Die Weltlichkeit des Glaubens in der Alten Kirche 3110154412

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Die Weltlichkeit des Glaubens in der Alten Kirche
 3110154412

Table of contents :
Widmung V
Grußwort Joseph Cardinal Ratzinger IX
BARBARA ALAND
Die frühe Gnosis zwischen platonischem und christlichem Glauben.
Kosmosfrömmigkeit versus Erlösungstheologie ι
KARIN ALT
Glaube, Wahrheit, Liebe, Hoffnung bei Porphyrios 25
HANNS CHRISTOF BRENNECKE
,Αη fidelis ad militiam converti possit'? [Tertullian, de idolatria 19,1]
Frühchristliches Bekenntnis und Militärdienst im Widerspruch? 45
WILHELM GEERLINGS
Das Verständnis von Gesetz
im Galaterbriefkommentar des Ambrosiaster 101
MARTIN GEORGE
Vergöttlichung des Menschen. Von der platonischen Philosophie zur
Soteriologie der griechischen Kirchenväter 115
CHRISTOPH MARKSCHIES
Wann endet das .Konstantinische Zeitalter'?
Eine Jenaer Antrittsvorlesung 157
GERHARD MAY
Marcions Genesisauslegung und die „Antithesen" 189
ROLF NOORMANN
Himmelsbürger auf Erden. Anmerkungen zum Weltverhältnis
und zum „Raulinismus" des Auetor ad Diognetum 199
ERIC OSBORN
Tertullian as Philosopher and Roman 231
ECKHARD PLÜMACHER
Der ΘΕΟΣ ΑΦΘΟΝΟΣ von Acta Iohannis 55 und
sein historischer Kontext 249
ADOLF MARTIN RITTER
Ulrich Wickert, Wolfhart Pannenberg und das Problem
der „Hellenisierung des Christentums" 303
WALTER SCHMITHALS
Der Hebräerbrief als Paulusbrief. Beobachtungen zur Kanonbildung . . 319
CHRISTOPHER STEAD
Augustine, the Meno and the subconscious mind 339
HANS GEORG THÜMMEL
Logos und Hypostasis 347
JOHANNES WIRSCHING
Menschwerdung. Von der wahren Gestalt des Göttlichen 399
DIETMAR WYKWA
Kosmos und Heilsgeschichte bei Irenäus von Lyon 443

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Die Weltlichkeit des Glaubens in der Alten Kirche Festschrift für Ulrich Wickert

W G DE

Beihefte zur Zeitschrift für die neutestamentliche Wissenschaft und die Kunde der älteren Kirche

Herausgegeben von Erich Gräßer

Band 85

Walter de Gruyter · Berlin · New York 1997

Die Weltlichkeit des Glaubens in der Alten Kirche Festschrift für Ulrich Wickert zum siebzigsten Geburtstag In Verbindung mit Barbara Aland und Christoph Schäublin herausgegeben von Dietmar Wyrwa

Walter de Gruyter · Berlin · New York 1997

© Gedruckt auf säurefreiem Papier, das die US-ANSI-Norm über Haltbarkeit erfüllt.

Die Deutsche Bibliothek — CIP-Einheitsaufnahme [Zeitschrift für die neutestamentliche Wissenschaft und die Kunde der älteren Kirche / Beihefte] Beihefte zur Zeitschrift für die neutestamentliche Wissenschaft und die Kunde der älteren Kirche. - Berlin ; New York : de Gruyter. Früher Schriftenreihe Reihe Beihefte zu: Zeitschrift fur die neutestamentliche Wissenschaft und die Kunde der älteren Kirche NE: HST Bd. 85. Die Weltlichkeit des Glaubens in der Alten Kirche. - 1997 Die Weltlichkeit des Glaubens in der Alten Kirche : Festschrift für Ulrich Wickert zum siebzigsten Geburtstag / in Verbindung mit ... hrsg. von Dietmar Wyrwa. - Berlin ; New York : de Gruyter, 1997 (Beihefte zur Zeitschrift für die neutestamentliche Wissenschaft und die Kunde der älteren Kirche ; Bd. 85) ISBN 3-11-015441-2 NE: Wyrwa, Dietmar [Hrsg.]

ISSN 0171-6441 © Copyright 1997 by Walter de Gruyter & Co., D-10785 Berlin Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Printed in Germany Druck: Werner Hildebrand, Berlin Buchbinderische Verarbeitung: Lüderitz & Bauer-GmbH, Berlin

Hochverehrter Jubilar, lieber Herr Wickert ! Zu Ihrem 70. Geburtstag, den Sie am 4. Februar 1997 begehen, möchten Kollegen, Freunde und Schüler mit dieser Festschrift stellvertretend für viele andere - Ihnen ihre persönliche Verbundenheit, ihren herzlichen Dank und ihre aufrichtige Hochachtung bezeugen. Es möchte dies ein Reflex dessen sein, daß Sie in Ihrem akademischen Wirken und in Ihren Veröffentlichungen, in vielfältigen Kontakten und Gesprächen Anstöße und Wegweisungen gegeben haben, die frei von gängigen Konventionen oder Moden im Wissen um die geschichtlichen Konkretionen des theologischen Erbes weit über die Tagesarbeit des Universitätsbetriebes hinausreichen. Sie haben Ihre historische Arbeit, die in ihrer großzügigen Weiträumigkeit ebenso von methodischer Unbestechlichkeit und philologischer Subtilität wie von echter Paideia geprägt ist, stets eingebunden gewußt in den ökumenischen Dialog und in die lebendige Verpflichtung gegenüber dem Dienst an der Kirche, und Sie haben dieser Überzeugung in unbeirrbarer geistlicher Verantwortung für die kirchlichen Belange engagiert stattgegeben. Von solcher Spannbreite werden sich hier wohl nur Spuren finden. Aus verlegerischen Rücksichten schien es geboten, einen Schwerpunkt zu setzen, und so versammeln sich die Ihnen hier dargebrachten Gaben unter dem Titel: „Die Weltlichkeit des Glaubens in der Alten Kirche". Sie selbst haben den hier dankbar aufgenommenen Begriff der „Weltlichkeit des Glaubens" in die Diskussion eingebracht, um die geschichtlichen Bedingungen, unter denen sich der Gang der Kirchengeschichte seit dem Ende des ersten Jahrhunderts im Grunde bis zum heutigen Tag vollzieht, zu markieren. Gemeint ist damit jener geschichtliche Vorgang, daß im Zuge der theologischen Aufwertung des Kosmos an der Schwelle zur Großkirche zugleich der in der geistigen Verschmelzung des biblischen Glaubens mit der griechisch-römischen Lebenswelt festumrissene Daseinshorizont der hellenistischen Synagoge diejenigen Grundgegebenheiten konstituiert, zu denen die eschatologisch qualifizierende urchristliche Botschaft von Christus hinzutritt, von denen sie Besitz ergreift und unter denen sie sich auslegt. Innerhalb bestimmter, geschichtlich vorgegebener Welthorizonte, ausgreifend in den kosmologischen und

VI

Widmung

metaphysischen Bereich und sich erstreckend in die Dimension der sich dehnenden Zeit der Geschichte, realisiert sich das theologische Denken der Großkirche, insofern es jeweils nach Maßgabe des geschichtlichen Standortes die urchristliche Botschaft wiederholt und vergegenwärtigt. In diesem Sinn läßt sich paradigmatisch in der Kirchengeschichte des Altertums (wenngleich nicht nur in ihr) eine Abfolge von denkerischen Grundschritten wahrnehmen, in denen sich der Glaube fortschreitend neu artikuliert und dabei gleichsam in einem Treten auf der Stelle doch immer dasselbe sich kundgibt. Diese großen Horizonte zu öffnen, haben Sie als vordringliche Aufgabe Ihrer patristischen Forschung angesehen, und es bestätigte sich dabei immer wieder von neuem, was Sie als Leitsatz über die Arbeit des Patristikers gestellt haben: „Die alte Kirche ist die alte Welt, insofern diese ihre christliche Stunde begriffen hat". Es sind diese Grundgedanken zur christlichen Welt, denen sich die hier versammelten Beiträge von verschiedenen Ausgangspunkten und in jeweils eigengeprägter Art und Weise als Echo der von Ihnen ausgegangenen Impulse zuordnen. Daß die Ihnen nun überreichte Jubiläumsgabe verwirklicht werden konnte, ist neben der spontanen Zustimmung, die der Plan sogleich bei allen, die davon erfuhren, fand, der tatkräftigen Unterstützung und aktiven Mitarbeit vieler Beteiligter zu danken, allen voran den Autoren, die Sie mit einem persönlichen opus ehren wollten, sowie Erich Gräßer, der in lebhafter Erinnerung an die gemeinsame Marburger Zeit freudig der Aufnahme des Bandes in die Reihe der BZNW zugestimmt hat. Zu danken ist darüber hinaus für das Entgegenkommen des Verlages, der in selbstloser Weise die Publikation gewagt hat, besonderer Dank gebührt namentlich Herrn Dr. Hasko von Bassi, der dem Unternehmen von Anfang an mit Rat und Tat zur Seite stand. Die Redaktionsarbeit wurde von den Mitarbeiterinnen und dem Mitarbeiter am Lehrstuhl für Kirchengeschichte (Patristik) in Bochum, Katja Fickert, Jeannette Kamps, Dr. Thomas Graumann und last not least Dorothe Killisch getragen, auch ihnen sei herzlich gedankt. Wir wünschen Ihnen, lieber Herr Wickert, Gottes Segen auf Ihrem weiteren Lebensweg, und daß Ihnen Gesundheit und Arbeitskraft noch lange erhalten bleiben mögen. Im Namen aller Mitwirkenden

Dietmar Wyrwa Barbara Aland Christoph Schäublin

Inhalt

Widmung Grußwort Joseph Cardinal Ratzinger

V IX

BARBARA ALAND

Die frühe Gnosis zwischen platonischem und christlichem Glauben. Kosmosfrömmigkeit versus Erlösungstheologie

ι

KARIN ALT

Glaube, Wahrheit, Liebe, Hoffnung bei Porphyrios

25

HANNS CHRISTOF BRENNECKE

,Αη fidelis ad militiam converti possit'? [Tertullian, de idolatria 19,1] Frühchristliches Bekenntnis und Militärdienst im Widerspruch?

45

WILHELM GEERLINGS

Das Verständnis von Gesetz im Galaterbriefkommentar des Ambrosiaster

101

MARTIN GEORGE

Vergöttlichung des Menschen. Von der platonischen Philosophie zur Soteriologie der griechischen Kirchenväter

115

CHRISTOPH MARKSCHIES

Wann endet das .Konstantinische Zeitalter'? Eine Jenaer Antrittsvorlesung

157

GERHARD MAY

Marcions Genesisauslegung und die „Antithesen"

189

Vili

Inhalt

ROLF NOORMANN

Himmelsbürger auf Erden. Anmerkungen zum Weltverhältnis und zum „Raulinismus" des Auetor ad Diognetum

199

ERIC OSBORN

Tertullian as Philosopher and Roman

231

ECKHARD PLÜMACHER

Der ΘΕΟΣ ΑΦΘΟΝΟΣ von Acta Iohannis 55 und sein historischer Kontext

249

ADOLF MARTIN RITTER

Ulrich Wickert, Wolfhart Pannenberg und das Problem der „Hellenisierung des Christentums"

303

WALTER SCHMITHALS

Der Hebräerbrief als Paulusbrief. Beobachtungen zur Kanonbildung . . 319 CHRISTOPHER STEAD

Augustine, the Meno and the subconscious mind

339

HANS GEORG THÜMMEL

Logos und Hypostasis

347

JOHANNES WIRSCHING

Menschwerdung. Von der wahren Gestalt des Göttlichen

399

DIETMAR WYKWA

Kosmos und Heilsgeschichte bei Irenäus von Lyon

443

Vatikanstadt 4. 10. 1996

Sehr geehrter,

Beim

lieber

Herannahen

Tübinger

Jahre

gewachsen

mir nicht

70.

Geburtstags

in den

Sinn,

uns

Studenten

vor I hrer Haltung

geschaffen

ökumenischen

Aufbruchs

Sinn

der beiden

verloren.

daß

hat. nach

Es

war

ein

völliger

möglich

welches

zu studieren

Fach

Fakultäten

Austausch

und

sei und daß jedem gedenke.

I hre Antwort

im Gedächtnis

und der darin grundgelegten

Fakultäten,

hat. Sie sagten

I hre Darstellung Vätertheologie

äußeren

ein katholischer

seinen

eigenen

die Frage

kenne,

geblieben,

damals,

seiner

in

der

uns

Wege nicht

sofort das

eine

völlige

einzelnen

Nähe

Hochgefühl

des

besonders

Sache

der

Theologe

Berufung

Glauben und seines

Glauben

kennen

so in eine fiktive akademische

Nivellierung

kirchlichen Neutralität

anderer

zu Gott

lernen

nicht

und

Erst wenn er das

vom Anfang

entrücke,

der

leide. Er solle

zu hören und zu

Zusammenhangs

durch

Aspekte

Schaden

stellen.

von

Gewissen

wenn

und verstehen

Auftrags

die Zeit, um das andere

eines lebendigen

vor dem

es nicht verantworten,

an seinem

Sie einer konfessionellen

Sitzung

Mir ist vor allem

Glaubensbeziehung

oder auch

dem

beiden

werden solle, wo er

in der mich I hre Ehrfurcht

Cyprians

habe

lag auf

Äquivalenz

zu beraten.

besonderen

ließ,

"Theologien"

Studenten

überlassen

bei

aufkommen

zweier

unserer

die

innere

Konzil

den Gedanken

Teiles

Sie könnten

katholischen

sei dann auch

könnten

sondern

Zeit,

um über diese

etwa der Primatslehre

an, die sich außerhalb Glauben

gemeinsamen zwischen

Es kam zu einer gemeinsamen

des anderen tief berührt

unsere

unserer

und die Trennung eines

beider

Deswegen

mir

Gemeinschaft

Vatikanischen

Fakultät

Professoren

Eigene

die

dem Zweiten

Die Forderung

Studiengänge

sich dabei

eine

abgenötigt,

der Katholisch-Theologischen

die Trennung

zunächst

kommen

in denen

werden konnte. Als erstes denke ich da an eine kleine Begebenheit, nur Respekt

zwischen

Tisch,

I hres wieder

Wickert!

ist, die auch durch das Auseinandergehen

aufgehoben

ihren

Herr Kollege

des

bedenken. Studiums

stelle und den zustimmen.

2 Bald

darauf

sahen

ausgesetzt. und

Käsemann

gegen

die

brach

Moralismus

meinen

dem

spärlich

geworden,

und frühere

Gespräche

mir tiefe Einblicke

Sie haben

spielen.

- die Frage

Der bietet

nach

Von I hrem patristischen

Sie eine Geschichtsvision noch

Vision

lange

nicht genügend

Geburtstag die

ist gewiß

Gelegenheit,

1995 in Südtirol

konnten.

Petrus

nicht Sie

gering

wieder

zu

einem

geworden hatten.

sind die

äußeren

I ch

einmal

miteinander

mitgeteilt,

denke sehen

Maria

nur

geredet.

Sie

gewährt.

in der Petrozentrik

und

- eine bedeutende

Rolle

her wie auch von Luther aus

in der beide

haben

I deen ihren Ort finden; all dies ist

worden.

Diskussion

bleibenden

versichern

und I hnen noch viele gesegnete

vermittelte

Einsicht

zu wünschen.

zu

Weg zum und im Glauben

und nach

der Ort, diese meiner

ich

Wir hatten ja in der Tat nicht

Bewegungen

Ausgangspunkt

diskutiert

Kritik

politischen

den wir nun zu fuhren

und I hren nach Berlin

der Geschichte

entwickelt,

und

in des

Welt in die Hand

in dem das Trennende

in I hren persönlichen

mir I hre große

"Metrozentrik"

Sie

der damaligen

selbst

radikalen

Gott sei Dank nicht abgebrochen:

neu aufnehmen

über die Herausforderungen

Glaubens

wurde in einen der

der Ferien

von

Theologischen

Vergewaltigung

Beyerhaus,

Wesentliche,

obgleich

daß wir uns während

des christlichen

die Erlösung

Hen·

Regensburg

etwa daran,

haben

selbst

um das

nach

Verständnis

mitten in den

Das Christentum

zusammengefunden,

Weggang

Revolte

ihr

sadomasochistische

haben

Kampf

Bultmann

des Herrn selbst blieb von dieser

der nun

Damals

Einsatz

war gegenüber

als

von

die marxistische

gegen

wurden

die Grundlagen

Herausforderung

der Exegese

als sich

erhob. Alsbald

Die Gestalt

viel radikaleren

Herrschaft

Universität,

nicht ausgenommen.

umgewandelt,

gemeinsamen

der

Christentum

gedachte.

einer

zusammen,

Gestalt

denunziert.

Kontakte

Nacht

in ihnen

das

des Christentums

Durch

über

ja, gerade

gestellt,

nehmen

Fakultäten

und Gesellschaft

Fakultäten,

Menschen

beide

fast unumschränkte

bestehende

Wissenschaft

Frage

sich

Die vorher

Jahre,

So verbleibe

aufzunehmen.

dankbaren

Aber

Verbundenheit

uns aber noch manche

ich mit herzlichen

durch

er zu Sie

Grüßen

im Herrn I hr

Joseph

Cardinal

Ratzinger

BARBARA A L A N D

Die frühe Gnosis zwischen platonischem und christlichem Glauben Kosmosfrömmigkeit versus Erlösungstheologie

Es gibt gelingende und scheiternde Versuche, die christliche Botschaft im Horizont der alten Welt auszusagen und dabei die denkerischen Schritte zu vollziehen, die für eine angemessene Darstellung der „Weltlichkeit des Glaubens" notwendig sind. Der Versuch, von dem hier die Rede sein soll, die christlich-gnostische Verkündigung und ihre Stellung zu ihrem platonischen Gegenüber, gehört eher zur zweiten Kategorie dieser Versuche. Er ist kaum gelungen, ganz gewiß nicht auf längere Sicht. Gleichwohl ist er aus der frühen Theologiegeschichte in der alten Welt nicht hinwegzudenken. Auch hier begegnen wir, besonders in der Frühzeit, ernsthaftem Bemühen um eine angemessene Verschmelzung urchristlichen, biblisch-eschatologischen Denkens mit den entsprechenden Voraussetzungen der alten Welt. Der Jubilar wird möglicherweise in der Klarheit seines Denkens und seiner Interpretation der Alten Kirche der potentiellen Exuberanz der gnostischen Versuche skeptisch gegenüberstehen. Er möge es dennoch gestatten, daß hier versucht wird - durchaus auch in seinem Sinne - auf die partícula veri des letztlich nicht gelingenden Versuches der christlichen Gnostiker hinzuweisen. Die These, die hier vertreten werden soll, ist kurz zusammengefaßt die: die Valentinianer sind frühe christliche Apologeten oder besser Protreptiker, die mit Hilfe platonischer Philosophumena christliche Zentralthemen griechischen gebildeten Hörerkreisen erklären und dafür werben wollten. Sie sind sogar möglicherweise die ersten, die in der christlichen Kirchengeschichte daran gingen, sich auf diese Weise unter Benutzung gängiger Philosophumena ihrer Umwelt verständlich zu machen. Mindestens aber arbeiteten sie neben den Apologeten. Allerdings lernten diese dann auch aus den Fehlern jener. Denn nahezu von den Anfängen gnostischer christlicher Ar-

2

Barbara Aland

beit an, entfremdeten jene sich auch von christlichen Zentraltopoi wie Kreuz und Auferstehung, wurden damit für die christliche Kirche untragbar und gefielen sich andererseits immer stärker in abstrakten Spekulationen, auf deren Grund die Vergeistigung des Christusereignisses lag, die - einmal vollzogen - zu Spekulationen geradezu drängen mußte.

1. D i e g n o s t i s c h e E n t l e h n u n g gegen den Sinn des E n t l e h n t e n D a ß die Valentinianer platonisches Gut entliehen haben, ist in den letzten Jahren mehrfach, allerdings meist an sehr speziellen Einzelthemen der valentinianischen Theologie aufgezeigt worden. Am umfassendsten hat vor vielen Jahren schon Hans Joachim Krämer 1 versucht, in frühen gnostischen Systemen ein vorneuplatonisches ontologisches Gerüst herauszuheben, das eine sonst kaum faßbare Stufe altakademischer Tradition enthält, die unmittelbar vor und neben Plotin anzusiedeln ist. Krämer war weit davon entfernt, platonische Philosophen und schon gar nicht Plotin in irgendeiner Weise von Gnostikern abhängig machen zu wollen - zu Recht. Er weist lediglich überzeugend darauf hin, daß sie Material aus einer sonst nicht bekannten Variante platonischer Tradition entlehnten. Sie ist charakterisiert durch die Unterscheidung von Ursprung und Denken, wobei in der Transzendenz der Ursprung über Denken und Weltmodell hinausgehoben wird und diese erst aus sich hervorgehen läßt. Ein ähnlicher Systemtypos ist vor allem für Moderatos bezeugt (εν über vous), läßt sich aber auch sonst in Ansätzen verifizieren und weist als solcher auf Plotin voraus 2 . Unabhängig davon zeigt Krämer auf, daß die Struktur des valentinianischen Pleroma als intelligiblem Kosmos auf den gewöhnlichen mittleren Piatonismus durch eine Reihe von identischen Lehrstücken (Urbild-, Ideen-, Zahlenlehre) zurückweist, so daß es kaum noch bezweifelt werden kann, daß sich die Valentinianer die Struktur (nicht mehr) der mittelplatonischen/ frühneuplatonischen Ontologie adaptierten. Krämers Ergebnisse sind zwar im folgenden hier und da aufgenommen und durch Spezialuntersuchungen bestätigt worden. Im

2

H. J. Krämer, Der Ursprung der Geistmetaphysik. Untersuchungen zur Geschichte des Piatonismus zwischen Piaton und Plotin, Amsterdam, 2 1 9 6 7 . Krämer, S. 261ff.

Die frühe Gnosis zwischen platonischem und christlichem Glauben

3

wesentlichen geschah das aber durch Philosophiehistoriker, nicht durch Theologen und Gnosisforscher, so daß die Bedeutung dieser Adaption für die Valentinianer selbst noch nicht ausreichend bestimmt worden ist. Sich der platonischen Tradition als Erklärungsmodell für das eigene Anliegen zu bedienen, scheint auf den ersten Blick nahezuliegen. Denn diese philosophische Schule war im 2. Jahrhundert, besonders dessen zweiter Hälfte, schon die angesehenste überhaupt und bei vielen Gebildeten mehr oder weniger in Umrissen bekannt. Wenn man sich ihrer Sprache bediente, konnte man also hoffen, verständlich zu sein. Jedoch ist die Sache ja keineswegs so einfach. Denn die Valentinianer bedienten sich des platonischen Modells nur, um anderes, der philosophischen Tradition durchaus Fremdes damit zu erläutern. Präziser: Sie entlehnten in einer Weise, die dem Sinn des Entlehnten geradezu widerspricht. Diesen Sinn des platonischen Modells kann man, grob zusammenfassend, als den Versuch verstehen, die harmonische Entfaltung der gestuften Transzendenz aus Gott zu erläutern und dadurch die Schaffung der Welt, des schönen, geordneten Kosmos, der auf Gott zurückzuweisen vermag, durch die untere Stufe des Göttlichen vor aller Zeit zu ermöglichen. Bei den Valentinianern dagegen wird nicht nur diese Entfaltung noch im Bereich der Transzendenz jäh unterbrochen, sondern dieser Bruch, der sog. Fall der Sophia, macht auch das gesamte weitere, komplizierte Geschehen des Mythos überhaupt erst notwendig. Krämer hat sehr wohl erkannt, daß dieser Einbruch in der Transzendenz grundlegende Bedeutung für den Mythos hat, aber er faßt diese nicht ausreichend, wenn er von einer „dem gnostisch-valentinianischen Mythos eigentümlichen Ätiologie" spricht und diese näher in „einer inneren Zersetzung des metaphysischen Denkvorgangs, einer in Stufen konsequent fortschreitenden Depravation und Selbstentfremdung der göttlichen Ur-Gnosis beschreibt (S. 257f). Handelte es sich nur darum, so könnte man immer noch, wie Krämer auch tut, von einer „Ableitung der Wirklichkeit" aus der Transzendenz sprechen, von einer „graduellen Selbstentäußerung" der intellektuellen Substanz in Stadien von wachsender Defizienz . Man könnte dann auch durchaus entferntere Parallelen zu einzelnen platonisch-pythagoreischen Systemen finden, wie etwa zu dem des Moderatos aus dem ausgehenden 1. Jahrhundert n. Chr. Nach ihm ließ gemäß dem Referat

3

Vgl. Krämer, S. 257; 259.

4

Barbara Aland

des Simplikios, in phys. 230,34ff, Gott, das erste  εν,  als  er  das  Werden  der  Dinge  aus  sich  heraus  schaffen wollte,  in  einem  Akt  der  Selbstentäußerung (κατά  στέρησιν)  die  Vielheit  aus  sich  hervorge­ hen 4 .  Aber  um Ähnliches handelt es sich im valentinianischen Mythos gerade nicht. Eine solche Interpretation wäre eine platonisierende Verfälschung des im Mythos Gemeinten. Vielmehr wird der Fall der Sophia als jäh aufbrechende, persönliche Schuld eines Individuums verstanden, als Ur-Sündenfall also, und das gesamte weitere Geschehen des Mythos ist die Geschichte seiner Aufhebung und Vergebung sowie der weiteren Rettung, Bewahrung und Erlösung des Gefallenen. Im Verlauf dieser Geschichte wird auch die Weltschöpfung notwendig nicht als ein Selbstzweck begriffen, sondern als ein Mittel zu bestimmtem Zweck und daher auch nur mit begrenzter Dauer. Wenn das aber so ist, hat offenbar die Intention der Valentinianer mit der der Platoniker nicht nur nichts zu tun, sondern steht ihr konträr entgegen: Statt harmonischer Entfaltung selbstverschuldete Entfremdung und Entzweiung mit Gott; statt Schaffung der Welt, weil Gott, gut seiend, „wollte, daß alles ihm möglichst ähnlich sei" (Tim 29e,l-3), Schöpfung der Welt aus den zu den Elementen verdichteten  πάθη  der  άγνοια  zur Erlösung der Gefallenen (vgl. Hippolyt, Refutatio 6,31-34). Was sollten die Gnostiker dann aber mit einer Adaption an platonische Modelle bezwecken? Wäre nicht die Entlehnung einzelner platonischer Lehrstücke gegen den offensichtlichen Sinn des Entlehnten nur der Gefahr des Mißverständnisses ausgesetzt? Handelt es sich daher im valentinianischen Mythos, da das Faktum der Entlehnung offensichtlich nicht zu leugnen ist, also doch nicht, wie wir behaupteten, um Schuld und Erlösung, sondern um einen depravierten, mit soteriologischen Zügen durchsetzten Piatonismus? Daß es sich nicht darum handelt, läßt sich beweisen. Wir gehen dafür von den frühesten, in Griechisch erhaltenen Zeugnissen aus. Denn es leuchtet unmittelbar ein, daß sie für unser Unternehmen einen erheblichen heuristischen Vorteil gegenüber den koptischen Übersetzungen aus dem Nag Hammadi-Fund haben. Wenn man nicht nur nach Entlehnungen einzelner Lehrstücke, sondern auch charakteristischer Formulierungen fragt und ihre möglicherweise neue Verwendung in anderem Zusammenhang bedenken will, muß

4

Mit Zeller lese ich έχώρισε in 231,9.

Die frühe Gnosis zwischen platonischem und christlichem Glauben

5

man selbstverständlich sehr genau auf Sprache und Stil achten. Das entfällt bei den koptischen Übersetzungen, weil sie sprachlich noch zu wenig erschlossen sind, ein Rückschluß auf den ihnen zugrunde liegenden griechischen Originaltext daher noch auf längere Zeit hinaus nicht möglich ist. Wir beschränken uns im folgenden auf den Fall der Sophia, seine Gründe und die sich daraus ergebende Art der Erlösung. In allen Ausprägungen des valentinianischen Mythos ist der Fall der Sophia deutlich als Schuld, genauer Selbstüberhebung und Anmaßung charakterisiert, die entscheidende, alles Weitere bestimmende Folgen hat: Bei Ptolemäus 5 ist davon die Rede, Sophia habe den Vater erkennen wollen wie der Nous, angeblich aus irregeleiteter Liebe, in Wahrheit aus „Tollkühnheit"  (τόλμα),  weil  sie  mit  dem  vollkommenen  Vater  nicht  dieselbe  Gemeinschaft  hatte  wie  der  Nous.  Daher  wollte  sie  es  erzwingen,  „seine Größe zu erfassen" (p. 39,162). Im valentinianischen System, das Hippolyt bietet (6,30,7), kommt die Anmaßung der Sophia eher noch deutlicher heraus: Sie will nicht, wie es ihr als einem Äon zusteht,  κατά  συζυγίαν  hervor­ bringen,  sondern  den  Vater  „nachahmen"  (μιμήσασθαι),  der  allein  ohne  σύζυγος  zeugt,  „ίνα  μηδέν f¡  έργον  ΰποδεέστερον  τοϋ  Πατρός  είργασμένη 6  (ρ. 240,27f). Zwar weiß sie nicht  (άγνοουσα), daß allein der Vater, weil er „ungezeugt" und das Prinzip von allem ist, deshalb auch einzig allein hervorbringen kann (30,7f), aber das mindert nicht ihre Schuld. Denn alle übrigen Äonen hatten jeweils durch „Anschauung" der Äonen das Gesetz, nach dem sie, paarweise, hervorbringen sollten, erkannt (6,29,7 und 30,1; p. 238,35f und 2 3 9 , l f ) und durch entsprechende Zeugung den Vater verherrlicht. Auch die Sophia erfaßte das wohl (6,30,6), wollte also, indem sie den Vater selbst nachzuahmen suchte, nicht ihn verherrlichen wie die anderen, sondern sich selbst zu Ehren bringen. Auf einer unteren Stufe des Mythos, die dem Pieromageschehen entspricht 7 , begegnet das Motiv der Selbstüberhebung noch einmal:

5

Irenäus, Adv. haer. I, 2,2. Vgl. Piaton, Tim 30b6: Der göttliche Baumeister fügt das All zusammen,  ότι  κάλλιστον  είη  κατά  φύσιν  άριστον  τε  έργον  άττειργασμένος.  7   Die  Stufen  des  Mythos  entsprechen  sich  sachlich  insofern,  als  in  ihnen  die  gleichen  Motive  von  Schuld,  Umkehr  und  Errettung  wieder  vorkommen,  das  Geschehen  im  wesentlichen  also  in  Wiederholungen abläuft. Wir sind daher berechtigt, das Geschehen auf den einzelnen Stufen sich gegenseitig erhellen zu lassen.

6

6

B a r b a r a Aland

Der Demiurg, entstanden aus der „Fehlgeburt" 8 der Sophia, dem Substrat ihres Fehltritts, aus psychischer Substanz, schafft die Welt, weiß aber nicht, daß er im Verborgenen von seiner Mutter, der (geheilten) Sophia (außerhalb des Pieromas), angeleitet wird (Iren. I 5,1; p. 78,488ff). Denn nur sie vermag die Urbilder  (ιδέας)  zu  schau­ en,  nach  denen  er  schafft  (Iren.  I  5,3;  p.  82,517).  Er  aber,  in  der  Meinung,  selbst  alles  geschaffen  zu  haben  (I  5,3), überhebt sich und kommt zu dem berühmten, in sehr vielen, auch nicht-valentinianischen Systemen begegnenden Ausspruch: „Ich bin Gott und außer mir ist keiner" 9 . Clemens wiederholt in den Exzerpta zwar dieses Zitat nicht, bezieht sich aber auf denselben Sachverhalt, wenn er von dem unwissenden Demiurgen sagt: „er glaubte aus eigener Kraft (ιδία  δυνάμει)  zu  schaffen"  s.  49,1.  Clemens fügt das veränderte, auf den Demiurgen bezogene Zitat aus Rom 8,20f hinzu: „Er (sie) wurde der Eitelkeit der Welt unterworfen, nicht freiwillig, sondern um dessentwillen, der ihn unterworfen hat, in der Hoffnung, daß auch er (sie) befreit würde", und ordnet damit zutreffend das schöpferische Tun des Demiurgen in den großen Zusammenhang der Erlösung ein, den der ganze Mythos nach dem Fall beschreibt. Der Demiurg besteht aus psychischer Substanz, die wiederum aus dem Fall der Sophia herstammt. Damit wird durch mythisches Bild der Zusammenhang mit der Ursünde der Sophia hergestellt. Keineswegs wird die demiurgische Anmaßung aber damit entschuldigt, so etwa, als ergebe sich seine Überhebung zwangsläufig aus seiner defizienten, psychischen Substanz. Der Psychiker ist durchaus der Umkehr und Einsicht fähig, wenn er unterrichtet wird. Vorher ist er in auswegloser  άγνοια  befangen,  aus  der  sich  seine Überhebung zwar erklärt, nicht aber gerechtfertigt wird. Sie bleibt seine individuelle Schuld 10 . In den wenigen erhaltenen Fragmenten von Valentin selbst wird auf unser Thema nicht unmittelbar Bezug genommen. Es läßt sich aber erkennen, daß er die Deutung seiner „Schüler" zumindest vorbereitete 11 . 8

ϋκτρωμα s. Hippolyt, Ref. 6 , 3 1 , 2 ; p. 2 4 1 , 5 und 17. Vgl. 1. Kor 1 5 , 8 . Als von den Valentinianern angeführtes Zitat ausdrücklich genannt bei Irenaus Adv. Haer. 1,8,2.

9

Jes 4 5 , 5 u. 4 6 , 9 : bei Iren. 1 5 , 4 ; p. 8 4 , 5 3 6 . So auch bei Hippolyt 6 , 3 3 ; p. 245,9ff. Vgl. dazu Basilides und Valentin bei Clemens, Strom. 2 , 3 6 , l f ; Basilides bei Hippolyt 7 , 2 6 , l f ; Ptolemäus bei Irenäus 1,7,4 bzw. bei Hippolyt 6 , 3 6 , 2 . Eine für die Gnosis charakteristische Motivumdeutung s. bei Hippolyt 6 , 3 2 , 7 . Vgl. dazu C. Markschieß, Valentinus Gnosticus? Untersuchungen zur valentinianischen Gnosis mit einem Kommentar zu den Fragmenten Valentins, W U N T

10

11

Die frühe Gnosis zwischen platonischem und christlichem Glauben

7

Bei Basilides, dem frühesten Gnostiker 12 , über den wir einigermaßen genau Bescheid wissen, und der mit Valentin und seinen Schülern in mancherlei Verbindungen steht, finden wir mit aller erwünschten Deutlichkeit, die von den Valentinschülern her bekannte Qualifizierung des Demiurgen. Der große Archon und Weltschöpfer entsteht aus der ungeordneten 13 Samenfülle, in der die dritte sog. „reinigungsbedürftige Sohnschaft" verblieben ist (Hippolyt 7,22,16 und 23,3), steigt zum Firmament  (στερέωμα)  auf,  das  die  obere  Welt  begrenzt,  glaubt,  er  sei  der Höchste, weil hinter dem  στερέωμα  nichts  mehr  sei, weiß nicht  (ήγνόει  23,4  p.  293,20), daß die in der Samenfülle verbliebene Sohnschaft, die von Gott stammt, „größer, weiser und mächtiger" ist als er. Er meint, er sei der „Herr und Meister und weise Baumeister"  (κύριος  καί  δεσπότης  καί  σοφός  άρχιτέκτων,  ρ.  293,6)  und  wendet  sich  daher  zur Weltschöpfung. Diese Einbildung und Selbstüberhebung des Weltschöpfers charakterisiert Basilides eindeutig als αμαρτία  (Hippolyt  7,25,2­3,  p.  295,12­16).  Der  Archon  gibt  ihr  wieder  mit  dem  ­  leicht  variierten  ­  Jesaia­Zitat  Ausdruck,  er  allein  sei  Gott  und über ihm sei nichts (p. 295,14f). Später, als er vom „Evangelium" belehrt wird, fürchtet sich der große Archon. „Er bekannte seine Sünde, die er begangen hatte, als er sich überhob" (... έξωμολογήσατο  περί άμαρτίας, ής έποίησε  μεγαλύνων  έαυτόν 

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65, Tübingen 1992, vgl. bes. zu frg 1 (Markschieß S. 11-53) und frg 5 (Markschieß S. 152-185). Zu Basilides s. W.A. Lohr, Basilides und seine Schule. Eine Studie zur Theologie- und Geistesgeschichte des zweiten Jahrhunderts, WUNT 83, Tübingen 1996. Ich nenne ihn trotz der genannten Arbeit von Lohr (s. Anm. 11) zumindest in einem vorbereitenden Sinne weiterhin so, zumal ich das Referat bei Hippolyt, Ref. 7,20-27 und 10,14 als sehr wohl vereinbar mit den bei Clemens erhaltenen Fragmenten ansehe. ... της  πανσπερμίας  σωρός für  σωρός  in  der  Bedeutung  „ungeordnete  Masse"  s.  Porphyrios  bei  Stobaios,  eel. I p.  822,6.  Die  Deutung  von σωρός  als  ungeordnete  Masse  wird bestätigt durch Basilides bei Hippolyt 7,26,7 und 10 (p. 298,35 und 36; 299,50f), wo die Samenfülle  αμορφία  genannt  wird.  Die  in  ihr  verbliebene  dritte  Sohnschaft muß „gestaltet" (cf.  διαμεμορφωμέυη),  d.h. erlöst werden. Bevor sie diese Gestaltung erfährt, wird sie mit einer Fehlgeburt  (Ικτρωμα)  verglichen  (p.  298,37),  damit  auf  das  Ergebnis  des Sündenfalls der Sophia in valentinianischen Systemen vorausweisend. Vgl. σωρός in dieser  Bedeutung  auch  in  dem  (von  Basilides gefärbten) Aristoteles-Referat bei Hippolyt 7,15,2, p. 2 81,4f. Hier wird der aristotelische Begriff γένος  durch σωρός erläutert und weist direkt auf die  πανσπερμία  des  Basilides  voraus.  So  vor  allem  auch  bei  Plotin  III  8  [30]  8,44,  in  der  ersten  Enneade  des  vierteiligen  Zyklus,  der  mit  der  Schrift  gegen  die  Gnostiker schließt (II 9[33]).



Barbara  Aland 

Hippolyt  7 , 2 6 , 3 ,  p.  2 9 7 , 1 4 f )  und  zitiert  Psalm  3 1 , 5 f :  „την  άμαρτίαν  μου  έγνώρισα..."  4 .  Wenn  damit  erwiesen  ist,  daß  ein  „Sündenfall",  άμαρτία,  die  dem  valentinianischen  Mythos  „eigentümliche  Δtiologie"  und  „Peripetie"  (Krδmer)  darstellt,  haben  sich  die  so  lehrenden  Gnostiker  vom  Sinn  platonischer  Weltentstehungsmodelle,  denen  sie  so  weitgehend  folg­ ten,  entfernt.  Sie  benutzen  das  den  platonischen  Modellen  entlehnte  Material  in  einer  Weise,  die  dessen  Sinn  strikt  zuwiderlδuft.  Nicht  der  „schönste  und  beste"  Kosmos  (vgl.  Tim  30b),  der  in  seiner  Schönheit  auf  die  Güte  seines  Schöpfers  verweist,  ist  die  Aussageab­ sicht  der  frühen  gnostischen  Mythen,  sondern  die  allem  menschli­ chen  Tun  noch  vorausliegende  Schuld,  an  der  der  einzelne  durch  eigenes  Verschulden  immer  wieder  teilhat,  wollen  sie  verdeutlichen.  Von  dieser  vorausliegenden  Sünde  ist  auch  die  Weltschöpfung  affi­ ziert,  denn  der  Demiurg  schafft  ja  in  seiner  Überhebung.  Der  Kos­ mos  trδgt  die  Merkmale  dieser  Schöpfung  an  sich  und  alles  Hylische  an  ihm  geht  daher  am  Ende  folgerichtig  zugrunde.  Weltschöpfung  ist  dennoch  ein  bedeutender  Schritt  auf  dem  Weg  zur  Erlösung.  Denn  diese  wird  im  Mythos  dargestellt  als  stufenweise  Formung  (μόρφωσις)  der  amorphen  Masse  aus  pneumatischen,  psychischen  und  hylischen  Bestandteilen,  die  das  im  mythischen  Bild  sichtbar  gemachte  Ergebnis  des  Falls  der  Sophia  ist,  in  einzelnen  Quellen  ihre  „Fehlgeburt"  genannt.  Erst  die  Entmischung  der  einzelnen  Be­ standteile  durch  ihre  Gestaltung  ermöglicht  die  Rettung  und  Erlö­ sung  des  Erlösungsfδhigen  in  jenem  amorphen  έκτρωμα.  Schon  die  Entstehung  des  Demiurgen  wie  dann  seine  Weltschöpfung  gehören  also  zu  dem,  was  Ptolemδus  die  μόρφωσις  κατ'  ούσίαν  nennt,  die  für  die  endgültige  μόρφωσις  κατά  γνώσιν  aufnahmebereit  macht 1 5 .  Erlösung  wird  also  im  mythischen  Bild  als  Gestaltung  des  Un­ gestalten  und  Ungeordneten  dargestellt.  Man  kann  nicht  umhin,  dabei  wieder  an  platonische  Weltentstehungsmodelle,  insbesondere 

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Vgl. dazu auch das entsprechende Referat bei Clemens, Strom. 2 , 3 6 , 1 , über Basilides.

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Beide Begriffe begegnen so zwar nur im mittleren Bereich des Mythos, dem der Achamoth. Da sich aber die Stufen des Mythos gegenseitig interpretieren, sind wir berechtigt, diese doppelte  μόρφωση  als  Begriff  auch für die anderen Bereiche zu übernehmen. In der Sache lassen sie sich ohnehin nachweisen. Vgl. zum gesamten Themenkomplex Hippolyt, Refutado 6 , 3 I f .

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an den Mythos im Timaios Piatons selbst erinnert zu werden 1 6 . Die Übernahme der Begrifflichkeit von dort 1 7 ist nicht zu übersehen. Wenn aber Erlösung, wie hier nur angedeutet werden kann, unter dem platonischen Terminus der Gestaltung und Ordnung im valentinianischen Mythos dargestellt wird, so ist wiederum offensichtlich, daß diese platonischen Elemente im gnostischen Mythos ihrer ursprünglichen Bedeutung beraubt sind. Wieder wird nicht nur gegen den Sinn des Entlehnten entlehnt, sondern die übernommenen Formelemente werden in einem neuen soteriologischen Kontext mit neuem Sinn erfüllt. Keinesfalls könnte also etwa der gnostische Mythos ursächlich aus „heruntergekommenem" Piatonismus entstanden sein. Dazu ist die Übernahme viel zu künstlich. Allzu deutlich erkennt man die bewußte Absicht, nämlich den Begriff „Erlösung", der Griechen in der jüdisch-christlichen Form unverständlich war, unter einem ihnen geläufigen Begriff einzuführen. Dazu aber war nichts besser geeignet als der Begriff der „Gestaltung", weil er mit der Güte Gottes durch die bekannte Timaios-Stelle fest verknüpft war. Das alles geschieht offensichtlich, so merkwürdig es sich darstellt, nicht ohne Wirkung. Denn es regt sich der Protest der Platoniker gegen eine solche Deutung, einen derartigen Mißbrauch ihrer Philosophie. Wir gehen zunächst diesem Protest nach und prüfen daran zugleich die Tragfähigkeit unserer These. Denn wenn irgendwo, so müßten eben dabei die Themen zur Sprache kommen, bei deren Behandlung die Gnostiker platonisches Gut entlehnten und verfremdeten, bei denen sich daher die Platoniker mit Recht ungebührlich mißverstanden fühlten. Es müßten also die Themen, die wir als wichtig für die Gnostiker erkannten, der Komplex Schuld und Erlösung, berührt werden.

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Vgl. Tim 29d7-30cl; 50c7ff; 51al-b6; 51e6-52bl; 53af etc. Diese bekannten Stellen begegnen in der mittelplatonischen Literatur immer wieder, besonders in den Handbüchern, vgl. Albinos, Didaskalikos (Epitome), ed. P. Louis 8,Iff, bes. 8,2 p. 49; 9,1. 10,1, bes. 10,3, p. 59; 12,lf, p. 67ff; 14,1.4, p. 79.81. Plutarch, De an. procr. in Tim 1014 B-Cff; Plat, quaest. 1001B; 1003 Af. Numenius, ed. de Places, frg. 4; 15; 16. Ob direkte Übernahme vorliegt oder indirekte durch die Kommentare und Handbücher, ist hier nicht zu entscheiden. Letzteres ist wahrscheinlicher.

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Barbara Aland

2. Der Protest der Pia toniker gegen gnostischen Mißbrauch ihrer Theologie D a ß platonische Philosophen je ernsthaft von gnostischen Autoren beeinflußt worden sein sollten, bezweifle ich 1 8 . Daß sie sich jedoch umgekehrt gegen gnostischen Mißbrauch ihrer Philosophie verwahrten, war nur allzu verständlich. Uns ist ihr Protest ausführlich erst in dem bekannten Traktat Plotins, der letzten Schrift eines vierteiligen Zyklus, erhalten 1 9 . Darüber, ob es vor ihm ähnliches gab, enthalten wir uns angesichts der Quellenlage aller Spekulationen. Nach ihm nahmen seine Schüler das Thema der gnostischen Widerlegung, offenbar auf Plotins Anregungen hin, auf . Einen gewissen Schlüssel zum Verständnis dieser Polemik hat J . Igal und jetzt vor allem K. Alt geboten 2 1 . Sie haben gezeigt, daß Plotin in 119 nicht nur Theologumena aus verschiedenen gnostischen Schulen bekämpft, ohne die verschiedene Herkunft zu markieren, so daß eine Identifizierung nicht immer gelingt, sondern daß er vor allem nur Auszüge aus gnostischen Systemen bespricht und diese eher noch platonischer darstellt, als sie sich selbst geben 2 2 . Plotin schafft sich damit eine eher noch breitere Angriffsfläche gegen die Gnostiker, als sie es durch ihr Umgehen mit der Philosophie des Piaton und ihrer Tradition ohnehin schon bieten. Porphyrios folgt dieser Tendenz, wenn er behauptet, daß die christliche Sekte der Gnostiker „aus der antiken Philosophie hervorgegangen" sei 2 3 . D a ß

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S. dazu überzeugend Α. H. Armstrong, Gnosis and Greek Philosophy, in: Gnosis. Festschrift für Hans Jonas, Göttingen, 1 9 7 8 , hrsg. von B. Aland, 8 7 - 1 2 4 , bes. 99ff und 109ff. Z u Numenius vgl. ebenfalls Armstrong, 106ff. Neuerdings s. vor allem die schöne Studie von K. Alt, Philosophie gegen Gnosis. Plotins Polemik in seiner Schrift II 9, 1 9 9 0 . Hier werden auch die zahlreichen Brüche in Plotins Schrift aufgezeigt.

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Der Zyklus umfaßt die Schriften III 8, V 8, V 5 und II 9, s. dazu Härders Edition Bd. III b, p. 3 6 3 u.ö.

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Vgl. dazu Porphyrios' Vita Plotini, Kap. 16.

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J. Igal, The Gnostics and „the ancient Philosophy" in Porphyry and Plotinus, in: Neoplatonism and Early Christian Thought, Essays in honour of A.H. Armstrong, 1 9 8 1 , hrsg. von H.J. Blumenthal und R.A. Markus, 138ff, bes. 1 4 2 , 1 4 5 . Vorsicht ist allerdings geboten, wenn Igal in Parallele zu der These, Plotin platonisiere die Gnostiker, behauptet, er reduziere diese ebenso nur auf wenige „biblical-sounding catchwords", S. 1 4 2 . Die „catchwords" sind aber tatsächlich als gnostische (valentinianische) Zentralbegriffe nachzuweisen. So etwa μετάνοια bei Irenaus 1 , 3 , 1 ; Hippolyt 6 , 3 2 , 6 mit verschiedenen Synonyma.

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Vita Plotini 16. Z u dieser Übersetzung vgl. Igal (oben Anm. 2 1 ) , 1 3 9 .

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er es besser wußte, war dem Christenkenner und -hasser Porphyrios wohl zuzutrauen 2 4 . Indem er aber absichtlich ihre Benutzung von Material aus klassischer oder persischer Tradition mißverstand, schuf er sich, wie teilweise auch Plotin, erst die Basis, von der aus er gegen die gnostische Allegorese fremden Materials polemisieren konnte. Denn die Allegorese an sich war ja schwer anzugreifen, wenn man auch meinte, sie selbst auf platonische Texte nicht anzuwenden. Man wird den schwierigen Traktat II 9 gegen die Gnostiker immer auch unter diesem Gesichtspunkt lesen müssen, um ihn verstehen zu können. Dann treten bei Plotin sehr deutlich jene Hauptthemen hervor, um die es den Gnostikern bzw. den Valentinianern geht, die er gut kennt und zumindest weitgehend, wenn wohl auch nicht allein, bekämpft. Um Plotins schwierige Schrift zu verstehen, können wir uns allerdings nicht darauf beschränken, nur nach Wortparallelen zwischen Plotins Polemik und gnostischen Termini zu suchen. Denn Plotin ändert durchaus die Begrifflichkeit der Gnostiker 25 . Zu einem genaueren Verständnis seiner Invektiven kann man daher nur gelangen, wenn man den gnostischen Mythos und seine Bedeutung als ganzes hinter Plotins Polemik annimmt. Daß das mit Schwierigkeiten vielfältiger Art behaftet ist, muß nicht eigens verdeutlicht werden. Der Sinn des gnostischen Mythos in wesentlichen Topoi scheint mir aber, wie oben entwickelt, deutlich. Ihn und seine „Beweisführung" greift Plotin an. Wir verdeutlichen das am 4. Kapitel von Plotins Schrift „Gegen die Gnostiker" mit seiner Parallele im 10. und 11. Kapitel, das den Fall der Sophia, seine valentinianische Begründung und seine Folgen zum Gegenstand hat. Plotin hat die zentrale Bedeutung des Falls im valentinianischen Mythos durchaus verstanden. Er spielt mehrfach, nicht nur im 4. Kapitel, darauf an, freilich aus den genannten Gründen nicht immer in der uns bekannten Terminologie, wahrscheinlich teilweise überhaupt nicht in einer aus gnostischen Schriften übernommenen Begrifflichkeit, sondern, antiker Zitierweise gemäß, so paraphrasierend und umformulierend, daß das Bekämpfte

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Porphyrios wußte wohl, daß sie weder aus klassischer Philosophie noch von Zoroaster herkamen. Seine Widerlegungsweise entspricht aber antikem Stil. S. dazu K. Alt (s. o. Anm. 18): „Plotin (ist) geneigt, bestimmte Phänomene der fremden Lehre mit Begriffen aus der eigenen Philosophie zu bezeichnen, sie mit deren Inhalten zu identifizieren und von der damit erzielten Basis aus seine Kritik oder Widerlegung durchzuführen". S. 44, vgl. auch S. 53 u.ö.

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zu  den  platonischen  Argumenten,  mit  denen  er  argumentierte, paßte 26 . Die Seele habe die Welt geschaffen, so wird es den Gnostikern schon in 4,Iff in den Mund gelegt, als sie „entfiedert" worden sei auf den Phaidros-Mythos (246c) anspielend 27 . Aber, so wird argumentiert, die Allseele könne dieses ja gar nicht erleiden, was platonisch gedacht natürlich richtig ist. Dann in einer Terminologie, die auch gelegentlich bei Valentinianern begegnet: „Wenn sie sagen, sie sei zu Fall gekommen  (σφαλεΐσαν), mögen sie die Ursache des Falls 28 nennen. Und wann fiel sie  (έσφάλη)?  Wenn  von  Ewigkeit  her,  dann  bleibt  sie  nach  der  ihnen  eigenen  Logik  (κατά  τόν  αυτών  λόγον)  Gefallene".  Wenn  sie  aber  irgendwann  gefallen  sei,  warum  dann  nicht  vorher?  Plotin  lehnt  mit  Nachdruck  ab, daß die schöpferische Seele hinabsinken könne 2 9 . Denn dann müsse sie ja das Obere gänzlich vergessen haben, was undenkbar ist. Sie hätte dann auch keine Vorbilder gehabt, nach denen sie schaffen konnte, so daß eine herabgesunkene Seele, die dennoch Schöpfer sein soll, einen Widerspruch in sich darstellt. Denn schaffen zu können, setzt ja voraus, einen Plan zu haben, den man nur der oberen Welt entnehmen kann (4,2-12). Das ist von Plotins Standpunkt aus eine völlig überzeugende

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S. dazu auch K. Alt (s.o. Anm. 18), S. 61 mit Anm. 190. Plotin spricht im folgenden immer von der Allseele und nicht von der Sophia; das entspricht seinem Denken. Es ist zwar nicht exakt, aber verständlich und erträglich, da im Mythos aus dem Fall der Sophia das Psychische entsteht und mit ihr auf vielfache Weise verknüpft ist. Erwähnt wird die Sophia in 10,19ff. O b sie mit der Seele identisch ist, kann hier offenbleiben. 28   σφάλμα  4,3  vgl.  Hippolyt  6,36,1,  p.  250,3  und  7,52,4,  p.  273,16  ein  ungenann­ ter  Valentinianer  und  Markus  aus  derselben  Schule.  29   4,6ff.  Plotin  benutzt  jetzt  in  seiner  Argumentation veúco, statt des vorher für den Fall verwandten  σφάλλω,  mit Absicht:  denn daß die Allseele fallen könnte, ist ein so unsinniger Gedanke für ihn, daß er ihn auch nicht durch die Terminologie bei der Darstellung seiner Auffassung provozieren möchte. Aus eben dem Grunde entfällt ganz das Verbum  ττίτττω.  Denn  Plotin  spricht  ja  zuweilen  selbst  vom  „Fall"  der  Seele  oder  der  Zeit,  wenn  er  das  „Existent­Werden"  einer  niedrigeren  Seinsstufe  aus  der höheren ansprechen will, s. III 7, 11,7; IV 8,1,18, bes. III 8,4,10, in der ersten Schrift des Zyklus, der mit dem Traktat „gegen die Gnostiker" endet. Dieses „Fallen" unterscheidet sich grundlegend vom gnostischen, weil es gleichsam selbstverständlich vor sich geht (s. III 8,4,10), weil es dem, aus dem etwas herausfällt, nicht schadet, keinesfalls Schuld ist, und weil die Seele immer auch „oben" bleibt; vgl. dazu W. Beierwaltes, Plotin, Über Ewigkeit und Zeit, Frankfurt 1981 3 , 244ff und 250f. Dazu, daß die  υεΟσις  der  Seele  nicht  αμαρτία  ist,  s.  Plotin  I  1,12,24. 

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D i e frü h e Gn o si s z w i sc h e n pl at o n i sc h e m un d ch ristlich e m Gl au b e n

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W i de rl e gun g, die abe r de m Ge gn e r nicht ge re ch t w i rd, w eil sie die my th isch e Be de utun g de s Falle s, der für die Sch uld an sich steht, v e rke n n t bz w . v e rke n n e n w i l l 3 0 . D aß Plotin diese sehr ge n au kan n te , zeigt sich im un mitte lbar fo l ge n de n Te x t . Er fragt , w as die Seele w o h l für sich v o n der W eltsc h ö pf u n g e rh o fft h abe . „Läc h e rl i c h " sei die Be h au pt u n g, daß sie „z u Eh re n k o m m e n " w o l l te ; das sei nur v o n me n sch lich e n Bildh auern ü be rt rage n 3 1 . Zu n äc h st : in der Tat h at alles im M y t h o s Ge sagt e „ü be rt rag e n e " Be de utun g. D an n : das „Z u Eh re n ko m m e n - W o l l e n " bezieh t sich n atürlich auf die Se l bstübe rh e bun g der So ph i a bz w . ihres A bbi l de s, den D e m i urge n . Plotin kennt al so die se Be grü n du n g de s Fal l s, die w ir bei den Vale n tin ian e rn un d Basilide s fan de n , sehr w o h l . D aß er be h aupte t, sie w o l le sich mit der Sc h affu n g der W elt zu Eh re n brin ge n , e n tsprich t z w ar nicht w ö rtlich den Gn o st i ke rn , die - w ie o be n e n tw icke lt - v o m Sc h affe n w ie der V ate r etc. abe r do c h si n n ge m äß re de n . D ie V ari ati o n der A u sdru c ksw e i se ge h t w o h l auf Plotin se lbst z u rü c k 3 2 bz w . sie e rklärt sich au s v ale n tin ian isch e n Passage n w ie e tw a der bei H i ppo l y t 6 , 3 0 , 7 , p. 2 4 0 , 2 6 - 2 8 : D ie Soph i a w o l l te de n V ate r n ac h ah m e n utsronmlkihgfedaWP „κα ί  γεν ν ήσ α ι  καθ'  Ια υτήν ,  o h n e  ihren  Paarge n o sse n ,  dami t  sie  ein  W e rk  (έργο ν )  erstellte,  das  auf 

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Weiter unten in II 9[33], 10,17­26, kommt Plotin noch einmal abschließend auf den Fall der Allseele zu sprechen und bemerkt hier, das Unsinnigste von allem sei, daß die Seele sich einerseits zwar hinabneige und die anderen Seelen mit ihr, andererseits aber auch wieder nicht, sondern die Finsternis erleuchte (vgl. auch 11,1 Iff und 12,30ff). Ob Plotin hier, wie als Lφsung verschiedener Inter­ pretationsschwierigkeiten seines Traktats vorgeschlagen wurde, mehrere gno­ stische Vorstellungen miteinander vermengt (s. dazu Igal, a.a.O., oben Anm. 21), kann hier nicht endgültig entschieden werden, vgl. die gleiche Vorstellung des Hinableuchtens in die Finsternis in I 1[53] 12,25. Wahrscheinlich ist es mir eher, daß er auch hier vom valentinianischen System spricht und zuerst vom Seelenfall und dessen Folgen, dann aber von der geheilten Achamoth handelt, der „ M u t t e r " , die tatsächlich durch den Demiurgen hindurch wirkt und ein „Abbild" (Plotin sagt  ίΐδωλον statt ΙΞKCOV, 10,28ff) in der Finsternis/Materie o.a. schafft, vgl. dazu Irenaus I 5,3 bzw. Clemens, Exc. 49,1. K. Alt (s.o. Anm. 18) nimmt für Kap. 5 und 10/11 eine verschiedene Bedeutung des Begriffs veϊeiv an, mφglicherweise zutreffend, s. S. 53f.

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4,12­15. Vgl. die Parallele l l , 2 1 f . Dort heißt es ebenfalls, die „Seele" (was immer das sei; Plotin gibt an, es nicht zu verstehen) habe geschaffen, um sich zu ehren  (ίνα  τιμώτο)  und  aus  Prahlerei  (αλαζονεία)  und άberhebung  (τόλμα).  Vgl.  dazu  auch  K.  Alt  (s.  o.  Anm.  18)  S.  46  mit  Anm.  143. 

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  S.  dazu  Anm.  25. 

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keine Weise schlechter sei als das des V a t e r s " 3 3 . Wichtiger ist aber noch die Begründung für das Tun der Sophia/Seele, die Plotin richtig im „Ehre-Suchen" angibt, dabei antik griechisch formulierend, was die Gnostiker biblischem Denken gemäß als Selbstüberhebung charakterisieren. Das bestätigt das Folgende. Plotin meint, wenn die Seele mit bestimmter Absicht 3 4  (διανοία)  schuf,  d.h.  eben  aus  dem  Wunsch  nach  „Ehre"  heraus,  und  das  Schaffen  nicht  in  ihrer  „Natur"  lag,  was  zweifellos  auf  die  Sophia  zutrifft,  dann hätte sie den Kosmos gar nicht zustande bringen können (4,15-17). Daß die Sophia mit bestimmter - eigensüchtiger - Absicht handelt, wird in den valentinianischen Referaten klar gesagt 3 5 . Plotin muß sich beim Thema des Abstiegs der Seele sehr deutlich von den Gnostikern absetzen, daher auch die relative Ausführlichkeit und Schärfe  (γελοΐον)  seiner  Stel­ lungnahme,  die  er  sonst ausdrücklich vermeidet 3 6 . Aber er selbst hatte sich ja hier zuweilen einer Ausdrucksweise bedient, die durchaus im gnostischen Sinne mißzuverstehen war 3 7 . Daß sie nicht so gemeint war, soll hier nicht erneut bezweifelt werden. Plotin liegt aller gnostische Einfluß ganz fern 3 8 . Aber seine Begrifflichkeit zeigt umgekehrt, wie nahe es für christliche Gnostiker lag, sich ihrer, bzw. der mittelplatonischen vor ihm, für ihre Zwecke umdeutend zu bedienen. Das gilt um so mehr, als wichtige Termini, wie z.B. der der τόλμα  der  Seele,  schon  vor  Plotin  eine längere philosophiegeschicht-

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Das hier benutzte biblische  γενναν  statt  Plotins  ποιείν  bzw.  δημιουργεί ν  ent­ spricht  der Begriffsänderung von der gnostischen „Überhebung" o.a. zum plotinischen „Ehre Suchen". Im übrigen arbeitet der Mythos ja ohnehin mit zahlreichen Bildern und verschiedenen Begriffen für gleiche oder vergleichbare Sachverhalte.

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Wegen des Kontextes und Sinnzusammenhanges übersetze ich so trotz der von Theiler angegebenen Parallelstellen 2 , 1 4 und 8 , 1 9 f , die nicht genau dasselbe meinen.

35

Vgl. Irenaus 1 , 2 , 2 p. 3 9 , 2  ήθελε  ...;  Hippolyt  6 , 3 0 , 7 ;  p.  2 4 0 , 2 6  ηθέλησε  ...  oder  Clemens  Exc.  3 1 , 3  ό  δέ  βουληθείς  αιών  ...  (=Sophia). Möglicherweise auch parallel, dann noch näher an Plotin: Exc. 3 2 , 2 ...  έξ  έννοιας  ... 



Vgl. II 9 , 1 0 , 1 - 5 .

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Vgl. Plotin III 7 , 1 1 , 1 5 - 1 7 : „Es war aber dort eine N a t u r , geschäftig und danach strebend, Herr ihrer selbst zu sein  (άρχειν  αυτής  βουλομένης)  und  sich  selbst  zu  gehören; sie war gewillt, mehr zu suchen  (ζητεΐν)  als  bei  ihr  war  . . . " (Übersetzung Beierwaltes, a . a . O . , s. oben Anm. 2 9 , S. 2 4 9 f f ) .

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Vgl. so überzeugend Beierwaltes, a . a . O . , S. 1 1 3 f f , K. Alt, S. 6 4 u.a.

Die frühe Gnosis zwischen platonischem und christlichem Glauben

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liehe  Tradition  haben 3 9 .  Wenn  uns  die  mittelplatonischen  Quellen  besser  überliefert  wδren,  könnten  wir  wahrscheinlich  die  gnosti­ schen  Entlehnungen  noch  zahlreicher  nachweisen 4 0 .  Plotin  fδhrt  in  der  polemischen  Paraphrase  und  Widerlegung  der  Valentinianer  fort:  Wann  wird  sie  den  Kosmos  denn  zerstören  (φθερεΐ)?  so  fragt  er  und  spielt  damit  auf  den  Weltuntergang  an,  der  nach  valentinianischer  Auffassung  stattfinden  wird, wenn  alles  Pneu­ matische  gerettet  ist 4 1 .  Plotin  antwortet  dagegen  auf  die  sich  selbst  gestellte  Frage  nach  dem  Zeitpunkt  der  Zerstörung  der Welt:  „Wenn  sie  bereut  (μετέγνω)?  Warum  wartet  sie  dann?"  (4,17f).  Damit  wird  auf  die  Umkehr  und  Reue  der  Sophia  bzw.  des  Demiurgen  ange­ spielt,  bei  den  Valentinianern  meist  επιστροφή  genannt 4 2 ,  gelegent­ lich  aber  auch  μετάνοια 43 ,  womit  wir  wieder  die  gleiche  Δnderung  der  Terminologie  bei  Aufrechterhaltung  des  gemeinten  Sinnes  beob­ achten 4 4 .  Sachlich  hat  Plotin  mit  seiner  Kritik  hier  recht.  Denn  die  Sophia  „wartet"  ja  tatsδchlich  unmotiviert  auf  den  Zeitpunkt  für  die  Zerstörung  ihres  Werkes,  obwohl  sie  die  richtige  Einsicht  schon  gewonnen  hat,  und  das  allein  zδhlt.  Der  lineare  Weltverlauf  der  Valentinianer,  der  nur  mit  der  Einsammlung  alles  Pneumatischen  erklδrt  wird,  ist  tatsδchlich  ein  schwieriges  Moment  ihres  Mythos,  weil  sie  ja  andererseits  stets  betonen,  daß  mit  der  Erkenntnis  für  den  einzelnen  Pneumatiker  die  Welt  nichts  mehr  gilt,  er  vielmehr  Chri­

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S. Armstrong, a.a.O. (s. oben Anm. 18), S. l l é f f , Anm. 6 5 , mit Hinweis auf die Arbeiten von N. Baladi und J . M . Rist, die das ausführlich nachweisen, dazu s. Ptolemäus bei Irenaus 1 , 2 , 2 , 1 5 9 - 1 6 0 , w o es vom Gott-erkennen-Wollen der Sophia heißt: ... προφάσει  μεν  αγάπης,  τόλμη  δέ  ... 

4 0 

So  etwa  das  bei  Basilides  und  den  Valentinianern  vielfach  begegnende  Bild  des  Samens  (σπέρμα,  s.  Hippolyt  7 , 2 1 , 2 f ;  6 , 4 3 , 2 ;  vgl.  auch  Irenaus  1 , 5 , 6 ;  1 , 7 , 5 ,  Clemens  4 9 , 2 ) .  Dazu  s.  mit  weiteren  Nachweisen  Beierwaltes,  a.a.O.  (s.  oben  Anm.  2 9 ) ,  S.  2 5 1  und  2 5 6 f .  Dieser  Begriff  ist  also  keineswegs  nur  unter  den  Christen  von  Justin  aufgenommen  und  gedeutet  worden,  sondern  vor  bzw.  neben  ihm  von  den  Gnostikern. 

4 1 

Irenaus,  Adv.  haer.  1 , 6 , 1  bzw.  1,7,1  und  5. 

4 2 

Irenaus  1 , 2 , 2 ,  p.  4 0 , 4 ;  1,5,1  et  passim. 

4 3 

Hippolyt  6 , 3 2 , 6 ,  p.  2 4 3 , 3 2 .  So  auch  von  der  Reue  (μετάνοια)  der  Seele  in  II  1 [ 4 0 ] ,  4 , 3 0 f . 

4 4 

An  anderer  Stelle  zitiert  Plotin  sogar  den  Terminus  μετάνοια  neben  anderen  gnostischen  Begriffen für die  πάθη  der  Seele  und  beschwert  sich über das gnostische  καινολογεΐν  (6,1­6).  Ebenso  kennt  er selbstverständlich den christlichen Begriff der  αμαρτία  ( 9 , 1 3 ) ,  benutzt  ihn  aber  nur  nebenbei, ausdrücklich nicht bei der zentralen Widerlegung des Sophia-Mythos. Vgl. aber 6 , 5 9 f .

16 

Barbara Aland

stus und den Äonen gleich ist 45 . Der scheinbar lineare Weltverlauf, den der Mythos zeichnet, ist daher zwar aus äußerlichen Gründen notwendig (die Erfahrung lehrt, daß das Ende noch nicht da ist), widerspricht aber dem inneren Sinn des Sophia-Mythos. Plotin weist daher auf diesen Widerspruch hin und bezweifelt ironisch, daß die Sophia/Seele je noch bereuen und dann die Welt als Ausdruck ihres Falls vernichten könne, da sie es doch bisher offensichtlich nicht getan habe. Denn die Welt besteht ja noch und durch die lange Zeit habe sie sich wohl eher schon an sie gewöhnt (4,18f). „Wenn sie (die Seele) aber die Einzelseelen abwartet" (4,19f), nämlich zur Einsammlung und Errettung (seil, bevor sie die Welt, d.h. die Materie zerstört) - wieder zeigt sich, daß Plotin den Mythos und den dort angegebenen Grund und Zeitpunkt für den Weltuntergang genau kennt - „dann sollten diese doch besser gar nicht mehr ins Werden kommen, da sie doch die Übel hier schon in ihrem früheren Stand ausprobiert haben, so daß sie jetzt also aufhören sollten herabzukommen" (4,20-22). Hier geht es keinesfalls etwa um eine Lehre von Wiedereinkörperung der Seelen nach dem Tod, sondern angespielt wird darauf, daß die Achamoth, die errettete Sophia, „von einstmals bis jetzt" (εκτοτε ëooç του  νυν)  ihren  Samen  in  die  gerechten  Seelen einsät (Irenäus 1,7,5,760). Einstmals, bei der Weltschöpfung, war das berechtigt, weil der unwissende Demiurg die Welt und den Menschen nicht zu bilden vermochte (Irenäus l,5,5f). Daß dieses Einsäen auch jetzt noch fortgesetzt wird, ist eine mythische Konzession an die Realität, in der offensichtlich immer wieder neue erwählte Pneumatiker geboren werden. In sich stimmig ist es nicht, Plotin hat recht. Schließlich verwahrt er sich dagegen, daß die Gnostiker den Kosmos als schlecht betrachten, weil es viel Widriges darin gibt (4,22-32). Damit kommt er auf die Folgen des Falls konsequent zu sprechen. Denn diese Welt entsteht nach den Valentinianern aus den niederen  πάθη  der  gefallenen  Sophia,  die  zu  den  Bauelementen  der  Welt  verdichtet  und  damit  von  ihren höheren, rettungsfähigen Affekten  (φόβος  und  επιστροφή)  geschieden  werden,  die  in  psychische  Substanz übergehen. Der irdische Kosmos ist damit nichts als eine Art „Abfallprodukt", das zwar in gewissem Sinne kunstfertig und notwendig ist, dessen Elemente aus „Erschrecken, Ratlosigkeit, niederer Furcht, Trauer, Tod und Verderben" ihn aber eindeutig nega-

45

  Irenaus,  Adv.  haer.  1,21,4;  13,6 u.ö.

Die frühe Gnosis zwischen platonischem und christlichem Glauben

17

tiv qualifizieren 4 6 . Aus  θάνατος  und  φθορά  soll  das  Feuer  entstanden  sein,  das  allem  Materiellen,  sein  Ende  bestimmend  innewohnt 4 7 .  Wohl  nicht zufällig fügt Plotin daher seiner Argumentation gegen einen angeblich schlechten Kosmos einen Preis des irdischen Feuers an, das ein vollkommen angemessen schönes Abbild des oberen Feuers sei (4,27f), wie das auch auf den gesamten Kosmos zutreffe 4 8 . Damit ergibt sich: Plotin kennt den valentinianischen Mythos bzw. seinen Grundtyp genau. Er weiß vom Fall der Sophia/Seele, von seiner Begründung in Selbstüberhebung, von seinen Konsequenzen in unserem schlechten Kosmos (und uns) und von der Rettung der Sophia durch die ihr von einem Erlöser mitgeteilte Erkenntnis sowie ihrem dadurch bewirkten „Umdenken", ihrer Reue, und damit der Voraussetzung ihrer endgültigen Erlösung. Plotin kennt diese Fakten des Mythos nicht nur, sondern er weiß auch, was sie ausdrücken sollen, nämlich die gänzliche Verfallenheit des Menschen in Sünde und Schuld sowie seine Errettung daraus, die nach gnostischem Verständnis ausschließlich auf das Wirken Gottes zurückzuführen ist, in keiner Weise auf die „Mühe" des Menschen 4 9 . D.h. nicht, daß das Mühen des Menschen in dieser Welt ethisch irrelevant oder gar überflüssig wäre 5 0 . Es ist aber nicht heilsbezogen 46

Vgl. Irenaus 1,5,4 bzw. Clemens, Exc. 48; s. auch Hippolyt 6,32,6. Irenaus 1,5,4,553-556; vgl. Clemens, Exc. 48,4. 48 Daß die Gnostiker den Kosmos schelten, ist einer der stärksten Anstöße, den Plotin an ihren Lehren nimmt. Er kommt in den verschiedensten Zusammenhängen darauf immer wieder zu sprechen, s. II 9,8 bzw. 17f u.ö. S. dazu K. Alt (s. o. Anm. 18), 47 u.ö. 49 Vgl. dazu Plotin II 9,9,59 ...  οΟδέν  πονήσας  ...,  vom  Pneumatiker  gesagt,  der  „mehr  als  der  Himmel"  sein  soll.  50   Die Valentinianer  oder  auch nur gewisse Gruppen  unter  ihnen, was hier nicht zu  entscheiden  ist,  versuchen  die Mühe vornehmlich auf das sog. Psychische zu reduzieren, das sich zu Glaube oder Unglaube frei entscheiden können soll (Irenaus I,6,lf und Clemens, Exc. 56,3-57,1). Jedoch ist die Vorstellung nicht ganz klar bzw. wieder nicht ganz stimmig. Eindeutig ist, daß das Pneumatische durch ihm zugesprochene Gnosis „gestaltet", d.h. errettet wird (Irenäus 1,6,1, p. 90,10 und Clemens, Exc. 57,lf). Aber auch das Psychische scheint nach dieser Vorstellung kaum aufgrund seiner eigenen Entscheidung gerettet zu werden oder nicht, wie immer angenommen wird und wie auch Irenäus interpretiert (1,6,2). Vielmehr ist das Psychische mit dem Pneumatischen in dieser Welt  (ένόάδε)  in  einer Syzygie vereint, stellt also, in Parallele zu den Äonen, das weibliche Materialprinzip gegenüber dem männlichen Gestaltungsprinzip dar. Nur beide zusammen können errettet werden, so wie, nach dem Zitat aus Rom 11,16-26, das Clemens hier anführt, Israel zusammen mit den Heiden. Die „Verwandlung", die das Psychische erfährt, „von der Knechtschaft zur Freiheit" ist eher auch eine geschenkte als eine erworbene. 47

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Barbara  Aland 

bzw. eher selbstverständlich und ist keinesfalls eine Voraussetzung für den „Heilsweg", wie das für Plotin in bestimmtem Sinne der Fall war 5 1 . Er muß sich an dieser Stelle besonders präzise von valentinianisch-christlichem Erlösungsverständnis absetzen, denn selbstverständlich ermöglicht auch für ihn Gott selbst die Erkenntnis 52 : „Wenn man denn eine Gnosis  (γνώσις)  und  Wahrheit  ansetzen  und  am  Seienden  festhalten muß, ... so muß man das alles dem wahren Geist zuschreiben" (V 5 [32], 2,4-9). Plotin entwickelt daher nicht zufällig in den drei zeitlich vor der Schrift II 9, die Porphyrius „Gegen die Gnostiker" nannte, entstandenen Traktaten seine Erkenntnislehre „in großartiger Vertiefung" 5 3 . Danach liegt die Idee nicht „außerhalb des Geistes" 54 , sondern im „Strom" des menschlichen Denkens, „indem es seine Kraft vom Seienden erhält, indem es nicht nur auf das Seiende gerichtet ist, sondern mit ihm zusammenfällt. Der Mensch, wenn er die Ideen denkt, denkt sich selbst und denkt Gott" 5 5 . Eine Erkenntnis dagegen, die dem Menschen, wie die Valentinianer lehren, ausdrücklich „von außen" zukommt und zugesprochen werden soll, ist für Plotin nicht nur blasphemisch, wie oben gezeigt, sondern ein Hirngespinst. Was er in der Schrift 32 (V 5), direkt vor 33 (II 9), ausführt, ist weit mehr als eine Widerlegung der Gnostiker und nicht um ihretwillen geschrieben, aber es widerlegt auch ihre Erlösungsverkündigung und zeigt den unüberbrückbaren Graben zwischen ihrer und seiner Theologie auf. „Am  bedeutsamsten  von  allem  ist  aber  Folgendes.  Mag  man  bereitwillig  zugestehen,  daß die geistigen Gegenstände draußen sind und der Geist sie in ihrer dortigen Lage anschaut, so kann unmöglich der Geist ihr Wahrsein in sich haben und muß betrogen sein in all dem, was er anschaut. Denn sie wären das Wahre; und er müßte sie anschauen und besäße sie nicht, sondern erfaßte in einer derartigen Erkenntnis nur ihre Abbilder. Da er also das Wahre nicht hätte, sondern nur die Abbilder des Wahren zu sich nähme, so würde er den Trug bekommen und nichts Wahres..."

51

52 53 54 55

Dazu s. II 9,15, bes. 22ff. Der Ausdruck „Heilsweg" ist übernommen von Harder/Theiler, s. Bd. Illb, S. 381. Vgl. dazu u.a. V 8[31], 9,7-14. So Harder/Theiler in der Einleitung der Edition der Schrift, Bd. III b, S. 399. So in Porphyrios Überschrift zu V 5 [32]. Bd. III b, S. 399.

Die frühe Gnosis zwischen platonischem und christlichem Glauben

19

„Ist  nun  aber  im  Geiste  keine  Wahrheit,  so  ist  ein  derartiger  Geist  weder  Wahrheit  noch  in  Wahrheit  Geist,  und  also überhaupt nicht Geist. Es kann dann aber die Wahrheit auch nirgendwo anders sein. Man darf also die geistigen Gegenstände weder außerhalb des Geistes suchen noch annehmen, daß im Geist Abdrücke der seienden Dinge vorhanden sind, noch darf man ihm die Wahrheit absprechen und damit die geistigen Gegenstände unerkennbar, ja nichtexistent machen und überdies den Geist selber aufheben". (Übersetzung Harder) 56

Merkwürdig ist allenfalls, daß Plotin bei seiner Argumentation gegen die Gnostiker scheinbar niemals auf deren Erlösungsmodus zu sprechen kommt 5 7 ; ich meine das Faktum, daß eine Soter-Gestalt dem zu Errettenden die befreiende Erkenntnis „von außen" mitteilt. Wäre das nicht einer Widerlegung wert gewesen? Oder ist anzunehmen, daß er auch auf diese für ihn extrem unsinnige Sache nur indirekt in platonischer Verkleidung zu sprechen kommt, weil er seinen neuplatonischen Freunden eine Polemik gegen von vornherein Unsinniges nicht zumuten kann? Es scheint so zu sein. In II 9 , 1 6 , l l f f folgert Plotin aus der gnostischen Mißachtung der Welt, daß die Gnostiker auch das Jenseitige nicht kennen könnten. Entsprechend leugneten sie, daß die Vorsehung  (πρόνοια)  von  dort  bis  in  diese  Welt  hineinreiche,  und  fährt fort: „Sie behaupten nämlich, daß die Vorsehung für sie allein Vorsorge" (...  αυτών  προνοεΐν  αύ  μόνων),  nicht für den Kosmos (16,17). Plotin behandelt die gnostische, von außen zugesprochene Erlösung unter dem Thema der  πρόνοια,  wie  das  auch  Valentin  selbst  gelegentlich  schon  getan  hat  .  Denn  das  ist  der  eigentliche  Punkt,  der  ihn  an  den  abstrusen  Vorstellungen  der  Gnostiker  inter­ essiert  und empört: daß die Vorsehung nur zu einzelnen Menschen, nicht zum Gesamten des Kosmos kommen soll. Der gleiche Widerspruch findet sich in 9,65ff im bezeichnenden Anschluß an Plotins Protest gegen gnostische Anmaßung 5 9 . Auch die mittelmäßigsten und bescheidensten Leute dürfen sich ja nach gnostischer Ansicht

56 57

58 59

V 5,1,50-58 und 1,65-2,5. Wohl spricht er mehrfach von den Folgen der Erlösung (vgl. II 9,9,43-65.  5,Ι­ δ.  18,17ff u.ö.), die ohne eigene Mühe des zu Erlösenden erreicht werden (9,59). Vgl. bei Clemens, Strom. 2,114,6. II 9,9,52ff.

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einbilden, Gottes Söhne zu sein 6 0 . Wir müssen hinzufügen: aufgrund der ihnen geschenkten, erlösenden Erkenntnis, bzw. eben: der Pronoia Gottes, die für sie gesorgt hat. Es ist also nicht die gnostische Annahme einer Erlösung durch Erkenntnis an sich, die Plotin mit Abscheu erfüllt, er kennt sie ja selbst. Wohl aber erregt ihn, daß diese Pronoia nicht auf dem geordneten und allein angemessenen Weg von der oberen Welt in die hiesige hinabkommen soll, und daß entsprechend auch nicht der „Heilsweg" für den Menschen über die Tugend hier zur Einsicht und Erkenntnis der gestuften Gottheit führen soll 6 1 ; es erregt auch Celsus, daß Erlösung den nicht erzogenen Menschen zukommen soll. D a ß erlösende Erkenntnis nach valentinianisch-christlicher Auffassung allein auf dem Weg der gnädigen Gabe zum Menschen kommen kann, zum Menschen, der „sich nicht gemüht hat"  (ουδέν  πονήσας  9 , 5 9 ) ,  hat  Plotin  also  wohl  als  Zentraltopos  der  Gnostiker  sehr  gut  verstanden.  Es  ist für ihn Blasphemie gegen die von Gott geordnete jenseitige und hiesige Welt, gegen den damit von Gott gewiesenen „Heilsweg" im Aufstieg von unten nach oben, und d.h. Blasphemie gegen Gott und seine  πρόνοια  selbst.  Als  Ergebnis  des  Bisherigen  stellt  sich  folgendes  heraus:  Ein  me­ thodisch zuverlässiger Zugang zu gnostischer Piatonbenutzung und platonischem Protest dagegen läßt sich nur gewinnen, wenn man den Mythos als Ganzes betrachtet und die Bilder, unter denen er bestimmte theologische Aussagen verdeutlicht, als Bilder erkennt und sie dann als ganze, nicht in jedem einzelnen Bezug zu philosophischen Systemen, zu deuten versucht 6 2 . Hinweise für eine Deutung 60

Und zwar „plötzlich"  (εξαίφνης  9 , 5 3 ) ,  nachdem  sie „gehört" haben: „Du wirst nicht nur über allen Menschen, sondern auch über Göttern sein". - Hier wird das gnostische Zusprechen der Erkenntnis durch einen Erlöser karikiert, ebenso die „plötzliche" Wirkung der in der Seele blitzartig aufgehenden Erleuchtung, die die Valentinianer lehren. Plotins Karikatur ist sehr genau.

61

Vgl. II 9 , 1 5 , 3 2 - 4 0 .

62

Eines bleibt nachzutragen. Wir haben im Vorstehenden immer von dem valentinianischen Mythos gesprochen. Das ist natürlich inkorrekt. Die Vielfalt der valentinianischen Umprägungen ihres Mythos ist bekannt. Von Valentin selbst über Ptolemäus zu dem anonymen Autor der Quelle Hippolyts läßt sich auch ein immer stärkeres Bemühen aufzeigen, Parallelen zur platonischen Philosophie herauszuarbeiten. Der Mythos wird „philosophischer". Das unterstreicht aber eher die hier vorgetragene These. Denn „philosophische" Elemente sind selbst in den spärlichen Fragmenten des Valentin und sehr viel stärker noch bei dem älteren und besser bezeugten Basilides zu erkennen. Andererseits bleibt bei allen, auch dem Valentinianer bei Hippolyt, die gleiche Botschaft, die sie über den Mythos mitteilen wollen.

Die  frühe  Gnosis  zwischen  platonischem  und  christlichem  Glauben 

2 1 

gibt die Darstellung selbst wie die darin angeführten Schriftzitate. Detailforschung dagegen, die nur das einzelne Motiv sieht und es mit Akribie seiner platonischen, pythagoreischen, stoischen, auch jüdischen Herkunft zuordnet, hat zwar einen philosophiegeschichtlichen Wert, hilft aber nichts für das Verständnis dessen, was die Gnostiker mit der òesamtheit der Motive und Bilder aussagen wollten. Erst wenn das zuverlässig erkannt ist, kann - vielleicht durch Detailforschung eine weitere Bestätigung der Gesamtdeutung erfolgen. Aber nicht jedes Detail des Mythos muß eine bestimmte, rational aussagbare Bedeutung haben und vor allem muß es nicht in jedem Mythos denselben Sinngehalt haben. Vielmehr variieren und paraphrasieren die Gnostiker gern ihre Bild- und Sprachwelt, wie schon die Variationen des valentinianischen Mythos aus der zweiten Hälfte des 2. Jahrhunderts zeigen, ohne den Kern ihrer Verkündigung anzutasten. Die hier vorgeschlagene und durchgeführte Methode der Interpretation gnostischer Mythen geht allerdings davon aus, daß es einen solchen Kern der gnostischen Mythen gibt: einen präzisen theologischen Aussagewillen, der sehr wohl in rationaler Terminologie zu fassen wäre, dann aber, wie gezeigt, den griechischen Adressaten nicht verständlich gewesen wäre. Für den, der das bezweifelt, führt selbstverständlich auch diese Methode zu nichts. Mir scheint allerdings, daß man den präzisen theologischen Aussagewillen zumindest für die frühen Gnostiker nicht bezweifeln kann . W o liegen aber die Gründe für die platonischen Entlehnungen? W o liegt die wirkliche theologische Nahtstelle zwischen Piatonismus und Christentum nach Auffassung unserer Gnostiker, die sie sachlich berechtigte, mit einem Weltentstehungsmythos platonisierender Art Christusverkündigung zu betreiben? W o liegt also die Voraussetzung für die Entlehnung bei platonischer Philosophie? Die wirkliche sachliche Nähe zum Piatonismus ergibt sich für die Gnostiker m.E. aus der berühmten Einleitung des Timaios-Mythos

63

  Gesteht  man  das  zu,  so  kann  man  sogar  in  aller  gebotenen  Vorsicht  nach  platonischen  Quellen  für  die  Gnostiker  suchen.  Durchweg  wird  man  dabei  finden,  daß der relativ hohen formalen Übereinstimmung eine andere Interpretation der Formalia gegenübersteht. Das gilt z.B. für Numenios und gnostische Ausdeutungen, die mit denselben Termini Entgegengesetztes meinen (vgl. z.B. die  μίμησις  des  ersten  Gottes  als  notwendigen  Lebensquell  im  System  des  Nu­ menios gegenüber der  μίμησις  als  der  das  „Leben"  des  Pieromas zerstörenden Sünde bei den Valentinianern).

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selbst.  Dort  heißt  es  ( 2 9 c 7 ­ 3 0 c l ) ,  die  Ursache  für  die  Bildung  der  Welt  sei  die  Güte  Gottes  (αγαθός  fjv,  άγαθω  δε  ουδείς  περί  ούδενός  ούδέποτε  έγγίγνεται  φθόνος,  29tlt).  Daher  wollte  er,  daß  alles  ihm  selbst  so  δhnlich  wie  möglich  werde,  d.h.  alles  gut  und  soviel  wie  möglich  nichts  schlecht.  Da  er  das  Sichtbare  (d.h.  die  Materie)  aber  nicht  in  ησυχία,  sondern  in  maßloser  und  ungeordneter  (ατάκτως)  Bewegung  vorfand,  überführte  er  es  aus  der  άταξία  in  die  τάξις,  da  ihm  diese  auf  jede  Weise  besser  schien  als  jene.  Um  das  Schönste  zu  gestalten,  was  ihm  allein  angemessen  war,  verlieh  er  dabei  der  Seele  Vernunft  und  dem  Körper  die  Seele,  um  so  das  seiner  Natur  nach  schönste  und  beste  Werk  zu  vollbringen.  Der  berühmte  Passus,  von  dem  wir  annehmen  können,  daß  ihn  auch  unsere  Gnostiker  kannten,  schließt  mit  dem  Hinweis,  daß  so κατά  λόγον  τόν  εικότα  die Welt  als  beseeltes  und  mit  Vernunft  begabtes  Lebendes  entstanden  sei  durch  Gottes  vorhersehende  Fürsorge  (πρόνοια).  Hier  sind  alle  Elemente  versammelt,  die  für  die  Gnostiker  akzep­ tierbar  und  nutzbar  waren:  das  Gut­Sein  Gottes  ohne  jeden  vor­ enthaltenden  φθόνος,  verstanden  als πρόνοια  gegenüber  der  Welt  und  aktualisiert  in  der  Gestaltung  und  Ordnung  der  ohne  M a ß  und  Form  existierenden  Materie.  Piaton  beschrieb  Weltschaffung  als  einen  heilvollen  Prozeß  der  Formung  des  Gestalt­  und  Ordnungslosen,  einen  Prozeß,  durch  den  die  Materie  zu  qualifiziertem  Sein  allererst  befreit  und  erlöst  wurde.  Indem  wir  so  formulieren,  in  Anlehnung  an  mittelplatonische  Interpretation 6 4 ,  wird  unmittelbar  deutlich,  wo  die Valentinianer  an  platonische  Philosophie  direkt  anknüpfen  konn­ ten:  Gestaltung,  Formung,  verstehen  auch  die  Valentinianer  als  Be­ freiung  und  Erlösung,  allerdings  Erlösung  von  der  Urschuld,  die,  wie  oben  beschrieben,  das  Geschehen  des  Mythos  so  jδh  und  gδnzlich  unplatonisch  auslöste.  Den  Begriff  der  Formung,  aus  platonischer  Kosmologie  übertragen  sie  daher  auf  die  Zusammenhδnge,  um  die  es  ihnen  ging.  Denn  wenn  irgendwo  in  der  antiken  philosophischen  Literatur,  so  erschien  ihnen  hier,  in  der  paradigmatischen  Schilde­ rung  von  Gottes  Zuwendung  zur  Welt  bei  der  Weltschaffung,  etwas  ausgedrückt,  das  dem  nahe  kam,  was  sie  aussagen  wollten:  gnδdige, 

64

Vgl. dazu u.a. Numenios, frg 1 5 , w o es heißt, von der  στάσις  des  ersten  Gottes  komme  die  Ordnung  (τάξις)  der  Welt  και  ή  μονή  ή aîSios  καί  ή  σωτηρία  (=  Erhaltung)  άναχεΐται  eis  τά  όλα.  Z u m  gesamten  Zusammenhang  bei  Philon  vgl.  R.  Berchman,  From  Philo  to  Origen.  Middle  Platonism  in  Transition,  Brown  Judaic  Studies  6 9 ,  Chico/California  1 9 8 4 ,  25f. 

Die  frόh e  Gn o sis  zw ischen  platonisch em  und  christlichem  Glaube n 

2 3 

geschenkte  Erlφsung  von  Sch uld 6 5 .  Die  Valentinianer  stellten  in  ihrem  My th o s  desh alb  Erlφsung  unter  dem  Bild  der  „Fo rm u n g"  dar.  D as  Bild  w urde  variiert.  Von  der  buchstδblichen  Fo rm un g  des  zvutsrponm έκτρωμ α  αμ ορφον  der  Soph ia  bis  zur  Fo rmun g  durch  Gabe  von  Erkenntnis  sind  verschiedene  Interpretationen  und  Variationen  die­ ser  Fo rm un g  mφglich.  Der  Begriff  selbst  w ird  auch  vielfδltig  variiert  als  „Ge st al t u n g",  „Prδgu n g",  „Fe sti gun g",  „O rdn u n g"  u.δ. 6 6  Im­ mer  abe r,  in  allen  Stufen  eines  und  desselben  My th o s  w ie  auch  in  literarischen  Variationen  der  Mythen  von  anderen  valentinianischen  Ve rfasse rn ,  begegnet  dasselbe  Grundelement  der  Formun g.  Und  man  versteht  auch ,  w arum :  die  Valentinianer  lesen  platonische  Ko sm o l o ­ gie,  nicht  gan z  unberechtigt,  als  Soteriologie.  Sie  stellen  daher  die  Heilung  der  schuldig  gew ordenen  Sophia  als  einen  Prozeß ihrer Ge staltun g dar. Sie müssen daher auch die Folgen ihres Falls als eine „un ge stalte Fe h lge burt", bzw . als „fo rm lo se , des Erkennens unfähige Fruc h t" beschreiben, damit sich daran die Gestaltung dieser Frucht als notw endig anschließ en kann. Denn in der Frucht sind noch Teile der gefallenen Soph ia selbst verblieben, aber derart ver-

  Philon  ist hier, wie so  oft, in gewissem  Sinne ein Wegbereiter.  Zwar  bleibt  er mit  seinem  Denken  zum  Thema  „Gestaltung"  ganz  im  Rahmen  der  Weltschöpfung  (insofern  ist  der  Unterschied groß), aber er bringt doch deutlich zum Ausdruck, daß der Schφpfer „reiche Gnadengaben" an die Materie gewandt habe, da er erkannte, „daß sie ohne gφttliche Gabe nichts Gutes aus sich selbst zu erlangen imstande sei" (De op. mundi 23). Das Moment der aus sich selbst hilflosen Materie ist hier als tertium comparationis wichtig. Vgl. dazu außerdem, De fuga et inventione 172f; De aeternitate mundi 39­42; De Providentia I 22ff et passim. 6 6 Vgl. Irenäus 1,2,2, 171 ...  έπεσχήσθαι  καί  έστηρίχθαι  ...;  1,2,5,  211  ττήξις  und  στηριγμόξ;  1,2,5,  212  καταρτισθήναι;  1,2,5,  220  γέυεσίξ  und  μόρφωση;  1,8,5,  917  μορφόω;  1,8,5,  947:  Hier heißt es in Ptolemäus' Auslegung des Johannes­ prologs zu Joh 1,4, der Evangelist habe die Zoe als „Licht der Menschen" bezeichnet. Denn durch sie seien die Menschen erleuchtet worden,  δ  δή  έστι  μεμορφώσθαι  καί  πεφανερώσθαι. ­  Wie hier ist häufig der dem μορφοΟσθαι  parallel  gebrauchte  Begriff aufschlußreich. Um den Terminus der Formung o.ä. im valentinianischen Mythos zu verstehen, muß man nicht nur sämtliche Begriffe dafür nebeneinander sehen, sondern auch die verschiedenen Vorgänge der For­ mung sachlich zueinander in Beziehung setzen. Es führt m.E. nicht weiter, wenn man wie z.B. G. May in einem exakten Referat nur die μόρφωσις κατ' ούσίαυ mit  der  „kosmologischen  Vorstellung von der  Gestaltung  der  ungeformten  Materie"  in Verbindung  bringt (Schφpfung aus dem Nichts. Die Entstehung der Lehre von der creado ex nihilo, Berlin 1978,100), nicht aber die darauf folgende  μόρφωσις  κατά  γνώσιν.  Vielmehr muß das Bild der „Formung" als ganzes begriffen und verstanden werden, warum die Valentinianer es so auffällig häufig in ihren Mythos einbrachten.

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Barbara Aland

mischt mit niederen Substanzen, daß sie sich aus eigener Kraft nicht wieder befreien können, sondern der eingreifenden Hand des Erlöser-Gottes bedürfen. Schuld und die hoffnungslose Verstrickung in Schuld ist in diesem Bilde nicht unangemessen beschrieben. Das kann hier nur angedeutet werden. Die Gnostiker sind kühn und klug. Sie tun vor (das gilt zumindest von Basilides) und neben den Apologeten, was gemeinhin nur diesen als Großtat angerechnet wird: sie machen sich als Christen ihrer Umwelt verständlich, sie knüpfen an deren Denkvorstellungen an, kurz: sie wirken apologetisch und protreptisch und bedenken die christliche Botschaft in den Gegebenheiten der griechisch-römischen Welt des 2. Jahrhunderts. Wenn Justin Christus als Logos vorstellt, so ist das im Prinzip nichts anderes, als wenn frühe Gnostiker Erlösung in Anlehnung an die Formung der Welt in platonischer Sicht darstellten. Der erhebliche Unterschied zwischen beiden - das muß nun sogleich hinzugefügt werden - liegt allerdings darin, daß Justin bei seinem Bemühen um Anknüpfung erheblich bedachtsamer vorgeht als jene, daß er zumindest versucht, dabei im sachlichen Rahmen altchristlicher Verkündigung von Tod und Auferstehung zu bleiben. Ob ihm das gelungen ist, braucht hier nicht erörtert zu werden. Jedenfalls hat er die Theologiegeschichte bestimmt, während der gnostische Versuch der Anknüpfung letztlich doch als ein nicht gelingender bezeichnet werden muß und mit Recht aus der Kirche ausgeschieden (Irenäus) bzw. von Clemens und Orígenes transformierend zurückgeholt wurde. Im Prozeß, der mit dem Begriff der „Weltlichkeit des Glaubens in der Alten Kirche" hier bezeichnet wird, haben die christlichen Gnostiker gleichwohl ihre Spur hinterlassen.

K A R I N  A L T 

Glaube,  Wahrheit,  Liebe,  Hoffnung  bei  Porphyrios 

Für viele Philosophen der späteren Antike, insbesondere die Platoniker, war ihr Bemühen um Erkenntnis und ihr philosophischer Weg zugleich Ausdruck einer religiösen Lebenshaltung. Denn die Philosophie schloß die Theologie, neben anderen Problembereichen, in sich ein. Nicht nur stand die Frage nach Gott, nach einer höchsten Instanz und Ursache allen Seins, Werdens, Geschehens im Zentrum des Spektrums philosophischer Thematik, auch für die Suche nach dem persönlichen Heil, nach  σωτηρία,  in  dieser  schwierigen  und  bedrängenden Welt sollte die Philosophie Hilfe gewähren und dem einzelnen Menschen den Weg empor zum Göttlichen weisen. Analogien zu christlichem Seinsverständnis und Streben nach einem ersehnten Ziel sind erkennbar. Von Porphyrios freilich, dem erbitterten Christengegner, dessen polemische Schrift „Gegen die Christen" noch mehr als anderthalb Jahrhunderte nach ihrem Erscheinen als derart brisant und gefährlich galt, daß sie dem Verdikt und der Vernichtung anheimfiel 1 , wird man kaum erwarten, daß er eine philosophisch-religiöse Ausrichtung seines Lebens bekundet, die eine Nähe zu christlichen Vorstellungen aufweist und zu deren Grundelementen Glaube, Liebe, Hoffnung zählen. Und doch ist uns ein Zeugnis dafür überliefert in Gestalt einer Schrift, die Porphyrios in vorgerücktem Alter verfaßt hat; es handelt sich um den „Brief an M a r k e l l a " , ein persönliches, aber zur Veröffentlichung bestimmtes

Porphyrios  schrieb  dieses  Werk  während  seines  Aufenthalts  in  Sizilien  in  den  Jahren  um  2 7 0 .  Die  Zeugnisse  und  Fragmente  wurden  ediert  von  A.  v.  Harnack,  Porphyrius,  „Gegen  die  Christen".  Abhandl. königl. preuß. Akademie d. Wissensch. Berlin 1 9 1 6 und 1 9 2 1 . Zur Haltung der Kirche vgl. Harnack 1 9 1 6 , 5: „Das Werk ist bereits von Constantin vor dem Nicänum unterdrückt worden; doch erhielten sich noch Exemplare, so daß die Kaiser Theodosius II. und Valentinian im Jahre 4 4 8 das Gebot, welches die Bücher vernichten sollte, wiederholen mußten. Seitdem gibt es keine sichere Spur mehr von ihnen."

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Schreiben,  das  Porphyrios  von  einer  Reise  an  seine  Frau  richtete  und  das  als  ein  philosophischer  Protreptikos  gelten  kann 2 .  Bedeutende  Gelehrte  haben  dieses  Werk  gewürdigt;  Festugière  spricht  vom  „testament  spirituel  du  paganisme" 3 ,  Harnack  meint,  daß die Frömmigkeit dieses großen Feindes des Christentums sich hier kaum unterscheide von jener der griechischen christlichen Theologen des dritten Jahrhunderts 4 , und Bidez schreibt sogar von Porphyrios, „qu'il a fini sa vie dans les sentiments d'un vrai Chrétien" 5 . Wie läßt sich dieser Befund erklären? Zunächst sei in Kürze einiges zur Biographie und zur Einordnung der beiden genannten Schriften in das Leben des Porphyrios gesagt, von dem wir freilich nur wenige Daten wissen. Porphyrios wurde 2 3 4 in Tyros geboren. Dort mag er mit Christen in Berührung gekommen sein; ob er aber selber in seiner Jugend Christ gewesen ist und sich später losgelöst hat, wie der Kirchenhistoriker Sokrates, der in der ersten Hälfte des fünften Jahrhunderts schrieb, überliefert, wird man nicht als sichere Nachricht akzeptieren 6 und vor allem nicht als psychologischen Hintergrund der Christenfeindschaft be-

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Ausgaben (zumeist mit Kommentar oder Anmerkungen): Porphyre. Vie de Pythagore. Lettre à Marcella. Texte établi et traduit par E. des Places, Paris 1982 (nach dieser Ausgabe wird im folgenden zitiert). - Porphyrius, Philosophus Platonicus, Opuscula selecta ed. Nauck, Leipzig 2 1 8 8 6 (repr. 1 9 6 3 , 1977). — Porphyrios Προς  Μαρκέλλαν.  Hg., übers., eingeleitet u. erklärt von W. Pötscher, Philosophie antiqua X V , Leiden 1969. - K. O'Brien Wicker, Porphyry the Philosopher. T o Marcella. The Society of Biblical Literature 1 9 8 7 . - Porfirio, Vangelo di un pagano. Lettera a Marcella, Contra Boeto (etc.), a cura di A.R. Sodano, Milano 1993.

3

A.J. Festugière, Trois dévots paiens II: Porphyre, Lettre à Marcella. Paris 1 9 4 4 , 17. A. v. Harnack, Greek and Christian Piety at the End of the third Century. The Hibbert Journal 10, 1911/1912, 78: „His piety is hardly to be distinguished from that of the Greek Christian theologians of the third century". 79: „The piety of Porphyry is not only similar to that of the Christians of his day - it accords with theirs just in its deepest elements." J . Bidez, Vie de Porphyre, le philosophe néo-platonicien, Gent 1913 (repr. Hildesheim 1964), 116. Socrates Eccles. hist. II 23,38. Vgl. dazu Beutler R E X X I I Sp. 2 7 6 : „Zweifellos eine Erfindung, um P.'s christenfeindliche Haltung zu motivieren." Anders Harnack 1 9 1 6 , 4: er nimmt diese Überlieferung ernst und schreibt, Porphyrios habe „der Kirche, die er jetzt bekämpfte, so nahe gestanden, daß er durch einen Bruch sich von ihr lösen mußte ... Das große Werk gegen die Christen ist also von einem Manne geschrieben, der zeitweise im Vorhof der Kirche gestanden hat."

4

5

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Glaube,  Wahrheit,  Liebe,  Hoffnung  bei  Porphyrios 

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werten wollen. - Zum Studium der Philosophie ging Porphyrios zunächst nach Athen zu dem Platoniker Longin; zugleich interessierte er sich lebhaft für die Frage nach der Wahrheit und philosophischen Bedeutung der Orakel und nach den verschiedenen möglichen Wegen, die den Menschen zu Gott führen können, sowie nach der Existenz von Dämonen, Göttern, dem höchsten Gott. Davon zeugen die beiden Schriften „Über die Philosophie der Orakel" und „Brief an A n e b o " , die vor seiner Schülerschaft bei Plotin entstanden sein dürften und für uns nur durch Zitate bei anderen Autoren kenntlich sind. Erhalten ist die (einst anonym publizierte) Antwort-Schrift Jamblichs auf den „Brief an Anebo", die heute den Titel „Über die Mysterien der Ägypter" trägt 7 und einigen Aufschluß über die Fragen gibt, die Porphyrios stellte. - Im Jahre 2 6 3 kam Porphyrios zu Plotin nach R o m , wurde - nachdem er sich zu dessen philosophischen Grundlehren bekannt hatte - sein enger Schüler, dem der Lehrer die Herausgabe seiner Schriften anvertraute. Er geriet indes nach einigen Jahren in eine persönliche Lebenskrise, über die er offen in seiner Plotin-Biographie berichtet 8 ; Plotin empfahl ihm eine Reise zur Entfernung von Rom. So ging Porphyrios um 2 6 8 nach Sizilien, wohin Plotin ihm auch weiterhin seine Manuskripte zusandte. Eine Rückkehr zu Plotin konnte nicht mehr erfolgen, da dieser bald danach erkrankte und starb (270). Daß Porphyrios später wiederum nach Rom übersiedelte und die Nachfolge Plotins antrat, ist wahrscheinlich, doch wissen wir darüber gar nichts Sicheres, weder über den Zeitpunkt noch über den Modus, in welchem die Schule Plotins fortbestand 9 . Auch über den weiteren Lebensverlauf des Porphyrios haben wir fast keine Kenntnis, außer daß er in der Plotin-Biographie sein damals 68. Lebensjahr erwähnt 1 0 (er hat sie demnach um 3 0 2 verfaßt) und im Markella-Brief schreibt, er

7

 

Der  antike  Titel  ist  sehr  kompliziert.  ­  Der  Text  ist  zugänglich  in  der  Ausgabe:  Jamblique.  Les  Mystères  d'Égypte.  Texte établi et traduit par É. des Places. Paris 1966.

8

Porphyrios, Vita Plotini (ediert innerhalb aller Plotin-Ausgaben) Kap. 1 1 , U f f . ; auch die Daten und verschiedene Fakten seines Aufenthalts bei Plotin sind aus dieser Biographie bekannt, ebenso die Chronologie der Werke Plotins.

9

Vgl. Beutler R E X X I I Sp. 2 7 8 : „Im Alter (wann, ist ungewiß) kehrte P. nach R o m zurück und übernahm die Leitung der Schule ... Doch bleibt seine Tätigkeit in diesem Amt ebenso wie der Verlauf seines weiteren Lebens für uns ganz im Dunkel."

10

Vita Plotini Kap. 2 3 , 1 3 f .

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Karin Alt

habe  als  „alternder  M a n n " ,  eis  τό  γήρας  αποκλίνων,  nach  dem  T o d  eines  Freundes  Markella,  dessen  mit  sieben  Kindern  zurückgebliebe­ ne  Witwe,  geheiratet 11 .  Sein  Tod  wird  im  Jahr  3 0 3  oder  3 0 5  ange­ nommen.  Wδhrend  seines  sizilischen  Aufenthalts 1 2 ,  nach  der  Trennung  von  Plotin,  aber  bei  bleibender  Verbindung  mit  ihm  hat  Porphyrios  sein  umfangreiches,  fünfzehn  Bücher  umfassendes  Werk  „Gegen  die  Christen"  geschrieben.  Über  den  Anlaß  zu  dieser  polemischen  Aus­ einandersetzung  wissen  wir  nichts.  Es  ist  möglich,  daß  der  Anstoß  dazu  von  Plotin  herrührte  und  Porphyrios  bereits  in  R o m  sein  Vor­ haben  durch  reiche  Materialsammlungen  vorbereitete,  wie  Harnack  vermutet 1 3 ;  sicher  ist  es  nicht.  In  einem  wichtigen  Kapitel  der  Plotin­ Vita  (16)  berichtet  Porphyrios,  daß  sich  damals  in  Rom  (und  offen­ bar  auch  im  Kreis  um  Plotin)  zahlreiche  Christen  befanden,  darunter  Anhδnger  verschiedener  hδretischer  Richtungen  sowie  auch  Leute,  die  sich  auf  Offenbarungsschriften  des  Zoroaster  und  Zostrianos  stützten.  Plotin  selber  habe  in  seinen  Vorlesungen  vielfache  Wider­ legungen  vorgetragen  und  seine  Schrift  „Gegen  die  Gnostiker"  ver­ faßt 1 4 ,  habe  aber  das  übrige  zu  widerlegen  seinen  Schülern  überlas­ sen.  So  habe  Amelios  eine  Schrift  gegen  das  Werk  des  Zostrianos  geschrieben,  er,  Porphyrios,  aber  habe  mit  vielen  Argumenten  auf­ gezeigt,  daß  das  Buch  des  Zoroaster  eine  spδte  Fδlschung,  eine  Fiktion  der  Sektengründer  sei.  ­  Porphyrios  weist  hier  nicht  ohne  Stolz  auf  seine  kritischen  Fδhigkeiten  beim  Urteil  über  religiöse  Schriften  und  deren  Schwδchen  hin.  Es  ist  bemerkenswert,  daß  er 

11

Ad M a r c . Kap. I , l f f . l 2 f f .

12

Dies bezeugt Eusebios, vgl. Harnack 1 9 1 6 , 3 1 . - Erwähnt sei, daß eine These, die Harnack 1 8 9 3 (Geschichte der altchristlichen Literatur bis Eusebius I 2 , 8 7 3 ) vorgetragen, später aber verworfen hat, neuerdings nachdrücklich vertreten wird: die Schriften „Philosophie der Orakel" (sonst als Frühwerk eingestuft) und „Gegen die Christen" seien identisch; so P.F. Beatrice, Towards a new Edition of Porphyry's Fragments Against the Christians. In: „Chercheurs de sagesse"; H o m m a g e ΰ Jean Pépin, Paris 1 9 9 2 , 3 4 7 - 3 5 5 . Er datiert die Schrift in die siebziger Jahre des dritten Jahrhunderts ( 3 5 4 ) .

13

Harnack 1 9 1 6 , 3.

14

Plotin II 9 [33]. Während Porphyrios in R o m war, entstanden die Traktate Nr. 2 2 - 4 5 (s. Vita PI. Kap. 5), demnach fiel die Auseinandersetzung mit den Gnostikern etwa in die Mitte der  rφmischen  Jahre  des  Porphyrios.  ­  άber  Plotins  antignostische  Schrift  habe  ich  an  anderer  Stelle  geschrieben:  Philosophie  gegen  Gnosis.  Plotins  Polemik  in  seiner  Schrift  II  9.  (Abhandl.  Akademie  d.  Wissensch,  u.  d.  Lit.  Mainz,  Geistesw.  u.  sozialw.  Klasse  1 9 9 0 , 7 ) ,  Stuttgart  1 9 9 0 . 

Glaube,  Wahrheit,  Liebe,  Hoffnung  bei  Porphyrios 

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hier kein Wort über sein antichristliches Werk verliert oder etwa dessen Vorbereitung im Umfeld Plotins andeutet. Im Kontext dieses Referats werden zwar die Christen kurz erwähnt (Kap. 16,1), aber die Kritik scheint allein den häretischen Strömungen zu gelten. Daher dürfte es ungewiß bleiben, ob Porphyrios die Vorarbeiten für sein umfängliches Werk schon in Rom und auf Anregung Plotins hin unternommen hat 1 5 . Zum Charakter der Schrift, die sich kritisch mit Texten des Alten und Neuen Testaments auseinandersetzt, in ihnen Widersprüche und Widersinnigkeiten aufzuzeigen sucht und besonders den „vernunftlosen" und „nicht überprüften Glauben", die  άλογος  und  άνεξέταστος  πίστις 1 6 ,  anprangert,  sei  auf  eine  Bemerkung  von  Bidez  verwiesen,  der  betont, daß es für Porphyrios kaum um ein Wirken auf die Öffentlichkeit als vielmehr um das Bloßlegen irriger Ansichten gegangen sei; es handle sich um ein Werk nicht der reinen Polemik, sondern der hohen Philosophie 17 . Pophyrios war ein leidenschaftlich kritischer Denker und ein engagierter Bekenner seiner Philosophie, aber kein religiöser Agitator. - Da im „Brief an Markella" in der Aussage über Glaube, Wahrheit, Liebe, Hoffnung eine Reminiszenz an Paulus vorliegen dürfte, sei noch hervorgehoben, daß unter den erhaltenen Texten der Schrift „Gegen die Christen" zahlreiche Abschnitte sich auf Passagen aus dem ersten Korintherbrief beziehen 18 , hinzukommen Zitate aus anderen Paulus-Briefen. Daß also Porphyrios, der in seinem großen Werk viele weitere Texte und Probleme behandelte, sich eingehend mit Paulus beschäftigt hat, ist evident. Hatte Porphyrios seine antichristliche Schrift um 270 als Mittdreißiger verfaßt, so ist der Markella-Brief ein Alterswerk. Veran15

  Daß er sich bereits früher, bevor er nach Rom kam, mit den Christen befaßt hatte, zeigen erhaltene Reste seiner Schrift „Über die Philosophie der Orakel", vgl. z.B. Porphyrius Fragmenta ed. A. Smith 1993, Frg. 344a (er wirft den Christen maxima stultitia vor), Frg. 345a (Z. 14ff. Christianos vero pollutos ... et errore implicates esse,  Ζ.  39 Christianos ignorantes),  Frg.  345c  und  346  (er  äußert sich positiv über Christus, sane Christum laudans vel Porphyrius vel Hecate, aber wiederum negativ über die Christen). 16 Vgl. Harnack 1916, Text Nr. 1, 45 Z. 17f., Nr. 73, 91. 17 Bidez a.a.O. (s. Anm. 5) 78: „En général, il semble s'occuper beaucoup moins de l'effect à produire sur le public que de l'erreur même qu'il s'agit de démontrer ... C'est une oeuvre de haute philosophie qu'il a conçue et non de pure polémique". 18 Bei Harnack sind es die Texte Nr. 26, 27, 29, 31, 32, 33, 34, 36, 37, 78, 88.

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K a r i n  Alt 

laßt wurde er durch eine Reise, zu der Porphyrios genötigt war; sie führte ihn nach nur zehnmonatiger Ehe fort von seiner Frau, mit der ihn eine enge geistige Gemeinsamkeit im philosophischen Streben verband, wobei er ihr Leiter und Helfer war. Markellas Wunsch, ihn auf der Reise zu begleiten, war wegen der Kinder unerfüllbar 1 9 . D a r u m sucht Porphyrios seiner Frau Trost und inneren Beistand und einige Ratschläge praktischen Verhaltens 2 0 für die Zeit des Alleinbleibens durch seinen Brief zu vermitteln. - Über den Grund und das Ziel dieser Reise sagt Porphyrios nichts Deutliches aus, nur daß eine „Notlage der Griechen" ihn riefe und auch die Götter ihn dazu drängten 2 1 . M a n hat wiederholt die Vermutung geäußert, die Reise stehe in Zusammenhang mit der Christenverfolgung Diocletians um 3 0 3 , zu deren (quasi ideologischer) Vorbereitung Porphyrios nach Nikomedeia gerufen worden sei 2 2 . M i r erscheint diese Annahme aus mehreren Gründen abwegig 2 3 . Hatte Porphyrios schon einst seinen Kampf gegen die Christenlehre auf rein philosophischer Ebene geführt, so ist es schwer vorstellbar, daß er als nahezu Siebzigjähriger sich in den Dienst kaiserlicher Propaganda hätte einspannen lassen. Auch würde ein M a n n solchen Alters nach antiker Auffassung wohl kaum von sich sagen, er „neige sich dem Alter z u " 2 4 ; Porphyrios wird also zur Zeit dieser Reise einige Jahre jünger gewesen sein, und man wird die Schrift entsprechend früher zu datieren haben (in die J a h r e vor 3 0 0 ) . V o r allem aber zeigt der Inhalt dieses Briefes keinerlei Spuren einer Polemik gegen die Christen; wären die kaiserlichen Aktionen Anlaß und Ziel der Reise, so sollte man erwarten, daß der T e x t einiges aus diesem Problemfeld andeutet oder spiegelt. Statt dessen wendet sich Porphyrios hier an Menschen, die wie Markella in der Philosophie ihre Lebenserfüllung erstreben, er möchte sie in

19 20

  Z u  allen  diesen persönlichen Angaben vgl. Ad M a r c . Kap. 1-4. Die praktischen Hinweise finden sich am Ende des Schreibens in Kap. 3 5 ; wichtig ist die  φιλανθρωπία,  der  freundliche  Umgang  mit  dem  Hausgesinde. 

  Kap.  4  ( 1 0 6 , 1 5 f . )  καλούσης δετής των Ελλήνων  χρείας και των θεών  σννεττειγόντων. 

21

  Vgl.  z.B. Pötscher (s. Anm. 2) 66f., der die Tätigkeit des Porphyrios „Beratung durch einen Fachmann" nennt; ferner Sodano (s. Anm. 2 ) 112ff.

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23

Die Argumente habe ich an anderer Stelle ausführlicher dargelegt, auch eine neue Hypothese für den Reise-Anlaß vorgeschlagen: Porphyrios als Helfer in griechischen Nöten. Brief an Markella Kap. 4. In: Worte, Bilder Töne. Festschrift für Bernhard Kytzler, hg. R. Faber und B. Seidensticker, Würzburg 1 9 9 6 ,

201-210.

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Kap. 1 ( 1 0 4 , 1 2 ) . - Der Begriff sene* gilt in Rom für Männer vom 6 0 . Lebensjahr ab; das griechische W o r t  γήρας dürfte Ähnliches ausdrücken.

G l a u b e , W a h r h e i t , Liebe, H o f f n u n g bei Porphyrios

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diesem Bemühen bestärken, setzt Einverständnis bei den Lesern voraus. Eine Abgrenzung geschieht nicht etwa gegenüber den Christen und ihrer religiösen Lehre, sondern allgemein gegenüber der Menge, den  πολλοί,  die,  getrieben  von  ihren  Emotionen,  nicht  zum  wahren  Erkennen  des Göttlichen gelangen. Die Frage, ob Porphyrios vielleicht im Alter seine Haltung zu den Christen und ihrem Glauben geändert habe, kann man stellen; darauf wird später zurückzukommen sein. Zunächst aber sollen einige Grundgedanken der Schrift dargelegt und ihre mögliche Analogie wie ihr Abstand zu christlichen Vorstellungen erörtert werden 2 5 . Danach sind jene Aussagen näher zu betrachten, die eine überraschende Nähe zu christlichen Gedanken zu bekunden scheinen. Für die Platoniker ist der Mensch ein Fremdling in dieser Welt, denn sein wahres Ich, die geistige Seele, stammt aus einem höheren, göttlichen Bereich. So ist sein Hiersein zu erklären als die Folge eines Sturzes hinab in die Welt des Werdens und des Vergehens; dessen Ursachen können unterschiedlich angegeben und gewertet werden, sie sind individueller Natur und entsprechen zugleich einer allgemeinen Gesetzlichkeit 26 . Porphyrios geht auf diese Problematik hier nicht ein, doch spricht er zu Markella von dem „Sturz in die Geburt" und der Existenz in dieser „fremden Herberge" 2 7 . Aufgabe und Ziel des Menschen ist es, sich aus den Fesseln des hiesigen Daseins zu befreien, den Weg hinauf zum Göttlichen zu vollziehen 28 . Darin findet die Seele ihr Heil, die  σωτηρία,  die  Bewahrung  oder  Wiedergewinnung  ihres eigentlichen  Seins  , das  durch  alles Körperliche, aber auch durch die Emotionen, die  πάθη, eingeschränkt und

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Auf den Aufbau der Schrift gehe ich dabei nicht ein, vgl. dazu vor allem Pötscher (s. Anm. 2) 103ff. Hinzuweisen ist aber auf den Tatbestand, daß Porphyrios im Markella-Brief zahlreiche Sentenzen übernimmt und seiner Argumentation eingliedert, die auch bei anderen Autoren, vor allem Sextus, überliefert sind. Ediert hat diese Texte H. Chadwick, The Sentences of Sextus, Cambridge 1959 (zu Porphyrios s. 14Iff.).

26

Ausführlich hat Plotin dieses Thema behandelt in der Schrift IV 8 [6] „Über den Abstieg der Seele in die Körperwelt". Diese platonische Lehre ist von der des „Sündenfalls" durchaus verschieden.

27

Kap. 5 (107,7) TÒ eis γένεσιν  πτώμα,  vgl.  Kap.  6  (108,16­19);  Kap.  6  (108,8)  έκ  της  ενταυΘοΤ  ξέυης  καταγωγής.  28   Kap.  6  (108,12)  τη  προς  θεούς  άνόδω,  Kap.  7  (109,14)  eis  θεούς  άναδρομαί  und  öfter. 29 Zur  σωτηρία  der  Seele  vgl.  Kap.  8  (109,18);  Kap.  9  (110,11);  Kap.  2 4  (120,1);  Kap.  2 5  (120,15);  Kap.  34  (126,6). 

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behindert wird. Alleinige Retterin und Geleiterin zu diesem höheren Sein, zum Heil, ist die wahre Philosophie: nur sie führt zu Gott. Wichtig ist dabei die Einsicht des Menschen ins Göttliche, das Erkennen,  γνώναι,  doch  wird  zugleich  eine  vertrauende Grundüberzeugung, ein Glaube, die  ττίστις,  vorausgesetzt;  Erkennen  und  fester  Glaube gehören zueinander 30 . Allerdings darf dies kein vernunftwidriger oder unbegründbarer Glaube, keine  άλογος  πίστις  sein,  auch  darf  der  Glaube  nicht  isoliert  und  ohne  Auswirkung  auf  das  Leben  bleiben,  sonst  hilft  er  nicht  dazu, daß man Gott erreiche 31 . Man soll gemäß seinem Glauben leben, im eigenen Leben für ihn Zeuge sein 32 , und für das Ziel, um dessentwillen man lebt, soll man auch den Tod nicht scheuen 33 . - Hier wird die Forderung nach einer Bezeugung des Glaubens in der Wirklichkeit des Lebens erhoben, die christlichen Lebens-Maximen analog ist. Allerdings darf der Glaube nicht „vernunftwidrig" sein; ein credo quia absurdum wäre für einen Platoniker Wahnwitz. Es sei darauf hingewiesen, daß Porphyrios den Vorwurf des „vernunftwidrigen Glaubens" in seiner antichristlichen Schrift deutlich gegen die Christen richtet 34 , doch erhebt er ihn in anderem Kontext ebenfalls gegen die Stoiker 35 ; man wird daher von der Anwendung dieses Begriffes in der Markella-Schrift nicht einfach auf eine hier vorliegende (vielleicht untergründige) christenfeindliche Tendenz schließen dürfen. Die Betonung des Erkennens und der Vernunftbezogenheit auch des Glaubens impliziert, daß dem Weisen, dem  σοφός,  ein  besonderer  Vorrang  zukommt:  nur  der  Weise  erkennt  Gott,  nur  er  ehrt  Gott,  er  versteht,  in  der  richtigen  Weise  zu  beten,  ist  dem  Gott  nah  verbun­ den;  er  allein  ist  der  wahre  Priester 36 .  Eine  irrige  Vorstellung  von  Gott,  wie  die  Menge  sie  hegt,  ist  nicht  Ausdruck  von Frömmigkeit, sondern bedeutet eine Befleckung Gottes und eine Blendung der eigenen Möglichkeit des Erkennens höchster Wesenheiten 37 . Der törichte 30

Kap. 21 (118,18f.)  δια  της  γνώσεως  και  της  βεβαίας  πίστεως.    Kap.  2 3  (119,12ff.)  ούτε γ α ρ  άλογος  ττίστις  δίχα  του  όρθώς ζην  έτπτυχής  Θεού  ...  32   Kap.  8  (109,25f.)  δεΤ ούτως  βιουν όστις έπίστευσεν,  ίνα και  αϋτός  πιστός  ή  μάρτυς  περί  ών  λέγει  (vgl.  ibid.  109,22ff.). 

31

33

  Kap.  34  (126,7f.)  ών  γ α ρ  ένεκα  ζην  εθέλεις,  και  άποθανεΐν  μή  κατόκνει.    Vgl.  oben  Anm.  16.  35   Vgl.  Frg.  2 5 0 , 1 1  Smith.  3é Vgl. Kap. 11 ( l l l , 2 5 f f . ) , Kap. 16 (115,15ff.,22ff.), Kap. 17 (116,Iff.). 37 Kap. 17 ( 1 1 6 , l l f . ) , Kap. 19 (116,24ff.)  μή  τοίνυν  μίαινε  τό  Θείον  άνθρωπίναις  ψευδοδοξίαις  ...,  σεαυτήν  δε  τυφλώσεις  πρός  την  των  μεγίστων  και  κυριωτάτων  διάγνωσιν.  34

Glaube, Wahrheit, Liebe, Hoffnung bei Porphyrios

33 

Mensch  (άμαθης)  befleckt den  Gott,  auch  wenn  er  betet  und  opfert 3 8 .  ­  Von  einem Eingeständnis menschlichen Unwissens von Gott und gegenüber Gott, gar von der „Torheit" des Paulus, ist Porphyrios hier denkbar weit entfernt; in anderem Zusammenhang hat er durchaus von der Unerkennbarkeit der primären göttlichen Instanz gesprochen 3 9 . Wenn er nun aber allein dem Weisen den Weg zu Gott und damit zur  σωτηρία  zuerkennt,  so  entspricht  seine  Unterteilung  der  Menschen  in Wissende  und  Unwissende  nicht  jener  Trennung  in  fest­ gelegte  Menschenklassen,  die  manche  gnostische  Konzeptionen  aus­ zeichnet.  Denn für Porphyrios liegt es an jedem einzelnen Menschen, ob er den Weg zu Gott einschlägt; ein jeder besitzt die Fähigkeit dazu 4 0 . Freilich ist es ein Weg immer erneuter Anstrengung und Bewährung; wiederholt werden die notwendigen  πόνοι  und  die  άρετή  hervorgehoben 41 .  Auch  darf  man  nicht  nur  gelegentlich,  gleichsam  ephemer 42 ,  dem  hohen  Ziel  nachstreben,  sondern  eine  radikale  Hin­ wendung  zu  Gott  ist  erforderlich. Unmöglich ist es, zugleich Gott und den Körper, die Lust, das Geld zu lieben 43 ; man kann also „nicht zweien Herren dienen". Nur wenn man immer an Gottes Präsenz gedenkt, wird man den Gott selbst in sich haben als σύυοικος44.  Wenn  man  darin  aber nachläßt und Gott vergißt, wird sich rasch ein böser Geist, der  πονηρός  δαίμων,  in  der  Seele  einnisten 45 .  Denn  die  Seele  kann  entweder  den  Gott  oder  den bösen Dämon beherbergen 46 . Gott ist der Urheber alles Guten; die Ursache für das Böse aber liegt im Menschen, nicht etwa primär im bösen Dämon, denn dieser kann nur dann in uns Raum ergreifen, wenn wir uns von Gott abwenden, 38

40 41 42 43

    45   46   44

Kap. 16 (115,21f.). Auch sind die Opfergaben der Vernunftlosen nutzlos, nämlich nichts als  πυρός  τροφή  oder  Beute für Tempelräuber Kap. 19 (117,12ff.). Vgl. Frg. 427 Smith  περί  του  πρώτου  αιτίου  ουδέν  ίσμεν  ....  άλλ'  εστίν  αύτοϋ  γνώσις  ή  άγνωσία.  Zum  Problem  der Unerkennbarkeit  Gottes  und  den  dennoch  möglichen Wegen der Erkenntnis (via negationis, via analogiae, via eminentiae) vgl. den Didaskalikos des Mittelplatonikers Alkinoos Kap. 10. Vgl. z.B. Kap. 23 (119,19f.). Vgl. z.B. Kap. 6 (109,4ff.). Kap. 19 (117,17)  εφήμερος.  Kap.  14  (114,3ff.)  Kap.  20  (117,20ff.).  Kap.  21  (118,9­17),  vgl.  Kap.  11  (112,9f.),  Kap.  19  (117,23f.).  Zu  vergleichen  ist,  was  Hippolytos  Refut.  VI  34,6  als  Lehre Valentins  referiert:  im Menschen könne sich, wie in einem Wirtshaus, Verschiedenes befinden, allein die Seele, die Seele und Dämonen oder aber die Seele und geistige Logoi. Vgl. Valentin Frg. 2 = Clemens Strom. II 114,5-6.

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ihn leugnen 4 7 . So ist der Mensch allein verantwortlich für sich und vor allem für das Unheilvolle. In Reminiszenz an Piatons Mythos von der Lebenswahl der Seelen im Jenseits 4 8 nimmt Porphyrios das Motiv des Wählens auf, konzentriert es aber auf die Begründung des Bösen und primär auf Vorgänge im irdischen Dasein: Wir sind aufgrund unserer Wahl  αίτιοι  κακών  .  Dabei  kann  nicht  das  Fleisch,  sondern  nur  die  Seele  als  αίτια  κακών  gelten 5 0  (denn  verantwortlich dürfte nur eine entscheidungsfähige Instanz sein); insofern kann Porphyrios geradezu den (individuellen) Geist als denjenigen benennen, der durch sein Wählen zum Urheber des Bösen wird 5 1 . Der Geist als αίτιος κακών  mag  in  platonischem  Sinn  problematisch  scheinen  ­  generell  ist für die Platoniker alles Geistige immer das Gute - , doch ist diese Formulierung nur die Konsequenz des Ernstnehmens der Verantwortlichkeit: eine Wahl und Entscheidung ist ein geistiger Akt. Auch wenn der Mensch den bedeutsamen Schritt auf Gott hin wie auch die Abwendung von Gott eigenständig vollzieht, so besteht doch für Porphyrios eine merkwürdige Kohärenz oder Überschneidung von eigener Leistung und dem göttlichen Schenken wie andererseits Strafen. Er schreibt: „Diejenigen, die glauben, daß Gott existiert und alles lenkt, erhielten wegen ihrer Erkenntnis und ihres festen Glaubens  (γνώσις,  βεβαία  πίστις)  dies  als  Geschenk  (γέρας):  zu  wissen, daß Gottes Vorsehung sich auf alles erstreckt und daß es göttliche Boten  (άγγελοι  θείοι)  und  gute Dämonen gibt, die unser Handeln beobachten" 5 2 . Entsprechendes gilt für die Ungläubigen: 47

Kap. 1 2 ( 1 1 2 , 1 4 f f . ) , K a p . 2 1 ( 1 1 8 , 1 3 f f . ) .

48

Piaton Staat X 6 1 7 e:  αιτία  έλομέυου,  θεός  αναίτιος.    Kap.  1 2  ( 1 1 2 , 1 5 f . ) . 

49

  Kap.  2 9  ( 1 2 3 , I f f . ) .  Dagegen  ist für Plotin die Materie die Ursache des Bösen, vgl. vor allem I 8 [51] 3 , 3 5 f f . , 5,5ff.

50

Kap. 2 4 (119,23ff.)  κακών  άνθρώττω  ουδείς  θεός  αίτιος,  άλλα  νους  έαυτώ  ό  έλόμενος.  M a n  sollte  den  (sic) überlieferten T e x t nicht ändern trotz des vielleicht anstößig erscheinenden  νοϋς.  Des  Places  druckt  ihn gemäß den Handschriften, Pötscher korrigiert (nach M a i )  νοΰς  zu  αύτός,  Nauck  zu  μόνος. 

51

  Kap.  2 1  ( 1 1 8 , 1 7 f f . ).  άγγελοι  und  sogar  αρχάγγελοι gehören neben den  θεοί  und  δαίμονες zu  den  Wesen  der „höheren Arten" bei Jamblich De mysteriis II 3 - 9 , vgl. III 1 8 , V 2 5 . Dabei geht Jamblich auf die Fragen ein, die Porphyrios in seinem „Brief an A n e b o " gestellt hatte, vgl. II 3 ( 7 0 , 1 0 f f . )  επιζητείς  γάρ  ...  So  wird  wohl  schon  Porphyrios  von  „Engeln"  gesprochen  haben,  doch  scheint  Jamblichs  Buch  die  erste  Bezeugung  von  „Engeln"  in  paganem  Schrifttum  (soweit  uns überliefert) zu enthalten. Allerdings werden  άγγελοι  καί  δαίμονες  auch  an  drei  Stellen  des  Corpus  Hermeticum erwähnt, doch sind diese T e x t e chronologisch nicht sicher einzuordnen: Exc. X X I V 5 u. 6 (Bd. IV, 5 3 , 2 1 u. 2 5 N.-F.) sowie Frg. 2 3 (Bd. III, 1 2 6 , 8 ) oO  θεός  ουκ  άγγελος  ou  δαίμων. 

52

Glaube,  Wahrheit,  Liebe,  Hoffnung  bei  Porphyrios 

3 5 

„Diejenigen aber, die weder glauben, daß die Götter existieren noch daß das All durch Gottes Vorsehung geleitet wird, erleiden dies als gerechte Strafe, daß sie weder sich selbst noch anderen glauben, es existierten die Götter und es sei nicht ein vernunftloser Bewegungsdrang, der das Universum lenke" 5 3 . - Waren zuvor Glauben und Wissen sowohl vorgegebene Voraussetzung der göttlichen Gabe wie deren Inhalt, so ist hier der Unglauben Voraussetzung wie Strafe. Wie soll man diese Verquickung verstehen, die logisch nicht entwirrbar ist? Vielleicht als eine Andeutung des Rätselvollen, das dem Phänomen des Glaubens innewohnt: es geht nicht um die Alternative von Gnade oder Verdienst, sondern um das Zugleich von eigenem Verhalten oder Tun und göttlichem Beschenktsein. Jedenfalls hebt im Weltbild des Porphyrios das umsichtige und gerechte göttliche Wirken die menschliche Eigenständigkeit nicht auf; beides verhält sich komplementär zueinander. Höchstes Ziel des Menschen in diesem Leben (an die jenseitige Seelen-Existenz wird im Markella-Brief kaum gedacht) ist der innere Aufstieg zum Göttlichen und die „Angleichung an G o t t " , die όμοίωσις  θεώ,  die gemäß einer Formulierung Piatons für alle späteren Platoniker als Maxime des menschlichen Daseins gilt 5 4 . Der Aufstieg kann bezeichnet werden als ein Weg zu Gott oder einfach als das „Hinaufeilen, wohin man s o l l " 5 5 . Aber dies bedeutet zugleich eine Wendung ins eigene Innere: auch zu sich selbst, zum eigenen göttlichen Wesenskern kann man „aufsteigen" 5 6 . Entscheidend für das Erreichen des Göttlichen ist die Reinheit der Gesinnung und des Verhaltens, die Bewährung in einem höchsten Grad des Menschseins (in der  άρετή:  dieser  vielfach  gebrauchte  Begriff  ist  schwer  ins  Deut­ sche  zu übersetzen). Hat der Mensch diese Stufe erreicht, so ist er nicht nur Gottes würdig, er kann auch selber Gott sein:  ό  δέ  άξιος  άνθρωπος  θεού  θεός  άν  είη 57 .  Er  selbst  ist  es,  der  sich vergöttlicht:

Kap. 2 2 (118,26ff.). Piaton Theaet. 176 b  όμοίωσις θεώ κατά  τό  δυνατόν.  Im  Markella­Brief  s.  Kap.  16  (115,7ff.),  vgl.  Kap.  13  (113,18f.),  Kap.  17  (116,7),  Kap.  19  (117,12).  5 5  Kap.  7  (109,14)  ai  eis  θεόν  άναδρομαί;  Kap.  32  (125,9f.)  άνατρέχειν  ε!ζ  ά  δει.  5 6  Kap.  10  (111,11)  ει;  έαυτήν  άναβαίνειν.  5 7  Kap.  15  (115,6).  Auch  diesen  Satz  hat  Porphyrios,  wie  viele  andere,  aus  einer  Sentenzen­Sammlung übernommen (vgl. zu den Sentenzen oben Anm. 25). Interessant ist, daß er die Vorlage (Sextus Sententiae Nr. 376 a ed. Chadwick) abgewandelt hat; sie lautet  άξιος άνθρωπος  θεού  θεός êv άνθρωποι;.  Porphyrios  hat  die  Aussage  absoluter  formuliert,  indem  er  έν άνθρώποις ausließ.

53 54

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ούτος  δέ εαυτόν  ...  έκθεοΐ58. ­  Die  Aussage, daß der Mensch ein Gott werde, scheint den krassesten Abstand zu dem für Christen Denkbaren zu bekunden. Jedoch ist hier auf Hippolytos zu verweisen, der zum Abschluß seiner „Widerlegung aller Häresien" die wahre Lehre des christlichen Glaubens darlegt und dabei betont, der Mensch, der die Wahrheit Gottes erkennt - und dies bedeute das  γνώθι  σεαυτόν  ­ ,  werde  dereinst  keine Höllenstrafen erleiden, sondern selber Gott sein: yéyovas  θεός59.  Der  Unterschied  aber  ist  gravierend.  Der gläubige Christ bei Hippolytos wird am Ende der Zeiten durch Gott vergöttlicht werden; bei Porphyrios dagegen vermag der Mensch im jetzigen Leben seinen wundersamen Aufstieg zum Göttlichsein aus eigener Kraft zu vollziehen. Zwar wird allgemein die Existenz helfender göttlicher Wesen angenommen 6 0 , doch ist für den Höhenweg zu Gott kein Mittler, kein Erlöser, auch kein Offenbarer vonnöten. Nicht eine göttliche Person erscheint als Retter,  σωτήρ,  sondern  eine  generelle  Instanz,  der göttliche Geist, der voOç. Er ist der Lehrer und Retter, und er geleitet die Seelen empor; unter Schweigen kündet er die Wahrheit 6 1 . Der bisherige Überblick über den Inhalt des „Briefes an Markella" dürfte gezeigt haben, daß dieses Alterswerk ein Dokument intensiven religiösen Erlebens und Strebens darstellt, aber keinen unmittelbaren Bezug zu christlichen Vorstellungen aufweist; weder wendet es sich polemisch gegen christliche Lehren noch zeigt es eine derartige Nähe zum christlichen Glauben, daß man den Autor an die Seite christlicher Theologen jener Zeit stellen dürfte 6 2 . Gemeinsam ist für Porphyrios wie die Christen die primäre Hinwendung zum Göttlichen und eine betonte Verinnerlichung des Glaubens. Dennoch wird immer wieder der Abstand erkennbar, der die philosophische Relgiosität vom Christentum trennt, obwohl die Haupteinwände der Platoniker gegen die christliche Lehre, die die Endlichkeit der Welt und die körperliche Auferstehung betreffen, im Markella-Brief gar nicht zur Sprache kommen. Wenn es auch für beide Seiten um

58

Kap. 1 7 ( 1 1 6 , 5 f . ) .

59

Hippol. Refut. X 3 4 , 4 ; vgl. ibid. . . .  όταν  θεοττοιηθής,  άθάνατοζ  γενηθείς.  TOUT'  εστί  τό  „γνώθι  σεαυτόν,  Ιτπγυούς  τόν  πεποιηκότα  θεόν.  3 4 , 5  (Θεός)  σε  Θεόν  ποιήσει  εις  δόξαν  αύτοΟ. 

  Vgl.  z.B.  Kap.  5  ( 1 0 7 , 8 )  οϋ  των  θεών  ημάς  Οπεριδόντων. 

60

  Kap.  2 6  ( 1 2 1 , 8  und  l l f f . )  ό  νοΟς  ...  διδάσκαλος  αύτός  γινόμενος  και  σωτήρ  . . .  καί  άναγωγός,  μετά  σιγής  . . .  φθεγγόμενος  τήν  άλήθειαν. 

61

  Vgl.  dazu  die  Zitate  oben  Anm.  4  und  5. 

62

Glaube, Wahrheit, Liebe, Hoffnung bei Porphyrios

37

das Heil, die σωτήριος der Seele geht, so werden doch die Ursachen der Heilsbedürftigkeit wie die Wege zu diesem Ziel und der erhoffte Heilszustand allzu verschieden vorgestellt und geglaubt. - Es soll nun noch auf zwei Passagen dieser Schrift eingegangen werden, bei denen eine Parallelität zu Formulierungen des Paulus vorzuliegen scheint; es handelt sich um das Bild vom Tempel Gottes in uns und um das Hervorheben von Glaube, Liebe, Hoffnung, bei Porphyrios ergänzt um die Wahrheit oder das Wissen. Wenn Porphyrios auch die Tradition der alten kultischen Religion nicht einfach ausschließen mag und der Verehrung des Göttlichen (er sagt hier: το  θείον,  nicht „Götter") im Rahmen des Kultes einen gewissen Wert beimißt 63 , es dabei offenläßt, ob vielleicht das Göttliche sich auch über eine solche Verehrung freue, freilich betont, daß es sich davon nicht beeinflussen lasse 64 - , so steht doch für ihn im Zentrum die innere Verfassung des Menschen, die Reinheit des Herzens, die gotterfüllte Gesinnung 65 : durch sie wird Gott am vollkommensten verehrt 66 . Von dieser Haltung einer Nähe zu Gott sind auch die Gebete geprägt; bitten soll man nicht um das, was der Körper braucht oder wünscht 67 , sondern nur um jenes, was der Gott selber will und ist (hier hat Porphyrios den aus einer Vorlage übernommenen Satz durch  καί  εστίν ergänzt und insofern den Sinn auf eine Identität mit Gott hin gesteigert 68 ). In diesem gedanklichen Umfeld spricht Porphyrios nun auch vom Tempel Gottes in unserem Inneren; dieser solle in der reinen Gesinnung,  διάνοια 69 ,  oder  ­  mit  etymologischer  Anspielung  auf  νούς/νεώς  formuliert  ­  in  unserem  Geist begründet sein:  νεώς  μεν  εστω  τοΟ  θεού ò  εν σοι  vous,  und  dort  solle  er zur  Aufnahme des  Gottes  bereitet  und geschmückt werden 7 0 . - Für die Vorstellung eines Götter-Heiligtums im Menschen gibt es einen frühen Beleg aus klassischer Zeit: in der euripideischen Tragödie „Helena" (aufgeführt 412 v.Chr.) sagt die Seherin Theonoe von sich, sie besitze ein mächtiges Heiligtum der Dike, der Gerechtigkeit,

63 64

Kap. 18 (116,14ff.)  τιμδν  τό  θείον  κατά  τά  πάτρια.    Kap.  2 3  (119,15­23);  Kap.  19  (117,9f.). 

65

  Kap.  2 3  (119,19)  καθαρεύειν  τήν  διάνοιαν,  Kap.  19  (117,11)  ενθεον  φρόνημα.  Kap.  16  (115,7f.)  τιμήσεις  μεν  άριστα  τόν  θεόν,  όταν  τω  Θεώ τήν  σαυτής  διάνοιαν  ομοιώσεις.  67   Kap.  12  (112,23f.),  Kap.  13  (113,13f.).  68

  Kap.  13  (113,12),  vgl.  Sextus  Sententiae  Nr.  134  ed.  Chadwick  (s.  Anm.  25).    Kap.  11  (111,24f.).  70   Kap.  19  (117,14ff.). 

69

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in ihrem Wesen (iv τη  φύσει,  dies  meint  ihre  innere  Natur 7 1 ).  Schaut  man  nun  auf  das  Bild  des  Tempels,  wie  Paulus  es  gebraucht,  so fällt sogleich auf, daß er hierbei vom Körper spricht:  ή  ουκ  οΐδατε,  ότι  τό  σώμα  υμών  ναός  του  εν ύμΐν 'Αγίου  Πνεύματος  έστιν; 72  Auch  kann  er  die  Menschen  als Tempel  Gottes  bezeichnen:  ΰμεΐς yàp vaòs θεού έστε  ζώντος,  und  sagen, daß der Geist Gottes in ihnen wohne 7 3 . Für den Platoniker Porphyrios wäre es eine Absurdität, den Gott oder den göttlichen Geist schlechthin im Menschen wohnend zu denken, gar den Körper als seinen Tempel gelten zu lassen 7 4 . Im Markella-Brief finden sich sogar extrem körper-feindliche Aussagen; Porphyrios betont, der Körper, der der Seele nur für das Erdendasein hinzugefügt wurde, sei gar nicht eigentlich ein Teil des Menschen 7 5 , und er ermahnt seine Frau, sie solle sich nicht um ihren Körper sorgen, vielmehr bereit sein, ihn „wegzuschlagen", sie solle sich auch gar nicht als Frau, sondern eher wie in einem männlichen Körper empfinden; schließlich werde, was der Körper gebiert, bei allen Göttern für unrein,  μιαρόν,  erachtet 7 6 .  ­  Wenn  Porphyrios  bei  seiner  Meta­ pher  vom  Tempel  Gottes  sich  der  Aussagen  des  Paulus  erinnerte  ­ eine  Annahme,  die  naheliegend  sein  mag  ­ ,  so  hat  er  sie bewußt umgedeutet und hat im platonischen Sinn nur das Höchste im Menschen, den Geist, als die Sphäre begriffen, in die das Göttliche einzutreten vermag. Noch deutlicher scheinen die Anklänge an Paulus - wiederum mit einer Distanzierung verknüpft - bei jener Aufzählung der „Grundelemente" zu sein, durch die das Verhalten des Menschen gegenüber Gott charakterisiert wird. Sie heißen bei Porphyrios: Glaube, Wahrheit, Liebe, Hoffnung,  πίστις,  άλήθεια,  ερως,  ελπίς 77 .  Allerdings  ist  hierbei  nicht  allein  an  eine  Anregung  durch  Paulus  zu  denken,  son­ dern  ebenfalls  an  einen  Text  anderer  Herkunft,  an  die  sogenannten 

71

  Euripides  Helena  V.  1002f.  ευεστι  δ' iepòv  τήξ  δίκη?  έμοί  μέγα  έν  τη  φύσει.    l K o r  6,19.  Zu  vergleichen  sind  aus  dem  N T  weitere  Stellen,  u.a.  2C1  9,3. 

71

  2Kor  6,16;  l K o r  3,16.    Eine Schlüssel-Stelle für die Platoniker ist Timaios 3 0 b2  νούν  δ'  αύ χωρίς  ψυχής  αδύνατον  παραγενέσθαί  τω. 

73 74

  Kap.  3 2  (124,20f.).    Kap.  33/34  (125,21­126,7).  Porphyrios  schreibt  dies  seiner  Frau  Markella,  die  sieben  Kinder  geboren  hatte! Daß er selber als seine Kinder nur die „Liebhaber der wahren Weisheit" verstehe, hat er freilich gleich zu Beginn betont Kap. 1 (104,5ff.). 7 7 Kap. 24 (119,27ff.). 75 76

Glaube, W a h r h e i t , Liebe, H o f f n u n g bei P o r p h y r i o s

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Chaldδischen  Orakel,  eine  hexametrische  Dichtung  religiös­philoso­ phischen  Inhalts,  die  zur  Zeit  M a r k  Aurels  entstand  und  der  Porphyrios  eine  kommentierende  (nicht  erhaltene)  Schrift  gewidmet  hat.  In  einem  bei  Proklos  überlieferten  Fragment  dieser  Orakelverse  werden  Glaube,  Wahrheit,  Liebe  genannt,  πίστιν κάλήθειαν και  έρωτα,  und  diese  drei  Faktoren  werden  in  einem  Kommentar  des  byzanti­ nischen  Autors  Psellos  als  „ursprüngliche  Dreiheit",  πηγαία  τριάς,  bezeichnet 7 8 .  In  einem  anderen  Fragment  wird  zusδtzlich  die  Hoff­ nung,  έλπίς,  erwδhnt 7 9 .  Zu  ergδnzen  ist  weiterhin,  daß  auch  bei  Jamblich  (in  einer  vor  dem  Markella­Brief  entstandenen  Schrift)  von  Liebe,  Hoffnung,  Glauben,  üpcos,  έλττίς,  πίστις,  gesprochen  wird 8 0 .  Es  ist  also  evident,  daß  δhnliche  Zusammenstellungen  zumeist  dreier  Begriffe  in  unterschiedlicher  Abfolge  verbreitet  waren 8 1 .  Um  eventuelle  Anlehnungen  oder  Abgrenzungen  bei  Porphyrios  zu  klδren,  sei  nun  seine  Erörterung  nδher  betrachtet.  Zunδchst  ist  zu  konstatieren,  daß  er  die  paulinische  oder  chaldδische  Dreiheit  zur  Vierzahl  erweitert  hat;  daß  diese  Korrektur  wichtig  ist,  wird  sogleich  mit  dem  Begriff  der  „Elemente",  στοιχεία,  markiert,  mit  dem  sich  (anders  als  bei  dem  der  άρχαί)  unmittelbar  die  Assoziation  der  vier  Elemente  (Feuer  etc.)  einstellt  2 .  Über  die  Bedeutung  von  ττίστις  bei  Porphyrios  wurde  bereits  gesprochen  (sie  darf  nicht  άλογος  sein),  ebenfalls  über  deren  Verbindung  mit  dem  Wissen,  das  in  der  vorlie­ genden  Aufzδhlung  im  Phδnomen  der  Wahrheit  prδsent  ist  und  anschließend  auch  im  γνώναι  expliziert  wird.  Wenn  die  Liebe  hier 

78

Oracles Chaldai'ques ed. É. des Places, Paris 1 9 7 1 , Frg. 4 6 ; die Psellos-Aussagen ibid. S. 1 8 9 und 1 9 9 .

79

Ibid. Frg. 4 7 . Zur Interpretation dieser Texte vgl. H. Lewy, Chaldaean Oracles and Theurgy, Le Caire 1 9 5 6 , S. 144ff.

80

Jamblich De myst. V 2 6 (239,7ff.).

81

Herrn Dr. Jens Holzhausen verdanke ich den Hinweis auf einen jüngst publizierten griechischen hermetischen Text, der bisher nur in armenischer Version bekannt war und der vier Imperative enthält, die den oben genannten Begriffsfolgen angefügt werden  kφnnen  (die  Datierung  ist  freilich  ungewiß): θέλησον γαρ και  υόησον  καί  πίστευσον  καί  άγάττησον  και  γέγουας  (vermutlich  ist  gemeint:  yéyovas  βεός);  Hermetische  Definitionen  VIII  7,  ediert  von  J.  Paramelle  Sc  J.­P.  Mahé,  Nouveau  parallèles  grecs  aux  Définitions  hermétiques  arméniennes  (Re­ vue  des  Études  arméniennes  2 2 ,  1 9 9 0 / 9 1 ,  1 2 5 ) . ­  Zur  Vorstellung  des  „Gott­ werdens"  bei  Porphyrios  und  Hippolytos  s.o.  Anm.  5 7 ­ 5 9 . 

8 2 

Dies  ergibt  sich  aus  dem  Begriff  στοιχεία  als  solchen,  mir  scheint  es  daher  unnφtig,  hier  eine  Anlehnung  an  Numenios  Frg.  1 6 , 1 3  (vgl.  Frg.  3)  anzunehmen,  wie  des  Places  (s.  Anm.  2)  1 6 0  n.  1  meint. 

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als Épcoç auftritt, so handelt es sich um den geistigen Eros, wie Piaton ihn im Symposion als die beflügelnde Antriebskraft zur höchsten erreichbaren Erkenntnis, der Ideenschau, eingeführt und im Phaidros facettenreich poetisch geschildert hat. Er ist also auch bei Porphyrios eine geistige Kraft. Dennoch wird man ihn klar von der christlichen άγάπη  unterscheiden müssen 8 3 , wie sich aus der weiteren Argumentation ergibt. Nach der Nennung der vier Elemente fährt Porphyrios erläuternd fort: „Glauben muß man nämlich, daß die einzige Rettung,  σωτηρία,  die  Hinwendung  zu  Gott  ist,  und  hat  man  den  Glauben  erlangt,  so muß man soweit nur möglich danach streben, die Wahrheit über ihn (den Gott) zu erkennen, und hat man sie erkannt, soll man in Liebe nach dem Erkannten verlangen, und ist man von der Liebe erfüllt, soll man die Seele mit guten Hoffnungen nähren während der Lebenszeit" 8 4 . - Porphyrios beschreibt hier einen Weg, den der Mensch zur Annäherung an Gott beschreiten möge, er nennt Phänomene oder Kräfte, die nicht nebeneinander liegen, sondern die aufeinander folgen, er meint einen Prozeß. Beginn und Voraussetzung ist der Glaube, der aber nicht auf einen konkreten Inhalt gerichtet ist, vielmehr die Hinwendung zu Gott und damit den Anstoß für den zu vollziehenden Weg bedeutet. Der nächste Schritt ist das eifrige Bemühen, die Wahrheit über Gott zu erkennen, und dieser erkannten Wahrheit Gottes soll anschließend das liebende Begehren gelten. Hat man den Zustand aktiver Gottesliebe erreicht, so ist das Leben von guten Hoffnungen erfüllt, offensichtlich in der Erwartung der  σωτηρία.  O b  damit  die  Aussicht  auf  die  Jenseitsphase  nach  dem  Tod  oder  das Glück der Gottesnähe im hiesigen Leben oder beides gemeint ist, wird nicht deutlich gesagt 8 5 . Unter den vergleichbaren Texten bieten die Chaldäischen Orakel die nächste Parallele zu den „Elementen" des Porphyrios. Die Abfolge Glaube, Wahrheit, Liebe ist dieselbe (Frg. 4 6 ) , und möglicherweise ist die gesondert genannte Hoffnung (Frg. 4 7 ) in enger Verbin-

83

H a r n a c k meint, daß kein wesentlicher Unterschied zur  άγάπη  der  christlichen  Theologen bestünde (s. Anm. 4) 8 0 .

84

Kap. 2 4 ( 1 2 0 , I f f . )  πιστεΰσαι  γαρ  δει ότι  μόνη σωτηρία  ή ττρόξ τον θεόν  επιστροφή,  και  πιστεύσαντα  dos  ενι  μάλιστα  σπουδάσαι  τάληθή  γυώναι  περί  αϋτοϋ,  και  γνόντα  έρασθήναι  τοΟ  γνωσθέντοξ,  Ιρασθεντα  δέ  έλπίσιν  άγαθαΐζ  τρέφειυ  τήυ  ψυχή ν  διά  τοϋ  βίου. 

  Des  Places  zu  Ad  M a r c .  Kap.  2 4 ,  1 6 0  n.3  erinnert  an  die  Hoffnungen  derer,  die  in  die  Mysterien  eingeweiht  wurden,  und  an  Plat.  Phaid.  6 7  c l ,  1 1 4  c 5 . 

85

Glaube, W a h r h e i t , Liebe, H o f f n u n g bei P o r p h y r i o s

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dung  zu  diesen  drei  Begriffen  zu  sehen 8 6 .  Allerdings  wird  die  Drei­ heit  dieser  πηγαία  τριάς  sehr  deutlich  betont,  und  von  ihr  wird  ausgesagt,  daß  in  ihr  „alles  gelenkt  wird  und  besteht" 8 7 ;  Proklos  ergδnzt,  daß  auch  die  Theurgen  mittels  dieser  Triade  die  Götter  herbeirufen  und  die  Verbindung  mit  dem  Gott  erlangen 8 8 .  Für  Porphyrios  aber  ist  die Vierzahl  bedeutsam,  und  von  einer  generellen  kosmischen  „lenkenden"  Funktion  verlautet  bei  ihm  nichts,  sondern  es  handelt  sich  ausschließlich  um  den  Weg  des  Menschen  zu  Gott.  Letzteres  gilt  ebenfalls  für  Jamblich  (De  myst.  V  26),  der  seinerseits  in  der  chaldδischen  Tradition  steht;  bei  ihm  findet  sich  jedoch  eine  andere  Abfolge  und  Argumentation,  die  Liebe  bildet  den  Ausgangs­ punkt,  und  in  Hoffnung  und  Glauben  erfüllt  sich  der  Aufstieg  zu  Gott.  Wenn  Porphyrios  sich  also  von  chaldδischen  Vorstellungen  anregen  ließ,  so  hat  er  diese  dezidiert  abgewandelt.  Nicht  nur  negiert  er  das  triadische  Moment,  vor  allem  fehlt  bei  ihm  hier  jeglicher  Hinweis  auf  die  Möglichkeit  eines  theurgischen  Einwirkens  auf  göttliche  Instanzen 8 9 ,  auf  ein  Herbeiführen  der  göttlichen  Zuwen­ dung.  Ihm  geht  es  allein  um  die  geistige  Aktivitδt  des  Menschen,  die  ihn  zu  Gott  und  zum  Heil  führen  soll  und  die  sich  im  Glauben,  in  Wahrheitssuche  und  Erkenntnis,  verlangender  Liebe  zum  höchsten  Wesen  und  erfüllender  Hoffnung  manifestiert.  Paulus  hat  von  der  Dreiheit  Glaube,  Liebe,  Hoffnung  (in  dieser  Reihenfolge)  bereits  vor  dem  1.  Korintherbrief  gesprochen 90 ,  der  wichtigste  T e x t  aber  bleibt  das  „Hohelied  der  Liebe"  ( I K o r  13),  das  die  άγάπη  über  alles  stellt.  Daß  hier  der  Tenor  ein  völlig  anderer  ist  als  bei  Porphyrios,  bedarf  keines  Wortes.  Der  geistige  Eros  im  Markella­Brief  ist  mit  der  paulinischen  άγάπη  in  ihrer  umfassenden  Bedeutung  gar  nicht  zu  vergleichen.  Auch  fehlt  ihm  die  mitmensch­ liche  Komponente.  Nicht,  daß  soziale  Tugenden  für  Porphyrios  unwichtig  wδren,  im  Gegenteil,  er  sieht  in  dem,  was  er  φιλανθρωπία 

86

Vgl. Lewy (s. Anm. 7 9 ) 146f. und des Places (s. Anm. 7 8 ) n . l zu Frg. 4 7 : „Les Chaldéens ne séparaient pas l'espérance des trois vertus énumerées au fr. 4 6 . "

87

Frg. 4 8 ττάντα γάρ  êv  τρισί  τοΐσδε  κυβερνάται  8έ  και  Ιστι  (aus  Proklos). 

8 8 

Der  Text  bei  Lewy  (s.  Anm.  7 9 )  1 4 4  Anm.  2 9 1 . 

8 9 

Damit  ist  nicht  einfach  Magie  gemeint,  aber  doch  Einflußnahme  auf  die  Gφtter,  und  sei  es  durch  bestimmte  Gebete.  Jamblichs  Buch  De  mysteriis  bietet  reiches  Material  dafόr,  ebenso  die  Werke  des  Proklos.  Porphyrios  hat  in  dem  verlorenen  Werk  όber  die  Chaldäischen  Orakel  diese  Fragen  behandelt;  im  Markella­Brief  findet  sich  nichts  davon. 

9 0 

IThess  1,3  und  5 , 8 ;  vgl.  ferner  Kol  1,4  (wer  immer  der  Autor  sein  mag). 

42

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nennt, sogar ein „Fundament der Frömmigkeit" 9 1 . Nur ist ein derartiges Verhalten in seinem Begriff des Eros, in der sehnenden Liebe zur Wahrheit und zu Gott, nicht mitgemeint 92 . - Der entschiedene Abstand zu Paulus zeigt sich ebenfalls in der Auffassung des Wissens und Erkennens, von dem durchaus auch in der Passage des Korintherbriefes die Rede ist. Während bei Porphyrios das Erkennen der Wahrheit einen realen Schritt auf dem Weg zu Gott bedeutet, bleibt für Paulus alles Wissen auf Erden „Stückwerk"; die Wende wird erst dereinst kommen: „Dann aber werde ich es erkennen, gleichwie ich erkannt bin. Nun aber bleibet Glaube, Hoffnung, Liebe, diese drei; aber die Liebe ist die größte unter ihnen." 9 3 Das Erkennen gehört gerade nicht zu dem, was „nun bleibt". Bei Porphyrios aber wird es „diesen dreien" eingefügt, es zählt zu den Möglichkeiten und Zielen des hiesigen Menschseins; auf das Problem der Erkennbarkeit Gottes, das bei den Piatonikern diskutiert wurde, geht Porphyrios im Markella-Brief, der klare Anweisungen geben möchte, nicht ein 94 . Daß dem Erkennen Gottes das Erkanntwerden korrespondiert, sagt nicht nur Paulus 95 , es hat seine Entsprechung bei Porphyrios 96 und findet sich auch in Schriften des Corpus Hermeticum 9 7 . Aber hier vollzieht sich Erkennen wie Erkanntwerden während des Erdenlebens, es bezeichnet eine höchste Stufe des Menschseins. Bei Paulus ist es eine Vision der künftigen Existenz 98 .

91

Kap. 35 (127,5f.)  κρη­rrìs  εύσεβείας  σοι  νομιζέσθω  ή  φιλανθρωπία.  Vgl.  zum  sozialen  Verhalten  den  Inhalt  des  ganzen  Kap.  35.  92   Der  Eros  kann  auch  der  άληθινή  φιλοσοφία  gelten,  s.  Kap.  31  (124,7).  93   IKor  13,  12­13.  94   Vgl.  dazu oben Anm.  39.  Den Anstoß zu dieser Frage gab bereits Piaton Timaios 28 c3 ff. 95 IKor 13,12, vgl. 8,3. 96 Kap. 21 (118,25f.), vgl. die variierende Umkehrung hinsichtlich der Ungläubigen Kap. 22 (119,9f.)  άγνοούντες  θεού? γιγνώσκονται  ΘεοΤς καί  τη  δίκη  τη  παρά  θεών.  97   CH  I  31  (Bd.  I,  18,3  N.­F.),  Χ  15  (ibid.  120,7).  98 Ähnlich äußert sich auch Hippolytos Refut. X 34,4, doch gibt es für ihn eine Erkenntnis der Wahrheit über Gott sehr wohl schon im jetzigen Leben, vgl. X 31,6 εν άληθείας γνώσει, 34,1 toioùtoçô περί τό θείον άληθής λόγος, den  Hippolytos  den  Griechen  und  anderen Völkern als Lehrer und Freund Gottes (31,6) verkünden möchte.

G l a u b e ,  W a h r h e i t ,  Liebe,  H o f f n u n g  bei  P o r p h y r i o s 

4 3 

Die Antwort auf die Frage, ob Porphyrios bei der Konzeption seiner vier Elemente an Paulus dachte oder eher der chaldäischen Tradition folgte, mag subjektiv ausfallen (sie ist sehr unterschiedlich gegeben worden). Ich möchte annehmen, daß für ihn, der sich einst in seiner Schrift „Gegen die Christen" detailliert mit Paulus auseinandergesetzt" und der in einem speziellen Werk die Chaldäischen Orakel behandelt hatte, beide gedanklichen Komplexe gegenwärtig waren. Er dürfte also bewußt die paulinische Trias um das Motiv des Erkennens erweitert 1 0 0 und ebenfalls bewußt sich von den theurgischen Implikationen der chaldäischen Liste abgegrenzt haben. Jetzt, da er „an der Schwelle des Alters" stand -  εις  τό  γήρας  αποκλίνων 101  ­  und  im  Begriff  war,  sich völlig der Herausgabe und Kommentierung der Werke Plotins zu widmen, war er offensichtlich, soweit dies der Markella-Brief bezeugt, nicht mehr der Polemik gegen die fremde religiöse Lehre zugeneigt 1 0 2 noch auch befand er sich im Banne der chaldäischen Gedankenwelt. Er beschritt seinen eigenen philosophischen Glaubensweg und suchte ihn seiner Frau Markella und allen gleichgesinnten Lesern zur Nachfolge zu empfehlen. Angenähert hatte er sich dem Christentum in der Zwischenzeit, den Jahrzehnten seit der Abfassung seiner polemischen Schrift, sicher nicht, und ob ihm eine gewisse Nähe zu christlichen Vorstellungen, die manche moderne Interpreten konstatieren 1 0 3 , vorstellbar oder gar bewußt gewesen wäre, möchte ich bezweifeln. Den Menschen und Christen Paulus aber hat Porphyrios vermutlich nie wirklich verstanden.

99

  Vgl.  oben  Anm.  18.    Harnack  (s.  Anm.  4 )  8 0  meint,  die  Anklänge  an  Paulus  erfolgten  eher unbewußt.

100 101

Kap. 1 ( 1 0 4 , 1 2 ) .

102

Pötscher (s. Anm. 2 ) 89f. sieht in der Kritik an Paulus einen Zuammenhang mit einem antichristlichen Engagement, das wahrscheinlich während der Abfassung des Briefes bestanden habe (vgl. auch Sodano 117ff.). Daß jedoch eine derartige Annahme unbegründet ist und der Brief vor dem Jahr 3 0 0 und ohne Berührung mit christenfeindlichen Aktionen geschrieben wurde, habe ich oben sowie an anderer Stelle dargelegt (s. Anm. 2 3 ) .

103

Vgl. zu den Bemerkungen von Harnack und Bidez oben Anm. 4 und 5.

HANNS CHRISTOF BRENNECKE

,An  fidelis  ad  militiam  converti  possit'?  [Tertullian, de idolatria 19,1]

Frühchristliches  Bekenntnis  und  Militärdienst  im  Widerspruch? 

Nach dem Ende der in Europa zur Zeit des ,kalten Krieges' sich feindlich und hochgerüstet gegenüberstehenden militärischen Blökke, die in den vergangenen Jahrzehnten seit dem Ende des zweiten Weltkrieges mehrfach drohten, in eine neue militärische Konfrontation zu geraten, ist in Europa einerseits die Kriegsgefahr als Gefahr eines Krieges zwischen den Blöcken und damit die Gefahr eines Weltkrieges sicher zurückgegangen. Auf der anderen Seite haben die Kriege zwischen den Nachfolgestaaten des in diesem Prozess zerbrochenen ehemaligen Jugoslawien neue Kriegsgefahren auch für Europa aufgezeigt. In dieser Situation, die für das wiedervereinigte Deutschland zunächst einen enormen Abbau militärischer Potentiale bedeutet, ist durch die Wiedervereinigung und die sich aus ihr ergebenden Folgen für die Rolle Deutschlands eine neue, z.T. außerordentlich kontroverse Militärdiskussion entstanden um friedenstiftende oder -bewahrende Einsätze der Bundeswehr, das umstrittene Soldaten-Urteil des B V G und um die Würdigung der hingerichteten Deserteure des Zweiten Weltkrieges. Auch in unseren Kirchen ist nach den früheren Diskussionen bis in die achtziger Jahre jetzt in neuer Weise die Frage aktuell geworden, ob sich der Militärdienst mit dem christlichen Bekenntnis vereinbaren läßt, oder ob nicht die Wehrdienstverweigerung als das deutlichere christliche Zeugnis angesehen werden muß. Die aktuelle Diskussion um die Geltung des Militärseelsorgevertrages in den neuen Bundesländern zeigt, daß es dabei auch um einen Aspekt der Frage nach der Legitimität der Verbindungen von Kirche und Staat in einer säkularen und prinzipiell religionsneutralen Gesellschaft geht.

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Hanns  Christof  Brennecke 

Nach  einer  jahrhundertelangen  engen  Verbindung  von  Kirche  und  Staat  ist ­  zumindest  in  den großen Kirchen Europas mit ihrer staatskirchlichen Geschichte - diese Frage erst nach den Grauen und den schrecklichen Zerstörungen zweier Weltkriege in unserem Jahrhundert ins Bewußtsein getreten und wird seither außerordentlich kontrovers diskutiert. In dieser Diskussion ist der Kirchengeschichte weithin die höchst problematische Aufgabe zugefallen, die jeweiligen Standpunkte historisch zu legitimieren 1 . Vor allem der Kirche der ersten drei Jahrhunderte bis Konstantin kommt hier naturgemäß eine besondere Funktion zu, da sie häufig als die ursprüngliche, noch nicht durch Verbindung mit dem Staat korrumpierte Kirche gilt, die deshalb Normen auch für die Gegenwart setzt. Die historischen Legitimationversuche der je eigenen Standpunkte durch den Rückgriff auf die vorkonstantinische Kirche leiden aber daran, daß eine mögliche Normativität altkirchlicher Entscheidungen hinsichtlich der Vereinbarkeit von christlichem Glauben und Militärdienst für heutige Entscheidungen nur schwer zu begründen ist. Der allgemein bekannte und inzwischen viel diskutierte überlieferte Quellenbestand erlaubt überhaupt nur sehr vorsichtige Urteile 2 . Die Vergleichbarkeit altkirchlicher Entscheidungen mit heute geforderten ist zudem nur sehr eingeschränkt möglich. Die Frage des Militärdienstes ist für

In diesem Zusammenhang sind besonders die Arbeiten von Cadoux, 1919. 1 9 2 5 ; Bainton, 1946. 1960; Bienert, 1952; v. Campenhausen, 1 9 5 3 ; Dignath, 1 9 5 5 ; Karpp, 1 9 5 7 ; Schöpf, 1 9 5 8 ; Hornus, 1 9 6 0 . 1 9 6 3 ; Fontaine, 1 9 6 5 ; Crescenti, 1966; Helgeland, 1974. 1979; Butturini, 1977; Swift, 1979. 1 9 8 3 ; Helgeland/Daly/Burns, 1985; Pucciarelli, 1987; Brock, 1 9 9 1 , zu nennen, eine ausführliche Bibliographie zum Thema auch bei Brock, 1988. Auffällig ist, daß in den vergangenen dreißig Jahren die Frage nach der Einstellung der alten Kirche zum Militärdienst in der deutschen protestantischen Forschung faktisch keine Rolle mehr gespielt hat. Durch ihren prominenten Veröffentlichungsort sind die Untersuchungen von Hornus und Bienert weit über die kirchengeschichtliche Debatte hinaus wichtig geworden. Besonders die deutsche Übersetzung von Hornus' Untersuchung, die 1963 als Band 35 der .Beiträge zur evangelischen Theologie' erschien, hat die Diskussion im deutschen Protestantismus beherrscht. Für die auffällige Zurückhaltung der deutschen evangelischen Kirchengeschichte ist vielleicht signifikant, daß die T R E die Stellung der alten Kirche zum Militärdienst auf gerade 35 Zeilen abhandelt (H.-H. Schrey, Krieg IV. Historisch/Ethisch, T R E X X , 1 9 9 0 , 29). In den vergangenen zwanzig Jahren hat das Thema vornehmlich in der amerikanischen Diskussion eine Rolle gespielt (vgl. Literaturverzeichnis). Die Quellen sind im Grunde seit Harnacks bahnbrechender Untersuchung von 1905 bekannt. Die ausführlichsten Diskussionen der einzelnen Belege bei Cadoux, 1 9 1 9 ; Helgeland, 1979; Swift, 1979.

Bekenntnis und Militärdienst

4 7 

Christen in der römischen Kaiserzeit zunächst viel mehr ein kultisches als ein vom fünften Gebot her gegebenes ethisches Problem. Außerdem ist das Begriffsspektrum von militia/militare ein viel weiteres, als im modernen Sprachgebrauch, da die zivilen und militärischen Bereiche im modernen Sinn im Kaiserreich nicht getrennt waren. Militia kann alle Formen des militärischen und zivilen Reichsdienstes bedeuten 3 . Bei der frühchristlichen Diskussion geht es daher immer in erster Linie um die Frage der Integration der Christen in die römische Gesellschaft. Das Problem des Militärdienstes von Christen ist dieser Frage grundsätzlich untergeordnet. Diskutiert wird in erster Linie immer, ob man überhaupt als Christ ein öffentliches Amt ausüben kann. Das aber ist eben nicht die Frage der heutigen Diskussion über Wehrdienst oder Wehrdienstverweigerung als christliches Zeugnis 4 ! Von daher ist zu fragen, ob allein auf dem Weg historischer Forschung, durch historische Argumente überhaupt normative Aussagen zu ethischen Fragen möglich sind. Um in dieser Frage vielleicht zu einer Antwort kommen zu können, ist es vielleicht berechtigt, die weithin bekannten und vielfach analysierten Quellen doch noch einmal zu diskutieren.



Die Jesusüberlieferung der Evangelien berichtet keine Taten oder Worte Jesu, aus denen eine eindeutige Stellung zur Frage des Militärdienstes möglich gewesen wäre. Wenn Jesus auch verschiedentlich über die Unmöglichkeit zwischenmenschlicher Gewalt ange3

 

Wischmeyer,  1 9 9 0 ,  2 3 5 .  Auf  dieses  breite  Bedeutungsspektrum  muß in jedem einzelnen Fall geachtet werden. In einigen Fällen kann man keine eindeutige Entscheidung treffen, ob hier ziviler oder militärischer Dienst gemeint ist.

4

Selbstverständlich kann ein Beamter heute aus Gewissensgründen den Wehrdienst verweigern und trotzdem Beamter sein, eine Situation, die mit der altkirchlichen schlechthin unvergleichbar ist - übrigens auch aus frühchristlicher Sicht. Es soll im Rahmen dieser Untersuchung ausschließlich um die Frage gehen, ob und wie Christen den Dienst im Militär mit dem christlichen Bekenntnis als vereinbar ansahen. Auf keinen Fall kann es hier um die Frage der Stellung der alten Kirche zu Krieg und Frieden oder überhaupt zur Gewalt gehen, auch wenn natürlich beide Problemkreise zusammenhängen, aber eben nicht identisch sind. In der Literatur und besonders in der Benutzung der frühchristlichen Quellen werden diese Fragen fast immer in methodisch unzulässiger Weise vermischt, (vgl. auch Anm. 15).

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Hanns Christof  Brennecke 

sichts  des  kommenden  Gottesreiches  gesprochen  hat 5 ,  so war  und  ist  daraus  angesichts  seiner  eindeutigen  Bejahung  des  Staates  als  noch  notwendiger  irdischer  Ordnung  in  der  Welt,  sogar  des  Imperium  Romanum  als  Besatzungsmacht  in  Judäa 6 ,  kein  eindeutiger  Schluß auf Jesu Stellung zu Militär und Militärdienst möglich. Auch die übrigen urchristlichen Schriften mit dem Anspruch apostolischer Autorität, die im Lauf des zweiten Jahrhunderts als Neues Testament 7 für die Christen kanonisch wurden und damit als  γραφή  zunächst gleichberechtigt, dann aber bald überbietend neben den aus dem Judentum geerbten jüdischen Kanon in seiner griechischen Fassung der Septuaginta traten, geben trotz aller in ihnen überlieferten ethischen Paränese ebenfalls keine eindeutige Antwort auf die Frage, ob ein Christ Soldat sein kann und darf . Das Alte Testament, in seiner griechischen Fassung zunächst allein die heilige Schrift des jungen Christentums 9 , bot mit seinen durchaus auch kriegerischen Überlieferungen in der Geschichte Gottes mit seinem erwählten Volk Israel hier wenig Anknüpfungspunkte oder gar ethische Weisung 10 . Die jüdische Geschichte kannte

Zur Gottesreichverkündigung Jesu und auch ihren ethischen Implikationen vgl. W. Schräge, Ethik des Neuen Testaments, NTD.E 4, Göttingen 1982; J. Becker, Jesus von Nazareth, Berlin/New York 1996; G. Theissen/A. Merz, Der historische Jesus, Göttingen 1996. 6 Mk 12,13-17. Zur immer wieder in der Literatur auftauchenden These, daß Jesus ein Revolutionär gegen die römische Fremdherrschaft war, vgl. Schräge (wie Anm. 5) 109-115. 7 W. Kinzig,  Καινή  διαθήκη.  The  Title  of  the  New  Testament  in  the  Second  and  Third  Century,  JThS  N.S.  45,  1994,  519­544.  8  Vgl. Schräge (wie Anm. 5). In diesem Zusammenhang ist auch zu beachten, daß man bis in die zweite Hälfte des zweiten Jahrhunderts noch nicht einfach von dem Neuen Testament als allgemein anerkannter und verbindlicher christlicher Norm sprechen darf. Anders die ganz auf einen urchristlichen Pazifismus des Neuen Testaments als dann schon seit Beginn des zweiten Jahrhunderts verbindliche christliche Haltung abzielenden Arbeiten von Cadoux, Bainton, Bienert, Dignath und Hornus, denen es nach den beiden verheerenden Weltkriegen dieses Jahrhunderts darum ging, mit historischen Argumenten eine Antwort auf die völlig berechtigte Frage nach der auch christlichen Schuld an diesen Kriegen zu geben. 9 M. Hengel/A.M. Schwemer (Hg.), Die Septuaginta zwischen Judentum und Christentum, WUNT 72, Tübingen 1994. 1 0 J.A. Soggin, Krieg II. Altes Testament, TRE X X , 1990, 19-25. Ein christliches Kaiser- und Königtum in Spätantike und Mittelalter hat sich dann gerade bei seinen Feldzügen und Kriegen auf die israelitischen Könige und Gottes Beistand in den Kriegen Israels berufen können. 5

Bekenntnis und Militärdienst

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keinen  Pazifismus  als  Gottes  Gebot  an  sein  V o l k .  Auch  unter  frem­ der  Besatzung  haben  Juden  durchaus  freiwillig  als  Soldaten  gedient.  Unter  römischer  Herrschaft  waren  sie  allerdings  teilweise  von  jeder  Pflicht  zum  Militδrdienst  befreit 1 1 ,  ohne  daß  im  einzelnen  ganz  klar  ist,  wieweit  diese  Befreiungen  je  galten.  Auffδllig  und  ein  deutlicher  Unterschied  zur  jüdischen  Tradition  aber  ist,  daß  weder  Jesus  noch  das  Urchristentum  irgendeine  Form  von  ,Heiligem  Krieg'  kennen.  Das  von  Jesus  angesagte  Reich  Gottes  ist  nicht  nur  das  endgültige  Friedensreich,  sondern  es  ist  geradezu  sein  Kennzeichen,  daß  es  nicht  mit  Gewalt  durchgesetzt  wird,  wie  wohl  auch  nicht  wenige  Anhδnger  Jesu  ihn  mißverstehend  gehofft  hatten 1 2 .  M i t  der  angesichts  des  Kommens  des  Reiches  Gottes  zwar  relativierten,  aber  nicht  prinzipiell  in  Frage  gestellten,  sondern  aner­ kannten  irdischen  Ordnung  dieser  Welt  hat  Jesus  ­  und  das  frühe  Christentum  ist  ihm  darin  gefolgt  ­  Militδr  als  zu  dieser  irdischen  Ordnung  gehörig  angesehen.  Eine  absolute  Verpflichtung  auf  Ge­ waltlosigkeit,  die  den  Soldatenstand  ethisch  ablehnen,  den  Christen  verbieten  und  den  Staat  auf  diese  Weise  in  seiner  Gewaltausübung  grundsδtzlich  in  Frage  stellen  würde,  gibt  es  weder  in  der  Verkün­ digung  Jesu  noch  in  der  urchristlichen  ethischen  Parδnese 1 3 .  V o n  daher  müssen  alle  Postulate  eines  grundsδtzlichen  Pazifismus  des  Urchristentums  als  historisch  und  theologisch  problematische  Ver­ suche  angesehen  werden,  christliche  pazifistische  Positionen  in  der  gegenwδrtigen  ethischen  Debatte  von  einem  als  verbindlich  angese­ henen  urchristlichen  Pazifismus  her  zu  begründen 1 4 .  Wenn  in  den 

Joseph., Ant XIV,10,6. Die Existenz einer jüdischen Gemeinde in der Garnisonsstadt Dura am Euphrat im dritten Jahrhundert, die durch die ausgegrabene Synagoge bewiesen ist, kann angesichts fehlender jüdische Soldaten bezeugender Inschriften nicht als sicheres Indiz für jüdische Truppen in der  rφmischen  Grenzfestung  herangezogen  werden.  Zu  jόdischen  Soldaten  in  fremden  Heeren  vgl.  (Ps.)  Hekataios,  De  ludaeis,  bei  Josephus,  Contra  Apionem  1,200­204;  Joseph.,  Bell  I,4,4f.;  1,19,3­6;  fόr  die  Zeit  des Tiberius  bezeugt  Tac.,  Ann  11,85,4  zwangsrekrutierte  Juden.  Zu  Juden  im  rφmischen  Militär,  bzw.  zu  jόdischen  Truppenteilen  vgl.  K.L.  Noethlichs,  Das  Judentum  und  der  rφmische  S t a a t ­ Minderheitenpolitik  im  antiken  Rom,  Darmstadt  1996,  78.  83­90;  inschriftliche  Belege  bei  L.H.  Kant,  Jewish  Inscriptions  in  Greek  and  Latin,  ANRW  II  20,2,  1 9 8 7 ,  6 9 0 ­ 6 9 2  (fόr  Hinweise  danke  ich  meinen  Kollegen  Oda  und  Wolfgang  Wischmeyer).  1 2  Vgl.  H.  Hegermann,  Krieg  III.  Neues  Testament,  TRE  X X ,  1990,  25­28;  Becker  und  Theissen/Merz  (wie  Anm.  5)  passim.  1 3  Hegermann  (wie  vorige  Anm.)  25.  1 4  So  besonders  Hornus  (vgl.  auch  die  Anm.  8  genannten  Autoren). 

11

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Hanns Christof Brennecke

Schriften des Neuen Testaments auch die Institution Militär als zur (noch) notwendigen Ordnung dieser Welt gehörig nicht dezidiert in Frage gestellt wird, dann steht das natürlich nicht im Gegensatz zur weihnachtlichen Friedensbotschaft von Lk 2 1 5 . Ausgehend vom Jesuswort Mk 12,13-17, über Paulus, Rom 13, und die in der Tradition des hellenistischen Judentums stehenden Fürbittgebete für das römische Reich und die dieses Reich Regierenden lTim 2,Iff. und ICI 59-61 16 zeigt sich eine grundsätzliche Akzeptanz des Staates und seiner irdischen Ordnungen bei aller Distanz, die diese Ordnungen als nur vorläufig ansehen kann. Christen sind Fremdlinge in dieser Welt, aber eben in ihr 17 . Das Verhältnis der Christen zur pluralistischen Gesellschaft des römischen Kaiserreiches der ersten drei Jahrhunderte ist geprägt von einem geradezu dialektischen Verhältnis von Distanz und Integration 1 8 . Dieser Traditionsstrang hat dann seit der Mitte des zweiten Jahrhunderts bei den sog. Apologeten seine Fortsetzung gefunden 1 9 . Viel weniger deutlich und seltener belegt ist daneben eine Apk 13 bezeugte apokalyptische Tradition der strikten Ablehnung irdischer Ordnungen und damit auch des Imperium Romanum als Staat, die sich z.B. im dritten Jahrhundert bei Hippolyt verfolgen läßt und bei rigoristischen Gruppen wie den Montanisten oder Donatisten in der Alten Kirche und auch darüber hinaus immer wieder wirksam geworden ist 20 . Auf der anderen Seite war Jesus von den römischen Behörden aller Wahrscheinlichkeit nach als Thronprätendent und Aufrührer 15

16 17 18

19

20

E. Dinkler/E. Dinkier - von Schubert, Friede, RAC VIII, 1972, 434-505; G. Delling, Friede IV. Neues Testament, TRE XI, 1983, 613-618. Noethlichs (wie Anm. 11) 72. IPetr l , f . l 7 ; 2,11; Eph 2,19; Hebr 11,9f. 13-16; Jak 1,1; ICI Prooem. H.C. Brennecke, .Ecclesia est in re publica, id est in imperio romano' (Optatus III 3). Das Christentum in der Gesellschaft an der Wende zum >konstantinischen Zeitalter«, JBTh 7, 1992, 209-239. H.C. Brennecke, Der Absolutheitsanspruch des Christentums und die religiösen Angebote der alten Welt, in: J. Mehlhausen (Hg.), Pluralismus und Identität, Veröffentlichungen der Wissenschaftlichen Gesellschaft für Theologie 8, Gütersloh 1995, 380-397. K.-H. Schwarte, Apokalyptik V. Alte Kirche, TRE III, 1978, 257-275; zum Danielkommentar Hippolyts von Rom (CPG I 1873, eine GCS 1/1 ersetzende kritische Edition von M. Richard wird 1997 in GCS erscheinen) vgl. außerdem C. Schölten, Hippolytos II (von Rom), RAC XV, 1991,492-551; M. Marcovich, Hippolyt von Rom, TRE XV, 1986, 381-387; zum Montanismus W.H.C. Frend, Montanismus, TRE XXIII, 1994, 271-279; zum Donatismus A. Schindler, Afrika I, TRE I, 1978, 654-668.

Bekenntnis  und  Militδrdienst 

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fδlschlich  angeklagt,  zum  Tode  verurteilt  und  hingerichtet  wor­ den 2 1 .  Von  daher  standen  Christen  für  die  römischen  Behörden  ­  für  die  noch  bestehenden  jüdischen  natürlich,  wenn  auch  modifiziert,  genauso  ­  zumindest  im  Verdacht  der  Insurrektion.  Seit  Nero  war  das  Römische  Reich  gegen  Christen  als  Christen  vorgegangen 22 ,  durch  Kaiser  Trajan 2 3  ist  diese  Rechtslage  der  Chri­ sten  im  Römischen  Reich  bestδtigt  und  zementiert  worden,  daß  jeder  Christ  als  solcher  angezeigt,  zumindest  mit  dem  Mδrtyrertod  rechnen  mußte,  auch  wenn  diese  Rechtslage  im  ganzen  erstaunlich  flexibel  angewandt  worden  zu  sein  scheint.  Leider  hat  Trajan  in  seiner  Ant­ wort  an  Plinius,  wie  mit  den  Christen  nun  umzugehen  sei,  keinerlei  Begründung  für  die  grundsδtzlich  für  Christen  geltende  Todesstrafe  gegeben,  so  daß  bis  heute  letztlich  nur  Spekulationen  über  die  eigent­ liche  juristische  Begründung  der  Verfolgung  von  Christen  im  römi­ schen  Machtbereich  möglich  sind.  Auch  von  daher  waren  der  Inte­ gration  der  Christen  in  die  römische  Gesellschaft  natürlich  Grenzen  gesetzt.  Im  Prinzip  blieb  diese  Haltung  des Imperium  Romanum  ­  bei  großen  Schwankungen  ­  in  der  Behandlung  der  Christenfrage  bis  zur  Wende  der  Reichspolitik  unter  Konstantin  verbindlich.  Bis  auf  die  Ausnahmen  der  großen  Verfolgungen  des  dritten  und  zu  Beginn  des  vierten  Jahrhunderts  scheinen  aber  die  jeweiligen  Provinzialbehörden  im  allgemeinen  kein  übermδßiges  Interesse  an  Christenprozessen  ge­ habt  zu  haben,  wie  die  in  der  Mδrtyrerüberlieferung  bezeugten  Ver­ suche  der  Beamten  zeigen,  die  angezeigten  Christen  zum  Nachgeben  zu  überreden 24 .  Angesichts  dieser  Situation  ist  die  schnelle  Ausbrei­ tung  des  Christentums  durch  das  ganze  Imperium  Romanum  und  durch  alle  Gesellschaftsschichten  ein  erstaunliches  Phδnomen 2 5 .  21

22 23

24 25

Tac., Ann XV,44,3: auctor nominis eius Christus Tiberio imperitante per procuratorem Pontium Pilatum supplicio affectus erat...; vgl. Becker (wie Anm. 5) 399-440; Theissen/Merz (wie Anm. 5) 388-414; Helga Botermanns, Das Judenedikt des Kaisers Claudius, Hermes Einzelschriften 71, Stuttgart 1996, passim. Tert., Apol 5,3. Plin., Epist 10,96f.; R. Freudenberger, Christenverfolgungen, TRE VIII, 1981, 23-25; U. Schillinger-Häfele, Plin. Epist 10, 96 und 97: Eine Frage und ihre Beantwortung, Chiron 9, 1979, 383-392. Für viele Beispiele sei hier nur auf MartPol 8-12 verwiesen. A. von Harnack, Die Mission und Ausbreitung des Christentums in den ersten drei Jahrhunderten I/II, Leipzig 4 1 9 2 4 ; B.  Kφtting,  Christentum  I  (Ausbreitung),  RAC  II,  1954,  1138­1159;  W.H.C.  Frend,  Der  Verlauf der  Mission  in der  Alten  Kirche  bis  zum  7.  Jahrhundert,  in:  H.  Frohnes/U.W.  Knorr  (Hg.),  Die  Alte  Kirche,  Kirchengeschichte  als  Missionsgeschichte  I,  Mόnchen  1974,  32­50;  H.  Gόlzow,  Soziale  Gegebenheiten  der  altkirchlichen  Mission,  ebd.,  189­226. 

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H a n n s  C h r i s t o f  B r e n n e c k e 

Von Anfang an sind nun nach den neutestamentlichen Zeugnissen auch Soldaten sowohl aus den (heidnischen) Truppen des Herodes Antipas in Galiläa als auch in Judäa stationierte römische Soldaten mit dem entstehenden Christentum in Berührung gekommen und von der christlichen Predigt ergriffen worden, ohne daß die christlichen Gemeinden unserer Kenntnis nach darin irgendein Problem gesehen haben. In erster Linie scheint es sich dabei um Militärangehörige aus dem Kreis der mit dem Judentum sympatisierenden ,Gottesfürchtigen' 2 6 gehandelt zu haben. Nach M t 8,5-13 (Lk 7 , 1 - 1 0 ; vgl. Joh 4 , 4 6 - 5 3 , wo es sich aber nicht ausdrücklich um einen Angehörigen des Militärs, sondern um einen ,Beamten' [TIÇ  βασιλικός]  handelt,  was  angesichts  des  breiten  Bedeutungsspektrums  einen  Soldaten  nicht  von  vornherein  aus­ schließt), kommt Jesus zu einem heidnischen 2 7 Centurio 2 8 . Jesus wendet sich hier also sogar einem Heiden zu, der als Modell des Glaubens an Christus und damit als Erstling der Heidenmission erscheint . In der Forschung herrscht Konsens darüber, daß diese bei M t , Lk und - charakteristisch variiert - J o h überlieferte Episode aus der Logienquelle stammt und wirklich auf ein Ereignis in der Verkündigung Jesu zurückgeht 3 0 . Der Beruf des Centurio, die Tatsache, daß es sich um einen Soldaten, sogar einen Berufssoldaten und Mitglied der unteren Offiziersschicht 3 1 handelt, spielt dabei keine eigene Rolle. Wichtig ist allein, daß in diesem Centurio Jesus sich einem Heiden zuwendet, der zu den sogenannten ,Gottesfürch  Vgl.  M .  Simon,  Gottesfürchtige!:,  R A C  X I ,  1 9 8 1 ,  1 0 6 0 ­ 1 0 7 0 .  Die  Frage,  wie  es  dazu  kam,  daß das Judentum in vielerlei Hinsicht gerade auch für Soldaten und sogar Offiziere der römischen Besatzungstruppen so anziehend war, daß sie sich dem Kreis der sog. .Gottesfürchtigen' anschlossen, ist bisher kaum problematisiert worden. Ebensowenig die Frage, welche Folgen diese jüdische Option etwa für Offiziere hatte.

26

Wahrscheinlich ein heidnischer Centurio im Dienst des Herodes Antipas, der nach Lk 7 , 5 zu den  φοβούμενοι gehörte. 2 8  έκατοντάρχης,  vgl.  Bauer/Aland, Wörterbuch zum Neuen Testament, Berlin 61988.

27

29

U. Luz, Das Evangelium nach Matthäus, EKK I 2, Zürich/Neukirchen-Vluyn 1990, 15-17.

30

Luz, ebd.

31

Zur Stellung eines Centurio vgl. A. von Domaszewski, P W III 2, 1 8 9 9 , 1 9 6 2 1 9 6 4 ; A. Neumann, Kl. Pauly I, l l l l f . Die im deutschen Sprachraum übliche Übersetzung .Hauptmann' greift danach wohl zu hoch. Ein Centurio ist eher ein Unteroffizier, Bindeglied zwischen Truppen und Offizierscorps und damit als Berufssoldat für die Armee besonders wichtig. Centuriones konnten auch der zivilen Verwaltung detachiert werden.

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tigen' gehört und dessen Glaube an Jesus als beispielhaft hingestellt werden und vom Unglaube in Israel abgehoben werden soll. Daß die Verkündigung Jesu hier nicht mehr exklusiv Israel gilt, sondern auch den Heiden, wird ausgerechnet am Beispiel eines heidnischen Berufssoldaten deutlich gemacht. Und dieses Beispiel ist über die Logienquelle in die Evangelienüberlieferung eingegangen und damit zur verbindlichen Weisung Jesu an die diesen Jesus als den Auferstandenen bekennende und verkündigende christliche Kirche geworden. Nach Mk 15,39 parr. (Mt 27,54; Lk 23,47) bekennt der an der Hinrichtung Jesu in nicht näher beschriebener Weise beteiligte römische Centurio (nach M t 27,54 der Centurio und die ihm untergebenen Soldaten) den Gekreuzigten als Gottes Sohn. Daß es sich um einen Soldaten bzw. nach Matthäus um eine Gruppe von Soldaten unter Führung dieses Centurio handelt, ist hier nur insofern wichtig, als dieser Centurio mit den ihm untergebenen Soldaten als Beteiligter an der Hinrichtung Jesu Zeuge seines Sterbens wird. Auch hier kommt es vor allem darauf an, daß ein heidnischer Vertreter der römischen Besatzungsmacht, die Jesus hinrichten läßt, diesen Jesus als Gottes Sohn bekennt - im Gegensatz zu den anderen beschriebenen Reaktionen auf den Tod Jesu 32 . Zum Sondergut des Lukasevangeliums gehört die sog. »Standespredigt' des Johannes Lk 3,10-14 3 3 . Nach Lk 3,14 kamen auch Soldaten und fragten ihn, wie sie gerettet werden könnten 3 4 . Johannes antwortet ganz im Rahmen üblicher Standesethik. Sie sollen ihre Gewalt nicht zur persönlichen Bereicherung missbrauchen, sondern sich mit ihrem Sold begnügen. Festzuhalten ist, daß der lukanische Täufer nicht von den Soldaten fordert, zur Erlangung des Himmelreiches ihren Beruf aufzugeben. Die Zugehörigkeit zum Militär wird hier auch nicht als Taufhindernis angesehen. Dabei bleibt es gleichgültig, ob die sogenannte ,Standespredigt' des Johannes als urchristliche Gemeindeparänese anzusehen ist und damit nicht sicher

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Zu den apokryphen Traditionen über Longinus, der später als Bischof von Caesarea in Kappadokien das Martyrium erlitten haben soll, vgl. BHL Nr. 4965f.; BHG Nr. 988-990; AS Mart II 376-390; Gregor von Nyssa, ep. 13, GNO VIII 2, 54f.; das metaphrastische Martyrium Longini, PG 115, 32-44; zur Ikonographie LCI VII 410f. F. Bovon, Das Evangelium nach Lukas (Lk 1,1-9,50), EKK III/l, Zürich/Neukirchen-Vluyn 1989, 173-175. Die Komposition des Textes setzt nach V7. 12 voraus, daß die Soldaten kamen, um sich auch taufen zu lassen.

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dem historischen Johannes zuzuschreiben wäre, wie häufig in der Forschung angenommen wird, oder ob sie aus der Verkündigung des Johannes in die urchristliche Paränese übernommen worden i s r 5 . In jedem Fall muß ein konkreter Sitz im Leben dieser Paränese vorausgesetzt werden. Das heißt aber, daß der Verfasser der Apostelgeschichte in seinem heidenchristlichen Milieu christliche Soldaten kennt, die in ihrem Alltag natürlich auch mit den besonderen ethischen Herausforderungen des Soldatseins und des Lagerlebens konfrontiert waren. Und diese christlichen Soldaten, deren Zugehörigkeit zur Gemeinde für ihn offenbar an sich kein besonderes Problem darstellt, will er ansprechen. Er verlangt von ihnen nicht die Aufgabe ihres Berufes, um zur christlichen Gemeinde gehören zu können, sondern ermahnt sie - ganz konventionell - nach der eigentlich für jeden Soldaten verbindlichen militärischen Standesethik zu leben. Das wichtigste neutestamentliche Zeugnis über die Begegnung der urchristlichen Verkündigung mit einem heidnischen militärischen Vertreter der römischen Besatzungsmacht ist zweifellos die Apg 10 berichtete Bekehrung des Centurio Cornelius in Caesarea. Lukas hat hier eine ihm bereits vorliegende ausführliche Erzählung über die Bekehrung des römischen Centurio in Caesarea in sein theologisches Konzept aufgenommen 36 . Cornelius wird als Mitglied der italischen Legion 37 vorgestellt. Ein Römer, vielleicht sogar aus Italien, der aber wie der Centurio aus Kafernaum zum Kreis der ,Gottesfürchtigen' gehörte 38 . Auch unter den ihm untergebenen Soldaten muß es mehrere gegeben haben, die zu den mit dem Judentum sympathisierenden .Gottesfürchtigen' zählten (V 7). In der theologischen Konzeption des Lukas beginnt mit der Bekehrung und Taufe des Cornelius und seines Hauses 39 die apostolische Heidenmission. Die Heiden-

  Bovon  (wie  Anm.  33),  J.  Ernst,  Johannes  der  Täufer,  BZNW  53,  Berlin  1989,  312f.;  O. Böcher, Johannes der Täufer II, TRE XVII, 1988, 1 7 7 . 1 7 9 , sieht die Standespredigt als genuin johanneisch und über täuferische Kreise als christlich adaptiert an. Nach H. Stegemann, Die Essener, Qumran, Johannes der Täufer und Jesus. Ein Sachbuch, Freiburg 1993, 295, hat die Vermahnung des Johannes an Soldaten ihren realistischen Hintergrund in der von Soldaten leicht zu ihrem persönlichen Vorteil ausnutzbaren Situation an der Grenze.

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36

Zur Redaktionsgeschichte vgl. M. Dibelius, Die Bekehrung des Cornelius, in: M. Dibelius, Aufsätze zur Apostelgeschichte, hg. v. H. Greeven, Berlin 1951, 96107.

37

Dibelius (wie vorige Anm.). Apg 10,2.22. E. Dassmann, Haus II (Hausgemeinschaft), RAC XIII, 1986, 8 5 4 - 9 0 5 .

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mission beginnt also in der Darstellung des Lukas mit der Taufe eines militärischen Repräsentanten des Imperium Romanum in Caesarea, dem Sitz der Besatzungsmacht. Ausdrücklich wird hervorgehoben, daß Cornelius und sein ganzes Haus - zum Entsetzen der Juden - den Heiligen Geist bekamen (V 44f.). Der außerordentlich langen und sorgfältig komponierten Geschichte Apg 10 kommt im Gesamtaufriß der Apostelgeschichte zweifellos eine theologische Schlüsselfunktion hinsichtlich des Beginns der Heidenmission zu 4 0 . Weder am Stand noch am Dienstgrad des Cornelius nimmt Lukas irgendeinen Anstoß. Weder der Petrus der lukanisch bearbeiteten Geschichte noch der Verfasser der Apostelgeschichte erwarten als Konsequenz von Taufe und Ausgießung des Heiligen Geistes, daß Cornelius seinen Beruf aufgibt. Die wenigen neutestamentlichen Zeugnisse, die überhaupt von der Verkündigung der christlichen Predigt an Soldaten berichten 41 , stimmen aber in ihrer Unbefangenheit gegenüber dem Soldatenstand überein. Trotz der prinzipiellen Forderung nach Gewaltlosigkeit und der Verkündigung auch eines irdischen Friedens gilt die Zugehörigkeit zum Militär, auch als Offizier der römischen Besatzungsmacht in Judäa, nicht als unvereinbar mit dem christlichen Glauben. Mit dem Bekenntnis zu Jesus Christus ist nicht die Forderung nach Aufgabe des Soldatenberufes verbunden. Schon die mit Johannes dem Täufer verbundene urchristliche Gemeindeparänese Lk 3,14 zeigt, daß es zur Zeit der Abfassung des Lukasevangeliums am Ausgang des ersten Jahrhunderts, also bereits nach den ersten antichristlichen Maßnahmen Neros im Jahr 64, die allerdings unserer Kenntnis nach auf die Stadt Rom beschränkt geblieben waren, und nach dem jüdischen Krieg im hellenistischen Christentum christliche Soldaten gegeben haben muß. Die Apg 10 aufgenommene Gemeindetradition bezeugt einen christlichen römischen Centurio schon in der ersten christlichen Generation. Eine theologische Reflexion darüber, ob ein Christ Soldat sein kann und darf, ist in diesem Zusammenhang nicht erkennbar. Für die neutestamentlichen Autoren ist das

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Die Bekehrung des Cornelius wird im Aufriß des Lukas eingerahmt von der Bekehrung des Saulus Kap. 9 und dem Bericht über die heidenchristliche Gemeinde in Antiochien Kap. 11. Aus der Zahl der Zeugnisse läßt sich auf keinen Fall folgern, daß dies kein oder nur ein ganz marginales Thema für das Urchristentum war, eher im Gegenteil. Auch sonst wird im N T erstaunlich wenig über spezielle Berufsgruppen und ihrer Begegnung mit der christlichen Predigt berichtet.

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Problem  des  Militδrdienstes  kein  Thema  theologisch­ethischer  Über­ legungen.  Das  Militδr  gehört  in  die  noch  geltenden  Ordnungen  dieser  Welt  und  wird  von  daher  nicht  grundsδtzlich  in  Frage  gestellt.  So  kann  auch  nicht  von  einem  prinzipiellen  urchristlichen  Pazifis­ mus  im  Sinne  einer  Ablehnung  jedes  Militδrs  und  einer  grundsδtz­ lichen  Unvereinbarkeit  von  Soldatsein  und  christlichem  Bekenntnis  gesprochen  werden 4 2 .  Auffδllig  ist,  daß  der  Kontakt  der  christlichen  Predigt  mit  heidnischen  römischen  Soldaten  auch  über  den  im  ein­ zelnen  nur  schwer  zu  definierenden  und  begrenzenden  Kreis  der  ,Gottesfürchtigen ETö' έξήξ προτρέπεται  ή μας ό  Κέλσος  άρήγειν τω  βασιλεϊ  παντί  σθένει  καί  συμπονεΐν  αύτω  τά  δίκαια καί ύπερμαχεΐν αύτοΰ καί σνστρατεύειν αΟτω αν έπεί/η καί συστρατηγεΐν...  < 7 5 >  Προτρέπει  δ'  ήμάζ  Κέλσος καί  επί  τό  άρχειν της  πατρίδος,  έάν δέη  καί  τούτο  ποιεΐν  ενεκεν σωτηρίας  νόμων  καί  εύσεβείας. 

76

  Helgeland,  1 9 7 9 ,  746;  R.L.  Wilken,  Die frühen Christen - Wie die Römer sie sahen, Graz u.a. 1 9 8 6 , 106-137.

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Polemik gegen die gesellschaftsverweigernde Haltung der Christen, die sich nach Kelsos auch nicht in angemessener Form an der Verteidigung des Imperiums beteiligen, und aus der in diesem Punkt jedenfalls Kelsos nicht widersprechenden Antwort des Orígenes mehr als ein halbes Jahrhundert später 7 7 geschlossen, daß - zumindest im Umfeld des Kelsos 7 8 - Christen sich weder am Militärdienst noch überhaupt an öffentlichen Ämtern beteiligten 7 9 . Theodor Klauser hat dagegen geltend gemacht, daß die Aufforderung des Kelsos an die Christen, sich an Staatsdienst und Verteidigung stärker zu beteiligen, vor allem an die christlichen Oberschichten adressiert war und auf die Übernahme von Führungspositionen in Staat und Gesellschaft zielte 8 0 . Die Christen, die inzwischen in den Funktionseliten des Imperium Romanum vertreten waren, sollten die sich daraus ergebenden Pflichten übernehmen. Klauser hat diese Aufforderung des Kelsos an die Christen auf dem Hintergrund der Krisensituation des Reiches unter Marc Aurel sehen wollen und dahinter eine konkrete politische Entscheidung des Kaisers vermutet. Aus den zur politischen und militärischen Mitarbeit der Christen auffordernden Worten des Kelsos wird man jedenfalls keine grundsätzliche und absolute bisherige Verweigerung von Militär- und Staatsdienst durch die Christen schließen und somit keinen fundamentalen Widerspruch zum Zeugnis der übrigen Überlieferung annehmen können. Die Aufforderung des Kelsos an die Christen, Führungspositionen in Staat, Heer und Gesellschaft zu übernehmen, steht somit nicht im Widerspruch zu den sonst für die Zeit bezeugten christlichen Soldaten, bei denen bis Ende des zweiten Jahrhunderts ja in den zur Verfügung stehenden Quellen keine ausgesprochenen Führungspositionen bezeugt waren. Seit der Wende vom zweiten zum dritten Jahrhundert bis hin zur diokletianischen Verfolgung und dann der Herrschaft Konstantins 77

  Zur  theologischen  Argumentation  des Orígenes s.u. S. 8 6 - 9 0 .

78

Allerdings ist es nicht möglich, Kelsos geographisch zu lokalisieren, vgl. Chadwick (wie Anm. 7 2 ) Introduction; Pichler (wie Anm. 7 2 ) 9 7 - 9 9 .

79

Harnack, 1 9 0 5 , 54f. Bainton, 1 9 4 6 [S. 1 9 0 der deutschen Ausgabe] hat daraus sogar schließen wollen, dai? nach Auffassung des Kelsos kein Christ in der Armee diente.

80

Th. Klauser, Sind der christlichen Oberschicht seit Mark Aurel die höheren Posten im Heer und in der Verwaltung zugänglich gemacht worden? - J A C 1 6 , 1 9 7 3 , 6 0 - 6 6 ; vgl. dazu kritisch W . Eck, Christen im höheren Reichsdienst im 2. und 3. Jahrhundert?, Chiron 9 , 1 9 7 9 , 4 4 9 - 4 6 4 , wobei Eck zu Orig., Cels VIII,73 sich gegen Klauser zu unkritisch auf die Thesen von Hornus stützt.

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sind christliche Soldaten - bis zu höheren Offizieren hin - so oft bezeugt, daß die Quellen im Rahmen dieser Arbeit nur paradigmatisch vorgeführt und kommentiert werden können 81 . Im dritten Jahrhundert beginnt dann auch eine theologische Reflexion über die Frage deutlich zu werden, ob Christen überhaupt Soldaten sein können und dürfen, und wenn, unter welchen Bedingungen. Und diese Debatte, so muß man den allerdings nicht sehr zahlreichen Quellen entnehmen, ist in der Kirche durchaus kontrovers geführt worden und hat zu ganz unterschiedlichen Ergebnissen geführt, die man in der modernen Forschung oft viel zu sehr zu harmonisieren versucht hat. Erst jetzt begegnet, wenn auch nach unserer allerdings überaus fragmentarischen Kenntnis eher als Ausnahme 82 , die Auffassung, daß christliches Bekenntnis und Soldatsein einander ausschließen. Besonders Tertullian hat dies auch theologisch zu begründen versucht 83 . Angesichts des unbezweifelbaren Phänomens eines christlichen Berufssoldatentums in einer die Christen prinzipiell ablehnenden und immer wieder auch verfolgenden Geselllschaft, die sich in erheblichem Maße auch kultisch definierte, wie die Kritik des Kelsos am Christentum immer wieder deutlich macht, ist dann allerdings erstaunlich, wie selten in der erhaltenen christlichen Literatur des dritten Jahrhunderts dieses Thema überhaupt theologisch problematisiert worden ist84. An der Wende zum dritten Jahrhundert steht Tertullians Apologeticumis bis in die Benutzung einzelner literarischer Bilder noch ganz in der Tradition der griechischen Apologeten des zweiten Jahrhunderts. Rhetorisch geschliffen weist er die juristischen Inkonsequenzen der uns durch Trajan bezeugten Praxis der Maßnahmen gegen die Christen nach 86 . Ihm geht es in dieser Schrift noch - in dieser Hinsicht sollte sich seine Einstellung zur Integration der Christen in das Imperium Romanum und seine Gesellschaft dann sehr bald radikal ändern - um den Nachweis, daß die Christen sich in keiner Weise absondern, sondern in allen Berufen und Ständen als die treuesten Untertanen des Römischen Reiches zu finden sind: 81 82 83

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Das Material nach Harnack, 1905, am ausführlichsten bei Helgeland, 1979. Vgl. u. S. 72-74.82-86. Vor allem in Tert., Idol 19 und in der ausschließlich diesem Thema gewidmeten Schrift de corona·, vgl. u. S. 82-86. Dazu unten IV. CPL 3; ed. E. Dekkers, CChr.SL 1, 85-171. Apol 1-5.

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Gestern sind wir erschienen, und schon haben wir alles, was euer ist, überflutet, Städte und Inseln, Garnisonen, Gemeinschaften, Ortschaften, ja Heerlager, Stadtbezirke und Dekurien, Palast, Senat und Forum ... 8 7 Auch fahren wir mit euch zusammen zur See, sind wie ihr Soldaten und Bauern, und ebenso treiben wir mit euch Handel; unser Können, unsere Erzeugnisse stellen wir euch allen zur Verfügung. 88 Tertullian,  dem  militärische  Begrifflichkeit  vertraut  ist  und  der  viel­ leicht  sogar  aus  militärischem  Milieu  s t a m m t e 8 9 ,  bezeugt,  d a ß a m Ausgang des zweiten Jahrhunderts das Christentum sich - jedenfalls aus seiner afrikanischen Sicht - in allen Gesellschaftsschichten ausgebreitet hatte, und dabei eben auch im Militär und der Beamtenschaft. Christen sind - bei aller bleibenden Distanz, die Tertullian klar sieht und b e n e n n t 9 0 , in die Gesellschaft des Imperium R o m a n u m integriert, übernehmen in und für dieses Reich V e r a n t w o r tung, w o z u a u c h der Militärdienst gehört. In diesen Z u s a m m e n h a n g g e h ö r t a u c h Tertullians Hinweis auf die Errettung des römischen Heeres durch das Gebet christlicher Soldaten im Quadenkrieg M a r c A u r e l s 9 1 . Der Verfasser des Apologeticum bejaht a m E n d e des zweiten J a h r h u n d e r t s n o c h diese Integration der Christen in die Gesells c h a f t 9 2 . A u c h wenn die Angaben Tertullians keinerlei Schlüsse erlauben, wieviele christliche Soldaten es an der W e n d e zum dritten J a h r h u n d e r t gegeben hat und w o m a n a m ehesten mit christlichen 87

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Apol 37,4 [CChr.SL 1, 148, 20-22]: Hesterni sumus, et orbem iam et uestra omnia impleuimus, urbes ínsulas, castella municipia conciliábulo, castra ipsa tribus decurias, palatium senatum forum (Übersetzung nach C. Becker, Tertullian Apologeticum, München 3 1984, 179). Apol 42,3 [CChr.SL 1, 157, 10-13]: Nauigamus et nos uobiscum et uobiscum militamus et rusticamur et mercamur proinde miscemus artes, operas nostras publicamus usui uestro (deutsch nach Becker, a.a.O. 195). Militare muß hier vermutlich auch im weiteren Sinne des militärischen und zivilen Reichsdienst gesehen werden, schließt aber in jedem Fall den engeren militärischen Dienst im Heer mit ein. G. Schöllgen, Ecclesia sordida? Zur Frage der sozialen Schichtung frühchristlicher Gemeinden am Beispiel Karthagos zur Zeit Tertullians, JAC.E 12, Münster 1984, 176-189; T.D. Barnes, Tertullian, Oxford 2 1985, 13-21. Nach Apol. 21, 24 ist für Tertullian z.B. ein christlicher Kaiser noch nicht vorstellbar. Zur dennoch grundsätzlich positiven Haltung des vormontanistischen Tertullian zum Imperium Romanum s. Apol. 30-32; dazu R. Klein, Tertullian und das Römische Reich, BKAW NS II 22, Heidelberg 1968. Apol 5,6; Scap 4,6. Zu Tertullians im Laufe der Zeit sich bis zur totalen Ablehnung sowohl des Imperium Romanum als auch jeder Teilnahme von Christen im Staatsdienst und besonders im Heer radikalisierenden Sicht vgl. u. S. 82-86.

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Truppenteilen  rechnen  kann,  so  kann  man  m.E.  doch  den  Schluß  wagen,  daß  christliche  römische  Soldaten  als  ein  weithin  bekanntes  Phδnomen  anzusehen  sind.  Die  etwa  ein  Jahrzehnt  spδter  verfaßte  Schrift de idolatria93  bezeugt nicht nur, daß inzwischen  für Tertullian  Christsein  und  Militδrdienst  unvereinbar  miteinander  geworden  waren 94 ,  sondern  überhaupt  eine  innerchristliche  Debatte  über  diese  Frage 95 .  Die  vermutlich  211  zu  datierende  Schrift de corona96,  die  als  die  einzige  grundsδtzliche  theologische  Behandlung  der  Frage,  ob  Chri­ sten  auch  Soldaten  sein  können,  bzw.  ob  und  unter  welchen  Bedin­ gungen  Soldaten  Christen werden können, in der  vorkonstantinischen  Zeit  gelten  muß,  hatte  einen  konkreten  Anlaß:  beim  Empfang  eines  kaiserlichen  Donativums  weigert  sich  ein  christlicher  Soldat,  den  bei  dieser  Gelegenheit  üblichen  Kranz  zu  tragen  und  wird  als  Christ  nach  dem  bekannten  Christenverfahren  hingerichtet97.  Eindeutig  geht  aus  dem Text  hervor,  daß  dieser  Soldat  nicht  der  einzige  Christ  in  der  Truppe  war,  sondern  daß  diese  zu  einem  größeren  Teil  aus  Christen  bestanden  haben  muß 98 .  Und  diese  christlichen  Soldaten  scheinen  in ihrer  übergroßen  Mehrheit  das Tragen  des Kranzes  nicht 

93

C P L 2 3 ; ed. J . H . W a s z i n k / J . C . M . van Winden, Tertullianus, De Idolatria, SVigChr I, Leiden 1 9 8 7 . Zur umstrittenen Datierung ebd., 1 0 - 1 3 . Die von H . J . Frede, Kirchenschriftsteller. Verzeichnis und Sigei, V L 1 , 1 , Freiburg 4 1 9 9 5 , 7 6 6 , gegebene Datierung 1 9 6 / 9 7 muß als inzwischen längst überholt gelten. Wenn Idol etwa zehn Jahre nach Apol zu datieren ist, erledigen sich weithin die Probleme der ganz unterschiedlichen Beurteilung eines christlichen Soldatenstandes in Apol und Idol, auch wenn man mit Waszink und van Winden Idol nicht unbedingt als schon montanistisch ansehen muß. Die Hinwendung zum Montanismus hatte ja eine Vorgeschichte des rigoristischer werdenden Tertullian.

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Vgl. u. S. 8 2 - 8 6 .

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Tert., Idol 1 9 , 1 [CChr.SL II 1 1 2 0 , 1 0 - 1 4 ] :  Possit  in  isto  capitulo  etiam  de  militia  definitum  uideri,  quae  inter  dignitatem  et  potestatem  est.  At  nunc  de  isto  quaeritur,  an  fidelis  ad  militiam  converti  possit  et  an  militia  ad  fidem  admitti,  etiam  caligata  uel  inferior  quaeque,  cui  non  sit  nécessitas  immolationum  uel  capitalium  iudiciorum. 

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C P L 2 1 ; ed. Aem. Kroymann, CChr.SL II 1 0 3 7 - 1 0 6 5 , einen reichhaltigen Kommentar bietet J. Fontaine, Q. Septimi Florentis Tertulliani, De corona - Tertullien, Sur la couronne, Érasme.L 1 9 6 6 .

97

Tert., C o r o n 1,1 [ed. J. Fontaine 4 1 f . ] :  Proxime  factum  est.  Liberalitas  praestantissimorum  imperatorum  expungebatur  in  castris,  milites  laureati  adibant. 

98

A.a.O. 4 2 f.:  Adhibetur  fratribus... 

quidam 

illic  magis  Dei  miles,  ceteris 

constantior 

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mehr als eigentlich heidnische kultische Handlung angesehen zu haben, sondern als unverfänglichen und eigentlich selbstverständlichen Akt der Loyalität gegenüber den Kaisern", was Tertullian nahezu als Abfall vom Glauben ansieht 100 . Die Forschung hat den hinter dieser Schrift stehenden Vorfall im allgemeinen in Karthago oder der näheren Umgebung lokalisiert, auf jeden Fall in einer afrikanischen Garnison 1 0 1 . Yann Le Bohec hat 1992 gezeigt, daß aller Wahrscheinlichkeit nach Rom als Ort des Geschehens in Frage kommt und daß es sich bei dem fraglichen Truppenteil nur um die Prätorianer, die kaiserliche Garde also, gehandelt haben kann 1 0 2 . Wenn Le Bohecs These richtig ist, dann haben wir schon im ersten Jahrzehnt des dritten Jahrhunderts mit offenbar nicht geringen christlichen Kontingenten sogar bei den in Rom stationierten Prätorianern zu rechnen. Wenn es aber schon zu dieser Zeit in der im nur wenig christianisierten Italien stationierten Garde Christen gab, werden wir besonders bei den im Osten stationierten Einheiten mit größeren christlichen Truppenteilen zu rechnen haben. Die wenigen Hinweise im Werk des Alexandriners Clemens, für den christliche Soldaten ganz normal gewesen zu sein scheinen, bestätigen diesen Befund 103 . Falls Julius Africanus am Anfang des dritten Jahrhunderts wirklich Offizier unter Kaiser Septimius Severus gewesen ist, wie vielfach angenommen wird, hätten wir ein konkretes Beispiel eines christli-

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Tert., Coron 1,1 [CChr. SL II 1039,5f.]:... qui se duobus dominis seruire posse praesumpserant; 1,2 [1039,8f.J: Denique singuli designare eludere eminus, infrendere comminus; 1,4 [1040,22-26]: Exinde sententiae super ilio, - nescio an Christianorum; non enitn aliae ethnicorum -, ut de abrupto et praecipiti et mori cupido, qui de habitu interrogatus nomini negotium fecerit, solus scilicet fortis inter tot fratres commilitones, solus Christianus. Tert., Coron 1,6-2,1 [1041,39ff.]: ... quibus id solum in solatium: quaestio est, quasi aut nullum aut incertum saltern haberi possit delictum, quod patiatur quaestionem. Nec nullum autem nec incertum hinc interim ostendam. Neminem dico fidelium coronam capite nosse alias, extra tempus temptationis eiusmodi. Um dies im einzelnen darzulegen, schreibt Tertullian die Schrift de corona. Fontaine z. St. Y. Le Bohec, Tertullie, De corona, I: Carthage ou Lambèse?, REAug 38, 1992, 6-18; dort auch die gesamte Diskussion über Historizität und Lokalisierung des Anlasses der Abfassung von de corona. Clem., Prot X 100, 4 (allg. Standesethik: Bauer - Seefahrer - Soldat); Paid 11,117,2; 11,121; 111,91,2 (ethische Vermahnung im Anschluß an die Standespredigt des Täufers Lk 3,14, die Clemens als Herrenwort interpretiert: Jesus befiehlt durch Johannes.

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chen  Offiziers 104 .  Die  Existenz  einer  archäologisch  nachgewiesenen  christlichen  Gemeinde  in  der  Garnisonsstadt  Dura  am  Euphrat  run­ det  dieses  Bild  ab 1 0 5 . 

III  Als  besonders  wichtige  Quellengattung  hinsichtlich  der  Frage  nach  christlichen  Soldaten  und  überhaupt  des  Verhältnisses  der  Christen  zum Militär  in vorkonstantinischer  Zeit  haben  die  Soldatenmartyrien  oder  Hinweise  auf  Martyrien  von  Soldaten  in  der  übrigen zeitgenössischen Literatur bis zu Beginn des vierten Jahrhunderts zu gelten 1 0 6 . Euseb hat im VI. und VII. Buch seiner ,Kirchengeschichte' eine größere Anzahl von Fragmenten des Bischofs Dionys von Alexandrien aufbewahrt, in denen Dionys über die Folgen der decischen und dann auch der valerianischen Verfolgung für die Kirche Ägyptens und besonders auch Alexandriens berichtet 1 0 7 . In einem Brief an

104

Harnack, Geschichte der altchristlichen Literatur I (wie Anm. 62) 5 0 7 - 5 1 3 ; ders., Julius Afrikanus Sextus, R E IX, 1 9 0 1 , 627f. (627,12 handelt es sich bei der Angabe des Todesdatums ,gest. nach 140' um einen Druckfehler, es muß natürlich ,nach 2 4 0 ' heißen; vgl. die Korrektur X X I I I , 1 9 1 3 , 7 1 9 , 3 7 ) ; J . Sickenberger, Julius Africanus, PW X 1, 1 9 1 8 , 116-125.

105

C. Kraeling, The Christian Building, The Excavations at Dura-Europos, Final Report VIII, Part II, New Haven 1 9 6 7 , bes. 101-126, vgl. auch O. Perler, Zu den Inschriften des Baptisteriums von Dura-Europos, in: Epektasis, Mélanges J . Danielou, Paris 1972. Über die Gemeinde von Dura gibt es keinerlei schriftl. Überlieferung, sie ist mitsamt der Kirche, die bisher das bekannteste Beispiel des Kirchenbaues des dritten Jahrhunderts überhaupt ist, nur archäologisch nachgewiesen. Unser Bild der frühen Kirchengeschichte ist fast ganz durch die schriftliche Überlieferung geprägt, und die zeigt, wie an Dura deutlich wird, eben nicht das Ganze. Wir müssen also vermutlich davon ausgehen, daß Dura kein Einzelfall war. Da auch christliche Soldaten selbst wohl kaum literarisch aktiv gewesen sind, ist die erhaltene schriftliche Überlieferung nur fragmentarisch. Das wichtigste Material bei Harnack, 1905, und Helgeland, 1979; problematisch die Darstellung bei Hornus, 1963, 118-151, der grundsätzlich die Martyrien in .Wehrdienstverweigerung' begründet sehen will. Vgl. auch W.H.C. Frend, Martyrdom and Persecution in the Early Church, Oxford 1965.

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Die Fragmente CPG I 1 5 5 0 - 1 6 1 1 , hg. v. Ch.L. Feltoe, The Letters and other Remains of Dionysius of Alexandria, Cambridge 1904; eine englische Übersetzung edierte Feltoe 1918; eine kommentierte deutsche Übersetzung bei W.A. Bienert, Dionysius von Alexandrien. Das erhaltene Werk, BGL 2, Stuttgart 1 9 7 2 ; vgl. W.A. Bienert, Dionysius von Alexandrien, T R E VIII, 1 9 8 1 , 7 6 7 - 7 7 1 .

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Fabius  v o n  Antiochien  berichtet  er,  wie  christliche  Soldaten  gefan­ gene  Christen,  die  zum  Opfern  gezwungen  werden  sollten,  d a r a n  hindern,  sich  selbst  als  Christen  bekennen  und  dafür  das  M a r t y r i u m  erleiden:  Ein ganzer Trupp Soldaten, Ammon, Zenon, Ptolemaios, Ingenes und mit ihnen der bejahrte Theophilos, hatten sich vor dem Richtplatz aufgestellt. Als nun jemand als Christ vor Gericht stand und schon dazu neigte, (seinen Glauben) zu verleugnen, knirschten diese, die dabeistanden, mit den Zähnen, nickten mit ihren Gesichtern, streckten ihre Hände aus und gestikulierten mit dem ganzen Körper. Da wandte sich die Aufmerksamkeit aller ihnen zu. Aber ehe noch einige von ihnen auf andere Weise ergriffen wurden, traten sie bereits vor den Richterstuhl und erklärten, sie seien Christen, so daß der Statthalter und seine Beisitzer von Furcht erfüllt wurden. Und sie, die gerichtet werden sollten, erschienen guten Muts angesichts dessen, was sie erwartete, während ihre Richter sich ängstigten. Jene zogen im Triumphzug vom Richtplatz fort, voller Freude über ihr Zeugnis, weil Gott ihnen so großartig einen Triumph geschenkt hatte. 1 0 8 In  einem  ein  knappes  J a h r z e h n t  jüngeren  Brief  an  Dometius  und  Didymus  berichtet  er,  d a ß während der Verfolgung unter Valerian Christen aller Schichten und Altersklassen, unter ihnen auch Soldaten, das M a r t y r i u m erlitten h a t t e n 1 0 9 . Für die decische und die valerianische Verfolgung haben wir nur diese Hinweise auf Soldatenm a r t y r i e n 1 1 0 . D a bekanntlich gerade aufgrund des Opferediktes des Kaisers Decius viele Christen gerade aus der Beamtenschaft abgefallen w a r e n , wird m a n dasselbe auch für christliche Soldaten vermuten d ü r f e n 1 1 1 . Die Verfolgung unter Kaiser Valerian hatte in erster Schicht den Klerus und die christliche Oberschicht betroffen, weniger die einfachen Gemeindeglieder 1 1 2 , so daß angesichts der auch

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CPG I 1550, bei Eus., h.e. VI,41,22; die deutsche Übersetzung nach Bienert 30. CPG I 1563 bei Eus., h.e. VII,11,20; deutsch bei Bienert 47. U.U. gehört in diesen Zusammenhang noch der Hinweis bei Cypr., Epist 39,3,1 über die Märtyrer Egnatius und Laurentius: [CChr.SL III B, 189, 45-48]: in castris et ipsi quondam saecularibus militantes, sed ueri et spiritales dei milites, dum diabolum Christi confessione prosternunt, palmas domini et coronas inlustri passione meruerunt. Vgl. den nach Pont., VitaCypr 16 (ed. Härtel, CSEL 3/3, 1881, CVIII, 3f.) bei der Hinrichtung Cyprians beteiligten Tesserarius, von dem ausdrücklich gesagt wird, daß er ein ehemaliger Christ war. R. Freudenberger, Christenverfolgungen, TRE VIII, 1981, 26f.

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Hanns  Christof  Brennecke 

sonst äußerst lückenhaften Überlieferung der Mitte des dritten Jahrhunderts dieser Befund nicht verwundert. Einer der interessantesten Texte in diesem Zusammenhang ist das bei Euseb, h.e. VII,15f. aus der Märtyrertradition seines Bischofssitzes Caesarea 113 überlieferte und in die Zeit des Kaisers Gallienus datierte 114 Martyrium des Marinus 1 1 5 , offenbar ein junger Angehöriger der städtischen Oberschicht 116 . Bei der anstehenden Beförderung zum Centurio fühlte sich ein Mitsoldat übergangen und zeigte Marinus als Christ an 1 1 7 . Interessant ist, daß die von dem neidischen Konkurrenten vorgebrachte Begründung, warum ein Christ nicht Centurio werden darf, nämlich weil er als Christ keine Opferhandlungen vornehmen würde, dann keine Rolle mehr im Prozess spielt. Marinus, der nicht bereit ist, seinen Glauben aufzugeben und abzuschwören, wird ausschließlich wegen seines Christseins nach dem seit Trajan bekannten Verfahren der Christenprozesse hingerichtet. Bei dem Martyrium des Marinus geht es also nicht um eine Opferverweigerung 118 als Grund für die Hinrichtung und schon gar nicht um irgendeine Form von Wehrdienstverweigerung', sondern ausschließlich um die Anzeige als Christ. Die Marinustradition zeigt so in aller Deutlichkeit, daß auch unter der Herrschaft des den Christen prinzipiell nicht unfreundlich gesonnenen Kaisers Gallienus (260-268), der nach der von seinem Vater Valerian begonnen und gescheiterten großen Verfolgung, die ganz gezielt die Vernichtung der Kirche zum Ziel gehabt hatte, das erste Toleranzedikt für die Christen überhaupt erlassen hatte 1 1 9 , die seit Trajan üblichen

  Ein  besonderer  Marinuskult  in  Caesarea  ist  nicht  überliefert,  Eus.,  h.e.  VII,16  läßt aber liturgische Verehrung vermuten. Für die Lokalüberlieferung vgl. auch die Rolle des Bischofs Theoteknos.

113

Eus., h.e. VII,15,1 [Schwartz, ed. min. 2 8 5 , l l f . ] :  κατά toutous ειρήνης άπανταχοϋ  των  εκκλησιών  ούσης,  έν  Καισαρεία  της  Παλαιστίνης  Μαρίνος. 

114

  T e x t  auch  bei  Η .  Musurillo,  The  Acts  of  Christian  Martyrs,  Oxford  1 9 7 9 ,  X X X V I I .  2 4 0 ­ 2 4 3 ; Knopf/Krüger/Ruhbach, Ausgewählte Märtyrerakten, SQS N F 3, Tübingen 1 9 6 5 , 85f.

115

116

Eus., h.e. VII,15, 1.

117

Eus., h.e. VII,15,2 [Schwartz, ed. min. 2 8 5 , 1 8 - 2 0 ] : τταρηλθών  άλλος  προ  τοϋ  βήματος,  μή  έξεΐναι  μέν  έκείνω  της  'Ρωμαίων  μετέχειν  αξίας  κατά  τοΟς  παλαιούς  νόμους,  Χριστιανω  γε  δντι  και  τοις  βασιλεϋσι  μή  θύοντι,  ... 

  So  die übliche Deutung, vgl. Harnack, 1 9 0 5 , 78f.; Helgeland, 1 9 7 9 , 7 7 4 .

118

119

Vgl. Dionys von Alexandrien bei Eus., h.e. VII,13; Eus., h.e. VII,23 Fragmente eines Panegyricus des Dionys auf Kaiser Gallienus, der als der erste christliche Kaiserpanegyricus angesehen werden muß; dazu C. Andresen, „Siegreiche Kir-

Bekenntnis und Militärdienst

71

Christenprozesse nicht aufgehört hatten. Das Martyrium des Marinus ist somit nicht in seinem Beruf als Soldat und schon gar nicht in irgendeiner kritischen Einstellung des Marinus zum Militär begründet. Selbstverständlich waren Angehörige eines öffentlichen Amtes und besonders Soldaten hier immer besonders gefährdet, da sie besonders leicht einer Anzeige wegen ihres christlichen Glaubens ausgesetzt waren. Für Marinus und auch für seinen Bischof Theoteknos 1 2 0 gibt es keinen Gegensatz zwischen Militärdienst und Bekenntnis zu Christus. Als Christ wollte Marinus durchaus in der Armee Karriere machen und war darin bis zu der Anzeige des Konkurrenten auch durchaus erfolgreich gewesen. Und das scheint ohne weiteres in der zweiten Hälfte des dritten Jahrhunderts, in einer Zeit weitgehender praktischer Toleranz, dem weit in die Oberschichten vorgedrungenen Christentum durchaus möglich gewesenzu sein. Im Konfliktfall, der durch die Anzeige des Konkurrenten gegeben war, war allerdings wie bei jedem anderen Christen die Bereitschaft zum Martyrium gefordert. Und Marinus wählt ohne lange zu zögern das Martyrium 1 2 1 . Die meisten Soldatenmartyrien sind aus der Zeit der Tetrarchie überliefert, wobei man in die Zeit vor und während der großen Verfolgung ab 303 unterscheiden muß. Die Zeitgenossen Euseb und Laktanz berichten, daß sich am Ende des dritten Jahrhunderts das Christentum auch ganz stark an den Höfen der tetrarchischen Kaiser ausgebreitet hatte 1 2 . Nach Euseb waren am Hof Diokletians sogar die christlichen Hofbeamten ausdrücklich von jeder Opferpflicht befreit 123 . Am Hof aber und in der Beamtenschaft zeigt sich zuerst der Umschwung in der Religionspolitik der Kaiser. Schon vor Beginn

120

121

122 123

che" im Aufstieg des Christentums. Untersuchungen zu Euseb von Caesarea und Dionysios von Alexandrien, ANRW II 23,1, 1979, 387-459, bes. 430-432. Zu Theoteknos vgl. Eus., h.e. VII,28,1 (Teilnehmer der ersten Synode gegen Paulus v. Samosata in Antiochien); 30,2 (Adressat des Briefes der Paulus absetzenden Synode, an der er offenbar nicht selbst teilgenommen hatte; 32,21 Ordinator des Anatolius; vgl. Le Quien, Oriens Christianus III, Paris 1740 [ND Graz 1958] 543-547. Marinus zeigt mit seiner eindeutigen Entscheidung zum Martyrium keine Spur von einem lauen oder abgeglittenen Christentum eines christlichen Soldaten, dem sein christliches Bekenntnis nicht wichtig war. Im Gegenteil. Durch den Abfall vom christlichen Glauben, der durch ein Opfer hätte unter Beweis gestellt werden müssen, hätte Marinus nicht nur sehr leicht seinen Kopf retten, sondern auch noch seine Beförderung bekommen können. Lact., MortPers 10; Eus., h.e. VIII,1. Eus., h.e. VIII,1,2.

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Hanns  Christof  Brennecke 

der großen Verfolgung im Jahre 3 0 3 werden Hof, Beamtenschaft und Militär von Christen gesäubert, wobei zunächst Soldaten noch die Möglichkeit eines freiwilligen Ausscheidens aus der Armee gegeben wurde. Gelegentlich aber kam es auch hier schon zu Martyrien 1 2 4 . Die überlieferten Märtyrerberichte bestätigen dieses Bild der Historiker, erlauben aber eine Präzisierung. Noch vor dem Beginn der Säuberungen in der Armee gehört das auf den 12. März 2 9 5 datierte und in Teveste in der Provinz Africa Proconsularis zu lokalisierende, vieldiskutierte Martyrium des Maximilian 1 2 5 . Ein junger Rekrut weigert sich, Soldat zu werden, weil dies grundsätzlich mit seinem christlichen Bekenntnis unvereinbar ist 1 2 6 und erleidet deshalb das Martyrium. Bei Maximilian wird man wirklich von /Wehrdienstverweigerung' im eigentlichen Sinn und ausschließlich aus christlichen Motiven sprechen können, wobei nicht ganz deutlich ist, ob es in erster Linie ethische oder antiheidnische Motive sind, die bei Maximilian zur Verweigerung führen 1 2 7 . Deutlich ist in der Argumentation Maximilians ein sich ausschließender Gegensatz von militare saeculo und militare D e o 1 2 8 ,

  Eus.,  h.e.  V i l i , 4 , 2 ­ 4 ;  Lact.,  MortPers  10.  Zur  Datierung  des  Beginns  der  anti­ christlichen Maßnahmen im Heer anhand der Chronik Eusebs vgl. D. Woods, JThS NS 4 3 , 1 9 9 2 , 1 2 8 - 1 3 1 ; R . W . Burgess, JThS NS 4 7 , 1 9 9 6 , 157f.

124

125

Musurillo X X X V I I . 2 4 4 - 2 4 9 ; Knopf/Krüger/Ruhbach 86f. Zur Datierung vgl. Acta Maximiliani 1,1 [Musurillo 2 4 4 , 2]: Tusco et Anullino consulibus IV. Idus Martii Tenesti in foro... Bei Brock, 1 9 9 4 , 1 9 5 , kann es sich bei der Datierung auf den 2 3 . Januar nur um einen Irrtum handeln; vgl. Helgeland, 1 9 7 9 , 7 7 5 777.

126

Acta Maximiliani 1 , 2 [Musurillo 2 4 4 , 8f.]: mihi non licet militare, quia Christianus sum; 1,3 [Musurillo 2 4 4 , lOf.]: Non possum militare; non possum malefacere. Christianus sum; 2,1 [Musurillo 2 4 4 , 1 6 - 2 4 6 , 1 ] : Non milito, caput mihi praecide, non milito saeculo; sed milito Deo meo.

127

1,3: non possum malefacere, vgl. 2 , 8 [Musurillo 2 4 6 , 2 4 - 2 5 ] : ego tarnen Christianus sum, et non possum mala facere; 2 , 1 0 [Musurillo 2 4 6 , 2 5 - 2 4 8 , 1]: Dion [sc. proconsul] dixit: Qui militant, quae mala faciuntf Maximilianus respondit: Tu enim scis, quae faciunt. Z u Desertionen und Formen von Wehrdienstverweigerung in der römischen Kaiserzeit s. Th. Kissel, Kriegsdienstverweigerung im römischen Heer, A W 2 7 , 1 9 9 6 , 2 8 9 - 2 9 6 (dort allerdings eine unkritische Fehlinterpretation der christlichen Soldatenmartyrien).

128

Acta Maximiliani 2,1 (vgl. Anm. 1 2 6 ) . Dieser sich ausschließende Gegensatz bildet das Grundgerüst der einigermaßen stupiden Argumentation Maximilians: 2 , 4 [Musurillo 2 4 6 , 6]: Non accipio signaculum. tarn habeo signum Christi Dei mei; 2 , 6 [Musurillo 2 4 6 , 9f.]: Non accipio signaculum saeculi [ 2 4 6 , l l f . ] : non licet mihi plumbum collo portare post signum salutare Domini mei Iesu Christi filii Dei uiui... 2 , 8 [ 2 4 6 , 19f.]: Militia mea ad Dominum meum est.

Bekenntnis u n d Militärdienst

73

der wohl auf eine jeden Staatsdienst und vermutlich überhaupt jeden Dienst in der Gesellschaft ablehnende politische Interpretation von M t 6,24 zurückzuführen ist. Mit dieser Interpretation von M t 6,24 steht Maximilian in einer rigoristischen, staats- und gesellschaftskritischen Tradition, die bis Tertullian zurückzuverfolgen und im dritten Jahrhundert eigentlich nur bei Tertullian nachweisbar ist 129 . Für den Prokonsul ist dieses Verhalten überraschend und seiner Kenntnis und Meinung nach gerade für Christen nicht typisch, wie sein doch ziemlich verwunderter Hinweis auf Christen in der Garde aller vier Kaiser deutlich macht 1 3 0 . Gegen Versuche, wegen dieses eindeutigen Traditionszusammenhanges mit Tertullian Maximilian als Montanisten zu interpretieren, hat Peter Brock zurecht jüngst eingewandt, daß eine rigoristische Haltung noch kein ausreichender Beweis für Montanismus sein kann 1 3 1 . Seine Interpretation, die in Anlehnung an die Arbeiten von Paolo Siniscaldo 13 Maximilian in eine auf Cyprian zurückgehende, für Africa typische staats- und gewaltkritische Tradition einordnen will und so in Maximilian eine authentische und repräsentative Stimme der afrikanischen Kirche sehen will, kann dagegen so nicht überzeugen 133 . Die zum Erbe des afrikanischen Montanismus gehörende rigorose Ablehnung jeder Integration der Christen in die römische Gesellschaft ist zu Beginn des vierten Jahrhunderts in Africa von der donatistischen Bewegung aufgenommen und weitergeführt worden 1 3 4 . Zumindest hinsichtlich

129

130

S.u. S. 83-85. Z u Tertullians politischer Auslegung von Mt 6,24 bereite ich eine eigene Untersuchung vor. Acta Maximiliani 2,8-9 [Musurillo 2 4 6 , 1 9 - 2 3 ] : Maximiiianus respondit: Militia mea ad Dominum meum est. non possum saeculo militare, iam dixi, Christianus sum. 9. Dixit Dion proconsul: In sacro comitatu dominorum nostrorum Diocletiani et Maximiani, Constantii et Maximi, milites Christiani sunt et militant.

131

Brock, 1994. Der uns im wesentlichen durch Tertullian bekannte afrikanische Montanismus, ist allerdings durch seinen gesellschaftsablehnenden Rigorismus geradezu definiert, aber nach Tertullian für Africa nicht mehr nachweisbar; vgl. W.H.C. Frend, Montanismus, TRE XXXIII, 1994, 276.

132

Brock, 1 9 9 4 , 198 Anm. 14. Brock, 1994, 209: The ,rigid intransigence' [Siniscaldo], which the Martyr displayed in face of every effort to make him conform to the demands of the state, had emerged from a tradition within the African Church of radical, yet non-violent, opposition to the pagan empire ... In his defiance of the army authorities, Maximilian was not acting alone. He was articulating the beliefs of a significant section of at least the African Church.

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134

Frend (wie Anm. 31) 2 7 5 - 2 7 7 .

74

Hanns Christof Brennecke

der Acta Maximiliani  ist  zu  fragen,  ob  sie  in  ihrer  heutigen  Form  nicht  in  donatistischem  Milieu  beheimatet  sind 1 3 5 .  Die Acta Maximiliani  zeigen  aber  noch  keine  Verschärfung  hin­ sichtlich  der  Lage  der  Christen  in öffentlichen Ämtern, wie der Hinweis des Prokonsuls auf Christen in der Garde aller vier Kaiser deutlich macht. Auch besondere kultische Verpflichtungen, die einem Christen den Dienst in der Armee von vornherein unmöglich gemacht hätten, sind noch nicht zu erkennen. Noch kein grundsätzlich anderes Bild, aber eine sich hinsichtlich des kultischen Hintergrundes in der Tetrarchie doch ändernde Situation, zeigen die ebenfalls nach Africa, nach Tingis im westlichen Mauretania gehörenden Acta Marcelli136. Ein Centurio Marcellus verweigert die Teilnahme am Kaiserkult anläßlich der Feier des natalis imperatoris 1 3 7 und jeden weiteren Dienst in der Armee mit der Begründung, daß sich der Militärdienst für die irdischen Kaiser und die militia Christi ausschließen 138 . Die problematische Überlieferung der beiden Rezensionen der Acta Marcelli mit vielen offenen Fragen zeigt aber deutlich, daß während der Tetrarchie die Bedeutung des Kaiserkultes besonders auch beim Militär zugenommen haben muß 1 3 9 . Als Centurio war Marcellus sicher schon länger

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137

138

139

Dafür würde die Tatsache sprechen, daß die Kirche Afrikas im vierten Jahrhundert mehrheitlich als donatistisch angesehen werden muß. Auch der Hinweis auf das Grab Cyprians, der hier vermutlich eine kultlegitimierende Funktion hat, verweist m.E. eher auf donatistische Kreise als Überlieferungsträger, die sich bekanntlich von Cyprian her legitimierten. Tertullian konnte als montanistischer Häretiker natürlich nicht zur Legitimation herangezogen werden. Text Harnack, 1905,117-119; Musurillo XXXVII-XXXIX. LXVIII (Lit.), 25059; Knopf/Krüger/Ruhbach 87-89. Zu Textüberlieferung der beiden Rezensionen M und Ν Musurillo XXXVIIIf. Davon abhängig die Acta Cassiani. Auch inhaltlich bieten die Acta Marcelli viele Probleme, die aber im einzelnen hier nicht zu interessieren brauchen.; vgl. Helgeland, 1979, 780-783. Acta Marcelli I Ree. M [Musurillo 250, 3f.]: Advenit natalis imperatoris. Ree. Ν lokalisiert das Ereignis in Spanien. Datierung nach Ree. N. 298. Ree. M 1,1 [Musurillo 250, 7f.]: Iesu Christo regi aeterno milito; amodo imperatoribus uestris militare desisto. 2,1 [Musurillo 250, 19-21]: ... publice clara uoce respondí me Christianum esse et sacramento buie militare non posse nisi Iesu Christo filio Dei patris omipotentem. 4,3 [Musurillo 252, 17-19]: non enim decebat Christianum hominem militiis saecularibus militare, qui Christo domino militât. Vgl. Ree. Ν 2 [Musurillo 254, 18-21]: publice et clara uoce respondí me Christianum esse confessum et sacramentum aliud militare non posse nisi soli domino Iesu Christo filio Dei omnipotentis Der während der Tetrarchie in der als Militärlager dienenden Anlage des Ammontempels in Luxor für das Militär eingerichtete Kultraum für einen tetrarchischen

Bekenntnis  und  Militärdienst 

75 

Soldat  und  offensichtlich  bisher  mit  den  Anforderungen  des  Kaiser­ kultes  nie  in  Konflikt  gekommen 1 4 0 .  Von  besonderen  antichristli­ chen Maßnahmen gegen Christen in der Armee ist sonst noch nichts zu bemerken. In engem zeitlichen Zusammenhang mit den Acta Marcelli und ebenfalls nach Africa gehören die Acta Typasii141. Im Unterschied zu den bisher behandelten Soldatenmartyrien ist zu beachten, daß es sich bei Typasius um einen Veteran handelt, der nach seiner Militärzeit als Asket gelebt hatte 1 4 2 . Wahrscheinlich im Zusammenhang der Feldzüge Maximians gegen die Mauren 2 9 7 / 9 8 1 4 3 war Typasius reaktiviert worden und hatte als Christ die Annahme eines donativum verweigert. Aber erst im Zusammenhang der Verfolgungsmaßnahmen nach 3 0 3 ist er dann Märtyrer geworden. Auch hier geht es um eine grundsätzliche Unvereinbarkeit zwischen militia saecularis und militia deo. Der Konflikt, der dann zum Martyrium führt, entsteht allerdings an der Forderung nach einem Opfer und der Zumutung, aktiv an der Zerstörung von Kirchen im Zusammenhang der antikirchlichen Maßnahmen nach 3 0 3 teilzunehmen. Ebenfalls schon in die Verfolgungszeit gehören die Acta Dasii*44 sowie die Passio Julii Veterani 4 5 . Beide Texte setzen das zweite Kaiserkult zeigt diese Tendenzen in der Tetrarchie deutlich, vgl. J.G. Deckers, Die Wandmalerei des tetrarchischen Lagerheiligtums im Ammon-Tempel von Luxor, RQS 68, 1973, 1-34; ders., Die Wandmalerei im Kaiserkultraum von Luxor, Jdl 94, 1979, 600-652. 140

Die behauptete Ausschließlichkeit von Militärdienst und Christusbekenntnis scheint mir deshalb hier in der offenbar neuen Qualität und Quantität des geforderten Kaiserkultes begründet zu sein. In den beiden überlieferten Textformen verschleiern die Acta Marcelli das eigentliche Problem. Ganz deutlich ist, daß der Anlaß zum Konflikt im geforderten Kaiserkult liegt, den der Centurio Marcellus (immerhin ein Berufssoldat) verweigert. Die Acta sehen in der überlieferten Form den Militärdienst grundsätzlich als mit dem christlichen Bekenntnis unvereinbar an. Hier scheint mir eine inhaltliche Spannung vorzuliegen, die so nicht historisch sein kann, sondern dem Milieu der Verfasser der Acta und ihren Tradenten zuzurechnen ist. Der postulierte grundsätzliche Widerspruch von weltlichem Dienst und Dienst an Gott, den Marcellus selbst ja ganz offensichtlich bis zum Ausbruch des Konfliktes nicht empfunden hatte, könnte angesichts der afrikanischen Herkunft der Acta wiederum auf ein donatistisches Herkunftsmilieu hinweisen.

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AB XI, 1890, 116-123; Helgeland, 1979, 785-787. Eine frühe vorkonstantinische Parallele zu Martin von Tours. Kienast (wie Anm. 49) 269. Musurillo XLf. 272-279; Knopf/Krüger/Ruhbach 91-95; vgl. Helgeland, 1979, 783f. Harnack, 1905, 119-121; Musurillo X X X I X . 260-265; Knopf/Krüger/Ruhbach 105f.; vgl. Helgeland, 1979, 287-289.

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Opferedikt von 304 voraus 146 . Als Christ lehnt Dasius eine besondere kultische Rolle bei einem - sonst unbekannten - Saturnfest 147 ab. Der auch inhaltlich mit vielen Problemen belastete Text des Martyriums des Dasius ist in der heute vorliegenden Form nicht vor Ende des vierten Jahrhunderts zu datieren 148 . Im Verlauf des Prozesses verweigert sich Dasius dem Kaiserkult und jedem weiteren Militärdienst für die Kaiser. Wegen Verweigerung des Kaiserkultes wird er zum Tode verurteilt und hingerichtet 149 . Das Martyrium des Dasius zeigt schon die neue Situation der tetrarchischen Zeit. Ganz offensichtlich ist, daß die kultische Komponente des Militärdienstes seit Beginn der Herrschaft Diokletians und dann seiner Mitkaiser eine neue Bedeutung und neues Gewicht gewonnen hatte 150 . Besonders deutlich wird die außerordentlich verschärfte Situation für christliche Soldaten zu Beginn des vierten Jahrhunderts in der ebenfalls aus der Verfolgungszeit stammenden Passio Juli Veterani, die in Durostorum in Moesia lokalisiert ist und allgemein in der Forschung auf 304 datiert wird 151 . Auch hier geht es um die Verweigerung eines Opferbefehls 152 . Die Passio Iuli zeigt nun ganz eindeutig, daß

  Musurillo  X X X I X f . 

146

  St.  Weinstock,  Saturnalien  und  Neujahrsfest  in  den  Märtyrerberichten,  in:  A.  Stuiber/A.  Hermann  (Hg.),  Mullus,  Festschrift  Theodor  Klauser,  J A C . E  1,  1 9 6 4 ,  3 9 1 ­ 4 0 0 . 

147

  Besonders  anachronistisch  für  die  Zeit  der  Verfolgung  ist  das  Bekenntnis  zur  neunizänischen  Trinitätslehre  im  Mund  des  Soldaten  Dasius,  M a r t  Dasii  8 , 2  [Musurillo  2 7 6 ,  1 8 ­ 2 4 ] :  εγώ  Χριστιανού εΤναι εμαυτόυ ομολογώ,  καθώς ττλειστάκις  ώμολόγησα,  και  ούδενί  δλλω  έττακούω  ei  μή  μόνου évi  άχράυτω  καί  αϊωνίω  θεώ,  ττατρί  καί  υϊώ  καί  άγίω  ττυεύματι  έυ  τρισί  μεν όνόμασι  και  ύποστάσεσιν,  έν  μια  δε  ούσία.  ήδη  τρίτη  φωνή  ομολογώ  την  ττίστιν  της  άγιας  τρίαδος.  1 4 9  MartDasii  6 ­ 8 . ' 

148

  W .  Seston,  Diocletian,  R A C  III,  1 9 5 7 ,  1 0 3 6 ­ 1 0 5 3 ,  hier  vor  allem  1 0 4 8 f . ;  F.  Kolb,  Diokletian  und  die  erste  Tetrarchie,  Berlin  1 9 8 7 ;  vgl.  auch  die  umfangrei­ che  neueste  Bestandsaufnahme  ,La Tétrarchie ( 3 9 3 - 3 1 2 ) histoire et archéologie', Antiquité tardive 2, 1 9 9 4 ; 3, 1 9 9 5 .

150

151

Passlulian 1,1 [Musurillo 2 6 0 , 2f.]: Tempore perscutionis, quando gloriosa certamina fidelibus oblata perpetua promissa expectabant accipere, tune comprehensus Iulius,... Z u Überrlieferung und Datierung vgl. Musurillo X X X I X . LXVIII Anm. 4 6 .

152

Passlulian 1,4 [Musurillo 2 6 0 , 1 0 - 1 3 ] : praeses dixit: Numquid ignoras praeeepta regum, qui iubent immolare diis? Iulius respondit: Non ignoro quidem; sed ego Christianus sum et hoc facere non possum quod uis. nec enim me oportet Deum meum uerum et uiuum obliuisci. Interessant auch das völlige Unverständnis für diese Verweigerungshaltung bei dem Praeses Maximus; vgl. 2,1 [Musurillo 2 6 0 , 14f.[: Quid enim graue est turificare et abire?

Bekenntnis und Militärdienst

77

mit  der  Herrschaft  Diokletians  und  der  Tetrarchie  wirklich  für  christliche  Soldaten  eine  völlig  neue  Lage  gegeben  war.  Julius  ver­ weist  nδmlich  darauf,  daß  er  siebenundzwanzig  J a h r e  in  der  Armee  als  Christ  gedient,  in  dieser  Zeit  an  sieben  Feldzügen  teilgenommen  hatte  und  man  von  ihm  in  all  diesen  Jahren  noch  nie  ein  Opfer  verlangt  hatte 1 5 3 .  In Übereinstimmung  mit der übrigen christlichen  literarischen  Über­ lieferung  bis  an  die  Wende  zum  vierten  Jahrhundert  zeigen  die  Sol­ datenmartyrien  des  dritten  Jahrhunderts  und  der  Tetrarchenzeit,  daß  es offenbar  an  vielen  Garnisonsstandorten  im ganzen  römischen  Reich  christliche  Soldaten  gegeben  hat,  die  auch  als  Soldaten  ganz  bewußt  Christen  waren  und  sein  wollten.  Wie  auch  die  christlichen  Inhaber  aller  anderen  öffentlichen  Δmter  waren  sie  in  besonderer  Weise  bis  zum  Ende  der  Verfolgungen  von  der  unsicheren  Rechtslage  der  Chri­ sten  überhaupt  betroffen.  Bei  den  jederzeit  möglichen  M a ß n a h m e n  gegen  Christen  waren  sie immer  in besonderer Weise gefδhrdet,  beson­ ders  natürlich  bei  den  großen  Verfolgungen  des  dritten  und  frühen  vierten  Jahrhunderts.  Deutlich  aber  ist,  daß  in  ruhigen  Zeiten,  beson­ ders  von  der  Herrschaft  des  Gallienus  an  bis weit  in  die  Tetrarchenzeit  hinein,  Christen  in  der  Armee  durchaus  Karriere  machen  konnten.  Obwohl  ihr  christliches  Bekenntnis  bekannt  w a r 1 5 4 ,  wurden  sie  als  Christen  in  der  Armee  akzeptiert.  Grundsδtzlich  scheinen  kultische  Verpflichtungen  ­  und  das  betrifft  auch  den  Kaiserkult  ­  beim  Militδr  bis  in  die  tetrarchische  Zeit  lδngst  nicht  den  Stellenwert  gehabt  zu  haben,  den  die Forschung  bisher  meist  angenommen  hat 1 5 5 .  Das  in  der  Zeit  der  Herrschaft  des  Kaiser  Gallienus  Anfang  der  sechziger  Jahre  des dritten Jahrhunderts  zu datierende  Martyrium  des Marinus  macht  aber deutlich,  daß trotz dieser grundsδtzlichen  Anerkennung  von  Chri­ sten  im  Militδr  bei  einer  offiziell  eingereichten  Anzeige  gegen  einen  Soldaten  als  Christ  das  übliche  Christenverfahren  ablief,  das  im  Nor­ malfall  mit  dem  Martyrium  endete.  Die  immer  wieder  bezeugte  Bereit­ schaft,  im  Konfliktfall  das  Martyrium  auf  sich  zu  nehmen,  lδßt  nicht 

153

Passlulian 2,1 f.

154

Das zeigen besonders eindrucksvoll die  Acta  Maximiliani. Von daher hat Euseb recht, wenn er h.e. VIII,1 betont, wieviele Christen in allen  φffentlichen  Ämtern  es  gab. 

1 5 5 

M .  Clauss,  Heerwesen,  RAC  XIII,  1 9 8 6 ,  1 0 7 3 ­ 1 1 1 3 ;  J.  Helgeland,  Roman  Armee  Religion,  A N R W  II  16,  2,  1 9 7 8 ,  1 4 7 0 ­ 1 5 0 5 ;  J.H.  Jung,  Die  Rechtsstel­ lung  der  rφmischen  Soldaten:  Ihre  Entwicklung  von  den  Anfängen  Roms  bis  auf  Diokletian,  A N R W  II  14,  1 9 8 2 ,  8 8 2 ­ 1 0 1 3 . 

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Hanns  Christof  Brennecke 

den  Schluß zu, christliche Soldaten grundsätzlich als lauer oder ihrer heidnischen Umwelt stärker verhaftet als andere Christen anzusehen. Auch in den christlichen Gemeinden scheinen christliche Soldaten als Gemeindeglieder im allgemeinen akzeptiert gewesen zu sein 1 5 6 , aber der Fall des Rekruten Maximilian zeigt, daß es auch Christen gegeben hat, für die der Militärdienst grundsätzlich mit ihrem christlichen Bekenntnis unvereinbar war, ohne daß wir diese Haltung einer speziellen rigorosen Gruppe oder gar Abspaltung zuordnen können. Aber die Auffassung einer grundsätzlichen Unvereinbarkeit von christlichem Bekenntnis und Militärdienst muß in den christlichen Gemeinden eher als Ausnahme gelten 157 . Auch die als Soldaten zu Märtyrern gewordenen Christen sind wie alle anderen Märtyrer auch kultisch verehrt worden, wie die Überlieferung der Martyrien zeigt. Es gibt keinen Hinweis darauf, daß in der Märtyrerverehrung die frühere militärische Laufbahn des Märtyrers in irgendeiner Weise negativ beurteilt worden wäre. Die Tatsache, daß sie bis zu ihrem Martyrium Soldaten waren, galt nie als Abfall vom Glauben oder auch als ethischer Defekt, der erst durch das Martyrium beseitigt worden wäre, sondern wird ganz neutral wie jede andere Berufsangabe berichtet. Im Rahmen der Umorientierung und Verschärfung der Religionspolitik der tetrarchischen Herrscher 1 5 8 ist seit dem Ende der neun156

157

158

Vgl. die Rolle des Bischof Theotecnus von Caesarea im Zusammenhang des Martyriums des Marinus, s.o. S. 70f. Auffällig ist allerdings, daß bei den Märtyrerakten, bei denen der zum Martyrium führende Konflikt eindeutig in den verschärften kultischen Anforderungen der Tetrarchenzeit begründet war, dann auch ein grundsätzlicher Widerspruch zwischen Militärdienst und christlichem Bekenntnis behauptet wird. Nicht beantwortet werden kann im Rahmen dieser Untersuchung die Frage, inwieweit diese Zuspitzung, die eigentlich jeden Militärdienst als unvereinbar mit dem christlichen Glauben ansieht und eigentlich in einem gewissen Widerspruch zu den berichteten Fällen steht (bes. Julius), sondern in erster Linie den Verfassern oder Redaktoren dieser Martyrien zuzuweisen ist, die in die Zeit nach der Verfolgung datiert werden müssen, auf bestimmte, zur Reichskirchenpolitik seit Konstantin in Opposition stehende Kreise wie z.B. Donatisten oder bestimmte asketische oder monastische Gruppen zurückgeht. Sulpicius Severus wäre mit seinem Bild Martins, das bekanntlich eine enorme Prägekraft gehabt hat, ein Beispiel der theodosianischen und nachtheodosianischen Zeit für eine solche, dem Militärdienst eher ablehnend gegenüberstehende Sicht. Zu Konstantius Chlorus, der schon den christlichen Zeitgenossen nicht als Verfolger galt und sich in mancher Hinsicht ideologisch, und das heißt in diesem Zusammenhang auch hinsichtlich seiner kultischen Orientierung von der tetrarchischen Ordnung und Ideologie distanziert hatte, vgl. J . Moreau, J A C 2 , 1 9 5 9 , 158-160.

Bekenntnis und Militärdienst

79

ziger Jahre eine deutliche Neugewichtung der kultischen Komponenten im Militär feststellbar, in deren Folge christliche Soldaten eher mit den offenbar als neu und ungewöhnlich empfundenen kultischen Forderungen in der Armee in Konflikt geraten konnten und mußten. Die Teilnahme an heidnischem Kult war auch für christliche Soldaten als Abfall vom christlichen Glauben undenkbar. Dennoch hat es auch noch nach den Säuberungen des Hofes, Beamtenapparates und Militärs von Christen, die etwa 298/99 begonnen haben müssen 159 , und während der Verfolgungen seit 303 christliche Soldaten gegeben 1 6 0 . So gesehen hat die , Wende' unter Konstantin hinsichtlich der Möglichkeiten für Christen, als Soldaten zu dienen, eigentlich nichts Neues gebracht, wenn auch sich die Akzente natürlich verschieben und christliche Soldaten immer selbstverständlicher werden 1 6 1 . Die konstantinische Wende ist auch in dieser Frage nicht die große Wende, wie besonders protestantische Theologie gerne annimmt. Aus dieser langen Tradition eines christlichen Soldatentums ist can. III von Arles, der christlichen Soldaten unter Androhung der Exkommunikation das Desertieren in Friedenszeiten verbietet, leichter zu verstehen 162 .

IV Es bleibt die Frage, wie sich angesichts dieses unbezweifelbaren Befundes eines christlichen Soldatentums in vorkonstantinischer Zeit die christlichen Theologen und Bischöfe, die Kirche überhaupt ver159

Vgl. Anm. 124.

160

Julius Eugenius ist wohl im Rahmen dieser Säuberungen aus dem Beamtenapparat als Christ ausgeschieden und dann später Bischof von Lykopolis geworden; vgl. W. Wischmeyer, M. Iulius Eugenius. Eine Fallstudie zum Thema >Christen und Gesellschaft im 3. und 4. Jahrhunderts Z N W 81, 1990, 2 2 5 - 2 4 6 .

161

Eus., v.C. 11,33 überliefert ein Gesetz Konstantins zur Rehabilitierung der christlichen Soldaten, die während der Verfolgungszeit - vor allem sicher während der Herrschaft Maximins - ihren militärischen Rang verloren hatten. Can. III [ed. Munier, CChr.SL 148 A, 9 , 1 lf.]: De his qui arma proiciunt in pace, placuit abstineri eos a commutiione. (vgl. auch J. Gaudemet, Conciles Gaulois du IVe siècle, SC 2 4 1 , Paris 1977, 48f. [mit Kommentar!]. Zur Interpretation vgl. Wischmeyer (wie Anm. 44) 39f. Zu den hier nicht im einzelnen untersuchten Inschriften, die in vorkonstantinischer Zeit christliche Soldaten bezeugen, und die die literarische Überlieferung im Prinzip bestätigen, vgl. Helgeland, 1979, 7 9 1 - 7 9 3 ; Wischmeyer, ebd., 37f.

162

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Hanns  Christof  Brennecke 

halten hat. Da das Neue Testament offenbar mit christlichen Soldaten rechnet, ist es nicht so erstaunlich, wie es auf den ersten Blick vielleicht erscheinen könnte, daß die frühchristliche theologische Literatur dieses Thema zunächst nicht reflektiert. Abgesehen von kritischen Stimmen in der apokalyptischen Tradition gilt in Aufnahme von Rom 13 der Staat, und das ist dann eigentlich ausschließlich das Imperium Romanum, in Anknüpfung an die Traditionen und Lebensformen des hellenistischen Judentums, als die von Gott gegebene und deshalb akzeptierte Obrigkeit, wie die Gebete für das Reich und seine Herrscher zeigen 1 6 3 . Der vermutlich am Ende des zweiten Jahrhunderts zu datierende Diognetbrief 1 6 4 steht einerseits deutlich in dieser aus dem hellenistischen Judentum kommenden obrigkeitsbejahenden Tradition, zeigt andererseits aber auch die schon das Neue Testament bestimmende Spannung von gesellschaftlicher Integration und Distanz deutlich: Die Christen sind Bürger und unterscheiden sich in keiner Weise von den anderen Bürgern, aber sie sind gleichzeitig Fremdlinge 1 6 5 . Dieses apologetische Anliegen muß auch der uns nur durch einige Notizen bei Euseb 1 6 6 bekannte Apolinarios von Hierapolis, dessen Apologie sonst verloren ist, vertreten haben. Für ihn beweist das die römischen Truppen in höchster Gefahr rettende Gebet der christlichen Soldaten die positive Einstellung der Christen zu diesem Imperium Romanum und zu seinen Kaisern. Es kann trotz der fragmentarischen Überlieferung sinnvollerweise kein Zweifel daran bestehen, daß der Bischof von Hierapolis in der zweiten Hälfte des zweiten Jahrhunderts den Militärdienst von Christen in der römischen Armee grundsätzlich bejaht hat. Obwohl die apologetische Literatur des zweiten Jahrhunderts zeigen will, daß die Christen loyale Bürger des Römischen Reiches sind, gibt es aus dieser Literatur, von der allerdings nur ein Bruchteil erhalten ist, keine andere in dieser Weise eindeutig positive Stellungnahme zur Teilnahme von Christen am Militärdienst. Tatian, der als Schüler Justins gilt, aber jeder gesellschaftlichen Integration der Christen in die kaiserzeitliche römische Gesellschaft außerordentlich

  Vgl.  o.  S.  47­56.    CPG  I  1112,  ed.  K.  Wengst,  Schriften  des  Urchristentums  II,  Darmstadt  1984,  312­341.  Zur  Datierung  vgl.  Wengst,  I.e.  305­309.  1 6 5  Diog.,  5,1­10.  1 6 6  S.o.  Anm.  62. 

163 164

Bekenntnis und Militärdienst

81

kritisch, sogar ablehnend gegenüberstand 167 , wird man dennoch nicht als Vertreter einer grundsätzlichen Unvereinbarkeit von christlichem Bekenntnis und Militärdienst ansehen können. Bei der in diesem Zusammenhang viel verhandelten Aussage Orat X I , 2 geht es eben nicht um die Frage, ob ein Christ Soldat sein darf: Herrschen will ich nicht, nach Reichtum strebe ich nicht, militärische Würden lehne ich ab, Unzucht ist mir verhaßt, aufs Meer treibt mich kein unersättlicher Hunger nach Gold, um Siegeskränze kämpfe ich nicht, vom Wahnsinn der Ruhmsucht bin ich frei, den Tod verachte ich, über jede Krankheit bin ich erhaben, kein Leid verzehrt meine Seele. 168

Allein die ,barbarische' Philosophie des Christentums ist wahre Philosophie 1 6 9 , nur sie führt wirklich zur Apatheia. Die angebliche Apatheia der heidnischen Philosophen ist verlogen. Als christlicher Philosoph lehnt Tatian hier jede Ruhmsucht im Rahmen einer zwar aus dem mittleren Piatonismus kommenden, aber christlich interpretierten Affektenlehre ab. Folgerungen zu Tatians Haltung in der Frage, ob ein Christ Militärdienst leisten darf, wird man aus diesem Text nicht ziehen können. In seiner Apologie hat Tertullian sich noch nicht theologisch mit der Frage des Militärdienstes von Christen auseinandergesetzt. Die Existenz christlicher Soldaten im römischen Heer ist für ihn der Beweis für die positive Einstellung der Christen zum römischen Reich. Die Christen unterscheiden sich in keiner Weise von ihren Mitbürgern, mit denen sie gemeinsam leben. Nur die heidnischen Kulte werden abgelehnt 1 7 0 . Die Welt wird als gute Gabe Gottes gewertet, die die Christen nutzen und für die sie Gott danken 1 7 1 . Die Maßnahmen gegen die Christen, die nach Auffassung Tertullians nicht nur unsinnig und in sich unlogisch sind, sondern außerdem auch nur von auch bei den heidnischen Römern als böse angesehenen Kaisern durchge-

167

T a t . , O r a t 1 8 ; Iren., Haer 1,28,1 (Tatian als Enkratit); Eus., h.e. I V , 1 6 , 7 ; 2 9 , 1 (Tatian als Schüler Justins).

168

T a t . , O r a t 1 1 , 1 [Marcovich 2 6 ] :  βασιλεύειν où  θέλω,  πλουτείν  οϋ  βούλομαι,  την  στρατηγίαν  τταρήτημαι,  ττορνείαν  μεμίσηκα,  ναυτίλλεσθαι  δια  την  άττληστίαν  ούκ  έτπτηδεύω,  στεφάνους  εχειν  ούκ  αγωνίζομαι,  δοξομανίας  άττήλλαγμαι,  θανάτου  καταφρονώ,  νόσου  τταντοδαττήζ àvcimpos  γίνομαι,  λύπη  μου  την  ψυχήν  ούκ  άναλίσκει. 

  T a t . ,  O r a t  4 2 . 

U 9

  Tert.,  Apol  3 0 ­ 3 2 . 

170

  Tert.,  Apol  4 2 , 2 f . ;  s.o.  S.  6 4 ­ 6 6 . 

171

82

Hanns Christof Brennecke

führt  wurden,  sind  falsch  und  ein  Irrtum 172 .  Um  dies  zu  beweisen,  verweist  Tertullian  darauf,  daß  durch  das  Gebet  der christlichen  Sol­ daten  das  Heer  Marc  Aurels  gerettet  wurde 173 .  In  der Apologie  sieht  Tertullian  in  einem  christlichen  Soldatenstand  noch  keine  Probleme.  Als  sichtbares  Zeichen  der  Verantwortung  der  Christen  für  die  Ge­ sellschaft  bejaht  er,  daß  auch  Christen  im  Staat  Verantwortung  tra­ gen,  und  dazu  gehört  eben  auch  der  Militδrdienst.  Mit  der  sicher  nicht  plötzlichen  Hinwendung  zum  Montanismus,  die  bei  Tertullian  auch  als  ethische  Radikalisierung  hinsichtlich  der  von  ihm  nun  abge­ lehnten  Integration  der  Christen  in  die römische  Gesellschaft  verstan­ den  werden  muß,  verδndert  sich  auch  seine  Auffassung  hinsichtlich  der  Möglichkeiten  für  einen  Christen,  im  Militδr  zu  dienen.  Deshalb  ganz  anders  dann  derselbe  Tertullian  etwa  ein  Jahrzehnt  spδter  in  Idol  19 1 7 4 .  Die  hier  erstmals  in  der  christlichen  Literatur  theologisch  reflektierte  und  behandelte  Frage  nach  der  Möglichkeit  des Militδrdienstes  für  Christen  in  der  Armee  des  Imperium  Roman­ um  wird  von  Tertullian  im  Zusammenhang  der  Frage  nach  dem  mit  dem  Militδrdienst  verbundenen  heidnischen  Kult  behandelt.  Ob  ein  Christ  überhaupt  ein  öffentliches  Amt  in  der  Gesellschaft  ausüben  darf,  entscheidet  sich  nach  Tertullian  in  erster  Linie  danach,  ob  dieses  Amt  mit  der  Ausübung  des  öffentlichen  Kultes  verbunden  ist.  Der  Dienst  in  der  Armee  ist  für  Tertullian  hier  nur  ein  Aspekt  der  öffentlichen  Δmter  überhaupt  und  nicht  speziell  inhaltlich  militδ­ risch  im  modernen  Sinne  dieses  Begriffes  definiert.  In  Kap.  17f.  fragt  Tertullian,  ob  man  als  Christ  überhaupt  ein  öffentliches  Amt  aus­ üben  darf 175 .  Grundsδtzlich  ist  Tertullian  der  Auffassung,  daß  ein  Christ  ein  öffentliches  Amt  durchaus  ausüben  könnte,  wenn  es  ihm 

172Tert.,

Apol 1-5.

173

Tert., Apol 5 , 6 ; vgl. o. S. 5 7 - 6 2 . 6 5 . Da Tertullian nicht von Apolinarius von Hierapolis abhängig ist, muß die christliche Deutung des Regenwunders um 2 0 0 also in christlichen Gemeinden weit verbreitet gewesen sein.

174

Vgl. Anm. 9 3 ; Harnack, 1 9 0 5 , 5 9 - 6 1 ; Hornus, 1 9 6 3 , 1 2 0 ; Klein 1 9 6 8 , 1 0 3 - 1 2 4 ; Rordorf, 1 9 6 9 , 1 0 7 - 1 1 1 ; Gero, 1 9 7 0 ; Helgeland, 1 9 7 9 , 7 3 5 - 7 4 4 ; Swift, 1 9 7 9 , 8 4 6 - 8 5 1 ; Kommentar zur Stelle Waszink/van Winden 2 6 6 - 2 7 4 . Für Tertullians Beurteilung eines christlichen Soldatenstandes ist nicht heranzuziehen Pali 5 , 4 , da es dort um die Ablehnung aller gesellschaftlichen Würden und um das Ideal einer selbstbestimmten vita philosophica geht; vgl. Gero, 1 9 7 0 ; Klein, 1 9 6 8 , 94f.

175

Tert., Idol 1 7 , 2 [Waszink/van Winden 5 6 , 7 - 9 ] :  Hinc  proxime  dispitatio  aborta  est,  an  servus  dei  alicuius  dignitatis  aut  potestatis  administrationem  capiat,  si  ab  omni  specie  idolatriae  intactum  se  aut  gratia  aliqua  aut  astutia  etiam  praestare  possit,  ... 

Bekenntnis  und  Militδrdienst 

83 

gelδnge,  jeden  Kontakt  mit  Opfern  und  den  anderen  Elementen  des  mit  öffentlichen  Δmtern  im  römischen  Reich  der  Kaiserzeit  geradezu  konstitutiv  verbundenen  Kultbetriebes  zu  meiden,  wie  das  Joseph  in  Δgypten  und  Daniel  in  Babylon  gelungen  war 1 7 6 .  Allerdings  ist  diese  Möglichkeit  für  Tertullian  unter  den  Bedingungen  des  Imperium  Romanum  seiner  Gegenwart  eher  theoretisch  .  In  der  Realitδt  ist  für  Tertullian  die  Ausübung  eines  öffentlichen  Amtes  für  einen  Chri­ sten  nicht  erlaubt 1 7 8 .  Daß  der  afrikanische  Theologe  in  dieser  Frage  nicht  als  reprδsentativ  für  die  Kirche  an  der  Wende  zum  dritten  Jahrhundert  gelten  kann,  sondern  eher  eine  radikale  Außenseiter­ position  einnimmt,  ist  allerdings  offensichtlich.  Die  Frage,  ob  ein  Christ  Soldat  sein  kann,  entwickelt  Tertullian  dann  im  19.  Kapitel  auf  der  Basis  dieser  grundsδtzlichen  Überlegungen  von  Kapitel  1 7 f . 1 7 9  In  Anknüpfung  an  die  Fragestellung  von  Kapitel  17f.  geht  es  Tertullian  hier  zunδchst  um  die  Offiziersrδnge,  die  unter  Umstδnden  zu  opfern  und  Todesurteile  zu  fδllen  hatten.  Für  sie  gilt  dasselbe  wie  für  andere  Inhaber  öffentlicher  Δmter.  Anschließend  fragt  Tertullian,  wie  es  sich  mit  den  unteren  militδrischen  Rδngen  verhalte,  die  nicht  selbst  opfern  mußten  und  auch  keine  Todesurteile  zu  fδllen  hat­ ten 1 8 0 .  Von  einer  politischen  Interpretation  von  M t  6,24/  Lk  16,13  her,  die  in  der  frühen  Auslegungstradition  in  dieser  Form  ohne  Par­ allele  ist,  lehnt  Tertullian  Militδrdienst  für  Christen  grundsδtzlich  ab,  ohne  noch  auf  die  von  ihm  selbst  eingeführte  Differenzierung  zwischen  Soldaten,  die  Christen  werden  wollen,  und  Christen,  die  als  Christen  Soldaten  werden  wollen,  weiter  einzugehen 181 .  Im  Lich­

1 7 6 

T e n . ,  Idol  17,2.  Idol  17,3  [Waszink/van  Winden  56,12­58,19]:  Cedamus  itaque  succedere  alicui  posse,  ut....si  haec  credibile  est  fieri  posse. 

1 7 7  Tert., 

18,8  [Waszink/van  Winden  60,45f.]:  ...omttes  huius  saeculi  potestates  et  dignitates  non  solum  alienas,  verum  et  inimicas  dei  esse...  1 7 9  Tert.,  Idol  19,1  [Waszink/van  Winden  60,51­62,1):  Posset  in  isto  capitulo  etiam  de  militia  definitum  videri,  quae  inter  dignitatem  et  potestatem  est.  1 8 0  Tert.,  Idol  19,1  [Waszink/van  Winden  62,1­3]:  At  nunc  de  isto  quaeritur,  an  fidelis  ad  militiam  converti  possit  et  an  militia  ad  fidem  admitti...  Schwierig  ist  in  diesem  Zusammenhang  die  Bedeutung  von  quaeritur.  Rordorf,  1969,  108,  sieht  hier  einen  Hinweis  auf  eine  innerchristliche  Diskussion,  Was­ zink/van  Winden,  2 6 7 ,  nur  einen  Hinweis  auf  den  Diskussionsfortschritt  inner­ halb  der  Argumentation  Tertullians.  Wegen  17,2:  Hinc  proxime  disputatio  oborta  est  möchte  ich  mich  hier  Rordorf  anschließen.  1 7 8  Tert.,  Idol 

1 8 1 

Tert.,  Idol  19,2  [Waszink/van  Winden  62,4­7]:  Non  convenit  sacramento  divino  et  humano,  signo  Christi  et signo  diaboli,  castris  lucis  et  castris  tenebrarum;  non  potest  una  anima  duobus  deberi,  deo  et  Caesari. 

84

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te dieser politischen Auslegung von M t 6,24/ Lk 16,13 ist eigentlich jede Übernahme eines Amtes in der Gesellschaft, jede Übernahme von Verantwortung für die Gesellschaft, im Grunde unabhängig davon, ob damit kultische Pflichten verbunden sind, für Christen durch eine autoritative Weisung Jesu verboten. Mit dem Herrenwort M t 26,52 an Petrus sind auch alle angeblich biblischen Begründungen für den Militärdienst aufgehoben. Weder Mose, Aaron oder Josua, noch die Tatsache, daß Johannes Soldaten gepredigt hatte (Lk 3,14) und der Centurio von Kapernaum zum Glauben gekommen waren, können die Teilnahme von Christen am Militärdienst begründen 1 8 2 . Tertullians Versuch, eine innerchristliche Diskussion radikal zu beenden, in der offensichtlich auch versucht wurde, mit biblischen Argumenten die Möglichkeit des Militärdienstes für Christen zu rechtfertigen, ist am Ende genauso gescheitert wie seine Forderung einer grundsätzlichen Unvereinbarkeit jeden öffentlichen Amtes mit dem Bekenntnis zu Christus. Eine gewisse Modifizierung der radikalen Haltung Tertullians in de idolatria zeigt die in die montanistische Zeit Tertullians zu datierende einzige frühchristliche monographische Behandlung des Themas de corona militis183. Wie schon in de idolatria geht es bei der Frage, ob Christen Soldaten sein dürfen, in erster Linie um die Frage der kultischen Aspekte des Militärdienstes. Ist beim Militär eine Berührung mit dem heidnischen offiziellen Staatskult möglich, dessen Teilnahme für einen Christen Abfall vom Glauben bedeutet? Kap. 1 schildert, wie ein christlicher Soldat sich anläßlich eines donativums geweigert hatte, den üblichen Kranz zu tragen und deshalb als Christ das Martyrium erlitten hatte 1 8 4 . Allerdings war dabei deutlich geworden, daß die Mehrheit der christlichen Soldaten das Tragen des Kranzes in dieser Situation nicht als Teilnahme an einem kultischen Akt ansah, sondern einfach als Zeichen der Loyalität. Und Tertullian, der sich inzwischen von der karthagischen Gemeinde getrennt hatte und Montanist geworden war, für den das Tragen eines Kranzes eindeutig Idolatrie und damit Abfall vom

182

Tert., Idol 19,2f. Mit Rordorf, 1 9 6 9 , 1 0 8 , bin ich der Auffassung, daß Tertullian hier gezielt christliche Argumente für die Teilnahme von Christen am Militärdienst mit M t 2 6 , 5 2 widerlegen will. An diesem Punkt hat sich die Argumentation gegenüber Kap. 17f. nicht unerheblich verschoben.

183

S.o. S. 66-68. Literatur wie Anm. 174 und der umfangreichen Kommentar der Ausgabe Fontaines. Zur Situation von Kap. 1 s.o. S. 66f.

184

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85

Glauben ist 1 8 5 , sieht diese in seinen Augen laxe Auffassung überhaupt in der Kirche verbreitet 186 . Coron 11 geht Tertullian in Anknüpfung an seine Argumentation von Idol 19 grundsätzlich auf die Frage ein, ob überhaupt ein Christ Soldat werden sollte 187 . Wieder argumentiert Tertullian von einer politischen Auslegung von Mt 6,24 in Verbindung mit Mt 26,52 her 1 8 8 . Militärdienst ist grundsätzlich Abfall vom Glauben 1 8 9 . Aber Tertullian nimmt nun die Idol 19 angesprochene, aber nicht durchgeführte Differenzierung auf: Undenkbar ist für ihn, daß ein getaufter Christ freiwillig Soldat wird. Das ist für ihn selbstverständlich und wird nicht mehr eigens erwähnt. Anders verhält es sich, wenn ein Soldat als Soldat zum christlichen Glauben kommt 1 9 0 . Allerdings verlangt Tertullian, daß ein Christ gewordener Soldat die Armee so schnell als möglich verlassen soll, wenn dies aber nicht möglich sei, jede Kultteilnahme vermeiden und im Konfliktfall zum Martyrium bereit sein muß 1 9 1 . Bei aller Ablehnung des Militärdienstes für Christen geht Tertullian eben doch davon aus, daß es christliche Soldaten gibt, und versucht in de corona, diese Situation zu akzeptieren. Wenn es schon christliche Soldaten gibt, dann aber dürfen sie auf keinen Fall auch nur in

185

Tert., Coron 1,6 [CChr. SL II 1041,34-43]: At nunc, quatinus et illud opponunt: >Ubi autem prohibemur coronari?