Novitas Christiana: Die Idee des Fortschritts in der Alten Kirche bis Eusebius 9783666551666, 3525551665, 9783525551660

126 72 39MB

German Pages [704] Year 1994

Report DMCA / Copyright

DOWNLOAD FILE

Polecaj historie

Novitas Christiana: Die Idee des Fortschritts in der Alten Kirche bis Eusebius
 9783666551666, 3525551665, 9783525551660

Citation preview

V&R

Forschungen zur Kirchen- und Dogmengeschichte

Herausgegeben von Adolf Martin Ritter

Band 58

Göttingen · Vandenhoeck & Ruprecht · 1994

Novitas Christiana Die Idee des Fortschritts in der Alten Kirche bis Eusebius

von Wolfram Kinzig

Göttingen · Vandenhoeck & Ruprecht · 1994

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Kinzig, Wolfram: Novitas Christiana: die Idee des Fortschritts in der Alten Kirche bis Eusebius / von Wolfram Kinzig. Göttingen: Vandenhoeck und Ruprecht, 1994 (Forschungen zur Kirchen- und Dogmengeschichte; Bd. 58) Zugl.: Heidelberg, Univ., Habil.-Schr., 1991/92 ISBN 3-525-55166-5 NE: GT © 1994 Vandenhoeck & Ruprecht, 37070 Göttingen. Printed in Germany. - Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmung und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Gesamtherstellung: Hubert & Co., Göttingen

Für

Carmen

Και δή και πας, ώς έπος ειπείν, ό Χριοτός οϋ μερίζεται· ούτε βάρβαρος έστιν "ούτε 'Ιουδαίος οΰτε "Ελλην, ούκ άρρεν, ού θήλυ" καινός δε άνθρωπος θεοΰ πνεύματι άγίω μεταπεπλασμένος. Clemens von Alexandrien,

protr. 112,3

Non sic proficiamus ut ex nouis efficiamur, sed ipsa nouitas crescat.

ueteres

Augustin, en. in Ps. 131,1

Vorwort Die folgenden Studien sind in doppelter Hinsicht ein Wagnis: Sie behaupten, daß f ü r die theologische und letztlich auch institutionelle Entwicklung der Alten Kirche eine Denkkategorie bedeutsam gewesen ist, f ü r die die frühchristlichen Theologen selbst keine Bezeichnung hatten und die darum auch bis in unsere Zeit hinein in der patristischen Forschung fast gänzlich unbeachtet geblieben ist: die Idee des Fortschritts. Sie sind aber auch insofern ein Wagnis, weil die Qualität ideengeschichtlicher Untersuchungen in erster Linie von der Quellen- und Literaturkenntnis ihres Verfassers abhängt. Ich bin mir meiner Lücken in dieser Hinsicht schmerzlich bewußt und bitte den Leser um Nachsicht, wenn Vollständigkeit nicht erreicht wurde. Sie wäre vielleicht auch gar nicht sinnvoll, weil eine zu große Detailfülle nur den Blick auf die großen Linien verstellen würde, die diese erste Epoche der Geschichte des Christentums geprägt haben. Ich würde mir allerdings wünschen, eine dieser Linien erkannt und mit hinreichender Deutlichkeit nachgezeichnet zu haben. Wenn mir dies gelungen sein sollte, so wäre dies nicht zuletzt das Verdienst all derer, die mir in den Jahren der Abfassung dieses Buches mit Rat und Tat zur Seite gestanden haben. Dazu zählen — semel atque iterum — mein Lehrer Professor Dr. Adolf Martin Ritter (Heidelberg) und mein Freund Dr. Stefan Rebenich (Mannheim), die das Manuskript zum Teil mehrfach lasen und mich durch ihre eindringliche und unerbittliche Kritik dazu zwangen, durch ein erneutes Studium der Quellen und der Literatur Schwächen der Argumentation zu korrigieren; ferner der ehemalige Master of Peterhouse, Professor Henry Chadwick, der mich ermutigte, das Thema in Angriff zu nehmen; Herr Dr. Markus Vinzent (München), der mir in der letzten Phase der Druckvorbereitungen technische Hilfe leistete; und meine Eltern und mein Bruder Jörg, bei denen wir bei unseren zahlreichen "Heimaturlauben" immer ein o f f e n e s Haus fanden. Die Angestellten und Bibliothekare der University Library, Cambridge, trugen Hunderte von Büchern aus dem Reading Room und West Room wieder zurück an ihren Platz in den weitläufigen Büchermagazinen und gaben dem unersättlichen und bisweilen auch ungeduldigen Frager freundlich und bereitwillig Auskunft. Auch ihnen möchte ich an dieser Stelle ein herzliches thank you sagen Ein Research Fellowship in Peterhouse, Cambridge, in den Jahren 1988 bis 1992 schuf die finanziellen und materiellen Voraussetzungen

-

8

-

dafür, daß sich die Forschungen zu diesem Buch nicht unnötig in die Länge zogen. Hierfür danke ich dem Master und den Fellows des Colleges. Im letzten Stadium der Überarbeitung und Vorbereitung der Druckfassung gewährten mir ein Supernumerary Fellowship in King's College, Cambridge, und ein Heisenberg-Stipendium der Deutschen Forschungsgemeinschaft finanzielle und institutionelle Unterstützung, w o f ü r ich mich diesen Organisationen dankbar verpflichtet weiß. Die Arbeit wurde von der Theologischen Fakultät der RuprechtKarls-Universität in Heidelberg im Wintersemester 1991/92 als Habilitationsschrift angenommen. Nachträglich erschienene Literatur habe ich — im Rahmen des Möglichen — noch zu berücksichtigen versucht. Neben Herrn Professor Ritter fungierten als Gutachter die Herren Professoren Gottfried Seebaß, Hans Armin Gärtner und Dieter Hagedorn. Ihnen gilt ebenso mein Dank wie Herrn Professor Ritter und dem Verleger, Herrn Dr. Arndt Ruprecht, für die Aufnahme der Arbeit in die Reihe der "Forschungen zur Kirchen- und Dogmengeschichte". Herrn cand. theol. Martin W a l l r a f f bin ich für seine Mithilfe bei der Erstellung der Register verpflichtet. Ich widme dieses Buch meiner Frau Carmen, die die ups and downs während seiner Abfassung mit der ihr eigenen nobleza geduldig mitgetragen hat. Mannheim/Heidelberg/Cambridge August 1993

W o l f r a m Kinzig

Inhalt

Seite Vorwort

7

Terminologische und bibliographische Vorbemerkungen

13

1. Einleitung

IS

1. 1. Das Problem

IS

1. 2. Überblick über die bisherige Forschung 1. 2. 1. Die spekulative Phase 1. 2. 2. Die quellenorientierte Phase (de Greef/Delvaille) . . . 1. 2. 3. Die Phase der Polemik und der Apologetik: Von Bury zu Baillie 1. 2. 4. Die fachwissenschaftliche Phase (seit etwa 1950) . . .

23 2S 29 36 S1

1. 3. Methodologische Vorüberlegungen 66 1. 3. 1. Die Problematik des Fortschrittsbegriffs 66 1. 3. 2. Auf dem Weg zu einer Definition von "Fortschritt" . . 71 1. 3. 3. Die These 77 1. 3. 4. Plan der Arbeit 78 2. Die Vorgeschichte: Die Ausbildung des Neuheitsdenkens in der jüdisch-christlichen Tradition bis zur Mitte des zweiten Jahrhunderts

81

2. 1. Altes Testament

91

2. 2. Zwischentestamentliche Literatur

98

2. 3. Neues Testament und Urchristentum

101

2. 4. Zwischenergebnis

117

2. 5. Die weitere Differenzierung des christlichen Neuheitsdenkens bis zur Mitte des zweiten Jahrhunderts 2. 5. 1. Alter und neuer Bund

118 122

-

10

-

2. 5. 2. Das Christentum als "drittes Geschlecht" und "neues Volk" 141 2. 5. 2. 1. Die Christen als "drittes Geschlecht" . . . . 145 2. 5. 2. 2. Die Christen als "neues Volk" 171 2. 5. 3. Die Neuheit der christlichen Wahrheit gegenüber der alten, überholten Tradition 186 2. 5. 4. Zusammenfassung 199 3. Die Ausbildung des Fortschrittsdenkens im zweiten und dritten Jahrhundert

201

3. 1. Heilsgeschichte als Fortschritt 3. 1. 1. Irenaus 3. 1. 2. Tertullian 3. 1. 2. 1. Wahrheit statt Alter 3. 1. 2. 2. Wahrheit und Tradition 3. 1. 2. 3. Wahrheit und Fortschritt 3. 1. 3. Cyprian 3. 1. 4. Clemens von Alexandrien 3. 1. 5. Hippolyt 3. 1. 6. Origenes 3. 1. 7. Arnobius 3. 1. 7. 1. nat. 1,57,4-6 3. 1. 7. 2. nat. 2,66-75 3. 1. 8. Rückwirkungen auf Judentum und Heidentum 3. 1. 8. 1. Judentum 3. 1. 8. 2. Pagane Philosophie 3. 1. 9. Zusammenfassung

210 210 239 239 243 251 279 284 297 302 329 330 332 361 361 366 374

3. 2. Christentum und kultureller Fortschritt 3. 2. 1. Theophilus von Antiochien 3. 2. 2. Irenaus 3. 2. 3. Tertullian 3. 2. 4. Pseudoklementinen 3. 2. 4. 1. R 1,26-32 3. 2. 4. 2. Η 8,9-19 3. 2. 4. 3. R 4,8-13 3. 2. 5. Origenes 3. 2. 6. Arnobius 3. 2. 7. Zusammenfassung

376 378 383 386 397 398 402 415 418 431 439

3. 3. Das Christentum und die Wohlfahrt des Staates 3. 3. 1. Die Loyalität der Christen 3. 3. 2. Die Ausbreitung des Christentums anhand von Selbstaussagen

441 442 452

- 11 3. 3. 3. Das Christentum als Förderer des Staates 4S9 3. 3. 4. Die Verbindung von heilsgeschichtlichem und politischem Fortschritt bei Origenes und Arnobius . . 468 3. 3. 4. 1. Origenes 468 3. 3. 4. 2. Arnobius 479 3. 3. 5. Z u s a m m e n f a s s u n g 483 4. Heilsgeschichte und politischer Fortschritt bei Laktanz und Eusebius

48S

4. 1. Laktanz 4 . 1 . 1. Neuheitsapologetik und Heilsgeschichte 4. 1. 2. Urzeit und Kulturgeschichte 4. 1. 3. Die Rolle Roms innerhalb der Endzeit

486 486 495 506

4. 2. Eusebius von Cäsarea 4. 2. 1. Der christliche Fortschrittsgedanke als Antwort auf den paganen Neuheitsvorwurf 4. 2. 2. Das Christentum als Fortschritt gegenüber dem Judentum 4. 2. 3. Kulturgeschichte und jüdisches Gesetz als praeparatio evangelica 4. 2. 4. Der Fortschrittsgedanke als Modell zur Deutung der Gegenwart

517 518 523 533 541

4. 3. Die politischen Folgen: Die "Konstantinische Wende" als Ideologisierung des christlichen Fortschrittsdenkens 4. 4. Z u s a m m e n f a s s u n g

553 566

5. G e s a m t z u s a m m e n f a s s u n g

569

6. Christentum und Fortschritt heute — ein Fazit

575

English Summary

581

Bibliographie

593

Stellenregister Sachregister Register der hebräischen Begriffe und W e n d u n g e n Register der griechischen Begriffe und Wendungen Register der lateinischen Begriffe und W e n d u n g e n

641 664 696 697 699

Terminologische und bibliographische Vorbemerkungen

1. Im folgenden wird des öfteren von "großkirchlichem" bzw. "häretischem" Christentum gesprochen. Angesichts der derzeit wieder lebhaft geführten Diskussion um die Frage der (Selbst-)Definition des Christentums in der Alten Kirche1 ist es ratsam, vorab folgende terminologische Vereinbarung zu treffen: Als Christentum bezeichne ich in Anschluß an eine Definition von Han J. W. Drijvers2 rein deskriptiv die Gesamtheit aller Interpretationen von Person und Werk Jesu von Nazareth. Von Großkirche ("Orthodoxie") kann man historisch m. E. frühestens ab dem Ende des vierten Jahrhunderts sprechen.3 Was den im folgenden im Vordergrund stehenden Zeitraum anbetrifft, wird der Terminus faute de mieux anachronistisch gebraucht, bezeichnet gleichwohl aber den Traditionszusammenhang, aus dem die Orthodoxie später hervorgegangen ist. Umgekehrt meint der Begriff Häresie all die Traditionen, gegen die sich die Großkirche abgrenzt. Damit sind ausdrücklich keine theologischen Vorentscheidungen getroffen. 2. Ebenso beinhalten die Termini pagan/heidnisch bzw. Heidentum keine Wertung, sondern meinen einfach alle nichtjüdischen und nichtchristlichen Religionen und Kulte. Die Bezeichnungen griechisch/griechisch-römisch/Griechentum (namentlich in Kap. 3.2.) sind nicht ethnisch zu verstehen, sondern meinen Kulturkreise: "Griechische Kulturentwicklungslehren" sind demnach Theorien, die griechischsprachiger paganer Literatur entstammen. 3. Auch was die Termini Judentum und Christentum anbetrifft, so gilt sinngemäß das unter 1. Gesagte. Wenn im folgenden häufig von Abgrenzungen des Christentums gegenüber dem Judentum die Rede ist, so ist damit allein das Selbstverständnis der antiken christlichen Autoren bezeichnet. Hingegen soll nicht der Eindruck erweckt werden, als habe es sich — aus der historischen Distanz betrachtet — um ein einseitiges Geschehen gehandelt. Vielmehr haben uns neuere Forschungen gelehrt, daß das, was wir heute Judentum und Christentum nennen, das Ergebnis

1

V g l . ζ . B. l e B o u l l u e c 198S; B r o x 1986, b e s . S p . 290-295; C a l l a n 1986; W i l l i a m s 1989; C o l p e 1990; K r e t s c h m a r 1990; T a y l o r 1990; Α . M . R i t t e r , C h r y s o s t o m u s , 1990; d e r s . , G r u n d l a g e n 1990(1993); K i n z i g , N o n - s e p a r a t i o n , 1991; Α . M . R i t t e r , " O r t h o d o x i e " , 1993.

2

D r i j v e r s 1974(1984), S. 291f; v g l . a u c h E b e l i n g

3

Zur Begründung

1947(1964).

v g l . K i n z i g , N o n - s e p a r a t i o n , 1991, S. 27-29.

14

eines lang andauernden und in d e n Einzelheiten überaus komplexen gegenseitigen Abgrenzungsprozesses ist. 4 4. Altes Testament und Neues Testament bezeichnen die entsprechenden Teile des biblischen Kanons, altes Testament bzw. neues Testament hingegen theologische Modelle des Heilshandelns Gottes. 3 5. Die Quellenzitate sind in d e r Form gegeben, die die Editionen bieten. Die daraus resultierende Uneinheitlichkeit in d e r Orthographie (ζ. B. v-u-Schreibweise im Lateinischen, Groß-/Kleinschreibung von nomina sacra, variierende Interpunktionsregeln) habe ich um der Zitattreue willen in Kauf genommen. Die Quellen werden nach (Buch), Kapitel und gegebenenfalls Paragraph zitiert; in Klammern folgt der Name des Herausgebers bzw. im Falle von PL/PG und CChr.SG/CChr.SL die Nummer des Bandes, die Seitenzahl und gegebenenfalls die Zahl der Zeile, wobei diese Form der Zitierung auch dann beibehalten wurde, wenn die Editoren die Zeilen nicht nach der Seite, sondern nach dem Kapitel bzw. Paragraphen zählen. 6. Alle Übersetzungen der Quellen sind, sofern nicht anders angegeben, meine eigenen. Die Bibelzitate sind überwiegend der Einheitsübersetzung entnommen. 7. Bei der Schreibweise der Eigennamen wurde im allgemeinen der lateinischen Form der Vorzug gegeben, sofern dies vertretbar war. In Fällen, in denen die griechischen (ζ. B. Arkesilaos) oder eingedeutschten (ζ. B. Irenaus, Konstantin) Namensformen gebräuchlicher sind, wurden diese beibehalten. 8. Die Sekundärliteratur zum Fortschrittsbewußtsein in d e r Antike habe ich s o vollständig wie möglich verzeichnet und ausgewertet. Die übrige Forschung, etwa zu einzelnen Autoren, konnte n u r in Auswahl berücksichtigt werden. Abgesehen von den Standardwerken verweise ich in den Fußnoten vor allem auf Arbeiten neueren Datums, die die weiterführende Literatur erschließen. Die Werke werden mit Verfassernamen und Erscheinungsdatum zitiert; die vollständigen Titel finden sich in der Bibliographie am Ende des Bandes. Bei mehreren Auflagen eines Werkes oder Abdrucken eines Aufsatzes wird, wenn in der Bibliographie nicht anders angegeben, nach der Letztveröffentlichung zitiert (in der Fußnote in Klammern beigefügt). 9. Antike Autoren und Werke habe ich sinngemäß abgekürzt. Alle übrigen Abkürzungen folgen, sofern nicht aus sich verständlich, dem Abkürzungsverzeichnis d e r Theologischen Realenzyklopädie, h g . von Siegfried Schwertner, Berlin/New York 1976.

* Vgl. dazu (198S);

etwa

Sanders

u. a. 1980-82; N e u s n e r / F r e r i c h s

Richardson/Wilson

1986;

F r o h n h o f e n 1990; Dunn 1992. 5

Vgl. auch unten S. Ulf.

Pawlikowski

1988;

1985; AF

Kretschmar

S3/1 1990;

1. Einleitung 1. 1. Das Problem In s e i n e m Beitrag z u m Artikel "Fortschritt" in den "Geschichtlichen G r u n d b e g r i f f e n " stellt Christian Meier f ü r die pagane Antike lapidar f e s t : "Nie hat sich ein F o r t s c h r i t t s b e g r i f f gebildet." 1 Vielmehr s e i Fortschritt "eine rein deskriptive, s a c h g e b u n d e n e F e s t s t e l l u n g " geblieben: "Alle F o r t s c h r i t t s w a h r n e h m u n g bleibt eng a n Empirie in einer n u r b e s c h r ä n k t sich w a n d e l n d e n G e s e l l s c h a f t g e b u n d e n und bezieht sich in der Regel m e h r auf Vergangenheit und Gegenwart als a u f Z u k u n f t . " 2 Meier grenzt davon a u s d r ü c k l i c h das F o r t s c h r i t t s d e n k e n der Christen a b und b e t o n t einige Seiten später, daß "ein völlig neues F o r t s c h r i t t s v e r s t ä n d n i s [...] dann in Teilen der christlichen Literatur a n z u t r e f f e n sei", 3 d a s e r vor allem in der A u s b i l d u n g der Idee der m o r a l i s c h e n V e r v o l l k o m m n u n g der ganzen W e l t sieht. 4. W ä h r e n d die Frage, o b e s d e n n in der Antike ein F o r t s c h r i t t s d e n k e n gegeben habe oder nicht, bereits m e h r f a c h s a c h k u n d i g e Bearbeiter g e f u n d e n h a t , s s t e h t eine z u s a m m e n f a s s e n d e D a r s t e l l u n g des christlichen F o r t s c h r i t t s d e n k e n s d e r e r s t e n J a h r h u n d e r t e , o b w o h l s c h o n 19S1 v o n T h e o d o r E. M o m m s e n a l s Desiderat d e r F o r s c h u n g b e k l a g t , 6 i m m e r noch aus. 7 Dies i s t u m s o erstaunlicher, a l s sich die Reaktion d e r Kirche auf das, w a s m a n gemeinhin "Konstantinische W e n d e " nennt, o h n e eine Analyse des F o r t s c h r i t t s g e d a n k e n s , wie e r vor allem im dritten und zu Beginn d e s vierten J a h r h u n d e r t s ausgebildet wurde, ü b e r h a u p t nicht zureichend v e r s t e h e n läßt. Dies s e i a n zwei Beispielen d a r g e t a n : Eine der h e f t i g s t e n Attacken a u f das r ö m i s c h e Reich findet sich b e i d e m griechisch s c h r e i b e n d e n Hippolyt von Rom a n der W e n d e v o m zweiten z u m dritten J a h r h u n d e r t . E r sieht in J e s 47,1-15 das z u k ü n f t i g e Schicksal des I m p e r i u m s vorgezeichnet:

1

Koselleck/Meier

2

Ebenda, S. 354.

1975, S. 353.

3

Ebenda, S. 361.

4

Vgl. ebenda, S. 362.

5

Siehe den Forschungsiiberblick

6

Mommsen 1951, S. 3S6: "A systematic treatment of this complex does not yet exist and it cannot be given in a brief essay."

7

Zu den Vorarbeiten vgl. unten den

unten Kap. 1.2.

Forschungsiiberblick.

topic

16

-

"Herunter, setze dich auf die Erde, du Jungfrau, Tochter Babylons, setze dich, Chaldäertochter. Nicht mehr wird man dich nennen die Zarte und Verwöhnte. [...] Aufgedeckt werden soll deine Blöße und sichtbar werden deine Schande. [...] Nicht mehr wird man dich Kraft der Herrschaft nennen. [...] Du sprachst: 'In Ewigkeit werde ich herrschen' und dachtest nicht an das Ende. Nun aber höre es, du Verwöhnte, die du selbstgewiß thronest und in deinem Herzen sprichst: 'Ich bin da und außer mir niemand. Nicht werde ich als Witwe sitzen und Kinderlosigkeit nicht kennen.' Nun aber wird über dich beides kommen an einem Tage, Witwenschaft und Kinderlosigkeit wird plötzlich über dich kommen, trotz deinem Zauber, trotz der Kraft deiner Sprüche, trotz dem Vertrauen auf deine Bosheit. [...] Und es wird über dich Verderben kommen, und du wirst dich dessen nicht versehen. [...] Und es wird Drangsal über dich kommen, und du wirst nicht rein werden können" (c/e antichr. 34 f). 8 Ein gutes Jahrhundert später verfaßt ein anderer griechischer Christ, Eusebius von Cäsarea, eine Kaiserbiographie, in der sich folgende Worte finden: "Durch hochherzige Wohltaten fesselte er [sc. Konstantin] seine Freunde an sich; als Herrscher gab er nun menschenfreundliche Gesetze und bewirkte so, daß seine Regierung allen Untertanen mild und überaus wünschenswert schien, bis schließlich Gott, der von ihm allzeit verehrt worden war, den durch göttliche Kämpfe lange Jahre ermüdeten Streiter mit dem Siegespreis der Unsterblichkeit krönte und ihn aus der irdischen Herrschaft zum ewigen Leben aufnahm, das er den heiligen Seelen bei sich bereitet hat. Da er ihm aber auch drei Söhne als Nachfolger in der Herrschaft erweckt hatte, blieb die kaiserliche Würde, wie sie auch auf ihn von seinem Vater übergegangen war, nach dem

8

Κατάβηθι, χάθισον έπϊ γης, παρθένος θΰγατερ Βαβυλωνος, κάθισον, θ υ γ ά τ η ρ Χ α λ δ α ί ω ν , οΰκέτι προστεθήση κληθ?[ναι ά π α λ ή καϊ τρυψεά. [...] ά ν α κ α λ υ ψ Φ ή σ ε τ α ι ή α ι σ χ ύ ν η σ ο υ , κοανφ μνημείψ) und L k 12,33: " n i c h t alt w e r d e n d e = nicht v e r s c h l e i ß e n d e G e l d b e u t e l " ( β α λ λ ά ν τ ι α μή π α λ α ι ο ύ μ ε ν α ) . U n k l a r ist M t 13,52; d a z u S e e s e m a n n 1954, S. 715.

M k 1,27; v g l . f e r n e r J o h 7,46 und d i e S t e l l e n in d e r f o l g e n d e n A n m e r k u n g . Z u r F r a g e nach d e r V o l l m a c h t v g l . M k 6,l-6a p a r r M t 13,54-58/ L k 4,16-30; M k 11,27-33 par M t 21,23-27/Lk 20,1-8. 100 v g l . z. B. M k 1,27 ( έ θ ρ α μ β ή θ η σ α ν ) ; M k 1,22 ( έ ξ ε π λ ή σ σ ο ν τ ο ) p a r M t 7 , 2 8 / L k 4,32; M k 10,24 ( έ θ α μ β ο ΰ ν τ ο ) par M t 19,25 (έξεπλήσσοντο); 22,33 ( d t o . ) ; A c t 13,12 ( έ κ π λ η σ σ ό μ ε ν ο ς ) . 99

101

V g l . Lk

102

Έ π ι λ α β ό μ ε ν ο ί τε αΰτοΟ έπί τ ό ν " Α ρ ε ι ο ν π ά γ ο ν { ( γ α γ ο ν λ έ γ ο ν τ ε ς - δ υ ν ά μ ε θ α γ ν ω ν α ι τ ί ς ή κ α ι ν ή αίίτη ή ϋπο σοΰ ΧαΧαυμένη διδαχή; ξ ε ν ί ζ ο ν τ α γ ά ρ τ ι ν α ε ι σ φ έ ρ ε ι ς εις τ ά ς ά κ ο ά ς ήμων- β ο υ λ ό μ ε θ α ο δ ν γ ν Ω ν α ι τ ί ν α θ έ λ ε ι τ α ΰ τ α ε ί ν α ι . " Α θ η ν α ί ο ι δε π ά ν τ ε ς καΐ ol έπιδημοΟντες ξ έ ν ο ι είς οΟδέν

4,16-30.

103 1. 2. Im johanneischen Schrifttum wird das Unerhörte, das Christus gebracht hat, stärker ethisch gefaßt und auf das Halten seines Gebotes (εντολή) bezogen, das in der sich von der Liebe Christi herleitenden Bruderliebe besteht. Joh 13,34 f geht sogar so weit, dies als das entscheidende Kennzeichen des Christseins zu proklamieren. 1 0 3 Uneinigkeit besteht allerdings in den diesem Traditionskreis ("Schule") zuzurechenden Schriften hinsichtlich des Alters dieser Εντολή. In der möglicherweise frühesten 1 0 4 Stelle II Joh 5f wird das Gebot "nicht als neues" bezeichnet, sondern als "das, das wir von Anfang hatten": "Und so bitte ich dich, Herrin, nicht als wollte ich dir ein neues Gebot schreiben, sondern nur das, das wir von Anfang hatten: daß wir einander lieben sollen. Denn die Liebe besteht darin, daß wir nach seinen Geboten leben. Das Gebot, das ihr von Anfang an gehört habt, lautet: Ihr sollt in der Liebe leben." 1 0 5 Mit dem "Anfang" ist hier die "Lehre Christi" (v. 9 διδαχή Χρίστου) gemeint, die für den Autor bereits normativen Charakter hat und gegen die Neuerer in der Gemeinde, die über die Tradition hinaus "fortschreiten" (v. 9 προάγων), ins Feld geführt wird. Dieser Traditionsbeweis wird auch aufgegriffen in dem möglicherweise späteren ersten Brief (I Joh 2,7f): Auch hier wird das άπ' άρχής des Gebotes betont, daneben aber auch seine "Neuheit", die hier vermutlich — aufgrund des in v. 8b Gesagten — weniger geschichtlich als vielmehr im Sinne der alttestamentlich-jüdischen Tradition eschatologisch zu verstehen ist: "Liebe Brüder, ich schreibe euch kein neues Gebot, sondern ein altes Gebot, das ihr von Anfang hattet. Das alte Gebot ist das Wort, das ihr gehört habt. Und doch schreibe ich euch ein neues Gebot, etwas, das in ihm und in euch verwirklicht ist; denn die Finsternis geht vorüber, und schon leuchtet das wahre Licht." 1 0 6 έ τ ε ρ ο ν η ΰ κ α ί ρ ο υ ν η λ έ γ ε ι ν τι 5ΐ ά κ ο ύ ε ι ν τι κ α ι ν ό τ ε ρ ο υ . Z u r a t t i z i s t i s c h e n R e d e w e l s e τι κ α ι ν ό τ ε ρ ο υ ; v g l . d i e B e l e g e b e i N o r d e n 1913, S . 3 3 3 - 3 3 5 . 1 0 3

Zum Folgenden

1 0 4

Z u m P r o b l e m der Datierungen vgl. ebenda, S. 19-28. S t r e c k e r geht v o n f o l g e n d e r R e i h e n f o l g e a u s : I I , I I I J o h ( u m lOO o d e r s p ä t e r ) -» I J o h , J o h (erste H ä l f t e des zweiten Jahrhunderts). A n d e r s jetzt wieder Klauck, der den Grundbestand des J o h dem I Joh vorordnen m ö c h t e ( v g l . 1991, S . 4 2 - 4 7 ) . E r d a t i e r t I J o h i n s b e g i n n e n d e z w e i t e Jahrhundert (ebenda, S. 49).

v g l . v. a. S t r e c k e r

1989, S.

328-332.

1 0 5

Κ α ι ν υ ν έ ρ ω τ ω σε, κ υ ρ ί α , ο ϋ χ ώ ς έ ν τ ο λ ή ν κ α ι ν ή ν γ ρ ά φ ω ν σοι ά λ λ ά 5ϊν εΓχομεν άπ' ά ρ χ ? ( ς , ϊ ν α ά γ α π ω μ ε ν ά λ λ ή λ ο υ ς . κ α ι αίίτη έατίν ή ά γ ά π η , ί ν α π ε ρ ι π α τ Ω μ ε ν κ α τ ά τ ά ς έ ν τ ο λ ά ς αύτοΰ- α ϋ τ η ή έ ν τ ο λ ή έ σ τ ι ν , κ α θ ώ ς ή κ ο ύ σ α τ ε άπ' άρχτ^ς, Γνα έν αϋτ^ί π ε ρ ι π α τ ά τ ε .

106 ' Α γ α π η τ ο ί , ο ΰ κ έ ν τ ο λ ή ν κ α ι ν ή ν γ ρ ά φ ω ΰμΤν ά λ λ ' έ ν τ ο λ ή ν π α λ α ι ά ν Ijv εΓχετε άπ' ά ρ χ ή ς - ή έ ν τ ο λ ή ή π α λ α ι ά έστιν ά λ ό γ ο ς δν ή κ ο ύ σ α τ ε . π ά λ ι ν

- 104 In Joh 13,34 f wird das Gebot der Bruderliebe schließlich nur noch als ein "neues" bezeichnet, da der Verfasser von Joh ja gerade die άρχή des Gebotes beschreibt: "Ein neues Gebot gebe ich euch: Liebt einander! Wie ich euch geliebt habe, so sollt auch ihr einander lieben. Daran werden alle erkennen, daß ihr meine Jünger seid: wenn ihr einander liebt." 107 Auch wenn wir Uber die für die johanneischen Schriften vorauszusetzenden Gemeindesituation(en) fast nichts wissen, so sind die angeführten Stellen deshalb für unseren Zusammenhang von besonderer Bedeutung, weil sich im Verhältnis von II Joh S und Joh 13,34 f bereits die Dialektik von Neuheitsbewußtsein und Traditionsbeweis abzeichnet, die für die Kirche des späteren zweiten Jahrhunderts so wichtig werden soll. 1. 3. Daß diese Neuheit wiederum in direktem Gegensatz zur vorausgehenden Tradition steht, wird anhand der Fastenfrage deutlich. 108 Im Unterschied zu den Jüngern des Johannes und den Pharisäern fasten Jesus und seine Jünger nicht. Das tertium comparationis der in diesem

έ ν τ ο λ ή ν κ α ι ν ή ν γ ρ ά φ ω ΟμΤν, δ έστιν άληθ-ές έν α ύ τ φ κα£ έν ύ μ ΐ ν , 8 t l ή σ κ ο τ ί α π α ρ ά γ ε τ α ι κ α ι το φ ω ς τ ο άληθ-ινον ηδη φαίνει. E s s c h e i n t s i c h hierbei u m eine Variante des s o g e n a n n t e n R e v e l a t i o n s s c h e m a s zu hand e l n . D a z u m e h r u n t e n S. 2 0 8 m i t A n m . 25. 107

Έ ν τ ο λ ή ν κ α ι ν ή ν δίδωμι ϋμΤν, ί ν α ά γ α π α τ ε α λ λ ή λ ο υ ς , κ α θ ώ ς ήγάπησα Ομας ϊ ν α κ α ι ΟμεΤς ά γ α π δ τ ε άΧΧήΧους. έν τ ο ύ τ ψ γ ν ώ σ ο ν τ α ι π ά ν τ ε ς δτι έμοϊ μ α θ η τ α ί έστε, ε ά ν ά γ ά π η ν Ρχητε έν α λ λ ή λ ο υ ς . V g l . 15,12f.l7. Ich b i n m i r nicht s i c h e r , o b m a n a u c h hier e s c h a t o l o g i s c h e Konnotationen v o r a u s s e t z e n m u ß , w i e dies die K o m m e n t a r e üblicherweise tun. A u ß e r der unwichtigen Stelle 19,41 k o m m t die Wortgruppe κ α ι ν ό ς κ . τ. X. i n J o h n i c h t v o r . D a Joh j a g e r a d e die " U r s p r u n g s g e s c h i c h t e " erzählt, l a s s e n sich von hier aus m. E. keine R ü c k s c h l ü s s e a u f die Priorität v o n Joh g e g e n ü b e r I J o h z i e h e n ( g e g e n K l a u c k 1991, z. S t . ) . K l a u c k s c h r e i b t f e r n e r : " D e r R ü c k g r i f f auf die Traditionen des U r s p r u n g s steht — w i e i m m e r wieder im Verlauf der späteren Theologie- und Kirchengeschichte — im Dienst der A u s g r e n z u n g von Gegnern, denen der VerfCasser] g e f ä h r l i c h e N e u e r u n g e n u n t e r s t e l l t ( v g l . ihr ' V o r a n s c h r e i t e n * in 2 J o h 9 ) . D a s A l t e ist d a s B e w ä h r t e u n d W a h r e , a n i h m s o l l m a n sich o r i e n t i e r e n . " D a s ist o h n e Z w e i f e l e i n e m ö g l i c h e I n t e r p r e t a t i o n . D o c h k ö n n t e e s nicht a u c h u m g e k e h r t sein, d a ß s i c h d e r V e r f a s s e r von I J o h g e g e n d e n N e u e r u n g s v o r w u r f verteidigen m u ß u n d deshalb das A l t e r der Lehre betont? V g l . dazu auch das, w a s Klauck ü b e r die A b f a s s u n g s v e r h ä l t n i s s e v o n I J o h s a g t ( e b e n d a , S. 3 2 - 3 4 ) .

108

M k 2,18-22 p a r r M t 9,14-17/Lk S.36-39. I c h b e t r a c h t e n u r d i e r e d a k t i o n e l l e n E n d f a s s u n g e n . Z u m P r o b l e m , o b M k 2,21f u n d d i e v o r a n g e h e n d e n V e r s e u r s p r ü n g l i c h z u s a m m e n g e h ö r t e n , v g l . ζ. B. S e e s e m a n n 1954, S. 714 f .

105 Zusammenhang angeführten Bildworte vom Kleid und dem neuen Wein besteht in dem Gegensatz von "altem" Fasten (als Ausdruck traditioneller Religiosität) und d e r "neuen" Gegenwart d e s Bräutigams Christi: Durch das Kommen Christi hat sich die Situation grundsätzlich verändert. Seine Gegenwart ist kein Anlaß zur Trauer, sondern z u r Freude, zu der das Fasten nicht paßt. Wichtig ist in diesem Zusammenhang, daß die Neuheit nur relativ ist: Das Fasten ist nicht grundsätzlich aufgehoben, sondern nur für die Zeit der Gegenwart des Bräutigams. 1 0 9 "Insofern ist das Fasten Ausdruck der Trauer in der Zeit der Abwesenheit des Bräutigams." 1 1 0 Dabei sind die Akzentverschiebungen zu beachten. Während Markus ganz darauf abstellt, daß eine neue Situation neue Verhaltensregeln notwendig macht, setzt Matthäus bereits hinzu " ... dann bleibt beides erhalten" (και αμφότεροι συντηροΰντοα), stellt also "alten" und "neuen" Wein gewissermaßen gleichberechtigt nebeneinander. Geradezu umgedreht wird die Pointe des Bildwortes von Lukas durch den Zusatz v. 39: "Und niemand, der alten Wein getrunken hat, will neuen; denn er sagt: Der alte Wein ist besser." 1 1 1 Lukas orientiert sich hier deutlich an hellenistischer Redeweise. 1 1 2 Unklar ist, warum Lukas dies ergänzt hat. Weil er die ihm vorliegende Tradition a l s anstößig empfand? Oder, was angesichts von Parallelen wie II Joh 5-7 wahrscheinlicher ist, weil es in der lukanischen Gemeinde "Neuerer" gab, die sich auf dieses Herrenwort beriefen? (Dann wären auch bei Lukas hier die ersten Ansätze f ü r einen Traditionsbeweis spürbar.) 1 1 3 2. Eine zweite Gruppe von Aussagen zur Neuheit bezieht sich auf die durch die Sakramente, vor allem durch die Taufe, bewirkte Neuschöpfung des Menschen. Dies gilt insbesondere f ü r die paulinischen und deuteropaulinischen Schriften. Locus classicus ist dabei Rom 6,1-11: Die Taufe stellt eine Verbindung her zwischen Christus und dem einzelnen Gläubigen. Sie ist der Nachvollzug von Kreuzigung und Auferstehung,

109

Vgl. Mk 2,20 parr Mt 9,15b/Lk 5,35.

110

Baumgarten 1981, Sp. 565.

111

CKaU ουδείς πιών iOTLV.

112

Vgl. die Parallelen bei Wettstein 1751/52(1962), unten S. 341. Dazu aber auch bBer Sla.

113

Denkbar wäre auch, daß der Vers ein späterer Zusatz ist. (Der Codex Bezae Cantabrigiensis, die Vetus Latina, Marcion, Irenaus und noch Eusebius bieten ihn bekanntlich nicht.) Dann könnte seine Einfügung auch antimarcionitischen Ursprungs sein (vgl. Tert., adv. Marc. 4,9-12 und weiter unten S. 138-140.) Zu Marcion vgl. auch Harnack, Marcion, 1924, S. 261*.

παλαιόν θέλει. νέον- λέγει

γάρ-

ö παλαιός I,

ζ. St.

χρηστός

Vgl.

auch

106 nun theologisch gedeutet auf die Kreuzigung des "alten" und die Auferstehung des "neuen" Menschen. Dies führt gleichzeitig z u r Befreiung vom Gesetz und zum Dienst "in d e r neuen Wirklichkeit d e s Geistes, nicht mehr in d e r alten d e s Buchstabens" (Rom 7,6: έν καΐΛΐότητι πνεύματος και ού παλακδτητι γράμματος). Oder, mit d e n Worten von II Kor S,17: "Wenn also jemand in Christus ist, dann ist er eine neue Schöpfung: Das Alte ist vergangen, Neues ist geworden." 1 1 4 Was die Heilsprophetie des Alten Testamentes f ü r die Zukunft angesagt hatte, 1 1 5 ist f ü r Paulus in Christus realisiert. "Neuschöpfung ist d a s herrliche Ende der Heilsoffenbarung Gottes, das Hochziel urchristlicher Hoffnung, das aus der Heilszukunft schon in die Gegenwart der Christen auf der alten Erde hineinleuchtet, weil sie durch Christus Heilsgegenwart geworden ist." 1 1 6 Dadurch ist d a s in Christus angebrochene Neue geschichtlich zu verorten: Es gibt ein "davor" — das Alte, d a s seine Gültigkeit verloren hat — und ein "danach" — die in Christus angebrochene Endzeit. 1 1 7 Dieses Verständnis d e r Spannung zwischen "alt" und "neu" ist nicht nur nicht progressiv, sondern ausgesprochen anti-dynamisch: "Nicht irgendetwas, d a s auch schnell wieder veralten kann, sondern etwas endgültig Neues ist geworden (γέγονεν καινά); das, was als zukünftiges Heil erwartet wurde, ist da." 1 1 8 Aus dem Indikativ der Neuschöpfung durch die Taufe folgt f ü r Paulus der Imperativ der sittlichen Erneuerung der Gläubigen. 1 1 9 Eph 4,22-24 und Kol 3,9f klingen zwar in d e r Terminologie ganz ähnlich; doch liegt ein anderer Gedankenkreis vor als in II Kor 5,17: "Legt den alten Menschen ab, der in Verblendung und Begierde zugrunde geht, ändert euer früheres Leben, und erneuert euren Geist und Sinn! Zieht den neuen Menschen an, d e r nach dem Bild Gottes geschaffen ist in wahrer Gerechtigkeit und Heiligkeit." "Belügt einander nicht; denn ihr habt den alten Menschen mit seinen Taten abgelegt und seid zu einem neuen Menschen ge-

114 "Ωστε εΓ τις έν Χριστφ, καινή κτίσις· τά άρχαΐα παρϊϊΧθεν, Ιδού γέγονεν καινά. Damit verwandt ist die Vorstellung der Verjüngung in der Taufe; vgl. Harnack 1918; Gnilka 1983, bes. Sp. 1085-1087. 113

Vgl. oben S. 92ff und Baumgarten 1981, Sp. S66f.

116

Behm 1938, S. 4SI.

117

Vgl. Wolf

118

Ebenda, S. 512.

119

Vgl. Rom 12,2; II Kor 4,16. Vgl. auch den A u f r u f des Paulus an die Korinther in I Kor 5,6-8, ein "neuer, f r i s c h e r Teig" (τό νέον φύραμα) zu werden und den alten Sauerteig (ή παλαιά ζύμη) f o r t z u s c h a f f e n (dazu auch Behm 1942, S. 902). Ferner Stegemann 1977, S. 518ff.

1946/47(1963), S. 143; Stegemann 1977, S. S12f.

107

worden, der nach dem Bild seines Schöpfers erneuert wird, um ihn zu erkennen." 120 Im Gegensatz zu II Kor 5,17 (und Rom 6) ist hier eine restitutio ad integrum gemeint, die Wiederherstellung des Menschen vor dem Fall, die sich in der Taufe vollzieht. Während Eph stärker Imperativisch argumentiert, 121 ist in Kol, wo dieser ethische Aspekt keineswegs fehlt, der Zusammenhang mit dem neuen Sein in der Taufe unverkennbar. 122 Der Imperativ zum sittlichen Handeln ist im Indikativ des Taufgeschehens begründet. Damit wird zwar einerseits auch an die alttestamentlich-jüdische Rede von der "neuen Schöpfung" angeknüpft, andererseits durch die ausdrückliche Anspielung auf Gen l,26f diese neugefaßt: Es geht nicht um eine neue, d. h. zweite Schöpfung, sondern um ein Ungeschehenmachen des Falles. Diese Wiederherstellung des Urstandes vollzieht sich in der Taufe, die eine "Erneuerung" (άνακαινουσθαι, passivisch!), d. h. die Rückkehr zum Urzustand darstellt, aus der dann sittliches Handeln erwächst. In Eph hingegen ist die Rückkehr zum Urzustand eine Folge des sittlichen Handelns (άνανεοΐίσθοα wohl medial zu verstehen), die allerdings durch die Taufe ermöglicht wird (vgl. 4,5). 123 Auch das christliche Neuheitsbewußtsein späterer Jahrhunderte wird sich zwischen diesen beiden Polen bewegen: der Vorstellung des Christseins als einer zweiten Schöpfung, die die alte aufhebt, und dem Gedanken der Wiederherstellung des Urzustandes. Nun wird die Neuschöpfung des Menschen in der Taufe von Paulus und in der von ihm beeinflußten Theologie nicht nur individualistisch gedacht, sondern hat auch Auswirkungen in den gesellschaftlichen und

120

... άπσΦέσθ-αι ύμας κατά την προτέραν άναστοφήν τον παλαιόν ό ί ν θ ρ ω π ο ν τ ο ν ψ θ ε ι ρ ό μ ε ν ο ν κ α τ ά τ ά ς έ π ι θ υ μ ί α ς τ?[ς ά π α τ η ς , ά ν α ν ε ο ΰ σ θ α ι Βέ τ φ π ν ε ύ μ α τ ι τ ο ΰ ν ο ό ς ϋμων κ α ι ένδυσασ-9-αι τ ό ν κ α ι ν ό ν ίίν·&ρωπον τ ό ν κ α τ ά θ ε ό ν κ τ ι σ θ έ ν τ α έ ν δ ι κ α ι ο σ ύ ν η καϊ δ α ι ό τ η τ ι τί)ς ά λ η θ ε ί α ς . Μ ή ψεύδεσθε ε ί ς άΧΧήΧους, ά π ε κ δ υ σ ά μ ε ν ο ι τ ό ν ταΤς π ρ ά ξ ε σ ι ν αύτοΟ κ α ι έ ν δ υ σ ά μ ε ν ο ι τ ό ν ν έ ο ν έ π ί γ ν ω σ ι ν κατ* ε ι κ ό ν α τοΟ κ τ ί σ α ν τ ο ς α ύ τ ό ν ...

παλαι,όν δ ν θ ρ ω π ο ν τόν άνακαινούμενον

σύν ε[ς

121

D a z u B e h m 1940, S. 9 0 4 .

122

Daß hier tatsächlich T a u f t h e o l o g i e v o r l i e g t , e r g i b t sich aus dem Z u s a m m e n h a n g v o n K o l 3,3 m i t R o m 6,4 ( v g l . a u c h S e e s e m a n n 19S4, S. 716; H a a r b e c k 1967, S. l O f ; S c h n e i d e r 1981, S p . 1139). G a n z ä h n l i c h a u c h T i t 3,S, w o d i e T a u f e a l s " B a d d e r W i e d e r g e b u r t u n d E r n e u e r u n g d u r c h d e n h e l l i g e n G e i s t " b e z e i c h n e t w i r d C ... £ σ ω σ ε ν ήμ8ς διά ΧουτροΒ π α λ ι γ γ ε ν ε σ ί α ς κ α ι ά ν α κ α ι ν ώ σ ε ω ς π ν ε ύ μ α τ ο ς ά γ ί ο υ ... ) .

123

D i e W ö r t e r i m N e u e n T e s t a m e n t nur h i e r B e h m 1938, S. 4 5 4 ) . V g l . a u c h II P e t r 1,9: die Reinigung v o n den früheren Sünden αϋτονϋ α μ α ρ τ ι ώ ν ) . Z u ά ν α κ α ι ν ί ζ ε ι ν in H e b r H a r r i s v i l l e 1955, S. 7 6 f .

u n d II K o r 4,16 ( d a z u a u c h In d e r T a u f e v o l l z i e h t s i c h (τοΰ καθαρισμοί) τ ω ν π ά λ α ι 6,6 v g l . B e h m 1938, S. 453;

108 politischen Bereich hinein, indem sie bestehende soziale Grenzen überwindet: "Gott hat alle in den Ungehorsam eingeschlossen, um sich aller zu erbarmen" (Rom 11,32).124 Dies entfaltet Paulus in zweierlei Hinsicht: 2. 1. W o es Paulus um den aufgehobenen Gegensatz zwischen Juden und Nichtjuden geht, herrscht ein Schema vor, bei dem die Aufhebung des Gesetzes im Vordergrund steht. Besonders deutlich wird das gegenüber den Galatern, bei denen sich eine judenchristliche Gruppe durchzusetzen versucht, die das Gesetz auch für Christen verpflichtend machen will (vgl. 5,1): "Wir aber erwarten die erhoffte Gerechtigkeit kraft des Geistes und aufgrund des Glaubens. Denn in Christus Jesus kommt es nicht darauf an, beschnitten oder unbeschnitten zu sein, sondern darauf, den Glauben zu haben, der in der Liebe wirksam ist" (Gal 5,5f). 12S "Denn es kommt nicht darauf an, ob einer beschnitten oder unbeschnitten ist, sondern darauf, daß er neue Schöpfung ist" (Gal 6,15).126 Nicht das Halten des Gesetzes, sondern die "neue Schöpfung", das heißt, die Übereignung an Christus in der Taufe, ist das Entscheidende. Grundsätzlich ist diese Überwindung der Trennung zwischen Juden und Nichtjuden im Epheserbrief formuliert: "Erinnert euch also, daß ihr einst Heiden wart und von denen, die äußerlich beschnitten sind, Unbeschnittene genannt wurdet. Damals wart ihr von Christus getrennt, der Gemeinde Israels fremd und von dem Bund der Verheißung ausgeschlossen; ihr hattet keine Hoffnung und lebtet ohne Gott in der Welt. Jetzt aber seid ihr, die ihr einst in der Ferne wart, durch Christus Jesus, nämlich durch sein Blut, in die Nähe gekommen. Denn er ist unser Friede. Er vereinigte die beiden Teile (Juden und Heiden) und riß durch sein Streben die trennende Wand der Feindschaft nieder. Er hob das Gesetz samt seinen Geboten und

24

ΣυνέκΧεισεν γ α ρ 6 θ ε ό ς τ ο υ ς ττάντας είς έ λ ε ή σ η . V g l . a u c h G a l 3,22; I T i m 2 , 4 . Zum

Folgenden

1923, S.

v . a. H a r n a c k ,

Mission,

1924,

I, S .

ίνα

χους

πάντας

261f

und

Jiithner

89f.

25

Ή μ ε ΐ ς γ α ρ π ν ε ύ μ α τ ι έκ π ί σ τ ε ω ς Ι Χ π ί δ α γ α ρ Χ ρ ι σ τ ψ Ί η σ ο υ ο ύ τ ε π ε ρ ι τ ο μ ή τ ι ισχύει δι' α γ ά π η ς έ ν ε ρ γ ο υ μ έ ν η .

26

Ουτε

γάρ

άπείθειαν,

π ε ρ ι τ ο μ ή τί

έστιν

ουτε

δικαιοσύνης άπεκδεχόμεθα. έν ουτε άκροβυστία ά λ λ α πίστις

άκρσβυστΕα ά λ λ α

καινή

κτίσις.

109 Forderungen auf, um die zwei in seiner Person zu dem einen neuen Menschen zu machen. Er stiftete Frieden und versöhnte die beiden durch das Kreuz mit Gott in einem einzigen Leib. Er hat in seiner Person die Feindschaft getötet" (Eph 2,11-16).127 2. 2. Auf der anderen Seite kann Paulus auch mehr das ethnisch-nationale Element betonen. 128 So erwähnt er eine Unterteilung der Menschheit in Juden, Griechen und Kirche/Berufene (vgl. I Kor 1,22-24; 10,32). Doch spielt sie in seinem Denken — im Gegensatz zur späteren Entwicklung — noch keine herausragende Rolle. Vielmehr kommt es ihm — wie bei dem Schema Beschnittene/Nichtbeschnittene — darauf an, daß die Gemeinschaft der auf Christus Getauften herkömmliche ethnische, soziale und biologische Unterschiede übersteige. Dieses Schema ist somit immer in eine Aufzählung weiterer, das Leben maßgeblich bestimmender Gegensätze eingebettet: "Ihr seid alle durch den Glauben Söhne Gottes in Christus Jesus. Denn ihr alle, die ihr auf Christus getauft seid, habt Christus (als Gewand) angelegt. Es gibt nicht mehr Juden und Griechen, nicht Sklaven und Freie, nicht Mann und Frau; denn ihr alle seid 'einer' in Christus Jesus" (Gal 3,26-28).129 "Durch den einen Geist wurden wir in der Taufe alle in einen einzigen Leib aufgenommen, Juden und Griechen, Sklaven und Freie; und alle wurden wir mit dem einen Geist getränkt" (I Kor 12,13).130

127

128 129

Δ ι ό μ ν η μ ο ν ε ύ ε τ ε >τ?[ς τουτ-

καινές« Εστι

τοΰ

BKV2). 74,2;

αΟτων

vor

erschienen); Glauben

Οπό

γέγονεν, οϋτε

κλήσεως

32(39),403,

73,3 u n d

Christen

Jesus

τούτο

φιλο-θ-έων

τ?ίς

nach

των

έττΧανήθημεν

Φεου

οίίτε

31(38),31;

Übersetzung

Vgl.

auch

Ps

όντων

Jer

oüS'

7rpovoiqc

εύρεθωμεν

[vgl.

22s

(schon

von

ούκ

224

226 V g l .

das

πεττιστεύκαμεν, θ-αυμαστ^

έν

vgl. τ^ίδε

auch τ^ί

65,5. διοικήσει

Christus

vgl.

ζ.

1 apol.

33,2

(schon

bewirkt).

B.

113,4 die

132

erlaubte gleichzeitig Abgrenzung ("alt-neu"-Terminologie) und Anknüpfung (Bundestheologie). Gleichwohl kann man bei Justin noch nicht von "Fortschritt" in unserem Sinne sprechen.227 Der "neue Bund" ist ein einmaliger Akt Gottes in Christus, dessen Beginn sich lokalisieren läßt und der am Ende der Geschichte Gottes mit seinem Volk steht (er ist "ewig und endgültig"). Die Gegenwart ist Endzeit.228 Es geht jetzt nur noch darum, wer zu diesem Bund dazugehört und wer nicht. In diesem Sinne liegt Justin ganz auf der Linie des Paulus. Viel stärker antithetisch als bei Justin wird das Verhältnis von Gesetz und Evangelium hingegen in Melitos Paschahomilie (zwischen 160 und 170) gefaßt. 229 Dies hat vor allem mit den unterschiedlichen Adressaten zu tun: Melitos Predigt, die sich an Christen, nicht zuletzt an neugetaufte, richtet, ist kein "Dialog" mit dem Judentum, sondern der Versuch, die eigene Identität im Kontrast zur Synagoge einzuüben. Melito spricht dabei nicht von altem und neuem "Testament" (das Wort διαθήκη erscheint in der Homilie überhaupt nicht), sondern von altem "Gesetz" (νόμος) und neuem "Wort" (λόγος). Dabei werden die Attribute "Alter" und "Neuheit" mit anderen Gegensatzpaaren zusammengestellt: "Vernehmt daher, oh Geliebte, wie es neu ist und alt, ewig und zeitlich, vergänglich und unvergänglich, sterblich und unsterblich, das Geheimnis des Paschas: alt hinsichtlich des Gesetzes, neu aber [hinsichtlich] des Wortes; vergänglich hinsichtlich des [Modells],

227

D a s gilt i n s b e s o n d e r e f ü r seinen " O k o n o m i e " - B e g r i f f , d e r nicht i m Sinne eines p r o g r e s s i v e n H e i l s p l a n e s verstanden w e r d e n d a r f . G e g e n T h r a e d e 1972, S p . 163. V g l . d a z u u n t e n S . 236 m i t A n m . 130. A u c h von C a m p e n h a u s e n scheint mir den A s p e k t des P r o g r e s s i v e n ü b e r z u b e t o n e n , w e n n er schreibt: "Die b i b l i s c h e V e r g a n g e n h e i t hört jetzt auf, gleichsam stillschweigend auf Christus zu warten, sondern b e w e g t sich, v o n S t u f e zu S t u f e f o r t s c h r e i t e n d , a u f ihn z u " (1970 E1979], S. SO; k u r s i v i m O r i g i n a l ) . V o n e i n e r d e r a r t i g e n fortschreit e n d e n B e w e g u n g steht b e i Justin, w e n n ich recht sehe, nichts.

228 V g l . d i a l . 8 0 f , w o d i e R e d e v o m " n e u e n H i m m e l " u n d d e r "neuen E r d e " in J e s 65,17 n a c h w i e v o r e s c h a t o l o g i s c h v e r s t a n d e n u n d a u f d a s M i l l e n i u m b e z o g e n w i r d . F e r n e r 113,5. 229

V g l . z u m F o l g e n d e n a u c h P e r l e r 1966, S. 2 9 - 4 2 ; H a l l 1979, S . X L V ; W i l s o n , M e l i t o , 1986 ( d e r a b e r s e h r s t a r k v e r e i n f a c h t ) . D a t i e r u n g v g l . H a l l 1979, S. X X I - X X I I .

XLZur

- 133 ewig wegen der Gnade; vergängüich wegen der] Schlachtung des Schafes, unvergänglich [wegen des] Lebens des Herren; sterblich wegen des Begräbnisses [in der Erde]; unsterblich wiegen d]er Auferstehung [von den Toten]. Alt [ist das Gesetz,] [neu aber das] Wort; zeitlich [ist das Modell] [ewig aber die Gnade;] [verlgängilich ist das Schaf,] [unvergänglich der Herr;] [nicht zerschmettert wie ein Lamm (vgl. Joh 19,36; Ex 12,10.46),] [sondern auferstanden als Gott]" (§§ 2-4). 230 Die Verständlichkeit ist nicht nur durch den schlechten Zustand des Textes, sondern auch dadurch erschwert, daß die homiletische Sprache der Alten Kirche sich häufig sehr stark der der Hymnik annähert. Poetisch gemeinte Antithesen lassen sich aber nur mit Vorsicht systematisch auswerten. Immerhin wird aus den weiteren Ausführungen deutlich, daß Gesetz und Wort im Verhältnis zueinander stehen wie Skizze und ausgeführtes Werk (§§ 34-45, v. a. 4Off), wobei der τύπος in Christus Realität wurde (§§ 4-6). In diesem Sinne hatte sich bereits im Gesetz alles auf Christus hinbezogen, der die Mitte der Schrift ist: "Die Schlachtung des Schafes also und die Zurschaustellung (?) des Blutes und die Schrift des Gesetzes sind in Christus gemündet (?), um dessentwillen alles in dem älteren Gesetz geschah [vgl. Hebr 2,10] oder vielmehr in dem neuen Wort. Denn das Gesetz wurde Wort und das alte neu, das von Zion und Jerusalem ausging [vgl. Jes 2,3; vgl. Mi 4,2]" (§§ 6f). 2 3 1

230

Toivuv ξύνετε, ώ αγαπητοί, ό π ω ς έστιν καινόν καί π α λ α ι ό ν , άΐδιον καί π ρ ό σ κ α ι ρ ο υ , φ - θ α ρ τ ο ν κ α ι αφ-9-αρτον, θ - ν η τ ο ν κ α ι ά θ - ά ν α τ ο ν τ ο τ ο υ π ά σ χ α μ υ σ τ ή ρ ι ο ν - π α λ α ι ό ν μ έ ν κ α τ ά τ ο ν ν ό μ ο ν , κ α ι ν ο ί δέ [ κ α τ ά τ ο ν ] λόγονπ ρ ό σ κ α ι ρ ο ν κ α τ ά τ ό ν [ τ ύ π ο ν ] , άΐδιον διά τ ή ν χ ά ρ ι ν φ θ α ρ τ ί ό ν δια τ ή ν ] τ ο ΰ π ρ ο β ά τ ο υ σ φ α γ ή ν , ό ί ψ θ α ρ τ ο ν [ δ ι ά τ η ν ] τ ο ΰ κ υ ρ ί ο υ ζ ω ή ν θ ν η τ ό ν διά την [είς γήν] ταφήν, άθάνατον δ[ιά τ]ήν έκ [νεκρΰν] άνάστασιν. π α λ α ι ό ς [ μ έ ν ό ν ό μ ο ς , κ α ι ν ό ς δέ ό ] Χ ό γ ο ς · π ρ ό σ κ α ι ρ ο ί ς ό τ ύ π ο ς , ά ΐ δ ι ο ς δέ ή χ ά ρ ι ς · φ ] θ α [ ρ τ ό ν τ ό π ρ ό β α τ ο ν , δ ί φ θ α ρ τ ο ς ό κ ύ ρ ι ο ς - μή σ υ ν τ ρ ι β ε ί ς [ v g l . J o h 19,36; E x 1 2 , 1 0 . 4 6 ] ώ ς α μ ν ό ς , ά ν α σ τ α θ ε ΐ ς δέ ώ ς θ ε ό ς ] (Hall, Ζ. 6-26).

231 Ή γ ο υ ν τ ο υ π ρ ο β ά τ ο υ σ φ α γ ή κ α ι ή τ ο υ α ί μ α τ ο ς π ο μ π ή κ α ι ή τ ο υ ν ό μ ο υ γ ρ α φ ή ε ί ς Χ ρ ι σ τ ό ν Ί η σ ο υ ν κ ε χ ώ ρ η κ ε ν , δι' 8 ν τ ά π ά ν τ α [ v g l . H e b r 2 , 1 0 ] έ ν τ φ π ρ ε ο β υ τ έ ρ ψ ν ό μ ψ έ γ ε ν ε τ ο , μ ά λ λ ο ν δέ ε ν τ ψ ν έ ψ λ ό γ ψ . κ α ι γ ά ρ ό ν ό μ ο ς λ ό γ ο ς έ γ έ ν ε τ ο , κ α ϊ ό π α λ α ι ό ς κ α ι ν ό ς , σ υ ν ε ξ ε λ θ ώ ν έκ Σ ι ώ ν καί " Ι ε ρ ο υ σ α λ ή μ [ J e s 2,3; v g l . M l 4 , 2 ] ( H a l l , Ζ . 36-43).

- 134 Gesetz und Wort sind also hier nicht mit den Schriften Alten und Neuen Testaments in Verbindung zu bringen,232 sondern strikt theologische Größen: Das Gesetz hat sich durch das Kommen Christi zum Wort verwandelt. Dies mußte so kommen, denn jedes Ding hat seine eigene Zeit (§ 38; vgl. Pred 3,1). Durch die Vollendung des Werkes wird das Modell jedoch liberflüssig, ja wertlos (§§ 37, 42-45). Das Gesetz hat seine Funktion verloren. Das Kommen Christi ermöglicht a posteriori eine christologische Interpretation des Alten Testamentes ohne das Gesetz: "Zuerst aber traf der Herr für sein eigenes Leiden vorher Anordnungen in den Erzvätern, in den Propheten und im ganzen Volk, wobei er sie durch das Gesetz und die Propheten besiegelte. Denn für das, was neu und großartig sein soll, dafür werden lange vorher Anordnungen getroffen, damit es, wenn es geschieht, Glauben findet, weil es lange vorher gesehen wurde. Ebenso findet auch das Geheimnis des Herrn, das lange vorher entworfen und als Modell gesehen wurde, heute Glauben, weil es vollendet ist, gleichwohl aber von den Menschen für neu gehalten wird. Denn das Geheimnis des Herrn ist neu und alt: alt nach dem Gesetz, neu aber gemäß der Gnade" (§ 57f). 233 Hier wird auch der Grund sichtbar, warum Melito so sehr auf der Dialektik von Alt und Neu besteht: Die Neuheit des "Wortes" ist offenbar ein Anstoß und erregt Befremden. Melito verankert daher diese (historische) Neuheit und Fremdartigkeit einerseits metaphysisch durch

232

G l e i c h w o h l ist M e l i t o a u c h die V o r s t e l l u n g v o m " a l t e n Testament" nicht u n b e k a n n t . E r ist v e r m u t l i c h d e r e r s t e , d e r d a s paulinische W o r t v o n d e r π α λ α ι ά δ ι α θ ή κ η ( v g l . II K o r 3,14) a u c h a u f d a s Alte T e s t a m e n t a l s S c h r i f t a n w e n d e t ( v g l . f r g . 3 [ P e r l e r 222 = H a l l 66 = E u s . , h. e. 4,26,14 3). D a r a u s e r g i b t s i c h a l l e r d i n g s n i c h t notwendig die Existenz eines neutestamentlichen K a n o n s , w i e d a s V o r b i l d von II K o r 3,14 z e i g t ( s o r i c h t i g v a n U n n i k 1961C1980], S. 163f; v o n C a m p e n h a u s e n 1968, S. 3 0 6 f ; S c h n e e m e l c h e r 1980, S. 27; a n d e r s Zahn 1 8 8 8 / 9 0 , I, S . 104; H a r n a c k 1914, S. 26; F l e s s e m a n - v a n L e e r 1964, S. 4 0 9 , A n m . 22; I. F r a n k 1971, S. 146, 150f; K ü m m e l 1978, S . 433; H a l l 1979, S. 67, A n m . 11. V g l . a u c h M e t z g e r 1988, S. 123; S c h n e e m e l c h e r in: H e n n e c k e / S c h n e e m e l c h e r 1987/89, I, S. S ) .

233

Π ρ ό τ ε ρ ο ν S i ό κ ύ ρ ι ο ς π ρ ο ψ κ ο ν ό μ η σ ε ν τ ά έαυτοΟ π ά θ η έν π α τ ρ ι ά ρ χ α ι ς κ α ι έν π ρ ο φ ή τ α ι ς καϊ έν π α ν τ ϊ τφ λ α φ , διά τε ν ό μ ο υ κ α ι π ρ ο φ η τ Ο ν έ π ι σ φ ρ α γ ι σ ά μ ε ν ο ς . τό γ α ρ μ έ λ λ ο ν κ α ι ν ΰ ς κ α ι μ ε γ ά λ ω ς ^ σ ε σ θ α ι , τ ο ΰ τ ο έκ μ α κ ρ ο ύ προοικονομεΤται, Γυ* ό π ό τ α ν γ έ ν η τ α ι π ί σ τ ε ω ς τύχ^ι έκ μ α κ ρ ο ΰ π ρ ο ο ρ α θ έ ν . ο ϋ τ ω δή κ α ι τό τ ο ΰ κ υ ρ ί ο υ μυοτήριον έκ μ α κ ρ ο ύ π ρ ο τ υ π ω θ έ ν , öLot δέ τ ύ π ο ν ό ρ α θ έ ν , σήμερον πίστεως τ υ γ χ ά ν ε ι τ ε τ ε λ ε σ μ έ ν ο ν κ α ί τ ο ι ώ ς καινών τ ο ι ς ά ν θ ρ ώ π ο ι ς ν ο μ ι ζ ό μ ε ν ο ν . £στιν γ α ρ x a L v ö v κ α ι π α λ α ι ό ν τό τ ο υ κ υ ρ ί ο υ μ υ σ τ ή ρ ι ο ν π α λ α ι ώ ν μέν κ α τ ά xöv ν ό μ ο ν , κ α ι ν ό ν δέ κ α τ ά τήν χάριν ( H a l l , Ζ . 398-412).

13S den Verweis auf Gottes Heilsplan. 2 3 4 Andererseits verweist er bei seiner Exodus-Paraphrase geradezu leitmotivartig auf die Neuartigkeit des Geschehens beim Auszug aus Ägypten: ήυ δέ χαινόν θέαμα ίδεΐν (§ 19 [ H a l l , Ζ. 119]); ήν [δέ] χαινόν τρόπαιον ίδεΐν (§ 21 [Hall, Ζ. 132]); χαινήν δέ συμφοράν εάν άκούσητε θαυμάσετε (§ 22 [ H a l l . Ζ. 138]); τί τοΰτο τό καινόν μυστήριον; (§ 34 [Hall, Ζ. 213]). Gleiches gilt dementsprechend auch für das Osterereignis: ω μυστηρίου καινού και ανεκδιήγητου (§ 31 [ H a l l , Ζ. 199]); ουδέ τό καινότερου σε έδυσώπησεν σημείου (§ 78 [ H a l l , Ζ. 551]) Die biblische Geschichte ist v o l l von Neuartigem, wobei dies für M e l i t o durchaus auch furchterregend sein kann, wie die Sünde der Ägypter: τό δέ καινότερον και φοβερώτερον άκοΰσαι έχετε (§ 23 [ H a l l , Ζ. 144]); und die Folgen des Sündenfalles: καινή δέ καϊ φοβερά ή των ανθρώπων έπΐ της γης έγίνετο απώλεια (§ 50 [Hall, Ζ. 3421); τό δέ καινότερου καϊ φοβερώτερον έπΐ [της γ η ς ] ηύρίσκετο (§ 52 [ H a l l , Ζ. 366]); und dementsprechend auch die Sünde Israels durch den Herrenmord: τί έποίησας, ώ 'Ισραήλ, τό καιυόυ αδίκημα; (§ 73 [ H a l l , Ζ. 519]); ώ 'Ισραήλ παράυομε, τί τούτο άπηργάσω τό καιυόν αδίκημα, xaivotc έμβαλώυ σου του κύριου πάθεσιυ (§ 81 [Hall, Ζ. 582Π); καινός φόυος γέγουεν έν μέσψ 'Ιερουσαλήμ (§ 94 [ H a l l , Ζ. 694]); ω φόνου καιυοΰ, ώ αδικίας καινής (§ 97 [ H a l l , Ζ. 7171)

234

E i n e ä h n l i c h e D i a l e k t i k v o n A l t u n d N e u , die v e r w a n d t ist mit d e m s o g e n a n n t e n " R e v e l a t i o n s s c h e m a " ( v g l . u n t e n S. 2 0 8 , A n m . 2 5 ) , f i n d e t sich auch im A n h a n g z u m Diognet-Brief (Kap. l l f ) , der w o h l ebenf a l l s aus einer H o m i l i e s t a m m t (zu d e n G r ü n d e n f ü r die V e r b i n d u n g von Brief und Homilie vgl. K i n z i g , R e z e n s i o n , 1991): Ο δ τ ο ς 6 ά π ' άρχ?ϊς, ό κ α ι ν ό ς φ α ν ε ί ς κ α ι π α λ α ι ό ς ευρεθείς κ α ί π ά ν τ ο τ ε ν έ ο ς έυ άγ£ων καρδίαις γεννώμενος (Wengst 336). Vgl. ferner ActPetr 20 (Datierung: 180-90 nach Schneemelcher in: Hennecke/Schneemelc h e r 1 9 8 7 / 8 9 , II, S. 2 S S ) : " ... et u o s c o n s o l a u i t u r ut e u m d i l i g a t i s , h u n c m a g n u m et m i n i m u m , f o r m o n s u m et f o e d u m , i u u e n e m et s e nem, tempore a d p a r e n t e m et in a e t e r n u m u t i q u e i n b i s i b i l e m ; que m a n u s h u m a n a n o n d e i n u i t et t e n e t u r a s e r u i e n t i b u s , q u e m c a r o n o n u i d i t et u i d e t n u n c , q u e m n o n o b a u d i t u m s e d n u n c c o g n i t u m , oba u d i t u m u e r b u m et n u n c e s t t a m q u a m n o s s e t p a s s i o n e m exterum, c a s t i g a t u m n u m q u a m s e d n u n c c a s t i g a t u s , q u i a n t e s a e c u l u m e s t et t e m p o r e i n t e l l e c t u s e s t , o m n i p r i n c i p i o i n i t i u m m a x i m u m et p r i n c i p i b u s traditum, s p e c i o s u m s e d inter n o s h u m i l e m , f e d u m u i s u m sed p r o u i d u m " ( L i p s i u s / B o n n e t 1,68,1-10). D o c h g e h t e s i n b e i d e n T e x t e n u m d a s V e r h ä l t n i s v o n A l t e r u n d N e u h e i t in C h r i s t u s , b e i M e l i t o u m Gesetz und W o r t .

136 Auch die Neuartigkeit des Christusgeschehens ist als solche also für Melito keineswegs ungewöhnlich; vielmehr reiht sie sich ein in eine Folge geschichtlicher Ereignisse, in denen sich Gottes Handeln manifestiert. Es wird aus dem Gesagten also deutlich, daß sich auch Melito — wie bereits Justin — zu einer progressiven Sicht von Heilsgeschichte vortastet, ohne daß jedoch bereits von "Fortschritt" gesprochen werden könnte. Ihren bei weitem radikalsten Ausdruck findet die Zwei-TestamenteTheologie in der pseudocyprianischen Predigt adversus Iudaeos. Dirk van Damme hat in einer umfänglichen Untersuchung gegen Harnack et al. nachzuweisen versucht, daß es sich nicht um eine Übersetzung aus dem Griechischen handelt, sondern daß die lateinische Fassung der Schrift ursprünglich ist und um 200 entstand. 235 Neuere Forschungen haben indessen gezeigt, daß die von ihm beigebrachten Argumente nicht stichhaltig sind und weder die Originalsprache noch die Datierung feststehen. 236 Als terminus ante quem kommt das sogenannte Cheltenhamer Verzeichnis in Frage, das um 36S adversus Iudaeos zu den Schriften Cyprians zählt. 237 Ich erwähne das Pamphlet hier, um zu zeigen, zu welchen Extremen die Zwei-Testamente-Theologie in bestimmten Kreisen vorgetrieben wurde. 238 Der Autor versteht testamentum nämlich ausschließlich juristisch als "letztwillige Verfügung". Wegen ihres Abfalls von Gott und des Herrenmordes (§§ 26, 32, 37-40, 42, 52, 65) wurden die Juden aus der Erbschaft ausgeschlossen (§§ 27, 53). Sterbend schrieb der Sohn ein neues Testament (§§ 28, 43, 61). Dieses wurde am Tage der Auferstehung geöffnet, und die Völker (gentes) wurden anstelle der Juden zu Erben eingesetzt (§§ 44f; vgl. 8, 61). Die Juden sind allerdings nicht endgültig verworfen, sondern auch ihnen kann durch Bekehrung und Taufe noch das Heil zuteil werden (§§ 68-82). Hier wird also das alte Testament als "veraltet" und damit nichtig angesehen, ohne daß es damit aber zu einer Ablehnung der jüdischen Bibel kommt, die nach dem Prinzip von Weissagung und Erfüllung ihre Bedeutung behält. Zusammenfassend läßt sich feststellen, daß sich in der zweiten Hälfte des zweiten Jahrhunderts zur Beschreibung des Verhältnisses von Juden und Christen die Konzeption des Paulus und des Hebräerbriefes

235

V g l

236

Vgl.

Kinzig,

237

Vgl.

van

238

Zum

Folgenden

v a n

Damme

1969, S.

Erbin,

Damme

1969, S. vgl.

84-89.

1990, S.

83-92.

78-81.

Kinzig,

Erbin,

1990, S .

83-92.

- 137 durchsetzt, nach der es zwei Bundesschlüsse gegeben hat, die zeitlich aufeinander gefolgt seien. Dabei fällt auf, daß namentlich Justin eine ausgearbeitete Zwei-Testamente-Theologie unter Aufnahme von Jer 31(38), 31ff bietet, ohne dabei auf Hebr, der einzigen neutestamentlichen Schrift, die das Zitat anführt, zurückzugreifen. 239 Gleichzeitig wird der großkirchliche neutestamentliche Kanon vielleicht schon von Melito 2 4 0 und dem Antimontanisten bei Eus., h. e. 5,16,3,241 sicher aber von Clemens von Alexandrien als καινή διαθήκη bezeichnet. 242 Dieser Zusammenhang ist seltsam und keineswegs so unbedeutend, daß er "für das sachliche Verständnis [...] nicht wesentlich" wäre. 243 Die verzögerte Rezeption von Jer 31(38) ,31ff offenbar unabhängig von Hebr verlangt nach einer Erklärung, war das Wort von der "neuen διαθήκη" doch zumindest in einem Teil der christlichen Kirche allem Anschein nach schon seit vorpaulinischen Zeiten Bestandteil der eucharistischen Liturgie. Ein wichtiger Faktor, der zur Weiterentwicklung der Zwei-TestamenteTheologie führte, war sicher die Niederschlagung des Bar-Kochba-Aufstandes (132-135 n. Chr.) und die sich daran anschließenden Maßnahmen Hadrians, der in jedem Falle den Juden das Betreten Jerusalems untersagte und die Stadt in Aelia Capitolina umbenannte,244 darüber hinaus aber möglicherweise sogar die Beschneidung und das Studium der Torah verbot. 245 Nach Eusebius hatte dies auch einschneidende Konsequenzen für die in Jerusalem lebenden Judenchristen. So bringt er die Einsetzung des ersten heidenchristlichen Bischofs Markus damit in Zusammenhang. 246 Dadurch verlor aber das judenchristliche Element innerhalb der jungen Kirche erheblich an Einfluß, was Abgrenzungstendenzen gegenüber dem Judentum beschleunigt haben dürfte. 247

239

S i c h e r e Z i t a t e aus H e b r

240

V g l . o b e n S. 117, A n m .

241

V g l . H a r n a c k 1914, S. 27; v a n U n n i k 1961(1980), S. 162f; v o n h a u s e n 1967, S. 307f; K ü m m e l 1978, S. 433.

242

V g l . Z a h n 1888/90, S c h n e e m e l c h e r 1980, 89, I, S. 5. Campenhausen

I, S.

lassen sich bei ihm nirgends

nachweisen.

224.

S. 105; v o n 27; d e r s . in

Campen-

C a m p e n h a u s e n 1968, S. Hennecke/Schneemelcher

243

Von

244

J u s t i n , 1 apol. 4 7; dial. 16,2; 92,2; T e r t . , adv. lud. 13; apol. chron., ad ann. A b r . 21SO ( H e l m 201,10-14); h. e. 4,6,3.

308f; 1987/

1968, S. 306. 21,S;

Eus.,

245 b T a a n 18a. D i e h i s t o r i s c h e Z u v e r l ä s s i g k e i t d e r r a b b i n i s c h e n Q u e l l e n in d i e s e m P u n k t i s t a l l e r d i n g s u m s t r i t t e n ; v g l . ζ . B. S c h ä f e r 1983, S. 174f. Z u m g e s a m t e n P r o b l e m v g l . n a c h w i e v o r S c h ü r e r 1973-86, S. S37-S40, 553-55S. a d ann. 132 p. C h r . ( H e l m 201,15-17); h.

246

Chron.,

247

V g l . S i m o n 1986, S. 65-70.

e. 4,5,2; 4 , 6 , 4 .

138 Doch ist diese Erklärung m. E. nicht hinreichend. Denn hierfür hätte ja auch der Barnabasbrief bereits ein Modell angeboten. 248 Es ist nun verführerisch anzunehmen, daß der Gegensatz von altem und neuem Testament durch Marcion wieder in die Diskussion eingeführt wurde. "Fest steht, daß Marcion eine Sammlung von Schriften als autoritative Norm des 'Evangeliums' erstellt hat, die aus einem Evangelium (einem 'gereinigten' Lk) und zehn (ebenfalls 'gereinigten') Paulusbriefen bestand." 249 Leider ist uns nicht direkt überliefert, wie er sie bezeichnet hat. 250 Die Sammlung war für die Herausbildung des neutestamentlichen Kanons wenn nicht ursächlich 251 , so doch mindestens ein entscheidender Faktor 252 . Nun ist bekannt, daß Justin, der erste Vertreter der Zwei-TestamenteTheologie in nachapostolischer Zeit, sich intensiv mit Marcion auseinandergesetzt hat. 253 Marcion selbst war bekanntlich strikter Antinomist. "Das Alte Testament war für Markion erledigt und konnte in keinem Sinne mehr gelten. Alles kam auf das Evangelium an — und dieses war verraten und in der gegenwärtigen Kirche nicht mehr zu finden." 254 Eine sorgfältige Analyse der einschlägigen Quellen ergibt nicht nur, daß der Gegensatz von alter und neuer διαθήκη für Marcion eine zentrale Rolle spielte, sondern daß er vermutlich auch seinen Kanon erstmals als καινή διαθήκη bezeichnete. 255 "Altes" und "neues Testament" bedeuteten für Marcion die schriftlich niedergelegte, literal zu interpretierende διαθήκη des Schöpfergottes bzw. die des neuen, fremden Gottes. Es

248

249

250

Er w i r d gebracht

von (vgl.

Simon ebenda,

auch mit S. 91).

dem

Aufstand

in

Zusammenhang

S c h n e e m e l c h e r 1980, S. 36. H a r n a c k , M a r c i o n , 1924, S. 441; v o n C a m p e n h a u s e n S c h n e e m e l c h e r 1980, S. 36; Β. M . M e t z g e r 1988, S. 9 8 .

V g l

1968, S .

306;

251

S o H a r n a c k 1923, S. 2 0 - 2 3 ; d e r s . , M a r c i o n , 1933, S. 153, 160-164; K n o x 1942, b e s . S. 1968, S. 174; V i e l h a u e r 1975, S. 7 8 3 .

232

S o F l e s s e m a n - L e e r 1964, S. 410; S c h n e e m e l c h e r 1980, S. 3 8 ; K ü m m e l 1981, S . 431; H o f f m a n n 1984, S. 107 m i t A n m . 2 9 ; G a m b l e 1985, S. 62; Β. M . M e t z g e r 1988, S . 99; B r u c e 1988, S. 144; S c h n e e m e l c h e r in: H e n n e c k e / S c h n e e m e l c h e r 1 9 8 7 / 8 9 , I, S . 17; Α . M . R i t t e r 1987, S . 9 S f ; K l i j n 1992, S. 8 3 - 8 6 ; Α . M . R i t t e r , K a n o n b i l d u n g , 1993. A b w e i c h e n d — u n d k a u m U b e r z e u g e n d — I. F r a n k 1971, b e s . S. 2 0 7 ; S t u h l h o f e r 1988, S. 6 9 - 7 6 u n d j e t z t H a h n e m a n 1992.

233

E i n e S c h r i f t adversus Marcionem ist b e z e u g t v o n Iren., h a e r . 4,6,2 u n d E u s . , h. e . 4,18,9; v g l . a u c h 1 apol. 26,S; S 8 ; H a r n a c k , Marcion, 1924, 6 * - 1 0 * m i t w e i t e r e n B e l e g e n .

254

Von

255

Zu den

Campenhausen Einzelheiten

1924, S. 151; R . S. W i l s o n 19-38; v o n Campenhausen

1968, S. 179. vgl.

meinen

oben Anm.

183 z i t i e r t e n

Aufsatz.

139 hätte sich also dann um zwei distinkte, durch nichts miteinander verbundene Größen gehandelt. 256 Die Großkirche übernahm ihrerseits diese Bezeichnung von Marcion in ihrer Auseinandersetzung mit dem Judentum (MelitoO, nicht ohne jedoch deren Problematik zu empfinden. 257 Allerdings bot sich die Übernahme der Unterscheidung der Bibel in Altes und Neues Testament auch deshalb an, weil sie nicht nur in antijüdischem, sondern (und darin liegt eine besondere Ironie!) auch in antimarcionitischem Sinne gebraucht werden konnte, indem nämlich durch die Beibehaltung von διαθήκη die Kontinuität von altem und neuem Bund unterstrichen wurde. 258 Es ist m. E. nicht zuletzt dieser Prozeß, der die Großkirche dazu zwang, ihr Verhältnis zum Judentum begrifflich schärfer zu fassen, 259 und die zur Ausbildung einer Zwei-Testamente-Theologie geführt hat. 260 Marcion ist also für die weitere Entwicklung e negativo von Bedeutung, weil hier ein paulinisch geprägter Theologe die sich allmählich herauskristallisierende Großkirche sozusagen links zu überholen versuchte. 261 Die Mehrheit der Christen war auf Dauer nicht bereit, die

256 V g l . v o n C a m p e n h a u s e n 1968, S. 176; f e r n e r F a r m e r in: Farmer/ F a r k a s f a l v y 1983, S. 6 3 f , a b e r mit etwas anderem Akzent. Siehe ferner die ausgewogenen Ausführungen Farkasfalvys, ebenda, S. 134-141. Z u r unendlichen Distanz (infinita distantia) des fremden G o t t e s z u m S c h ö p f e r g o t t v g l . I r e n . , h a e r . 4 , 3 3 , 2 ; d a z u B. A l a n d 1973, S. 4 2 4 f . zs7

N o c h Origenes, ja noch Augustin waren sich der damit verbundenen Schwierigkeiten bewußt, eben weil die R e d e w e i s e v o m A l t e n und N e u e n T e s t a m e n t nicht g e n ü g e n d B e t o n u n g auf die Einheit d e r S c h r i f t l e g t e . V g l . z u d e n E i n z e l h e i t e n m e i n e n o b e n A n m . 183 z i t i e r t e n A u f satz.

2Se

Z u d i e s e r d o p p e l t e n F r o n t s t e l l u n g v g l . a u c h L U d e m a n n 19ΘΟ/83, I I , S. 210. E i n e ä h n l i c h e Ü b e r n a h m e d ü r f t e a u c h d i e U n t e r s c h e i d u n g v o n Evangelium/en und A p o s t o l i k o n als Schriftcorpora innerhalb des N e u e n T e s t a m e n t e s s e i n , d i e s i c h m . W . v o r I r e n a u s ( v g l . haer. 1,3,6; S praef. [Rousseau 12,18f]; ferner Clem. Alex., ström. 7,84,4) e r s t m a l s b e i M a r c i o n f i n d e t ( v g l . A d a m . , dial. 1,5 [ v a n d e Sande B a k h u y z e n 1 0 . 1 9 Π ; E p i p h a n . , haer. 42,10,2; 42,12,3; f e r n e r Harnack, M a r c i o n , 1924, S. 35, A n m . 1; v o n C a m p e n h a u s e n 1968, S. 180, 183; Β. M . M e t z g e r 1988, S. 9 8 ) .

259

Die erste Schrift, die sich ausdrücklich d e m P r o b l e m Christen-Juden w i d m e t , d e r " D i a l o g z w i s c h e n Jason und Papiscus ü b e r Christus" des Ariston von Pella, entstammt ebenfalls dieser Zeit. V g l . dazu a u s f ü h r l i c h H a r n a c k 1882, S. 115-130.

260

Es w ä r e zu bedenken, o b die e t w a gleichzeitige R e z e p t i o n v o n H e b r als Paulusbrief bei dem Justin-Schüler Tatian sowie in der a l e x a n d r i n i s c h e n T h e o l o g i e n i c h t in d e n R a h m e n d i e s e s Prozesses g e h ö r t ( v g l . K ü m m e l 1981, S. 4 3 2 , 3 4 6 ) .

261

Bousset und N o r d e n haben a n g e n o m m e n , in M a r c i o n melde sich "eine weitverbreitete Grundstimmung hellenistischer Frömmigkeit zu

140

Radikalisierung der Neuheit, die wir bei ihm finden, mitzutragen, weil dies zur völligen Abstoßung des Alten Testamentes geführt hätte. 262 Damit hätte die Großkirche aber die "einzige, heilige Urkunde christlicher Offenbarung" aufgegeben, 2 6 3 die ihr Kriterien an die Hand gab, das Christusereignis zu deuten; darüber hinaus hätte sie sich auch eines ihrer wirkungsvollsten apologetischen Argumente begeben, nämlich des Altersbeweises, der im zweiten Jahrhundert s o überaus wichtig wird. 264 Überdies und vielleicht in erster Linie war Marcions Haltung aber auch deshalb problematisch, weil damit die Einheit der Geschichte Gottes mit seinem Volk gefährdet schien oder man zu mythologischen Konstruktionen hätte Zuflucht nehmen müssen, die durch die Schrift nicht gedeckt waren. Wie dem auch sei: Hier ist wichtig festzuhalten, daß sich — historisch gesehen — der Fortschrittsgedanke im Gegenzug zu Marcion (und anderen gnostischen oder gnostisierenden Gruppen) ausbildet. Neuheit, wie sie von Marcion verstanden wurde, nämlich als radikaler Gegensatz zum Alten und nicht als dessen Weiterentwicklung, schnitt die Möglichkeit von heilsgeschichtlichem Fortschritt von vornherein ab und mußte — wie sich aus der historischen Distanz feststellen läßt — in eine Sackgasse führen. 265

W o r t . Es ist die Sehnsucht nach dem ganz Neuen und Unerhörten Überhaupt. Alle alten Formen der Religion haben gründlich a b g e w i r t s c h a f t e t . Man erwartet das Heil von einem absolut neuen Anfang" (Bousset 1921, S. 188f; zustimmend zitiert bei Norden 1958, S. 4 7, der außerdem noch einen — m. E. abwegigen — Zusammenhang mit Vergils ecl. 4,7 ["iam nova progenies caelo demittitur alto"] herstellt.) Marcions Neuheitsdenken läßt sich — u n b e s c h a d e t seines Verhältnisses zur Gnosis (dazu ζ. B. Rudolph 1977, S. 337f) — m. E. ganz aus dem Neuen Testament ableiten. 262

263

264 265

Zur Dialektik von Kontinuität und Diskontinuität zwischen Israel und Kirche bei den Apostolischen Vätern vgl. Richardson 1969, S. 14-21. Von Campenhausen 1968, S. 178. Vgl. auch Pilhofer 1990, S. 298f. Campenhausen 1968, S. 178; Rokeah 1982, S. 9 0 f f . v o n

V g l

Nachzutragen wäre hier, daß auch andere christliche Gruppen ähnlich wie Marcion argumentierten. So s o l l Tatian d a s Alte T e s t a m e n t ώς άίλλου θεοΰ abgelehnt haben (vgl. Clem. Alex., ström. 3,82,2; f e r n e r ecl. proph. 38f; Orig., or. 24). Auch die Manichäer wiesen s p ä t e r das Alte Testament als "veraltet" zurück. So schreibt Epiphanius: ΕΓτα πάλιν λέγει ö αυτός Μάνης* »oü δύναται ένας διδασκάλου εΓναι. παλαιά καί καινή διαθήκη, ή μεν γαρ παλαιοΟται ήμέραν έξ ήμέρας, ή δε ανακαινίζεται ήμέραν καθ' ήμέραν- [vgl. II Kor 4,163- παν γαρ το παλαίουμενον καϊ γηράσκον έγγΰς Αφανισμού γίνεται [vgl. Hebr 8,13]· άλλά έκείνη όίλλου θεοΟ καϊ Κλλου διδασκάλου, καί αΐίτη έτέρου θεοΰ καί έτέρου διδασκάλου« (.haer. 66,74,1 [ H o l l / D u m m e r 111,114,31-115,3). Vgl. zum Problem auch Alfaric 1918, S. 174-192; Decret 1970, S. 123-149; Feldmann 1975, S. 568-588 (non vidi); Hennings 1991, S. 167.

141 2. 5. 2. Das Christentum als "drittes Geschlecht" und "neues Volk" Wie aus dem vorangegangenen Abschnitt deutlich wurde, verstand sich das frühe Christentum (zumindest, soweit es uns noch in den Quellen zugänglich ist) nicht in erster Linie als Teil, sondern als Erbe des Judentums. Es war unmittelbar jüdischer Tradition entwachsen, ohne sich doch mit dieser in herkömmlicher Weise identifizieren zu können. Statt dessen wurde im Zuge der eigenen Identitätssuche das Verhältnis zu dem Gott der Juden durch Wiederaufnahme und Neuinterpretation verschütteter Begrifflichkeiten in einer Weise gedeutet, die notwendig zu einem Abgrenzungsprozeß gegenüber dem führen mußte, was die Großkirche unter "Judentum" verstand. Wenn die neue Gruppierung indessen nicht jüdisch war und schon gar nicht heidnisch, was war sie dann? Als religiöses Phänomen stellte das Christentum einen Sonderfall dar, da es nicht, wie sonstige Kulte, ethnisch geprägt war. 266 Während sich römisch-hellenistische Identität maßgeblich durch die pietas gegenüber Vorfahren und den Göttern definierte und bei den Juden Nation und Religion untrennbar miteinander verknüpft waren, sprengte das christliche Selbstverständnis diesen Zusammenhang von Staat bzw. Nation und Religion. 267 Dies führte schon terminologisch zu erheblicher Verwirrung, weil die neue Gemeinschaft sich allen traditionellen religiösen Kategorien entzog und in diesem Sinne auch faktisch etwas Neues darstellte. Diese Definitionsversuche in Abgrenzung von Judentum und Heidentum sind nachfolgend darzustellen, nämlich die Vorstellungen vom Christentum als "drittem Geschlecht", "neuem Volk", "neuem Geschlecht" und verwandte Bezeichnungen. Dabei geht es nicht um eine Untersuchung der Christennamen 268 bzw. umgekehrt der Bezeichnungen, die das Christen-

266 g j n e i n s t r u k t i v e r e l i g i o n s g e s c h i c h t l i c h e P a r a l l e l e bietet d e r Bericht d e s L i v i u s ü b e r d i e E i n f ü h r u n g d e r b a c c h i s c h e n M y s t e r i e n in R o m . D e r H i s t o r i k e r läßt seine Berichterstatterin, die Prostituierte Hispala Fecenia, die die M a c h e n s c h a f t e n des K u l t e s ans Licht b r i n g t (vgl. d a z u N o c k 1933, S. 71-73), s a g e n , d i e n e u e G r u p p i e r u n g sei "eine g e w a l t i g e M e n g e , f a s t s c h o n ein z w e i t e s V o l k , d a r u n t e r a u c h einige adlige Männer und Frauen" ("multltudinem ingentem, alterum iam prope populum esse in h i s nobiles quosdam viros feminasque" (39,13,14 t B r i s c o e 6253). A u c h h i e r w i r d ( ä h n l i c h w i e d a n n i m C h r i stentum) die ethnisch i n h o m o g e n e (!) A n h ä n g e r s c h a f t e i n e s Kultes als " V o l k " bezeichnet. 267

V g l . d a z u v. a. J ü t h n e r 1923, S. 91, 94 f ; v a n U n n i k 1955(1983). S i e h e f e r n e r die A r g u m e n t a t i o n v o n P h i l o s o p h e n w i e C e l s u s u n d P o r h y r i u s u n t e n K a p . 3.1.8.2.

268

Vgl.

dazu

Karpp

1954.

- 142 tum selbst den Nichtchristen gab, 269 sondern in erster Linie um die Frage, inwiefern auch in der Selbstbezeichnung der Christen als Gemeinschaft deren Neuheitsbewußtsein terminologisch zum Ausdruck kommt. 270 Die Hypothese, die zu überprüfen ist, lautet folgendermaßen: Die Aufnahme des Neuheitsbegriffes in die Selbstbezeichnung der Christen stellt einen weiteren Schritt auf dem W e g zur Ausbildung eines Fortschrittsbegriffes dar, und zwar einen Schritt, der noch über das ZweiTestamente-Modell hinausgeht. Denn das Christentum versteht sich nicht nur als etwas Neues innerhalb einer gemeinsamen jüdisch-christlichen Tradition, sondern distanziert sich durch die neue Bezeichnung von dieser Tradition insgesamt. Dies aber war eine weitere wichtige Station auf dem Wege, Geschichte als einen Prozeß kontinuierlicher Aufwärtsentwicklung zu betrachten. Die Wurzeln dieses Denkens sind im paulinischen und johanneischen Schrifttum bereits nachweisbar. Wie oben dargestellt, 271 möchte Paulus aber gerade nicht neue Abgrenzungen einführen, sondern er verkündet unter dem Eindruck der bevorstehenden Parusie im Gegenteil die Überwindung und Aufhebung der früheren Schranken in der in der Taufe verliehenen Gnade. Indessen ließ sich auch hier der ursprüngliche eschatologische Enthusiasmus nicht durchhalten, sondern es kam schon bald zu einer Verfestigung der Selbstbezeichnungen, wobei man sich der eigenen Neuartigkeit durchaus bewußt blieb. 272 So wird schon in der deuteropaulinischen Tradition und in I Clem die deuteronomisch-deuteronomistische Rede vom "auserwählten Volk" (λαός περιούσιος; vgl. Dtn 14,2 u. ö.) auf die Christen bezogen (vgl. Tit 2,14; I Clem 64). Ignatius kündigt in seinem Brief an die Epheser an, er werde in einem zweiten Schreiben folgendes darlegen:

269

V g l . dazu Opelt

270

Z u m G o t t e s v o l k - G e d a n k e n In d e r A l t e n K i r c h e 19SO, S. 248-26S; S c h ä f k e 1979, S. 619-623.

196S. allgemein

vgl.

Oepke

Zur Vorstellung v o m "neuen Geschlecht" im Judentum vgl. etwa P h i l o , her. 278 z u G e n IS,IS: Π Ω ς 8έ τ ό ν έ'θνους κ α ι γ έ ν ο υ ς έτέρου μ έ λ λ ο ν τ α ή γ ε μ ό ν α Csc. A b r a h a m ] £ σ ε σ θ α ι π ρ ο ο κ λ η ρ ο Ο σ θ α ι τ φ π α λ α ι φ ; ού γ α ρ 8 ν έ χ α ρ ί ζ ε τ ο κ α ι ν ώ ν τ ρ ό π ο ν τ ι ν ά κ α ι ν έ ο ν £ θ ν σ ς κ α ί γ έ ν ο ς α ύ τ φ ö θ ε ό ς , εΐ μή τοΟ ά ρ χ α ί ο υ κ α τ ά τ ό π α ν τ ε λ έ ς ά π ε σ χ ο ί ν ι ζ ε ν ( H a r l 3S6). Philo spricht hier v o n den N a c h k o m m e n A b r a h a m s als e i n e m " i r g e n d w i e neuen und j u n g e n V o l k und G e s c h l e c h t " . V g l . dazu H a r l , Quis r e r u m , 1966, S. 5 4 f . F e r n e r d e f u g a 168: Κ α ι ν ό ν γ ά ρ κ α ι κ ρ ε Τ τ τ ο ν λ ό γ ο υ κ α ί θ ε ί ο ν δ ν τ ω ς τ ό α ύ τ ο μ α θ έ ς γ έ ν ο ς , ούκ ά ν θ ρ ω π ί ν α ι ς έ π ι ν ο ί α ι ς , ά λ λ ' έ ν θ έ ψ μανΕςι σ υ ν ι σ τ ά μ ε ν ο ν ( S t a r o b i n s k i - S a f r a n 228) Ä h n l i c h a u c h Abr. 56. 271

V g l . o b e n S. l l O f .

272

V g l . a u c h K a m i a h 19S1, S. 99.

143 "die Ordnung im Hinblick auf den neuen Menschen Jesus Christus, [wirksam] im Glauben an ihn und in der Liebe zu ihm, in seinem Leiden und der Auferstehung, ganz besonders [werde ich dies tun], wenn der Herr mir offenbart, daß ihr Mann für Mann, gemeinsam, alle im einzelnen in Gnade zusammenkommt in einem Glauben und in Jesus Christus, der dem Fleische nach aus dem Geschlecht Davids [vgl. Rom 1,3] stammt, dem Menschensohn und Gottessohn, um dem Bischof und dem Presbyterium mit ungeteiltem Sinn Gehorsam zu bezeigen und ein Brot zu brechen, das Unsterblichkeitsarznei ist, Gegengift, daß man nicht stirbt, sondern lebt in Jesus Christus immerdar" (20,1). 273 Die Einheit, zu der hier aufgerufen wird, ist zwar immer noch eine eschatologische Einheit. Doch gleichzeitig beginnt sich diese im Hier und Jetzt zu institutionalisieren. Das läßt sich hier nicht zuletzt an der verwendeten Neuheitsterminologie erkennen: Die Ausdrucksweise vom "neuen Menschen", die Ignatius sicher bewußt aus Eph 2,15; 4,24 (vgl. Kol 3,10) aufnimmt, 2 7 4 wird nun nicht mehr (wie in Eph) im Hinblick auf die Gläubigen und deren Teilhabe an Christus (im Sinne der Spannung von Indikativ [2,15] und Imperativ [4,24]) gebraucht, sondern Ignatius verschiebt den Akzent weiter auf Christus als den neuen Menschen, dem sich die Gläubigen unterzuordnen haben. Diese Verschiebung, die auf den ersten Blick unerheblich scheinen mag, erlaubt es dem Verfasser, ekklesiologisch zu argumentieren und aus der Einheit der Gläubigen in dem "neuen Menschen" die Einheit unter den Leitungsgremien der Gemeinde abzuleiten. Damit wird aber die neue Gruppierung auch soziologisch nach außen hin sichtbar. 2 7 3 Die Frage nach dem eigenen historischen Selbstverständnis eben als Gruppe wird dringlich.

2 7 3

27

*

27S

. . . ο ι κ ο ν ο μ ί α ς ε ί ς τον κ α ι ν ό ν άίνθρωπον Ί η σ ο υ ν Χ ρ ι σ τ ό ν , έν αΰτου πίστει κ α ι έν α ύ τ ο Β άγάπ^), έν π ά θ ε ι αύτοΐί κ α ι ά ν α σ τ ά σ ε ι · μάΧιστα έάν ό κ ύ ρ ι ο ς μοι α π ο κ α λ ύ ψ ε ι , ί5τι οί κ α τ ' άίνδρα κ ο ι ν ζ π ά ν τ ε ς έν χ ά ρ ι τ ι έξ ό ν ό μ α τ ο ς σ υ ν έ ρ χ ε σ θ ε έν μ ι ^ πίστει κ α ι έν "Ιησού Χ ρ ι σ τ φ , τ ψ » κ α τ ά σάρκα έκ« γένους »Δαυίδ« [ v g l . R o m 1,3], τψ υίψ άνθρωπου και υίψ θεού, είς τό ϋπακούειν ύμδς τφ έπισκόπψ και τψ πρεσβυτερίψ ά π ε ρ ι σ π ά σ τ ι ρ SLavoiqc, Ενα ί ί ρ τ ο ν κ Χ ω ν τ ε ς , £5ς έ σ τ ι ν φ ά ρ μ α κ ο ν ά θ α ν α σ ί α ς , ά ν τ ί δ ο τ ο ς του μή ά π ο θ α ν ε Τ ν , ά Χ Χ ά ζ?[ν έν Ί η σ ο υ Χ ρ ι σ τ ψ δια π α ν τ ό ς ( F i s c h e r 158,12-160,2; Ü b e r s e t z u n g n a c h F i s c h e r 1986, g e ä n d e r t ) . Zur Ü b e r s e t z u n g v o n οίκονομία v g l . o b e n S . 8 9 , 2 3 6 . Z u r K e n n t n i s v o n E p h b e i I g n a t i u s vgl. K ü m m e l 19781, M e t z g e r 1 9 8 8 , S . 4 5 ; f e r n e r S c h o e d e l 1990, z. S t .

S.

425;

Β.

M.

z u d e n E i n z e l h e i t e n ζ. B. B a u s 1985, S. 172-180. Zur E k k l e s i o l o gie d e r Ignatianen vgl. auch F i s c h e r 1986, S. 126ff mit weiteren Belegen. Zur Institutionalisierung der K i r c h e ü b e r h a u p t vgl. ζ. B. Baus 1985, S. 172-180.

V g l

- 144 Das erste der hier zu betrachtenden Zeugnisse ist die praedicatio Petri, eine vermutlich in Ägypten in der ersten Hälfte des zweiten Jahrhunderts abgefaßte Schrift. 276 In einem bei Clemens von Alexandrien aufbewahrten Fragment heißt es folgendermaßen: "So lernt auch ihr fromm und gerecht das, was wir euch überliefern, und bewahrt es, indem ihr Gott durch Christus auf neue Weise verehrt. Denn wir haben in den Schriften gefunden, wie der Herr sagt: 'Siehe, ich errichte euch einen neuen Bund, nicht wie ich (einen) geschlossen habe mit euren Vätern auf dem Berge Horeb' [vgl. Jer 31(38),31f; Dtn 29,11; Hebr 8,8fL Einen neuen hat er uns gesetzt. Denn das, was Griechen und Juden betrifft, ist alt, wir aber sind die Christen, die ihn in einer dritten Art auf neue Weise verehren" (frg. 2d). 277 Der Tenor der Stelle entspricht dem Charakter der Schrift insgesamt, die "ein Mittelglied in der Verkündigungstradition [...] zwischen der frühchristlichen Missionspredigt, wie sie etwa bei Lukas in der Apg einen Niederschlag gefunden hat, und der griechischen Apologetik" darstellt. 278 Die Neuheit des Christentums, die der Verfasser mit Jer 31(38),31f in freiem Zitat 279 biblisch absichert, wird dabei auf die Art der Gottesverehrung bezogen. Das heißt, die Neuheit dieser διαθήκη bezieht sich nicht auf ihren Inhalt im Sinne eines neuen Gesetzes, sondern ist kultisch zu verstehen. In dieser kultischen Ausrichtung steht der Verfasser aber einerseits in jüdischer Tradition (Exegese von Jer 31[38],31ff; gegen Paulus und Hebr), andererseits könnte man auch an Joh 4,21-24 erinnern, wo es ja auch um die rechte Art der Gottesverehrung ging. 280 Leider wird über den Inhalt dieser neuen Verehrung, abgesehen von dem wenig konkreten Zusatz δια τοΰ Χρίστου, nichts ausgesagt. 281

276 V g l .

Schneemelcher

zum

Folgenden

in:

Hennecke/Schneemelcher

auch

Richardson

1969,

S.

1989,

22f;

II,

S.

Pilhofer

35.

Vgl.

1990,

S.

227-234. 277 · Ώ

α χ ε

κΗ

ΐ

ύμεΐς

φυλάσσεσθε, ταΤς κην,

γραφαΤς οΰχ

'Ιουδαίων στιανοί

παλαιά,

Übersetzung

278

Schneemelcher

279

Zur

Zitatform

280 V g l .

dazu von

Analyse

ήμεΐς

in:

oben

»ιδού

κατράσιν οί

ström.

1977, S.

vgl.

Χριστοί)

νέαν

διατίθεμαι

υμών ήμΤν

καινως

der

έν

0ρει

τρίτψ

ευρομεν

γαρ

γένει

Stelle

1989,

bei

von

II, S .

ύμΤν, γάρ

καινήν

Χωρήβ«

[Stählin/Friichtel

έν

διαθή-

[vgl.

Jer

Ελλήνων

καϊ

σεβόμενοι

Χρι-

II,4S2,13-18D). 40,

Dobschiitz

geändert. 1893,

S.

19-21.

Hennecke/Schneemelcher von

Anm.

παραδίδομεν ΰμΤν

διέθετο τ α

αυτόν

6,41,4-6

8

σεβόμενοι-

Hennecke/Schneemelcher

Dobschiitz, von

δέ

μανθάνοντες

τοΰ

λέγει·

8,8f],

Kommentierung

Paulsen

281 V g l .

τοΤς

Alex.,

nach

Slot

δ κύριος

διεθ-έμην

(Clem.

δικαίως

θεον

EH 29,11; H e b r

Ausführliche 4S-S0;

και

τόν

καθώς

ώς

31(38),31f;

δσίως

καινως

Dobschütz

1893,

S.

1989,

II, S .

37.

4 8f.

134. S.

47f;

σέβω/σέβομαι.

Dobschiitz

bietet

auf

S.

4S-47

auch

eine

145 Deutlicher ist das Verhältnis zur "alten" Gottesverehrung der Griechen und Juden, wie aus den beiden dieser Stelle unmittelbar vorangehenden Fragmenten hervorgeht, die Clemens ebenfalls zitiert (ström. 6,40,lf bzw. 6,41,2f). Während die Griechen Gott in Form von Idolen und Tieren anbeteten, dienten die Juden "den Engeln und Erzengeln, dem Monat und dem Mond" (λατρεύοντες άγγέλοις και άρχαγγέλοις, μηνϊ και σελήνη). Der Verfasser wendet sich also gegen die Verehrung der (geschaffenen) υλη statt des Schöpfers und einzigen Gottes. Statt dessen sei Gott "geistig" (πνευματικως) zu dienen, wie Clemens in 6,41,7 die Intention des unbekannten Verfassers (korrekt?) wiedergibt. 282 In diesem Zusammenhang wird der Neuheitsbegriff mit der Rede von den Christen als τρίτου γένος verbunden, die hier erstmalig in der christlichen Literatur erscheint. 283 Dieser Bezeichnung, in der sich das Neuheitsverständnis des Christentums ebenfalls äußert (die Christen als chronologisch drittes, d. h. neuestes Geschlecht) müssen wir im folgenden weiter nachgehen.

2. 5. 2. 1. Die Christen als "drittes Geschlecht" Wie oben dargestellt, 284 hatte bereits Paulus die Juden und Hellenen (d. h. alle Nichtjuden, also einschließlich der Barbaren) der Kirche gegenübergestellt. Hierin kündigte sich also bereits eine Dreiteilung der Menschheit an. Diese Trichotomie findet sich nun in den folgenden Jahrhunderten außerordentlich häufig. 285 Nun bezeichnen die Heiden um

282

Vgl.

von

283

Vgl.

Kehl/Marrou

Dobschütz

284

Vgl.

oben

285

V g l

S.

1893,

1978,

S.

Sp.

4 8. 76S.

95-97.

i n e n . , haer. 3,12,14 (Juden, Griechen, CHeiden-DChrlsten); dem. 8 (Christen, Juden, Heiden); Orig., c. Cels. 7,59 (Hellenen, J u d e n , C h r i s t e n ) ; 8,7 ( w o O r i g e n e s s o g a r v o n J u d e n u n d C h r i s t e n a l s verschiedenen s p r i c h t ) ; w e i t e r e B e l e g e b e i H a r n a c k 1924, I, S. 2 5 9 - 2 6 7 ; W e y e r 1953 ( m i r n i c h t z u g ä n g l i c h ) ; S c h ä f k e 1979, S. 6 2 4 - 6 2 7 . Ferner Oepke 1950, S. 24 8 - 2 6 5 ; V o n a 1950, S . 7 4 - 7 7 ; Speyer/Opelt 1967, S. 2 8 0 f ; A . S c h n e i d e r 1968, S. 10-15; F r e d o u i l l e 1986, b e s . Sp. 1117ff; W i l l / K l e i n 1988, S p . 4 1 9 - 4 4 3 . z

B

E i n s c h ö n e s B e i s p i e l b i e t e t H i e r o n . , in Zach. 3 ( z u 13,7-9), Z . 192-220 ( C C h r . S L 7 6 A , 8 7 5 f ) , d e r h i e r S a c h 13,7-9 a u s l e g t . D i e v o n S t e l l e n w i e dieser her sich n a h e l e g e n d e A n n a h m e , daß die Dreiteilung auf e x e g e tische Ü b e r l e g u n g e n zurückgeht, w i r d d u r c h die älteren Quellen, die i m f o l g e n d e n diskutiert w e r d e n , leider nicht bestätigt. V i e l m e h r ist es gerade umgekehrt: Die Dreiteilung der Menschheit in Heiden, J u d e n u n d C h r i s t e n ist V o r a u s s e t z u n g f ü r die v o n H i e r o n y m u s vorget r a g e n e D e u t u n g v o n S a c h 13,8f.

- 146 200 herum in Nordafrika die Christen als tertium genus, wogegen sich Tertullian entrüstet zur Wehr setzt, wie gleich darzustellen sein wird. Seit d e r Erstveröffentlichung von Harnacks epochemachendem Werk "Mission und Ausbreitung des Christentums in den ersten drei Jahrhunderten" ist in der Forschung eine lebhafte Diskussion über die Ableitung dieser Bezeichnung in Gang gekommen, die bislang noch zu keinem endgültigen Ergebnis geführt hat. 2 8 6 Die Bedeutung der Bezeichnung der Christen als tertium genus ist für unseren Zusammenhang auch deshalb von großer Bedeutung, da sich in ihr die Reaktion der Heiden auf das Neuheitsbewußtsein der Christen widerspiegelt. Deswegen möchte ich im folgenden die in diesem Zusammenhang diskutierten Belege, in denen die Menschheit in verschiedene γένη eingeteilt wird, einzeln durchgehen und einerseits sehen, inwiefern sich aus ihnen etwas f ü r die Ableitung dieser Bezeichnung ersehen läßt, sowie andererseits fragen, welchen Stellenwert sie bei der Ausbildung des Fortschrittsbegriffes im Christentum einnimmt. Zunächst stellt sich die Frage, wie τρίτφ γένει in d e r vorliegenden Stelle in d e r praedicatio Petri überhaupt zu übersetzen ist. Das Problem besteht darin, daß das semantische Feld, d a s von τό γένος abgedeckt wird, sehr breit ist und sich die jeweilige Bedeutung nur aus dem Kontext erschließen läßt. Grundsätzlich lassen sich mit Liddell/ Scott/Jones fünf Grundbedeutungen f ü r τό γένος unterscheiden: 1) Verwandtschaft, 2) Nachkommenschaft, Geschlecht 3) Nation, Volk, 4) Geschlecht (biologisch), 5) Gattung, Art. 2 8 7 Für das lateinische Äquivalent genus gibt d a s Oxford Latin Dictionary dieselben Grundbedeutungen, differenziert aber in der f ü n f t e n Kategorie noch weiter, ohne daß u n s das im Moment beschäftigen muß. 2 8 8 Dieser Befund wird f ü r das Neue Testament bestätigt, wo sich alle Bedeutungen außer 4) finden. 2 8 9 Bei Hennecke/Schneemelcher ist nun die vorliegende Stelle übersetzt "die ihn als drittes Geschlecht auf neue Weise verehren". Hier wird also die Bedeutung 2) oder 3) vorausgesetzt. Dies läßt sich dadurch stützen, daß

286

Zum Folgenden vgl. C o r s s e n 191S; Harnack, Mission, 1924, I, S. 259-289; Baeck 193S; Vona 19SO, S. 76f; Oepke 19SO, S. 266f; Karpp 19S4, Sp. 1124 f; A. Schneider 1968, S. 187-191; Richardson 1969, S. 22-2S; Mohrmann 1977, S. 19S-197; Kehl/Marrou 1978, Sp. 765; S c h ä f k e 1979, S. 624-627; Simon 1985, S. 107ff; W i l l / K l e i n 1988, Sp. 4 32f. 287 v g l . L i d d e l l / S c o t t / J o n e s 198S s. v. Zum W o r t f e l d γενε- i n s g e s a m t vgl. Speyer 1976, Sp. 1149f sowie die einschlägigen Artikel in ThWNT. 288

Oxford Latin Dictionary 1968-82, s. v. 289 v g l . H a s l e r 1980; Bauer/Aland 1988, s. v. Die Belege verteilen sich f o l g e n d e r m a ß e n : 1) Act 4,6; 13,26; 17,28f; Apk 22,16; 2) Act 7,13; 3) Mk 7,26; Act 4,36; 7,19; 18,2.24; II Kor 11,26; Gal 1,14; Phil 3,5; I Petr 2,9 ( = Jes 43,20); 5) Mt 13,47; 17,21; Mk 9,29; I Kor 12,10.28; 14,10.

147 schon in klassischer Literatur των Ελλήνων γένος bzw. Εβραίων/ 'Ιουδαίων γένος stehende Begriffe sind. 2 9 0 Es könnte sich also hier um eine analoge Bildung im Sinne von των Χριστιανών γένος handeln, wobei dann noch näher zu klären wäre, ob γένος ethnisch-biologisch (2) oder eher politisch-sozio-kulturell im Sinne des Begriffes "Nation" (3) aufzufassen ist. 2 9 1 Dieser Deutung steht aber von vornherein d e r Dativ im Wege, d e r erklärungsbedürftig ist. Ein Blick auf die beiden vorangehenden Fragmente macht auch sofort deutlich, daß d e r Autor g a r nicht auf die Bedeutung "Geschlecht" hinauswill. Vielmehr geht e s j a um eine neue Weise, Gott zu verehren. Γένος nimmt hier also die f ü n f t e d e r oben genannten Bedeutungen an. Der Dativ ist, wenn ich recht sehe, entweder komitativ 2 9 2 oder a l s instrumentaler Dativ bei Vorgangsbezeichnungen und Abstrakta 2 9 3 aufzufassen und zu übersetzen, wie oben vorgeschlagen, als "in einer dritten Art" oder "auf dritte Weise". Schon Harnack hat darauf hingewiesen, daß an dieser, der ältesten Stelle, "die Christen selbst noch nicht 'das dritte Geschlecht 1 heißen, sondern ihre Gottesverehrung als die dritte gilt. Nicht in drei Völker teilt unser Verfasser die Menschheit, sondern in drei Klassen von Gottesverehrern." 2 9 4 Das nächste Mal begegnet uns der Begriff kaum später 2 9 5 in d e r Apologie des Aristides. Leider wirft dieses ursprünglich griechisch verfaßte Werk schwerwiegende überlieferungsgeschichtliche und textkritische Schwierigkeiten auf. 2 9 6 Es ist in einer syrischen (S), einer nahe

290 v g l .

die Belege bei Bauer/Aland 1988, s. v. 3.

291

Die Ubersetzung "Rasse", die sich vor allem in älterer Literatur findet, evoziert heute einerseits biologische, andererseits ideologiegeschichtliche Assoziationen und sollte darum nur dann Verwendung finden, wenn tatsächlich "genetisch"-morphologische Abgrenzungen gemeint sind. Vgl. dazu unten S. 159.

292

Schwyzer 1959-71, II, S. 162.

293

Ebenda, 430-441.

294

Harnack, Mission, 1924, I, S. 265; vgl. auch Kehl/Marrou 765. Ähnlich jetzt auch Pilhofer 1990, S. 229f.

29s

Die Apologie ist vermutlich entweder in die Regierungszeit Hadrians (117-138) oder Antoninus Pius (138-163) zu datieren. Eusebius, chron. ad ann. Abr. 214 0 (Helm 199,7-10) läßt sie um das Jahr 125 entstanden sein. Zu den Datierungsproblemen vgl. Alpigiano 1988, S. 8-10; Kinzig 1989, S. 29S, Anm. 12. Essig (1986) hält das Werkchen nicht für eine Apologie, sondern für eine christliche Propagandaschrift des zweiten Jahrhunderts.

S.

166;

vgl.

auch

Kühner/Blass/Gerth

1890-1904,

II/l,

S.

1978, Sp.

296 Vgl. ebenda, S. 303f. Grundlegend zu allem Folgenden immer noch Vona 1950 und jetzt auch Alpigiano 1988. Vgl. ferner Pilhofer 1990,

- 148 -

verwandten, aber erheblich kürzeren armenischen (A) sowie in einer davon abweichenden griechischen Fassung (G) überliefert. 2 9 7 Die Unterschiede sind gerade f ü r unsere Fragestellung von Bedeutung, s o daß wir nicht umhin können, sie etwas genauer in den Blick zu nehmen. Wir betrachten zunächst S und A: In diesem Text werden vier Menschengruppen unterschieden, nämlich Barbaren, Griechen, Juden und Christen (2,2-9). Dabei l a u f e n in S eine ethnisch-genealogische und eine kultischreligiöse Interpretation durcheinander. Während es bei Barbaren, Griechen und Christen u m den Ursprung der Religion geht, heißt e s bei den Juden: "I Giudei invece c o m p u t a n o l'inizio della loro Stirpe d a Abramo" (2,5). 298 Daß aber der ethnische Aspekt auch f ü r die Beurteilung d e s Christent u m s eine Rolle spielt, geht aus 16,5 hervor: "E veramente nuovo έ questo popolo, e una m e s c o l a n z a divina έ «299

in esso. Vorausgesetzt, die Datierung von S ist k o r r e k t , 3 0 0 s o haben wir hier den f r ü h e s t e n Beleg f ü r die Bezeichnung d e r Christen a l s eines "neuen Volkes". Es wird dabei unmittelbar deutlich, daß der paulinische Universalismus, der j a gerade auf die Überwindung und A u f h e b u n g traditioneller Kategorien abzielte, nun einem stärker partikularistischen Verständnis von Christentum Platz gemacht hat. Das Christentum ist a l s das neue Volk eben doch nur ein Volk neben anderen. Die eschatologische Dynamik in der Verwendung der Neuheitskategorie verschwindet zwar nicht völlig, 3 0 1 tritt aber doch deutlich zugunsten einer s o z u s a g e n wertenden B e s t a n d s a u f n a h m e der Menschheit zurück. Α geht in dieser Richtung noch weiter und versteht die Ableitung nun ausschließlich ethnisch-genealogisch (was bei den Christen natürlich zu Problemen f ü h r t , die aber stillschweigend übergangen werden). 3 0 2

S. 231-234. W o nicht anders angegeben, f o l g e ich in der Kapitel- und Paragraphenzählung der Ausgabe Alpigionis, die d u r c h e r n e u t e Änderungen die ohnehin schon verwirrenden Unterteilungen in den verschiedenen Editionen leider noch weiter kompliziert. 297

V g l

d l e

L l s t e

der Zeugen in Vona 1950, S. 7f.

298

Alpigiano 1988, S. 59-61; Ubersetzung ebenda; kursiv A u s f ü h r u n g e n Alpigionis 1988, S. 18 sind u n s c h a r f .

299

Alpigiano 1988, S. 125; Übersetzung ebenda. Zur Vorstellung von der "Mischung" vgl. auch Clem. Alex., ström. 5,98,4. Dazu gleich unten.

300

Zu den Problemen vgl. gleich

301

Vgl. Vona 1950, S. 43f.

302

Zur Bedeutung von Völkergenealogien im allgemeinen vgl. Speyer 1976, Sp. 1156-1160, 1193f. Zu der vorliegenden Stelle vgl. die Kom-

von

mir.

Die

unten.

-

149

Der Kult spielt Uberhaupt keine Rolle mehr. Überdies setzt Α bei der Aufzählung der einzelnen Gruppen in 2,3 vor die Barbaren ein ergänzendes pagani, was in den Summarien in 2,2 und 2,9 jedoch fehlt. Dazu paßt, daß im Gegensatz zu S die missionarische Wirkung des christlichen Glaubens am Schluß von 2,8 besonders unterstrichen wird. Diese Änderungen spiegeln vermutlich ein Spätstadium der Überlieferung wider. In der griechischen Fassung nun sind nur drei γένη unterschieden, wobei das erste γένος wiederum in drei Unterklassen zerfällt: "Denn es ist offenkundig, oh König, daß es drei Menschengeschlechter auf dieser Welt gibt. Darunter fallen die bei euch sogenannten Götterverehrer, die Juden und die Christen. Die aber, die die vielen Götter verehren, fallen wiederum in drei Klassen, (nämlich) in Chaldäer, Hellenen und Ägypter: Denn diese sind für die übrigen Völker zu Urhebern und Lehrern des Kultes und der Verehrung von Göttern unter vielen Namen geworden" (2,2).303 Hier werden eindeutig — wie in der praedicatio Petri — verschiedene Weisen der Gottesverehrung, aber nicht — wie in der armenischen und syrischen Fassung — verschiedene Völker unterschieden.304 Es stellt sich die Frage, welche Einteilung die ursprüngliche ist. Die Meinung in der Forschung in dieser Frage ist geteilt. 305 Die Dreiteilung

m e n t a r e V o n a s (19S0) u n d A l p i g i a n o s (1988). D i e e t h n i s c h e A b l e i t u n g a u c h b e i J u s t i n , dial. 123; O r i g . , princ. 4,1,1. 303 φ α ν ε ρ ο ν γ ά ρ έ σ τ ι ν ήμΐν, £> βασιλεΟ, ö t i τ ρ ί α γ έ ν η ε ί σ ϊ ν α ν θ ρ ώ π ω ν έ ν τ φ δ ε τ φ κόσμψ- ώ ν είσιν o l τ ω ν π α ρ ' ύμΤν λ ε γ ο μ έ ν ω ν θ ε Ο ν π ρ ο σ κ υ ν η τ α ϊ , κ α ι ' Ι ο υ δ α ί ο ι , κ α ι χριστιανοία ύ τ ο ί δέ π ά λ ι ν ol τ ο υ ς π ο λ λ ο ύ ς σ ε β ό μ ε ν ο ι Ö-εους ε ί ς τ ρ ί α διαιροΰνται γένη, Χαλδαίους τε και " Ε λ λ η ν α ς και ΑΙγυπτίους ο δ τ ο ι γ α ρ γ ε γ ό ν α σ ι ν α ρ χ η γ ο ί κ α ϊ δ ι δ ά σ κ α λ ο ι τοΤς λ ο ι π ο Τ ς £"θ·νεσι τ£5ν π ο λ υ ω ν ύ μ ω ν Φ ε ω ν λ α τ ρ ε ί α ς κ α ι π ρ ο σ κ υ ν ή σ ε ω ς (Alpigiano 58). 304

E r w ä h n u n g d e r A b s t a m m u n g nur b e i d e n J u d e n ( A b r a h a m , I s a a k u n d J a k o b , in 2,5 (in m s s . 14,1!) und b e i d e n C h r i s t e n in 2,6 ( i n m s s . 15,1!): O l δέ χ ρ ι σ τ ι α ν ο ί γ ε ν ε α λ ο γ ο Ο ν τ α ι ά π ό τ ο υ κ υ ρ ί ο υ Ί η σ ο ΰ Χ ρ ί σ τ ο υ ( A l p i g i a n o 60): H i e r stimmt G mit Α g e g e n S überein (nicht e r w ä h n t v o n V o n a 1950, S. 12f; d i e U m s t e l l u n g v o n 14,1 n a c h 2,5 u n d v o n 15,1 n a c h 2,6 b e i A l p i g i o n i v e r w i s c h t d i e s e n T a t b e s t a n d ) ! S i m o n 1986, S. 108 v e r s t e h t d i e g r i e c h i s c h e F a s s u n g d a h e r a u c h e t h n i s c h : " A n d in o r d e r t o m a k e it c l e a r t h a t he is s p e a k i n g o f a c t u a l s o c i e t i e s , of p e o p l e s and n o t s i m p l y o f c u l t g r o u p s , t h e a u t h o r a s s i g n s t o e a c h an a n c e s t o r , w h o is t h e f a t h e r o f t h e genos." D a s ist n i c h t r i c h t i g . 305 v g l . d i e b e i A . S c h n e i d e r 1968, S. 189 f ü r d i e U r s p r i i n g l i c h k e i t d e r g r i e c h i s c h e n F a s s u n g ( s o j e t z t a u c h G r a n t 1988, S. 3 8 f ) u n d b e i V o n a 1950, S. 12 f ü r d i e U r s p r ü n g l i c h k e i t d e r s y r i s c h e n Feissung zusammengestellten Stimmen. Zu letzterer Gruppe noch Richardson 1969, S. 207-210; A l p i g i a n o 1988, S. 27-34. D l e

ISO in Übereinstimmung mit der praedicatio Petri könnte f ü r die Ursprünglichkeit von G angeführt werden. Überdies wird sich zeigen, daß sich die Rede vom dritten Geschlecht nach der Mitte des dritten Jahrhunderts verloren hat. Es wäre daher möglich, daß die syrische (und die armenische) Fassung, die aus dem vierten Jahrhundert stammt, 3 0 6 auf eine bearbeitete Vorlage zurückgehen, die die vorliegende Vierteilung einführte. 3 0 7 Dagegen ist aber zunächst darauf hinzuweisen, daß die Klassifikation des griechischen Textes bei weitem artifizieller wirkt als die des syrischen und daher sekundär sein könnte. Überdies ist die Klasse d e r Polytheisten in G — im Unterschied zur praedicatio Petri — weiter untergliedert, wobei diese Untergliederung auffällig mit Hippol., ref. 10,30,6.8; 10,31,4.6 übereinstimmt. Noch wichtiger ist aber ein anderer Punkt: Denn auch S weist Übereinstimmungen mit der praedicatio Petri auf, die sogar bis in den Wortlaut hinein gehen. Die fraglichen Passagen seien im folgenden nebeneinandergestellt: Arist., apol. 14,4 (S; Alpigioni 113)

"Tuttavia essi si sono allontanati dall' esatta conoscenza e, nella loro mente, pensano di adorare Dio, ma nel modo delle loro azioni, verso gli angeli e non verso Diofeil loro culto, poich£ osservano

praed. Petri, frg. 2c ( = Clem. Alex., ström. 6,41,2f [Stählin/ Früchtel II, 452,7-12]) 308 Και. γαρ εκείνοι μόνοι οίόμενοι τον θεόν γινώσκειν οΰκ έπίστανται, λατρεύοντες άγγέλοις και άρχαγγέλοις, μηνί και σελήνη. και έάν μή σελήνη φανξ, σάββατον ούκ όίγουσι τό λεγόμενον πρώτον, ούδέ νεομηνίαν αγουσιν οϋτε αζυμα ουτε εορτήν

i sabati e le neomenie e gli azimi

306

Vgl. Vona 19SO, S. 7; Alpigiano 1988, S. 28f: S 4. Jh., A S. Jh.

307

Die a u f f ä l l i g e Behandlung der Ägypter bei S als eine Art E x k u r s zu den Griechen (12) läßt ja den Verdacht aufkeimen, daß es sich hier um einen s p ä t e r e n Zusatz handelt, der vielleicht d u r c h Änderung der A d r e s s a t e n notwendig wurde (ähnlich schon Seeberg 1893, S. 190f; Richardson 1969, S. 209; die Einwände G e f f c k e n s C1907, S. 4 7Π halte ich nicht f ü r beweiskräftig.) Das könnte dann darauf hindeuten, daß die Schrift an irgendeinem Punkt der Überlieferung in Ägypten tradiert wurde.

308

V g l

a u c h

Orig., comm. loh.

13,104.

151 e il grande digiuno309 ουτε μεγάλην ήμέραν. e il digiuno e la circoncisione e la mondezza dei cibi, cose che nemmeno cosi osservano alia perfezione." Natürlich sind die Unterschiede zwischen beiden Texten nicht zu übersehen: In der praedicatio Petri besteht (neben der Anbetung der Engel) 310 der Hauptvorwurf in der Verehrung des Mondes: Bei Neumond (oder einer Mondfinsternis? oder wegen der Witterungsverhältnisse nicht sichtbarem Mond?) gelten Sonderregelungen für die Beobachtung der Feiertage.311 Dies nimmt der Autor als Indiz dafür, daß die Juden das Geschöpf anstelle des Schöpfers verehren. Auch bei Aristides findet sich der Vorwurf der Engelverehrung. Dort wird aber die Beobachtung des Gesetzes wenig konsequent als Folge der Engelverehrung betrachtet. Beiden Texten gemeinsam ist indessen die Aufzählung der Bräuche, was Seeberg sogar zu der Annahme verleitet hat, bei Aristides das "große Fasten" durch den "großen Tag" der praedicatio Petri zu ersetzen.312 In beiden Texten fällt ferner das Fehlen jeglichen christologischen Bezuges auf. Es mag hier offenbleiben, ob die praedicatio an dieser Stelle für Aristides als Vorlage gedient hat313 oder umgekehrt oder ob beide Autoren aus derselben Quelle geschöpft haben.314 Entscheidend ist vielmehr, daß S eine sehr alte Tradition überliefert. Das ist im griechischen Text der Apologie anders, wo es als Begründung für die Verfehlung der Juden heißt: "Denn sie verehren auch jetzt den einen Gott und Allherrscher, doch nicht gemäß der Erkenntnis. Denn sie leugnen Christus, Gottes Sohn, und ähneln darin stark den Völkern, auch wenn sie sich in gewisser Weise der Wahrheit zu nähern scheinen, von der sie (doch) entfernt sind."315

309

Alpigioni

emendiert

mit S e e b e r g

310 V g l . z u d i e s e m V o r w u r f b e r e i t s 5,6. F e r n e r P a u l s e n 1977, S. 17f. der

Stelle

vgl.

in ' g i o r n o ' . Kol v.

2,18

Dazu

sowie

Dobschütz

gleich Orig.,

1893,

im c.

Text. Cels.

311

Zur Problematik 1977, S. 17f.

312

V g l . S e e b e r g 1893, S . 393. V g l . a u c h v . D o b s c h ü t z 1893, S . 37, A n m . 2, d e r z u R e c h t d a r a u f h i n w e i s t , d a ß d a s " g r o ß e F a s t e n " u n d der "große (Versöhnungs)Tag" sachlich ohnehin dasselbe meinen.

313

Vgl.

Seeberg

314

Vgl. 37f.

v.

315

Σέβονται γάρ και νυν Θεόν μόνον παντοκράτορα, άλλ' ού κατ' έ π ί γ ν ω σ ι ν - τ ο ν γ ά ρ Χρι,στόν άρνουνται. τον ΤΙόν τ ο υ Θεοΐί και εΐοϊ π α ρ ό μ ο ι ο ι τ ω ν έ θ - ν ω ν , κδίν έ γ γ Ε ζ ε ι ν π ω ς τ φ άΧηθ·είιγ δ ο κ ω σ ι ν , f j g έ α υ τ ο ύ ς έ μ ά κ ρ υ ν α ν (14,2-4 C A l p i g i o n i 112]).

1893, S . 216-220, b e s . 216f; P a u l s e n

Dobschütz

1893, S.

37ff;

Geffcken

1907,

S. 41-45;

1,26;

Paulsen

1977, S . 13. S.

XXXIII,

XXXIX,

1S2

Zu dieser christologischen Begründung passen die christologischen Ausführungen in 15,1, die Elemente des syrischen Textes (aus 2,6-8) aufgreifen. Im syrischen Text dient der Bezug auf Christus aber nicht soteriologischen, sondern "genealogischen" Zwecken. Dies entspricht der Tendenz des syrischen Textes, der den Hauptakzent ganz auf den Monotheismus legt. Christus wird sonst nur noch beiläufig in 17,7 als Vermittler des Gottesgerichts genannt. Im griechischen Text hingegen ist die Soteriologie gerade der entscheidende Unterschied zwischen Juden und Christen. Ziel seines Kommens ist eben die Rückführung der Menschen aus dem Polytheismus und somit die Vollendung der göttlichen Ökonomie (15,1; vgl. 2,8). Es kann kaum ein Zweifel daran bestehen, daß die Christologie der griechischen Fassung weiter entwickelt und darum jünger ist. Dies bedeutet aber nicht, daß die syrische Version den ursprünglichen Text repräsentiert. Denn wir hatten ja oben bestimmte Übereinstimmungen auch des griechischen Textes mit der praedicatio Petri, und zwar gegen den Syrer, festgestellt. Man wird also gut daran tun, den Griechen und den Syrer zwei verschiedenen Ästen der Überlieferung zuzuweisen, die unterschiedliche Stadien der Bearbeitung repräsentieren.316 Leider läßt sich dabei nicht mehr eindeutig bestimmen, ob die uns hier interessierende Einteilung der Menschheit in drei γένη ursprünglich ist oder nicht. Kaum weniger verwirrend sind einige Bemerkungen im Testament des Levi innerhalb der Testamente der zwölf Patriarchen. Die ursprünglich jüdische Schrift ist bekanntlich christlich interpoliert.317 Die christliche Endredaktion wird heute in der zweiten Hälfte des zweiten Jahrhunderts angesetzt.318 Auf sie geht vermutlich die heutige319 Fassung von TestLevi 8,11-15 zurück, wo Levi verkündet wird: "Levi, in drei Herrschaften (Ämter) wird dein Same geteilt als Zeichen der Herrlichkeit des Herrn, der kommen wird: Der Glaubende wird zuerst sein; kein Anteil wird größer sein als er. Der zweite wird im Priestertum sein. Der dritte, er wird einen neuen Namen tragen, weil ein König aus Juda aufstehen und

316

Die V e r h ä l t n i s s e liegen damit, nebenbei bemerkt, ganz b e i d e n P s e u d o k l e m e n t i n e n ; v g l . d a z u u n t e n K a p . 3.2.4.

317

Dazu

Hollander/de

Jonge

198S, S.

ähnlich

wie

67-8S.

E b e n d a , S . 85. 319 V e r m u t l i c h ist n i c h t d i e gesamte Stelle interpoliert, sondern ein v o r l i e g e n d e s Stück überarbeitet w o r d e n . Die literarkritischen Fragen sind f ü r uns ohne Belang. 318

153 eine neue Priesterschaft schaffen wird, gemäß dem Vorbild der Völker, für alle Völker. Seine Gegenwart wird aber unbeschreiblich (schön) sein, wie die des höchsten Propheten aus dem Samen Abrahams, unseres Vaters." 3 2 0 Mit den drei άρχαί sind offenbar die Erzväter, das Priestertum Moses und Aarons sowie die neue Priesterschaft Melchisedeks, d. h. die Kirche, gemeint. 321 Die Reihenfolge ist also chronologisch und kultisch, aber in ganz anderer Form als in der praedicatio Petri und bei Aristides. Diese Dreiteilung läßt sich nun auch noch an einer anderen Stelle der Schrift beobachten. In TestLevi llf wird die Nachkommenschaft Levis aufgezählt (vgl. Ex 6,16-20[LXX]): die Söhne Gersam (11,2f), Kaath (11,4-6), Merari (11,7) und Jochebed (11,8). In 12,1-4 folgen die Enkel. Nach einem kurzen Summarium fährt der Text unvermittelt fort: Και ιδού έοτε, τέκνα μου, τρίτη γενεά (12,6 [de Jonge 391). Im aramäischen Text von TestLevi lautet die Stelle: "And all the days of my life were one huindred and thir]ty-seven years and I saw my [third! generation before I died" (v. 81 [Hollander/de Jonge 1985, S. 467fl). Hollander und de Jonge bemerken hierzu: "Τ. L. [sc. der griech. Text], postpones the mention of the end of Levi's life and makes Levi address his sons of 1,1 as 'the third generation'." 3 2 2 Geht man davon aus, daß die aramäischen Fragmente im wesentlichen die ältere Textfassung repräsentieren, 323 so erhebt sich die Frage, warum der griechische Text geändert wurde. Die Vermutung liegt nahe, daß die aus dem gegenwärtigen Kontext herausfallende Bemerkung 3 2 4 im Zusammenhang mit der christlichen Redaktion des Textes zu sehen ist und sich gar nicht in erster Linie auf die fiktiven Adressaten bezieht (also die Urenkel! 325 ), sondern auf die (christlichen) Leser, die nun als dritte "Generation" bzw. "Art" angesprochen werden, wobei die Dreiteilung von 8,11-15

Λευ£, ε ι ς τ ρ ε ι ς ά ρ χ ά ς διαιρεθ-ήσεται τό σπέρμα σ ο υ , ε ί ς σ η μ ε ΐ ο ν δ ό ξ η ς κυρίου έπερχομένου- και ö πιστεύσας π ρ ώ τ ο ς £σται· κ λ ί ί ρ ο ς μ έ γ α ς υπέρ α ύ τ ό ν ού γ ε ν ή σ ε τ α ι . ό δ ε ύ τ ε ρ ο ς έ'σται έν ΐ ε ρ ω σ ύ ν ^ . ώ τ ρ ί τ ο ς , έπικληθ-ήσεται α ύ τ ψ δ ν ο μ α κ α ι ν ό ν , ÖTL β α σ ι λ ε ύ ς έκ τοΟ Ί ο υ δ ά ά ν α σ τ ή σ ε τ α ι , καί π ο ι ή σ ε ι ί ε ρ α τ ε ί α ν ν έ α ν , κατοί τ ό ν τ ύ π ο ν τΩν έ θ ν ω ν , ε ί ς π ά ν τ α τα fS-νη. ή δέ π α ρ ο υ σ ί α α ύ τ ο ϋ δ ί φ ρ α σ τ ο ς , ώ ς π ρ ο φ ή τ ο υ ύ ψ η Χ ο ΰ έκ σπέρματος "Αβραάμ π α τ ρ ό ς ήμων ( d e J o n g e 3 4 ) . Z u r B e z e i c h n u n g d e r K i r c h e a l s " n e u e r P r i e s t e r s c h a f t " v g l . a u c h u n t e n S . 181, 2 8 3 , A n m . 3 0 9 . 321 V g l . d i e E i n z e l n a c h w e i s e b e i H o l l a n d e r / d e J o n g e 1 9 8 S , K o m m . z . S t . s o w i e S. 7 6 f . V g l . a u c h T e s t L e v i 18. 3 2 0

3 2 2

Hollander/de

3 2 3

Vgl. ebenda,

Jonge S.

3 2 4

Hollander/de

3 2 5

Vgl. hierzu

198S, S.

164.

23.

Jonge

1 9 8 5 , S . 162 n e n n e n

Gen 50,23

(LXX).

12,6F " l o o s e

remarks".

IS 4 mitzudenken ist: Ihnen, d. h. der Kirche, gilt die Prophezeiung — das will die redaktionelle Umformulierung zum Ausdruck bringen. Daß dies von den christlichen Lesern auch so verstanden wurde, ist um so wahrscheinlicher, wenn wir annehmen, daß die Christen sich auch sonst allgemein als "dritte Art" verstanden. Dafür gibt es aber nun noch weitere Belege. An dieser Stelle müssen wir noch einmal einen Moment zur praedicatio Petri zurückkehren. Die oben besprochenen Fragmente sind uns, wie gesagt, in den um 200 verfaßten stromateis des Clemens von Alexandrien erhalten.326 Dieser zitiert sie nun aber nicht einfach, sondern wertet sie für seine eigenen Zwecke aus und gibt ihnen so eine neue Bedeutung. Während er zunächst noch die Klassifikation der praedicatio im Sinne seiner Quelle kultisch versteht {ström. 6,41,7), bestimmt er im folgenden Abschnitt das Verhältnis von Griechen, Juden und Christen folgendermaßen: "Aus den Zöglingen der griechischen Bildung und aus denen der Gesetzesbildung werden alle, die den Glauben annehmen, zu dem einen Geschlecht des geretteten Volkes zusammengeführt, wobei die drei Völker nicht der Zeit nach getrennt sind, so daß man drei Naturanlagen annehmen müßte, sondern nur durch verschiedene Bündnisse des einen Herrn erzogen werden, aber alle dem Wort des einen Herrn glauben" (6,42,2).327 Aus diesem Zeugnis wird deutlich, wie fließend die Übergänge zwischen dem ethnischen und dem kultischen Verständnis von γένος sind. Das kultische Verständnis ergab sich bereits aus dem Zitat der praedicatio Petri. Daß Clemens hier tatsächlich drei Völker meint, wird bereits aus der Wortwahl (λαός) deutlich. Gleichzeitig konstituieren diese sich jedoch durch die unterschiedlichen διαθήκαι Gottes, nämlich griechische Philosophie, jüdische Prophetie sowie Christus. Dabei handelt es sich indessen nicht um drei voneinander unterschiedene ethnische Gruppierungen, sondern das Christentum rekrutiert sich aus Griechen und Juden und stellt somit deren Überhöhung dar.328 Dies wird besonders deutlich aus ström. 6,159,9:

326

Zur Datierung vgl. M£hat B i e r b a u m 1953, S. 7S-87.

1981,

S.

101.

Zum

Folgenden

vgl.

auch

Έ χ γ ο ΰ ν τ?[ς ' Ε λ λ η ν ι κ έ ς π α ι δ ε ί α ς , ά λ Χ ά κ α ϊ έκ τ?ίς ν ο μ ι κ έ ς ε ι ς τ ό Ι'ν γ έ ν ο ς τοΟ σερζομένου σ υ ν ά γ ο ν τ α ι λ α ο υ ol τ ή ν π ί σ τ ι ν π ρ ο σ ι έ μ ε ν ο ι , ού χ ρ ό ν ψ δ ι α ι ρ ο υ μ έ ν ω ν τ Ώ ν τ ρ ι ώ ν Χ α ω ν , Υνα τ ι ς (ρύσεις ϋ π ο λ ά β ο ι τ ρ ι τ τ ά ς , δ ι α φ ό ρ ο ι ς δέ κ α ι δ ε υ ο μ έ ν ω ν δια·9·ήκαις τ ο υ έ ν ό ς κυρίου, * * ο ν τ ά ς έ ν ό ς κ υ ρ ί ο υ £>ήματι ( S t ä h l i n / F r i i c h t e l 11,452,24-28; U b e r s e t z u n g n a c h B K V 2 ) . 328 V g i h i e r z u i n s b e s o n d e r e C o r s s e n 1915, S. 162-164. 327

- 155 "Mit Recht haben also die Juden das Gesetz, die Griechen die Philosophie bis zu der Erscheinung des Herrn; von da an aber findet die allgemeine Berufung statt, indem der eine, der allein Gott beider, der Griechen und der Barbaren, vielmehr des ganzen Menschengeschlechtes ist, durch einen einzigen, den Herrn, entsprechend der aus dem Glauben erwachsenden Lehre, zu einem, auserwählten Volke [vgl. Tit 2,14] der Gerechtigkeit versammelt." 329 Clemens relativiert also die Rede von den drei γένη, indem er ihr Verhältnis zueinander exakter bestimmt. Deutlich wirkt bei dem Alexandriner der paulinische Universalismus nach (3,70,lf): Das Christentum wurde aus den beiden Völkern (λαοί) von Griechen und Juden zusammengeführt. Und, fragt Clemens weiter, "war nicht der dritte der eine, der aus jenen beiden zu einem neuen Menschen geschaffen wurde, in dem er wandelt und wohnt, in der Kirche selbst?" (3,70,2)330 Dies bedeutet, daß Clemens sich hier gegen eine Interpretation der drei γένη wendet, als wären sie drei Menschengruppen, die ohne Verbindung nebeneinander existierten. In diesem Zusammenhang fällt ein Nebensatz in 6,42,2 auf, in dem ausdrücklich das "physische Verständnis" der drei λαοί abgelehnt wird. Damit verweist Clemens zurück auf Buch 5. Dort hatte er im Zuge seines Abhängigkeitsbeweises der Philosophie von der christlichen Lehre darauf hingewiesen, daß Plato auch den christlichen Gedanken von der Brüderlichkeit aller Menschen aufgrund ihrer Herkunft "nur von dem einen Gott und nur dem einen Lehrer" entlehnt habe {ström. S,98,l). In rep. 3 (4 ISA) hatte Piaton verschiedene Menschengruppen in seiner Idealstadt unterschieden:

329

Είκότως οΰν 'IouSocioLg μ έ ν ν ό μ ο ς , "Ελλησι Si φιλοσοφία μέχρι τ?[ς π α ρ ο υ σ ί α ς , έ ν τ ε ΰ θ ε ν δέ ή κ λ ? ί σ ι ς ή κ α θ ο λ ι κ ή , ε ί ς π ε ρ ι ο ύ σ ι ο υ δ ι κ α ι ο σ ύ ν η ς λ α ό ν [ v g l . T i t 2,14] κ α τ ά τ ή ν έκ π ί σ τ ε ω ς δ ι δ α σ κ α λ ί α ν σ υ ν ά γ ο ν τ ο ς δι' έ ν ό ς τ ο ΰ κυρίου τ ο υ μ ό ν ο υ έ ν ό ς άμφοΤν θεοΟ, " Ε λ λ ή ν ω ν τε κ α ι β α ρ β ά ρ ω ν , μ δ λ λ ο ν δέ π α ν τ ό ς τ ο ΰ τ ω ν α ν θ ρ ώ π ω ν γ έ ν ο υ ς ( S t ä h l i n / F r i i c h t e l 11,514, S-10; Ü b e r s e t z u n g n a c h B K V 2 ; g e ä n d e r t ) . V g l . a u c h 7,107,5.

330

... τ ρ ί τ ο ς δέ ?jv έ κ τ Ο ν δ υ ε ΐ ν κ τ ι ζ ό μ ε ν ο ς εΓς ε ί ς κ α ι ν ό ν ό ί ν θ ρ ω π ο ν , φ δή έ μ π ε ρ ι π α τ ε Τ τ ε κ α ι κ α τ ο ι κ ε ί έ ν αΰτ^ί τ^) έ κ κ λ η σ ί ^ ; (Stählin/Friichtel 11,228,1-3: Ü b e r s e t z u n g n a c h B K V 2 ) V g l . a u c h p r o i r . 112,3: Κ α ι δή κ α ι π α ς , ώ ς έ'πος ε ί π ε ΐ ν , δ Χ ρ ι σ τ ό ς ο ύ μ ε ρ ί ζ ε τ α ι [ v g l . I K o r 1,13]· ο ύ τ ε β ά ρ β α ρ ο ς έστιν οΰτε "ΙουδαΤος οΰτε " Έ λ λ η ν , ο ΰ κ ό ί ρ ρ ε ν , ο ύ θ ? [ λ υ [ v g l . G a l 3 , 2 8 ] · κ α ι ν ό ς δέ ό ί ν θ ρ ω π ο ς θ ε ο υ π ν ε ύ μ α τ ι ά γ ί ι μ μ ε τ α π ε π λ α σ μ έ ν ο ς [ v g l . G a l 6,15; E p h 4 , 2 4 ; K o l 3,9-11] ( S t ä h l i n / T r e u 1,79,17-19).

1S6

-

"Denn ihr alle, die ihr in dieser Stadt lebt, seid zwar Brüder, so werden wir zu ihnen in Form eines Mythos sagen; aber als Gott euch bildete, hat er allen denen unter euch, die zum Herrschen geeignet sind, bei ihrer Geburt Gold beigemischt; daher sind sie die Wertvollsten; allen denen aber, die zu Helfern bestimmt sind, Silber; Eisen und Erz aber den Ackerbauern und den übrigen Handarbeitern." 331 Clemens ergänzt dieses Zitat durch ein weiteres aus dem fünften Buch desselben Werkes (479A): "Daher, sagt er, 'müssen die einen das schätzen und lieben, womit es die Erkenntnis zu tun hat, jene dagegen, was im Bereich der bloßen Meinung liegt'" (5,98,3)332 und kommentiert es mit folgenden Worten: "Vielleicht spricht er damit seherisch von der nach Erkenntnis strebenden vortrefflichen Naturanlage, wenn er nicht vielleicht, wie manche annahmen, mit seiner Aufstellung von drei verschiedenen Naturen drei verschiedene Lebensformen beschreiben will, und zwar die der Juden als die silberne, die der Griechen als die dritte und die der Christen als die, der das königliche Gold beigemischt ist, nämlich der Heilige Geist" (5,98,4). 333 Die Stelle ist aus mehreren Gründen besonders wichtig: Zum einen entnimmt Clemens seine Interpretation offenbar einer Quelle, die er jedoch leider nicht genauer bezeichnet. Diese Quelle interpretierte die "dreifache Abstufung der natürlichen Befähigung" 334 Piatos als drei πολιτείοα (Clemens spricht nirgends ausdrücklich von γένη) und deutete sie auf Griechen, Juden und Christen. 335 Offenbar hat Clemens in der

331

Έστέ

μέν

γαρ

πάντες

μυθολογοΟντες, χρυσόν

έν

τ^ϊ

έπίκουροι., όίλλοις

μεν

»ανάγκη« έφ'

11,390,25-391,1; 333

"Ισως εϊ

μή

τι

τίνες, πνεύμα Zeller S. 335

δέ,

1963,

dazu

S.

χρυσός

vgl.

ferner

1983,

S.

176f.

Wyrwa

1983,

S.

312.

des

ÖOOL καϊ

δέ τοις

ström.

S,98,2

φιλεΤν

τούτους

Clemens,

οΓς

αύτους άίρχειν,

είσιν

γεωργοΤς

nach

έφ'

tpüoLV

BKV2).

τε

καϊ

δόξα«

γνώσεως

φύσεις,

μέν ύ

11,391,1-5;

Graeser

τοΤς

πρός

Ικανοί

(Stählin/Friichtel

BKV2).

ταύτην

"Ιουδαίων

880;

nach

ύμων

τιμιώτατοί

διό

άοπάζεσθαι δέ

φήσομεν

μέν

χαΧκόν

Fassung

έκείνους

ώς

δσοι

Übersetzung

ύττοτί-θέμενος

καϊ ξ

καϊ

»[γεγονέναι]

έκλεκτήν

άδελφοί,

αύτοΤς,

δέ

in d e r

γνωσις,

(Stählin/Friichtel

462ff;

Vgl.

(zitiert

τι,νας

διαγράφει,

Χριστιανών 334

την

πόλει

πλάττων,

II.390.21-2S];

Übersetzung

τρεις

τζ

συνέμίξεν

φησϊ

οΤς

έν

θ-εός

σίδηρον

δημιουργοΤς

ταΰτα

ό

γενέσει

άίργυρον

[Stählin/Friichtel 332 " Ο θ ε ν

ot

άλλ'

τρεΤς

άργυρδίν, βασιλικός

"Ελλήνων

μαντεύεται,

ώς δέ

19S7,

nach S.

ϋπέλαβόν

τήν

έγκαταμέμικται,

Übersetzung

Praechter

έφιεμένην

πολιτείας,

τό

τρϊτην. δίγιον

BKV2).

270f;

Guthrie

1975,

157 späteren Stelle in 6,42,2 diese Passage im Sinn. Demnach warnt er dort (und in 3,70,lf) davor, die Rede von den drei γένη: Griechen, Juden, Christen s o mißzuverstehen, a l s handle e s sich dabei um distinkte φύσεις wie bei den drei Menschengruppen Piatos. 3 3 6 Clemens sagt indessen nicht, daß seine christliche Quelle Plato in diesem Sinne verstanden habe. Diese der Stände- bzw. Seelenordnung entsprechende Einteilung der Menschheit in drei Gruppen basiert selbst schon auf Plato. 3 3 7 Dieser hatte die Ägypter und Phöniker dem φιλοχρήματον, die Völker des Nordens dem θυμοεώές und die Griechen dem φιλομαθές zugeordnet. Die Clemens vorliegende Quelle hatte offenbar die Dreiteilung beibehalten, aber auf Griechen, Juden und Christen umgedeutet. Ziel der Ausführungen des Clemens ist es, die Christen als die "Anführer" der Philosophie (κορυφαίοι) zu erweisen (vgl. das folgende Zitat Theaet. 173C-174A) und über Juden und Griechen zu stellen. In die Reihe unserer Zeugnisse gehört auch der Diognetbrief. Leider ist hier völlig unklar, w o wir ihn chronologisch einzustellen haben. Ich f o l g e der eher zurückhaltenden Sicht Wengsts und nehme an, "daß die Schrift an Diognet frühestens am Ende des zweiten Jahrhunderts verfaßt worden ist und vor der Zeit Konstantins." 3 3 8 In dieser anonymen Schrift steht die von uns untersuchte Dreiteilung an besonders exponierter Stelle, nämlich am Beginn des Vorwortes: "Ich sehe ja, erlauchter Diognet, daß du dich voller Eifer bemühst, die Religion der Christen kennenzulernen, und ganz g e nau und sorgfältig erfahren willst, auf welchen Gott s i e vertrauen und wie sie ihn verehren und daß s i e alle die Welt geringschätzen und den Tod verachten und weder die von den Griechen geglaubten Götter gelten lassen, noch den Aberglauben der Juden mitmachen, und was für eine innige Liebe das ist, die sie zueinander haben, und warum denn in aller Welt diese neue Art oder Betätigung jetzt erst in das Leben getreten ist und nicht früher" (1,1)339

336

Gegen sieht.

Corssen

1915, S.

163, der

in

5,98

einen

"Widerspruch

zu

6,42

337

Vgl. rep. 4 (435E-436A) und die Übersicht bei Praechter 19S7, S. 275.

338

Wengst

339

'Επειδή 6pc5, κράτιστεΔιόγνητε, ύπερεσπουδακότα σε τήν -8-εοσέβειαν των Χριστιανών μαθεΤν και πάνυ σαφώς και έπιμεΧως πυνθανόμενον περί αύτων, τίνι τε θ·εψ πεποιθότες και πως θ·ρησκεύοντες αυτόν τόν τε κόσμο ν ύπερορωσιν πάντες καΐ θανάτου καταφρονουσιν και ούτε τους νομιζομένους υπό των ΈλΧήνων θεούς λογίζονται οΰτε τήν "Ιουδαίων

1984, S. 309.

- 158 Auch wenn das Stichwort vom τρίτου γένος hier nicht fällt, wird es vom Verfasser doch eindeutig vorausgesetzt. 340 Den Christen wird der Polytheismus der Griechen und der "Aberglaube" 3,11 der Juden gegenübergestellt. Das proprium der Christen, das ihr γένος letztlich den anderen beiden überlegen macht, wird schon hier programmatisch in ihrer Ethik gesehen, weshalb γένος auch mit επιτήδευμα ("Betätigung, Brauch, Lebensweise") gleichgesetzt wird. Entscheidend ist dabei für den Verfasser, daß sich die Christen trotz ihrer speziellen Ethik weder ethnisch, noch kulturell in irgendeiner Weise von den übrigen Menschen unterscheiden. 342 Das ethnische Verständnis von γένος ist somit für den Diognetbrief nicht anzunehmen.343 Auch im lateinischen Bereich begegnet der Ausdruck mehrfach. Allerdings zeigt er dort auf den ersten Blick ein ganz anderes Gepräge. Tertullian diskutiert ihn ausführlich in ad nationes 1,8 (geschrieben Sommer 179344). Im vorausgehenden Kapitel hatte Tertullian betont, daß sich die Christen allein darin von der übrigen Menschheit unterschieden, daß sie über die Wahrheit verfügten; ansonsten seien sie aber allen anderen Menschen gleich (1,7,33). Nun würden aber die Christen tertium genus genannt (1,8,1). Tertullian greift also einen Einwand und eine Bezeichnung seiner Gegner auf, um sie zu widerlegen. 343 Diese Widerlegung läßt sich in fünf Abschnitte untergliedern: 1. 1,8,1: Zunächst stellt Tertullian in einem knappen Einleitungssatz das Problem dar: "Wir werden allerdings das dritte Geschlecht genannt. (Sind wir denn wie) irgendwelche Cynopenner oder Sciapoden oder irgendwelche Antipoden aus der Erde? Wenn ihr darin nur ein kleines bißchen Verstand habt, dann gebt bitte das erste und

δεισιδαιμονίαν φυλάσσουσιν και τίνα τήν φ ι λ ο σ τ ο ρ γ ί α ν Sxouoiv KpÖQ ά λ λ ή Χ ο υ ς κ α ϊ τ ι δή π ο τ ε κ α ι ν ο ύ τ ο ΰ τ ο γ έ ν ο ς ϊΐ Επιτήδευμα είστϊΧθεν είς τ ο ν βίον vuv κ α ι οϋ π ρ ό τ ε ρ ο ν ( W e n g s t 312; U b e r s e t z u n g W e n g s t 1984). 340 V g l . a u c h R i c h a r d s o n 1969, S. 23. 341

342

Zur Bedeutung A n m . SO.

δεισιδαιμονία

in

Diog

vgl.

Wengst

1984,

S.

V g l . v o r a l l e m 5,1-9. i S i m o n 1986, S. 108. G e g e n H a r n a c k , M i s s i o n , 1924, I, S. 26S. H a r n a c k s V e r w e i s a u f 5,17 v g l . W e n g s t 1984, K o m m e n t a r z . St.

343

V g

344

V

34s

von

294,

Zu

gi B a r n e s 1985, S. 55; z u m F o l g e n d e n v g l . v . a. A . Schneiders e i n g e h e n d e n K o m m e n t a r (1968), m i t d e m i c h a l l e r d i n g s n i c h t d u r c h w e g übereinstimme.

E s g e h t a l s o in 1,7,33 n i c h t u m e i n e W i d e r l e g u n g d e s d a c h t e s . M i t A . S c h n e i d e r 1968, S. 189 g e g e n C o r s s e n u n d L o r t z 1927/28, I, S. 82 m i t A n m . 28.

Unzuchtsver1915, S. 169f

159 das zweite Geschlecht an, damit s o auch (eure Behauptung) über das dritte gesichert ist." 3,16 Die Erwähnung der Fabelvölker 3 4 7 hat offensichtlich die Funktion, die Lächerlichkeit der Bezeichnung herauszustellen. Doch welchen Sinn hatte sie im Munde d e r Nichtchristen ursprünglich? Nun ist bei Tertullian häufig schwierig zu ermitteln, ob er die Semantik seiner Gegner unverkürzt übernimmt oder o b er sie sogleich zu seinen Zwecken umbiegt. Im vorliegenden Zusammenhang jedoch erklärt er in 1,8,10 unmißverständlich, die Christen würden von den Nichtchristen als die "neuesten, letzten" (nouissimos) und "die dritten" (tertios) bezeichnet. Angesichts dieser eindeutigen Worte läßt sich kaum daran zweifeln, daß Tertullian hier den Wortgebrauch seiner Gegner korrekt wiedergibt, die tertium genus offensichtlich auch in chronologischem Sinne verstanden. Nur s o ist zu erklären, warum sich Tertullian s o massiv gegen dieses Verständnis zur Wehr setzt. Die Bezeichnung weckte im Lateinischen also zunächst die Assoziation "Menschengeschlecht, Menschenklasse", und zwar mit stark biologistischem Einschlag (hier nun doch unserem Wort "Rasse" ähnelnd). (In l,8,9f gebraucht Tertullian denn auch genus synonym mit gens.) Dies stimmt mit unserer Interpretation d e r syrischen und armenischen Fassung der Apologie des Aristides überein. Sodann aber, und das ist neu, trug das Wort vom tertium genus stark pejorativen Charakter. Drittens schließlich war die Rangklasse in d e r ersten d e r von Tertullian bekämpften Interpretationen chronologisch-historisch gemeint. Es bliebe demnach zu klären, welches die erste und die zweite Klasse sind. 2. 1,8,2f: Als Beispiel f ü r einen derartigen Klärungsversuch führt Tertullian die Psammetich-Anekdote an, die er einer unbekannten Quelle entnommen hat. 3 4 8 Sie lieferte den "experimentellen Beweis" dafür, daß die Phrygier die ersten Menschen waren. Tertullian ordnet also d a s Problem dem Gebiet antiker anthropologischer Spekulationen ein. Der Vorwurf, dem Tertullian hier begegnet, ist also offenbar der der Neuheit des Christentums als "ethnischer" Größe. Die Christen sind d a s (chronologisch) dritte, also "neueste" Volk und können daher nicht dieselbe Autorität und Dignität beanspruchen wie d a s erste und d a s zweite "Geschlecht".

346 "plane, tertium genus dicimur. Cynopennae aliqui uel Sciapodes uel aliqui de subterrane Antipodes? Si qua istic apud u o s salte ratio est, edatis uelim primum et secundum genus, ut ita de tertio c o n s t e t " (1,8,1 CCChr.SL 1,21,26-293). 34,7

Dazu A. Schneider 1968, z. St.

348

Sie s t a m m t nicht 1968, S. 190f.

aus

Herodot

2,2;

vgl.

die

Analyse

bei

Schneider

160 -

3. 1,8,4-8: E s folgt eine ausführliche rationalistische Erklärung der Geschichte, die in unserem Zusammenhang ohne Belang ist. 4. l,8,9f: In Form einer concessio nimmt Tertullian die Richtigkeit der Geschichte an. Wenn denn die Phrygier die ersten waren, f o l g e daraus noch lange nicht, daß die Christen a l s dritte kamen. Überdies vermischt er nunmehr die chronologische Bedeutung der Rangordnung mit einer Klassifikation nach numerischer Größe: Ginge e s nach den Zahlen, wäre d a s Christentum d a s erste Geschlecht. 5. 1,8,11-13: Hier nun wird — scharf abgegrenzt durch sed — eine zweite, religiöse Bedeutung von tertium genus eingeführt: "Sed de superstitione tertium genus deputamur, non de natione ut sint Romani, Iudaei, dehinc Christiani" (1,8,11 [CChr.SL l,22,26fl). Die Bedeutung von sed hier ist f ü r den Zusammenhang wichtig. Denn die Konjunktion ist nicht s o zu verstehen, a l s präzisiere der Satz den vorangegangenen und e s f o l g e nunmehr die "korrekte" Bedeutung von tertium genus.3*9 Vielmehr wird ein mögliches Verständnis (behandelt in 1,8,1-10) einem anderen g e g e n ü b e r g e s t e l l t . 3 3 0 Superstitio hat dabei keine abschätzige Bedeutung, sondern ist im Sinne von ritus zu verstehen, a l s o a l s "Kult, Ritus, religiöse Zeremonie" (vgl. 1,20,4). Der Satz ist demnach folgendermaßen zu übersetzen: "Wir werden aber (auch) in religiösen Dingen a l s drittes Geschlecht gerechnet, nicht (nur) der Nation nach, s o daß (die Geschlechter) dann Römer, Juden und sodann die Christen sind." In diesem religiösen Verständnis von tertium genus ist die Reihenfolge nun nicht beliebig oder unklar, sondern liegt f e s t , 3 5 1 denn s o n s t verlöre Tertullians Polemik hiergegen j a jeglichen Sinn. Die ersten beiden genera sind Römer und Juden. Die Griechen sind dabei, wie Tertullian selber zugeben muß, in der ersten Kategorie natürlich miteinbegriffen. Aber e s ist sicher kein Zufall, daß hier Romani und nicht Graeci steht; der Grund hierfür liegt nicht nur darin, daß Tertullian sich mit seiner Schrift an Römer wendete, sondern auch darin, daß diese Klassifikation lateinischer antichristlicher Polemik entstammt (denn sonst würde Tertullian d a s Problem j a gar nicht erst thematisieren).

349

S o etwa Harnack, M i s s i o n , 1924, I, S. 286; A. Schneider 1968, S. 189 und K o m m e n t a r z. St. und zu 1,20,4.

350

Zu dieser Bedeutung von sed vgl. O x f o r d Latin Dictionary 1968-82, s . v., 9. Gegen C o r s s e n 1915, S. 166, der die Einteilung a l s " g e n a u s o willkürlich wie die e r s t e Annahme" ansieht, "nur dazu a u f g e s t e l l t , u m den A u s d r u c k tertium genus auch von d i e s e r Seite ad a b s u r d u m zu führen."

331

-

161

Noch zwei andere Passagen bei Tertullian sind in diesem Zusammenhang zu betrachten: In nat. 1,20 lenkt Tertullian den Vorwurf der Unzucht auf die Nichtchristen zurück: "Auch ihr habt ein drittes genus, aber nicht im Sinne eines dritten Ritus; vielmehr im Sinne eines dritten (biologischen) Geschlechtes, (und zwar) jenes, das, zusammengefügt aus Mann und Frau, sich Männern und Frauen verbindet." (1,20,4)352 Wiederum werden hier zwei unterschiedliche Bedeutungen von genus einander gegenübergestellt, nämlich einerseits die kultische Bedeutung, die wir oben bereits kennengelernt hatten, sowie andererseits das Verständnis von genus als "sexuellem Geschlecht" (vgl. die vierte Bedeutung in unserer Klassifikation zu Beginn dieses Kapitels). Schließlich erwähnt Tertullian tertium genus noch Ende 203 oder Anfang 204 353 in scorp. 10,10 gegenüber "martyriumsscheuen Häretikern" 354 : "Dort wirst du auch die Synagogen der Juden aufstellen, die Quellen der Verfolgungen, bei denen die Apostel standhaft Auspeitschungen erduldeten, und die Völker der Nationen, und zwar mit ihrem Zirkus, in dem sie gerne schreien: W o bleibt das dritte Geschlecht?" 353 Daraus ergibt sich, daß die Bezeichnung tertium genus für die Christen so geläufig war, daß sie sogar im Zirkus so gerufen wurden. Der letzte lateinische Beleg stammt aus der pseudocyprianischen Schrift de pascha computus (CPL 2276), die im Jahre 243 verfaßt wurde. Dort wird das Endgericht folgendermaßen beschrieben: "Hier ist das Höllenfeuer: Als dessen Bild hat der Schmelzofen, der auf Befehl des Königs ganze siebenmal geheizt worden war

352 " H a b e t i s e t u o s t e r t i u m g e n u s , e t s i n o n d e t e r t i o r i t u , a t t a m e n de t e r t i o s e x u : illu a p t i u s d e u i r o e t f e m i n a u i r i s et f e m i n i s i u n c t u m " ( C C h r . S L 1,39,15-17). D i e Ü b e r s e t z u n g i s t u n s i c h e r , w e i l d i e genaue B e d e u t u n g v o n aptius h i e r f r a g l i c h ist. G e m e i n t s i n d w o h l weniger E u n u c h e n ( s o A . S c h n e i d e r 1968, z. St.) a l s v i e l m e h r H e r m a p h r o d i t e n . V g l . d a z u a u c h P l i n . s e n . , nat. hist. 11,263 ( u n t e n S. 168 m i t Anm. 377). 333

Vgl.

354

Harnack,

Barnes

198S, S. SS.

Mission,

1924, I, S.

28S.

355 " U l i c constitues et synagogas Iudaeorum, fontes persecutionum, a p u d q u a s a p o s t o l i f l a g e l l a p e r p e s s i s u n t , et p o p u l o s n a t i o n u m c u m s u o q u i d e m circo, ubi facile conclamant: u s q u e q u o g e n u s tertium?" ( C C h r . S L 2,1089,12-15).

- 162

[vgl. Dan 3,19] auf 49 Ellen (Flammen) herausgeschlagen [vgl. Dan 3,47] und die Gegner von Ananias, Azaria und Misahel vertilgt, die drei Knaben selbst aber, die von Gott beschützt worden waren (in unserem Geheimnis sind wir [nämlich] das dritte Menschengeschlecht), hat er nicht gefoltert" (17) , 3 5 6 Harnack sieht in dieser Stelle ein Problem: "Wie sich d e r Verfasser durch die drei Knaben im Feuerofen, die doch sämtlich gottwohlgefällig waren, an die Christen als das dritte Geschlecht erinnert fühlen konnte, ist unklar." 3 5 7 Nun wurden die drei Knaben im Feuerofen schon seit frühesten Zeiten als ein "Bild für die Rettung in Todesnot uind] f ü r die Auferstehung" angesehen und fanden in diesem Sinne auch Eingang in die christliche Ikonographie. 3 5 8 Demnach ist die Errettung aller Knaben genau d e r Anknüpfungspunkt f ü r den Autor: Alle drei Knaben sind gottesfürchtig. Warum nennt Daniel aber drei Knaben? Weil damit das dritte Geschlecht, also die Kirche gemeint ist. Die drei Knaben sind demnach insgesamt ein Symbol f ü r die Kirche in der Endzeit (Gleichsetzüng von Ordinal- und Kardinalzahl). 3 5 9 Unabhängig davon ist offenkundig, daß sich noch in d e r Mitte d e s dritten Jahrhunderts die Christen als Angehörige des tertium genus verstehen konnten. Die Ergebnisse unseres Durchganges durch die patristische Literatur seien hier noch einmal im Überblick zusammengestellt: 1. praed. Petri (Clem. Alex., ström. 6,39-41) Zeit: um 125 Hellenen, Juden, Christen kultisch 2. Arist., apol. 2 (griechische Rezension) Zeit: um 125?

356 "Hie e s t gehennae ignis, in cuius similitudine caminus imperio regis septies t a n t u m incensus [vgl. Dan 3,193 per XL et Villi eubita exereuit [vgl. Dan 3,4 7] et aduersarios Ananiae Azariae et Misahel consumpsit, et ipsos t r e s pueros a Dei filio p r o t e c t o s (in mysterio n o s t r o qui s u m u s tertium genus hominum) non uexauit" (Härtel 11,265,3-7]). 357

358

Harnack,

Mission, 1924, I, S. 267. J970; d a s Zitat Sp. 465. Weiteres bei K. Aland 1979, S. 96 mit Anm. 199; Pöhlmann 1986, S. 250; Engemann 1988, Sp. 103Sf. Als Typos christlicher Märtyrer ζ. B. in Hippol., comm. Dan. 2,18; Tert., Idol. 15,9f; mart. Plön. 4,24; 5,2.

V g l

Q t t

359 Vgl. aber Baeck 193S, S. 45, der A u f e r s t e h u n g " interpretiert.

tertium

genus

als

"Geschlecht

der

163 Polytheisten (Chaldäer, Hellenen, Ägypter), Juden, Christen kultisch (2a. Ibid. [syrisch-armenische Rezensionen] Zeit: um 12S? Barbaren, Griechen, Juden, Christen ethnisch-genealogisch) 3. TestLevi 8,11-15/12,6 Zeit: 2. Hälfte 2. Jahrhundert? Erzväter, Priestertum Moses und Aarons, Priestertum Melchisedeks (Kirche) kultisch-chronologisch 4. Diog 1,1 Zeit: 3. Jahrhundert? Griechen, Juden, Christen kultisch-ethisch 5. Clem. Alex., ström. 6,42,2 Zeit: um 200 Griechen, Juden, Christen ethnisch 6. Tert., nat. 1,8 Zeit: 197 Phrygier, ?, Christen//Römer, Juden, Christen ethnisch-historisch//kultisch; Fremdbezeichnung 7. Tert., nat. 1,20 Zeit: 197 ? kultisch, Fremdbezeichnung 8. Tert., scorp. 10,10 Zeit: 203/04 Juden, Völker, Christen (?) ?; Fremdbezeichnung 9. Ps. Cypr., pasch, comp. 17 Zeit: 243 ? ethnisch? Das Resultat ist außerordentlich verwirrend. Sowohl Bedeutung als auch Sitz im Leben von τρίτον γένος/tertium genus schwanken je nach Zeit und Autor: 1. Zunächst einmal ist festzuhalten, daß d e r Begriff a l s stehender Ausdruck erst bei Tertullian erscheint, und zwar dort im Munde d e r Christen^egTier. 360 Um 200 ist e r mindestens in Nordafrika s o verbreitet,

360

Vgl. Corssen 1915, S. 158-165.

164

daß er vom "Mann auf der Straße" benutzt wird, ohne daß dieser sich allerdings über d a s primum und d a s secundum genus r e s t l o s im klaren sein mußte. 3 6 1 Man könnte auch fragen, ob die Bemühungen d e s Clemens, die Beziehungen der drei γένη oder λαοί zueinander zu klären, nicht vor diesem Hintergrund einer Verwendung von τρίτον γένος a l s Schimpfwort zu sehen sind. Doch bleibt dies unsicher. 2. Gleichwohl sind entsprechende Dreiteilungen der Menschheit nach ethnischen u n d / o d e r religiösen Gesichtspunkten bereits vor Tertullian in christlicher Literatur anzutreffen, sind dort aber noch einigermaßen

361

Ein a n a l o g e s Phänomen wäre u n s e r e Verwendung d e s Begriffes "Dritte Welt". Im f o l g e n d e n zitiere ich zur Illustration einige Lexikondefinitionen, die deutlich zeigen, wie es im L a u f e der Zeit immer weniger d a r a u f ankommt, wer die e r s t e und die zweite "Welt sind, und sich statt d e s s e n "Dritte Welt" von einem politisch-militärischen zu einem politisch-ökonomischen Terminus verschiebt: BE V, 1968, s . v. Dritte Welt: "politCischesi S c h l a g w o r t , mit d e m Staaten in Asien, A f r i k a und E u r o p a (bestondersD Indien, Ägypten, Jugoslawien) ihre g e m e i n s a m e neutrale S t e l l u n g gegenüber den p o l i t i s c h e n ] Konflikten zwischen der w e s t l i c h e n ] und der kommun i s t i s c h e n ] Staatenwelt betonen." MEL VI, 1973, s . v. Dritte Welt: " S a m m e l b e z t e i c h n u n g ] fUr Staaten A f r i k a s , A s i e n s und Lateinamerikas mit den charakteristischen! Merkmalen: 1. hoher Grad an w i r t s c h a f t l i c h e r ] und s o z i a l e r Unterentwicklung (^Entwicklungsländer), 2. hoher Anteil von Analphabeten an der G e s a m t b e v ö l k e r u n g , 3. Bündnis- und Blockfreiheit. In der V e r f a s s u n g s s t r u k t u r dieser Staaten gibt e s D i f f e r e n z i e r u n g e n zwischen F o r m e n der p a r l a m e n t a r i s c h e n ] Demokratie, Militärdiktaturen und Einparteiensystemen." Duden. Das große Wörterbuch der deutschen Sprache VI, 1981, s . v. Welt: "die A l t e WEelt] ( E u r o p a ; eigtl. = die vor der E n t d e c k u n g A m e r i k a s bekannte Welt); die Neue WCelÜ (Amerika; eigtl. = die neuentdeckte Welt); die dritte WCelt] (Politik, WirtschEaft]; die blockfreien, die Entwicklungsländer); die vierte WCelt] (Politik, WirtschCaft]; die ärmsten Entwicklungsländer)" (Auszeichnungen original). Brockhaus-Wahrig II, 1981, s . v. dritte(r, -s): "1.3 die Dritte Welt 1.3.1 < b i s Mitte der s e c h z i g e r J a h r e > Gesamtheit der Länder, die weder dem Ostblock noch dem Block der atlantischen Staaten angehören 1.3.2 Gesamtheit der Entwicklungsländer" (kursiv original). Diese Definition in erweiterter F o r m auch in BE V, 19. A u f l . , 1988 s . v. dritte Welt. Der Ursprung d e s B e g r i f f e s liegt ähnlich im dunkeln wie im vorliegenden Fall. Daruber hinaus sind die Termini " E r s t e W e l t " und "Zweite W e l t " ungebräuchlich — auch dies eine Parallele z u m Gebrauch von tertium genus. Vgl. die Übersichten Uber die B e g r i f f s g e schichte in Schröder 1970, S. 9; N o h l e n / N u s c h e l e r 1982, S. 12-14; Nohlen 1985, S. 173; Nohlen 1989; N o h l e n / N u s c h e l e r 1992, S. 17f.

165 vage362

(vgl.

Justin,364

bereits

die

erste

die

Vierteilung

Gruppe

bei

schwankt

Aristides

[Hellenen

[?],363

Zweiteilung

und

Ι'θνη];

ganz

die

Klassifikation

bei

anders

TestLevi). 3. W a s

die

Bedeutung

γένη

sowohl

auch

religiös-kultisch

verstanden

ethnisch,

werden.

im im

anbetrifft, Sinne Sinne

Darin

so

von einer

spiegelt

kann

"Menschengeschlecht, dritten

sich

die

w i d e r , die e i g e n e R e l i g i o n mit ü b e r k o m m e n e n 4. A l s

Fremdbezeichnung

trägt

tertium

Form,

Gott

Unsicherheit B e g r i f f e n zu genus

nach

Volk",

zu der

als

verehren, Christen

beschreiben.365

deutlich

pejorative

Züge.

362

Vgl.

363

Ä h n l i c h H i p p o l . , ref. 10,30f: γ έ ν ο ς (!) t e r , G r i e c h e n . D a z u V o n a 1950, S . 76.

oben

S . 145 m i t

Anm.

285.

364

D a z u u n t e n S . 1 7 4 f . V g l . a u c h T e r t . , a d v . lud. l , 3 f f ; a d v . Marc. 3,16,4 ( A u s l e g u n g s t r a d i t i o n v o n G e n 2 5 , 2 3 ) ; pud. 8,3ff. Vgl. Loi, Populus D e i , 1965, S . 6 0 9 .

365

Zu einer m ö g l i c h e n Übernahme der Dreiteilung aus d e m Judentum v g l . B a e c k 1935 ( v g l . a u c h K a r p p 1954, S p . 1125). A u s rabbinischen Quellen versucht Baeck zu erweisen, "dass die Bezeichnung 'das D r i t t e ' o d e r ' d i e d r i t t e G e m e i n s c h a f t " s c h o n in f r ü h e r tannaitischer Zeit ein vertrautes "Wort war, dass sie d i e j e n i g e n bezeichnete, d e n e n der Anteil an d e r messianischen Zeit gewährt ist, und d a s s der Gemeinde Israels, d e m Ueberrest Israels dieser Anteil und darum d i e s e B e n e n n u n g z u g e s p r o c h e n w u r d e " (S. 4 4 ) . D o c h sind hiergegen sachliche Bedenken geltend zu machen. Denn der einzige Beleg B a e c k s , d e r e i n e D a t i e r u n g d e r T r a d i t i o n e r l a u b e n w ü r d e ( y H a g 11,1 C77aD; b H a g 1 4 b ) , w i r d i n b a l s R e d e d e s J o c h a n a n b e n Z a k k a i a u s g e g e b e n , in y h i n g e g e n o f f e n b a r J o s e d e m P r i e s t e r u n d S i m e o n ben N a t a n a e l z u g e s c h r i e b e n , ist a l s o ein " W a n d e r l o g i o n " . ( Z u m Problem d e r A u t h e n t i z i t ä t v o n " W a n d e r l o g i e n " v g l . S t r a c k / S t e m b e r g e r 1982, S. 68.) Vielmehr wäre zu fragen, ob die Tradition nicht umgekehrt bewußt antichristlich formuliert ist (vgl. dazu J. M a i e r 1982, S. 109-111; w e i t e r e Literatur bei W e w e r s 1983, S . 3 6 , A n m . 19). Die a n d e r e H a u p t s t e l l e B a e c k s ( T a n z u N u m 10,2) s p r i c h t j a e x p l i z i t v o n den z w e i Gegnern, Götzendienst und denen, " w e l c h e erklären, daß es z w e i Gottheiten g e b e " (also Christen?; Baeck 41f). Z u m P r o b l e m d e r z w e i G o t t h e i t e n v g l . S e g a l 1977; J. M a i e r 1982, S. 196-199. Z u den D a t i e r u n g s p r o b l e m e n b e i T a n v g l . S t r a c k / S t e m b e r g e r 1982, S . 2 7 9 - 2 8 2 . Z u b e d e n k e n ist auch d e r Z u s a m m e n h a n g m i t ä h n l i c h e n Konzeption e n in d e r G n o s i s . A u c h b e i d e n V a l e n t i n i a n e r n f i n d e n s i c h Dreiers p e k u l a t i o n e n ( v g l . b e s o n d e r s B e r t h o u z o z 1 9 8 0 , S. 8 8 f f ) . D i e G n o s t i ker konnten sich (ähnlich wie die Christen) als "Geschlecht ohne K ö n i g " v e r s t e h e n ; v g l . S t r o u m s a 1 9 8 4 , S . l O O f ; W i l l i a m s 1989, S . 2 0 , A n m . 25. I n w i e w e i t h i e r e i n Z u s a m m e n h a n g b e s t e h t , i s t b i s l a n g n i c h t geklärt.

των

θεοσεβων,

Chaldäer,

Ägyp-

166

5. In technischem Sinne begegnet der Begriff nur im lateinischen Sprachraum, 366 kann dort aber sowohl ethnisch als auch religiös verstanden werden (bei letzterer Bedeutung im Sinne von Römer, Juden, Christen). Wie ist e s jedoch zu erklären, daß tertium genus plötzlich bei Heiden als festgefügtes Schimpfwort auftaucht? Als Antworten sind folgende Möglichkeiten denkbar: 1. Beide Verwendungsweisen sind unabhängig voneinander entstanden. 3 6 7 Abgesehen davon, daß dies historisch wenig plausibel wäre, spricht dagegen auch, daß die von Tertullian zurückgewiesenen Auffassungen von tertium genus (erst ethnisch, dann kultisch) genau die Verwendungsweise bei den Christen als Selbstbezeichnung widerspiegeln. 2. Tertium genus war ursprünglich Fremdbezeichnung und wurde dann erst Selbstbezeichnung. 368 Dagegen spricht erstens, daß unsere Belege für die Fremdbezeichnung deutlich jünger sind als die für die Selbstbezeichnung; zweitens, daß ein Galerius noch zwischen 176 und 192 von der "Schule Moses und Christi" sprechen kann, ohne zwischen Juden und Christen zu differenzieren. 369

366

Behauptung, der Gebrauch des W o r t e s sei im Okzident h ä u f i g e r als im Orient (so Mohrmann 1956, S. 86), wird von den Quellen her m. E. nicht gedeckt.

367

Vgl. Harnack, Mission, 1924, I, S. 286, Anm. 5; Oepke 1950, S. 266f. Anders aber Harnack, ebenda, S. 287: " ... nun hat sich gezeigt, daß die Helden ihrerseits diese Betrachtung aufgenommen haben ... " (kursiv von mir). Vgl. auch unten Anm. 370.

368 Vgl. Guignebert 1901, S. 546, Anm. 2, der als e r s t e s und zweites genus die übrigen Menschen und die Eunuchen rechnet — allerdings ohne Belege. 369

Vgi

die Zeugnisse bei Walzer 1949, S. 13ff. Vgl. f e r n e r C e l s u s bei Orig., c. Cels. 4,23, der noch um 177 von dem "Geschlecht von Juden und Christen" spricht (to "Ιουδαίων xcti Χριστιανών γένος). Eine Variante bietet C o r s s e n , der alle Zeugnisse vor Tertullian als nicht a u s s a g e k r ä f t i g disqualifiziert und tertium genus als immer schon pagane Bezeichnung betrachtet, die auf der Bezeichnung der Eunuchen als tertium genus basiere (1915; vgl. SHA, Alex. Sev. 23,7; zitiert unten Anm. 377). Übernommen von Lortz 1927/28, I, S. 82 mit Anm. 28 und teilweise von Mohrmann 1977, S. 195f (vgl. unten). Dagegen Harnack, Mission, 1924, I, S. 286 Anm. 4; Oepke 19SO, S. 267; A. Schneider 1968, S. 189, der vor allem C o r s s e n s u n h a l t b a r e textkritische Operationen abweist.

167 3. Tertium genus war ursprünglich Selbstbezeichnung und wurde dann von den Heiden übernommen. 3 7 0 Allerdings ist die Forschung in einiger Verlegenheit, wenn es darum geht zu erklären, wie e s zu dieser Übernahme gekommen ist: 3. 1. Harnack und Jüthner etwa nehmen an, daß die antichristliche Polemik die Dreiteilung, die sich j a gerade in apologetischer Literatur häufig findet, 3 7 1 aufgegriffen habe, weil sie die Möglichkeit bot, die Verunglimpfung der Christen rhetorisch besonders effektiv zu gestalten: "Die Juden stechen bereits von allen anderen Völkern und Religionen ab und bilden, nachdem sie die Ägypter verlassen haben, eine häßliche Gattung f ü r sich; von diesen Juden haben sich nun die Christen getrennt, das Schlimmste des Judentums beibehaltend und Widerlicheres und Abstoßenderes hinzufügend." 3 7 2 Tatsächlich ist dieses Schema bei Celsus und vielleicht bei Porphyrius nachweisbar; 3 7 3 allerdings handelt es sich dort um Hellenen, Juden und Christen, während Tertullian eindeutig von Römern, Juden und Christen spricht. Es wäre zu fragen, ob Römer, Hellenen und "Völker" s o ohne weiteres unter d e r Rubrik "Heiden" zusammengestellt werden dürfen, wie dies in d e r Forschung üblicherweise geschieht. (Die Argumentation Tertullians in ad nat. l,8,llf spricht j a eher dagegen!) 374, 3. 2. Christine Mohrmann sieht eine Verbindung zwischen d e r Bezeichnung der Christen und der Eunuchen als tertium genus, greift damit also eine These Corssens 3 7 5 in modifizierter Form wieder auf: "Je ne consid£re pas comme impossible que les paiens de l'Afrique du Nord aient, au d^but du III e si£cle, empruntd la formule aux chr6tiens, comme le passage citi de Tertullien semble sugg6rer. Mais le cri p o u s s i dans le cirque pourrait etre ambigu: par tertium genus on d6signe directement

370

So Harnack, Mission, 1924, I, S. 287 (vgl. aber oben Anm. 367); Jüthner 1923, S. 93f; Mohrmann 19S8, S. 86f; Ehrhardt 1959/69, II, S. 88f; A. Schneider 1968, S. 189f; Simon 1986, S. 109.

371

Zur Apologie als Mittel christlicher Propaganda vgl. Kinzig 1989.

372

Harnack, Mission, 1924, I, S. 288; vgl. Jüthner 1923, S. 94f.

373 Vgl. Orig., c. Cels. 3,S: die Juden waren ursprünglich rebellische Ägypter, so wie die Christen rebellische Juden sind. Zur Vorstellung von den Juden als abgefallenen Ägyptern vgl. die antijüdische Propaganda bei Jos., c. Ap. 2,3,28; Strabo 16,2,35f; Jos., ant. 14,118; c. Ap. 2,28. Zur Herkunft der bei Eus., praep. ev. 1,2,1-4 gegen den Ursprung der Christen vorgetragenen Vorwürfe (Zitat aus Porphyrius?) vgl. Sirinelli/des Places 1974, ζ. St. Ferner unten S. 519 mit Anm. 140. 374

Gegen A. Schneider 1968, S. 188, Komm. z. St.

375

Vgl. oben Anm. 369.

168 -

les chrdtiens; en meme temps, l'expression, oil l'on peut voir une allusion aux aberrations sexuelles qu'on leur prete, comporte une insulte. De cette mani£re, je revins done partiellement k la th£orie avanc6e par Corssen."376 Als Belege führt sie Stellen aus Plinius und der historia Augusta377 an. Mohrmann behauptet, daß genus tertium sich in beiden Fällen auf die Eunuchen beziehe.378 Allein, Plinius meint gar nicht die Eunuchen, sondern eine dritte Gruppe von Menschen im Unterschied zu Hermaphroditen und Eunuchen; zu ihr zählt er die, die ihre Testikel durch Unfall oder durch eine Laune der Natur verloren haben. Überdies sind die Klassifikationen bei Plinius und in SHA ganz verschieden (Plinius: Hermaphroditen, Eunuchen, "Halbmänner"; SHA: Männer, Frauen, Eunuchen). Damit wird aber auch Mohrmanns Argumentation wie schon die Corssens hinfällig. Darüber hinaus sind gegen eine Übernahme dieselben Einwände geltend zu machen wie gegen Harnack und Jüthner. Schließlich läßt sich aus Plinius' Vorliebe für Dreierschemata, die in seiner naturalis historia geradezu zur Manier wird,379 und dem unsicheren Zitat aus der historia Augusta für einen allgemeinen Sprachgebrauch an der Wende zum dritten Jahrhundert m. E. nichts ablesen. Das entscheidende Problem, das der Theorie von der Übernahme Christen Nichtchristen im Wege steht, ist also das der Vermittlung: Wie konnte es geschehen, daß eine (positive oder mindestens neutrale) Selbstbezeichnung zur (verspottenden) Fremdbezeichnung wurde? Was ist das missing link? Wir sind hier auf Vermutungen angewiesen. Doch erlauben eine Reihe von Beobachtungen eine plausible Theorie, die alle vorhandenen Schwierigkeiten befriedigend löst. Zunächst ist festzuhalten, daß die Einteilung der Menschheit in drei Gruppen, wie sie bei den Christen vorgenommen wurde, für die Nichtchristen an sich nichts Ungewöhnliches war:379 Schon Plato hatte ja in rep. 3 (4ISA) drei Menschengruppen in seiner Idealstadt unterschieden. Dreiteilungen der Menschheit finden sich auch im Recht. So teilte Ulpian in seinen institutiones die Menschheit in drei Gattungen (Freie, Sklaven und Freigelas-

376 V g l . M o h r m a n n 286, A n m . 4. 377

Plin.

sen.,

nat.

1977, hist.

S.

11,263

t a n t u m i n i u r i a aut s p o n t e a p h r o d i t i s et s p a d o n i b u s SHA,

Alex.

dicebat

Sev.

196;

23,7:

Csc. A l e x a n d e r ]

ferner

(über

Harnack,

die

Mission,

männlichen

1924,

Testikel):

I,

"Homini

naturae franguntur, idque tertium a b semiviri

"Idem

genus

tertium

habent"

genus

hominum

... " ( S a m b e r g e r / S e y f a r t h

V g l . M o h r m a n n 1977, S. 195. 379 V g l . e b e n d a , p a s s i m . Z u r B e d e u t u n g a l l g e m e i n v g l . M e h r l e i n 19S9.

(Mayhoff

S.

herm-

11,369,8-10).

eunuchos

esse

I,268,16f).

378

der

Dreizahl

in

der

Antike

169 sene) ein. 380 Überhaupt waren Trichotomien im römischen Recht außerordentlich beliebt. 381 Ferner ist zu bedenken, wo die Bewohner von Karthago rufen: "usque quo genus tertium?", nämlich im Zirkus. Der Sitz im Leben sind also die Christenverfolgungen. Aus diesen Erwägungen heraus sind zwei Ableitungen von tertium genus denkbar, nämlich aus dem Recht und der antichristlichen Propaganda: — Die Christen antworten in den Verhören des Statthalters auf die Frage nach ihren Personalien nach Ausweis der Märtyrerakten: "Christianus sum". 382 Dieses Bekenntnis zum nomen Christianum löste bei den Behörden bekanntlich einige Verlegenheit aus.383 Es muß daher zu Diskussionen darüber gekommen sein, ob die Christen wie die übrigen römischen Untertanen zu behandeln seien oder ob sie wie die Juden einen Sonderstatus genössen. 384 So werden sie im Trajanreskript von 110/11 als juristische Ausnahme, eben als tertium genus, behandelt. 38s Diese Behandlung muß aber auch in der juristischen Literatur ihren Niederschlag gefunden haben. Für letzteres möchte man insbesondere an Ulpian denken, der nicht nur eine besondere Vorliebe für Dreierschemata hat 386 , sondern der sich insbesondere auch im Bereich der juristischen Regelung der Christenfrage betätigte. 387 Es wäre gut vorstellbar, daß

380

1,5 p r . = dig. 1,1,4: " E t c u m u n o n a t u r a l ! n o m i n e h o m i n e s appellarem u r , iure g e n t i u m tria g e n e r a e s s e c o e p e r u n t : liberi et his contrar i u m s e r v i et tertium g e n u s liberti, id e s t hi qui d e s i e r a n t esse servi."

V g l . G o u d y 1910. 382 v g l . ζ . B . E u s . , h. e. 5,1,20; a c t . Seil. 9.10.13; M a r t P o l 10,1; 12,1; l u s t . , 2 apol. 2,11; m a r t . Carp. S ( g r i e c h i s c h e R e z e n s i o n ; v g l . 23) .34; f e r n e r 4 . 6 ( l a t . R e z e n s i o n ) ; a c t . Cypr. 1,1; f e r n e r mart. lust. 3 f ; E u s . , h. e . 5,1,19. D a z u K. A l a n d 1979, S . 2 2 8 ; V i t t i n g h o f f 1984, S. 3 4 6 und passim. 381

383

Vgl.

384

Z u m Sonderstatus der Juden vgl. u n d D e m a n d t 1989, S . 4 3 0 - 4 3 7 .

385 V g l . des

Plin. min.,

Plin. nomen

min., ipsum

ep.

ep.

10,96.

10,97.

vgl.

Zum

Vittinghoff

den

Überblick

gesamten

bei

Problem

Castritius der

1984

Strafbarkeit

1984.

386 V g l . G o u d y 1910, S . 178: " I t i s p e r h a p s n o t t o o m u c h t o s a y that w h e r e v e r U l p i a n g i v e s a c l a s s i f i c a t i o n o f an i n s t i t u t i o n o r doctrine i n t o genera o r species w e m a y e x p e c t t o f i n d it t r i p a r t i t e , i f the s u b j e c t - m a t t e r a d m i t s o f it o r c a n b e f o r c e d i n t o i t . " 387

Von ihm stammt bekanntlich die Sammlung der antichristlichen G e s e t z e i n d e officio proconsulls ( u m 213); v g l . K i n z i g 1989, S . 314. I c h b i n m i r n a t ü r l i c h i m k l a r e n d a r ü b e r , d a ß de officio proconsulls später als T e r t u l l i a n s V e r t e i d i g u n g s s c h r i f t e n t s t a n d e n ist.

170 -

das römische Recht in dieser Hinsicht zwischen Römern (d. h. in weiterem Sinne solchen mit und ohne römischem Bürgerrecht), Juden und Christen unterschied. In diesem Falle wären die Selbstbezeichnung Heiden (Hellenen) — Juden — Christen der Christen und das lateinische Schema tatsächlich unabhängig voneinander entstanden, wobei beide Schemata aber ihren Ursprung in dem ungewöhnlichen Phänomen einer ethnisch nicht gebundenen Religion hatten. — Gleichzeitig ist in diesem Zusammenhang auch an die antichristliche Propaganda eines Fronto zu erinnern.388 Wir wissen über sie zwar nichts Genaueres, doch wäre denkbar, daß dieser die Selbstbezeichnung der Christen als tertium genus aufnahm und polemisch umbog: Die Christen sind tertium genus nun nicht mehr nur der — religiös zu verstehenden — Art, sondern der Zeit nach. Die lateinische antichristliche Propaganda könnte dabei das griechische Schema Hellenen — Juden — Christen gewissermaßen romanisiert haben. Dies würde aber bedeuten, daß dahinter nichts anderes als der Neuheitsvorwurf stand. Dementsprechend muß sich Tertullian denn auch tatsächlich gegen den Vorwurf verteidigen. Die beiden Theorien schließen sich nicht gegenseitig aus. Es wäre gut denkbar, daß in der spöttischen Bezeichnung der Christen als tertium genus zwei Strömungen zusammenkamen: die polemische Übernahme der christlichen Selbstbezeichnung in antichristlicher Propaganda389 sowie die Klassifikation der Christen als tertium genus innerhalb des Rechts. Beide Tendenzen hängen nicht unmittelbar miteinander zusammen, haben aber beide ihre Ursache darin, daß das Christentum ein besonderes Phänomen darstellte, das nicht in die griechisch-römischen Denkschemata paßte. Entscheidend für unsere Fragestellung ist die Tatsache, daß die Bezeichnung der Christen als tertium genus auch und gerade chronologische Bedeutung hatte. Die Christen waren die Gemeinschaft, die nach Juden und "Griechen" in die Geschichte eingetreten waren. Dies wurde von den Nichtchristen in erster Linie negativ verstanden, konnte aber,

388

V g l

M i n

F e l

0 c t

9,6; 31,2.

389 V g l . a u c h M a r t P o l 1 2 , l f : D e r H e r o l d d e s P r o k o n s u l s v e r k ü n d e t im Zirkus: Πολύκαρπος ώμσΧόγησεν έαυτόν Χριστιανον εΤναι. D e r Text fährt f o r t : Τ ο ύ τ ο υ λ ε χ θ έ ν τ ο ς ΰπό του κήρυκος, &παν τό π λ ή θ ο ς έθνων τ ε κ α ί ' Ι ο υ δ α ί ω ν τ ω ν τ ή ν Σ μ ύ ρ ν α ν κ α τ ο ι κ ο ύ ν τ ω ν ά κ α τ α σ χ έ τ ψ ·&υμφ κ α ι μ ε γ ά λ η ψ ω ν φ έ τ τ ε β ό α ' » Ο δ τ ό ς έ σ τ ι ν ά τ?ϊς ' Α σ ί α ς δ ι δ ά σ κ α λ ο ς , ό π α τ ή ρ τ Ω ν Χ ρ ι σ τ ι α ν ώ ν « ... ( O r b ä n / R o n c h e y 1 8 , 5 - 1 0 ) . H i e r f l i e ß e n j u r i s t i s c h e r und propagandistischer Sitz i m Leben zusammen. Alle drei γένη w e r d e n hier sicher nicht z u f ä l l i g genannt.

171 wie die Untersuchung gezeigt hat, von den Christen auch positiv als Ergebnis und Krönung einer v o r a u s g e h e n d e n Entwicklung gedeutet werden, indem sie die eigene Religion a l s dritte, j ü n g s t e und gleichzeitig allein wahre Form der G o t t e s v e r e h r u n g sahen, die alle h e r k ö m m l i c h e n Grenzen s p r e n g t e . 3 9 0 Aus d i e s e m Grunde i s t f ü r sie d e n n auch die Bezeichnung "neues Volk" gleichbedeutend mit "Volk der (wahren) G o t t e s v e r e h r e r " . 3 9 1 Dieser Bezeichnung "neues Volk" gehe ich im f o l g e n d e n weiter nach.

2. 5. 2. 2. Die Christen als "neues Volk" Auch in d e m k a u m s p ä t e r a l s die praedicatio Petri e n t s t a n d e n e n B a r n a b a s b r i e f 3 9 2 spielt der Neuheitsgedanke eine g r o ß e Rolle, wobei hier d a s Gegenüber — d e m innerkirchlichen Charakter d e s Briefes e n t s p r e chend — nicht s o s e h r die pagane Umwelt a l s die j ü d i s c h e Mutterreligion ist, von der sich der u n b e k a n n t e V e r f a s s e r mit aller K r a f t abzugrenzen v e r s u c h t . E b e n s o wie in der (allerdings antipaganen) syrischen F a s s u n g d e r Apologie des Aristides wird hier die emanzipatorisch-polemische Funktion der Bezeichnung "neues Volk" deutlich. So b e t o n t der Autor wiederholt, daß sich im Kommen Christi die Verheißung a n d i e Väter e r f ü l l t habe und in der Folge die Christen a l s das "neue Volk" (λαός καινός) a u f den Plan g e t r e t e n seien. 3 9 3 Diese N e u s c h ö p f u n g g e schieht nun zwar — gut paulinisch — mit d e r S ü n d e n v e r g e b u n g in d e r Taufe, womit die Christologie zu ihrem Recht k o m m t . 3 9 4 Doch die e s c h a t o l o g i s c h e Spannung b e i Paulus tritt hier — ähnlich w i e in d e r Apologie d e s Aristides — zurück. Zwar lebt dieses "neue Volk" u n t e r der e s c h a t o l o g i s c h e n Spannung des "bereits" und d e s "noch nicht". 3 9 5

390

Einen eindrucksvollen Beleg h i e r f ü r bietet Orig., hom. 1 in Ps. 36: "Nos enim s u m u s 'non gens' [vgl. Dtn 32,21], qui pauci ex ista civitate credimus, et alii ex alia, et nusquam gens integra ab initio credulitatis videtur assumpta. Non enim sicut Iudaeorum gens erat vel Aegyptiorum gens ita etiam Christianorum genus gens est una vel integra, sed s p a r s i m ex singulis gentibus c o n g r e g a n t u r " (PG 12,13210. Hier wird die ethnische Einteilung entschieden zurückgewiesen. Allerdings stand hier auch im Griechischen έ'θ-νος, nicht γένος!

391 Vgl. abgesehen von den im f o l g e n d e n behandelten Belegen noch die bei Harnack, Mission, 1924, I, S. 262 Anm. 1 gesammelten Stellen; f e r n e r J ü t h n e r 1923, S. 93ff. 392

Zur Datierung vgl. oben Anm. 190. Vgl. zum Erbin, 1990, S. 80-83.

393

Vgl. 5,7; 7,5. Vgl. auch Oepke 19S0, S. 46-57.

394

Vgl. 6,11; 11,1.11; 16,8.

Folgenden

395 Vgl. den Bezug auf die Z u k u n f t in 6,19; 15,7 mit den f o r m e n in 6,11-16 und 16,8.

auch

Kinzig,

Vergangenheits-

172 Doch spielt die N a h e r w a r t u n g im Barnabasbrief eine deutlich g e r i n g e r e Rolle: Der Frage πότερον εσται η ου h a t d e r Autor nichts e n t g e g e n z u s e t z e n . 3 9 6 Vielmehr i s t der eigentliche Kontrast alt-neu d u r c h den g e s a m t e n Barnabasbrief h i n d u r c h d e r zwischen Israel und den Christen. Dabei darf dieser Kontrast gerade nicht i m Sinne einer heilsgeschichtlichen Entwicklung v e r s t a n d e n werden: "Nicht ein c h r i s t o l o g i s c h e s Heilsd a t u m relativiert e s c h a t o l o g i s c h die Geschichte I s r a e l s und den mit i h r v e r b u n d e n e n Ritus und Kult, s o n d e r n die Schrift s e l b e r sagt, daß d i e s e s Volk sich s c h o n immer f a l s c h verhalten hat und daß die A u s s a g e n d e r Schrift nie a n d e r s gemeint waren, a l s sie jetzt christlich v e r s t a n d e n w e r d e n . " 3 9 7 In d i e s e m Sinne ist auch d i e Rede v o m "neuen Gesetz" (nicht: "neuen Bund"!) 3 9 8 zu verstehen: "Das a l s o hat e r ungültig gemacht, damit i m neuen Gesetz u n s e r e s H e r r n J e s u s Christus, d a s ohne Z w a n g s j o c h i s t , d i e O p f e r g a b e nicht von Menschen bereitet sei" (2,6). 3 9 9 Der Barnabasbrief denkt a l s o nicht geschichtlich, s o n d e r n antithetisch: Dem j ü d i s c h e n Gesetz hält e r die w a h r e christliche S c h r i f t a u s l e g u n g entgegen. Eine ganz ähnliche F r o n t s t e l l u n g findet sich auch im Zweiten Klem e n s b r i e f , der vielleicht zwischen 130 und 150 in Ägypten e n t s t a n d e n ist. 4 , 0 0 Dort wird J e s 54,1b Οτι πολλά τά τέκνα της ερήμου μάλλον η της εχουσης τον ανδρα) f o l g e n d e r m a ß e n ausgelegt: "Unser Volk schien j a von Gott v e r l a s s e n zu sein, jetzt aber, d a wir den Glauben e r g r i f f e n haben, sind wir m e h r g e w o r d e n a l s diejenigen, die Gott zu haben meinen" (2,3). 4 0 1 Der Text bietet zwei Probleme: Z u m einen ist der A u s d r u c k ό λαός ήμων zu klären. Z u m zweiten ist zu f r a g e n , wer die Gegner des V e r f a s s e r s hier sind.

396

Vgl. 19,5 und oben S. 119 mit Anm. 169. 397 W e n g s t 1984, S. 132. Vgl. auch S. 131: "Eine wie immer geartete heilsgeschichtliche Konzeption ist hier a u s g e s c h l o s s e n . " Ebenso von Campenhausen 1970(1979), S. 43. 398

Vgl. oben S. 125.

399 ΤαΟτα oöv κατήργησευ, ίνα ό καινός νόμος του κυρίου ήμων Ίησου ΧριστοΟ ίίνευ ζυγου ανάγκης &ν μή άνθ-ρωττοποίητον τήν ττροσφοράν (Wengst 140; Übersetzung nach W e n g s t 1984). Zur f o l g e n d e n Passage a u s f ü h r l i c h A. Frank 1975, S. 186-252. 400

Zu den DatierungsS. 224-227.

401

Έπεί έ'ρημος έδόκει εΓναι άττό πιστευσαντες πλείονες έγενόμεΦα 240; Übersetzung W e n g s t 1984).

und

Lokalisierungsproblemen του των

vgl.

Wengst

θεοΰ ό Χαός ήμων, δοκούντων £χειν Οεόν

1984,

νυνι 8έ (Wengst

173 Während Knopf "unser Volk" auf "das tertium genus, das Christenvolk, aus den Heiden gesammelt" beziehen möchte, 4 0 2 sieht Wengst darin eher einen Hinweis auf die ethnische Herkunft des Verfassers (Ägypten?). Als Begründung hierfür fragt er gegen Knopf: "Aber würde dann ήμων stehen?" 4 0 3 Es ist schwerlich zu erkennen, wieso dies ein Einwand gegen ein theologisches Verständnis des Ausdrucks sein sollte. Überdies macht auch ein Blick auf die sonstige Verwendung des Wortes λαός die ethnische Interpretation eher unwahrscheinlich: Abgesehen von dem alttestamentlichen Zitat in 3,5 wird λαός sonst nur noch in in 11,4 verwendet und bedeutet dort sicher nicht das Volk der Ägypter insgesamt, sondern die christliche Gemeinde des Verfassers im Unterschied zu den Adressaten. Diese religiöse Interpretation legt sich auch nahe, wenn wir uns der zweiten Frage zuwenden. Wengst selbst verweist für den Ausdruck των δοκούντων εχειν θεόν auf eine ganz ähnliche Formulierung in der praedicatio Petri (Clem. Alex., ström. 6,41,2: εκείνοι μόνοι οίόμενοι τον θεόν γιγνώσκειν), wo die Juden gemeint sind. 4 0 4 Wie oben aber dargelegt, stehen den Juden (und Griechen) dort die Christen gegenüber. Nichts liegt daher näher, als hier denselben Gegensatz anzunehmen und unter λαός die Christen zu verstehen. 4 0 5 (Ob es sich aber notwendig um ffeidenchristen handelt, wie Knopf annimmt, scheint mir schon eher problematisch. In II Clem deutet nichts auf einen derartigen Gegensatz hin.) Die Stelle ist deshalb so bedeutsam, weil hier erstmals mit der Zahl der Christen argumentiert wird, was wenig später in der antipaganen Apologetik eine große Rolle spielen wird. Das Zitat Jes 54,1, das sowohl im Judentum als auch bei Paulus (Gal 4,27) "vorwiegend in der eschatologischen Perspektive einer Weissagung auf einen glanzvollen Aufbau Jerusalems in der Zukunft" 4 0 6 ausgelegt wird, wird hier deutlich präsentisch-innerweltlich verstanden und auf die Zahl der Christen jetzt bezogen. 4 0 7 Auch hierin setzt sich also der schon mehrfach zu beobachtende Trend zur Enteschatologisierung der Ekklesiologie fort. Wir werden darauf unten noch ausführlich einzugehen haben. 4 0 8

402

K n o p f 1 9 2 0 , z.

403

Wengst

404 v g l .

1 9 8 4 , z.

a u c h Diog

St. St. 3,2.

405

S o a u c h O e p k e 1 9 5 0 , S.

406

V g l . A. F r a n k 1975, S.

251f. 199.

407 V g l . d a n n a u c h d i e V e r w e n d u n g F r a n k 1 9 7 5 , S. 2 0 1 . 40Θ V g l unten Kap. 3.3.2.

bei

Justin,

1 apol.

1,53;

dazu

A.

174 Justin nennt die Christen bezeichnenderweise nie λαός καινός oder auch nur annähernd ähnlich.4,09 Ja, dies gilt generell für die sogenannten Apologeten und ist auch nicht weiter verwunderlich. In den Apologien, die dem Sitz im Leben nach Petitionen an den Kaiser darstellten, 410 fehlt der Begriff schon deshalb, weil die christlichen Petenten ja gerade bemüht sind, die Loyalität der Christen unter Beweis zu stellen sowie das Alter des Christentums zu erweisen. Der Anspruch, ein neues Volk zu sein, würde sich damit schlecht vertragen. So versucht Justin in seiner ersten Apologie, die wohl in den Jahren 1S3/54 in Rom verfaßt wurde, 411 in Kapitel S3 den paganen Adressaten den Unterschied zwischen Juden und Christen klarzumachen. Während sich die Prophezeiung über die Juden erfüllte und Judäa zerstört wurde, ist die Zahl der Christen εξ εθνών immer weiter gewachsen (53,3) . 4 1 2 Nun wird Justin offenbar bewußt, daß seine paganen Leser mit dem Begriff der ε'θνη nichts werden anfangen können, und so schiebt er einen erklärenden Satz ein: "Denn alle anderen Menschengeschlechter werden von dem prophetischen Geist 'Völker' genannt, der Stamm der Juden und Samariter ist aber 'Israel und das Haus Jakobs' genannt worden" (S3,4).413 Hier wird deutlich nur eine Zweiteilung zwischen Juden und Nichtjuden vorausgesetzt. Die Christen rekrutieren sich aus den Nichtjuden, bilden also zur Gänze eine Heidenkirche, die aber nicht als eigenes γένος in den Blick kommt. Wie ist diese Unterscheidung nun im Rahmen der Apologie einzuschätzen? Es ist deutlich, daß es hier nicht um eine religiöse, sondern eine ethnische Unterscheidung geht. Diese Betonung des ethnischen Unterschiedes ist für den Autor aus apologetischen Gründen sogar besonders wichtig: Denn er versucht, die Ähnlichkeiten mit den Juden ja gerade unter Hinweis auf die ethnischen Differenzen abzuweisen. Diese Überlegungen mögen ihn auch veranlaßt haben, die Christen nicht als drittes oder neues γένος herauszustellen. Denn es geht um die

409 V g l . a b e r 1 apol. 61,1, w o d i e C h r i s t e n a l s κ ο ι ν ο π ο ι η θ έ ν τ ε ς b e z e i c h n e t w e r d e n ( z u m B e g r i f f v g l . W a r t e l l e 1987, z . S t . ) . D o c h l e i t e t J u s t i n d a m i t seinen P a s s u s Uber die T a u f e ein. Die N e u s c h a f f u n g ist a l s o in e r s t e r L i n i e s a k r a m e n t a l , nicht h i s t o r i s c h z u v e r s t e h e n . 410

Vgl.

411

V g l . W a r t e l l e 1987, S. 3 2 f ; K i n z i g 1989, S. 295 j e t z t a u c h S k a r s a u n e 1 9 8 8 , S. 4 7 2 : c a . 1S0-155.

Kinzig

1989.

412

Zum Wachstumsargument

413

Toc μέν γ ά ρ öcXXoc π ά ν τ α γ έ ν η ά\ιθρώπΕΐα ύπό τοΰ προφητικοΰ κ α λ ε ί τ α ι έ'θνη, τ ο δέ Ι ο υ δ α ϊ κ ό ν κ α ϊ σ α μ α ρ ε ι τ ι κ ο ν φΟΧον ο ί κ ο ς " Ι α κ ώ β κ έ κ Χ η ν τ α ι ("W a r t e i l e 170,14-16).

vgl.

mit

Anm.

ausführlich unten Kap.

13.

Ferner

3.3.2. Πνεύματος 'Ισραήλ και

175 Ähnlichkeiten zwischen Heiden und Christen gegen die Juden. Es ist wichtig, diese polemische Frontstellung zu beachten, um hier nicht zu verzerrten Resultaten hinsichtlich des Gebrauches von γένος zu gelangen. Dieser flexible Gebrauch von γένος noch bei Justin zeigt, nebenbei bemerkt, auch, daß sich zu seiner Zeit die Rede vom "dritten Geschlecht" (noch?) nicht so verfestigt hatte, daß er bei seinen Lesern nicht mehr für eine Zweiteilung hätte argumentieren können. Gerade umgekehrt argumentiert Justin in seinem antijiidischen Dialog: Hier rückt er Altes Testament und Christentum nahe zusammen, weil es ihm nun um den Nachweis geht, daß die Christen das im Alten Testament geweissagte "wahre Israel" sind. 414 Daß ihm die Rede vom "neuen Volk" gleichwohl vertraut ist, geht aus dial. 119,3 hervor: "Nachdem 'jener Gerechte getötet war' [vgl. Jes 57,1], ist in uns ein anderes Volk erblüht, zu neuen prächtigen Ähren sind wir herangewachsen, wie es die Propheten gesagt hatten." 415 Doch bemüht er sich sogleich, die Neuheit der Christen genauer zu qualifizieren. Das neue Volk ist das dem Abraham verheißene Volk (vgl. Gen 12,2). Es ist aber nicht ein Volk wie die anderen, d. h. gebunden an ein bestimmtes Territorium. Vielmehr wird der Begriff von Justin deutlich spiritualisiert: "Mit diesem Rufe [sc. Gen 12,11 hat er uns alle berufen, und nun sind wir ausgezogen aus dem Staate, in dem wir mit den Landesbewohnern die schlimmen Lebensgewohnheiten geteilt hatten. Mit Abraham werden wir auch das heilige Land erben und werden das Erbe für alle Ewigkeit in Besitz nehmen; denn 'Kinder Abrahams sind wir, da wir gleich ihm glaubten' [Rom 3,301" (119,S).416 Aus seiner antijüdischen Frontstellung heraus tendiert Justin also dazu, die Neuheit des Christentums herunterzuspielen: Das Neue ist für ihn nur insofern neu, als es die Erfüllung des Alten, das heißt der Prophezeiungen an die Juden, darstellt.

414

Vgl.

41 s

Κ α ι μ ε τ ά τ ο »άναιρε-θ-Τΐναι τ ο ν δ ί κ α ι ο ν « [ v g l . J e s 57,13 έ κ ε Τ ν ο ν ήμεΤς λαός Ετερος άνεθήΧαμεν, καϊ έβλαστήσαμεν στάχυες καινοί και εύθ-αΧεΤς, ώ ς £ φ α σ α ν ot π ρ ο φ ή τ α ι ( G o o d s p e e d 2 3 7 ; Ü b e r s e t z u n g nach BKV2, geändert). Zur Rede von zwei Völkern vgl. a u c h 135,6. In 138,2 s p r i c h t e r v o n C h r i s t u s a l s d e m " A n f a n g e i n e s z w e i t e n Ges c h l e c h t e s " ( ά ρ χ ή SXXou γ έ ν ο υ ς ) .

416

Κ α ι ή μ α ς δέ δ ί π α ν τ α ς öl* έ κ ε ί ν η ς ττ^ς φ ω ν ή ς έ κ ά λ ε σ ε , κ α ι έξήΧΘ-ομεν ήδη άττό τ ή ς π ο λ ι τ ε ί α ς , Ι ν ^ έ ζ ω μ ε ν κ α τ ά τ ά κοινά τήν ίίΧλων τής Ύ?ίζ οίκητόρων κ α κ Ω ς ζΩντες- καϊ σϋν τ φ 'Αβραάμ τήν ά γ ί α ν κληρονομήσομεν γ ή ν , είς τ ό ν ά π έ ρ α ν τ ο ν α Ι Ω ν α τήν κ λ η ρ ο ν ο μ ί α ν Χηψόμενοι, » τ έ κ ν α τοΟ ' Α β ρ α ά μ δ ι ά τ ή ν ό μ ο ί α ν π ί σ τ ι ν δ ν τ ε ς « [ v g l . G a l 3,7D ( G o o d s p e e d 238; Übersetzung nach B K V 2 ) .

dial.

123,6f.9; v g l .

11,5.

- 176 Um diese traditionsgeschichtliche Linie auch ins dritte Jahrhundert hinein noch weiter verfolgen zu können, greife ich der weiteren Darstellung chronologisch etwas vor und betrachte noch Irenäus und Clemens von Alexandrien. Auch für Irenäus spielt die Neuheit des Christentums eine zentrale Rolle. Aber wie Justin spricht auch er nicht von einem "neuen Volk", da es ihm ja gerade um die Einheit der Heilsgeschichte geht. Statt dessen unterstreicht er in adversus haereses (geschrieben um 180)417 ganz ähnlich wie die praedicatio Petri die Neuartigkeit der christlichen Gottesverehrung: "... wie auch Zacharias aufhörte, stumm zu sein, was er wegen seines Unglaubens erduldet hatte, und mit dem frischen Geist erfüllt Gott auf neue Weise pries. Alles Neue war nämlich da, wobei das Wort auf neue Weise die Ankunft im Fleisch einrichtete, so daß es den Menschen, der von Gott weggegangen war, Gott zuschrieb. Deswegen wurde er auch gelehrt, Gott auf neue Weise zu verehren, aber nicht einen anderen Gott, da es nämlich nur einen einzigen Gott (gibt), der die Beschnittenen aufgrund des Glaubens und die Unbeschnittenen durch den Glauben rechtfertigt [vgl. Rom 3,30]" (3,10,2).418 Bei Irenäus ist deutlich die Frontstellung gegen den Gnostizismus erkennbar, weshalb er die Neuheit der christlichen Gottesverehrung sogleich mit dem Bekenntnis zu dem einen Gott verbindet. 419 Überdies wird sie fest in der Pneumatologie verankert: Es ist der eine Geist des einen Gottes, der durch die Inkarnation den Menschen verliehen wird und sie so neu macht: "Deshalb ist er auch auf den Gottessohn, der Menschensohn geworden war, herabgestiegen und hat sich mit ihm daran gewöhnt, im Menschengeschlecht zu wohnen [vgl. Jes 11,2; I Petr 4,14], in den Menschen zu ruhen und im Geschöpf Gottes

417

V g l . J a s c h k e 1987, S. 258.

418

" ... q u e m a d m o d u m e t Z a c h a r i a s d e s i n e n s m u t u s e s s e , q u o d p r o p t e r i n f i d e l i t a t e m passus f u e r a t , n o u e l l o Spiritu a d i m p l e t u s noue b e n e d i cebat D e u m . Omnia enim noua aderant, v e r b o noue d i s p o n e n t e carn a l e m a d u e n t u m , uti e u m h o m i n e m q u i e x t r a D e u m a b i e r a t a d s c r i b e ret D e o . P r o p t e r q u o d et n o u e D e u m c o l e r e d o c e b a t u r , s e d non a l i u m D e u m , q u o n i a m q u i d e m unus Deus, qui i u s t i f i c a t c i r c u m c i s i o n e m e x f i d e e t p r a e p u t i u m p e r f i d e m [ v g l . R o m 3,30D" ( R o u s s e a u 120,61-69).

419

V g l . a u c h 3,12,14: " M a n i f e s t u m e s t i g i t u r e x h i s o m n i b u s quoniam non alterum Patrem esse docebant, sed libertatis nouum Testament u m d a b a n t h i s q u i n o u e in D e u m p e r S p i r i t u m s a n c t u m c r e d e b a n t " ( R o u s s e a u 244,519-523).

177 zu wohnen, und er hat den W i l l e n des Vaters in ihnen getan und sie v o m Alter zur Neuheit Christi erneuert" (3,17,1).420 Dadurch werden die beiden V ö l k e r (Juden und Heiden) zu dem einen Gott geführt: "Denn da wir es (sc. das W o r t Gottes) durch das H o l z vertrieben haben, wurde es durch das H o l z wieder allen sichtbar und stellte in sich selbst die Höhe, die Länge, die Breite und die T i e f e dar [ v g l . Eph 3,18] und führte, wie einer der Alten gesagt hat, durch das göttliche Ausbreiten der Hände die beiden V ö l ker zu dem einen Gott; denn es gibt zwei Hände, weil auch z w e i V ö l k e r bis zu den Enden der Erde [ v g l . Jes 11,12; Joh 11,52; Eph 2,15] verstreut sind, aber (nur) ein Haupt in der Mitte, weil 'es ein Gott ist, der über allem und durch alles und in uns allen ist' [Eph 4,6]" (5,17,4).421 Irenäus spricht also auch hier nicht von dem neuen Gottesvolk. Das Besondere der Kirche ist gerade ihre Katholizität: Nur die apostolisch legitimierte Kirche ist die wahre Kirche. Diese hat dann aber auch umfassenden und völkerübergreifenden Charakter. Damit setzt Irenaus einer-

420

" U n d e e t i n F i l i u m D e i F i l i u m h o m i n i s f a c t u m d e s c e n d i t Esc. S p i r i t u s S a n c t u s ] , c u m i p s o a d s u e s c e n s h a b i t a r e in g e n e r e h u m a n o et req u i e s c e r e i n h o m i n i b u s [ v g l . J e s 11,2; I P e t r 4,14D e t h a b i t a r e i n p l a s mate Dei, uoluntatem Patris operans in i p s i s et r e n o u a n s eos a u e t u s t a t e i n n o u i t a t e m C h r i s t i " ( R o u s s e a u 3 3 0 , 1 8 - 2 2 ) . V g l . a u c h 3,17,3; 4 , S S , 6 s o w i e dem. 6: " L e S a i n t - E s p r i t p a r l e q u e l l e s p r o p h £ t e s ont p r o p h 4 t i s 6 et l e s P £ r e s o n t a p p r i s c e qui c o n c e r n e D i e u et l e s j u s t e s o n t 6t£ g u i d e s d a n s l a v o i e d e l a j u s t i c e e t q u i , ά l a f i n d e s t e m p s , a r i p a n d u d'une m a n u r e n o u v e l l e sur n o t r e h u m a n i t y p o u r ren o u v e l e r l ' h o m m e sur toute la terre en vue d e D i e u " (Froidevaux 4 0).

421

Έ π ε ϊ γ ά ρ Slot ξ ύ λ ο υ ά π ε β ά λ ο μ ε ν α ύ τ ό ν Csc. Λ ό γ ο ς KupCou], διά ξ ύ λ ο υ π ά λ ι ν φ α ν ε ρ ό ς τ ο Τ ς π α σ ι ν έ γ έ ν ε τ ο , έ π ι δ ε ι κ ν ύ ω ν τ ό ϋ ψ ο ς κ α ι μ?[κος κ α ι π λ ά τ ο ς κ α ι β ά θ ο ς [ v g l . E p h 3 , 1 8 ] έ ν έ α υ τ φ κ α ι , ώ ς έ'φη τ ι ς τ ω ν π ρ ο β ε β η κ ό τ ω ν , δ ι ά τ?(ς θ ε ί α ς έ κ τ ά σ ε ω ς τ£5ν χ ε ι ρ ώ ν τ ο ύ ς δ ύ ο λ α ο ύ ς ε ί ς ίνα © ε ά ν σ υ ν ά γ ω ν δύο μ ε ν γ α ρ α ϊ χ ε ί ρ ε ς , 8 τ ι κ α ϊ δύο λ α ο ί δ ι ε σ π α ρ μ έ ν ο ι ε ί ς τ ά π έ ρ α τ α τ?ίς γ?ίς [ v g l . J e s 11,12; J o h 11,52; E p h 2 , 1 5 ] , μ[α δε μ έ σ η κ ε φ α λ ή , ο τ ι » ε Γ ς Θ ε ό ς ό έ π ι π ά ν τ ω ν κ α ι διά π ά ν τ ω ν κ α ι έ ν π α σ ι ν ή μ Τ ν « [ E p h 4 , 6 ] ( R o u s s e a u 2 3 4 ; f r g . g r . 16,10-18). V g l . a u c h 4 , 2 5 , 1 : " ... s i c u t e t Christus lapis summus angularis [vgl. Eph 2,20] omnia sustinens et in m u n a m f i d e m A b r a h a e c o l l i g e n s e o s qui e x u t r o q u e t e s t a m e n t o a p t i s u n t i n a e d i f i c a t i o n e m D e i " ( R o u s s e a u 7 0 6 , 9 - 1 2 ) ; dem. 8 : " ... D i e u de tous, et d e s Juifs, et d e s palens, et d e s f i d d l e s " (Froideveaux 42). A n anderer Stelle g r u n d ; v g l . 3,12,14; 266.

stellt Irenäus die Heidenkirche in d e n Vorder4 , 3 0 , 1 . 4 ; 4 , 3 6 , 2 u n d H a r n a c k , M i s s i o n , 1924, I, S.

178 seits den Universalismus des Paulus fort, 4 2 2 modifiziert ihn aber andererseits aufgrund seiner antignostischen Frontstellung auch, indem er den Aspekt der Orthodoxie stärker als jener betont. Die Vorstellung vom "neuen Volk" findet sich indessen wieder bei Clemens von Alexandrien, der vielleicht das umfangreichste Neuheitsbewußtsein vor Arnobius überhaupt ausgebildet hat. 423 Darauf wird später noch ausführlich einzugehen sein. 424 Bereits oben hatten wir die Stelle in ström. 3,70,2 betrachtet, in der die Kirche als der "neue Mensch" aus Hellenen und Juden beschrieben wurde. Im paedagogus wird καινός semantisch fast synonym mit νέος gebraucht. Der Akzent liegt hier also auf dem Jungen, Frischen. So meint Clemens etwa in Reminiszenz an Horn., II. 6,400: "Und zart sind wir, die wir für die Überredung empfänglich und leicht für die Güte zu gewinnen sind und keinen Groll hegen und von Bosheit und Verkehrtheit nichts wissen; denn das alte Geschlecht ist verkehrt und verstockten Sinnes; die Schar der Unmündigen aber, wir, das neue Volk, ist weich wie ein Kind" (paed. 1,19,4).425 Clemens überträgt also den Lebensaltervergleich auf die Christenheit insgesamt und kann so "Mensch" unterschiedslos individuell als auch generisch verwenden. 426 Dabei ist ein charakteristisches Kennzeichen des Christen seine ewige Neuheit = Jugend: Das "neue Volk" ist (und bleibt!)

4.22 V g l . d a z u a u c h dem. 98: " T e i l e est, m o n e h e r ami, la predication d e la v6rit6, t e l l e est l ' i m a g e de notre salut, tel est le c h e m i n d e la vie, que les proph£tes ont annonc£, que le Christ a 6tabli, que les apötres ont transmis et que l'Eglise, sur toute cette terre, transmet & s e s f i l s " ( F r o i d e v e a u x 1 6 8 ) . Ä h n l i c h a u c h haer. S, p r a e f . ; 3,12,14. V g l . 3,12,S: Α ί τ α ι ι ρ ω ν α ί τ ϊ [ ς έ κ κ λ η α Ε α ς έ ξ ?j π δ α α £ ο χ η κ ε ν έκκλησία τήν αρχήνα δ τ α ι ψ ω ν α ι τ?[ς μ η τ ρ ο π ό λ ε ω ς τΩν τϊΐς καινής διαθήκης π ο λ ι τ ώ ν ( R o u s s e a u 197,134-156) G l e i c h z e i t i g k a n n e r aber auch in a n d e r e m K o n t e x t d i e K i r c h e deutlich v o m J u d e n t u m a b g r e n z e n : Esau verliert sein E r s t g e b u r t s r e c h t an Jakob; e b e n s o w e r d e n die Juden d e r K i r c h e d i e n e n (4,21,2f). V g l . daz u a u c h 4 , 3 6 , 2 s o w i e a u s f ü h r l i c h S c h r e c k e n b e r g 1982, S . 2 0 S - 2 0 8 . 423 v g l .

zum

*2*

unten

Vgl.

Folgenden Kap.

auch

Marrou/Harl

I960,

S.

26-29.

3.1.4.

... ά τ α λ ο ϊ 8έ ή ή μ ε ΐ ς ot απαλοί πρός πειθώ και εΰέργαστοι πρός ά γ α θ ω σ ύ ν η ν ίίχολοί τε και άνεπίμικτοι κ α κ ο φ ρ ο σ ύ ν η και σκολιότητι- ή μ έ ν γ ά ρ γ ε ν ε ά ή π α λ α ι ά σ κ ό λ ι α κ α ι σ κ λ η ρ ο κ ά ρ δ ι ο ς , χ ο ρ ό ς δέ ν η π ί ω ν , ό κ α ι ν ό ς ήμεΤς λ α ό ς , τ ρ υ φ ε ρ ό ς ώ ς π α Τ ς ( M a r r o u / H a r l 1 4 4 ; Ü b e r s e t z u n g nach B K V 2 ) . 4.26 v g l . M a r r o u / H a r l I 9 6 0 , S. 2 7 . F e r n e r a u s f ü h r l i c h u n t e n S . 214, 2 2 4 , 226f. 425

179 ein "junges Volk": 4 , 2 7 "Le christianisme est essentiellement nouveaut^, et c'est vrai pour l'histoire personnelle, l'histoire v6cue de chaque croyant, comme pour l'histoire globale de l'humaniti." 4 2 8 Doch ist das neue Volk tatsächlich auch gegenüber dem "alten Unverstand" qualitativ neu: "Wenn aber auch sie das Wort νήπιος im Sinn von einfältig verstehen — und das ist die richtigere Auffassung — , so sind wir mit dieser Bezeichnung zufrieden; denn νήπιοι sind die neuen Sinne, die inmitten des alten Unverstandes jüngst verständig geworden sind, die erst zur Zeit des neuen Bundes hervorkamen. Denn erst vor kurzem ist Gott erkannt worden zur Zeit der Erscheinung Christi. 'Denn niemand erkennt Gott als der Sohn und wem es der Sohn offenbart' [vgl. Mt 11,27; Lk 10,223. Aus Jungen also besteht das neue Volk im Unterschied zum alten Volke, aus solchen, die die neuen Güter kennengelernt haben. Und wir besitzen den Lebensabschnitt, dem strotzende Fülle zu eigen ist, diese nicht alternde Jugendzeit, in der wir immer jugendkräftig für die Erkenntnis sind, immer jung und immer zart und immer neu; denn neu müssen die sein, die an der neuen Lehre Anteil bekommen haben" (l,20,2f). 4 2 9 Dieser gleichzeitig individuelle und generische Gebrauch von "Mensch" ermöglicht es Clemens denn auch, das Verhältnis Gottes bzw. Christi mit seinem Volk als "Pädagogie" zu beschreiben. 4 3 0 Der Fortschritt vom alten zum neuen Bund besteht dabei in der größeren Unmittelbarkeit des Verhältnisses zwischen Gott und den Menschen: "Wer könnte uns nun mit größerer Liebe als er erziehen? Früher hatte das ältere Volk einen älteren Bund, und ein Gesetz

4 2 7

V g l . v. a. p a e d .

4 2 8

Marrou/Harl

4 2 9

E t 5έ, Ö T T E p κ α ι μ α λ ο ν έ ξ α κ ο υ σ τ έ ο ν , τ ο υ ς ν η π ί ο υ ς κ α ι αύτοΐ έπί τ ω ν ά π λ ω ν έ κ δ έ ξ ο ν τ α ι , χ α ί ρ ω μ ε ν τ ^ π ρ ο σ η γ ο ρ ί α · νήπιαι γ α ρ a t ν έ α ι φ ρ έ ν ε ς Etaiv, έν π α λ α ι ή τ ξ α φ ρ ο σ ύ ν η a t ν ε ω ο τ ί σ υ ν ε τ α ΐ , a t κ α τ ά την δ ι α θ ή κ η ν τήν κ α ι ν ή ν ά ν α τ ε ί λ α σ α ι . " Ε ν α γ χ ο ς γ ο υ ν έ ' γ ν ω σ τ α ι ά θ-εός κ α τ ά την Χ ρ ί σ τ ο υ π α ρ ο υ α δ ί α ν . » Θ ε ό ν γ α ρ ο ύ δ ε ϊ ς Ε γ ν ω , ει μή ό υ ι ό ς κ α ΐ φ &ν ö υ Ι ό ς άποκαΧΰψχ)« [ v g l . M t 11,27; L k 1 0 , 2 2 3 . Νέοι τ ο ί ν υ ν ό λ α ό ς ό κ α ι ν ό ς π ρ ο ς ά ν τ ι δ ι α σ τ ο λ ή ν τ ο υ π ρ ε σ β υ τ έ ρ ο υ Χ α ο υ , τά ν έ α μαθ-όντες άγαθ-ά. Κ α ι έ'στιν ή μ ΐ ν το οδθ-αρ ττΐς ή Χ ι κ ί α ς ή ά γ ή ρ ω ς α υ τ η ν ε ό τ η ς , έν ^ π ρ ο ς νόησιν άει ά κ μ ά ζ ο μ ε ν , άεΐ νέοι κ α ι άει τίπιοι κ α ι άει κ α ι ν ο ί - χ ρ ή γ ά ρ εΤναι κ α ι ν ο ύ ς τ ο ΰ ς Χ ό γ ο υ κ α ι ν ο ύ μ ε τ ε ι λ η φ ό τ α ς ( M a r r o u / H a r l 146; Übersetzung nach BKV2).

430

V g l

dazu

1,14,5; l,15,2f;

1960, S.

ausführlich

1,20,4;

1,57,1.

28.

ζ. Β . 1,53-61 s o w i e

Marrou/Harl

1960, S.

14-21.

-

180

-

erzog [vgl. Gal 3,24] mit Furcht verbunden das Volk, und der Logos war ein Engel [vgl. Ex 3,2]; dem neuen und jungen Volk dagegen ist ein neuer und junger Bund geschenkt worden, und der Logos ist Fleisch geworden [vgl. Joh 1,14], und die Furcht ist in Liebe umgewandelt, und jener geheimnisvolle Engel Jesus wird geboren" (1,59,1).431 Origenes hinwiederum bevorzugt die Unterscheidung zwischen erstem Volk (Juden) und zweitem Volk (Christen), wobei er dies deutlich chronologisch meint. 432 Allerdings erscheint die Rede vom "neuen Volk" an prominenter Stelle in de princlpils (1,3,7), einer Passage, die auch sonst durch ihre Betonung des Neuheitsgedankens auffällt. Die Schaffung eines neuen Volkes wird dort wie alle christliche Neuheit als Wirkung des Heiligen Geistes dargestellt. Ausdrücklich wird aber die Zugehörigkeit zu diesem Volk an das rechte Verhalten geknüpft: '"Sende aus deinen Geist, so werden sie geschaffen, und du erneust die Gestalt der Erde' [Ps 104 (103) ,30], Hier ist offensichtlich der heilige Geist gemeint, der nach Vertilgung und Auslöschung aller Sünder und Unwürdigen sich selbst ein neues Volk schaffe und die Gestalt der Erde erneue, indem (die Menschen) durch die Gnade des Geistes 'den alten Menschen mit seinen Werken ausziehen' [vgl. Kol 3,9] und 'in einem neuen Leben zu wandeln' [vgl. Rom 6,4] beginnen." 433 Damit gewinnt aber Origenes die paulinische Spannung von bereits geschehener und noch sich zu vollziehender Erneuerung zurück, die bei Clemens eher in den Hintergrund getreten war.

Τ ί ς Su ο δ υ τ ο ύ τ ο υ μ α Χ Χ ο ν ή μ δ ς φ ι λ α ν θ ρ ω π ό τ ε ρ ο υ π α ι δ ε ύ σ α ι ; Τ ό μ έ ν ο δ υ πρότερου τψ πρεσβυτέρψ λαφ πρεσβυτέρα διαθήκη 55ν και χιόμος έ π α ι δ α γ ώ γ ε ι . τάν λ α ο ν μ ε τ ά φ ό β ο υ κ α ϊ Χ ό γ ο ς ί ί γ γ ε λ ο ς ήυ, κ α ι ν φ δέ κ α ί υέψ Χαφ καινή καί νέα διαθήκη δεδώρηται καϊ ό λ ό γ ο ς γεγένιηται καί ό φ ό β ο ς είς ά γ ά π η ν μ ε τ α τ έ τ ρ α π τ α ι και ό μυστικός έ κ ε ΐ ν ο ς ά γ γ ε λ ο ς " Ι η σ ο ύ ς τ ί κ τ ε τ α ι ( M a r r o u / H a r l 214-216, Ü b e r s e t z u n g n a c h B K V 2 ; v e r ä n d e r t ) . V g l . b e r e i t s 1,58,1. 432 V g j e t w a d i e J e r e m i a h o m i l i e n , v . a. 2 , 4 ; 3,1.4; 7,5; 8 , 2 ; 9 , 8 ; 16,5; 17,2; 2 6 , 2 f ; f e r n e r c . Cels. 8 , 4 7 . W e i t e r e s b e i O e p k e 1950, S . 2 5 8 - 2 6 3 . 431

433 " ' E m i t t e s p i r i t u m t u u m , e t c r e a b u n t u r , e t r e n o v a b i s faciem terrae* CPs 104 ( 1 0 3 ) , 3 0 1 . Q u o d m a n i f e s t e d e s a n c t o s p i r i t u d e s i g n a t u r , qui ablatis atque extinctis peccatoribus et indignis ipse sibi novum p o p u l u m c r e e t et r e n o v e t f a c i e m terrae, c u m p e r graticim spiritus ' d e p o n e n t e s v e t e r e m h o m i n e m c u m a c t i b u s s u i s ' [ v g l . K o l 3,9D 'in novitate vitae coeperint ambulare' [vgl. Rom 6,4]" (Karpp/Görgemanns 174,13-17; Übersetzung nach Karpp/Görgemanns 1985). Als zweites und junges V o l k w i r d d i e K i r c h e i n f r g . 15 ( R a u e r 2 ) des L u k a s k o m m e n t a r s b e z e i c h n e t . V g l . f e r n e r c . Cels. 8,43; zitiert unten S. 324, A n m . 455.

-

181

Der Überblick über die terminologische Entwicklung im Osten ist also verhältnismäßig uneinheitlich. Wie fließend die Selbstbezeichnungen des Christentums im Zusammenhang mit seiner Neuheit sind, läßt sich auch aus anderen Junkturen erkennen. So werden sie in einer (nicht näher zu datierenden) christlichen Glosse in den Sibyllinischen Orakeln als "neuer (bzw. junger) Sproß" (βλαστός νέος) bezeichnet, wobei hier deutlich die Heidenkirche gemeint ist. 434 An einer Stelle in Melitos Paschahomilie schließlich werden die Christen als "neue Priesterschaft" (ίεράτευμα καινόν) und (in Anlehnung an Ex 19,5 u. ö.) als "ewiges auserwähltes Volk" (λαόν περιούσιου αΐώνιον) bezeichnet. 433 Eine besondere Rolle spielte in diesem Zusammenhang die "neue Prophetie" des Montanismus. Daß die Montanisten sich selbst als "neue Prophetie" bezeichnet haben und nicht nur (pejorativ) von ihren Gegnern so genannt wurden, kann nach Lage der Quellen nicht bezweifelt werden. 436 Die Frage ist allerdings, was νέα (nicht: καινή!) προφητεία bedeutet. Die Quellen bieten dazu, soweit ich sehe, keine Erklärungen. 437 Theoretisch könnte die Selbstbezeichnung einfach die "junge, jugendliche" oder die "neue ( = spätere)" Prophetie heißen. Doch wäre dies außerordentlich ungewöhnlich. Näher liegt eine andere Deutung: Ei-

434

l , 3 8 3 f : β λ α σ τ ό ς ν έ ο ς / / ά ν θ ή σ ε ι ε ν έξ έθ\ι£5ν ( G e f f c k e n 2 4 ) . D a h i n t e r s t e h t m ö g l i c h e r w e i s e e i n e A u s l e g u n g v o n N u m 17,23(8). V g l . a u c h R o m 11,13-24; J u s t i n , dial. 86,4; 119,3 ( d a z u o b e n S. 1S8) u n d T e s t J u d 24,4.

435

Και ποιήσας ήμδς ίεράτευμα καινόν και Χαόν περιούσιον αΐώνιον ( § 68 CHall, Ζ. 4 7 7 f ] ) . Z u r R e d e v o m " a u s e r w ä h l t e n V o l k " v g l . auch o b e n S. 142, 155. H a l l hat die Ä h n l i c h k e i t d e s g e s a m t e n Paragraphen zu jüdischen E x o d u s - A u s l e g u n g e n n a c h g e w i e s e n ( M P e s X,5; S h e m R zu Ex 12,2 ( W ü n s c h e HO); v g l . H a l l 1971, S. 29-32). D i e P a r a l l e l e n e n d e n a b e r charakteristischerweise g e r a d e m i t Z . 476! ( P e s 10,5 l a u t e t dann w e i t e r : " S o l e t us s a y b e f o r e h i m C H a g g a d a h a d d s : a n e w s o n g ] the Hallelujah" [ z i t i e r t n a c h H a l l 1971, S. 32). M e l i t o hat h i e r o f f e n s i c h t lich die ü b e r k o m m e n e T r a d i t i o n christianisiert, und z w a r unter A u f n a h m e e i n e r T r a d i t i o n , d i e d e r in T e s t L e v i 8,14 n a h e s t e h t ( d a z u o b e n S. 1 5 2 f ) . A l l e r d i n g s ist d i e P a s s a g e in M e l i t o t e x t k r i t i s c h u m s t r i t t e n . S i e w i r d g e b o t e n v o n A C G ; n i c h t h i n g e g e n v o n B. P e r l e r k l a m m e r t s i e in s e i n e r A u s g a b e e i n u n d g i b t an " o m . B L " , b e t r a c h t e t s i e in d e r A n m . z . St. d a n n a b e r d o c h a l s e c h t u n d s t e l l t f e s t : " M £ l i t o n s e m b l e Ötre l e p r e m i e r t ö m o i n d e l ' e x p r e s s i o n ' s a c e r d o c e n o u v e a u ' . " )

436

V g l . d e n A n o n y m u s b e i E u s . , h. e. 5,16,4; 5,19,2; w e i t e r e B e l e g e b e i L a b r i o l l e , S o u r c e s , 1913, S. 275 u n d S c h e p e l e r n 1929, S. l O f m i t d e n e n t s p r e c h e n d e n A n m e r k u n g e n . F e r n e r H e i n e 1989, S. I X .

437

V g l . die Zusammenstellung a u c h H e i n e 1989.

von

Labriolle,

Sources,

1913

und

jetzt

-

182

nes der Grundmerkmale mindestens des frühen Montanismus ist die ausgeprägte Naherwartung zusammen mit verschärften ethischen Forderungen. 438 Diese Kombination ist uns aber bereits aus dem neutestamentlichen Gebrauch des Wortes νέος bekannt. 439 Wir werden auch später bei Tertullian sehen, daß er in seiner montanistischen Phase die durch die neue Prophetie gebrachte Neuheit gerade in der in der Eschatologie bzw. Pneumatologie begründeten Verschärfung der Kirchenzucht sieht. 440 Damit läßt sich natürlich nicht mit letzter Sicherheit ausschließen, daß sich das Neuheitsbewußtsein des Montanismus nicht auch von seinem phrygischen Hintergund ableiten ließe, bildet er doch in seinen Anfängen "das Paradebeispiel einer vollkommenen 'indigenisation' der christlichen Botschaft". 441 Belege finden sich jedoch dafür nicht. Wahrscheinlicher ist daher, daß das Neuheitsbewußtsein des Montanismus eine bewußte Aufnahme und Weiterentwicklung urchristlichen Neuheitsdenkens darstellt. Der Montanismus "behauptet den Besitz einer neuen Offenbarung mit neuem Ausblick auf die Vollendung des Reiches Gottes und neuem Einblick in die Bedingungen für die Teilnahme daran." 442 Im Zusammenhang mit Tertullian werden wir weiter unten zu bedenken haben, ob und wie dieses sehr stark apokalyptisch gefärbte Neuheitsdenken auf das Selbstbewußtsein der "Großkirche" zurückgewirkt hat. 443

438

V g l

K

Aland

oben

439

Vgl.

440

V g l

441

Strobel

442

B o n w e t s c h 1881, S. 127. V g l . a u c h L a b r i o l l e , C r i s e , 1913, S. 130 A n m . 1: " C e m o t d e ν έ α π ρ ο φ η τ ε ί α , q u i f u t e m p l o y ^ d £ s l a p r e m i e r e h e u r e p a r les m o n t a n i s t e s e u x - m e m e s [.._] est A s o i s e u l s i g n i f i c a t i f . P o u r eux, la parole de Montan marqualt done une ire rtouvelle, en ouvrant, p l u s intarissable que jamais, les i c t u s e s de la gr&ce, s e l o n la p r o p h i t i e d e Joöl 'In n o u i s s l m i s d i e b u s , etc.'."

u n t e n

S.

1960, S. 127.

s.

107. 264 f f .

1980, S.

295.

Es 1st a l l e r d i n g s zu beachten, daß Tertullian die "Neuheit" des M o n t a n i s m u s a u f d i e diseiplina b e s c h r ä n k t u n d an d e r UnVeränderl i c h k e i t d e r regula fidei f e s t h ä l t . V g l . d a z u u n t e n S. 2 6 4 f f u n d leiun. 1,3: " n o n q u o d a l i u m d e u m p r a e d i c e n t M o n t a n u s et P r i s c i l l a e t M a ximilla, nec q u o d I e s u m C h r i s t u m soluant, nec q u o d a l i q u a m fidei aut spei r e g u l a m euertant, s e d q u o d p l a n e d o c e a n t s a e p i u s ieiunare q u a m n u b e r e . " ( C C h r . S L 2,12S7,21-25). V g l . d a g e g e n ζ . B . H i p p o l . , ref. 8,19,1: ... άΧΧ' ά κ ρ ί τ ω ς πρός αυτούς πίστει π ρ ο σ φ έ ρ ο ν τ α ι , πΧεΤόν TL Sl' α ύ τ ω ν φ ά σ κ ο ν τ ε ς [ ώ ς 3 μ ε μ α Ο η κ έ ν α ι ϊ] έκ < τ ο 0 > ν ό μ ο υ κ α ι π ρ ο φ η τ ώ ν κ α ί τ ω ν ε υ α γ γ ε λ ί ω ν ( M a r c o v i c h 3 3 8 , 7 - 9 ) . F e r n e r P s . - T e r t . , haer. 7,2; ( P s . - ) D i d . A l e x . , trin. 2,IS; 3,18; 3,23; 3,38; 3,41 u s w . Tertullian repräsentiert a l s o o f f e n b a r eine a b g e m i l d e r t e Form des M o n t a n i s m u s , in d e r d e r A u s g l e i c h z u r Catholica gesucht wurde. V g l . d a z u a u c h B a u s 198S, S. 235. 443

Vgl.

unten

S.

278f.

183

Ähnlich uneinheitlich wie im Osten verlief die Entwicklung auch im Westen. Im lateinischen Bereich erscheint der Ausdruck populus novus oder nova gens meines Wissens nicht vor Cyprian. Impliziert ist d e r Begriff allerdings schon im Jahre 197 bei Tertullian. 4 4 4 In adversus Iudaeos kommentiert er den locus classicus antijiidischer Polemik Gen 25,23 folgendermaßen: '"Zwei Stämme sind in deinem Bauch, und zwei Völker werden aus deinem Bauch hervorgehen, und das (eine) Volk wird d a s (andere) übertreffen, und das ältere wird dem jüngeren dienen.' Deswegen, weil das Volk oder d e r Stamm der Juden zeitlich früher und aufgrund d e r Gunst d e r ersten Stelle im Gesetz Vorrang hat, unseres aber a l s zeitlich jünger angesehen wird — es hat nämlich (erst) in der letzten Zeitspanne (dieses) Äons die Kenntnis d e s göttlichen Erbarmens erlangt — , soll ohne Zweifel gemäß dem Edikt des göttlichen Wortes das frühere und ältere Volk, nämlich d a s jüdische, notwendig dem jüngeren dienen und das jüngere Volk, nämlich das christliche, soll das ältere übertreffen." (l,4f). 4 4 5 Deutlich ist hier zu erkennen, daß der populus der Heidenchristen dem populus der Juden nachfolgt und ihn ablöst. 4 4 6 Der ganz eschatologisch bestimmte Universalismus des Paulus, der ausdrücklich die Juden mite/'/ischloß, hat hier einer einfachen Dichotomie Juden-Heidenchristen Platz gemacht. Um s o mehr fällt e s auf, daß Tertullian die vetus-novus-Terminologie im Hinblick auf den populus der Christen nicht benutzt. 4 4 7 Offenbar schreckte der Nordafrikaner Tertullian davor zurück,

444

Zur Datierung von adv. lud.

vgl. Barnes 198S, S. SS.

445 " ' D u a e gentes in u t e r o tuo sunt, et d u o populi de u t e r o tuo dividentur, et p o p u l u s p o p u l u m superabit, et maior serviet minori." itaque cum p o p u l u s seu gens Iudaeorum anterior sit tempore et maior per gratiam primae dignationis in lege, n o s t e r vero minor aetate tempor u m intellegatur utpote in ultimo saeculi spatio adeptus notitiam divinae miserationis, procul dubio secundum edictum divinae elocutionis prior maior p o p u l u s id est Iudaicus serviat n e c e s s e est minori et minor populus id est Christianus superet maiorem" (Tränkle 3,19-4,2). 446 Vgl. e b e n s o apol. 21,6. Auch ein von James ediertes lateinisches Kindheitsevangelium in cap. 61, wo e b e n s o zwischen d e m weinenden p o p u l u s Iudeorum (Hebreorum) und d e m lachenden gencium p o p u l u s unterschieden wird; vgl. James 1927, S. 60f (cap. 61); e b e n s o Protev 17,2 (Hennecke/SchneemeIcher II,286f). Dazu Oepke 19S0, S. 248f. 447 Vgl. vor allem 6,1-3, das von Fredouille 1972, S. 261 geradezu als "Hymnus an die Neuheit" bezeichnet wird. Von einem neuen Volk ist hier nicht die Rede.

184

daß für einen Lateiner eher verdächtig klingende novus auf die Christen insgesamt anzuwenden. 448 Erst Cyprian spricht kurz nach seiner Bekehrung "in den frühen 40er Jahren" 449 ausdrücklich von den Christen als neuem Volk (populus novus), und zwar im capitulum des neunzehnten Kapitels des ersten Buches von ad Quirinum (testimonial: "Daß zwei Völker geweissagt sind, ein älteres und ein jüngeres, das heißt das alte der Juden und das neue, das aus uns bestehen werde." 4S0 Als Schriftbelege führt er sodann Gen 25,23 und Hos 2,25; 1,10 (nach Rom 9,2Sf) an. Leider erlaubt der besondere literarische Charakter des Zeugnisses keine Rückschlüsse auf die theologische Verwendung im Werk des Autors. Gleichwohl fällt auf, daß Cyprian die Rede vom vetus bzw. novus populus weder seinen Schriftbelegen noch seiner Zitiervorlage (Rom 9), sondern einer anderen Überlieferung entnommen hat, wobei natürlich zunächst an die ihm vorliegenden exegetischen Traditionen zu denken ist. Allerdings läßt sich eine derartige Überlieferung, soweit ich sehe, weder im griechischen noch im lateinischen Bereich in Zusammenhang mit den angeführten Zitaten belegen. Denkbar wäre auch, daß der genannte Gegensatz bei Cyprian nicht der Exegese, sondern der Apologetik entstammt, wie ja auch das ganze Werk apologetischen Charakter trägt. Dazu würde auch gut passen, daß die Problematik alt-neu = Juden-Christen nicht nur für diesen Abschnitt, sondern für die capitula 9-19 insgesamt bestimmend ist. Ähnlich unergiebig ist der einzige andere Beleg bei Cyprian für populus novus in de unitate 25: "Unter den Aposteln herrschte einst diese Einmütigkeit. So beobachtete das neue Volk der Gläubigen die Gebote Gottes und bewahrte (dadurch) seine Liebe." 4S1

448

s c h w i e r i g d i e t e r m i n o l o g i s c h e F r a g e ist, e r g i b t s i c h a u c h a u s einer N e b e n b e m e r k u n g : " U t e r q u e e r g o et p o p u l u s et g e n s e s t a p p e l latus, ne de nominis a p p e l l a t i o n e P r i v i l e g i u m sibi quis audeat d e f e n d e r e " (1,4 C T r ä n k l e 3,14-16]).

449

B 6 v e n o t 1981, S. 246.

450

" Q u o d d u o p o p u l i praedicti sint, m a i o r et m i n o r , id e s t uetus Iudaeo r u m et nouus, qui e s s e t ex nobis f u t u r u s " ( C C h r . S L 3/l,19,lf; v g l . den Index 3/l,S,37f). " j j a e c unianimitas sub apostolis o l i m fuit: sie novus credentium populus Domini mandata custodiens caritatem suam tenuit" ( B i v e n o t 96,1-3).

451

185 Die Neuheitsterminologie spielt demnach auch für Cyprian in ekklesiologischer Hinsicht nur eine marginale Rolle. Dies wird erst mit Commodian anders, wobei aber hier das Datierungsproblem eine ganz besondere crux darstellt. 4,32 Commodian unterscheidet deutlich das neue Volk der Christen von dem alten der Juden: "Nicht nur für jenen [sc. Adam], sondern auch für uns ist er vom Himmel gekommen. Christus hat durch seinen Namen ein neues, zuverlässiges Volk berufen, er hat alles den Prophezeiungen gemäß erfüllt. Siehe ich mache Neues, schreit Jesaja in Bezug hierauf, und keiner soll das Frühere erwägen, noch dem Alten folgen [vgl. Jes 43,18f; Apk 21,5; II Kor 5,17]. Dies Neue hat heute unter unserem Gesetz begonnen, weil wir, die Stämme in Christus, dem Wort des Mose geglaubt haben. Jener hatte vorhergesagt, daß es zwei Völker geben werde, und hat gesagt, daß unstreitig das kleinere (oder: jüngere?) Volk sich hervortun werde [vgl. Gen 25,23]" (carm. apol. 530-538).4'53 Bemerkenswert ist hier — wie bei Cyprian — die Kombination von Neuheitsterminologie und dem Schriftbeleg Gen 25,23, was den Verdacht nahelegt, daß Commodian auf die testimonia Cyprians zurückgegriffen hat.4,54' Besonders deutlich ist die Verbindung von "neuem Gesetz" und "neuem Volk", wobei letzteres offenbar nur aus Heiden besteht. 4SS Wir können also auch hier festhalten, daß — abgesehen von Commodian — die Vorstellung von den Christen als "neuem Volk" im lateinischen Westen nicht auf breiter Ebene und später als im Osten rezipiert worden ist.

432

Die V o r s c h l ä g e b e w e g e n sich im Z e i t r a u m z w i s c h e n d e m dritten und d e m f ü n f t e n J a h r h u n d e r t ; z u d e n E i n l e i t u n g f r a g e n v g l . O p e l t 1983; B e r a r d i n o 1991, S. 259-26Ξ. S a l v a t o r e d a t i e r t d a s carmen apologeticum m i t g u t e n G r ü n d e n in d i e Z e i t n a c h 260 ( v g l . 1977, S. S-31).

453 " N o n s o l u m p r o i l l o , e t p r o n o b i s u e n i t e c a e l o . / / C o n s t i t u i t p o p u lum n o u u m s u o nomine firmum, / / Iuxta prophetias conpleuit omnia C h r i s t u s . / / E c c e n o u a f a c i o , E s a i a s c l a m a t in i p s o , / / E t nemo p r i o r a r e p u t e t n e c a n t i q u a s e q u a t u r t v g l . J e s 43,18f; A p k 21,5; II K o r 5,173. / / H a e c n o u a s u n t h o d i e s u b n o s t r a l e g e p r o f e c t a , / / Quod g e n t e s in C h r i s t o c r e d i < d i > m u s d i c t o M o y s i . / / I l l e d u o s populos p r a e d i x e r a t e s s e f u t u r e s , / / Et q u i d e m m i n o r e m p o p u l u m p r a e c e l l e r e dixit [ v g l . G e n 2 5 , 2 3 ] " ( C C h r . S L 128,92f). V g l . a u c h 249f: " D e s u b i t o qualis o b f u l s i t g l o r i a genti, p o p u l u s , p o p u l u s qui no η erat ante!" ( e b e n d a 82). 434

Vgl.

435

dazu

Vgl. auch priscos / / 128,3S).

auch

den Apparat

in C C h r . S L

128 z .

//

Vt

fieret

St.

instr. l,42,5f: "Praecepitque Christus per legem uiuere V i u a m u s nunc o m n e s , n o u e l l a e traditio l e g i s " (CChr.SL

186

-

Über die Gründe für diese uneinheitliche Entwicklung läßt sich nur spekulieren. Mehrere Faktoren dürften dabei eine Rolle gespielt haben. Zunächst war der Ausdruck "neues Volk" nicht biblisch. Überdies wurde damit die Distanz sowohl zu Judentum als auch zu den Heiden unnötig hervorgehoben, 4 3 6 was einerseits Marcion in die Hände spielte, andererseits den Philosophen gegenüber den Altersbeweis erschwerte. Schließlich (und das gilt nur f ü r den lateinischen Bereich) war populus (anders als λαός) stärker politisch-juristisch festgelegt und trug außerdem in philosophischer Verwendung auch deutlich negative Konnotationen. 4 3 7 Hinzu kam der schlechte Klang von novus gerade in politischem Kontext (res novae!). Auch hier z;eigt sich also deutlich, daß Neuheit im Bereich d e r Großkirche selten a l s Opposition zu Tradition verstanden wird. Überbietung des Alten ja, aber durch dessen Weiterentwicklung. Die Kombination von Superioriät und Kontinuität mußte s o zwangsläufig zur Ausbildung von "Fortschritt" führen.

2. 5. 3. Die Neuheit d e r christlichen überholten Tradition

Wahrheit

gegenüber

d e r alten,

Mit der Synagoge befand sich die Kirche in dieser Zeit doch insofern immer noch auf gemeinsamem Boden, als beide dieselbe Bibel hatten (die allerdings unterschiedlich interpretiert wurde). Gegenüber den paganen Philosophen, die diese Voraussetzungen nicht teilten, mußten andere Argumentationsmuster herangezogen werden. So entwickelten die christlichen Theologen des zweiten Jahrhunderts ein antipaganes Pendant zur Zwei-Testamente-Theologie. Wie bereits erwähnt, 4 3 8 versuchten sie durch

456

Ein instruktives Beispiel h i e r f ü r findet sich in den "nicht vor dem vierten J a h r h u n d e r t als selbständige Erzählung e n t s t a n d e n e n 'Akten d e s J o h a n n e s in Rom"' (Knut Schäferdiek in: H e n n e c k e / S c h n e e m e l cher 1987/89, II, S. lSSf). Dort beklagen sich die Juden in einem Brief an Domitian über die Christen: "Εστίν δέ καινον κοα ξένον £Φνος, μήτε τοΤς ύμετέροις £OEOLV υπάκουου μήτε ταΤς 'Ιουδαίων 6-ρησκείαις συνευδοκοΰν (ActJoh 3 [CChr. Series Apocryphorum 2,865,6-8]). Der Satz f a ß t s e h r schön die Problematik d e s Begriffes z u s a m m e n .

457 v g l . v. a. Ratzinger 1954, S. 2S7-262; Duquesnay Adams 1971, S. 201-203 sowie die bei Sieben 1980, ss. vv. angegebene Literatur. Durch den A b f a s s u n g s o r t Rom ist vielleicht auch zu e r k l ä r e n , daß Hippolyt die Bezeichnung λαός f ü r die Christen meidet und sie nur auf Juden und die Völker bezieht; vgl. ζ. B. comm. Dan. 1,14,6: Ol δέ δύο πρεσβύτεροι είς τύπον δεΕκνυνται των δύο Xoctäv των έπιβουλεύοντων έκκΧσίητ, εΤς μέν δ έκ 24,2-4). Vgl. auch 1,13. 458

Vgl. oben S. 120f.

περιτομ?ϊς

και

εΓς

ό

έξ

έθνων

(Bonwetsch

187 Rückgriff auf die jüdische Geschichte nachzuweisen, daß die neue christliche Religion in Wahrheit älter als die angeblich so alten paganen Kulte sei. Damit verschob sich das Argumentationsziel: Während die Zwei-Testamente-Theologie darauf abzielte, von der gemeinsamen Tradition her die Messianität Jesu nachzuweisen, kam es den Philosophen gegenüber darauf an, diese Tradition als solche als christliches Proprium zu verteidigen. Dieser Altersbeweis blieb aber insofern unbefriedigend, als sich die Tatsache der historischen Neuheit des Christentums und der voranschreitende Ablösungsprozeß vom Judentum dadurch zwar verschleiern, aber nicht wirklich plausibel machen ließ. Diesem Dilemma konnte die christliche Apologetik nur dann entgehen, wenn sie die Neuheit des Christentums konsequent verteidigte. Diese Verteidigung hat sich sehr spät herausgebildet und findet ihren klassischen Ausdruck erst bei Arnobius. Sie hat aber eine Vorgeschichte, die hier dargestellt werden muß.4S9 Dabei spielen zwei literarische Topoi eine Rolle, die ursprünglich nichts miteinander zu tun haben, aber in der christlichen Literatur meist gemeinsam auftreten. Der erste ist die Aufforderung zur Abwendung von den Irrtümern (μή πλανδσθε-Formel) und die Hinwendung zur (christlichen) Wahrheit, die als vernünftiger verteidigt wird. Diese Aufforderung zur Bekehrung ist als solche natürlich nichts originär Christliches, sondern wird von der christlichen Apologetik und Mission aus der paganen Protreptik übernommen. 460 Der Gegensatz ist hier immer der zwischen Irrtum und Wahrheit. Die Kategorien alt-neu erscheinen in diesem Zusammenhang im allgemeinen nicht.461 Um so bedeutsamer ist es da, daß sich dies in der christlichen Literatur allmählich ändert und das Gegensatzpaar falsch-wahr mit der biblischen Neuheitsterminologie kombiniert wird. 462 Diese Kombination,

459 V g l . z u m F o l g e n d e n d i e a n r e g e n d e n B e m e r k u n g e n O s b o r n s (1990, S. 656-658), die nach d e r A b f a s s u n g d e s v o r l i e g e n d e n K a p i t e l s e r s c h i e n e n u n d m i c h in m e i n e r D i f f e r e n z i e r u n g b e s t ä t i g e n . 460

N o c k 1933, S. 164-186. V g l . e t w a z u r μή π λ ί χ ν ι δ α θ ε - F o r m e l E p i c t . , diss. 4 , 6 , 2 3 ; v g l . 1,18,3.6, 2 8 , 9 ; 3,22,23; A p o l l . T y a n . , e p . 4 8 C H e r c h e r 118); v g l . a u c h E p i k u r , f r g . 523 ( U s e n e r 3 1 8 f ) ; E p i c t . , diss. 2,22,15: μή έ ξ α π α τ 8 σ θ Ε . F e r n e r B r a u n 1959, S, 2 3 2 f ; 2 4 5 f ; O p e l t 1965, S. 12, 21; B e r g e r , H e l l e n i s t i s c h e G a t t u n g e n , 1984, S. 1124-1132; 1138-114 5. B e r g e r s c h l ä g t v o r , d i e F o r m e l in d i e T e i l g a t t u n g d e s T a d e l s einzuordnen ( v g l . S . 1345); f e r n e r d e r s . , F o r m g e s c h i c h t e , 1984, S . H O f , 217-220.

V g l

461 V g l . s o a u c h n o c h P s . - C l e m . , h o m . 4,11; 4,18; r e c . 10,39,4. Zum (stoischen) Gegensatz Gewohnheit/Irrtum

πνεύματι ώς διδάσκαΧον αυτόν προσεδόκων; (Fischer 166,16-18.177,If; U b e r s e t z u n g n a c h F i s c h e r 1 9 8 6 ) . V g l . P a u l s e n 1978, S . 6 8 , d e r fests t e l l t , d a ß bei I g n a t i u s "εΧττίς g e r a d e z u z u m I n b e g r i f f , z u r Summe des Christentums schlechthin werden kann". Vgl. auch Schoedel 1990, S. 6 7 .

vgl.

21,8;

Schoedel

I

Kor

6,9f;

1987, S .

15,33;

Gal

6,7;

Jak

40.

190 Der (Uberholten) Beobachtung des Sabbats durch die Juden wird hier die "moderne" Feier des Sonntages gegenübergestellt. 4 7 1 Zum Ende des Hauptteiles dieses Briefes 4 7 2 betont Ignatius noch ein drittes Mal, daß das Christentum das Judentum abgelöst habe. "Schafft also beiseite den schlechten Sauerteig, der alt und bitter geworden ist, und wendet euch neuem Sauerteig, d. i. Jesus Christus zu [vgl. I Kor S,7fl! Laßt euch durch ihn salzen, damit keiner unter euch verderbe, denn durch den Geruch werdet ihr überführt werden [vgl. Mk 9,49f parr.; Kol 4,61! Es ist nicht am Platze, Jesus Christus zu sagen und jüdisch zu leben. Denn das Christentum hat nicht an das Judentum geglaubt, sondern das Judentum an das Christentum, zu dem jede Zunge [vgl. Phil 2,11; J e s 66,181, die an Gott glaubte, versammelt wurde" (10,2f) 4 7 3 Die biblische Neuheitsterminologie 474 wird hier weitergeführt und heilsgeschichtlich ausgebaut. "Das Schlußargument ist historischer Art: das Judentum unterlag dem Christentum, nicht umgekehrt. Mit dieser Feststellung kommt Ignatius einer Anerkennung des Judentums als rechtmäßiger Stufe in der Entfaltung des göttlichen Heilsplanes sehr nahe." 4 7 5 Gleichwohl sieht Schoedel darin aber zu Recht nicht eine implizite Anerkennung "der vorbereitenden Rolle des Gottesvolkes in alttestamentlicher Zeit", sondern allenfalls das Zugeständnis, "daß es einst als Ausflucht möglich war, nach dem Judentum zu leben (weil die erleuchteten Propheten eine Sprache benutzten, die nur angesichts späterer Ereignisse verstanden werden konnte.)" 4 7 6 Aus den Ausführungen des Ignatius geht deutlich hervor, wie die Opposition alt-neu mit der Opposition falsch-wahr identifiziert wurde, um mit diesem geschichtshermeneutischen Raster die Identität der eigenen religiösen Gruppe gegenüber dem, was man als das "Judentum" ansah, abzugrenzen.

471

Z u r P r o b l e m a t i k d e r S t e l l e v g l . B a u e r / P a u l s e n 198S, z. St.; S c h o e d e l 1990, z. St. Z u r G e s c h i c h t s t h e o l o g i e d e s Ignatius vgl. a u c h die Bem e r k u n g e n o b e n S. 123f.

472

8,1-10,3; vgl. S c h o e d e l

473

"Τπέρθ-εσθε oöv την κ α κ ή ν ζύμην, την π α λ α ι ω θ ε Τ σ α ν κ α ι έ ν ο ξ ί σ α σ α ν , κ α ι μ ε τ α β ά Χ ε σ θ - ε ε ί ς ν έ α ν ζ ύ μ η ν , ο έ σ τ ι ν ' Ι η σ ο ύ ς Χ ρ ι σ τ ό ς . άλίσ-9-ητε έν α ύ τ φ , ί ν α μή διαφθ-αρ^ τ ι ς έν ύ μ ΐ ν , έ π ε ι α π ό ττϊς όσμτϊς έ λ ε γ χ θ ή σ ε σ Ο ε . όίτοττόν έ σ τ ι ν , Ί η σ ο ΰ ν Χ ρ ι σ τ ο ν ΧαΧεΤν κ α ι ΙουδαΤζειν. ό γ α ρ Χ ρ ι σ τ ι α ν ι σ μ ό ς οΰκ ε ι ς Ί ο υ δ α ϊ σ μ ο ν έ π ι σ τ ε υ σ ε ν , ά λ λ * ' Ι ο υ δ α ϊ σ μ ό ς ε [ ς Χ ρ ι σ τ ι α ν ι σ μ ό ν , ε ί ς öv »ποίσα γ Χ β σ σ α « C v g l . P h i l 2,11; J e s 6 6 , 1 8 3 π ι σ τ ε ύ σ α σ α ε ί ς θ-εόν σ υ ν ή χ Ο η ( F i s c h e r 168,7-13; Ü b e r s e t z u n g n a c h F i s c h e r 1986). Metaphorik

1990, S. 2 0 3 :

474

Zur

475

Ebenda,

476

Ebenda; vgl. auch seine

S.

vgl. Bauer/Paulsen

"Mittelpunkt

des

Briefes".

1985, z. S t . ; S c h o e d e l

216. Interpretation

von

IgnMagn

8,2.

1990, z.

St.

191 Nicht minder radikal argumentiert Justin in seinem Dialog. Die Worte der Bibel, so schreibt er da, lehrten uns, "auch die alten Sitten der Väter zu vergessen; denn sie lauten folgendermaßen: 'Höre, Tochter, und sieh und neige dein Ohr, und vergiß dein Volk und das Haus deines Vaters. Und der König wird deine Schönheit begehren, denn er ist dein Herr und du wirst ihn verehren' CPs 45(44),11-131" (63,5). 477 Dementsprechend fordert er in 38,2: "Aber laßt euch nicht irre machen! Werdet vielmehr recht willige Hörer, und haltet aus im Forschen! Auf die Überlieferung eurer Lehrer aber achtet nicht! Denn es ist erwiesen, daß ihnen die Fähigkeit fehlt, das von Gott durch den Geist der Prophetie Geoffenbarte zu verstehen, und daß sie es sich vielmehr herausnehmen, ihre eigenen Lehren vorzutragen." 478 Bisher hatten wir in diesem Abschnitt nur Beispiele aus der antijüdischen Polemik betrachtet. Während es hier um Abgrenzung geht, müssen die Christen den Heiden gegenüber ihre Andersartigkeit herunterspielen. So erstaunt es kaum, daß sich Justin den römischen Behörden gegenüber wesentlich vorsichtiger ausdrückt. Auch in der ersten Apologie begegnet der christliche Antitraditionalismus wieder, ist dort aber charakteristisch umformuliert. Die Neuheit des Christentums wird zwar nicht geleugnet, doch vom historischen auf den sakramentalen Bereich verschoben. 4 7 9 Statt dessen wird die Rationalität der christlichen Philosophie betont: Sie ist wahr, weil sie in vollkommenem Maße Anteil hat an der Allvernunft (λόγος), die die Welt seit ihrem Bestehen regiert und in Christus Mensch geworden ist. 4 8 0 Die Neuerungen des Christentums sind also nicht deshalb vorzuziehen, weil sie neu sind, sondern weil sie

477

Δ ι δ ά σ κ ο ν τ ε ς [ s c . d i e b i b l i s c h e n Χ ό γ ο ι . ] ήμ5ίς κ α ϊ τ Ω ν π α λ α ι ώ ν π α τ ρ ψ ω ν έθων έπιλαθέσθαι, ούτως έχοντες»"Ακουσον, θύγατερ, κ α ι Γδε και κλΤνον το ο ΰ ς σου, κ α ϊ έ π ι λ ά θ ο υ του λ α ο υ σου κ α ι τ ο υ οΓκου του π α τ ρ ό ς σου* κ α ϊ ε π ι θ υ μ ή σ ε ι ό β α σ ι λ ε ύ ς τ ο υ κ ά λ λ ο υ ς σ ο υ , ÖTL α υ τ ό ς έ σ τ ι κ ύ ρ ι ό ς σ ο υ , κ α ϊ π ρ ο σ κ υ ν ή σ ε ι ς α ύ τ ψ « [ P s 4 S ( 4 4 ) ,11-13] ( G o o d s p e e d 1 6 9 f ; Ubersetzung nach BKV2).

478

Μ ή τ α ρ ά σ σ ε σ θ ε δέ, α λ λ ά μ ά λ λ ο ν π ρ ο θ υ μ ό τ ε ρ ο ι γ ι ν ό μ ε ν ο ι ά κ ρ ο α τ α ϊ και έ ξ ε τ α σ τ α ϊ μ έ ν ε τ ε , κ α τ α φ ρ ο ν ο υ ν τ ε ς τ?ΐς π α ρ α δ ό σ ε ω ς τ ω ν ύ μ ε τ έ ρ ω ν δ ι δ α σ κ ά λ ω ν , έ π ε ι ο ΰ τ ά δια τ ο υ θ ε ο ΰ Οπό τ ο υ π ρ ο φ η τ ι κ ο ύ π ν ε ύ μ α τ ο ς έ λ έ γ χ ο ν τ α ι νοεΤν δ υ ν ά μ ε ν ο ι , ά λ λ α τ ά Γδια μ ά λ λ ο ν δ ι δ ά σ κ ε ι ν π ρ ο α ι ρ ο ύ μ ε ν σ ι (Goods p e e d 134; Ü b e r s e t z u n g n a c h B K V 2 ; v e r ä n d e r t ) .

V g l . I a p o l . 61,1 ( T a u f t e r m i n o l o g i e ) : " Ό ν τ ρ ό π ο ν δέ κ α ϊ άνε-θήκαμεν έ α υ τ ο ύ ς τ φ Θ ε ψ κ α ι ν ο π ο ι η θ έ ν τ ε ς διά τ ο υ Χ ρ ί σ τ ο υ έ ξ η γ η σ ό μ ε - θ α , δ π ω ς μή τοΰτο παραλιπόντες δόξωμεν πονηρεύειν TL έ ν έξηγήσει (Wartelle 182,1-3). 480 V g l 46,2-4; 2 apoJ. 8. s,3f; 479

192 dieser Vernunft entsprechen. 4 8 1 Vor allem in der ersten Apologie spielt dieser Gedanke eine entscheidende Rolle. So e r ö f f n e t er die Schrift nach dem Gruß mit dem programmatisch zu verstehenden Satz: "Daß die wahrhaft Frommen und Weisen nur die Wahrheit ehren und lieben und daß sie es ablehnen, hergebrachten Anschauungen, wenn diese f a l s c h sind, zu folgen, gebietet die Vernunft. Denn nicht nur verbietet die gesunde Vernunft, denen nachzufolgen, die etwas Unrechtes getan oder gelehrt haben, sondern der Wahrheitsfreund muß auch auf jede Weise, wenn der Tod ihm angedroht wird, das Bekenntnis und die Ausübung d e s Rechten seinem Leben vorziehen" (1 apol. 2,1). 4 8 2 Wichtig ist nicht die Tradition als Wert an sich. Für Justin ist sie nur dann akzeptabel, wenn sie durch "Beweise" (αποδείξεις) unterstützt werden kann (1 apol. 54,1). Der Begriff "Tradition" ist bei ihm durchweg negativ besetzt. Sie wird von Leuten verteidigt, die "Vorurteile" haben (φιλοδόξοντες) und "von Leidenschaften beherrscht" (άπό παθών αρχόμενοι), ganz einfach "ohne Verstand" (άλογοι) sind. 4 8 3 Sie wird daher zu Recht göttliches Unglück treffen: "Daß aber auch vorausgesehen war, e s würden diese Schmähungen gegen die Bekenner Christi ausgesprochen werden, und daß die unglücklich sein würden, welche ihn schmähen und d a s Festhalten an den alten Gebräuchen empfehlen, darüber hört die kurzen Worte J e s a j a s [ f o l g t J e s 5,20]" (1 apol. 49,6). 4 8 4 So vehement sich Justin einerseits gegen das Alte zur Wehr setzt, s o wenig möchte er sich s e l b s t aber als Neuerer darstellen. Er verneint

481 V g l . s o s c h o n C i e . , Hort. f r g . 81 (St r a u m e - Z i m m e r m a n n = 6 6 G r i l l i ) : " ... u t e a s i b i r a t i o v e r a r e s t i t u a t , q u a e c o n s u e t u d o d e t r a x e r a t . " D i e Vernunft stellt a l s o wieder her, w a s durch die Gewohnheit v e r d o r b e n worden war. Τ ο ί ι ς κ α τ ά ά λ ή θ ε ι α ν ε ύ σ ε β ε ΐ ς κ α ι φ ι λ ο σ ό φ ο υ ς μόνον τ ά λ η Ο έ ς τιμδίν κ α ι στέργειν ό λόγος ύπαγορεύει, παραιτούμενους δόξαις παλαιΩν έ ξ α κ ο λ ο υ - 8 - ε ΐ ν , α ν φ α υ λ α ί ώ σ ι ν ο ϋ γ α ρ μόνον» μ ή έ ' π ε σ Φ α ι τοΤς α δ ί κ ω ς t l πράξασιν η δογματίσασιν ό σώφρων λ ό γ ο ς υπαγορεύει, α λ λ ' έκ παντός τρόπου καϊ πρό τϊΐς έαυτοΟ ψυχ?ίς τον φιλαλήθη, κ&ν θάνατος ά π ε ι λ ϊ ί τ α ι , τα δίκαια λ έ γ ε ι ν τε κ α ι πράττειν αϊρεΤσθαι δ ε ι (Wartelle 98,1-6; Ü b e r s e t z u n g n a c h B K V 2 ) . Z u m p l a t o n i s c h e n K l a n g d e s Ausd r u c k s την ά λ ή θ ε ι α ν στέργειν v g l . W a r t e l l e 1987, ζ. St. 483 V g l . 1 apol. 53,12; f e r n e r 2 , 3 ; 3,1; 5,1; 9 , 3 ; 12,5; 4 6 , 1 ; 5 7 , 1 . 3 ; 58,2; 4 8 2

2

apol.

3 , 3 . 6 ; 11,6 u .

ö.

484 " Ο τ ι δέ π ρ ο ε γ ι ν ώ σ κ ε τ ο τ ά δ ύ σ φ η μ α τ α ΰ τ α λ ε χ θ η σ ό μ ε ν α κ α τ ά τ ω ν τ ο ν Χ ρ ι σ τ ό ν ό μ ο λ ο γ ο ύ ν τ ω ν , κ α ϊ ώς ε?εν τ ά λ α ν ε ς ol δ υ σ φ η μ ο ΰ ν τ ε ς α ΰ τ ό ν κ α ϊ τ ά π α λ α ι ά έ'θη κ α λ ό ν ε ί ν α ι τ η ρ ε ΐ ν λ έ γ ο ν τ ε ς , α κ ο ύ σ α τ ε τ ω ν β ρ α χ υ ε π ω ς ε ί ρ η μ έ ν ω ν διά Ή σ α ΐ ο υ [ f o l g t J e s 5 , 2 0 ] ( W a r t e l l e 164,15-19; Ü b e r s e t z u n g nach BKV2; verändert).

193 sogar ausdrücklich, daß die Lehre von Jesus Christus "neuartig" sei (1 apol. 21,1). Sokrates, der bei den Griechen die dämonische Natur der Götter verurteilt hatte, ist zwar "unter dem Vorwand, neue Gottheiten einzuführen" (λέγοντες καινά είσφέρειν αυτόν δαιμόνια) verurteilt worden.4,83 In Wahrheit habe er aber wahrhaft vernünftig (λόγω άληθεΐ) gehandelt und das Problem "sorgfältig untersucht" (έξεταστικως), und die gleiche Vernünftigkeit nähmen auch die "barbarischen" Christen für sich in Anspruch (1 apol. 5,3f; vgl. 2 apol. 10,5). Die Wahrheit ihrer Lehre lasse sich dadurch beweisen, daß die alttestamentlichen Prophetien in Erfüllung gegangen seien: Judäa wurde zerstört, und an die Stelle der Juden seien Gläubige aus allen Völkern getreten, die ihre alten Traditionen (τά παλαιά) aufgegeben hätten (1 apol. 53,2f). Justin überträgt also das christliche Neuheitsbewußtsein aus dem antijüdischen in den antipaganen Bereich, wobei er jedoch gleichzeitig den Akzent von der Heilsgeschichte weg auf die rationale Wahrheitserkenntnis als Funktion der Zeit hin verschiebt. Minucius Felix trifft sich zwar mit Justin in seiner Ablehnung der Tradition, begründet sie jedoch in ganz anderer Weise. 486 Octavius weist in 20,2 auf die Leichtgläubigkeit der Alten hin und wehrt damit die von seinem Gesprächspartner Caecilius in 6,1 geforderte Hochschätzung der römischen Religion aufgrund ihres Alters ab: "Wenn also die Welt von einer Vorsehung regiert und durch den Willen eines einzigen Gottes gelenkt wird, dann dürfen wir uns nicht von der Vergangenheit zur Übereinstimmung im Irrtum hinreißen lassen, die sich durch Geschichtchen aus dem Munde von Toren unterhalten oder vielmehr betören ließ, wo sie doch durch die Lehren ihrer eigenen Weisen widerlegt wird, für die nicht nur ihr hohes Alter, sondern auch die Logik ihrer Argumentation bürgt" (20,2).487 Was auf den ersten Blick wie eine Verteidigung der Neuheit des Christentums aussieht, entpuppt sich bei näherem Hinsehen dann aber doch wieder nur als eine Variante des Altersbeweises. Denn Minucius spielt

V g l . W a r t e l l e 1987, z . S t . 486 v g l . z u m F o l g e n d e n a u c h 280-284. 485

Bianco

1987,

S.

190-193;

Pilhofer

1990,

S.

487 " Q u o d s i P r o v i d e n t i a m u n d u s r e g i t u r e t u n i u s d e i n u t u gubernatur, non nos debet antiquitas inperitorum fabellis suis delectata vel c a p t a ad e r r o r e m m u t u i r a p e r e c o n s e n s u s , c u m p h i l o s o p h o r u m suorum sententiis r e f e l l a t u r , quibus et rationis et vetustatis adsistit auctoritas" ( K y t z l e r 18,10-13; U b e r s e t z u n g n a c h K y t z l e r 1977). Vgl. auch 20,5.

- 194 nicht "neue" Rationalität gegen "alten" Irrtum aus, wie es sich von der ciceronischen Argumentation, an die er hier offensichtlich anknüpft, her angeboten hätte. 488 Vielmehr führt er gegen die eine alte Lehre eine andere noch ältere und darum "wahrere" an, nämlich den zuvor ausgeführten Gottesbeweis aus der Natur, aus der anima naturaliter christiana und aus dem Konsens der Philosophen (18,5-20,1). Ratio und vetustas sind hier keine sich gegenseitig ergänzenden Attribute, sondern ursächlich miteinander verknüpft. Universalität, Alter und Rationalität bilden für den stoisierenden Christen Minucius Felix eine unauflösliche Einheit: Die christliche Lehre ist universal sowohl in räumlicher als auch in zeitlicher Hinsicht und darum wahr, während die partikularen fabellae später hinzugekommen sind. 489 Um dem Neuheitsvorwurf zu entgehen, weicht Minucius Felix also auf einen philosophischen Altersbeweis aus. Damit werden für ihn aber Christologie und Soteriologie im Grund gegenstandslos, und weil ihm eine heilsgeschichtliche Konzeption fehlt, 4 9 0 ist er auch nicht in der Lage, die Frage zu beantworten, warum denn eigentlich "das wahre Wissen über Gott in dieser unserer Zeit zur Vollkommenheit gelangt ist". 491 Der christliche Rhetor steht damit hinter Justin, aber auch hinter Tertullian zurück, den wir unten gesondert betrachten werden. 492 Justins Haltung wird in Alexandrien von Clemens, dessen Neuheitsbewußtsein ja auch in anderer Hinsicht bereits eine tragende Rolle gespielt hatte und unten noch im Detail diskutiert wird, 493 konsequent weitergedacht. Die Polemik gegen die Tradition (συνήθεια, έ'θος) zieht sich durch das gesamte Oeuvre des Alexandriners und ist besonders ausgeprägt im protrepticus,494 Nicht zuletzt in seiner pointierten Verkop-

2,19; nat.

488

Vgl.

rep.

489

Zum oben

Gegensatz A n m . 461.

490 V g l . d i e 33,2-5.

deor.

2,2,S.

cons ue tu do

spärlichen

natura

Bemerkungen

über

in

der den

Stoa Abfall

vgl. der

die

Belege

Juden

in

491

"Quid ingrati sumus, quid nobis invidemur, si Veritas divinltatis n o s t r i t e m p o r i s a e t a t e m a t u r u i t ? " (38,7 C K y t z l e r 36,30-37,23; Übersetz u n g n a c h K y t z l e r 1977). P i l h o f e r (1990, S . 2 8 3 f ) s c h e i n t m i r die t h e o l o g i s c h e Reichweite dieses Satzes und damit die Originalität des Minucius Felix bei weitem zu überschätzen. Denn das Proprium c h r i s t l i c h e n G l a u b e n s ist f ü r M i n u c i u s , n e b e n d e r E s c h a t o l o g i e (34 f ) u n d d e r E t h i k ( 3 6 - 3 8 ) , e i n G o t t e s b e g r i f f , d e r g e r a d e nicht biblischg e s c h i c h t l i c h , s o n d e r n s t o i s c h - k o s m o l o g i s c h g e f a ß t ist.

492

Vgl.

unten

Kap.

3.2.3.

V g l . o b e n S . 154-157 u n d u n t e n K a p . 3.1.4. 494 V g l . a u ß e r d e n i m f o l g e n d e n b e h a n d e l t e n P a s s a g e n e t w a protr. 3,1; 46,1; 6 2 , 4 ; 73,3; 7 5 , 4 ; 9 0 , 3 ; 96,2; 99,1-3; 101,1.3; 103,2; 109,1.3; 118,1; 493

195 p e l u n g von T r a d i t i o n s - und Kultkritik geht C l e m e n s deutlich über die traditionelle G e g e n ü b e r s t e l l u n g von Wahrheit v e r s u s Gewohnheit, wie s i e s i c h b i s w e i l e n bei p a g a n e n A u t o r e n 4 9 5 und auch bei Minucius F e l i x 4 9 6 findet. Die u n s hier i n t e r e s s i e r e n d e n P a s s a g e n f i n d e n s i c h ζ. B. i m zehnten Kapitel d e s protrepticus. Den C h r i s t e n wird v o r g e h a l t e n : "Ihr s a g t , e s sei u n v e r n ü n f t i g , eine von den Vätern ü b e r l i e f e r t e Gewohnheit u m z u s t ü r z e n " (89,1). 4 9 7 E s ist wichtig, auf den g e n a u e n W o r t l a u t zu achten. Wie bei Minucius Felix findet s i c h a u c h hier die Kombination von Alter und V e r n ü n f t i g keit, hier aber nun im Munde der Gegner. C l e m e n s reagiert mit rhetoris c h e n G e g e n f r a g e n , die A n a l o g i e n a u s d e m Bereich m e n s c h l i c h e r Entw i c k l u n g a u f g r e i f e n , die anschließend a u f den M e n s c h e n a l s G a t t u n g ü b e r t r a g e n w e r d e n : S o wie der individuelle M e n s c h sich im L a u f e s e i n e r E n t w i c k l u n g v e r ä n d e r e , s o lehnten auch die C h r i s t e n d a s H e r k o m m e n "wie ein v e r d e r b l i c h e s G i f t " (δηλητήρι.ο\) φάρμακου) ab ( 8 9 , I f ) . 4 9 8 Ihm gehe e s d a r u m , die Unvernünftigkeit d e s H e r k o m m e n s a u f z u w e i s e n , d a s die A n e r k e n n t n i s d e s B e s s e r e n , nämlich von G o t t e s Gabe, behindere: "Denn d a s ist sicher die s c h ö n s t e A u f g a b e , die wir ü b e r n o m m e n haben, euch zu zeigen, daß die F r ö m m i g k e i t nur i n f o l g e von W a h n s i n n und d i e s e m dreimal u n s e l i g e n H e r k o m m e n gehaßt w u r d e ; d e n n ein s o l c h e s Gut, d a s größte, d a s von Gott d e m M e n s c h e n g e s c h l e c h t j e g e s c h e n k t w o r d e n ist [ v g l . Plat., Tim. 4 7 B ] , w ä r e nie gehaßt oder z u r ü c k g e w i e s e n w o r d e n , wenn ihr nicht von d e m H e r k o m m e n mit f o r t g e r i s s e n w o r d e n w ä r e t " (89,3).499 C l e m e n s f ü h r t d i e s e A n a l o g i e aber i n s o f e r n nicht k o n s e q u e n t durch, a l s er keinen h i s t o r i s c h e n E n t w i c k l u n g s b e g r i f f p o s t u l i e r t . Dies hängt mit der c l e m e n t i n i s c h e n F a s s u n g d e s N e u h e i t s b e g r i f f e s z u s a m m e n : A u c h f ü r

p a e d . 1,1,2; 1 , 4 , 2 ; 1 , 5 4 , 3 ; 2 , 1 7 , 2 ; 2 , 1 0 7 , 2 ; 2 , 1 2 2 , 1 ; ström. 7,100,4. V g l . hierzu a u c h B i a n c o 1 9 8 7 / 8 8 , S. 194-202. A l f o n s i 1964.

3 , 9 7 , 3 ; 3,101,1; Zur Topik auch

4 9 3

Vgl.

oben

Anm.

4 9 6

Vgl.

oben

S.

461.

4 9 7

*AXX' έ κ πατέρων, φατέ, παραδεδομένον εϋλογον ( S t ä h l i n / T r e u 66,4 f).

4 9 8

Das umgekehrte Argument (von Kindesbeinen an Meinungen sind nur schwer auszurotten) findet sich hom. 4,11; 4 , 1 8 ; r e c . 1 0 , 3 9 , 4 . V g l . d a z u a u c h o b e n A n m .

4 9 9

Τ ο υ τ ' αϋτό γ ά ρ τοι το κ ά λ Χ ι σ τ ο ν των έ γ χ ε ι ρ ο υ μ έ ν ω ν έστίν, ύποδείξαι ύμΤν ώς; α π ό μ α ν ί α ς κ α ι τ ο υ τρισα-9-Χίου τ ο ύ τ ο υ ^9-ους έ μ ι σ ή Φ η ή θ ε ο σ έ β ε ι α - ο ύ γ ά ρ &ν έ μ ι σ ή θ η π ο τ έ ϊι ά π η γ ο ρ ε ύ θ - η ά γ α θ - d v τ ο σ ο ΰ τ ο ν , ο δ μ ε ί ζ ο ν ο ύ δ έ ν έ κ -θ-εου δ ε δ ώ ρ η τ α £ π ω τ^ϊ τ£3ν ά ν θ - ρ ώ π ω ν γ ε ν έ σ ε ι , et μ ή σ υ ν α ρ π α ζ ό μενοι τφ ? θ ε ι ... (Stählin/Treu 66,17-21; Übersetzung nach Β KV2; g e ä n d e r t ) . V g l . a u c h p a e d . 1,15,1; 1 , 1 9 , 4 .

193f. ήμΐν

£Ό·ος

άνατρέπειν

ουκ

liebgewordene in Ps.-Clem., 461.

196 den Alexandriner ist die "neue" Wahrheit nur neu erschienen, in Wahrheit aber uralt. Doch wird durch den Lebensaltervergleich der Boden bereitet für die Argumentation des Arnobius. Wir werden darauf unten noch ausführlicher eingehen. 3 0 0 In ganz ähnlichen Worten fordert der Autor des Briefes an Diognet seine Leser auf, sich vertrauensvoll der neuen Wahrheit zuzuwenden: "Wohlan denn, reinige dich von allen Überlegungen, die bisher dein Denken beherrschten, und lege die dich täuschende Gewohnheit ab und werde gleichsam von Anfang an ein neuer Mensch, um gleichsam auch eines neuen Wortes Hörer zu sein, wie du auch s e l b s t zugegeben hast ... " (2,1). 501 Hier wird die Überlegenheit des "neuen Wortes" mit der sich in der T a u f e vollziehenden N e u s c h a f f u n g des Menschen in Verbindung g e b r a c h t . 5 0 2 Der Mensch wird durch die Taufe fähig, die Wahrheit d e s "neuen W o r t e s " zu erkennen. Der V e r f a s s e r geht dabei vom selben Revelationsschema aus wie Clemens: Das Wort ist neu erschienen, in Wahrheit aber uralt, 5 0 3 denn es ist mit dem "Baumeister und Urheber des A l l s " identisch (7,2). Diesen wiederum hat Gott zu den Menschen geschickt " a l s einer, der rettet" (ώς σώζων, 7,4). Zuvor war keine wahre Gotteserkenntnis möglich (8,1.5f). Damit erhebt sich aber die Frage, warum Gott seinen Sohn denn erst s o spät gesandt hat (vgl. 1,1). Der V e r f a s s e r von Diog zieht dafür nun aber nicht etwa den Altersbeweis heran, sondern denkt konsequent geschichtlich. Das Maß unserer Ungerechtigkeit mußte erst "voll werden" (πεπλήρωτο, 9,2), bevor der Vater seine Güte und Macht offenbarte, wo Strafe und Tod zu erwarten gewesen wären. Trotzdem operiert der Diog nicht mit einem progressiven heilsgeschichtlichen Schema (wie dies später Irenäus und die sich an ihn anschließende Tradition tun werden), sondern die aufsteigende Linie des Heils in Christus schließt sich an die absteigende Linie der menschlichen Sünde a n . 5 0 4 Beantwortet wird damit die vom V e r f a s s e r s e l b s t ge-

V g l . u n t e n K a p . 3.1.7. 501 " Ά γ ε Srj, καθ-άρας σεαυτου άπο π ά ν τ ω ν των π ρ ο κ α τ ε χ ό ν τ ω ν σου την Sidtvoiav Χ ο γ ι σ μ Ο ν κ α ι την dnτατωσάν σε ο υ ν ή θ ε ι α ν ά π ο σ κ ε υ α σ ά μ ε ν ο ς κ α ι γ ε ν ό μ ε ν ο ς ώοττερ έξ άρχ,ϊίς κ α ι ν ό ς όίνΦρωττος, ώσάν κ α ι λ ό γ ο υ κ α ι ν ο ύ , κα·&άπερ κ α ι αΟτός ώ μ ο Χ ό γ η σ α ς ... C W e n g s t 312; Ü b e r s e t z u n g nach W e n g s t 1984). 300

502

Z u r T r a d i t i o n s i e h e E p h 4 , 2 4 ; K o l 3,10; B a r n 106 f .

15,7; 1 6 , 8 ; d a z u

oben

S.

V g l . W e n g s t 1984, S. 298. Zur S a c h e vgl. u n t e n S. 2 0 8 , A n m . 25. 504 M a r r o u n e n n t d i e s d i e " p e s s i m i s t i s c h e L ö s u n g " ( v g l . 1951, S . 2 0 5 - 2 0 7 ; K e h l / M a r r o u 1978, S p . 7 6 6 f ) .

503

197 stellte Frage nicht, da er insbesondere das Problem nicht löst, warum vor dem Kommen Christi denn prinzipiell kein Heil möglich war. Er bleibt nicht zuletzt deshalb jede Erklärung schuldig, weil er eine ZweiTestamente-Theologie, die ihm Ansatzmöglichkeiten für eine Lösung hätte bieten können, nicht kennt. Die Juden sind ihm im Grunde ebenso fremd wie die Götzenverehrer. 503 Ein letztes Beispiel für den christlichen Antitraditionalismus stammt aus der unter dem Namen Justins überlieferten, aber sicher nicht von diesem stammenden cohortatio ad Graecos (CPG 1083), die vielleicht in der zweiten Hälfte des dritten Jahrhunderts verfaßt wurde. 506 Auch der Autor dieser Schrift mahnt die Hellenen dazu, den alten Irrtum der Vorfahren zu verlassen: "Zu Beginn meiner Mahnrede an euch, ihr Hellenen, ist es mein Gebet zu Gott, daß es mir vergönnt sein möge, euch zu sagen, was euch notwendig ist, und daß andererseits ihr eure bisherige Hartnäckigkeit aufgeben, den Irrtum eurer Vorfahren verlassen und das, was euch Nutzen bringt, jetzt erwählen möchtet, ohne eine Versündigung an euren Vorfahren zu vermuten, wenn ihr jetzt das Gegenteil ihrer einstigen, unrichtigen Anschauungen als wertvoll anseht. Eine exakte Prüfung der Tatsachen nämlich läßt, wenn sie in genauerer Untersuchung die Wahrheit erforscht, auch das, was vielfach für gut gehalten wurde, in etwas anderem Lichte erscheinen" (1,1).507 Das klingt zunächst so, als würde hier die von Justin ausgebildete Linie fortgesetzt. Noch volltönender klingt 35,1: "Laßt darum all euren Respekt beiseite, allen alten Menschenirrtum und das geschwollene, protzende Lärmen, dem ihr euren ganzen Erfolg zuschreibt! Haltet euch an das, was euch Nutzen bringt!" 508

sos

Vgl.

506 V g l . 507

Vgl.

Marcovich,

Wengst

1 9 8 4 , S.

Cohortatio,

294f.

1990, S.

3f.

' Α ρ χ ό μ ε ν ο ς τ ή ς π ρ ο ς ύμδις π α ρ α ι ν έ σ ε ω ς , ύ ά ν δ ρ ε ς " Ε λ λ η ν ε ς , ε ύ χ ο μ α ι τ φ θεφ έμοί μέν ύπάρξαι τά δέοντα προς ΰμδς ειπείν, ΰμας δέ, ττίς τ τ ρ ο τ έ ρ α ς ά φ ε μ έ ν ο υ ς < ρ ι λ ο ν ε ι κ £ α ς κ α ΐ τ?ϊς τ Ώ ν π ρ ο γ ό ν ω ν < ύ μ 0 ν > πλάνης ά π α λ λ α γ έ ν τ α ς , έ λ έ σ θ α ι τ ά λ υ σ ι τ ε λ ο ΰ ν τ α ν ΰ ν , ούδέν οΕομένους περί τ ο υ ς π ρ ο γ ό ν ο υ ς ύ μ ω ν έ'σεσθ-αι π α ρ ' ύ μ ω ν π λ η μ μ ε λ έ ς , et τ ά ν α ν τ ί α vuvi ταίν π ρ ό τ ε ρ ω ν μη κ α λ ώ ς δ ο ξ ά ν τ ω ν α ύ τ ο Τ ς χ ρ ή σ ι μ α φ α ι ν ο ι τ ο π α ρ ' ύ μ ΐ ν . Ή γ α ρ τ ω ν π ρ α γ μ ά τ ω ν ακριβής έξέτασις και τ ά δόξαντα π ο λ λ ά κ ι ς καλώς έ ' χ ε ι ν ά λ λ ο ι ό τ ε ρ α δ ε ί κ ν υ σ ι ν , ά κ ρ ι β ε σ τ έ ρ ς ι πείρες τ ά λ η θ έ ς β α σ α ν ί α α σ α ( M a r c o v i c h 23,1-8; U b e r s e t z u n g n a c h B K V 2 ) . Das

s08

1,1; 3 f .

Alter

ΠΚσαν

oöv

φαντασιώδη

des

Irrtums

α1δ£3

και

wird

auch betont

παλαιάν

παρωσάμενοι

ψόφον,

i n 5,1; 9,1; 14,1;

άνθρώπων δι'

οδ

καϊ

πλάνην τήν

και

ποίσαν

τόν

35,2. των

άπόλαυσιν

Βγκων έ'χειν

198 Doch als erstes möchte der unbekannte Autor das Alter der christlichen Religion untersuchen, "damit die, welche ehedem, von ihren Vorfahren ihre PseudoReligion angenommen haben, nun eines Besseren belehrt, sich von ihrem alten Irrtum lossagen, wir dagegen von uns den deutlichen und klaren Beweis erbringen, daß wir der Religion gottbegnadeter Vorfahren folgen" (l). 509 Es folgt ein traditioneller Altersbeweis (8-11): Das Bessere ist diesem Autor zufolge also nur vermeintlich neu, in Wahrheit dagegen älter als die pagane Religion. Mit diesem Standpunkt erweist sich der Autor als theologisch außerordentlich konservativ: Er fällt deutlich hinter Clemens von Alexandrien und den Verfasser der Schrift an Diognet, ja sogar hinter Justin selbst zurück. Denn die von ihm stark betonte Funktion der kritischen Vernunft 510 beschränkt sich letztlich darauf, die chronologische, nicht aber die theologische Superiorität der christlichen Religion zu erweisen. Alle genannten Autoren stimmen also darin Uberein, daß sie Herkommen und Tradition als überholt ablehnen. Sie tun dies jedoch (noch) nicht von einem Entwicklungsdenken her, sondern die Argumente der paganen Gegner werden entweder aufgenommen und nur mit einem anderen, christlichen Vorzeichen versehen: Die christliche Wahrheit wird in dieser Tradition als die ältere und darum eigentlich wahre erklärt (Minucius Felix, Ps.-Justin); oder aber die neue Lehre wird als die vernunftgemäßere verteidigt, ohne daß dabei jedoch das damit gegebene geschichtsphilosophische Problem (cur tarn sero?) wirklich gelöst wird (Ign, Justin, Diog). 311 Gerade in der Auseinandersetzung mit den Heiden hat sich jedoch dieser zweite Ansatz, das Neuheitsdenken der Christen, zuletzt durchgesetzt, während sich auf paganer Seite im Gegenzug der Traditionalismus in der späteren Kaiserzeit zusehends verfestigte. 3 1 2

ο ΐ ε σ θ ε , Εχεσθε τ ω ν ΰμΤν σ υ μ φ ε ρ ό ν τ ω ν nach B K V 2 ; geändert). s09

(Marcovich

72,11-13;

Ubersetzung

... t'v' ot μεν π ρ ό τ ε ρ ο ν τ ή ν ψευδώνυμον θεοσέβει,αν π α ρ ά τ ΰ ν π ρ ο γ ό ν ω ν π α ρ ε ι λ η ψ ό τ ε ς , νυν γ ο ΰ ν αίσθόμενοι τϊίς παΧαιας έ κ ε ΐ ν η ς άπαλλαγΩσι π λ ά ν η ς , ήμεΤς δέ σαιρΩς xott ι ρ α ν ε ρ Ω ς ήμδς α ύ τ ο ϋ ς ά π ο δ ε ί ξ ω μ ε ν τ^ί τ ω ν κ α τ ά Φεσν π ρ ο γ ό ν ω ν έ π ο μ έ ν ο υ ς Φεοσεβείε^ ( M a r c o v i c h 23,17-20; Ü b e r setzung nach B K V 2 ) .

510

V g l . a u c h 14.

511

Z u m Sonderfall des Clemens

512

V g l . dazu unten Kap.

3.1.8.2.

v g l . unten noch Kap.

3.1.4.

199

2. S. 4. Zusammenfassung Am Schluß seiner Untersuchungen zum Altersbeweis bei den jüdischen und christlichen Apologeten schreibt Peter Pilhofer resümierend: "Der Apologet, d e r den Altersbeweis führt, übernimmt die Voraussetzung seiner Gegner, und diese Voraussetzung ist keine christliche: πρεσβύτερου κρεΐττον habe ich diese Voraussetzung in d e r vorliegenden Arbeit genannt. Diese Voraussetzung in Frage zu stellen ist keinem Apologeten eingefallen." 5 1 3 Pilhofer fühlt sich "beinahe versucht, d e n Satz des Paulus umzukehren und zu sagen: τά καινά παρηλθεν, ιδού γέγονεν άρχαΐα." Er fährt fort: "Als Beurteilung d e r Entwicklung d e s Christentums in den ersten Jahrhunderten insgesamt wäre dies gewiß nicht angemessen; wer aber wird leugnen, daß dieser Satz auf nicht ganz wenige Bereiche durchaus zutrifft. Welcher Satz etwa im Werk des Theophilus wäre geeignet, dies zu bestreiten? Wer, wie viele christliche Apologeten, den Altersbeweis benutzt, trägt jedenfalls eifrig dazu bei, τά καινά möglichst zu verbergen und τά άρχαΐα herauszukehren." 5 1 4 Die Untersuchungen dieses Kapitels hingegen haben ergeben, daß e s methodisch höchst problematisch ist, a u s einem Aspekt d e s altchristlichen Verhältnisses zu Zeit und Geschichte verallgemeinernde Schlußfolgerungen zu ziehen. Verbreitert man nämlich die Quellenbasis, wird schnell deutlich, d a ß Pilhofers Urteil — selbst unter Berücksichtigung seiner eigenen Kautelen — zu einseitig ausfällt: 1. Wohl angeregt durch das radikale Neuheitsdenken Marcions, d a s die Tradition einfach abschneidet, bildet die Großkirche nach der Mitte des zweiten Jahrhunderts eine Theorie aus, die auf der Annahme zweier Bundesschlüsse Gottes mit seinem Volk basiert: Der neue Bund Gottes mit der Kirche aus den Völkern hat den alten Bund mit Israel abgelöst. Die großkirchlichen Theologen insistieren jedoch darauf, d a ß dieser Ablösungsvorgang keineswegs die Einheit Gottes und seines Geschichtshandelns in Frage stellt. Vielmehr wächst das historisch Neue aus dem Alten heraus, überlagert dieses und hebt e s s o in sich auf. Damit werden die ersten Umrisse einer heilsgeschichtlichen Konzeption sichtbar. 2. Diese historische Neuheit bezieht die christliche Gemeinde mit einiger Verzögerung dann auch auf sich als soziale Größe und definiert so ihre eigene Identität gegenüber den anderen religiösen Großgruppen Judentum und Heidentum, denen die historische Relevanz abgesprochen wird. 3. Gleichzeitig setzt ein massiver Antitraditionalismus ein, und zwar den römischen Behörden und d e n Philosophen gegenüber anfänglich

S13

1990,

Sl-i 1990,

s . 300; S.

302.

kursiv

im

Original.

- 200

noch unter Abschwächung der Neuheit des Christentums. Erst sehr verspätet wird positiv die Neuheit des Christentums verteidigt. Voraussetzung dafür ist aber die Ausbildung der Idee des heilsgeschichtlichen Fortschrittes, der wir uns nun zuwenden.

3. Die Ausbildung des Fortschrittsdenkens im zweiten und dritten Jahrhundert

Durch die Entdeckung des chronologisch Neuen als des Besseren in der Theologie des ersten und zweiten Jahrhunderts war eine der wichtigsten Voraussetzungen für die Ausbildung von "Fortschritt" geschaffen. Doch es mußten noch andere Aspekte hinzutreten, bevor wir im strengen Sinne von einer progressiven Sicht von Geschichte sprechen können. Nun befand sich die sich allmählich herausbildende Großkirche um die Mitte des zweiten Jahrhunderts in einer dreifachen Frontstellung: — gegenüber dem Judentum, das die Messianität Jesu in Frage stellte; — gegenüber Marcion und gnostisierenden Gruppen, die umgekehrt die Gültigkeit des Alten Testamentes bestritten; — und gegenüber dem Heidentum, das sich unter anderem an der Neuheit des Christentums stieß. Dementsprechend mußten verschiedene Argumentationsstrategien entwickelt werden: — gegenüber dem Judentum der hermeneutische Nachweis der Zusammengehörigkeit von Gesetz und Evangelium, wobei das Evangelium das Gesetz historisch überlagerte; — gegenüber Marcion umgekehrt das Festhalten am Alten Testament (nicht am Gesetz!) als Vorstufe zur evangelischen Offenbarung und an der Einheit der Heilsgeschichte; — schließlich gegenüber dem Heidentum die Verteidigung des historisch Neuen als des Besseren. Diese verschiedenen Frontstellungen warfen bedrängende Fragen auf: Wenn sich in Christus das Neue als geschichtliches Ereignis manifestiert hatte, in welchem Verhältnis stand dieses Neue zu dem Alten? Wenn es nicht dessen radikale Negation war, mußte es irgendwie aus dem Alten entstanden sein. W i e ließ sich dies denken? Wenn aber das Neue aus dem Alten entstanden war, wie verhielt es sich mit dem noch Älteren? Ließen sich nicht auch im Alten Testament verschiedene Stufen der Offenbarung unterscheiden? Und umgekehrt: War mit der Gründung der Kirche die Offenbarungsgeschichte an ihrem Ende angelangt? A l l diese Probleme drängten nach einer umfassenden Lösung. Sie wurde gefunden in der Theorie des heilsgeschichtlichen Fortschritts. Um eine solche Lösung zu entwickeln, war es jedoch zunächst notwendig, sich der eigenen Geschichtsvorstellung im Unterschied zum

- 202

Heidentum zu vergewissern. Das Christentum mußte sich der Frage stellen, wie sich sein teleologisches Geschichtsdenken zu zentralen Theoremen der beiden in der Spätantike vorherrschenden Philosophien, nämlich der Vorstellung von den Weltzyklen in der Stoa und der (von den Pythagoreern übernommenen) Seelenwanderungslehre d e s Platonismus verhielt. 1 Von der biblischen Tradition her konnte die Kirche derartige Lehren nur ablehnen: Zum einen wegen d e s (έφ)όόταξ von R o m 6,10 und Hebr 7,27; 9,12; 10,10 u. ö., da sonst die Einmaligkeit d e s Opfertodes Christi auf d e m Spiel gestanden hätte; z u m anderen auch deshalb, weil jede Annahme eines geschichtlichen Fatalismus oder Determinismus, die in der Stoa mit der Vorstellung von den Weltperioden einherging, die menschliche Willensfreiheit und damit Schuld- und Sündfähigkeit in Frage gestellt hätte; und schließlich stand f ü r die Kirchenväter die Annahme der Ewigkeit der Seelen im Widerspruch zur Vorstellung v o m Jüngsten Gericht. Aus diesem Grunde kamen vor allem die Apologeten d e s zweiten Jahrhunderts zu einer A u f f a s s u n g , die Geschichte a l s linearen Prozeß mit einem eindeutigen Anfangs- und Endpunkt, nämlich S c h ö p f u n g und Gericht, verstand. 2 Diese Form linearen Geschichtsdenkens war zwar keimhaft bereits im Neuen Testament angelegt, wurde dort aber aufgrund der Naherwartung nicht eigens thematisiert. 3 1

Vgl. zum Folgenden Kehl/Marrou 1978, 1984/85.

H. W e r n e r 1939, S . 139; S p a n n e u t 1957, S . 357-362; Sp. 759f. Zur Seelenwanderungslehre Hoheisel

N a t ü r l i c h 1st d a m i t nicht b e h a u p t e t , daß griechisch-römisches Ges c h i c h t s d e n k e n grundsätzlich z y k l i s c h a n g e l e g t s e i . (Zur W i d e r l e g u n g d i e s e r w e i t v e r b r e i t e t e n , a b e r i r r i g e n A u f f a s s u n g v g l . o b e n S. 2 8 , A n m . 54.) D e r a r t i g e T h e o r i e n s p i e l t e n a b e r eine z e n t r a l e R o l l e b e i d e n G e g nern d e s C h r i s t e n t u m s , e b e n vor a l l e m der S t o a und d e m P i a t o n i s m u s . (Zu D i f f e r e n z i e r u n g e n i m s t o i s c h e n D e n k e n v g l . a b e r a u c h Cancik 1983, S. 261.) 2

V g l . s p ä t e r a u c h L a c t . , inst. 7,14,5; e p i t . 6 5 , 8 . A n d e r s T h r a e d e 1972, S p . 163: " D a ß d i e Z y k l e n t h e o r i e , d i e s c h o n in a n t i k e r T r a d i t i o n n u r eine N e b e n r o l l e s p i e l t e , a b g e l e h n t w u r d e E...3, e r g a b s i c h d a r a u s v o n s e l b s t ( n ä m l i c h a u s E i n l i n i g k e i t uCnd] Ziel d e r E n t w i c k l u n g , d . h. a u s d e r T e l e o l o g i e , nicht e t w a a u s d e m έ υ γ ε ν έ σ θ α ι λ έ γ ο υ σ ι ν - ήμεΤς δέ κ ρ ε ΐ τ τ ό ν τ ι τ ω ν μ ε τ α β α λ λ ο μ έ ν ω ν ν ο ο υ μ ε ν τ ο ν π ά ν τ ω ν π ο ι η τ ή ν Θ ε ό ν ( W a r t e l l e 124,2-126,5).

7

Τ ο Ο τ ψ τ φ λ ό γ ψ κ α ι ο ί ά π ό τ?(ς Σ τ ο Κ ς έκπυρωθήσεσθαι τά πάντα και π ά λ ι ν έ'σεσθ-αί ψ α σ ι ν , έ τ έ ρ α ν ά ρ χ ή ν τ ο υ κ ό σ μ ο υ λ α β ό ν τ ο ς . Et δε, κ α ί τ ο ι δισσοΰ α ι τ ί ο υ κ α τ ' α υ τ ο ύ ς δ ν τ ο ς , τοΟ μεν δ ρ α σ τ ή ρ ι ο υ κ α ι καταρχομένου, καθ-ό ή π ρ ό ν ο ι α , τ ο υ δε π ά σ χ ο ν τ ο ς κ α ι τ ρ ε π ο μ έ ν ο υ , καθ-ό ή ΰ λ η , α δ ύ ν α τ ο ν δή έστιν και προνοούμενον επί ταύτοΰ μεΤναι τον κόσμον,

γενόμενον, πως ή τούτων μενεΐ σύστασις, οϋ φύσει δντων, άλλά γ ε ν ο μ έ ν ω ν ; Τ ί δέ ττ^ς υ λ η ς κ ρ ε ί τ τ ο υ ς οί θ ε ο ί τ η ν σ ύ σ τ α σ ι ν έξ ύδατος { Γ χ ο ν τ ε ς ; ( M a r c o v i c h 59,10-17). V g l . a u c h 22,2.

8

In 22,5 άνωτάτω ebenda.

9

Daneben w i r d die Lehre v o n der έκπύρωσις v o n den Christen s o g a r als Nachklang alttestamentlicher Prophezeiungen (Mal 3,19; Jes 30,27) gebilligt; vgl. Theophil. Ant., ad Autol. 2,37f. Vgl. schon II Petr 3,7.10-13; f e r n e r T e r t . , apol. 47,12; M i n . F e i . , Oct. 34,1-5. V g l . auch L a n g 1959, S . 9 4 5 , 9 4 8 .

Problematik

vgl.

a u c h 2 apol.

7,9 u n d W a r t e l l e

betont er ausdrücklich die θ ε ο ν ά γ έ ν η τ ό ν τε κ α ι άΐδιον.

1987 z .

Stoiker hätten Zur Verbindung

75-81; I I , S. 1964, S . 9 f f ; St.

gelehrt fe'va τόν mit der Materie

- 204 Daneben argumentiert Justin aber auch gegen die Doktrin s e l b s t , wobei der Wortlaut allerdings einige Schwierigkeiten bereitet: "Denn wir sagen, der Weltenbrand werde sich s o [ s c . als Vernichtung der Materie] vollziehen, aber nicht, wie die Stoiker lehren, als Verwandlung aller Dinge ineinander, was offensichtlich höchst unangebracht ist" {2 apol. 7,3). 1 0 Zunächst wendet sich Justin hier gegen ein bestimmtes Verständnis des Weltenbrandes, nämlich als Durchmischung der Materie, mit der, s o muß man wohl ergänzen, die Welt aber nicht an ihrem Ende angekommen ist, sondern einen neuen Zyklus beginnt. Leider expliziert Justin j e doch nicht, inwiefern diese Lehre "höchst unangebracht" ist. In der Fortsetzung dieser Stelle argumentiert Justin gegen die stoische ειμαρμένη, weil sie für ihn die menschliche Willensfreiheit und damit auch Sündenfähigkeit gefährdet. Er resümiert: "Denn wenn sie sagen, daß das, was den Menschen widerfährt, schicksalhaft geschieht oder daß Gott nicht außerhalb der Dinge stehe, die wandelbar und veränderlich seien und sich immer in d a s s e l b e auflösten, s o wird daraus deutlich, daß sie nur veränderliche Dinge denken können und daß Gott selbst in den Teilen wie im Ganzen an jeglicher Schlechtigkeit Anteil hat oder daß Schlechtigkeit und Tugend nichts gelten. Dies aber widerspricht j e g l i c h e r besonnener Überlegung, Vernunft und Verstand." (7,7). 1 1 Justins Schüler Tatian legt den Akzent ganz auf das Einmalige des gegenwärtigen Äons und des künftigen Gerichts: "Wir glauben deshalb auch, daß es eine leibliche Auferstehung nach der Vollendung aller Dinge geben wird, wobei nicht, wie die Stoiker lehren, dieselben Dinge nach bestimmten zyklischen Umläufen ohne einen triftigen Grund immer wieder entstehen und vergehen, sondern unsere Zeit ein für allemal abläuft [vgl. Hebr 9,26], damit [sodann] die Auferstehung nur der Menschen für immer zum Gericht stattfindet" (or. 6,1). 1 2

10

Ο ϋ τ ω γ ά ρ ήμεΤς τήν έ κ π ύ ρ ω σ ί ν φ α μ ε ν γ ε ν ή σ ε α θ α ι , ά λ Χ ' ο ΰ χ , ώ ς ol Σ τ ω ι κ ο ί , κ α τ ά τόν Τ7Ϊς ε ί ς α Χ Χ η Χ α π ά ν τ ω ν μ ε τ α β ο λ ή ς Χ ό γ ο ν , δ αΓσχιστον έφάνη ( W a r t e l l e 206,9-11).

11

ΕΓτε γ ά ρ καθ-' είμαρμένην φ ή σ ο υ σ ι τά γ ι ν ό μ ε ν α π ρ ο ς άν-9-ρώπων γ ί ν ε σ Ο α ι , η μηδέν ε ί ν α ι Θ ε ο ν π α ρ ά τ ρ ε π ό μ ε ν α κ α ι ά λ Χ ο ι ο ύ μ ε ν α κ α ι ά ν α λ υ ό μ ε ν α ε£ς τά α ΰ τ ά ά ε ί , φ θ α ρ τ ώ ν μ ό ν ω ν ιρανήσονται κ α τ ά λ η ψ ι ν έ σ χ η κ έ ν α ι κ α ι α ϋ τ ά ν τον Θ ε ο ν διά τε τ ω ν μερΩν κ α ΐ διά τοΟ S X o u έν πάστβ κακ£ςι γ ι ν ό μ ε ν ο ν , ?Ί μηδέν ε ί ν α ι κ α κ ί α ν μηδ' ά ρ ε τ ή ν δ π ε ρ κ α ι π α ρ ά π α σ α ν σώιρρονα f v v o L a v κ α ί Χ ό γ ο ν κ α ι νοΟν έστι ( W a r t e l l e 2 0 6 , 2 6 - 3 2 ) . V g l . a u c h d i e a u s f ü h r l i c h e n Ü b e r l e g u n g e n i n 1 apol. 4 3 f ; f e r n e r dial. 1,5.

12

Κ α ι διά τοΟτο κ α ϊ σ ω μ ά τ ω ν ά ν ά σ τ α α ι ν Ι'σεσθαι π ε π ι ο τ ε ύ κ α μ ε ν μετά τήν τΩν δ λ ω ν σ υ ν τ έ λ ε ι α ν , ο ΰ χ ώ ς o l Σ τ ω ι κ ο ί δ ο γ μ α τ ί ζ ο υ σ ι κ α τ ά τ ι ν α ς κ ύ κ λ ω ν

- 205 Hier wird also unmißverständlich die Vorstellung eines linearen Ablaufes von Geschichte mit einem eindeutig bestimmbaren Endpunkt dem stoischen Denken in Weltperioden gegenübergestellt. Tertullian richtet sich in apol. 48 nicht gegen die stoische Doktrin, sondern gegen die pythagoreisch-platonische Seelenwanderungslehre. 13 Sie wird angeführt, um die Möglichkeit einer Auferstehung plausibel zu machen. In einer conclusio de maiore ad minus wird von der Unglaubwürdigkeit dieser Lehre her der christlichen Auferstehungslehre eine größere Plausibilität zugesprochen (48,1). Dies wird sodann durch Beispiele von Kreisläufen in der Natur zusätzlich begründet (48,7-9). Die dadurch aufgeworfene Frage, ob denn auch der Mensch mehrmals auferstehe, wird von Tertullian abgewiesen: Der Urgrund der Welt "hat auch die Weltzeit zusammengefügt und in so bestimmter und gegliederter Weise geschaffen, daß dieser erste Teil, den wir von Urbeginn an bewohnen, in irdisch begrenzter Dauer einem Ende zuläuft, daß aber der folgende, den wir ersehnen, sich in eine endlose Ewigkeit erstreckt" (48,II). 14 Hier wird also nun auch in der lateinischen Literatur von einem Christen ein Verständnis von linearer Zeit formuliert. Dies sollte fortan zum Basisbestand des christlichen Glaubens der Großkirche gehören. Wir werden unten anhand von Origenes sehen, daß es zwar auch in christlichen Kreisen Ansätze zu einem zyklischen Zeitverständnis gab, daß man aber auch dann nicht von einer unendlichen Zahl von Zyklen ausging, weil sonst das Erlösungswerk Christi seine einmalige Bedeutung zu verlieren drohte. 15 περιόδους γινομένων άει και ά π ο γ ι ν ο μ έ ν ω ν των αύτων ούχ έπί τι χρήσιμον, »άίπαξ« δέ » τ ω ν « καθ' ήμδς »αιώνων« Cvgl. Hebr 9,26] π ε π ε ρ α σ μ έ ν ω ν κ α ι είς τ ό π α ν τ ε λ έ ς ÖLÖC μ ό ν ω ν τ ω ν α ν θ ρ ώ π ω ν την σ ύ σ τ α σ ι ν έ'σεσΦαι χ ά ρ ι ν κ ρ ί σ ε ω ς ( W h i t t a k e r 10,15-21). V g l . f e r n e r 3 , I f ; 25,2. 13

Die A u s e i n a n d e r s e t z u n g mit der M e t e m p s y c h o s i s - L e h r e k e h r t in de anima in w e s e n t l i c h a u s f ü h r l i c h e r F o r m w i e d e r (28-35; v g l . 5 4 ) . T e r t u l l i a n b e t o n t h i e r g e g e n : D i e m e n s c h l i c h e S e e l e hat e i n e n z e i t l i c h e n A n f a n g (4). Nach d e m T o d e w e r d e n alle Seelen (außer denen der M ä r t y r e r ) in d e r H ö l l e b i s z u r f l e i s c h l i c h e n A u f e r s t e h u n g a u f b e w a h r t (55). V o n d o r t k ö n n e n s i e n i c h t z u r ü c k k e h r e n . V g l . d a z u a u s f ü h r l i c h W a s z i n k 1947; H o h e i s e l 1984/85, S. 3 9 f . V g l . f e r n e r r e s . earn. l,Sf. Ganz ähnlich w i e T e r t u l l i a n argumentiert auch M i n u c i u s Felix (Oct. 34,6-12). Z u f r ü h e r e n c h r i s t l i c h e n W i d e r l e g u n g e n ( l u s t . , dial. 4,1-7; I r e n . , haer. 2 , 3 3 f ) v g l . H o h e i s e l 1984/85, S. 3 8 f .

14

" Q u a e r a t i o [ . . . ] e a d e m a e v u m q u o q u e ita d e s t i n a t a < e t > distineta c o n d i t i o n e c o n s e r u i t , ut p r i m a h a e c p a r s , a b e x o r d i o r e r u m q u a m inc o l i m u s , t e m p o r a l ! a e t a t e ad f i n e m d e f l u a t , s e q u e n s v e r o , q u a m e x spectamus, in i n f i n i t a m aeternitatem propagetur" (Becker 214-216; U b e r s e t z u n g n a c h B e c k e r 1961).

15

V g l . u n t e n S. 3 2 6 f f .

-

206

-

Durch die Ausbildung eines umfassenden Neuheitsbegriffes und eines linearen Zeitverständnisses, waren aber die Voraussetzungen zur Entwicklung eines Fortschrittsdenkens geschaffen. Nun mußte nur noch der Gedanke der Verbesserung als eines kontinuierlichen Prozesses hinzukommen, d. h. das Spätere mußte a priori als das Bessere angesehen werden. Auch um diesen letzten Schritt zu gehen, bedurfte es eines Anstoßes von außen. Er wurde der Großkirche von der Gnosis gegeben; und der erste, der einen heilsgeschichtlichen Fortschrittsgedanken formuliert, ist der große Antihäretiker Irenaus. Nun muß nicht mehr die Vernünftigkeit des Neuen eigens nachgewiesen werden, sondern das Faktum des Neuen wird zum entscheidenden Wahrheitskriterium. Bevor wir uns aber diesem zuwenden, müssen wir noch einen kurzen Blick auf einen Außenseiter werfen, gewissermaßen einen Progressiven avant la lettre, den sogenannten Hirten des Hermas. Der wohl zwischen 130 und ISO in Rom schreibende Hermas 16 fällt aus der Reihe der Autoren, die wir im folgenden betrachten werden, heraus, da bei ihm schon in der ersten Hälfte des zweiten Jahrhunderts ein Fortschrittsbegriff vorliegt, der aber nicht, wie bei den folgenden Theologen, heilsgeschichtlich gefaßt wird, sondern in erster Linie ekklesiologisch ausgerichtet ist. Bei ihm wird erstmals der Fortschritt der Kirche selbst beschrieben. Dies kommt am deutlichsten in den Turmvisionen in Herrn vis 3 und Herrn sim 9 zum Ausdruck. 17 In Herrn vis 3 wird die Kirche mit einem Turm verglichen, der von sechs Engeln erbaut wird. 18 Baumaterial sind dabei die Neubekehrten (3,5,4). Durch die Wahl eines Bildfeldes aus dem Bereich der Architektur eröffnet sich Hermas die Möglichkeit, die Ausbreitung des Christentums prozeßhaft zu beschreiben, wobei es sich unzweifelhaft um eine kontinuierliche Aufwärtsentwicklung handelt. Sie ist erst mit der Parusie abgeschlossen, die der Verfasser aber in Kürze erwartet (3,8,9). Die Gegenwart wird also — ähnlich wie bei Paulus — ganz von der Eschatologie her gedeutet. Dieses prozeßhafte Denken ist für die Theologie des Verfasser auch in anderer Hinsicht kennzeichnend. Die alte Frau, die als Deutefigur

16

Zur Datierung 23-2S.

vgl.

Staats

1986,

S.

106f

17

V g l . h i e r z u a u s f ü h r l i c h A . F r a n k 1975, v o n B r o x (1991), v . a. S . 5 2 4 - 5 3 3 .

18

T u r m = Kirche: 3,3,3; Engel: 3,4,1. Zu einer möglichen jüdischen V o r l a g e v g l . A . F r a n k 1975, S. 109-112; 120-122. V o r s i c h t i g e r B r o x 1991, S . 119: " D i e H e r k u n f t d e s B i l d e s u n d d e r A n l a ß z u s e i n e r e k k l e s i o l o g i s c h e n Ü b e r t r a g u n g sind [...} nicht sicher."

S.

und

jetzt

106-132

auch und

Brox

den

1991,

S.

Kommentar

207 dient, aber gleichzeitig auch die Kirche selbst symbolisiert, 1 9 hatte sich im Laufe der drei Visionen immer mehr verjüngt (3,10,3-5). Darin drückt sich nach Kap. 3,11-13 der Fortschritt im Glauben der Kirche aus. Hier wird also das Fortschrittsmotiv mit dem Lebensaltertopos verbunden, der aber gewissermaßen auf den K o p f gestellt wird. Dem gebrechlichen Alter, das die Sündigkeit des Gläubigen symbolisiert, wird die Verjüngung im Glauben gegenübergestellt: "Die also, die Buße tun, werden vollkommen jung und gestärkt sein, (und zwar) die, die aus ganzem Herzen Buße tun" (3,13,4). 20 Die Turmallegorie wird in wesentlich erweiterter Form in Herrn sim 9 wieder a u f g e g r i f f e n . Hier werden die Bauarbeiten plötzlich unterbrochen (9,5). Der Bauherr erscheint und überprüft die Qualität der bisherigen Arbeiten (9,6,1-7,3). Schließlich wird der Turm vollendet (9,9,7). Diese Ergänzungen verlangen nach einer Erklärung: Man könnte vermuten, daß der Verfasser versucht hat, die beschriebene A l l e g o r i e stärker zu historisieren. Das Kommen des Bauherrn symbolisiert natürlich das Kommen des Gottessohnes (9,12,7fi), bezieht sich aber nicht etwa auf das Endgericht, sondern o f f e n b a r auf die Inkarnation. 21 Wichtiger ist aber noch ein anderer Punkt: Die Unterbrechung der Bauarbeiten gibt den v e r w o r f e n e n Bausteinen die Möglichkeit, Buße zu tun und so wiederverwendet zu werden (9,14,2): "Ich dankte dem Herrn für all dies, weil er Erbarmen hatte mit denen, die seinen Namen anrufen, und seinen Bußengel zu uns sandte, die wir gegen ihn gesündigt haben und unseren Geist erneuerte und unser Leben wiederherstellte, obgleich wir schon verloren waren und keinen Lebensmut mehr hatten" (9,14,3). 22 Hier werden individuelle Buße und kirchlicher Fortschritt eng verknüpft, jedoch nicht so, daß das W o h l e r g e h e n der Kirche von der Buße ihrer

19

V g l . a b e r H e r r n v i s 2,4,1), w o d a s A l t e r d e r F r a u ( = K i r c h e ) damit erklärt w i r d , daß sie v o r a l l e m anderen e r s c h a f f e n w o r d e n sei; vgl. a u c h J o l y 1958, S . 34 u n d 129, A n m . 2; A . F r a n k 197S, S. 95-105 u n d B r o x 1991, S . 1 5 6 f . D a z u a u c h g l e i c h u n t e n .

20

Ol ο δ ν μ ε τ α ν ο ή σ α ν τ ε ς ό λ ο τ ε Χ ω ς v i o L Ι ' σ ο ν τ α ι κ α ι τεθ-εμελί-ωμένοι., ο ί δ λ η ς κ α ρ δ ί α ς μ ε τ α ν ο ή σ α ν τ ε ς ( J o l y 132). Z u m G a n z e n a u c h B r o x 1991, 157-159.

21

Auf

22

' Ε π ί τ ο ύ τ ο ι ς π α σ ι ν η ύ χ α ρ ί σ τ η σ α τ ψ κ υ ρ ί ψ , ÖTL έ σ π λ α γ χ ν ί σ θ η έηί ττασι τ ο ι ς έ π ι κ α Χ ο υ μ έ ν ο ι ς τ φ ό υ ό μ α τ ι . α ΰ τ ο Ο κ α ι έ ξ α π έ σ τ ε ι λ ε τ ο υ ό ί γ γ ε Χ ο ν τ?ίς μ ε τ α ν ο ί α ς ε ί ς ήμδίς τ ο υ ς ά μ α ρ τ ή σ α ν τ α ς ε ι ς α υ τ ό ν κ α ί ά ν ε χ α ί ν ι , σ ε ν ήμΟν τ ο π ν ε Ο μ α κ α ί ηδη κ α τ ε ι ρ θ α ρ μ έ ν ω ν ή μ ω ν κ α ί μή έ χ ό ν τ ω ν έ λ π ί δ α τ ο Ο ζ ϊ ί ν ά ν ε ν έ ω σ ε τ η ν ζ ω ή ν ή μ ω ν ( J o l y 322; v g l . a u c h d i e A n m e r k u n g ebenda z. St.).

die

Parusie

wird

offenbar

i n 9,10,4

έξ S.

angespielt.

-

208

Mitglieder abhängig gemacht wird. Die Kirche wird in jedem Falle vollendet, die Buße eröffnet nur die Möglichkeit, gleichfalls in den Bau des Turmes mit aufgenommen zu werden und so an seiner eschatologischen Vollendung zu partizipieren. Diese an der Buße ausgerichtete Ekklesiologie steht bei Hermas in Spannung zu dem an anderer Stelle geäußerten Gedanken, daß die Kirche als allererstes geschaffen worden sei (πάντων πρώτη έκτίοθη; Herrn vis 2,4,1).23 Dem entspricht der Kontrast zwischen dem alten Felsen und der neuen, glänzenden Tür (9,2,2), die beide den Sohn Gottes symbolisieren: '"Wieso, Herr', sage ich, 'ist der Fels alt, die Tür aber neu?' 'Höre', sagt er, 'und nimm zur Kenntnis, Unverständiger! Der Sohn Gottes ist früher geboren als die ganze Schöpfung, so daß er zum Berater des Vaters bei seiner Schöpfung wurde [vgl. Prov 8,27-303: Deswegen ist auch der Felsen alt.' 'Weshalb aber, Herr', sage ich, 'ist die Tür neu?' Er sagt: 'Weil er in den letzten Tagen der Vollendung erschienen ist; die Tür wurde deswegen kürzlich gemacht, damit die, die gerettet werden, durch sie in das Reich Gottes einziehen'" (9,12,1-3).24 Im Hintergrund steht hier ganz offensichtlich die Frage nach dem späten Zeitpunkt der Inkarnation. Die vorgeschlagene Antwort (Präexistenz der Kirche, aber späte Erscheinung), die das Problem eher verdeckt als löst, entspricht der bei Clemens von Alexandrien, im Diognetbrief und in veränderter Form auch bei Arnobius erscheinenden Dialektik von Ewigkeit und Zeitlichkeit des Gottessohnes, ohne daß dies hier aber in irgendeiner Weise spekulativ entfaltet wird. 25 Hier werden bei Hermas auch apologetische Motive spürbar.26

23

D a z u a u s f ü h r l i c h J o l y 1958, S. 34 f ( m i t P a r a l l e l e n ) 1975, v . a. S . 95-105; B r o x 1991, S. 5 2 4 - 5 3 3 .

sowie

A.

Frank

24

Π Ο ς , φ η μ ί , κ ύ ρ ι ε , ή π έ τ ρ α π α λ α ι ά έ σ τ ι ν , ή δέ π υ λ η κ α ι ν ή ; " Α κ ο υ ε , φ»ησ£, και σύνιε, άσύνετε. Ό μέν υ ι ό ς τ ο υ Φεοΰ π ά σ η ς τής κτίσεως αύτου προγενέστερος έστιν, £5στε συμβουλον αύτόν γενέσθαι τφ πατρί τϊ^ς κ τ ί σ ε ω ς α ΰ τ ο υ [ v g l . P r o v 8 , 2 7 - 3 0 3 - δια τ ο ύ τ ο κ α ι π α λ α ι ά ή π έ τ ρ α . Ή δε π ύ λ η , [vgl. Gen 2,7], d e r Geist nährt und k r ä f t i g t [vgl. Gen 1,28], der Mensch aber nach und nach Fortschritte macht und zur Vollkommenheit h i n a u f s t e i g t , das heißt

m e t i p s o s scientes, insatiabiles et ingrati, nolentes primo e s s e hoc quod et facti, homines passionum capaces, sed s u p e r g r e d i e n t e s legem humani generis, et antequam fiant homines j a m volunt similes e s s e Factori Deo et nullam e s s e d i f f e r e n t i a m infecti Dei et nunc facti hominis" (Rousseau 955,85-987,93). Vgl. f e r n e r 4,21,2 und Funkenstein 1965, S. 19. 76

Zum Problem der Vermittlung vgl. unten S. 231-238.

77

Von Campenhausen

78

Vgl. oben S. 220f.

1970(1979), S. 54.

226

-

in die Nähe des Ungewordenen gelangt; denn der Ungewordene ist , dieser aber ist Gott. Es mußte aber der Mensch zuerst werden und, nachdem er geworden war, gekräftigt werden [vgl. Gen 1,28] und, nachdem er gekräftigt worden war, erwachsen werden und, nachdem er erwachsen geworden war, sich vervielfachen [vgl. Gen 1,28] und, nachdem er sich vervielfacht hatte, gestärkt werden und nachdem er stark geworden war, verherrlicht werden und, nachdem er verherrlicht worden war, seinen eigenen Herren schauen. Denn Gott wird geschaut werden; die Schau Gottes aber verschafft die Unsterblichkeit, 'die Unsterblichkeit aber verleiht Nähe zu Gott' [Weish 6,19]" (4,38,3).79 Hier bleibt ganz unbestimmt, ob άνθρωπος denn individuell oder generisch zu verstehen ist. "Mensch" kann einerseits das Individuum, den einzelnen Vertreter der Gattung Mensch bezeichnen. Der angesprochene Fortschritt wäre in diesem Falle der Glaubensfortschritt des einzelnen Gläubigen bzw. aller Gläubigen (als Summe von Individuen verstanden). Andererseits benutzt Irenaus, wie bereits ausgeführt, "Mensch" auch generisch und meint dann die allmähliche Entwicklung der MenschAeii über lange Zeiträume hinweg. 80 Um die Einheit von Gott und Heilsplan sowie die allmähliche Entwicklung dieses Planes zusammenzudenken, stand Irenäus aus seinem antiken Erbe kein theoretisches Instrumentarium zur Verfügung. 81 Die einzige Möglichkeit, die sich bot, bestand darin, Wachstumsmetaphern auf die Geschichte anzuwenden. Irenäus tut dies, indem er den Begriff "Mensch" 82 eben auch zur Bezeichnung der

79

Δ ι α τ α ύ τ η ς < o £ i v > τ?[ς τ ά ξ ε ω ς κ α ί τ ω ν τ ο ι ο ύ τ ω ν £>υθμ£5ν κ α ι τ?ϊς τ ο ι α ύ τ η ς άγωγ?ίς ό γ ε ν η τ ό ς καί π ε π λ α σ μ έ ν ο ς άίνθρωπος κατ' εικόνα καί όμοίωσιν γ ί ν ε τ α ι τ ο υ ά γ ε ν ή τ ο υ Θ ε ο ΰ , τ ο υ μεν Π α τ ρ ό ς ε ΰ δ ο κ σ ΰ ν τ ο ς κ α ι κελεύοντος [ v g l . G e n 1,263, τ ο Ο δέ Υ ι ο Π ϋ π ο υ ρ γ ο υ ν τ ο ς κ α ι < π Χ ά σ σ ο ν τ ο ς > [ v g l . Gen 2,73, τ ο υ δέ Π ν ε ύ μ α τ ο ς τ ρ έ φ ο ν τ ο ς κ α ϊ α ύ ξ ο ν τ ο ς [ v g l . G e n 1,283, τ ο Β δε ά ν θ ρ ω π ο υ ήρέμα π ρ ο κ ό π τ ο ν τ ο ς και α ν ε ρ χ ο μ έ ν ο υ π ρ ό ς τ ο τ έ λ ε ι ο ν , π λ η σ ί ο ν τ ο υ τ έ σ τ ι τ ο υ ά γ ε ν ή τ ο υ γ ι ν ο μ έ ν ο υ - < τ έ Χ ε ι ο ς > γ ά ρ ό ά γ έ ν η τ ο ς , ο δ τ ο ς δέ έ σ τ ι Θ ε ό ς . " Ε δ ε ι δέ τ ο ν ί ί ν θ ρ ω π ο ν π ρ ώ τ ο ν γ ε ν έ σ θ α ι , κ α ί γ ε ν ό μ ε ν ο ν αϋξτϊσαι [ v g l . G e n 1,283, κ α ί α ύ ξ ή σ α ν τ α ά ν δ ρ ω θ ? ϊ ν α ι . , κ α ί ά ν δ ρ ω θ έ ν τ α π Χ η θ υ ν θ ? | ν α ι [ v g l . G e n 1,283, κ α ί π Χ η θ υ ν θ έ ν τ α έ ν ι σ χ ΰ σ α ι , έ ν ι σ χ ύ σ α ν τ α δέ δ ο ξ α σ θ ? ί ν α ι , κ α ι δ ο ξ α σ θ έ ν τ α ίδεΤν τ ό ν έ α υ τ ο ΰ Δ ε σ π ό τ η ν * Θ ε ό ς γ ά ρ ό μ έ λ λ ω ν ώ ρ α σ θ α ι , ο ρ α σ ι ς δέ Θ ε ο υ π ε ρ ι π ο ι η τ ι κ ή α φ θ α ρ σ ί α ς , » α φ θ α ρ σ ί α δέ έ γ γ υ ς ε ί ν α ι π ο ι ε ί θεοΰ« [ W e i s h 6,193 ( R o u s s e a u 9 5 5 , 6 3 - 9 5 7 , 7 7 ) . Z u P a r a l l e l s t e l l e n und L i t e r a t u r v g l . B a c q 1979, S . 2 6 3 , A n m . 2; A n d i a 1986, S . 127-145.

80

V g l . o b e n S. 178, 214, 2 2 4 . D i e s e U n k l a r h e i t f i n d e t Einleitungskapiteln zur demonstratio, wo Irenäus der Bezeichnung " M e n s c h " als Individuum und als herwechselt.

81

Vgl.

82

Eine andere Möglichkeit, die die erste Person Plural "wir".

Dörrie

s i c h a u c h in d e n ständig zwischen G a t t u n g hin- und

1962. neben " M e n s c h " häufig Dafür gilt dasselbe.

vorkommt,

ist

227 Menschheit oder Menschennatur in ihrer Geschichte verwendet, ohne den Unterschied zur individuellen Verwendung des Lexems "Mensch" deutlich zu machen. Dadurch kommt aber (fast möchte man sagen: notwendigerweise) eine konzeptuelle Unschärfe in seinen Begriff von "Mensch" 8 3 und alle damit zusammenhängenden Vorstellungen wie die des Fortschritts. "Fortschritt" meint demnach bei Irenaus nicht nur den "Fortschritt" in dem uns interessierenden Sinne, sondern auch den Fortschritt des Individuums auf seinem Weg zu Gott. 84 Diese Hypothek findet sich dann ebenso bei Clemens wie bei Origenes wieder. 85 Nur Tertullian hat es vermocht, sich von solchen Unklarheiten weitgehend freizuhalten. 86 Irenaus denkt also einerseits geschichtlich, sofern damit die Geschichte Gottes mit seinem Volk gemeint ist; aus seiner strikt heilsgeschichtlichen, bibeltheologischen Orientierung resultiert jedoch ein relatives Desinteresse an der Profangeschichte. 87 Dies wird besonders deutlich an Irenaus' Stellung gegenüber dem römischen Reich, das in sein heilsgeschichtliches Schema im Grunde nicht hineinpaßt. Ein Beispiel: In seiner typologischen Exegese des Exodus in 4,30,1-3 räumt Irenaus ein, daß die Christen an der Ungerechtigkeit des Geschäftslebens teilhätten; doch, betont er, sie seien dabei allein von karitativen Motiven geleitet (4,30,1). Gleichzeitig lehnt Irenaus einen Vergleich zwischen Römern und Ägyptern ab. Im Gegensatz zum Verhalten der Ägypter habe "die Welt dank ihnen [sc. den Römern] Frieden, so daß wir ohne Furcht zu Land und zu Wasser reisen können, wohin wir wollen" (4,30,3). 8 8 Das, was wir heute "Historie" nennen würden, erscheint hier also (wie schon bei Justin) nur ganz am Rande als Folie, auf der sich die eigent-

83

Und a u c h in e i n e n G u t t e i l d e r

84

Vgl. die P a r a l l e l e n f ü r den B e g r i f f d e r " H e i l s g e s c h i c h t e " K a r l B a r t h s ; d a z u R e v e n t l o w 1 9 8 2 , S. 1 0 3 f .

Sekundärliteratur! im

Werke

Hierin unterschiedet sich Irenaus m. E. von Theophilus von Antiochien. " F o r t s c h r i t t " wird bei l e t z t e r e m , soweit ich sehe, nur im Sinne i n d i v i d u e l l e r V e r v o l l k o m m n u n g v e r s t a n d e n ( v g l . v . a. ad Autol. 2,24f). D e m e n t s p r e c h e n d g i b t e s in T h e o p h i l u s ' D a r s t e l l u n g d e r U r g e s c h i c h t e ( 2 , 2 3 f f ) a u c h keinen K u l t u r f o r t s c h r i t t . Vgl. dazu u n t e n Kap. 3.2.1. 85

V g l . u n t e n S. 2 9 0 u n d

86

V g l . a b e r ζ . B. scorp. S, w o T e r t u l l i a n b e i d e r V e r w e n d u n g d e s t r a d i t i o n e l l e n V e r g l e i c h e s G o t t e s mit e i n e m A r z t g a n z ä h n l i c h wie Irenaus z w i s c h e n individuellem und g e n e r i s c h e m G e b r a u c h von M e n s c h hin- und h e r w e c h s e l t .

327.

87

Vgl. auch von Campenhausen

88

" S e d e t m u n d u s p a c e m h a b e t p e r e o s , ut n o s s i n e t i m o r e in viis a m b u l e m u s et n a v i g e m u s q u o c u m q u e v o l u e r i m u s " ( R o u s s e a u 778,71-73).

1970(1979),

S.

54.

228 liehe G e s c h i c h t e i m Sinne d e s Irenaus, die G e s c h i c h t e d e s Heilswirk e n s G o t t e s , nur u m s o deutlicher a b h e b t . 8 9 G l e i c h w o h l : Die V o r s t e l l u n g einer a l l m ä h l i c h e n , p r o z e ß h a f t e n Verb e s s e r u n g liegt b e i Irenaus v o r . Diese v e r m a g er auch d e s h a l b durchzuhalten, weil b e i i h m die (bei J u s t i n s e h r a u s g e p r ä g t e ) D ä m o n o l o g i e z u g u n s t e n d e s liberum arbitrium g a n z z u r ü c k g e d r ä n g t i s t . D a s schließt R ü c k s c h l ä g e a u f d e m F o r t s c h i t t s w e g zwar nicht a u s , 9 0 kann a b e r d e n 89

Z u r P r o b l e m a t i k v o n 4 , 3 4 , 4 in d i e s e m . Z u s a m m e n h a n g v g l . u n t e n S . 4 5 4 . Zu I r e n a u s * S t e l l u n g z u m S t a a t v g l . a u c h S,24,1-4; d a z u auch u n t e n K a p . 3.2.2. A u c h s e i n C h i l i a s m u s ( i n n e r h a l b d e s s e n j a eine kritische H a l t u n g g e g e n ü b e r R o m einen b i b l i s c h b e g r ü n d e t e n Platz h ä t t e e i n n e h m e n k ö n n e n ) i s t a u f f ä l l i g u n p o l i t i s c h . V g l . nur seine D i s k u s s i o n d e r a p o k a l y p t i s c h e n Z a h l 666 f u r d e n A n t i c h r i s t , d i e e r nicht a l s ΛΑΤΕΙΝΟΣ d e u t e t , o b w o h l eine s o l c h e I n t e r p r e t a t i o n " s e h r wahrscheinlich" (valde verisimile) sei (5,30,3; Irenaus bevorzugt TEITAN).

90

S o ζ. B. d e r A b f a l l d e r I s r a e l i t e n in Ä g y p t e n , d e n I r e n a u s in 4,16,3 b e s c h r e i b t , d i e Kritik in 4,11,4 f a m P h a r i s ä i s m u s , d e r v o m Gesetz a b g e f a l l e n s e i , i n d e m er e s in u n z u l ä s s i g e r W e i s e r a d i k a l i s i e r t h a b e , oder der Vorwurf des Unglaubens der Juden gegenüber Christus und d e s H e r r e n m o r d e s (4,28,3; 4,33,1; 4 , 3 6 , 2 ) . Nur gelegentlich scheint d a s Fortschrittsdenken aufzubrechen, und z w a r i m K o n t e x t e s c h a t o l o g i s c h - a p o k a l y p t i s c h e n D e n k e n s (zur N a h e r w a r t u n g d e s I r e n ä u s v g l . v a n Unnik 1962E19833). S o w i r f t I r e n a u s d e n Gnostikern im Vorwort z u m vierten Buch vor, leichtgläubige Zuhörer zu v e r f ü h r e n und s o , wie die S c h l a n g e im P a r a d i e s , die M e n s c h e n z u m A b f a l l von Gott zu verführen: "Nunc autem, q u o n i a m n o v i s s i m a t e m p o r a , e x t e n d i t u r m a l u m in h o m i n e s , n o n s o l u m a p o s t a t a s eos f a c i e n s , s e d et b l a s p h e m o s in p l a s m a t o r e m i n s t i t u i t m u l t i s m a c h i n a t i o n i b u s , h o c e s t p e r o m n e s h a e r e t i c o s q u i p r a e d i c t i s u n t " (4 p r . 4 [ R o u s s e a u 388,53-573). E b e n s o b e t o n t I r e n ä u s in 5,36,1, d a ß d e r F o r t s c h r i t t d e s M e n s c h e n ein F o r t s c h r i t t s e i , d e r ü b e r d i e s e "Welt h i n a u s r e i c h t , j a , b i s zu e i n e m g e w i s s e n G r a d zu ihr s o g a r in " W i d e r s p r u c h s t e h e : Ού γαρ ή ύπόστασις ούδέ ή ούσία τ?ίς κτίσεως έξαφανίζεται — α λ η θ ή ς γάρ και βέβαιος ό συστησάμενος αύτήν —, άΧΧά »τό σχ?ίμα παράγει του κόσμου τούτου« CI K o r 7,31], τουτέστιν έν οΓς ή παράβασις γ έ γ ο ν ε ν , 8τι έπαλαιώθη ό άνθρωπος έν αύτοΤς. και. δια τούτο τό σχτ^μα τοΟτο ττρόσκαιρον έγένετο, προειδότος τά πάντα του Θεου C...D Π α ρ ε λ θ ό ν τ ο ς δέ του σχήματος τούτου και άνανεωθέντος του άνθρωπου καΐ άκμάσαντος πρός τήν άφθαρσίαν ΰστε μηκέτι δύνασθαι παΧαιωθ?ϊναι, »£σται 6 ούρανός καινός και ή κ α ι ν ή « CJes 65,173, έν οΓς καινός παραμενεΤ ό άνθρωπος, αεί καινως προσομιΧων τφ Θεψ ( R o u s s e a u 4 5 3 , 4 455,9.11-16). D e r G e d a n k e wird s o d a n n u n t e r H i n w e i s a u f J e s 66,22 b i b l i s c h a b g e s i c h e r t . D i e s e F a s s a g e n d ü r f e n i n d e s nicht a l s G e g e n s a t z z u d e m v o r h e r A u s g e f ü h r t e n g e s e h e n w e r d e n . V i e l m e h r i s t h i e r wiederum auf den unterschiedlichen Argumentationszusammenhang zu achten (Polemik g e g e n Häretiker!). Für Irenäus besteht darin o f f e n b a r kein "Widerspruch: G o t t e s H e i l s p l a n hebt auch d a s V e r g e h e n d i e s e r W e l t in s i c h a u f . R e l i g i ö s e r F o r t s c h r i t t und d i e V e r s c h l e c h t e r u n g d e s g e g e n w ä r t i g e n Ä o n s s i n d k e i n "Widerspruch, s o n d e r n letzteres ist V o r a u s s e t z u n g f ü r e r s t e r e s . In d i e s e m S i n n e t r a n s z e n d i e r t d i e H e i l s g e s c h i c h t e d e u t l i c h die G e s c h i c h t e d i e s e r "Welt. S o ü b e r l a g e r t I r e n a u s '

229 Prozeß a l s ganzen letztlich nicht aufhalten. Es wird auch deutlich, warum die Alte Kirche des zweiten Jahrhunderts ein Fortschrittsdenken ausbilden mußte: nämlich aus der doppelten Frontstellung gegen Judentum (Festhalten an der qualitativen Neuheit der Offenbarung in Christus und ihrer Superiorität gegenüber dem "Alten" Testament) und Gnosis (Festhalten an der Einheit der Offenbarung 9 1 ). Die von der Tradition bereits ausgebildete Antithese zwischen altem und neuem Testament, die an sich einem Fortschrittsdenken eher hinderlich ist, wird diesem heilsgeschichtlichen Gesamtrahmen konsequent untergeordnet. Daß sich dieses Fortschrittsdenken wirklich auf die gesamte Heilsgeschichte bezieht, also auch die Zukunft mit im Blick hat, klang schon verschiedentlich an. Irenaus verlängert diesen Fortschritt sogar noch über das Weltende hinaus ins Jenseits. Auch dann noch "hoffen wir, sogleich mehr von Gott zu empfangen und zu lernen, weil er gut ist und unerschöpfliche Reichtümer, ein Reich ohne Ende und eine unermeßliche Lehre hat" (2,28,3). 92 Mit anderen Worten: "Irenaus denkt an eine unendliche Annäherung, die auch durch das Weltende und die zweite Parusie nicht begrenzt ist. Damit überwand die ältere Patristik die apokalyptische Revolutionslehre, die Lehre von der Endkatastrophe und dem Endgericht als A u f h e b u n g der Geschichte." 9 3 An anderen Stellen beschreibt er diesen kontinuierlichen Annäherungsprozeß auch von der Verbindung von Gen 1,26 und I Kor 15,22 her: Adam wurde gemäß der imago Dei geschaffen, blieb damit aber ein homo animalis. Die Gewinnung der similitudo ist d a s Ziel d e s

F o r t s c h r i t t s b e g r i f f den e r e r b t e n Chiliasmus; vgl. dazu Andresen 1982, S. 92 f. Ferner Neumann 1902, S. 54-S7; Norelli 1978; Aland 1979, S. 227 mit Anm. 725; Orbe 1985-88, III, Kommentar z. St. Diese Aufweichung der Apokalyptik läßt sich über Origenes bis hin zu Eusebius v e r f o l g e n . Vgl. dazu Podskalsky 1972, S. 10-12, 81-83 und unten S. 466 mit Anm. 105; S52f. Zum Chiliasmus des Irenaus vgl. auch Kretschmar 1985, S. 74f; Daley 1986, S. 106-109; ders. 1991, S. 28-32. 91

Zur Einheit der O f f e n b a r u n g vgl. passim, ζ. Β. 4,33,15; f e r n e r Prümm 1938, S. 208f; Daniilou 194 7, passim; Funkenstein 196S, S. 21: "Durch die immer präziser werdende Formulierung des Entwicklungsprinzips in seinem Verhältnis zur O f f e n b a r u n g s g e s c h i c h t e ließ sich den m a r cionitischen und gnostischen Häresien ein reicherer Begriff der Kontinuität vom Alten zum Neuen Testament entgegensetzen, als die paulinische ' A u f h e b u n g ' des Gesetzes implizierte." Ferner J o s s a 1978, S. 109f.

92

" ... [sc. ut] et s p e r e m u s subinde plus aliquid accipere et discere a Deo, quia b o n u s est et diuitias habens indeterminabiles et r e g n u m sine fine et disciplinam immensam" (Rousseau 274,71-276,73). Vgl. auch noch 5,32,1; 5,35,lf; 5,36,2.

93

Funkenstein 1965, S. 21 (gesperrt

im Original).

- 230 Fortschrittsprozesses. 94 So ist aus Gen 1,26 "eine heilsgeschichtliche Telosformel geworden" 9 5 , die für den Sündenfall keinen Platz läßt. 96 Der Endzustand des Menschen geht damit aber über den adamitischen Urzustand hinaus.97 Der Fortschritt ist also auch ein absoluter Fortschritt, nicht einfach nur eine restitutio ad integrum. Diesen Fortschrittsbegriff gewinnt Irenaus dadurch, daß er die valentinianische Unterscheidung von der Erschaffung des Menschen κατ' εικόνα und καθ' όμοίωσιν 94

V g l . ζ . Β. 5,1,3: " ... q u e m a d m o d u m a b i n i t i o p l a s m a t i o n i s n o s t r a e in A d a m ea quae fuit a D e o aspiratio vitae unita p l a s m a t i animavit h o m i n e m e t a n i m a l r a t i o n a b i l e [ v g l . G e n 2 , 7 ] o s t e n d i t , s i c in f i n e V e r b u m Patris et Spiritus D e i adunitus antiquae substantiae p l a s m a t i o nis A d a e v i v e n t e m et p e r f e c t u m e f f e c i t h o m i n e m , c a p i e n t e m p e r f e c t u m P a t r e m , ut, q u e m a d m o d u m in a n i m a l i o m n e s m o r t u i s u m u s , s i e in s p i r i t a l i o m n e s v i v i f i c e m u r [ v g l . I K o r IS,22] [ . . . ] E x p l a c i t o P a t r i s m a n u s e j u s v i v u m p e r f e c e r u n t h o m i n e m , uti f i a t A d a m secundum i m a g i n e m e t s i m i l i t u d i n e m D e i " ( R o u s s e a u 26,75-83; 2 8 , 8 7 - 8 9 ) . F e r n e r 4 , 3 8 , 3 ; 5,6,1; 5,8,1; 5,16,2; 5,36,3 u n d C r o u z e l 1956, S. 64-67; Merki 1959, S p . 464 f , 4 6 7 f ; O t t o , N a t u r a , 1960, S. 206-210; L a d n e r 1967, S. 8 4 f ; B e r t h o u z o z 1980, S. 182; A n d i a 1986, S. 62-87 m i t w e i t e r e r L i t e r a tur; F a n t i n o 1986; O r b e 1987, I, S. 212-229; A l e x a n d r e 1988, S. 187 u. ö .

95

Andresen

96

E r s p i e l t c h a r a k t e r i s t i s c h e r w e i s e in B u c h I V k e i n e R o l l e . In dem. 14 f f w i r d d e r S ü n d e n f a l l in d e n L e b e n s a l t e r v e r g l e i c h i n t e g r i e r t : D e r p r ä l a p s a r i s c h e Z u s t a n d i s t d e r d e s u n s c h u l d i g e n K i n d e s C12; 145), d e r Fall gewissermaßen der Beginng der Adoleszenz ( s o ist w o h l die B e m e r k u n g in 12 z u v e r s t e h e n : " ... t a n d i s q u e l e m a i t r e , c ' e s t - ä - d i r e l ' h o m m e 6tait t o u t p e t i t , c a r il £tait e n f a n t , e t i l d e v a i t , e n s e d 6 v e loppant, arriver ά l'etat adulte" ( F r o i d e v e a u x SI). V g l . ganz ähnlich T h e o p h i l u s , a d Autol. 2,25: D e r e n t s c h e i d e n d e Unterschied besteht aber darin, daß bei T h e o p h i l u s der Lebensaltervergleich nur auf A d a m b e z o g e n w i r d , w ä h r e n d er bei Irenaus auf die E n t w i c k l u n g d e s M e n s c h e n g e s c h l e c h t e s i n s g e s a m t ü b e r t r a g e n ist [ d i e s w i r d auch v o n A n d i a 1986, S. 93-95 n i c h t h i n r e i c h e n d d i f f e r e n z i e r t ; v g l . f e r n e r W i n g r e n 1959, S. 26-38, d e r d e u t l i c h v o n m e i n e r A u f f a s s u n g d i f f e r i e r t ] . ) Hier wird der popularphilosophische Entwicklungstopos von 4,38,lf der Urgeschichte übergestülpt (Unterscheidung zwischen Gut und Böse [ F a l l ] als Voraussetzung der weiteren Entwicklung). V g l . dazu a u c h C u l l m a n n 1962, S. 65, A n m . 2, d e r v o n e i n e r " B a g a t e l l i s i e r u n g " des S ü n d e n f a l l e s spricht. Ansonsten wird der Sündenfall im Zusamm e n h a n g d e r R e k a p i t u l a t i o n s l e h r e (3,21,10-3,23,8) u n d d e r V e r s u c h u n g C h r i s t i (5,21-24) d i s k u t i e r t , g e h ö r t b e i I r e n ä u s a l s o in g a n z andere Argumentationszusammenhänge (dazu a u s f ü h r l i c h G. T . Armstrong 1962, S. 73-79; A n d i a 1986, S. 109-125; f e r n e r J o s s a 1978, S. 109). D i e s e r W i d e r s p r u c h ist in d e r F o r s c h u n g s c h o n s e i t l a n g e m g e s e h e n w o r d e n ; v g l . d a s R e f e r a t b e i B a c q 1979, S. 363-366. E r g e h t a u f d i e Fusion unterschiedlicher Traditionsströme (hellenistische Popularphilosophie + Paulinismus [Eph!]) zurück.

97

V g l . a b e r a u c h 5,16,2, w o Irenäus v o m ώμοίωσις u n d 3,18,1, w o er v o m V e r l u s t s p r i c h t . D a z u M e r k i 1959, Sp. 4 72.

1982, S. 86.

anfänglichen Verlust der von είκών und ώμοίωοις

231 -

a u f g r e i f t , aber nicht — wie jene — statisch im Sinne u n t e r s c h i e d l i c h e r M e n s c h e n k l a s s e n (Hyliker — Psychiker) v e r s t e h t , 9 8 s o n d e r n dynamisiert. Dahinter k ö n n t e eine g e w i s s e r m a ß e n biblisierte F o r m d e r p l a t o n i s c h e n Lehre von d e r όμοίωσις τψ θεω s t e h e n (vgl. rep. 10 [613A-B]; Theaet. 176A-B; Tim. 90D), die hier in die Exegese eingetragen w i r d . " Vergleichbare V o r s t e l l u n g e n f i n d e n sich in der in den P s e u d o k l e m e n t i n e n benutzten G r u n d s c h r i f t . 1 0 0 Der Gedanke e n t s t a m m t a l s o vermutlich jüdischchristlicher (oder: judenchristlicher?) Genesisexegese m i t deutlich antig n o s t i s c h e r Tendenz. Dies w i r f t aber die Frage nach der H e r k u n f t d e s irenäischen Forts c h r i t t s b e g r i f f e s auf. Bereits o b e n hatte ich auf den biblischen C h a r a k t e r dieser Theologie hingewiesen. Nun findet sich aber weder im Alten noch i m Neuen Tes t a m e n t ein F o r t s c h r i t t s d e n k e n . Hat also Irenaus s e l b s t die biblischen Vorgaben p r o g r e s s i s t i s c h a u s g e b a u t oder stützt e r sich dabei a u f Vorgänger? Daß Irenaus' Unterscheidung zwischen εΐκών und όμοίωσις θεοΰ wohl nicht von ihm s t a m m t , ist a u f g r u n d d e r Parallelen zu den Pseudok l e m e n t i n e n zu vermuten. Doch ergibt sich d a r a u s nicht unbedingt ein heilsgeschichtlicher F o r t s c h r i t t s b e g r i f f . Aus Ps.-Clem., hom. 11,27,2 geht nämlich hervor, "daß die 'Gottähnlichkeit' f ü r den V e r f a s s e r w e s e n t l i c h an gute W e r k e g e b u n d e n ist" (Stdc εύποιίας τή\ι ομοιότητα δείξας); 101 sie ist a l s o individuell und nicht kollektiv wie bei Irenaus konzipiert. W a s die H e r k u n f t des kollektiven F o r t s c h r i t t s b e g r i f f e s angeht, s o w e r d e n in der F o r s c h u n g ganz unterschiedliche T h e s e n ventiliert. 1. Z u n ä c h s t hat m a n — neben d e r oben d a r g e s t e l l t e n großkirchlichen Tradition — a n die Gnosis s e l b s t g e d a c h t . 1 0 2 I m Rahmen der b e g r e n z t e n T h e m e n s t e l l u n g dieser Arbeit kann diese Frage hier nicht e r s c h ö p f e n d b e h a n d e l t w e r d e n . Die G n o s i s - F o r s c h u n g ist — nicht zuletzt a u f g r u n d der E r w e i t e r u n g d e r Quellenbasis seit d e m Zweiten Weltkrieg d u r c h die Texte von Nag H a m m a d i — mittlerweile s o u n ü b e r s e h b a r g e w o r d e n , d a ß die D a r s t e l l u n g auch nur der G r u n d p r o b l e m e den V e r f a s s e r n von resümierenden Lexikonartikeln erhebliches K o p f z e r b r e c h e n b e r e i t e t . 1 0 3 Dabei

98

Vgl. Berthouzoz 1980, S. 110; Fantino 1986, S. 67-92; Andia 1986, S. 43f. Zur valentinianlschen Exegese von Gen 1,26 und 2,7 vgl. Berthouzoz 1980, S. 109-118 und Orbe 1987, I, S. 212-229.

99

Ahnlich schon Andresen 1982, S. 85f; f e r n e r Merki 19S2, die bei Andia 1986, S. 68, Anm. 87 angegebene Literatur.

100

Vgl. Strecker

101

Strecker 1980, S. 20S.

102

So etwa vorsichtig K e h l / M a r r o u

1980, S. 20Sf.

1978, Sp. 762.

103 Vgl. etwa die Bemerkungen bei Colpe 1981, Sp. 654.

S.

45

und

232

hat sie auch der uns interessierenden Fragestellung ihre Aufmerksamkeit gewidmet und Beobachtungen gemacht, die gegen die Gnosis a l s Ursprung des Fortschrittsgedankens sprechen. 1 0 4 Zwar ist die Gnosis in erster Linie an dem "individuellen Ende des Menschen in erster Linie interessiert; anders ausgedrückt: Die individuelle Eschatologie, d. h. die Lehre vom Schicksal d e s einzelnen nach dem Tode, steht im Vordergrund. Allerdings schließt dies keineswegs eine 'universelle Eschatologie', die das Weltende insgesamt im Auge hat, aus, wie mitunter angenommen worden ist. Im Gegenteil, die Gnosis interessiert sich nicht nur f ü r die Endzeit des Menschen, sondern auch f ü r die des Kosmos, ist doch beides von ihrer Kosmologie her angelegt. Das Welt-Werden, das einem Verhängnis gleich ist, hat sein Ziel in einem Ende, das den Anfang wiederherstellt." 1 0 5 Daher erhebt sich die Frage, ob sich diese Wiederherstellung in Form eines ruckartigen eschatologischen Überganges vollzieht oder als prozeßhafter Aufstieg. Nun meint Wiederherstellung in erster Linie die eschatologische Wiederbringung der Lichtteile, die bisweilen in apokalyptischen Farben ausgemalt wird. 1 0 6 Dieses endzeitliche Geschehen bricht aber die Geschichte sozusagen ab, läßt jedenfalls der Historie keinen Raum. Auch als Heilsgeschichte kann dies nicht mehr sinnvollerweise bezeichnet werden. 1 0 7 Eine Ausnahme bilden möglicherweise die Valentinianer, die auch deshalb hier von besonderem Interesse sind, weil sich Irenaus mit ihnen

104

los

106

107

d a s Folgende orientiere ich mich in e r s t e r Linie an den in der Standardmonographie von Kurt Rudolph (1990) gegebenen Hinweisen. Für allgemeine E i n f ü h r u n g e n in den gesamten Forschungsbereich vgl. neben Rudolph noch Colpe 1981 und Berger/AVilson 1984.

FUr

Rudolph 1990, S. 186. Vgl. daneben auch die von S t r o u m s a (1984, v. a. S. 81-113) u n t e r s u c h t e n Modelle, die aber die Heilsgeschichte ganz a n d e r s unterteilen als die großkirchlichen Theologen. Rudolph 1989, S. 213-221. auch Puech 1951(1978), S. 269: "L'histoire e s t pour lui Csc. den Gnostiker] d o u b l t e et, finalement, absorb£e en m a j e u r e partie par le mythe; l'intemporel, de son c6t£, est traits mythiquement. Ou, si l'on veut, le monde intemporel et Intelligible, le Pl^rÖme, perd de s o n immutability, p o u r devenir le th6ätre des aventures successives et changeantes d e s Eons, tandis que les 6v6nements concrete de la dur6e historique sont t r a n s f o r m 6 s en s u p p o r t s , i c h o s ou s y m b o l e s d e s aventures de ce drame intemporel, qui se prolongent en eux ou se jouent en marge d'eux. II s e m b l e done que le t e m p o r e l (sous f o r m e de mobility, de succession) p£n£tre l'intemporel, et qu'A l'inverse, l'intemporel (sous f o r m e de transcendant) tende A a b s o r b e r le temporel. En fait, e'est que, dans l'un et l'autre domaine, nous avons a f f a i r e ά un intemporel et A un temporel congus t o u s deux par une p e n s i e de s t r u c t u r e fonci£rement mythique."

V g l

233 ausführlich auseinandergesetzt hat. 108 Auch sie hatten ja das Neuheitsbewußtsein des Urchristentums übernommen und sprachen in Anlehnung an Kol 3,10 und Eph 4,23f von Christus als dem "neuen Menschen". 109 Bei ihnen ist der Fortschrittsprozeß gewissermaßen doppelgleisig. Er besteht zum einen in der Pädagogik der Psychiker, d. h. der Kirche, 110 um deretwillen die Erde geschaffen wurde: "Denn es bedarf das Psychische auch eines Unterrichts im Bereich der sinnlich wahrnehmbaren Welt. Deshalb, so sagen sie, sei auch die Welt gemacht worden und sei der Heiland auf sie herab dem Psychischen zu Hilfe gekommen, (denn es hat auch einen freien Willen), um es zu retten" (Iren., haer. 1,6,1).111 Während die Pneumatiker notwendig gerettet werden und die Hyliker ohnehin dem Untergang geweiht sind, ist ein gutes Verhalten der Psychiker Voraussetzung für deren Rettung. 112 In der Betonung des liberum arbitrium sind dabei auch Einflüsse aus der hellenistischen Philosophie nicht zu übersehen, die wir ja auch bereits bei Irenaus konstatiert hatten. 113 Daß Irenäus hier seine gnostischen Gegner außerordentlich präzise wiedergibt, läßt sich neuerdings anhand der fünften Schrift im Codex Jung (NHC 1,5), dem sogenannten tractatus tripartitus, verifizieren, die etwa aus derselben Zeit wie Irenäus' antihäretische Schrift stammt. 114 Dort heißt es im dritten Teil tatsächlich von den Psychikern,

108 v g l .

zum

sowie

Folgenden

die

Dissertation

von

109

Vgl.

Hippol.,

HO

Vgl.

Iren.,

und

111

"ESEL

γάρ

τφ

ψυχικόν, 263,

z.

112

Vgl.

Clem.

113

Vgl.

oben

114

Zu

den

(zwischen I,

S.

über 215.

bei

den

178 die

καΐ

Zu St.

vgl.

έσ-πν,

textkritischen

Hylikern, Sagnard

auch

Lohr

παιδευμάτων. δέ

21-27

900. von

und jetzt

Σωτήρα

S.

Heidelberger

13-1S2).

1942, S .

αίσθητων τόυ

1970,

έπι

τοΟτο

Ϊ5πως

αΰτό

Problemen

vgl.

Psychikern

1970,

S.

2Sff;

1992. Διό

και

κόσμον

παραγεγονέναι σώσ^ι

τό

(Rousseau

Rousseau

196Sff,

201-204).

exe. Theod.

Alex., S.

346

αύτεξούσιόν

den (S.

(1991, S .

Valentinianern

Sagnard

erscheinende

Unterscheidung

και και

bei

FKDG

Behm

203f,

ψυχικφ

έπει

91,595-599). SC

Zur

λέγουσι,

Überblick

Reihe

und

1,6,2.

S. lOOf,

κατεσκευάσθαι

den

der

Strutwolf

6,35,4

haer.

1990,

in

Holger

ref.

Pneumatikern

Rudolph

auch

demnächst

56,3.

223.

Datierungsproblemen etwa erste

150

und

Hälfte

valentinianische

180) des

vgl. und dritten

Herkunft;

Kasser

u.

a.

Attridge/Pagels Jahrhunderts). vgl.

dazu

auch

1973/75, in:

I,

S.

Attridge

Konsens Rudolph

37

198S,

besteht 1990,

S.

- 234

daß sie aufgrund einer gewissen "Veranlagung" (predisposition) in der Lage seien, gute Werke zu tun und s o das Heil zu erlangen. 1 1 5 Der Zusammenhang freier Wille gutes Verhalten eschatologische Rettung ähnelt d e r Anthropologie d e s Irenaus, ist aber im Referat d e s Irenäus nur schematisch erkennbar, s o daß unklar ist, o b hier von den Valentinianern zu Irenäus durchlaufende Traditionslinien vorliegen. Zum anderen besteht der innerweltliche Fortschritt in der Gnosis der Pneumatiker selbst, deren Vollendung mit dem Weltende zusammenfällt: "Das Ende aber werde eintreten, wenn das ganze pneumatische Element, durch die Erkenntnis geformt und vollendet worden ist, das heißt die pneumatischen Menschen, die die vollkommene Erkenntnis von Gott haben und in den Mysterien der Achamoth unterrichtet worden sind" (Iren., haer. 1,6,1h116 Auch hier werden die Angaben des Irenäus durch den tractatus tripartitus bestätigt, wo e s heißt: "Denn die Kenntnis, einerseits (μεν), legitimerweise nennt man sie 'die Kenntnis derer aller, an die man denken wird', und 'den Schatz', und sie ist, anderseits (δέ), das Hinzufügen, um mehr (o. übermäßig) zu kennen, die Offenbarung derer, die zuerst erkannt (wörtl.: gekannt) worden sind, und der Pfad, (der) hinein zur Übereinstimmung (führt) und hinein zu dem, der zuerst existiert hat — das ist die Fähigkeit des Wuchses derer, die ihren eigenen Wuchs verlassen haben in d e r Verwaltung (οικονομία) des Willens, damit das Ende in der Weise werde, wie der Anfang (άρχή) ist" (127,10-24).117 Gleichwohl kann hier — im Unterschied zu Irenäus — nicht wirklich von einer progressiven Heilsgeschichte gesprochen werden. Nicht deutlich ist zunächst, o b die Pädagogik d e r Psychiker progressiv gedacht oder nur — wie auch sonst in der Spätantike 1 1 8 — im Sinne von fortwähren115

Vgl. 130,3-132,3; dazu die Kommentare von Kasser u. a. 1973/7S und A t t r i d g e / P a g e l s in: Attridge 1985, II; f e r n e r Strutwolf 1991, S. 94-99. Vgl. auch 119,20-122,12. Bei der vom Logos gesäten "Veranlagung" handelt es sich um eine Ahnung des Präexistenten, die zur Suche nach ihm f ü h r t . Vgl. 83,16-26 und den Kommentar von A t t r i d g e / Pageis in: Attridge 198S, II, z. St. mit weiteren Parallelen.

116

Τήν 8έ συντέΧειαν ^σεσθαι, 8ταν μορφωθζ και τελειωθζ γνώσει π3ν tö πνευματικόν, τουτέστιν ot πνευματικοί ίίνθρωποι ol τήν τεΧείαν γνώσιν έ'χοντες περί ΘεοΟ και τής Άχαμώθ μεμυημένοι μυστήρια· είναι

τούτους

ϋποτίθ-ενται (Rousseau 92,607-93,611). Vgl. auch Strutwolf 1991, S. 131-152

117

Übersetzung nach Kasser u. a. 1973/75. Vgl. auch die Übersetzung von A t t r i d g e / P a g e l s in: Attridge 1985, I; f e r n e r Strutwolf 1991, S. 147-152

118

Zu dieser individualisierten Form von Fortschritt vgl. etwa 1949-54, III, S. 97-118.

Festugidre

- 235 dem guten Verhalten konzipiert ist. Unabhängig davon fehlt hier die für Irenaus so wichtige Verschmelzung von Menschennatur insgesamt und Individuum, die ihm überhaupt erst erlaubt, seinen Vervollkommnungsbegriff universal auszuweiten, so daß er die von den Valentinianern gesetzte Unterscheidung von Psychikern, Pneumatikern und Hylikern gerade aufhebt. Der Fortschritt der Gnosis der Pneumatiker ist letztlich nichts anderes als die Summe der individuellen Gnoseis. Man kann daher im Sinne unserer Definition nicht von Fortschritt bei den Valentinianern sprechen, da die geschichtlich-universale Ausrichtung fehlt. 1 1 9 Angesichts dieser Sachlage sei hier deshalb — mit aller gebührenden Vorsicht — vermutet, daß von der Gnosis für die Ausbildung des Fortschrittsgedankens allenfalls einzelne Impulse ausgingen. Der Schwerpunkt lag in der Gnosis jedoch woanders. 120 2. Häufig wird indessen auf die Ähnlichkeit zwischen Theophilus und Irenäus hingewiesen. 121 Vor allem Friedrich Loofs hat mit Nachdruck betont, Irenäus habe seine Fortschrittslehre Theophilus' verlorener Schrift gegen Marcion entnommen. 122 Es sei hier nicht bestritten, daß es in dieser Hinsicht zwischen beiden Autoren gewisse Parallelen gibt. In der Tat betont auch Theophilus, "der Mensch sollte, Gott Gehorsam leistend, unsterblich, bzw. vollkommen w e r d e n , sollte [wie] Gott werden." 123 Allein, der entscheidende Unterschied zwischen Theophilus und Irenäus ist der, daß Theophilus unter άνθρωπος immer den einzelnen Menschen meint, Irenäus — wie oben dargelegt — dagegen auch die Menschheit als

D a z u p a ß t d a s " D e s i n t e r e s s e d e r G n o s t i k e r an d e r d i e s s e i t i g e n W e l t ü b e r h a u p t " ( R u d o l p h 1980, S. 2 8 4 ; v g l . 2 8 4 f f ) . V g l . f e r n e r Dörrie 1962, S p . SOI. G l e i c h e s g i l t a u c h f ü r d e n Ö k o n o m i e - B e g r i f f ; v g l . d a z u C l e m . A l e x . , exc. Theod. 33,3; S 8 , l . D i e B e l e g e 5,4 u n d 27,6 g e h e n vermutlich auf das K o n t o des C l e m e n s . 120

G l e i c h e s g i l t mutatis mutandis w o h l auch f ü r die ü b r i g e n orientalis c h e n K u l t e i m r ö m i s c h e n Reich. Das kann hier nicht i m e i n z e l n e n u n t e r s u c h t w e r d e n . I c h v e r w e i s e a u f T u r c a n 1989 s o w i e B i a n c h i / V e r m a s e r e n 1982. L e t z t e r e v e r z e i c h n e n in i h r e n e x z e l l e n t e n Registern w e d e r progresso noch istoria. Umgekehrt scheinen im stark ausgeprägten Neuheitsdenken der späteren Gnosis und des Manichäismus paulinische E i n f l ü s s e vorzul i e g e n ( v g l . B e h m 1942, S. 9 0 0 m i t w e i t e r e n Q u e l l e n a n g a b e n ) .

121

Vgl. den Forschungsüberblick

122

V g l

123

Loofs

b e i B a c q 1978, S. 366-369.

1930, S. 58-62; ü b e r n o m m e n v o n K a m i a h 1951, S. 112f, d e r T h e o philus z u m "Urheber dessen [macht], was man die christliche Ges c h i c h t s p h i l o s o p h i e z u n e n n e n p f l e g t " (S. 112). F e r n e r Funkenstein 1965, S. 138, A n m . 1. Z u r K r i t i k v g l . B a c q e b e n d a u n d Berthouzoz 1980, S. 190, A n m . 16. 1930, S. 59; g e s p e r r t i m O r i g i n a l . V g l . a d Autol.

2,24; 2,27.

- 236 ganze auf dem W e g zu Gott sieht, und zwar über die Lebensspanne des einzelnen hinweg. In diesem Sinne kann man bei Irenaus von Fortschritt sprechen, während bei Theophilus προκοπή in stoischem Sinne auf die individuelle Vervollkommnung des Einzelnen reduziert ist. Wenn Loofs schreibt: "Dieser Gedanke einer a l l m ä h l i c h e n Entwicklung der Menschen zur Vollkommenheit unter Gottes Erziehung ist von Theophilus in den Büchern an den Autolycus unverkennbar angedeutet" 124 — so ist dies meines Erachtens falsch, wenn unter "Menschen" mehr als die Summe der Individuen verstanden sein sollte. 125 Menschheit wird bei Theophilus nicht als Menschenwaiiir hypostasiert gedacht. 126 3. Klaus Thraede schließlich sieht das Fortschrittsdenken des Irenaus (das er, in Anlehnung an Loofs, auch von Theophilus herleitet) als eine christianisierte Form des panegyrisch-politischen Fortschrittsmodells, wie es bei Polybios, Plutarch u. a. vorliegt. 127 Vermittler scheint für ihn Justin zu sein; 128 Zentralbegriff ist οικονομία, ein Terminus, der ja auch bei Polybios eine große Rolle spielt. 129 Dazu ist zunächst zu sagen, daß οικονομία weder bei Justin 130 noch bei Tatian 131 in einem Kontext erscheint, der den Gedanken an "Fortschritt" (gleichgültig, ob theologisch oder politisch verstanden) nahelegte. Darüber hinaus deutet vieles darauf hin, daß Irenäus in seinem Verständnis von οικονομία gar nicht von Justin abhängt, sondern unmittelbar vom Epheserbrief, wo der Terminus (zusammen mit der für Irenäus so wichtigen Rekapitulationslehre) ja auch begegnet. 132 Der Autor

124

Loofs

12s

S o b e m e r k t j a a u c h L o o f s s e l b s t , d a ß 2,26 " e i n e m e h r m o r a l i s t i s c h e F ä r b u n g " h a b e a l s I r e n ä u s ( e b e n d a , S. 62). D i e s ist n a c h L a g e der Dinge kaum verwunderlich.

1930, S . 61; g e s p e r r t

126

Unrichtig m. E. auch Funkenstein 1965, S. 138, A n m . 71, d e r aus 2,31f; 3,16.26 e i n e n E n t w i c k l u n g s g e d a n k e n erschließen will. Sicher, Theophilus spricht von geschichtlichen V e r ä n d e r u n g e n . D o c h inwief e r n h a n d e l t e s s i c h d a b e i u m e i n e Entwicklung? I c h m e i n e , a u s ad Autol. k a n n m a n f ü r T h e o p h i l u s nichts D e r a r t i g e s e n t n e h m e n (vgl. a u c h u n t e n K a p . 3.2.1.).

127

Vgl.

Thraede

128 x h r a e d e s

1972, S p . Sp.

Original.

162-164; z u r

Formulierungen

ebenda,

Im

sind

Panegyrik

in d i e s e r

ebenda,

Hinsicht

Sp.

recht

148f.

vage.

129

Vgl.

130

V g l . dial. 30,3; 31,1; 4 5 , 4 ; 67,6; 87,S; 103,3; 107,3; 120,1; 134,2; 141,4. D i e S t e l l e n a n g a b e n b e i T h r a e d e 1972, S p . 163 s i n d t e i l w e i s e f a l s c h .

148.

131

V g l . or. 5,1; 12,2f; 18,2; 19,4; 21,3. V g l . W e i t e r e S t e l l e n b e i L i l l g e 19S5, S. 21-33.

132

V g l . a u c h n o c h I g n E p h 6,1; 18,2; 20,1 ( d a z u o b e n S. 143). Z u r R e z e p t i o n v o n E p h 1,10 b e i I r e n ä u s v g l . v. a. haer. 3,16,6 s o w i e S c h n a c k e n b u r g 1982, S. 5 8 m i t A n m . 128, 3 2 S - 3 2 8 ; A n d r e s e n 1982, S . 8 7 f . E i n

auch

Athen.,

suppl.

21,4.

237

des Epheserbriefes wiederum hatte seinen Ökonomie-Begriff aber ebenfalls wohl nicht aus d e r politischen Panegyrik übernommen, sondern aus der zeitgenössischen Kanzleisprache. 1 3 3 Daß panegyrische Elemente in anderem Kontext durch christliche Autoren rezipiert wurden, soll damit natürlich nicht bestritten werden. 1 3 4 Indessen ist eine derartige Übernahme nicht die Basis, sondern eine Begleiterscheinung d e r frühchristlichen Theologie. Wenn Thraede also schreibt: "Die Theologie des 2. Jh. hat sich [...], um dem Dualismus der Gnosis zu begegnen, vorchristlicher Denkformen bedient u[nd] mit Hilfe des panegyrisch-politischen FCortschrittsümodells, d. h. in Anlehnung an rhetorisches Schulgut, eine geistliche Teleologie ausgearbeitet. Die Front der Auseinandersetzung verläuft auch in diesem Fall [...] zwischen christlicher Gnosis dort, Christentum utnd] Antike hier. Die fortan verbindliche Lösung erwuchs nicht aus dem NT, sondern aus dem Bündnis des spätjüdischen mit antikem Geschichtsdenken gegen die NT-Exegese des gnostischen Christentums" 1 3 5 — so ist dies mindestens verkürzt. Das irenäische Fortschrittsmodell ist, soweit wir sehen können, unbeschadet der Quellenfrage, ursprünglich christlich und resultiert aus der Abgrenzung gegenüber Judentum und Gnosis. 1 3 6 4. Allenfalls wird man auf bestimmte Parallelen in der jüdischen Apokalyptik verweisen dürfen, in d e r angesichts des Ausbleibens d e s Endes ebenfalls die verbleibende Zeit theologisch neu qualifiziert werden muß. 1 3 7 Dies gilt insbesondere für IV Esr 5,43-55. Wie bei Irenaus (4,38,4) wird auch dort unter Verweis auf die natürliche Entwicklung zur Geduld gemahnt. Wie Irenäus (vgl. v. a. 4,20,6f) verweist auch IV Esr darauf, daß die Ereignisse der Welt "jedes zu seiner Zeit" bzw. entsprechend einem "bestimmten Nacheinander" ablaufen (5,46f.49). 138

Überblick über die verschiedenen F o r s c h u n g s h y p o t h e s e n zum von οΙκονομία bei Andia 1986, S. 88f. Vgl. noch Horn 1984. 133

So Kuhli 1981, Sp. 1221.

134

Vgl. u n t e n S. 393-39S, 462, 478, 509, S14f.

135

Thraede

Sinn

1972, Sp. 164.

136 Vgl. auch C u l l m a n n 1962, S. 65 zum Zusammenhang zwischen Irenäus und urchristlicher Sicht von Heilsgeschichte. Dabei sind aber die von Cullmann später zugestandenen Einschränkungen f ü r den Begriff der Heilsgeschichte im Neuen Testament zu berücksichtigen (vgl. oben S. 8Sf). Irenäus wendet ein neutestamentlich bereits vorgegebenes Schema nicht einfach antignostisch an, s o n d e r n er entwickelt aus d e m jüdisch-christlichen, aber auch dem hellenistis c h e n Erbe e r s t ein g e s c h l o s s e n e s Modell von Heilsgeschichte (vgl. dazu auch gleich unten). 137

Dazu Funkenstein 1965, S. 18-20.

138

Ein a u s f ü h r l i c h e r Vergleich

ebenda.

*

- 238 Angesichts der Tatsache, daß sich bei Irenaus auch s o n s t Traditionen finden, die der jüdischen Apokalyptik u m IV E s r e n t s t a m m e n , 1 3 9 und daß Irenaus einen (gemilderten) Chiliasmus vertritt, 1 4 0 ist eine derartige Herleitung nicht von vornherein von der Hand zu weisen. Indessen ist auch hier wiederum auf wichtige Unterschiede a u f m e r k s a m zu machen: Bei IV E s r geht e s gerade nicht u m eine allmähliche Höherentwicklung bis z u m Weltende, sondern im Gegenteil, der Lebensaltervergleich zielt (wie im römischen Lebensaltervergleich 1 4 1 ) darauf ab, d a s allmähliche Altern der Welt zu veranschaulichen. D a s ist aber d a s genaue Gegenteil d e s Fortschrittsgedankens. Überdies bezieht sich der Reifungsprozeß bei Irenaus ausschließlich auf den Menschen, bei IV E s r hingegen a u f die gegenwärtige Welt. Schließlich ist der Chiliasmus d e s Irenäus seinem Fortschrittsdenken untergeordnet. 1 4 2 Auch dies ist unapokalyptisch. Eine Ableitung d e s irenäischen Fortschrittsdenkens a u s der Apokalyptik ist a l s o e b e n f a l l s unwahrscheinlich. Mit monokausalen Erklärungen ist e s bei Irenäus demnach nicht getan. Vielmehr greift der Bischof von Lyon Traditionsstücke ganz unterschiedlicher Herkunft auf (ζ. B. a u s jüdisch-christlicher Tradition: Ökonomie- und Anakephalaiosis-Vorstellungen; teleologische E x e g e s e von Gen 1,26; Einteilungsschemata der Heilsgeschichte; a u s griechischer Tradition: die im "Freiheits-Traktat" verwendeten Argumentationen) und verschmilzt s i e zu einem neuen Ganzen, d a s darauf abzielt, Heilsgeschichte und Vervollkommnungsprozeß d e s Menschen zusammenzudenken. 1 4 3 Damit ist sein Einfluß f ü r die weitere Entwicklung aber kaum zu überschätzen, haben doch alle folgenden Theologen d e s dritten und vierten Jahrhunderts, die über den Fortschritt der Heilsgeschichte nachgedacht haben, bei Irenäus ihre Anleihen gemacht. 1 4 4

139

Dazu Schneemelcher 1966, Sp. 6 0 8 f .

140

Vgl. J a s c h k e 1987, S. 264 und oben Anm. 90.

141

Vgl. dazu unten S. 270f.

142 Vgl. dazu oben Anm. 90. 143

s o s c h o n Wingren 19S9, S. XVI: "This, indeed. Is Irenaeus's s i n g u l a r merit, that he co-ordinated the thought of his p r e d e c e s s o r s , and his s t r e n g t h as a systematic theologian lay e x c l u s i v e l y in the f a c t that everything that b e l o n g e d to the primitive period — the Scripture, the Old and New T e s t a m e n t s , and the d i f f e r e n t p a r t s o f the New T e s t a m e n t in their turn, and finally the various authorities o f the early Church — all this is c o l l a t e d and f u s e d into a harmonious whole. In this work o f unifying theological c o n c e p t s Irenaeus has no equal." 144 v g l . von C a m p e n h a u s e n 1970(1979), S. 54. V g l

- 239 3. 1. 2. Tertullian Das von Irenäus ausgebildete Fortschrittsdenken wird von Tertullian weiter ausgebaut. 145 Um von ihm ein geschlossenes Bild zu erhalten, genügt es nun allerdings nicht, nur die Stellen heranzuziehen, an denen sich Tertullian über "Fortschritt" äußert; denn daneben kann er die Neuheit von Lehren, die er selbst nicht billigt, ebenso verwerfen. Darüber hinaus spielt er in einigen Schriften in traditioneller Weise die Frage des Alters zugunsten der Wahrheitsfrage herunter. Dabei sei vorab bereits festgestellt, daß seine widersprüchliche Haltung in dieser Frage sich nicht genetisch, sondern ausschließlich rhetorisch erklären läßt. Sie ist einerseits abhängig von seinem jeweiligen Beweisziel und andererseits von der Position seiner Gegner. Wir müssen also in diesem Abschnitt über den Rahmen des gestellten Themeis etwas hinausgehen. Er ist in drei Teile gegliedert: Zunächst sei Tertullians Verteidigung der Wahrheit einer Sache anstelle ihres Alters betrachtet; sodann diskutiere ich die wichtigsten Stellen, an denen der Autor das Herkommen verteidigt, und schließlich die Äußerungen, in denen er sich als Innovator präsentiert. 146 Diese Form der Darstellung soll auch dazu dienen, an einem Beispiel deutlich zu machen, wie bei den Kirchenvätern Alters- bzw. Traditionsbeweis und Neuheitsbewußtsein nahtlos ineinander übergehen.

3. 1. 2. 1. Wahrheit statt Alter Zu diesem traditionellen Topos 1 4 7 finden sich bei Tertullian nur verhältnismäßig wenige Stellen. Die schon bei Justin zu beobachtende apologetische Linie wird in den gegen die Römer gerichteten Schriften fortgesetzt, allerdings in einer für Tertullian typischen Form unter Aufnahme stoischer Elemente modifiziert. So betont er in ad nationes (verfaßt im Sommer 197) angesichts der ungerechten Christengesetze, daß auch

145

Zur Irenäus-Rezeption 320-329.

146

V

147

V g l . oben Kap.

bei

Tertullian

allgemein

vgl.

Harnack

1914,

S.

gi ä h n l i c h e E i n t e i l u n g b e i M e i j e r i n g 1977, S. 9. Z u m F o l g e n e i n e d e n v g l . a u c h W a s z i n k 1947, S. 3 5 9 f ; F l e s s e m a n - v a n L e e r 1953, S. 145-185; L u n e a u 1964, S. 221-227; F u n k e n s t e i n 1965, S. 22-28; M e i n h o l d 1967, I, S. 55-64; F r e d o u i l l e 1972, S. 235-300; M e i j e r i n g 1977, S. 9 f , 2 6 f f , 5 9 f , 166; S p e i g l 1980; P i l h o f e r 1991, S. 2 7 4 - 2 8 0 , 289-291. I n d e r F r a g e d e r C h r o n o l o g i e d e r W e r k e T e r t u l l i a n s f o l g e i c h B a r n e s 1985, S. 30-56 o d e r — w o d i e s e a n f e c h t b a r ist — n e u e r e n H e r a u s g e b e r n . 2.S.3.

- 240 pagane leges verbesserungsfähig seien und faktisch auch verbessert würden: "Ein ungerechtes Gesetz legt keine Ehre ein. Meiner Meinung nach bestehen aber an bestimmten Gesetzen wegen ihrer Ungerechtigkeit gewisse Zweifel, weil ihr deren Härten und Unbilligkeiten täglich mit neuen Erlassen und Beschlüssen abmildert" (1,6,7).148 Das sieht zunächst so aus, als vertrete Tertullian hier einen auf den Bereich des Rechts bezogenen Fortschrittsbegriff. Doch wie vorsichtig man bei ihm grundsätzlich mit zu weitreichenden Schlüssen sein muß, ergibt sich aus der umgearbeiteten Fassung des Werkes, dem apologeticum von Ende 197.149 Hier erscheint dieser Gedanke in stark ausgebauter Form wiederum: Das Gesetz muß gutes Tun erlauben (4,4f). Wenn Gesetze dies nicht tun, sind sie zu verbessern. Dies ist ja auch in der Vergangenheit bereits geschehen (4,8f), ja geschieht jeden Tag: "Und ihr selbst — fällt und durchforstet ihr nicht Tag für Tag nach den Erfahrungen, die Licht in das Dunkel früherer Zeit werfen, jenen ganzen alten und verwilderten Wald von Gesetzen mit den nagelneuen Äxten kaiserlicher Verfügungen und Erlasse?" (4,7).150 Doch dann wird der Leser zu einem überraschenden Schluß geführt. Tertullian folgert aus dem Gesagten nämlich nicht etwa einen allgemeinen Satz, der auf den Fortschritt im Recht hinausliefe,151 sondern hält dem Traditionalismus der Römer (4,3) die Zeitlosigkeit von Gerechtigkeit entgegen: "Wieviele Gesetze habt ihr noch zu bereinigen, ohne daß ihr es wißt! Denn Gesetze empfiehlt weder die Zahl der Jahre noch der Rang ihrer Schöpfer, sondern allein ihre Gerechtigkeit, und

148 " L e g i s iniustae h o n o r nullus est: ut opinor autem, dubitatur de iniquitate l e g u m q u a r u n d a m , c u m quotidie nouis c o n s u l t i s constitutisque duritias nequitiasque e a r u m temperetis" ( C C h r . S L 1,17,24-27). Damit greift Tertullian offenbar Argumentationen zeitgenössischer J u r i s t e n a u f ; v g l . L a d n e r 1966, S p . 2 6 6 f . 149

Z u m apologeticum C . B e c k e r 19S4.

als

umgearbeiteter

Version

von

ad

nationes

vgl.

iso " i s j o n n e et v o s cottidie e x p e r i m e n t i s i l l u m i n a n t i b u s t e n e b r a s antiquitatis t o t a m ill a m v e t e r e m e t s q u a l e n t e m s i l v a m l e g u m n o v i s p r i n c i p a l i u m r e s c r i p t o r u m et e d i c t o r u m s e c u r i b u s truncatis et caeditis?" ( B e c k e r 72; Ü b e r s e t z u n g n a c h C . B e c k e r 1961). 1S1

G e g e n F r e d o u i l l e 1972, S . 2 4 S , d e r n i c h t e r k e n n t , d a ß d e r h i e r v e r tretene traditionelle R a t i o n a l i s m u s mit d e m c h r i s t l i c h e n Neuheitsbew u ß t s e i n u r s p r ü n g l i c h nichts g e m e i n hat.

241 deshalb werden sie, wenn sie als ungerecht erkannt sind, mit Recht verurteilt, mögen sie auch selbst verurteilen" (4,10).132 Die Antithese ist hier nicht die von Tradition versus Vernunft, wie bei Justin, sondern die von positivem Gesetz versus Gerechtigkeit als universalem kritischem Prinzip. Fredouille hat zu Recht auf die stoische Herkunft dieser Argumentation aufmerksam gemacht, die durch Cicero vermittelt worden sein könnte. 153 Eine verwandte Argumentation begegnet noch einmal in Kapitel 20. Der Altersbeweis des Christentums, auf den unten noch einzugehen sein wird, wird in Kapitel 19 eher angedeutet als eigentlich durchgeführt und letztlich "aufgeschoben" (vgl. 19,8). Statt dessen wird denen, für die das Altersargument nicht sticht, die maiestas der heiligen Schriften der Christen entgegengehalten: Die Göttlichkeit der Schrift erweist sich nicht an ihrem Alter, sondern an ihrer Wahrheit, nämlich der zutreffenden Voraussage von zukünftigen Ereignissen: "Gültiges Zeugnis göttlicher Wahrheit, scheint mir, ist die Wahrheit einer Weissagung" (20,3).134 Und diese Wahrheit können die Christen für sich in Anspruch nehmen (vgl. 20,1-3). Trotz aller Polemik gegen den paganen Traditionalismus 1 s s geht Tertullian wie seine Vorgänger in seinen apologetischen Schriften mit Neuheits-Begriffen außerordentlich behutsam um. Ein echtes Fortschrittsdenken erscheint weder in ad rtationes noch im apologeticum.136 Wohl

152 " Q u o t adhuc v o b i s r e p u r g a n d a e latent leges! q u a s n e q u e annorum numerus neque conditorum dignitas commendat, sed aequitas sola, et i d e o , c u m i n i q u a e r e c o g n o s c u n t u r , m e r i t o d a m n a n t u r , l i c e t dam n e n t " ( B e c k e r 72; Ü b e r s e t z u n g n a c h C . B e c k e r 1961; v e r ä n d e r t ) . 153 F r e d o u i l l e 1972, S. 2 4 4 f , d e r a u c h n o c h a u f cor. 4,5 v e r w e i s t . A l l e r d i n g s i s t z u b e a c h t e n , d a ß i m apologeticum iustitla u n d lex gegene i n a n d e r a u s g e s p i e l t w e r d e n , w ä h r e n d in d e r K r a n z s c h r i f t d i e konk r e t e lex g e r a d e d u r c h d i e B e r u f u n g a u f d i e iustitla legitimiert wird. D a s ist nicht d a s s e l b e . 154 " I d o n e u m , o p i n o r , t e s t i m o n i u m d i v i n i t a t i s V e r i t a s d i v i n a t i o n i s " ( B e c k e r 126; Ü b e r s e t z u n g n a c h C . B e c k e r 1961). V g l . 19,7 ( f r g . F u l d . ) : " M u l t i s a d h u c d e v e t u s t a t e m o d i s c o n s i s t e r e m d i v i n a r u m l i t t e r a r u m , si n o n m a i o r auctoritas illis ad f i n e m d e veritatis s u a e viribus quam de a e t a t i s a n n a l i b u s s u p p e t l s s e t " ( B e c k e r 252). 155 V g l . ζ . B. n a t . 2,1,7: " A d u e r s u s haec igitur nobis negotium est, a d u e r s u s institutiones m a i o r u m , auctoritates receptorum, l e g e s d o m i nantium, argumentationes prudentium; aduersus uetustatem, consuetudinem, necessitatem; aduersus exempla, prodigia, miracula, quae omnia adulterinam istam diuinitatem [islam] corroborauerunt" ( C C h r . S L 1,41,4-9). D a z u S p e i g l 1980, S. 168f. 136

Die Neuheit des Christentums wird nur g e w i s s e r m a ß e n zähneknirs c h e n d e i n g e s t a n d e n . V g l . a pol. 21,1: " S e d q u o n i a m e d i d i m u s anti-

- 242 kann Tertullian die Vergöttlichung von Menschen in der Vorzeit unter Verweis auf die kulturellen Fortschritte der Gegenwart in traditioneller Weise ironisieren;157 doch ist dies nicht mehr als eine beiläufig eingestreute Pointe.158 Erst Arnobius wird den paganen Vorwurf des divortium ab institutis maiorum durch die konsequente Ausbildung eines Fortschrittsbegriffes zurückweisen. In den Büchern gegen Marcion wird die apologetische Argumentation (Gerechtigkeit als Kriterium schlechter Gesetze; Wahrheit der Bibel statt Alter) gewissermaßen theologisiert.159 In adv. Marc. 1,8 setzt sich Tertullian gegen die Predigt der Gegner von einem neuen Gott zur Wehr. Dabei faßt er diese Predigt in polemischer Absicht zunächst so auf, als verkündigten die Marcioniten einen neu entstandenen Gott, was, wie er selbst später einräumt (1,9,1), nicht der Fall ist. Damit stehe der Gott Marcions aber auf einer Ebene mit den Göttern der Heiden, die trotz ihres vorgeblichen Alters auch einmal neu gewesen seien.160 Tertullian resümiert: "Aber die lebendige und wahrhaftige Gottheit wird weder nach ihrer Neuheit oder nach ihrem Alter, sondern (allein) nach ihrer Wahrheit beurteilt" (1,8,2).161

quissimis Iudaeorum i n s t r u m e n t is sectam istam esse suffultam, quam aliquanto novellam, ut Tiberiani temporis, plerique sciunt p r o f i t e n t i b u s n o b i s q u o q u e ... " ( B e c k e r 126-128). V g l . ferner 47,9, w o d a s N e u e T e s t a m e n t v e r n i e d l i c h e n d a l s noviciola bezeichnet wird. 157 " T a m uanum hoc quam e t i a m < p r o p t e r artium> commenta deos haberi. Quibus si c o m p a r e n t u r nostrae aetatis to d i g n i u s p o s t e r i s q u a m p r i o r i b u s c o n s e c r a t i o c o m p e t i s s e t ? < Adentior si n > o n in o m n i b u s i a m a r t i f i c i i s a n t i q u i t a s e x o l e u i t , u s u q u o t K d i a x i o ubJque> instruente nouitatem" (nat. 2,16,6f ECChr.SL 1,71,22-72,13). V g l . zu d i e s e m traditionellen M o t i v b e r e i t s e p . Aristeae 137: Διό κενόν και μάτίχι.ον τους όμοιους άποθεουν. ΚαΙ Υ δ υ ν ά μ ε ω ς ί ί ξ ι ο ν , ö Χ ρ ι σ τ ό ς , κ α ι ν ό ν $αμά μοι κ έ κ λ η τ α ι ( S t ä h l i n / T r e u 1,7,10-17; Ü b e r s e t z u n g nach BKV2).

-

286

Das ist anders im paedagogus und, vor allem, in den "Teppichen", wo das Verhältnis von Altem und Neuem Testament eingebunden wird in ein umfassendes Geschichtsbild, das durch die Stichworte παιδεία/ παίδευσις und προκοπή bezeichnet ist. 317 Dem göttlichen Erziehungsplan entspricht der Fortschritt des christlichen Gnostikers. Wie Irenäus und Tertullian kennt auch Clemens die Vorstellung einer Anpassung des göttlichen Planes an die Bedürfnisse von Zeit und Umständen.318 Dabei ist προκοπή überwiegend auf die individuelle Vervollkommnung des Gläubigen zu beziehen und ethisch-noetisch zu verstehen. 319 Doch ruht diese individuelle προκοπή auf einer kosmologischen Fortschrittsvorstellung auf, wie besonders aus ström. 6,152-154 deutlich wird. Dort wird der ethische Imperativ begründet durch den Indikativ des kontinuierlichen Fortschrittes der Welt: "Da nämlich Gott gut ist, begann er wegen des Wesens, das zur Herrschaft über die ganze Schöpfung bestimmt war, und weil er es retten wollte, auch die übrigen Wesen zu erschaffen, indem er von Anfang an ihnen als erste Wohltat dies erwies, daß sie überhaupt entstanden; denn wohl jeder wird zugeben, daß das Sein um vieles besser ist als das Nichtsein. Sodann entwickelte sich jedes und entwickelt sich noch, soweit es seiner Natur nach möglich war, fortschreitend zu einem besseren Zustand als dem bisherigen" (6,152,3).320 Anders als bei Irenäus, für den Heilsgeschichte nicht die Geschichte Gottes mit der Welt, sondern mit dem Menschen ist, ist bei Clemens "Fortschritt" nicht anthropozentrisch verengt, sondern wird eingebettet in eine kosmologische Gesamtkonzeption, die ihrerseits stoische Elemente aufweist. 321 317

V g l . z u m F o l g e n d e n V ö l k e r 1952, p a s s i m , v . a. S. 8 5 - 8 9 , 263-274; B i e r b a u m 1953, p a s s i m , v . a. S. 5 3 - 8 4 ; S t ä h l i n 1959, S. 717-719. Z u r B e d e u t u n g v o n παιδεία/παίδευσις bei C l e m e n s v g l . B i e r b a u m 1953, p a s s i m , b e s . 27-31; H a s l e r 1953, S. 58-73, b e s . 58-61; M a r r o u / H a r l 1960, S. 14-21.

318

V g l . p a e d . 1,66,S; 1,74,3; 1,75,1; 1,94,1; s t r ö m . S. 8 5 f .

319

V g l . ζ . B. ström. 4,120,4; 4,130; 4,135; 4,136,4; d a z u V ö l k e r 1952 u n d S t ä h l i n 1959, S. 717-719.

4,154,2 u n d V ö l k e r 7,10f;

7,49,1;

1952, 7,60f;

320 Α γ α θ ό ς γαρ £>v 6 θ ε ό ς διά τ ο ήγεμονικάν τ?[ς κ τ ί σ ε ω ς άπωσης, σ φ ζ ε σ θ α ι β ο υ λ ό μ ε ν ο ς τ ο ΰ τ ο , έπι το ττοι,εΤυ έ τ ρ ά π ε τ ο και τ α λοιπά, ττρώτην τ α υ τ η ν ε ύ ε ρ γ ε σ ί α ν , τ ό γ ε ν έ σ θ α ι , ά π ' άρχ?ϊς π α ρ α χ ώ ν αΰτοΐςΚμεινον

είναι πολΧφ τό είναι τοΟ μή ε ί ν α ι π6£ς 8ν τις ό μ ο λ ο γ ή σ ε ι ε ν . Επειτα, ώ ς έ ν ε δ έ χ ε τ ο (ρύσεως ^χειν έ ' κ α σ τ ο ν , έ γ έ ν ε τ ό τε κ α ι γ ί ν ε τ α ι π ρ ο κ ό π τ ο ν είς τ ό αύτοΟ δ μ ε ι ν ο ν ( S t ä h l i n / F r ü c h t e 1 ΙΙ,510, 16-21; Ü b e r s e t z u n g nach B K V 2 ) . Zur Problematik der Stelle vgl. Μ 6 h a t 1966, S. 4 8 5 f . 321

Z u m kosmologischen Fortschrittsdenken der Stoiker vgl. Verbeke 1964, S. 7 f . D i e s e s ist a l l e r d i n g s e i n g e b e t t e t in e i n e z y k l i s c h e S i c h t

- 287 Dies gilt nun auch für die Philosophie: "Daher ist es nicht ungereimt, zu behaupten, daß auch die Philosophie von der göttlichen Vorsehung gegeben worden ist, um auf die durch Christus zu geschehende Vollendung vorzubereiten, wenn nur die Philosophie es nicht verschmäht, bei der barbarischen Erkenntnis in die Schule zu gehen und zur Wahrheit fortzuschreiten" (6,153,1).322 Auch die Philosophie sei Teil der göttlichen Providenz und als solche Gabe Gottes (6,153,2-4). "Wenn also die Philosophen, die durch den ihnen gegebenen, zum Wahrnehmen befähigten Geist zu dem ihnen eigenen Verständnis geschult wurden, sich nicht nur um einen Teil der Philosophie, sondern um die vollkommene Philosophie bemühen und wahrheitsliebend und bescheiden auch hinsichtlich des bei den Andersdenkenden trefflich Gesagten die Wahrheit bezeugen, dann machen sie zur Klugheit hin Fortschritte, entsprechend der göttlichen Weltordnung, der unaussprechlichen Güte, die die Natur aller Dinge jedesmal, soweit es möglich ist, zum Besseren hinführt. Wenn sie dann nicht nur mit Griechen, sondern auch mit Barbaren zusammenkommen, werden sie aus der allen gemeinsamen Schulung zu dem für sie besonderen Verständnis geführt, damit sie so zum Glauben gelangen. Wenn sie die Grundvoraussetzungen der Wahrheit angenommen haben, dann erlangen sie die Fähigkeit, weiter zur Forschung fortzuschreiten, und dann werden sie, nachdem sie Schüler geworden sind, von Liebe erfüllt; da sie aber nach Erkenntnis verlangen, streben sie zum Heil" (6,lS4,l-3). 323

von Geschichte, die C l e m e n s , w i e die meisten Kirchenväter, nicht U b e r n i m m t . V g l . b e r e i t s o b e n S. 201-205. 322 * Ώ σ τ ' 0 ύ κ Ö C X O T T O ν κοti τήν cpLXooo κ ό σ μ ο ς όρων δυσωπηθ·^ οΰκ έ ν τ ε λ λ ό μ ε ν ο ν δια π ρ ο σ ώ π ο υ π ρ ο φ η τ Ώ ν , ούδέ δι' ά γ γ έ λ ο υ φοβουντα ψυχήν, ά λ λ ' αύτόν παρόντα τόν λελαληκότα (Marcovich 413,69-414,1; Übersetzung nach B K V 2 ) . V g l . a u c h comm. Dan. 4,11; c . Noet. 1 7 f ( d i e E c h t h e i t d e s letzteren W e r k e s i s t nicht sicher; vgl. S c h ö l t e n 1990, Sp. 497f).

369

Daß letztere nicht ganz fehlen, läßt sich a n f o l g e n d e n Stellen e r k e n n e n : comm. Dan. 4 , 3 0 , 9 ; 4 , 3 3 , l f ; ben. Is. et Iac. ( B r i 6 r e / M a r i 6 s / M e r c i e r 1 4 ) ; ben. Moys. ( B . / M . / M . 1 6 0 ) ( C h r i s t u s a l s E r f ü l l u n g d e s G e s e t z e s u n d d e r P r o p h e t e n ) ; comm. Dan. 4 , 3 9 , 4 f ( d e r inkarnierte C h r i s t u s a l s E r f ü l l u n g v o n D a n 1 0 , 1 6 ) ; ben. Is. et. Iac. ( B . / M . / M . 2 ) ( d a s "Wort z u r Z e i t d e s a l t e n B u n d e s v e r b o r g e n u n d n u r d e n d u r c h die B e s c h n e i d u n g G e r e c h t f e r t i g t e n o f f e n b a r ; jetzt aber e i nLicht, d a s a u c h d i e f e r n s t e n V ö l k e r b e s c h e i n t ; ben. Is. et Iac. ( B . / M . / M . 4 2 ) : J o c h des Gesetzes — Freiheit des Evangeliums.

370 V g l . comm. Cant. 2 , 3 ( B o n w e t s c h 2 S , 9 f f ) ; 3 , 3 ( B . 3 5 , I f f ) ; bened. Iac. 26 ( B r i £ r e / M a r i 6 s / M e r c i e r 1 0 9 ) ; v g l . a u c h comm. Cant. 2 2 , 4 (Β. 58,4-11). Siehe a u c h ebenda 8 , 6 ( B o n w e t s c h 42,5-9) z u Cant 1,9: "Ο d a s V e r l a n g e n d e r seligen R o s s e ! Denn ihre Räder w a r e n g l e i c h s a m in R ä d e r n , d a d i e s e s n e u e E v a n g e l i u m a n g e s c h i r r t w a r a n d a s a l t e G e s e t z " . Z u r N e u h e i t s r h e t o r i k vgl. a u c h ein ( m ö g l i c h e r w e i s e u n e c h t e s ) syrisches Fragment aus der Passahomilie (Achelis 269f).

- 300 und neue διαθήκη werden einfach nebeneinandergestellt, ohne daß dabei erkennbar wird, wie sie miteinander zusammenhängen. Vielmehr wird Christus gepredigt "durch die Gebote und das Evangelium" ohne Unterschied.371 Diese Tendenz zur Entgeschichtlichung kommt am deutlichsten in einer Passage aus de benedictionibus Moysis zum Ausdruck: "Et le Fils, une fois qu'il eut repu toute sagesse, la [sc. das Gesetz] donna aux hommes, comme encore il (le Proph£te) le dit: 'Aprös ceci, sur la terre il a 6t6 vu, et, avec les hommes, a conversd' tgrBar 3,38]. Car Moise, lui, aussi, une premidre fois ä leurs pdres, a [lui-meme] donn6 la Loi, apr£s l'avoir regue du Fils (au Sinai), et, aprös ceci, ä leurs fils, il enseignait la Seconde Loi (deut6ronome), ä dessein de pr6figurer les deux Alliances ä la fois: l'Ancienne, en l'ayant ainsi pour les p£res [circoncis] [vgl. Act 7,8] d6finie (explicitement, dans le Deut6ronome), et la Nouvelle, en la rdservant (implicitement), comme chose nouvelle pour nouveaux [vgl. Eph 4,24; Kol 3,10?]. Celui-lä bien, qui, par Moise, a d6fini (explicitement) l'Ancienne (c'est-ä-dire le Fils), celui-lä, en son av£nement, a montr ά λ η θ ε ί α ς όδός ... Z u r B e d e u t u n g v o n ζητεΤν v g l . A n d r e s e n 1955, S . 134. Z u m G e b r a u c h v o n ζητεΤν (τόν) θεόν bei O r i g e n e s vgl. 4,92 ( B o r r e l II,414,13f), 5,42 (B. III,124,23f; i r o n i s c h a u f die J u d e n b e z o g e n ) , 7,35 (Β. IV,92,1), 7,42 (B. IV,114,30). 188 V g l J a x / T h r a e d e 1962, S p . 1213f, 1222-1224 u n d 1233f m i t Belegen; f e r n e r T h r a e d e 1 9 6 2 , S . 163 A n m . 18 u n d 181 m i t A n m . 7 6 . Z u r g e genläufigen Auffassung von den Philosophen als Erfindern vgl. b e r e i t s P o s i d o n i u s ( s . o.) u n d J a x / T h r a e d e 1962, S p . 1222-1224. 1 8 7

189

1 9 0

7 4 1 (Borrel IV.108,1-6): Τ ί ν ι δέ κ α ι έ ' π ε σ θ α ι ή μ α ς ύ Κέλσος β ο ύ λ ε τ α ι » ώ ς ούκ άπορήσοντας παλαιών Ηγεμόνων κ α ι ίερών άνδρων« κ α τ α ν ο η τ έ ο ν . 'Αναπέμπει, ήμας έπϊ » έ ν θ έ ο υ ς « , ώς λ έ γ ε ι , » π ο ι η τ α ς καί σοφούς

φιλοσόφους«, μή τιθεϊς αΟτοΤς όνόμαχα, και τους »όδηγούς δείξειν« έ π α γ γ ε λ λ ό μ ε ν ο ς αορίστως αποφαίνεται τους ένθέους ποιητάς και σοφούς καί φιλοσόφους.

V g l

V g l . c . Cels. lllf und oben

7,41 ( B o r r e l S. 303f.

IV,110,28-32).

Vgl.

auch

Crouzel

1985,

S.

191 V g l Cels. 4 , 7 ( B o r r e t 11,204,12-16): Κατά γ α ρ έ κ ά σ τ η ν γ ε ν ε α ν ή c σ ο φ ί α τοί> θ ε ο δ ε ί ς ψ υ χ ά ς , δις ε υ ρ ί σ κ ε ι ό σ ί α ς , μ ε τ α β α ί ν ο υ σ α φ ί λ ο υ ς θ ε ο ΰ κ α ϊ π ρ ο φ ή τ α ς κ α τ α σ κ ε υ ά ζ ε ι , κ α ί ε ΰ ρ ε θ ε ΐ ε ν γ ' 8 ν έν ταΤς ίεραΤς β ί β λ ο ι ς ol κ α θ ' έ κ ά σ τ η ν γ ε ν ε ά ν δσιοι κ α ι δ ε κ τ ι κ ο ί τ ο ΰ θ ε ί ο υ π ν ε ύ μ α τ ο ς , κ α ϊ ώ ς έ π έ σ τ ρ ε φ ο ν τοΟς κ α θ ' α ϋ τ ο υ ς 0ση δ υ ν α μ ι ς .

- 424 In w e l c h e m Verhältnis s t e h e n j e d o c h σύνεσις und d i e "Suche nach d e m Göttlichen und die Philosophie" zueinander? W ä h r e n d M o s e s u n d die P r o p h e t e n bereits von A n f a n g ü b e r eine b e s o n d e r e G o t t e s e r k e n n t nis v e r f ü g t e n , dient bei den übrigen M e n s c h e n die k u l t u r e l l e Entwicklung der σύνεσις der Vorbereitung f ü r die Suche nach Gott: "Abondance va d e pair avec oisivet£: ce loisir, l'homme ne sait pas l'utiliser p o u r c h e r c h e r Dieu. II ne s e c o n s a c r e r a ä cette quete, qui est la philosophie, que s'il e s t aiguillonne, έ ν ε ϊ ΐ ΐ έ , s u s c i t i , p a r l'appel d e la necessite. Le m a l h e u r le met e n route. L'exercice d e s o n intelligence, r e n d u necessaire par s a 'nudit6', est l e moyen pedagogique pr6vu par Dieu p o u r appeler l ' h o m m e ä m o n t e r vers lui." 1 9 2 Dies läßt sich aus Stellen wie 3,58 (Borret 11,136,26-35) oder 3,59 (B. 11,138,18-29,23) stützen, w o - ganz im p l a t o n i s c h e n S i n n e 1 9 3 — die artes liberales als Vorbereitung zur Philosophie v e r s t a n d e n w e r d e n . 1 9 4 Man k ö n n t e in d i e s e m Z u s a m m e n h a n g auch auf c. Cels. 3,44-50 und 7,46 verweisen, w o eine derartige A u f s t i e g s theorie der E r k e n n t n i s a u s f ü h r l i c h d a r g e l e g t w i r d . 1 9 5 Ist diese Interpretation k o r r e k t , s o fand a l s o Origenes in seiner Quelle den Gedanken vom "pädagogischen Impuls" v o r und verwendete i h n im Sinne seiner Erkenntnistheorie. Daraus wird deutlich, d a ß Origenes seiner s t o i s c h e n Quelle nicht sklavisch f o l g t , s o n d e r n s i e d e r aktuellen a p o l o g e t i s c h e n Situation anpaßt, s o daß sich sein eigenes Gut (Gottessucher auch s c h o n in d e r Urzeit) mit d e r s t o i s c h e n V o r s t e l l u n g v o n d e r M a n g e l h a f t i g k e i t d e s M e n s c h e n als i n t e l l e k t u e l l e m Stimulus ü b e r l a g e r t . 3. Die weiteren A u s f ü h r u n g e n in d i e s e m Kapitel l a s s e n hinsichtlich ihrer H e r k u n f t e b e n f a l l s Fragen o f f e n . Origenes u n t e r s c h e i d e t nämlich zwei Arten von τέχναι: Acker- und Wein- und Gartenbau, Holz- und Eis e n b e a r b e i t u n g seien a u s d e m "Bedürfnis nach den l e b e n s n o t w e n d i g e n Dingen" (ή των κατά τον βίον χ ρ ε ώ ν απορία) e n t s t a n d e n . Das "Bedürf-

192

Harl, Prise, 1966, S. 494f. Zur H e r k u n f t d e s Gedankens von der Fülle (εΰπορεΐν) als Hindernis f ü r den Gebrauch der σύνεσις vgl. bereits Philo, opif. m. 169 sowie a u s f ü h r l i c h Harl, Recherches, 1966.

193

Vgl. Fuchs 1962, Sp. 379f. Zum Ganzen auch Marrou 1958, S. 219-227.

19* Vgl.

ferner

hom. in Gen. 11,2

(Baehrens

103,15-27);

ep.

ad

Greg.

1.

Ferner Fuchs 1962, Sp. 390. 195 Vgl. etwa 3,45 (Borret 11,108,42-46): Οίίτω SE βούλεται σοφούς εΐνιοα EV TOTQ πιστευουσιν Ö λόγος, ωστε υπέρ του γυμνάσαι την O U V E O L V των άκουόντων τά μεν £ν αίνίγμασι. τά δε έν τοΤς καλουμένους σκοτεινοΤς λόγοις λελαληκενοα τά 5έ δια παραβοΧΩν καί όίΧλοί δια προβλημάτων. Auch die Gleichnisse Jesu dienen also dem "Intelligenztraining"! Vgl. f e r n e r gleich unten zu 4,80. Ferner G ö r g e m a n n s / K a r p p 1985, S. 87, Anm. 5 mit weiterer Literatur.

425 nis nach Schutz" (ή της σκέπης άπορία) habe zur Textilbearbeitung (Karden, Spinnen und Weben der Wolle), zum Hausbau bis hin zur Architektur geführt. Eine dritte Richtung der Entwicklung habe die Ausbildung der Schiffahrt zur Folge gehabt. Den Tieren dagegen sei Nahrung und Schutz von Natur aus gegeben. Ungewöhnlich für diese Kulturtheorie ist nicht nur die Einteilung der verschiedenen Künste nach Grundbedürfnissen, sondern der hohe Stellenwert, der der Architektur (αρχιτεκτονική) eingeräumt wird, die ausdrücklich vom einfachen Häuserbau (οικοδομική) unterschieden wird. Sie wird als Gipfelpunkt der menschlichen Kulturentwicklung bezeichnet (" ... und so stieg die Intelligenz bis hinauf zur Architektur") 196 . Diese eigenartige, in sich durchaus konsistente 197 Einteilung ist ebenfalls nicht posidonisch. Denn dieser "denkt nicht daran, etwa wie Dikaiarch die historische Entwicklung der Menschheit über ihre verschiedenen Stadien wie Hirtenleben und Ackerbau zu verfolgen oder auch nur die einzelnen Erfindungen zeitlich anzuordnen." 198 Doch woher stammt sie dann? Ist sie etwa Origenes' eigene Schöpfung? Es fällt allerdings insgesamt auf, welchen intellektuellen Aufwand Origenes betreibt, um den Einwand des Celsus abzuwehren. (Droge spricht zu Recht vom "gekünstelten Charakter" der Debatte. 199 ) Eine derartig ausgefeilte Theorie der Kulturentstehung wäre hierzu nicht notwendig gewesen. Man könnte daher fragen, ob Origenes nicht doch auf eine uns unbekannte Quelle zurückgreift, in der die gesamte Thematik wesentlich ausführlicher behandelt wurde. Die Hochschätzung der Architektur gibt für deren Situierung einen Hinweis. Bereits oben hatten wir festgestellt, daß bei Vitruv ebenso wie bei Origenes das "Training der Intelligenz" eine entscheidende Rolle in der Kulturentwicklung spielt. 200 Ja, Vitruvs Ausdruck ingenia exercere in de archit. 2,1,3 und 2,1,6 ist eine direkte Übersetzung des griechischen σύνεσιν γυμνάζειν, das wir bei Origenes fanden. Dies allein wäre noch nicht weiter signifikant, stünde bei Vitruv nicht ebenfalls die Architektur als Höhepunkt am Ende der kulturellen Entwicklung, wobei er wie Origenes den einfachen

196

... κ α ι ο ύ τ ω ς 11,374,20).

άναβέβηκεν

ή

συνεσις

και

έπι

άρχιτεκτοΜίκήν

(Borret

197 " W i e s o Thraede "Hausbau samt Architektur uCndü Schiffahrt mit N a u t i k " als " z u n ä c h s t nicht v o r g e s e h e n " b e z e i c h n e t (1972, S p . 167), ist m i r a n g e s i c h t s d e r r h e t o r i s c h d u r c h g e b i l d e t e n S t r u k t u r d e s fraglichen Abschnittes unverständlich. 198

Vgl.

199

D r o g e 1989, S. 1S6: " M o r e o v e r , o f the debate."

200

V g l

Pohlenz

oben

1941, S.

S. 4 2 0

7.

mit A n m .

177.

one

is

struck

by

the

artificial

quality

426

Hausbau (aedificare) von der "höheren" Architektur abgrenzt. 2 0 1 Nun hat Karl Reinhardt in seinem Posidonius-Buch gerade diesen Abschnitt 2,1,3-7 auf den Stoiker zurückführen wollen, ohne daß jedoch die von ihm gegebenen Parallelen die Beweislast tragen könnten. 2 0 2 Aus den bereits genannten Gründen stammt die zugrundeliegende Theorie kaum von Posidonius. Unübersehbar ist hingegen, wie auch Reinhardt bemerkt hat, daß sich der Eingang des kulturgeschichtlichen Abrisses, der die ( E r f i n dung des Feuers behandelt, eng mit Diod. Sic. 1,13,3 berührt. 2 0 3 Auch die Betonung der χρεία bei Origenes erinnert an Diodor. 2 0 4 Wie Spoerri überzeugend nachgewiesen hat, ist Diodors Kulturgeschichte aber keineswegs homogen; vielmehr "wollte Diodor einen Bericht geben, der dem allgemeinen Bildungsgut seiner Zeit entsprach." 2 0 3 Ähnliches müssen wir meines Erachtens auch für Origenes voraussetzen. Es ist daher fraglich, ob man die gesamte Passage 4,74ff einfach a l s grosso modo "stoisch" verbuchen kann, wie die oben genannten Autoren dies tun. 2 0 6 Denn wenn man auch für die Kulturentstehungslehre stoischen Hintergrund voraussetzt, dann sei doch die Frage erlaubt, wen man dabei im Blick hat. Die ältere Stoa war an der Frage der Kulturentstehung nicht wirklich interessiert. 2 0 7 Und wer käme aus späterer Zeit

201 Vgl. auch 1,1,1: "Architect! est scientia pluribus disciplinis et variis eruditionibus ornata, cuius iudicio probantur omnia quae ab ceteris artibus perficiuntur opera." Vgl. ferner die bei Fuchs 1962, Sp. 379 und 388f angegebenen Stellen. 202

Vgl. Reinhardt 1921, S. 404-408; ebenso Pfligersdorffer 1959, S. 85. Die von Reinhardt angeführten Belege sind Cie., nat. de or. 2,147f und Sext. Emp., adv. math. 7,105ff. Skeptisch auch Jax/Thraede 1972, Sp. 154 ("in Wirklichkeit allgemeines Bildungsgut") sowie Cole 1967, S. 193-195. Vgl. ferner Spoerri 1959, S. 141f, der Schwierigkeiten hat, die Herkunft von Vitruvs Sprachtheorie zu bestimmen, sowie Gatz 1967, S. lS9f, der Reinhardt vorsichtig zustimmt.

203

Reinhardt 1921, S. 402-404. Reinhardt führt ihn über Hecataeus von Abdera auf Demokrit zurück (vgl. dazu auch Reinhardt 1912). Mit guten Gründen ablehnend Spoerri 1959, S. 132-163; vorsichtig zustimmend aber wieder Romilly 1966, S. 157f sowie nachdrücklich Cole 1967, passim, dessen These aber bei der Kritik nicht durchweg auf Zustimmung gestoßen ist. Vgl. aus der Fülle der Rezensionen (die Αηηέε Philologique verzeichnet achtzehn) nur Solmsen 1969, Burkert 1969 sowie besonders kritisch Graeser 1969.

204. 20s

V g l

Diod. Sic. 1,8,9.

Spoerri 1959, S. 163. Eine Zusammenstellung der einschlägigen antlprlmitivlstischen Texte findet sich bei Lovejoy/Boas 1935, S. 192-221, 368-388, ihre Diskussion bei Romilly 1966, S. 144-158.

206

Vgl. oben Anm. 171.

207

Vgl. Uxkull-Gyllenband 1924, S. 44; Edelstein 1967, S. 167.

- 427 außer Posidonius, dem stoischen Kulturgeschichtler par excellence, und Seneca noch dafür in Frage? Diese Kulturentstehungslehre ist a l s o philosophisch nicht klar zu lokalisieren. 2 0 8 Vermutlich war ihre ursprüngliche Absicht auch gar nicht philosophisch, sondern — wie bei Vitruv — die kulturgeschichtliche Begründung für die Stellung der Architektur. Später jedoch wurde sie mit einer anderen Schrift kombiniert, in der — unter Rückgriff auf stoische Argumente — für die Überlegenheit des Menschen über die Tiere plädiert wurde. Leider läßt sich diese Vorlage nicht näher identifizieren, s o daß wir uns mit einem non liquet begnügen müssen. Von Origenes wurde die Unterscheidung zwischen den "Gottessuchern" und der übrigen Menschheit hinzugefügt, die er aus apologetischen Gründen (Christen vor Christus!) in das vorgefundene Material einbauen mußte. In diesem Zusammenhang ist noch eine zweite Stelle zu betrachten, die ebenfalls in den in Rede stehenden Argumentationsgang gehört: Cels u s hatte, immer noch im Rahmen seiner Polemik gegen die Sonderstellung des Menschen innerhalb der stoisch-christlichen Kosmologie, darauf hingewiesen, daß der Mensch vor aller kulturellen Entwicklung den Tieren unterlegen gewesen sei und man deshalb nicht von einer speziellen Providenz sprechen könne: "Was eure Behauptung betrifft, Gott habe uns die Möglichkeit gegeben, uns der Tiere zu bemächtigen und sie (nach Gutdünken) zu benutzen, s o werden wir sagen, daß es wahrscheinlich, bevor es Städte, Künste, den heutigen sozialen Verkehr, W a f f e n und Netze gab, die Menschen von den Tieren gerissen und g e f r e s s e n , aber kaum die Tiere von den Menschen gefangen wurden" (4,79). 2 0 9 C e l s u s macht sich demnach den alten sophistischen Standpunkt zu eigen, d e m z u f o l g e die Entwicklung der Gesellschaft nicht in der Natur angelegt, sondern von außen, durch die Bedrohung durch wilde Tiere, aufgezwungen i s t , 2 1 0 dreht ihn aber gerade herum: Eben weil die menschliche Gemeinschaft dem Schutze dient, folgt daraus, daß der Mensch dem Tier im Urzustand unterlegen war.

208 V g l . a u c h T h r a e d e 1 9 7 2 , S p . gefärbtem Schulgut" spricht.

167,

der

von

"stoisch

wie

epikureisch

209

Π ρ ο ς δ ύμεΤς cpocxe, ώ ς ö θ-εός ήμΤν δ έ δ ω κ ε ν α ί ρ ε ΐ ν τ ά θ-ηρία δ ύ ν α σ θ α ι . κ α ι κ α τ α χ ρ ή σ α σ θ α ι . , έ ρ ο υ μ ε ν δ τ ι ώ ς ε Ι κ ό ς , π ρ ι ν π ό λ ε ι ς ε7ναι. κ α ι τ έ χ ν α ς κ α ΐ τ ο ι α ύ τ α ς έπι.μϊ.ξίας κ α ι ί ί π λ α κ α ι δ ί κ τ υ α , Κ ν θ ρ ω π ο ι μ ε ν ϋ π ο θ η ρ ί ω ν ή ρ π ά ζ ο ν τ ο κ α ι ή σ θ ί ο ν τ ο , -θ-ηρία δ* ύ π ' α ν θ ρ ώ π ω ν τίκιατα ή λ ί σ κ ε τ ο ( B o r r e t 11,380,3-7).

2 1 0

V g l . P l a t . , pol. 2 7 4 Β ; Prot. u. ö. W e i t e r e s bei D i e r a u e r

322 Bl-8; Cie., 1977, S . 3 6 - 3 8 .

rep.

1,40;

Diod.

Sic.

1,8,2

- 428 Origenes antwortet hierauf in 4,79 in dreifacher Weise: Er verweist erstens (in einem reichlich unklaren Satz) darauf, daß ein großer Unterschied darin bestehe, ob man in der Lage sei, unter Einsatz der Intelligenz (σύνεσις!) die wilden Tiere zu besiegen und zu kontrollieren, oder ob man sich nur — ohne Einsatz der Intelligenz — notdürftig gegen sie zu schützen vermöge. Sodann weist er darauf hin, daß von Celsus' eigenen Voraussetzungen her (Ungeschaffenheit der Welt) es so etwas wie Entwicklung nicht gegeben haben könne und folglich die Annahme eines menschlichen Urzustandes sinnlos sei. Dem kann und will Origenes nun allerdings als bibeltreuer Christ nicht folgen. Vielmehr müsse man davon ausgehen, daß die ersten Menschen unter einem besonderen göttlichen Schutz gestanden haben, wofür Origenes einerseits ein Zitat aus Hesiods "Frauenkatalog" 211 und andererseits (in 4,80) "Moses", also die Genesis anführt. Dadurch entsteht ihm aber das Problem, den durch den biblischen Bericht vorgegebenen paradiesischen (!) Urzustand und die Notwendigkeit kultureller Entwicklung zu vereinigen: "Und das Wort Gottes teilt gemäß Moses von den ersten Menschen mit, daß sie die göttliche Stimme und Orakel hörten und manchmal Erscheinungen von Engeln Gottes sahen, die zu ihnen kamen. Denn wahrscheinlich erfuhr die Natur des Menschen am Anfang der Welt größere Hilfe, bis nach dem Fortschritt hinsichtlich der Intelligenz und der übrigen Tugenden und der Erfindung der Künste, sie auch auf sich selbst gestellt zu leben vermochten, ohne daß sie den Schutz und die Verwaltung der Diener des Willens Gottes mittels wundersamer Erscheinungen brauchten. Daraus folgt aber, daß es falsch ist, daß die Menschen am Anfang von den Tieren gerissen und gefressen, die Tiere aber kaum von den Menschen gefangen wurden. Es ist daher klar, daß auch falsch ist, was von Celsus folgendermaßen gesagt wird: ' ... so daß in dieser Hinsicht Gott die Menschen eher den Tieren unterworfen hat.' Denn Gott unterwarf die Menschen nicht den Tieren, sondern hat bewirkt, daß die Tiere dank der Intelligenz und der von der Intelligenz gegen jene erdachten Künste gefangen würden. Denn die Menschen setzten nicht ohne göttliche Hilfe für sich die Rettung vor den Tieren und die Herrschaft über jene ins Werk" (4,80). 212

211

Frg.

212

Κ α ι ό θ ε Τ ο ς δε κ α τ ά Μ ω ϋ σ έ α Χ ό γ ο ς ε Ι σ ή γ α γ ε τ ο υ ς π ρ ώ τ ο υ ς άκουοντας θειατέρας φωνής καί χρησμών και όρωντας Ι'σθ' 8τε άγγέΧων θεοΐί έ π ι δ η μ ί α ς γ ε γ ε ν η μ έ ν α ς π ρ ό ς α Ο τ ο ΰ ς . Κ α ι γ α ρ ε Ι κ ό ς έ ν άρχ^[ τ ο ΰ κ ό σ μ ο υ έ π ί π Χ ε Τ ο ν β ε β ο η θ τ ί σ θ α ί . τ η ν α ν θ ρ ώ π ω ν κ α ι δ ι κ α ι ό τ ε ρ ο ι ώ ν δ έ ο ν τ α ι τ υ χ ε Τ ν , η ο ΐ τ ι ν ε ς ττερϊ [ μ ε ν ] ττ^ς άρχτΐς τ?ίς Ομετέρας εΰχόμεΦα, ί ν α παΤς μεν π α ρ ά π α τ ρ ό ς κ α τ ά τ ό δ ι κ α ι ό τ α τ ο ν διαδέχησ&ε τ η ν β α σ ι λ ε ί α ν , α υ ξ η ν δε κ α ι έ π ί δ ο σ ι ν κ α ι ή ά ρ χ ή ύ μ ω ν , π ά ν τ ω ν υ π ο χ ε ι ρ ί ω ν γ ι γ ν ο μ έ ν ω ν , λαμβάν^); Τ ο Ο τ ο δ' έ σ τ ΐ κ α ι π ρ ό ς ή μ ω ν , » δ π ω ς ηρεμον < μ έ ν > κ α ι ή σ ύ χ ι ο ν βίον δ ι ά γ ο ι μ ε ν « CI T i m 2,2bD αύτοι δέ π ά ν τ α τά κεκελευσμένα προθ-Ομως ΟπηρετοΤμεν (Marcovich 113,5-11). M a r c o v i c h s E i n g r i f f e in d e n T e x t s c h e i n e n m i r p r o b l e m a t i s c h zu sein.

29

M ö g l i c h e r w e i s e eine A n s p i e l u n g auf die Ernennung des Commodus z u m I m p e r a t o r i m N o v e m b e r 176; v g l . d a z u S p e i g l 1970, S. 2 0 4 - 2 0 6 ; M a r c o v i c h 1990, S. 1. D a s G e b e t u m r e c h t e N a c h f o l g e i s t a b e r an s i c h t r a d i t i o n e l l ; v g l . e t w a P l l n . m i n . , paneg. ( = paneg. Lat. 1E1]) 9 4 , 5 ) ; A e l . A r i s t . , o r . 26,109. V g l . dazu auch die E m p f e h l u n g des R h e t o r s M e n a n d e r , d e n βασιλικός λ ό γ ο ς m i t e i n e m d e r a r t i g e n G e b e t a b z u s c h l i e ß e n : "Επί τ ο ύ τ ο ι ς ε ύ χ ή ν έ ρ ε ϊ ς α ί τ ω ν π α ρ ά Φεου είς μ ή κ ι σ τ ο ν χ ρ ό ν ο ν προελ-9-εΤν τ η ν βασιλείαν, διαδοθ-ηναι εις παΤδας, π α ρ α δ ο θ η ν α ι τ£ρ γ έ ν ε ι (377,28-30 = R u s s e l l / " W i l s o n 94)

30

Z u α ϋ ξ η α ( ι ς ) v g l . ζ . Β. P o l y b . 3,4,2 ( α ϋ ξ η σ ι ς κ α ι π ρ ο κ ο π ή τ?(ς " Ρ ω μ α ί ω ν δ υ ν α σ τ ε ί α ς ) ; 2,2,2; 2,18,9 u. ö . W e i t e r e B e l e g e b e i D e l l i n g 1969, S. 519. Z u r έ π ί δ ο σ ι ς v g l . P o l y b . 1,20,2 ( R o m ) ; 1,36,2 ( K a r t h a g o ) . V g l . dazu T h r a e d e 1972, S p . 148f. A l a n d (1979, S. 83) h ä l t A t h e n a g o r a s - F ü r b i t t e f ü r " u t i l i t a r i s t i s c h e r " als I C l e m . Das scheint m i r nicht d e n K e r n d e r S a c h e z u t r e f f e n . E s g e h t in e r s t e r L i n i e u m L o y a l i t ä t o d e r — w e n n m a n s o w i l l — u m O p p o r t u n i s m u s . In d i e s e r H i n s i c h t ist A t h e n a g o r a s konventioneller als I C l e m .

449

schaft. Bis zu der Rückführung politischer Erfolge auf die Kraft d e s christlichen Gebetes ist e s da nur noch ein kleiner Schritt. Und tatsächlich ist uns aus derselben Zeit der erste Bericht bekannt, demzufolge das Regenwunder während des Feldzuges von Mark Aurel in Germanien, das nicht nur die Soldaten vor dem Verdursten rettete, sondern den Sieg herbeiführte, auf die Gebete christlicher Soldaten (!) zurückging. 3 1 Diese Geschichte wird später auch von Tertullian bezeugt. 3 2 Der Rhetor aus Karthago ist auch in diesem Zusammenhang deshalb hervorzuheben, weil er ausdrücklich erwähnt, daß die Fürbitte d e r Christen sich inhaltlich an den heidnischen vota orientiere. So beten sie pro salute imperatorum (apol. 30,1-32,1; vgl. die Zusammenfassung in 39,2), 33 und zwar in erster Linie um "ein langes Leben, eine ungefährdete Herrschaft, ein sicheres Haus, tapfere Heere, einen treuen Senat, ein rechtschaffenes Volk, Ruhe auf der Welt, und was immer sonst die Wünsche f ü r einen Menschen und Kaiser sind" (30,4). 34 Der Ausdruck vota wird hier ganz bewußt paganer Sakralsprache entnommen, 3 3 aber natürlich mit dem (polemisch gemeinten) Zusatz hominis et Caesaris versehen und so in christlichem Sinne relativiert. 3 6 Tertullian hebt im Kontext dieser Stelle ausdrücklich darauf ab, daß den Kaisern die Macht von Gott gegeben sei. 3 7 Doch ist die Zielrichtung

31

Apollinaris

32

Vgl. apol.

33

Vgl. die Parallele in ad Scap. 2,6-9. Ferner Dion. Alex, bei Eus., h. e. 7,1 über Kaiser Gallus (252): "Ος ... τους Εερούς όίνδρας, τους περί ττ^ς είρήιιης αΰτοΰ και τϊίς ύγιείας πρεσβεύοντας προς τον θεόν, ffXaoev. οΰχοΟ-υ σΰ·υ έκείνοις έδίωξεν και τάς όπερ αύτου προσευχάς ( S c h w a r t z / Mommsen 636,12.14-16). Zum Folgenden siehe auch Instinsky 1963, S. 46-53.

34

" ... precantes s u m u s s e m p e r p r o omnibus imperatoribus vltam Ulis prolixam, Imperium securum, domum tutam, exercitus f o r t e s , senatum fidelem, p o p u l u m probum, orbem quietum, quaecumque hominis et Caesaris vota sunt" (Becker 166; Übersetzung nach Becker 1961; geändert).

von

Hierapolis

5,6; ad Scap.

bei

Eus.,

h. e.

5,5,1-4.

4,6.

33

Vgl. Eisenhut 1974.

36

Nicht ganz deutlich ist, ob hominis et Caesaris vota als genitivus subiectivus oder obiectivus a u f z u f a s s e n ist. Becker und Instinsky 1963, S. 49f Ubersetzen in e r s t e r e m Sinne, in der Annahme, daß die Christen d a r u m beten, daß die Gelübde des Kaisers in E r f ü l l u n g gehen mögen. Die Übersetzung als genitivus obiectivus vermag indessen den Zusatz hominis b e s s e r zu erklären.

37

Vgl. auch scorp. 1979, S. 242-244.

14 (stärker

positiv); idol.

15 (kritischer);

dazu

Aland

- 450 seiner Argumentation eine andere als bei Paulus und Clemens: Er will nicht die Notwendigkeit der Loyalität gegenüber dem Staat begründen, sondern er erinnert die Obrigkeit daran, daß ihre Macht nur von Gott verliehen und also begrenzt sei (30,1-3; das ist eine Weiterentwicklung des justinischen Gedankens!). Dieses Gebet sei keinesweg — wie bei den Heiden — eine ritualisierte Opferhandlung, sondern komme "aus keuschem Leib, aus unschuldiger Seele, aus frommem Herzen" (30,5: "de carne pudica, de anima innocenti, de spiritu sancto") 3 8 — und ist, s o muß man wohl hinzudenken, darum besonders effektiv. (Hier deutet sich bereits der Gedanke an, daß sich die Prosperität des Reiches dem Gebet der Christen verdankt.) Die Christen beteten nicht, s o fährt Tertullian nach einigen Zwischenbemerkungen fort, aus Opportunismus gegenüber den Römern, sondern ihre Fürbitte lasse sich einerseits aus dem biblischen Gebot der Feindesliebe ableiten, sei andererseits aber auch ausdrücklich in der Schrift geboten (Zitat von I Tim 2,2 in 31,3). Dies begründet Tertullian sodann unter Rückgriff auf einen Topos antiker Staatstheorie: "Denn wenn das Reich erschüttert wird, werden mit der Erschütterung seiner übrigen Glieder sicherlich auch wir — mögen wir auch den Unruhen fernzustehen scheinen — mit von dem Unglück betroffen" (31,3).39 Die Christen beteten aber für den Bestand des Reiches noch aus einem ganz anderen Grund: "Es gibt noch eine andere, höhere Notwendigkeit für uns, für die Kaiser zu beten, ebenso für den Bestand des Reiches überhaupt und die Macht der Römer: wir wissen, daß die gewaltige Katastrophe, die dem Erdkreis droht, j a daß das Ende der Welt, das entsetzliche Leiden heraufbeschwört, nur durch die dem römischen Reich gewährte Frist aufgehalten wird. Daher wollen wir dies nicht erleben, und indem wir um Aufschub beten, tragen wir zum Fortbestände Roms bei" (32,1).40

38

Vgl. ganz ähnlich s c h o n Philo, leg. ad Gai. 280: Έ ξ (Sv oü στόματι καί γλώσσα μηνυουσι τό ευσεβές μδΧλσν ϊ] ψυχής άφανοΟς βουΧεύμασιν ol μή λέγοντες δτι ιριΧοκαΕσκρές είσιν, άλλ' δύτες δντως (Pelletier 260-262).

39

" C u m enim concutitur Imperium, c o n c u s s i s etiam ceteris m e m b r l s eius, utique et n o s , licet extranei a turbis aestimemur, in aliquo l o c o c a s u s invenimur" (Becker 168; Übersetzung nach Becker 1961). Z u m traditionsgeschichtlichen Hintergrund der V o r s t e l l u n g von der Verk n ü p f u n g von individueller und g e s a m t g e s e l l s c h a f t l i c h e r "Wohlfahrt vgl. Instinsky 1963, S. 21-39, 51.

40

" E s t et alia maior n e c e s s i t a s nobis orandi pro imperatoribus, etiam pro omni statu imperii r e b u s q u e Romanis, qui vim m a x i m a m universo orbi imminent e m i p s a m q u e c l a u s u l a m s a e c u l i acerbitates h o r r e n d a s comminantem Romani imperii commeatu scimus retardari. itaque

451 -

Hier wird also ausdrücklich die staatliche Wohlfahrt, ja der Bestand des Staates überhaupt auf das Gebet der Christen zurückgeführt. 4 1 Dahinter scheint die jüdisch-christliche Vorstellung vom römischen Reich als dem letzten Reich vor den apokalyptischen Schrecken auf. 4 2 Seine Existenz kann durch Gebete verlängert werden. Ungefähr gleichzeitig mit Tertullian findet sich dieser Gedanke auch bei Hippolyt, doch ohne daß — wie bei Tertullian — über den Inhalt der Gebete etwas gesagt wird. 4 3 nolumus experiri et, dum precamur d i f f e r r i , Romanae diuturnitati favemus" (Becker 168; Übersetzung nach Becker 1961). Vgl. ad Scap. 2,6: " ... necesse est ut et ipsum diligat et reuereatur et honoret et s a l u u m uelit, cum t o t o Romano imperio, quousque saeculum stabit: tamdiu enim stabit" (CChr.SL 11,1128,26-28); ferner apol. 21,24: " ... sed et Caesares credidissent super Christo, si aut Caesares non e s s e n t necessarii saeculo, aut si et Christian! potuissent Caesares" (Becker 136). Ausdrücklich abgelehnt wird diese A u f f a s s u n g jedoch in or. 5,1: "Itaque si ad Dei uoluntatem et ad n o s t r a m suspensionem pertinet regni dominici repraesentatio, quomodo quidam protractum quendam saeculo postulant, cum regnum Dei, quod ut adueniat oramus, ad c o n s u m m a t i o n e m saeculi tendat? Optamus maturius regnare et non diutius seruire" (CChr.SL 1,260,5-9). 41

Zur H e r k u n f t von Begriffen wie status imperii, res Romanae, diuturnitas aus der politischen Propaganda vgl. Instinsky 1963, S. 74; Suerbaum 1977, S. 29 mit Anm. 82, 76, 111 mit Anm. 11, 163 mit Anm. 4 u. ö. Schon Aristides hatte betont, die Welt b e s t e h e nur wegen des Gebetes der Christen; vgl. 16,7 (Alpigiano; syr. Fassung). Zum jüdischen Hintergrund vgl. Philo, spec. leg. 1,97; 2,167; dazu Peterson 1935, S. 23f; Strobel 1961, S. 125f.

42

Dan 2,24ff; 7f; IV Esr 11,38-46; syrBar 39,3-7; zu rabbinischen Quellen vgl. Bill. IV/2, S. 1004-1006 (hier überall als letztes der vier Weltreiche); f e r n e r Apk 17,12; Barn 4,1-5; Iren., haer. 5,25f (ohne Weltreichsspekulation). Vgl. zum Folgenden Kötting 1958, S. 133; Strobel 1961, S. 131-142; Vittinghoff 1964, S. 551ff; Fuchs 1964, S. 20f, 59ff; Paschoud 1967, S. 170-172, 176f; R. Klein 1968, S. 11-17, 30f; Suerbaum 1977, S. 111-116; K e h l / M a r r o u 1978, Sp. 774; Schwarte 1978, S. 266f; Demandt 1984, S. 63.

43

Vgl. comm. Dan. 4,5; 4,12,2; 4,21,3. Bei Hippolyt wird das römische Reich überdies e r s t m a l s mit dem κατέχον aus II Thess 2,6f identifiziert (4,21,3; vgl. Neumann 1902, S. 46f; Strobel 1961, S. 137-14 0; Vittinghoff 1964, S. 554). Tertullian greift auf II Thess 2,6f im a p o l o g e ticum o f f e n b a r noch nicht zurück (so mit Strobel 1961, S. 132-135; Vittinghoff 1964, S. 554, Anm. 2; vgl. auch nat. 2,17,18f; apol. 26,1), wohl aber in r e s . cam. 24,17f: "'Et nunc quid teneat scitis, ad reuelandum eum [sc. antichristumü in suo tempore. Iam enim a r c a n u m iniquitatls agitatur; tantum qui nunc tenet [teneat], donec de medio fiat' [II Thess 2,6f3, quis, nisi Romanus s t a t u s , cuius a b s c e s s i o in decern reges d i s p e r s a antichristum superducet?" (CChr.SL 2,952,44-48; vgl. dazu Strobel 1961, S. 135-140). Auch Justin kennt die Theorie von der Verzögerung des Weltendes (noch ohne politische Deutung!), b e g r ü n d e t sie aber damit, daß dies im Interesse der Menschen geschehe, denen somit noch die Gelegenheit zur Bekehrung gegeben

- 452 Tertullian ist der erste Autor bei dem diese unterschiedlichen Traditionen in apologetischer Absicht gebündelt werden. 44 Dabei wird die ursprüngliche Intention des apokalyptischen Schemas von ihm stark verschoben: Sein Ziel ist es nicht, die bedrückenden politischen Verhältnisse der Gegenwart innerhalb des Ablaufes der Endereignisse zu verorten und so in ihrer Vorläufigkeit sichtbar zu machen, sondern nachzuweisen, daß die Christen den Staat respektieren. Durch die Aufnahme des Verzögerungsmotivs wird zwar die Roma aeteraa-Ideologie in bemerkenswerter Weise relativiert, indem das römische Reich nur als ein (von Gott allerdings gebilligter) Notbehelf angesehen wird; faktisch gerät damit aber die Konzeption einer Staatskirche in den Bereich des Denkbaren, und zwar dann, wenn der Akzent auf den Loyalitätsgedanken gelegt wird und dessen Begründung, die Parusieerwartung, weiter zurücktritt. 43 Genau dies ist aber bei anderen Autoren der Fall, wobei, wie wir gleich sehen werden, die Entwicklung im griechischsprachigen Bereich schon weiter fortgeschritten ist.

3. 3. 2. Die Ausbreitung des Christentums anhand von Selbstaussagen Eine zweite Gruppe von Zeugnissen, die für die Ausbildung des Gedankens vom politischen Fortschritt wichtig ist, bezieht sich auf die große Zahl der Christen. Adolf von Harnack hat sie nahezu vollständig zusammengestellt, allerdings lediglich auf ihren historischen Wert hin untersucht, ohne sie für die uns interessierende Fragestellung nach dem Selbstbewußtsein der Christen auszuwerten. 46 Darunter fällt eine Gruppe

werde (1 apol. 28, I f ; dial. 39,2). A n anderer Stelle erklärt er die Verzögerung damit, daß die Z a h l d e r G e r e c h t e n erst v o l l werden m ü s s e (45,1; v g l . a u c h 2 apol. 7,1; z u m j ü d i s c h e n H i n t e r g r u n d dieser V o r s t e l l u n g e n v g l . M a r r o u 1951, S. 153F; S t r o b e l 1961, S. 121-125). D o c h b r a u c h t u n s d a s hier nicht w e i t e r zu i n t e r e s s i e r e n , d e n n u n s g e h t es j a u m d a s G e b e t f ü r d e n S t a a t . D a v o n ist j e d o c h w e d e r in res. cam. n o c h b e i Justin in d i e s e m Z u s a m m e n h a n g die R e d e . **

Vgl.

45

E s s o l l t e a b e r b e t o n t w e r d e n , d a ß T e r t u l l i a n selbst keineswegs "die V e r w i r k l i c h u n g eines römischen Reiches christlicher Prägung in d e r Z u k u n f t e r h o f f t e " (R. K l e i n 1968, S . 4 7 ; k u r s i v i m O r i g i n a l ) . Klein m u ß d a z u apol. 21,24 g e w a l t s a m i m S i n n e s e i n e r T h e o r i e u m i n t e r p r e t i e r e n ( S . 4 6 f ) . R i c h t i g n a c h w i e v o r W a l t z i n g 1919, ζ . St.: "Terttull i e n ] et l e s c h r £ t i e n s d e s o n t e m p s n e p o u v a i e n t p a s e n c o r e s e f a i r e ά l'id£e d'un E m p i r e r o m a i n c h r i t i e n . A u s s i se tenaient-ils loin d e s a f f a i r e s p u b l i q u e s , t o u t e n £tant d e l o y a u x s u j e t s . " F e r n e r v o n C a m p e n h a u s e n 1960(1978), S. 19f. V g l . d a z u a u c h u n t e n A n m . 106.

auch

R. K l e i n

1968, S.

26-48.

46

Vgl. Harnack, Mission, g e n S . 552 u n d 559.

1924,

II,

S.

S29-552.

Vgl.

aber

die

Bemerkun-

- 453 von Zeugnissen auf, die hauptsächlich der apologetischen, antipaganen Literatur entstammt. Sie zielt darauf ab, die Wahrheit der christlichen "Philosophie" anhand ihres E r f o l g e s zu beweisen. 4 7 Seine W u r z e l n hat dieser E r f o l g s b e w e i s vermutlich im Bewußtsein von der Universalität der christlichen Mission im Neuen Testament, vor allem bei Paulus, und den Apostolischen Vätern.· 18 Diese Äußerungen dienen jedoch noch nicht d e m Zweck der Legitimation und Definition gegen akute Bedrohung von außen. Im übrigen sind sie (im Unterschied zu manchen späteren Quellen) ganz unpolitischer Natur. Die Weiterentwicklung des missionarischen Sendungsbewußtseins zu einem E r f o l g s b e w e i s wird f ü r uns erstmals in der ersten H ä l f t e des zweiten Jahrhunderts 49 im sogenannten zweiten Clemensbrief greifbar, dessen V e r f a s s e r in Polemik vermutlich gegen Juden unter Anspielung auf Jes 54,1 feststellt: "Unser V o l k schien ja von Gott verlassen zu sein, jetzt aber, da wir den Glauben e r g r i f f e n haben, sind wir mehr g e w o r d e n als diejenigen, die Gott zu haben meinen" (2,3). 50 Das dient hier noch in erster Linie der innerkirchlichen Paränese. Anders ist dies schon bei Justin, der Jes 2,3f ( = M i 4,2f) 5 1 folgendermaßen kommentiert: "Denn von Jerusalem sind Männer, z w ö l f an der Zahl, hinausgegangen in die W e l t . Sie waren einfache Leute, die nicht (gebildet) reden konnten; doch durch die Macht Gottes machten sie allen Menschengeschlechtern bekannt, daß sie von Christus ausgesandt worden waren, um alle das W o r t Gottes zu lehren. Und wir, die wir früher einander umgebracht haben, führen nicht nur gegen unsere Feinde keinen Krieg mehr, sondern um

47

Eine andere Möglichkeit war daneben der Martyriumsbeweis: Die W a h r h e i t d e s C h r i s t e n t u m s läßt sich an d e r B e r e i t w i l l i g k e i t , d a f ü r zu s t e r b e n , e r k e n n e n . S o ζ . B . i n l u s t . , 1 apol. 11,4; A t h e n . , suppl. 3 , 2 ; C y p r . , a d Demetr. 17.

48

V g l . dazu vgl. Philo,

49

Zur Datierung

30

Z u m griechischen W e n g s t 1984.

51

Έ χ Ύ ° φ Σίω·υ έ ξ ε λ ε ύ σ ε τ α ι ν ό μ ο ς κ α ι λ ό γ ο ς κυρίου εξ Ίερουσαημ. κ α ι κρινεΤ ά ν ά μέσον τ ω ν έ θ ν ω ν κ α ι έΧέγξει λ α ό ν π ο λ ύ ν , κ α ι συγκόψουσιν τ ά ς μ α χ α ί ρ α ς α ΰ τ ω ν ε£ς α ρ ο τ ρ α κ α ι τ ά ς ζ ι β ύ ν α ς α ϋ τ ώ ν ε ι ς δ ρ έ π α ν α , κ α ι ού Χήμφεται ¥τι ^ θ ν ο ς έπ* έ'θ-νος μάχαιραν, κ α ι ο ύ μή μ ά θ - ω σ ι ν £ τ ι π ο λ ε μ ε Τ ν . Z u r R e z e p t i o n s g e s c h i c h t e d i e s e s V e r s e s v g l . B o r r e t 1967-76, III, S. 9 8 , A n m . 1 m i t w e i t e r e r L i t e r a t u r .

H a r n a c k s Z e u g n i s s e N r . 1 - 9 , 11. Z u j ü d i s c h e n d e v i t a Moys. 2 , 4 , 1 7 - 2 0 ; l o s . , c . Ap. 2 , 2 8 2 - 2 8 6 . vgl. Wengst Text

Vorläufern

1984, S. 227f.

vgl. oben

S . 172, A n m . 4 01.

Ubersetzung

nach

- 4S4 die, die uns verhören, nicht zu belügen noch zu täuschen, sterben wir gerne, wobei wir Christus preisen" U apol. 39,3). 5 2 Hier wird der Mission an alle Völker eine praktisch-politische Bedeutung zugeschrieben: Das christliche Gebot der Feindesliebe führt, sofern allen gepredigt, zu sozialer Stabilität (Mission = pax). Irenäus wertet das Prophetenwort antignostisch als Beweis für die Einheit von altem und neuem Testament aus. Die Tatsache, daß das, was von den Propheten vorausgesagt wurde (in Irenäus' Interpretation: Aussendung des Wortes aus Jerusalem Missionserfolg universaler Friede), auch tatsächlich eingetroffen sei, beweise, daß sich hier der eine Schöpfergott offenbart habe (haer. 4,34,4). Etwas später arbeitet er den Erfolgsbeweis in seine Auslegung des Gleichnisses von den bösen Winzern (Mt 21,33-43) ein. Sie wird von ihm so zum heilsgeschichtlichen Panorama ausgestaltet (4,36,lf). Bei der Auslegung des Gleichnisschlusses erweitert Irenäus den Heilsfortschritt um eine numerische Dimension: "Deswegen hat Gott der Herr den Weinberg, der nun nicht mehr umfriedet, sondern in die ganze Welt hinein ausgedehnt war, anderen Bauern gegeben, die zu gegebener Zeit die Früchte abliefern. Der Turm der Erwählung ist überall hoch und prächtig; denn überall glänzt die Kirche. Und überall ist eine ringförmig ausgehobene Kelter; denn es gibt überall (Menschen), die den Geist empfangen" (4,36,2). 53

32

"Από γ α ρ 'Ιερουσαλήμ άίνδρες δ ε κ α δ ύ ο τον αριθμών έ ξ ΐ ΐ λ θ σ ν ε ι ς τών κ ό σ μ ο ν , κ α ί οΰται ί δ ι ώ τ α ι , λαλεΤν μή δ υ ν ά μ ε ν ο ι , δι,ά δέ Θ ε ο υ δ υ ν ά μ ε ω ς έμήνυσαν π α ν τ ι γ έ ν ε ι α ν θ ρ ώ π ω ν ώ ς α π ε σ τ ά λ η σ α ν Οπό τ ο υ Χ ρ ί σ τ ο υ διδάξαι π ά ν τ α ς τών τ ο υ Θ ε ο υ λ ό γ ο ν * κ α ι οΕ π ά λ α ι ά λ λ η λ ο φ σ ν τ α ι ου μόνον ού πολεμοΟμεν τ ο ϋ ς ε χ θ ρ ο ύ ς , ά λ λ ' ϋ π έ ρ τ ο υ μηδέ ψ ε υ δ ε σ θ α ι μηδ" έ ξ α π α ρ τ ϊ ϊ σ α ι τ ο υ ς έξετάζοντας, ήδέως άμολογαυντες τον Χριστών άποθησκομεν (Wart e l l e 1 4 8 , 6 - 1 5 0 , 1 2 ) . V g l . a u c h 4 2 , 4 ; dial. 3 9 , 2 ; 1 1 0 , 2 f ; 1 1 7 , 5 ; 1 2 1 , I f ; 131. W e i t e r e B e l e g e b e i H a r n a c k , N r . 12.

53

" Q u a p r o p t e r tradidit earn [ s c . v i n e a m l D o m i n u s Deus, non j a m circ u m v a l l a t a m s e d e x p a n s a m in u n i v e r s u m m u n d u m , a l i i s c o l o n i s r e d dentibus fructus temporibus suis, turre electionis exaltata ubique et speciosa, ubique enim praeclara est Ecclesia; et ubique c i r c u m f o s s u m torcular, ubique enim sunt qui suscipiunt Spiritum" (Rousseau 884,71-886,75). Vgl. auch 2,32,4, w o e b e n f a l l s die V e r b r e i t u n g des C h r i s t e n t u m s a l s m o r a l i s c h s e g e n s r e i c h a n g e s e h e n w i r d : Ο ύ κ Ι'οτ L\J αριθμών είπεΤν τ ω ν χ α ρ ι σ μ ά τ ω ν ών κ α τ ά π α ν τ ό ς τ ο υ κ ό σ μ ο υ ή Έ κ κ λ η σ Ε α , π α ρ ά Θεοΐί λ α β ο υ σ α , έν τ φ ό ν ό μ α τ ι Ί η σ ο Ο Χ ρ ι σ τ ο Ο τοΟ σ τ α υ ρ ω θ έ ν τ ο ς έπί Π ο ν τ ί ο υ Π ι λ ά τ ο υ έ κ ά σ τ η ς ή μ έ ρ α ς έπ' εύεργεσίηί τ ω ν έθν£5ν έ π ι τ ε λ ε ΐ , μήτε έ ξ α π α τ ω σ ά τ ι ν α μήτε έ ξ α ρ γ υ ρ ι ζ ο μ έ ν η - ώ ς γ α ρ δ ω ρ ε ά ν εΓληφεν π α ρ ά θεοί), δωρεάν και διακονεί (R. 3 4 1 , 1 6 - 3 4 3 , 2 2 ) . F e r n e r 1,10,2; 3 , 4 , I f ; 3,11,8; 5 , 2 0 , 1 ( d o r t e i n g e b a u t in d e n T r a d i t i o n s b e w e i s ) .

- 45S Damit wird aber der E r f o l g s b e w e i s erstmals konsequent mit dem in Kapitel 3. 1. dargestellten heilsgeschichtlichen Fortschrittsmodell verbunden. Diese geradezu triumphalistische Argumentation, die den E r f o l g des Christentums voraussetzt, wird verständlich vor dem zeitgeschichtlichen Hintergrund, vor dem Irenaus sein antihäretisches Werk verfaßt. Eusebius beschreibt die Regierungszeit des Kaisers C o m m o d u s (180-192) als eine Zeit des Friedens für die Kirche, in der d a s Christentum gerade auch in höchsten römischen Kreisen an Einfluß gewann. S 4 Von C a s s i u s Dio wissen wir, daß die kaiserliche Konkubine Marcia den christlichen Presbyter Hyacinthus zum Lehrer hatte und Kontakte zur römischen Kirche p f l e g t e . 5 S Ferner bewegte sie Commodus dazu, eine Amnestie auszusprechen für die Christen, die in den Bergwerken Siziliens Zwangsarbeit verrichten mußten. 5 6 Noch gegen Ende der Herrschaft des Commodus kann ein unbekannter Autor davon sprechen, daß die Welt ohne Kriege sei, j a daß s o g a r die Christen durch Gottes Erbarmen dauernden Frieden g e n ö s s e n . 5 7 Grundsätzlicher noch drückt sich der V e r f a s s e r des Briefes an Diognet aus: Nach einer Darlegung der christlichen Ethik unter besonderer Betonung der Feindesliebe kommt er zu folgender Feststellung: "Um es aber kurz zu sagen: Genau das, was im Leib die Seele ist, das sind in der Welt die Christen. Durch alle Glieder des Leibes hin ist die Seele verteilt, und die Christen sind e s über die Städte der Welt. [...] Die Seele ist zwar im Leib einges c h l o s s e n , sie aber hält den Leib zusammen. Auch die Christen werden zwar in der Welt wie in einem Gefängnis festgehalten, sie halten aber die Welt zusammen" (6,lf.7). 5 8

3 4

s s

V g l . E u s . , h. e. 5 , 2 1 , 1 , d e r a l l e r d i n g s m ö g l i c h e r w e i s e s e i n e r s e i t s auf I r e n . , haer. 4,30,1.3 b a s i e r t . V g l . f e r n e r K e r e s z t e s 1979, S . 304-308; B a u s 1 9 8 5 , S . 191f. V g l . H i p p o l . , r e f . 9,12,10-12; C a s s i u s D i o 7 2 , 4 , 6 f .

56

Vgl.

57

Vgl. den Anon. bei d a z u S p e i g l 1970, S.

Hippol.,

r e f . 9,11,12.

s a

Ά π λ Ω ς St ε Ι π ε Τ ν 8 π ε ρ έ σ τ ΐ ν έν σώματι ψ υ χ ή , τοϋτ' ε ί σ ΐ ν έν κόαμψ Χ ρ ι σ τ ι α ν ο ί , έ'σπαρται κατά π ά ν τ ω ν των του σώματος μ ε λ ώ ν ή ψυχή- κ α ι Χριστιανοί κατά τάς τοΰ κόσμου πόλεις. [...] έ γ κ έ κ λ ε ι σ τ α ι μέν ή ψυχή τ φ σ ώ μ α τ ι , σ υ ν έ χ ε ι 51 αΟτή τ ό σ ω μ α · κ α ϊ Χ ρ ι σ τ ι α ν ο ί κ α τ έ χ ο ν τ α ι μ έ ν ώ ς έν φ ρ ο υ ρ ά τ φ κ ό σ μ ψ , α ύ τ ο ϊ Si σ υ ν έ χ ο υ σ ι ν τόν κ ό σ μ ο ν ( W e n g s t 3 2 0 - 3 2 2 ; Ü b e r s e t z u n g nach W e n g s t 1984). Vgl. d a z u C l e m . A l e x . , quis dlv. salv. 3 6 , 3 : κ α ι π ά ν τ α , μ έ χ ρ ι ς δ ν έ ν τ α υ Ο α τ ό σ π έ ρ μ α μέν^], σ υ ν έ χ ε τ α ι , κ α ι συναχθέντος αύτοΰ πάντα τάχιστα λυθήσεται. Dazu Marrou 1951, S. 158-161 u n d f e r n e r u n t e n A n m . 130.

Eus., 244f.

h.

e.

5,16,19.

Vgl.

auch

Iren.,

haer.

4,30,3;

- 456 Hier wird den Christen eine Funktion zugeschrieben, die in der paganen Philosophie Gott bzw. dem göttlichen πνεύμα vorbehalten ist!S9 Bei Tertullian nimmt dieser "Erfolgsbeweis" einen breiten Raum ein. Er ist auch der erste, der dem Staat mit der großen Menge der Christen droht:60 Wenn man sich die Verbreitung der Christen in der Stadt und auf dem Land sowie in allen Bevölkerungsschichten ansehe, müßten doch auch dem größten Christenhasser Zweifel an der Berechtigung dieses Hasses kommen (apol. l,6f). 61 Die Loyalität der Christen gegenüber dem Staat lasse sich schon daran erkennen, daß sie sich trotz ihrer Übermacht friedlich verhielten: "Gestern sind wir erschienen, und schon haben wir alles, was euer ist, überflutet, Städte und Inseln, Garnisonen, Gemeinden, Ortschaften, ja Heerlager, Stadtbezirke und Dekurien, Palast, Senat und Forum; gelassen haben wir euch einzig und allein die Tempel" (37,4).62 Noch ausführlicher wird dieser Erfolgsbeweis in der Schrift gegen die Juden ausgestaltet. Die alttestamentlichen Prophezeiungen wie Jes 45,1 und Ps 19(18) ,5 seien in Christus erfüllt worden, denn "an wen sonst haben alle Heidenvölker geglaubt als an den Christus, der bereits gekommen ist? An wen haben denn die Völker geglaubt, 'die Parther, Meder und Elamiter, die Bewohner von Mesopotamien, Armenien, Phrygien, Kappadozien, die Siedler in Pontus, Asien und Pamphylien, die, die sich in Ägypten aufhalten und den Teil Afrikas jenseits der Cyrene bewohnen, römische und nichtrömische Bürger' [Act 2,9-11], da-

59

Vgl.

60

Ob man daraus aber Schlüsse ü b e r die Verbreitung der Christen z i e h e n k a n n , w i e e s o f f e n b a r H a r n a c k (1924, I, S. 273, A n m . 1) tut, s c h e i n t m i r d o c h e h e r z w e i f e l h a f t . V g l . n ä m l i c h nat. 1,1,2.6, w o T e r t u l l i a n n u r v o m adolescens numerus Christianorum spricht!

Marrou

1951, S. 137-176 s o w i e

Wengst

1984, S.

346.

61

T e r t u l l i a n s p i e l t h i e r d e u t l i c h a u f P l i n . m i n . , e p . 10,96,9 a n ( v g l . a u c h 2 , 6 f ; f e r n e r ad Scap. 5,2). D i e A r g u m e n t a t i o n ä h n e l t a n s o n s t e n s t a r k l o s . , c. A p . 2 , 2 8 2 - 2 8 6 .

62

" H e s t e r n i s u m u s , et v e s t r a o m n i a i m p l e v i m u s , u r b e s i n s u l a s castella municipia conciliabula castra ipsa tribus decurias palatium senatum f o r u m ; s o l a v o b i s r e l i q u i m u s t e m p l a " ( B e c k e r 178; Ü b e r s e t z u n g nach B e c k e r 1961). V g l . a u c h ad Scap. 2,10: " E t u t i q u e e x d i c i p l i n a p a t i e n t i ae d i u i n a e a g e r e n o s , satis m a n i f e s t u m e s s e u o b i s p o t e s t , c u m tanta h o m i n u m m u l t i t u d o , p a r s p a e n e m a i o r ciuitatis c u i u s q u e , in s i l e n t i o et m o d e s t i a a g i m u s ... " ( C C h r . S L 11,1128,41-44). F e r n e r 5,2; nat. 1,8,9 ( " V e r u m recogitate, ne q u o s tertium g e n u s dicitis, p r i n c i p e m locum optineant, s i q u i d e m non u l l a gens no η Christiana" [ S c h n e i d e r 783); an. 49,3 u. ö . V g l . S c h n e i d e r 1968, S. 116.

- 4S7 mals sogar in Jerusalem die Juden und die übrigen Völker wie die verschiedenen Stämme der Gätuler, die vielen Gebiete der Mauren, alle Grenzmarken Spaniens, die unterschiedlichen Völkerschaften Galliens, die von den Römern unbetretenen, Christus aber unterworfenen Landstriche der Britannier, Sarmaten, Daker, Germanen, Skythen, der vielen abgelegenen Völker, Provinzen und zahlreichen Inseln, die uns unbekannt sind und die wir aufzuzählen nicht vermögen? An allen diesen Orten regiert der Name Christi, der schon gekommen ist, da vor ihm die Tore aller Städte sich öffneten und keines verschlossen blieb, vor ihm die eisernen Riegel zersprangen und die ehernen Torflügel sich öffneten" (7,4 f). 6 3 Alle irdischen Königreiche seien auf bestimmte Territorien begrenzt gewesen, sogar das der Römer (7,7f). "Christi Name aber verbreitet sich überall, an ihn wird überall geglaubt; er wird von allen oben aufgezählten Völkern verehrt; er herrscht überall, wird überall angebetet und allen in gleicher Weise zuteil" (7,9). 64 Im Westen wird diese Linie dann von Minucius Felix und Cyprian fortgesetzt. Für Minucius ist die schnelle Ausbreitung auf die Sittlichkeit der Christen zurückzuführen. 6 5 Und Cyprian führt in seiner Testimoniensammlung Jes 2,2-4 und Ps 24 (23),3-6 als Belege für die eschatologi-

63

"In quem alium universae gentes crediderunt nisi in Christum qui iam venit? cui etenim crediderunt genes, 'Parthi et Medi et Elamitae et qui habitant Mesopotamiam Armeniam Phrygiam Cappadociam, incolentes Pontum et Asiam Pamphyliam, immorantes Aegypto et regiones Africae quae est t r a n s Cyrenen inhabitantes, Romani et incolae' [Act 2,9-11], tunc et in Hierusalem Iudaei et ceterae gentes, ut iam Gaetulorum varietates et Maurorum multi fines, Hispaniarum omnes termini et Galliarum diversae nationes et Britannorum inaccessa Romanis loca Christo vero subdita et Sarmatarum et Dacorum et Germanorum et Scytharum et abditarum multarum gentium et provinciarum et i n s u l a r u m m u l t a r u m nobis ignotarum et quae enumerare minus poss u m u s ? in quibus omnibus locis Christi nomen qui iam venit regnat, utpote ante quem omnium civitatium portae sunt apertae et cui nullae sunt clausae, abante quem ferreae serae sunt comminutae et valvae aereae sunt apertae" (Tränkle 14,1-13; Übersetzung nach BKV2, verändert).

64

"Christi autem nomen ubique porrigitur, ubique creditur, ab omnibus gentibus s u p r a enumeratis colitur, ubique regnat, ubique adoratur; omnibus ubique tribuitur aequaliter" (Tränkle 15,6-8). Vgl. auch 14,12.

65

"Et quod in dies nostri numerus augetur, no η est crimen e r r o r i s , sed testimonium laudis; nam in p u l c h r o genere vivendi et praestanti et perseverat s u u s et adcrescit alienus" (Oct. 31,7 CKytzler 30,15-173).

4S8 sehe Wallfahrt der Völker zum Zion an, die in diesem Zusammenhang natürlich auf die Ausbreitung des Christentums zu beziehen ist. 6 6 Im Osten greift Clemens von Alexandrien den T o p o s auf: Der Vergleich der christlichen mit der griechischen Philosophie falle deutlich zuungunsten letzterer aus, denn: ... die Lehre unseres Meisters blieb nicht nur in J u d ä a wie die Philosophie in Griechenland, sondern breitete sich über die ganze bewohnte Erde aus und gewann für sich unter Griechen e b e n s o wie unter Barbaren in jedem Volk, in jedem Bezirk und in jeder Stadt ganze Familien und jeden einzelnen der Hörer und bekehrte bereits auch nicht wenige von den Philosophen s e l b s t zur Wahrheit" (ström. 6,167,3). 67 Aus den angeführten Quellen läßt sich erkennen, daß der " E r f o l g s beweis" mehr über das steigende Selbstbewußtsein der Christen a u s s a g t als über die tatsächliche Zahl der Christen. 6 8 Die Ausbreitung des Evangeliums wird von ihnen als ursächlich angesehen für die pax Romana. Die Macht des Evangeliums läßt sich auch empirisch dingfest machen.

66

Test. 2,18: " Q u o d in n o u i s s i m i s t e m p o r i b u s s u p e r q u e m g e n t e s u e n i r e n t et in q u e m ( C C h r . S L 3,54,1-3).

idem mons manifestaretur, iusti quique ascenderent"

67

Ό δέ γ ε τ ο υ δ ι δ α σ κ ά λ ο υ τ ο υ ή μ ε τ έ ρ ο υ λ ό γ ο ς ο ϋ κ έ'μει,νεν έ ν Ί ο υ δ α ί η : μόντ[), κα-θ-άπερ έ ν τφ ' Ε λ λ ά δ ι ή φ ι λ ο σ ο φ ί α , έ χ ύ Φ η δέ ά ν ά π α α α υ τήν οίκουμένην πείθων Ελλήνων τε όμοΰ κ α ι β α ρ β ά ρ ω ν κατά έ'θνος και κ ώ μ η ν κ α ι τ τ ό λ ι ν π α σ α ν ο Γ κ ο υ ς δ λ ο υ ς κ α ι tSiqc Ι ' κ α σ τ ο ν τ ω ν έ π α κ η κ ο ό τ ω ν και αϋτων γε των φιλοσόφων ουκ όλίγους ηδη £πϊ την άλήΟειαν μεθιστάς ( S t ä h l i n / F r ü c h t e l 518,4-9; U b e r s e t z u n g n a c h B K V 2 ) . V g l . a u c h B i e r b a u m 1953, S . 7 6 f .

68

Ein negatives Korrelat hierzu scheint die Nachricht über die s c h n e l l e A u s b r e i t u n g v o n H ä r e t i k e r n z u s e i n (zu M a r c i o n v g l . ζ. B. l u s t . , 1 apol. 2 6 , 5 ; 5 8 , 2 ; a l l g e m e i n I r e n . , haer. 4 pr. 4). V g l . a u c h Plin. min., ep. 10,96,9: " M u l t i e n i m o m n i s aetatis, o m n i s o r d i n i s , u t r i u s q u e s e x u s e t i a m u o c a n t u r in p e r i c u l u m et u o c a b u n t u r . N e q u e c i u i t a t e s tantum, sed uicos etiam atque agros superstitionis istius contagio peruagata est" (Mynors 339,20-23). Ferner der Christengegner Caecilius bei M i n u c i u s F e l i x (Oct. 9,1): " A c i a m , ut f e c u n d i u s nequiora proveniu n t , s e r p e n t i b u s in d i e s p e r d i t i s m o r i b u s p e r u n i v e r s u m o r b e m s a c r a r i a i s t a t a e t e r r i m a i n p i a e c o i t i o n i s a d o l e s c u n t " ( K y t z l e r 7,9-11). Auch diesen Angaben darf keine historische Zuverlässigkeit zugemessen w e r d e n ; s i e g e h ö r e n in d e n B e r e i c h r h e t o r i s c h e r υ π ε ρ β ο λ ή .

459 3. 3. 3. Das Christentum als Förderer des Staates Von dem im wesentlichen aus der jüdischen Tradition adaptierten Loyalitätsbeweis, wie er im vorigen Abschnitt dargestellt wurde, ist die Vorstellung zu unterscheiden, die Wohlfahrt des römischen Staates sei eine unmittelbare Folge des Aufstieges des Christentums. 69 Auch dieser Gedanke klingt schon gelegentlich im hellenistischen Judentum an.70 Er wird von der Apologetik des zweiten Jahrhunderts entwickelt, um den Vorwurf von paganer Seite, die Christen gefährdeten durch ihre Gottlosigkeit den Bestand des Staates, abzuwehren. Vorbereitet wird er einerseits durch die erweiterte Fassung des Loyalitätsbeweises (Athenagoras: die Christen sind nicht einfach nur loyal, sondern tragen durch ihre Gebete zur Mehrung der staatlichen Macht bei). Auf der anderen Seite wird nun — ebenfalls in der Apologetik — darauf hingewiesen, daß Inkarnation und die Entstehung des Prinzipats zeitlich zusammenfielen. In der älteren Tradition wird aus dieser Koinzidenz noch nicht notwendig ein providentieller Zusammenhang abgeleitet. 71 Doch schon Justin stellt zwischen beiden Ereignissen eine innere Verbindung her. Er sieht in der Eroberung Judäas durch die Römer einen Beweis für die Wahrheit der Weissagung in Gen 49,10 ("Kein Herrscher aus Juda noch ein Führer aus seinen Lenden wird fehlen, bis der kommt, dem [die Herrschaft] vorbehalten ist" 72 ) die er gleichzeitig politisch und theologisch auslegt: Der Beginn der römischen Okkupation fiel mit der Inkarnation zusammen. Die Messianität Jesu ist durch das Ende der politischen Selbständigkeit der Juden erwiesen ( i apol. 32,3f; vgl. 63,16). Justin ist es auch, bei dem erstmals der Gedanke auftaucht, durch ihre Predigt vom eschatologischen Strafgericht trügen die Christen aktiv zur Hebung der Moral und damit zum Frieden bei. 73 Theophilus von Antiochien bemerkt einige Zeit

69

Z u m Folgenden vgl. Harnack, Mission, 1935, S . 7 0 f ; M a r r o u 1951, S . 155-166.

70

V g l . ζ . B. P h i l o , v i t . Mos. 2 , 4 4 : E t 8έ γ έ ν ο ι τ ό τ ι ς ά ι ρ ο ρ μ ή π ρ ό ς τ ό λ α μ π ρ ό τ ε ρ ο υ , π ό σ η ν ε Ι κ ό ς έ π ί δ ο α ι ν γ ε ν ή σ ε σ θ α ι ; κ α τ α λ ι π ό ν τ α ς SM οΓμαι τ ά Ι'δια κ α ι π ο λ λ ά χ α ι ρ ε ι ν φ ρ ά σ α ν τ α ς τ ο Τ ς π α τ ρ £ σ ι ς έ κ α σ τ ο υ ς μ ε τ α β α λ ε Τ ν έ π ί τήν τ ο ύ τ ω ν μ ό ν ω ν τ ι μ ή ν εύτυχίιγ γ α ρ τ ο Ο έ θ ν ο υ ς o l νόμοι συναναλάμψ α ν τ ε ς ά μ α υ ρ ώ σ ο υ σ ι τ ο υ ς Κ λ λ ο υ ς καθ-άπερ ά ν α τ ε £ λ α ς ^ λ ι ο ς τ ο υ ς Α σ τ έ ρ α ς ( A r n a l d e z e t c . 210; f r e u n d l i c h e r H i n w e i s v o n D a v i d T . R u n i a ) . V g l . a u c h M e n d e l s o n 1 9 8 8 , S . 128-138.

71

L k 2,1 i s t a n s c h e i n e n d n u r Z e i t a n g a b e ( a n d e r s I, S . 2 7 5 ) . F e r n e r T e r t . , apol. 5,2; 21,24.

72

Ich

73

' Α ρ ω γ ο ί δ' ΰμΤν κ α ι σ ύ μ μ α χ ο ι π ρ ό ς ε ί ρ ή ν η ν έ σ μ έ ν π ά ν τ ω ν μ ά λ λ ο ν ανθρώπ ω ν , οΤ τ α ύ τ α δοξάζομεν, ώ ς λαθ-εΤν Θ ε ό ν κακοεργόν ί] π λ ε ο ν έ κ τ η ν έ π £ 3 ο υ λ ο ν ij έ ν ά ρ ε τ ο ν α δ ύ ν α τ ο ν ε ί ν α ι , κ α ϊ έ ' κ α σ τ ο ν έ π ' α ί ω ν ί α ν κ ό λ α α ι ν ?ί σ ω τ η ρ ί α ν κ α τ ' ά ξ ί α ν τ ω ν π ρ ά ξ ε ω ν π ο ρ ε ύ ε σ θ α ι ( ί apol. 12,1 C W a r t e l l e

folge

d e m justinischen

1924,

I, S. 276-278;

Harnack,

Peterson

Mission,

1924,

Text.

- 460 später, die Römer seien mächtig geworden, "weil Gott sie stark" gemacht habe. 74 Das ist anders bei Melito von Sardes, der kurz zuvor, im Jahre 170, die Linie vom heilsgeschichtlichen zum politischen Fortschritt erstmals voll ausgezogen hatte.75 Leider ist uns Melitos Apologie an Marcus Aurelius nur fragmentarisch erhalten. 76 Trotzdem läßt sich ihr Ziel noch gut erkennen: 77 Dem Petenten geht es darum, den Kaiser dazu zu bewegen, die juristische Grundlage der "neuen Erlasse" (καινά δόγματα), die den Christen in Asien das Leben schwer machen, zu überprüfen. Melitos optimistische Bewertung der Geschichte ist dabei eingebunden in den Loyalitätsbeweis. Die christliche Lehre ist die Ursache des Aufstiegs des Prinzipats: "Unsere Philosophie stand zunächst bei den Barbaren in Ansehen, zeigte sich dann aber unter der ruhmreichen Regierung deines Vorgängers Augustus deinen Völkern in voller Blüte und brachte vor allem deiner Regierung Glück und Segen. Von da ab nämlich erhob sich die römische Macht zu Größe und Glanz. Ihr ersehnter Herrscher bist du und wirst du sein mit deinem Sohne, der du diese Lehre, welche zugleich mit dem Reiche groß geworden ist, mit Augustus ihren Anfang genommen hatte und von deinen Vorfahren wie die übrigen Religionen geachtet wurde, beschützest. Daß unsere Lehre zugleich mit dem Reiche, das glücklich begonnen hatte, zu dessen Wohle erblühte, ergibt sich am deutlichsten daraus, daß ihm von den Zeiten des Augustus an nichts Schlimmes widerfahren ist, daß es im Gegenteil — wie es aller Gebet ist — lauter Glanz und Ruhm geerntet hat." 78 110,1-4). V g l . a u c h 12,4: ' Α λ λ ' έ ο ί κ α τ ε δ ε δ ι έ ν α ι μή π ά ν τ ε ς δ ι κ α ι ο π ρ α γ ή σ ω σ ι , κ α ι ύμεΤς ο υ ς κ ο λ ά ζ η τ ε £'τι οΰχ ^ξετε* δημίων δ* Stv εϊη τ ό τ ο ι ο ύ τ ο ν ^ ρ γ ο ν , α λ λ ' ούκ ά ρ χ ό ν τ ω ν ά γ α Φ ω ν ( W a r t e l l e 110,13-15). V g l . H a r n a c k , M i s s i o n , 1924, I, S. 27S. Z u d i e s e m M o t i v a l l g e m e i n v g l . H u b e r 1983, S. 619f. 74

" Ε κ τ ο τ ε τ{δη οί ' Ρ ω μ α ί ο ι (3,27 [ G r a n t 14 03).

75

Z u r D a t i e r u n g v g l . K i n z i g 1989, S. 297, A n m . 16. V g l . z u m F o l g e n d e n M o m m s e n 19S1, S. 3S7f; H o r n u s 1963, S. 4 3 ; A n d r e s e n 1966, S p . 148-150; M e i n h o l d 1967, I, S. 4 8 ; S p e i g l 1970, S. 213-220; S c h n e e m e l c h e r 1973, S. 265-270; G r a n t 1988, S. 9 4 f ; W i n k e l m a n n 1991, S. 145f. bei Hall

έμεγαλύνοντο

του

θεοΟ

κρατΰνοντος

αυτούς

...

76

Gesammelt

77

V g l . dazu auch K i n z i g

1979, S. 62-64.

78

Ή γαρ καθ' ήμδς φιλοσοφία πρότερον μέν έν βαρβάροις ίίκμασεν, έπανθ-ήσασα δέ ταΤς σοΤς έ'θ-νεσιν κ α τ ά τ η ν Α υ γ ο ύ σ τ ο υ τ ο ΰ σαΰ π ρ ο γ ό ν ο υ μ ε γ ά λ η ν ά ρ χ ή ν , έ γ ε ν ή θ η μ ά Χ ι σ τ α τ^ί o f βασιλεΐςί α ΐ σ ι ο ν άγαβ-όν. έ'κτοτε γ α ρ ε ι ς μ έ γ α κ α ι λ α μ π ρ ό ν τ ό ' Ρ ω μ α ί ω ν ηύξή-9-η κ ρ ά τ ο ς , οδ συ δ ι ά δ ο χ ο ς ε ϋ κ τ α Τ ο ς γ έ γ ο ν ά ς τε κ α ι έ'ση μ ε τ ά τ ο υ π α ι δ ό ς , φ υ λ ά σ α ω ν τ η ς β α σ ι λ ε ί α ς τήν συντροίρον κα L συναρξαμένην Αύγούστψ φιλοσοφίαν, Vjv κ α ι οί π ρ ό γ ο ν ο ι σ ο υ π ρ ό ς ταΤς δίλΧαις θ ρ ^ σ κ ε ί α ι ς έ τ ί μ η σ α ν , κ α ι τ ο ΰ τ ο μ έ γ ι σ τ ο ν

1989, S. 310f.

461

Der Aspekt der kontinuierlichen Verbesserung wird aus den verwendeten Verben deutlich namentlich (συν)άκμάζω, έπανθέω (der Pflanzenphysiologie entnommen 79 ), γίγνομαι, αυξάνω, ferner aus dem Adjektiv σύντροφος. Dabei verdeckt die Formulierung Melitos das entscheidende Legitimationsproblem des Christentums, nämlich seine Neuheit. Der Einleitungssatz klingt so, als sei die christliche "Philosophie" 80 bereits vor Augustus bei den Barbaren "in voller Blüte" (ηκμασεν) gestanden, was sich ja nur auf die Juden beziehen kann.81 Indirekt klingt also hier der Altersbeweis mit an. Doch wird er offenbar nicht dazu benutzt, die Überlegenheit des Christentums aufgrund seines höheren Alters zu erweisen. Vielmehr wird der Altersbeweis mit dem heilsgeschichtlichen Fortschrittsgedanken verbunden: Judentum und Christentum haben — von kleinen Anfängen — ihre segensreichen Wirkungen für die Menschheit in einem allmählichen Prozeß entfaltet. Politischer Fortschritt ist eine unmittelbare Konsequenz aus heilsgeschichtlichem Fortschritt. Melito hat dabei alle Mühe, beide Aspekte des Fortschrittsbegriffes zusammenzudenken: So erweckt er mit der verschwommenen Formulierung έπανθήσασα δέ τοις σοΐς έ'θνεσιν κατά την Αυγούστου ... μεγάλην άρχήν einerseits den Eindruck, als handele es sich lediglich um eine Übertragung dieser Philosophie bzw. dieses Kultes von den Barbaren82 in das römische Reich, wie es im Zuge der Ausdehnung des Reiches häufig geschah. Allerdings wird dieser Ansatz im folgenden nicht lo-

τ ε κ μ ή ρ ι ο ν τ ο ΰ π ρ ο ς ά γ α θ - o u τ ό ν κ α θ ' ή μ δ ς λ ό γ ο ν σ υ ^ α κ μ ά σ α ι τ^ί κ α λ ώ ς άρξαμένη β α σ ι λ ε ί ς , έκ τοΟ μηδέν φαΟλον άπό τ?ϊς Αυγούστου άρχ?ίς ά π α ν τ ή σ α ι , ά λ λ ά τ ο υ ν α ν τ ί ο ν δίπαντα λ α μ π ρ ά και ένδοξα κ α τ ά τ ά ς π ά ν τ ω ν εΰχάς (frg. 1 [Hall 62,20-64,31] = Eus., h. e . 4 , 2 6 , 7 f ) . Übersetzung n a c h K r a f t 1984; v e r ä n d e r t . D a v o n h ä n g t o f f e n b a r S i b 12,30-34 ab: άΧλ- ώπόταν αστήρ π α ν ε ί κ ε λ ο ς ήμελοίο / / λαμπρός άπ' ο ύ ρ α ν ό θ ε ν προφ α ν ή έ ν ί ίίμασι μ έ σ σ ο ι ς , / / κ α ι τ ό τ ε δή κ ρ ύ φ ι ο ς Ι ί ξ ε ι λ ό γ ο ς Ύ ψ ί σ τ ο ι ο // σ ά ρ κ α φέρω-υ Φ ν η τ ο Τ σ ι ν ό μ ο ί ι ο ν - ά λ λ α σ υ ν α ϋ τ φ / / α υ ξ ή σ ε ι τ ο κράτος ' Ρ ώ μ η ς κ λ ε ι ν ώ ν τε Λ α τ ί ν ω ν ( G e f f c k e n 190,30-34). 79

D i e M e t a p h o r i k i s t s t o i s c h ; v g l . V e r b e k e 1964, S . 2 5 6 - 2 5 8 m i t A n m . 95. F e r n e r o b e n S . 2 7 0 .

80

A u c h die a u f f ä l l i g e V e r m e i d u n g des W o r t e s Χριστιανός und die Bezeichnung der christlichen Lehre als " P h i l o s o p h i e " erklärt sich aus d e m apologetischen Zusammenhang: Die V e r w e n d u n g des Christennam e n s w ü r d e eine unnötige Distanz z u m Judentum h e r s t e l l e n und so den Altersbeweis erschweren. Der Gebrauch von φιλοσοφία ergab sich aus d e m s t o i s c h e n S e l b s t v e r s t ä n d n i s d e s K a i s e r s ( v g l . d a z u Spanneut 1957, S . 4 2 8 f m i t P a r a l l e l e n ) .

81

Vgl.

82

M ö g l i c h e r w e i s e spielt M e l i t o hier auf die "Wertschätzung der "unverb i l d e t e n " B a r b a r e n in r ö m i s c h e n K r e i s e n an. V g l . d a z u Jax/Thraede 1962, S p . 1 2 5 1 f f ; f e r n e r A n d r e s e n 195S, S . 2 4 8 ; S p e y e r / O p e l t 1967, S . 264.

Speigl

1970, S.

S.

7f;

Fredouille

1972,

217.

- 462 gisch durchgeführt, denn es geht ja andererseits gerade darum, die Parallelität der Entwicklung von christlicher Philosophie und der Vergrößerung des Reiches nachzuweisen. Die Verwendung der Komposita mit συν- (σύντροφος, συναρξάμενος und συνακμάζω) bringt zum Ausdruck, daß das römische Reich seine Ausdehnung und seinen Machtzuwachs seit Augustus der christlichen Lehre verdankt, die mit ihm gewachsen ist. 83 Hierbei gibt Melito unverkennbar die Terminologie paganer Panegyrik wieder, deren Kenntnis zur zeitgenössischen rhetorischen Bildung gehörte. 84 Damit wird aber auch die pagane Gleichung pietas = politische Macht 8S ungebrochen rezipiert und nur durch eine Neudefinition von pietas in christlichem Sinne verändert. In der Apologie wird also durch Aufnahme der stoischen Entwicklungsterminologie stärker als in der Homilie 86 der prozeßhafte Charakter des Geschehens betont. Dabei liegt die Wahl der Formulierungen sicher nicht zuletzt in der Person des Adressaten, dem selbst der Stoa zugehörigen Marcus Aurelius, begründet. 87 Doch bei näherem Zusehen merkt man andererseits, daß sich Melitos Argumentation nicht in der Reproduktion von Versatzstücken aus der philosophischen Tradition erschöpft, sondern darüber hinaus genuin christliche Elemente enthält. Denn seine stoisierende Sprache

83

G e g e n S i r i n e l l i 1961, S . 3 8 9 , d e r b e s t r e i t e t , d a ß M e l i t o e i n e n providentiellen Zusammenhang voraussetzt. Unklar bleibt die Parenthese κ α τ ά τ ά ς π ά ν τ ω ν εύχάς a m Ende unseres Zitats. "Wer sind die π ά ν τ ε ς ? Die Menschen allgemein oder "alle Christen"? In letzterem Falle hätten w i r hier einen B e l e g dafür, daß M e l i t o die W o h l f a h r t des Staates nicht nur in d e r christlichen Philosophie im allgemeinen, s o n d e r n g e n a u e r n o c h in d e r c h r i s t l i c h e n F ü r b i t t e b e g r ü n d e t sieht. L e i d e r läßt sich dies nicht eindeutig entscheiden.

84

Vgl. Peterson 1935, S . 138f; Ziegler 1949. Inschriftliche Beispiele b i e t e t H a r n a c k , M i s s i o n , 1924, I , S . 2 7 7 , A n m . 1. F e r n e r B r a c h e r 194 8 ( = 1 9 8 7 ) , S . 2 8 9 - 3 4 1 ; T h r a e d e 1972, S p . 1 4 8 f . Der Rhetor Menander empfiehlt z. B. f ü r die Verfertigung eines β α σ ι λ ι κ ό ς λ ό γ ο ς : " Η ξ ε ι ς δέ έ π ι τ η ν τ ε λ ε ι ο τ ά τ η ν σ ύ γ κ ρ ι σ ι ν , άντεξετάζων τ η ν α ϋ τ ο υ β α σ ι λ ε ί α ν π ρ ό ς τ ά ς π ρ ο α ύ τ ο ΰ β α σ ι λ ε ί α ς , ο ύ καθ-αιραίν έ κ ε ι ν α ς ( α τ ε χ ν ο ν γ α ρ ) ά λ λ α Φ α υ μ ά ζ ω ν μ ε ν έ κ ε ί ν α ς , τ α δε τ έ λ ε ι ο ν ά π ο δ ι δ ο υ ς τ^ί παρούσχι (376,31-377,2 = R u s s e l l / W i l s o n 92).

85

V g l . d a z u e t w a M i n . F e i . , O c t . 6,2; f e r n e r V o g t 5 3 - 6 7 ; G r a n t 1 9 8 8 , S . 9 5 . F e r n e r o b e n S . 118 m i t

86

Vgl.

87

I n w i e f e r n M e l i t o " m e h r romantisch als realpolitisch gedacht [habe] vor d e m Thron des Christenverächters M a r k Aurel und seines verk o m m e n e n S o h n e s C o m m o d u s " ( s o R a h n e r 1961, S . 3 4 ) , k a n n i c h b e i m besten W i l l e n nicht erkennen. Es handelt sich hier d o c h nicht um den utopischen E n t w u r f eines christlichen Staates, sondern u m den apologetischen N a c h w e i s d e s N u t z e n s , d e n d e r Staat b e r e i t s aus d e r E x i s t e n z d e r C h r i s t e n g e z o g e n hat, u n d z w a r in e i n e r S i t u a t i o n , in der die Christen mit d e m Rücken zur W a n d standen!

dazu

oben

S.

1962; W l o s o k A n m . 166.

1970,

S.

132-136.

- 463

bezeichnet j a eine ganz unstoische Sicht von Geschichte. Leider läßt sich aus den erhaltenen Fragmenten der Apologie nicht mehr erkennen, wie die politische Fortschrittsidee im heilsgeschichtlichen Fortschritt verankert war. 8 8 Dies wird erst bei Origenes unzweifelhaft deutlich, mit d e m wir uns unten noch ausführlicher beschäftigen werden. 8 9 Wichtig ist aber schon hier die Beobachtung, daß die Christen a u s ihrer heilsgeschichtlichen Konzeption eine Vorstellung vom Verhältnis von Kirche und Staat entwickelten, die einen entscheidenden Schritt auf dem Weg zur politischen Theologie eines Eusebius darstellt. 9 0 Bei Melito ist bereits d a s Denken ausgebildet, d a s man in der Forschung "Augustus-

88

Die O s t e r h o m i l i e läßt s i c h a u f g r u n d i h r e s s p e z i e l l e n S i t z e s i m L e b e n h i e r f ü r nur b e g r e n z t a u s w e r t e n . V g l . o b e n S. 132-136. A u s diesem G r u n d e s c h e i n t mir S c h n e e m e l c h e r e t w a s v o r s c h n e l l e i n e n direkten t h e o l o g i s c h e n Z u s a m m e n h a n g z w i s c h e n H o m i l i e und A p o l o g i e h e r z u s t e l l e n (1973, S . 2 7 0 - 2 7 S ) . D a s heißt a b e r nicht, d a ß e s nicht e i n e n indirekten Zusammenhang g e g e b e n hat, i n s o f e r n das antithetische D e n k e n , d a s s i c h in d e r H o m i l i e f i n d e t , ä h n l i c h w i e b e i Irenaus n e b e n p r o z e s s u a l e m D e n k e n g e s t a n d e n h a b e n m a g . M a n d a r f hier, wie a u c h b e i d e m B i s c h o f v o n Lyon und U b e r h a u p t b e i d e n K i r c h e n v ä t e r n , nicht v e r s u c h e n , K o n s i s t e n z und K o h ä r e n z h e r z u s t e l l e n , wo möglicherweise verschiedene Denkfiguren nebeneinanderstanden und e s v o n d e r j e w e i l i g e n G a t t u n g a b h i n g , w e l c h e d e r V e r f a s s e r in d e r V o r d e r g r u n d r u c k t e . "Wir w i s s e n viel zu w e n i g ü b e r d i e T h e o l o g i e M e l i t o s , u m u n s d a v o n ein a u c h nur a n n ä h e r n d v o l l s t ä n d i g e s Bild m a c h e n zu k ö n n e n .

89

Vgl. unten Kap.

90

G e g e n P e t e r s o n 193S, S . 71, d e r m e i n t , b e i d e n Ä u ß e r u n g e n M e l i t o s h a n d l e e s s i c h n o c h u m " k e i n e e i g e n t l i c h p o l i t i s c h - t h e o l o g i s c h e Ref l e x i o n , s o n d e r n u m "ein a l t e s u n d w e i t v e r b r e i t e t e s apologetisches Thema". Erst Origenes sei "zu solchen Überlegungen doch wohl durch die politische Theologie d e s C e l s u s gedrängt w o r d e n " (ähnlich a u c h T h r a e d e 1972, S p . 173). N a t ü r l i c h l i e g t hier k e i n e g r u n d s ä t z l i c h e D a r s t e l l u n g d e s V e r h ä l t n i s s e s von Staat und Kirche vor, aber d a s gilt auch für Origenes. Vielmehr baut Melito a p o l o g e t i s c h e Topoi weiter a u s , g e h t m . E. d a r i n a b e r d e u t l i c h ü b e r s e i n e V o r g ä n g e r h i n a u s . Ich v e r s t e h e nicht, i n w i e f e r n m a n e i n e m S a t z wie έγενήθ-η [ s c . d a s Chris t e n t u m ] μάΧιστα i^j σ^ί ßocaiXeTqc αΓσισν αγαθόν u n m i t t e l b a r p o l i t i s c h e Intentionen und K o n s e q u e n z e n a b s p r e c h e n kann. Eusebius* politische T h e o l o g i e s e t z t d o c h g e n a u an d i e s e m kausalen Verhältnis von Kirche und s t a a t l i c h e r W o h l f a h r t an! V g l . u n t e n S . S 4 4 f f .

3.3.4.1.

G l e i c h e s g i l t — mutatis mutandis — für Herzogs Einschätzung, "die bei Melito und Origenes noch eher b e i l ä u f i g gezogene Parallele z w i s c h e n I n k a r n a t i o n u n d pax Augusta" g e h e "noch k a u m über die s e i t d e m A l t e n T e s t a m e n t zu b e o b a c h t e n d e T r a d i t i o n p r o v i d e n t i e l l e r I n t e g r a t i o n d e r P r o f a n g e s c h i c h t e h i n a u s " (1980, S . 8 4 ) . H e r z o g s e t z t d e n W a n d e l e r s t — und m . E. z u s p ä t — " m i t d e r Christianisierung d e s I m p e r i u m s s e l b s t " a n (S. 8 4 ) . A u s d e m hier G e s a g t e n sollte deutlich werden, daß d i e s e r Wandel auch k e i n e s w e g s s o " d r a m a t i s c h " a u s f i e l , wie H e r z o g b e h a u p t e t ( e b e n d a ) . V g l . d a z u a u c h u n t e n S. S71.

464 theologie" genannt hat. Damit wechselte "die Zweckrichtung": "Den Christen gegenüber konnte man auf die Pax Romana verweisen, um sie mit dem Staat zu versöhnen; den Kaisern gegenüber konnte man einen Zusammenhang herstellen zwischen dem Wohlergehen des Reiches und der Ausbreitung des Christentums." 91 An einer derartigen "Interessengemeinschaft" 92 mußte der Obrigkeit schon deshalb gelegen sein, weil keineswegs alle Christen bereit waren, dem zu folgen, wohl nicht zuletzt auch deshalb, weil sich das Christentum in politisch schwierigen Zeiten oder bei Naturkatastrophen dem Vorwurf der Ohnmacht des christlichen Gottes aussetzte. 93 Der denkbar schärfste Gegenentwurf zu Melito findet sich in Hippolyts Danielkommentar. 94 Es überrascht kaum, daß Hippolyt seine Romkritik an diesem alttestamentlichen apokalyptischen Buch entwickelt. Während die von Melito propagierte Fortschrittsidee dazu zwang, in erster Linie die Segnungen der pax Romana hervorzuheben, konnte die Apokalyptik, wie sie von Hippolyt vertreten wird, auch die dunklen Seiten des römischen Imperialismus ungeschönt theologisch reflektieren und eschatologisch verorten. Nicht umsonst zählen gerade die Apokalyptiker zu den mutigsten Stimmen der Romkritik in der Kaiserzeit. 95 Die negative Beurteilung Roms wurde ihnen deshalb möglich, weil ihre Eschatologie hierfür einen Platz einräumte. So wird die vierte der von Daniel erwähnten Bestien (7,7-12) von Hippolyt auf das römische Reich gedeutet (comm. Dan. 4,5).96 Irenäus, der erste uns bekannte Vertreter des heilsgeschichtlichen Fortschritts und angeblich der Lehrer Hippolyts 97 , kennt eine solche Auslegung charakteristischerweise nicht! 98 91

Demandt

92

Ebenda.

1984, S . 63.

93

D e r V o r w u r f b e g e g n e t b i s ins f ü n f t e J a h r h u n d e r t hinein s t ä n d i g ; v g l . ζ . B . T e r t - , n a t . 1,9,1-3; apol. 4 0 , l f ; C y p r . , a d Demetr. 2 f ; Ö r i g . , c. Cels. 3,15; comm. ser. Matt. 39; A r n o b . , nat. 1,1; 1,4; 4 , 2 4 ; E u s . , h. e. 10,7,9; S y m m . , rel. 3,15-17; A u g . , clv. 2,3; en. In Pss. 80,1 (Weiteres b e i S c h ä f k e 1979, S. 6 4 8 - 6 5 7 ) . Z u r Z e i t A u g u s t i n s k u r s i e r t e bereits das Sprichwort: "Pluvia defit, c a u s a christian! sunt"; vgl. civ. 2,3; f e r n e r en. in Pss. 80,1 ( " N o n p l u i t D e u s , d u e a d c h r i s t i a n o s " ) . Die p a g a n e U m w e l t m a ß die Christen damit nur an i h r e m eigenen, aus d e m H e i d e n t u m a d a p t i e r t e n A n s p r u c h . V g l . a u c h G e f f c k e n 1907, S . 63, 92 f .

94

V g l . z u m F o l g e n d e n H a r n a c k , M i s s i o n , 1924, I, S . 278; P e t e r s o n 193S, S . 6 9 f ; H o r n u s 1963, S. 4 7 - 5 4 ; P o d s k a l s k y 1972, S. 8-10, 7 9 f ; C a s p a r y 1979, S. 136-138; W i n k e l m a n n 1991, S. 1 4 4 f .

95

V g l . w e i t e r e S t i m m e n b e i F u c h s 1964, v. a. S . 19-23 m i t d e n e n t s p r e c h e n d e n A n m e r k u n g e n ; D e m a n d t 1984, S. 56-62. F e r n e r R a h n e r 1961, S. 23-31.

96

Dazu

ausführlich

97

Zum

Problem

98

Vgl.

haer.

vgl.

S,28,2

Fuchs

1964, S.

Schölten und

5,24;

75-77.

1990, S p . dazu

499.

Neumann

1902,

S.

54-57.

Zu

Irenäus1

- 465 In 4,9,2f konstatiert Hippolyt dann wie Melito die Koinzidenz der Herrschaft des Augustus mit der Geburt Jesu. Doch e r zieht daraus ganz andere Schlußfolgerungen. Das römische Reich habe sich nur deshalb ausbreiten können, weil es unter dem Einfluß des Satans versuchte, das Christentum nachzuahmen: " A l s im zweiundvierzigsten J a h r " unter dem Kaiser Augustus der Herr geboren wurde, v o n dem an das Reich aufblühte, durch die Apostel aber der Herr alle V ö l k e r und alle Sprachen zu sich rief und das Volk der gläubigen Christen schuf, die den "neuen Namen" [ v g l . Apk 2,17] ihres Herren tragen, da ahmte das hiesige Reich, das da herrscht ' i n f o l g e der Einwirkung Satans' [ I I Thess 2,9], dies genau nach: Es sammelt in gleicher W e i s e auch aus allen Völkern die Edelsten und rüstet sie zum Krieg, w o b e i es sie 'Römer' nennt. Und deshalb war auch die erste Schätzung unter Augustus, als d e r Herr in Bethlehem geboren wurde, damit die Menschen dieser W e l t für den irdischen Kaiser geschätzt und 'Römer' genannt würden, die, die an den himmlischen Kaiser glauben, aber Christen hießen und das Zeichen des Sieges über den Tod an der Stirn trügen." 1 0 0 Hippolyt dreht den Zusammenhang Christus-Rom also genau um! Doch blieb er mit solchem Mißtrauen gegenüber der staatlichen Gewalt, der er auch nur eine streng begrenzte Loyalität zu leisten gewillt war, 1 0 1 in der Minderheit. Der auf der Kirche gerade im dritten Jahrhundert aus-

Stellung 99

zum

Wieso

(Mission,

Harnack "im

Gott

Speigl

gegeben

sowohl

unbegreiflich.

έπί συμφέροντι

1970, S . 2 4 6 f

1924,

dazu

und

istmir

d e s griechischen Vgl.

und

I, S . 278)

z w ö l f t e n Jahr" Ubersetzen,

ständlichkeit Textes

101

(von

dazu

beide

100

Staat

4,36,6 u n d 5,24;

Aland

τ ω νέθνων) v g l . 1979,

Peterson

angesichts

a l s auch

Bardy/Lefdvre

S. 239-242.

(1935, der

des

S.

69)

Unmißver-

altslawischen

1947, A n m .

z. St.

Ε π ε ι δ ή γ α ρ έ ν τ ψ τ ε σ σ ε ρ α κ ο σ τ φ δ ε υ τ έ ρ ψ έ'τει έ π ι Α υ γ ο ύ σ τ ο υ Καίσαρος γ ε γ έ ν ν η τ α ι ό κ ύ ρ ι ο ς , ά χ ά ρ ι τ α ς ό μ ο λ ο γ ο Ο ν τ ε ς τ φ ήμδς φυσαμένιρ ά π ό τ?ίς π λ ά ν η ς ... ( B o r r e t 111,98,34-100,2).

149 V g l . o r . 26 Un Rom.), 103: Ά τ ε χ ν Ω ς δέ, Ωσπερ οί π ο ι η τ α ί λ έ γ ο υ σ ι ν , πρό τ?ϊς Διώς άρχ?ίς όίπαντα σ τ ά σ ε ω ς χ α ί θ-ορύβου κ α ί ά τ α ξ ί α ς εΓναι μεστά, έ λ θ ό ν τ ο ς δέ έπί την άρχήν Δ ι ό ς π ά ν τ α δή κ α τ α σ τ ί [ ν α ι , κ α ι τ ο ϋ ς Τ ι τ δ ν α ς εις τ ο υ ς κ α τ ω τ ά τ ο υ ς μυχους τ?[ς γ?[ς άπελ-Θ-εΤν, συνωσ-9-έντας ύπ' αύτοΟ τε κ α ι τ ω ν συν α ύ τ φ ·9·εΩν, ο ύ τ ω ς &ν τ ι ς κ α ί περί τ Ω ν πρό ΟμΩν τε κ α ί έφ' ϋμων π ρ α γ μ ά τ ω ν λ ο γ ι ζ ό μ ε ν ο ς ύ π ο λ ά β ο ι , ώ ς πρώ μέν τ?[ς υμετέρας άρχ?ίς ώίνω καί κάτω συνετετάρακτο καί είκ^ί έφέρετο, έ π ι σ τ ά ν τ ω ν δέ ύμων τ α ρ α χ α ί και σ τ ά σ ε ι ς έ'ληξαν, τ ά ξ ι ς δέ π ά ν τ ω ν κ α ι φ ω ς λαμπρών ε ι σ ή λ θ ε βίου καί π ο λ ι τ ε ί α ς , νόμοι τε έ ξ ε ψ ά ν η σ α ν κ α ι θ ε Ω ν βωμοί πίστιν £λαβον ( K l e i n 62). H i e r h a n d e l t e s s i c h a b e r nur u m P a r a l l e l i t ä t , nicht u m e i n e n K a u s a l z u s a m m e n h a n g ! V g l . a u c h P l u t . , fort. Rom. 2 (317B-C), a b e r o h n e V e r w e i s a u f d i e G ö t t e r ; fort. Alex. 1,6 ( 3 2 9 B - C ) , a u f A l e x a n d e r b e z o g e n und e b e n f a l l s o h n e V e r w e i s a u f d i e G ö t t e r ) . F e r n e r P e t e r s o n 1935, S. 3 0 f , 7 9 f ; P a l m 1959, S. 118-120 (für Eusebius).

- 479 Man darf Origenes' Äußerungen zum Verhältnis d e s Christentums zum Staat weder unter- noch überbewerten. Bei ihm umfaßt das Handeln Gottes mit seinem Volk nun auch die säkulare Geschichte. Das ist grundsätzlich neu gegenüber Irenaus, Tertullian und Clemens, aber eben auch gegenüber d e r traditionellen Romideologie. Und doch schreibt Origenes immer noch als Apologet; an einer grundsätzlichen Lösung des Problems von Kirche und Staat ist e r nicht interessiert. 1 5 0 Allerdings stehen die Bausteine f ü r eine politische Theologie nunmehr zur Verfügung. 1 5 1 Eusebius braucht Origenes' Worte später n u r noch zu einem "Grundsatzprogramm" umzuformulieren. Die Reichstheologie des vierten Jahrhunderts ist hier schon in nuce (aber eben auch nur in nucef) vorhanden.

3. 3. 4. 2. Arnobius Dieser Annäherungskurs wird von Arnobius in Nordafrika mit unverminderter Energie weitergeführt. Sicher, auch bei ihm finden sich, wenn es die Argumentation notwendig macht, romkritische Äußerungen. 1 5 2 Derselbe Arnobius kann die Ausdehnung d e s Reiches aber auch den Christen gutschreiben: "Und doch sehen wir, daß in den Jahren und Zeiten, die mittlerweile (verstrichen sind) [sc. seit dem Aufkommen des Christentums], unzählige Siege gegen die besiegten Feinde errungen, die Grenzen des Reiches vorgeschoben und Völkerschaften, deren Namen man noch nie gehört hatte, unter (römische) Gewalt gebracht wurden; daß es in vielen Jahren die größten Getreidevorräte gegeben hat, eine s o große Fülle an billigen Waren, daß der ganze Handel durch die Macht d e r Preise betäubt darniederlag. Wie hätte nämlich das Leben weitergehen und das Menschengeschlecht bis jetzt überdauern können, wenn nicht die

150

Thraede

151

"Origenes stellt a l s o das Material f ü r die spätere Reichtstheologie bereit, seine A u f g a b e im 3. J a h r h u n d e r t ist aber noch nicht die ideologische Stützung und Rechtfertigung des Staates, s o n d e r n die Verteidigung der eigenen religiösen Position" (Jan Badewien bei Schindler 1978, S. 42).

1972, Sp. 174.

152 Vgl. 1,5,6: "Ut modo Romani uelut aliquod f l u m e n t o r r e n s cunctas s u h m e r g e r e n t atque obruerent nationes, nos uidelicet numina praecipitauimus in f u r o r e m ? " (Le Bonniec 138); f e r n e r 2,1 und 7,51. Vgl. bereits Tert., apol. 25,14f; Min. Fei., Oct. 25,5. Zu Laktanz vgl. unten S. 506ff. Die Tradition stammt vermutlich aus Ciceros de re publica (vgl. 3,20); dazu Fuchs 1964, S. 85-87.

480 Fruchtbarkeit der Natur alles, was der Bedarf erforderte, zur Verfügung gestellt hätte?" (1,14).133 Damit geht Arnobius deutlich über Tertullian hinaus: Die Ausdehnung des Reiches wird hier wie bei Melito und Origenes auf die Hilfe des christlichen Gottes zurückgeführt. In ihren Versammlungen, so versichert er im vierten Buch von advers us nationes, beteten die Christen zu diesem höchsten Gott, "betet man um Frieden und Vergebung für alle [vgl. I Tim 2,1], für die Behörden, die Heere, die Könige, die Freunde, die Feinde, für die, die noch leben und die, die schon von den körperlichen Fesseln befreit sind; in ihnen hört man nicht anderes, als was Menschen menschlich, was sie milde, bescheiden züchtig und keusch macht und sie dazu bringt, ihre Vermögen zu teilen und sich mit allen zu verbinden, die (Gott) durch das Bedürfnis nach Bruderschaft zusammenfügt" (4,36).154 Als gefährlich sieht er die Lehre der novi viri,i5S die der menschlichen Seele einen hervorragenden Platz innerhalb des Kosmos zuweisen (2,15), weil sie Stolz, Hochmut und Eitelkeit begünstigen und damit die öffentliche Moral untergraben und zu Gesetzesverletzungen geradezu einladen (2,29). Anders das Christentum: Nicht nur versichert Arnobius mit Tertullian, durch den heilsamen Einfluß des Christentums und die Predigt des Liebesgebots habe sich die Zahl der Kriege verringert (1,6,2). Sondern er sieht auch wie Origenes das christliche Reich als ein Reich seligen Friedens: "Wenn aber wirklich alle, die verstehen, daß sie nicht nur dem körperlichen Aussehen nach, sondern auch aufgrund der Kraft

153 " A t q u i n u i d e m u s m e d i i s h i s a n n i s m e d i i s q u e temporibus eAr v i c t i s hostibus innumerabiles esse uictorias reportatas, prolatos imperii f i n e s e t in p o t e s t a t e m r e d a c t a s i n a u d i t i n o m i n i s n a t i o n e s , saepenum e r o m a x i m o s a n n o r u m f u i s s e p r o u e n t u s , uilitates atque a b u n d a n t i a s r e r u m t a n t a s ut c o m m e r c i a s t u p e r e n t u n i v e r s a , p r e t i o r u m a u c t o r i t a t e p r o s t r a t a . Q u e m a d m o d u m e n i m r e s a g i et u s q u e a d h o c t e m p u s gen u s q u i r e t d u r a r e m o r t a l i u m , s i n o n o m n i a q u a e u s u s Cut] p o s c e r e t s u b m i n i s t r a r e t fertilitas r e r u m ? " ( L e B o n n i e c 144). V g l . d a z u G i e r l i c h 1985, S. 3 7 f . 154 " C u r i m m a n l t e r c o n v e n t i c u l a s d i r u i ? in q u i b u s s u m m u s o r a t u r d e u s , p a x c u n c t i s et v e n i a p o s t u l a t u r magistratibus exercitibus regibus f a m i l i a r i b u s i n i m i c i s , a d h u c v i t a m d e g e n t i b u s et r e s o l u t i s corporum v i n c t i o n e ; in q u i b u s a l i u d a u d i t u r nihil nisi q u o d h u m a n o s faciat, nisi q u o d mites v e r e c u n d o s p u d i c o s c a s t o s , f a m i l i a r i s communicatores rei et c u m omnibus quos solidet germanitatis necessitudine c o p u l a t o s " ( M a r c h e s i 244,21-245,2; d e r T e x t d e s l e t z t e n K o l o n s ist o f f e n s i c h t l i c h gestört. Ich h a b e nach d e m V o r s c h l a g M a r c h e s i s im A p p a r a t z . St. i n d e r Ü b e r s e t z u n g deus v o r solidet ergänzt.) 155

Zum

Problem

der

Identität d e r

novi

viri

vgl.

oben

S.

332f.

- 481 ihres Verstandes Menschen sind, sich ein wenig bequemten, seinen [sc. Christi] heilsamen und friedensstiftenden Verordnungen zuzuhören und nicht durch Hochmut und Snobismus aufgeblasen mehr ihren Sinnen als jenes Ermahnungen glaubten, hätte die ganze Welt schon längst den Gebrauch der W a f f e in sanftere Aufgaben verwandelt und würde im angenehmsten Frieden leben, die Verträge ungebrochen einhalten und so zur segensvollen Eintracht zusammenfinden" (1,6,3).156 Ja, im zweiten Buch geht Arnobius im rhetorischen Überschwang noch weiter und verbindet den positiven Einfluß des Christentums mit dem Leidens- und dem Erfolgsbeweis 1 5 7 zu einem großen Hymnus an den durch Christus in die Welt gebrachten Fortschritt auf allen Ebenen: "Oder scheinen euch nicht doch wenigstens folgende Argumente für den Glauben vertrauenswürdig: daß schon in so kurzer Zeit der Treueid zu diesem ungeheuren Namen in allen Ländern verbreitet ist; daß es kein Volk mehr gibt, das so barbarisch gesittet ist und keine Freundlichkeit kennt, daß es nicht, durch seine Liebe verwandelt, seine Rauhheit besänftigt hätte und, nachdem Ruhe eingekehrt war, zu einer friedlichen Gesinnung übergegangen sei; daß mit so großen Talenten begabte Redner, Grammatiker, Rhetoren, Juristen und Ärzte sowie sogar die, die die geheimen Lehren der Philosophie durchforschen, dies anstreben und das verschmähen, dem sie noch kurz zuvor Vertrauen geschenkt haben; daß es Sklaven vorziehen, sich von ihren Herren nach deren Belieben foltern, Eheleute sich scheiden, Kinder sich von ihren Eltern enterben lassen, als den christlichen Glauben zu brechen und den Fahneneid in dem heilsamen Kriegsdienst aufzugeben; daß, obwohl so schwere Strafen von euch angekündigt wurden, sich die Sache mehr und mehr verbreitet und sich das Volk allen Drohungen und furchteinflößenden Verboten nur um so mutiger entgegenstellt und gerade

1S6 " Q u o d s i o m n e s o m r i i n o q u i h o m i n e s < s e > e s s e n o n s p e c i e c o r p o r u m sed rationis intellegunt potestate, salutaribus eius pacificisque dec r e t i s a u r e m v e l l e n t c o m m o d o r e p a u l i s p e r et n o n f a s t u e t s u p e r c i l i o tumldl suis potius sensibus q u a m illius c o m m o n i t i o n i b u s crederent, u n i v e r s u s i a m d u d u m o r b i s m i t i o r a in o p e r a c o n u e r s i s u s i b u s ferri tranquillitate in mollissima degeret et in concordlam salutarem i n c o r r u p t i s f o e d e r u m s a n c t i o n i b u s c o n v e n i r e t " ( L e B o n n i e c 139). ls7 E i n e ä h n l i c h e V e r b i n d u n g a u c h i n a c t . Apoll. 24: δσψ γ α ρ τ ο υ ς είς αΰτών πεττοιθότας ά δ ί κ ω ς ά π α κ τ έ ν υ ο υ σ ι ν ά κ ρ ί τ ω ς τ ο ύ ς μηδέν ά δ ι κ ο υ ν τ α ς , τ ο σ ο ύ τ ψ μ δ Χ Χ ο ν π Χ ΐ [ θ ο ς ύττά τοΟ θεοΟ μηκύνετοα ( M u s u r i l l o 9 6 , 1 8 - 2 0 ) .

- 482 durch die Stacheln des Verbotes zum Glaubenseifer angetrieben wird?" (2,5). 1 3 8 Die christliche Wahrheit, die sich über die gesamte Ökumene verbreitet hat, hat schon zu allgemeiner Eintracht geführt: "Sie hat die Flammen der Begierden unterdrückt und hat die Stämme und Völker und die in ihren Sitten höchst unterschiedlichen Nationen einigen Sinnes zur Zustimmung zu einem einzigen Glauben übereinkommen lassen. Man könnte nämlich die Taten aufzählen und zusammenrechnen, die in Indien geschehen sind, bei den Serern, Persern und Medern, in Arabien, Ägypten, in Asien, Syrien, bei den Galatern, Parthern, Phrygern, in Achaia, Macedonia, Epirus, auf allen Inseln und in allen Provinzen, die die auf- und untergehende Sonne bescheint, schließlich sogar bei der Herrin Rom, in der, obgleich die Menschen mit den Künsten des Königs Numa und dem alten Aberglauben beschäftigt waren, sie dennoch nicht gezaudert haben, die väterlichen Sitten zu verlassen und der christlichen Wahrheit anzuhangen" (2,12). 139

58

"Nonne quod

vel

iam

nominis barbari sa

haec

per

molliverit

grammatici

migraverit;

rhetores

c r e t a rimantes solvi

fidem

consulti

quod huius

minas

et

tarn

in

cum

servi

matrimoniis,

genera

atque

credendi

interdicta Studium

spretis

" ... ea et

ad

tsc.

inaudita

unius

populos

fecit

et

possunt

atque

in

sunt, ria,

apud

apud

sulis

et

ipsam Numae

adficj

tanta

sint

prohibitionis

nae"

usum

regis

Parthos

ipsius

et

apud

tarnen res

subdidit

mente

dissimillimas Medos,

Phrygas,

omnibus

artibus

rerum]

computationis

Persas

provinciis

denique

vis

adsensum

quas

dominam atque patrias

in Achaia oriens

Romam,

antiquis linquere

in

vobis

liberi

proposita

contra

om-

obnitatur excitetur?"

adpetitionum concurrere quae

in

atque qua

veritati

flammas

occidens

cum

gesta

Asia,

Epiro,

in

In 1,16. Ferner Gierllch

Syin-

lustrat,

homines

sint

occupati,

non

coalescere

Christia-

(Marches! 78,19-79,10).

Vgl. auch die Völkerliste

et

enlm

India in

Macedonia

146.

gentes

Enumerari

suberstitionibus et

et

Aegypto,

fi-

sacramenta

stimulis

ea

se-

ante

statuerint

populus

nationes.

venire

paulo

198S, S. 178-180,

una

in Arabia,

sol

a

animosius

oratores etiam

parentibus

magis

ver-

adsumpta

militiae

augeatur res

tarn

amore

quibus

a

salutaris

formidinum

moribus

Seras

alatas

distulerunt

illa

credulitatis

inmensi

praediti

quibus

exheredari

poenarum

eius

philosophiae

(Marches! 69,16-70,10). Vgl. 1,SS. Ferner Gierlich 59

credendi,

spatio

sensus

ingeniis

medici,

et

leges,

non

Placidos

cruciatibus

Christianam

sequentibus

quae

magnis ac

argumenta

temporis

quod nulla iam natio e s t

nescäens,

iuris

se

coniuges rumpere

religionis ad

faciunt

brevi

magisteria haec expetunt

deponere;

et

tarn

suam

quod

quod ab dominis

malunt,

nes

vobis

in

mansuetudinem

asperitatem

tranquillitate

quam

fidem

terras

huius sacramenta diffusa sunt; moris et

debant;

saltem

omnes

1985, S.

202-204.

- 483 Der Topos der durch das Christentum überholten alten heidnischen Wahrheit wird hier eingebaut in ein grandioses Panorama der Weltbefriedung. Das ist nicht mehr der apologetische Schalmeienton der ecclesia militans des zweiten Jahrhunderts, sondern bereits der Posaunenschall der konstantinischen ecclesia triumphans — und das mitten in den Christenverfolgungen unter Diocletian!160 Von hier aus gesehen erscheint das religionspolitische Programm Konstantins mehr als Erfüllung denn als Wende — eine Erfüllung freilich, bei der wesentliche Elemente des Evangeliums, insbesondere seine eschatologische Orientierung, in Vergessenheit zu geraten drohten.

3. 3. 5. Zusammenfassung Gegen Ende des zweiten Jahrhunderts treffen zwei apologetische Traditionen mit der Vorstellung vom heilsgeschichtlichen Fortschritt, wie sie etwa unter Irenaus ausgebildet wurde, zusammen: die Betonung der Loyalität der Christen gegenüber dem Staat trotz der Ablehnung des Kaiseropfers bzw. -schwurs sowie der sogenannte Erfolgsbeweis. Bei Melito wird der Aufstieg der römischen Weltmacht erstmals auf den Aufstieg des Christentums zurückgeführt. Sowohl im Westen (vor allem bei Arnobius) als auch im Osten (Origenes) wird diese Vorstellung bis zum Ende des dritten Jahrhunderts zu einer umfassenden Reflexion über das Verhältnis von Kirche und Staat ausgebaut, wobei der apologetische Ursprung dieses Gedankens mehr und mehr in den Hintergrund tritt. Diese reichsfreundlichen Stimmen drängen die romkritischen Tendenzen, wie sie vor allem in der Apokalyptik lebendig geblieben sind, in den Hintergrund und bereiten so die Reichstheologie des vierten Jahrhunderts vor.

160 V g l . sunt iam

auch in

Lucian.

obscuro

maior

huic

suspectum

lgnara

figmenti"

474).

ist

Dazu

loco

veritati

aliquid Stückes

Antioch.

gesta

Tert.,

fraglich Scap.

(vgl. 2,10

e.

de

"Quae pars

integrae his

etiam

815,2-5).

dazu

(oben

9,6,3:

indigent,

urbes

contestatur

(Schwartz/Mommsen

allerdings bereits

Rufin, testibus

adstipulatur,

videtur,

h.

bei nec

jetzt

Anm.

Die

sunt,

si

agrestis

non

mundi in

his

manus

Echtheit

Brennecke 62).

dico,

paene

1991,

des S.

4. Heilsgeschichte und politischer Fortschritt bei Laktanz und Eusebius

Laktanz und Eusebius soll abschließend ein eigenes Kapitel gewidmet sein. Denn beide stehen auf der Schwelle von der ecclesia militans zur ecclesia triumphans unter Konstantin. In beider Werke läßt sich der Übergang aus der Verfolgungsssituation in die Machtposition beispielhaft ablesen. Dabei nehmen beide die in den vorangegangenen Kapiteln skizzierten Traditionen auf und verbinden sie zu einer Gesamtsicht. Mit unterschiedlichem Erfolg: Was Laktanz im Westen noch nicht recht gelingen will, nämlich die Christianisierung der politischen Macht mit den auf ihn überkommenen theologischen Traditionen geistig zu bewältigen, vollzieht etwa gleichzeitig Eusebius im Osten in beispielhafter Geschlossenheit. Hinzu kommt noch ein zweites: Eusebius hat erstmals versucht, eine Geschichte der Kirche auch und gerade als Institution zu schreiben.1 Diese Hinwendung zum Hier und Jetzt, ja zu den politischen Tagesereignissen kommt keineswegs von ungefähr, sondern hängt damit zusammen, daß mit dem Ausbleiben der Parusie und der gleichzeitigen Christianisierung Roms die Eschatologie säkularisiert oder, besser, die Geschichte eschatologisiert wird. Das geht weit über die Versuche eines Iulius Africanus oder Hippolytus hinaus, Chronologien in apologetischer Absicht zusammenzustellen.2 Gleichzeitig damit wird der Fortschrittsgedanke systematisiert und politisiert: Die Ausbreitung des Christentums und die Prosperität Roms werden nun offen in eins gesetzt. Damit kamen die Christen dem Staat in einer Weise entgegen, wie dies in den vorherigen drei Jahrhunderten nicht der Fall gewesen war. Konstantin hat diese theologische Verknüpfung von geistlicher und weltlicher Macht denn auch bereitwillig rezipiert. Dies ist im folgenden darzustellen.

1

Vgl. Milburn I, S. 95.

19S4, S. 61; M o m i g l i a n o

1963(1966), S. 98;

Meinhold

1967,

2

V g l . M o m i g l i a n o 1963(1966), S. 92f; S c h w a r t e 1966, S. 148 158; M e i n h o l d 1967, I, S. 82-84; C r o k e 1983, b e s . S. 120-123; C r e h a n 1987, S. 636f; S c h ö l t e n 1990, Sp. 5 0 8 f .

- 486 4. 1. Laktanz Im Werk des Laktanz, der als erster lateinischer Autor eine christliche Elementarlehre schreiben möchte,3 fließen die Traditionen, die die beiden vorangegangenen Jahrhunderte ausgebildet hatten, zusammen. Eine überzeugende Synthese will ihm aber noch nicht recht gelingen. Vielmehr ist Laktanz ein Mann des Übergangs, der versucht, seine Theologie der sich radikal verändernden zeitgeschichtlichen Situation anzupassen. Vier Bereiche seines Denkens sind dabei für uns von besonderer Bedeutung: Neuheitsapologetik und Heilsgeschichte, Kulturfortschritt sowie die Beurteilung Roms.

4. 1. 1. Neuheitsapologetik und Heilsgeschichte Oben wurde auf den Wandel im Selbstbewußtsein der Christen hingewiesen, wie er besonders exemplarisch am Beginn des vierten Jahrhunderts bei Arnobius spürbar wird. 4 Auch bei Laktanz tritt dieses neue Selbstbewußtsein deutlich zutage, und zwar interessanterweise trotz seiner romanitas.5 Die Gründe hierfür liegen auf der Hand: Die historische Neuheit des Christentums und der römische Traditionalismus waren schlechterdings nicht kompatibel und stellten Laktanz vor eine nicht aufzuhebende Alternative, wobei er natürlich nur für das Christentum optieren konnte. Immerhin versucht er diese für seine nichtchristlichen Zeitgenossen anstößige Entscheidung dadurch gewissermaßen "abzufedern", daß er im Gebrauch der Neuheitsterminologie außerordentlich behutsam ist. In diesem Punkte unterscheidet er sich denn auch ausdrücklich von dem von ihm sonst so geschätzten Cicero. 6 Dies gilt insbesondere für die Religionsauffassung, den Kernpunkt des Dissenses zwischen Heiden und Christen. Gegen den in Ciceros de natura deorum vorgetragenen und inst. 2,6,7f zitierten Standpunkt des Akademikers Cotta,7 macht Laktanz folgende Einwände geltend:

V g l . H e r z o g 1989, S. 386. Z u a l l e n E i n l e i t u n g s f r a g e n f ü r W e r k dieses Autors vgl. den Artikel von Antonie W l o s o k , 375-404 m i t u m f a s s e n d e r B i b l i o g r a p h i e . * V g l . o b e n K a p . 3.1.7.

3

s

Z u r romanitas b e i L a k t a n z v g l . v . a. L o i 196S; f e r n e r d e n B e m e r k u n g e n b e i A m a r e l l i 1970, S. 2 4 8 f f .

6

Z u m F o l g e n d e n v g l . K r a u s e 1958, S. 199f, d e r a b e r d i e P r o b l e m s t e l l u n g nur o b e r f l ä c h l i c h s t r e i f t . Z u r W e r t s c h ä t z u n g C i c e r o s b e i L a k t a n z v g l . B e c k e r 1957, S p . 106-112; w e i t e r e L i t e r a t u r b e i H e r z o g 1989, S. 381.

7

V g l . nat.

deor.

3,5f; v g l . auch

3,7.9.

die

L e b e n und e b e n d a , S.

einschränken-

- 487 1. 2,6,9: Cotta hatte unterschieden zwischen den beiden Positionen des pontifex und des Philosophen. Der Priester opferte den Göttern der Vorfahren, ohne diese Riten zu hinterfragen, der Philosoph hingegen gebe sich über die religio kritisch Rechenschaft. Laktanz weist nun auf die Widersprüchlichkeit dieser Position hin. Entweder glaube man oder man frage nach Gründen für den Glauben. Beides zusammen sei unmöglich. Laktanz will also offenbar eine Konkurrenz zwischen Glauben und Wissen aufzeigen. 2. 2,6,10f: Sodann weist er auf die Probleme hin, die bei einer Diastase von ratio und fides entstünden. Cotta hatte tatsächlich in kritischer Opposition zur Stoa im Anschluß an die genannte Stelle dargelegt, daß sich die Existenz der Götter nicht mit Vernunftgründen beweisen ließ. Diese Position, so Laktanz, sei inkonsequent, weil Cotta nicht eingestehe, daß sich der Götterglauben eben aufgrund seiner Widerlegung als obsolet erwiesen habe und daher aufzugeben sei.8 3. 2,6,13-16: Anschließend untersucht er anhand der Gründungssage Roms kritisch, wer denn die von Cotta so hochgeschätzten majores gewesen seien. Das Material hierzu liefern ihm Livius (1,8) und Properz (5,1,11-14) sowie die bereits in 1,22 herangezogenen Quellen (Livius, Valerius Maximus, Gavius Bassus, Varro, Sextus Clodius, Lucilius, Didymus, Ennius, Vergil). Das Ergebnis ist vernichtend: Die maiores sind in Wahrheit ein Haufen Kriminelle, die römische Religion das Ergebnis eines Betruges durch König Pompilius. 4. 2,7,1-5: Nachdem Laktanz so ideologiekritisch die Kluft zwischen Anspruch und Wirklichkeit römischer religio aufgezeigt und den Weg des Vertrauens auf die Tradition somit als trügerisch erwiesen hat, optiert er unmißverständlich für die ratio. Urteilskraft und Verstand ermöglichten es jedem Menschen, "danach zu streben, die Wahrheit zu erforschen und abzuwägen, anstatt sich, fremden Irrtümern Glauben schenkend, täuschen zu lassen, als verfüge man selbst über keinerlei Verstand. Gott gab allen je nach individuellem Vermögen Weisheit, damit man Unbekanntes erforschen und Bekanntes erwägen könne. Nur weil jene uns zeitlich vorausliegen, sind sie uns aber keineswegs auch an Weisheit überlegen, die, wenn sie (denn) allen gleichmäßig zuteil wird, von den Vorgängern nicht (allein) in Anspruch genommen werden kann. Wie das Licht und die Klar-

8

L a k t a n z u n t e r s c h l ä g t d a b e i , d a ß e s C o t t a b e i C i c e r o g a r nicht u m eine prinzipielle Widerlegung des Götterglaubens geht, s o n d e r n lediglich u m eine A b w e i s u n g d e r s t o i s c h e n A r g u m e n t e h i e r f ü r . S o betont e r a m S c h l u ß s e i n e R e d e : " H a e c f e r e d i c e r e h a b u i d e n a t u r a d e o r u m , non ut earn tollerem s e d u t i n t e l l i g e r e t i s q u a m e s s e t o b s c u r a et q u a m d i f f i c i l e s e x p l i c a t u s h a b e r e t " (3,93 C A x 1 6 0 , 7 - 9 ] ) . V g l a u c h 1,1; 3,1.4,

488 heit der Sonne ist sie unverkürzbar; denn wie die Sonne das Licht für die Augen, so ist die Weisheit das Licht für das menschliche Herz" (2,7,1-3).9 Laktanz gewinnt also — wie schon Minucius Felix und Arnobius vor ihm — seine Religionskritik aus einer Kritik des dieser Religion zugrundeliegenden Geschichtsverständnisses. Während aber bei dem ebenso "römischen" Minucius Felix gegen das Alter des römischen Kultes mit der Übereinstimmung der Philosophen argumentiert wird, "für die sowohl das Ansehen ihrer Begründung als auch ihres Alters (!) bürgt", 10 steht Laktanz dem radikalen "Neuerer" Arnobius näher, indem er ganz auf chronologische Überlegungen verzichtet und statt dessen die Vernunft über jegliche Form des Altersbeweises stellt: Wer sich der Möglichkeit begebe, die Wahrheit zu finden und so weise zu werden, indem er sich ohne kritisches Urteil den "Erfindungen der Vorfahren" (inuenta maiorum) anvertraut, sei letztlich nicht mehr als Vieh (2,7,4). Oder lasse man sich etwa davon beeindrucken, daß die Vorfahren maiores, also "die Größeren" heißen (2,7,5)? Mit einem ironischen Schlenker schließt Laktanz diesen Gedankengang ab: "Was hindert uns (eigentlich) daran, daß wir uns an jenen selbst ein Beispiel nehmen und so, wie jene die falschen Dinge den Nachkommen übergeben haben, die sie erfunden haben, wir, die wir die Wahrheit gefunden haben, den Nachkommen etwas Besseres überliefern?" (2,7,6).11

9

" Q u a r e o p o r t e t , in e a r e m a x i m e in q u a u i t a e r a t i o u e r s a t u r , sibi q u e m q u e c o n f i d e r e s u o q u e i u d i c i o ac p r o p r i i s s e n s i b u s niti a d i n u e s t i g a n d a m et p e r p e n d e n d a m u e r i t a t e m , q u a m c r e d e n t e r a a l i e n i s e r r o r i b u s decipi t a m q u a m i p s u m rationis e x p e r t e m . Dedit o m n i b u s Deus pro u i r i l i p o r t i o n e s a p i e n t i a m , u t et i n a u d i t a i n u e s t i g a r e p o s s e n t et a u d i t a perpendere. Nec quia nos il Ii t e m p o r i b u s antecesserunt, sapientia q u o q u e a n t e c e s s e r u n t , q u a e si o m n i b u s a e q u a l i t e r d a t u r , o c c u p a r i a b antecedentibus non potest. Illibabilis est t a m q u a m lux et claritas s o l i s , q u i a ut s o l o c u l o r u m s i e s a p i e n t i a l u m e n e s t c o r d i s humani" ( M o n a t 94,1-12).

10

" ... q u i b u s et r a t i o n i s e t v e t u s t a t i s adsistit C K y t z l e r 18,13]); v g l . a u c h o b e n S. 193f.

11

" Q u i d e r g o i n p e d i t q u i n a b i p s i s s u m a m u s e x e m p l u m , ut q u o m o d o il Ii q u a e f a l s a i n u e n e r a n t p o s t e r i s tradiderunt, sic n o s q u i u e r u m inuenimus posteris meliora tradamus?" ( B r a n d t 125,9-12). E s k a n n m. E. keine Rede d a v o n sein, daß Laktanz der G e w o h n h e i t hier " r e c h t s b i l d e n d e K r a f t " z u s c h r e i b t ( s o R a n f t 19S7, S p . 3 8 9 ) — g a n z i m G e g e n t e i l ! D a s gilt u n b e s c h a d e t d e r Tatsache, d a ß f a k t i s c h d e r a r t i g e Argumentationen f ü r die Konstituierung einer christlichen Tradition h e r h a l t e n m u ß t e n . V g l . d a z u a u c h o b e n S. 120 m i t A n m . 175.

auetoritas"

(Oct.

20,2

- 489 Die Neuheitsapologetik beschränkt sich bei Laktanz aber ebensowenig wie bei Arnobius auf den Nachweis, daß das Alter einer Sache für deren Wahrheit völlig irrelevant ist. Vielmehr werden bei ihm an anderer Stelle auch Neuheit und Wahrheit eng verknüpft: Eine neue Religion war heilsgeschichtlich notwendig, weil nur so der wahre Gottesdienst offenbart werden konnte: "Es sollen also die Menschen lernen und verstehen, weshalb der höchste Gott, als er seinen Gesandten und Boten schickte, um die Sterblichen durch die Gebote der Gerechtigkeit zu erziehen, wollte, daß dieser das Fleisch anzöge und gekreuzigt und mit dem Tode bestraft würde. Weil nämlich keine Gerechtigkeit auf Erden war, schickte er den Lehrer als das lebendige Gesetz, damit er einen neuen Neimen und einen neuen Tempel gründete, um (so) den wahren und frommen Gottesdienst durch seine Worte und sein Beispiel auf der ganzen Welt auszusäen" (4,25,lf). 12 Obwohl Laktanz den Terminus "neues Volk" (novus populus) ganz meidet und durch die Ausdrücke populus dei, iustus, noster oder sanctus ersetzt, 13 ist bei ihm die Sache doch durchaus vorhanden. So betont er etwa im Zusammenhang der Ausführungen über die novissima tempora im letzten Buch: "Aber da ja damals der eine Haufe Gottes auch bei nur einem Stamm weilte, wurde nur Ägypten getroffen; jetzt aber, wo das Volk Gottes aus allen Sprachen versammelt ist und sich unter allen Stämmen aufhält und von deren Herrschaft unterdrückt wird, ist es notwendig, daß alle Nationen, das heißt der ganze Erdkreis, von himmlischen Schlägen gegeißelt wird, damit das gerechte und Gott verehrende Volk befreit werde" (7,IS,S).14

12

" D i s c a n t igitur h o m i n e s et i n t e l l e g a n t q u a r e deus s u m m u s c u m legat u m ac n u n t i u m suum mitteret ad erudlendam praeceptis iustitiae m o r t a l i t a t e m , u o l u e r i t e u m carne indui et cruciatu adfici et morte m u l t a r i . n a m c u m i u s t i t i a n u l l a e s s e t in t e r r a , d o c t o r e m m i s i t quasi u i u a m l e g e m , ut n o m e n ac t e m p l u m n o u u m c o n d e r e t , ut u e r u m ac pium cultum per omnem t e r r a m et uerbis et e x e m p l o seminaret" ( B r a n d t 375,18-376,2).

13

V g l . den Index bei Brandt/Laubmann L o i , P o p u l u s D e i , 1965, S . 6 1 2 f .

14

" S e d q u o n l a m tunc una p l e b s dei et aput u n a m g e n t e m fuit, A e g y p t u s s o l a percussa est, nunc autem quia p o p u l u s dei ex o m n i b u s linguis c o n g r e g a t u s aput o m n e s g e n t e s c o m m o r a t u r et ab his dominantibus p r e m i t u r , n e c e s s e est uniuersas nationes id est o r b e m t o t u m caelestibus plagis uerberari, ut iussus et cultor dei populus liberetur" ( B r a n d t 631,15-20).

1890/93,

I I , s . v . populus.

Ferner

- 490 Laktanz grenzt also den populus dei, die Christen, einerseits von der plebs dei, den Juden ab, wobei plebs sicher pejorativ gemeint ist. Andererseits stellt e r ihn den nationes gegenüber. Kennzeichen des Gottesvolkes ist dessen Universalität — hier klingt deutlich der Erfolgsbeweis an. Doch wird er hier nicht apologetisch ausgewertet, sondern in den Dienst der Apokalyptik gestellt. "Weil die Ausbreitung des populus dei universal geworden ist, müssen nach Laktanz nun auch die apokalyptischen Ereignisse der Endzeit ein universales Ausmaß annehmen." 1 3 Auch bei Laktanz finden sich demnach die Momente der Neuheitsapologetik wieder, die wir schon bei früheren Autoren, vor allem bei Arnobius, beobachtet hatten: Zunächst werden die Zeitkategorien a l s irrelevant f ü r die Wahrheitsfrage deklariert; sodann wird die qualitative Überlegenheit d e s Neuen herausgestellt. 1 6 Laktanz argumentiert dabei aber nicht ausschließlich philosophisch wie Arnobius, sondern auch biblisch. So wird die Unterscheidung zwischen Juden und Christen im vierten Buch durchaus heilsgeschichtlich begründet. 1 7 Das Stichwort dispositio, also die lateinische Übersetzung von griechisch οικονομία, 18 leitet in 4,10 eine Darstellung d e r Geschichte des Gottesvolkes ein. Zunächst sieht e s so aus, als werde diese prozeßhaft verstanden: "Zuerst also müssen die Menschen wissen, d a ß die Einrichtung des höchsten Gottes von Anfang a n s o fortgeschritten ist, daß der Sohn Gottes, als das Ende d e r Zeit herannahte, notwendig auf die Erde herabstieg, u m Gott einen Tempel zu bauen und die Gerechtigkeit zu lehren, jedoch nicht mit d e r Kraft eines Engels oder himmlischer Macht, sondern in der Gestalt eines Menschen und in der Situation eines Sterblichen, und wenn er sein Amt erfüllt hätte, in die Hände von Gottlosen ausgeliefert zu werden und den Tod auf sich zu nehmen, um, nachdem auch dieser durch die Macht gezähmt würde, wieder aufzuerstehen und dem Menschen, den er angezogen hatte, den er getragen hatte, auch die H o f f n u n g auf die Überwindung d e s Todes darzubieten und ihn zum Lohn der Unsterblichkeit zuzulassen" (4,1ο,!). 19

15

Schwarte 1966, S. 16S.

16

Daneben kennt er natürlich 4,5,9 (Alter der Propheten); Götterkult).

17

Zum Folgenden vgl. Loi 1968, S. 243-245.

18

Vgl. Loi 1968, S. 237.

19

"In primis igitur scire homines oportet sic a principio processisse dispositionem summi dei, ut e s s e t necesse adpropinquante saecull termino dei fllium d e s c e n d e r e in terrain, ut constitueret deo t e m p l u m doceretque iustitiam, u e r u m tarnen non in uirtute angeli aut p o t e s t a t e

auch den Altersbeweis. Vgl. 4,5, v. a. f e r n e r 2,13,8.13 (Monotheismus älter als

491 Um die Notwendigkeit der Inkarnation zu erweisen, aber auch, um zu belegen, daß die dispositio von den Propheten vorhergesagt worden sei (4,10,2), faßt Laktanz in den nächsten Kapiteln die Geschichte Israels und der Juden sowie die Inkarnation und Passion Christi zusammen und belegt sie ausführlich aus der Schrift. Das Gesetz Gottes wurde zunächst von Mose als Reaktion auf das goldene Kalb erlassen (4,10,6.13). (Laktanz kennt also nicht die Unterscheidung des Irenäus zwischen naturalis praecepta [Dekalog] und Zeremonialgesetz. 2 0 ) Die "Juden" (die Laktanz sorgfältig von den "Hebräern" unterscheidet; vgl. 4,10,14) übertraten dieses Gesetz, und zwar nicht nur wegen ihres Abfalles von Gott, sondern offenbar auch deshalb, weil sie das Gesetz "fleischlich", nicht "geistlich" verstanden. 2 1 Darum sandte Gott die Propheten, die sie schalten und dazu mahnten, Buße zu tun: "... denn wenn sie sie nicht täten, ihr eitles Treiben aufgäben und zu Gott zurückkehrten, werde er sein Testament ändern, das heißt die Erbschaft des ewigen Lebens auf Nationen außerhalb übertragen und sich ein anderes und zuverlässigeres Volk aus Ausländern versammeln" (4,11,2).22 Hier kündigt sich ein juristisches Verständnis von Testament an, d a s von Ps.-Cyprians adversus ludaeos beeinflußt sein dürfte. 2 3 Laktanz entwickelt es hier jedoch noch nicht weiter, sondern betont (in Anklang an das Gleichnis von den bösen Winzern [Mt 21,33-46]) die Vergeblichkeit

caelesti, sed in f i g u r a hominis et condicione mortali, et cum magisterio f u n c t u s f u i s s e t , traderetur in manus inpiorum mortemque susciperet, ut ea quoque per uirtutem domita r e s u r g e r e t et homini, quem induerat, quem gerebat, et spem uincendae mortis o f f e r r e t et ad praemia inmortalitatis admitteret" (Brandt 301,7-16). Zum gesamten Paragraph vgl. Loi 1968. 20

Vgl. oben S. 216 mit Anm. 4 8.

21

Vgl. 4,17,14-21, v. a. 4,17,21: "Sic uniuersa praecepta Iudaicae legis ad exhibendam iustitiam spectanmt, quoniam per ambagem data sunt, ut per carnalium f i g u r a m spiritalia noscerentur" (Brandt 348,20-22); vgl. Loi 1968, S. 245.

22

"... quam [sc. paenitentiam] nisi egissent [sc. Iudaei] atque abiectis uanitatibus ad deum suum redissent, f o r e ut testamentum suum mutaret id est hereditatem uitae inmortalis ad exteras conuerteret nationes aliumque sibi populum fideliorem ex alienigenis congregaret" (Brandt 304,19-305,3). Exterus wird hier einerseits im Sinne von externus (einem anderen Volke angehörend) und andererseits im Sinne von extraneus (nicht zur Familie des E r b l a s s e r s gehörend) gebraucht (vgl. H e u m a n n / S e c k e l 1958, s. v.). Zur Einsetzung eines "Außenerbens" (heres extraneus) vgl. Käser 1971/75, I, S. 715f; II, S. 523-525. Vgl. auch epit. 38,7; 43,3.

23

Vgl. adv. lud. 43-45; dazu

Kinzig, Erbin Kirche, 1990, S. 93.

- 492 der prophetischen Bemühungen (4,11,3). Daraufhin verwarf Gott die Juden und sandte seinen eingeborenen Sohn, " ... um die heilige Religion Gottes auf die Völker zu übertragen, das heißt, auf die, die Gott nicht kannten, und (sie) die Gerechtigkeit zu lehren, die das treulose Volk aufgegeben hatte" (4,11,7).24 Dieses "neue Gesetz" (nova lex) wurde nicht durch einen Menschen erlassen, sondern durch den Gottessohn (4,13,1). Ja, an anderer Stelle identifiziert Laktanz Christus mit diesem neuen Gesetz. So heißt es in 4,17,7 im Anschluß an ein Zitat von Dtn 18,17-19: "Demnach hat Gott durch den Gesetzgeber selbst angekündigt, daß er seinen Sohn, das heißt, das lebendige und gegenwärtige Gesetz, senden und jenes alte, durch einen Sterblichen erlassene abschaffen werde, um durch ihn, der ewig war, von neuem ein ewiges Gesetz zu erlassen." 25 In 4,20 beschreibt er dieses Verhältnis zwischen dem alten und dem neuen Gesetz unter Rückgriff auf die Testaments-Terminologie. Ich habe die Passage bereits an anderer Stelle ausführlicher diskutiert und kann mich hier darauf beschränken, die wichtigsten Punkte zu wiederholen. 26 Vorlagen in diesem Kapitel sind einerseits Ps.-Cyprians adversus Iudaeos, andererseits der Kommentar zur Apokalypse des Victorinus von Pettau. Schon in 4,11 hatten wir gesehen, daß Laktanz testamentum wie Ps.-Cyprian im ursprünglichen Sinne juristisch versteht. 27 Anders als Ps.-Cyprian identifiziert Laktanz in 4,20 dann aber die beiden Testamente eindeutig mit den Schriften Alten und Neuen Testaments. So kann er folglich nicht von der Aufhebung des Alten durch das Neue Testament sprechen, will er sich nicht dem Verdacht des Marcionitismus aus-

24 " p r o p t e r h a s i l l o r u m i n p i e t a t e s a b d i c a u i t e o s in p e r p e t u u m , itaque desiit p r o p h e t a s mittere ad e o s . s e d i l l u m f i l i u m s u u m 'primogenitum', i l l u m ' o p i f i c e m r e r u m et c o n s i l i a t o r e m ' suum, delabi iussit e c a e l o , ut r e l i g i o n e m s a n c t a m d e i t r a n s f e r r e t a d g e n t e s , id e s t ad e o s qui d e u m ignorabant, d o c e r e t q u e iustitiam, q u a m p e r f i d u s populus a b i e c e r a t " ( B r a n d t 306,9-14) Z u d e n Z i t a t e n v g l . B r a n d t s A p p a r a t . V g l . f e r n e r 4,14,17. 25

" D e n u n t i a u i t s c i l i c e t d e u s p e r i p s u m l e g i f e r u m q u o d f i l i u m s u u m id est uiuam p r a e s e n t e m q u e l e g e m missurus esset et i l l a m u e t e r e m per m o r t a l e m d a t a m s o l u t u r u s , ut d e n u o p e r e u m q u i e s s e t a e t e r n u s , l e g e m s a n c i r e t a e t e r n a m " ( B r a n d t 3 4 5 , 7 - 1 0 ) . F e r n e r 4,17,13.

26

V g l . K i n z i g , E r b i n K i r c h e , 1990, S. 92-94 M o n a t 1982, I, S . 71-85.

27

V g l . h i e r z u adversus Iudaeos 43-45. Die sich bei Laktanz anschließ e n d e P a r a p h r a s e d e s G l e i c h n i s s e s v o n d e n b ö s e n W i n z e r n ( M t 21, 3 3 - 4 6 ) i s t m ö g l i c h e r w e i s e v o n adv. lud. 21-26 b e e i n f l u ß t .

mit w e i t e r e r

Literatur.

Ferner

493 setzen. 2 8 Darum hat er alle Mühe, die Einheit beider Testamente mit dem Erbschaftsthema zusammenzudenken: "Die ganze Schrift aber ist in zwei Testamente geteilt. Jenes, das der Ankunft und dem Leiden Christi voraufging, das heißt das Gesetz und die Propheten, wird das A l t e genannt, was aber nach seiner Auferstehung geschrieben worden ist, das heißt das Neue Testament. Die Juden gebrauchen das Alte, wir das Neue. T r o t z d e m aber sind sie nicht verschieden, weil das Neue die Erfüllung des Alten ist und bei beiden der Erblasser Christus derselbe ist, der, nachdem er für uns den Tod auf sich genommen hat, uns zu Erben des ewigen Reiches macht, nachdem das V o l k der Juden v e r w o r f e n und enterbt worden war, wie der Prophet Jeremia bezeugt, wenn er Folgendes spricht [ f o l g t Jer 31(38),31Π" (4,20,4). 29 Laktanz betont also einerseits die Zusammengehörigkeit beider Testamente: das Neue sei die " E r f ü l l u n g " des Alten Testamentes; ferner handle es sich um denselben Erblasser. Dabei läßt er hier wohl bewußt im unklaren, ob der Terminus adimpletio, der wohl auf den Vetus-Latina-Text von Mt 5,17 anspielt, 3 0 (biblisch) " V o l l z u g " , " E r f ü l l u n g " oder (juristisch) "Ergänzung" meint. 31 Hier sieht Laktanz das Neue Testament o f f e n b a r als korrigierende Ergänzung des Alten, das es erst eigentlich rechtsgültig werden läßt. Andererseits behauptet er im gleichen Atemzug (wie schon in 4,11,2), daß Christus die Juden wegen des Herrenmordes enterbt und statt dessen uns eingesetzt habe, 32 und belegt dies

28

Vgl.

29

" U e r u m s c r i p t u r a o m n i s in d u o testamenta diuisa est. illut quod a d u e n t u m p a s s i o n e m q u e C h r i s t i a n t e c e s s i t , id e s t l e x e t prophetae, uetus dicitur, ea uero quae post r e s u r r e c t i o n e m eius scripta sunt n o u u m t e s t a m e n t u m n o m i n a t u r . Iudaei u e t e r e [ s c . t e s t a j n e n L o ] utuntur, η o s n o u o : s e d tarnen d i u e r s a non sunt, quia n o u u m u e t e r i s adinp l e t i o e s t e t in u t r o q u e i d e m t e s t a t o r e s t C h r i s t u s , q u i p r o nobis m o r t e suscepta nos heredes regni aeterni facit abdicato et e x h e r e d a t o p o p u l o I u d a e o r u m , slcut H l e r e m i a s p r o p h e t a testatur, c u m loquitur t a l i a : [ f o l g t Jer 3 1 ( 3 8 ) , 3 1 Π " (4,20,5 [ B r a n d t 364,14-365,63).

Monat

1982, I , S.

auch Tert.,

adv.

80.

Marc.

30

Vgl.

31

D a z u M o n a t 1982, I, S. 8 0 m i t A n m . 9 7 f . V g l . a u c h 4 , 2 0 , 1 0 (unter A n s p i e l u n g a u f J e r 31 ( 3 8 ) , 3 1 ) : " n a m q u o d s u p e r i u s ait ' c o n s u m m a t u r u m se d o m u i Iuda t e s t a m e n t u m nouum', ostendit uetus illut t e s t a m e n t u m q u o d p e r M o y s e n d a t u m est non f u i s s e p e r f e c t u m , id a u t e m quod p e r C h r i s t u m d a r i h a b e r e t c o n s u m m a t u m f o r e " (4,20,10 [ B r a n d t 366, 4 - 8 ] ) . Z u r B e d e u t u n g v o n testamentum (iure) perfectum im Sinne von Rechtsgültigkeit vgl. Heumann/Seckel 1958, s . v . perficere. Z u con summare testamentum v g l . M o n a t 1982, I I , S. 41 A n m . 102.

4,33,9 und J ü l i c h e r

1972, z .

St.

32

V g l . a u c h 4 , 2 0 , 8 : " C u m sit h e r e d i t a s e i u s c a e l e s t e i p s a m h e r e d i t a t e m se dicit odisse, sed heredes,

regnum, non utique qui aduersus eum

- 494 mit einem durch Cyprian vermittelten Zitat von Jer 31(38),31f33 sowie mit Jer 12,7f (4,20,6f). Nun setzt aber die Enterbung und Einsetzung eines neuen Erben nach römischem Recht ein neues Testament voraus. 34 Wie dieser Nachsatz mit dem Problem des Neuen Testamentes als "Erfüllung" des Alten zusammenpassen soll, bleibt so ganz unklar. 33 Aus dem Gesagten wird schon jetzt deutlich, daß Laktanz' Theologie zwar biblisch begründet, aber nicht eigentlich prozeßhaft gedacht ist. 36 Die Heilsgeschichte verläuft nicht einfach in aufsteigender Linie. (So fehlen auch sämtliche Wachstums- und Entwicklungsmetaphern.) Weder das alttestamentliche Gesetz noch die Philosophie werden als kollektive Vorbereitung auf Christus hin verstanden.37 Die Frage erhebt sich, warum das so ist. Dazu müssen wir unsere Untersuchungsbasis erweitern und fragen, was Laktanz über den Verlauf der Geschichte generell zu sagen hat.

i n g r a t i e t i n p i i e x t i t e r u n t " ( B r a n d t 365,16-19). 4,20,13: " ... i n l u m i n a t i ab e o [ s c . d e o ] s u m u s , qui nos t e s t a m e n t u o s u o adoptauit et liberat o s m a l i s u i n c u l i s a t q u e in l u c e m s a p i e n t i a e p r o d u c t o s in h e r e d i t a t e m r e g n i c a e l e s t i s a d s c i u i t " (B. 367,5-7). E b e n s o 4,20,11. D a z u M o n a t 1982, I, S. 83. Z u m " U n d a n k " a l s E n t e r b u n g s g r u n d i m r ö m i s c h e n R e c h t v g l . K ä s e r 1971/75, I, S. 711 m i t A n m . 17; II, S. 518. 33

V g l . C y p r . , test. M o n a t 1982, I, S.

1,11 78f.

(CChr.SL

3,13,2-14,8);

3,20

(115,17-22).

Anders

34

Vgl.

35

N o c h v e r w o r r e n e r wird der ganze Gedankengang durch die Einleitung d e s A b s c h n i t t e s : D o r t s p r i c h t e r n ä m l i c h n u r v o n einem Testament, das erst nach d e m T o d des T e s t a t o r s Christus v o l l s t r e c k t worden sei: " i d c i r c o M o y s e s et i d e m ipsi prophetae l e g e m quae Iudaeis data est t e s t a m e n t u m uocant, quia nisi testator m o r t u u s f u e r i t , nec c o n f i r m a r i t e s t a m e n t u m p o t e s t n e c s c i r i q u i d in e o s c r i p t u m sit, q u i a c l a u suni et o b s i g n a t u m est. itaque nisi C h r i s t u s m o r t e m suscepisset, aperiri t e s t a m e n t u m id est r e u e l a r i et i n t e l l e g i m y s t e r i u m dei non p o t u i s s e t " ( 4 , 2 0 , 2 f [ B r a n d t 364,9-141). H i e r g e h t e s a l s o o f f e n b a r u m d i e V o r a u s s e t z u n g e n z u r Eröffnung des T e s t a m e n t e s , nicht um die F r a g e d e r Rechts giiltigkeit.

K ä s e r 1971/75, I, S. 691, II, S. 4 9 4 .

36

V g l . L u n e a u 1964, S. 234; S c h w a r t e 1966, S. 167; L o i 1968, S. 241: " L a t t a n z i o non s v o l g e nella sua o p e r a u n ' e s p o s i z i o n e sistematica d e l l a storia d e l l a s a l v e z z a ; che anzi, e g l i s e m b r a i g n o r a r e un m o v i m e n t o o r g a n i c o d e l l a s t o r i a , ciofe una s u c c e s s i o n e d i e t ä , a t t r a v e r s o l e q u a l i si sviluppi la storia d e l l a s a l v e z z a . "

37

V g l . L u n e a u 1964, S. 231f u n d L o i 1968, S. 2 4 3 f , d e r b e m e r k t d a s G e s e t z s e i " s o l t a n t o un p e r i o d o di t r a n s i z i o n e in a s p e t t a z i o n e d e l l a ' v o c a z i o n e ' d e l l genti, p o i c h i e s s a 6 una Serie di r i b e l l i o n i c o n t r o D i o e d i t r a d i m e n t i d e l l a m i s s i o n e d i c o n s e r v a r e il m o n o t e i s m o . "

495 4. 1. 2. Urzeit und Kulturgeschichte Laktanz geht auf dieses Problem mehrfach in unterschiedlichem Kontext ein. Auszugehen ist dabei von seinem Verständnis d e r Urgeschichte, wie sie im Buch Genesis dargestellt ist. Laktanz paraphrasiert sie in inst. 2,12,15-2,14 par. epit. 22,2-ll 38 im Rahmen seiner Auseinandersetzung mit nichtchristlichen Kosmogonien ziemlich unverändert. Dabei liegt der Akzent einerseits darauf, die Sterblichkeit des Menschen gegen Varro biblisch zu begründen: Die Lebensspanne des ursprünglich unsterblichen Adam wurde nach dem Sündenfall auf tausend Jahre (2,12,21), später (vgl. Gen 6,3) auf hundertzwanzig Jahre begrenzt (2,13,3). Gleichzeitig ist f ü r Laktanz der Sündenfall d e r Ausgangspunkt einer Verschlechterung der Menschheit, die auch die Sintflut nicht aufzuhalten vermag und die schließlich zur Idolatrie führt, wobei Laktanz drei Gruppen unterscheidet, nämlich die Kanaanäer (Agnostiker, 2,13,6), die Hebräer, "in deren Händen die (wahre) Gottesverehrung ruhte", 3 9 sowie deren Nachkommen, die Ägypter (Astrologie, Verehrung von Tieren, 2,13,10f) und die übrigen Völker (Verehrung von Elementen und Königen, 2,13,12f). Anschließend wird die Geschichte von Gottessöhnen und Menschentöchtern aus Gen 6,1-4 nachgetragen und im Sinne einer Dämonenätiologie gedeutet (2,14), wobei diese in seltsamer Weise zur vorausgegangenen euhemeristischen Deutung d e s Götterkultes in Spannung steht. 4 0 Mit keinem Wort erwähnt Laktanz in diesem Zusammenhang die Entstehung d e r Kultur, was zu d e r bereits in Kapitel 3. 2. notierten Beobachtung paßt, daß die biblische Urgeschichte für derartige Spekulationen keinen Raum ließ. 41 Nun konnte Laktanz das Problem nach Lage der Dinge auch nicht einfach ignorieren, und s o versucht er mehrfach, pagane Kulturentstehungslehren in diesen Rahmen einzupassen. Das gilt zunächst für die Diskussion des Ursprunges menschlicher Gemeinschaft in 6,10. 42 Ziel der Argumentation ist es, misericordia und humanitas als Voraussetzungen sozialen Verkehrs zu erweisen (6,10,2). 43

38

Vgl. zum Folgenden v. a. Boas 1948, S. 33f; Andresen 1966, Sp. 159-163; Loi 1968, S. 241ff; 1970, S. 238-240; Heck 1972, S. 106-108.

39

2,13,8: "Ipsius autem patris posteri Dei resedit" (Monat 182,33f).

40

Vgl. 2,16,3 mit 2,13,12 sowie Wehrli 1971(1972), S. 293f.

41

Vgl. oben S. 377.

42

Vgl. zum Folgenden Spoerri 1959, S. 156-158, 220f.

43

"Quae uirtus propria est iustorum et cultorum dei, quod communis continet rationem" (6,10,2 EBrandt S14,llf]).

auch

Hebraei 5,S,9

dicti:

(dazu

penes

unten

S.

quos

religio

503).

Ferner

ea s o l a

uitae

- 496 Während die vernunftlosen Tiere von Natur aus gegen die Unbilden des Lebens geschützt seien, sei der Mensch unvollkommen, "damit ihn lieber die Weisheit ausbilde". 4 4 Aus diesem Grunde verfüge er über pietas und humanitas als Garanten des Überlebens und "höchstem Band der Menschen unter sich." 4S (Wie s o oft, ist auch hier Laktanz' Terminologie fließend.) Durch den Hinweis auf den göttlichen Hauch als menschliches Lebensprinzip wird diese Lehre schöpfungstheologisch verankert (6,10, 4.6f unter zusätzlicher Berufung auf Lucr., rer. nat. 2,991f). Das christliche Gebot d e r Feindes- und Nächstenliebe wird in diesen ontologischen Rahmen eingefügt (6,10,5.9): Da der Mensch ein animal sociale ist, "müssen wir in anderen Menschen uns selbst bedenken: Wir verdienen e s nicht, in Gefahr befreit zu werden, wenn wir (selbst) nicht zu Hilfe eilen, wir verdienen keine Hilfe, wenn wir (selbst) sie verweigern" (6,10,10).46 Da nun aber, wie wir noch sehen werden, für Laktanz dei cultus und iustitia bzw. humanitas eng verknüpft sind und e s beide im griechischrömischen Bereich nicht gegeben haben kann, ist er nun gezwungen nachzuweisen, d a ß die philosophischen Theorien über die Entstehung menschlicher Gemeinschaft auf falschen Voraussetzungen beruhen. Dazu weist er zunächst darauf hin, daß a) die Philosophen, die die Bedeutung menschlicher Gemeinschaft unterstrichen, gleichzeitig ein Elitedenken verträten, das sich schlecht damit vertrage; ferner seien b) die Philosophen zurückzuweisen, die der menschlichen Gemeinschaft ohnehin keinen Wert beimäßen (6,10,12). Ersteres ist, wie wir gleich sehen werden, sicher gegen die Stoa, letzteres gegen Epikur gerichtet. Sodann führt e r die Theorien dieser beiden Schulen zur Entstehung menschlicher Gemeinschaft weiter aus: 1. 6,10,13-17: Die Theorie der Epikureer 4 7 unterscheidet folgende Phasen: 1. Entstehung der Menschen aus der Erde; 44

6,10,3: " ... ut eum sapientia potius instrueret" (514,15f); Wiederaufnahme des stoischen "Trainingsmotivs"! Vgl. dazu oben S. 4 4 0 mit Anm. 177.

45

"Summum igitur [Brandt 18fD).

46

"Deus enim quoniam pius est, animal nos uoluit e s s e sociale: Itaque in aliis hominibus nos ipsos cogitare debemus. non m e r e m u r in peric u l o liebrari, si non succurrimus, non meremur auxilium, si negamus" (Brandt 515,15-18).

47

Zur H e r k u n f t von Demokrit bzw. aus einer epikureischen Quelle vgl. die Diskussion bei Spoerri 1959, S. 157f und 221. Gegen eine Vermittlung d u r c h Lukrez, die Hagendahl (1958, S. 64) und andere vermutet haben, spricht indessen "allein schon der Umstand, daß d o r t den Tieren bei der StädtegrUndung keine Bedeutung zukommt" (Spoerri 1959, S. 1S8, Anm. 8). Thraede (1972, Sp. 169) und andere (vgl. dazu bereits

inter

se

hominum

uinculum

est

humanitas"

(6,10,4

497 2. Urzustand: — erratica vita in Wäldern und Feldern; — keine Sprache; kein Recht; — Leben in Höhlen; — Gefährdung durch wilde Tiere; 3. Entstehung von Gemeinschaften und Sprache aus dem Schutzbediirfnis heraus; 4. Städtebau zur Verbesserung des Schutzes. Der kulturelle Fortschritt liegt hier also in der Vermeidung von Übeln. Laktanz' Widerlegung ist nicht ganz eindeutig, weil o f f e n b a r eine Textverderbnis vorliegt.· 18 Doch verwies sie o f f e n b a r auf die Widersprüchlichkeit dieser Theorie (6,10,17). 2. 6,10,18: Die zweite Theorie, die sich "als polemische Berichtigung der ersten" gibt, ist vermutlich stoischer Herkunft. 4 9 Der gemeinschaftsbildende Impuls ist hier die natürliche humanitas.

d i e b e i S p o e r r i 1959, S . 1S8, A n m . 8 u n d i n d e n A d d e n d a S. 221 z i tierten S t i m m e n ) v e r m u t e n V e r m i t t l u n g durch C i c e r o ( v g l . auch Ubern ä c h s t e A n m . ) . E i n e e n g e P a r a l e l e f i n d e t s i c h i n D i o d . 1,8,1-3. D i e A n t h r o p o g o n i e a u s d e r E r d e w i r d v o n L a k t a n z in 7,7,9 D e m o k r i t z u g e s c h r i e b e n ( d a z u S p o e r r i 1959, S. 1 2 3 f ) . Z u r v e r w a n d t e n epikureis c h e n T h e o r i e v g l . e b e n d a , S . 124-126. ( A h n l i c h e S p e k u l a t i o n e n werden in 7,4,3 a l l e r d i n g s a u c h v o n d e n S t o i k e r n b e r i c h t e t . ) Zum zuvor erwähnten v g l . a u c h 3,17,42.

Rückzug

der

Epikureer

aus

der

Gesellschaft

48

D a s ü b e r l i e f e r t e autem i n 6,10,17 ( B r a n d t 517,5) k a n n n i c h t korrekt s e i n . D i e K o n j e k t u r B r a n d t s tarnen, paläographisch plausibel, würde einen Gegensatz konstruieren zwischen dem angeborenen Verhalten d e r T i e r e u n d d e m L e r n e n d e r M e n s c h e n . D a n n w ä r e exemplis Z. 5 mit Spoerri als "Fälle der E r f a h r u n g " zu übersetzen und auf die A n g r i f f e der wilden Tiere als Ursache für soziales Verhalten zu b e z i e h e n (1959, S. 158, A n m . 10). A l l e r d i n g s f i e l e e i n s o l c h e r Vorwurf auf Laktanz zurück, der ja mit der gegnerischen Position darin übereinstimmt, den Tieren ein natürliches Sozialverhalten zuzubilligen, d a g e g e n selbst aber die Ungeschütztheit des M e n s c h e n betont hatte ( v g l . 6 , 1 0 , 3 ) . N u n k ö n n t e exemplis aber auch "Beispiel" meinen und sich dann auf den vorangehenden Nebensatz beziehen. Der Gegensatz b e s t ü n d e dann nicht z w i s c h e n d e m N e b e n s a t z und d e m H a u p t s a t z (die M e n s c h e n a h m e n d a s B e i s p i e l d e r T i e r e n a c h , e b e n weil [ c u m , Z . 23 bereits die T i e r e dies tun!), s o n d e r n z w i s c h e n d e n b e i d e n accusatjvj cum infinitivis des Hauptsatzes (Gegensatz zwischen Nachahmung und Furcht vor wilden Tieren als gemeinschaftsbildende Kraft). Dann m ü ß t e autem e n t w e d e r mit H e u m a n n eliminiert o d e r mit Heusinger a l s aut g e l e s e n w e r d e n , d e m d a s aut i n Z . 7 k o r r e s p o n d i e r t . V g l . d e n A p p a r a t B r a n d t s z. St. I c h b i n nicht s i c h e r , o b d i e U m s t e l l u n g ipsos aut n ö t i g i s t , w i e H e u s i n g e r a n n i m m t .

49

V g l . S p o e r r i 1959, S. 1 5 8 f ; d a s Z i t a t S . 158. A l s V o r l a g e w o h l C i e . , r e p . 1,39. V g l . a u c h P o h l e n z 1970, I, S . 4 4 3 .

diente

hier

- 498 Man erkennt auf den ersten Blick, daß Laktanz in seiner eigenen Darlegung in 6,10,3f Elemente beider Theorien vereinigt hatte: Aus der ersten stammt das Motiv der Unvollkommenheit und Schutzlosigkeit des Menschen, aus der zweiten der Gedanke der natürlichen humanitas. So ist es auch kaum verwunderlich, daß Laktanz sogleich feststellt, daß sich die beiden Theorien im Grunde nicht widersprächen. Wenn dennoch beide falsch seien, dann wegen der falschen Grundannahme, die Menschen seien "erdgeboren", 50 was der biblischen Schöpfungsgeschichte widerspreche (6,10,19). Da es zunächst nur einen einzigen Menschen gegeben habe, "entstand am Anfang keine derartige Vereinigung, und wer (nur) über etwas Verstand verfügt, wird einsehen, daß es niemals auf der Erde Menschen gegeben hat, die — abgesehen von ihrer Kindheit — nicht gesprochen haben" (6,10,20).51 Auch die Hypothese, die Ausbildung von Sprache sei Folge der sozialen Entwicklung, kann er also aufgrund seines biblischen Erbes (Gen 2,19f) nicht akzeptieren. Doch ist dies in Wahrheit, wie gleich zu zeigen sein wird, nur eine minimale Modifikation dieses Modells; denn Laktanz bestreitet lediglich den Zeitpunkt der Gemeinschaftsbildung sowie den Ursprung der Sprache, nicht aber das Modell als Ganzes. Laktanz fügt überdies in 6,10,21-27 noch eine refutatio auf der Grundlage der von den Gegnern vorgetragenen Argumente an. Gegenüber Theorie 1 behauptet er etwas apodiktisch, daß die gegenseitige Hilfeleistung die Annahme einer ursprünglichen humanitas voraussetze, die sich mit der gesellschaftsfeindlichen Ethik der Epikureer schlecht vertrage. 52 Die Widerlegung der zweiten Theorie nimmt wesentlich mehr Raum ein (6,10,26-11,10). Sie läuft darauf hinaus, daß die gemeinstoische humanitas auf dem do ut des-Prinzip beruhe, sich damit aber selbst desavouiere, weil sie den wahrhaft Hilfsbedürftigen nicht zuteil werde. 53 Ähnlich hatte Laktanz bereits in 3,23,8-10 gegen die zenonische Verwerfung der misericordia polemisiert. 54 Auch hier hatte er darauf hingewiesen, daß

s0

D i e W o r t e " ... h o m i n e s e t e r r a t a m q u a m e x d r a c o n i s a l i c u i u s d e n t i b u s p r o s e m i n a t i , u t p o e t a e f e r u n t " (6,10,19 [ B r a n d t 517,16fD) spielen deutlich auf den C a d m u s - M y t h o s an. V g l . A p o l l . Rhod. 3,1185-1187; Ο ν . , m e t . 3 , 1 0 1 f f ; A p o l l o d . 3,4,1; P a u s . 9,10,1; H y g . , / a b . 178 u . ö .

51

" N u l l a i g i t u r in p r i n c i p i o f a c t a e s t e i u s m o d i c o n g r e g a t i o nec umquam f u i s s e h o m i n e s in terra qui p r a e t e r i n f a n t i a m n o n l o q u e r e n t u r , intell e g e t c u i r a t i o n o n d e e s t " ( B r a n d t 517,20-518,2).

52

Hier

s3

Zur par.

neutestamentlichen L k 6,32-34.

54

Vgl.

auch Thraede

wird

also

das

bereits

6,10,12 A u s g e f ü h r t e

Begründung

1972, S p .

168f.

dieses

wiederholt.

Arguments

vgl.

Mt

5,46f

499 s i c h die B a r m h e r z i g k e i t a u s der a n f ä n g l i c h e n S c h u t z l o s i g k e i t d e s Menschen zwingend ergebe: " D a nämlich die Natur d e s M e n s c h e n s c h w ä c h e r ist a l s die der ü b r i g e n Tiere, die die h i m m l i s c h e V o r s e h u n g mit natürlichen S c h u t z m e c h a n i s m e n v e r s e h e n hat, um widrige äußere U m s t ä n d e zu e r t r a g e n o d e r u m A n g r i f f e von ihren K ö r p e r n a b z u w e h r e n , d e m M e n s c h e n aber nichts d e r g l e i c h e n g e g e b e n w o r d e n ist, hat er s t a t t all d i e s e n Dingen d a s G e f ü h l d e s Mitleids e m p f a n g e n , d a s m a n e i n f a c h Menschlichkeit nennt, damit wir u n s damit g e g e n s e i t i g s c h ü t z t e n . Denn wenn der M e n s c h b e i m Anblick eines anderen M e n s c h e n wild würde, w a s wir bei den Lebewes e n b e o b a c h t e n , die von Natur a u s E i n z e l g ä n g e r sind, dann g ä b e e s keine m e n s c h l i c h e G e s e l l s c h a f t , weder I n t e r e s s e noch einen Plan d a f ü r , Städte zu gründen, und s o w ä r e man sich d e s e i g e n e n L e b e n s nicht sicher, weil die s c h w a c h e n M e n s c h e n auch den ü b r i g e n Tieren a u s g e s e t z t wären und s e l b s t g e g e n e i n a n d e r wie B e s t i e n wüten w ü r d e n " (3,23,9f). 5 5 Damit rezipiert er aber den e p i k u r e i s c h - s t o i s c h e n G r u n d g e d a n k e n der V e r e i n z e l u n g und Schwachheit d e s M e n s c h e n nahezu unverändert, wenn auch von der G e n e s i s her n e u b e g r ü n d e t . F o r t s c h r i t t s m o t i v ist bei den Stoikern wie bei Laktanz die humanitas als dem Menschen angeborene G e m ü t s b e w e g u n g , die aber bei l e t z t e r e m im Sinne der (biblisch b e g r ü n deten) misericordia u m d e f i n i e r t wird: Die m e n s c h l i c h e Schwachheit ist eine K o n s e q u e n z der g o t t g e w o l l t e n S t e r b l i c h k e i t . 3 6 D a r a u s f o l g t j e d o c h nicht e t w a eine p e s s i m i s t i s c h e W e l t s i c h t : Wie e s immer S p r a c h e g e g e b e n hat, s o ist der M e n s c h a u f g r u n d d e s g ö t t l i c h e n S c h ö p f u n g s a k t e s imm e r — m i n d e s t e n s potentiell — ein animal sociale g e w e s e n und hat mitt e l s der humanitas d i e s e s Potential verwirklicht. Ein Verzicht a u f die s o christianisierte humanitas b e d e u t e t e ein Ende d e s F o r t s c h r i t t e s . 55

" C u m e n i m n a t u r a h o m i n i s inbecillior sit q u a m c e t e r o r u m a n i m a l i u m , q u a e uel ad p e r f e r e n d a m u i m t e m p o r u m uel ad i n c u r s i o n e s a suis corporlbus arcendas naturalibus munimentis prouidentia caelestis arm a u i t , h o m i n i a u t e m q u i a nihil i s t o r u m d a t u m e s t , a c c e p i t p r o i s t i s Omnibus miserationis adfectum qui p l a n e uocatur humanitas, qua n o s m e t inuicem t u e r e m u r . n a m si h o m o ad c o n s p e c t u m alterius hominis efferaretur, quod facere uidemus animantes quarum natura soliuaga est, nulla esset hominum societas, nulla urbium condendar u m uel c u r a uel ratio, sic ne uita q u i d e m s a t i s tuta, c u m et c e t e r i s a n i m a l i b u s e x p o s i t a e s s e r t inbecillitas h o m i n u m et ipsi inter semet I p s o s b e l u a r u m m o r e s a e u i r e n t " ( B r a n d t 2S3,13-25). V g l . epii. 33,6-8; e b e n s o o p i f . 4,16-22.

56

V g l . a u c h o p i f . 3,7: " C u m e r g o sic h o m o f o r m a n d u s e s s e t a d e o ut m o r t a l i s e s s e t a l i q u a n d o , r e s i p s a e x i g e b a t ut t e r r e n o et f r a g i l i corp o r e f i n g e r e t u r . n e c e s s e e s t igitur ut m o r t e m reeipiat quandolibet, quoniam corporalis est; corpus enim quodlibet solubile atque mortale e s t " ( B r a n d t 15,17-22).

- soo Diese Yerchristlichung des paganen Fortschrittsmodells S7 führt nun aber gleichzeitig auch zu einer Reduktion. Die griechisch-römischen Kulturentstehungslehren werden nämlich nicht in ihrer ganzen Breite rezipiert, sondern — aus Gründen, die noch zu erörtern sein werden — auf die Sozialphilosophie (Entstehung von Gesellschaft) reduziert. Dementsprechend steht Laktanz auch dem Fortschritt in der Technik, den Künsten und den Wissenschaften seiner eigenen Zeit außerordentlich skeptisch gegenüber. 58 Zwar führt er gegen den radikalen erkenntnistheoretischen Skeptizismus eines Arkesilaos in 3,5 an, daß es sehr wohl eine weiter fortschreitende scientia gebe: "Es gibt nämlich viele Dinge, deren Kenntnis uns die Natur selbst, häufiger Gebrauch und die Notwendigkeit des Lebensunterhaltes) aufzwingen. Daher müßte man zugrundegehen, wenn man nicht wüßte, was zum Leben nützlich ist, um sich (sodann) darum zu bemühen, und was gefährlich ist, um es zu fliehen und zu meiden. Außerdem gibt es vieles, was der Gebrauch erfindet. Denn man nahm die verschiedenen Umläufe der Sonne und des Mondes und der Zug der Sterne und die Zeiteinteilung wahr, die Natur von Körpern und die Kräfte der Kräuter wurden von Ärzten und von Bauern die Natur der Erde und ebenso die Hinweise auf kommende Regenschauer und Stürme gesammelt: kurzum, es gibt keine Kunst, die nicht in Wissen besteht" (3,5,lf). 59

57

G e g e n T h r a e d e 1972, S p . 169: " L a k t a n z hat s o m i t e i n e n s e i n e r a n t h r o p o l o g i s c h - e t h i s c h e n H a u p t g e d a n k e n mit H i l f e eines leicht gemodelten FCortschrittslmotivs kulturhistorisch unterbaut. Spezifisch Christliches b r i n g t er nicht v o r , s o n d e r n v e r s c h m i l z t s t o i s c h e u t n d l epikureische A n s ä t z e der Sozialphilosophie, an der ü b e r k o m m e n e n individualistischen Herleitung der G e s e l l s c h a f t festhaltend." Die "leichte Model u n g " enthält j a nun g e r a d e das Entscheidende, nämlich spezifisch C h r i s t l i c h e , i n d e m n ä m l i c h d i e humanitas a u s d r ü c k l i c h e b e n nicht wie in d e r S t o a v e r s t a n d e n w i r d ! M a n d a r f s i c h v o n d e n U b e r n a h m e n u n d A n l e h n u n g e n in d e r B e g r i f f l i c h k e i t n i c h t t ä u s c h e n l a s s e n — d a s ist Teil der a p o l o g e t i s c h e n Technik. T e r m i n o l o g i s c h e Übereinstimmungen s i n d b e a b s i c h t i g t u n d l a s s e n g e r a d e keine Schlüsse auf Übereinstimm u n g e n i n d e r Sache z u . V g l . d a z u a u c h B u c h h e i t , D e f i n i t i o n , 1979.

58

Z u m Folgenden vgl. Thraede mit A r n o b i u s ( v g l . o b e n Kap.

59

" S u n t e n i m m u l t a q u a e s c i r e n o s n a t u r a i p s a et u s u s f r e q e n s et uitae n e c e s s i t a s cogit. itaque p e r u n d u m est, nisi scias q u a e ad u i t a m sint u t i l i a , ut a d p e t a s , q u a e p e r i c u l o s a , ut f u g i a s et u i t e s . p r a e t e r e a m u l t a s u n t q u a e u s u s i n u e n i t . n a m s o l i s ac l u n a e u a r i i c u r s u s et m e a t u s s i d e r u m et r a t i o t e m p o r u m d e p r e h e n s a e s t , et n a t u r a c o r p o r u m a m e dicis h e r b a r u m q u e u i r e s , et a b a g r i c o l i s natura terrarum nec non i m b r i u m f u t u r o r u m ac t e m p e s t a t u m s i g n a c o l l e c t a s u n t : n u l l a d e n i q u e a r s e s t q u a e n o n s c i e n t i a c o n s t e t " ( B r a n d t 186,8-16).

1972, S p . 3.2.6.).

167-169.

Darin

berührt

er

sich

501 Das Betätigungsfeld der scientia ist also zunächst die kulturelle Entfaltung des Menschen. Gleichzeitig ermöglicht es die Koppelung von Wissen und Kultur Laktanz, die scientia gegen die Philosophie auszuspielen. Denn letztere sei wesentlich jünger als das Wissen (3,16,12-16). Dies ähnelt der Unterscheidung zwischen praktischer Vernunft und metaphysischer Neugier in der Stoa und bei Origenes, 60 doch unter umgekehrtem Vorzeichen (bei Laktanz: Ab- statt Aufwertung der Philosophie). Doch auf der anderen Seite wird das "weltliche Wissen" von ihm stark relativiert. Die scientia sei zwar etwas dem Menschen Eigentümliches (3,8,24), aber eben doch abhängig von ihrem Inhalt. Solange ihre Anwendung sich nur auf den Lebensunterhalt, auf Vergnügen und Ruhm beschränke, so lange unterscheide sich der Mensch keineswegs von den Tieren (3,8,25-27).61 Auch wenn sie sich auf die Natur richte, sei sie letztlich eitel. (Dies führt Laktanz zu einer Abwertung der Naturwissenschaft [vgl. die Polemik gegen Geographie und Astronomie in 3,8,29162). Anders hingegen, wenn sie sich mit der virtus zur sapientia verbinde, die wiederum auf die religio ausgerichtet sei.63 Die religio ihrerseits bildet mit misericordia bzw. humanitas den christlichen Begriff von Gerechtigkeit, wobei die religio sozusagen "vertikal", auf Gott ausgerichtet ist, misericordia/humanitas hingegen die "horizontale", ethische Dimension der Gerechtigkeit darstellen. 64 Durch Zuordnung zur religio wird

60

V g l . o b e n S. 421-424.

61

V g l . auch 3 , 1 0 , 1 - 4 : Das w a s d i e M e n s c h e n v o m T i e r u n t e r s c h e i d e t ist die religio. A u c h d i e T i e r e v e r f ü g e n ü b e r S p r a c h e , L a c h e n , L i e b e , Plan u n g , p r a k t i s c h e V e r n u n f t (!).

62

E b e n s o 3,3,4-6. D i e physlcl sind b e i L a k t a n z o f f e n b a r k e i n e f e s t umr i s s e n e G r u p p e . A n t i s t o i s c h in 1,12,3; 3,6,6; a n t i e p i k u r e i s c h in 2,8,69-71; 3,28,3f ( d a z u H a g e n d a h l 1958, S. 8 5 f ; 1983, S. 45). Z u r A b l e h n u n g d e r " P h y s i k " auch 3,6,17; 3,13,6 ( n e b e n d e r L o g i k ) . V g l . f e r n e r 3 , 2 3 , l l f f . Zu den ausgedehnten Diskussionen im A l t e r t u m u m den Ursprung N i l s v g l . H o n i g m a n n 1936, Sp. 5S6-561.

des

D a z u T h r a e d e 1972, Sp. 168: " H i l f e i m K a m p f g e g e n d e n V e r f a l l d e r W i s s e n s c h a f t w a r v o n d i e s e η c h r i s t l Eichen] S c h r i f t s t e l l e r n s o w e nig w i e v o n d e r h e l l e n i s t i s c h e n S c h u l p h i l o s o p h i e zu e r w a r t e n . " W i e imm e r ü b e r p o i n t i e r t G e f f c k e n 1907, S. 293: " ... L a k t a n z ist in d e r T a t t r o t z s e i n e s W i s s e n s d e r e r s t e und n a c h d r ü c k l i c h s t e V e r t r e t e r j e n e r antiwissenschaftlichen römisch-christlichen Richtung, die zuletzt den mittelalterlichen N a t u r f o r s c h e r auf den Scheiterhaufen brachte." V g l . auch e b e n d a S. 293f. 63

3 , 8 , 3 0 f ; 3,9f; 3,12,18. D i e p h i l o s o p h i s c h e T e r m i n o l o g i e d e s L a k t a n z ist b i s w e i l e n e t w a s v e r s c h w o m m e n . V g l . d a z u a u s f ü h r l i c h W l o s o k 1960, S. 196-200.

64

6,10,2: " S e d tarnen p r i m u m iustitiae o f f i c i u m e s t c o n i u n g i c u m d e o , s e c u n d u m , c u m h o m i n e , set i l l u t p r i m u m r e l i g i o d i c i t u r , h o c s e c u n d u m m i s e r i c o r d i a uel h u m a n i t a s n o m i n a t u r " ( B r a n d t 514, 8-11). Z u m

- 502 die scientia aber dermaßen metaphysisch "aufgeladen", daß alles andere Wissen letztlich gegenstandslos wird. Nun ist die Verkoppelung von religio und humanitas/misericordia bei Laktanz so zu verstehen, daß sich beide Elemente gegenseitig bedingen. Dies hat dann aber auch für das Gebiet, in dem Laktanz die Annahme eines Fortschritts zuläßt, einschneidende Folgen, nämlich die Gesellschaftstheorie. Denn es folgt daraus zweierlei: 1. Wenn es nur dort Gesellschaft gibt, wo humanitas/misericordia wirksam sind, letztere aber an die christliche Gottesverehrung gekoppelt sind,6S dann muß es anfangs einen Monotheismus gegeben haben. 2. In dem Moment, in dem der Götterkult entstand, muß die zivilisatorische Entwicklung zum Stillstand gekommen sein. Diese Folgerungen werden von Laktanz nun auch an anderer Stelle in den Institutionen tatsächlich gezogen, nämlich in inst. 3,5-8 par. epit. 20, und zwar wiederum in charakteristischer Modifikation des paganen Erbes. Ich kann mich hier kurz fassen, da die Passage bereits mehrfach ausführlich untersucht worden ist.66 Sie rezipiert die pagane Weltalterlehre. Ziel der Darlegung ist dabei wie schon in Buch 2 der Nachweis des Verlustes der iustitia als Folge der Abkehr von Gott und der Einführung der Götzenverehrung.67 Doch geht es nicht wie in Buch 2 um kosmologische Fragen, sondern die Urgeschichte wird hier im Rahmen der Ethik behandelt, wobei aktuelle Probleme immer gegenwärtig sind.68 d u m m i s e r i c o r d i a u e l h u m a n i t a s n o m i n a t u r " ( B r a n d t 514, 8-11). Z u m G e r e c h t i g k e i t s b e g r i f f b e i L a k t a n z v g l . L o i 1966, v . a. S. S 8 7 f ; M o n a t 1973, I, S. 58-63; B u c h h e i t , D e f i n i t i o n , 1979. 65

6,10,2-4 ( F o r t s e t z u n g d e s Z i t a t e s in d e r v o r a n g e h e n d e n Anmerkung): " Q u a e uirtus p r o p r i a e s t i u s t o r u m et c u l t o r u m dei, q u o d ea s o l a uitae c o m m u n i s c o n t i n e t r a t i o n e m . d e u s e n i m qui c e t e r i s a n i m a l i b u s sapientiam non dedit, naturalibus ea munimentis ab incursu et p e r i c u l o t u t i o r a g e n e r a u i t , h o m i n e m u e r o q u i a n u d u m f r a g i l e m q u e f o r m a u i t , ut e u m sapientla potius instrueret, dedit ei p r a e t e r cetera hunc pietatis a d f e c t u m , ut h o m o h o m i n e m t u e a t u r d i l i g a t f o u e a t c o n t r a q u e omnia p e r i c u l a et accipiat et p r a e s t e t a u x i l i u m . s u m m u m Igitur inter se h o m i n u m u i n c u l u m est humanitas: q u o d qui diruperit, n e f a r i u s et p a r r i c i d a e x i s t i m a n d u s e s t . n a m si a b u n o h o m i n e q u e m d e u s f i n x i t o m n e s o r i m u r , c e r t e c o n s a n g u i n e i s u m u s et i d e o m a x i m u m scelus p u t a n d u m e s t o d i s s e h o m i n e m u e l n o c e n t e m " ( B r a n d t 514,11-515,1).

66

V g l . B o a s 1948, S. 34-37 u n d L u n e a u 1964, S. 232-34 ( v o n a b e r t e i l w e i s e e r h e b l i c h a b w e i c h e ) ; f e r n e r L o i 1968, S. 2 4 5 f a l l e m die A r t i k e l s e r i e v o n Buchheit.

denen sowie

ich vor

67

V g l . d i e P a r a l l e l e in 4,1; d a z u L o i 1968, S. 246.

68

V g l . L o i 1970, S. 242: " M a , a n o s t r o p a r e r e , si t r a t t a di u n o s c h e m a a d o t t a t o in f u n z i o n e a p o l o g e t i c a , m e d i a n t e il q u a l e l o s c r i t t o r e s i p o n e sullo stesso piano culturale degli a w e r s a r i pagani, per dimostrare l o r o c h e e s s i n o n p o s s e d e v a n o la v e r a giustizia, poich6, pur e s a l t a n d o l a e p u r p e r s e g u i t a n d o in s u o n o m e i C r l s t i a n i , l a r i m p i a n g e v a n o come s c o m p a r s a d a l l a t e r r a i n s i e m e c o n l'et& d e H ' o r o . "

- S03 Laktanz übernimmt von den poetae die Vorstellung von den tempora aurea unter der Herrschaft des Saturn und dem anschließenden Verfall unter Jupiter, legt sie aber strikt allegorisch-euhemeristisch aus:69 Bei Saturn und Jupiter handelte es sich in Wahrheit um Könige, und die Vertreibung der iustitia von der Erde bedeutete nichts anderes als die Aufgabe der (rechten) Gottesverehrung (5,6,12: desertio diuinae religionist. Dabei ist die von ihm vorausgesetzte Urgeschichte ein Amalgam aus mehreren Quellen, die er auch namhaft macht: Arats phaenomena in den Übersetzungen von Cicero und Germanicus Caesar, Vergils georgica und Aeneis, die metamorphoses Ovids sowie — eher beiläufig — Gen 2,17 (?; siehe unten), Lukrez und Ciceros pro rege Deiotaro.70 Die Herrschaft Saturns (5,S,2-8) ist die Phase vor der Ausbildung der Götterverehrung; Laktanz greift also den Gedanken vom "Urmonotheismus" hier auf und hängt das pagane Modell einfach an. Zu den Charakteristika dieser Urzeit zählt — die Abwesenheit von dissensiones, inimicitiae und bella (5,5,4; aus Arat), — ein einfaches Leben (5,5,5; aus Arat) — und ein Urkommunismus ohne avaritia (S,S,5f; aus Vergil). Den letzteren Punkt präzisiert Laktanz sogleich (5,5,6-8) dahingehend, daß damit nicht die Leugnung des Privateigentums gemeint sei, sondern die ursprüngliche liberalitas der Menschen.71 Als Folge des Wechsels von Saturn zu Jupiter sei die rechte Gottesverehrung aufgegeben und damit auch die iustitia "vertrieben" worden (5,5,9). Laktanz zögert zunächst hinsichtlich der Ursache dieses Verfallsprozesses (er schwankt zwischen den Alternativen novi regis metu oder sua sponte 5,5,9), stellt dann aber das schlechte Vorbild Jupiters heraus:72 Auf ihn seien odium, invidia und dolus unter den Menschen zurückzuführen (5,5,10), wobei Laktanz bereits deutlich auf die Christenverfolgungen anspielt (5,5,11). Gleichzeitig mit der dei religio sei aber auch die boni ac mali scientia

D a ß d i e s e s B u c h n a c h 311 aus A n l a ß d e r E i n f ü h r u n g an d e n k o n s t a n t i n i s c h e n H o f e n t s t a n d e n s e i n s o l l ( s o M o n a t 1973, I, S. 11-1S: 313-315), 1st a n g e s i c h t s d e r s c h a r f e n R o m k r i t i k ( ζ . B. 5,6,2-5; 8,9) a u s g e s c h l o s s e n ( v g l . a u c h L o i , V a l o r i , 196S, S. 67-81; B u c h h e l t 1978/79, S. 172-174; d e r s . , Z e i t b e z u g , 1979, p a s s i m ; W l o s o k in H e r z o g 1989, S. 391). F e r n e r u n t e n A n m . 76. 69

V g l . b e r e i t s l , l l , 5 0 f f . Zu d e n Q u e l l e n auch W e h r l i

70

V g l . d e n T e s t i m o n i e n a p p a r a t in d e r A u s g a b e M o n a t s 1973. F ü r d a s F o l g e n d e ist auch M o n a t s e i n g e h e n d e r K o m m e n t a r zu b e a c h t e n s o w i e f e r n e r L o i 1970, S. 2 4 2 f .

71

Laktanz vertritt keinen A m a r e l l i 1970, S. 217f.

72

V g l . h i e r z u a u s f ü h r l i c h B u c h h e i t , J u p p i t e r , 1979.

Kommunismus;

vgl.

Alio

1971(1972), S.

Isichei

1964,

290ff.

S.

64f;

-

504

(Gen 2,17) verlorengegangen. Wenn hierin tatsächlich eine Anspielung auf die biblische Urgeschichte vorliegt, 73 dann handelte es sich um eine seltsame Verkehrung dieser Urgeschichte, in der die bort! ac mali seientia gerade eine Folge des "Falles" ist. 74 Als Folge der Aufgabe der rechten Gottesverehrung habe die einsetzende cupiditas7S zu Zwist unter den Menschen geführt (5,3,14-5,6,1). Bei der Beschreibung dieser Konsequenzen, und das ist für unseren Zusammenhang von besonderer Wichtigkeit, bleibt Laktanz aber nicht bei moralisierender Kulturkritik wie der eines Seneca (ep. 90) stehen, sondern er prangert konkrete ökonomische und politische Mißstände an: wirtschaftliche Ungleichheit, Sklaverei, ungerechte Gesetze, Machtmißbrauch zur Wahrung der eigenen Interessen. "Die Schilderung gipfelt in einer konkreten Zeichnung römischer Herrschaftsformen: Klientelwesen, Herrschaftszeichen, W a f f e n , Kleidung der Ehrenträger:" 76 Konsequenz dieses Verlustes an Gerechtigkeit, die ja in Wahrheit in humanitas, aequitas und misericordia bestehe (5,6,1-5). Noch einmal wird ausführlich das schlechte Vorbild Jupiters beschworen (5,6,6-9). Durch die beständige Nachahmung (assidua imitatione) sei aus der male vivendi consuetudo schließlich ein mos geworden (5,6,10).77 I η scharfem Kontrast hierzu betont Laktanz nochmals die enge Verknüpfung von Gerechtigkeit und Gottesverehrung und deren praktische Konsequenzen: Die divina religio habe zur Folge, "daß der Mensch den Menschen liebe und wisse, daß er mit ihm durch das Band der Brüderlichkeit verbunden sei, da ja Gott 'der eine Vater aller' ILucr., rer. nat. 2,9921 sei, daß er die Gaben (dieses) Gottes und gemeinsamen Vaters mit denen, die sie nicht hätten, teile, niemandem Schaden zufüge, niemanden unterdrücke, dem Gast nicht die Tür und dem Bittsteller nicht sein Ohr verschließe, sondern 'freigebig, wohltätig und großzü-

73

So

74

V g l . G e n 3,5-7; f e r n e r inst. 2,12,16.18; 6,5,10; 7,S,27 ( c o d d . S g ) ; epit. 22,2. V g l . z u m T r a d i t i o n s h i n t e r g r u n d B u c h h e i t , S c i e n t i a , 1979, d e r d i e s e S p a n n u n g a b e r a u c h w e d e r a u f l ö s e n k a n n n o c h w i l l ( v g l . S. 2 4 4 ) .

nachdrücklich

75

Zum Begriffspaar b e i M o n a t z. St.

76

B u c h h e i t 1 9 7 8 / 7 9 , S. 172. V g l . z u r Z e i t k r i t i k i n d i e s e n K a p i t e l n a u c h e b e n d a S. 172-174 u n d 1 8 2 f s o w i e d e r s . , Z e i t b e z u g , 1979, p a s s i m . Z u r R o m k r i t i k b e i L a k t a n z a l l g e m e i n v g l . L o i 1965, S. 67-81.

77

Mos ist d e u t l i c h s t ä r k e r t i s c h e U n t e r t ö n e (mos Zu den Ursachen I 9 6 0 , S. 2 5 8 - 2 6 0 .

Monat

1973, z .

cupiditas/avaritia

der

St.

vgl.

a l s consuetudo maiorumf).

Gottesunkenntnis

die

weiterführenden

und bei

hat

sicher

Laktanz

vgl.

Hinweise

auch

romkri-

auch

Wlosok

- SOS gig sei': dies seien nach Ansicht des Tullius 'königliche Qualitäten' [Cie., Deiot. 9,26]" (5,6,12).78 In Christus sei uns aber eine "Abschattung jener goldenen Zeit" (species illius aurei temporis) zuteil geworden, und durch ihn auch die Gerechtigkeit, "die nichts anderes ist als die fromme und ehrfürchtige Verehrung des einzigen Gottes" (" ... quae nihil aliud est quam dei unici pia et religiosa cultura"), wiederaufgerichtet worden, die allerdings vorläufig auf wenige beschränkt sei (5,7,lf). 79 Nach einer praemunitio80 über die Notwendigkeit der Existenz des malum in 5,7,3-10 leitet Laktanz die confirmaticP1 mit einem beschwörenden Appell an den Gerechtigkeitssinn seiner Gegner ein (5,8,1-9). Er wendet sich zunächst an sie im Imperativ (5,8,2-5), um sodann im Konjunktiv 5,8,6-9 das Bild einer Welt zu entwerfen, in der allein Gott verehrt würde (quodsi solus deus coleretur), eine Welt ohne Übel: "Es gäbe daher, wie gesagt, keines von all diesen Übeln auf Erden, wenn sich alle unter dem Gesetz Gottes verbänden, wenn von allen getan würde, was unser Volk allein ins Werk setzt. Wie glücklich und wie golden wäre die Verfassung der Menschheit, wenn sich auf der ganzen Welt Freundlichkeit, Friede, Unschuld, Gleichheit, Mäßigkeit und Zuverlässigkeit fänden!" (5,8,8). 82

78

" ... q u a e Esc. d i u i n a r e l i g i o ] s o l a e f f i c i t ut h o m o h o m i n e m C a r u m habeat e u m q u e sibi fraternitatis uineulo sciat e s s e c o n s t r i c t u m , siquid e m ' p a t e r i d e m o m n i b u s ' d e u s e s t , ut d e i p a t r i s q u e c o m m u n i s b e n e f i c i a c u m iis q u i n o n h a b e n t p a r t i a t u r , n u l l i n o c e a t , n u l l u m p r e m a t , non f o r e m claudat hospiti, non e u r e m precanti, s e d sit ' l a r g u s , beneficus, liberalis: quas regias esse laudes' Tullius existimauit" ( M o n a t 158-160).

79

Zu dieser zentralen 183-185, 219-235.

80

Vgl.

Monat

Passage

vgl.

ausführlich

1973, II, S. 8 0 f : " r i f u t a t i o n

Buchheit

1978/79,

S.

priMiminaire".

81 S o M o n a t 1973, II, S. 84 f . 82

" ... n o n e s s e n t i g i t u r , ut d i x i , h a e c o m n i a in t e r r i s m a l a , si a b o m n i b u s in l e g e m d e i c o n i u r a r e t u r , si a b u n i u e r s i s f i e r e n t q u a e u n u s noster populus operatur. Quam beatus esset, quamque aureus human a r u m r e r u m s t a t u s , si p e r t o t u m o r b e m m a n s u e t u d o e t p i e t a s e t p a x et i n n o c e n t i a et aequitas et t e m p e r a n t i a et f i d e s m o r a r e t u r " (Monat 166).

- 506 4. 1. 3. Die Rolle Roms innerhalb der Endzeit Zwei Charakteristika der Verwendung der Vorstellung vom "goldenen Zeitalter" bei Laktanz sind von kaum zu überschätzender Bedeutung f ü r die nachfolgende Entwicklung: zum einen die Vorstellung von der Inkarnation a l s dem Anbruch eines neuen "goldenen Zeitalters"; z u m anderen die bereits erwähnte Verkoppelung von Gerechtigkeits- und Religions begriff. Bislang ist d a s mit Christi Erscheinen in d e r Welt angebrochene "goldene Zeitalter" nur als "Abschattung" (species) zugänglich und steht nur einigen wenigen offen. Vollständig wiederhergestellt wird e s erst nach der zweiten Ankunft Christi im tausendjährigen Reich. 83 Der Konjunktiv des Origenes, was die Möglichkeiten f ü r ein christliches Reich angeht, 8 4 wird von Laktanz also zunächst aufgegriffen, dann aber zugunsten eines Äonendualismus aufgegeben und s o die Geschichte entdynamisiert. Folglich beschreibt er auch in 7,24,6ff® s den Zustand d e r Welt während dieses eschatologischen Millenniums mit Vorstellungen, die einerseits der Apokalyptik, andererseits aber eben auch der aurea aeias-Topik entnommen sind. Das tausendjährige Reich ist ein locus amoenus mit tausendjährigem Leben, strahlender Helligkeit, Fruchtbarkeit der Erde (sua spo/jte-Motiv), Flüssen aus Honig, Wein und Milch, Vegetarismus, Tierfrieden. 8 6 Laktanz resümiert: "Schließlich wird dann jenes geschehen, von dem die Dichter gesagt haben, daß es bereits unter der Herrschaft des Saturn in der goldenen Zeit geschehen sei" (7,24,9). 87

83

Vgl. 4,12,21; 7,2,1; d a z u Loi 1970, S. 248; M o n a t 1973, z. St.; F&brega 1974, S. 142-145; Buchheit 1978/79, S. 18S, A n m . 160. F e r n e r Daley 1986, S. 139f; d e r s . 1991, S. 66-68. Man wird species h i e r nicht i m Sinne v o n "Schein, A n s c h e i n " v e r s t e h e n d ü r f e n (so M o n a t ) , sondern mit Buchheit a l s " A b s c h a t t u n g " ü b e r s e t z e n m ü s s e n . E n t s c h e i d e n d ist, d a ß die aurea aetas nicht in i h r e r F ü l l e r e a l i s i e r t , s o n d e r n auf einige wenige b e s c h r ä n k t ist.

84

Vgl. o b e n

S. 471ff.

85

Vgl. d a z u

a u c h van Rooijen-Dijkman 1967, S. 140-143.

86

Zu

den

142-145 hierzu 87

Quellen und

wird

die

vgl.

den

Apparat

Testimonienkette

in 7,16,5ff

in

Brandts 7,24,llff.

sowie

FAbriga

Das

genaue

genheit verlegt Dies Buch

alle

paßt 2,

leugnet

überhaupt zu

wo

Laktanz

jemals

ein

entsprechenden der ja

oben

auch

S.

entworfen.

"Denique t u m f i e n t ilia q u a e p o e t a e a u r e i s t e m p o r i b u s S a t u r n o r e g n a n t e d i x e r u n t " (Brandt 660,13f). Seltsamerweise

1974,

Gegenbild

anschließend, goldenes

paganen

dargestellten

ausdrücklich

daß

Zeitalter

es

Auffassung wird,

in

der daß

in

esse

der

gegeben

Beschreibungen

betont

facta

die

Vergan-

habe

und

Zukunft.

Urgeschichte Noah

iam

der

in

Herr-

- S07 Zuvor würden sich jedoch die Zustände drastisch verschlechtern, weis Laktanz auf die fehlende Gottesverehrung zurückführt, die notwendig zum Verlust der Gerechtigkeit führt. Rom muß ungerecht sein, weil e s Idole anbetet (7,15,7ff). Dies wird auch aus Laktanz' Definition von pietas als einem der beiden Hauptbestandteile der iustitia (neben aequitas, die der pietas aber untergeordnet ist) in 5,14 ,llf deutlich: "Die Frömmigkeit ist aber nichts anderes als die Kenntnis Gottes, wie e s Trismegistus ganz richtig definiert hat und wie wir an anderer Stelle gesagt haben. Wenn also die Frömmigkeit darin besteht, Gott zu erkennen und der Kern dieser Erkenntnis in der Verehrung besteht, kennt der freilich die Gerechtigkeit nicht, der den Kult Gottes nicht bewahrt. Wie könnte er sie nämlich kennen, wenn er nicht weiß, woher sie entspringt?" 88 Die gleiche Schlußfolgerung wird auch in der Vorrede zu dem (vielleicht nach Buch 5 entstandenen) 8 9 vierten Buch gezogen. Zunächst konstatiert Laktanz den Verlust der früheren felicitas aufgrund der Einführung der Idololatrie und folgert daraus: "Daher folgten diesen Kulten die Ungerechtigkeit und Gottlosigkeit notwendigerweise auf dem Fuße." 90 Schaft des Saturn um etliches (multis aetatibus) vorausging (2,13,4), steht aber zu Buch 5 in direktem Widerspruch; vgl. Boas 1948, S. 36; Alio Isichei 1964, S. 61; Ladner 1967, S. 14 0. Dies ließe sich auch nicht mehr durch den unterschiedlichen Kontext erklären. (So Swift, der die Änderung von Buch 5 zu Buch 7 damit e r k l ä r t , "that Lactantius' aim was gradually to t r a n s f o r m the humana testimonia concerning the Golden Age through the t o u c h s t o n e of the Christian faith. For him the way in which the poets reveal t r u t h in parte was not constant. It was relative to the polemical exigencies of an evolving argument of the Christian position" [1968, S. 156].) Liegt hier vielleicht doch ein Hinweis auf eine Sonderstellung von Buch 5 vor? Dazu Monat 1973, I, S. 11-15, d e s s e n Datierung ich aber nicht f o l g e n kann. Siehe oben Anm. 68. "Weniger eklatant ist der "Widerspruch zwischen epit. 20 und 22f, da Laktanz hier d a s aurea aeta^-Motiv auf ein Minimum reduziert. Perrin erklärt dies einerseits durch die untergeordnete Bedeutung dieses Motivs im heilsgeschichtlichen Schema Laktanz' sowie dadurch, daß Laktanz eine "quasi-redondance" habe beseitigen wollen (1987, Anm. zu epit. 20,1). 88 "pietas autem nihil aliud est quam dei notio, sicut Trismegistus uerlssime definiuit, ut alio loco diximus. Si e r g o pietas e s t c o g n o s c e r e deum, cuius cognitionis haec s u m m a est ut colas, ignorat utique iustitiam qui religionem dei non tenet. Quomodo enim p o t e s t earn ips a m n o s s e qui unde oriatur ignorat?" (Monat 202). Vgl. e b e n s o auch epit. 54,4 f f . 89

Vgl. W l o s o k 1960, S. 260; Lol 1968, S, 246. Dagegen jetzt W l o s o k in: Herzog 1989, S. 390f im Anschluß an Heck 1972, S. 143-1SO, v. a. 147.

90

"Insecuta est igitur huiusmodi religiones iniustitia et inpietas, sicuti f u e r a t necesse" (4,1,4 [Brandt 275,2f]). Zu den speziellen Problemen dieses Abschnittes vgl. W l o s o k 1960, S. 259f.

- S08 Für die Folgezeit ist aber noch weitaus schwerwiegender, daß f ü r Laktanz dieser Satz auch umkehrbar ist: Wenn Gott verehrt wird, dann muß auch Rom gerecht sein (vgl. besonders deutlich in 5,6,12 und 5,8,6-9). Dabei ist sein re//gio-Begriff aber wiederum ganz formalistisch und undialektisch: Die rechte Gottesverehrung hat quasi automatisch den Rechtsstaat zur Folge. 9 1 Hier wirkt ohne Zweifel d a s römische do ut des-Prinzip nach. Laktanz versteht "den göttlichen Anspruch an den Menschen, der ihm im Christentum überzeugend begegnete, s o [...], wie man in Rom seit alters die Beziehungen zwischen Gott und Mensch verstand: nämlich a l s ein Gegenüber von göttlicher, möglichst scharf umgrenzter Forderung und schuldiger menschlicher Gehorsamsleistung, die von Gott mit gerechtem Lohn bzw. Strafe beantwortet wird." 9 2 Damit ist aber auch deutlich, warum bei Laktanz die Kulturentstehungslehre s o schwach ausgebildet ist: Den eigentlichen Fortschritt, der f ü r Laktanz in erster Linie ein sozialer Fortschritt ist, kann e s erst mit der eschatologischen Aufrichtung der rechten Gottesverehrung, der Wiederkehr der aurea aetas, geben. Erst dann können Recht und Gerechtigkeit zur Geltung kommen. Die Gegenwart ist ohne H o f f n u n g auf eine innerweltliche Verbesserung der Verhältnisse. Fortschritt kann e s nur a l s Konsequenz der eschatologischen Wiederaufrichtung d e s goldenen Zeitalters geben. Er ist nicht d a s Resultat einer kontinuierlichen historischen Entwicklung. 9 3 Vielmehr ist die Welt in ihr letztes Lebensstadium, d a s Greisenalter (senectusΛ eingetreten, 9 4 , d a s Ende steht vor der Tür (7,14,16). 93 Die Verwandlung z u m Besseren vollzieht sich nicht innerweltlich, sondern stellt d a s Ende der Geschichte dar. 9 6

91

E s ist daher auch k a u m verwunderlich, daß Laktanz' Gnadenbegriff im Rahmen der paganen Philosophie verbleibt und nur schwach ausgebildet ist (vgl. Lol 1966, S. 611-613; 1970, S. 89f, 272f).

92

Vgl. dazu Belegen.

93

Vgl. dazu a u s f ü h r l i c h Luneau 1964, S. 220f, 229-234; Schwarte 1966, S. 163-168; Loi 1968, S. 238-241, 277-287.

94

Vgl. Schwarte 1966, S. 168. Zur Lebensaltertopik allgemein 1964, S. 556-564; Demandt 1978, S. 37-45; 1984, S. 45f. E s wird in etwa zweihundert Jahren eintreten; vgl. 7,25,5.

95 96

Wlosok,

Religionsbegriff,

1970,

S.

52

mit

einschlägigen

Vittinghoff

Vgl. 7,14,6: "Sciant igitur philosophl qui ab exordio mundi s a e c u l o r u m milia enumerant, nondum s e x t u m millesimum annum e s s e c o n c l u s u m . quo numero expleto consummationem fieri n e c e s s e est et humanarum rerum statum in melius reformari ... " (Brandt 628,24-629,4). Vgl. Ladner 1966, Sp. 2S9; 1967, S. 140. E s handelt sich a l s o nicht einfach nur um eine restitutio ad integrum (mit Loi 1968, S. 241, 277-287 g e g e n Luneau 1964, S. 234).

- 509 Die enge Verkoppelung von religio bzw. pietas und iustitia, die Laktanz a l s solche a u s d e r römischen Tradition übernimmt 9 7 (ungeachtet der Korrekturen, die er daran anbringt), hat aber weitreichende Konsequenzen: In dem Moment, in dem das römische Reich das Christentum nicht mehr unterdrückt, sondern begünstigt, also nach 313, ist eine derartige theologische Position außerordentlich anfällig f ü r Umarmungsversuche von seiten des Staates. Denn nun ist j a die Situation eingetreten, daß d e r Staat die divina religio mindestens toleriert, was demnach zur Aufrichtung von Gerechtigkeit und damit zu dem eschatologischen "goldenen Zeitalter" führen müßte. In den sogenannten Kaiseranreden 1,1,13-16 und 7,26,11-17, die vermutlich erst im Jahre 324 in die Institutionen eingefügt wurden, 9 8 wird denn auch genau dieser Zusammenhang zwischen der Herrschaft Konstantins, der rechten Gottesverehrung und der Aufrichtung der iustitia betont. Man ist versucht, diese Akzentuierung dem unleugbaren Einfluß der Panegyrik sowie der imperialen Propaganda, wie sie sich in amtlichen Verlautbarungen äußert, auf diese Passagen zuzuschreiben, 9 9 zumal die Aufrichtung d e r Gerechtigkeit jetzt mit der in 7,15f prognostizierten Verschlechterung der Welt, die momentan nur durch die Existenz Roms noch für etwa zweihundert Jahre aufgehalten wird (7,25,15), und der Aufrichtung der Gerechtigkeit erst im tausendjährigen Reich deutlich kollidiert. Doch darf man daraus nicht etwa schließen, e s handle sich um bloß äußerliche Rhetorik. Denn die Tatsache, daß Laktanz hier als erster christlicher Theologe s o sprechen kann, weist auch und gerade auf einen theologischen Umbruch von erheblicher Tragweite hin. Dies wäre an einem Vergleich der Veränderungen zwischen den divinae institutiones und der epitomei0° genauer nachzuweisen. 1 0 1 Hier müssen einige Hinweise genügen: Es ist keineswegs ein Zufall, wenn in epit. 20, d e r Stelle, die inst. 5,5-8 korrespondiert, der Verweis auf die ökonomischen und politischen Konsequenzen der Aufgabe des Monotheismus fehlt und Laktanz sich auf die Anprangerung d e r Idolatrie beschränkt; oder wenn man in epit. 54,8, wo Laktanz die Funktion der Gesetze definiert.

97

Vgl. W l o s o k , Religionsbegriff, 1970; Heck 1987.

98

Vgl. dazu Heck 1972, S. 167-170; zu den Kaiseranreden insgesamt ebenda, S. 127-170.

99

Vgl. dazu Brandt 1889, S. 23f, 57-65. Zum Verhältnis zu den konstantinischen Schriften vgl. Heck 1972, S. 160-166. Zum Einfluß der Panegyrik auf mort. pers. vgl. Amarelli 1970, S. 259-264.

vgl.

100

Die epitome

101

Einzelne Beobachtungen bei Loi, Valori, 1965, S. 87f. Vgl. f e r n e r dens. 1977; Perrin 1987, S. 25-36. Weitere Literaturhinweise bei Wlosok in Herzog 1989, S. 392. Zu Veränderungen zwischen inst, und mort. pers. vgl. die A u s f ü h r u n g e n Amarellis (1970, S. 24 7-264).

wird um 320 verfaßt sein; vgl. Perrin 1987, S. 14-16.

- 510 vergeblich nach den scharfen Worten von inst. 5,6,3 sucht. Dort war behauptet worden, daß sie in Wahrheit ein Instrument der Machterhaltung seien,102 hier dienen sie plötzlich dazu, Ungerechtigkeit einzudämmen.103 Und was in inst. 5,6,Iff ohne Zweifel auf die Gegenwart und Rom bezogen ist,104 wird in epit. 54 plötzlich vom konkret Politischen ins Moralistische verallgemeinert: Mit der Tolerierung der christlichen Religion sind ja die Voraussetzungen für die Aufrichtung von Recht und Gerechtigkeit geschaffen. Schließlich sind auch alle Zeitangaben über das Ende der Welt verschwunden (65,7-9). Der Weltaltervergleich ist zwar aufgenommen, aber doch so verschoben, daß die senectus nicht die Gegenwart bezeichnet, sondern "jene n o c h a u s s t e h e n d e Zeit der Schrecknisse und Wirrsale, mit denen sich die Parusie ankündigen soll." 103 Am deutlichsten läßt sich der Umbruch, der sich in diesen Jahren bei Laktanz vollzieht, erkennen, wenn wir die drei Aufforderungen zum Gebet für Rom und den irdischen Frieden in Laktanz' Werk miteinander vergleichen. Sie stammen aus drei verschiedenen Perioden seiner literarischen Wirksamkeit: 1. Die erste Passage findet sich in der Erst"aufläge" der Institutionen, also vor der "Konstantinischen Wende". Die Fürbitte für die Obrigkeit ergibt sich hier aus dem apokalyptischen Geschichtsbild des Verfassers: Die Christen müssen für Rom beten, damit die dem eschatologischen Millennium vorausgehenden Schrecken aufgeschoben werden: "Dies ist der Staat [sc. Rom], der bis jetzt alles aufhält [vgl. II Thess 2,6f], und wir müssen den Gott des Himmels bitten und zu ihm beten, ob dennoch seine Bestimmungen und Beschlüsse aufgeschoben werden können, damit jener abscheuliche Tyrann nicht schneller als erwartet kommt, der so großes Unheil anrichtet und jenes Licht auslöscht, bei dessen Ende die Welt selbst zusammenbrechen wird" (7,25,8).106

102

"Leges etiam sibi iustitiae nomine Iniquissimas iniustissimasque s a n x e r u n t , q u i b u s r a p i n a s et a u a r i t i a m s u a m c o n t r a u i m m u l t i t u d i n i s t u e r e n t u r " (5,6,3 [ M o n a t 156]). V g l . f e r n e r 6,9,2-5 m i t s c h a r f e r R o m kritik w o h l a k a d e m i s c h e n U r s p r u n g s (Karneades; aus Cicero?; vgl. r e p . 3,20 [ Z i e g l e r 90,6-163). H i e r w i r d d i e utilltas g e g e n die lustitla a u s g e s p i e l t . Z u r W e r t s c h ä t z u n g d e r utilltas in k o s m o l o g i s c h e n A r g u m e n t a t i o n e n v g l . a b e r 7,4.

103 " C u m h a e c f i e r e n t , t u m l e g e s s i b i h o m i n e s c o n d i d e r u n t p r o u t i l i t a t e c o m m u n i , ut s e i n t e r i m t u t o s a b i n i u r i i s f a c e r e n t " ( e p i t . 5 4 , 8 C P e r r i n 212,40-421). 104

Vgl.

oben

S.

504.

S c h w a r t e 1966, S. 168; g e s p e r r t i m O r i g i n a l . V g l . epit. 66,1-6. 106 " i l l a e s t c i u i t a s q u a e a d h u c s u s t e n t a t o m n i a [ v g l . II T h e s s 2,6f3, p r e c a n d u s q u e n o b i s et a d o r a n d u s e s t d e u s c a e l i , s i t a r n e n s t a t u t a l o s

- Sil Das ist deutlich die Linie Hippolyt-Tertullian. 107 Die Fürbitte für die Obrigkeit wird hier nicht aus heilsgeschichtlichen oder politischen Erwägungen heraus angemahnt, sondern aus Furcht vor den tempore novissima. 2. Das ist schon anders in de morte persecutorum, einer Schrift, die nur wenige Jahre nach der Kurzfassung der Institutionen entstanden ist. 1 0 8 Doch hatte sich die politische Lage mittlerweile völlig verändert. Das Galerius-Edikt vom 30. April 311 hatte das Christentum zur religio licita gemacht. Maxentius war von Konstantin am 28. Oktober 312, der Christenfeind Maximinus Daia von Licinius am 30. April 313 geschlagen worden. Die Mailänder Vereinbarung vom Februar 313 zwischen Konstantin und Licinius wurde von letzterem am 13. Juni 313 in Nikomedien veröffentlicht und somit die Toleranz auch auf die Untertanen des Maximinus Daia ausgeweitet. 109 Gerade in den Rahmenkapiteln 1 und 52 von de morte persecutorum lassen sich diese Umbrüche deutlich erkennen. Die Niederlage Maximins wird als Sieg Gottes über die Gegner der Kirche (Aufnahme der θεομάχος-Tradition 110 ) interpretiert und deutlich mit der ersten Phase der in den institutiones geschilderten Endzeit parallelisiert. 111 Die Geschichte wird eschatologisiert; gleichzeitig treten die apokalyptischen Züge, die in den divinae institutiones immerhin ein

eius et placita d i f f e r r i p o s s u n t , ne citius quam p u t a m u s tyrannus ille abominabilis ueniat, qui t a n t u m facinus moliatur ac lumen illut e f f o d i a t , cuius interitu mundus ipse l a p s u r u s est" (Brandt 664,23665,5). 107

Vgl. Strobel

108

Entstehung der E r s t f a s s u n g der inst, bis 311 (Wlosok in: Herzog 1989, S. 390f); zu mort. pers. vgl. ebenda, S. 397: "Zeitraum zwischen H e r b s t 313 oder s p ä t e s t e n s Winter 313/314 und Sommer 316". Zum Folgenden jetzt Heck 1987, S. 217-228.

109

Zu dieser Sicht der Dinge vgl. Barnes 1981, S. 42f, 62-65; Creed 1984, S. 121f. Die Mailänder Vereinbarung ist überliefert bei Lact., mort. pers. 48,2-12; Eus., h. e. 10,5,2-14. Zu den Varianten der griechischen Fassung vgl. Moreau 1954, I, S. 132-135 und II, S. 456-464.

110

Vgl. Moreau 1954, I, S. 60-64; Heck 1987, S. 219f. Der u r s p r ü n g l i c h apologetische E r f o l g s b e w e i s wird hier nun in die Geschichtsdarstellung eingebaut. Vgl. etwa 3,4 f (nach der Regierung Domitians): "Rescissis igitur actis tyranni no η modo in s t a t u m pristinum ecclesia r e s t i t u t a est, sed etiam multo clarius ac floridius enituit, secutisque temporibus, quibus multi ac boni principes Romani imperii clavum regimenque tenuerunt, nullos inimicorum impetus p a s s a manus s u a s in orientem occidentemque porrexit, ut iam nullus e s s e t terrarum angulus tam r e m o t u s quo non religio dei p e n e t r a s s e t , nulla denique Cdei] natio tam f e r i s moribus vivens, ut non s u s c e p t o dei cultu ad iustitiae opera nitesceret" (Creed 8).

111

Vgl. inst.

1961, S. 147-150 sowie oben S. 449-452,

7,15-23.

464-66.

S12 ganzes Buch einnehmen, zurück. Das Gericht Gottes, das in 5,23,1-5 und 7,20-23 angekündigt wird, ist bereits vollzogen. 1 1 2 Der Sieg des Konstantin ist demnach der Beginn einer Periode, die in ihren Einzelzügen dem tausendjährigen Reich ähnelt: 113 Neu ist also "die Vorverlegung des göttlichen Gerichtes aus der Endzeit in das säkulare Geschehen, das nun wie in dem politischen Rom-Credo, auf das die Verfolger festgelegt waren und das von den Siegern unter christlichem Vorzeichen beibehalten wird, als Medium göttlichen Lohnens und Strafens für Religionsvollzug bzw. Religionsmißachtung erscheint." 114 In mort. pers. 52,4 f fordert Laktanz zum Gebet für den Frieden auf: "Laßt uns daher den Triumph Gottes mit Freuden feiern, laßt uns den Sieg des Herrn unter Lobpreisungen immer wieder verkündigen, mit Gebeten laßt uns Tag und Nacht feiern, laßt uns feiern, daß er den Frieden, den er seinem Volk nach zehn Jahren gewährt hat, in Ewigkeit sichern möge. Du aber, liebster Donatus, der du es verdienst, von Gott erhört zu werden, flehe in besonderer Weise zum Herren, daß er auch seinen Dienern seine Barmherzigkeit gnädig und milde erhalte, daß er alle Fallen und Angriffe des Teufels von seinem Volke abwehre und daß er die ewige Ruhe der aufblühenden Kirche bewahre." 115 Friede meint hier in erster Linie die ungestörte Religionsausübung, wie sie der Kirche "nach zehn Jahren" gewährt wurde. Nicht mehr die Angst vor den apokalyptischen Schrecken bestimmt nun das Gebet, sondern die Freude über und der Dank für die Toleranz der Kirche durch das römische Reich. Gleichzeitig wird der Adressat des Werkes dazu aufgerufen, für die Erhaltung dieser Ruhe zu beten. Von einem christlichen Herrscher ist aber noch nicht die Rede. 116 Die apokalyptische Dimension klingt in der Warnung vor den Nachstellungen des Teufels nochmals an; doch wird sie von der (unapokalyptischen) Vorstellung einer "ewigen

112 V g l . mort. pers. 1,2.4-8; 32,1-4; inst. 1,1,IS. D a z u H e c k 1987, S. 220. 113 V g l . v. a. mort. pers. l , 4 f m i t inst. 7,24,7 ( H e l l i g k e i t s m o t i v ; v g l . J e s 3 0 , 2 6 ) ; mort. pers. l , 2 f ; 52,5 m i t inst. 7,2,1. 114

Wlosok

115

" C e l e b r e m u s igitur t r i u m p h u m dei c u m exultatione, victoriam domini c u m laudibus frequentemus, diurnis nocturnisque precibus celebremus, celebremus, ut p a c e m p o s t a n n o s decern plebi suae datam c o n f i r m e t in s a e c u l u m . T u p r a e c i p u e . D o n a t e c a r i s s i m e , q u i a d e o mereris audiri, d o m i n u m deprecare, ut m i s e r i c o r d i a m suam servet e t i a m f a m u l i s s u i s p r o p i t i u s ac m i t i s , ut o m n e s i n s i d i a s a t q u e i m p e t u s d i a b o l i a p o p u l o s u o a r c e a t , ut f l o r e n t i s e c c l e s i a e perpetuam quietem custodiat" (Heck 1987, S. 2 2 4 f ) . V g l . d a z u Moreau 1954, z. St.

in H e r z o g

116

Straub

1964, S .

1989, S .

103f.

396.

513 Ruhe d e r aufblühenden (!) 117 Kirche" bereits überlagert. Letztere ist demnach keineswegs geistlich gemeint, sondern bezieht sich ganz konkret auf das Hier und Jetzt. Die Kirche blickt nicht mehr von der Gegenwart weg auf das eschatologische Gericht, sondern sie wendet sich der Welt zu. 3. Während hier d e r christlich-kirchliche Bezug noch deutlich erkennbar ist, 1 1 8 wird dies anders in den Kaiseranreden in der Zweit"auflage" der Institutionen. Sie werden häufig inhaltlich de morte persecutorum an die Seite gestellt, ohne daß dabei die ohne Zweifel vorliegenden Veränderungen mit berücksichtigt werden. 1 1 9 Auch hier, nämlich in 7,26(27) ,17, findet sich ein Hinweis auf das Gebet für den Kaiser: "Zu (Gott) bitten wir im täglichen Gebet, daß er vor allem dich, den er als Beschützer des Staates bestimmt hat, bewahre, sodann dir den Willen verleihe, immer in der Liebe zum göttlichen Namen zu verharren: dies dient der Wohlfahrt aller, dir zum Glück und den übrigen zum Frieden." 1 2 0 Ganz in d e n Bahnen traditionellen Kultverständnisses wird hier ein direkter Zusammenhang hergestellt zwischen dem Gebet der Kirche, der Machterhaltung des Kaisers und d e r Prosperität des Reiches. Laktanz scheint sich der Problematik, die eine derartige Position aufwirft, überhaupt nicht bewußt geworden zu sein: Die schon längst fraglich gewordene These vom Zusammenhang zwischen religio und potestas d e r Römer, die er j a auch selbst kritisiert hatte, 1 2 1 wird nicht prinzipiell hinterfragt, sondern ungebrochen rezipiert. Daß e s nach wie vor iniusti-

117

Zur W a c h s t u m s m e t a p h e r vgl. bereits oben S. 270f, 461.

118

Man hat aus d e m Vergleich mit dem Ende der Predigt des Eusebius bei der Kirchweihe in Tyrus 317 (Eus., h. e. 10,4,72) geschlossen, "daß diese beiden Dokumente die o f f i z i e l l e Meinung der Kirche zu diesem Zeitpunkt hinsichtlich der V e r f o l g e r und der regierenden Kaiser zum Ausdruck bringen" (Moreau 1954, II, S. 473). Auch wenn dies sicher u n s c h a r f f o r m u l i e r t ist (geht die Annahme einer "offiziellen Meinung" zu dieser Zeit in der Kirche nicht von f a l s c h e n institutionellen Voraussetzungen aus?), s o läßt sich doch sicher sagen, daß damit die A u f f a s s u n g maßgeblicher Strömungen innerhalb der Kirche zu dieser Zeit formuliert ist.

119

Vgl. Heck 1972, S. 158f (dazu aber jetzt die Korrekturen 1987, 212); Christensen 1980, S. 13ff. Ferner Moreau 1954, II, S. 472f.

S.

1 2 0 " C u j nos cottidianis precibus supplicamus, ut te in primis, quem r e r u m c u s t o d e m voluit esse, custodiat, deinde inspiret tibi voluntatem, qua s e m p e r in amore divini nominis perseveres, quod est omnibus salutare, et tibi ad felicitatem et ceteris ad quietem" (Heck 1972, S. 130,27-31). 121

Vgl. oben S. S04.

- 514 tia gab, die die These als solche obsolet machte, wird von Laktanz nicht reflektiert. Diese Rezeption traditionell römischen Denkens geht so weit, daß sich gar nicht mehr ausmachen läßt, ob hier überhaupt noch ein christliches Gebet vorliegt. Derartige Fürbitten sind nämlich feste Bestandteile der paganen Kaiserpanegyrik und finden sich in ganz ähnlicher Form schon bei Plinius. 122 Insofern spiegeln die Kaiseranreden die offizielle religionspolitische Haltung des Staates wider, wie sie sich im GaleriusEdikt von 313 bereits ankündigt, und sind in einer Linie mit den Panegyrici von 313 und 321 zu sehen, "während dies für 'De mortibus persecutorum' [...] nicht zutrifft, jedenfalls nicht im Sinne der Propagierung amtlicher Religionspolitik." 123 Mit der Machtergreifung Konstantins vollzieht sich also im Denken des Laktanz ein grundsätzlicher Umbruch, der vor allem seine Geschichtstheologie betrifft. Aufgrund des Fehlens heilsgeschichtlicher Kategorien, vor allem einer Augustustheologie, ist es ihm nicht möglich, wie etwa Eusebius, 124 die religionspolitischen Veränderungen theologisch zu verarbeiten. Ersatzweise wird die Eschatologie historisiert. Mit Konstantin hat etwas qualitativ Neues begonnen, das Züge des apokalyptischen Millenniums trägt. Mit diesem Versuch einer Neubestimmung der theologischen Koordinaten zerfällt aber Laktanz' Eschatologie, da die Erwartung des endzeitlichen Friedensreiches, die er ja keineswegs aufgibt, 12S die Gottlosigkeit und Verschlechterung der Gegenwart ur-

1 2 2 V g l . P l i n . m i n . , paneg. C = paneg. Lat. 1E13) 94,1: " I n f i n e o r a t l o n l s praesides custodesque imperil diuos e g o consul p r o rebus humanls, ac t e p r a e c i p u e , C a p i t o l l n e I u p p i t e r , ut b e n e f i c i i s t u l s f a u e a s , t a n t i s q u e m u n e r i b u s a d d a s p e r p e t u i t a t e m " ( M y n o r s 80,17-20). F e r n e r paneg. Lat. 12(9) ,26,1 ( G r a t u l a t i o n an K o n s t a n t i n z u m Sieg ü b e r M a x e n t i u s 313): " Q u a m o b r e m te, s u m m e r e r u m s a t o r , E...] o r a m u s e t q u a e s u m u s ut h u n c in o m n i a s a e c u l a p r i n c i p e m s e r u e s " ( M . 289,12.19f). 26,4; " F a c i g i t u r ut, q u o d o p t i m u m h u m a n o g e n e r i d e d i s t i , p e r m a n e a t a e t e r n u m , o m n e s q u e C o n s t a n t i n u s in t e r r l s d e g a t a e t a t e s " ( M . 289,25-27). V g l . f e r n e r 8 ( 5 ) , 2 0 , 1 a u s d e m J a h r e 297; A e l . A r i s t . , o r . 26 (In Rom.), 109. D a s f e i e r l i c h e G e b e t z u G o t t g e h ö r t e a l s o z u r peroratJo eines Panegyrikus. Zur Bezeichnung Kaiser Konstantins a u c h 6(7),16,6 ( a u s d e m J a h r e 310).

als

rei

publicae

custos

Z u m Einfluß konstantinischer Propaganda auf diese Passage H e c k 1972, S. 164f. F e r n e r o b e n S. 4 4 5 m i t A n m . 13, 14; 4 4 7 A n m . 23. 123

Heck

124 v g l . 123

1987, S. 212. Z u m G a l e r i u s - E d i k t unten Kap.

V g l . e p f t . 67,3-5.

4.2.4.

a u c h u n t e n S. 554.

vgl. vgl. mit

515

sprünglich gerade begründet und erklärt hatte. Statt d e s s e n wird die Gegenwart nicht a l s Teil eines Prozesses gesehen (auch nicht im Sinne einer Verschlechterung), sondern stellt (wie d a s eschatologische Millennium) einen stabilen Zustand dar. 1 2 6 Dadurch wird aber die Gegenwart im Sinne der kaiserzeitlichen Panegyrik s o entdynamisiert, 1 2 7 daß sich nur kümmerliche Rudimente zu einem prozeßhaften, zukunftsgerichteten Denken finden. 1 2 8 Diese Form der Literatur feiert die Gegenwart in den Tönen der Zukunft.

126

1. Gerechtigkeit

wiederhergestellt:

" ... c u m e v e r s a m s u b l a t a m q u e iustitiam reducens taeterrimum a l i o r u m f a c i m u s e x p i a s t i " (1,1,13); " ... ad restituendum iustitiae domicilium et ad tutelam g e n e r i s human!" (7,26Γ273,11); 2. Fortdauer der tutela Romani (1,1,14); 3. Wahrheit bereits sichtbar:

nomlnis

auch unter den

Nachkommen

" ... e r m e r g e n t e atque i l l u s t r a t e veritate ... " (7,26[27],11); 4. die B ö s e n sind bereits

zerschmettert:

" ... p r o f l i g a t i iacent ... " (7,26[27],13); " ... Uli p o e n a s s c e l e r i s sui et pendunt C273.14; vgl. mort. p e r s . 1,3.5-8; 52,2f); 5. "heilige Gottesverehrung" " ... per quem (7,26[27D,1S);

127

et

pependerunt ... (7,26

wiedererrichtet:

sanctam

religionem

suam

r e s t a u r a r e t ... "

6. Regierung Konstantins beatlsslme (7,26127] ,13); t r i f f t a l l e s bisher D a g e w e s e n e (7,26[27],15);

sein

7. Friede und Kirche wiederhergestellt (mort

1,2.4; 52,2).

pers.

Ruhm

Uber-

Vgl. oben Anm. 122. W o l f g a n g Kirsch hat in einem A u f s a t z die " T r i e b k r ä f t e der historischen Entwicklung bei Laktanz" (so der Titel) untersucht. Er kommt u. a. zu d e m E r g e b n i s , in de mortibus persecutorum werde "gleichs a m tastend L...3 ein neues Paradigma d e s G e s c h i c h t s p r o z e s s e s , wird die g e s c h i c h t s p h i l o s o p h i s c h e Konzeption, die Laktanz theoretisch entwickelt hatte, a u f einen konkreten Abschnitt der Zeitgeschichte angewendet. Da die Mailänder Vereinbarung a l s e n d g ü l t i g e Befreiung d e s C h r i s t e n t u m s von den Tyrannen gefaßt wird, kann zugleich der h i s t o r i s c h e Prozeß a l s Progreß gewertet werden, und zwar nicht allein a l s allmähliche Ausbreitung d e s C h r i s t e n t u m s bis zu s e i n e m endlichen Sieg, s o n d e r n auch (wenigstens theoretisch) a l s W e g d e s Menschen zur E r f ü l l u n g seiner eigentlichen A u f g a b e , der Verehrung d e s wahren G o t t e s " (1984, S. 630). Hier wird die heilsgeschichtlichpädagogische Konzeption bei Irenäus-Clemens-Origenes fälschlich auf Laktanz übertragen. Letzterer denkt eben nicht in d i e s e m Sinne p r o g r e s s i v , wohl aber E u s e b i u s !

128 Vgl. ζ. B. inst. aduersus iustos

1,1,15 (erste Kaiseranrede): in aliis terrarum partibus

"Nam m a l i s qui saeuiunt, quanto

adhuc serius

- 516 Wenn man in diesem Zusammenhang Laktanz gern d e s Opportunismus' zeiht, 1 2 9 dann ist dies doch dahingehend zu präzisieren, daß sich seine politischen Ideale vor und nach 313 keineswegs unterscheiden; vielmehr ist die positive Bewertung Konstantins nur eine logische Konsequenz a u s der engen Verknüpfung von religio und iustitia. Kritik ist nicht an der Änderung seiner Haltung überhaupt zu üben a l s vielmehr daran, welche der Komponenten er nachträglich geändert hat. Anstatt von der Eschatologie her zu einer kritischen Bewertung auch der christenfreundlichen Staatsmacht zu gelangen und die Junktur von Religion und Gerechtigkeit dementsprechend dialektisch zu durchdenken, hat Laktanz diese Junktur beibehalten und statt d e s s e n seine Eschatologie korrigiert. 1 3 0 Z u s a m m e n f a s s e n d läßt sich feststellen: Der frühe Laktanz greift d a s ihm von der Tradition angebotene Fortschrittsmodell zunächst und vor allem in apologetischem Kontext auf (Verteidigung der Neuheit d e s Christentums). In seiner Gesellschaftstheorie sind ebenfalls Ansätze zu einem progressiven Geschichtsverständnis vorhanden, die jedoch durch die Einbindung in die pie£as-pax-Gleichung nicht wirklich entwickelt werden. Sie bilden s o z u s a g e n nur einzelne helle Fäden in d e m im ganzen durch die dunklen Farben der Apokalyptik bestimmten geschichtlichen Gewebe. Die Ideologieanfälligkeit d e s späteren Laktanz erklärt sich e b e n f a l l s aus dieser Gleichung: Wo pietas, d a pax; wo christlicher Kaiser, dort g e s e l l s c h a f t l i c h e s Wohlergehen. Diese ruht jedoch nicht a u f einer heilsgeschichtlichen Reflexion auf. Laktanz denkt kosmologisch-statisch, nicht historisch-dynamisch. Ein geschichtlich gewendeter Providenzbegriff fehlt bei ihm weitgehend.

tanto uehementius Idem omnipotens m e r c e d e m ( M o n a t 36,93-38,96; k u r s i v v o n m i r ) .

sceleris

129

S o ζ. B. M o n a t 1973, II, S . 77: "II s ' e s t e n t r e - t e m p s p o u v o i r S t a b i l ... A l i o I s i c h e i 1964, S. 68-71.

130

G e g e n L u n e a u 1964, S . 233 mit A n m . S, d e r inst. H e r r s c h a f t unter Konstantin bezieht.

exsoluet rapprochi

S,7,l b e r e i t s

auf

... " du die

L a k t a n z ' S o z i a l k r i t i k i s t s p ä t e r nie m e h r s o l a u t e r k l u n g e n w i e v o r 312. W e n n d i e s e u n k r i t i s c h e A n e r k e n n u n g R o m s d i e K o n s e q u e n z a u s e i n e r s e i n e r t h e o l o g i s c h e n V o r a u s s e t z u n g e n w a r , s o h ä t t e ihn d o c h d i e s o z i a l e R e a l i t ä t a u c h n a c h d e r W e n d e (ζ. B. d a s W e i t e r b e s t e h e n der Sklaverei) davon überzeugen m ü s s e n , daß auch unter einem Kons t a n t i n d i e r e c h t e G o t t e s v e r e h r u n g nicht n o t w e n d i g d i e iustitia nach s i c h z o g . Z u r S t e l l u n g z u r S k l a v e r e i n a c h 312 v g l . e p i t . S9,3 s o w i e L o i 1981, S. 8S1. Z u r v e r ä n d e r t e n E i n s t e l l u n g d e s L a k t a n z g e g e n ü b e r d e r r ö m i s c h e n Politik u n t e r K o n s t a n t i n v g l . v. a. L o i 196S.

- 517 Laktanz ist ein Mann des Überganges, der die politischen Umbrüche seiner Zeit mit seinem veralteten theologischen Vokabular nicht mehr bewältigt. Die neue Zeit erfordert eine neue Theologengeneration, die ihr gesamtes Denken den veränderten Gegebenheiten anzupassen vermag. Sie findet in Eusebius ihren einflußreichsten Vertreter.

4. 2. Eusebius von Cäsarea Der letzte Autor, mit dem ich mich in dieser Untersuchung beschäftigen möchte, ist Eusebius von Caesarea. 131 Mehr noch als bei Laktanz werden die in den Kapiteln 2 und 3 dargestellten Traditionslinien von Eusebius in einem großangelegten theologischen Gesamtentwurf zusammengefaßt, der in seiner Geschlossenheit ebenso eindrucksvoll wie in seinen kirchlich-theologischen und praktisch-politischen Konsequenzen problematisch ist. Während Laktanz noch damit kämpft, diese Traditionen zu einer umfassenden Synthese zu verarbeiten, und letztlich an den politischen Umbrüchen seiner Zeit theologisch scheitert, wird bei Eusebius die Idee des Fortschritts endgültig von ihren apologetischen "Eierschalen" befreit und in den Dienst einer grundsätzlich zu verstehenden Beschreibung des Verhältnisses von Staat und Kirche gestellt. Das läßt sich schon literarisch daran erkennen, daß der Fortschrittsgedanke nun von den Gattungen, die der Verteidigung des Christentums dienten, in das christliche Geschichtswerk (von dem nun überhaupt erst im strengen Sinne zu reden ist) und in das christliche Enkomium übergreift. 132 Das Folgende versteht sich weder als eine Gesamtdarstellung der Theologie des Eusebius noch als vollständige Beschreibung des Verhältnisses von Eusebius und Konstantin bzw. von Kirche und Kaiser, da hierzu eigene Monographien vonnöten wären. Vielmehr möchte ich in erster Linie der Rezeption der Entwicklungslinien, wie ich sie in Kapitel 2 und 3 aufgezeigt habe, bei Eusebius nachgehen und deren Bedeutung für die "Konstantinische Wende" nachzeichnen.

131 V g l . z u m F o l g e n d e n d u r c h g e h e n d d i e A r b e i t S i r i n e l l i s (1961 m i t d e n K o r r e k t u r e n H a r l s 1962), d e s s e n k l a r e r D a r s t e l l u n g i c h v i e l v e r d a n k e . 132

P e t e r s o n 193S, S. 8 0 . V g l . a u c h u n t e n S. 5 4 3 f f . I c h b e s c h ä f t i g e m i c h i m f o l g e n d e n n i c h t m i t d e n m i t d e m corpus Eusebianum verknüpften Echtheitsfragen. Die von mir dargestellten Lehren ziehen sich durch das g e s a m t e C o r p u s und d ü r f e n g e t r o s t als u r s p r ü n g l i c h euseblanisch angesehen w e r d e n . Einen Uberblick über den Forschungss t a n d m i t L i t e r a t u r g e b e n M o r e a u 1966, W a l l a c e - H a d r i l l 1982 und W i n k e l m a n n 1991; w e i t e r e L i t e r a t u r z u m h i e r i n t e r e s s i e r e n d e n Prob l e m a u c h b e i G ö d e c k e 1987, S. 2 0 4 .

V g l

518 4. 2. 1. Der christliche Fortschrittsgedanke als Antwort auf den paganen Neuheitsvorwurf In seiner umfassenden Apologie, der praeparatio evangelica (entstanden wohl zwischen 313 und 323 133 ), setzt Eusebius zunächst sehr traditionell an, nämlich mit dem Problem der Neuheit des Christentums. 134 Dies zeigt sich schon im Eingang, in dem er nach der Widmung des Werkes das Evangelium als Verkündigung der Ankunft der "seit langem vorhergesagten, seit kurzem aber alle erleuchtenden höchsten Güter" definiert (1,1,2).135 In seiner Beschreibung dieser Güter (in 1,1,3-8) hebt er vor allem die universale Ausrichtung des Evangeliums hervor: Es gilt "zugleich Griechen und Barbaren, Männern samt Frauen und Kindern, Armen und Reichen, Weisen und Ungebildeten und schließt nicht einmal den Sklavenstand verächtlich von seinem Ruf aus" (1,1,6).136 In 1,1,9f kehrt er (immer noch streng der Definition von 1,1,2 f o l g e n d ) zur Dialektik von " A l t " und "Neu" zurück. A l s Belege für die Ankündigung des Evangeliums im Alten Testament gelten ihm Ps 22(21),28f; 96(95),10 und Zeph 2,11. In Christus habe es sich "jetzt" realisiert: "Diese schon lange in den göttlichen Orakeln dargelegten (Ereignisse) sind uns selbst jetzt in der Lehre unseres Retters Jesus Christus erschienen, so daß der kürzlich vom Himmel gestiegene Logos die Gotteserkenntnis, die lange angekündet und von denen, die darin wohlbewandert waren, erwartet worden war, uns in angemessener Weise verkündete und so zeigte, daß das, was er durch Taten vollbrachte, mit den Worten der Alten übereinstimmte" (1,1,10).137

133

V g l . M o r e a u 1966, S p . 1068.

134,

Z u d e n f o l g e n d e n A u s f ü h r u n g e n v g l . auch d u r c h g e h e n d d e n ausf ü h r l i c h e n K o m m e n t a r v o n S i r l n e l l i / d e s P l a c e s 1974. F e r n e r L u n e a u 1964, S. 123-128.

13s

Τ ο ΰ τ ο 5ή πΚσιν ά ν θ ρ ώ π ο ι ς τ ή ν π α ρ ο υ σ ί α ς τ Ω ν ά ν ω τ ά τ ω κ α ι μ ε γ ί σ τ ω ν ά γ α θ - ö v , π ά λ α ι μέν π ρ ο η γ ο ρ ε υ μ έ ν ω ν , ν ε ω σ τ ί δέ τοΤς π α σ ι ν έ π ι λ α μ ψ ά ν τ ω ν , ε υ α γ γ ε λ ί ζ ε τ α ι . ... ( S i r i n e l l i / d e s P l a c e s 96,2-S). Z u m T o p o s v g l . b e r e i t s o b e n S. 2 0 8 m i t A n m . 25.

136

... " Ε λ λ η ν α ς ώμου κ α ί β α ρ β ά ρ ο υ ς , ί ί ν δ ρ α ς 6ίμα γ υ ν α ι ξ ί κ α ί νηπίοις, π έ ν η τ α ς τε κ α ί π λ ο υ σ ί ο υ ς , σοφούς κ α ί ί δ ι ώ τ α ς , οϋδέ τ ο ο ί κ ε τ ι κ ό ν γ έ ν ο ς ΰ π ε ρ φ ρ ο ν ω ν τ?[ς κ λ ή σ ε ω ς ( S i r i n e l l i / d e s P l a c e s 100,7-10).

137

Τ α ΰ τ α π ρ ό π α λ α ι θ ε ί ο ι ς χρησμοΤς ά ν α κ ε ί μ ε ν α νΟν ε ί ς ή μ δ ς α ϋ τ ο ΰ ς δια τ?)ς τ ο ΰ σωτ?[ρος ήμΟν "ΙησοΟ Χ ρ ι σ τ ο ΰ δ ι δ α σ κ α λ ί α ς π έ φ η ν ε ν , ώ ς τήν π ά λ α ι κ η ρ υ τ τ ο μ έ ν η ν τε κ α ί τοΤς μή τ ο ύ τ ω ν ά π ε ί ρ ο ι ς π ρ ο σ δ ο κ ω μ έ ν η ν τ Ω ν έθ-νΩν ά π ά ν τ ω ν θεογνωσίαν είκότως ήμΤν τ ά ν £ναγχος έξ οΰρανοΟ

S19 Ausführlich setzt sich Eusebius dann ab dem zweiten Kapitel mit den Vorwürfen gegen das Christentum auseinander. Er führt sie anhand des Problems der christlichen Identität ein: Die Christen sind weder Hellenen noch Barbaren, und zwar nicht nur dem Namen nach, sondern auch hinsichtlich ihrer Lebensführung (1,2,1). Damit wird von Eusebius das Problem der christlichen Selbstdefinition angesprochen: "Was gibt es wohl also bei uns Ungewöhnliches, und welcher Art ist die Neuerung in unserer Lebensführung?" (1,2,2).138 Er greift also den Neuerungsvorwurf von heidnischer und jüdischer Seite anhand der Schlüsselvokabeln (ξένον και νεωτερισμός) auf: Die Christen sind neu, fremdartig und darum potentiell gefährlich. 139 Im folgenden listet Eusebius diese Vorwürfe im einzelnen auf. Von heidnischer Seite (aus Porphyrius? 140 ): Die Christen hätten die alten Kulte, die die soziale Einheit garantierten, ohne Not aufgegeben und sich somit selbst zu gesellschaftlichen Außenseitern, schlimmer noch: Götterfeinden gemacht (1,2,3). Anstelle der allseits anerkannten Götter hätten sie in irrationaler Weise die Fabeleien der gottlosen Juden gewählt, nur um deren Glauben zugunsten eines "neuen und einsamen Weges, ohne Beachtung weder der griechischen, noch der jüdischen Traditionen," ( ... καινήν δέ τινα και ερήμην άνοδίαν εαυτοΐς συντεμεΐν, μήτε τά 'Ελλήνων μήτε τά 'Ιουδαίων φυλάττουσαν, 1,2,4), preiszugeben. Von barbarischer, und das heißt: jüdischer Seite werde den Christen vorgeworfen, sie mißbrauchten die jüdischen heiligen Schriften, verdrängten die Juden aus der Erwählung, indem sie sie gleichzeitig verleumdeten; sie gäben das jüdische Gesetz preis, beanspruchten aber den für die Erfüllung des Gesetzes verheißenen Lohn (1,2,5-8). In konzentriertester Form wird also am Ausgang der Epoche der Märtyrerkirche noch einmal all das aufgezählt, weis die Nichtchristen an den Christen auszusetzen hatten, und anschließend in einem großangelegten apologetischen Entwurf zurückgewiesen, wobei die praeparatio evangelica der Widerlegung der heidnischen, die ersten zwei Bücher der demonstratio evangelica der Widerlegung der jüdischen Vorwürfe

π α ρ ό ν τ α Χ ό γ ο ν ε ύ α γ γ ε Χ ί ζ ε σ & α ι , τ α Τ ς τ ω ν π α λ α ι £ 3 ν έ χ ε ι ρ ο Ο τ ο , ε ί ς μίαν Ενωσιν κ α ι σ υ μ φ ω ν ί α ν τό π δ ν γένος συνάπτειν σπεύδουσα, και τά πολλά μέν παντοίων έ-θ-νων σ υ ν α γ α γ ο Ο σ α , μ έ λ λ ο υ σ α δέ Βσον οϋπω κ α ι αύτΩν ί ί χ ρ ι τΩν ύίκρων τ?Ις ο ί κ ο υ μ έ ν η ς έ ί ρ ά π τ ε σ θ α ι , τ?ϊς σ ω τ η ρ ί ο υ δ ι δ α σ κ α λ ί α ς συν θεϊκοί δυνάμει π ρ ο ε ξ ε υ μ α ρ ι ζ ο ύ σ η ς α ύ τ ξ τά π ά ν τ α κ α ϊ 6 μ α λ ά κ α θ ι σ τ ώ σ η ς ( H e i k e l 2 4 9 , 2 9 2 S O , 6 ; d i e E r g ä n z u n g in Ο v o n m i r . N a c h ύ ρ ω μ έ ν α ς m u ß e t w a s a u s g e fallen sein, d a d a s B e z u g s w o r t fehlt.) 227

229

S o z . B . P h i l o , leg. Geil. 4 9 : " Ο σ α μέν γ α ρ ε ϋ η μ έ ρ ε ι των β λ α β ε ρ Ω ν κ α ι έν μ έ σ ο ι ς έ ξ η τ ά ζ ε τ ο , π ρ ό ς έ σ χ α τ ι ά ς ϋ π ε ρ ό ρ ι α κ α ι Τ α ρ τ ά ρ ο υ μυχούς ί ί λ α σ ε , τά δέ τ ρ ό π ο ν τ ι ν ά φ υ γ α δ ε υ θ έ ν τ α τΩν λ υ σ ι τ ε λ ώ ν κ α ϊ ω φ ε λ ί μ ω ν κατήγαγεν άπό περάτων γ?ίς και θαλάττης είς τήν καθ' ήμδς ο ί κ ο υ μ έ ν η ν & π ά ν τ α μι