Die Einheit des Glaubens der römisch katholischen Kirche [Reprint 2021 ed.] 9783112429822, 9783112429815

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Die Einheit des Glaubens der römisch katholischen Kirche [Reprint 2021 ed.]
 9783112429822, 9783112429815

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Die

Einheit des Glaubens der

römisch katholischen Kirche. Historisch beleuchtet von

ineS ketzerischen Fürsten

von aller Pflicht gegen ihn befreit bleiben, freigesprochen von aller Treue und LehnS-

pflicht.

Wer auch nur wenig in der Geschichte be­

wandert ist, dem können die von Päpsten und

la Concilien gegen in -er Ketzerei beharrende Dürsten ausgesprochenen AbsetzungSsentengen nicht unbekannt sein. An Wahrheit, wir sind in so unglückliche Zeiten gefallen, zu einer solchen Erniedri­ gung für die Braut Jesu Christi, daß es ihr nicht möglich ist, so heilsge Maximen kn Ausübung zu bringen, noch nützlich, ste ins Gedächtniß zurückzurufen, ja, daß ste gezwungen ist, den Lauf ihrer gerechten Strenge gegen die Feinde des Glaubens zu unterbrechen. Aber wenn ste ihr Recht nicht aus­ üben kann, die Anhänger der Ketzerei von ihren Fürfienthümern abzusehen und sie ihrer Güter verlustig zu erklären, könnte man jemals zugeben, daß man, um ste ju. bereichern, sie ihrer eignen Domä­ nen beraubte? .... Welch ein Gegenstand des Spot­ tes würde sie nicht den Ketzern selbst sein und den Gläubigen, daß man endlich die Mittel gefun­ den habe, sie tolerant zu machen." Daß übrigens die Erneuerung dieser von allen bes­ seren Katholiken längst als antiqui'rt betrachteten Grund­ sätze Roms, weil sie den klaren Aussprüchen der Bi­ bel und dem Beispiele der Apostel wie dem der ältesten sogar einer heidnischen Obrigkeit streng gehorsamen Kir­ che folgen, keine vorübergehende Aufwallung war, da­ beweist nicht nur die Verweigerung der kanonischen Ein­ setzung aller neu ernannten Bischöfe in Deutschland, wo Pius VII. hierdurch das Episeopat fast erlöschen und viele deutsch katholische Kirchen ohne ihre Schuld hir­ tenlos ließ, sondern eö spricht dafür auch unwiderleg­

lich die Bulle vom 10. Auni 1809, durch welche von

PiuS VH. „au- Gewalt de- allmächtigen Gotte- und der heiligen Apostel Petrus und Paulus" und der fei« nigcn Alle, also auch der damalige, allgemein anerkannte Kaiser Napoleon, in den größeren Bann gethan und mit Fluch belegt wurden, welche auf irgend eine Weise zur Besitznahme des Kirchenstaates beigetragen hatten, den Napoleon bekanntlich besetzen ließ, weil der Papst nicht neutral blieb, wie jener es wünschte. Woher hier der Bann' und Fluch, da Napoleon den Papst nicht alS Oberhirten der römisch katholischen Kirche antastete, sondern gegen ihn als Regenten des Kirchenstaates die­ selben Maaßregeln nahm, welche jede andere Regierung unter gleichen Verhältnissen ebenfalls würde genommen haben? Doch, diese Vermengung des Kirchlichen mit dem Weltlichen erlaubte sich die römische Curie eben so oft alS die Verwechselung deS KirchenthumS mit der Religion Jesu Christi. Mit diesen Ereignissen unserer Zeit verbinde man die Erinnerung an die Eedächtnißfrier GregorVII., den Rom t. I. 1728 zum Heiligen für die gan­ ze römisch katholische Kirche erhob, und den es deßhalb auch noch jetzo an jedem 25. Mai in den römischen Kirchen preist, weil, wie die Bulle sich ausdrückt, dieser tapfere und unerschrockene Kämpfer die gottlosen An­ schläge des Kaisers Heinrich IV. vereitelt und den ins tiefste Elend gestürzten Heinrich endlich von der Ge­ meinschaft der Gläubigen und vom Reiche ausge­ schlossen und seine Völker vom Eide der Treue losgesprochen habe tBgl. Beilage III.). Frankreich, Neapel, der Kaiser und Venedig begriffe»

rr die hinterlistigen Schleichwege RomS, auf welchen t6 durch eine kirchliche Feier den Glauben an dir Oberherr­

schaft der Päpste über die Fürsten in geistlichen und weltlichen Dingen *) aufs Neue versteckt sanctiom'ren wollte.

Deßhalb verweigerten die drei ersten die Er­

laubniß zur Verehrung dieser neuen Art von Heiligen ganz, Venedig aber gestattete sie zwar, doch strich es die obig« Stelle als gefährlich und aufrührerisch.

Darf man ferner die Befugniß der Päpste zur Entbindung dep Katholiken von geleisteten Eiden gegen Ketzer und Nichtketzer alö in unseren Tagen aufgehoben

betrachten, oder berechtigt RomS Schweigen über einen in das Staats - und Familienleben so tief eingreifenden

Gegenstand zu dem Schluffe, daß den Päpsten auch jetzo noch zustehe, wozu unter ihren Vorgängern na­ mentlich Clemens VI. sich in feinem Schreiben an den

König und die Königinn von Frankreich für berechtigt hielt, indem er ihnen und allen ihren Nachfol­

gern nicht nur Gelübde, sondern auch „unbequeme L i d e" in solche gute Werke umzuwandeln gestattete, welche der von dem Könige und der Königinn selbst

zu wählende Beichtvater als ihrem Seelenheile fdrdekich anzuordnen für gut erachten würde? (Vgl. Beilg. IV.)

Diese Frage würde unfehlbar zu bejahen sein,

wenn man das Urtheil des Papstes in geistlichen Din­ gen für untrüglich hält, wie das jetzige Rom es ver­

langt, indem nur noch in diesem Jahre dem Erzbischöfe

*) Sophronizon. Sb. 7. Hft. 6. p. r— HZ. Sb. 8. Hft. 3. p. 30 — 76.

von Utrecht und den Bischöfen von Harlem vnd De> venter durch den päpstlichen Nuntius Nazalli die Unter­

zeichnung einer Erklärung abgefordert wurde, welche kein Katholik wegen der darin citirten Bullen unterzeichnen kann, wenn er dem Papste nicht eine solche Untrüglich-

keit beilegt, vermöge deren er nicht blos über Glaubensfachen, sondern auch darüber untrüglich zu entscheiden

vermag, ob ein verstorbener Schriftsteller diesen Satz

und ungeachtet der mehrfachen möglichen Deutungen des­ selben in diesem und leiaem andern Sinne be­ hauptet habe *),

Die Hoffnung, die obigen Declarationen der hohen katholischen Geistlichkeit in Irland und Frankreich von

Rom bestätigt zu sehen, ist hiernach wohl als durchaus grundlos zu betrachten.

Nicht viel besser steht es mit

der Toleranz der römischen Curie gegen alle Nkchtkatho» liken; denn beweist man gleich in Rom diesen während

ihres dortigen Aufenthaltes eine ehrenwerthe Duldung, so zeigte man sich.doch gegen ganze «katholische Völker

neuerlich desto unduldsamer.

Rom erklärte sich nicht

nur durch den Cardinal Consalvi ane 14. Juni 1815

auf dem Wiener Congrcssc in Gegenwart derselben Für­ sten, durch welche der Kirchenstaat als solcher allein jetzo

noch fortbesteht, gegen jede Gleichstellung der evangeli­

schen und der katholischen Kirche in Ländern mit

kirchlich gemischter Bevölkerung auf daS Ent­

schiedenste, sondern es erinnerte auch bei der gleichzeiti­ gen blutigen Verfolgung der Protestanten km südlichen

*) Jene Erklärung folgt am End« dieser Schrift.

14 Frankreich die betteffende katholische Geistlichkeit, dem» kräftige- apostolisches Einschreiten gewiß manche Greuel hätte verhüten können, nicht mit dem Ernste an ihre Pflichten, welchen man von Rom auS um so mehr zu erwarten berechtigt war, falls man dergleichen Auftritte für unchristlich hielt, weil jene Verfolgungen einige Jahre anhielten und neben der Ermordung vieler Pro­ testanten so viehische und schamlose Ruchlosigkeiten von dem katholischen Pöbel vollführt wurden, daß die Apo­ stel Paulus und Petrus, hätten sie ju jener Zeit gelebt, sich sicherlich von solchen tigerhaften, lüsternen Namens­ christen losgesagt haben würden. Dürfen wir unS aber über dergleichen Ereignisse wundern, zeigte nicht schon i. 5. 1812 das Schreiben (Vgl. Beilage V.) des Car­ dinales und Legaten Severoli bei Gelegenheit von Die­ sters Rückschritte zum römischen Katholicismus, wie Rom die evangelische Kirche noch immer ansieht- die hier eine „lutherische Seele" heißt, welcher man neben Irrthümern auch Gottlosigkeiten (impietates) nach­ rühmt? Verletzten Roms Diener in jener Zeit ohne Noth mindesten- alle Schicklichkeit, indem Biester der Unterthan eine- evangelischen Könige- war, der Rück­ tritt aber kanonisch blo- die Beschwörung deS Trident« Glaubensbekenntnisse- erfordert, wie sollte man sich durch die Gesetze de- Schicklichen jetzo gebunden achten, wo so manche frühere Beengungen Rom- weniger Statt zu finden scheinen? Von solcher größeren Rücksichtslo­ sigkeit zeugt nicht nur da- päpstliche Rundschreiben an die höhere römisch .katholische Geistlichkeit vom 3. Mai 1824 in welchem da- Vorhaben der Bibelgesellschaften

15 ein gottlose- (impium) genannt wird, sondern eS spricht für solche Hintenansetzung alle- Schicklichen auch ganz besonders das Schreiben der römischen Propa­ ganda (31. Januar 1824) an Gandolfi, den Bischof brr Maroniten in Syrien, durch welches er dringend ermahnt wird, „Alles zu thun, um diese Maaßregel der Ruchlosigkeit (Verbreitung von Bibeln, von de­ nen Gandolfi in seinem Schreiben an die Geistlichkeit einen Theil als authentisch anerkannte, aber dennoch zur Verbrennung eknfordcrte) unwirksam zu machen." *) Fände man jenen Vorwurf der Verletzung alles Anstan­ des ungerecht, so hätte man zuvor zu beweisen, daß Rom weder den hochsecligen Kaiser Alexander noch meh­ rere evangelische Fürsten alö eifrige Beförderer der Bibel­ gesellschaften kannte, oder wenigsten-, daß für höher« römisch katholische Geistliche Erinnerungen an frühere Kirchengesetze nur dadurch wirksam werden, wenn Rom ihnen Schmähungen der griechischen und der evangeli­ schen Kirche bcigesellte. Meines Erachtens bedarf der brffere Theil der katholischen Geistlichkeit solcher Zutha­ ten nicht, wenn die empfohlene Sache nur selbst apo­ stolisch und nicht in Folge von Beschlüssen au- dem finsteren und sittenlosen Mittelalter blos kanonisch ist. Bei solchen Erscheinungen ist eS wohl ganz in der Ordnung, die evangelische Kirche von römischen Ka­ tholiken in mehrfacher Beziehung aufs Neue verun­ glimpft zu sehen. Dahin gehört namentlich die Be« •) Jtetberlf« Magazin fit katholische Geistlich«. ,zzü. Ld. r. p. ass. 289«

16 Häuptling, daß der Glaube der Protestant«« in demfelben Grade ungewiß als der deS Katholicismus zuver­ lässig sei, indem jenem alle Einheit mangele, die dieser besitze. Welcher Protestant möchte dergleichen Behaup­ tungen tadeln, wenn sie mit gewichtigen Gründen be­ legt werden, da grade er so recht eigentlich eine vielsei­ tige Prüfung der heiligsten Angelegenheit jedeS Men­ schen wünscht, weil wir nur auf diesem Wege zu einer immer reineren Auffassung der göttlichen Wahrheit gei­ langen können, die selbst unveränderlich ist, während die Auffassung derselben durch Menschen einer steten Vervollkommnung fähig bleibt? Werden aber solche Urtheile ohne Beweis hingestellt, so sind sie eben so gewiß ungebührliche Verunglimpfungen, alS Religion und Sittlichkeit die höchsten Güter der Mensch­ heit sind; .doch doppelt ungebührlich sind sie, wenn ih­ nen die Form gegeben wird, in der sie unlängst ein französisches ZeitungSblatt seinen Lesern mittheilte, als eS einige Nachrichten über Köthen gab. Bei dieser Ge­ legenheit wird nämlich die obige Behauptung einigen Deutschen von der Etoile in den Mund gelegt, die sich angeblich auS benachbarten Ländern in Köthen zum Uebertritte zur römisch katholischen Kirche sollen gemel­ det haben. Zu dieser Anzeige fügt sie die Bemerkung: „Diese guten Deutschen urtheilen nach ih­ rem gesunden Menschenverstände, daß die Veränderlichkeit zur Natur deS Irrthumes gehöre, die Wahrheit aber allein unverän­

derlich sei." Ich will nicht fragen, ob diese guten Deutschen auch

auch dann noch vor dem Richterstuhle der Etoile die guten Deutschen bleiben werden, wenn ste sich besinnen and dem so überaus theuer erkauften Glauben der Vä­ ter in Folge der Erkenntniß treu bleiben sollten, daß die evangelische Kirche nach dem Gebote Christi, daUnkraut neben dem Waizen bis zur Zeit Seines Ge­ richtes wachsen zu lassen (Matth. 13, 24 — 30, 36 — 43), die Männer zwar duldet und aufdem Wegt der Belehrung nach Christi Beispiele für die Wahr­ heit zu gewinnen sucht, übrigens mit ihnen aber nicht­ gemein hat, welche zu genügsam schonen gewissen ein­ zelnen Lehren daS ganze Christenthum zu besitzen wäh­ nen, oder die übergläubig Meuschensatzungen zu den Lehren der heiligen Schrift hinzufügen, oder die endlich übervernünftig auö bloßer Vernunft ihr Christenthum aufbauen und durch Nichtachtung der Bibel nicht allein von der evangelischen, sondern überhaupt von einer je­ den christlichen Kirche sich selbst ausschloffen. Küm­ mert sich die römisch katholische Kirche darum, daß die griechische sich auch katholisch nennt? Der Name für sich ist sehr gleichgültig, da nicht einmal der eines Chri­ sten etwa- zu bedeuten hat, wenn der Inhaber desselben nicht ein wahrhaft christliche- Leben führt (Matth. 7,

20 —23.). So wird man auch nicht durch den Na­ men, sondern allein durch Festhaltung des Grundsätzeein echter Protestant, daß die Meinungen Anderer, die der Reformatoren nicht ausgeschlossen, in Glaubensangclegenhriten nur dadurch Gültigkeit erhalten, daß ihre Uebereinstimmung mit dem Evangelia Jesu Christi streng nachgewiesen wird, wie dieses in der heiligen Schrift Ai«tz Elxhett >«. B

IS

alS der reinsten O-uelle

und dem einzigen Prüfsteine

christlicher Erkenntniß enthalten ist.

lich auch Luther dieser Meinung

Daß nament­

war,

beweist seine

Bitte, nach feinem Tode das begonnene Werk fortzusetzen,

damit der Irrthum immer mehr schwinde und

die Wahrheit immer reiner ans Licht komme. treue

Befolgung

dieses Grundsatzes der

Eine

evangelischen

Kirche erfordert freilich eigenes strenge- und anhalten­

des Prüfen nach Anleitung der unS warlich nicht um­ sonst in Zeiten der Bibelvrrfolgung von Gott erhaltenen

heiligen Schrift; dieß mag für Manche beschwerlich sein,

doch .ist «S für wahre Jünger Jesu nicht zu ändern, weil er wie seine Apostel uns solche Prüfung zur Pflicht

machen, z. B. der Lieblingsjünger Jesu in den Wor­ ten: „Ihr Lieben, glaubt nicht einem jeglichen Geiste,

sondern prüfet die Geister, ob ste von Gott sind! Denn -7.

61 einer entscheidenden Antwort in dem Streite von der Gnade GotteS und den damit zusammenhängenden Leh­

ren bewiesen fein, wenn zu jener Zeit nicht grade Urban

VIII. auf Petri Stuhle gesessen hätte; doch was küm­ merte dieser offenkundige Freund des Nepotismus sich um Vorsicht?

Wie er ungescheut das Dach des Pan­

theons zu Kanonen mißbrauchte, wofür Pasquino ihn

unter die Barbaren stellte *), so machte er auch unge-

fcheut den einen Bruder mit zwei Neffen zu Cardinales, dem andern gab er die bedeutenden Besitzungen des lez» ten Fürsten aus dem Haufe Rovere, und dem dritten soll er sogar die künftige Papstwürde dadurch zu ver­

schaffen gesucht haben, daß er jedem fügsamen Cardinale eine Stadt im Kirchenstaate versprach **).

Unter einem

Glaubensrichter der römisch katholischen Kirche, der sol­ che Dinge für unschuldig hält, und, was sich daraus

erklärt, fast alle Geschäfte-den Seinigen überläßt, ist es wohl ganz in der Ordnung, daß die Jesuiten die Verdammung einer Schrift, welche ihrem Semipelagia-

nismus höchst gefährlich werden konnte, nicht blos in Rom nachsuchten, sondern auch i. 3. 1643 glücklich auö-

wirkten. Dieß war Jansens, des Bischofes von Ppern, Au­ gustinus, ein Auszug aus den bändereichen Werken des

Kirchenvaters Augustinus, auf dessen Anfertigung dieser überaus gewissenhafte Mann die letzten zwanzig Jahre

•) „Quod non fecerunt Barbars, fecerunt Barberini. ‘‘ Walch'r Hist, her Päpste, p. 422. 2Cnm. ♦♦) II nepotismo di Roma» 1667» x668e

62 seines Lebens verwandt hatte, indem er die sämmtlichen Schriften dieses Kirchenvaters über zehnmal und die ge­ hen die Pelagianer an dreißkgmal durcharbeitete. Kein Wunder, daß Mehreren jene Bcrdammungsbulle nicht tzinleuchten wollte, da Rom bei anderweitigen überhäuf­ ten Geschäften von politischer und kirchlicher Art mit seinem Urtheile über ein so mühsames, umfassendes uud eine höchst vertraute Bekanntschaft mit den Schriften des Kirchenvaters Augustinus vorausfetzendeS Werk ist so kurzer Zeit fertig geworden war! Deßhalb erklärten Einige jene Bülle für untergeschoben. Und als dieß nicht helfen wollte, so widersetzten mehrere niederländische Bi­ schöfe sich öffentlich ihrer Bekanntmachung» Rom be­ griff, welche übele Folgen dieß nach sich ziehen könne; darum gab es nicht nur der Aufmerksamkeit eine andere Richtung durch Untersuchung des StreiteS der Dominkeaner gegen die Jesuiten über ihre Bekehrungsmanier in China *), sondern es entschied auch zu Gunsten der Dominicaner, um kiesen durch die Verdammung von Jansens Augustinus stark verletzten Orden wieder zu be­ schwichtigen. Hatte Rom auf diese Weife den Triumph beider Par, leien nrutralisirt so schien die den Dominicanern befreun*) Di« Däter au» der Gesellschaft Jesu hatten in China nicht nur allerlei einträgliche Rebengeschäftr getrieben, sondern den Chinesen ihr Christenthum auch dadurch ziem­ lich leicht gemacht, daß fir die Lehre von Jesu, dem Ge­ kreuzigten, ganz übergingen, wofür sie mit musterhafter Milde den Neubekehrten bis ins vierte Geschlecht die Der» ehrung der Todten und des Confuciu« zugestanden.

bete Gesellschaft von Port-Royal bei Paris durch ihre gegründeten und

eben

deßhalb

doppelt

empfindlichen

Aufschlüsse über jesuitische Verdorbenheit, deßgleichen die spanische Inquisition i. I. 1650 durch Verdammung ei­

niger jesuitischen Satze jenes Gleichgewicht bald wieder stören zu wollen; denn der Kampf begann in Folge die­ Neue in seiner ganzen Heftigkeit.

ser Ereignisse aufs

Daß dießmal der Sieg sich den Jesuiten bald zuwenden mußte, wird Jeder begreiflich finden, der weiß, daß da­

mals in Frankreich

der Cardinal

und Iesm'tenfreund

Mazarini und in Rom die nur zu bekannte, den Papst ganz beherrschende Olympia Maldachini regierte, durch de­

ren Bermittelung Alles zu bekommen war, nachdem man sie selbst und ihre Söhne, die angeblichen Neffen des

Papstes, durch Geld oder ähnliche Gunstbezeugungen ge­

wonnen hatte *).

Als deßhalb der allgewaltige Maza-

rini, des Anstandes wegen scheinbar von einem Theile

der höheren französischen Geistlichkeit, die Verdammung einiger Sätze aus Jansens

Augustinus (wozu dieß?

Das Buch war ja schon verdammt!) in Rom nachsu­ chen ließ: so erfolgte i. 3. 1653 die BerdamMungSbulle

von (fünf, angeblich jansenschen Sätzen auS ähnlichen Gründen, weßhalb die römische Inquisition schon i. I.

1641 veranlaßt wurde, sich MazariniS Vorgänger,, dem

Cardinale Richelieu, willig zu fügen, als dieser persön­ liche Feind von Jansen wegen einer gegen Frankreichs

politische Plane gerichteten Schrift desselben **), seinem

*) Gualdi (Leti): Vita della Donna Olympia Maldachini, 1666. **) Mars Galliens, s. de justitia arm. el foederis Regia Call. 1655 et 163g.

64 Gesuche um die Verdammung von Jansens Augusti­ nus durch das Gerücht von Errichtung eines von Rom

unabhängigen Patriarchates zu Paris den nöthigen Nach­ druck gab.

Die Dominicaner und deren Anhänger unterwarfen

sich der Bulle von 1653, weil sie durch Ableugnung der Untrüglichkeit des Papstes

in Glaubenssachen

den

Widerspruch gegen Rom nicht zu weit treiben mochten; doch zu schwer durch jene Entscheidung Roms gekränkt,

wozu man sogar die Zerstörung von Jansens Grabmale

noch gesellte- sannen die Dominicaner mit ihren Bun­ desgenossen darauf, jene Bulle von einer anderen Seite

anzutasten.

Was man suchte, das fand sich; man un­

terschied nämlich das Urtheil des Papstes über Glau­

benssätze von dem über rein geschichtliche That­ sachen.

Bekannte man sich dort zum Glauben an die

Unfehlbarkeit des Papstes, so leugnete man sie hier keck, und gab dieser Lehre zugleich die nöthige Anwendung auf den vorliegenden Fall, indem man dem Papste sein

Urtheil über die Verdammlichkeit jener fünf Sätze ließ, sich selbst aber das Recht zu dem Beweise vkndicirte, daß Jansens Werk diese Sätze gar nicht enthalte, we­ nigstens nicht in dem Sinne, in welchem'der Papst sie

verdammt hatte.

Vielleicht hätte Rom diese Distinction ignorirt, weil sie zu unerheblich war, um ihretwegen den so lange ver­

mißten Frieden aufs Neue zu stören; doch die Jesuiten wollten eine möglichst vollständige Demüthigung ihrer

Gegner.

Deßhalb vertheidigten sie nicht nur die päpst­

liche Untrüglichkeit'in beiden Beziehungen, sondern sie gaben

gaben auch durch ihre Machinationen in Ungarn, na­ mentlich auf dem Landtage von 1655, nicht undeutlich

zu verstehen: daß sie unter Umständen eben so thätige

Vertilger der Protestanten in Ungarn werden könnten, als die Mitglieder des turiner Rathes de Propaganda

stde et exstirpandis haereticis mit Aufbietung von

schaudervoller Grausamkeit es in Beziehung auf die un­ glücklichen Waldenser i. I. 1655 geworden waren. Zu­

gleich gefiel es Mazarini, wie es scheint, auS bitterer Ironie, da sein grenzenloser Indifferentismus sich wenig

von Atheismus unterschied, abermals durch einen Theil der französischen Geistlichkeit die Schärfung der Bulle von 1653 in Rom nachsuchen zu lassen.

Mußte dies

auf der einen Seite dem Stolz Alexanders VII. schmei­

cheln, so gebot auf der andern Seite die Dankbarkeit

gegen den Zesuitenfrrund Mazarini wie gegen den eige­

nen Beichtvater, den Jesuiten Palavicino, eine solche Bitte

im

Interesse der Gesellschaft Jesu zu erfüllen.

Jenem verdankte er ja seine Erhebung auf Petri Stuhl

durch die Vereinigung der französischen Partei bei der Papftwahl mit der Bande des heiligen Geistes, wie sie sich selbst nannte, obgleich sie unter dem Namen der

fliegenden Bande bekannter geworden ist; seinem Beicht­ vater Palavicino. war er aber das süße Glück schuldig,

die Seinigen um sich haben und sie mit Gunstbezeu­

gungen jeder Art überhäufen zu können.

denk

des

großen Haffes

und

Denn einge­

Aergernisses,

den der

schrankenlose Nepotismus früherer Päpste, in und au­ ßerhalb Nom erzeugt hatte, gelobte Alexander VII. zwar in einer Aufwallung deS Gefühles für Anstand, Recht-

vkietz Einhkit :c.

E

66

lichkeit und Frömmigkeit in den ersten Lagen seiner Re­ gierung, keinen seiner Verwandten in Rom aufzuneh­ men, bereute aber auch bald solchen Schwur, als die so natürliche Sehnsucht nach Vereinigung mit seiner Fami­ lie sich geltend machte. Was thun, da Eide heilig sind? Nur ein Jesuit konnte vielleicht helfen und half, wie das Jahr 1656 bewies *), in solchen Nöthen wirk­ lich. Palavirino machte nämlich bemerkbar, daß zwar die Aufnahme der päpstlichen Familie in, aber nicht vor Rom abgeschworen sei. Diese einfache Ansicht von der Sache war, sonderbar genug, dem Papste bisher entgangen. Pa sie richtig war, so wurde sie genehmigt, den Verwandten rin Empfang vor Rom und hierauf ein glänzender Einzug in Rom bereitet, was den Pasquino veranlaßte, zu seinem Descendit de eoeli» bei Gelegenheit des päpstlichen Schwures gegen jeden Ne­ potismus jetzt noch et incarnatus est hinzu zu fügen. Hätte darum auch Alexander VII. der Eitelkeit Widerstanden, so konnte er doch bei seiner Weichherzigkeit den Regungen der Dankbarkeit gegen die so über­ aus thätige Gesellschaft Jesu, gegen ihren Gönner Mazarini und den eigenen Beichtvater Palavicino nicht wohl widerstehen. Es erfolgte also im 3. 1656 eine neue Bulle, welche nicht nur die frühere Verdammung der fünf augustinischen Sätze wiederholte, sondern auch der römisch katholischen Christenheit den Glauben auferlegte, daß Jansen selbst sie in dem verdammten Sinne behauptet habe.

Die hierin liegende Verpflichtung, an die Untrüglichkeit des Papstes nicht blos in Glaubenssachen, son­ dern auch in rein geschichtlichen Streitfragen fortan zu glauben, mußte nothwendig selbst bei solchen Personen Befremdung und Widerspruch wecken, die dem Kampfe zwischen Jesuiten und Dominicanern seither fremd ge­ blieben waren. Hätte man auch nicht der Worte deApostels Paulus sich erinnert, für dessen Nachfolger die Päpste sicherklären, daß Niemand wisse, was im Menschen ist, ohne der Geist des Menschen, der in ihm ist (1. Cor. 2,11.): so mußte es schon allein befremden, daß derselbe Papst sich zum untrügli­ chen Richter über fremde Gedanken aufwerfe, welcher der Inspiration eines Jesuiten bedurfte, um den Sinn der eigenen Worte auszumitteln. Wie man deßhalb sich weigerte, das BerdammungSformular der fünf janftnischen Sähe unbedingt zu unterschreiben, so be­ mühte man sich auch, das Ansehen der Haupturheber einer bis dahin beispiellosen Verfügung Noms dadurch möglichst zu untergraben, daß man die sittenverderben­ den staatsgefährkichen Lehren der Jesuiten jetzt und spä­ terhin in verschiedenen Schriften *) zur allgemeinen Kenntniß brachte, unter denen keine berühmter wurde, als die schön geschriebenen, geistreichen Erovinciales *) N» Perrault: La morale des Jesuites extraite de leura livres Arnauld: La morale praclique des Jesuites, VIH Vol, Die Apologie de la morale des Casuiste« par Pirol dient nicht zur Vertheidigung, wie es ihr Zweck

ist, sondern zur Bestätigung der den Jesuiten gemachten Vorwürfe.

E 2

68

von Pascal, welche i. A. 1656 zuerst erschienen.

Die­

ser Zustand der Dinge erhielt sich um so leichter, weil theils die Bischöfe ihren Geistlichen verschiedene Formu­

lare zur Unterschrift vorlegten, theils Ludwig XIV. mit Nom wegen einer Beleidigung des französischen Gesand­

ten so völlig zerfiel, daß er Avignon besetzen und eine Armee in Italien einrücken ließ.

Der in Pisa unter­

zeichnete Friede war für Rom zu schimpflich, als daß

Ludwig XIV. sich nicht zu einem Beweise von neuer

Ergebenheit gegen den Papst hätten sollen gedrungen

fühlen.

Doch vorher schlug er erst die Bitte Roms

um Vernichtung der Censur ab, durch welche die Sor­

bonne i. Z. 1664 eine Schrift Vernant's

verdammt

hatte, weil er in ihr die Untrüglichkeit des Papstes in

Glaubenssätzen wie

in rein geschichtlichen Fragen der

unseres Erlösers nach dem Vorgänge der Jesuiten gleich­ stellte, welche dieselbe Behauptung i. I. 1661 im cler-

monter Collegium öffentlich vertheidigt hatten *).

Be­

willigte man jene Bitte Roms, so erkannte man Ver­

nant's Lehre gewissermaßen an, was der gallicanischen Kirche und dem französischen Hofe leicht allerlei unbe­

queme Verhältnisse bei einem neuen Bruche mit Rom

verursachen konnte. niß

zur

Sicherer ging man ber der Erlaub­

unbedingten

Unterzeichnung

der Bulle

von

1656; denn wenn man hierdurch auch streng genom­ men sich zu dem Glauben an die päpstliche Untrüglich-

krit in beiden Beziehungen bekannte, so blieben doch im­

mer die Ansichten einiger Bischöfe als Ausweg offen.

*) Arnauld: La nouvelle heresie des Jesuites.

nach welchen man in Glaubensurfachen aus Glaubens» pflicht, in geschichtlichen Fragen aber bloS aus Ehrer­

bietigkeit gegen Petri Nachfolger sich ^zu hat.

unterwerfen

Diese Ansicht ließ sich nach Umständen durch eine

bedeutende Auctoritat noch mehr erhärten, durch die des

Erzbischofes von Paris, Harduin Perefixe *), der un­ umwunden erklärte, man müsse ein armer Tropf oder

ein böser Bube sein,, um die Untrüglichkeit des Papstes

in der Beurtheilung von Thatsachen für de fide erklä­ ren zu können. So für die Zukunft

gegen

mögliche

unbequeme

Folgerungen gesichert^ hatte Ludwig XIV. die Aufmerk­

samkeit gegen Rom, die Anordnung eines übereinftimmen-

den Unterzeichnungsformulares der Bulle von 1656 zu veranlassen, welches der Papst i.



1665 auch gern

bewilligte, so daß künftig außer den akademischen Leh­

rern und den Geistlichen auch jede des Lateinischen un­ kundige Nonne zu erklären hatte, man füge sich in die Constitutionen vom 3» 1653 und 1656, verwerfe und verdamme die fünf an^ Jan­

sens Werken g ezogenen Sätze

indem vom

Verfasser selbst beabsichtigten Sinne.

-Manche fügten sich jetzo . Manche blieben aber ih­ rer Ueberzeugung auch

fernerhin treu, namentlich die

durch den Schutz der Prinzessinn Anna von Bourbon gesicherten Bewohner von Port - Royal.

Alexanders

Nachfolger, der Papst Clemens IX., dachte zu mensch­

lich und aufgeklärt, als daß er zu seinem gründlichen

*) Lambert's Geschichte der Regierung Ludwigs XIV. Bd. i.

70

Haffe gegen jedm Nepotismus und seiner väterlichen Milde gegen seine Unterthanen wie gegen Portugal nicht auch noch i- I. 1668 die humane Erlaubniß hätte hinzufügen sollen, künftig zur Beruhigung des Gewissens die Constitutionen von 1653 und 1656 mit beigefügter Erklärung unterschreiben zu dürfen. Leider war dieser friedliche Zustand der Dinge nur von kurzer Dauer; denn eö beliebte Ludwig XIV. auf den Antrieb seines Beichtvaters, des Jesuiten La Chaise, jene Erlaubniß i. I. 1679 ganz aufzuheben, so daß in Frankreich fortan nur die Wahl zwischen unbedingter Unterschrift, Bastille und Flucht übrig blieb. Die Hauptpersonen unter den Aansenisten wählten die letztere, indem sie in den Nieder­ landen Schutz suchten und fanden. Dieses eigenmächtige ekngreifen eines katholischen Königes in rein kirchliche Angelegenheiten könnte befrem­ den, wenn nicht eben Ludwig XIV. sie sich erlaubt hätte, der nicht nur i. 3.1682 bewies, wie seine Kirch­ lichkeit lediglich durch Umstände so oder anders sich ge­ stalte, sondern auch durch feine Bekehrung der Prote­ stanten vermittelst Dragonerhiebe, welches gottseelige Werk der gleichzeitige Statthalter Christi durch ein Te Deum pries *), aller Welt auf das bestimmteste zeigte, daß er zwar in seinen wiederholten Händeln mit Rom *) Auch Papst Gregor XIII. feierte einst ein ähnliches Teu-

felsfest, die pariser Bluthochzeit, durch öffentliche Umzüge

und verewigte «S durch Münzen.

J. P. Maffei annali dl

Gregorio XIII. Boma, >742.

Koehler'- Münzdelustir

gungkn. Ld. X. p. 381.

Männer von Geist und Gelehrsamkeit zu schätzen wisse, übrigens aber auch im Kirchlichen Uniformität in seinem Reiche wolle, und deßhalb für gewöhnlich blos willen-

lose Priester alS vollmächtige Sündentilger, Ausspender

von göttlichen Wundergnaden und Tröster der Sterben­ den bedürfe. Ueberblicken wir die Geschichte des Jansenismus, so findet fich, daß man seit 1643 ein Jansenist war,

wenn man die Verdammung von Jansens Augustinus,

seit 1653, wenn maw die Verdammung der aus dieser Schrift gezogenen fünf Sätze nicht anerkennen wollte,

seit 1656, wenn man so ungläubig war, jene fünf Sätze nicht für Jansens, Meinung zu halten, und seil 1665,

wenn man nicht schwören wollte, der kenntnißrciche und brave Jansen,

welcher durch den treuen Besuch von

pestkranken Pfarrkindern fich den Tod holte, sei ein Ketzer.

Zugleich zeigt sich, daß mehr Zeitverhältniffe als

Liebe zur Wahrheit die obigen verschiedenen Entscheidun­

gen herbeiführten, deren Urheber

zum

Theil Jansens

Schrift gar nicht gelesen hatten; ja, eS ereignete sich sogar, daß Bischöfe nicht einmal die Veranlassung zu diesen Streitigkeiten kannten, indem sie in ihren Hirten­

briefen schrieben: „Nachdem Jnnocentius X. die Ketze­

rei des Cornelius Jansenius mit dem Zunamen Augu­

stinus unterdrückt u. s. w."

Nicht minder merkwürdig

ist das Treiben der Jesuiten während dieses Zwiespaltes in der Kirche, welche, um Rom-sich geneigt zu machen,

die Machtvollkommenheit der Päpste in jeder Beziehung so hoch als noch

nie erhoben.

Man hatte sogar die

Unverschämtheit, sich zu dem ruchlosen Satze zu beken-

72 ntn: „Wenn der Papst befiehlt, Jesum Chri­

stum zu verleugnen, so müssen wir ihm ge­

horchen, und wir würden gar gen, wenn wi r ZesU

nicht" sündi­

Christo entsagten, um

dem Papste zu gehorchen;

denn

wenn

der

Papst uns befiehlt, etwas zu thun, was wi­

der die Gerechtigkeit und Wahrheit ist, so müßte er und nicht wir davon Rechenschaft geben" *).

Die Verfügung Ludwig XIV. v. A. 1679 schien dem Streite ein Ende gemacht zu haben; doch derselbe

sollte von einer andern Seite her bald aufs Neue an­

geregt werden.

Die Veranlassung hierzu gab eine Ueber-

setzung des neuen Testaments von Quesnel, die in der ersten Ausgabe von 1671 die vier Evangelien, in der

von

1687

aber

auch

die

übrigen

neutestamrntlichen

Schriften enthielt, und zugleich mit erklärenden, zum

Theil auS den Schriften des Kirchenvaters Augustinus

entlehnten Anmerkungen versehen war.

Anfangs ent­

ging dieses Werk der Aufmerksamkeit der Jesuiten, da

nicht nur sein Verfasser unbekannt

war, sondern die

Gesellschaft Jesu auch bei den damaligen sehr gespann­ ten "Verhältnissen Frankreichs mit dem Papste eben so

gesthäftig das Ansehen desselben zu verringern suchte, als sie es früherhin erhoben hatte, um dem französischen

Hofe und dem persönlichen Feinde des damaligen Pap-

’) His Loire da Jansen isme. T. 1IL p. 15g. del Giansenismo. T, I, p. 65.

Tosini sloria

steS, dem verschlagenen und wollüstigen, aber allgewak« eigen Beichtvater des Königes, dem Jesuiten La Chaise,

sich gefällig zu machen.

Aufmerksamer waren mehrere

Bischöfe gewesen, die jene Uebersetzung kaum kennen ge­ lernt hatten, als sie dieselbe auch in ihren Sprengeln

dringend empfahlen, z. B. Felix Bialard, Bischof von

Ehalon, mit der Versicherung, ihr Verfasser müsse lange in der Schule des heiligen Geistes gewesen sein, da er

eine so große Kenntniß der göttlichen Geheimnisse besitze. Gegen solche Ereignisse konnte, die Gesellschaft Je­

su unmöglich sich lange gleichgültig verhalten, weil für

von Menschensatzungcn nichts so

sie und alle Freunde

gefährlich sein möchte, als der freie Gebrauch der Bibel in der Muttersprache; doch durften jene bischöflichen Lob­

preisungen noch ungleich empfindlicher für die Jesuiten

geworden sein, als es bekannt wurde, daß Quesnel, der Iansenist und

innige Freund

Gegner, Arnauld

und

Nieole,

gepriesenen Uebersetzung sei.

ihrer gefährlichsten der

Verfasser

jener

Was aber thun, da von

dem Papste Alexander VIII. nichts zu erwarten war, der nicht nur über dieBeschlüffe der gallicanischen Kirche von 1682, sondern auch über die schlaffe, nichtswürdige Sittenlehre der Jesuiten wegen ihres Zusammenhaltens

mit dem französischen

öffentlich aussprach?

Hofe sein Berdammungsurtheil

Nicht viel besser standen die An­

gelegenheiten der Jesuiten unter dem unbeugsamen Innocentius XII., dessen Gunst man in anderer Bezie­

hung nur zu sehr bedurfte, da man in Nom aufs Neue

wegen der bekannten Bekehrungsmanier in China ver­ klagt war und man in den Carmclitern sich durch die

74

Behauptung neue Feinde geschaffen hatte, der Prophet

Elias dürfte schwerlich Stifter der Carmeliter gewesen

sein. Ungleich

Q-uesnel'S

mehr Hoffnung zur Verdammung von

Uebersetzung

des

neuen

Testaments hatte

man unter dem Papste Clemens XL, indem er den Antritt seiner Negierung mit einer großen Lächerlichkeit

bezeichnete, mit der NullitätSerklärung

der preußischen

Königswürde; denn, meinte er, dieß sei ein factum

apostolicarum sanctionum dispositioni

contrarium

et sanctae sedis apostalicae auctoritati injuriosum, «eil die Königswürde nicht tung

der

Kirche

ohne Verach­

von einem akatholischen

Menschen (ab homine acatholico non sine eccle-

siae contemtu) angenommen werden könne *).

Seine späteren Nachfolger dachten hierüber anders, d. h. vernünftiger und biblischer;

vergl. Tit. 3, 1. 2.

1. Timoth. 3, 1 — 7. Tit. 1, 7 — 9. 1. Timoth. 4,

7. 16.

•) Dem Papste als Rezente» des Kirchenstaates stehen un» bezweifelt alle Rechte eines Landesfürsten auch in Bezie­ hung auf seine Süßeren EtaatSverhältniffe zu; eben so gewiß ist er aber auch als oberster Bischof in der christli­ chen Kirche allen Landesfürsten und jedem für sich densel­ ben Gehorsam und dieselbe Ehrerbietigkeit schuldig, die je­ der Fürst von seine» Landerbischöfen mit Recht fordert, die Bibel mit klaren Worten gebietet und die Apostel, na­ mentlich Petrus und Paulus, die angeblichen Borgänger der rbmischen Bischöfe, selbst gegen ihre heidnische Obrigkeit bewiesen.

Unter so viel versprechenden Auspicien konnte die

Eeröffnung -es Kampfes gegen Q-uesnel schon gewagt werden; jedoch war Vorsicht nöthig, da die Folgen des

ersten Angriffes auf ihn und den Herzog von NoailleS noch in zu frischem Andenken standen.

Ludwig von

Noailles, ein Feind der jesuitischen Sittenlehre, hatte

nämlich nicht blos als Bischof von Chalon den Hirten­ brief seines Vorgängers, in welchem dieser Q-ucsnel's

Werk empfahl, vollkommen bestätigt, sondern auch als

Erzbischof von Paris

für die möglichste Verbesserung

und Verbreitung dieser Uebersetzung des neuen Testa­ mentes dadurch Sorge getragen, daß er sie von angese­

henen Theologen prüfen und darauf seine und ihre Be­

merkungen von dem berühmten Bischöfe Boffuet noch­ mals mit der Bitte revidiren ließ, für dieses Buch eine

Schutzschrift zu schreiben, die Boffuet bekanntlich auch wirklich ausarbeitete.

Zum Danke hierfür ließen i. I.

1698 die Jesuiten den Erzbischof in

einer

besondern

Schrift, Probleme ecclesrastique, angreifen, die aber leider dem Henker in die Hände fiel, der fle auf Befehl

des Parlementes öffentlich verbrennen mußte« Durch so trübe Erfahrungen gewitzigt, bereitete man

den Kampf gegen Quesnel's Uebersetzung dadurch schlau

vor, daß man vorläufig den Geist der Sorbonne zu er­ spähen, und, wo möglich, zugleich einige Glieder dersel­ ben zu stürzen suchte.

Zu diesem Behufe wurde ihr i.

I. 1702, angeblich von einem Beichtvater, die Gewifsensfrage zur Entscheidung vorgelegt, ob ein übrigens unbescholtener Mann absolvirt werden könne, der neben

anderen Ansichten auch die habe, daß er allerdings zur

76 Unterzeichnung der Verdammung von Jansens fünf Sät­ zen verpflichtet sei, jedoch darüber ein ehrerbietiges Still­ schweigen

beobachte,

Sätze wirklich in

Jansens

ob

dem

Augustinus

verdammten

Sinne

diese

enthalte»

Vierzig Doctoren der Sorbonne gaben die vernünftige

Antwort- daß eine solche Ansicht kein Grund zur Ver­

sagung der Absolution sek.

Wer freute sich dieser Ent­

scheidung mehr als die Jesuiten, denen ihre List, durch

Erneuerung der jansenistischen Streitigkeiten einige ihrer

erbittertsten und gefährlichsten Gegner

zu

stürzen, so

überaus vollständig gelungen zu fein schien?

Zählten

fit zu diesen Gegnern, deren Sturz sie im Geiste schon sahen, auch den Erzbischof Noailles, so hatten sie dieß-

mal sich getäuscht; denn dieser erklärte sich i. I. 1703 gegen das Urtheil der Sorbonne, indem er, sei es aus

Ueberzeugung, oder weil er den Ausgang der Sache durch Erinnerung an Ludwigs XIV. Verfügung von 1679 vorhersah', sich zu dem Glauben bekannte, daß die verdammten fünf Sätze , in Jansens Werke wirklich stän­

den, solchen Glauben aber freilich blos menschlich und nicht göttlich nannte.

Die Folge hiervon war, daß

jene vierzig Doctoren der Sorbonne

widerrufen oder

ins Exil gehen mußten, und somit der ganze Plan der

Jesuiten gegen Q.uesnel gescheitert zu sein schien, den als einen 60jährigen Greis die Gegner siegestrunken in

Brüssel schon hatten verhaften und ins Gefängniß wer­ fen lassen, aus welchem er jedoch nach argen Mißhand­

lungen bald nach Amsterdam entfloh.

Zum Ersätze für

solchen Verlust sahen die Jesuiten nicht nur i. 1.1705

aus Rom die Bulle Vineam Domini ankommen, die

auf unbedingte Annahme der früheren von 1656 drang, sondern sie hatten auch die Wonne, daß auf

Veranlassung ihres Ordensgenoffen Tellier, des Beicht­

vaters von Ludwig XIV., der frühere Hauptsitz ihrer gefährlichsten Gegner, die Abtei Port-Royal bei Parks,

i. I. 1709 in Folge der nichtswürdi'gsten Verleumdun­ gen geschloffen und ein Jahr später

förmlich

zerstört

wurde, wobei die Verfolgungswuth gegen ehrenwerthe Personen selbst so hoch stieg, daß man ihre Leichen aus­

grub uNd die erst

halbverwesten Leiber

den Hunden

vorwarf *).

Jene Bulle Vineam Domini hatte zugleich Ver­ anlassung gegeben, daß der scheinbar ganz verunglückte

Kampf gegen Quesnel's Uebersetzung mit Aussicht auf Erfolg erneut werden konnte; denn diefe Bulle war be­

sonders auf Noailles Betrieb von der französischen Geist­ lichkeit nicht unbedingt, sondern mit der Bemerkung an­ genommen

worden,

sie

gelte, weil die Bischöfe alS

Glaubensrichter ihr bekgetreten wärm.

te Rom eben so wenig

So etwas konn­

verzeihen, als der von einem

Bauerjungen zum königlichen Gewiffensrathe emporge­

stiegene ränkesüchtige

Zesuit

Tellier

dem

angesehenen

Erzbischöfe von Parks, dem Herzoge von Noailles, es verzieh, daß dieser Alles seiner hohen Geburt wie seinen

persönlichen Verdiensten, aber nichts dem Orden LojolaS verdanke.

Wie man deßhalb früherhin gegen den Jan-

*) Memoire sur la destruction de PAbbaye du Port - Ro­ yal de Champs. 1711, Les ruines de Port - Royal par H' Gregoire« 1801.

78 senismus schrieb und diesen durch ein in Rom erschie­

nenes Werk auch aus dem Grunde verwarf *), weil das Dringen der Iansenisten auf einen durchaus reinen

und strengen Lebenswandel leicht zum Abfalle von der römisch katholischen Kirche veranlassen könne: so wur­ den auch jetzo die Federn gegen Quesnel in Bewegung

gesetzt und zugleich in Rom i. Z. 1708 ein Breve ge­ gen Noailles Lieblingsbuch ausgewirkt, das aber Frank­

reich leider verwarf, weil es wegen der damaligen spa­ nischen Erbfolgeftreitkgkeiteo mit dem Papste unzufrie­ den war.

Tellier hätte nicht Tellier sein müssen, wenn er die­ sem Sinne feines Erzfeindes über Rom und seine Or­ densgenossen ruhig zugeschaut hätte.

Mancher Schleich­

weg wurde versucht, um den Erzbischof von Paris beim Könige zu stürzen; doch vergeblich.

Unermüdet und

unerschöpflich in Ränken, wie es dem echten Jesuiten geziemt, ging Tellier also einen andern Weg.

Er ver­

anlaßte nämlich die Bischöfe von la Rochelle und Lucon ein Mandement gegen Quesnel's Werk ergehen zu lassen,

das man frech genug sogar in Paris an den erzbischöf­

lichen Pallast anschlagen ließ ; damit aber

der Lärm

möglichst toll werde, so sandte Tellier seinen Anhängern

unter den Bischöfen ein gleichförmiges Formular zu ei­ ner Klagschrift über erdichtete Bedrückungen

NoailleS

zu, in der sie zugleich fein Lieblingsbuch als Quelle

von Ketzereien bezeichnen sollten.

Dieser Schurkenstreich

♦) Ckricmi Romanus cqotra nimium rigorem Romae, 1704.

wurde NoailleS verrathen; feine einzige Rache hierfür

war, daß er bei Ueberbringung der Liste von denjenigen Jesuiten, welche zur Zeit in Paris predigten und Beichte hörten, den Ueberbringer, den Pater Daniel, mit zwan­ zig andern Jesuiten von der Liste strich.

dem Könige; er

ließ deßhalb

Dieß mißfiel

Noailles Genugthuung

wegen der Bischöfe von la Rochelle und Lucon, so wie die fernere Beschützung von Q.ucsnel's Uebersetzung des

neuen Testamentes anbieten, verlangte aber dafür auch, daß den gestrichenen Jesuiten die fernere Erlaubniß zum Predigen und Beichtehören von Noailles. bewilligt wer­ de.

Als dieser fich verneinend erklärte, so wurde er vor

den König beschieden, der seinen Antrag persönlich wie­ derholte.

Doch Noailles blieb bei seinem Entschlüsse,

verscherzte aber freilich mit solcher Standhaftigkeit auch unwiderruflich die Gnade Ludwigs XIV., der auch im

Alter sein L’etat c’est mol noch nicht vergessen hatte.

Der Kauf und Verkauf von Quesnel's Uebersetzung des neuen Testamentes wurde augenblicklich

verböten,

zugleich aber auch von Tcllier ein Formular zur Ver­

dammung verschiedener, aus den Anmerkungen zu jener Uebersetzung gezogener Satze angefertigt und dieses mit

der Bitte des Königes um Bestätigung nach Rom ge­ sandt.

Zwar hatte Tellier ohne Rücksicht auf die Frei­

heiten der gallicanischen Kirche einige ziemlich stark ultra­

montane Sätze wohlweislich mit einfließen lassen; den­ noch wand und krümmte man sich, weil man die Ver­

dammung vieler Sätze in Tellicr's Formulare gar zu

bedenklich fand.

Mehrere Cardinäle

ricthen

von

der

Bestätigung dringend ab, der Cardinal Ferrari z. B.

«0 aus dem Grunde, weil man mit ihr zugleich den hei­

ligen ThomaS von Aquino verdammen würde.; allein weder dieS noch die fußfällige Bitte des Cardinales Cas-

stnus fruchtete etwas, wiewohl von den mit Untersu­ chung jenes Formulares beauftragten Personen nur vier die Genehmigung unterschrieben, der Cardinal Fabrom,

«in Feind von Noailles, der Cardinal Albanus, ein Ver­

wandter des Papstes, der Cardinal Ottobonus, ein spe­ cieller Schützling der französischen Krone, und der Je­

suit Tolomei.

Das Urtheil dieser Männer wurde rich­

tig gefunden, und so erfolgte i. I. 1713 die Verdam­ mung von 101 Irrthümern Quesnel's durch die Bulle

Unigenitus Dei filius, qui pro nostra et totius mtindi

salute etc. «).

Die Jesuiten jubelten, die übrige rö­

misch katholische Christenheit wollte aber kaum ihren Augen trauen, als sie die Verurtheilung von Lehren las, welche zum Theil fast wörtlich in der Bibel, in

früheren Concilienbeschlüffen oder in unverdächtigen Kir­

chenvätern standen (Vergl. Beilage IX.).

für solche Gefälligkeit RomS legten

Zum Danke

die Jesuiten alö

meisterhafte Achselträger den Ueberbringer der Bulle Ex lila Die, durch welche der Papst ihre Btkehrungöma-

nier in China aufs Neue verdammte, den päpstlichen Gencralvicar und Franciscaner Castotani, nicht blos i.

I. 1715 in Ketten, sondern sie trieben auch mit dem __________

Papste

♦) Anecdotes ou mcmoires secretes sur la Constitution Unigenitus. Utrecht, Geheime Nachrichten von der Konstitution Unigenitus

nebst den Fortsetzungen. 6 Bde. Magdeburg, 1755.

Papste allerlei losen Spott, indem fle sicher darch de« Schptz des chinesischen Kaiser- zu bedenken gaben, e-

sei lächerlich, in China gebieten zu wollen, wenn man

nicht einmal

in dem nahen Holland Ordnung zu er­

halten wisse; auch sei jene päpstliche Verdammung nicht

durch eine lex, sondern durch eine einfache Vorschrift,

praeceptum, ausgesprochen, gegen die man unter gewis­ sen Umständen sich schon fetzen dürfe, wenn nur die

Appellation a pontifice male informato ad pontificem melius informandum Nachfolge *).

Dankbarer zeigte sich Ludwig XIV., welcher der

Bulle Unigenitus durch Ueberredung uud Strenge all­ gemeine Anerkennung in Frankreich zu verschaffen strebte, ohne aber seinen Zweck ganz erreichen zu können, da

nicht nur NoailleS mit anderen Bischöfen sich ihr wi­ dersetzte,

sondern

auch

daS Parlement sich

zu ihrer

Eintragung in die Reichsgesetze nur unter solchen Be­ dingungen verstand, welche die Bulle fast ganz entkräf­

teten.

Selbst die Bischöfe, welche sie annahmen, fühl­

ten sich gedrungen, durch einen Hirtenbrief ihre Geistli­ chen in mancherlei Wendungen zu belehren, mit wel­ chen Einschränkungen die 101 Sätze verdammlich seien.

Freier sprachen die Gegner, zu denen auch der Erzbi­ schof von Metz gehörte,

deffea Hirtenbrief so große

Aehnlichkeit mit einer Satyre auf den Papst und dir Jesuiten hatte, daß der königliche StaatSrath ihn un­

terdrückte.

Bon hundert acht und zwanzig Mitgliedern

•) Wolf'« Geschichte der Jesuiten Dd. z. p. 47. Buder'« dtben Slimen« XI. LH, -. p. 573» «tch enwt it. F

82 ter ©Menne, ter tot Annahme befohlen wurde, wa­

ren nur neun und vierzig für, die übrigen gegen sie; Der König bestrafte deßhalb einige durch Verweisung, andere dadurch, daß et Wen ihr Stimmrecht nahm,

Maaßregeln, dir gewiß eben so wenig mit -jener Bulle

btfteunben konnten, als die Bitte des Papstes bei dem Könige, auch die widerspenstigen Bischöfe zum Beitritte

Recht augenscheinlich zeigte sich der Haß

zu zwingen.

gegen sie bei Ludwigs Tode i. 3. 1715, wo die pari­ ser Gaffen von Spottliedern auf sie ertönten, was man natürlich finden würde, auch wenn diese Bulle die Frau­

enwelt

nicht

durch Verdammung des SaheS in de»

Streit mitgezogen hätte: „ES ist eilte Täuschung,

sich einzubilden, daß eine genaue Kenntniß bet

Religion

durch Lesen

der Bibel den

nicht

mitgetheilt

werden

Frauen

dürfe;

nicht auS ehret Einfalt, sondern aus der stol­ zen Wissenschaft der Männer, ist der Miß­

brauch der heiligen Schrift entstanden." Mit Ludwigs Tode war während der Minderjäh­

rigkeit seines fünfjährigen -Urenkels, Ludwigs XV., die

Regentschaft an den Herzog von Orleans gefallen.

Da

dieser die übermächtigen Jesuiten, namentlich auch Tellier, vom Hofe entfernte, den Erzbischof RoailleS zum

Präsidenten des Gewiffensrathes ernannte und die Ver­ bannten jurückrief: so lenkten, sehr Biele ein, die fküher-

hl'n für die Bulle gewesen waren, und baten zugleich

mit den Gegnern derselben den Regenten, dm Papst um

eine .Erklärung

der

dunkle« Bulle zu ersuchen.

Doch Rom nahm den Ueberbringer dieses Gesuches, den

Abt Chevalier, incht nut höchst ungnädig auf, ändern man gegen die verwünschte Hartnäckigkeit der Franzosen (eisecranda Gallorum contumacia) sich ereiferte, son­ dern man sandte auch so bittere Brief« an den franzö­ sischen Hof, daß dieser sich endlich genöthigt sah, dir päpstliche« Schreiben dem Nuntius uneröffnet zurückzu­ geben. Fügsamer gegen Rom bewies sich der Erzbischof von Rheims, Mailly, der sechs Doctoren wegen verwei­ gerter Annahme der Bulle excommunicirte, deren sich jedoch das Parlement annahm, indem eS diese Exkom­ munikation aufhob und den Erzbischof bestrafte. Zur Beseitigung solcher Mißhrlligkeiten versammelte der Regent die Bischöfe; allein sie gingen auseinander, ohne sich einigen zu können, indem sie sogar NoailleS be­ dingte Bivigungsformel der Bulle verwarfen. Dur eifrigsten unter ihnen machten deßhalb von einem alten Rechte, von der Berufung von dem Papste und seiner Bulle an ein künftiges allgemei­ nes Concil, i. I. 1717 Gebrauch, namentlich die Bischöfe von Mirepokx, von Sens, von Montpellier und von Boulogne, denen die Universität Paris, die theolo­ gischen Fakultäten zu RheimS und Nantes, andere Bi­ schöfe, viele Welt- und Klostergeistliche sich bald an­ schlossen. NoailleS, der den Frieden herzustellen sucht«, schrieb i. 3. 1717 an den Papst und der Regent sandte in gleicher Absicht den Herzog von Feuillade nach Rom. Die Frucht dieser Mission war daS päpstliche Breve Pastoralis ofsicii etc., durch welches Alle ohne Unterterschied des Standes rxcommunicirt wurden, die der Bulle Unigenitus nicht Folg« leisten würden. Statt H2

84 einzuschüchtern, veranlaßte dieses Breve den Erzbischof

von Paris, öffentlich auf die Seite der Appellanten mit der Erklärung zu treten, daß er die Bulle Unigemtus besonders deßhalb

Sätzen

verwerfe,

klare Lehren

weil

der

sie

in

vielen

heiligen Schrift

verdamme, dem tridenterConeile widerspre­ che und sich den Freunden

einer

Eittenlehre günstig zeige.

Bei solchen Ansich­

schlaffen

ten dehnte er begreiflich genug die Appellation auch auf

jenes Breve aus, worin ihm die übrigen Appellanten nnd endlich sogar das pariser Parlement, daS schon ein

Jahr früher, 1718, das heftige Schreiben deS Erzbischo-feS von RheimS an den Herzog pon Orleans zum Feuer­

tode durch Henkershand verdammt hatte, insofern nach­ folgten, als es mit anderen Parlementern den Druck und

Verkauf dieses Breve verbot. Dasselbe Jahr welches für die Gegner der Bulle Unigenitus so reich an günstigen Ereignissen zu werden versprach, wurde zugleich der Anfangspunct ihres all-

mäligen Unterganges; denn der Regent untersagte noch

i. I. 1719 jede Art von Verhandlung über diese Bulle, weniger, weil Relkgionsangrlegenheiten für ihn von In­

teresse waren, als weil sein erster Günstling, du BoiS, nur im Falle einer Aussöhnung mit Rom zur CardinalSwürde Hoffnung hatte.

Noailles, durch Vorstellun­

gen deS Regenten gedrängt, folgte dem Parlemente, daS fich i. 3. 1720 zur Annahme der Bulle mit Noailles

Erklärung derselben verstand, weil der Regent mit der

Verbannung von Pontoise, wohin «S schon verwiesen war, nach BloiS drohte.

Daß du BoiS an diesen Er-

ekgnissen einen

bedeutenden Antheil

hatte,

läßt seine

Stellung wie fein feindliche- Verhältniß zu Noaille-

erwarten, der sich die Ehre verbat, ihn zum Erzbischöfe von Cambray zu weihen, weil er die Berührung mit

einem Menschen vermeiden wollte, der bei viel Geist viel Sinnlichkeit, Habsucht und einen solchen Grad von Ver­

dorbenheit besaß, -aß er sich ungescheut zu dem Grund­

sätze bekannte que pour devenir tin grand homme, 11 falloit etre un grand scelerat.

Weniger bedenklich

war Rom, da- diestrn Manne i. I. 1721 den Cardinalshut gab, obgleich er gegen Sesa. VII. cenc. Trid.

außer seinem Erzbisthume noch sieben Abteien besaß.

Der Rest von Freiheit, welcher den Appellanten

nach Noaille- und de- Parlementeö rnodifieirter An­ nahme der Bulle. Umgenitus geblieben war, schwand ganz, al- kurz nach Ludwigs XV. Regierungsantritt

fein ehemaliger Lehrer Fleury, Bischof von Frejus, er­

ster Minister wurde.

Ein Freund der Jesui^n und zu­

gleich schwach genug, noch in seinen alten Tagen neben andern Auszeichnungen auch den Cardinalshut tragen zu wollen, gab er durch die von fünfzig Advoeaten de-

pariser Parlementes für ungültig erklärte Abfthung de­

alten, ehrwürdigen Bischofes von Sens, Soane, der in

einem Hirtenbriefe Quesnel's neues Testament empfoh­ len hatte, nur zu deutlich zu verstehen, was man von ihm zu befürchten habe.

Als endlich i.' I. 1728 auch

der sehr schwach gewordene, achtzigjährige Roailles zur

Unterzeichnung der Bulle gebracht war, so wurde i. I. 1730 in Gegenwart de- Königes daS Parlement von dem Cardinal gewordenen Fleury genöthigt, dir Bulle

86 mit dem Gesetzeeinzutragen, daß, rott fi,t anznnehmtn verweigern, ohne geistliches Amt 6ltk bt, und wer appellire, ein Empörer sei. Bei so viel Härte ist eS doch wieder dankenswerth, daß Fleury dem Widerspruche nicht nachspüren ließ und Ms durch bis an seinen Tod i. 3. 1743 nicht wenig zur Beruhigung Frankreichs beitrug. Dieß änderte sich, alS Beaumont Erzbischof von Paris wurde. Dieser über­ fromme Mann erließ nämlich i. I. 1752 den Befehl, d,WaS bleibt wohl einer Seele, die Gott und des­ sen Gnade verloren hat, noch übrig, als Sünde, und

was auf Sünde folgt, Stolz und Uebermuth bei ihrer Armuth, Trägheit bei ihrer Dürftigkeit, ich will sagen,

ein allgemeines Unvermögen zur Arbeit, zum Gebete

und zu allem Gutem" (1.) —

„Man hat der Gnade

Jesu Christi-als. der kräftigen Quelle, aus der alles

Gute fließt, zu jedem guten Werke nöthig; ohne dieselbe

thut man nicht allein nichts, sondern kann auch nichts thun." (2.) —

„Es hat der Wille, dem die Gnade

nicht züvorkömmt, sonst kein Licht, als nur zum Abweichrn, keinen Eifer- als nur sich zu stürzen, keine Kräfte, als nur sich zu verwunden, ist tüchtig zu allem Bösen, untüchtig zu allem Guten." (39.) —

„Allein die Gna­

de Christi Macht den Menschen zum Opfer des Glau­ bens geschickt; ohne dieses ist nicht- als Unreinigkeit, nichts als Unwürdigkeit." (42.) —

„Der Glaube,

sein Gebrauch, Wachsthum, Belohnung ist alles ein

rein lauteres Gnadengeschenk Gottes." (69.). Außer diesen Sätzen wurden noch

folgende von

dem Papste Clemens XL verdammt und diese Verdam-

dammung i. 3. 1826 dadurch wiederholt, daß Rom ihre Anerkennung zur Bedingung der Wiederaufnahme der niederländischen Katholiken in den kirchlichen Ver­ band machte: „Man erlangt keine Gnade als nur allein durch den Glauben. Der Glaube ist die erste Gnade und die Quelle aller andern. Der Glaube macht ge­ recht, wenn er thätig ist; er ist aber allein durch die Liebe thätig. Alle andere Mittel des Heiles sind ent­ halten im Glauben als in ihrem Stamme und Saamen; der Glaube ist aber nicht ohne die Liebe und das Vertrauen. „Es giebt nur zwei Arten der Liebe, aus denen all unser Wollen nebst allen unsern Werken ent­ springt, die Liebe zu Gott, die Alles um Gottes Willen thut, welche Gott auch belohnet, und die Selbst- und Weltliebe, die Gott nicht giebt, was man Gott geben soll, und eben 'deßhalb böse wird. (Die christliche Ge­ rechtigkeit, sagt Quesnel bei Matth. 5, 28., ist die Gerechtigkeit des Herzens; und hierauf:) die böse Lust oder die christliche Liebe machen den Gebrauch der Sinne entweder bös oder gut. Der Gehorsam, welchen man dem göttlichen Gesetze zu leisten hat, muß aus einer Quelle herfließen; und diese Quelle ist die Liebe. Wenn nun des Gehorsames inwendiger Ursprung die Liebe zu Gott ist, und sein Zweck Gottes Ehre, alsdann ist, was von außen sich zeigt, rein; aber ohne einen solchen Ur­ sprung ist's Heuchelei oder falsche Gerechtigkeit. Wie es keine Sünde giebt, welche nicht aus der Eigenliebe entspringt, so geschieht auch kein gutes Werk ohne die Liebe zu Gott. Allein die Liebe thut wahre christliche Werke in Rücksicht auf Gott und Zesum Christum. Einheit K

134 Da ist fein Gott noch Gottesdienst, wo feine Liebe ist. Die Furcht hält allein die Hand deS SünderS zurück,

das Herz aber bleibt so lange an der Sünde hangen, als es von der Liebe zur Gerechtigkeit nicht geleitet und gezogen wird.

Wer zu Gott nahen will, soll zu ihm

nicht mit thierischen Begierden kommen, noch von dem bloßen natürlichen Triebe oder der Furcht, wie ein un­ vernünftiges Thier, zu ihm sich bringen lassen, sondern er soll kommen wie die Kinder, im Glauben und in der

Liebe.

Gottes Güte hat den Weg des Heils ganz kurz

und leicht gemacht, wenn sie im Glauben und in der Liebe Alles eingeschloffen hat.

Gott plagt die Unschul­

digen niemals; die Trübsale aber sollen stets dazu die­ nen, daß entweder die Sünde gestraft oder der Sünder

gereinigt und geläutert werde.

Die Kirche oder der

ganze Christus hat zum Haupte das Wort, welches

Fleisch geworden ist, zn Gliedern aber alle Heiligen.

Wer nicht ein solches Leben führet als

einem Kinde

Gottes und Gliedmaße Christi geziemet, der behält nicht mehr inwendig Gott zum Vater, und Christum zum

Haupte.

Man wird abgesondert von

dem auserwähl­

ten Volke, dessen Vorbild das jüdische Volk war, dessen

Haupt aber Jesus Christus ist, sowohl wenn man nicht nach dem Evangelio lebt, als auch wenn man dem Evan-

gelio nicht glaubet. Die Lesung der heiligen Schrift gehört für Alle und Jedermann.

Die Dunkelheit der heiligen

Schrift mag den gemeinen Leuten keine Ursache geben,

sich gänzlich des Lesens derselben zu enthalten.

Der

Sonntag soll von den Christen durch Lesung gottseliger Bücher, ganz besonders aber det heiligen Schrift gehe!-

ligt werden.

Diese ist der Christen Milch, die Gott,

der Herr, ihnen darreicht.

Es ist sehr gefährlich, einen

Christen vom Lesen derselben abzuhalten.

Wenn man

den Christen daS heilige neue Testament aus den Han­ den reißt, oder selbiges gleichsam verschlossen hält, und

die Mittel versagt, es zu verstehen: so ist's warlich nichts anderes, als ihnen Christi Mund verschließen Nnd zuhalten.

Wenn man den Christen die Lesung der

heiligen Schrift, besonders der Evangelien, verbietet, so

heißt das, den Kindern des Lichtes den Gebrauch deS

Lichtes nicht verstatten wollen, und machen, daß sie eine

Art von Bann über sich nehmen müssen.

Die Furcht

vor ungerechtem Banne soll und niemals an Erfüllung unserer Pflicht hindern.

Wir gehen nie von der Kirche

aus, sollte es auch scheinen, als wären wir durch die

Bosheit der Menschen von ihr ausgestoßen, wenn wir nur an Gott, Jesu Christo und der Kirche selbst durch Liebe hangen bleiben.

Gott läßt eS zu, daß alle welt­

liche Macht den Predigern der Wahrheit zuwider ist, damit ihr Sieg der göttlichen Gnade allein zugeschrieben

werde.

Der Eigensinn, das Dorurtheil und hartnäckige

Wesen, daß man nichts will untersuchen lassen, oder

erkennen, man habe sich geirrt, verwandeln täglich bei Vielen in einen Geruch deS Todes, waS Gott seiner

Kirche anvertraut, daß rS ein Geruch deS Lebens zum Leben sein sollte, z. B. gute Bücher, heilsamen Unter­

richt, löbliche, heilige Beispiele, u. dgl." (26. 27. 51. 52. 44. 46. 47. 49. 53. 58. 61. 66. 68. 70. 74.

77. 78. 80. 81. 82. 84. 85. 01. 96. 99.) Vgl. die

136

hist. Vorrede zur deutschen Uebcrsetzung von Quesnel'S Uebers. des N. T. Frankfurth,a. M. 1718. Sind diese Sätze verdammlich, so begreift sich's schwer, warum Rom die Bibel nicht längst als O-uelle des christlichen Glaubens beseitigt hat; denn unbiblisch sind jene Sätze gewiß nicht. Sollte ein römischer Katholik anderer Meinung sein, so würde er sich ein Verdienst erwerben, wenn er dieselben als unbiblisch nachwkese. Nicht einmal aus der Tradition wird er sic als unkirchlich nachzuweisen vermögen, wenn er die Beschlüsse der älteren Concilien und die Werke der älte­ ren Kirchenväter seinen Forschungen zum Grunde legt.