

Kap. 18 (116,14ff.) τιμδν τό θείον κατά τά πάτρια. Kap. 2 3 (119,15-23); Kap. 19 (117,9f.). Kap. 2 3 (119,19) καθαρεύειν τήν διάνοιαν, Kap. 19 (117,11) ενθεον φρόνημα. Kap. 16 (115,7f.) τιμήσεις μεν άριστα τόν θεόν, όταν τω Θεώ τήν σαυτής διάνοιαν ομοιώσεις. Kap. 12 (112,23f.), Kap. 13 (113,13f.). Kap. 13 (113,12), vgl. Sextus Sententiae Nr. 134 ed. Chadwick (s. Anm. 25). Kap. 11 (111,24f.). Kap. 19 (117,14ff.).

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in ihrem Wesen (iv τη φύσει, dies meint ihre innere Natur 7 1 ). Schaut man nun auf das Bild des Tempels, wie Paulus es gebraucht, so fällt sogleich auf, daß er hierbei vom Körper spricht: ή ουκ οΐδατε, ότι τό σώμα υμών ναός του εν ύμΐν 'Αγίου Πνεύματος έστιν; 72 Auch kann er die Menschen als Tempel Gottes bezeichnen: ΰμεΐς yàp vaòs θεού έστε ζώντος, und sagen, daß der Geist Gottes in ihnen wohne 7 3 . Für den Platoniker Porphyrios wäre es eine Absurdität, den Gott oder den göttlichen Geist schlechthin im Menschen wohnend zu denken, gar den Körper als seinen Tempel gelten zu lassen 7 4 . Im Markella-Brief finden sich sogar extrem körper-feindliche Aussagen; Porphyrios betont, der Körper, der der Seele nur für das Erdendasein hinzugefügt wurde, sei gar nicht eigentlich ein Teil des Menschen 7 5 , und er ermahnt seine Frau, sie solle sich nicht um ihren Körper sorgen, vielmehr bereit sein, ihn „wegzuschlagen", sie solle sich auch gar nicht als Frau, sondern eher wie in einem männlichen Körper empfinden; schließlich werde, was der Körper gebiert, bei allen Göttern für unrein, μιαρόν, erachtet 7 6 . - Wenn Porphyrios bei seiner Metapher vom Tempel Gottes sich der Aussagen des Paulus erinnerte eine Annahme, die naheliegend sein mag - , so hat er sie bewußt umgedeutet und hat im platonischen Sinn nur das Höchste im Menschen, den Geist, als die Sphäre begriffen, in die das Göttliche einzutreten vermag. Noch deutlicher scheinen die Anklänge an Paulus - wiederum mit einer Distanzierung verknüpft - bei jener Aufzählung der „Grundelemente" zu sein, durch die das Verhalten des Menschen gegenüber Gott charakterisiert wird. Sie heißen bei Porphyrios: Glaube, Wahrheit, Liebe, Hoffnung, πίστις, άλήθεια, ερως, ελπίς 77 . Allerdings ist hierbei nicht allein an eine Anregung durch Paulus zu denken, sondern ebenfalls an einen Text anderer Herkunft, an die sogenannten

71 71 73 74

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77

Euripides Helena V. 1002f. ευεστι δ' iepòv τήξ δίκη? έμοί μέγα έν τη φύσει. l K o r 6,19. Zu vergleichen sind aus dem N T weitere Stellen, u.a. 2C1 9,3. 2Kor 6,16; l K o r 3,16. Eine Schlüssel-Stelle für die Platoniker ist Timaios 3 0 b2 νούν δ' αύ χωρίς ψυχής αδύνατον παραγενέσθαί τω. Kap. 3 2 (124,20f.). Kap. 33/34 (125,21-126,7). Porphyrios schreibt dies seiner Frau Markella, die sieben Kinder geboren hatte! Daß er selber als seine Kinder nur die „Liebhaber der wahren Weisheit" verstehe, hat er freilich gleich zu Beginn betont Kap. 1 (104,5ff.). Kap. 24 (119,27ff.).

Glaube, W a h r h e i t , Liebe, H o f f n u n g bei P o r p h y r i o s

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Chaldäischen Orakel, eine hexametrische Dichtung religiös-philosophischen Inhalts, die zur Zeit M a r k Aurels entstand und der Porphyrios eine kommentierende (nicht erhaltene) Schrift gewidmet hat. In einem bei Proklos überlieferten Fragment dieser Orakelverse werden Glaube, Wahrheit, Liebe genannt, πίστιν κάλήθειαν και έρωτα, und diese drei Faktoren werden in einem Kommentar des byzantinischen Autors Psellos als „ursprüngliche Dreiheit", πηγαία τριάς, bezeichnet 7 8 . In einem anderen Fragment wird zusätzlich die Hoffnung, έλπίς, erwähnt 7 9 . Zu ergänzen ist weiterhin, daß auch bei Jamblich (in einer vor dem Markella-Brief entstandenen Schrift) von Liebe, Hoffnung, Glauben, üpcos, έλττίς, πίστις, gesprochen wird 8 0 . Es ist also evident, daß ähnliche Zusammenstellungen zumeist dreier Begriffe in unterschiedlicher Abfolge verbreitet waren 8 1 . Um eventuelle Anlehnungen oder Abgrenzungen bei Porphyrios zu klären, sei nun seine Erörterung näher betrachtet. Zunächst ist zu konstatieren, daß er die paulinische oder chaldäische Dreiheit zur Vierzahl erweitert hat; daß diese Korrektur wichtig ist, wird sogleich mit dem Begriff der „Elemente", στοιχεία, markiert, mit dem sich (anders als bei dem der άρχαί) unmittelbar die Assoziation der vier Elemente (Feuer etc.) einstellt 2 . Über die Bedeutung von ττίστις bei Porphyrios wurde bereits gesprochen (sie darf nicht άλογος sein), ebenfalls über deren Verbindung mit dem Wissen, das in der vorliegenden Aufzählung im Phänomen der Wahrheit präsent ist und anschließend auch im γνώναι expliziert wird. Wenn die Liebe hier

78

Oracles Chaldai'ques ed. É. des Places, Paris 1 9 7 1 , Frg. 4 6 ; die Psellos-Aussagen ibid. S. 1 8 9 und 1 9 9 .

79

Ibid. Frg. 4 7 . Zur Interpretation dieser Texte vgl. H. Lewy, Chaldaean Oracles and Theurgy, Le Caire 1 9 5 6 , S. 144ff.

80

Jamblich De myst. V 2 6 (239,7ff.).

81

Herrn Dr. Jens Holzhausen verdanke ich den Hinweis auf einen jüngst publizierten griechischen hermetischen Text, der bisher nur in armenischer Version bekannt war und der vier Imperative enthält, die den oben genannten Begriffsfolgen angefügt werden können (die Datierung ist freilich ungewiß): θέλησον γαρ και υόησον καί πίστευσον καί άγάττησον και γέγουας (vermutlich ist gemeint: yéyovas βεός); Hermetische Definitionen VIII 7, ediert von J. Paramelle Sc J.-P. Mahé, Nouveau parallèles grecs aux Définitions hermétiques arméniennes (Revue des Études arméniennes 2 2 , 1 9 9 0 / 9 1 , 1 2 5 ) . - Zur Vorstellung des „Gottwerdens" bei Porphyrios und Hippolytos s.o. Anm. 5 7 - 5 9 .

82

Dies ergibt sich aus dem Begriff στοιχεία als solchen, mir scheint es daher unnötig, hier eine Anlehnung an Numenios Frg. 1 6 , 1 3 (vgl. Frg. 3) anzunehmen, wie des Places (s. Anm. 2) 1 6 0 n. 1 meint.

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Karin Alt

als Épcoç auftritt, so handelt es sich um den geistigen Eros, wie Piaton ihn im Symposion als die beflügelnde Antriebskraft zur höchsten erreichbaren Erkenntnis, der Ideenschau, eingeführt und im Phaidros facettenreich poetisch geschildert hat. Er ist also auch bei Porphyrios eine geistige Kraft. Dennoch wird man ihn klar von der christlichen άγάπη unterscheiden müssen 8 3 , wie sich aus der weiteren Argumentation ergibt. Nach der Nennung der vier Elemente fährt Porphyrios erläuternd fort: „Glauben muß man nämlich, daß die einzige Rettung, σωτηρία, die Hinwendung zu Gott ist, und hat man den Glauben erlangt, so muß man soweit nur möglich danach streben, die Wahrheit über ihn (den Gott) zu erkennen, und hat man sie erkannt, soll man in Liebe nach dem Erkannten verlangen, und ist man von der Liebe erfüllt, soll man die Seele mit guten Hoffnungen nähren während der Lebenszeit" 8 4 . - Porphyrios beschreibt hier einen Weg, den der Mensch zur Annäherung an Gott beschreiten möge, er nennt Phänomene oder Kräfte, die nicht nebeneinander liegen, sondern die aufeinander folgen, er meint einen Prozeß. Beginn und Voraussetzung ist der Glaube, der aber nicht auf einen konkreten Inhalt gerichtet ist, vielmehr die Hinwendung zu Gott und damit den Anstoß für den zu vollziehenden Weg bedeutet. Der nächste Schritt ist das eifrige Bemühen, die Wahrheit über Gott zu erkennen, und dieser erkannten Wahrheit Gottes soll anschließend das liebende Begehren gelten. Hat man den Zustand aktiver Gottesliebe erreicht, so ist das Leben von guten Hoffnungen erfüllt, offensichtlich in der Erwartung der σωτηρία. O b damit die Aussicht auf die Jenseitsphase nach dem Tod oder das Glück der Gottesnähe im hiesigen Leben oder beides gemeint ist, wird nicht deutlich gesagt 8 5 . Unter den vergleichbaren Texten bieten die Chaldäischen Orakel die nächste Parallele zu den „Elementen" des Porphyrios. Die Abfolge Glaube, Wahrheit, Liebe ist dieselbe (Frg. 4 6 ) , und möglicherweise ist die gesondert genannte Hoffnung (Frg. 4 7 ) in enger Verbin-

83

H a r n a c k meint, daß kein wesentlicher Unterschied zur άγάπη der christlichen Theologen bestünde (s. Anm. 4) 8 0 .

84

Kap. 2 4 ( 1 2 0 , I f f . ) πιστεΰσαι γαρ δει ότι μόνη σωτηρία ή ττρόξ τον θεόν επιστροφή, και πιστεύσαντα dos ενι μάλιστα σπουδάσαι τάληθή γυώναι περί αϋτοϋ, και γνόντα έρασθήναι τοΟ γνωσθέντοξ, Ιρασθεντα δέ έλπίσιν άγαθαΐζ τρέφειυ τήυ ψυχή ν διά τοϋ βίου.

85

Des Places zu Ad M a r c . Kap. 2 4 , 1 6 0 n.3 erinnert an die Hoffnungen derer, die in die Mysterien eingeweiht wurden, und an Plat. Phaid. 6 7 c l , 1 1 4 c 5 .

Glaube, W a h r h e i t , Liebe, H o f f n u n g bei P o r p h y r i o s

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dung zu diesen drei Begriffen zu sehen 8 6 . Allerdings wird die Dreiheit dieser πηγαία τριάς sehr deutlich betont, und von ihr wird ausgesagt, daß in ihr „alles gelenkt wird und besteht" 8 7 ; Proklos ergänzt, daß auch die Theurgen mittels dieser Triade die Götter herbeirufen und die Verbindung mit dem Gott erlangen 8 8 . Für Porphyrios aber ist die Vierzahl bedeutsam, und von einer generellen kosmischen „lenkenden" Funktion verlautet bei ihm nichts, sondern es handelt sich ausschließlich um den Weg des Menschen zu Gott. Letzteres gilt ebenfalls für Jamblich (De myst. V 26), der seinerseits in der chaldäischen Tradition steht; bei ihm findet sich jedoch eine andere Abfolge und Argumentation, die Liebe bildet den Ausgangspunkt, und in Hoffnung und Glauben erfüllt sich der Aufstieg zu Gott. Wenn Porphyrios sich also von chaldäischen Vorstellungen anregen ließ, so hat er diese dezidiert abgewandelt. Nicht nur negiert er das triadische Moment, vor allem fehlt bei ihm hier jeglicher Hinweis auf die Möglichkeit eines theurgischen Einwirkens auf göttliche Instanzen 8 9 , auf ein Herbeiführen der göttlichen Zuwendung. Ihm geht es allein um die geistige Aktivität des Menschen, die ihn zu Gott und zum Heil führen soll und die sich im Glauben, in Wahrheitssuche und Erkenntnis, verlangender Liebe zum höchsten Wesen und erfüllender Hoffnung manifestiert. Paulus hat von der Dreiheit Glaube, Liebe, Hoffnung (in dieser Reihenfolge) bereits vor dem 1. Korintherbrief gesprochen 90 , der wichtigste T e x t aber bleibt das „Hohelied der Liebe" ( I K o r 13), das die άγάπη über alles stellt. Daß hier der Tenor ein völlig anderer ist als bei Porphyrios, bedarf keines Wortes. Der geistige Eros im Markella-Brief ist mit der paulinischen άγάπη in ihrer umfassenden Bedeutung gar nicht zu vergleichen. Auch fehlt ihm die mitmenschliche Komponente. Nicht, daß soziale Tugenden für Porphyrios unwichtig wären, im Gegenteil, er sieht in dem, was er φιλανθρωπία

86

Vgl. Lewy (s. Anm. 7 9 ) 146f. und des Places (s. Anm. 7 8 ) n . l zu Frg. 4 7 : „Les Chaldéens ne séparaient pas l'espérance des trois vertus énumerées au fr. 4 6 . "

87

Frg. 4 8 ττάντα γάρ êv τρισί τοΐσδε κυβερνάται 8έ και Ιστι (aus Proklos).

88

Der Text bei Lewy (s. Anm. 7 9 ) 1 4 4 Anm. 2 9 1 .

89

Damit ist nicht einfach Magie gemeint, aber doch Einflußnahme auf die Götter, und sei es durch bestimmte Gebete. Jamblichs Buch De mysteriis bietet reiches Material dafür, ebenso die Werke des Proklos. Porphyrios hat in dem verlorenen Werk über die Chaldäischen Orakel diese Fragen behandelt; im Markella-Brief findet sich nichts davon.

90

IThess 1,3 und 5 , 8 ; vgl. ferner Kol 1,4 (wer immer der Autor sein mag).

42

Karin Alt

nennt, sogar ein „Fundament der Frömmigkeit" 9 1 . Nur ist ein derartiges Verhalten in seinem Begriff des Eros, in der sehnenden Liebe zur Wahrheit und zu Gott, nicht mitgemeint 92 . - Der entschiedene Abstand zu Paulus zeigt sich ebenfalls in der Auffassung des Wissens und Erkennens, von dem durchaus auch in der Passage des Korintherbriefes die Rede ist. Während bei Porphyrios das Erkennen der Wahrheit einen realen Schritt auf dem Weg zu Gott bedeutet, bleibt für Paulus alles Wissen auf Erden „Stückwerk"; die Wende wird erst dereinst kommen: „Dann aber werde ich es erkennen, gleichwie ich erkannt bin. Nun aber bleibet Glaube, Hoffnung, Liebe, diese drei; aber die Liebe ist die größte unter ihnen." 9 3 Das Erkennen gehört gerade nicht zu dem, was „nun bleibt". Bei Porphyrios aber wird es „diesen dreien" eingefügt, es zählt zu den Möglichkeiten und Zielen des hiesigen Menschseins; auf das Problem der Erkennbarkeit Gottes, das bei den Piatonikern diskutiert wurde, geht Porphyrios im Markella-Brief, der klare Anweisungen geben möchte, nicht ein 94 . Daß dem Erkennen Gottes das Erkanntwerden korrespondiert, sagt nicht nur Paulus 95 , es hat seine Entsprechung bei Porphyrios 96 und findet sich auch in Schriften des Corpus Hermeticum 9 7 . Aber hier vollzieht sich Erkennen wie Erkanntwerden während des Erdenlebens, es bezeichnet eine höchste Stufe des Menschseins. Bei Paulus ist es eine Vision der künftigen Existenz 98 .

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Kap. 35 (127,5f.) κρη-rrìs εύσεβείας σοι νομιζέσθω ή φιλανθρωπία. Vgl. zum sozialen Verhalten den Inhalt des ganzen Kap. 35. Der Eros kann auch der άληθινή φιλοσοφία gelten, s. Kap. 31 (124,7). IKor 13, 12-13. Vgl. dazu oben Anm. 39. Den Anstoß zu dieser Frage gab bereits Piaton Timaios 28 c3 ff. IKor 13,12, vgl. 8,3. Kap. 21 (118,25f.), vgl. die variierende Umkehrung hinsichtlich der Ungläubigen Kap. 22 (119,9f.) άγνοούντες θεού? γιγνώσκονται ΘεοΤς καί τη δίκη τη παρά θεών. CH I 31 (Bd. I, 18,3 N.-F.), Χ 15 (ibid. 120,7). Ähnlich äußert sich auch Hippolytos Refut. X 34,4, doch gibt es für ihn eine Erkenntnis der Wahrheit über Gott sehr wohl schon im jetzigen Leben, vgl. X 31,6 εν άληθείας γνώσει, 34,1 toioùtoçô περί τό θείον άληθής λόγος, den Hippolytos den Griechen und anderen Völkern als Lehrer und Freund Gottes (31,6) verkünden möchte.

G l a u b e , W a h r h e i t , Liebe, H o f f n u n g bei P o r p h y r i o s

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Die Antwort auf die Frage, ob Porphyrios bei der Konzeption seiner vier Elemente an Paulus dachte oder eher der chaldäischen Tradition folgte, mag subjektiv ausfallen (sie ist sehr unterschiedlich gegeben worden). Ich möchte annehmen, daß für ihn, der sich einst in seiner Schrift „Gegen die Christen" detailliert mit Paulus auseinandergesetzt" und der in einem speziellen Werk die Chaldäischen Orakel behandelt hatte, beide gedanklichen Komplexe gegenwärtig waren. Er dürfte also bewußt die paulinische Trias um das Motiv des Erkennens erweitert 1 0 0 und ebenfalls bewußt sich von den theurgischen Implikationen der chaldäischen Liste abgegrenzt haben. Jetzt, da er „an der Schwelle des Alters" stand - εις τό γήρας αποκλίνων 101 - und im Begriff war, sich völlig der Herausgabe und Kommentierung der Werke Plotins zu widmen, war er offensichtlich, soweit dies der Markella-Brief bezeugt, nicht mehr der Polemik gegen die fremde religiöse Lehre zugeneigt 1 0 2 noch auch befand er sich im Banne der chaldäischen Gedankenwelt. Er beschritt seinen eigenen philosophischen Glaubensweg und suchte ihn seiner Frau Markella und allen gleichgesinnten Lesern zur Nachfolge zu empfehlen. Angenähert hatte er sich dem Christentum in der Zwischenzeit, den Jahrzehnten seit der Abfassung seiner polemischen Schrift, sicher nicht, und ob ihm eine gewisse Nähe zu christlichen Vorstellungen, die manche moderne Interpreten konstatieren 1 0 3 , vorstellbar oder gar bewußt gewesen wäre, möchte ich bezweifeln. Den Menschen und Christen Paulus aber hat Porphyrios vermutlich nie wirklich verstanden.

99

Vgl. oben Anm. 18.

100

Harnack (s. Anm. 4 ) 8 0 meint, die Anklänge an Paulus erfolgten eher unbewußt.

101

Kap. 1 ( 1 0 4 , 1 2 ) .

102

Pötscher (s. Anm. 2 ) 89f. sieht in der Kritik an Paulus einen Zuammenhang mit einem antichristlichen Engagement, das wahrscheinlich während der Abfassung des Briefes bestanden habe (vgl. auch Sodano 117ff.). Daß jedoch eine derartige Annahme unbegründet ist und der Brief vor dem Jahr 3 0 0 und ohne Berührung mit christenfeindlichen Aktionen geschrieben wurde, habe ich oben sowie an anderer Stelle dargelegt (s. Anm. 2 3 ) .

103

Vgl. zu den Bemerkungen von Harnack und Bidez oben Anm. 4 und 5.

HANNS CHRISTOF BRENNECKE

,An fidelis ad militiam converti possit'? [Tertullian, de idolatria 19,1]

Frühchristliches Bekenntnis und Militärdienst im Widerspruch?

Nach dem Ende der in Europa zur Zeit des ,kalten Krieges' sich feindlich und hochgerüstet gegenüberstehenden militärischen Blökke, die in den vergangenen Jahrzehnten seit dem Ende des zweiten Weltkrieges mehrfach drohten, in eine neue militärische Konfrontation zu geraten, ist in Europa einerseits die Kriegsgefahr als Gefahr eines Krieges zwischen den Blöcken und damit die Gefahr eines Weltkrieges sicher zurückgegangen. Auf der anderen Seite haben die Kriege zwischen den Nachfolgestaaten des in diesem Prozess zerbrochenen ehemaligen Jugoslawien neue Kriegsgefahren auch für Europa aufgezeigt. In dieser Situation, die für das wiedervereinigte Deutschland zunächst einen enormen Abbau militärischer Potentiale bedeutet, ist durch die Wiedervereinigung und die sich aus ihr ergebenden Folgen für die Rolle Deutschlands eine neue, z.T. außerordentlich kontroverse Militärdiskussion entstanden um friedenstiftende oder -bewahrende Einsätze der Bundeswehr, das umstrittene Soldaten-Urteil des B V G und um die Würdigung der hingerichteten Deserteure des Zweiten Weltkrieges. Auch in unseren Kirchen ist nach den früheren Diskussionen bis in die achtziger Jahre jetzt in neuer Weise die Frage aktuell geworden, ob sich der Militärdienst mit dem christlichen Bekenntnis vereinbaren läßt, oder ob nicht die Wehrdienstverweigerung als das deutlichere christliche Zeugnis angesehen werden muß. Die aktuelle Diskussion um die Geltung des Militärseelsorgevertrages in den neuen Bundesländern zeigt, daß es dabei auch um einen Aspekt der Frage nach der Legitimität der Verbindungen von Kirche und Staat in einer säkularen und prinzipiell religionsneutralen Gesellschaft geht.

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Hanns Christof Brennecke

Nach einer jahrhundertelangen engen Verbindung von Kirche und Staat ist - zumindest in den großen Kirchen Europas mit ihrer staatskirchlichen Geschichte - diese Frage erst nach den Grauen und den schrecklichen Zerstörungen zweier Weltkriege in unserem Jahrhundert ins Bewußtsein getreten und wird seither außerordentlich kontrovers diskutiert. In dieser Diskussion ist der Kirchengeschichte weithin die höchst problematische Aufgabe zugefallen, die jeweiligen Standpunkte historisch zu legitimieren 1 . Vor allem der Kirche der ersten drei Jahrhunderte bis Konstantin kommt hier naturgemäß eine besondere Funktion zu, da sie häufig als die ursprüngliche, noch nicht durch Verbindung mit dem Staat korrumpierte Kirche gilt, die deshalb Normen auch für die Gegenwart setzt. Die historischen Legitimationversuche der je eigenen Standpunkte durch den Rückgriff auf die vorkonstantinische Kirche leiden aber daran, daß eine mögliche Normativität altkirchlicher Entscheidungen hinsichtlich der Vereinbarkeit von christlichem Glauben und Militärdienst für heutige Entscheidungen nur schwer zu begründen ist. Der allgemein bekannte und inzwischen viel diskutierte überlieferte Quellenbestand erlaubt überhaupt nur sehr vorsichtige Urteile 2 . Die Vergleichbarkeit altkirchlicher Entscheidungen mit heute geforderten ist zudem nur sehr eingeschränkt möglich. Die Frage des Militärdienstes ist für

In diesem Zusammenhang sind besonders die Arbeiten von Cadoux, 1919. 1 9 2 5 ; Bainton, 1946. 1960; Bienert, 1952; v. Campenhausen, 1 9 5 3 ; Dignath, 1 9 5 5 ; Karpp, 1 9 5 7 ; Schöpf, 1 9 5 8 ; Hornus, 1 9 6 0 . 1 9 6 3 ; Fontaine, 1 9 6 5 ; Crescenti, 1966; Helgeland, 1974. 1979; Butturini, 1977; Swift, 1979. 1 9 8 3 ; Helgeland/Daly/Burns, 1985; Pucciarelli, 1987; Brock, 1 9 9 1 , zu nennen, eine ausführliche Bibliographie zum Thema auch bei Brock, 1988. Auffällig ist, daß in den vergangenen dreißig Jahren die Frage nach der Einstellung der alten Kirche zum Militärdienst in der deutschen protestantischen Forschung faktisch keine Rolle mehr gespielt hat. Durch ihren prominenten Veröffentlichungsort sind die Untersuchungen von Hornus und Bienert weit über die kirchengeschichtliche Debatte hinaus wichtig geworden. Besonders die deutsche Übersetzung von Hornus' Untersuchung, die 1963 als Band 35 der .Beiträge zur evangelischen Theologie' erschien, hat die Diskussion im deutschen Protestantismus beherrscht. Für die auffällige Zurückhaltung der deutschen evangelischen Kirchengeschichte ist vielleicht signifikant, daß die T R E die Stellung der alten Kirche zum Militärdienst auf gerade 35 Zeilen abhandelt (H.-H. Schrey, Krieg IV. Historisch/Ethisch, T R E X X , 1 9 9 0 , 29). In den vergangenen zwanzig Jahren hat das Thema vornehmlich in der amerikanischen Diskussion eine Rolle gespielt (vgl. Literaturverzeichnis). Die Quellen sind im Grunde seit Harnacks bahnbrechender Untersuchung von 1905 bekannt. Die ausführlichsten Diskussionen der einzelnen Belege bei Cadoux, 1 9 1 9 ; Helgeland, 1979; Swift, 1979.

Bekenntnis und Militärdienst

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Christen in der römischen Kaiserzeit zunächst viel mehr ein kultisches als ein vom fünften Gebot her gegebenes ethisches Problem. Außerdem ist das Begriffsspektrum von militia/militare ein viel weiteres, als im modernen Sprachgebrauch, da die zivilen und militärischen Bereiche im modernen Sinn im Kaiserreich nicht getrennt waren. Militia kann alle Formen des militärischen und zivilen Reichsdienstes bedeuten 3 . Bei der frühchristlichen Diskussion geht es daher immer in erster Linie um die Frage der Integration der Christen in die römische Gesellschaft. Das Problem des Militärdienstes von Christen ist dieser Frage grundsätzlich untergeordnet. Diskutiert wird in erster Linie immer, ob man überhaupt als Christ ein öffentliches Amt ausüben kann. Das aber ist eben nicht die Frage der heutigen Diskussion über Wehrdienst oder Wehrdienstverweigerung als christliches Zeugnis 4 ! Von daher ist zu fragen, ob allein auf dem Weg historischer Forschung, durch historische Argumente überhaupt normative Aussagen zu ethischen Fragen möglich sind. Um in dieser Frage vielleicht zu einer Antwort kommen zu können, ist es vielleicht berechtigt, die weithin bekannten und vielfach analysierten Quellen doch noch einmal zu diskutieren.

I

Die Jesusüberlieferung der Evangelien berichtet keine Taten oder Worte Jesu, aus denen eine eindeutige Stellung zur Frage des Militärdienstes möglich gewesen wäre. Wenn Jesus auch verschiedentlich über die Unmöglichkeit zwischenmenschlicher Gewalt ange3

Wischmeyer, 1 9 9 0 , 2 3 5 . Auf dieses breite Bedeutungsspektrum muß in jedem einzelnen Fall geachtet werden. In einigen Fällen kann man keine eindeutige Entscheidung treffen, ob hier ziviler oder militärischer Dienst gemeint ist.

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Selbstverständlich kann ein Beamter heute aus Gewissensgründen den Wehrdienst verweigern und trotzdem Beamter sein, eine Situation, die mit der altkirchlichen schlechthin unvergleichbar ist - übrigens auch aus frühchristlicher Sicht. Es soll im Rahmen dieser Untersuchung ausschließlich um die Frage gehen, ob und wie Christen den Dienst im Militär mit dem christlichen Bekenntnis als vereinbar ansahen. Auf keinen Fall kann es hier um die Frage der Stellung der alten Kirche zu Krieg und Frieden oder überhaupt zur Gewalt gehen, auch wenn natürlich beide Problemkreise zusammenhängen, aber eben nicht identisch sind. In der Literatur und besonders in der Benutzung der frühchristlichen Quellen werden diese Fragen fast immer in methodisch unzulässiger Weise vermischt, (vgl. auch Anm. 15).

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sichts des kommenden Gottesreiches gesprochen hat 5 , so war und ist daraus angesichts seiner eindeutigen Bejahung des Staates als noch notwendiger irdischer Ordnung in der Welt, sogar des Imperium Romanum als Besatzungsmacht in Judäa 6 , kein eindeutiger Schluß auf Jesu Stellung zu Militär und Militärdienst möglich. Auch die übrigen urchristlichen Schriften mit dem Anspruch apostolischer Autorität, die im Lauf des zweiten Jahrhunderts als Neues Testament 7 für die Christen kanonisch wurden und damit als γραφή zunächst gleichberechtigt, dann aber bald überbietend neben den aus dem Judentum geerbten jüdischen Kanon in seiner griechischen Fassung der Septuaginta traten, geben trotz aller in ihnen überlieferten ethischen Paränese ebenfalls keine eindeutige Antwort auf die Frage, ob ein Christ Soldat sein kann und darf . Das Alte Testament, in seiner griechischen Fassung zunächst allein die heilige Schrift des jungen Christentums 9 , bot mit seinen durchaus auch kriegerischen Überlieferungen in der Geschichte Gottes mit seinem erwählten Volk Israel hier wenig Anknüpfungspunkte oder gar ethische Weisung 10 . Die jüdische Geschichte kannte

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Zur Gottesreichverkündigung Jesu und auch ihren ethischen Implikationen vgl. W. Schräge, Ethik des Neuen Testaments, NTD.E 4, Göttingen 1982; J. Becker, Jesus von Nazareth, Berlin/New York 1996; G. Theissen/A. Merz, Der historische Jesus, Göttingen 1996. Mk 12,13-17. Zur immer wieder in der Literatur auftauchenden These, daß Jesus ein Revolutionär gegen die römische Fremdherrschaft war, vgl. Schräge (wie Anm. 5) 109-115. W. Kinzig, Καινή διαθήκη. The Title of the New Testament in the Second and Third Century, JThS N.S. 45, 1994, 519-544. Vgl. Schräge (wie Anm. 5). In diesem Zusammenhang ist auch zu beachten, daß man bis in die zweite Hälfte des zweiten Jahrhunderts noch nicht einfach von dem Neuen Testament als allgemein anerkannter und verbindlicher christlicher Norm sprechen darf. Anders die ganz auf einen urchristlichen Pazifismus des Neuen Testaments als dann schon seit Beginn des zweiten Jahrhunderts verbindliche christliche Haltung abzielenden Arbeiten von Cadoux, Bainton, Bienert, Dignath und Hornus, denen es nach den beiden verheerenden Weltkriegen dieses Jahrhunderts darum ging, mit historischen Argumenten eine Antwort auf die völlig berechtigte Frage nach der auch christlichen Schuld an diesen Kriegen zu geben. M. Hengel/A.M. Schwemer (Hg.), Die Septuaginta zwischen Judentum und Christentum, WUNT 72, Tübingen 1994. J.A. Soggin, Krieg II. Altes Testament, TRE X X , 1990, 19-25. Ein christliches Kaiser- und Königtum in Spätantike und Mittelalter hat sich dann gerade bei seinen Feldzügen und Kriegen auf die israelitischen Könige und Gottes Beistand in den Kriegen Israels berufen können.

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keinen Pazifismus als Gottes Gebot an sein V o l k . Auch unter fremder Besatzung haben Juden durchaus freiwillig als Soldaten gedient. Unter römischer Herrschaft waren sie allerdings teilweise von jeder Pflicht zum Militärdienst befreit 1 1 , ohne daß im einzelnen ganz klar ist, wieweit diese Befreiungen je galten. Auffällig und ein deutlicher Unterschied zur jüdischen Tradition aber ist, daß weder Jesus noch das Urchristentum irgendeine Form von ,Heiligem Krieg' kennen. Das von Jesus angesagte Reich Gottes ist nicht nur das endgültige Friedensreich, sondern es ist geradezu sein Kennzeichen, daß es nicht mit Gewalt durchgesetzt wird, wie wohl auch nicht wenige Anhänger Jesu ihn mißverstehend gehofft hatten 1 2 . M i t der angesichts des Kommens des Reiches Gottes zwar relativierten, aber nicht prinzipiell in Frage gestellten, sondern anerkannten irdischen Ordnung dieser Welt hat Jesus - und das frühe Christentum ist ihm darin gefolgt - Militär als zu dieser irdischen Ordnung gehörig angesehen. Eine absolute Verpflichtung auf Gewaltlosigkeit, die den Soldatenstand ethisch ablehnen, den Christen verbieten und den Staat auf diese Weise in seiner Gewaltausübung grundsätzlich in Frage stellen würde, gibt es weder in der Verkündigung Jesu noch in der urchristlichen ethischen Paränese 1 3 . V o n daher müssen alle Postulate eines grundsätzlichen Pazifismus des Urchristentums als historisch und theologisch problematische Versuche angesehen werden, christliche pazifistische Positionen in der gegenwärtigen ethischen Debatte von einem als verbindlich angesehenen urchristlichen Pazifismus her zu begründen 1 4 . Wenn in den

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Joseph., Ant XIV,10,6. Die Existenz einer jüdischen Gemeinde in der Garnisonsstadt Dura am Euphrat im dritten Jahrhundert, die durch die ausgegrabene Synagoge bewiesen ist, kann angesichts fehlender jüdische Soldaten bezeugender Inschriften nicht als sicheres Indiz für jüdische Truppen in der römischen Grenzfestung herangezogen werden. Zu jüdischen Soldaten in fremden Heeren vgl. (Ps.) Hekataios, De ludaeis, bei Josephus, Contra Apionem 1,200-204; Joseph., Bell I,4,4f.; 1,19,3-6; für die Zeit des Tiberius bezeugt Tac., Ann 11,85,4 zwangsrekrutierte Juden. Zu Juden im römischen Militär, bzw. zu jüdischen Truppenteilen vgl. K.L. Noethlichs, Das Judentum und der römische S t a a t Minderheitenpolitik im antiken Rom, Darmstadt 1996, 78. 83-90; inschriftliche Belege bei L.H. Kant, Jewish Inscriptions in Greek and Latin, ANRW II 20,2, 1 9 8 7 , 6 9 0 - 6 9 2 (für Hinweise danke ich meinen Kollegen Oda und Wolfgang Wischmeyer). Vgl. H. Hegermann, Krieg III. Neues Testament, TRE X X , 1990, 25-28; Becker und Theissen/Merz (wie Anm. 5) passim. Hegermann (wie vorige Anm.) 25. So besonders Hornus (vgl. auch die Anm. 8 genannten Autoren).

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Schriften des Neuen Testaments auch die Institution Militär als zur (noch) notwendigen Ordnung dieser Welt gehörig nicht dezidiert in Frage gestellt wird, dann steht das natürlich nicht im Gegensatz zur weihnachtlichen Friedensbotschaft von Lk 2 1 5 . Ausgehend vom Jesuswort Mk 12,13-17, über Paulus, Rom 13, und die in der Tradition des hellenistischen Judentums stehenden Fürbittgebete für das römische Reich und die dieses Reich Regierenden lTim 2,Iff. und ICI 59-61 16 zeigt sich eine grundsätzliche Akzeptanz des Staates und seiner irdischen Ordnungen bei aller Distanz, die diese Ordnungen als nur vorläufig ansehen kann. Christen sind Fremdlinge in dieser Welt, aber eben in ihr 17 . Das Verhältnis der Christen zur pluralistischen Gesellschaft des römischen Kaiserreiches der ersten drei Jahrhunderte ist geprägt von einem geradezu dialektischen Verhältnis von Distanz und Integration 1 8 . Dieser Traditionsstrang hat dann seit der Mitte des zweiten Jahrhunderts bei den sog. Apologeten seine Fortsetzung gefunden 1 9 . Viel weniger deutlich und seltener belegt ist daneben eine Apk 13 bezeugte apokalyptische Tradition der strikten Ablehnung irdischer Ordnungen und damit auch des Imperium Romanum als Staat, die sich z.B. im dritten Jahrhundert bei Hippolyt verfolgen läßt und bei rigoristischen Gruppen wie den Montanisten oder Donatisten in der Alten Kirche und auch darüber hinaus immer wieder wirksam geworden ist 20 . Auf der anderen Seite war Jesus von den römischen Behörden aller Wahrscheinlichkeit nach als Thronprätendent und Aufrührer 15

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E. Dinkler/E. Dinkier - von Schubert, Friede, RAC VIII, 1972, 434-505; G. Delling, Friede IV. Neues Testament, TRE XI, 1983, 613-618. Noethlichs (wie Anm. 11) 72. IPetr l , f . l 7 ; 2,11; Eph 2,19; Hebr 11,9f. 13-16; Jak 1,1; ICI Prooem. H.C. Brennecke, .Ecclesia est in re publica, id est in imperio romano' (Optatus III 3). Das Christentum in der Gesellschaft an der Wende zum >konstantinischen Zeitalter«, JBTh 7, 1992, 209-239. H.C. Brennecke, Der Absolutheitsanspruch des Christentums und die religiösen Angebote der alten Welt, in: J. Mehlhausen (Hg.), Pluralismus und Identität, Veröffentlichungen der Wissenschaftlichen Gesellschaft für Theologie 8, Gütersloh 1995, 380-397. K.-H. Schwarte, Apokalyptik V. Alte Kirche, TRE III, 1978, 257-275; zum Danielkommentar Hippolyts von Rom (CPG I 1873, eine GCS 1/1 ersetzende kritische Edition von M. Richard wird 1997 in GCS erscheinen) vgl. außerdem C. Schölten, Hippolytos II (von Rom), RAC XV, 1991,492-551; M. Marcovich, Hippolyt von Rom, TRE XV, 1986, 381-387; zum Montanismus W.H.C. Frend, Montanismus, TRE XXIII, 1994, 271-279; zum Donatismus A. Schindler, Afrika I, TRE I, 1978, 654-668.

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fälschlich angeklagt, zum Tode verurteilt und hingerichtet worden 2 1 . Von daher standen Christen für die römischen Behörden - für die noch bestehenden jüdischen natürlich, wenn auch modifiziert, genauso - zumindest im Verdacht der Insurrektion. Seit Nero war das Römische Reich gegen Christen als Christen vorgegangen 22 , durch Kaiser Trajan 2 3 ist diese Rechtslage der Christen im Römischen Reich bestätigt und zementiert worden, daß jeder Christ als solcher angezeigt, zumindest mit dem Märtyrertod rechnen mußte, auch wenn diese Rechtslage im ganzen erstaunlich flexibel angewandt worden zu sein scheint. Leider hat Trajan in seiner Antwort an Plinius, wie mit den Christen nun umzugehen sei, keinerlei Begründung für die grundsätzlich für Christen geltende Todesstrafe gegeben, so daß bis heute letztlich nur Spekulationen über die eigentliche juristische Begründung der Verfolgung von Christen im römischen Machtbereich möglich sind. Auch von daher waren der Integration der Christen in die römische Gesellschaft natürlich Grenzen gesetzt. Im Prinzip blieb diese Haltung des Imperium Romanum - bei großen Schwankungen - in der Behandlung der Christenfrage bis zur Wende der Reichspolitik unter Konstantin verbindlich. Bis auf die Ausnahmen der großen Verfolgungen des dritten und zu Beginn des vierten Jahrhunderts scheinen aber die jeweiligen Provinzialbehörden im allgemeinen kein übermäßiges Interesse an Christenprozessen gehabt zu haben, wie die in der Märtyrerüberlieferung bezeugten Versuche der Beamten zeigen, die angezeigten Christen zum Nachgeben zu überreden 24 . Angesichts dieser Situation ist die schnelle Ausbreitung des Christentums durch das ganze Imperium Romanum und durch alle Gesellschaftsschichten ein erstaunliches Phänomen 2 5 . 21

22 23

24 25

Tac., Ann XV,44,3: auctor nominis eius Christus Tiberio imperitante per procuratorem Pontium Pilatum supplicio affectus erat...; vgl. Becker (wie Anm. 5) 399-440; Theissen/Merz (wie Anm. 5) 388-414; Helga Botermanns, Das Judenedikt des Kaisers Claudius, Hermes Einzelschriften 71, Stuttgart 1996, passim. Tert., Apol 5,3. Plin., Epist 10,96f.; R. Freudenberger, Christenverfolgungen, TRE VIII, 1981, 23-25; U. Schillinger-Häfele, Plin. Epist 10, 96 und 97: Eine Frage und ihre Beantwortung, Chiron 9, 1979, 383-392. Für viele Beispiele sei hier nur auf MartPol 8-12 verwiesen. A. von Harnack, Die Mission und Ausbreitung des Christentums in den ersten drei Jahrhunderten I/II, Leipzig 4 1 9 2 4 ; B. Kötting, Christentum I (Ausbreitung), RAC II, 1954, 1138-1159; W.H.C. Frend, Der Verlauf der Mission in der Alten Kirche bis zum 7. Jahrhundert, in: H. Frohnes/U.W. Knorr (Hg.), Die Alte Kirche, Kirchengeschichte als Missionsgeschichte I, München 1974, 32-50; H. Gülzow, Soziale Gegebenheiten der altkirchlichen Mission, ebd., 189-226.

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H a n n s Christof Brennecke

Von Anfang an sind nun nach den neutestamentlichen Zeugnissen auch Soldaten sowohl aus den (heidnischen) Truppen des Herodes Antipas in Galiläa als auch in Judäa stationierte römische Soldaten mit dem entstehenden Christentum in Berührung gekommen und von der christlichen Predigt ergriffen worden, ohne daß die christlichen Gemeinden unserer Kenntnis nach darin irgendein Problem gesehen haben. In erster Linie scheint es sich dabei um Militärangehörige aus dem Kreis der mit dem Judentum sympatisierenden ,Gottesfürchtigen' 2 6 gehandelt zu haben. Nach M t 8,5-13 (Lk 7 , 1 - 1 0 ; vgl. Joh 4 , 4 6 - 5 3 , wo es sich aber nicht ausdrücklich um einen Angehörigen des Militärs, sondern um einen ,Beamten' [TIÇ βασιλικός] handelt, was angesichts des breiten Bedeutungsspektrums einen Soldaten nicht von vornherein ausschließt), kommt Jesus zu einem heidnischen 2 7 Centurio 2 8 . Jesus wendet sich hier also sogar einem Heiden zu, der als Modell des Glaubens an Christus und damit als Erstling der Heidenmission erscheint . In der Forschung herrscht Konsens darüber, daß diese bei M t , Lk und - charakteristisch variiert - J o h überlieferte Episode aus der Logienquelle stammt und wirklich auf ein Ereignis in der Verkündigung Jesu zurückgeht 3 0 . Der Beruf des Centurio, die Tatsache, daß es sich um einen Soldaten, sogar einen Berufssoldaten und Mitglied der unteren Offiziersschicht 3 1 handelt, spielt dabei keine eigene Rolle. Wichtig ist allein, daß in diesem Centurio Jesus sich einem Heiden zuwendet, der zu den sogenannten ,Gottesfürch26

Vgl. M . Simon, Gottesfürchtige!:, R A C X I , 1 9 8 1 , 1 0 6 0 - 1 0 7 0 . Die Frage, wie es dazu kam, daß das Judentum in vielerlei Hinsicht gerade auch für Soldaten und sogar Offiziere der römischen Besatzungstruppen so anziehend war, daß sie sich dem Kreis der sog. .Gottesfürchtigen' anschlossen, ist bisher kaum problematisiert worden. Ebensowenig die Frage, welche Folgen diese jüdische Option etwa für Offiziere hatte.

27

Wahrscheinlich ein heidnischer Centurio im Dienst des Herodes Antipas, der nach Lk 7 , 5 zu den φοβούμενοι gehörte. έκατοντάρχης, vgl. Bauer/Aland, Wörterbuch zum Neuen Testament, Berlin 61988.

28

29

U. Luz, Das Evangelium nach Matthäus, EKK I 2, Zürich/Neukirchen-Vluyn 1990, 15-17.

30

Luz, ebd.

31

Zur Stellung eines Centurio vgl. A. von Domaszewski, P W III 2, 1 8 9 9 , 1 9 6 2 1 9 6 4 ; A. Neumann, Kl. Pauly I, l l l l f . Die im deutschen Sprachraum übliche Übersetzung .Hauptmann' greift danach wohl zu hoch. Ein Centurio ist eher ein Unteroffizier, Bindeglied zwischen Truppen und Offizierscorps und damit als Berufssoldat für die Armee besonders wichtig. Centuriones konnten auch der zivilen Verwaltung detachiert werden.

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tigen' gehört und dessen Glaube an Jesus als beispielhaft hingestellt werden und vom Unglaube in Israel abgehoben werden soll. Daß die Verkündigung Jesu hier nicht mehr exklusiv Israel gilt, sondern auch den Heiden, wird ausgerechnet am Beispiel eines heidnischen Berufssoldaten deutlich gemacht. Und dieses Beispiel ist über die Logienquelle in die Evangelienüberlieferung eingegangen und damit zur verbindlichen Weisung Jesu an die diesen Jesus als den Auferstandenen bekennende und verkündigende christliche Kirche geworden. Nach Mk 15,39 parr. (Mt 27,54; Lk 23,47) bekennt der an der Hinrichtung Jesu in nicht näher beschriebener Weise beteiligte römische Centurio (nach M t 27,54 der Centurio und die ihm untergebenen Soldaten) den Gekreuzigten als Gottes Sohn. Daß es sich um einen Soldaten bzw. nach Matthäus um eine Gruppe von Soldaten unter Führung dieses Centurio handelt, ist hier nur insofern wichtig, als dieser Centurio mit den ihm untergebenen Soldaten als Beteiligter an der Hinrichtung Jesu Zeuge seines Sterbens wird. Auch hier kommt es vor allem darauf an, daß ein heidnischer Vertreter der römischen Besatzungsmacht, die Jesus hinrichten läßt, diesen Jesus als Gottes Sohn bekennt - im Gegensatz zu den anderen beschriebenen Reaktionen auf den Tod Jesu 32 . Zum Sondergut des Lukasevangeliums gehört die sog. »Standespredigt' des Johannes Lk 3,10-14 3 3 . Nach Lk 3,14 kamen auch Soldaten und fragten ihn, wie sie gerettet werden könnten 3 4 . Johannes antwortet ganz im Rahmen üblicher Standesethik. Sie sollen ihre Gewalt nicht zur persönlichen Bereicherung missbrauchen, sondern sich mit ihrem Sold begnügen. Festzuhalten ist, daß der lukanische Täufer nicht von den Soldaten fordert, zur Erlangung des Himmelreiches ihren Beruf aufzugeben. Die Zugehörigkeit zum Militär wird hier auch nicht als Taufhindernis angesehen. Dabei bleibt es gleichgültig, ob die sogenannte ,Standespredigt' des Johannes als urchristliche Gemeindeparänese anzusehen ist und damit nicht sicher

32

33

34

Zu den apokryphen Traditionen über Longinus, der später als Bischof von Caesarea in Kappadokien das Martyrium erlitten haben soll, vgl. BHL Nr. 4965f.; BHG Nr. 988-990; AS Mart II 376-390; Gregor von Nyssa, ep. 13, GNO VIII 2, 54f.; das metaphrastische Martyrium Longini, PG 115, 32-44; zur Ikonographie LCI VII 410f. F. Bovon, Das Evangelium nach Lukas (Lk 1,1-9,50), EKK III/l, Zürich/Neukirchen-Vluyn 1989, 173-175. Die Komposition des Textes setzt nach V7. 12 voraus, daß die Soldaten kamen, um sich auch taufen zu lassen.

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dem historischen Johannes zuzuschreiben wäre, wie häufig in der Forschung angenommen wird, oder ob sie aus der Verkündigung des Johannes in die urchristliche Paränese übernommen worden i s r 5 . In jedem Fall muß ein konkreter Sitz im Leben dieser Paränese vorausgesetzt werden. Das heißt aber, daß der Verfasser der Apostelgeschichte in seinem heidenchristlichen Milieu christliche Soldaten kennt, die in ihrem Alltag natürlich auch mit den besonderen ethischen Herausforderungen des Soldatseins und des Lagerlebens konfrontiert waren. Und diese christlichen Soldaten, deren Zugehörigkeit zur Gemeinde für ihn offenbar an sich kein besonderes Problem darstellt, will er ansprechen. Er verlangt von ihnen nicht die Aufgabe ihres Berufes, um zur christlichen Gemeinde gehören zu können, sondern ermahnt sie - ganz konventionell - nach der eigentlich für jeden Soldaten verbindlichen militärischen Standesethik zu leben. Das wichtigste neutestamentliche Zeugnis über die Begegnung der urchristlichen Verkündigung mit einem heidnischen militärischen Vertreter der römischen Besatzungsmacht ist zweifellos die Apg 10 berichtete Bekehrung des Centurio Cornelius in Caesarea. Lukas hat hier eine ihm bereits vorliegende ausführliche Erzählung über die Bekehrung des römischen Centurio in Caesarea in sein theologisches Konzept aufgenommen 36 . Cornelius wird als Mitglied der italischen Legion 37 vorgestellt. Ein Römer, vielleicht sogar aus Italien, der aber wie der Centurio aus Kafernaum zum Kreis der ,Gottesfürchtigen' gehörte 38 . Auch unter den ihm untergebenen Soldaten muß es mehrere gegeben haben, die zu den mit dem Judentum sympathisierenden .Gottesfürchtigen' zählten (V 7). In der theologischen Konzeption des Lukas beginnt mit der Bekehrung und Taufe des Cornelius und seines Hauses 39 die apostolische Heidenmission. Die Heiden-

35

Bovon (wie Anm. 33), J. Ernst, Johannes der Täufer, BZNW 53, Berlin 1989, 312f.; O. Böcher, Johannes der Täufer II, TRE XVII, 1988, 1 7 7 . 1 7 9 , sieht die Standespredigt als genuin johanneisch und über täuferische Kreise als christlich adaptiert an. Nach H. Stegemann, Die Essener, Qumran, Johannes der Täufer und Jesus. Ein Sachbuch, Freiburg 1993, 295, hat die Vermahnung des Johannes an Soldaten ihren realistischen Hintergrund in der von Soldaten leicht zu ihrem persönlichen Vorteil ausnutzbaren Situation an der Grenze.

36

Zur Redaktionsgeschichte vgl. M. Dibelius, Die Bekehrung des Cornelius, in: M. Dibelius, Aufsätze zur Apostelgeschichte, hg. v. H. Greeven, Berlin 1951, 96107.

37

Dibelius (wie vorige Anm.). Apg 10,2.22. E. Dassmann, Haus II (Hausgemeinschaft), RAC XIII, 1986, 8 5 4 - 9 0 5 .

38 39

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mission beginnt also in der Darstellung des Lukas mit der Taufe eines militärischen Repräsentanten des Imperium Romanum in Caesarea, dem Sitz der Besatzungsmacht. Ausdrücklich wird hervorgehoben, daß Cornelius und sein ganzes Haus - zum Entsetzen der Juden - den Heiligen Geist bekamen (V 44f.). Der außerordentlich langen und sorgfältig komponierten Geschichte Apg 10 kommt im Gesamtaufriß der Apostelgeschichte zweifellos eine theologische Schlüsselfunktion hinsichtlich des Beginns der Heidenmission zu 4 0 . Weder am Stand noch am Dienstgrad des Cornelius nimmt Lukas irgendeinen Anstoß. Weder der Petrus der lukanisch bearbeiteten Geschichte noch der Verfasser der Apostelgeschichte erwarten als Konsequenz von Taufe und Ausgießung des Heiligen Geistes, daß Cornelius seinen Beruf aufgibt. Die wenigen neutestamentlichen Zeugnisse, die überhaupt von der Verkündigung der christlichen Predigt an Soldaten berichten 41 , stimmen aber in ihrer Unbefangenheit gegenüber dem Soldatenstand überein. Trotz der prinzipiellen Forderung nach Gewaltlosigkeit und der Verkündigung auch eines irdischen Friedens gilt die Zugehörigkeit zum Militär, auch als Offizier der römischen Besatzungsmacht in Judäa, nicht als unvereinbar mit dem christlichen Glauben. Mit dem Bekenntnis zu Jesus Christus ist nicht die Forderung nach Aufgabe des Soldatenberufes verbunden. Schon die mit Johannes dem Täufer verbundene urchristliche Gemeindeparänese Lk 3,14 zeigt, daß es zur Zeit der Abfassung des Lukasevangeliums am Ausgang des ersten Jahrhunderts, also bereits nach den ersten antichristlichen Maßnahmen Neros im Jahr 64, die allerdings unserer Kenntnis nach auf die Stadt Rom beschränkt geblieben waren, und nach dem jüdischen Krieg im hellenistischen Christentum christliche Soldaten gegeben haben muß. Die Apg 10 aufgenommene Gemeindetradition bezeugt einen christlichen römischen Centurio schon in der ersten christlichen Generation. Eine theologische Reflexion darüber, ob ein Christ Soldat sein kann und darf, ist in diesem Zusammenhang nicht erkennbar. Für die neutestamentlichen Autoren ist das

40

41

Die Bekehrung des Cornelius wird im Aufriß des Lukas eingerahmt von der Bekehrung des Saulus Kap. 9 und dem Bericht über die heidenchristliche Gemeinde in Antiochien Kap. 11. Aus der Zahl der Zeugnisse läßt sich auf keinen Fall folgern, daß dies kein oder nur ein ganz marginales Thema für das Urchristentum war, eher im Gegenteil. Auch sonst wird im N T erstaunlich wenig über spezielle Berufsgruppen und ihrer Begegnung mit der christlichen Predigt berichtet.

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Problem des Militärdienstes kein Thema theologisch-ethischer Überlegungen. Das Militär gehört in die noch geltenden Ordnungen dieser Welt und wird von daher nicht grundsätzlich in Frage gestellt. So kann auch nicht von einem prinzipiellen urchristlichen Pazifismus im Sinne einer Ablehnung jedes Militärs und einer grundsätzlichen Unvereinbarkeit von Soldatsein und christlichem Bekenntnis gesprochen werden 4 2 . Auffällig ist, daß der Kontakt der christlichen Predigt mit heidnischen römischen Soldaten auch über den im einzelnen nur schwer zu definierenden und begrenzenden Kreis der ,Gottesfürchtigen ETö' έξήξ προτρέπεται ή μας ό Κέλσος άρήγειν τω βασιλεϊ παντί σθένει καί συμπονεΐν αύτω τά δίκαια καί ύπερμαχεΐν αύτοΰ καί σνστρατεύειν αΟτω αν έπεί/η καί συστρατηγεΐν... < 7 5 > Προτρέπει δ' ήμάζ Κέλσος καί επί τό άρχειν της πατρίδος, έάν δέη καί τούτο ποιεΐν ενεκεν σωτηρίας νόμων καί εύσεβείας.

76

Helgeland, 1 9 7 9 , 746; R.L. Wilken, Die frühen Christen - Wie die Römer sie sahen, Graz u.a. 1 9 8 6 , 106-137.

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Polemik gegen die gesellschaftsverweigernde Haltung der Christen, die sich nach Kelsos auch nicht in angemessener Form an der Verteidigung des Imperiums beteiligen, und aus der in diesem Punkt jedenfalls Kelsos nicht widersprechenden Antwort des Orígenes mehr als ein halbes Jahrhundert später 7 7 geschlossen, daß - zumindest im Umfeld des Kelsos 7 8 - Christen sich weder am Militärdienst noch überhaupt an öffentlichen Ämtern beteiligten 7 9 . Theodor Klauser hat dagegen geltend gemacht, daß die Aufforderung des Kelsos an die Christen, sich an Staatsdienst und Verteidigung stärker zu beteiligen, vor allem an die christlichen Oberschichten adressiert war und auf die Übernahme von Führungspositionen in Staat und Gesellschaft zielte 8 0 . Die Christen, die inzwischen in den Funktionseliten des Imperium Romanum vertreten waren, sollten die sich daraus ergebenden Pflichten übernehmen. Klauser hat diese Aufforderung des Kelsos an die Christen auf dem Hintergrund der Krisensituation des Reiches unter Marc Aurel sehen wollen und dahinter eine konkrete politische Entscheidung des Kaisers vermutet. Aus den zur politischen und militärischen Mitarbeit der Christen auffordernden Worten des Kelsos wird man jedenfalls keine grundsätzliche und absolute bisherige Verweigerung von Militär- und Staatsdienst durch die Christen schließen und somit keinen fundamentalen Widerspruch zum Zeugnis der übrigen Überlieferung annehmen können. Die Aufforderung des Kelsos an die Christen, Führungspositionen in Staat, Heer und Gesellschaft zu übernehmen, steht somit nicht im Widerspruch zu den sonst für die Zeit bezeugten christlichen Soldaten, bei denen bis Ende des zweiten Jahrhunderts ja in den zur Verfügung stehenden Quellen keine ausgesprochenen Führungspositionen bezeugt waren. Seit der Wende vom zweiten zum dritten Jahrhundert bis hin zur diokletianischen Verfolgung und dann der Herrschaft Konstantins 77

Zur theologischen Argumentation des Orígenes s.u. S. 8 6 - 9 0 .

78

Allerdings ist es nicht möglich, Kelsos geographisch zu lokalisieren, vgl. Chadwick (wie Anm. 7 2 ) Introduction; Pichler (wie Anm. 7 2 ) 9 7 - 9 9 .

79

Harnack, 1 9 0 5 , 54f. Bainton, 1 9 4 6 [S. 1 9 0 der deutschen Ausgabe] hat daraus sogar schließen wollen, dai? nach Auffassung des Kelsos kein Christ in der Armee diente.

80

Th. Klauser, Sind der christlichen Oberschicht seit Mark Aurel die höheren Posten im Heer und in der Verwaltung zugänglich gemacht worden? - J A C 1 6 , 1 9 7 3 , 6 0 - 6 6 ; vgl. dazu kritisch W . Eck, Christen im höheren Reichsdienst im 2. und 3. Jahrhundert?, Chiron 9 , 1 9 7 9 , 4 4 9 - 4 6 4 , wobei Eck zu Orig., Cels VIII,73 sich gegen Klauser zu unkritisch auf die Thesen von Hornus stützt.

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sind christliche Soldaten - bis zu höheren Offizieren hin - so oft bezeugt, daß die Quellen im Rahmen dieser Arbeit nur paradigmatisch vorgeführt und kommentiert werden können 81 . Im dritten Jahrhundert beginnt dann auch eine theologische Reflexion über die Frage deutlich zu werden, ob Christen überhaupt Soldaten sein können und dürfen, und wenn, unter welchen Bedingungen. Und diese Debatte, so muß man den allerdings nicht sehr zahlreichen Quellen entnehmen, ist in der Kirche durchaus kontrovers geführt worden und hat zu ganz unterschiedlichen Ergebnissen geführt, die man in der modernen Forschung oft viel zu sehr zu harmonisieren versucht hat. Erst jetzt begegnet, wenn auch nach unserer allerdings überaus fragmentarischen Kenntnis eher als Ausnahme 82 , die Auffassung, daß christliches Bekenntnis und Soldatsein einander ausschließen. Besonders Tertullian hat dies auch theologisch zu begründen versucht 83 . Angesichts des unbezweifelbaren Phänomens eines christlichen Berufssoldatentums in einer die Christen prinzipiell ablehnenden und immer wieder auch verfolgenden Geselllschaft, die sich in erheblichem Maße auch kultisch definierte, wie die Kritik des Kelsos am Christentum immer wieder deutlich macht, ist dann allerdings erstaunlich, wie selten in der erhaltenen christlichen Literatur des dritten Jahrhunderts dieses Thema überhaupt theologisch problematisiert worden ist84. An der Wende zum dritten Jahrhundert steht Tertullians Apologeticumis bis in die Benutzung einzelner literarischer Bilder noch ganz in der Tradition der griechischen Apologeten des zweiten Jahrhunderts. Rhetorisch geschliffen weist er die juristischen Inkonsequenzen der uns durch Trajan bezeugten Praxis der Maßnahmen gegen die Christen nach 86 . Ihm geht es in dieser Schrift noch - in dieser Hinsicht sollte sich seine Einstellung zur Integration der Christen in das Imperium Romanum und seine Gesellschaft dann sehr bald radikal ändern - um den Nachweis, daß die Christen sich in keiner Weise absondern, sondern in allen Berufen und Ständen als die treuesten Untertanen des Römischen Reiches zu finden sind: 81 82 83

84 85 86

Das Material nach Harnack, 1905, am ausführlichsten bei Helgeland, 1979. Vgl. u. S. 72-74.82-86. Vor allem in Tert., Idol 19 und in der ausschließlich diesem Thema gewidmeten Schrift de corona·, vgl. u. S. 82-86. Dazu unten IV. CPL 3; ed. E. Dekkers, CChr.SL 1, 85-171. Apol 1-5.

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Gestern sind wir erschienen, und schon haben wir alles, was euer ist, überflutet, Städte und Inseln, Garnisonen, Gemeinschaften, Ortschaften, ja Heerlager, Stadtbezirke und Dekurien, Palast, Senat und Forum ... 8 7 Auch fahren wir mit euch zusammen zur See, sind wie ihr Soldaten und Bauern, und ebenso treiben wir mit euch Handel; unser Können, unsere Erzeugnisse stellen wir euch allen zur Verfügung. 88 Tertullian, dem militärische Begrifflichkeit vertraut ist und der vielleicht sogar aus militärischem Milieu s t a m m t e 8 9 , bezeugt, d a ß a m Ausgang des zweiten Jahrhunderts das Christentum sich - jedenfalls aus seiner afrikanischen Sicht - in allen Gesellschaftsschichten ausgebreitet hatte, und dabei eben auch im Militär und der Beamtenschaft. Christen sind - bei aller bleibenden Distanz, die Tertullian klar sieht und b e n e n n t 9 0 , in die Gesellschaft des Imperium R o m a n u m integriert, übernehmen in und für dieses Reich V e r a n t w o r tung, w o z u a u c h der Militärdienst gehört. In diesen Z u s a m m e n h a n g g e h ö r t a u c h Tertullians Hinweis auf die Errettung des römischen Heeres durch das Gebet christlicher Soldaten im Quadenkrieg M a r c A u r e l s 9 1 . Der Verfasser des Apologeticum bejaht a m E n d e des zweiten J a h r h u n d e r t s n o c h diese Integration der Christen in die Gesells c h a f t 9 2 . A u c h wenn die Angaben Tertullians keinerlei Schlüsse erlauben, wieviele christliche Soldaten es an der W e n d e zum dritten J a h r h u n d e r t gegeben hat und w o m a n a m ehesten mit christlichen 87

88

89

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91 92

Apol 37,4 [CChr.SL 1, 148, 20-22]: Hesterni sumus, et orbem iam et uestra omnia impleuimus, urbes ínsulas, castella municipia conciliábulo, castra ipsa tribus decurias, palatium senatum forum (Übersetzung nach C. Becker, Tertullian Apologeticum, München 3 1984, 179). Apol 42,3 [CChr.SL 1, 157, 10-13]: Nauigamus et nos uobiscum et uobiscum militamus et rusticamur et mercamur proinde miscemus artes, operas nostras publicamus usui uestro (deutsch nach Becker, a.a.O. 195). Militare muß hier vermutlich auch im weiteren Sinne des militärischen und zivilen Reichsdienst gesehen werden, schließt aber in jedem Fall den engeren militärischen Dienst im Heer mit ein. G. Schöllgen, Ecclesia sordida? Zur Frage der sozialen Schichtung frühchristlicher Gemeinden am Beispiel Karthagos zur Zeit Tertullians, JAC.E 12, Münster 1984, 176-189; T.D. Barnes, Tertullian, Oxford 2 1985, 13-21. Nach Apol. 21, 24 ist für Tertullian z.B. ein christlicher Kaiser noch nicht vorstellbar. Zur dennoch grundsätzlich positiven Haltung des vormontanistischen Tertullian zum Imperium Romanum s. Apol. 30-32; dazu R. Klein, Tertullian und das Römische Reich, BKAW NS II 22, Heidelberg 1968. Apol 5,6; Scap 4,6. Zu Tertullians im Laufe der Zeit sich bis zur totalen Ablehnung sowohl des Imperium Romanum als auch jeder Teilnahme von Christen im Staatsdienst und besonders im Heer radikalisierenden Sicht vgl. u. S. 82-86.

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Truppenteilen rechnen kann, so kann man m.E. doch den Schluß wagen, daß christliche römische Soldaten als ein weithin bekanntes Phänomen anzusehen sind. Die etwa ein Jahrzehnt später verfaßte Schrift de idolatria93 bezeugt nicht nur, daß inzwischen für Tertullian Christsein und Militärdienst unvereinbar miteinander geworden waren 94 , sondern überhaupt eine innerchristliche Debatte über diese Frage 95 . Die vermutlich 211 zu datierende Schrift de corona96, die als die einzige grundsätzliche theologische Behandlung der Frage, ob Christen auch Soldaten sein können, bzw. ob und unter welchen Bedingungen Soldaten Christen werden können, in der vorkonstantinischen Zeit gelten muß, hatte einen konkreten Anlaß: beim Empfang eines kaiserlichen Donativums weigert sich ein christlicher Soldat, den bei dieser Gelegenheit üblichen Kranz zu tragen und wird als Christ nach dem bekannten Christenverfahren hingerichtet97. Eindeutig geht aus dem Text hervor, daß dieser Soldat nicht der einzige Christ in der Truppe war, sondern daß diese zu einem größeren Teil aus Christen bestanden haben muß 98 . Und diese christlichen Soldaten scheinen in ihrer übergroßen Mehrheit das Tragen des Kranzes nicht

93

C P L 2 3 ; ed. J . H . W a s z i n k / J . C . M . van Winden, Tertullianus, De Idolatria, SVigChr I, Leiden 1 9 8 7 . Zur umstrittenen Datierung ebd., 1 0 - 1 3 . Die von H . J . Frede, Kirchenschriftsteller. Verzeichnis und Sigei, V L 1 , 1 , Freiburg 4 1 9 9 5 , 7 6 6 , gegebene Datierung 1 9 6 / 9 7 muß als inzwischen längst überholt gelten. Wenn Idol etwa zehn Jahre nach Apol zu datieren ist, erledigen sich weithin die Probleme der ganz unterschiedlichen Beurteilung eines christlichen Soldatenstandes in Apol und Idol, auch wenn man mit Waszink und van Winden Idol nicht unbedingt als schon montanistisch ansehen muß. Die Hinwendung zum Montanismus hatte ja eine Vorgeschichte des rigoristischer werdenden Tertullian.

94

Vgl. u. S. 8 2 - 8 6 .

95

Tert., Idol 1 9 , 1 [CChr.SL II 1 1 2 0 , 1 0 - 1 4 ] : definitum uideri, quae inter dignitatem quaeritur, an fidelis ad militiam converti etiam caligata uel inferior quaeque, cui capitalium iudiciorum.

96

C P L 2 1 ; ed. Aem. Kroymann, CChr.SL II 1 0 3 7 - 1 0 6 5 , einen reichhaltigen Kommentar bietet J. Fontaine, Q. Septimi Florentis Tertulliani, De corona - Tertullien, Sur la couronne, Érasme.L 1 9 6 6 .

97

Tert., C o r o n 1,1 [ed. J. Fontaine 4 1 f . ] : Proxime factum praestantissimorum imperatorum expungebatur in castris, adibant.

98

A.a.O. 4 2 f.: fratribus...

Adhibetur

quidam

Possit in isto capitulo etiam de militia et potestatem est. At nunc de isto possit et an militia ad fidem admitti, non sit nécessitas immolationum uel

illic magis

Dei

miles,

est. Liberalitas milites laureati

ceteris

constantior

Bekenntnis und Militärdienst

67

mehr als eigentlich heidnische kultische Handlung angesehen zu haben, sondern als unverfänglichen und eigentlich selbstverständlichen Akt der Loyalität gegenüber den Kaisern", was Tertullian nahezu als Abfall vom Glauben ansieht 100 . Die Forschung hat den hinter dieser Schrift stehenden Vorfall im allgemeinen in Karthago oder der näheren Umgebung lokalisiert, auf jeden Fall in einer afrikanischen Garnison 1 0 1 . Yann Le Bohec hat 1992 gezeigt, daß aller Wahrscheinlichkeit nach Rom als Ort des Geschehens in Frage kommt und daß es sich bei dem fraglichen Truppenteil nur um die Prätorianer, die kaiserliche Garde also, gehandelt haben kann 1 0 2 . Wenn Le Bohecs These richtig ist, dann haben wir schon im ersten Jahrzehnt des dritten Jahrhunderts mit offenbar nicht geringen christlichen Kontingenten sogar bei den in Rom stationierten Prätorianern zu rechnen. Wenn es aber schon zu dieser Zeit in der im nur wenig christianisierten Italien stationierten Garde Christen gab, werden wir besonders bei den im Osten stationierten Einheiten mit größeren christlichen Truppenteilen zu rechnen haben. Die wenigen Hinweise im Werk des Alexandriners Clemens, für den christliche Soldaten ganz normal gewesen zu sein scheinen, bestätigen diesen Befund 103 . Falls Julius Africanus am Anfang des dritten Jahrhunderts wirklich Offizier unter Kaiser Septimius Severus gewesen ist, wie vielfach angenommen wird, hätten wir ein konkretes Beispiel eines christli-

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101 102

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Tert., Coron 1,1 [CChr. SL II 1039,5f.]:... qui se duobus dominis seruire posse praesumpserant; 1,2 [1039,8f.J: Denique singuli designare eludere eminus, infrendere comminus; 1,4 [1040,22-26]: Exinde sententiae super ilio, - nescio an Christianorum; non enitn aliae ethnicorum -, ut de abrupto et praecipiti et mori cupido, qui de habitu interrogatus nomini negotium fecerit, solus scilicet fortis inter tot fratres commilitones, solus Christianus. Tert., Coron 1,6-2,1 [1041,39ff.]: ... quibus id solum in solatium: quaestio est, quasi aut nullum aut incertum saltern haberi possit delictum, quod patiatur quaestionem. Nec nullum autem nec incertum hinc interim ostendam. Neminem dico fidelium coronam capite nosse alias, extra tempus temptationis eiusmodi. Um dies im einzelnen darzulegen, schreibt Tertullian die Schrift de corona. Fontaine z. St. Y. Le Bohec, Tertullie, De corona, I: Carthage ou Lambèse?, REAug 38, 1992, 6-18; dort auch die gesamte Diskussion über Historizität und Lokalisierung des Anlasses der Abfassung von de corona. Clem., Prot X 100, 4 (allg. Standesethik: Bauer - Seefahrer - Soldat); Paid 11,117,2; 11,121; 111,91,2 (ethische Vermahnung im Anschluß an die Standespredigt des Täufers Lk 3,14, die Clemens als Herrenwort interpretiert: Jesus befiehlt durch Johannes.

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chen Offiziers 104 . Die Existenz einer archäologisch nachgewiesenen christlichen Gemeinde in der Garnisonsstadt Dura am Euphrat rundet dieses Bild ab 1 0 5 .

III Als besonders wichtige Quellengattung hinsichtlich der Frage nach christlichen Soldaten und überhaupt des Verhältnisses der Christen zum Militär in vorkonstantinischer Zeit haben die Soldatenmartyrien oder Hinweise auf Martyrien von Soldaten in der übrigen zeitgenössischen Literatur bis zu Beginn des vierten Jahrhunderts zu gelten 1 0 6 . Euseb hat im VI. und VII. Buch seiner ,Kirchengeschichte' eine größere Anzahl von Fragmenten des Bischofs Dionys von Alexandrien aufbewahrt, in denen Dionys über die Folgen der decischen und dann auch der valerianischen Verfolgung für die Kirche Ägyptens und besonders auch Alexandriens berichtet 1 0 7 . In einem Brief an

104

Harnack, Geschichte der altchristlichen Literatur I (wie Anm. 62) 5 0 7 - 5 1 3 ; ders., Julius Afrikanus Sextus, R E IX, 1 9 0 1 , 627f. (627,12 handelt es sich bei der Angabe des Todesdatums ,gest. nach 140' um einen Druckfehler, es muß natürlich ,nach 2 4 0 ' heißen; vgl. die Korrektur X X I I I , 1 9 1 3 , 7 1 9 , 3 7 ) ; J . Sickenberger, Julius Africanus, PW X 1, 1 9 1 8 , 116-125.

105

C. Kraeling, The Christian Building, The Excavations at Dura-Europos, Final Report VIII, Part II, New Haven 1 9 6 7 , bes. 101-126, vgl. auch O. Perler, Zu den Inschriften des Baptisteriums von Dura-Europos, in: Epektasis, Mélanges J . Danielou, Paris 1972. Über die Gemeinde von Dura gibt es keinerlei schriftl. Überlieferung, sie ist mitsamt der Kirche, die bisher das bekannteste Beispiel des Kirchenbaues des dritten Jahrhunderts überhaupt ist, nur archäologisch nachgewiesen. Unser Bild der frühen Kirchengeschichte ist fast ganz durch die schriftliche Überlieferung geprägt, und die zeigt, wie an Dura deutlich wird, eben nicht das Ganze. Wir müssen also vermutlich davon ausgehen, daß Dura kein Einzelfall war. Da auch christliche Soldaten selbst wohl kaum literarisch aktiv gewesen sind, ist die erhaltene schriftliche Überlieferung nur fragmentarisch. Das wichtigste Material bei Harnack, 1905, und Helgeland, 1979; problematisch die Darstellung bei Hornus, 1963, 118-151, der grundsätzlich die Martyrien in .Wehrdienstverweigerung' begründet sehen will. Vgl. auch W.H.C. Frend, Martyrdom and Persecution in the Early Church, Oxford 1965.

106

107

Die Fragmente CPG I 1 5 5 0 - 1 6 1 1 , hg. v. Ch.L. Feltoe, The Letters and other Remains of Dionysius of Alexandria, Cambridge 1904; eine englische Übersetzung edierte Feltoe 1918; eine kommentierte deutsche Übersetzung bei W.A. Bienert, Dionysius von Alexandrien. Das erhaltene Werk, BGL 2, Stuttgart 1 9 7 2 ; vgl. W.A. Bienert, Dionysius von Alexandrien, T R E VIII, 1 9 8 1 , 7 6 7 - 7 7 1 .

Bekenntnis und Militärdienst

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Fabius v o n Antiochien berichtet er, wie christliche Soldaten gefangene Christen, die zum Opfern gezwungen werden sollten, d a r a n hindern, sich selbst als Christen bekennen und dafür das M a r t y r i u m erleiden: Ein ganzer Trupp Soldaten, Ammon, Zenon, Ptolemaios, Ingenes und mit ihnen der bejahrte Theophilos, hatten sich vor dem Richtplatz aufgestellt. Als nun jemand als Christ vor Gericht stand und schon dazu neigte, (seinen Glauben) zu verleugnen, knirschten diese, die dabeistanden, mit den Zähnen, nickten mit ihren Gesichtern, streckten ihre Hände aus und gestikulierten mit dem ganzen Körper. Da wandte sich die Aufmerksamkeit aller ihnen zu. Aber ehe noch einige von ihnen auf andere Weise ergriffen wurden, traten sie bereits vor den Richterstuhl und erklärten, sie seien Christen, so daß der Statthalter und seine Beisitzer von Furcht erfüllt wurden. Und sie, die gerichtet werden sollten, erschienen guten Muts angesichts dessen, was sie erwartete, während ihre Richter sich ängstigten. Jene zogen im Triumphzug vom Richtplatz fort, voller Freude über ihr Zeugnis, weil Gott ihnen so großartig einen Triumph geschenkt hatte. 1 0 8 In einem ein knappes J a h r z e h n t jüngeren Brief an Dometius und Didymus berichtet er, d a ß während der Verfolgung unter Valerian Christen aller Schichten und Altersklassen, unter ihnen auch Soldaten, das M a r t y r i u m erlitten h a t t e n 1 0 9 . Für die decische und die valerianische Verfolgung haben wir nur diese Hinweise auf Soldatenm a r t y r i e n 1 1 0 . D a bekanntlich gerade aufgrund des Opferediktes des Kaisers Decius viele Christen gerade aus der Beamtenschaft abgefallen w a r e n , wird m a n dasselbe auch für christliche Soldaten vermuten d ü r f e n 1 1 1 . Die Verfolgung unter Kaiser Valerian hatte in erster Schicht den Klerus und die christliche Oberschicht betroffen, weniger die einfachen Gemeindeglieder 1 1 2 , so daß angesichts der auch

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CPG I 1550, bei Eus., h.e. VI,41,22; die deutsche Übersetzung nach Bienert 30. CPG I 1563 bei Eus., h.e. VII,11,20; deutsch bei Bienert 47. U.U. gehört in diesen Zusammenhang noch der Hinweis bei Cypr., Epist 39,3,1 über die Märtyrer Egnatius und Laurentius: [CChr.SL III B, 189, 45-48]: in castris et ipsi quondam saecularibus militantes, sed ueri et spiritales dei milites, dum diabolum Christi confessione prosternunt, palmas domini et coronas inlustri passione meruerunt. Vgl. den nach Pont., VitaCypr 16 (ed. Härtel, CSEL 3/3, 1881, CVIII, 3f.) bei der Hinrichtung Cyprians beteiligten Tesserarius, von dem ausdrücklich gesagt wird, daß er ein ehemaliger Christ war. R. Freudenberger, Christenverfolgungen, TRE VIII, 1981, 26f.

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sonst äußerst lückenhaften Überlieferung der Mitte des dritten Jahrhunderts dieser Befund nicht verwundert. Einer der interessantesten Texte in diesem Zusammenhang ist das bei Euseb, h.e. VII,15f. aus der Märtyrertradition seines Bischofssitzes Caesarea 113 überlieferte und in die Zeit des Kaisers Gallienus datierte 114 Martyrium des Marinus 1 1 5 , offenbar ein junger Angehöriger der städtischen Oberschicht 116 . Bei der anstehenden Beförderung zum Centurio fühlte sich ein Mitsoldat übergangen und zeigte Marinus als Christ an 1 1 7 . Interessant ist, daß die von dem neidischen Konkurrenten vorgebrachte Begründung, warum ein Christ nicht Centurio werden darf, nämlich weil er als Christ keine Opferhandlungen vornehmen würde, dann keine Rolle mehr im Prozess spielt. Marinus, der nicht bereit ist, seinen Glauben aufzugeben und abzuschwören, wird ausschließlich wegen seines Christseins nach dem seit Trajan bekannten Verfahren der Christenprozesse hingerichtet. Bei dem Martyrium des Marinus geht es also nicht um eine Opferverweigerung 118 als Grund für die Hinrichtung und schon gar nicht um irgendeine Form von Wehrdienstverweigerung', sondern ausschließlich um die Anzeige als Christ. Die Marinustradition zeigt so in aller Deutlichkeit, daß auch unter der Herrschaft des den Christen prinzipiell nicht unfreundlich gesonnenen Kaisers Gallienus (260-268), der nach der von seinem Vater Valerian begonnen und gescheiterten großen Verfolgung, die ganz gezielt die Vernichtung der Kirche zum Ziel gehabt hatte, das erste Toleranzedikt für die Christen überhaupt erlassen hatte 1 1 9 , die seit Trajan üblichen

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Ein besonderer Marinuskult in Caesarea ist nicht überliefert, Eus., h.e. VII,16 läßt aber liturgische Verehrung vermuten. Für die Lokalüberlieferung vgl. auch die Rolle des Bischofs Theoteknos.

Eus., h.e. VII,15,1 [Schwartz, ed. min. 2 8 5 , l l f . ] : κατά toutous ειρήνης άπανταχοϋ των εκκλησιών ούσης, έν Καισαρεία της Παλαιστίνης Μαρίνος. T e x t auch bei Η . Musurillo, The Acts of Christian Martyrs, Oxford 1 9 7 9 , X X X V I I . 2 4 0 - 2 4 3 ; Knopf/Krüger/Ruhbach, Ausgewählte Märtyrerakten, SQS N F 3, Tübingen 1 9 6 5 , 85f.

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Eus., h.e. VII,15, 1.

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Eus., h.e. VII,15,2 [Schwartz, ed. min. 2 8 5 , 1 8 - 2 0 ] : τταρηλθών άλλος προ τοϋ βήματος, μή έξεΐναι μέν έκείνω της 'Ρωμαίων μετέχειν αξίας κατά τοΟς παλαιούς νόμους, Χριστιανω γε δντι και τοις βασιλεϋσι μή θύοντι, ...

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So die übliche Deutung, vgl. Harnack, 1 9 0 5 , 78f.; Helgeland, 1 9 7 9 , 7 7 4 .

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Vgl. Dionys von Alexandrien bei Eus., h.e. VII,13; Eus., h.e. VII,23 Fragmente eines Panegyricus des Dionys auf Kaiser Gallienus, der als der erste christliche Kaiserpanegyricus angesehen werden muß; dazu C. Andresen, „Siegreiche Kir-

Bekenntnis und Militärdienst

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Christenprozesse nicht aufgehört hatten. Das Martyrium des Marinus ist somit nicht in seinem Beruf als Soldat und schon gar nicht in irgendeiner kritischen Einstellung des Marinus zum Militär begründet. Selbstverständlich waren Angehörige eines öffentlichen Amtes und besonders Soldaten hier immer besonders gefährdet, da sie besonders leicht einer Anzeige wegen ihres christlichen Glaubens ausgesetzt waren. Für Marinus und auch für seinen Bischof Theoteknos 1 2 0 gibt es keinen Gegensatz zwischen Militärdienst und Bekenntnis zu Christus. Als Christ wollte Marinus durchaus in der Armee Karriere machen und war darin bis zu der Anzeige des Konkurrenten auch durchaus erfolgreich gewesen. Und das scheint ohne weiteres in der zweiten Hälfte des dritten Jahrhunderts, in einer Zeit weitgehender praktischer Toleranz, dem weit in die Oberschichten vorgedrungenen Christentum durchaus möglich gewesenzu sein. Im Konfliktfall, der durch die Anzeige des Konkurrenten gegeben war, war allerdings wie bei jedem anderen Christen die Bereitschaft zum Martyrium gefordert. Und Marinus wählt ohne lange zu zögern das Martyrium 1 2 1 . Die meisten Soldatenmartyrien sind aus der Zeit der Tetrarchie überliefert, wobei man in die Zeit vor und während der großen Verfolgung ab 303 unterscheiden muß. Die Zeitgenossen Euseb und Laktanz berichten, daß sich am Ende des dritten Jahrhunderts das Christentum auch ganz stark an den Höfen der tetrarchischen Kaiser ausgebreitet hatte 1 2 . Nach Euseb waren am Hof Diokletians sogar die christlichen Hofbeamten ausdrücklich von jeder Opferpflicht befreit 123 . Am Hof aber und in der Beamtenschaft zeigt sich zuerst der Umschwung in der Religionspolitik der Kaiser. Schon vor Beginn

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che" im Aufstieg des Christentums. Untersuchungen zu Euseb von Caesarea und Dionysios von Alexandrien, ANRW II 23,1, 1979, 387-459, bes. 430-432. Zu Theoteknos vgl. Eus., h.e. VII,28,1 (Teilnehmer der ersten Synode gegen Paulus v. Samosata in Antiochien); 30,2 (Adressat des Briefes der Paulus absetzenden Synode, an der er offenbar nicht selbst teilgenommen hatte; 32,21 Ordinator des Anatolius; vgl. Le Quien, Oriens Christianus III, Paris 1740 [ND Graz 1958] 543-547. Marinus zeigt mit seiner eindeutigen Entscheidung zum Martyrium keine Spur von einem lauen oder abgeglittenen Christentum eines christlichen Soldaten, dem sein christliches Bekenntnis nicht wichtig war. Im Gegenteil. Durch den Abfall vom christlichen Glauben, der durch ein Opfer hätte unter Beweis gestellt werden müssen, hätte Marinus nicht nur sehr leicht seinen Kopf retten, sondern auch noch seine Beförderung bekommen können. Lact., MortPers 10; Eus., h.e. VIII,1. Eus., h.e. VIII,1,2.

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der großen Verfolgung im Jahre 3 0 3 werden Hof, Beamtenschaft und Militär von Christen gesäubert, wobei zunächst Soldaten noch die Möglichkeit eines freiwilligen Ausscheidens aus der Armee gegeben wurde. Gelegentlich aber kam es auch hier schon zu Martyrien 1 2 4 . Die überlieferten Märtyrerberichte bestätigen dieses Bild der Historiker, erlauben aber eine Präzisierung. Noch vor dem Beginn der Säuberungen in der Armee gehört das auf den 12. März 2 9 5 datierte und in Teveste in der Provinz Africa Proconsularis zu lokalisierende, vieldiskutierte Martyrium des Maximilian 1 2 5 . Ein junger Rekrut weigert sich, Soldat zu werden, weil dies grundsätzlich mit seinem christlichen Bekenntnis unvereinbar ist 1 2 6 und erleidet deshalb das Martyrium. Bei Maximilian wird man wirklich von /Wehrdienstverweigerung' im eigentlichen Sinn und ausschließlich aus christlichen Motiven sprechen können, wobei nicht ganz deutlich ist, ob es in erster Linie ethische oder antiheidnische Motive sind, die bei Maximilian zur Verweigerung führen 1 2 7 . Deutlich ist in der Argumentation Maximilians ein sich ausschließender Gegensatz von militare saeculo und militare D e o 1 2 8 ,

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Eus., h.e. V i l i , 4 , 2 - 4 ; Lact., MortPers 10. Zur Datierung des Beginns der antichristlichen Maßnahmen im Heer anhand der Chronik Eusebs vgl. D. Woods, JThS NS 4 3 , 1 9 9 2 , 1 2 8 - 1 3 1 ; R . W . Burgess, JThS NS 4 7 , 1 9 9 6 , 157f.

125

Musurillo X X X V I I . 2 4 4 - 2 4 9 ; Knopf/Krüger/Ruhbach 86f. Zur Datierung vgl. Acta Maximiliani 1,1 [Musurillo 2 4 4 , 2]: Tusco et Anullino consulibus IV. Idus Martii Tenesti in foro... Bei Brock, 1 9 9 4 , 1 9 5 , kann es sich bei der Datierung auf den 2 3 . Januar nur um einen Irrtum handeln; vgl. Helgeland, 1 9 7 9 , 7 7 5 777.

126

Acta Maximiliani 1 , 2 [Musurillo 2 4 4 , 8f.]: mihi non licet militare, quia Christianus sum; 1,3 [Musurillo 2 4 4 , lOf.]: Non possum militare; non possum malefacere. Christianus sum; 2,1 [Musurillo 2 4 4 , 1 6 - 2 4 6 , 1 ] : Non milito, caput mihi praecide, non milito saeculo; sed milito Deo meo.

127

1,3: non possum malefacere, vgl. 2 , 8 [Musurillo 2 4 6 , 2 4 - 2 5 ] : ego tarnen Christianus sum, et non possum mala facere; 2 , 1 0 [Musurillo 2 4 6 , 2 5 - 2 4 8 , 1]: Dion [sc. proconsul] dixit: Qui militant, quae mala faciuntf Maximilianus respondit: Tu enim scis, quae faciunt. Z u Desertionen und Formen von Wehrdienstverweigerung in der römischen Kaiserzeit s. Th. Kissel, Kriegsdienstverweigerung im römischen Heer, A W 2 7 , 1 9 9 6 , 2 8 9 - 2 9 6 (dort allerdings eine unkritische Fehlinterpretation der christlichen Soldatenmartyrien).

128

Acta Maximiliani 2,1 (vgl. Anm. 1 2 6 ) . Dieser sich ausschließende Gegensatz bildet das Grundgerüst der einigermaßen stupiden Argumentation Maximilians: 2 , 4 [Musurillo 2 4 6 , 6]: Non accipio signaculum. tarn habeo signum Christi Dei mei; 2 , 6 [Musurillo 2 4 6 , 9f.]: Non accipio signaculum saeculi [ 2 4 6 , l l f . ] : non licet mihi plumbum collo portare post signum salutare Domini mei Iesu Christi filii Dei uiui... 2 , 8 [ 2 4 6 , 19f.]: Militia mea ad Dominum meum est.

Bekenntnis u n d Militärdienst

73

der wohl auf eine jeden Staatsdienst und vermutlich überhaupt jeden Dienst in der Gesellschaft ablehnende politische Interpretation von M t 6,24 zurückzuführen ist. Mit dieser Interpretation von M t 6,24 steht Maximilian in einer rigoristischen, staats- und gesellschaftskritischen Tradition, die bis Tertullian zurückzuverfolgen und im dritten Jahrhundert eigentlich nur bei Tertullian nachweisbar ist 129 . Für den Prokonsul ist dieses Verhalten überraschend und seiner Kenntnis und Meinung nach gerade für Christen nicht typisch, wie sein doch ziemlich verwunderter Hinweis auf Christen in der Garde aller vier Kaiser deutlich macht 1 3 0 . Gegen Versuche, wegen dieses eindeutigen Traditionszusammenhanges mit Tertullian Maximilian als Montanisten zu interpretieren, hat Peter Brock zurecht jüngst eingewandt, daß eine rigoristische Haltung noch kein ausreichender Beweis für Montanismus sein kann 1 3 1 . Seine Interpretation, die in Anlehnung an die Arbeiten von Paolo Siniscaldo 13 Maximilian in eine auf Cyprian zurückgehende, für Africa typische staats- und gewaltkritische Tradition einordnen will und so in Maximilian eine authentische und repräsentative Stimme der afrikanischen Kirche sehen will, kann dagegen so nicht überzeugen 133 . Die zum Erbe des afrikanischen Montanismus gehörende rigorose Ablehnung jeder Integration der Christen in die römische Gesellschaft ist zu Beginn des vierten Jahrhunderts in Africa von der donatistischen Bewegung aufgenommen und weitergeführt worden 1 3 4 . Zumindest hinsichtlich

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130

S.u. S. 83-85. Z u Tertullians politischer Auslegung von Mt 6,24 bereite ich eine eigene Untersuchung vor. Acta Maximiliani 2,8-9 [Musurillo 2 4 6 , 1 9 - 2 3 ] : Maximiiianus respondit: Militia mea ad Dominum meum est. non possum saeculo militare, iam dixi, Christianus sum. 9. Dixit Dion proconsul: In sacro comitatu dominorum nostrorum Diocletiani et Maximiani, Constantii et Maximi, milites Christiani sunt et militant.

131

Brock, 1994. Der uns im wesentlichen durch Tertullian bekannte afrikanische Montanismus, ist allerdings durch seinen gesellschaftsablehnenden Rigorismus geradezu definiert, aber nach Tertullian für Africa nicht mehr nachweisbar; vgl. W.H.C. Frend, Montanismus, TRE XXXIII, 1994, 276.

132

Brock, 1 9 9 4 , 198 Anm. 14. Brock, 1994, 209: The ,rigid intransigence' [Siniscaldo], which the Martyr displayed in face of every effort to make him conform to the demands of the state, had emerged from a tradition within the African Church of radical, yet non-violent, opposition to the pagan empire ... In his defiance of the army authorities, Maximilian was not acting alone. He was articulating the beliefs of a significant section of at least the African Church.

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134

Frend (wie Anm. 31) 2 7 5 - 2 7 7 .

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der Acta Maximiliani ist zu fragen, ob sie in ihrer heutigen Form nicht in donatistischem Milieu beheimatet sind 1 3 5 . Die Acta Maximiliani zeigen aber noch keine Verschärfung hinsichtlich der Lage der Christen in öffentlichen Ämtern, wie der Hinweis des Prokonsuls auf Christen in der Garde aller vier Kaiser deutlich macht. Auch besondere kultische Verpflichtungen, die einem Christen den Dienst in der Armee von vornherein unmöglich gemacht hätten, sind noch nicht zu erkennen. Noch kein grundsätzlich anderes Bild, aber eine sich hinsichtlich des kultischen Hintergrundes in der Tetrarchie doch ändernde Situation, zeigen die ebenfalls nach Africa, nach Tingis im westlichen Mauretania gehörenden Acta Marcelli136. Ein Centurio Marcellus verweigert die Teilnahme am Kaiserkult anläßlich der Feier des natalis imperatoris 1 3 7 und jeden weiteren Dienst in der Armee mit der Begründung, daß sich der Militärdienst für die irdischen Kaiser und die militia Christi ausschließen 138 . Die problematische Überlieferung der beiden Rezensionen der Acta Marcelli mit vielen offenen Fragen zeigt aber deutlich, daß während der Tetrarchie die Bedeutung des Kaiserkultes besonders auch beim Militär zugenommen haben muß 1 3 9 . Als Centurio war Marcellus sicher schon länger

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Dafür würde die Tatsache sprechen, daß die Kirche Afrikas im vierten Jahrhundert mehrheitlich als donatistisch angesehen werden muß. Auch der Hinweis auf das Grab Cyprians, der hier vermutlich eine kultlegitimierende Funktion hat, verweist m.E. eher auf donatistische Kreise als Überlieferungsträger, die sich bekanntlich von Cyprian her legitimierten. Tertullian konnte als montanistischer Häretiker natürlich nicht zur Legitimation herangezogen werden. Text Harnack, 1905,117-119; Musurillo XXXVII-XXXIX. LXVIII (Lit.), 25059; Knopf/Krüger/Ruhbach 87-89. Zu Textüberlieferung der beiden Rezensionen M und Ν Musurillo XXXVIIIf. Davon abhängig die Acta Cassiani. Auch inhaltlich bieten die Acta Marcelli viele Probleme, die aber im einzelnen hier nicht zu interessieren brauchen.; vgl. Helgeland, 1979, 780-783. Acta Marcelli I Ree. M [Musurillo 250, 3f.]: Advenit natalis imperatoris. Ree. Ν lokalisiert das Ereignis in Spanien. Datierung nach Ree. N. 298. Ree. M 1,1 [Musurillo 250, 7f.]: Iesu Christo regi aeterno milito; amodo imperatoribus uestris militare desisto. 2,1 [Musurillo 250, 19-21]: ... publice clara uoce respondí me Christianum esse et sacramento buie militare non posse nisi Iesu Christo filio Dei patris omipotentem. 4,3 [Musurillo 252, 17-19]: non enim decebat Christianum hominem militiis saecularibus militare, qui Christo domino militât. Vgl. Ree. Ν 2 [Musurillo 254, 18-21]: publice et clara uoce respondí me Christianum esse confessum et sacramentum aliud militare non posse nisi soli domino Iesu Christo filio Dei omnipotentis Der während der Tetrarchie in der als Militärlager dienenden Anlage des Ammontempels in Luxor für das Militär eingerichtete Kultraum für einen tetrarchischen

Bekenntnis und Militärdienst

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Soldat und offensichtlich bisher mit den Anforderungen des Kaiserkultes nie in Konflikt gekommen 1 4 0 . Von besonderen antichristlichen Maßnahmen gegen Christen in der Armee ist sonst noch nichts zu bemerken. In engem zeitlichen Zusammenhang mit den Acta Marcelli und ebenfalls nach Africa gehören die Acta Typasii141. Im Unterschied zu den bisher behandelten Soldatenmartyrien ist zu beachten, daß es sich bei Typasius um einen Veteran handelt, der nach seiner Militärzeit als Asket gelebt hatte 1 4 2 . Wahrscheinlich im Zusammenhang der Feldzüge Maximians gegen die Mauren 2 9 7 / 9 8 1 4 3 war Typasius reaktiviert worden und hatte als Christ die Annahme eines donativum verweigert. Aber erst im Zusammenhang der Verfolgungsmaßnahmen nach 3 0 3 ist er dann Märtyrer geworden. Auch hier geht es um eine grundsätzliche Unvereinbarkeit zwischen militia saecularis und militia deo. Der Konflikt, der dann zum Martyrium führt, entsteht allerdings an der Forderung nach einem Opfer und der Zumutung, aktiv an der Zerstörung von Kirchen im Zusammenhang der antikirchlichen Maßnahmen nach 3 0 3 teilzunehmen. Ebenfalls schon in die Verfolgungszeit gehören die Acta Dasii*44 sowie die Passio Julii Veterani 4 5 . Beide Texte setzen das zweite Kaiserkult zeigt diese Tendenzen in der Tetrarchie deutlich, vgl. J.G. Deckers, Die Wandmalerei des tetrarchischen Lagerheiligtums im Ammon-Tempel von Luxor, RQS 68, 1973, 1-34; ders., Die Wandmalerei im Kaiserkultraum von Luxor, Jdl 94, 1979, 600-652. 140

Die behauptete Ausschließlichkeit von Militärdienst und Christusbekenntnis scheint mir deshalb hier in der offenbar neuen Qualität und Quantität des geforderten Kaiserkultes begründet zu sein. In den beiden überlieferten Textformen verschleiern die Acta Marcelli das eigentliche Problem. Ganz deutlich ist, daß der Anlaß zum Konflikt im geforderten Kaiserkult liegt, den der Centurio Marcellus (immerhin ein Berufssoldat) verweigert. Die Acta sehen in der überlieferten Form den Militärdienst grundsätzlich als mit dem christlichen Bekenntnis unvereinbar an. Hier scheint mir eine inhaltliche Spannung vorzuliegen, die so nicht historisch sein kann, sondern dem Milieu der Verfasser der Acta und ihren Tradenten zuzurechnen ist. Der postulierte grundsätzliche Widerspruch von weltlichem Dienst und Dienst an Gott, den Marcellus selbst ja ganz offensichtlich bis zum Ausbruch des Konfliktes nicht empfunden hatte, könnte angesichts der afrikanischen Herkunft der Acta wiederum auf ein donatistisches Herkunftsmilieu hinweisen.

141

AB XI, 1890, 116-123; Helgeland, 1979, 785-787. Eine frühe vorkonstantinische Parallele zu Martin von Tours. Kienast (wie Anm. 49) 269. Musurillo XLf. 272-279; Knopf/Krüger/Ruhbach 91-95; vgl. Helgeland, 1979, 783f. Harnack, 1905, 119-121; Musurillo X X X I X . 260-265; Knopf/Krüger/Ruhbach 105f.; vgl. Helgeland, 1979, 287-289.

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Opferedikt von 304 voraus 146 . Als Christ lehnt Dasius eine besondere kultische Rolle bei einem - sonst unbekannten - Saturnfest 147 ab. Der auch inhaltlich mit vielen Problemen belastete Text des Martyriums des Dasius ist in der heute vorliegenden Form nicht vor Ende des vierten Jahrhunderts zu datieren 148 . Im Verlauf des Prozesses verweigert sich Dasius dem Kaiserkult und jedem weiteren Militärdienst für die Kaiser. Wegen Verweigerung des Kaiserkultes wird er zum Tode verurteilt und hingerichtet 149 . Das Martyrium des Dasius zeigt schon die neue Situation der tetrarchischen Zeit. Ganz offensichtlich ist, daß die kultische Komponente des Militärdienstes seit Beginn der Herrschaft Diokletians und dann seiner Mitkaiser eine neue Bedeutung und neues Gewicht gewonnen hatte 150 . Besonders deutlich wird die außerordentlich verschärfte Situation für christliche Soldaten zu Beginn des vierten Jahrhunderts in der ebenfalls aus der Verfolgungszeit stammenden Passio Juli Veterani, die in Durostorum in Moesia lokalisiert ist und allgemein in der Forschung auf 304 datiert wird 151 . Auch hier geht es um die Verweigerung eines Opferbefehls 152 . Die Passio Iuli zeigt nun ganz eindeutig, daß

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Musurillo X X X I X f .

147

St. Weinstock, Saturnalien und Neujahrsfest in den Märtyrerberichten, in: A. Stuiber/A. Hermann (Hg.), Mullus, Festschrift Theodor Klauser, J A C . E 1, 1 9 6 4 , 391-400.

148

Besonders anachronistisch für die Zeit der Verfolgung ist das Bekenntnis zur neunizänischen Trinitätslehre im Mund des Soldaten Dasius, M a r t Dasii 8 , 2 [Musurillo 2 7 6 , 1 8 - 2 4 ] : εγώ Χριστιανού εΤναι εμαυτόυ ομολογώ, καθώς ττλειστάκις ώμολόγησα, και ούδενί δλλω έττακούω ei μή μόνου évi άχράυτω καί αϊωνίω θεώ, ττατρί καί υϊώ καί άγίω ττυεύματι έυ τρισί μεν όνόμασι και ύποστάσεσιν, έν μια δε ούσία. ήδη τρίτη φωνή ομολογώ την ττίστιν της άγιας τρίαδος. MartDasii 6 - 8 . '

149 150

W . Seston, Diocletian, R A C III, 1 9 5 7 , 1 0 3 6 - 1 0 5 3 , hier vor allem 1 0 4 8 f . ; F. Kolb, Diokletian und die erste Tetrarchie, Berlin 1 9 8 7 ; vgl. auch die umfangreiche neueste Bestandsaufnahme ,La Tétrarchie ( 3 9 3 - 3 1 2 ) histoire et archéologie', Antiquité tardive 2, 1 9 9 4 ; 3, 1 9 9 5 .

151

Passlulian 1,1 [Musurillo 2 6 0 , 2f.]: Tempore perscutionis, quando gloriosa certamina fidelibus oblata perpetua promissa expectabant accipere, tune comprehensus Iulius,... Z u Überrlieferung und Datierung vgl. Musurillo X X X I X . LXVIII Anm. 4 6 .

152

Passlulian 1,4 [Musurillo 2 6 0 , 1 0 - 1 3 ] : praeses dixit: Numquid ignoras praeeepta regum, qui iubent immolare diis? Iulius respondit: Non ignoro quidem; sed ego Christianus sum et hoc facere non possum quod uis. nec enim me oportet Deum meum uerum et uiuum obliuisci. Interessant auch das völlige Unverständnis für diese Verweigerungshaltung bei dem Praeses Maximus; vgl. 2,1 [Musurillo 2 6 0 , 14f.[: Quid enim graue est turificare et abire?

Bekenntnis und Militärdienst

77

mit der Herrschaft Diokletians und der Tetrarchie wirklich für christliche Soldaten eine völlig neue Lage gegeben war. Julius verweist nämlich darauf, daß er siebenundzwanzig J a h r e in der Armee als Christ gedient, in dieser Zeit an sieben Feldzügen teilgenommen hatte und man von ihm in all diesen Jahren noch nie ein Opfer verlangt hatte 1 5 3 . In Übereinstimmung mit der übrigen christlichen literarischen Überlieferung bis an die Wende zum vierten Jahrhundert zeigen die Soldatenmartyrien des dritten Jahrhunderts und der Tetrarchenzeit, daß es offenbar an vielen Garnisonsstandorten im ganzen römischen Reich christliche Soldaten gegeben hat, die auch als Soldaten ganz bewußt Christen waren und sein wollten. Wie auch die christlichen Inhaber aller anderen öffentlichen Ämter waren sie in besonderer Weise bis zum Ende der Verfolgungen von der unsicheren Rechtslage der Christen überhaupt betroffen. Bei den jederzeit möglichen M a ß n a h m e n gegen Christen waren sie immer in besonderer Weise gefährdet, besonders natürlich bei den großen Verfolgungen des dritten und frühen vierten Jahrhunderts. Deutlich aber ist, daß in ruhigen Zeiten, besonders von der Herrschaft des Gallienus an bis weit in die Tetrarchenzeit hinein, Christen in der Armee durchaus Karriere machen konnten. Obwohl ihr christliches Bekenntnis bekannt w a r 1 5 4 , wurden sie als Christen in der Armee akzeptiert. Grundsätzlich scheinen kultische Verpflichtungen - und das betrifft auch den Kaiserkult - beim Militär bis in die tetrarchische Zeit längst nicht den Stellenwert gehabt zu haben, den die Forschung bisher meist angenommen hat 1 5 5 . Das in der Zeit der Herrschaft des Kaiser Gallienus Anfang der sechziger Jahre des dritten Jahrhunderts zu datierende Martyrium des Marinus macht aber deutlich, daß trotz dieser grundsätzlichen Anerkennung von Christen im Militär bei einer offiziell eingereichten Anzeige gegen einen Soldaten als Christ das übliche Christenverfahren ablief, das im Normalfall mit dem Martyrium endete. Die immer wieder bezeugte Bereitschaft, im Konfliktfall das Martyrium auf sich zu nehmen, läßt nicht

153

Passlulian 2,1 f.

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Das zeigen besonders eindrucksvoll die Acta Maximiliani. Von daher hat Euseb recht, wenn er h.e. VIII,1 betont, wieviele Christen in allen öffentlichen Ämtern es gab.

155

M . Clauss, Heerwesen, RAC XIII, 1 9 8 6 , 1 0 7 3 - 1 1 1 3 ; J. Helgeland, Roman Armee Religion, A N R W II 16, 2, 1 9 7 8 , 1 4 7 0 - 1 5 0 5 ; J.H. Jung, Die Rechtsstellung der römischen Soldaten: Ihre Entwicklung von den Anfängen Roms bis auf Diokletian, A N R W II 14, 1 9 8 2 , 8 8 2 - 1 0 1 3 .

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den Schluß zu, christliche Soldaten grundsätzlich als lauer oder ihrer heidnischen Umwelt stärker verhaftet als andere Christen anzusehen. Auch in den christlichen Gemeinden scheinen christliche Soldaten als Gemeindeglieder im allgemeinen akzeptiert gewesen zu sein 1 5 6 , aber der Fall des Rekruten Maximilian zeigt, daß es auch Christen gegeben hat, für die der Militärdienst grundsätzlich mit ihrem christlichen Bekenntnis unvereinbar war, ohne daß wir diese Haltung einer speziellen rigorosen Gruppe oder gar Abspaltung zuordnen können. Aber die Auffassung einer grundsätzlichen Unvereinbarkeit von christlichem Bekenntnis und Militärdienst muß in den christlichen Gemeinden eher als Ausnahme gelten 157 . Auch die als Soldaten zu Märtyrern gewordenen Christen sind wie alle anderen Märtyrer auch kultisch verehrt worden, wie die Überlieferung der Martyrien zeigt. Es gibt keinen Hinweis darauf, daß in der Märtyrerverehrung die frühere militärische Laufbahn des Märtyrers in irgendeiner Weise negativ beurteilt worden wäre. Die Tatsache, daß sie bis zu ihrem Martyrium Soldaten waren, galt nie als Abfall vom Glauben oder auch als ethischer Defekt, der erst durch das Martyrium beseitigt worden wäre, sondern wird ganz neutral wie jede andere Berufsangabe berichtet. Im Rahmen der Umorientierung und Verschärfung der Religionspolitik der tetrarchischen Herrscher 1 5 8 ist seit dem Ende der neun156

157

158

Vgl. die Rolle des Bischof Theotecnus von Caesarea im Zusammenhang des Martyriums des Marinus, s.o. S. 70f. Auffällig ist allerdings, daß bei den Märtyrerakten, bei denen der zum Martyrium führende Konflikt eindeutig in den verschärften kultischen Anforderungen der Tetrarchenzeit begründet war, dann auch ein grundsätzlicher Widerspruch zwischen Militärdienst und christlichem Bekenntnis behauptet wird. Nicht beantwortet werden kann im Rahmen dieser Untersuchung die Frage, inwieweit diese Zuspitzung, die eigentlich jeden Militärdienst als unvereinbar mit dem christlichen Glauben ansieht und eigentlich in einem gewissen Widerspruch zu den berichteten Fällen steht (bes. Julius), sondern in erster Linie den Verfassern oder Redaktoren dieser Martyrien zuzuweisen ist, die in die Zeit nach der Verfolgung datiert werden müssen, auf bestimmte, zur Reichskirchenpolitik seit Konstantin in Opposition stehende Kreise wie z.B. Donatisten oder bestimmte asketische oder monastische Gruppen zurückgeht. Sulpicius Severus wäre mit seinem Bild Martins, das bekanntlich eine enorme Prägekraft gehabt hat, ein Beispiel der theodosianischen und nachtheodosianischen Zeit für eine solche, dem Militärdienst eher ablehnend gegenüberstehende Sicht. Zu Konstantius Chlorus, der schon den christlichen Zeitgenossen nicht als Verfolger galt und sich in mancher Hinsicht ideologisch, und das heißt in diesem Zusammenhang auch hinsichtlich seiner kultischen Orientierung von der tetrarchischen Ordnung und Ideologie distanziert hatte, vgl. J . Moreau, J A C 2 , 1 9 5 9 , 158-160.

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ziger Jahre eine deutliche Neugewichtung der kultischen Komponenten im Militär feststellbar, in deren Folge christliche Soldaten eher mit den offenbar als neu und ungewöhnlich empfundenen kultischen Forderungen in der Armee in Konflikt geraten konnten und mußten. Die Teilnahme an heidnischem Kult war auch für christliche Soldaten als Abfall vom christlichen Glauben undenkbar. Dennoch hat es auch noch nach den Säuberungen des Hofes, Beamtenapparates und Militärs von Christen, die etwa 298/99 begonnen haben müssen 159 , und während der Verfolgungen seit 303 christliche Soldaten gegeben 1 6 0 . So gesehen hat die , Wende' unter Konstantin hinsichtlich der Möglichkeiten für Christen, als Soldaten zu dienen, eigentlich nichts Neues gebracht, wenn auch sich die Akzente natürlich verschieben und christliche Soldaten immer selbstverständlicher werden 1 6 1 . Die konstantinische Wende ist auch in dieser Frage nicht die große Wende, wie besonders protestantische Theologie gerne annimmt. Aus dieser langen Tradition eines christlichen Soldatentums ist can. III von Arles, der christlichen Soldaten unter Androhung der Exkommunikation das Desertieren in Friedenszeiten verbietet, leichter zu verstehen 162 .

IV Es bleibt die Frage, wie sich angesichts dieses unbezweifelbaren Befundes eines christlichen Soldatentums in vorkonstantinischer Zeit die christlichen Theologen und Bischöfe, die Kirche überhaupt ver159

Vgl. Anm. 124.

160

Julius Eugenius ist wohl im Rahmen dieser Säuberungen aus dem Beamtenapparat als Christ ausgeschieden und dann später Bischof von Lykopolis geworden; vgl. W. Wischmeyer, M. Iulius Eugenius. Eine Fallstudie zum Thema >Christen und Gesellschaft im 3. und 4. Jahrhunderts Z N W 81, 1990, 2 2 5 - 2 4 6 .

161

Eus., v.C. 11,33 überliefert ein Gesetz Konstantins zur Rehabilitierung der christlichen Soldaten, die während der Verfolgungszeit - vor allem sicher während der Herrschaft Maximins - ihren militärischen Rang verloren hatten. Can. III [ed. Munier, CChr.SL 148 A, 9 , 1 lf.]: De his qui arma proiciunt in pace, placuit abstineri eos a commutiione. (vgl. auch J. Gaudemet, Conciles Gaulois du IVe siècle, SC 2 4 1 , Paris 1977, 48f. [mit Kommentar!]. Zur Interpretation vgl. Wischmeyer (wie Anm. 44) 39f. Zu den hier nicht im einzelnen untersuchten Inschriften, die in vorkonstantinischer Zeit christliche Soldaten bezeugen, und die die literarische Überlieferung im Prinzip bestätigen, vgl. Helgeland, 1979, 7 9 1 - 7 9 3 ; Wischmeyer, ebd., 37f.

162

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halten hat. Da das Neue Testament offenbar mit christlichen Soldaten rechnet, ist es nicht so erstaunlich, wie es auf den ersten Blick vielleicht erscheinen könnte, daß die frühchristliche theologische Literatur dieses Thema zunächst nicht reflektiert. Abgesehen von kritischen Stimmen in der apokalyptischen Tradition gilt in Aufnahme von Rom 13 der Staat, und das ist dann eigentlich ausschließlich das Imperium Romanum, in Anknüpfung an die Traditionen und Lebensformen des hellenistischen Judentums, als die von Gott gegebene und deshalb akzeptierte Obrigkeit, wie die Gebete für das Reich und seine Herrscher zeigen 1 6 3 . Der vermutlich am Ende des zweiten Jahrhunderts zu datierende Diognetbrief 1 6 4 steht einerseits deutlich in dieser aus dem hellenistischen Judentum kommenden obrigkeitsbejahenden Tradition, zeigt andererseits aber auch die schon das Neue Testament bestimmende Spannung von gesellschaftlicher Integration und Distanz deutlich: Die Christen sind Bürger und unterscheiden sich in keiner Weise von den anderen Bürgern, aber sie sind gleichzeitig Fremdlinge 1 6 5 . Dieses apologetische Anliegen muß auch der uns nur durch einige Notizen bei Euseb 1 6 6 bekannte Apolinarios von Hierapolis, dessen Apologie sonst verloren ist, vertreten haben. Für ihn beweist das die römischen Truppen in höchster Gefahr rettende Gebet der christlichen Soldaten die positive Einstellung der Christen zu diesem Imperium Romanum und zu seinen Kaisern. Es kann trotz der fragmentarischen Überlieferung sinnvollerweise kein Zweifel daran bestehen, daß der Bischof von Hierapolis in der zweiten Hälfte des zweiten Jahrhunderts den Militärdienst von Christen in der römischen Armee grundsätzlich bejaht hat. Obwohl die apologetische Literatur des zweiten Jahrhunderts zeigen will, daß die Christen loyale Bürger des Römischen Reiches sind, gibt es aus dieser Literatur, von der allerdings nur ein Bruchteil erhalten ist, keine andere in dieser Weise eindeutig positive Stellungnahme zur Teilnahme von Christen am Militärdienst. Tatian, der als Schüler Justins gilt, aber jeder gesellschaftlichen Integration der Christen in die kaiserzeitliche römische Gesellschaft außerordentlich

163 164

165 166

Vgl. o. S. 47-56. CPG I 1112, ed. K. Wengst, Schriften des Urchristentums II, Darmstadt 1984, 312-341. Zur Datierung vgl. Wengst, I.e. 305-309. Diog., 5,1-10. S.o. Anm. 62.

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kritisch, sogar ablehnend gegenüberstand 167 , wird man dennoch nicht als Vertreter einer grundsätzlichen Unvereinbarkeit von christlichem Bekenntnis und Militärdienst ansehen können. Bei der in diesem Zusammenhang viel verhandelten Aussage Orat X I , 2 geht es eben nicht um die Frage, ob ein Christ Soldat sein darf: Herrschen will ich nicht, nach Reichtum strebe ich nicht, militärische Würden lehne ich ab, Unzucht ist mir verhaßt, aufs Meer treibt mich kein unersättlicher Hunger nach Gold, um Siegeskränze kämpfe ich nicht, vom Wahnsinn der Ruhmsucht bin ich frei, den Tod verachte ich, über jede Krankheit bin ich erhaben, kein Leid verzehrt meine Seele. 168

Allein die ,barbarische' Philosophie des Christentums ist wahre Philosophie 1 6 9 , nur sie führt wirklich zur Apatheia. Die angebliche Apatheia der heidnischen Philosophen ist verlogen. Als christlicher Philosoph lehnt Tatian hier jede Ruhmsucht im Rahmen einer zwar aus dem mittleren Piatonismus kommenden, aber christlich interpretierten Affektenlehre ab. Folgerungen zu Tatians Haltung in der Frage, ob ein Christ Militärdienst leisten darf, wird man aus diesem Text nicht ziehen können. In seiner Apologie hat Tertullian sich noch nicht theologisch mit der Frage des Militärdienstes von Christen auseinandergesetzt. Die Existenz christlicher Soldaten im römischen Heer ist für ihn der Beweis für die positive Einstellung der Christen zum römischen Reich. Die Christen unterscheiden sich in keiner Weise von ihren Mitbürgern, mit denen sie gemeinsam leben. Nur die heidnischen Kulte werden abgelehnt 1 7 0 . Die Welt wird als gute Gabe Gottes gewertet, die die Christen nutzen und für die sie Gott danken 1 7 1 . Die Maßnahmen gegen die Christen, die nach Auffassung Tertullians nicht nur unsinnig und in sich unlogisch sind, sondern außerdem auch nur von auch bei den heidnischen Römern als böse angesehenen Kaisern durchge-

167

T a t . , O r a t 1 8 ; Iren., Haer 1,28,1 (Tatian als Enkratit); Eus., h.e. I V , 1 6 , 7 ; 2 9 , 1 (Tatian als Schüler Justins).

168

T a t . , O r a t 1 1 , 1 [Marcovich 2 6 ] : βασιλεύειν où θέλω, πλουτείν οϋ βούλομαι, την στρατηγίαν τταρήτημαι, ττορνείαν μεμίσηκα, ναυτίλλεσθαι δια την άττληστίαν ούκ έτπτηδεύω, στεφάνους εχειν ούκ αγωνίζομαι, δοξομανίας άττήλλαγμαι, θανάτου καταφρονώ, νόσου τταντοδαττήζ àvcimpos γίνομαι, λύπη μου την ψυχήν ούκ άναλίσκει.

U 9

Tat., Orat 42.

170

Tert., Apol 3 0 - 3 2 .

171

Tert., Apol 4 2 , 2 f . ; s.o. S. 6 4 - 6 6 .

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führt wurden, sind falsch und ein Irrtum 172 . Um dies zu beweisen, verweist Tertullian darauf, daß durch das Gebet der christlichen Soldaten das Heer Marc Aurels gerettet wurde 173 . In der Apologie sieht Tertullian in einem christlichen Soldatenstand noch keine Probleme. Als sichtbares Zeichen der Verantwortung der Christen für die Gesellschaft bejaht er, daß auch Christen im Staat Verantwortung tragen, und dazu gehört eben auch der Militärdienst. Mit der sicher nicht plötzlichen Hinwendung zum Montanismus, die bei Tertullian auch als ethische Radikalisierung hinsichtlich der von ihm nun abgelehnten Integration der Christen in die römische Gesellschaft verstanden werden muß, verändert sich auch seine Auffassung hinsichtlich der Möglichkeiten für einen Christen, im Militär zu dienen. Deshalb ganz anders dann derselbe Tertullian etwa ein Jahrzehnt später in Idol 19 1 7 4 . Die hier erstmals in der christlichen Literatur theologisch reflektierte und behandelte Frage nach der Möglichkeit des Militärdienstes für Christen in der Armee des Imperium Romanum wird von Tertullian im Zusammenhang der Frage nach dem mit dem Militärdienst verbundenen heidnischen Kult behandelt. Ob ein Christ überhaupt ein öffentliches Amt in der Gesellschaft ausüben darf, entscheidet sich nach Tertullian in erster Linie danach, ob dieses Amt mit der Ausübung des öffentlichen Kultes verbunden ist. Der Dienst in der Armee ist für Tertullian hier nur ein Aspekt der öffentlichen Ämter überhaupt und nicht speziell inhaltlich militärisch im modernen Sinne dieses Begriffes definiert. In Kap. 17f. fragt Tertullian, ob man als Christ überhaupt ein öffentliches Amt ausüben darf 175 . Grundsätzlich ist Tertullian der Auffassung, daß ein Christ ein öffentliches Amt durchaus ausüben könnte, wenn es ihm

172Tert.,

Apol 1-5.

173

Tert., Apol 5 , 6 ; vgl. o. S. 5 7 - 6 2 . 6 5 . Da Tertullian nicht von Apolinarius von Hierapolis abhängig ist, muß die christliche Deutung des Regenwunders um 2 0 0 also in christlichen Gemeinden weit verbreitet gewesen sein.

174

Vgl. Anm. 9 3 ; Harnack, 1 9 0 5 , 5 9 - 6 1 ; Hornus, 1 9 6 3 , 1 2 0 ; Klein 1 9 6 8 , 1 0 3 - 1 2 4 ; Rordorf, 1 9 6 9 , 1 0 7 - 1 1 1 ; Gero, 1 9 7 0 ; Helgeland, 1 9 7 9 , 7 3 5 - 7 4 4 ; Swift, 1 9 7 9 , 8 4 6 - 8 5 1 ; Kommentar zur Stelle Waszink/van Winden 2 6 6 - 2 7 4 . Für Tertullians Beurteilung eines christlichen Soldatenstandes ist nicht heranzuziehen Pali 5 , 4 , da es dort um die Ablehnung aller gesellschaftlichen Würden und um das Ideal einer selbstbestimmten vita philosophica geht; vgl. Gero, 1 9 7 0 ; Klein, 1 9 6 8 , 94f.

175

Tert., Idol 1 7 , 2 [Waszink/van Winden 5 6 , 7 - 9 ] : Hinc proxime dispitatio aborta est, an servus dei alicuius dignitatis aut potestatis administrationem capiat, si ab omni specie idolatriae intactum se aut gratia aliqua aut astutia etiam praestare possit, ...

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gelänge, jeden Kontakt mit Opfern und den anderen Elementen des mit öffentlichen Ämtern im römischen Reich der Kaiserzeit geradezu konstitutiv verbundenen Kultbetriebes zu meiden, wie das Joseph in Ägypten und Daniel in Babylon gelungen war 1 7 6 . Allerdings ist diese Möglichkeit für Tertullian unter den Bedingungen des Imperium Romanum seiner Gegenwart eher theoretisch . In der Realität ist für Tertullian die Ausübung eines öffentlichen Amtes für einen Christen nicht erlaubt 1 7 8 . Daß der afrikanische Theologe in dieser Frage nicht als repräsentativ für die Kirche an der Wende zum dritten Jahrhundert gelten kann, sondern eher eine radikale Außenseiterposition einnimmt, ist allerdings offensichtlich. Die Frage, ob ein Christ Soldat sein kann, entwickelt Tertullian dann im 19. Kapitel auf der Basis dieser grundsätzlichen Überlegungen von Kapitel 1 7 f . 1 7 9 In Anknüpfung an die Fragestellung von Kapitel 17f. geht es Tertullian hier zunächst um die Offiziersränge, die unter Umständen zu opfern und Todesurteile zu fällen hatten. Für sie gilt dasselbe wie für andere Inhaber öffentlicher Ämter. Anschließend fragt Tertullian, wie es sich mit den unteren militärischen Rängen verhalte, die nicht selbst opfern mußten und auch keine Todesurteile zu fällen hatten 1 8 0 . Von einer politischen Interpretation von M t 6,24/ Lk 16,13 her, die in der frühen Auslegungstradition in dieser Form ohne Parallele ist, lehnt Tertullian Militärdienst für Christen grundsätzlich ab, ohne noch auf die von ihm selbst eingeführte Differenzierung zwischen Soldaten, die Christen werden wollen, und Christen, die als Christen Soldaten werden wollen, weiter einzugehen 181 . Im Lich-

176 177

178

179

180

181

T e n . , Idol 17,2. Tert., Idol 17,3 [Waszink/van Winden 56,12-58,19]: Cedamus itaque alicui posse, ut....si haec credibile est fieri posse.

succedere

Tert., Idol 18,8 [Waszink/van Winden 60,45f.]: ...omttes huius saeculi potestates et dignitates non solum alienas, verum et inimicas dei esse... Tert., Idol 19,1 [Waszink/van Winden 60,51-62,1): Posset in isto capitulo etiam de militia definitum videri, quae inter dignitatem et potestatem est. Tert., Idol 19,1 [Waszink/van Winden 62,1-3]: At nunc de isto quaeritur, an fidelis ad militiam converti possit et an militia ad fidem admitti... Schwierig ist in diesem Zusammenhang die Bedeutung von quaeritur. Rordorf, 1969, 108, sieht hier einen Hinweis auf eine innerchristliche Diskussion, Waszink/van Winden, 2 6 7 , nur einen Hinweis auf den Diskussionsfortschritt innerhalb der Argumentation Tertullians. Wegen 17,2: Hinc proxime disputatio oborta est möchte ich mich hier Rordorf anschließen. Tert., Idol 19,2 [Waszink/van Winden 62,4-7]: Non convenit sacramento divino et humano, signo Christi et signo diaboli, castris lucis et castris tenebrarum; non potest una anima duobus deberi, deo et Caesari.

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te dieser politischen Auslegung von M t 6,24/ Lk 16,13 ist eigentlich jede Übernahme eines Amtes in der Gesellschaft, jede Übernahme von Verantwortung für die Gesellschaft, im Grunde unabhängig davon, ob damit kultische Pflichten verbunden sind, für Christen durch eine autoritative Weisung Jesu verboten. Mit dem Herrenwort M t 26,52 an Petrus sind auch alle angeblich biblischen Begründungen für den Militärdienst aufgehoben. Weder Mose, Aaron oder Josua, noch die Tatsache, daß Johannes Soldaten gepredigt hatte (Lk 3,14) und der Centurio von Kapernaum zum Glauben gekommen waren, können die Teilnahme von Christen am Militärdienst begründen 1 8 2 . Tertullians Versuch, eine innerchristliche Diskussion radikal zu beenden, in der offensichtlich auch versucht wurde, mit biblischen Argumenten die Möglichkeit des Militärdienstes für Christen zu rechtfertigen, ist am Ende genauso gescheitert wie seine Forderung einer grundsätzlichen Unvereinbarkeit jeden öffentlichen Amtes mit dem Bekenntnis zu Christus. Eine gewisse Modifizierung der radikalen Haltung Tertullians in de idolatria zeigt die in die montanistische Zeit Tertullians zu datierende einzige frühchristliche monographische Behandlung des Themas de corona militis183. Wie schon in de idolatria geht es bei der Frage, ob Christen Soldaten sein dürfen, in erster Linie um die Frage der kultischen Aspekte des Militärdienstes. Ist beim Militär eine Berührung mit dem heidnischen offiziellen Staatskult möglich, dessen Teilnahme für einen Christen Abfall vom Glauben bedeutet? Kap. 1 schildert, wie ein christlicher Soldat sich anläßlich eines donativums geweigert hatte, den üblichen Kranz zu tragen und deshalb als Christ das Martyrium erlitten hatte 1 8 4 . Allerdings war dabei deutlich geworden, daß die Mehrheit der christlichen Soldaten das Tragen des Kranzes in dieser Situation nicht als Teilnahme an einem kultischen Akt ansah, sondern einfach als Zeichen der Loyalität. Und Tertullian, der sich inzwischen von der karthagischen Gemeinde getrennt hatte und Montanist geworden war, für den das Tragen eines Kranzes eindeutig Idolatrie und damit Abfall vom

182

Tert., Idol 19,2f. Mit Rordorf, 1 9 6 9 , 1 0 8 , bin ich der Auffassung, daß Tertullian hier gezielt christliche Argumente für die Teilnahme von Christen am Militärdienst mit M t 2 6 , 5 2 widerlegen will. An diesem Punkt hat sich die Argumentation gegenüber Kap. 17f. nicht unerheblich verschoben.

183

S.o. S. 66-68. Literatur wie Anm. 174 und der umfangreichen Kommentar der Ausgabe Fontaines. Zur Situation von Kap. 1 s.o. S. 66f.

184

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Glauben ist 1 8 5 , sieht diese in seinen Augen laxe Auffassung überhaupt in der Kirche verbreitet 186 . Coron 11 geht Tertullian in Anknüpfung an seine Argumentation von Idol 19 grundsätzlich auf die Frage ein, ob überhaupt ein Christ Soldat werden sollte 187 . Wieder argumentiert Tertullian von einer politischen Auslegung von Mt 6,24 in Verbindung mit Mt 26,52 her 1 8 8 . Militärdienst ist grundsätzlich Abfall vom Glauben 1 8 9 . Aber Tertullian nimmt nun die Idol 19 angesprochene, aber nicht durchgeführte Differenzierung auf: Undenkbar ist für ihn, daß ein getaufter Christ freiwillig Soldat wird. Das ist für ihn selbstverständlich und wird nicht mehr eigens erwähnt. Anders verhält es sich, wenn ein Soldat als Soldat zum christlichen Glauben kommt 1 9 0 . Allerdings verlangt Tertullian, daß ein Christ gewordener Soldat die Armee so schnell als möglich verlassen soll, wenn dies aber nicht möglich sei, jede Kultteilnahme vermeiden und im Konfliktfall zum Martyrium bereit sein muß 1 9 1 . Bei aller Ablehnung des Militärdienstes für Christen geht Tertullian eben doch davon aus, daß es christliche Soldaten gibt, und versucht in de corona, diese Situation zu akzeptieren. Wenn es schon christliche Soldaten gibt, dann aber dürfen sie auf keinen Fall auch nur in

185

Tert., Coron 1,6 [CChr. SL II 1041,34-43]: At nunc, quatinus et illud opponunt: >Ubi autem prohibemur coronari?